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Andersens MärchenH. C. Andersens Märchen
Herausgegeben |
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Unten auf der Straße spielte eine ganze Schar Kinder, und da sie die Störche gewahr wurden, sang zuerst einer der mutigsten Knaben und später alle zusammen den alten Vers von den Störchen:
"Storch, Storch, fliege heim, Siehe nicht auf einem Bein, Deine Frau im Neste liegt, Wo sie ihre Zungen wiegt. Das eine wird gehängt, Das andre wird versengt, Das dritte man erschießt, Wenn man das vierte spießt." |
"Höre nur, was die Knaben singen r sagten die minen Storchkinder "sie singen, wir sollen gehängt und versengt werden!"
"Daran sollt ihr euch nicht kehren!" sagte die Storchmutter; "hört nur nicht darauf, so schadet es gar nichts
Aber die Knaben fuhren fort zu singen, und sie ätschten den Storch mit den Fingern aus; nur ein Knabe, welcher Peter hieß, sagte, daß es unrecht sei, die Tiere zum besten zu haben, und wollte auch gar nicht mit dabei sein. Die Stores mutter tröstete ihre Jungen. "Kümmert euch nicht darum," sagte sie, "seht nur, wie ruhig euer Vater steht; und zwar auf einem Beine!"
"Wie fürchten uns so!" sagten die Jungen und zogen die Köpfe tief ins Nest zurück.
Am nächsten Tage, als die Kinder wieder zum Spielen zusammenkamen und die Störche erblickten, sangen sie ihr Lied:
"Das eine wird gehängt, Das andre wird versengt" — |
"Werden wir wohl gehängt und versengt werden?" fragten die jungen Störche.
"Nein, sicher nicht!" sagte die Mutter. "Ihr sollt fliegen lernen, ich werde euch schon exerzieren; dann fliegen wir hinaus auf die Wiese und statten den Fröschen Besuche ab, die verneigen sich vor uns im Wasser, singen ,koax, koax'; und dann essen wir sie auf, das wird ein rechtes Vergnügen geben!"
"Und was dann?" fragten die Storchjungen.
"Dann versammeln sich alle Störche, die hier im ganzen Lande sind, und das Herbstmanöver beginnt. Da muß man gut fliegen, das ist von großer Wichtigkeit; denn wer dann nicht ordentlich fliegen kann, wird vom General mit dem Schnabel totgestochen; deshalb gebt wohl acht, etwas zu lernen, wenn das Exerzieren anfängt!"
"So werden wir ja doch gespießt, wie die Knaben sagten; und hört nur, jetzt singen sie es wieder!"
"Hört auf mich und nicht auf sie", sagte die Storchmutter. "Nach dem großen Manöver fliegen wir nach den warmen Ländern, oh, so weit von hier, über Berge und Wälder. Nach Ägypten fliegen wir, wo es dreieckige Steinhauser gibt, die in eine Spitze auslaufen und bis über die Wolken ragen; sie werden Pyramiden genannt und sind älter, als ein Storch es sich denken kann. Da ist ein Fluß, welcher guo seinem Bette tritt, dann wird das ganze Land zu Schlamm. Man geht im Schlamm und ißt Frösche."
"Oh!" sagten alle Jungen.
"Ja! da ist es herrlich! Man tut den ganzen Tag nichts anderes als essen, und während wir es so gut haben, ist in diesem Lande nicht ein grünes Blatt auf den Bäumen; hier ist so kalt, daß die Wolken in Stücke frieren und in Keinen weißen Lappen herunterfallen!" Das war Schnee, den sie meinte, aber sie konnte es ja nicht deutlicher erklären.
"Frieren dann auch die unartigen Knaben in Stückes" fragten die jungen Störche.
"Nein, in Stücke frieren sie nicht, aber sie sind nahe daran und müssen in der dunklen Stube sitzen und duckmäusern; ihr hingegen könnt in fremdin Ländern herumfliegen, wo es Blumen und warmen Sonnenschein gibt!"
Nun war schon einige Zeit verstrichen, und die Jungen waren so groß geworden, daß sie im Neste aufrecht stehen und weit umher sehen konnten, und der Storchvater kam jeden Tag mit schönen Fröschen, kleinen Schlangen und all den Storchleckereien, die er finden konnte, geflogen. Oh, das sah lustig aus, wie er ihnen Kunststücke vormachte! Den Kopf legte er gerade herum auf den Schwanz, mit dem Schnabel klapperte er als wäre er eine kleine Knarre, dann erzählte er ihnen Geschichten, alle zusammen vom Sumpfe.
"Hört, nun müßt ihr fliegen lernen" sagte eines Tages die Storchmutter, und nun mußten alle vier Junge hinaus auf den Dachrücken. O wie sie schwankten, wie sie mit den Flügeln balancierten und doch nahe daran waren hinunterzufallen!
"Seht nun auf mich!" sagte die Mutter. "So müßt ihr den Kopf halten, so müßt ihr die Flügel stellen! Eins, zwei! Eins, zweit Das ist was euch in der Welt forthelfen soll!"
Dann flog sie ein kleines Stück, und die Jungen machten einen minen unbeholfenen Sprung. Bums! da lagen sie, denn ihr Körper war zu schwerfällig.
"Ich will nicht fliegen!" sagte das eine Junge und kroch wieder in das Nest hinauf. "Mir ist nichts daran gelegen, nach den warmen Ländern zu kommen!"
"Willst du denn hier erfrieren, wenn es Winter wird? Sollen die Knaben kommen, dich zu hängen, zu sengen und zu braten? Nun, ich werde sie rufen!"
"O nein!" sagte der junge Storch uns hüpfte wieder auf das Dach wie die andern. Den dritten Tag konnten sie schon ordentlich ein bißchen fliegen, und da glaubten sie, daß sie auch schweben und auf der Luft ruhen könnten; das wollten sie, aber bums! da purzelten sie, darum mußten sie schnell die Flügel wieder rühren. Nun kamen die Knaben unten auf der Straße und sangen ihr Lied:
"Storch, Storch, fliege heim!" |
"Wollen wir nicht hinunterfliegen und ihnen die Augen aushacken?" sagten die Jungen.
"Nein, laßt das sein!" sagte die Mutter. "Hört nur auf mich, das ist weit wichtiger! Eins, zwei, drei! Nun fliegen wir rechts herum! Eins, zwei, drei! Nun links um den Schornstein! Seht, das war sehr gut! Der letzte Schlag mit den Flügeln war so niedlich und richtig, daß ihr die Erlaubnis erhalten sollt, morgen mit mir in den Sumpf zu fliegen! Da werden mehrere nette Storch
familien mit ihren Kindern sein; zeigt mir nun, daß die meinen die niedlichsten sind, und daß ihr recht einherstolziert: das sieht gut aus und verschafft Ansehen!""Aber sollen wir uns denn nicht an den unartigen Buben rächen?" fragten die jungen Störche.
"Laßt sie schreien, was sie wollen! Ihr fliegt doch zu den Wolken auf, kommt nach dem Lande der Pyramiden, wenn sie frieren müssen und kein grünes Blatt und keinen süßen Apfel haben!" "Ja, Rache wollen wir nehmen!" zischelten sie einander zu, und dann wurde wieder exerziert. Von allen Knaben auf der Straße war ärger, das Spottlied zu singen, als gerade der, welcher damit angefangen hatte, und das war ein ganz kleiner, er war wohl |
"Wir müssen ja erst sehen, wie ihr euch bei dem großen Manöver benehmen werdet! Besteht ihr schlecht, so daß der General euch den Schnabel durch die Brust rennt dann haben ja die Knaben recht, wenigstens in einer Hinsicht! Nun laßt uns sehen!"
"Ja, das sollst du!" sagten die Jungen, und so gaben sie sich gerade Mühe;
sie übten sich jeden Tag und flogen so niedlich und leicht, daß es eine ordens tsche Lust war zuzusehen.Nun kam der Herbst; alle Störche begannen sich zu sammeln, um fort nach den warmen Ländern zu ziehen, während wir Winter haben. Das war ein Leben! Wer Wälder und Dörfer mußten sie, nur um zu sehen, wie gut sie fliegen könnten, denn es war ja eine große Reise, die ihnen bevorstand. Die jungen Störche machten ihre Sache so brav. daß sie "Ausgezeichnet gut mit Frosch und Schlange" erhielten. Das war das allerbeste Zeugnis, und den Frosch und die Schlange konnten sie essen; das taten sie auch.
"Nun wollen wir Rache haben!" sagten sie.
"Ja gewiß!" sagte die Storchmutter. "Was ich mir ausgedacht habe, ist gerade das Richtige! Ich weiß, wo der Teich ist, in welchem alle die kleinen Menschenkinder liegen, bis der Storch kommt und sie den Eltern bringt. Die niedlichen kleinen Kinder schlafen und träumen so lieblich, wie sie später nie mehr träumen. Alle Eltern wollen gern ein solch kleines Kind haben, und alle Kinder wollen eine Schwester oder einen Bruder haben. Nun wollen wir nach dem Teiche hinfliegen, eins für jedes der Kinder holen, welche nicht das böse Lied gesungen und die Störche zum besten gehabt haben!"
"Aber der, welcher zu singen angefangen hat der schlimme häßliche Knabe!" schrieen die jungen Störche, "was machen wir mit ihm?"
"Da liegt im Teiche ein kleines totes Kind, das hat sich totgeträumt; das wollen wir für ihn nehmen, dann muß er weinen, weil wir ihm einen toten kleinen Bruder gebracht haben; aber dem guten Knaben — ihn habt ihr doch nicht vergessen, ihn, der da sagte, es sei unrecht, die Tiere zum besten zu habens — ihm wollen wir sowohl einen Bruder als eine Schwester bringen, und da der Knabe Peter hieß, so sollt ihr auch allesamt Peter heißen!"
Und es geschah, was sie sagte, und so hießen alle Störche Peter, und so werden sie noch genannt.
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Seine Großmutter hatte ihm erzählt, als er noch ganz klein war, aber anfangen sollte zur Schule zu gehen, daß jede Blume im Garten des Paradiess der süßeste Kuchen, die Staubfäden der feinste Wein seien; auf einem stehe Geschichte, auf einem andern Geographie oder Tabellen; man brauche nur Kuchen zu essen, so könne man seine Lektion; je mehr man speise, um so mehr Geschichte Geographie und Tabellen hätte man inne.
Das glaubte er damals; aber schon, als er ein größerer Knabe wurde, mehr lernte und klüger war; begriff er wohl, daß eine ganz andere Herrlichkeit im Garten des Paradieses sein müsse.
"Oh, weshalb pflückte doch Eva vom Baume der Erkenntnis! Weshalb speiste Adam von der verbotenen Frucht! Das sollte ich gewesen sein, so wäre es nicht geschehen! Nie wäre die Sünde in die Welt gekommen!"
Das sagte er damals, und das sagte er noch, als er siebzehn Jahre alt war. Der Garten des Paradieses erfüllte alle seine Sinne.
Eines Tages ging er im Walde; er ging allein, denn das war sein größtes Vergnügen.
Der Abend brach an, die Wolken zogen sich zusammen, es wurde ein Regenwetter, als ob der ganze Himmel eine einzige Schleuse wäre, aus der das Wasser stürzte; es war so dunkel, wie sonst des Nachts im tiefsten Brunnen ist. Bald glitt er in dem nassen Grase aus, bald fiel er über die nackten Steine, welche
aus dem Felsengründe hervorragten. Alles triefte vom Wasser, es war nicht ein trockener Faden an dem armen Prinzen. Er mußte über große Steinblöcke klettern, wo das Wasser aus dem hohen Moose quoll. Er war nahe daran, kraftlos umzusinken, als er ein sonderbares Sausen hörte, und vor sich sah er eine große erleuchtete Höhle. Mitten in dieser brannte ein Feuer, so daß man einen Hirsch dabei braten konnte, und das geschah auch; der prächtigste Hirsch mit seinem hohen Geweih war auf einen Spieß gesteckt und wurde langsam zwischen zwei abgehauenen Tannenbäumen herumgedreht. Eine ältliche Frau, groß und stark, als wäre sie eine verkleidete Mannsperson, saß am Feuer und warf ein Stück Holz nach dem andern dazu."Komm nur näher!" sagte sie. "Setz dich an das Feuer; damit deine Kleider getrocknet werden!"
"Hier zieht es arg!" sagte der Prinz und setzte sich auf den Fußboden nieder.
"Das wird noch ärger werden, wenn meine Söhne nach Hause kommen!" erwiderte die Frau. "Du bist hier in der Höhle der Winde, meine Söhne sind die vier Winde der Welt. Kannst du das verstehen?"
"Wo sind deine Söhne?" fragte der Prinz.
"Ja, es ist schwer zu antworten, wenn man dumm fragt", sagte die Frau. "Meine Söhne treiben es auf eigne Hand, sie spielen Federball mit den Wolken dort oben im Königssaal!" Und dabei zeigte sie in die Höhe hinauf.
"Ach so", sagte der Prinz. "Ihr sprecht übrigens ziemlich barsch und seid nicht so sanft wie die Frauenzimmer, die ich sonst um mich habe!"
"Ja, die haben wohl nichts anderes zu tun! Ich muß hart sein, wenn ich meine Knaben in Respekt erhalten will! Aber das kann ich, obgleich sie steife Nacken haben! Siehst du die vier Säcke, die an der Wand hängen? Die fürchten sie ebenso wie du früher die Rute hinterm Spiegel. Ich kann die Knaben zusammenbiegen, sag' ich dir, und dann müssen sie in den Sack; da machen wir keine Umstände! Dasitzen sie und dürfen nicht eher wieder heraus und herumstreifen, als bis ich es für gut erachte. Aber da haben wir den einen!"
Das war der Nordwind, der mit einer eisigen Kälte hreintrat; große Hagelkörner hüpften auf den Fußboden hin, und Schneeflocken stöberten umher. Er war in Bärenfellbeinkleidern und Jacke; eine Mütze von Seehundsfell ging über die Ohren hinab; lange Eiszapfen hingen ihm am Barte, uns ein Hagelkorn nach dem andern glitt ihm vom Jackenrock hinunter.
"Gehen Sie nicht gleich an das Feuer!" sagte der Prinz. "Sie können sonst leicht Frost in das Gesicht und die Hände bekommen."
"Frost!" sagte der Nordwind und lachte laut auf. "Frost! Das ja gerade mein größtes Vergnügen! Was bist du übrigens für ein Klapperbein! Wie kommst du in die Höhle der Winde?"
"Er ist mein Gast," sagte die Alte, "und bist du mit dieser Erklärung nicht zufrieden, so kannst du in den Sack kommen! Verstehst du mich nun?"
Sieh, das half, und der Nordwind erzählte, von wannen er kam, und wo er nun fast einen ganzen Monat gewesen war.
"Vom Polarmeer komme ich", sagte er. "Ich bin auf dem Bäreneilande mit den russischen Walroßfängern gewesen. Ich saß und schlief auf dem Steuer, als sie vom Nordkap aussegelten! Wenn ich mitunter ein wenig erwachte, flog mir der Sturmvogel um die Beine! Das ist ein komischer Vogel; er macht einen raschen Schlag mit den Flügeln, dann hält er sie unbeweglich ausgestreckt und fliegt dann doch fort."
"Mache nur nicht so weitläufig", sagte die Mutter der Winde. "Du kamst also nach dem Bäreneilande!"
"Dort ist es schön! Da ist ein Fußbad ;n zum Tanzen, flach wie ein Teller, halbgetauter Schnee mit ein wenig Moos, scharfe Steine und Knochengerippe von Walrossen und Eisbären lagen da wie Riesenarme und -beine mit verschimmeltem Grün. Man möchte glauben, daß die Sonne nie darauf geschienen hätte. Ich blies ein wenig in den Nebel, damit man den Schuppen sehen konnte. Das war ein Haus von Wrackholz erbaut und mit Walroßhäuten überzogen; die Fleischseite war nach außen gekehrt, sie war rot und grün; auf dem Dache saß ein lebendiger Eisbär und brummte. Ich ging nach dem Strande, sah nach den Vogelnestern, sah die nackten Jungen, die da schrieen und den Schnabel aufsperrten; da blies ich in die tausend Kehlen hinab, und sie lernten den Schnabel schließen. Weiterhin wälzten sich Walrosse wie lebendige Eingeweide oder Riesenmaden mit Schweinsköpfen und ellenlangen Zähnen!"
"Du erzählst gut, mein Sohn", sagte die Mutter. "Das Wasser läuft mir im Munde zusammen, wenn ich dir zuhöre!"
"Dann ging es auf den Fang! Die Harpune wurde in die Brust des Walrosses geworfen, so daß der dampfende Blutstrahl einem Springbrunnen gleich über das Eig spritzte. Da gedachte ich auch meines Spieles! Ich blies auf und ließ meine Segler, die klippenhohen Eisberge, die Boote einklemmen. Hui! wie man pfiff und wie man schrie, aber ich pfiff lauter; die toten Walroßkörper, Kisten und Tauwerk mußten sie auf das Eis auspacken; ich schüttelte die Schneeflocken über sie und ließ sie in den eingeklemmten Fahrzeugen mit ihrem Fang nach Süden treiben, um dort Salzwasser zu kosten. Sie kamen nie mehr nach dem Bäreneiland!"
"So hast du ja Böses getan!" sagte die Mutter der Winde.
"Was ich Gutes getan habe, mögen die anderen erzählen!" sagte er. "Aber da haben wir meinen Bruder vom Westen, ihn mag ich von allen am besten leiden, er schmeckt nach der See und führt eine herrliche Kälte mit sicht"
"Ist das der kleine sephira" Sagte der Prinz.
"Jawohl ist das Zephir!" sagte die Alte "aber er ist doch nicht so klein. In alten Tagen war es ein hübscher Knabe, aber das ist nun vorbei!"
Er sah aus wie ein wilder aber er hatte einen Fallhut auf, um nicht zu Schaden zu kommen. In der Hand hielt ereine in den amerikanischen gehauen. Das war nichts Geringes.
"Wo kommst du her?" fragte die Mutter.
"Von den Urwäldern," sagte er, "wo die dornigen Lianen eine Hecke zwischen jedem Baum bilden, wo die Wasserschlange in dem nassen Grase liegt und die Menschen unnötig zu sein scheinen!"
"Was triebst du dort?"
"Ich sah in den tiefen Fluß, sah, wie er von den Klippen stürzte, Staub wurde und gegen die Wolken flog, um den Regenbogen zu tragen. Ich sah den wilden Büffel im Flusse schwimmen, aber der Strom riß ihn mit sich fort; er trieb mit dem Schwarm der wilden Enten, welche in die Höhe flogen, wo das Wasser stürzte; der Büffel mußte hinunter das gefiel mir, und ich blies einen Sturm, daß uralte Bäume splitterten und zu Spänen wurden."
"Und weiter hast du nichts getan?" fragte die Alte.
"Ich habe in den Savannen Purzelbäume geschossen, ich habe die wilden Pferde gestreichelt und Kokosnüsse geschüttelt! Ja, ja, ich habe Geschichten zu erzählen! Aber man muß nicht alles sagen, was man weiß. Das weißt du wohl Alte!" Und dann küßte er seine Mutter, so daß sie fast hintenüber gefallen wäre; er war wahrlich ein wilder Gesell.
Nun kam der Südwind mit einem Turban und fliegendem Beduinenmantel
"Hier ist es recht kalt, hier draußen!" sagte er und warf Holz zum Feuer; "man kann merken, daß der Nordwind zuerst gekommen ist!"
"Es ist hier so heiß, daß man einen Eisbär braten kannt" sagte der Nordwind.
"Du bist selbst ein Eisbär!" antwortete der Südwind.
"Wollt ihr in den Sack gesteckt werden?" fragte die Alte. "Setze dich auf den Stein dort und erzähle, wo du gewesen bist."
"In Afrika, meine Mutterl" erwiderte er. "Ich war mit den Hottentotten auf der Löwenjagd im Lande der Kaffern! Welches Gras wächst dort in den Ebenen, grün wie eine Olivet Da lief der Strauß mit mir um die Sette, aber ich bin doch rascher zu Fuß. Ich kam nach der Wüste zu dem gelben Sande; da sieht es aus wie auf dem Grunde des Meeres. Ich traf eine Karawane; sie schlachteten ihr letztes Kamel, um Trinkwasser zu erhalten, aber war nur wenig, was sie bekamen. Die Sonne brannte von oben und der Sand von unten. Keine Grenze hatte die weite Wüste. Da wälzte ich mich in dem feinen losen Sande und wirbelte ihn in große Säulen auf. Das war ein Tanzt Du hättest sehen sollen, wie verlegen das Dromedar dastand und der Kaufmann den
Kaftan über den Kopf zog. Er warf sich vor mir nieder, wie vor Allah, seinem Gott. Nun sind sie begraben, und es steht eine Pyramide von Sand über ihnen allen; wenn ich den einmal fortblase, dann wird die Sonne ihre Knochen bleichen, da können die Reisenden sehen, daß hier früher Menschen gewesen sind. Sonst kann man das in der Wüste nicht glauben!""Du hast also nur Böses getan!" sagte die Mutter. "Marsch in den Sack!" Und ehe er es wußte, hatte sie den Südwind um den Leib gefaßt und in den Sack gesteckt; er wälzte sich rings herum auf dem Fußboden, aber sie setzte sich darauf, und da mußte er stille liegen.
"Das sind muntere Knaben, die du hast!" sagte der Prinz.
"Ja wahrlich," antwortete sie, "und züchtigen kann ich sie! Da haben wir den vierten!"
Das war der Ostwind, er war wie ein Chinese gekleidet.
"Nun, kommst du von der Seite?" sagte die Mutter. "Ich glaubte, du wärest im Garten des Paradieses gewesen."
"Dahin fliege ich erst morgenl" sagte der Ostwind. "Morgen sind es hundert Jahre, seitdem ich dort war! Ich komme jetzt von China, wo ich um den Porzellanturm tanzte, daß alle Glocken klingelten. Unten auf der Straße bekamen die Beamten Prügel, das Bambusrohr wurde auf ihren Schultern verbraucht, und das waren Leute vom ersten bis zum neunten Grade; sie schrieen: "Vielen Dank, mein väterlicher Wohltäter!" aber sie meinten nichts damit, und ich klingelte mit den Glocken und sang: "Tsing tsang tsu!"
"Du bist mutwillig!" sagte die Alte. "Es ist gut, daß du morgen nach dem Garten des Paradieses kommst, das trägt immer zu deiner Bildung bei! Trinke dann tüchtig ander Weisheitsquelle und nimm eine Keine Flasche voll für mich mit nachhause!"
"Das werde ich tun!" sagte der Ostwind. "Aber weshalb hast du meinen Bruder vom Süden in den Sack gesteckt? Hervor mit ihm! Er soll mir vom Vogel Phönix erzählen, davon will die Prinzessin im Garten des Paradieses immer hören, wenn ich jedes hundertste Jahr meinen Besuch abstatte. Mache den Sack auf, dann bist du meine süßeste Mutter, und ich schenke dir zwei Taschen voll Tee, so grün und frisch, wie ich ihn an Ort und Stelle gepflückt habe!"
"Nun, des Tees halber, und weil du mein Herzensjunge bist; will ich den Sack öffnen!" Das tat sie, und der Südwind kroch heraus, aber er sah ganz niedergeschlagen aus, weil der fremde Prinz es gesehen hatte.
"Da hast du ein Palmenblatt für die Prinzessin!" sagte der Südwind. "Dieses Blatt hat der alte Vogel Phönix, der einzige, der in der Welt war, mir gegeben! Er hat mit seinem Schnabel seine ganze Lebensbeschreibung, die hundert Jahre, die er lebte, hineingeritzt; nun kann sie es selbst lesen, wie der Vogel
Phönix sein Nest selbst in Brand steckte und darin saß und verbrannte, wie die Frau eines Hindu. Wie knisterten doch die trockenen Zweige! Es war ein Rauch und ein Duft! Zuletzt schlug alles in Flammen auf, der alte Vogel Phönix wurde zu Asche, aber sein Ei lag glühend rot im Feuer, es barst mit einem großen Knall, und das Junge flog heraus; nun ist dieses Herrscher über alle Vögel und der einzige Vogel Phönix in der Welt. Er hat ein Loch in das Palmenblatt, welches ich dir gab, gebissen; das ist sein Gruß an die Prinzessin!""Laßt uns nun etwas zu uns nehmen!" sagte die Mutter der Winde, und so setzten sie sich alle heran, um von dem gebratenen Hirsch zu speisen; der Prinz saß zur Seite des Ostwindes, und deshalb wurden sie bald gute Freunde.
"Höre, sage mir einmal," fing der Prinz an, "was ist das für eine Prinzessin, von der hier so viel die Rede ist, und wo liegt der Garten des Paradieses?"
"Hoho!" sagte der Ostwind, "willst du dahin, ja, dann fliege morgen mit mir! Aber das muß ich dir sagen, da ist kein Mensch seit Adams und Evas Zeiten gewesen. Die kennst du ja wohl aus der biblischen Geschichten"
"Jawohl", sagte der Prinz.
"Damals, als sie verjagt widen, versank der Garten des Paradieses in die Erde, aber er behielt seinen warmen Sonnenschein, seine milde Luft und all seine Herrlichkeit. Die Feenkönigin wohnt darin; da liegt die Insel der Glückseligkeit, wohin der Tod nie kommt, wo es herrlich ist! Setze dich morgen auf meinen Rücken, dann werde ich dich mitnehmen; ich denke, es wird sich wohl tun lassen! Aber nun mußt du nicht mehr sprechen, denn ich will schlafen!"
Und dann schliefen sie allesamt.
In der frühen Morgenlande erwachte der Prinz und war ächt wenig erstaunt, sich schon hoch über den Wolken zu finden. Er saß auf dem Rücken des Ostwindes, der ihn noch treulich hielt; sie waren so hoch in der Luft, daß Wälder und Felder, Flüsse und Seen sich wie auf einer Landkarte darstellten.
Guten Morgen!" sagte der Ostwind. "Du könntest übrigens gern noch ein bißchen schlafen, denn es ist nicht viel auf dem flachen Lande unter uns zu sehen. Ausgenommen, du hättest Lust, die Kirchen zu zählen! Sie stehen gleich Kreidepunkten auf dem grünen Brette." Das waren Felder und Wiesen, die er das grüne Brett nannte.
"Es unartig, daß ich deiner Mutter und deinen Brüdern nicht Leda wohl gesagt hadel" meinte der Prinz.
"Wenn man schläft, ist man entschuldigt!" sagte der Ostwind, und darauf flogen sie noch rascher von dannen. Man konnte es in den Gipfeln der Bäume hören, wenn sie darüber hinführen, rasselten alle Zweige und Blätter; man konnte es auf dem Meere und den Seen hören, denn wo sie flogen, erhoben sich die Wogen höher, und die großen Schiffe neigten sich tief in das Wasser hinunter, gleich schwimmenden Schwänen.
Gegen Abend, als es dunkel wurde, sahen die großen Städte hübsch aus; die Lichter brannten dort unten, bald hier, bald da; war gerade, als wenn man ein Stück Papier angebrannt hat und alle die nemen Feuerfunken sieht; wie sie, gleich Kindern, die aus der Schule gehen, nach allen Seiten auseinanderstieben. Der Prinz klatschte in die Hände, aber der Ostwind bat ihn, das sein zu lassen und sich lieber festzuhalten, sonst könnte er leicht hinunterfallen und an der Spitze eines Kirchturms hängen bleiben.
Der Adler in den schwarzen Wäldern flog zwar leicht doch der Ostwind flog noch leichter. Der Kosak auf seinem kleinen Pferde jagte über die Ebenen davon, doch der Prinz jagte noch schneller dahin.
"Nun kannst du den Himalaja sehen!" sagte der Ostwind, "das ist der höchste Berg in Asien; nun werden wir bald nach dem Garten des Paradieses gelangen!" Dann wandten sie sich mehr südlich, und bald duftete dort von Gewürzen und Blumen. Feigen und Granatapfel wuchsen wild, und die wilde Weinranke hatte blaue und rote Trauben. Hier ließen sie sich beide nieder und streckten sich in das weiche Gras, wo die Blumen dem Winde zunickten, als wollten sie sagen: "Willkommen hier!"
"Sind wir nun im Garten des Paradieses?" fragte der Prinz.
"Nein, bewahret" erwiderte der Ostwind, "aber wir werden nun bald dorthin kommen. Siehst du die Felsenmauer dort und die große Höhle, wo die Weinranken gleich einer großen Gardine hängen? Da hindurch werden wir hineingelangen! Wickle dich in deinen Mantel, hier brennt die Sonne, aber einen Schritt weiter, und es ist eisig kalt. Der Vogel, welcher an der Höhle vorbeistreift, hat den einen Flügel hier draußen in dem warmen Sommer und den andern drinnen in dem kalten Winter!"
"So, das ist also der Weg zum Garten des Paradieses?" fragte der Prinz.
Nun gingen sie in die Höhle hinein. Hu, wie war es dort eisig kalt! Aber es währte nicht lange. Der Ostwind breitete seine Flügel aus, und sie leuchteten gleich dem hellsten Feuer. Nein, welche Höhle! Die großen Steinblöcke, von denen das Wasser träufelte, hingen über ihnen in den wunderbarsten Gestalten; bald war es da so enge, daß sie auf Händen und Füßen kriechen mußten, bald so hoch und ausgedehnt wie in der frein Luft. Es sah aus wie Grabkapellen mit stummen Orgelpfeifen und versteinerten Orgeln.
"Wir gehen wohl den Weg des Todes zum Garten des Paradieses?" sagte der Prinz; aber der Ostwind anwortete keine Silbe, zeigte vorwärts, und das schönste blaue Licht strahlte ihnen entgegen. Die Steinblöcke über ihnen wurden mehr und mehr ein Nebel, der zuletzt so klar war wie eine weiße Wolke im Mondenschein. Nun waren sie in der herrlichsten milden Luft; so frisch wie auf den Bergen, so duftend wie bei den Rosen des Tales. Da strömte ein Fluß, so klar als die frische Luft selbst, und die Fische waren wie Silber und Gold; puppurrote
Aale, die bei jeder Bewegung blaue Feuerfunken sprühten, spielten da unten im Wasser, und die breiten Seerosenblätter hatten des Regenbogens Farben die Blume selbst war eine rotgelbe brennende Flamme, der das Wasser Nahrung gab, gleichwie das Öl die Lampe beständig im Brennen erhält. Eine feste Brücke von Marmor, aber so künstlich und fein ausgeschnitten, als wäre sie von Spitzen und Glasperlen gemacht führte über das Wasser zur Insel der Glückseligkeit, wo der Garten des Paradieses blühte.Der Ostwind nahm den Prinzen auf seine Arme und trug ihn hinüber. Da sangen die Blumen und Blätter die schönsten Lieder aus seiner Kindheit, aber so lieblich, wie keine menschliche Stimme singen kann.
Waren das Palmenbäume oder riesengroße Wasserpflanzen, die hier wuchsen? So saftige und große Bäume hatte der Prinz nie gesehen; in langen Kränzen hingen da die wunderlichsten Schlingpflanzen, wie man sie nur mit Farben und Gold auf dem Rande alter Heiligenbücher, oder sich durch die Anfangsbuchstaben schlingend, abgebildet findet. Das waren die seltsamsten Zusammensetzungen von Vögeln, Blumen und Schnörkeln. Dicht daneben im Grase stand ein Schwarm von Pfauen mit entfalteten strahlenden Schweifen. Ja, das war wirklich so Doch nein, als der Prinz daran rührte; merkte er; daß es keine Tiere sondern Pflanzen waren; es waren die großen Kletten, die hier gleich des Pfauen herrlichem Schweif strahlten. Der Löwe und der Tiger sprangen gleich geschmeidigen Katzen zwischen den grünen Hecken, die wie die Blumen des Ölbaumes dufteten, und der Löwe und der Tiger waren zahm; die wilde Waldtaube glänzte wie die schönste Perle, schlug mit ihren Flügeln den Löwen an die Mähne, und die Antilope, die sonst so scheu ist, stand und nickte mit dem Kopfe, als ob sie auch mitspielen wollte.
Nun kam die Fee des Paradieses, ihre Kleider strahlen wie die Sonne, und ihr Antlitz war mild wie das einer frohen Mutter, wenn sie recht glücklich über ihr Kind ist. Sie war so jung und schön, und die hübschesten Mädchen, jedes mit einem leuchtenden Stern im Haar, folgten ihr. Ostwind gab ihr das beschriebene Blatt vom Vogel Phönix, und ihre Augen funkelten vor Freude; sie nahm den Prinzen bei der Hand und führte ihn in ihr Schloß hinein, wo die Wände Farben wie das prächtigste Tulpenblatt, wenn es gegen die Sonne gehalten wird, hatten; die Decke selbst war eine große, strahlende Blume, und je mehr man in dieselbe hinauf sah, desto tiefer erschien deren Becher. Der Prinz trat an das Fenster und sah durch eine der Scheiben; da sah er den Baum der Erkenntnis mit der Schlange, und Adam und Eva standen dicht dabei. "Sind die nicht fortgejagt?" Sagte er, und die Fee lächelte und erklärte ihm, daß die Zeit auf jeder Scheibe so ihr Bild eingebrannt habe, aber nicht, wie man es zu sehen gewohnt sei, nein, es war Leben dann, die Blätter der Bäume bewegten sich die Menschen kamen und gingen wie in einem Spiegelbilde. Und er sah durch
eine andere Scheibe, und da war Jakobs Traum, wo die Leiter gerade bis in den Himmel ging, und die Engel mit großen Schwingen schwebten auf und nieder. Ja, alles, was in dieser Welt geschehen war, lebte und bewegte sich in den Glasscheiben; so künstliche Gemälde konnte nur die Zeit einbrennen.Die Fee lächelte und führte ihn in einen Saal, groß und hoch, dessen Wände transparent erschienen, mit Bildern, wo das eine Gesicht schöner als das andere war. Das waren Millionen Glückliche, die lächelten und sangen, so daß es in eine Melodie zusammenfloß; die allerobersten waren so Kein, daß sie kleiner erschienen als die kleinste Rosenknospe, wenn sie wie ein Punkt auf das Papier gezeichnet wird. Und mitten im Saale stand ein großer Baum mit hängenden üppigen Zweigen; goldene Apfel, große und kleine, hingen wie Apfelsinen zwischen den grünen Blättern. Das war der Baum der Erkenntnis, von dessen Frucht Adam und Eva gegessen hatten. Von jedem Blatte tröpfelte ein glänzender roter Tautropfen; es war, als ob der Baum blutige Tränen weinte.
"Laß uns in das Boot steigen!" sagte die Fee, "da wollen wir Erfrischungen auf dem schwellenden Wasser genießen! Das Boot schaukelt, kommt aber nicht von der Stelle, aber alle Länder der Welt gleiten an unsern Augen vorbei" Es war eigentümlich zu sehen, wie sich die ganze Küste bewegte. Da kamen die hohen, schneebedeckten Alpen mit Wolken und schwarzen Tannen, das Horn erklang so wehmütig, und der Hirte jodelte hübsch im Tale. Nun bogen die Bananenbäume ihre langen, hängenden Zweige über das Boot nieder, kohlschwarze Schwäne schwammen auf dem Wasser, und die seltsamsten Tiere und Blumen zeigten sich am Ufer: das war Neu-Holland, der fünfte Weltteil, der mit einer Aussicht auf die Blauen Berge vorbeiglitt. Man hörte den Gesang der Priester und sah den Tanz der Wilden zum Schall der Trommeln und der
knöchernen Tuben. Ägyptens Pyramiden, die bis indie Wolken ragten, umgestürzte Säulen und Sphinxe, halb im Sande begraben, segelten vorbei. Die Nordlichter flammten über die ausgebrannten Vulkane des Nordens, das war ein Feuerwerk, das niemand nachmachen konnte. Der Prinz war so glückselig, ja er sah wohl hundertmal mehr, als wir hier erzählen."Und immer kann ich hier bleiben?" fragte er.
"Das kommt auf dich selbst am" erwiderte die Fee; "wenn du nicht, wie Adam, dich gelüsten läßt, das Verbotene zu tun, so kannst du immer hier bleiben!"
"Ich werde die Apfel auf dem Erkenntnisbaume nicht anrühren!" sagte der Prinz. "Hier sind ja Tausende von Früchten, ebenso schön wie diel"
"Prüfe dich selbst und bist du nicht stark genug, so gehe mit dem Ostwinde, der dich herbrächte; erfliegt nun zurück und läßt sich hier in hundert Jahren nicht wieder blicken. Die Zeit wird an diesem Ort hier für dich vergehen, als wären es hundert Stunden, aber es ist eine lange Zeit die Versuchung und Sünde. Jeden Abend, wenn ich von dir gehe, muß ich dir zurufen: ,Komm mit! Ich muß dir mit der Hand winken, aber bleibe zurück. Gehe nicht mit, denn da wird mit jedem Schritte deine Sehnsucht größer werden: du kommst in den Saal, wo der Baum der Erkenntnis wächst; ich schlafe unter seinen duftenden hängenden Zweigen, du wirst dich über mich beugen, und ich muß lächeln; drückst du aber einen Kuß auf meinen Mund, so sinkt das Paradies tief in die Erde, und ist dich verloren Der Wüste scharfer Wind wird dich umsausen, der kalte Regen von deinem Haar träufeln. Kummer und Drangsal werden dein Erbteil."
"Ich bleibe hier!" sagte der Prinz, und der Ostwind küßte ihn auf die Stirn und sagte: "Sei stark, dann treffen wir uns alle hier nach hundert Jahren wieder! Lebe wohl, lebe wohl!" Der Ostwind breitete seine großen Schwingen aus; sie glänzten wie das Wetterleuchten in der Erntezeit oder wie das Nordlicht im kalten Winter.
"Lebe wohl, lebe wohl!" riefen Blumen und Bäume. Störche und Pelikane flogen wie flatternde Bänder in Reihen und geleiteten ihn bis zur Grenze des Gartens.
"Nun wollen wir unsere Tänze beginnen!" sagte die Fee. "Zum Schlusse, wenn ich mit dir tanze, wirst du, indem die Sonne sinkt, sehen, daß ich dir winke, du wirst mich dir zurufen hören: ,Komm mit! Aber tu es nicht! Hundert Jahre lang muß ich jeden Abend wiederholen; jedesmal, wenn die Zeit vorbei ist, gewinnst du mehr Kraft, zuletzt denkst du gar nicht mehr daran. Heute abend geschieht es zum erstenmal; nun habe ich dich gewarnt!"
Und die Fee führte ihn in einen großen Saal von weißen durchsichtigen Lilien; die gelben Staubfäden in jeder bildeten eine kleine Goldne, die mit
Saitenlaut und Flötenton erklang. Die schönsten Mädchen, schwebend und schlank, in wogenden Flor gekleidet so daß man die schönen Glieder sah, schwebten im Tanze und sangen, wie herrlich es sei zu leben, und daß sie nie sterben würden, und daß der Garten des Paradieses ewig blühen werde.Die Sonne ging unter, der ganze Himmel wurde ein Gold, welches den Lilien den Schein der herrlichsten Rosen gab, und der Prinz trank von dem schäumenden Wein, welchen die Mädchen ihm reichten, und er fühlte eine Glückseligkeit wie nie zuvor; er sah, wie der Hintergrund des Saales sich öffnete, und der Baum der Erkenntnis stand in einem Glanze, der seine Augen blendete; der Gesang von daher war sanft und lieblich, wie seiner Mutter Stimme, und es war, als ob sie sänge: "Mein Kind, mein geliebtes Kind!"
Da winkte die Fee und rief so liebevoll: "Komm mit, komm mit!" Und er stürzte ihr entgegen, vergaß sein Versprechen, vergaß es schon den ersten Abend, und sie winkte und lächelte. Der Duft, der gewürzige Duft ringsumher wurde stärker, die Harfen ertönten weit lieblicher; und es war; als ob die Millionen lächelnder Köpfe im Saale, wo der Baum wuchs, nickten und sängen: "Alles muß man kennen! Der Mensch ist der Herr der Erde." Und es waren keine blutigen Tränen mehr; welche von den Blättern des Erkenntnisbaumes fielen, es waren rote, funkelnde Sterne, die er zu erblicken glaubte. "Komm mit, komm mit!" lauteten die bebenden Töne; und bei jedem Schritte brannten des Prinzen Wangen heißer, sein Blut bewegte sich stärker. "Ich mußt" sagte er. "Es ist ja keine Sünde, kann keine sein! Weshalb nicht der Schönheit und der Freude folgen? Sie schlafen sehen will ich, es ist ja nichts verloren, wenn ich sie nur nicht küsse, und das tue ich nicht, ich bin stark, ich habe einen festen Willen!"
Und die Fee warf ihre strahlende Tracht ab, bog die Zweige zurück; und nach einem Augenblick war sie darin verborgen.
"Noch habe ich nicht gesündigt!" sagte der Prinz, "und will es auch nicht." Und dann zog er die Zweige zur Seite, da schlief sie schon, schön, wie nur die Fee im Garten des Paradieses es sein kann; sie lächelte im Traume, er bog sich über sie nieder und sah zwischen ihren Augenlidern Tränen beben.
"Weinst du über mich?" flüsterte er. "Weine nicht, du herrliches Weib! Nun begreife ich erst des Paradieses Glück; dieses strömt durch mein Blut, durch meine Gedanken, die Kraft des Cherubs und des ewigen Lebens fühle ich in meinem irdischen Körper; möge es ewig Nacht für mich werden, eine Minute wie diese ist Reichtum genug!" Und er küßte die Tränen aus ihren Augen, sein Mund berührte den ihren.
Da krachte ein Donnerschlag, so tief und schrecklich, wie niemand ihn je gehört hatte, und alles stürzte zusammen, die schöne Fee, das blühende Paradies sank so tief, so tief, der Prinz sah es in die schwarze Nacht versinken, wie ein
kleiner leuchtender Stern strahlte es aus weiter Ferne! Todeskälte durchfeuerte seinen Körper, er schloß sein Auge und lag lange wie tot.Der kalte Regen fiel ihm in das Gesicht, der scharfe Wind blies um sein Haupt; da kehrten seine Sinne zurück. "Was habe ich getan!" seufzte er. "Ich habe gesündigt wie Adam, gesündigt, so daß das Paradies versunken ist!" Und er öffnete seine Augen; den Stern in weiter Ferne, den Stern, der wie das gesunkene Paradies funkelte, sah er noch — es war der Morgenstern am Himmel.
Er erhob sich und war im großen Walde, dicht bei der Höhle der Winde; und die Mutter der Winde saß zu seiner Seite, sie sah böse aus und erhob ihren Arm in die Luft.
"Schon den ersten Abend!" sagte sie, "das dachte ich wohl! Ja, wärest du mein Sohn, so müßtest du in den sack!"
"Da soll er hinein!" sagte der Tod. Das war ein starker alter Mann mit einer Sense in der Hand und mit großen schwarzen Schwingen. "In den Sarg soll er gelegt werden, aber jetzt noch nicht; ich zeichne ihn nur an, lasse ihn dann noch eine Weile in der Welt herumwandern, seine Sünde sühnen, gut und besser werden. Ich komme einmal. Wenn er es dann am wenigsten erwartet, stecke ich ihn in den schwarzen Sarg, setze ihn auf meinen Kopf und fliege gegen den Stern empor; auch dort blüht des Paradieses Garten, und ist er gut und fromm, so wird er hineintreten; sind aber seine Gedanken böse und das Herz noch voller Sünde, so sinkt er mit dem Sarge tiefer, als das Paradies gesunken ist, und nur jedes tausendste Jahr hole ich ihn wieder, damit er tiefer sinke oder auf den Stern gelange, den funkelnden Stern dort oben."
"Ich danke dir!" sagte die Frau und gab der Hexe zwölf Schillinge, ging dann nach Hause, pflanzte das Gerstenkorn, und sogleich wuchs da eine herrliche, große Blume; sie sah aus wie eine Tulpe, aber die Blätter schlossen sich fest zusammen, gerade als ob sie noch in der Knospe wären.
"das ist eine niedliche Blume!" sagte die Frau und küßte sie auf die roten und gelben Blätter; aber gerade wie sie darauf küßte, öffnete sich die Blume mit einem Knall. Es war eine wirkliche Tulpe, wie man nun sehen konnte; aber mitten in der Blume saß auf dem grünen Samengnffel ein ganz kleines Mädchen, so fein und niedlich; sie war nicht einen Daumbreit lang, und deshalb wurde sie Däumelinchen genannt.
Eine niedliche lackierte Walnußschale bekam sie zur Wiege; blaue Veilchenblätter waren ihre Matratzen und ein Rosenblatt ihr Deckbett. Da schlief sie des Nachts, aber am Tage spielte sie auf dem Tisch, wo die Frau einen Teller hingestellt hatte, um den sie einen ganzen Kranz von Blumen gelegt hatte, deren Stengel im Wasser standen; hier schwamm ein großes Tulpenblatt, und auf diesem
konnte Däumelinchen sitzen und von der einen Seite des Tellers nach der andern fahren; sie hatte zwei weiße Pferdehaare zum Rudern. Das sah ganz allerliebst aus. Sie konnte auch singen, und so fein und niedlich, wie man es nie gehört hatte.Eines Nachts, als sie in ihrem schönen Bette lag, kam da eine häßliche Kröte durch das Fenster hereingehüpft, wo eine Scheibe entzwei war. Die Kröte war häßlich, groß und naß, sie hüpfte gerade auf den Tisch herunter, wo Däumelinchen lag und unter dem Rosenblatte schlief.
"Das wäre eine schöne Frau für meinen Sohn!" sagte die .Kröte, und da nahm sie die Walnuß schale, worin Däumelinchen schlief, und hüpfte mit ihr durch die zerbrochene Scheibe fort in den Garten hinunter.
Da floß ein großer breiter Fluß; aber gerade am Ufer war es sumpfig und morastig; hier wohnte die Kröte mit ihrem Sohne. Uh, der war auch häßlich und garstig und glich ganz seiner Mutter. "Koax, koax, brekkekekex!" das war alles, was er sagen konnte, als erdas niedliche kleine Mädeln in der Walnußschale erblickte.
"Sprich nicht so laut, denn sonst erwacht siel" sagte die alte Kröte. "Sie könnte uns noch entlaufen, denn sie ist so leicht wie ein Schwanenflaum! Wir wollen sie auf eins der breiten Seerosenblätter in den Fluß hinaussetzen, das ist für sie, die so leicht und Kein ist, gerade wie eine Insel; da kann sie nicht davonlaufen, während wir die Staatsstube unten unter dem Morast, wo ihr wohnen und hausen sollt, instand setzen."
Draußen in dem Flusse wuchsen viele Seerosen mit den breiten grünen Blättern, welche aussahen, als schwämmen sie oben auf dem Wasser; das Blatt, welches am weitesten hinauslag, war auch das allergrößte; da schwamm die alte Kröte hinaus und setzte darauf die Walnußschale mit Däumelinchen.
Das ganz Keine Wesen erwachte frühmorgens, und da sie sah, wo sie war, fing sie recht bitterlich an zu weinen; denn es war Wasser zu allen Seiten großen grünen Blattes, und sie konnte gar nicht an das Land kommen.
Die alte Kröte saß unten im Morast und putzte ihre Stube mit Schilf und gelben Fischblattblumen aus — da sollte es recht hübsch für die neue Schwiegertochter werden — und schwamm dann mit dem häßlichen Sohne zu dem Blatte hinaus, wo Däumelinchen stand. Sie wollten ihr hübsches Bett holen, das sollte in das Brautgemach gestellt werden, bevor sie es selbst betrat. Die alte Kröte verneigte sich tief im Wasser vor ihr und sagte: "Hier siehst du meinen Sohn: er wird dein Mann sein, und ihr werdet recht prächtig unten im Morast wohnen!"
"Kar, koax, brekkekekex!" war alles, was der Sohn sagen konnte.
Dann nahmen sie das niedliche Bett und schwammen damit fort; aber Däumelinchen saß ganz allein und weinte auf dem grünen Blatte, denn sie
mochte nicht bei der garstigen Kröte wohnen oder ihren häßlichen Sohn zum Manne haben. Die Keinen Fische, welche unten im Wasser schwammen, hatten die Kröte wohl gesehen und gehört, was sie gesagt hatte; deshalb steckten sie die Köpfe hervor, sie wollten doch das kleine Mädchen sehen. Sobald sie es erblickten, fanden sie dasselbe so niedlich, daß es ihnen recht leid tat, daß es zur häßlichen Kröte hinunter sollte. Nein, das durfte nie geschehen! Sie versammelten sich unten im Wasser rings um den grünen Stengel, welcher das Blatt hielt, auf dem es stand, nagten mit den Zähnen den Stiel ab, und da schwamm das Blatt den Fluß hinab mit Däumelinchen davon, weit weg, wo die Kröte sie nicht erreichen konnte.Däumelinchen segelte vor so vielen Städten vorbei, und die kleinen Vögel saßen in den Büschen, sahen sie und sangen: "Welch liebliches kleines Mädchen!" Das Blatt schwamm mit ihr immer weiter fort; so reiste Däumelinchen außer Landes.
Ein niedlicher kleiner weißer Schmetterling umflatterte sie stets und ließ sich zulebt auf das Blatt nieder, denn Däumelinchen gefiel ihm. Diese war sehr erfreut; denn nun konnte die Kröte sie nicht erreichen, und es war so schön, wo sie fuhr; die Sonne schien auf das Wasser, das glänzte wie das herrlichste Gold. Sie nahm ihren Gürtel, band das eine Ende um den Schmetterling, das andere Ende des Bandes befestigte sie am Blatte; das glitt nun viel schneller davon und sie mit, denn sie stand ja auf demselben.
Da kam ein großer Maikäfer angeflogen, der erblickte sie und schlug augenblicklich seine Klauen um den schlanken Leib und flog mit ihr auf einen Baum; das grüne Blatt schwamm den Fluß hinab. und der Schmetterling flog mit; denn er war an das Blatt gebunden und konnte nicht von ihm loskommen.
Gott, wie war das arme Däumelinchen erschrocken, als der Maikäfer mit ihr auf den Baum flog! Aber hauptsächlich war sie des schönen weißen Schmetterlings halber betrübt, den sie an das Blatt festgebunden hatte; im Fall er sich nun nicht befreien konnte, mußte er ja verhungern. Aber darum kümmerte sich der Maikäfer gar nicht. Ersetzte sich mit ihr auf das größte grüne Blatt des Baumes, gab ihr das Süße der Blumen zu essen und sagte, daß sie so niedlich sei, obgleich sie einem Maikäfer durchaus nicht gleiche. Später kamen alle die andern Maikäfer, die im Baume wohnten, und besuchten sie; sie betrachteten Däumelinchen, und die Maikäferfräuleins rümpften die Fühlhörner und sagten: "Sie hat doch nicht mehr als zwei Beine, das sieht erbärmlich aus." "Sie hat keine Fühlhörner!" sagte eine andere. "Sie ist so schlank in der Taille, pfui, sie sieht wie ein Mensch aus! Wie häßlich sie ist!" sagten alle Maikäferinnen, und doch war Däumelinchen so niedlich. Das erkannte auch der Maikäfer, der sie genommen hatte, aber als alle die andern sagten, sie sei häßlich, so glaubte er es zuletzt auch und wollte sie gar nicht haben; sie konnte gehen,
wohin sie wollte. Sie flogen mit ihr den Baum hinab und setzten sie auf ein Gänseblümchen; da weinte sie, weil sie so häßlich sei, daß die Maikäfer sie nicht haben wollten, und doch war sie die Lieblichste, die man sich denken konnte, so fein und klar wie das schönste RosenblattDen ganzen Sommer über lebte das arme Däumelinchen ganz allein in dem großen Walde. Sie flocht sich ein Bett aus Grashalmen und hing es unter einem Klettenblatte auf, so war sie vor dem Regen geschützt; sie pflückte das Süße der Blumen zur Speise und trank vom Tau, der jeden Morgen auf den Blättern lag. So vergingen Sommer und Herbst. Aber nun kam der Winter der kalte, lange Winter. Vögel, die so schön vor ihr gesungen hatten, flogen davon, Bäume und Blumen verdorrten; das große Klettenblatt, unter dem sie gewohnt hatte, schrumpfte zusammen, und es blieb nichts als ein gelber verwelkter Stengel zurück, und sie fror so erschrecklich, denn ihre Kleider waren entzwei, und sie war selbst so fein und klein, das arme Däumelinchen, sie mußte erfrieren. Es fing an zu schneien, und jede Schneeflocke, die auf sie fiel, war, als wenn man auf uns eine ganze Schaufel voll wirft, denn wir sind groß, und sie war nur einen Zoll lang. Da hüllte sie sich in ein verdorrtes Blatt ein, aber das wollte nicht wärmen, sie zitterte vor Kälte.
Dicht vor dem Walde, wohin sie nun gekommen war, lag ein großes Kornfeld, aber das Korn war schon lange abgeschnitten, nur die nackten, trockenen Stoppeln standen aus der gefrorenen Erde hervor. Sie waren gerade wie ein ganzer Wald für sie zu durchwandern, oh, und sie zitterte so vor Kälte. Da gelangte sie vor die Tür der Feldmaus, die ein Seines unter den Kornstoppeln hatte. Da wohnte die Feldmaus warm und gut, hatte die ganze Stube voll Korn, eine herrliche Küche und Speisekammer. Das arme Däumelinchen stellte sich in die Tür, gerade wie jedes andere arme Bettelmädchen, und bat um ein kleines Stück von einem Gerstenkorn, denn sie hatte in zwei Tagen nicht das mindeste zu essen gehabt.
"Du kleines Wesen!" sagte die Feldmaus denn im Grunde war es eine gute alte Feldmaus, "komm herein in meine warme Stube und iss mit mir!"
Da nun Däumelinchen gefiel, sagte sie: "Du kannst gern den Winter über bei mir bleiben, aber du mußt meine Stube sauber und rein halten und mir Geschichten erzählen, denn die liebe ich sehr." Und Däumelinchen tat, was die gute alte Feldmaus verlangte, und hatte es dafür außerordentlich gut.
"Nun werden wir bald Besuch erhalten!" sagte die Feldmaus. "Mein Nachbar pflegt mich wöchentlich einmal zu besuchen Ersteht sich noch besser als ich, hat große Säle und trägt so einen schönen schwarzen Sammetpelz! Wenn du nur den zum Manne bekommen könntest so wärest du gut versorgt; aber er kann nicht sehen. Du mußt ihm die niedlichsten Geschichten erzählen, die du weißt!"
Aber darum kümmerte sich Däumelinchen nicht, sie mochte den Nachbar gar nicht haben, denn er war ein Maulwurf.
Er kam und stattete Besuch in seinem schwarzen Sammetpelz ab. Er sei so reich und so gelehrt sagte die Feldmaus; seine Wohnung war auch über zwanzigmal größer als die der Feldmaus, und Gelehrsamkeit besaß er, aber die Sonne und die schönen Blumen mochte er gar nicht leiden, von diesen sprach er schlecht denn er hatte sie noch nie gesehen.
Däumelinchen mußte singen, und sie sang: "Maikäfer fliege!" und: "Geht der Pfaffe auf das Feld". Da wurde der Maulwurf in sie der schönen Stimme halber verliebt, aber er sagte nichts, er war so ein besonnener Mann.
Er hatte sich vor kurzem einen langen Gang durch die Erde von seinem bis zu ihrem Hause gegraben; in diesem erhielten die Feldmaus und Däumelinchen Erlaubnis zu spazieren, soviel sie wollten. Aber er bat sie, sich nicht vor dem toten Vogel zu fürchten, der in dem Gang liege; es war ein ganzer Vogel mit Federn und Schnabel, der sicher erst kürzlich gestorben und nun begraben war, gerade da, wo er seinen Gang gemacht hatte.
Der Maulwurf nahm nun ein Stück faules Holz ins Maul, denn das schimmerte ja wie Feuer im Dunkeln, ging dann voran und leuchtete ihnen in dem langen, dunklen Gange. Als sie dahin kamen, wo der tote Vogel lag, stemmte der Maulwurf seine breite Nase gegen die Decke und stieß die Erde auf, so daß ein großes Loch wurde, durch welches das Licht hinunterscheinen konnte. Sitten auf dem Fußboden lag eine tote Schwalbe, die schönen Flügel fest an die Seiten gedrückt, die Füße und den Kopf unter die Federn gezogen; der arme Vogel
war sicher vor Kälte gestorben. Das tat Däumelinchen leid, sie hielt so viel von allen kleinen Vögeln, sie hatten ja den ganzen Sommer so schön vor ihr gesungen und gezwitschert; aber der Maulwurf stieß ihn mit seinen kurzen Beinen und sagte: "Nun pfeift er nicht mehr! Es muß doch erbärmlich sein, als kleiner Vogel geboren zu werden! Gott sei Dank, daß keins von meinen Kindern das wird; solch ein Vogel hat außer seinem Quivit ja nichts und muß im Winter verhungern!""Ja, das mögt Ihr als vernünftiger Mann wohl sagen", sagte die Feldmaus. "Was hat der Vogel für all sein Quivit, wenn der Winter kommt? Er muß hungern und frieren; doch das soll wohl vornehm sein!"
Däumelinchen sagte gar nichts; aber als die beiden andern dem Vogel den Rücken wandten, neigte sie sich herab, schob die Federn beiseite, welche den Kopf bedeckten, und küßte ihn auf die geschlossenen Augen.
"Vielleicht war er es, der so hübsch vor mir im Sommer sang", dachte sie. "Wieviel Freude hat er mir nicht gemacht, der liebe, schöne Vogel!"
Der Maulwurf stopfte nun das Loch zu, durch welches der Tag hereinschien, und begleitete dann die Damen nach Hause. Aber des Nachts konnte Däumelinchen gar nicht schlafen; da stand sie von ihrem Bette auf und flocht von Heu einen schönen großen Teppich, und den trug sie hin und breitete ihn über den toten Vogel aus und legte weiche Baumwolle, welche sie in der Stube der Feldmaus gefunden hatte, an die Seiten des Vogels, damit er in der kalten Erde warm liegen möge.
"Lebe wohl, du schöner kleiner Vogel!" sagte sie. "Lebe wohl und habe Dank für deinen herrlichen Gesang im Sommer, als alle Bäume grün waren und die Sonne warm auf uns herabschien!" Dann legte sie ihr Haupt an des Vogels Brust, erschrak aber sogleich, denn es war gerade, als ob drinnen etwas klopfte. Das war des Vogels Herz. Der Vogel war nicht tot, er lag betäubt da und war nun erwärmt worden und bekam wieder Leben.
Im Herbst fliegen alle Schwalben nach den warmen Ländern fort aber ist da eine, die sich verspätet, da frirert sie so, daß sie wie tot niederfällt, liegen bleibt, wo sie hinfällt, und der kalte Schnee sie bedeckt.
Däumelinchen zitterte ordentlich, so hatte sie sich erschrocken, denn der Vogel war ja groß, sehr groß gegen sie, die nur einen Zoll lang war, aber sie faßte doch Mut, legte die Baumwolle dichter um die arme Schwalbe und holte ein Krauseminzeblatt, welches sie selbst zum Deckbett gehabt hatte, und legte es über den Kopf des Vogels.
In der nächsten Nacht schlich sie sich wieder zu ihm, und da war er nun lebendig, aber ganz matt, er konnte nur einen kleinen Augenblick seine Augen öffnen und Däumelinchen ansehen, die mit einem Stück faulen Holzes in der Hand, denn eine andere Laterne hatte sie nicht, vor ihm stand.
Ich danke dir, du niedliches kleines .Kind!" sagte die kranke Schwalbe zu ihr. "Ich bin so herrlich erwärmt worden! Bald erhalte ich meine Kräfte zurück und kann dann wieder draußen im warmen Sonnenschein herumfliegen!"
"Ohl" sagte sie, "es ist kalt draußen, es schneit und friert! Bleib in deinem warmen Bette, ich werde dich schon pflegen!"
Dann brachte sie der Schwalbe Wasser in einem Blumenblatt, und diese trank und erzählte ihr, wie sie ihren einen Flügel an einem Dornenbusch gerissen und deshalb nicht so stark habe fliegen können als die andern Schwalben, welche fortgeflogen seien, weit fort nach den warmen Ländern. So sei sie zuletzt zur Erde gefallen, aber mehr wußte sie nicht, und auch nicht, wie sie hierher gekommen sei.
Den gagen Winter blieb sie nun da unten, und Däumelinchen pflegte ihrer und hatte sie so lieb; weder der Maulwurf noch die Feldmaus erfuhren etwas davon, denn sie mochten die arme Schwalbe ja nicht leiden.
Sobald das Frühjahr kam und die Sonne die Erde erwärmte, sagte die Schwalbe dem Däumelinchen Lebewohl, die das Loch öffnete, welches der Maulwurf oben gemacht hatte. Die Sonne schin so herrlich zu ihnen herein, und die Schwalbe fragte, ob sie mitkommen wolle, sie könnte auf ihrem Rücken sitzen, sie wollten weit in den grünen Wald hineinfliegen. Aber Däumelinchen wußte, daß es die alte Feldmaus betrüben würde, wenn sie sie verließe.
"Nein, ich kann nicht!" sagte Däumelinchen.
"Lebe wohl, lebe wohl, du gutes, niedliches Mädchen!" sagte die Schwalbe und flog hinaus in den warmen Sonnenschein. Däumelinchen sah ihr nach, und das Wasser trat ihr in die Augen, denn sie war der armen Schwalbe von Herzen gut.
"Quivit quivit!" sang der Vogel und flog in den grünen Wald. Däumelinchen war recht betrübt. Sie erhielt gar keine Erlaubnis, in den warmen Sonnenschein hinauszugehen. Das Kom, welches auf dem Felde über dem Hause der Feldmaus gesät war, wuchs auch hoch in die Luft empor; das war ein ganz dicker Wald das arme kleine Mädchen, das ja nur einen Zoll lang war.
"Nun sollst du im Sommer deine Aussteuer nähen!" sagte die Feldmaus zu ihr, denn der Nachbar, der langweilige Maulwurf in dem schwarzen Sammetpelze, hatte um sie gefreit. "Du mußt sowohl Wollen- wie Leinenzeug haben, denn es darf dir an nichts fehlen, wenn du des Maulwurfs Frau wirst!"
Däumelinchen mußte auf der Spindel spinnen, und die Feldmaus mietete vier Spinnen, welche Tag und Nacht sie spannen und webten. Jeden Abend besuchte sie der Maulwurf und sprach dann immer davon, daß, wenn der Sommer zu Ende ginge, die Sonne lange nicht so warm scheinen würde, sie brenne ja jetzt die Erde fest wie einen Stein; ja, wenn der Sommer vorbei wäre, dann wollte er mit Däumelinchen Hochzeit halten. Aber sie war gar nicht
Als es nun Herbst wurde, hatte Däumelinchen ihre ganze Aussteuer fertig.
"In vier Wochen sollst du Hochzeit halten!" sagte die Feldmaus zu ihr. Aber Däumelinchen weinte und sagte, sie wolle den langweiligen Maulwurf nicht haben.
"Schnickschnack!" sagte die Feldmaus. "Werde nicht widerspenstig, denn sonst werde ich dich mit meinen weißen Zähnen heißem Es ist ja ein schöner Wann, den du bekommst! Die Königin selbst hat nicht solchen schwarzen Sammetpelz! Er hat Küche und Keller voll. Danke du Gott für ihn!"
Nun sollten sie Hochzeit haben. Der Maulwurf war schon gekommen, Däumelinchen zu holen; sie sollte bei ihm wohnen, tief unter der Erde, nie an die warme Sonne herauskommen, denn die mocht er nicht leiden. Das arme Kind war so betrübt; sie sollte nun der schönen Sonne Lebewohl sagen, die sie doch bei der Feldmaus hatte von der Tür aus sehen dürfen.
"Lebe wohl, du helle Sonne!" sagte sie, streckte die Arme hoch empor und ging auch eine Seine Strecke vor dem Hause der Feldmaus; denn nun war das Korn geerntet, und hier standen nur die trockenen Stoppeln. Lebe wohl, lebe wohl!" sagte sie und schlang ihre Arme um eine Keine rote Blume, die dastand. "Grüße die Keine Schwalbe von mir, wenn du sie zu sehen bekommst!"
"Quivit, quivit!" ertönte es plötzlich über ihrem Kopfe; sie sah empor, es var die kleine Schwalbe, die gerade vorbeikam Sobald sie Däumelinchen erblickte, wurde sie sehr erfreut; diese erzählte ihr, wie ungern sie den häßlichen Maulwurf zum Manne haben wolle, und daß sie dann tief unter der Erde wohnen solle, wo nie die Sonne scheine. Sie konnte sich nicht enthalten, dabei zu weinen.
"Nun kommt der kalte Winter", sagte die Keine Schwalbe; "ich fliege weit fort nach den warmen Ländern, willst du mit mir kommen? Du kannst auf meinem Rücken sitzen! Binde dich nur mit deinem Gürtel fest; dann fliegen wir von dem häßlichen Maulwurf und seiner dunklen Stube fort, weit weg über die Berge nach den warmen Ländern, wo die Sonne schöner scheint als hier, wo es immer Sommer ist und herrliche Blumen gibt. Fliege nur mit mir, du liebes kleines Däumelinchen, die mein Leben gerettet hat, als ich wie tot in dem dunklen Erdkeller lag!"
"Ja, ich werde mit dir kommen!" sagte Däumelinchen und setzte sich auf
des Vogels Rücken, mit den Füßen auf seine entfalteten Schwingen, band ihren Gürtel an einer der stärksten Federn fest, und da flog die Schwalbe hoch in die Luft hinauf, über Wald und über See, hoch hinauf über die großen Berge, wo immer Schnee liegt; Däumelinchen fror in der kalten Luft, aber dann verkroch sie sich unter des Vogels warme Federn und streckte nur den kleinen Kopf hervor, um all die Schönheiten unter sich zu bewundern.Da kamen sie denn nach den warmen Ländern. Dort schien die Sonne weit klarer als hier, der Himmel war zweimal so hoch und an Gräben und Hecken wuchsen die schönsten grünen und blauen Weintrauben. In den Wäldern hingen Zitronen und Apfelsinen, hier duftete von Myrten und Krauseminze, und auf den Landstraßen liefen die niedlichsten Kinder und spielten mit großen bunten Schmetterlingen. Aber die Schwalbe flog noch weiter fort, und es wurde schöner und schöner. Unter den herrlichsten grünen Bäumen an der blauen See stand ein blendend weißes Marmorschloß, noch aus alten Zeiten! Weinreben rankten sich um die hohen Säulen empor; da ganz oben waren viele Schwalbennester, und in einem derselben wohnte die Schwalbe; welche Däumelinchen trug.
"Hier ist mein Haus!" sagte die Schwalbe. "Aber willst du dir nun selbst eine der prächtigsten Blumen, die da unten wachsen, aussuchen, dann will ich dich hineinsetzen, und du sollst es so gut haben, wie du es nur wünschest!"
"Das ist herrlich!" sagte Däumelinchen und klatschte in die kleinen Hände.
Da lag eine große weiße Marmorsäule, welche zu Boden gefallen und in drei Stücke gesprungen war, aber zwischen diesen wuchsen die schönsten großen weißen Blumen. Die Schwalbe flog mit Däumelinchen hinunter und setzte sie auf eins der breiten Blätter. Aber wie erstaunte siel Da saß ein kleiner Mann mitten in der Blume, so weiß und durchsichtig, als wäre er von Glas; die niedlichste Goldkrone trug er auf dem Kopfe und die herrlichsten klaren Flügel an den Schultern erselbst war nicht größer als Däumelinchen. Er war der Blume Engel.
In jeder Blume wohnte so ein kleiner Mann oder eine Frau, aber dieser war der König über alle."Gott, wie ist er schön!" flüsterte Däumelinchen der Schwalbe zu. Der kleine Prinz erschrak sehr über die Schwalbe, denn sie war ja gegen ihn, der so Kein und fein war, ein richtiger Riesenvögel; aber als er Däumelinchen erblickte, wurde er hocherfreut; sie war das schönste Mädchen, das er je gesehen hatte. Deshalb nahm er seine Goldkrone vom Haupte und setzte sie ihr auf, fragte, wie sie heiße, und ob sie seine Frau werden wolle, dann sollte sie Königin über alle Blumen werden! Ja, das war wahrlich ein anderer Mann als der Sohn der Kröte und der Maulwurf mit dem schwarzen Sammetpelze. Sie sagte deshalb ja zu dem herrlichen Prinzen, und von jeder Blume kam eine Dame oder ein Herr, so niedlich, daß es eine Lust war; jeder brachte Däumelinchen ein Geschenk, aber das beste von allen ein Paar schöne Flügel von einer großen weißen Fliege; sie wurden Däumelinchen am Rücken befestigt; und nun konnte sie auch von Blume zu Blume fliegen; da gab es viele Freude, und die mme Schwalbe saß oben in ihrem Neste und sang ihnen vor, so gut sie konnte, aber im Herzen war sie doch betrübt, denn sie war Däumelinchen so gut und hätte sich nie von ihr trennen mögen.
"Du sollst nicht Däumelinchen heißen!" sagte der Blumenengel zu ihr. "Das ist ein häßlicher Name, und du bist so schön. Wir wollen dich Masa nennen."
"Lebe wohl, lebe wohl!" sagte die kleine Schwalbe und flog wieder fort von den warmen Ländern, weit weg nach Dänemark zurück; dort hatte sie ein kleines Nest über dem Fenster, wo der Mann wohnt, der Märchen erzählen kann. Vor ihm sang sie: "Quivit, quivit!" Daher wissen wir die ganze Geschichte.
Die Keine Gänseblume war so glücklich, als ob es ein großer Festtag wäre, und es war doch ein Montag. Alle Kinder waren in der Schule. Während sie auf ihren Bänken saßen und etwas lernten, saß sie auf ihrem kleinen grünen Stengel und lernte auch von der warmen Sonne und allem ringsumher, wie gut Gott ist, und es schien ihr recht, daß die Keine Lerche alles, was sie in der Stille fühlte, so deutlich und schön sang; und die Gänseblume blickte mit einer Art Ehrfurcht zu dem glücklichen Vogel auf, der singen und fliegen konnte, war aber gar nicht betrübt, weil sie es selbst nicht konnte. "Ich sehe und höre ja!" dachte sie, "die Sonne bescheint mich, und der Wind küßt mich! Oh; wie bin ich doch begabt worden!"
Innerhalb des Staketes standen so viele steife, vornehme Blumen; je
weniger Duft sie hatten, um so mehr prunkten sie. Die Päonien bliesen sich auf; um größer als eine Rose zu sein, aber die Größe ist es nicht; die es macht! Die Tulpen hatten die allerschönsten Farben, und das wußten sie wohl und hielten sich so gerade, damit man es besser sehen möchte. Sie beachteten die kleine Gänseblume da draußen gar nicht, aber sie sah desto mehr nach ihnen und dachte: Wie sind sie reich und schön! Ja, zu ihnen fliegt sicher der prächtige Vogel hernieder und besucht sie! Gott sei Dank, daß ich so nahe dabei stehe, so kann doch den Staat zu sehen bekommen!" Und gerade, wie sie das dachte, "Quirrvit!", da kam die Lerche geflogen, aber nicht zu den Päonien und Tulpen herunter, nein, nieder ins Gras zu der armen Gänseblume; die erschrak so vor lauter Freude, daß sie gar nicht wußte, was sie denken sollte.Der kleine Vogel tanzte rings um sie her und sang: "Nein, wie ist doch das Gras so weich! Und sieh, welch liebliche kleine Blume mit Gold im Herzen und Silber auf dem Kleidet" Der gelbe Punkt in der Gänseblume sah ja auch aus wie Gold, und die kleinen Blätter ringsherum erglänzten silberweiß.
Wie glücklich die kleine Gänseblume war, das kann niemand begreifen! Der Vogel küßte sie mit seinem Schnabel, sang ihr vor und flos dann wieder in die blaue Luft hinauf. Es währte sicher eine ganze Viertelstunde, bevor die Blume sich erholen konnte. Halb beschämt und doch innerlich erfreut sah sie nach den andern Blumen im Garten; sie hatten ja die Ehre und Glückseligkeit, die ihr widerfahren war, gesehen, sie mußten ja begreifen, welche Freude das war. Aber die Tulpen standen noch einmal so steif wie früher, und dann waren sie so spitz im Gesicht und so rot, denn sie hatten sich geärgert. Die Päonien waren ganz dickköpfig; es war gut, daß sie nicht sprechen konnten, sonst hätte die Gänseblume eine ordentliche Zurechtweisung bekommen. Die arme kleine Blume konnte wohl sehen, daß sie nicht bei guter Laune waren, und das tat ihr so herzlich wehe. Zur selben Zeit kam drinnen im Garten ein Mädchen mit einem großen, scharfen und glänzenden Messer; sie ging gerade durch die Tulpen hin und schnitt eine nach der andern ab. "Uh!" seufzte die kleine Gänseblume, "das war ja schrecklich, nun ist es mit ihnen vorbei!" Dann ging das Mädchen mit den Tulpen fort. Das Gänseblümchen war froh darüber, daß es draußen im Grase stand und eine Keine arme Blume war; fühlte sich so dankbar, und als die Sonne unterging, faltete es seine Blätter, schlief ein und träumte die ganze Nacht von der Sonne und dem kleinen Vogel.
Am nächsten Morgen, als die Blume wieder glücklich alle ihre weißen Blätter gerade so wie kleine Arme gegen Luft und Licht ausstreckte, erkannte sie des Vogels Stimme, aber es war so traurig, was er sang. Ja, die arme Lerche hatte guten Grund dazu, sie war gefangen worden und saß nun in einem Käfig dicht beim offnen Fenster. Sie besang das freie und glückliche Umherfliegen, sang von dem jungen grünen Korn auf dem Felde und von der herrlichen
Reise, die sie auf ihren Flügeln hoch in die Luft hinauf machen konnte. Der arme kleine Vogel war nicht bei guter Laune, gefangen saß er da im Käfig.Die kleine Gänseblume hätte so gerne geholfen. Aber wie sollte sie das anfangen? Ja, es war schwer zu erdenken. Sie vergaß völlig, wie schön alles ringsumher stand, wie warm die Sonne schien, und wie herrlich weiß ihre Blätter aussahen; ach, sie konnte nur an den, gefangenen Vogel denken, für den sie durchaus nicht imstande war, etwas zu tun.
Zur selben Zeit kamen da zwei kleine Knaben aus dem Garten; der eine von ihnen hatte ein Messer in den Händen, groß und scharf wie das welches das Mädchen hatte, um die Tulpen damit abzuschneiden. Sie gingen gerade auf die Keine Gänseblume zu, die gar nicht begreifen konnte, was sie wollten.
"Hier können wir ein herrliches Rasenstück für die Lerche ausschneiden!" sagte der eine Knabe und begann nun um die Gänseblume in einem Viereck tief hineinzuschneiden, so daß sie mitten in das Nasenstück zu stehen kam.
"Reiß die Blume abl" sagte der andere Knabe, und das Gänseblümchen zitterte aus Angst; denn abgerissen zu werden, war ja das Leben verlieren, und nun wollte es so gern leben, da es mit dem Rasenstück zu der gefangenen Lerche in dem Käfig sollte;
"Nen, laß sie sitzen!" sagte der andere Knabe; "sie putzt so niedlich!" und so blieb die Gänseblume sitzen und kam mit in den Käfig zur Lerche.
Aber der arme Vogel klagte laut über die verlorne Freiheit und schlug mit den Flügeln gegen den Eisendraht im Käfig; die kleine Gänseblume konnte nicht sprechen, kein tröstendes Wort sagen, so gern sie es auch wollte. So verging der ganze Vormittag.
"Hier ist kein Wasser", sagte die gefangene Lerche. "Sie sind alle ausgegangen und haben vergessen, mir einen Tropfen zu trinken zu geben. Mein Hals ist trocken und brennend! Es ist Feuer und Eig in mir, und die Luft ist so schwer! Ach, ich muß sterben, scheiden vom warmen Sonnenschein, vom frischen Grün, von all der Herrlichkeit, die Gott geschaffen hat!" Und dann bohrte sie ihren Schnabel in das kühle Rasenstück, um sich dadurch ein wenig zu erfrischen. Da fielen ihre Augen auf das Gänseblümchen, und der Vogel nickte ihm zu, küßte es mit dem Schnabel und sagte: "Du mußt hier drinnen auch vertrocknen, du arme kleine Blume! Dich und den kleinen Flecken grünen Grases hat man mir für die ganze Welt gegeben, die ich draußen hatte! Jeder kleine Grashalm soll mir ein grüner Baum, jedes deiner weißen Blätter eine duftende Blume sein! Ach, ihr erzählt mir nur, wieviel ich verloren habe!"
"Wer ihn doch trösten könnte!" dachte die Gänseblume, aber sie konnte kein Blatt bewegen; doch der Duft, der den feinen Blättern entströmte, war weit stärker, als man ihn sonst bei dieser Blume findet: das merkte der Vogel auch
und obgleich er vor Durst fast verschmachtete und in seinem Schmerz die grünen Grashalme abriß, berührte er doch nicht die Blume.Es wurde Abend, und noch kam niemand, dem armen Vogel einen Wassertropfen zu bringen; da streckte er seine hübschen Flügel aus, schüttelte sie krampfhaft, sein Gesang war ein wehmütiges Pieppiep; das Keine Haupt neigte sich der Blume entgegen, und des Vogels Herz brach aus Mangel und Sehnsucht. Da konnte die Blume nicht, wie am vorhergehenden Abend, ihre Blätter zusammenfalten und schlafen; sie hing krank und traurig zur Erde nieder.
Erst am nächsten Morgen kamen die Knaben, und als sie aen Vogel tot erblickten, weinten sie, weinten viele Tränen und gruben ihm ein niedliches Grab, welches mit Blumenblättern verziert wurde. Des Vogels Leiche kam in eine rote, schöne Schachtel, königlich sollte er bestattet werden, der arme Vogel!
Als er lebte und sang, vergaßen sie ihn, ließen ihn im Käfig sitzen und Mangel leiden, nun bekam er Staat und viele Tränen.
Aber das Rasenstück mit dem Gänseblümchen wurde in den Staub der Landstrasse hinausgeworfen, keiner dachte an die, welche doch am meisten für den kleinen Vogel gefühlt hatte, und die ihn so gerne hatte trösten wollen!
"Ja, weißt du, was ihnen fehlte" sagte der Student. "Die Blumen sind diese Nacht zu Ball gewesen, und deshalb lassen sie heute die Köpfe hängen."
"Aber die Blumen können ja nicht tanzen!" sagte die kleine Ida
"Jawohl," sagte der Student, "wenn es dunkel wird und wir andern schlafen, dann springen sie lustig umher; fast jede Nacht halten sie Bam"
"Können keine Kinder mit auf diesen Ball kommen?"
"O ja," sagte der Student, "ganz kleine Gänseblümchen und Maiblümchen."
"Wo tanzen die schönen Blumen?" fragte die kleine Ida.
"Bist du nicht oft vor dem Tore bei dem großen Schlosse gewesen, wo der König im Sommer wohnt, und wo der herrliche Garten mit den vielen Blumen ist? Du hast ja die Schwäne gesehen, welche zu dir hinschwimmen, wenn du ihnen Brotkrumen geben willst. Glaube mir, da draußen ist großer Balt."
"Ich war gestern mit meiner Mutter draußen im Garten!" sagte Ida, "aber alle Blätter waren von den Bäumen, und da waren durchaus keine Blumen mehr! Wo sind sie? Im Sommer sah ich so viele!"
"Sie sind drinnen im Schlosse!" sagte der Student. "Wisse, sobald der
König und alle Hofleute zur Stadt ziehen, dann laufen die Blumen gleich aus dem Garten in das Schloß und sind lustig. Das solltest du sehen! Die beiden allerschönsten Rosen setzen sich auf den Thron, und dann sind sie König und Königin, alle die roten Hahnenkämme stellen sich zu beiden Seiten auf und stehen und verbeugen sich, das sind die Kammerjunker. Dann kommen die niedlichsten Blumen, und dann ist da großer Ball; die blauen Veilchen stellen kleine Seekadetten vor, sie tanzen mit Hyazinthen und Krokus, welche sie Fräulein nennen. Die Tulpen und die großen Feuerlilien, das sind alte Damen, die passen auf, 'daß hübsch getanzt wird, und daß es hübsch ordentlich zugeht!""Aber", fragte die kleine Ida, "ist da niemand, der den Blumen etwas zuleide tut, weil sie in des Königs Schloß tanzen?"
"Es weiß eigentlich niemand so recht darum!" sagte der Student. "Zuweilen kommt freilich in der Nacht der alte Schloßverwalter, welcher dort draussen aufpassen soll; er hat ein großes Bund Schlüssel bei sich; aber sobald die Blumen die Schlüssel rasseln hören, sind sie ganz stille, verstecken sich hinter den langen Gardinen und stecken den Kopf hervor. Ich rieche, daß hier Blumen sind', sagt der alte Schloßverwalter, aber sehen kann er sie nicht."
"das ist lustig!" sagte die kleine Ida und klatschte in die Hände. "Aber würde ich die Blumen auch nicht sehen können?"
Ja," sagte der Student, "denke nur daran, wenn du wieder hinauskommst; daß du in das Fenster siehst, so wirst du sie schon gewahr werden. Das tat ich heute, da lag eine lange gelbe Lilie im Sofa und streckte sich: das war eine Hofdame!"
"Können auch die Blumen aus dem botanischen Garten da hinaufkommend Können sie den weiten Weg machen?"
"Ja gewiß!" sagte der Student, "denn wenn sie wollen, so können sie fliegen. Hast du nicht die schönen Schmetterlinge gesehen, die roten, gelben und weißen? Die sehen fast ans wie Blumen; das sind sie auch gewesen; sie sind vom Stengel ab hoch in die Luft geflogen und haben da mit den Blättern geschlagen, als wenn es kleine Flügel wären, und da flogen sie; und da sie sich gut aufführten, bekamen sie die Erlaubnis, auch bei Tage herumzufliegen brauchten nicht zu Hause und stille auf dem Stiel zu sitzen, und da wurden die Blätter am Ende zu wirklichen Flügeln. Das hast du ja selbst gesehen! Es kann übrigens sein, daß die Blumen im botanischen Garten noch nie im Schlosse des Königs gewesen sind, oder nicht wissen, daß es dort des Nachts so munter hergeht. Deshalb will ich dir etwas sagen! Dann wird er recht erstaunen, der botanische Professor, welcher hier nebenan wohnt, du kennst ihn ja nohl? Wenn du in seinen Garten kommst, mußt du einer der Blumen erzählen, daß draußen auf dem Schlosse großer Ball ist, dann sagt diese es allen andern wieder, und dann fliegen sie fort; kommt dann der Professor in den Garten hinaus, so ist
nicht eint einzige Blume da, und er kann gar nicht begreifen, wo sie geblieben sind.""Aber wie kann die Blume es den andern erzählen? Die Blumen können ja nicht sprechen!"
"Nein, das können sie freilich nicht!" erwiderte der Student, "aber dann geben sie sich Zeichen! Hast du nicht oft gesehen, daß, wenn es ein wenig weht, die Blumen sich beugen und alle die grünen Blätter bewegen? Das ist ebenso deutlich, als ob sie sprächen!"
"Kann denn der Professor die Zeichen verstehen?" fragte Ida.
"Ja, sicherlich! Er kam eines Morgens in seinen Garten und sah eine große Brennessel stehen und mit ihren Blättern einer schönen roten Nelke Zeichen geben. ,Du bist so niedlich, und ich bin dir so gut, sagte sie; aber dergleichen kann der Professor nicht leiden und schlug sogleich der Brennessel auf die Blätter; denn das sind ihre Finger, aber da brannte er sich, und seit der Zeit wagt er nicht, eine Brennessel anzurühren."
"Das ist lustig!" sagte die kleine Ida und lachte.
"Wie kann man einem Kinde so etwas erzählen!" sagte der langweilige Kanzleirat, welcher zu Besuch gekommen war und im Sofa saß. Dieser konnte den Studenten gar nicht leiden und brummte immer, wenn er ihn die possierlichen, munteren Bilder ausschneiden sah: bald war es ein Mann, der am Galgen hing und ein Herz in der Hand hielt, denn er war ein Herzensdieb; bald eine alte Hexe, welche auf einem Besen ritt und ihren Mann auf der Nase hatte; das konnte der alte Herr nicht leiden, und dann sagte er, gerade wie jetzt: "Wie kann man einem Kinde so etwas weismachen! Das sind dumme Luftschlösser!"
Aber der kleinen Ida schien es doch recht drollig zu sein, was der Student von ihren Blumen erzählte, und sie dachte viel daran. Die Blumen ließen die Köpfe hängen, denn sie waren müde, da sie die ganze Nacht getanzt hatten, sie waren sicher krank. Da ging sie mit ihnen zu ihrem andern Spielzeug, welches auf einem niedlichen kleinen Tische stand, und das ganze Schubfach war voll schöner Sachen. Im Puppenbette lag ihre Puppe Sophie und schlief, aber die kleine Ida sagte zu ihr: "Du mußt wirklich aufstehen, Sophie, und dich damit begnügen, diese Nacht im Schubkasten zu liegen, die armen Blumen sind krank, und da müssen sie in deinem Bette liegen, vielleicht werden sie dann wieder munter!" Da nahm sie die Puppe auf, aber die sah so verdrießlich aus und sagte nicht ein einziges Wort, denn sie war ärgerlich, weil sie ihr Bett nicht halten konnte.
Dann legte Ida die Blumen in das Puppenbett, zog die kleine Decke ganz über sie herauf und sagte, nun möchten sie hübsch still liegen, so wolle sie ihnen Tee kochen, damit sie wieder munter würden und morgen aufstehen könnten
und sie zog die Gardine dicht um das kleine Bett zusammen, damit die Sonne ihnen nicht in die Augen scheine.Den ganzen Abend hindurch mußte sie immer wieder daran denken, was ihr der Student erzählt hatte, und als sie nun selbst zu Bette sollte, mußte sie erst hinter die Gardinen sehen, weis vor den Finstern herabhingen, wo ihrer Mutter herrliche Blumen standen, sowohl Hyazinthen wie Tulpen, und da flüsterte sic ganz leise: "Ich weiß wohl, ihr sollt diese Nacht tanzen!" Aber die Blumen taten, als ob sie nichts verständen, und rührten kein Blatt; allein die kleine Ida wußte doch, sie wußte.
Alb sic zu Bett gegangen war, lag sie lange und dachte daran, wie hübsch es sein müsse, die schönen Blumen draußen im Schlosse des Königs tanzen zu sehen. "Ob meine Blumen wirklich mit dabei gewesen sein mögen?" Aber dann schlief sic ein.
In der Nacht erwachte sie wieder; sie hatte von den Blumen und dem Studenten, den der Kanzleirat mit den Worten gescholten hatte, er wolle ihr etwas weismachen, geträumt. Es war ganz stille in der Schlafstube, wo Ida lag; die Nachtlampe brannte auf dem Tische, und Vater und Mutter schliefen.
"Ob meine Blumen nun wohl in Sophiens Bett liegen?" sagte sie bei sich selbst, "wie gerne möchte ich es doch wissen!" Sie erhob sich ein wenig und blickte nach der Tür, welche angelehnt stand, drinnen lagen all ihre Blumen und ihr Spielzeug. Sie horchte, und da kam ihr vor, als höre sie, daß drinnen in der Stube auf dem Klavier gespielt würde, aber ganz leise und so hübsch, wie sie es nie zuvor gehört hatte.
"Nun tanzen sicherlich alle Blumen drinnen!" sagte sie. "O Gott, wie gerne möchte ich es doch sehen!" aber sie wagte nicht aufzustehen, denn sonst weckte sie ihren Vater und ihre Mutter.
"Wenn sie doch nur hereinkommen möchten", sagte sie; aber die Blumen kamen nicht, und die Musik fuhr fort so hübsch zu spielen; da konnte sie gar nicht mehr aushalten, denn es war allzu schön, sie kroch aus ihrem kleinen Bette hinaus und ging ganz leise nach der Tür und sah in die Stube hinein. Nein, wie herrlich war das, was sie zu sehen bekamt
Es war gar keine Nachtlampe drinnen, aber doch ganz hell, der Mond schien durch das Fenster mitten auf den Fußboden, es war fast, als ob Tag wäre. Alle Hyazinthen und Tulpen standen in zwei langen Reihen im Zimmer, es waren durchaus keine mehr am Fenster, da standen die leeren Töpfe; auf dem Fußboden tanzten alle Blumen so niedlich rings umeinander herum, machten ordentliche Kette und hielten einander bei den langen grünen Blättern, wenn sie sich herumschwenkten. Aber am Klavier saß eine große gelbe Lilie, welche die Keine Ida bestimmt im Sommer gesehen hatte, denn sie erinnerte sich deutlich, daß der Student gesagt hatte: "Nein, wie gleicht sie dem Fräulein Line!"
aber da wurde er von allen ausgelacht. Doch nun erschien es der kleinen Ida wirklich auch, als ob die lange gelbe Blume dem Fräulein gleiche, und sie hatte auch dieselben Manieren beim Spielen, bald neigte sie ihr länglich gelbes Antlitz nach der einen Seite, bald nach der andern und nickte den Takt zur herrlichenEs war gerade, als ob etwas vom Tisch herunterfiele. Ida sah dorthin, es war die Fastnachtsrute, welche heruntersprang, es schien auch, als ob sie mit zu den Blumen gehörte. Sie war auch sehr niedlich, und eine kleine Wachspuppe die gerade ebensolchen breiten Hut auf dem Kopfe hatte, wie ihn der Kanzleirat trug, saß oben drein. Die Fastnachtorute hüpfte auf ihren drei roten Stelzfüßen mitten unter die Blumen und trampelte ganz laut; denn sie tanzte Mazurka, und den Tanz konnten die andern nicht, weil sie so leicht waren und nicht so stampfen konnten.
Die Wachspuppe auf der Fastnachtsrute wurde auf einmal groß und lang, drehte sich über die Papierblumen herum und rief ganz laut: "Wie kann man dem Kinde so etwas weismachen? Daz sind dumme Luftschlösser!" und da glich die Wachspuppe dem Kanzleirat mit dem breiten Hut ganz genau, sie sah ebenso gelb und verdrießlich aus. Aber die Papierblumen schlugen ihn an die dünnen Beine, und da schrumpfte er wieder zusammen und wurde eine ganz Keine Wachspuppe. Das war recht possierlich anzusehen! kleine Ida konnte
das Lachen nicht unterdrücken. Die Fastnachtsrute fuhr fort zu tanzen, und der Kanzleirat mußte mittanzen, es half ihm nichts, er mochte sich nun groß und lang machen oder die kleine gelbe Wachspuppe mit dem großen schwarzen Hute bleiben. Da legten die andern Blumen ein gutes Wort für ihn ein, besonders die, welche im Puppenbett gelegen hatten, und dann ließ die Fastnachtsrute es gut sein. Im selben Augenblick klopfte es ganz laut drinnen im Schubkasten, wo Idas Puppe Sophie bei so viel anderm Spielzeug lag; der Räuchermann lief bis an die Kante des Tisches, legte sich lang hin auf seinen Bauch und begann den Schubkasten ein wenig herauszuziehen. Da erhob sich Sophie und sah ganz erstaunt rings umher. "Hier ist wohl Ball?" sagte sie; "weshalb hat mir das niemand gesagt?""Willst du mit mir tanzen?" sagte der Räuchermann.
"Ja, du bist mir der Rechte zum Tanzen!" sagte sie und kehrte ihm den Rucken zu. Dann setzte sie sich auf den Schubkasten und dachte, daß wohl eine der Blumen sie zum Tanzen auffordern würde, aber es kam keine. Dann hustete sie, hin, hin, bml aber dennoch kam keine. Der Räuchermann tanzte ganz allein, und das war nicht so schlecht!
Da nun keine der Blumen Sophien zu erblicken schien, ließ sie sich vom Schubkasten gerade auf den Boden herunterfallen, so daß es einen großen Lärm gab. Alle Blumen kamen wirklich herbeigelaufen und fragten, ob sie sich nicht aufgeschlagen habe, und sie waren alle sehr freundlich gegen sie, besonders die Blumen, welche in ihrem Bett gelegen hatten. Aber sie war ganz munter; und Idas Blumen bedankten sich alle für das schöne Bett und waren ihr so gut, nahmen sie mitten in die Stube, wo der Mond schien, tanzten mit ihr, und alle die anderen Blumen bildeten einen Kreis um sie herum. Nun war Sophie froh und sagte, sie möchten gern ihr Bett behalten, sie mache sich nichts daraus, im Schubkasten zu liegen.
Aber die Blumen sagten: "Wir danken dir herzlich, doch wir können nicht lange leben! Morgen sind wir ganz tot. Aber sage der kleinen Ida, sie solle uns draussen im Garten, wo der Kanarienvogel liegt, begraben, dann wachsen wir zum Sommer wieder und werden weit schöner!"
"Nein, ihr sollt nicht sterben!" sagte Sophie, und dann küßte sie die Blumen: da ging die Saaltür auf, und eine ganze Menge herrlicher Blumen kam tanzend herein. Ida konnte gar nicht begreifen, woher die gekommen waren, das waren sicher alle Blumen draußen vom Schlosse des Königs. Ganz vorn gingen zwei prächtige Rosen, und die hatten Keine Goldkronen auf, das war ein König und eine Königin, dann kamen die niedlichsten Levkoien und Nelken, und sie grüßten nach allen Seiten. Sie hatten Musik mit sich, große Mohnblumen und Päonien bliesen auf Erbsenschoten, so daß sie ganz rot im Gesichte waren. Die blauen Traubenhyazinthen und die Keinen weißen Schneeglöckchen klingelten, gerade
als ob sie Schellen hätten. Das war eine merkwürdige Musik. Dann kamen noch viele andere Blumen, und die tanzten allesamt, die blauen Veilchen und die roten Tausendschönchen, die Gänseblumen und die Maiblumen. Und alle Blumen küßten einander, das war allerliebst anzusehn!Zuletzt sagten die Blumen einander gute Nacht, dann schlich sich auch die kleine Ida in ihr Bett, wo sie von allem träumte, was sie gesehen hatte.
Als sie am nächsten Morgen aufstand, ging sie geschwind nach dem kleinen Tische hin, um zu sehen, ob die Blumen noch da seien; sie zog die Gardine pou dem Keinen Bett zur Seite, ja, da lagen sie alle, aber sie waren gang vertröstet, weit mehr als gestern. Sophie lag im Schubkasten, wohin Ida sie gelegt hatte, sie sah sehr schläfrig aus.
"Entsinnst du dich, was du mir sagen sollte?" sagte die kleine Ida, aber Sophie sah ganz dumm aus und sagte nicht ein einziges Wort.
"Du bist gar nicht gut;" sagte Ida, "und sie tanzten doch allesamt mit dir." Dann nahm sie eine kleine Papierschachtel, auf der schöne Vögel gezeichnet waren, die machte sie auf und legte die toten Blumen hinein. "Das soll euer niedlicher Sarg sein," sagte sie, "und wenn später die Vettern kommen, so sollen sie mir helfen, euch draußen im Garten zu begraben, damit ihr im Sommer wieder wachsen und weit schöner werden könnt!"
Die Vettern waren zwei muntere Knaben, sie hießen Jonas und Adolf; ihr Vater hatte ihnen zwei neue Flitzbogen geschenkt, die sie mitgebracht hatten, um sie Ida zu zeigen. Sie erzählte ihnen von den armen Blumen, welche gesiorben waren, und da erhielten sie die Erlaubnis, sie zu begraben. Beide Knaben gingen mit den Flitzbogen auf den Schultern voraus, und die kleine Ida folgte mit den toten Blumen in der niedlichen Schachtel. Draußen im Garten wurde ein niedliches Grab gegraben. Ida küßte erst die Blumen, setzte sie mit der Schachtel in die Erde, und Adolf und Jonas schossen mit den Flitzbogen über das Grab, denn sie hatten keine Gewehre oder Kanonen.
Endlich barst ein Ei nach dem andern. "Piep; piep!" sagte und alle Eidotter waren lebendig geworden und steckten den Kopf heraus.
"Rapp, rapp!" sagte sie, und so rappelten sich alle; was sie konnten, und sahen nach allen Seiten unter die grünen Blätter, und die Mutter ließ sie sehen, soviel sie wollten, denn das Grüne ist gut für die Augen.
"Wie groß ist doch die Weltl" sagten alle Jungen; denn nun hatten sie freilich ganz anders Platz, als wie sie noch drinnen im Ei lagen.
"Glaubt ihr, daß dies die ganze Welt sei?" sagte die Mutter. "Die erstreb sich noch weit über die andere Seite des Gartens, gerade hinein in des Pfarrers Feld, aber da bin ich noch nie gewesen! Ihr seid doch alle beisammen?" fuhr sie fort, und so stand sie auf. "Nein, ich habe noch nicht alle, das größte Ei
liegt noch Wie lange soll das noch währen! Jetzt bin ich es bald überdrüssig!" Und so setzte sie sich wieder."Nun, wie geht es?" sagte eine alte Ente welche gekommen war um einen Besuch abzustatten.
"Es währt so lange mit dem einen Eil" sagte die Ente, die dasaß; "es will nicht entzweigehen; doch blicke nur auf die andern hin, sind sie nicht die niedlichsten Entlein, die man je gesehen hat? Sie gleichen allesamt ihrem Vater; der Bösewicht kommt nicht, mich zu besuchen."
"Last mich das Ei sehen, welches nicht bersten willi" sagte die Alte. "Glaube mir, ist ein Kalekutenei; ich bin auch einmal so angeführt worden und hatte meine große Sorge und Not mit den Jungen, denn ihnen ist bange vor dem Wasser. Ich konnte sie nicht hinausbekommen; ich rappte und schnappte, aber es half nichts. Laß mich das Ei sehen! Ja, das ist ein Kalekutenei, laß du das liegen und lehre lieber die andern Kinder schwimmen."
"Ich will doch noch ein bißchen darauf sitzen," sagte die Ente; "habe ich nun so lange gesessen, so kann ich auch noch einige Zeit sitzen."
"Nach Belieben", sagte die alte Ente und ging von dannen.
Endlich barst das große Ei "Piep, piep!" sagte das Junge und kroch heraus; es war so groß und häßlich. Die Ente betrachtete es "Das ist ein gewaltig großes Entlein", sagte sie; "keines von den andern sieht so guo; sollte es doch wohl ein kalekutisches Küchlein seins Nun, wir wollen bald dahinter kommen; in das Wasser muß es ob ich es auch selbst hineinstoßen soll."
Ani nächsten Tage war schönes, herrliches Wetter; die Sonne schien auf all die grünen Kletten. Die Entleinmutter ging mit ihrer ganzen Familie zum Kanale hinunter; platsch! da sprang sie in das Wasser. "Rapp! rapp!" sagte sie, und ein Entlein nach dem andern plumpte hinein; das Wasser schlug ihnen über dem Kopf zusammen, aber sie kamen gleich wieder empor und schwammen so prächtig; die Beine gingen von selbst, und alle waren sie darin, selbst das häßliche graue Junge schwamm mit.
"Nein, es ist kein Kalekut", sagte sie; "sieh, wie herrlich es die Beine braucht, wie gerade es sich hält, es ist mein eigenes Kind. Im Grunde ist es doch ganz hübsch, wenn man es nur recht betrachtet. Rapp, rapp! — Kommt nur mit mir, ich werde euch in die große Welt führen, euch im Entenhofe präsentieren, aber haltet euch immer nahe zu mir, damit niemand auf euch trete, und nehmt euch vor den Katzen in acht!"
Und so kamen sie zum Entenhofe hinein. Da drinnen war ein schreckliches Lärmen, denn da waren zwei Familien, die sich um einen Aalkopf bissen, und am Ende bekam ihn doch die Katze.
"Seht, so geht es in der Welt zu!" sagte die Entleinmutter und wetzte ihren Schnabel, denn sie wollte auch den Aalkopf haben. "Braucht nun die Beine!"
sagte sie. "Seht, daß ihr euch rappeln könnt, und neigt euern Hals vor der alten Ente dort; sie ist die vornehmste von allen hier; sie ist aus spanischem Geblüt, deshalb ist sie so dick; und seht ihr, sie hat einen roten kappen um das Bein; das ist etwas außerordentlich Schönes und die größte Auszeichnung, welche einer Ente zuteil werden kann; das bedeutet so viel, daß man sie nicht verlieren will, und daß sie von Tier und Menschen erkannt werden soll! Rappelt euch! Setzt die Füße nicht einwärts, ein wohlerzogenes Entlein setzt die Füße weit voneinander, gerade wie Vater und Mutter. Seht, so! Nun neigt euern Hals und sagt: ,Rapp."Und das taten sie; aber die andern Enten ringsumher betrachteten sie und sagten ganz laut: "Sieh dal Nun sollen wir noch den Anhang haben, als ob wir nicht so schon genug wären, und pfui! wie das eine Entlein aussieht, das wollen wir nicht dulden!" Und sogleich flog eine Ente hin und biß es in den Nacken.
"Laß es in Ruhe!" sagte die Mutter. "Es tut ja niemand etwas."
"Ja, aber es ist so groß und ungewöhnlich," sagte die beißende Ente; "und deshalb muß es gepufft werden."
"ES sind hübsche Kinder, welche die Mutter hat", sagte die alte Ente mit dem Lappen um das Bein. "Alle zusammen schön, bis auf das eine, das ist nicht geglückt; ich wollte wünschen, daß sie es umarbeiten könnte."
"Das geht nicht, Ihro Gnaden," sagte die Entleinmutter, "es ist nicht hübsch; aber es hat ein gutes Gemüt und schwimmt so herrlich wie eins von den andern, ja, ich darf sagen, noch etwas besser; ich denke, es wird sich hübsch herauswachsen und mit der Zeit etwas kleiner werden, es hat zu lange in dem Ei gelegen und deshalb nicht die rechte Gestalt bekommen!" Und so zupfte sie es im Nacken und glättete das Gefieder. "Es ist überdies ein Enterich," sagte sie, "und darum macht es nicht so viel aus. Ich denke, er wird gute Kräfte bekommen, er schlägt sich schon durch."
"Die andern Entlein sind niedlich," sagte die Alte; "tut nun, als ob ihr zu Hause wäret, und findet ihr einen Aalkopf, so könnt ihr mir ihn bringen."
Und so waren sie wie zu Hause.
Aber das arme Entlein, welches zuletzt aus dem Ei gekrochen war und so bäh lich aussah, wurde gebissen, gestoßen und zum besten gehalten, und das sowohl von den Enten wie von den Hühnern "Es ist zu groß", sagten sie allesamt; und der kalekutische Hahn, welcher mit Sporen zur Welt gekommen war und deshalb glaubte, daß er Kaiser sei, blies sich wie ein Fahrzeug mit vollen Segeln auf, ging gerade auf das Entlein los, und dann kollerte er und wurde ganz rot am Kopfe. Das arme Entlein wußte weder, wo es gehen noch stehen sollte; es war so betrübt, weil es so häßlich aussah und vom ganzen Entenhof verspottet wurde.
So ging es den ersten Tag, und später wurde es schlimmer und schlimmer. Das arme Entlein wurde von allen gejagt, selbst seine Geschwister waren so böse gegen dasselbe und sagten immer: "Wenn die Katze dich nur fangen möchte, du
häßliches Geschöpf!" und die Mutter sagte: "Wenn du nur weit fort wärest!" und die Enten bissen es, und die Hühner schlugen es, und das Mädchen, welches die Tiere füttern sollte, stieß mit dem Fuße danach.Da lief und flog über die Gehege; die kleinen Vögel in den Gebüschen flogen erschrocken auf. "Das geschieht, weil ich so häßlich bin!" dachte das Entlein und schloß die Augen, lief aber gleichwohl weiter; so kam es hinaus zu dem großen Moor, wo die wilden Enten wohnten. Hier lag es die ganze Nacht; es war so müde und kummervoll.
Ani Morgen flogen die wilden Enten auf, und sie betrachteten den neuen Kameraden. "Was bist du für einer?" fragten sie, und das Entlein wendete sich nach allen Seiten und grüßte, so gut es konnte.
"Du bist außerordentlich häßlich!" sagten die wilden Enten; aber das kann uns gleich sein, wenn du dich nur nicht in unsere Familie hineinheiraten." Das Arme, dachte wahrlich nicht daran, sich zu verheiraten, wenn es nur die Erlaubnis hatte, im Schilfe zu liegen und etwas Moorwasser zu trinken.
So lag es ganze zwei Tage, da kamen zwei wilde Gänse, oder richtiger, wilde Gänseriche dorthin, denn es waren zwei Hähne; es war noch nicht lange her, daß sie aus dem Ei gekrochen waren, und deshalb waren sie auch so keck.
"Höre, Kamerad", sagten sie. "Du bist so häßlich, daß ich dich gut leiden mag; willst du mitziehen und Zugvögel sein? Hier nahebei in einem andern Moore gibt es einige liebliche wilde Gänse, alle zusammen Fräuleins, die da Rapp!' sagen können. Du bist imstande, dein Glück zu machen, so häßlich du auch bist!"
"Piff, paff!" ertönte es zugleich, und beide wilde Gänseriche fielen tot in das Schilf nieder, und das Wasser wurde blutrot. "Piff, paff!" erscholl es wieder, und ganze Scharen wilder Gänse flogen aus dem Schilfe auf und dann knallte es wieder. Es war große Jagd; die Jäger lagen rings um das Moor herum, ja, einige saßen oben in den Baumzweigen, welche sich weit über das Schilf hinstreben; der blaue Dampf zog gleich Wolken in die dunklen Bäume hinein und ging weit über das Wasser hin; zum Moore kamen die Jagdhunde: platsch! platsch! — das Schilf und das Rohr neigten sich nach allen Seiten. Das war ein Schreck für das arme Entlein; es wendete den Kopf, um ihn unter den Flügel zu stecken, und im selben Augenblick stand ein fürchterlich großer Hund dicht bei dem Entlein, die Zunge hing ihm lang aus dem Halse heraus, und die Augen leuchteten greulich häßlich; er streckte seinen Rachen dem Entlein gerade entgegen, zeigte ihm die scharfen Zähne — und platsch! platsch! ging er wieder, ohne es zu packen.
"O Gott sei Dank!" seufzte das Entlein, "ich bin so häßlich, daß mich selbst der Hund nicht beißen mag!"
So lag es ganz stille, während der Hagel durch das Schilf sauste und Schuß auf Schuß knallte.
Erst spät am Tage wurde stille, aber das arme Junge wagte noch nicht; sich zu erheben; es wartete noch mehrere Stunden, bevor sich umsah, und dann eilte es fort guo dem Moore, so schnell es konnte; es lief über Feld und Wiese, und war ein Sturm, daß es ihm schwer wurde, von der Stelle zu kommen.
Gegen Abend erreichte es eine kleine Bauernhütte; die war so baufällig, daß sie selbst nicht wußte, nach welcher Seite sie fallen wollte, und darum blieb sie stehen. Der Sturm umsauste das Entlein so, daß sich niedersetzen mußte, um sich dagenzustemmen; und wurde schlimmer und schlimmer; da bemerkte es, daß die Tür aus der einen Angel gegangen war und so schief hing, daß es durch die Öffnung in die Stube hineinschlüpfen konnte, und das tat es.
Hier wohnte eine alte Frau mit ihrer Katze und ihrem Huhne, und die Katze; welche sie Söhnchen nannte, konnte einen Buckel machen und spinnen, sie sprühte sogar Funken, aber dann mußte man sie gegen die Haare streicheln. Das Huhn hatte ganz kleine niedrige Beine, und deshalb wurde es Küchelchen-Kurzbein genannt; es legte gut Eier, und die Frau liebte es wie ihr eigenes Kind.
Am Morgen bemerkte man sogleich das fremde Entlein, und die Katze fing an zu spinnen und das Huhn zu glucken.
"Was ist das?" sagte die Frau und sah sich rings um, aber sie sah nicht gut; und so glaubte sie, daß das Entlein eine fette Ente sei, die sich verirrt habe. "Das ist ein seltener Fang!" sagte sie. "Nun kann ich Enteneier bekommen. Wenn es nur kein Enterich ist! Das müssen wir erproben."
Und so wurde das Entlein für drei Wochen auf Probe angenommen, aber da kamen keine Eier. Und die Katze war Herr im Hause, und das Huhn war die Dame, und immer sagten sie: "Wir und die Weltl" denn sie glaubten, daß sie
die Hälfte seien, und zwar der allerbeste Teil. Das Entlein glaubte, daß man auch eine Meinung haben könne, aber das litt das Huhn nicht."Kannst du Eier legen?" fragte
"Nein!"
"So wirst du deinen Mund halten!"
Und die Katze sagte: "Kannst du einen krummen Buckel machen, spinnen und Funken sprühen?"
"Nein!"
"So darfst du auch keine Meinung haben, wenn vernünftige Leute sprechen!"
Und das Entlein saß im Winkel und war bei schlechter Laune; da fiel es ihm ein, an die frische Luft und an den Sonnenschein zu denken; es bekam solche sonderbare Lust, auf dem Wasser zu schwimmen, daß nicht unterlassen konnte, dies der Henne zu sagen.
"Was fehlt dirs" fragte sie. "Du hast nichts zu tun, deshalb bekommst du die Grillen! Lege Eier oder spinne, so gehen sie vorüber."
"Aber es ist so schön, auf dem Wasser zu schwimmen," sagte das Entlein, "so herrlich, es über dem Kopfe zusammenschlagen zu lassen und auf den Grund niederzutauchen!"
"Ja, das ist ein großes Vergnügen!" sagte die Henne, "du bist wohl verrückt geworden! Frage die Katze danach, sie ist die Klügste, die ich kenne, ob sie es liebt, auf dem Wasser zu schwimmen oder unterzutauchen? —ich will nicht von mir sprechen. Frage selbst unsere Herrschaft, die alte Frau, klüger als sie ist niemand auf der Welt! Glaubst du, daß sie Lust hat zu schwimmen und das Wasser über dem Kopf zusammenschlagen zu lassen?"
"Ihr versteht mich nicht!" sagte das Entlein.
"Wir verstehen dich nicht? Wer soll dich denn verstehen können! Du wirst doch wohl nicht klüger sein wollen als die Katze und die Frau, mich will ich nicht erwähnen! Bilde dir nichts ein, Kind, und danke deinem Schöpfer für all das Gute, das man dir erwiesen hat! Bist du nicht in eine warme Stube gekommen und hast einen Umgang, von dem du etwas lernen kannste Aber du bist ein Schwätzer, und es ist nicht erfreulich mit dir umzugehen! Mir kannst du glauben, ich meine gut mit dir, ich sage dir Unannehmlichkeiten, und daran kann man seine wahren Freunde erkennen! Sieh nun zu, daß du Eier legen kannst oder spinnen und Funken sprühen lernst!"
"Ich glaube, ich gehe hinaus in die weite Weltl" sagte das Entlein.
"Ja, tu das!" sagte das Huhn.
Und so ging das Entlein; es schwamm auf dem Wasser, es tauchte unter; aber von allen Tieren wurde es wegen seiner Häßlichkeit übersehen.
Nun trat der Herbst ein, die Blätter im Walde wurden gelb und braun, der Wind riß sie ab, so daß sie umhertanzten, und oben in der Luft war es sehr kalt;
die Wolken hingen schwer von Hagel und Schneeflocken, und auf dem Zaun stand der Rabe und schrie: "Au! an!" vor lauter Kälte; ja man konnte ordentlich frieren, wenn man daran dachte. Das arme Entlein hatte es wahrlich nicht gut. Eines Abends, als die Sonne schön unterging, kam ein ganzer Schwarm herrlicher großer Vögel aus dem Busche; das Entlein hatte solche nie so schön gesehen. Sie waren ganz blendend weiß, mit langen, geschmeidigen Hälsen; es waren Schwäne. Sie stießen einen ganz eigentümlichen Ton aus, breiteten ihre prächtigen, langen Flügel aus und flogen von der kalten Gegend fort nach wärUnd der Winter wurde so kalt, so kalt; das Entlein mußte im Wasser herumschwimmen, um das völlige Zufrieren desselben zu verhindern; aber in der Nacht wurde das Loch, worin es schwamm, Keiner und kleiner; es fror, so daß es in der Eisdecke knackte; das Entlein mußte fortwährend die Beine gebrauchen, damit das Wasser sich nicht schloß; zuletzt wurde es matt, lag ganz stille und fror so im
Des Morgens früh kam ein Landmann, der dies sah, ging hinaus und schlug
mit seinem Holzschuh das Eis in Stücke und trug das Entlein heim zu seiner Frau. Da wurde es wieder belebt.Die Kinder wollten mit dem Entlein spielen, aber das glaubte, sie wollten ihm etwas zuleide tun, und fuhr in der Angst gerade in den Milchnapf hinein, so daß die Milch indie Stube hinausspritzte; die Frau schrie, schlug die Hände zusammen, worauf es in das Butterfaß, dann hinunter in die Mehltonne und dann wieder aufflog. Na, wie sah es da aus! Die Frau schrie und schlug mit der Feuerzange danach, die Kinder rannten einander über den Haufen, um das Entlein zu fangen; sie lachten und schrien! Gut war es, daß die Tür aufstand und es zwischen die Reiser in den fnschgefallenen Schnee schlüpfen konnte; da lag es, ganz ermattet.
Aber all die Not und das Elend, welche das Entlein in dem harten Winter erdulden mußte, zu erzählen, würde zu trübe sein. Es lag im Moore zwischen dem Rohre, als die Sonne wieder warm zu scheinen begann; die Lerchen sangen, es war herrlicher Frühling.
Da konnte auf einmal das Entlein seine Flügel schwingen, sie brausten stärker als früher und trugen es kräftig davon; und ehe es sich recht besann, befand es sich in einem großen Essen, wo die Apfelbäume in Blüte standen, wo der Flieder duftete und seine langen grünen Zweige gerade bis zu den gekrümmten Kanälen hinunter neigte.
O hier war es so schön, so frühlingsfrisch! Gerade vom aus dem Dickicht kamen drei prächtige Schwäne; sie brausten mit den Federn und schwammen so leicht auf dem Wasser. Das Entlein kannte die prächtigen Tiere und wurde von einer eigentümlichen Traurigkeit befangen.
"Ich will zu ihnen hinfliegen, zu den königlichen Vögeln, und sie werden mich totschlagen, weil ich, da ich so häßlich bin, mich ihnen zu nähern wage; aber das ist gleichviel! Besser von ihnen getötet, als von den Enten gezwackt, von den Hühnern geschlagen, von dem Mädchen, welches den Hühnerhof hütet, gestoßen zu werden und im Winter Mangel zu leiden!" Und es flog hinaus in das Wasser und schwamm den prächtigen Schwänen entgegen; diese erblickten es und schossen mit brausenden Federn auf das Entlein los. "Tötet mich nur!" sagte das arme Tier und neigte den Kopf der Wasserfläche zu und erwartete den Tod. Aber was erblickte es in dem klaren Wasser? Es sah sein eigenes Bild unter sich, das kein plumper, schwarzgrauer Vogel mehr, häßlich und garstig, sondern selbst ein Schwan war.
Es schadet nichts, in einem Entenhofe geboren zu sein, wenn man nur in einem Schwanenei gelegen hat!
Es fühlte sich ordentlich erfreut über all die Not und die Drangsal, welche es erduldet hatte; nun erkannte es erst recht sein Glück an all der Herrlichkeit, die
es begrüßte. Und die großen Schwäne umschwammen und streichelten es mit SchnabelIm Garten kamen da einige kleine Kinder, die warfen Brot und Korn in das Wasser, und das kleinste rief: "Da ist ein neuer!" und die andern Kinder jubelten mit: "Ja, es ist ein neuer angekommen!" und sie klatschten mit den Händen und tanzten umher, liefen zu dem Vater und zu der Mutter, und es wurde Brot und Kuchen in das Wasser geworfen, und sie sagten alle: "Der neue ist der schönste, so jung und so prächtig!" Und die alten Schwäne neigten sich vor ihm.
Da fühlte er sich so beschämt und steckte den Kopf unter seine Flügel; er wußte selbst nicht, was er beginnen sollte, er war allzu glücklich, aber durchaus nicht stolz. Er dachte daran, wie er verfolgt und verhöhnt worden war; und hörte nun alle sagen, daß er der schönste aller schönen Vögel sei; selbst der Flieder bog sich mit den Zweigen gerade zu ihm in das Wasser hinunter, und die Sonne schien so warm und mild. Da brausten seine Federn, der schlanke Hals hob sich, und aus vollem Herzen jubelte er: "So viel Glück habe ich mir nicht träumen lassen, als ich noch das häßliche Entlein war!"
Auf dem Tische, auf welchem sie aufgestellt wurden, stand vieles andere Spielzeug; aber das, was am meisten in die Augen fiel, war ein niedliches Schloß von Papier. Durch die kleinen Fenster konnte man gerade in die Säle hineinsehen. Draußen vor dem Schloß standen Keine Bäume rings um einen minen Spiegel, der wie ein kleiner See aussehen sollte. Schwäne von Wachs schwammen darauf und spiegelten sich. Das war alles niedlich, aber das Niedlichste war doch ein kleines Mädchen, das mitten in der großen Schloßtür stand; sie war auch aus Papier ausgeschnitten, aber sie hatte einen Rock aus klarstem Linon an und ein kleines schmales blaues Band über die Schultern, gerade wie eine Schärpe; mitten auf dieser saß ein glänzender Stern, gerade so groß wie ihr ganzes Gesicht. Das Keine Mädchen streckte ihre beiden Arme aus, denn sie war eine Tänzerin, und dann hob sie das eine Bein so hoch empor, daß der Zinnsoldat durchaus nicht finden konnte und glaubte, daß sie gerade wie er nur ein Bein habe
"Das wäre eine Frau für mich!" dachte er; "aber sie ist etwas vornehm, sie wohnt in einem Schlosse, ich habe nur eine Schachtel, und da sind wir fünfundzwanzig drin, das ist kein Ort für sie; doch ich muß suchen, Bekanntschaft mit ihr anzuknüpfen!" Und dann legte er sich, so lang er war, hinter eine Schnupftabakodose, welche auf dem Tische stand; da konnte er recht die kleine feine Dame betrachten, die fortfuhr auf einem Bein zu stehen, ohne aus der Balance zu kommen.
Als es Abend wurde, kamen alle die andern Zinn soldaten in ihre Schachtel, und die Leute im Hause gingen zu Bette. Nun fing das Spielzeug an zu spielen, sowohl "Es kommen Fremde" als auch "Krieg führen" und "Ball geben"; die Zinnsoldaten rasselten in der Schachtel, denn sie wollten mit dabei sein, aber sie konnten den Deckel nicht aufheben. Der Nußknacker schoß Purzelbäume, und der Griffel belustigte sich auf der Tafel; es war ein Lärm, daß der Kanarienvogel davon erwachte und anfing mitzusprechen, und zwar in Versen. Die beiden einzigen, die sich nicht von der Stelle bewegten, waren der Zinnsoldat und die Tänzerin; sie hielt sich gerade auf der Zehenspitze und beide Arme ausgestreut; er war ebenso standhaft auf seinem einen Beine; seine Augen verwandte er keinen Augenblick von ihr.
Nun schlug die Uhr zwölf, und klatscht da sprang der Deckel von der Schnupftabaksdose, aber da war kein Tabak darin, nein, sondern ein Seiner schwarzer Kobold. Das war so ein Kunststück.
"Zinnsoldat!" sagte der Kobold, "halte deine Augen im Zaum!"
Aber der Zinnsoldat tat, als ob er es nicht gehört hätte.
"Ja, warte nur bis morgen!" sagte der Kobold.
Als es nun Morgen wurde und die Kinder aufstanden, wurde der Zinnsoldat in das Fenster gestellt, und entweder war es nun der Kobold oder der Zugwind, auf einmal ging das Fenster auf, und der Soldat stürzte drei Stockwerke hoch hinunter. Das war eine erschreckliche Fahrt. Er streckte das Bein gerade in die Höhe und blieb auf der Helmspitze mit dem Bajonett abwärts zwischen den Pflastersteinen stecken.
Das Dienstmädchen und der Keine Knabe kamen sofort hinunter, um zu suchen; aber obgleich sie nahe daran waren, auf ihn zu treten, so Sonnten sie ihn doch nicht erblicken. Hätte der Zinnsoldat gerufen: "Hier bin ich!" so hätten sie ihn wohl gefunden, aber erfand es nicht passend, laut zu schreien, weil er in Uniform war.
Nun fing es an zu regnen, die Tropfen fielen immer dichter, es ward ein ordentlicher Platzregen; als er vorbei war, kamen da zwei Straßenbuben
"Siehst du!" sagte der eine, "da liegt ein Zinnsoldat! Der soll hinaus und segeln!"
Und da machten sie ein Boot von einer Zeitung, setzten den Soldaten mitten
hinein, und nun segelte erden Rinnstein hinunter; beide Knaben liefen nebenher und klatschten in die Hände. Gott bewahre uns, was schlugen da für Wellen in dem Rinnsteine, und welcher Strom war dal Ja, der Regen hatte aber auch geströmt! Das Papierboot schaukelte auf und nieder, und mitunter drehte es sich so geschwind, daß der Zinnsoldat bebte; aber er blieb standhaft, verzog keine Miene, sah geradeaus und hielt das Gewehr im Arme.Mit einem Male trieb das Boot unter eine lange Rinnsteinbrücke; da wurde es gerade so dunkel, als wäre er in seiner Schachtel. "Wo mag ich nun hinkommen?" dachte er. "Ja, ja, das ist des Kobolds Schuld! Ach säße doch das kleine Mädchen hier im Boote, da möchte es meinetwegen noch einmal so dunkel sein!" Da kam plötzlich eine große Wasserratte; welche unter der Rinnsteinbrücke wohnte. "Hast du einen Paß?" fragte die Ratte. "Her mit dem Passe!" |
Aber der Zinnsoldat schwieg still und hielt das Gewehr noch fester.
Das Boot fuhr davon und die Ratte hinterher. Hui wie fletschte sie die Zähne und rief den Holzspänen und dem Stroh zu: "Haltet ihm haltet ihn! Er hat keinen Zoll bezahlt; er hat den Paß nicht gezeigt!"
Aber die Strömung wurde stärker und stärker. Der Zinnsoldat konnte schon da, wo das Brett aufhörte, den hellen Tag erblicken, aber er hörte auch einen brausenden Ton, der wohl einen tapfern Mann erschrecken konnte; denkt nur, der Rinnstein stürzte, wo die Brücke endete, gerade hinaus in einen großen Kanal; das würde für ihn ebenso gefährlich gewesen sein, als für uns, einen großen Wasserfall hinunterzufahren.
Nun war er schon nahe dabei, daß er nicht mehr anhalten konnte. Das Boot fuhr hinaus, der arme Zinnsoldat hielt sich so steif er konnte, niemand sollte ihm nachsagen, daß er mit den Augen blinke. Das Boot schnurrte drei-, viermal herum und war bis zum Rande mit Wasser gefüllt, es mußte sinken. Der Zinnsoldat stand bis zum Hals im Wasser, und tiefer und tiefer sank das Boot; mehr und mehr löste das Papier sich auf; nun ging das Wasser über des Soldaten Kopf. Da dachte er an die niedliche kleine Tänzerin, die er nie mehr zu Gesicht bekommen sollte, und es klang vor des Zinnsoldaten Ohren:
"Fahre, fahre, Kriegsmann! Den Tod mußt du erleiden!" |
Nun ging das Papier entzwei, und der Zinnsoldat stürzte hindurch, wurde aber augenblicklich von einem großen Fisch verschlungen.
Nein, wie war es dunkel da drinnen! Da war es noch schlimmer als unter der Rinnsteinbrücke, und dann war es da so eng; aber der Zinnsoldat war standhaft und lag, so lang er war, mit dem Gewehr im Arme.
Der Fisch fuhr umher, er machte die allerschrecklichsten Bewegungen; endlich wurde er ganz stille, es fuhr wie ein Blitzstrahl durch ihn hin. Daz Licht schien ganz klar, und jemand rief ganz laut: "Der Zinnsoldat!" Der Fisch war gefangen, auf den Markt gebracht und Verkauft worden und war in die Küche hinaufgekommen, wo die Köchin ihn mit einem großen Messer aufschnitt. Sie nahm mit ihren beiden Fingern den Soldat mitten um den Leib und trug ihn in die Stube hinein, wo alle solch einen merkwürdigen Mann sehen wollten, der im Magen eines Fisches herumgereist war; aber der Zinnsoldat war gar nicht stotz. Sie stellten ihn auf den Tisch, und da — nein, wie sonderbar kann es doch in der Welt zugehen! — der Zinnsoldat war in derselben Stube, in der er früher gewesen war, sah dieselben Kinder, und dasselbe Spielzeug stand auf dem Tische, das herrliche Schloß mit der niedlichen kleinen Tänzerin; sie hielt sich noch auf dem einen Bein und hatte das andere hoch in der Luft, sie war auch standhaft; das rührte den Zinnsoldaten, er war nahe daran, sinn zu weinen, aber es schickte sich nicht. Er sah sie an, und sie sah ihn an, aber sie sagten gar nichts.
Da nahm der eine der kleinen Knaben den Soldaten und warf ihn gerade in den Ofen, obwohl er gar keinen Grund dafür hatte; es war sicher der Kobold in der Dose, der schuld daran war.
Der Zinnsoldat stand ganz beleuchtet da und fühlte eine Hitze, die erschrecklich war; aber ob sie von dem wirklichen Feuer oder von der Liebe herrührte, das wußte er nicht. Die Farben waren rein von ihm abgegangen; ob das auf der Reise geschehen war, oder ob der Kummer daran schuld war; konnte niemand sagen. Er sah das kleine Mädchen an, sie blickte ihn an, und er fühlte, daß er schmelze, aber noch stand er standhaft mit dem Gewehr im Arme. Da ging dort eine Tür auf, der Wind ergriff die Tänzerin, und sie flog, einer Sylphide gleich, gerade in den Ofen zum Zinnsoldaten, loderte in Flammen auf und war fort: da schmolz der Zinnsoldat zu einem Klumpen, und als das Mädchen am folgenden Tage die Asche herausnahm, fand sie ihn als ein kleines Zinnherz; von der Tänzerin hingegen war nur der Stern da, und der war kohlschwarz gebrannt.
Oh, die Kinder hatten es so gut, aber so sollte es nicht immer bleiben!
Ihr Vater, der König über das ganze Land war verheiratete sich mit einer bösen Königin, die den armen Kindern gar nicht gut war. Schon am ersten Tage konnten sie es recht gut merken; in dem ganzen Schlosse war große Pracht, und da spielten die Kinder "Es kommen Fremde"; aber anstatt daß sie wie sonst all den Kuchen und die gebratenen Apfel erhielten, die nur zu haben waren, gab sie ihnen nur Sand in einer Teetasse und sagte sie könnten tun, als ob es etwas wäre.
Die Woche darauf brachte sie die Keine Elisa auf das Land zu einem Bauernpaar, und lange währte es nicht, da redete sie dem König so viel von den armen Prinzen vor, daß er sich gar nicht mehr um sie kümmerte.
"Fliegt hinaus in die Welt und helft euch selbst!" sagte die böse Königin; "fliegt als große Vögel ohne Stimme!" Aber sie konnte es doch nicht so schlimm machen, wie sie gern wollte; sie wurden elf herrliche wilde Schwäne. Mit einem sonderbaren Schrei flogen sie aus den Schloßfenstern hinaus über den Park und den Wald dahin.
Es war noch ganz früh am Morgen, als sie da vorbeikamen, wo die Schwester Elisa in der Stube des Landmanns lag und schlief; hier schwebten sie über dem Dache, drehten ihre langen Hälse und schlugen mit den Flügeln, aber niemand hörte oder sah es; sie mußten wieder weiter, hoch gegen die Wolken empor; hinaus in die weite Welt; da flogen sie hin nach einem großen dunklen Wald, der sich gerade bis an den Strand erstreckte.
Die arme kleine Elisa stand in der Stube des Landmannes und spielte mit einem grünen Blatte, anderes Spielzeug hatte sie nicht; sie stach ein Loch in das Blatt, sah da hindurch gegen die Sonne empor, und da war es gerade, als sähe sie ihrer Brüder klare Augen, und jedesmal, wenn die warmen Sonnenstrahlen auf ihre Wangen schienen, gedachte sie all ihrer Küsse.
Der eine Tag verging ebenso wie der andere. Strich der Wind durch die großen Rosenhecken draußen vor dem Hause, so flüsterte er den Rosen zu: "Wer kann schöner sein als ihr?" Aber die Rosen schüttelten das Haupt und sagten: Elisa ist es!" Und saß die alte Frau am Sonntag an der Tür und las in ihrem Gesangbuche, so wendete der Wind die Blätter um und sagte zum Buche: "Wer kann frömmer sein als du?" "Elisa ist es!" sagte das Gesangbuch, und das war die reine Wahrheit, was die Rosen und das Gesangbuch sagten.
Als sie fünfzehn Jahr alt war; sollte sie nach Hause; als aber die Königin sah, wie schön sie war, wurde sie ihr gram und voll Haß und hätte sie gern auch in einen wilden Schwan verwandelt wie die Brüder, aber das wagte sie nicht gleich, weil ja der König seine Tochter sehen wollte.
Früh des Morgens ging die Königin in das Bad, welches von Marmor erbaut und mit weichen Kissen und den prächtigsten Decken geschmückt war, nahm drei Kröten, küßte sie und sagte zu der einen: "Setze dich auf Elisas Kopf, wenn sie in das Bad kommt, damit sie dumm wird wie du!" — "Setze dich auf ihre Stirn," sagte sie zur andern, "damit sie häßlich wird wie du, so daß ihr Vater sie nicht kennt!" — "Ruhe an ihrem Herzen," flüsterte sie der dritten zu" ,laß sie einen bösen Sinn erhalten, damit sie Schmerzen davon babel" Dann setzte sie die Kröten in das klare Wasser, welches sogleich eine grüne Farbe erhielt, rief Elisa, zog sie aus und ließ sie in das Wasser hinabsteigen, und indem sie untertauchte, setzte sie eine Kröte ihr in das Haar, die andere auf ihre Stirn und die dritte auf ihre Brust, aber Elisa schien es gar nicht zu merken; sobald sie sich emporrichtete, schwammen da drei rote Mohnblumen auf dem Wasser. Wären die Tiere nicht giftig gewesen und von der Hexe geküßt worden, so wären sie in rote Rosen verwandelt worden, aber Blumen wurden sie doch, weil sie auf ihrem Haupte und auf ihrer Brust geruht hatten; sie war zu fromm und unschuldig, als daß die Zauberei Macht über sie haben konnte.
Als die böse Königin das sah, rieb sie das Mädchen mit Walnußsaft ein,
so daß sie gan; schwarzbraun wurde, bestrich das hübsche Antlitz mit einer stinkemden Salbe und ließ das herrliche Haar sich verwirren; es war unmöglich, die schöne Elisa wiederzuerkennen.Daher erschrak ihr Vater sehr, als er sie erblickte, und sagte, sei nicht seine Tochter; niemand wollte sie wiedererkennen außer dem Kettenhunde und den Schwalben, aber das waren arme Tiere, und die hatten nichts zu sagen.
Da weinte die arme Elisa und dachte an ihre elf Brüder, die alle weg waren. Betrübt stahl sie sich aus dem Schlosse und ging den ganzen Tag über Feld und Moor bis in den großen Wald hinein. Sie wußte gar nicht, wohin sie wollte, aber sie fühlte sich so betrübt und sehnte sich nach ihren Brüdern; die waren sicher auch, gleich ihr, in die Welt hinausgejagt worden, und die wollte sie suchen und finden.
Nur kurze Zeit war sie im Walde gewesen, als die Nacht einbrach; sie war ganz von Weg und Steg gekommen. Da legte sie sich auf das weiche Moos nieder, betete ihr Abendgebet und lehnte ihr Haupt an einen Baumstumpf. Es war da so stille, die Luft war so mild, und ringsumher im Grase und im Moose leuchteten, einem grünen Feuer gleich, Hunderte von Johanniswürmchen; als sie einen der Zweige mit der Hand berührte, fielen die leuchtenden Insekten wie Sternschnuppen zu ihr nieder.
Die ganze Nacht träumte sie von ihren Brüdern; sie spielten wieder als Kinder, schrieben mit dem Diamantgriffel auf die Goldtafeln und betrachteten das herrliche Büderbuch, welches das halbe Reich gekostet hatte; aber auf die Tafeln schrieben sie nicht wie früher Nullen und Striche, sondern die mutigen Taten, die sie vollführt, alles, was sie erlebt und gesehen hatten; und im Bilderbuche war alles lebendig, die Vögel sangen, und die Menschen gingen aus dem Buche heraus und sprachen mit Elisa und ihren Brüdern, aber wenn sie das Blatt umwandte, sprangen sie sogleich wieder hinein, damit keine Verwirrung in den Bildern entstehen möchte.
Alg sie erwachte, stand die Sonne schon hoch; Elisa konnte sie freilich nicht sehen, die hohen Bäume breiteten ihre Zweige dicht und fest aus aber die Strahlen spielten dort oben gerade wie ein wehender Goldflor. Da war ein Duft von dem Grünen, und die Vögel setzten sich fast auf ihre Schultern. Sie hörte das Wasser plätschern, das waren viele große Quellen, die alle in einen See fielen, in dem der herrlichste Sandboden war; freilich wuchsen hier dichte Büsche ringsherum, aber an einer Stelle hatten die Hirsche eine große Oeffnung gegraben, und hier ging Elisa zum Wasser hin, das war so klar, daß, hätte der Wind nicht die Zweige und Büsche berührt, so daß sie sich bewegten, sie hätte glauben müssen, daß sie auf den Boden abgemalt gewesen wären, so deutlich spiegelte sich dort jedes Blatt, sowohl das, welches von der Sonne beschienen als das, welches im Schatten war.
Sobald sie ihr eignes Antlitz erblickte, erschrak sie gewaltig, so braun und häßlich war es; doch als sie ihre kleine Hand benetzte und die Augen und die Stirne rieb, glänzte die weiße Haut wieder vor da entkleidete sie sich und ging in das frische Wasser hinein; ein schöneres Königskind, als sie war, wurde in dieser Welt nicht wieder gefunden.
Als sie wieder angekleidet war und ihr langes Haar geflochten hatte, ging sie zur sprudelnden Melle, trank aus der hohlen Hand und wanderte tiefer in den Wald hinein, ohne selbst zu wissen wohin. Sie dachte an ihre Brüder, dachte an den lieben Gott, der sie sicher nicht verlassen würde; er ließ die wilden Waldäpfel wachsen, um den Hungrigen zu sättigen; er zeigte ihr einen solchen Baum, dessen Zweige sich unter der Last der Früchte bogen. Hier hielt sie ihre Mittagsmahlzeit, setzte Stützen unter die Zweige und ging dann in den dunkelsten Teil des Waldes hinein. Da war es so stille, daß sie ihre eigenen Fußtritte hörte, wie jedes kleine vertrocknete Blatt, welches sich unter ihrem Fuße bog; nicht ein Vogel war da zu sehen, nicht ein Sonnenstrahl konnte durch die großen, dichten Baumzweige dringen; die hohen Stämme standen so nahe beisammen, daß, wenn sie geradeaus sah, ein Balkengitter sie zu umschließen schien. Oh, hier war eine Einsamkeit, wie sie solche früher nie gekannt hatte.
Die Nacht wurde so dunkel; nicht ein einziger kleiner Johanniswurm leuchtete aus dem Moose; betrübt legte sie sich nieder, um zu schlafen; da schien es ihr, als ob die Baumzweige über ihr sich zur Seite bewegten und der liebe Gott mit milden Augen auf sie niederblickte, und kleine Engel sahen über seinen Kopf und unter seinen Armen hervor.
Als sie am Morgen erwachte, wußte sie nicht, ob sie es geträumt habe, oder ob es wirklich so gewesen war.
Sie ging einige Schritte vorwärts, da begegnete sie einer alten Frau mit Beeren in ihrem Korbe. Die Alte gab ihr einige davon. Elisa fragte, ob sie nicht elf Prinzen durch den Wald habe reiten sehen.
"Nein," sagte die Alte, "aber ich sah gestern elf Schwäne mit Goldkronen auf dem Haupte den Fluß hier in der Nähe hinabschwimmen!"
Sie führte Elisa ein Stück weiter vor zu einem Abhange, an dessen Fuße sich ein kleiner Fluß schlängelte; die Bäume an seinen Ufern streckten ihre langen blattreichen Zweige einander entgegen, und wo sie ihrem natürlichen Wuchse nach nicht zusammenreichen konnten, da hatten sie die Wurzeln aus der Erde losgerissen und hingen, mit den Zweigen ineinander geflochten, über das Wasser hinaus.
Elisa sagte der Alten Lebewohl und ging längs dem Flusse hin, bis wo dieser in den großen, offenen Sund hinausfloß.
Das ganze herrliche Meer lag vor dem jungen Mädchen; aber nicht ein Segel zeigte sich darauf, nicht ein Boot war da zu sehen, wie sollte sie nun
weiter fortkommen? Sie betrachtete die unzähligen Steine am Ufer; das Wasser hatte sie alle rund geschliffen. Glas, Eisen, Steine, alles, was da zusammengespült lag, hatte die Gestalt des Wassers angenommen, welches doch viel weicher war als ihre feine Hand. "Das rollt unermüdlich fort, und so ebnet sich das Harte; ich will ebenso unermüdlich sein; Dank für eure Lehre, ihr klaren rollenden Wogen; einst, das sagt mir mein Herz, werdet ihr mich zu meinen lieben Brüdern tragen"Auf dem angespülten Seegrase lagen elf weiße Schwanenfedern; sie sammelte sie in einen Strauß, es lagen Wassertropfen darauf; ob es Tau oder Tränen waren, konnte man nicht sehen. Einsam war dort am Strande, aber sie fühlte es nicht; denn das Meer bot eine ewige Abwechslung dar, ja in einigen Stunden mehr, als die süßen Landseen in einem Jahre aufweisen können. Kam da eine große schwarze Wolke, so war es, als ob die See sagen wollte: ich kann auch finster aussehen, und dann blies der Wind, und die Wogen kehrten das Weiße nach außen; schienen aber die Wolken rot, und schliefen die Winde, so war das Meer einem Rosenblatte gleich; bald wurde es grün, bald weiß, aber wie still auch ruhte, doch am Ufer eim leise Bewegung; das Wasser hob sich schach, wie die Brust eines schlafenden Kindes.
Als die Sonne im Begriff war unterzugehen, sah Elisa elf wilde Schwäne mit Goldkronen auf dem Kopfe dem Lande zufliegen; sie schwebten der eine hinter dem anderen; es sah aus wie ein langes weißes Band. Da stieg Elisa den Abhang hinauf und verbarg sich hinter einem Busche; die Schwäne ließen sich nahe bei ihr nieder und schlugen mit ihren großen weißen Schwingen.
Sowie die Sonne unter dem Wasser war; fielen plötzlich die Schwanenhäute, und elf schöne Prinzen, Elisas Brüder, standen da. Sie stieß einen lauten Schrei aus; denn obwohl die Brüder sich verändert hatten, so wußte Elisa doch, daß sie es waren, fühlte, daß sie sein müßten; und sie sprang in ihre Arme, nannte sie bei Namen, und sie wurden so glücklich, als sie ihre kleine Schwester sahen und erkannten, die nun so groß und schön war. Sie lachten und weinten, und bald hatten sie einander erzählt, wie böse ihre Stiefmutter gegen sie alle gewesen war.
"Wir Brüder", sagte der Atteste, "fliegen alg wilde Schwäne, solange die Sonne am Himmel steht; sobald sie unter ist, erhalten wir unsere menschliche Gestalt wieder; deshalb müssen wir immer dafür sorgen, beim Sonnenuntergang eine Ruhestätte für die Füße zu haben; denn fliegen wir dann gegen die Wolken an, so müssen wir als Menschen in die Tiefe hinunterstürzen. Hier wohnen wir nicht; es liegt ein ebenso schönes Land wie dieses jenseits der See; aber der Weg dahin ist weit; wir müssen über das große Meer, und es findet sich keine Insel auf unserem Wege, wo wir übernachten könnten, nur eine einsame Klippe ragt in der Mitte daraus hervor; sie ist nicht größer als daß wir Seite an
Seite darauf ruhen können; ist die See stark bewegt, so spritzt das Wasser hoch über uns; aber doch danken wir Gott für dieselbe. Da übernachten wir in unserer Menschengestalt, ohne diese könnten wir nie unser liebes Vaterland besuchen, denn zwei der längsten Tage des Jahres brauchen wir zu unserem Fluge. Nur einmal des Jahres ist es uns vergönnt unsere Heimat zu besuchen, elf Tage können wir hierbleiben, über den großen Wald hinfliegen, von wo wir das Schloß erblicken können, wo wir geboren wurden und wo unser Vater wohnt, den hohen Kirchturm sehen, wo die Mutter begraben ist. — Hier kommt es uns vor, als wären Bäume und Büsche mit uns verwandt; hier laufen die wilden Pferde über die Steppen hin, wie wir es in unserer Kindheit gesehen haben; hier singt der Kohlenbrenner die alten Lieder, nach denen wir als Kinder tanzten; hier ist unser Vaterland, hierher zieht es uns und hier haben wir dich, du liebe kleine Schwester, gefunden! Zwei Tage können wir noch hierbleiben, dann müssen wir fort über das Meer nach einem herrlichen Lande, welches aber nicht unser Vaterland ist. Wie nehmen wir dich mit? Wir haben weder Schiff noch Boot!""Auf welche Art kann ich euch erlösen?" sagte die Schwester. Und sie unterhielten sich fast die ganze Nacht, es wurde nur einige Stunden geschlummert.
Elisa erwachte durch den Schall der Schwanenflügel, welche über ihr sausten. Die Brüder waren wieder verwandelt, und sie flogen in großen Kreisen und zuletzt weit weg, aber der eine von ihnen, der jüngste, blieb zurück; und der legte seinen Kopf in ihren Schoß, und sie streichelte seine Flügel; den ganzen Tag waren sie beisammen. Gegen Abend kamen die anderen zurück, und als die Sonne unter war, standen sie in ihrer natürlichen Gestalt da. |
"Morgen fliegen wir von hier weg und können nicht vor Verlauf eines Jahres zurückkehren, aber dich können wir nicht so verlassen! Hast du Mut, mitzukommen? Mein Arm ist stark genug, dich durch den Wald zu tragen, sollten wir da nicht alle so starke Flügel haben, um mit dir über das Meer zu fliegen?"
"Ja, nehmt mich mit!" sagte Elisa.
Die ganze Nacht brachten sie damit zu, ein Netz aus der geschmeidigen Weidenrinde und dem zähen Schilf zu flechten, und das wurde groß und stark! Auf dieses legte sich Elisa, und als die Sonne hervortrat und die Brüder in
wilde Schwäne verwandelt wurden, ergriffen sie das Netz mit ihrem Schnabel und flogen mit ihrer lieben Schwester, die noch schlief, hoch gegen die Wolken an. Die Sonnenstrahlen fielen ihr gerade auf das Antlitz, deshalb flog einer der Schwäne über ihr Haupt, damit seine breiten Schwingen sie beschatten möchten.Sie waren weit vom Lande entfernt, als Elisa erwachte; sie glaubte noch zu träumen, so sonderbar kam es ihr vor, hoch durch die Luft über das Meer getragen zu werden. An ihrer Seite lag ein Zweig mit Stichen reifen Beeren und ein Bund wohlschmeckender Wurzeln; die hatte der jüngste der Brüder gesammelt und ihr hingelegt; sie lächelte ihn dankbar an, denn sie erkannte ihn, er war es, der über ihrem Haupte flog und sie mit den Schwingen beschattete.
Sie waren so hoch, daß das erste Schiff; welches sie unter sich erblickten, eine weiße Möwe zu sein schien, die auf dem Wasser lag. Eine große Wolke stand hinter ihnen, das war ein ganzer Berg, und auf diesem sah Elisa ihren eigenen Schatten und den der elf Schwäne; so riesengroß flogen sie da: das war ein Gemälde, prächtiger, als sie früher je eins gesehen hatte; doch als die Sonne höher stieg und die Wolke weiter zurückblieb, verschwand das Schattenbild.
Den ganzen Tag flogen sie fort; gleich einem sausenden Pfeil durch die Luft, aber es ging doch langsamer als sonst, sie hatten ja die Schwester zu tragen. Es zog ein böses Wetter auf, der Abend näherte sich; ängstlich sah Elisa die Sonne sinken, und noch war die einsame Sippe im Meere nicht zu erblicken; es kam ihr vor, als machten die Schwäne stärkere Schläge mit den Flügeln. Acht sie war schuld daran, daß sie nicht rasch genug fortkämen; wenn die Sonne untergegangen war, so würden sie Menschen werden, in das Meer stürzen und ertrinken. Da betete sie aus dem Innersten des Herzens ein Gebet zum lieben Gott; aber noch erblickte sie keine Klippe; die schwarze Wolke kam näher; die starken Windstöße verkündeten einen Sturm; die Wolken standen in einer einzigen großen drohenden Welle da, welche fast wie Blei vorwärts schoß; Blitz leuchtete auf Blitz.
Jetzt war die Sonne gerade am Rande des Meeres. Elisas herz bebte; da schossen die Schwäne hinab, so schnell, daß sie zu fallen glaubte; aber nun schwebten sie wieder. Die Sonne war halb unter dem Wasser; da erbliche sie erst die Keine Klippe unter sich, sie sah nicht größer aus, als ob es ein Seehund wäre, der den Kopf aus dem Wasser steckte. Die Sonne sank schnell; jetzt erschien sie noch wie ein Stern; da berührte ihr Fuß den festen Grund, die Sonne erlosch gleich dem letzten Funken im brennenden Papier. Arm in Arm sah sie die Brüder um sich stehen; aber mehr Platz atg gerade für diese und sie war auch nicht da. Die See schlug gegen die Klippe und ging wie Staubregen über sie hin; der Himmel leuchtete in einem fortwähren
den Feuer, und Schlag auf Schlag rollte der Donner; aber Schwester und Brüder hielten einander an den Händen gefaßt und sangen Psalmen, aus denen sie Trost und Mut schöpften.In der Morgendämmerung war die Luft rein und stille; sobald die Sonne emporstieg, flogen die Schwäne mit Elisa von der Insel fort. Das Meer ging noch hoch, es sah aus, wie sie hoch in der Luft waren, als ob der weiße Schaum auf der schwarzgrünen See Millionen Schwäne wären, die auf dem Wasser schwammen.
Als die Sonne höher stieg, sah Elisa vor sich, halb in der Luft schwimmend, ein Bergland glänzenden Eismassen auf den Felsen, und mitten darauf erstreckte sich ein sicher meilenlangeo Schloß mit einem kühnen Säulengänge über dem andern; unten wogten Palmenwälder und Prachtblumen, so groß wie Mühlräder. Sie fragte, ob das das Land sei, wohin sie wollten, aber die Schwäne schüttelten mit dem Kopfe, denn das, was sie sah, war der Fata Morgana herrliches, allezeit wechselndes Wolkenschloß; da durften sie keinen Menschen hineinbringen. Elisa starrte es an, da stürzten Berge, Wälder und Schloß zusammen, und zwanzig stolze Kirchen, alle einander gleich, mit hohen Türmen und spitzen Fenstern standen da. Sie glaubte die Orgel ertönen zu hören, aber es war das Meer, welches sie hörte. Nun war sie den Kirchen ganz nahe; da wurden diese zu einer ganzen Flotte, die unter ihr dahinsegelte; sie sah nieder, und es waren nur Meernebel, die über dem Wasser hinglitten. Ja, eine ewige Abwechlung hatte sie vor Augen, und nun sah sie das wirkliche Land, nach dem sie hinwollte. Da erhoben sich die herrlichen blauen Berge mit Zederwäldern, Städten und Schlössern. Lange bevor die Sonne unterging, saß sie auf dem Felsen vor einer großen Höhle, die mit feinen grünen Schlingpflanzen bewachsen war; es sah aus, als wären es gestickte Teppich.
"Nun wollen wir sehen, was du diese Nacht hier träumst!" sagte der jüngste Bruder und zeigte ihr ihre Schlafkammer.
"Gebe der Himmel, daß ich träumen möge, wie ich euch erretten kann!" sagte sie, und dieser Gedanke beschäftigte sie dann lebhaft; sie betete recht inbrünstig zu Gott um seine Hilfe, ja selbst im Schlafe fuhr sie fort zu beten. Da kam es ihr vor, als ob sie hoch in die Luft fliege zu Fata Morganas Wolkenschloß, und die Fee kam ihr entgegen, so schön und glänzend, und doch glich sic ganz der alten Frau, die ihr Beeren im Walde gegeben und ihr von den Schwänen mit Goldkronen auf dem Kopfe erzählt hatte.
"Deine Brüder können erlöst werden!" sagte sie. "Aber hast du Mut und Ausdauer? Wohl ist das Wasser weicher als deine feinen Hände und formt doch die Steine um, aber es fühlt nicht die Schmerzen, die deine Finger fühlen werden; es hat kein Herz, leidet nicht die Angst und Sual, die du aushalten mußt. Siehst du die Brennessel in meiner Hand? Von derselben Art wachsen
Biele rings um die Höhle, wo du schläfst; nur die dort und die, welche auf des Kirchhofs Gräbern wachsen, sind tauglich, merke dir das. Die mußt du pflücken, obgleich sie deine Haut voll Blasen brennen werden; brich die Nesseln mit deinen Füßen, so erhältst du Flachs, mit dem mußt du elf Panzerhemden mit langen Ärmeln flechten und binden, wirf diese über die elf Schwäne, so ist der Zauber gelöst. Aber bedenke wohl, daß du von dem Augenblicke an, wo du diese Arbeit beginnst, bis sie vollendet ist, wenn auch Jahre darüber vergehen, nicht sprechen darfst; das erste Wort, welches du sprichst, geht als tötender Dolch in deiner Brüder Herz; an deiner Zunge hängt ihr Leben. Merke dir das alles!"Und sie berührte zugleich ihre Hand mit der Nessel; es war einem brennenden Feuer gleich. Elisa erwachte dadurch. Es war heller Tag, und dicht daneben, wo sie geschlafen hatte; lag eine Nessel wie die, welche sie im Traume gesehen hatte. Da fiel sie auf ihre Kniee, dankte dem lieben Gott und ging aus der Höhle hinaus, um ihre Arbeit zu beginnen.
Mit den feinen Händen griff sie hinunter in die häßlichen Nesseln, sie waren wie Feuer; große Blasen brannten sie an ihren Händen und Armen, aber gern wollte sie es leiden, wenn sie die lieben Brüder befreien konnte. Sie brach jede Nessel mit ihren bloßen Füßen und flocht den grünen Flachs.
Als die Sonne untergegangen war, kamen die Brüder, und sie erschraken, Elisa so stumm zu finden; sie glaubten, es wäre ein neuer sauber der bösen Stiefmutter; aber als sie ihre Hände erblickten, begriffen sie, was die Schwester ihrethalben tue, und der jüngste Bruder weinte, und wohin seine Tränen fielen, da fühlte sie keine Schmerzen mehr, da verschwanden die brennenden Blasen.
Die Nacht brachte sie bei ihrer Arbeit zu, denn sie hatte keine Ruhe, bevor sie die lieben Brüder erlöst hatte; den ganzen folgenden Tag, während die Schwäne fort waren, saß sie in ihrer Einsamkeit, aber nie war die Zeit so eilig entflohen. Ein Panzerhemd war schon fertig, nun fing sie das nächste an.
Da ertönte ein Jagdhorn zwischen den Bergen; sie wurde von Furcht er griffen; der Ton kam immer näher; sie hörte Hunde bellen; erschrocken floh sie in die Höhle, band die Nesseln, die sie gesammelt und gehechelt hatte, in einen Bund zusammen und setzte sich darauf.
Zugleich kam ein großer Hund guo der Schlucht hervorgesprungen, und gleich darauf wieder einer, und noch einer; sie bellten laut, liefen zurück und kamen wieder vor. Es währte nicht lange, so standen alle Jäger vor der Höhle, und der schönste unter ihnen war der König des Landes; dieser trat auf Elisa zu; nie hatte er ein schönres Mädchen gesehen.
"Wie bist du hierher gekommen, du herrliches Kind?" sagte er. Elisa schüttelte das Haupt, sie durfte ja nicht sprechen, es galt ihrer Brüder Erlösung und Leben; und sie verbarg ihre Hände unter die Schürze, damit der König nicht sehen möge, was sie leiden müsse.
"Komm mit mir!" sagte er, "hier darfst du nicht bleiben! Bist du gut, wie du schön hifi, so will ich dich in Seide und Samt neiden, die Goldkrone dir auf das Haupt setzen, und du sollst in meinem reichsten Schlosse wohnen und hausen!" — und dann hob er sie auf sein Pferd. Sie weinte; rang die Hände, aber der König sagte: "Ich will nur dein Glückt Einst wirst du mir dafür danken." Dann jagte er fort durch die Berge und hielt sie vorn auf dem Pferde, und die Jäger jagten hinterher.
Als die Sonne unterging, lag die schöne Königsstadt mit Kirchen und Kuppeln vor ihnen, und der König führte sie in das Schloß, wo Große Springbrunnen in den hohen Marmorsälen plätscherten, wo Wände und Decken mit Gemälden prangten, aber Elisa hatte keine Augen dafür, sie ante und traume; willig ließ sie die Frauen ihr königliche Kleider anlegen, Perlen in ihre Haare flechten und feine Handschuhe über die verbrannten Finger ziehen.
Als sie in aller Pracht dastand; war sie so blendend schön, daß der Hof sich noch tiefer vor ihr verneigte, und der König erkor sie zu seiner Braut, obgleich der Erzbischof mit dem Kopfe schüttelte und flüsterte, daß das schöne Waldmädchen sicher eine Hexe sei; sie blende die Augen und betöre das Herz des Königs.
Aber der König hörte nicht darauf; ließ die Musik ertönen, die köstlichsten Gerichte auftragen, die lieblichsten Mädchen um sie tanzen, und sie wurde durch duftende Gärten in prächtige Säle hineingeführt; aber nicht ein Lächeln kam auf ihre Lippen oder sprach aus ihren Augen, die voll Trauer waren. Nun öffnete der König eine Seine Kammer, dicht daneben, wo sie schlafen sollte; sie war mit köstlichen grünen Teppichen geschmückt und glich ganz der Höhle, in der sie gewesen war; auf dem Fußboden lag das Bund Flachs, welches sie aus den Nesseln gesponnen hatte, und unter der Decke hing das Panzerhemd, welches fertig gestrickt war; alles das hatte einer der Jäger als Seltenheit mitgenommen.
"Hier kannst du dich in deine frühere Heimat zurückträumen!" sagte der König. "Hier ist die Arbeit, die dich dort beschäftigte; nun, mitten in all deiner Pracht, wird es dich belustigen, an jene Zeit zurückzudenken."
Als Elisa das sah, was ihr am Herzen lag, spielte ein Lächeln um ihren Mund, und das Blut kehrte in die Wangen zurück; sie dachte an die Erlösung ihrer Brüder, küßte des Königs Hand, und er drückte sie an sein Herz und ließ durch alle Kirchenglocken das Hochzeitsfest verkünden. Das schöne stumme Mädchen aus dem Walde war des Landes Königin.
Da flüsterte der Erzbischof böse Worte in des Königs Ohren, aber sie sanken nicht bis zu seinem Herzen hinunter, die Hochzeit sollte sein, der Erzbischof selbst mußte ihr die Krone auf das Haupt setzen, und er drückte mit bösem Unwillen den engen Ring fest auf ihre Stirn nieder, so daß es wehe tat; doch lag ein schwererer Ring um ihr Herz, die Trauer um ihre Brüder;
sie fühlte nicht die körperlichen Leiden. Ihr Mund war stumm, ein einziges Wort würde ja ihren Brüdern das Leben kosten, aber in ihren Augen sprach sich eine innige Liebe zu dem guten hübschen .Könige aus, der alles tat, um sie zu erfreuen. Mit ganzem Herzen gewann sie ihn von Tag zu Tag lieber. O daß sie sich ihm nur hätte vertrauen, ihm ihre Leiden hätte klagen dürfen! Doch stumm mußte sie sein, stumm mußte sie ihr Werk vollbringen. Deshalb schlich sic des Nachts von seiner Seite, ging in die kleine Kammer, welche wie die Höhle geschmückt war, und strickte ein Panzerhemd nach dem andern fertig; aber als sie das siebente begann, hatte sie keinen Flachs mehr.Auf dem Kirchhof, das wußte sie, wuchsen die Nesseln, die sie brauchen konnte, aber selbst mußte sie diese pflücken; wie sollte sie das tun, wie sollte sie dahinaus gelangen?
"O was ist der Schmerz in meinem Finger gegen die Qual, die mein Herz erduldet!" dachte sie, "ich muß es wagen! Der Herr wird seine Hand nicht von mir zurückziehen!" Mit einer Herzensangst, als sei es eine böse Tat, die sie vorhabe, schlich sie sich nider mondhellen Nacht in den Garten hinunter; ging durch die langen Alleen, in die einsamen Straßen nach dem Kirchhof hinaus. Dasah sie auf einem der breitesten Leichensteine einen Kreis von häßlichen Heren sitzen; sie nahmen ihre Lumpen ab, als ob sie sich baden wollten und dann gruben sie mit den langen mageren Fingern die frischen Gräber auf, nahmen die Leichen heraus und aßen deren Fleisch. Elisa mußte nahe an ihnen vorbei, und sie hefteten ihre bösen Blicke auf sie, aber sie betete still, sammelte die brennenden Nesseln und trug sie nach dem Schlosse heim.
Nur ein einziger Mensch hatte sie gesehen, der Erzbischof; er war auf, wenn die anderen schliefen; nun hatte er doch recht gehabt; wie er meinte, daß es mit der Königin nicht sei, wie es sein sollte; sie war eine Hexe, deshalb hatte sie den König und das ganze Volk betört.
Er erzählte dem König, was er gesehen hatte und was er fürchtete, und als die harten Worte seiner Zunge entströmten, schüttelten die ausgeschnittenen Heiligenbilder die Köpfe, als wenn sie sagen wollten: es ist nicht so, Elisa ist unschuldig! Aber der Erzbischof legte es anders aus; meinte, daß sie gegen sie zeugten, und daß sie über ihre Sünden die Köpfe schüttelten. Da rollten zwei schwere Tränen über des Königs Wangen herab, er ging nach Hause mit Zweifel im ,Herzen. Er stellte sich, als ob er in der Nacht schliefe, aber es kam kein ruhiger Schlaf in seine Augen, er merkte, wie Elisa aufstand, und jede Nacht wiederholte sie das, und jedesmal folgte er sacht nach und sah, wie sie in ihre Kammer verschwand.
Tag für Tag wurde seine Miene finsterer; Elisa sah es, begriff aber nicht weshalb, aber ängstigte sie, und noch mehr litt sie in ihrem Herzen für ihre Brüder! Auf den königlichen Sammet und Purpur flossen ihre heißen Tränen
sie lagen da wie schimmernde Diamanten, und alle, welche die reiche Pracht sahen, wünschten Königin zu sein. Inzwischen war sie bald mit ihrer Arbeit fertig geworden, nur ein Panzerhemde fehlte noch; aber Flachs hatte sie auch nicht mehr, auch nicht eine einzige Nessel. Einmal noch, nur dieses letzte Mal, mußte sie deshalb nach dem Kirchhof und einige Hände voll pflücken. Sie dachte mit Angst an diese einsame Wanderung und an die schrecklichen Heren; aber ihr Wille stand fest, so wie ihr Vertrauen auf den Herrn.Elisa ging, aber der König und der Erzbischof folgten ihr nach, sie sahen sie bei der Gitterpforte zum Kirchhof hinein verschwinden, und als sie sich derselben näherten, saßen die Heren auf dem Grabsteine, wie Elisa sie gesehen hatte, und der König wendete sich ab; denn unter diesen dachte er sich die, deren Haupt noch diese Nacht an seiner Brust geruht hatte.
"Das Volk muß sie verurteilen!" sagte er, und das Volk urteilte, sie sollte in den roten Flammen verbrannt werden.
Aus den prächtigen Königssälen wurde sie in ein dunkles feuchtes Loch geführt, wo der Wind durch das Gitter hineinpfiff; anstatt Sammet und Seide gab man ihr das Bund Nesseln, welches sie gesammelt hatte, darauf konnte sie Haupt legen; die harten brennenden Panzerhemde, die sie gestrickt hatte, sollten ihre Decke sein, aber nichts Lieberen konnten sie ihr geben, sie nahm wieder ire Arbeit auf und betete zu ihrem Gott. Draußen sangen die Straßenbuben Spottlieder auf sie, keine Seele tröstete sie mit einem freundlichen Worte.
Da sauste gegen Abend dicht beim Gitter ein Schwanenflügel, das war der jüngste der Brüder, der hatte die Schwester gefunden; und sie schluchzte laut vor Freude, obgleich sie wußte, daß die Nacht, die da kam, wahrscheinlich die letzte sein würde, die sie zu leben hätte, aber nun war ja die Arbeit fast beendet, und ihre Brüder waren hier.
Der Erzbischof kam nun, um die letzte Stunde bei ihr zu sein, das hatte er dem König verstochen; aber sie schüttelte mit dem Haupte, dat mit Blick und Mienen, er möge gehen; in dieser Nacht mußte sie ja ihre Arbeit vollenden, sonst war alles unnütz, alles, Schmerz, Tränen und die schlaflosen Nächte; der Erzbischof entfernte sich mit bösen Worten gegen sie, aber die arme Elisa wußte, daß sie unschuldig sei, und fuhr in ihrer Arbeit fort.
Die kleinen Mäuse liefen auf dem Fußboden, sie schleppten Nesseln zu ihren Füßen hin, um doch etwas zu helfen, und die Drossel setzte sich an das Gitter des Fensters und sang die ganze Nacht so munter wie sie konnte, damit sie nicht den Mut verlieren möchte.
Es war nicht mehr als Morgendämmerung, erst nach einer Stunde konnte die Sonne aufgehen, da standen die elf Brüder an der Pforte des Schlosses und verlangten vor den König geführt zu werden. Das könne nicht geschehen, wurde geantwortet, es wäre ja noch Nacht; der König schlafe und dürfe nicht geweckt
werden. Sie baten, sie drohten, die Wache kam, ja selbst der König trat heraus und fragte, was das bedeute; da ging zugleich die Sonne auf, und da waren keine Brüder zu sehen, aber über das Schloß flogen elf wilde Schwäne hin.
Aus dem Stadttore strömte das ganze Volk, es wollte die Hexe verbrennen sehen. Ein alter Gaul zog den Karren, auf dem sie saß; man hatte ihr einen Kittel von grobem Sackleinen angetan; ihr herrliches Haar hing lose um das schöne Haupt; ihre Wangen waren totenbleich, ihre Lippen bewegten sich leise, während die Finger den grünen Flachs flochten; selbst auf dem Wege zu ihrem Tode unterbrach sie die angefangene Arbeit nicht, die zehn Panzerhemden lagen zu ihren Füßen, an dem elften strickte sie. Der Pöbel verhöhnte sie.
"Sieh die Hexe, wie sie murmelt! Kein Gesangbuch hat sie in der Hand, nein, mit ihrer gräßlichen Gaukelei sitzt sie da. Reißt sie von ihr in tausend Stücken!
Sie drängten alle auf sie ein und wollten die Panzerhemde zerreißen; da kamen elf weiße Schwäne geflogen, die setzten sich rings um sie auf den Karren und schlugen mit ihren großen Schwingen. Da wich der Haufen erschrocken zur Seite.
"Das ist ein Zeichen des Himmels! Sie ist sicher unschuldig!" flüsterten viele, aber sie wagten es nicht laut zu sagen.
Nun ergriff der Büttel sie bei der Hand, da warf sie hastig die elf Panzerhemden über die Schwäne, und sogleich standen elf schöne Prinzip da; aber der jüngste hatte einen Schwanenflügel anstatt des einen Armes, denn fehlte ein Ärmel in seinem Panzerhemde, den hatte sie nicht fertig bekommen.
"Nun darf ich sprechen!" sagte sie, "ich bin unschuldig."
Das Volk, welches sah, was da geschehen war, neigte sich vor ihr wie vor einer Heiligen; aber sie sank leblos in der Brüder Arme, so hatten Spannung, Angst und Schmerz auf sie gewirkt.
"Ja, unschuldig ist siel" sagte der älteste Bruder und nun erzählte er alles, was da geschehen war, und während er sprach, verbreitete sich ein Duft wie von Millionen Rosen, denn jedes Stück Brennholz im Scheiterhaufen hatte Wurzel geschlagen und trieb Zweige; dastand eine duftende Hecke, hoch und groß, mit roten Rosen; ganz oben saß eine Blume, weiß und glänzend, sie leuchtete wie ein Stern; die brach der König und steckte sie an Elisas Brust; da erwachte sie mit Frieden Glückseligkeit im Herzen.
Und alle Kirchenglocken läuteten von selbst, und die Vögel kamen in großen Zügen; es wurde emi Hochzeitszug zurück zum Schlosse, wie noch kein König gesehen hatte.
Da begegnete er einer alten Hexe auf der Landstraße; sie war so widerlich, ihre Unterlippe hing ihr gerade bis auf die Brust herunter. Sie sagte: "Guten Abend, Soldat! Was hast du doch einen schönen Säbel und großen Tornister! Du bist ein wahrer Soldat! Nun sollst du so viel Geld haben, als du besitzen magst!"
"Ich danke dir, du alte Hexe!" sagte der Soldat.
"Siehst du den großen Baum da?" sagte die Hexe und zeigte auf einen Baum, der ihnen zur Seite stand. "Er ist inwendig ganz hohl; da mußt du den Gipfel erklettern, dann erblickst du ein Loch, durch welches du dich hinabgleiten lassen und tief in den Baum gelangen kannst! Ich werde dir einen Strick um den Leib binden, damit ich dich wieder heraufziehen kann, wenn du mich rufst."
"Was soll ich denn da unten im Baume?" fragte der Soldat.
"Geld holen!" sagte die Hexe. "Wisse, wenn du auf den Boden des Baumes hinunterkommst, so bist du in einer großen Halle; da ist es ganz hell, denn da brennen über hundert Lampen. Dann erblickst du drei Türen. Du kannst sie öffnen, der Schlüssel steckt darin. Gehst du in die erste Kammer hinein, so erblickst du mitten auf dem Fußboden eine große Kiste; auf der sitzt ein Hund, der hat ein paar Augen so groß wie ein paar Teetassen, doch daran brauchst du dich nicht zu kehren! Ich gebe dir meine blaukarrierte Schürze, die kannst du auf dem Fußboden ausbreiten; geh dann rasch hin und nimm den Hund, setze ihn auf meine Schürze, öffne die Kiste und nimm so viele Schillinge, als du
willst. Sie sind alle von Kupfer; willst du aber lieber Silber haben, so mußt du in das nächste Zimmer hineingehen; aber da sitzt ein Hund, der hat ein paar Augen so groß wie Mühlräder. Aber das soll dich nicht kümmern. Setze ihn auf meine Schürze und nimm du von dem Gelde! Willst du hingegen Gold haben, so kannst du es auch bekommen, und zwar so viel, als du tragen willst, ann du in die dritte Kammer hineingehst. Aber der Hund, welcher dort auf dem Geldkasten sitzt, hat zwei Augen, jedes so groß wie der runde Turm in Kopenhagen. Glaube mir, das ist ein ordentlicher Hundt Aber daran sollst du dich nicht kehren! Setze ihn nur auf meine Schürze, so tut er dir nichts, und nimm aus der Kiste so viel Gold, als du willst!""Das ist so übel nicht!" sagte der Soldat. "Aber was soll ich dir geben, du alte Hexe, denn etwas willst du doch wohl auch haben!"
"Für mich sollst du nur ein altes Feuerzeug nehmen, welches meine Großmutter vergaß, als sie das letztemal da unten war!"
"Nun, so binde mir den Strick um den Leib!" sagte der Soldat.
"Hier ist erl" sagte die Hexe, "und hier ist meine blaukarrierte Schürze."
Dann kletterte der Soldat auf den Baum hinauf, ließ sich in das Loch hinuntergleiten und stand nun, wie die Hexe gesagt hatte, unten in der großen Halle, wo die vielen hundert Lampen brannten.
Nun öffnete er die erste Tür. Uht da saß der Hund mit den Augen so groß wie Teetassen und glotzte ihn an.
"Du bist ein netter Kerl!" sagte der Soldat, setzte ihn auf die Schürze der Hexe und nahm so viele Kupferschillinge, als seine Tasche fassen konnte, schloß dann die Kiste, setzte den Hund wieder darauf und ging in das andere Zimmer hinein. Wahrhaftig! da saß der Hund mit den Augen so groß wie Mühlräder.
"Du solltest mich lieber nicht so Ansehen!" sagte der Soldat; "du könntest Augenschmerzen bekommen!" Und dann setzte er den Hund auf die Schürze der
Hexe. Aber als er das viele Silbergeld in der Kiste erblickte, warf er all das Kupfergeld, das er hatte, fort und füllte die Taschen und den Tornister nur mit Silber. Nun ging er in die dritte Kammer! Nein, das häßlich! Der Hund darin hatte wirklich zwei Augen so groß wie der runde Turm, und die drehten sich im Kopfe gerade wie Mühlräder."Guten Abend!" sagte der Soldat und berührte die Mütze, denn einen solchen Hund hatte er früher nie gesehen; aber als er ihn nun etwas betrachtet hatte, dachte er: "Nun ist genug!" hob ihn auf den Fußboden herunter und machte die Kiste auf. Gott bewahre! was war da für eine Menge Gold! Er konnte dafür ganz Kopenhagen und die Zuckerferkel der Kuchenfrauen, alle Zinnsoldaten, Peitchen und Schaukelpferde in der ganzen Welt kaufen! Ja, da war einmal Gold! Nun warf der Soldat alles Silbergeld, womit er seine Taschen und seinen Tornister gefüllt hatte, fort und nahm dafür Gold, ja alle Taschen, der Tornister, die Mütze und die Stiefel wurden gefüllt, so daß er kaum gehen konnte. Nun hatte er Geld! Den Hund setzte er auf die Kiste, schlug die Türe zu und rief dann durch den Baum hinauf:
"Zieh mich jetzt in die Höhe, du alte Hegel"
"Hast du auch das Feuerzeug?" fragte die Hexe.
"Das ist wahrt" sagte der Soldat, "das habe ich rein vergessen." Und nun ging er und holte es. Die Hexe zog ihn herauf, und da stand er wieder auf der Landstraße, mit Taschen, Stiefeln, Tornister und Mütze voll von Gold.
"Was willst du mit dem Feuerzeug?" fragte der Soldat.
"Das geht dich nichts ant" sagte die Hexe. "Nun hast du ja Geld bekommen! Gib mir nur das Feuerzeug!" —
"Ach was!" sagte der Soldat. "Willst du mir gleich sagen, was du damit willst, oder ich ziehe meinen Säbel und schlage dir den Kopf abl"
"Nein!" sagte die Hexe.
Da schlug der Soldat ihr den Kopf ab. Da lag sie! Er aber band all sein Geld in ihre Schürze, nahm es wie ein Bündel auf seinen Rücken, steckte das Feuerzeug in die Tasche und ging gerade nach der Stadt.
Das war eine prächtige Stadt, und in dem prachtvollsten Wirtshause kehrte er ein, verlangte die allerbesten Zimmer und seine Lieblingsspeisen, denn nun war er ja reich, da er so viel Geld hatte.
Dem Diener, welcher seine Stiefel putzen sollte, kam es freilich vor, als seien es recht jämmerlich alte Stiefel, die ein so reicher Herr besäße, aber er hatte sich noch keine neuen gekauft; am nächsten Tage bekam er anständige Stiefel und schöne Kleider. Nun war aus dem Soldat ein vornehmer Herr geworden, und man erzählte ihm von allen den Herrlichkeiten, die in ihrer Stadt waren, und von dem Könige, was für eine niedliche Prinzessin seine Tochter sei.
"Wo kann man sie zu sehen bekommen?" fragte der Soldat.
"Sie ist gar nicht zu Gesicht zu bekommen!" sagten sie alle. "Sie wohnt in einem kupfernen Schlosse, von vielen Mauern und Türmen umgeben. Niemand außer dem König darf bei ihr ein- und ausgehen, denn es ist prophezeit, daß sie an einen ganz gemeinen Soldaten verheiratet wird, und das kann der König nicht zugeben!"
"Die möchte ich wohl sehen!" dachte der Soldat, aber dazu konnte er ja durchaus keine Erlaubnis erhalten.
Nun lebte er recht lustig, besuchte das Theater, fuhr in des Königs Garten und gab den Armen so viel Geld, und das war hübsch von ihm; er wußte noch von früheren Zeiten her, wie schlimm ist, nicht einen Schilling zu besitzen! Er war nun reich, hatte schöne Kleider und bekam nun so viele Freunde, die alle sagten, er sei ein vortrefflicher Mensch, ein wahrer Kavalier, und das hatte der Soldat gern! Aber da er jeden Tag Geld ausgab und nie etwas einnahm, so blieben ihm zuletzt nicht mehr als zwei Schillinge übrig, und er mußte die schönen Zimmer verlassen, wo er gewohnt hatte, und oben in einer ganz kleinen Kammer wohnen, dicht unter dem Dache, seine Stiefel selbst bürsten und sie mit einer Stopfnadel zusammennähen, und keiner seiner Freunde kam zu ihm, denn es waren so viele Treppen hinaufzusteigen.
Es war ein ganz dunkler Abend, und er konnte sich nicht einmal ein Licht kaufen; aber da fiel es ihm ein, daß ein kleiner Stummel in dem Feuerzeug liege, welches er aus dem hohlen Baume, in welchen ihn die Hexe hinuntergeholt fen, genommen hatte. Er holte das Feuerzeug und den Lichtstummel vor: aber gerade indem er Feuer schlug und die Funken aus dem Flintsteine flogen, sprang die Tür auf, und der Hund, welcher Augen wie ein paar Teetassen so groß hatte, und den er unter dem Baume gesehen hatte, stand vor ihm und sagte: "Was befiehlt mein Herr?"
"Was ist das?" sagte der Soldat. "Das ist ja ein lustiges Feuerzeug, wenn ich so bekommen kann, was ich haben will! Schaffe mir etwas Geld", sagte er zum Hunde, und wipps! war er fort, wipps! da war er wieder und hielt Ernen großen Beutel voller Schillinge in seinem Maule.
Nun wußte der Soldat, was für ein prächtiges Feuerzeug das war! Schlug er einmal, so kam der Hund, der auf der Kiste mit dem Kupfergeld saß, schlug er zweimal, so kam der welcher das Silbergeld hatte, und schlug er dreimal, so kam der, welcher das Gold hatte. Nun zog der Soldat wieder in die schönen Zimmer hinunter, erschien wieder in schönen Kleidern, und da erkannten ihn gleich alle seine Freunde und hielten sehr viel von ihm
Da dachte er einst: "Es ist doch etwas recht Sonderbares, daß man die Prinzessin nicht zu sehen bekommen kann. Sie soll so schön sein, sagen alle, aber was kann das helfen, wenn sie immer in dem großen Kupfeschlosse mit den vielen Türmen sitzen sollt Kann ich sie deim gar nicht zu sehen bekommen? Wo ist nur
mein Feuerzeug?" Er schlug Feuer, und wipps! da kam der Hund mit den Augen so groß wie Teetassen"Es ist freilich mitten in der Nacht," sagte der Soldat "aber ich möchte so herzlich gern die Prinzessin nur einen Augenblick sehent"
Der Hund war gleich aus der Tür, und ehe der Soldat daran dachte, sah er ihn schon mit der Prinzessin wieder. Sie saß und schlief auf dem Rücken des Hundes und war so lieblich, daß ein jeder sehen konnte, daß es eine wirkliche Prinzessin war; der Soldat konnte es durchaus nicht unterlassen, sie zu küssen, denn er ganz und gar Soldat.
Darauf lief der Hund mit der Prinzessin wieder zurück; doch als es Morgen wurde und der König und die Königin Tee tranken, sagte die Prinzessin, sie hätte in der vorigen Nacht einen ganz sonderbaren Traum von einem Hunde und einem Soldaten gehabt. Sie hätte auf dem Hunde geritten, und der Soldat häne sie geküßt.
"Das wäre wahrlich eine schöne Geschichtet" sagte die Königin.
Nun sollte in der nächsten Nacht eine der alten Hofdamen am Bette der Prinzessin wachen, um zu sehen, ob es ein wirklicher Traum sei, oder was es sonst sein möchte.
Der Soldat hatte eine außerordentliche Sehnsucht, die Prinzessin wiederzusehen, und so kam denn der Hund in der Nacht; nahm sie und lief, was er konnte; aber die alte Hofdame zog Wasserstiefel an und lief ebenso schnell hinterher. Als sie nun sah, daß jene in ein großes Haus verchwanden, dachte sie: "Nun weiß ich, wo es ist", und schrieb mit einem Stück Kreide ein großes Kreuz an die Tür. Dann ging sie nach Hause und legte sich nieder, und der Hund kam auch mit der Prinzessin wieder. Aber als er sah, daß ein Kreuz an die Türe; wo der Soldat wohnte, geschrieben war, nahm er auch ein Stück Kreide und machte Kreuze an alle Türen in der ganzen Stadt, und das war klug getan, denn nun konnte ja die Hofdame die richtige Tür nicht finden, da Kreuze an allen waren.
Frühmorgens kamen der König die Königin, die alte Hofdame und alle Offiziere, um zu sehen, wo die Prinzessin gewesen war.
"Da ist es!" sagte der König, als er die erste Tür mit einem Kreuz erblickte.
"Nein, dort ist es, mein lieber Maal" sagte die Königin, als sie die zweite Tür mit einem Kreuze darauf gewahr wurde.
"Aber da isi eins, und dort ist eins!" sagten alle; wohin sie blickten, waren Kreuze an den Türen Da begriffen sie denn wohl, daß ihnen das Suchen nichts helfen würde.
Aber die Königin war eine äußerst kluge Frau, die mehr konnte, als in einer Kutsche fahren. Sie nahm ihre große goldene Schere, schnitt ein großes Stück Seidenzeug in Stücke und nähte nun einen kleinen niedlichen Beutel; den füllte sie mit Seiner feiner Buchweizengrütze, band ihn der Prinzessin auf den Rücken,
und als das getan war, schnitt sie ein kleines Loch in den Beutel, so .daß die Grütze den ganzen Weg bestreuen konnte, den die Prinzessin nahm.In der Nacht kam nun der Hund wieder, nahm die Prinzessin auf den Rücken und lief mit ihr zum Soldaten hin, der sie so lieb hatte und gern ein Prinz hätte sein mögen, um sie zur Frau bekommen zu können.
Der Hund merkte durchaus nicht, wie die Grütze gerade vom Schlosse bis zu dem Fenster des Soldaten, wo er die Mauer mit der Prinzessin hinauflief, sich ausstreute. Am Morgen sahen der König und die Königin nun wohl, wo ihre Tochter gewesen war, und da nahmen sie den Soldaten und setzten ihn ins Gefängnis.
Da saß er. Hu, wie dunkel und häßlich war es dal Und dazu sagten sie ihm: "Morgen sollst du gehängt werden!" Das zu hören, war eben nicht ergötzlich und sein Feuerzeug hatte er zu Hause im Gasthof gelassen. Am Morgen konnte er durch das Eisengitter vor dem kleinen Fenster sehen, wie sich das Volk beeilte; aus der Stadt zu kommen, um ihn hängen zu sehen. Er hörte die Trommeln und sah die Soldaten marschieren. Alle Menschen liefen hinaus; unter ihnen war auch ein Schuhmacherjunge mit Schurzfell und Pantoffeln; er lief so im Galopp, daß einer seiner Pantoffeln abflog und gerade gegen die Mauer, wo der Soldat saß und durch das Eisengitter hinaussah.
"Ei, du Schuhmacherjunge! Du brauchst nicht solche Eile zu haben", sagte der Soldat zu ihm; "es wird nichts daraus, bevor ich kommet Willst du aber hinlaufen, wo ich gewohnt habe, mir mein Feuerzeug holen, so sollst du vier Schillinge haben! Aber du mußt die Beine mitnehmen!" Der Schuhmacherjunge wollte gern die vier Schillinge haben und lief davon nach dem Feuerzeug, gab es dem Soldaten und — ja, nun werden wir hören!
Außerhalb der Stadt war ein großer Galgen gemauert, ringsherum standen die Soldaten und viele hunderttausend Menschen. Der König und die Königin saßa auf einem prächt'gen Thron, den Richtern und dem ganzen Rate gegenüber.
Der Soldat stand schon oben auf der Leiter, aber als sie ihm den Strick um den Hals legen wollten, sagte er; daß man ja immer einem armen Sünder, bevor er seine Strafe erdulde, die Erfüllung eines unschuldigen Wunsches gewähre. Er möchte so gern eine Pfeife Tabak rauchen, es wäre ja die letzte Pfeife, die er in dieser Welt bekäme.
Das wollte der König ihm denn auch nicht abschlagen, und so nahm der Soldat sein Feuerzeug und schlug Feuer, einmal, zweimal, dreimal! Da standen alle hunde da, der mit den Augen so groß wie Teetassen, der mit den Augen wie Mühlräder und der, welcher Augen so groß wie der runde Turm hatte.
Seist mir nun, daß ich nicht gehängt werde", sagte der Soldat; und da fielen die Hunde über den Richter und den ganzen Rat her, nahmen den einen
bei den Beinen und den andern bei der Nase und warfen sie viele Ellen hoch in die Luft, so daß sie beim Niederfallen sich ganz in Stücke zerschlugen."Ich will nicht", sagte der König, aber der größte Hund nahm sowohl ihn wie die Königin und warf sie alle den andern nach. Da erschraken die Soldaten, und das Volk rief: "Guter Soldat, du sollst unser König sein und die schöne Prinzessin haben!"
Dann setzten sie den Soldaten in des Königs Kutsche, und alle drei Hunde tanzten vorauf und riefen: "Hurra!" und die Knaben pfiffen auf den Singa, und die Soldaten präsentierten. Die Prinzessin kam aus dem kupfernen Schlosse und wurde Königin, und das gefiel ihr wohl! Die Hochzeit währte acht Tage lang, und die Hunde saßen mit bei Tische und machten große Augen.
Den ganzen Tag erfreute er sich im warmen Sonnenschein, flog von Blume zu Blume, tanzte auf den Flügeln des fliegenden Schmetterlings und maß, wie viele Schritte er zu gehen hatte, um über alle Landstraßen und Steige zu gelangen, welche auf einem einzigen Lindenblatte sind. Das war, was wir die Adern im Blatte nennen, die er für Landsaßen und Steige nahm. Ja, das waren ewige Wege für ihn! Ehe er damit fertig wurde, ging die Sonne unter, er hatte auch so spät damit angefangen.
Es wurde so kalt, der Tau fiel, und der Wind wehte; nun es das beste, nach Hause zu kommen; er tummelte sich, er konnte, aber die Rose hatte sich geschlossen, er konnte nicht hineingelangen — keine einzige Rose stand geöffnet. Der arme kleine Elf erschrak so, er war früher nie des Nachts ausgewesen hatte immer so süß hinter den warmen Rosenblättern geschlummert. Oh, das würde sicher sein Tod werden!
Am andern Ende des Gartens, wußte er, befand sich eine Laube mit schönem Jelängerjelieber; die Blumen sahen wie große bemalte Hörner aus; in eines derselben wollte er hinabsteigen und bis morgen schlafen.
Er flog dahin. Still! Es waren zwei Menschen darin, ein junger hübscher Mann und ein schönes Mädchen; sie saßen nebeneinander und wünschten, daß sie sich nie zu trennen brauchten; sie waren einander so gut, weit mehr noch, als das beste Kind seiner Mutter und seinem Vater sein kann.
"Und doch müssen wir uns trennen!" sagte der junge Mann. "Dein Bruder mag ung nicht leiden, deshalb sendet er mich mit einem Auftrage so weit über Berge und Seni fort! Lebe wohl, meine süße Braut, denn das bist du mir doch!"
Dann küßten sie sich, und das junge Mädchen weinte und gab ihm eine Rose. Aber bevor sie ihm dieselbe reichte drückte sie einen Kuß darauf, so fest und innig, daß die Blume sich öffnete. Da flog der kleine Elf in diese hinein und lehnte sein Haupt gegen die feinen duftenden Wände; hier konnte er gut hören, daß Lebewohl gesagt wurde, und er fühlte, daß die Rose ihren Platz an des jungen Mannes Brust erhielt. Oh, wie schlug doch das Herz darinnen! Der Keine Elf konnte gar nicht einschlafen, so pochte es.
Doch nicht lange lag die Rose auf der Brust. Der Mann nahm sie hervor, und während er einsam in dem dunklen Walde ging, küßte er die Blume, o so oft und stark, daß der kleine Elf fast erdrückt wurde; er konnte durch das Blatt fühlen, wie die Lippen des Mannes brannten, und die Rose selbst hatte sich, wie bei der stärksten Mittagssonne, geöffnet.
Da kam ein anderer Mann, finster und böse; er war des hübschen Mädchens schlechter Bruder. Ein scharfes und großes Messer zog er hervor, und während jener die Rose küßte, stach der schlechte Mann ihn tot, schnitt seinen Kopf ab und begrub ihn mit dem Körper in der weichen Erde unter dem Lindenbäume.
"Nun ist er vergessen und fort", dachte der schlechte Bruder; "er kommt nie mehr zurück. Eine lange Reise sollte er machen über Berge und Seen, da kann man leicht das Leben verlieren, und das hat er verloren. Er kommt nicht mehr zurück, und mich darf meine Schwester nicht nach ihm fragen."
Dann scharrte er mit dem Fuße verdorrte Blätter über die lockere Erde und ging wieder in der dunklen Nacht nach Hause. Aber er ging nicht allein, wie er glaubte: der kleine Elf begleitete ihn, er saß in einem vertrockneten aufgerollten Lindenblatte, welches dem bösen Manne, als er grub, in die Haare gefallen war. Der Hut war nun darauf gesetzt, es war so dunkel darin, und der Elf zitterte vor Schreck und Zorn über die schlechte Tat.
In der Morgenlande kam der böse Mann nach Hause. Er nahm seinen Hut ab und ging in der Schwester Schlafstube hinein; da lag das schöne blühende Mädchen und träumte von ihm, dem sie so gut war, und von dem sie nun glaubte, daß er über Berge und durch Wälder ginge; und der böse Bruder neigte sich über sie und lachte häßlich, wie nur ein Teufel lachen kann; da fiel trockene Blatt aus seinem Haar auf die Bettdecke nieder, aber er bemerkte es nicht und ging hinaus, um in der Morgenstunde selbst ein wenig zu schlafen.
Aber der Elf schlüpfte aus dem verdorrten Blatte, setzte sich in das Ohr des schlafenden Mädchens und erzählte ihr; wie in einem Traum, den schrecklichen Mord, beschrieb ihr den Ort, wo der Bruder ihn erschlagen und seine Leiche versperrt hatte, erzählte von dem blühenden Lindenbäume dicht dabei und sagte: Damit du nicht glaubst, daß es nur ein Traum sei, was ich dir erzählt habe, so wirst du auf deinem Bette ein verdorrtes Blatt finden!" Und das fand sie, als sie erwachte.Oh, welch bittere Tränen weinte sie und durfte doch niemand ihren Schmerz anvertrauen! Das Fenster stand den ganzen Tag offen, der kleine Elf konnte leicht zu den Rosen und all den übrigen Blumen nach dem Garten hinaus gelangen, aber er wagte es nicht, die Betrübte zu verlassen. Im Fenster stand ein Strauch mit Monatsrosen, in eine der Blumen setzte er sich und betrachtete das arme Mädchen. Ihr Bruder kam oft in die Kammer hinein, und er war trotz seiner Schlechtigkeit so heiter, aber sie durfte kein Wort über ihren Herzenskummer sagen.
Sobald es Nacht wurde schlich sie sich aus dem Hause, ging im Walde nach der Stelle, wo der Lindenbaum stand, nahm die Blätter von der Erde, grub in den Boden hinein und fand ihn gleich, der erschlagen worden war. Oh, wie weinte sie, und bat den lieben Gott, daß er sie auch bald möge sterben lassen.
Gern hätte sie die Leiche mit sich nach Hause genommen, aber das konnte sie nicht; da nahm sie das bleiche Haupt mit den geschlossenen Augen, küßte den kalten Mund und schüttelte die Erde aus dem schönen Haar. "Das will ich behalten sagte sie, als sie Erde und Blätter auf den toten Körper gelegt hatte, nahm sie den Kopf und einen Keinen Zweig von dem Jasminstauch der im Walde blühte, wo er begraben war, mit sich nach Hause.
Sobald sie in ihrer Stube war; holte sie sich den größten Blumentopf, der zu finden war; in diesen legte sie des Toten Kopf schüttete Erde darauf und pflanzte dann den Jasminzweig in den Topf.
"Lebe wohl! lebe wohl!" flüsterte der kleine Elf, er konnte es nicht länger ertragen, all diesen Schmerz zu sehen, und flog deshalb hinaus zu seiner Rose im Garten; aber die war abgeblüht, da hingen nur einige bleiche Blätter an der grünen Hagebutte.
"Ach wie bald ist es doch mit all dem Schönen und Guten vorbei!" seufzte der Elf. suis fand ereine Rose wieder, die wurde sein Haus, hinter ihren feinen und duftenden Blättern konnte er hausen und wohnen.
Jeden Morgen flog er nach dem Fenster des armen Mädchens, und da stand sie immer bei dem Blumentopf und weinte. Die bitteren Tränen fielen auf den Jasminzweig, und mit jedem Tage, wie sie bleicher und bleicher wurde, stand der Zweig frischer und grüner da; ein Schoß trieb nach dem andern hervor, mme weiße Knospen blühten auf, und die küßte sie. Aber der böse Bruder schalt und
fragte, ob sie närrisch geworden sei. Er konnte es nicht begreifen, weshalb sie immer über den Blumentopf weine. Er wußte ja nicht, welche Augen da geschlossen und welche roten Lippen da zu Erde geworden waren; sie neigte ihr Haupt gegen den Blumentopf, und der Seine Elf von der Rose fand sie so schlummern; da setzte er sich in ihr Ohr, erzählte von dem Abend in der Laube, vom Duft der Rose und der Elfen Liebe; sie träumte so süß, und während sie träumte, entschwand das Leben; sie war eines stillen Todes verblichen, sie war bei ihm, den sie liebte, im Himmel.Und die Jasminblumen öffneten ihre großen weißen Glocken, die dufteten so eigentümlich süß, anders konnten sie nicht über die Tote weinen.
Aber der böse Bruder betrachtete den schön blühenden Strauch, nahm ihn als ein Erbgut zu sich und setzte ihn in seine Schlafstube, dicht ans Bette, denn er war herrlich anzuschauen, und der Duft war so süß und lieblich. Der kleine Rosenelf folgte mit, flog von Blume zu Blume, in jeder wohnte ja eine Keine Seele und er erzählte von dem ermordeten jungen Mann, dessen Haupt nun Erde unter der Erde war, erzählte von dem bösen Bruder und der armen Schwester.
"Wir wissen es!" sagte eine jede Seele in den Blumen, "wir wissen es! Sind wir nicht aus des Erschlagenen Augen und Lippen entsprossen? Wir wissen es!" Und dann nickten sie so sonderbar mit dem Kopfe.
Der Rosenelf konnte es gar nicht begreifen, wie sie so ruhig sein konnten und flog hinaus zu den Bienen, die da Honig sammelten, erzählte ihnen die Geschichte von dem bösen Bruder, und die Bienen sagten es ihrer Königin, welche befahl, daß sie alle am nächsten Morgen den Mörder umbringen sollten.
Aber in der Nacht vorher, es war die erste Nacht, welche auf den Tod der Schwester folgte, als der Bruder in seinem Bette dicht neben dem duftenden Jasminstrauche schlief, öffnete sich ein jeder Blumenkelch, und unsichtbar, aber mit giftigen Spießen stiegen die Blumenseelen heraus und setzten sich zuerst in seine Ohren und erzählten ihm böse Träume, flogen darauf über seine Lippen und stachen seine Zunge mit den giftigen Spießen. "Nun haben wir den Toten gerächt!" sagten sie und flogen zurück in des Jasmins weiße Glocken.
Als es Morgen wurde und das Fenster der Schlafstube auf einmal aufgerissen wurde, fuhr der Rosenelf mit der Bienenkönigin und dem ganzen Bienenschwarm herein, um ihn zu töten.
Aber er war schon tot; standen Leute rings um das Bett, und die sagten: "Der Jasminduft hat ihn getötet!"
Da verstand der Rosenelf der Blumen Rache, und er erzählte der Königin der Bienen, und sie summte mit ihrem ganzen Schwarm um den Blumentopf; die Bienen waren nicht zu verjagen. Da nahm ein Mann den Blumentopf fort,
und ewe Biene stach ihn in seine Hand, so daß er den Topf fallen und entzwei gehen ließ.Da sahen sie den bleichen Totenschädel, und sie wußten, daß der Tote im Bette ein Mörder war.
Und die Bienenkönigin summte in der Luft und sang von der Rache der Bumm und von dem Rosmelf, und daß hinter dem geringsten Blatte einer wohnt der das Böse erzählen und rächen kann.
Eines Abends zog ein schreckliches Wetter auf; es blitzte und donnerte, der Regen stürzte herunter, es war ganz entsetzlich. Da klopfte es an das Stadttor, und der alte König ging hin aufzumachen.
Es war eine Prinzessin, die draußen vor dem Tore stand. Aber Gott! wie sah sie vom Regen und vom bösen Wetter aus! Das Wasser lief ihr von den Haaren und Kleidern herunter und lief in die Schnäbel der Schuhe hinein und aus den Hacken wieder heraus; und sie sagte, daß sie eine wirkliche Prinzessin sei.
"Ja, das werden wir schon erfahren!" dachte die alte Königin, aber sie sagte nichts, ging in die Schlafkammer hinein, nahm alle Betten ab und legte eine Erbse auf den Boden der Bettstelle. Darauf nahm sie zwanzig Matratzen, legte sie auf die Erbse, und dann noch zwanzig Eiderdaunenbetten oben auf die Matratzen.
Da sollte nun die Prinzessin die ganze Nacht liegen. Am Morgen wurde sie gefragt, wie sie geschlafen habe.
"O schrecklich schlecht!" sagte die Prinzessin, "ich habe meine Augen fast die ganze Nacht nicht geschlossen! Gott weiß, was da im Bette gewesen ist! Ich
habe auf etwas Hartem gelegen, so daß ich ganz braun und blau über meinen ganzen Körper bin! Es ist ganz entsetzlich!"Nun sahen sie wohl, daß es eine wirkliche Prinzessin war, da sie durch die zwanzig Matratzen und die zwanzig Eiderdaunenbetten die Erbse verspürt hatte So empfindsam konnte niemand sein, außer einer wirklichen Prinzessin.
Da nahm der Prinz sie zur Frau, denn nun wußte er, daß er eine wirkliche Prinzessin besitze, und die Erbse kam auf die Kunstkammer, wo sie noch zu sehen ist, wenn sie niemand genommen hat.
Sieh, das war eine jahre Geschichte.
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Auf allen Feldern ringsumher wuchs Kern, sowohl Roggen und Gerste wie Hafer, ja der herrliche Hafer, der da, wenn er reif ist, gerade wie eine Menge kleiner gelber Kanarienvögel auf einem Zweige aussieht. Das Kom stand so gesegnet, und je schwerer es war, desto tiefer neigte es sich in frommer Demut.
Aber da war auch ein Feld mit Buchweizen, und dieses Feld war dem alten Weidenbäume gerade gegenüber. Der Buchweizen neigte sich durchaus nicht wie das übrige Korn, sondern prangte stolz und steif.
"Ich bin wohl so reich wie die Ähre", sagte er; "überdem bin ich weit hübscher; meine Blumen sind schön wie die Blüten des Apfelbaumes, ist eine Freude, auf mich und die Meinigen zu blicken! Kennst du etwas Prächtigeres als uns du alter Weidenbaum?"
Der Weidenbaum nickte mit dem Kopfe, gerade als ob er damit sagen wollte: "Ja, das tue ich freilich!" Aber der Buchweizen spreizte sich aus lauter Hochmut und sagte: "Der dumme Baum, er ist so alt, daß ihm Gras im Leibe wächst!"
Nun zog ein schrecklich böses Wetter auf; alle Feldblumen falteten ihre Blätter zusammen oder neigten ihre kleinen Köpfe herab, während der Sturm über sie dahinfuhr; aber der Buchweizen prangte in seinem Stolze.
"Neige dein Haupt wie wir", sagten die Blumen.
"Das brauche ich durchaus nicht!" erwiderte der Buchweizen.
"Senke dein Haupt wie wir", rief das Korn. "Nun kommt der Engel des Sturmes geflogen! Er hat Schwingen, die reichen oben von den Wolken bis gerade herunter zur Erde, und erschlägt dich mittendurch, bevor du bitten kannst, er möge dir gnädig sein!"
"Ja, aber ich will mich nicht beugen!" sagte der Buchweizen.
"Schließe deine Blumen und neige deine Blätter!" sagte der alte Weidenbaum. "Sieh nicht zum Blitze empor, wenn die Wolke birst; selbst die Menschen dürfen das nicht, denn im Blitz kann man in Gottes Himmel hineinsehen; und dieser Anblick kann selbst die Menschen blenden. Was würde aber erst uns, den Gewächsen der Erde, geschehen, wenn wir es wagten, wir, welche doch weit geringer sind!
"Weit geringer?" sagte der Buchweizen. "Nun will ich gerade in Gottes Himmel hineinsehen!" Und er tat es in seinem Wermut und Stolz. Es war, ob die ganze Welt in Flammen stände, so blitzte es.
Als das böse Wetter vorbei war, standen die Blumen und das Korn in der stillen reinen Luft erfrischt vom Regen; aber der Buchweizen war, vom Blitze getroffen, kohlschwarz gebrannt; er war nun ein totes Unkraut auf dem Felde.
Und der alte Weidenbaum bewegte seine Zweige im Winde, und es fielen große Wassertropfen von den grünen Blättern, gerade als ob der Baum aine, und die Sperlinge fragten: "Weshalb weinst du? Hier ist es ja so gesegnet! Sieh, wie die Sonne scheint, sieh, wie die Wolken ziehen! Kannst du den Duft von Blumen und Büschen bemerken? Weshalb weinst du, alter Weidenbaum?"
Und der alte Weidenbaum erzählte vom Stolze des Buchweizens, von seinem Übermute und von der Strafe, die immer darauf folgt. Ich, der ich die Geschichte erzählte, habe sie von den Sperlingen gehört. Sie erzählten sie mir eines Abends, als ich sie um ein Märchen bat.
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Wenn die Kinder nun schlafen, setzt sich der Sandmann auf ihr Bette. Er ist gut gekleidet, sein Rock ist von Seidenzeug, aber es ist unmöglich zu sagen, von welcher Farbe, denn er glänzt grün, rot und blau, je nachdem er sich wendet. Unter jedem Arm hält er einen Regenschirm, den einen, mit Bildern darauf, spannt er über die guten Kinder aus, und dann träumen sie die ganze Nacht die herrlichsten Geschichten; und einen Schirm hat er, wo durchaus nichts darauf ist; den stellt er über die unartigen Kinder, dann schlafen sie so dumm und haben am Morgen, wenn sie erwachen, nicht das Allergeringste geträumt.
Nun werden wir hören, wie der Sandmann an jedem Abend in einer ganzen Woche zu einem kleinen Knaben, welcher Hjalmar hieß, kam, und was er ihm erzählte. Es sind im ganzen sieben Geschichten, denn es sind sieben Tage in der Woche.
Montag.
"Höre einmal!" sagte der Sandmann am Abend, als er Hjalmar zu Bett gebracht hatte, "nun werde ich aufpumpen!" Da wurden alle Blumen in den Blumentöpfen zu großen Bäumen, welche ihre langen Zweige unter der Decke und längs der Wände ausstreckten, so daß die ganze Stube wie ein prächtiges Lusthaus aussah, und alle Zweige waren voller Blumen, und jede Blume war noch schöner als eine Rose und duftete so lieblich, und wollte man sie essen, so war sie noch süßer als Eingemachtes! Die Früchte glänzten gerade wie Gold, und Kuchen waren da, die vor lauter Rosinen platzten, es war unvergleichlich schön! Aber zu gleicher Zeit ertönte ein schreckliches Jammern dort aus dem Tischkasten, wo Hjalmars Schulbücher lagen.
"Was ist nun das?" sagte der Sandmann und ging hin nach dem Tisch und zog den Kasten auf. Es war die Tafel, in der es riß und wühlte, denn es war eine falsche Zahl in das Rechenexempel gekommen, so daß es nahe daran war, auseinanderzufallen; der Griffel hüpfte und sprang an seinem Bande, gerade als ob er ein kleiner Hund wäre, der dem Rechenexempel helfen möchte, aber er konnte es nicht. Und dann war es Hjalmars Schreibebuch, in welchem es auch jammerte, oh, es war ordentlich häßlich mit anzuhören! Auf jedem Blatte standen der Länge nach herunter die großen Buchstaben, ein jeder mit einem Keinen zur Seite, das war so eine Vorschrift, und neben diesen standen wieder einige Buchstaben, welche glaubten, ebenso auszusehen, denn diese hatte Hjalmar geschrieben; sie lagen fast so, als ob sie über die Bleifederstriche gefallen wären, auf denen sie stehen sollten.
"Seht, so solltet ihr euch halten!" sagte die Vorschrift. "Seht, so zur Seite, mit einem kräftigen Schwung!"
"Oh, wir möchten gern," sagten Hjalmars Buchstaben, "aber wir können nicht, wir sind so jämmerlich!"
"Dann müßt ihr Kinderpulver haben!" sagte der Sandmann.
"O nein!" riefen sie, und da standen sie so schlank, daß es eine Lust war.
"Jetzt wird keine Geschichte erzählt!" sagte der Sandmann, "nun muß ich sie exerzieren! Eins, zwei! Eins, zwei!" Und so exerzierte er die Buchstaben, und sie standen so schlank und schön, wie nur eine Vorschrift stehen kann. Aber als der Sandmann ging und Hjalmar sie am Morgen besah, da waren sie ebenso elend als früher.
Dienstag.
Sobald Hjalmar zu Bette war, berührte der Sandmann mit seiner kleinen Zauberspritze alle Möbel in der Stube, und sogleich fingen sie an zu plaudern und allesamt sprachen sie von sich selbst, mit Ausnahme des Spucknapfes, welcher stumm dastand und sich darüber ärgerte, daß sie so eitel sein konnten, nur von
Über der Kommode hing ein großes Gemälde in einem vergoldeten Rahmen, das war eine Landschaft; man sah darauf große alte Bäume, Blumen im Grase und einen Fluß, welcher um den Wald herum an vielen Schlössern vorbeifloß und weit hinausströmte in das wilde Meer.
Der Sandmann berührte mit seiner Zauberspritze das Gemälde, und da begannen die Bögel darauf zu singen, die Baumzweige bewegten sich, und die Wolken zogen ordentlich, man konnte ihren Schatten über die Landschaft hin blicken.
Nun hob der Sandmann den kleinen Hjalmar gegen den Rahmen empor und stellte seine Füße in das Gemälde, gerade in das hohe Gras, und da stand er, die Sonne beschien ihn durch die Zweige der Bäume. Er lief hin zum Wasser und setzte sich in ein kleines Boot, welches dort lag; es war rot und weiß angestrichen, die Segel glänzten wie Silber, und sechs Schwäne, alle mit Goldkronen um den Hals und einen strahlenden blauen Stern auf dem Kopfe, zogen das Boot an dem grünen Walde vorbei, wo die Bäume von Räubern und Heren und die Blumen von den niedlichen kleinen Elfen und von dem, was die Schmetterlinge ihnen gesagt hatten, erzählten.
Die herrlichsten Fische mit Schuppen wie Silber und Gold schwammen dem Boote nach; mitunter machten sie einen Sprung, daß es im Wasser plätscherte, und Vögel, rot und blau, klein und groß, flogen in langen Reihen hinterher; die Mücken tanzten, und die Maikäfer sagten: "Bum, bum!" Sie wollten Hjalmar alle folgen, und alle hatten sie eine Geschichte zu erzählen.
Das war eine Lustfahrt! Bald waren die Wälder so dicht und so dunkel, bald waren sie wie der herrlichste Garten mit Sonnenschein und Blumen, und da lagen große Schlösser von Glas und von Marmor, auf den Altanen standen Prinzessinnen, und alle waren es kleine Mädchen, die Hjalmar gut kannte; er hatte früher mit ihnen gespielt. Sie streckten jede die Hand aus und hielten das niedlichste Zuckerherz hin, welches je eine Kuchenfrau verkaufen konnte, und Hjalmar faßte die eine Seite des Zuckerherzens an, indem er vorbeifuhr, und die Prinzessin hielt recht fest, und so bekam ein jeder sein Stück, sie das kleinste; Hjalmar das größte. Bei jedem Schlosse standen kleine Prinzen Schildwache, sie schulterten mit goldenen Säbeln und ließen Rosinen und Zinnsoldaten regnen. Das waren echte Prinzen!
Bald segelte Hjalmar durch Wälder, bald wie durch große Säle oder mitten durch eine Stadt; er kam auch durch die, in welcher sein Kindermädchen wohnte, welches ihn getragen hatte, da er noch ein ganz kleiner Knabe war, und das immer so gut zu ihm gewesen war, und sie nickte und winkte und sang den niedlichen kleinen Vers, den sie selbst gedichtet und Hjalmar gesandt hatte:
34 denke deiner so manches Mal, Mein teurer Hjalmar, du Lieber! Ich gab dir Küsse ja ohne Zahl Auf Stirne, Mund, Augenlider. Ich hörte dich lallen das erste Wort, Doch mußt' ich dir Abschied sagen. Es segne der Herr dich an jedem Ort, Du Engel, den ich getragen! |
Und alle Vögel sangen mit, die Blumen tanzten auf den Stielen, und die alten Bäume nickten, gerade als ob der Sandmann ihnen auch Geschichten erzählte.
Mittwoch.
Nein, wie strömte der Regen draußen hernieder! Hjalmar konnte es im Schlaf hören, und da der Sandmann ein Fenster öffnete, stand das Wasser gerade herauf bis an das Fensterbrett; es war ein ganzer See da draußen, aber das prächtigste Schiff lag dicht am Hause.
"Willst du mitsegeln, kleiner Hjalmar," sagte der Sandmann, "so kannst du diese Nacht nach fremden Ländern hingelangen und morgen wieder hier sein!"
Und da stand Hjalmar plötzlich in seinen Sonntagzkleidern mitten auf dem prächtigen Schiffe, und sogleich wurde das Wetter schön, und sie segelten durch die Straßen, kreuzten um die Kirche, und nun war alles eine große wilde See. Sie segelten so lange, bis kein Land mehr zu erblicken war, und sie sahen einen Flug Störche, die kamen auch von der Heimat und wollten nach den warmen Ländern; ein Storch flog immer hinter dem anderen, und sie waren schon weit, so weit geflogen! Einer von ihnen war so ermüdet, daß seine Flügel ihn kaum noch zu tragen vermochten; er war der allerletzte in der Reihe, und bald blieb er ein großes Stück zurück, zuletzt sank er mit ausgebreiteten Flügeln tiefer und tiefer; er machte noch ein paar Schläge mit den Schwingen, aber es half nichts; nun berührte er mit seinen Füßen das Tauwerk des Schiffes, nun glitt er vom Segel herab, und bums! da stand er auf dem Verdeck.
Da nahm der Schiffsjunge ihn und setzte ihn in das Hühnerhaus zu den Hühnern, Enten und Truthähnen; der arme Storch stand ganz befangen minen unter ihnen.
"Sieh den!" sagten alle Hühner.
Der kalekutische Hahn blies sich so dick auf, als er konnte, und fragte, wer er wäre. Die Enten gingen rückwärts und pufften einander: Rapple dich, rapple dich!"
Und der Storch erzählte vom warmen Afrika, von den Pyramiden und vom Strauße, der einem wilden Pferde gleich die Wüste durchlaufe; aber die Enten verstanden nicht, was er sagte, und dann pufften sie einander: "Wir sind doch darüber einverstanden, daß er dumm ist?"
"Ja, sicher ist er dumm!" sagte der kalekutische Hahn, und dann kollerte er. Da schwieg der Storch ganz stille und dachte an sein Afrika.
"Das sind ja herrlich dünne Beine, die Ihr habt!" sagte der Kalekute. "Was kostet die Elle davon?"
"Skrat, skrat, skrat!" grinsten alle Enten, aber der Storch tat, als ob er es gar nicht höre.
"Ihr könnt immer mitlachen!" sagte der Kalekute zu ihm, "denn es war sehr witzig gesagt, oder war es Euch vielleicht zu hoch? Ach, ach, er ist nicht vielseitig! Wir wollen für uns selbst bleiben!" Und dann gluckte er, und die Enten schnatterten: "Gikgak! gikgak!" Es war schrecklich, wie sie sich selbst belustigten.
Aber Hjalmar ging nach dem Hühnerhause, öffnete die Tür, rief den Storch, und der hüpfte zu ihm hinaus auf das Verdeck. Nun hatte er ja ans geruht, und es war gleichsam, als ob er Hjalmar zunicke, um ihm zu danken. Darauf entfaltete er seine Schwingen und flog nach den warmen Ländern, aber die hühner gluckten, die Enten schnatterten, und der kalekutische Hahn wurde ganz feuerrot am Kopfe.
"Morgen werden wir Suppe von euch kochen!" sagte Hjalmar, und dann erwachte er und lag in seinem kleinen Bette. Es war doch eine sonderbare Reise, die der Sandmann ihn diese Nacht hatte machen lassen!
Donnerstag.
"Weißt du wag?" sagte der Sandmann. "Werde nur nicht furchtsam, hier wirst du eine kleine Maus sehen!" Da hielt er ihm seine Hand mit dem leichten, niedlichen Tiere entgegen. "Sie ist gekommen, um dich zur Hochzeit einzuladen. Hier sind diese Nacht zwei kleine Mäuse, die in den Stand der Ehe treten wollen. Sie wohnen unter deiner Mutter Speisekammerfußboden, das soll eine schöne Wohnung sein!"
"Aber wie kann ich durch das kleine Mauseloch im Fußboden kommen?" fragte Hjalmar.
"Laß mich nur machen!" sagte der Sandmann. "Ich werde dich schon Kein bekommen!" Und er berührte Hjalmar mit seiner Zauberspritze, wodurch dieser sogleich kleiner und kleiner wurde, zulegt kaum einen Finger lang. "Nun kannst du dir die Kleider des Zinnsoldaten leihen, ich denke, sie werden dir passen, und es sieht so gut aus, Uniform anzuhaben, wenn man in Gesellschaft ist!"
"Ja freilich!" sagte Hjalmar, und da war er im Augenblick wie der niedlichste Zinnsoldat angekleidet.
"Wollen Sie nicht so gut sein und sich in Ihrer Mutter Fingerhut setzen?" sagte die kleine Maus. "Dann werde ich die Ehre haben, Sie zu ziehen!"
"Gott, wollen sich das Fräulein selbst bemühen!" sagte Hjalmar, und so fuhren sie zur Mäusehochzeit.
Zuerst kamen sie unter dem Fußboden in einen langen Gang, der nicht höher war, als daß sie gerade mit dem Fingerhut dort fahren konnten, und der ganze Gang war mit faulem Holze illuminiert.
"Riecht es hier nicht herrlich?" sagte die Maus, die ihn zog. "Der ganze Gang ist mit Speckschwarten geschmiert worden! Es kann nichts Schöneres geben!"
Nun kamen sie in den Brautsaal hinein. Hier standen zur Rechten alle die kleinen Mäusedamen, und die wisperten und zischelten, als ob sie einander zum besten hielten; zur Linken standen alle Mäuseherren und strichen sich mit der Pfote den Schnauzbart. Aber mitten im Saale sah man das Brautpaar; sie standen in einer ausgehöhlten Käserinde und küßten sich schrecklich viel vor aller Augen, denn sie waren ja Verlobte und sollten nun gleich Hochzeit halten
Es kamen immer mehr und mehr Fremde; die eine Maus war nahe daran, die andere tot zu treten, und das Brautpaar hatte sich mitten in die Tür gestellt; so daß man weder hinaus noch hinein gelangen konnte. Die ganze Stube war ebenso wie der Gang mit Speckschwarten eingeschmiert, das war die ganze Bewirtung, aber zum Nachtisch wurde eine Erbse vorgezeigt, in die eine Maus aus der Familie den Namen des Brautpaares eingebissen hatte, das heißt den ersten Buchstaben. Das war etwas ganz Außerordentliches.
Alle Mäuse sagten, daß es eine schöne Hochzeit und daß die Unterhaltung so gut gewesen sei.
Und dann fuhr Hjalmar wieder nach Hause; er war wahrlich in vornehmer Gesellschaft gewesen, aber er hatte auch ordentlich zusammenkriechen, sich klein machen und Zinnsoldatenuniform anziehen müssen.
Freitag.
"ES ist unglaublich, wieviel ältere Leute es gibt, die mich gar zu gern einfangen möchten!" sagte der Sandmann, "es sind besonders die, welche etwas Böses verübt haben. ,Guter kleiner Sandmann', sagen sie zu mir. .Wir können die Augen nicht schließen, und so liegen wir die ganze Nacht und sehen alle unsere bösen Taten, die wie häßliche kleine Kobolde auf der Bettstelle sitzen und uns mit heißem Wasser bespritzen; möchtest du doch kommen und sie fortjagen, damit wir einen guten Schlaf bekämen', und dann seufzen sie so tief: .Wir möchten es wahrlich gern bezahlen. Gute Nacht, Sandmann! Das Geld liegt im Fenster.' Aber ich tue es nicht für Geld", sagte der Sandmann.
"Was wollen wir nun diese Nacht vornehmens" fragte Hjalmar.
"Ja, ich weiß nicht, ob du diese Nacht wieder Lust hast, zur Hochzeit zu kommen; es ist eine andere Art, als die gestrige war. Deiner Schwester große Puppe, die, welche wie ein Mann aussieht und Hermann genannt wird, wird sich
mit der Puppe Berta verheiraten; es in obendrein der Puppe Geburtstag, und deshalb werden da sehr viele Geschenke kommen!""Ja, das kenne ich schon", sagte Hjalmar. "Immer, wenn die Puppen neue Kleider gebrauchen, dann läßt meine Schwester sie ihren Geburtstag feiern oder Hochzeit halten; das ist sicher schon hundertmal geschehen!"
"Ja, aber in dieser Nacht ist es die hundertunderste Hochzeit, und wenn hundertundeins aus ist, dann ist alles vorbei Deshalb wird auch diese so ausgezeichnet. Sieh nur einmal!"
Hjalmar sah nach dem Tische. Da stand das kleine Papphauo mit Licht in den Fenstern, und draußen davor präsentierten alle Zinnsoldaten das Gewehr; Das Brautpaar saß ganz gedankenvoll, wozu es wohl Ursache hatte, auf dem
Fußboden und lehnte sich gegen den Tischfuß. Aber der Sandmann, in den schwarzen Rock der Großmutter gekleidet, traute sie. Als die Trauung vorbei war, stimmten alle Möbel in der Stube folgenden schönen Gesang an, welcher von der Bleifeder geschrieben erging nach der Melodie des Zapfenstreichs:
Das Lied ertönte wie der Wind Dem Brautpaar Hoch, das sich verbind't Sie prangen beide steif und blind, Da sie von Handschuhleder sind! :,: Hurra, Hurra! ob taub und blind, Wir singen es in Wetter und Wind! ,: |
Und nun bekamen sie Geschenke, aber sie hatten sich alle Speisewaren verbeten,, denn sie hatten an ihrer Liebe genug.
"Wollen wir nun eine Sommerwohnung beziehen oder auf Reisen gehen?" fragte der Bräutigam, und da wurden die Schwalbe, die so viel gereist war; und die Hofhenne, welche fünfmal Küchlein ausgebrütet hatte, zu Rate gezogen. Die Schwalbe erzählte von den herrlichen, warmen Ländern, wo die Weintrauben so groß und schwer hingen, wo die Luft so mild sei und die Berge Farben hätten, wie man sie hier gar nicht an ihnen kennt.
"Sie haben doch nicht unseren Grünkohl!" sagte die Henne. "Ich war einen Sommer mit allen meinen Küchlein auf dem Lande, da war eine Sandgrube, in der wir gehen und kratzen konnten, und dann hatten wir Zutritt zu einem Garten mit Grünkohl! Oh, wie war der grün! Ich kann mir nichts Schöneres denken"
"Aber ein Kohlstrunk sieht gerade so aus wie der andere," sagte die Schwalbe; "und dann ist hier oft so schlechtes Wetter!"
"Ja, daran ist man gewöhnt!" sagte die Henne.
"Aber hier ist es kalt, es friert!"
"Das ist gut für den Kohl!" sagte die Henne. "Übrigens können wir es auch warm haben. Haten wir nicht vor vier Jahren einen Sommer, so heiß, daß man kaum atmen konnten Und dann haben wir nicht alle die giftigen Tiere, die sie dort haben, und w ;r sind von Räubern befreit! Der ist ein Bösewicht, der nicht findet, daß unser Land das schönste ist; er verdiente wahrlich nicht hier zu sein!" Und dann weinte die Hinne und fuhr fort: "Ich bin auch gereist! Ich bin einmal in einer Bütte über zwölf Meilen gefahren! Es ist durchaus kein Vergnügen beim Reisen!"
"Ja, die Henne ist eine vernünftige Frau!" sagte die Puppe Berta, "ich halte auch nichts davon, Berge zu bereisen, denn das geht nur hinauf und dann wieder herunter! Nein, wir wollen nach der Sandgrube hinausziehen und im Kohlgarten spazieren!"
Und dabei blieb es.
Sonnabend.
"Bekomme ich nun Geschichten zu hören?" fragte der kleine Hjalmar, sobald der Sandmann ihn in den Schlaf gebracht hatte.
"Diesen Abend haben wir nicht Zeit dazu", sagte der Sandmann und spannte seinen schönsten Regenschirm über ihn auf. "Betrachte nur die Chinesen!" Der ganze Regenschirm sah guo wie eine große chinesische Schale mit blauen Bäumen und spitzen Brücken und mit kleinen Chinesen darauf, die dastanden und mit dem Kopfe nickten. "Wir müssen die ganze Welt zu morgen schön aufgeputzt haben", sagte der Sandmann, "es ist ja morgen Sonntag. Ich will nach den Kirchtürmen hin, um zu sehen, ob die kleinen Kirchenkobolde die Glosen polieren, damit sie hübsch klingen; ich will hinaus auf das Feld und sehen, ob die Winde d ;u Staub von Gras und Buttern blasen, und, was die größte Arbeit ist, ich will alle
Sterne herunterholen, um sie zu polieren; ich nehme sie in meine Schürze, aber erst muß ein jeder numeriert werden, und die Löcher, in denen sie da oben sitzen; müssen auch numeriert werden, damit sie wieder auf den richtigen Fleck kommen, sonst würden sie nicht festsitzen, und wir würden zu viel Sternschnuppen bekommen, indem der eine nach dem anderen herunterpurzelte!""Hören Sie, wissen Sie was, Herr Sandmann!" sagte ein altes Bild, welches an der Wand hing, wo Hjalmar schlief. "Ich bin Hjalmars Urgroßvater; ich danke Ihnen, daß Sie dem Knaben Geschichten erzählen, aber Sie müssen seine Begriffe nicht verdrehen. Die Sterne können nicht heruntergenommen und poliert werden! Die Sterne sind Kugeln ebenso wie unsere Erde, und das ist gerade das Gute an ihnen!"
"Ich danke dir, du alter Urgroßvater!" sagte der Sandmann, "ich danke dir! Du bist ja das Haupt der Familie, du bist das Urhaupt, aber ich bin doch noch älter als du! Ich bin ein alter Heide; Römer und Griechen nannten mich den Traumgott! Ich bin in die vornehmsten Häuser gekommen und komme noch dahin; ich weiß sowohl mit Geringen wie mit Großen umzugchen! Nun kannst du erzählen!" — und da ging der Sandmann und nahm seinen Regenschirm mit.
"Nun darf man wohl seine Meinung gar nicht mehr fasen!" brummte das alte Bild.
Und da erwachte Hjalmar.
Sonntag.
"Guten Abend!" sagte der Sandmann, und Hjalmar nickte und sprang dann hin und wandte das Porträt des Urgroßvaters gegen die Wand um, damit er nicht, wie gestern, mitspreche.
Nun mußt du mir Geschichten erzählen: von den fünf grünen Erbsen, die in einer Schote wohnten, und von dem Hahnenfuß, der dem Hühnerfüße den Hof machte, und von der Stopfnadel, die so vornehm tat, daß sie sich einbildete, eine Nähnadel zu sein!"
"Man kann auch des Guten zuviel bekommen!" sagte der Sandmanm
"Du weißt wohl, daß ich dir am liebsten etwas zeiget Ich will dir meinen Bruder zeigen. Er heißt auch Sandmann, aber er kommt zu niemand öfter als einmal, und zu wem er kommt, den nimmt er mit auf sein Pferd und erzählt ihm Geschichten. Er kennt nur zwei; die eine ist so außerordentlich schön, daß niemand in der Welt sie sich denken kann, und die andere ist so häßlich und greulich — ist gar nicht zu beschreiben!"
Und dann hob der Sandmann den kleinen Hjalmar zum Fenster hinauf und sagte: "Da wirst du meinen Bruder sehen, den anderen Sandmann, sie nennen ihn auch den Tod! Siehst du, er sieht gar nicht so schlimm aus wie widen
Bilderbüchern, wo er nur ein Knochengerippe ist! Nein, das ist Silberstickerei, die er auf dem Kleide hat, und das ist die schönste Husarenuniform, ein Mantel von schwarzem Sammet fliegt hinten über das Pferdt Sieh, wie er im Galopp reitet."Hjalmar sah, wie der Sandmann davonritt und sowohl junge wie alte Leute auf sein Pferd nahm. Einige setzte er vom, andere hinten auf; aber immer fragte er erst: "Wie steht es mit dem Zeugnisbuch?" —"Gut!" sagten sie allesamt. — Ja, laßt mich selbst sehen!" sagte er, und dann mußten sie ihm das Buch zeigen; und alle die, welche "Sehr gut" und "Ausgezeichnet gut" hatten, kamen vorn auf das Pferd und bekamen die herrliche Geschichte zu hören; die aber; welche "Ziemlich gut" und "Mittelmäßig" hatten, mußten hinten auf und bekamen die greuliche Geschichte; sie zitterten und weinten, sie wollten vom Pferde springen, konnten es aber nicht, denn sie waren sogleich daran festgewachsen.
"Aber der Tod ist ja der prächtigste Sandmann!" sagte Hjalmar. "Vor ihm bin ich nicht Hangel"
"Das sollst du auch nicht!" sagte der Sandmann. "Sieh nur zu, daß du ein gutes Zeugnis hast!"
"Ja, das ist lehrreich!" murmelte des Urgroßvaters Bild. "Es hilft doch, wenn man seine Meinung sagt!" Und nun war er zufrieden.
Sieh, das ist die Geschichte vom Sandmann! Nun mag er dir selbst diesen Abend mehr erzählen.
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Jedesmal, wenn ein gutes Kind stirbt, kommt ein Engel Gottes zur Erde hernieder, nimmt das tote Kind auf seine Arme, breitet die großen weißen Flügel aus, fliegt hin über alle Plätze, welche das Kind lieb gehabt hat, und pflückt eine ganze Handvoll Blumen, welche er zu Gott hinaufbringt, damit sie dort noch schöner als auf der Erde blühen. Der liebe Gott drückt alle Blumen an sein Herz, aber der Blume, weise ihm die liebste ist, gibt er einen .Nuß, und dann bekommt sie Stimme und kann in der großen Glückseligkeit mitsingen!"
Sieh, alles dieses erzählte ein Engel Gottes, indem er ein totes Kind zum Himmel forttrug, und das Kind hörte wie im Traume; und sie flogen hin über die Stätten in der Heimat, wo der Kleine gespielt hatte, und sie tamen durch Gärten mit herrlichen Blumen.
"Welche wollen wir nun mitnehmen und in den Himmel pflanzen?" fragte der Engel.
Da stand ein schlanker, herrlicher Rosenstock, aber eine böse Hand hatte den Stamm abgebrochen, so daß alle Zweige, voll von großen, halbaufgebrochenen Knospen, rundherum vertrocknet hingen.
"Der arme Rosenstock!" sagte das Kind. "Nimm ihn, damit er dort oben bei Gott zum Blühen kommen kann!"
Und der Engel nahm ihn, küßte das Kind dafür, und der Kleine öffnete seine Augen zur Hälfte. Sie pflückten von den reichen Prachtblumen, nahmen aber auch die verachtete Butterblume und das wilde Stiefmütterchen.
"Nun haben wir Blumen!" sagte das Kind, und der Engel nickte, aber er
flog noch nicht zu Gott empor. Es war Nacht, und es war ganz stille; sie blieben in der großen Stadt und schwebten in einer der schmalen Gassen umher, wo ganze Haufen Stroh, Asche und Krimskrams lagen; denn es war Umzug gewesen. Da lagen Scherben von Tellern, Gipsstücke, Lumpen und alte Hutköpfe, was alles nicht gut aussah.Der Engel zeigte in all diesem Wirrwarr hinunter auf einige Scherben eines Blumentopfes und auf einen Klumpen Erde, der da herausgefallen war und von den Wurzeln einer großen ertrockneten Feldblume, welche nichts taugte, und die man deshalb auf die Gasse geworfen hatte, zusammengehalten wurde.
"Die nehmen wir mit!" sagte oer Engel. "Ich werde dir erzählen, während wir fliegen!"
Und so flogen sie, und der Engel erzählte:
"Dort unten in der schmalen Gasse, in dem niedrigsten Keller, wohnte ein armer, kranker Knabe. Von ganz Kein auf war er immer bettlägerig gewesen; wenn es ihm am besten ging, konnte er auf Krücken die kleine Stube ein paarmal auf und nieder gehen, das war alles. An einigen Tagen im Sommer fielen die Sonnenstrahlen während einer halben Stunde bis in den Keller hinab, und wenn der arme Knabe dasaß und sich von der warmen Sonne bescheinen ließ und das rote Blut durch seine feinen Finger sah, die er vor das Gesicht hielt, dann hieß es: "Ja, heute ist er ausgewesen!" Er kannte den Wald in seinem herrlichen Frühjahrsgrün nur dadurch, daß ihm des Nachbars John den ersten Buchenzweig brachte, und den hielt trüber seinem Haupte und träumte dann unter Buchen zu sein, wo die Sonne schiene und Vögel sängen. An einem Frühjahrstage brachte ihm des Nachbars Knabe auch Feldblumen, und unter diesen war zufällig eine mit der Wurzel dabei, und deshalb wurde sie in einen Blumentopf gepflanzt und dicht neben dem Bette am Fenster aufgestellt. Die Blume war mit einer glücklichen Hand gepflanzt, sie wuchs, trieb neue Schösse und trug jedes Jahr ihre Blüten; sie wurde des Knaben herrlichster Blumengarten, sein kleiner Schatz hier auf Erden; er begoß und pflegte sie und sorgte dafür, daß sie jeden Sonnenstrahl bis zum letzten, welcher durch das niedrige Fenster hinunterglitt, erhielt; und die Blume selbst verwuchs mit seinen Träumen, denn für ihn blühte sie, verbreitete sie ihren Duft und erfreute sie das Auge; gegen sie wendete er sich im Tode, da der Herr ihn rief. Ein Jahr ist er nun Gott gewesen, ein Jahr hat die Blume vergessen im Fenster gestanden und ist verdorrt und wurde deshalb beim Umziehen im Kehricht hinaus auf die Straße geworfen. Und dies ist die Blume, die arme, vertrocknete Blume, welche wir mit in unseren Blumenstrauß genommen haben, denn diese Blume hat mehr erfreut als die reichste Blume im Garten einer Königin!"
"Aber woher weißt du das alleses" fragte das Kind, welches der Engel gen Himmel trug.
"Ich weiß es!" sagte der Engel. "Denn ich war selbst der kleine kranke Knabe, welcher auf Krücken gingt Meine Blume kenne ich wohl!"
Und das Kind öffnete seine Augen und sah in des Engels herrliches, frohes Antlitz hinein, und im selben Augenblick befanden sie sich in Gottes Himmel, wo Freude und Glückseligkeit war. Gott drückte das tote Kind an sein Herz, und da bekam es Schwingen wie der andere Engel und flog Hand in Hand mit ihm; und Gott drückte alle Blumen an sein Herz, aber die arme verdorrte Feldblume küßte er, und sie erhielt Stimme und sang mit allen Engeln, welche Gott umschwebten, einige ganz nahe, andere um diese herum in großen Kreisen, und immer weiter fort in das Unendliche, alle gleich glücklich. Und alle sangen sie, klein und groß, samt dem guten, gesegneten Kinde und w armen Feldblume; welche verdorrt dagelegen hatte, hingeworfen im Kericht unter den Unrat des Umziehtages, in der schmalen, dunklen Gasse.
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In der großen Stadt, wo er wohnte, ging es sehr munter her; an jedem Tage kamen da viele Fremde an. Eines Tages kamen auch zwei Betrüger, die gaben sich für Weber aus und sagten, daß sie das schönste Zeug, das man sich denken könne, zu weben verstünden. Die Farben und das Muster wären nicht allein ungewöhnlich schön, sondern die Kleider, die von dem Zeuge genäht würden, besäßen die wunderbare Eigenschaft, daß sie jeden Menschen unsichtbar wären, der nicht für sein Amt tauge oder der unverzeihlich dumm sei.
"Das wären ja prächtige Kleider," dachte der Kaiser; "wenn ich die anhätte, könnte ich ja dahinterkommen, welche Männer in meinem Reiche zu dem Amte, das sie haben, nicht taugen, ich könnte die Klugen von den Dummen unterscheiden! Ja, das Zeug muß sogleich für mich gewebt werden!" und er gab den beiden Betrügern viel Handgeld, damit sie ihre Arbeit beginnen möchten.
Sie stellten auch zwei Webstühle auf, taten, als ob sie arbeiteten, aber sie hatten nicht das geringste auf dem Stuhle. Frischweg verlangten sie die feinste Seide und das prächtigste Gold; das steckten sie in ihre eigene Tasche und arbeiteten an leeren Stühlen bis spät in die Nacht hinein.
"Nun möchte ich doch wohl wissen, wie weit sie mit dem Zeuge sind!" dachte der Kaiser, aber es war ihm außerordentlich beklommen zumute, wenn er daran dachte, daß der, welcher dumm sei oder schlecht zu seinem Amte tauge, es nicht
sehen könne. Nun glaubte er zwar, daß er für sich selbst nichts zu fürchten brauche, aber er wollte doch erst einen anderen senden, um zu sehen, wie es damit stände. Alle Menschen in der ganzen Stadt wußten, welche besondere Kraft das Zeug habe, und alle waren begierig zu sehen, wie schlecht oder dumm ihr Nachbar sei."Ich will meinen alten, ehrlichen Minister zu den Webern senden!" dachte der Kaiser; "er kann am besten beurteilen, wie das Zeug sich ausnimmt, denn er hat Verstand, und keiner versieht sein Amt besser als erl"
Nun ging der alte, gute Minister in den Saal hinein, wo die zwei Betrüger saßen und anden leeren Webstühlen arbeiteten. "Gott behüte uns!" dachte der alte Minister und riß die Augen auf. "Ich kann ja nichts erblicken!" Aber das sagte er nicht.
Beide Betrüger baten ihn, gefälligst näher zu treten, und fragten, ob es nicht ein hübsches Muster und schöne Farben seien. Dann zeigten sie auf den leeren Stuhl, und der arme alte Minister fuhr fort, die Augen aufzureißen, aber er konnte nichts sehen, denn da war nichts. Herr Gott," dachte er, "sollte ich dumm sein? Das habe ich nie geglaubt, und das darf kein Mensch wissen! Sollte ich nicht zu meinem Amte taugen? Nein, es geht nicht an, daß ich erzähle, ich könne das Zeug nicht sehen!"
"Nun, Sie sagen nichts dazu?" fragte der eine, der da webte.
"O es ist niedlich, ganz allerliebst!" antwortete der alte Minister und W durch seine Brille. "Dieses Muster und diese Farben! — Ja, ich werde dem Kaiser sagen, daß es mir sehr gefällt!"
"Nun, das freut uns!" sagten beide Weber, und darauf benannten sie die Farben mit Namen und erklärten das seltsame Muster. Der alte Minister paßte gut auf, damit er dasselbe sagen könne, wenn er zum Kaiser zurückkäme, und das tat er.
Nun verlangten die Betrüger mehr Geld, mehr Seide und mehr Gold, um es zum Weben zu gebrauchen. Sie steckten alles in ihre eigenen Taschen, auf den Webstuhl kam kein Faden, aber sie fuhren fort, wie bisher an dem leeren Webstuhl zu arbeiten,
Der Kaiser sandte bald wieder einen anderen tüchtigen Staatsmann hin, um zu sehen, wie es mit dem Weben stände, und ob das Zeug bald fertig sei; dem ging es gerade wie dem ersten, er sah und sah; weil aber außer dem leeren Webstuhl nichts da war, so konnte er nichts sehen.
"Ja, ist das nicht ein hübsches Stück Zeugs" fragten die beiden Betrüger und zeigten und erklärten das prächtige Muster welches gar nicht da war.
"Dumm bin ich nicht!" dachte der Mann; "es ist also mein gutes Amt, zu dem ich nicht taugen Das wäre komisch genug! Aber das muß man sich nicht merken lassen!" Und so lobte er das Zeug, welches er nicht sah, und versicherte
ihnen seine Freude über die schönen Farben und das herrliche Muster. "Ja, es ist ganz allerliebst", sagte er zum Kaiser.Alle Menschen in der Stadt sprachen von dem prächtigen Zeuge.
Nun wollte der Kaiser es selbst sehen, während es noch auf dem Webstuhl sei. Mit einer ganzen Schar auserwählter Männer, unter denen auch die beiden ehrlichen Staatsmänner sich befanden, die schon früher dagewesen waren, ging er zu den beiden listigen Betrügern hin, die nun aus allen Kräften webten, aber ohne Faser oder Faden.
"Ja, ist das nicht prächtig?" sagten die beiden ehrlichen Staatsmänner. "Wollen Eiv. Majestät sehen, welches Muster, welche Farben!" und dann zeigten sie auf den leeren Webstuhl, denn sie glaubten, daß die anderen das Zeug wohl sehen könnten.
"Was!" dachte der Kaiser, "ich sehe gar nichts! Das ist ja schrecklich! Bin ich dumm? Tauge ich nicht dazu, Kaiser zu sein? Das wäre das Schrecklichste, mir begegnen könntet Oh, es ist sehr hübsch!" sagte er, "es hat meinen allerhöchsten Beifall!" und er nickte zufrieden und betrachtete den leeren Webstuhl; er wollte nicht sagen, daß er nichts sehen könne. Das ganze Gefolge, das er mit sich hatte, sah und sah, aber bekam nicht mehr heraus als alle die anderen, aber sie sagten gleichwie der Kaiser: "Oh das ist hübsch!" und sie rieten ihm, diese neuen prächtigen Kleider das erstemal bei der großen Prozession, die bevorstand, zu tragen. "Es ist herrlich; niedlich, exzellent!" ging es von Mund zu Mund, und man schien allerseits innig erfreut darüber. Der Kaiser verlieh jedem der Betrüger ein Ritterkreuz, um es in das Knopfloch zu hängen, und den Titel Hofweber.
Die ganze Nacht vor dem Morgen, an dem die Prozession statthaben sollte, waren die Betrüger auf und hatten über sechzehn Lichte angezündet. Die Leute konnten sehen, daß sie stark beschäftigt waren, des Kaisers neue Kleider fertig zu machen. Sie taten, als ob sie das Zeug aus dem Webstuhl nähmen, sie schnitten in die Luft mit großen Scheren, sie nähten mit Nähnadeln ohne Faden und sagten zuletzt: "Sieh, nun sind die Kleider fertig!"
Der Kaiser mit seinen vornehmsten Kavalieren kam selbst, und beide Betrüger hoben den einen Arm in die Höhe, gerade als ob sie etwas hielten, und sagten: "Seht, hier sind die Beinkleider! hier ist das Kleid! hier der Mantel!" und so weiter. "Es ist so leicht wie Spinnewebe; man sollte glauben, man habe nichts auf dem Körper, aber das ist gerade die Schönheit dabei!"
"Ja!" sagten alle Kavaliere, aber sie konnten nichts sehen, denn da war nichts.
"Belieben Eiv. Kaiserliche Majestät Ihre Kleider abzulegen," sagten die Betrüger, "so wollen wir Ihnen die neuen anziehen, hier vor dem großen Spiegel."
Der Kaiser legte alle seine Kleider ab, und die Betrüger stellten sich, als ob
sie ihm ein jedes Stück der neuen Kleider anzögen, welche fertig genäht sein sollten, und der Kaiser wendete und drehte sich vor dem Spiegel."Ei, wie gut sie kleiden, wie herrlich sie sitzen!" sagten alle. "Welches Muster! welche Farben! Das ist eine köstliche Tracht!"
"Draußen stehen sie mit dem Thronhimmel, welcher über Eiv. Majestät in der Prozession getragen werden soll!" meldete der Oberzeremonienmeister.
"Seht, ja, ich bin fertig!" sagte der Kaiser. "Sitzt es nicht gut?" und dann wendete er sich nochmals zu dem Spiegel; denn es sollte scheinen, als ob er seinen Staat recht betrachte.
Die Kammerherrn, welche die Schleppe tragen sollten, griffen mit den Händen gegen den Fußboden, gerade ob sie die Schleppe aufhoben, sie gingen und taten, glo hielten sie etwas in der Luft; sie wagten es nicht, sich merken zu lassen, daß sie nichts sehen konnten.
So ging der Kaiser unter dem prächtigen Thronhimmel, und alle Menschen auf der Straße und in den Fenstern sprachen: "Gott, wie sind des Kaisers neue Kleider unvergleichlich! Welche Schleppe er am Kleide hat! Wie schön sie sitzt!" Keiner wollte es sich merken lassen, daß er nichts sah, denn so hätte er ja nicht zu seinem Amte getaugt oder wäre sehr dumm gewesen. Keine Kleider des Kaisers hatten solches Glück gemacht als diese. "Aber er hat ja gar nichts ant" sagte endlich ein kleines Kind. Herr Gott, hört die Stimme der Unschuld", sagte der Vater; und der eine zischelte dem andern zu, was das Kind gesagt hatte. |
"Aber er hat ja gar nichts an!" rief zuletzt das ganze Volk. Das ergriff den Kaiser, denn es schien ihm, als hätte das Volk recht, aber er dachte bei sich: "Nun muß ich aushalten." Und die Kammerherren gingen und trugen die Schleppe, die gar nicht da war.
Der Sohn bekam nun all dies Geld, und er lebte lustig, ging jede Nacht zur Maskerade, machte Papierdrachen von Talerscheinen und warf Fitschen über das Wasser mit Goldstücken, anstatt mit einem Steine. So konnte das Geld schon alle werden, und das wurde es; zuletzt besaß er nicht mehr als vier Schillinge und hatte keine anderen Kleider als ein Paar Pantoffeln und einen alten Schlafrock. Nun kümmerten sich seine Freunde nicht mehr um ihn, da sie ja nicht zusammen auf die Straße gehen konnten; aber einer von ihnen, der gutmütig war, sandte ihm einen alten Koffer mit der Bemerkung: "Packe ein!" Ja, das war nun recht schön, aber er hatte nichts einzupacken, darum setzte er sich selbst in den Koffer.
Das war ein merkwürdiger Koffer. Sobald man an das Schloß drückte, konnte der Koffer fliegen. Das tat nun der Mann. Wips! flog er mit ihm durch den Schornstein hoch über die Wolken hinauf; weiter und weiter fort; sooft aber der Boden ein wenig knackte, war er gar sehr in Angst, daß der Koffer in Stücke gehen möchte, denn alsdann hätte er einen ganz tüchtigen Luftsprung gemacht, Gott bewahre uns! So kam er nach dem Lande der Türken. Den Koffer verbarg er im Walde unter verdorrten Blättern und ging dann in die Stadt hinein; das konnte er auch ganz gut, denn bei den Türken gingen alle so wie er in Schlafrock und Pantoffeln. Da begegnete er einer Amme mit einem kleinen Kinde.
"Höre du, Türkenamme!" fragte er, "was ist das ein großes Schloß hier dicht bei der Stadt, wo die Fenster so hoch sitzen?""Da wohnt die Tochter des Königs!" erwiderte sie. "Es ist prophezeit, daß sie über einen Geliebten sehr unglücklich werden würde, und deshalb darf niemand zu ihr kommen, wenn nicht der König und die Königin mit dabei sind!"
"Ich danke!" sagte der Kaufmannssohn, und so ging er hinaus in den Wald, setzte sich in seinen Koffer, flog auf das Dach und kroch durch das Fenster zur Prinzessin hinein.
Sie lag auf dem Sofa und schlief; sie war so schön, daß der Kaufmannssohn sie küssen mußte; sie erwachte und erschrak gewaltig, aber er sagte, er sei ein Türkengott, der durch die Luft zu ihr heruntergekommen wäre, und das gefiel ihr.
So saßen sie beieinander, und er erzählte ihr Geschichten von ihren Augen; das waren die herrlichsten dunklen Seen, und da schwammen die Gedanken gleich Meerweibern; und er erzählte von ihrer Stirn; die war ein Schneeberg mit den prächtigsten Sälen und Bildern; und er erzählte vom Storch, der die lieblichen kleinen Kinder bringt.
Ja, das waren schöne Geschichten! Dann freite er um die Prinzessin, und sie sagte sogleich ja!
"Aber Sie müssen am Sonnabend herkommen," sagte sie, "da sind der König und die Königin bei mir zum Tee! Sie werden sehr stolz darauf sein, daß ich den Türkengott bekomme, aber sehen Sie zu, daß Sie ein recht hübsches Märchen wissen, denn das lieben meine Eltern ganz außerordentlich; meine Mutter will es erbaulich und vornehm und mein Vater belustigend haben, so daß man lachen kann!"
"Ja, ich bringe keine andere Brautgabe als ein Märchen!" sagte er, und so schieden sie, aber die Prinzessin gab ihm einen Säbel, der war mit Goldstücken besetzt, und die konnte er gerade gebrauchen.
Nun flog er fort, kaufte sich einen neuen Schlafrock und saß dann draußen im Walde und dichtete ein Märchen, das sollte bis zum Sonnabend fertig sein, und das ist doch nicht so leicht.
Er wurde fertig, und da war es Sonnabend.
Der König, die Königin und der ganze Hof warteten mit dem Tee bei der Prinzessin. Er wurde freundlich empfangen.
"Wollen Sie uns ein Märchen erzählen," sagte die Königin, "eins, das tiefsinnig und belehrend ist?"
"Aber worüber man doch lachen kann!" sagte der König.
"Jawohl!" erwiderte er und erzählte; da muß man nun gut aufpassen.
"Es war einmal ein Bund Schwefelhölzer, die waren so außerordentlich stolz auf ihre Herkunft; ihr Stammbaum, das heißt die große Fichte, wovon sie jedes eni kleines Hölzchen waren, war ein großer alter Baum im Walde gewesen. Die
Schwefelhölzer lagen nun in der Mitte zwischen einem Feuerzeuge und einem alten eisernen Topfe, und diesem erzählten sie von ihrer Jugend. ,Ja, als wir auf dem grünen Zweige waren!' sagten sie, ,da waren wir wirklich auf einem grünen Zweig! Jeden Morgen und Abend gab es Diamanttee, das war der Tau, den ganzen Tag hatten wir Sonnenschein, wenn die Sonne schien, und alle die kleinen Vögel mußten uns Geschichten erzählen. Wir konnten wohl merken, daß wir auch reich waren, denn die Laubbäume waren nur im Sommer bekleidet, aber unsere Familie hatte Mittel zu grünen Keidern sowohl im Sommer als im Winter. Doch da kam der Holzhauer, das war die große Revolution, und unsere Familie wurde zersplittert; der Stammherr erhielt Platz als Hauptmast auf einem prächtigen Schiffe, welches die Welt umsegeln konnte, wenn es wollte, die anderen Zweige kamen nach anderen Orten, und wir haben nun das Amt, der niedrigen Menge das Licht anzuzünden; deshalb sind wir vornehmen Leute hier in die Küche gekommen.Mein Schicksal gestaltete sich auf eine andere Weise!' sagte der Eisentopf an dessen Seite die Schwefelhölzer lagen. ,Von Anfang an, seit ich in die Welt kam, bin ich vielemal gescheuert und gekocht worden! Ich sorge für das Dauerhafte und bin der Erste hier im Hause. Meine einzige Freude ist, so nach Tisch rein und nett an meinem Platze zu liegen und ein vernünftiges Gespräch mit den Kameraden zu führen; doch wenn ich den Wassereimer ausnehme, der hin und wieder einmal nach dem Hof hinunter kommt, so leben wir immer innerhalb der Türen. Unser einziger Neuigkeitsbote ist der Marktkorb, aber der spricht zu unruhig über die Regierung und das Volk; ja, neulich war da ein alter Topf, der vor Schreck darüber niederfiel und sich in Stücke schlug; der ist liberal, sage ich euch!' — ,Nun sprichst du zu viel! fiel das Feuerzeug ein, und der Stahl schlug gegen den Feuerstein, daß er sprühte. ,Wollen wir uns nicht einmal einen lustigen Abend machen?
Ja, laßt uns davon sprechen, wer der Vornehmste ist!' sagten die Schwefelhölzer.
Nein, ich liebe es nicht, von mir selbst zu reden', wenden der Tontopf ein. Laßt uns eine Abendunterhaltung veranstalten! Ich werde anfangen, ich werde etwas erzählen, was ein jeder erlebt hat; da kann man sich so leicht dareinfinden, und es ist so erfeulich. An der Ostsee de; den dänischen Buchen —'
Das ist ein hübscher Anfang!' sagten die Teller. ,Das wird sicher eine Geschichte die uns gefällt!
Ja, da verlebte ich meine Jugend bei einer stillen Familie; die Möbel wurden gebohnert der Fußboden gescheuert, und alle vierzehn Tage wurden reine Gardinen aufgehängt!
Wie Sie doch so interessant erzählen! sagte der Haarbesen. ,Man kann gleich hören, daß ein Frauenzimmer erzählt; geht so etwas Reines dahindurch!"
Ja, das fühlt man!' sagte der Wassereimer und machte vor Freude einen kleinen Sprung, so daß es auf den Fußboden klatschte.
Und der Topf fuhr zu erzählen fort und das Ende war ebensogut der Anfang.
Alle Teller kapperten vor Freude, und der Haarbesen zog grüne Petersilie aus dem Sandloche und bekränzte den Topf, denn er wußte, daß es die anderen ärgern würde. ,Bekränze ich ihn heute', dachte er, ,so bekränzt er mich morgen.
Nun will ich tanzen', sagte die Feuerzange und tanzte. Ja, Gott bewahr' uns, wie konnte sie das Bein in die Höhe strecken! Der alte Stuhlbezug dort im Winkel platzte, als er es saht ,Werde ich nun auch bekränzt?' fragte die Feuerzange zange; und das wurde sie.
Das ist doch nur gemeines Volk! dachten die Schwefelhölzer.
Nun sollte die Teemaschine singen, aber sie wäre erkältet, sagte sie, sie könne nicht, wenn sie nicht koche; aber das war bloße Vornehmtuerei; sie wollte nicht singen, wenn sie nicht drinnen bei der Herrschaft auf dem Tische stände.
Im Fenster saß eine alte Feder, mit der das Mädchen zu schreiben pflegte; war nichts Bemerkenswertes an ihr, außer daß sie gar zu tief in die Tinte getaucht worden war, aber darauf war sie nun stolz. ,Will die Teemaschine nicht singen', sagte sie, ,so kann sie es bleiben lassen! Draußen hängt eine Nachtigall im Käfig, die kann singen; die hat zwar nichts gelernt, aber das wollen wir diesen Abend dahingestellt sein lassen!
Ich finde es höchst unpassend', sagte der Teekessel — er war Küchensänger und Halbbruder der Teemaschine — ,daß solch fremder Vogel gehört aden soll! Ist das patriotisch? Der Marktkorb mag darüber richten!
Ich ärgere mich nur; sagte der Marktkorb, ,ich ärgere mich so, wie es sich niemand denken kann! Ist das eine passende Art; den Abend hinzubringen? Würde es nicht vernünftiger sein, das Haus in Ordnung zu bringen? Ein jeder müßte auf seinen Platz kommen, und ich würde das ganze Spiel leiten. Das sollte etwas anderes werden!
Laßt uns Spektakel machen!' sagten alle. Da ging die Tür auf. Es war das Dienstmädchen, und da standen sie still. Keiner muckste; aber da war nicht ein Topf, der nicht gewußt hätte, was er zu tun vermöge, und wie vornehm er sei. ,Ja, wenn ich gewollt hätte,' dachte jeder, ,so hätte es ein recht lustiger Abend werden sollen!
Das Dienstmädchen nahm die Schwefelhölzer, machte Feuer damit — Gott bewahr' uns, wie sie sprühten und in Flammen gerieten!
Nun kann doch ein jeder sehen,' dachten sie, ,daß wir die Ersten sind! Welchen Glanz wir haben! Welches Licht!' — und damit waren sie ausgebrannt." — —
"Das war ein herrliches Märchen!" sagte die Königin. "Ich fühle mich so
ganz in die Küche versetzt zu den Schwefelhölzern, ja, nun sollst du unsere Tochter haben.""Jawohl!" sagte der König. "Du sollst unsere Tochter am Montage haben!" Omn nun sagten sie du zu ihm, da er zur Familie gehören sollte.
Die Hochzeit war nun bestimmt, und am Abend vorher wurde die ganze Stadt illuminiert, Zwieback und Brezeln wurden zum besten gegeben, die Straßenbuben standen auf den Zehen, riefen Hurra und pfiffen auf den Fingern, es war außerordentlich prachtvoll.
"Ja, ich muß wohl auch etwas tun!" dachte der Kaufmannssohn, und so kaufte er Naketen, Knallerbsen und alles Feuerwerk, das man erdenken konnte, legte es in seinen Koffer und flog damit in die Luft.
Rutsch, wie das ging und wie das puffte!
Alle Türken hüpften dabei in die Höhe, daß ihnen die Pantoffeln um die Ohren flogen; solche Lufterscheinung hatten sie noch nie gesehen. Nun konnten sie begreifen, daß es der Türkengott selbst war, der die Prinzessin haben sollte.
Sobald der Kaufmannssohn wieder mit seinem Koffer herunter in den Wald kam, dachte er: "Ich will doch in die Stadt hineingehen, um zu erfahren, wie es sich ausgenommen hat!" und das war ganz natürlich, daß er Lust dazu hatte.
Nein, doch die Leute erzählten! Ein jeder, den er danach Sagte, hatte es auf seine Weise gesehen, aber schön hatten es alle gefunden.
"Ich sah den Türkengott selbst," sagte der eine, "er hatte Augen wie glänzende Sterne und einen Bart wie schäumende Wasser."
"Er flog in einem Feuermantel", sagte ein anderer. "Die lieblichsten Engelskinder blickten aus den Falun hervor."
Ja, das waren herrliche Sachen, die erhörte, und am folgenden Tage sollte er Hochzeit machen.
Nun ging er nach dem Walde zurück, um sich in seinen Koffer zu setzen — aber wo war der? Der Koffer verbrannt. Ein Funken des Feuerwerkes war zurückgeblieben, der hatte Feuer gefangen, und der Koffer lag in Asche. Der Kaufmann konnte nun nicht mehr fliegen, nicht mehr zu seiner Braut gelangen.
Sie stand den ganzen Tag auf dem Dache und wartete; sie wartet noch, aber er durchwandert die Welt und erzählt Märchen, doch sie sind nicht mehr so lustig wie das welches er von den Schwefelhölzern erzählte.
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Weit hinaus im Meer ist das Wasser so blau wie die Blätter der schönsten Kornblume und so klar wie das reinste Glas, aber es ist sehr tief, tiefer als irgendein Ankertau reicht; viele Kirchtürme müßten aufeinander gestellt werden, um vom Boden bis über das Wasser zu reichen. Dort unten wohnt das Weervolk.
Nun muß man aber nicht glauben, daß da nur der nackte weiße Sandboden sei; nein, da wachsen die sonderbarsten nine und Pflanzen, die so geschmeidig im Stiel und in den Blättern sind, daß sie sich bei der geringsten Bewegung des Wassers rühren, gerade als ob sie lebten. Alle Fische, große und kleine, schlüpfen zwischen den Zweigen hindurch, ebenso wie hier oben die Vögel in der Luft. An der allertiefsten Stelle liegt des Meerkönigs Schloß, die Mauern sind von Korallen und die langen, spitzen Fenster vom allermassen Bernstein; aber das Dach bilden Muschelschalen, die sich öffnen und schließen, je nachdem das Wasser strömt. Das sieht herrlich aus; denn in jeder liegen strahlende Perlen, eine einzige würde großen Staat in der Krone einer Königin machen.
Der Meerkönig dort unten war seit vielen Jahren Witwer gewesen, ahrend seine alte Mutter bei ihm wirtschaftete. Sie war eine fluge Frau, aber stolz auf ihren Adel, deshalb trug sie zwölf Austern auf dem Schwanze, die andern Vornehmen durften nur sechs tragen. — Sonst verdiente sie großes Lob, besonders weil sie viel von den kleinen Meerprinzessinnen, ihren Enkelinnen, hielt. Es waren sechs schöne Kinder, aber die jüngste war die schönste von allen, ihre
Haut war so klar und fein wie ein Rosenblatt, ihre Augen so blau wie die tiefste See, aber ebenso wie die anderen hatte sie keine Füße, ihr Körper endete in einem Fischschwanz.Den ganzen Tag konnten sie unten im Schlosse, in den großen Sälen, wo lebendige Blumen aus den Wänden hervorwuchsen, spielen. Die großen Bernsteinfenster wurden aufgemacht; und dann schwammen die Fische zu ihnen herein, ebenso wie bei uns die Schwalben hereinfliegen, wenn wir die Fenster aufmachen. Doch die Fische schwammen gerade zu den Prinzessinnen hin, fraßen aus ihren Händen und ließen sich streicheln.
Draußen vor dem Schlosse war ein großer Garten mit feuerroten und dunkelblauen Bäumen; die Früchte strahlten wie Gold und die Blumen wie brennendes Feuer, indem sie fortwährend Stengel und Blätter bewegten. Die Erde selbst war der feinste Sand, aber blau wie die Schwefelflamme. Über dem Ganzen dort unten lag ein eigentümlich blauer Schein, man hätte eher glauben mögen, daß man hoch in der Luft stände und nur Himmel über und unter sich habe, als daß man auf dem Grunde des Meeres sei. Während der Windstille konnte man die Sonne erblicken, sie erschien wie eine Purpurblume, aus deren Kelch alles Licht ausströmte.
Eine jede der Keinen Prinzessinnen hatte ihren kleinen Fleck im Garten, wo sie graben und pflanzen konnte, wie es ihr gefiel. Die eine gab ihrem Blumenfleck die Gestalt eines Walfisches, einer anderen gefiel besser, daß der ihrige einem kleinen Meerweibe gleiche, aber die jüngste machte den ihrigen ganz rund, der Sonne gleich, und hatte nur Blumen, die rot wie diese schienen. Sie war ein sonderbares Kind, still und nachdenkend, und wenn die anderen Schwestern mit den sonderbarsten Sachen, welche sie von gestrandeten Schiffen erhalten hatten, Staat machten, wollte sie nur außer den rosenroten Blumen, die der Sonne dort oben glichen, eine hübsche Marmorstatue haben; es war ein herrlicher Knabe, aus weißem Stein gehauen, der beim Stranden auf den Meeresgrund gekommen war. Sie pflanzte bei der Statue eine rosenrote Trauerweide, die wuchs herrlich und hing mit ihren frischen Zweigen über dieselbe hinweg, gegen den blauen Sandboden hinunter, wo der Schatten sich violett zeigte und gleich den Zweigen in Bewegung war; es sah aus, als ob die Spitze und die Wurzeln miteinander spielten, als wollten sie sich küssen.
Es gab keine größere Freude sie, als von der Menschenwelt dort oben zu hören; die alte Großmutter mußte alles, was sie von Schiffen und Städten, Menschen und Tieren wußte, erzählen, und hauptsächlich erschien ihr ganz besonders schön, daß oben auf der Erde die Blumen dufteten, das taten sie auf dem Grunde des Meeres nicht, und daß die Wälder grün wären, und daß die Fische, die man dort zwischen den Bäumen erblickte, so laut und herrlich singen könnten, daß es eine Lust sei; das waren die kleinen Vögel, welche die Großmutter
Fische nannte, denn sonst konnten die Kinder sie nicht verstehen, da sie noch keinen Vogel erblickt hatten."Wenn ihr euer fünfzehntes Jahr erreicht habt," sagte die Großmutter, "dann sollt ihr die Erlaubnis erhalten, aus dem Meere emporzutauchen, im Mondenscheine auf der Sippe zu sitzen und die großen Schiffe, die vorbeisegeln, zu sehen, Wälder und Städte werdet ihr dann erblicken!" In dem kommenden Jahre war die eine der Schwestern fünfzehn Jahre, aber von den anderen, da war eine immer ein Jahr jünger als die andere, die jüngste von ihnen hatte demnach noch volle fünf Jahre, bevor sie aus dem Grunde des Meeres hinaufkommen und sehen konnte, wie es bei uns aussah. Aber die eine versprach den anderen zu erzählen, was sie erblickt, sie am ersten Tage am schönsten gefunden habe; denn ihre Großmutter erzählte ihnen nicht genug, da war so vieles, worüber sie Auskunft haben wollten.
Keine war so sehnsüchtig als die Jüngste, die noch die längste Zeit zu warten hatte, und die so still und gedankenvoll war. Manche Nacht stand sie am offenen Fenster und sah durch das dunkelblaue Wasser empor, wie die Fische mit ihren Flossen und Schwänzen schlugen. Mond und Sterne konnte sie sehen, freilich schienen sie ganz bleich, aber durch das Wasser sahen sie weit größer aus als vor unseren Augen. Zog dann etwas einer schwarzen Wolke gleich unter ihnen hin, so wußte sie, daß es entweder ein Walfisch; der über ihr schwamm, oder auch ein Schiff mit vielen Menschen war; die dachten sicher nicht daran, daß eine liebliche kleine Seejungfer unten stehe und ihre weißen Hände gegen den Kiel emporsteckte.
Nun war die älteste Prinzessin fünfzehn Jahre alt und durfte über die Meeresfläche emporsteigen.
Als sie zurückkehrte, hatte sie hunderterlei zu erzählen, aber das Schönste, sagte sie, war, im Mondenscheine auf einer Sandbank in der ruhigen See zu liegen und nahebei die Küste mit der großen stadt zu betrachten, wo die Lichter gleich hundert Sternen blinkten, die Musik und den Lärm und das Toben von Wagen und Menschen zu hören, die vielen Kirchtürme und Spitzen zu sehen und das Läuten der Glocken zu hören; gerade weil sie nicht dahinauf gelangen konnte, so sehnte sich die Jüngste am allermeisten nach all diesem.
Oh, wie horchte die jüngste Schwester auf, und wenn sie später des Abends am offenen Fenster stand und durch das dunkelblaue Wasser emporblickte, gedachte sie der großen Stadt mit all dem Lärm und dem Toben, und dann glaubte sie die Kirchenglocken zu sich herunter läuten hören zu können.
Im folgenden Jahre erhielt die zweite Schwester die Erlaubnis, durch das Wasser emporzusteigen und zu schwimmen, wohin sie wolle. Sie tauchte auf, gerade als die Sonne unterging, und dieser Anblick, fand sie, war das Schönste. Der ganze Himmel hätte wie Gold ausgesehn, sagte sie, und die Wolken, ja
deren Schönheit konnte sie gar nicht genug beschreiben! Rot und violett waren sie über ihr dahingesegelt, aber weit schneller als diese flog einem langen weißen Schleier gleich ein Schwarm wilder Schwäne über das Wasser hin, wo die Sonne stand; sie schwammen derselben entgegen, aber die Sonne sank, und der Rosenschein erlosch auf der Meeresfläche und den Wolken.Das Jahr darauf kam die dritte Schwester hinauf; sie war die dreisieste allen, deshalb schwamm sie einen breiten Fluß aufwärts, der in das Meer ausmündete. Herrlich grüne Hügel mit Weinranken erblickte sie, Schlösser und Gehöfte schimmerten durch prächtige Wälder hervor; sie hörte, wie alle Vögel sangen, und die Sonne schien so warm, daß sie oft unter das Wasser tauchen mußte, um ihr brennendes Antlitz abzukühlen. In einer Keinen Bucht traf sie einen ganzen Schwarm Keiner Menschenkinder, ganz nackend liefen sie und plätscherten im Wasser; sie wollte mit ihnen spielen, aber sie tiefen erschrocken davon, und es kam ein Seines schwarzes Tier, das war ein Hund, aber sie hatte nie einen Hund gesehen, der bellte sie so schrecklich an, daß ihr bange wurde und sie die offene See zu erreichten suchte. Aber nie konnte sie die prächtigen Wälder, die grünen Hügel und die niedlichen Kinder vergessen, die im Wasser schwimmen konnten, obgleich sie keinen Fischschwanz hatten.
Die vierte Schwester war nicht so kühn, sie blieb draußen mitten im wilden Meere, und sie erzählte, daß es gerade dort am schönsten sei; man sähe ringsumher viele Meilen weit, und der Himmel stände wie eine Glasglocke darüber. Schiffe hatte sie gesehen, aber nur in weiter Ferne, sie sahen wie Strandmöwen aus, und die possierlichen Delphine hatten Kobolz geschossen und die großen Walfische aus ihren Nasenlöchern Wasser emporgespritzt, so daß es ausgesehen hatte wie Hunderte von Springbrunnen ringsumher.
Nun kam die Reihe an die fünfte Schwester; ihr Geburtstag fiel gerade in den Winter, und deshalb sah sie, was die anderen das erstemal nicht sehen hatten. Die See nahm sich ganz grün aus, und ringsumher schwammen große Eisberge, ein jeder sah aus wie eine Perle, sagte sie, und war doch weit größer als die Kirchtürme, welche die Menschen bauen. Sie zeigten sich in den sonderbarsten Gestalten und glänzten wie Diamanten. Sie hatte sich auf einen der allergrößten gesetzt, und alle Segler kreuzten erschrocken draußen herum, wo sie saß und den Wind mit ihrem langen Haare spielen ließ; aber gegen Abend wurde der Himmel mit Wolken überzogen, es blitzte und donnerte, während die schwarze See die großen Eisblöcke hoch emporhob und sie beim roten Blitze erglänzen ließ. Auf allen Schiffen nahm man die Segel ein, da war eine Angst und ein Grauen, aber sie saß ruhig auf ihrem schwimmendm Eisberge und sah die blauen Blitzstrahlen im Zickzack in die schimmernde See fahren.
Das erstemal, wenn eine der Schwestern über das Wasser emporkam, war
eine jede entzückt über das Neue und Schöne, was sie erblickte; aber da sie als erwachsene Mädchen die Erlaubnis hatten, hinaufzusteigen, wann sie wollten, wurde es ihnen gleichgültig. Sie sehnten sich wieder zurück, und nach Verlauf eines Monates sagten sie, daß es da unten bei ihnen am allerschönsten sei, und da wäre man so hübsch zu Hause.In mancher Abendlande nahmen sich die fünf Schwestern einander in die Arme und stiegen in einer Reihe über das Wasser auf; herrliche Stimmen hatten sie, schöner denn irgendein Mensch, und wenn dann ein Sturm im Anzuge war, so daß sie vermuten konnten, daß Schiffe untergehen würden, schwammen sie vor den Schiffen her und sangen so lieblich, wie schön es auf dem Grunde des Meeres sei, und baten die Seeleute, sich nicht zu fürchten, dahinunter zu kommen; aber diese konnten die Worte nicht verstehen und glaubten, es sei der Sturm, und sie bekamen auch die Herrlichkeiten dort unten nicht zu sehen, denn wenn das Schiff sank, ertranken die Menschen und kamen als Leichen zu des Meerkönigs Schloß.
Wenn die Schwestern so des Abends Arm in Arm hoch durch das Wasser hinaufstiegen, dann stand die Keine Schwester ganz allein und sah ihnen nach, und es war ihr, als ob sie weinen müßte, aber die Seejungfrau hat keine Tränen, und darum leidet sie weit mehr.
"Ach, wäre ich doch fünfzehn Jahre alt!" sagte sie. "Ich weiß, daß ich die Welt dort oben und die Menschen, die darauf wohnen und hausen, recht lieben werde."
Endlich war sie denn fünfzehn Jahre alt.
"Sieh, nun bist du erwachsen!" sagte die Großmutter; die alte Königinwitwe. "Komm nun, laß mich dich schmücken, gleich deinen anderen Schwestern!" und sie setzte einen Kranz weißer Lilien auf das Haar, aber jedes Blatt in der Blume war die Hälfte einer Perle; und die Alte ließ acht große Austern sich im Schwanze der Prinzessin fesklemmen, um ihren hohen Rang zu zeigen.
"Das tut so weh!" sagte die Keine Seejungfrau.
"Ja, Hoffart muß Zwang leiden!" sagte die Alte.
Oh, sie hätte so gern alle diese Pracht abschütteln und den schweren Kranz ablegen mögen, ihre roten Blumen im Garten kleideten sie besser, aber sie konnte es nun nicht ändern. "Lebt wohl!" sprach sie und stieg so leicht und klar gleich einer Blase durch das Wasser auf.
Die Sonne war gerade untergegangen, als sie den Kopf über das Wasser erhob, aber alle Wolken glänzten noch wie Rosen und Gold, und inmitten der blaßroten Luft strahlte der Abendstern so hell und schön, die Luft war mild und frisch und das Meer ganz ruhig. Dalag ein großes Schiff mit drei Masten, nur ein einziges Segel war aufgezogen, denn es rührte sich kein Lüftchen,
und ringsumher im Tauwerk und auf den Stangen saßen Matrosen. Da Musik und Gesang, und wie der Abend dunkler jard, wurden Hunderte von bunten Laternen angezündet; sie sahen aus, als ob aller Völker Flaggen in der Luft wehten. Die kleine Seejungfrau schwamm gerade bis zum Kajütenfenster hin, und jedesmal, wenn das Wasser sie emporhob, konnte sie durch die spiegelklaren Fensterscheiben hineinblicken, wo so viele geputzte Menschen standen; aber der schönste war doch der junge Prinz mit den großen schwarzen Augen. Er war sicher nicht mehr als sechzehn Jahre alt, heute war sein Geburtstag, und deshalb herrschte all diese Pracht. Die Matrosen tanzten auf dem Verdeck; und als der junge Prinz da hinaustrat, stiegen über hundert Raketen in die Luft die leuchteten wie der helle Tag, so daß die kleine Seejungfrau sehr erschrak und unter das Wasser tauchte, aber bald steckte sie den Kopf wieder hervor, und da war gerade, als ob alle Sterne des Himmels zu ihr herunterfielen. Nie hatte sie solche Feuerkünste gesehen. Große Sonnen sprühten herum, prächtige Feuerfische flogen in die blaue Luft, und alles glänzte in der klaren, stillen See wider. Auf dem Schiffe selbst war es so hell, daß man jedes kleine Tau, wieviel mehr nicht die Menschen sehen konnte. Oh, wie war der junge Prinz hübsch, und er drückte den Leuten die Hände und lächelte, während die Musik in der herrlichen Nacht erklang!Es wurde spät aber die kleine Seejungfer konnte ihre Augen nicht von dem Schiffe und dem schönen Prinzen wegwenden. Die bunten Laternen wurden ausgelöscht, Raketen stiegen nicht mehr in die Höhe, es ertönten auch keine Kanonenschüsse mehr, aber tief unten im Meere summte und brummte es. Inzwischen saß sie auf dem Wasser und schaukelte auf und nieder so daß sie in die Kajüte hineinblicken konnte; aber das Schiff bekam mehr Wind, ein Segel nach dem anderen breitete sich aus, nun gingen die Wogen stärker, große Wolken zogen auf, es blitzte in der Ferne. Oh, wird ein schrecklich böses Wetter werden! Deshalb nahmen die Matrosen die Segel ein. Das große Schiff schaukelte in fliegender Fahrt auf der wilden See, das Wasser erhob sich gleich großen schwarzen Bergen, die sich über die Maste wälzen wollten, aber Schiff tauchte einem Schwamme gleich zwischen den hohen Wogen nieder und ließ sich wieder auf die aufgetürmten Wasser heben. Der kleinen Seejungfrau bedünkte es eine recht lustige Fahrt zu sein, aber so erschien es den Seeleuten nicht. Das Schiff knackte und krachte, die dicken Planken bogen sich bei den starken Stößen, die See drang in das Schiff hinein, der Mast brach mitten durch, als ob er ein Rohr wäre, und das Schiff legte sich auf die Seite, während das Wasser in den Raum eindrang. Nun sah die Seine Seejungfrau, daß sie in Gefahr waren, sie mußte sich selbst vor Balken und Stücken vom Schiffe, die auf dem Wasser trieben, in acht nehmen. Einen Augenblick war es so pechdunkel, daß sie nicht mindeste wahrnehmen konnte, aber wenn es dann
blitzte, wurde es wieder so hell, daß sie alle auf dem Schiffe erkennen konnte; besonders suchte sie den jungen Prinzen, und sie sah ihn, als das Schiff verschwand in das tiefe Meer versinken. Zuerst wurde sie ganz vergnügt, denn nun kam er zu ihr hinunter, aber da gedachte sie, daß die Menschen nicht im Wasser leben können, und daß er nicht anders als tot zum Schlosse ihres Vaters hinuntergelangen konnte. Nein, sterben, das durfte er nicht; deshalb schwamm sie hin zwischen Balken und Planken, die auf der See trieben, und vergaß völlig, daß diese sie hätten zerquetschen können; sie tauchte tief unter in das Wasser und stieg wieder hoch zwischen den Wogen empor und gelangte am Ende so zu dem jungen Prinzen hin, der fast nicht länger in der stürmenden See schwimmen Sonnte; seine Arme und Beine begannen zu ermatten, die schönen Augen schlossenAm Morgen war das böse Wetter vorüber; von dem Schiffe war kein zu erblicken, die Sonne stieg rot und glänzend aus dem Wasser empor, es war, als ob des Prinzen Wangen Leben dadurch erhielten, aber die Augen blieben geschlossen. Die Seejungfrau küßte seine schöne Stirn und strich sein nasses Haar zurück; es kam ihr vor, als gleiche er der Marmorstatue unten in ihrem kleinen Garten, sie küßte ihn wieder und wünschte, daß er doch leben möchte.
Nun erblickte sie vor sich das feste Land, hohe blaue Berge, auf deren Gipfel der weiße Schnee erglänzte, als wären es Schwäne, die dort läsen; unten an der Küste waren herrliche grüne Wawer, und vorn lag eine Kirche oder ein Kloster, das wußte sie nicht recht, aber ein Gebäude war es. Zitronen- und Apfelsinenbäume wuchsen da im Garten, und vor dem Tore standen hohe
Palmenbäume. Die See bildete hier eine kleine Bucht, da war es ganz still, aber sehr tief, gerade bis zur Sippe hin, wo der weiße feine Sand aufgespült war; dorthin schwamm sie mit dem schönen Prinzen, legte ihn in den Sand, sorgte aber besonders dafür, daß der Kopf hoch im warmen Sonnenschein lag.Nun läuteten die Glocken in dem großen weißen Gebäude, und es kamen viele junge Mädchen durch den Garten. Da schwamm die kleine Seejungfrau weiter hinaus, hinter einige hohe Steine, die aus dem Wasser emporragten, legte Seestern auf ihr Haar und ihre Brust so daß niemand ihr kleines Antlitz sehen konnte, und dann paßte sie auf, wer zu dem armen Prinzen kommen würde.
Es währte nicht lange, bis ein junges Mädchen dorthin kam; sie schien zu erschrecken, aber nur einen Augenblick, dann holte sie mehrere Menschen, und die Seejungfrau sah, daß der Prinz zum Leben zurückkehrte, und daß er alle ringsherum anlächelte, aber zu ihr hinaus lächelte er nicht, er wußte ja auch nicht, daß sie ihn gerettet hatte. Sie fühlte sich so betrübt, und als er in das große Gebäude hineingeführt wurde, tauchte sie traurig unter das Wasser und kehrte zum Schlosse ihres Vaters zurück.
Immer war sie still und nachdenkend gewesen, aber nun wurde sie es weit mehr. Die Schwestern fragten sie, was sie das erstemal da oben gesehen hätte, aber sie erzählte nichts.
Manchen Abend und manchen Morgen stieg sie da hinauf, wo sie den Prinzen verlassen hatte. Sie sah, wie die Früchte des Gartens reiften und abgepflückt wurden, sie sah, wie der Schnee auf den hohen Bergen schmolz, aber den Prinzen erblickte sie nicht, und deshalb kehrte sie immer betrübter heim. Da war es ihr einziger Trost, in ihrem kleinen Garten zu sitzen und ihre Arme um die schöne Marmorstatue zu schlingen, die dem Prinzen glich, aber ihre Blumen pflegte sie nicht, die wuchsen wie in einer Wildnis über die Gänge hinaus und flochten ihre langen Stiele und Blätter in die Zweige der Bäume hinein, so daß es dort ganz dunkel war.
Zuletzt konnte sie es nicht länger aushalten, sondern sagte es einer ihrer Schwestern, und da bekamen es gleich alle anderen zu wissen, aber auch niemand sonst als diese und ein paar andere Seejungfrauen, die es nicht weitersagten, außer ihren nächsten Freundinnen. Eine von ihnen wußte, wer der Prinz war, sie hatte auch das Fest auf dem Schiffe gesehen und gab an, woher er war; und wo sein Königreich lag.
"Komm, Keine Schwester!" sagten die anderen Prinzessinnen, und Arm in Arm stiegen sie in einer langen Reihe aus dem Meere empor, da, wo sie wußten, daß des Prinzen Schloß lag.
Dieses war aus einer hellgelben glänzenden Steinart aufgeführt, mit großen Marmortreppen, deren eine gerade in das Meer hinunterreichte. Prächtige vergoldete Kuppeln erhoben sich über dem Dache, und zwischen den Säulen, die
um das ganze Gebäude herumliefen, standen Marmorbilder, die sahen aus, als lebten sie. Durch das klare Glas in den hohen Fenstern blickte man in die prächtigsten Säle hinein, wo köstliche Seidengardinen und Teppiche aufgehängt und alle Wände mit großen Gemälden geziert waren, so daß es ein wahres Vergnügen war, das alles zu betrachten. Mitten in dem größten Saale plätscherte ein großer Springbrunnen, seine Strahlen reichten hoch hinauf gegen die Glaskuppel in der Decke, durch weis die Sonne auf das Wasser und die schönen Pflanzen schien, die in dem großen Becken wuchsen.Nun wußte sie, wo er wohnte, und dort war sie manchen Abend und manche Nacht auf dem Wasser; sie schwamm dem Lande weit näher, als eine der anderen es gewagt hatte, ja sie ging den schmalen Kanal ganz hinauf, unter den prächtigen Marmoraltan, welcher einen langen Schatten über das Wasser hinwarf. Hier saß sie und betrachtete den jungen Prinzen, der da glaubte, er sei ganz allein in dem klaren Mondenschein.
Sie sah ihn manchen Abend mit Musik in seinem prächtigen Boote, wo die Flaggen wehten, segeln; sie lauschte durch das grüne Schilf hervor, und ergriff der Wind ihren langen silberweißen Schleier, und jemand sah ihn, so glaubte er; es sei ein Schwan, der die Flügel ausbreite.
Sie hörte in mancher Nacht, wenn die Fischer mit Fackeln auf der See waren, daß sie viel Gutes von dem jungen Prinzen erzählten, und freute sie, daß sie sein Leben gerettet hatte, als er halbtot auf den Wogen umhertrieb, und sie dachte daran, wie fest sein Haupt an ihren Busen geruht und wie herzlich sie ihn da geküßt hatte; er wußte gar nichts davon, konnte nicht einmal von ihr träumen.
Mehr und mehr fing sie die Menschen an zu lieben, mehr und mehr wünschte sie unter ihnen umherwandeln zu können, deren Welt ihr weit größer zu sein schien als die ihrige; sie konnten ja auf Schiffen über das Meer fliegen, auf den hohen Bergen hoch über die Wolken emporsteigen, und die Länder, die sie besaßen, erstreckten sich mit Wäldern und Feldern weiter, als ihre Blicke reichten. Da war so vieles, was sie zu wissen wünschte, aber die Schwestern wußten ihr nicht alles zu beantworten, deshalb fragte sie die alte Großmutter, und diese kannte die höhere Welt recht gut, die sie sehr richtig die Länder über dem Meere nannte.
"Wenn die Menschen nicht ertrinken," fragte die kleine Seejungfrau, "können sie dann ewig leben, sterben sie nicht, wie wir hier unten im Meere?"
Ja!" sagte die Alte, "sie müssen auch sterben, und ihre Lebenszeit ist sogar noch kürzer als die unsere. Wir können dreihundert Jahre alt werden, aber wenn wir dann aufhören zu sein, so werden wir nur in Schaum auf dem Wasser verwandelt und haben nicht einmal ein Grab hier unten unter unseren Lieber Wir haben keine unsterbliche Seele, wir erhalten nie wieder Leben, wir sind gleich
dem grünen Schilf; ist das einmal durchschnitten, so kann es nicht wieder grünen. Die Menschen hingegen haben eine Seele, die ewig lebt, lebt, nachdem der Körper zu Erde geworden ist; sie steigt durch die klare Luft empor, hinauf zu allen den glänzenden Sternen! So wie wir aus dem Wasser auftauchen und die Länder der Menschen erblicken, so steigen sie zu unbekannten herrlichen Orten auf; die wir nie zu sehen bekommen."Weshalb bekommen wir keine unsterbliche Seele?" fragte die kleine Seejungfrau betrübt. "Ich möchte alle meine Hunderte von Jahren, die ich zu leben habe, dafür geben, um nur einen Tag ein Mensch zu sein und dann Anteil an der himmlischen Welt zu haben."
"Daran mußt du nicht denken!" sagte die Alte. "Wir fühlen uns weit glücklicher und besser als die Menschen dort oben!"
"Ich werde also sterben und als Schaum auf dem Meere treiben, nicht die Musik der Wogen hören, die schönen Blumen und die rote Sonne sehen? Kann ich denn gar nichts tun, um eine unsterbliche Seele zu gewinnen?"
"Nein!" sagte die Alte, "nur wenn ein Mensch dich so lieben würde, daß du ihm mehr alg Vater und Mutter wärest; wenn erinit all seinem Denken und all seiner Liebe an dir hinge und den Prediger seine rechte Hand in die deinige, mit dem Versprechen der Treue hier und in alle Ewigkeit, legen ließe, dann flösse seine Seele in deinen Körper über, und auch du erhieltest Anteil an der Glückseligkeit der Menschen. Er gäbe dir Seele und behielte doch seine eigene. Aber das kann nie geschehen! Was hier im Meere gerade schön ist, dein Fischschwanz, den finden sie dort auf der Erde häßlich, sie verstehen es eben nicht besser; man muß dort zwei plumpe Stützen haben, die sie Beine nennen, um schön zu sein!"
Da seufzte die kleine Seejungfrau und sah betrübt auf ihren Fischschwanz. "Laß uns froh sein!" sagte die Alte. "Hüpfen und springen wollen wir in den dreihundert Jahren, die wir zu leben haben. Das ist wahrlich lange Zeit genug, später kann man sich um so besser ausruhen. Heute abend werden wir Hofball haben!"
Das war auch eine Pracht, wie man sie nie auf Erden erblickt. Die Wände und die Decke des großen Tanzsaales waren von dickem, aber klarem Glase. Mehrere hundert ungeheure Muschelschalen, rosenrote und grasgrüne, standen zu jeder Seite in Reihen mit einem blau brennenden Feuer, welches den ganzen Saal beleuchtete und durch die Wände hinausschien, so daß die See draußen ganz beleuchtet war; man konnte alle die unzähligen Fische sehen, große und kleine, die gegen die Glasmauern hinschwimmen; auf einigen glänzten die Schuppen purpurrot, auf anderen erschienen sie wie Silber und Gold. Mitten durch den Saal floß ein breiter Strom, und auf diesem tanzten die Meermänner und Meerweibchen zu ihrem eigenen lieblichen Gesang. So schöne Stimmen haben die
Menschen auf der Erde nicht. Die kleine Seejungfrau sang am schönsten von ihnen allen, und sie wurde deshalb beklatscht, und einen Augenblick fühlte sie eine Freude in ihrem Herzen, denn sie wußte, daß sie die schönste Stimme von allen auf der Erde und im Meere hätte. Aber bald gedachte sie wieder der Welt oben über sich; sie konnte den hübschen Prinzen und ihren Kummer, daß sie keine unsterbliche Seele wie er besitze, nicht vergessen. Deshalb schlich sie sich aus ihres Vaters Schloß hinaus, und während alles drinnen Gesang und Frohsinn war, saß sie betrübt in ihrem Keinen Garten. Da hörte sie das Waldhorn durch das Wasser ertönen, und sie dachte: "Nun segelt er sicher dort oben, er, von dem ich mehr halte als von Vater und Mutter, er, an dem meine Sinne hängen und in dessen Hand ich meines Lebens Glück legen möchte. Alles will ich wagen, um ihn und eine unsterbliche Seele zu gewinnen! Während meine Schwestern dort in meines Vaters Schloß tanzen, will ich zur Meerhexe gehen, vor der ich immer so bange gewesen bin, aber sie kann mir vielleicht raten und helfen!"Nun ging die kleine Seejungfrau aus ihrem Garten hinaus nach den brausenden Strudeln hin, hinter denen die Hexe wohnte. Den Weg hatte sie früher nie zurückgelegt; da wuchsen keine Blumen, kein Seegras, nur der nackte, graue Sandboden erstreckte sich gegen die Strudel hin, wo das Wasser gleich brausenden Mühlrädern herumwirbelte und alles, was es erfaßte, mit sich in die Tiefe riß. Mitten zwischen diesen zermalmenden Wirbeln mußte sie hindurch, um in den Bereich der Meerhexe zu gelangen, und hier ein langes Stück kein anderer Weg als über warmen sprudelnden Schlamm, den die Hexe ihr Torfmoor nannte. Dahinter lag ihr Haus mitten in einem seltsamen Walde. Alle Bäume und Büsche waren Polypen, halb Tier, halb Pflanze, sie sahen aus wie hundertköpfige Schlangen, die aus der Erde hervorwuchsen; alle Zweige waren lange schleimige Arme, mit Fingern wie geschmeidige Würmer, und Glied um Glied bewegten sie sich, von der Wurzel bis zur äußersten Spitze. Alles, was sie im Meere erfassen konnten, umschlangen sie fest und ließen es nie wieder fahren. Die kleine Seejungfrau blieb ganz erschrocken stehen; ihr Herz pochte vor Furcht, fast wäre sie ganz umgekehrt, aber da dachte sie an den Prinzen und an die Seele der Menschen, und da bekam sie Mut. Ihr langes fliegendes Haar band sie fest um das Haupt, damit die Polypen sie nicht daran ergreifen möchten, beide Hände legte sie über ihre Brust zusammen, und so schoß sie davon, wie der Fisch durch das Wasser schießen kann, zwischen den häßlichen Polypen hindurch, die ihre geschmeidigen Arme und Finger hinter ihr herstreckten. Sie sah, wie jeder von ihnen etwas, was er ergriffen hatte, mit Hunderten von kleinen Armen, gleich starken Eisenbanden, hielt. Menschen, die auf der See umgekommen und tief hinuntergesunken waren, sahen als weiße Gerippe aus den Armen der Polypen hervor. Schiffsruder und Kisten hielten sie fest, Skelette von Land
tieren und ein kleines Meerweib, daß sie gefangen und erstickt hatten, das ihr fast das Schrecklichste.Nun kam sie zu einem großen sumpfigen Platz im Walde, wo große, fme Wasserschlangen sich wälzten und ihren häßlichen weißgelben Bauch zeigten. Mitten auf dem Platze war ein Haus, von weißen Knochen gestrandeter Menschen errichtet, dasaß die Meerhexe und ließ eine Kröte aus ihrem Munde fressen, gerade wir die Menschen einem Keinen Kanarienvogel Zucker zu essen geben. Die häßlichen fetten Wasserschlangen nannte sie ihre kleinen Küchlein und ließ sie sich auf ihrer großen schwammigen Brust wälzen.
"Ich weiß schon, du willst!" sagte die Meerhexe; "es ist zwar dumm von dir, doch du sollst deinen Willen haben, denn er wird dich ino Unglück stürzen, meine schöne Prinzessin. Du willst gern deinen Fischschwanz los sein und statt dessen zwei Stützen wie die Menschen zum Gehen haben, damit der junge Prinz verliebt in dich werden möge und du ihn und eine unsterbliche Seele erhalten kannst!" Dabei lachte die Hexe laut und widerlich, so daß die Kröte und die Schlangen auf die Erde fielen, wo sie sich wälzten. "Du kommst gerade zur rechten Zeit," sagte die Hexe, "morgen, wenn die Sonne aufgeht; könnte ich dir nicht helfen, bis wieder ein Jahr um wäre. Ich werde dir einen Trank bereiten, mit dem mußt du, bevor die Sonne aufgeht, nach dem Lande schwimmen, dich dort an das Ufer setzen und ihn trinken, dann verschwindet dein Schweif und schrumpft zu dem, was die Menschen niedliche Beine nennen, ein; aber das tut wehe, es ist, als ob ein scharfes Schwert dich durchdränge. Alle, die dich sehen, werden sagen, du seiest das schönste Menschenkind, das sie gesehen haben! Du behältst deinen schwebenden Gang, keine Tänzerin kann schweben wie du, aber bei jedem Schritt, den du machst ist es dir, als ob du auf scharfe Messer tratest, als ob dein Blut fließen müßte. Willst du alles dies leiden, so werde ich dir helfen!"
"Ja!" sagte die Keine Seejungfrau mit bebender Stimme, und sie gedachte des Prinzen und der unsterblichen Seele.
"Aber bedenke," sagte die Hexe, "hast du erst menschliche Gestalt b kommen, so kannst du nie wieder eine Seejungfrau werden! Du kannst nie durch das Wasser zu deinen Schwestern und zu dem Schlosse deines Vaters zurückkehren, und gewinnst du des Prinzen Liebe nicht, so daß er für dich Vater und Mutter vergißt, an dir mit Leib und Seele hängt und den Priester eure Hände ineinander legen läßt, daß ihr Mann und Frau werdet, so bekommst du keine unsterbliche Seele! Am ersten Morgen, nachdem er mit einer andern verheiratet ist, da wird dein Herz brechen, und du wirst zu Schaum auf dem Wasser."
"Ich will es!" sagte die kleine Seejungfrau und ward bleich wie der Tod.
"Aber mich mußt du auch bezahlen!" sagte die Hexe, "und es ist nicht wenig, was ich verlange. Du hast die schönste Stimme von allen hier auf dem Grunde
des Meeres, damit glaubst du wohl, ihn bezaubern zu können, aber diese Stimme mußt du mir geben. Das Beste, was du besitzest, will ich für meinen köstlichen Trank haben! Mein eigen Blut muß ich dir ja darin geben, damit der Trank scharf werde wie ein zweischneidig Schwert!""Aber wenn du meine Stimme nimmst," sagte die Keine Seejungfrau, "was bleibt mir dann übrig?"
"Deine schöne Gestalt," sagte die Hexe, "dein schwebender Gang und deine sprechenden Augen, damit kannst du schon ein Menschenherz betören. Nun, hast du den Mut verloren? Strecke deine Keine Zunge hervor, dann schneide ich sie an Zahlungs Statt ab, und du erhält den kräftigen Trank!"
"Es geschehe!" sagte die Keine Seejungfrau, und die Hexe setzte ihren Kessel auf, um den Zaubertrank zu kochen. "Reinlichkeit ist eine gute Sache!" sagte sie und scheuerte den Kessel mit den Schlangen ab, die sie in einen Knoten band; nun ritzte sie sich selbst in die Brust und ließ ihr schwarzes Blut dahinein tröpfeln; der Dampf bildete die sonderbarsten Gestalten, so daß einem angst und bange werden mußte. Jeden Augenblick warf die Hexe neue Sachen in den Kessel, und als es recht kochte, war es, als ob ein Krokodil weinte. Zuletzt war der Trank fertig, er sah wie das Karste Wasser aus.
"Da hast du ihn!" sagte die Hexe und schnitt der Keinen Seejungfrau die Zunge ab, die nun stumm war, der singen noch sprechen konnte.
"Sollten die Polypen dich ergreifen, wenn du durch meinen Wald zurückkehrst," sagte die Hexe, "so wirf nur einen einzigen Tropfen dieses Getränkes auf sie, davon zerspringen ihre Arme und Finger in tausend Stücke!" Aber das brauchte die kleine Seejungfrau nicht zu tun, die Polypen zogen sich erschrocken vor ihr zurück, als sie den glänzenden Trank erblickten, der in ihrer Hand leuchtete, als sei es ein funkelnder Stern. So kam sie schnell durch den Wald, das Moor und die brausenden Strudel.
Sie konnte ihres Vaters Schloß sehen; die Fackeln waren in dem großen Tanzsaal erloschen; sie schliefen sicher alle darinnen, aber sie wagte doch nicht, sie aufzusuchen, nun, da sie stumm war und sie auf immer verlassen wollte. Es war, alg ob ihr Herz vor Trauer zerspringen sollte. Sie schlich in den Garten, nahm eine Blume von jedem Blumenbeet ihrer Schwestern, warf Tausende von Kußfingern dem Schlosse zu und stieg durch die dunkelblaue See hinauf.
Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als sie des Prinzen Schloß erblickte und die prächtige Marmortreppe hinanstieg. Der Mond schien herrlich klar. Die kleine Seejungfrau trank den brennenden scharfen Trank, und es war, als ginge ein zweischneidiges Schwert durch ihren feinen Körper, sie fiel dabei in Ohnmacht und lag wie tot da. Als die Sonne über die See schien, erwachte sie und fühlte einen schneidenden Schmerz, aber gerade vor ihr stand der schöne junge Prinz und heftete seine kohlschwarzen Augen auf sie, so daß sie die ihrigen
niederschlug. Da nahm sie wahr, daß ihr Fischschwanz fort war, und daß sie die niedlichsten weißen Beine hatte, die nur ein kleines Mädchen haben kann; aber sie war ganz nackt, deshalb hüllte sie sich in ihr großes, langes Haar ein. Der Prinz Sagte, wer sie sei, und wie sie dahin gekommen wäre, und sie sah ihn milde und doch so betrübt mit ihren dunkelblauen Augen an, sprechen konnte sie ja nicht. Da nahm er sie bei der Hand und führte sie ins Schloß hinein. BeiKöstliche Kleider von Seide und Musselin bekam sie nun anzuziehen, im Schlosse war sie die Schönste von allen, aber sie war stumm, konnte weder singen noch sprechen. Herrliche Sklavinnen, in Seide und Gold gekleidet, kamen hervor und sangen vor dem Prinzen und seinen königlichen Eltern; eine sang schöner als alle die anderen, und der Prinz naschte in die Hände und lächelte sie an, da wurde die Keine Seejungfrau betrübt, sie wußte, daß sie selbst weit schöner gesungen hatte! "Oh," dachte sie, "er sollte nur wissen, daß ich, um bei ihm zu sein, meine Stimme für alle Ewigkeit dahingegeben babel"
Nun tanzten die Sklavinnen niedlich schwebende Tänze zur herrlichsten Musik; da erhob die Keine Seejungfrau ihre schönen weißen Arme, richtete sich auf die Zehenspitzen auf und schwebte tanzend über den Fußboden hin, wie noch
keine getanzt hatte; bei jeder Bewegung wurde ihre Schönheit noch sichtbarer; und ihre Augen sprachen tiefer zum Herzen als der Gesang der Sklavinnen.Alle waren entzückt davon, besonders der Prinz, der sie sein kleines Findelkind nannte, und sie tanzte fort und fort, obwohl es jedesmal, wenn ihr Fuß die Erde berührte, war, als ob sie auf scharfe Messer trete. Der Prinz sagte, daß sie immer bei ihm sein solle, und sie erhielt die Erlaubnis, vor seiner Tür auf einem Sammetkissen zu schlafen.
Er ließ ihre eine Männertracht machen, damit sie ihn zu Pferde begleiten könne. Sie ritten durch die duftenden Walde:, wo die grünen Zweige ihre Schultern berührten und die kleinen Vögel hinter den frischen Blättern sangen. Sie kletterte mit dem Prinzen auf die hohen Berge hinauf, und obgleich ihre zarten Füße bluteten, so daß die andern es sehen konnten, lachte sie doch darüber und folgte ihm, bis sie die Wolken unter sich segeln sahen, als wäre es ein Schwarm Vögel, die nach fremden Ländern zögen.
Zu Hause in des Prinzen Schloß, wenn nachts die andern schliefen, ging sie auf die breite Marmortreppe hinaus, und es kühlte ihre Füße, im kalten Seewasser zu stehen, und dann gedachte sie derer dort unten in der Tiefe.
Eines Nachts kamen ihre Schwestern Arm in Arm, sie sangen so traurig, indem sie über dem Wasser schwammen, und sie winkte ihnen, und sie erkannten sie und erzählten, wie sie sie allesamt betrübt habe. Darauf besuchten die Schwestern sie in jeder Nacht, und einst erblickte sie, weit hinaus, auch ihre alte Großmutter, die in vielen Jahren nicht über der Meeresfläche gewesen war, und den Seekönig mit seiner Krone auf dem Haupte; sie streckten die Hände gegen sie guo, wagten sich aber dem Lande nicht so nahe als die Schwestern.
Tag für Tag wurde sie dem Prinzen lieber, er hatte sie so lieb, wie man ein gutes, liebes Kind lieb hat, aber sie zu seiner Königin zu machen, kam ihm nicht in den Sinn, und seine Frau mußte sie doch werden, sonst bekam sie keine unsterbliche Seele und mußte an seinem Hochzeitsmorgen zu Schaum auf dem Meere werden.
"Liebst du mich nicht am meisten von ihnen allen?" schienen der kleinen Seejungfrau Augen zu sagen, wenn er sie in seine Arme nahm und ihre schöne Stirne küßte.
"Ja, du bist mir die liebste," sagte der Prinz, "denn du hast das beste Herz von allen, du bist mir am meisten ergeben, und du gleichst einem jungen Mädchen das ich einmal sah, aber sicher nie wiederfinde. Ich war auf einem Schiffe, welches strandete, die Wellen warfen mich bei einem heiligen Tempel an das Land, wo mehrere junge Mädchen den Dienst verrichteten; die jüngste dort fand mich am Ufer und rettete mein Leben; ich sah sie nur zweimal; sie wäre die einzige, die ich in dieser Welt lieben könnte, aber du gleichst ihr, du verdrängst fast ihr Bild aus meiner Seele, sie gehört dem heiligen Tempel an, und deshalb
hat mein gutes Glück dich mir gesendet, nie wollen wir uns trennen!" "Ach, er weiß nicht, daß ich sein Leben gerettet babel" dachte die kleine Seejungfrau. "Ich trug ihn über das Meer zu dem Walde hin, wo der Tempel steht, ich saß hinter dem Schaume und sah, ob keine Menschen kommen würden. Ich sah das hübsche Mädchen, das er mehr liebt als mich!" und die Seejungfrau seufzte tief, weinen konnte sie nicht. "Das Mädeln gehört dem heiligen Tempel an, hat er gesagt, sie kommt nie in die Welt hinaus, sie begegnen sich nicht mehr, ich bin bei ihm, sehe ihn jeden Tag, ich will ihn pflegen, lieben, ihm mein Leben opfern."Aber nun solle der Prinz sich verheiraten und des Nachbarkönigs schöne Tochter haben, erzählte man, deshalb rüste er ein so prächtiges Schiff aus. Der Prinz reise, um des Nachbarkönigs Länder zu besichtigen, heiße es wohl, aber es geschehe, um des Nachbarkönigs Tochter zu sehen, und großes Gefolge solle ihn begleiten. Aber die kleine Seejungfrau schüttelte das Haupt und lächelte; sie kannte des Prinzen Gedanken weit besser als alle die anderen. "Ich muß reifem" hatte er zu ihr gesagt. "Ich muß die schöne Prinzessin sehen, meine Eltern verlangen es aber sie wollen mich nicht zwingen, sie als meine Braut heimzuführen. Ich kann sie nicht lieben, sie gleicht nicht dem schönen Mädchen im Tempel, der du ähnlich siehst; sollte ich einst eine Braut wählen, so würdest du es eher sein, mein stummes Findelkind mit den sprechenden Augen!" Und er küßte ihren roten Mund, spielte mit ihren langen Haaren und legte sein Haupt an ihr Herz, so daß dieses von Menschenglück und einer unsterblichen Seele träumte.
"Du fürchtest doch das Wasser nicht, mein stummes Kind?" sagte er, als sie auf dem prächtigen Schiffe standen, welches ihn nach den Ländern des Nachbarkönigs führen sollte; und er erzählte ihr vom Sturm und von der Windstille, von seltsamen Fischen in der Tiefe, und was die Taucher dort gesehen hatten, und sie lächelte bei seiner Erzählung, sie wußte ja besser als sonst jemand auf dem Grunde des Meeres Bescheid.
In der mondhellen Nacht, wenn sie alle bis auf den Steuermann, der am Ruder stand, schliefen, saß sie an dem Bord des Schiffes und starrte durch das klare Wasser hinunter, und sie glaubte ihres Vaters Schloß zu erblicken; hoch auf demselben stand die alte Großmutter mit der Silberkrone auf dem haupte und starrte durch die reißenden Ströme gegen des Schiffes Kiel empor. Da kamen ihre Schwestern über das Wasser hervor und starrten sie traurig an und rangen ihre weißen Hände; sie winkte ihnen zu, lächelte und wollte erzählen, daß es ihr gut ginge und sie glücklich sei, aber der Schiffsjunge näherte sich ihr, und die Schwestern tauchten unter, so daß er glaubte, das Weiße, was er gesehen hatte, sei nur Schaum auf der See gewesen.
Am nächsten Morgen segelte das Schiff in den Hafen von des Nachbarkönigs
prächtiger Stadt. Alle Kirchenglocken läuteten, und von den hohen Türmen wurden die Posaunen geblasen, während die Soldaten mit fliegenden Fahnen und blitzenden Bajonetten in Reih und Glied dastanden. Jeder Tag führte ein neues Fest mit sich. Ball und Gesellschaften folgten einander, aber die Prinzessin war noch nicht da, sie werde weit davon entfernt in einem heiligen Tempel erzogen zogen, sagten sie, dort lerne sie alle königlichen Tugenden. Endlich traf sie ein.Die kleine Seejungfrau war begierig, ihre Schönheit zu sehen, und sie mußte anerkennen, daß sie eine lieblichere Erscheinung noch nicht gesehen hatte. Die Haut war so fein und klar, und hinter den langen dunklen Augenwimpern lächelten ein Paar schwarzblaue, treue Augen.
"Du bist es," sagte der Prinz, "du, die mich gerettet hat, als ich einer Leiche gleich an der Küste lag!" Und erdrückte seine errötende Braut in seine Arme. "O ich bin allzu glücklich!" sagte er zur Keinen Seejungfrau. "Das Beste, was ich je hoffen durfte, ist mir in Erfüllung gegangen. Du wirst dich über mein Glück freuen, denn du meinst es am besten mit mir von ihnen allen!" Und die kleine Seejungfrau küßte seine Hand, und kam ihr schon vor, als fühle sie ihr Herz brechen. Sein Hochzeitsmorgen würde ihr ja den Tod geben und sie in Schaum auf dem Meere verwandeln.
Alle Kirchenglocken läuteten, die Herolde ritten in den Straßen umher und verkündeten die Verlobung. Auf allen Altären brannte duftendes Öl in köstlichen Silberlampen. Die Priester schwangen die Räucherfässer; und Braut und Bräutigam reichten einander die Hand und erhielten den Segen des Bischofs. Die kleine Seejungfrau stand in Gold und Seide und hielt die Schleppe der Braut, aber ihre Ohren hörten die festliche Musik nicht, ihr Auge sah die heilige Handlung nicht, sie gedachte ihrer Todesnacht und alles dessen, was sie in dieser Welt verloren hatte.
Noch desselben Abends gingen die Braut und der Bräutigam an Bord des Schiffes; die Kanonen donnerten, alle Flaggen wehten, und mitten auf dem Schiffe war ein köstliches Zelt von Gold und Purpur und mit den schönsten Kissen errichtet, da sollte das Brautpaar in der stillen, kühlen Nacht schlafen.
Die Segel schwollen im Winde, und das Schiff glitt leicht und ohne große Bewegung über die klare See dahin.
Als es dunkelte, wurden bunte Lampen angezündet, und die Seeleute tanzten lustige Tänze auf dem Verdecke. Die kleine Seejungfrau mußte ihres ersten Auftauchens ans dem Meere gedenken, als sie dieselbe Pracht und Freude erblickt hatte, und sie drehte sich mit im Tanze, schwebte, wie die Schwalbe schwebt, wenn sie verfolgt wird, und alle jubelten ihr Bewunderung zu, nie hatte sie so herrlich getanzt; es schnitt wie scharfe Messer in die zarten Füße, aber sie fühlte es nicht; es schnitt ihr noch schmerzlicher durch das Herz. Sie wußte, es sei der letzte Abend, an dem sie ihn erblickte, für den sie ihre Verwandten und ihre Heimat
verlassen, ihre schöne Stimme dahingeben und täglich unendliche Qualen ertragen hatte, ohne daß er eine Ahnung davon hatte. Es war die letzte Nacht, daß sie dieselbe Luft mit ihm einatmete, das tiefe Meer und den sternklaren Himmel erblickte, eine ewige Nacht ohne Gedanken und Traum harrte ihrer, die keine Seele hatte, keine Seele gewinnen konnte. Alles war Freude und Heiterkeit auf dem Schiffe bis weit über Mitternacht hinaus, sie lachte und tanzte mit Todesgedanken im Herzen. Der Prinz küßte seine schöne Braut, und sie spielte mit seinen schwarzen Haaren, und Arm in Arm gingen sie zur Ruhe in das prächtige Zelt.Es wurde tot und stille auf dem Schiffe, nur der Steuermann stand am Ruder; die kleine Seejungfrau legte ihre weißen Arme auf den Schiffsrand und blickte gegen Osten nach der Morgenröte, der erste Sonnenstrahl, wußte sie, würde sie töten. Dasah sie ihre Schwestern der Flut entsteigen, sie waren bleich wie sie; ihre langen, schönen Haare wehten nicht mehr im Winde, sie waren geschnitten.
"Wir haben sie der Hexe gegeben, um dir Hilfe bringen zu können, damit du diese Nacht nicht sterben mußt. Sie hat uns ein Messer gegeben, hier ist es! Siehst du, wie scharf? Bevor die Sonne aufgeht, mußt du es in das Herz des Prinzen siechen, und wenn dann das warme Blut auf deine Füße spritzt, so wachsen diese in einen Fischschwanz zusammen, und du wirst wieder eine Seejungfrau, kannst zu uns herabsteigen und lebst deine dreihundert Jahre, bevor du toter, salziger Seeschaum wirst. Beeile diehl Er oder du, eins muß sterben, bevor die Sonne aufgeht! Unsere alte Großmutter trauert so, daß ihr weißes Haar ausgefallen ist, wie das unsrige von der Schere der Hexe. Töte den Prinzen und komme zurück! Beeile dich, siehst du den roten Streifen am Himmel? In wenigen Minuten steigt die Sonne auf, und dann mußt du sterben!" Und sie stießen einen tiefen Seufzer aus und versanken in die Wogen.
Die kleine Seejungfrau zog den Purpurteppich vom Zelte fort, und sie sah die schöne Braut mit ihrem Haupte an des Prinzen Brust ruhen, und sie bog sich nieder, küßte ihn auf seine schöne Stirne, blickte gen Himmel auf, wo die Morgenröte mehr und mehr leuchtete, betrachtete das scharfe Messer und heftete ihre Augen wieder auf den Prinzen, der im Traum seine Braut bei dem Namen nannte; nur sie war in seinen Gedanken, und das Messer zitterte in der Seejungfrau Hand — aber da warf sie es weit hinaus in die Wogen, die glänzten rot, und wo es hinfiel, sah es aus, als keimten Blutstropfen aus dem Wasser auf. Noch einmal sah sie mit halbgebrochene Blicke auf den Prinzen, stürzte sich vom Schiffe in das Meer hinab und fühlte, wie ihr Körper sich in Schaum auflöste.
Nun stieg die Sonne aus dem Meere auf, die Strahlen fielen so mild und warm auf den todkalten Meeresschaum, und die kleine Seejungfrau fühlte nichts
vom Tode; sie sah die klare Sonne, und oben über ihr schwebten Hunderte von durchsichtigen herrlichen Geschöpfen, sie konnte durch sie hindurch des Schiffes weiße Segel und des Himmels rote Wolken erblicken. Ihre Sprache war melodisch, aber so geistig, daß kein menschliches Ohr es vernehmen, ebenso wie kein menschlichen Auge sie erblicken konnte; ohne Schwingen schwebten sie vermittelst ihrer eigenen Leichtigkeit durch die Luft. Die Keine Seejungfrau sah, daß sie einen Körper hatte wie diese, der sich mehr und mehr aus dem Schaume erhob."Zu wem komme ich?" fragte sie, und ihre Stimme klang wie die der anderen Wesen, so geistig, daß keine irdische Musik sie wiederzugeben vermag.
"Zu den Töchtern der Luft!" erwiderten die anderen. "Die Seejungfrau hat keine unsterbliche Seele, kann sie nie erhalten, wenn sie nicht eines Menschen Liebe gewinnt; von einer fremden Macht hängt ihr ewiges Dasein ab. Die Töchter der Luft haben auch keine ewige Seele, aber sie können durch gute Handlungen sich selbst eine schaffen. Wir fliegen nach den warmen Ländern, wo die schwüle Pestluft den Menschen tötet; dort fächeln wir Kühlung. Wir breiten den Duft der Blumen durch die Luft aus und senden Erquickung und Heilung. Wenn wir dreihundert Jahre lang gestrebt haben, alles Gute, was wir vermögen, zu vollbringen, so erhalten wir eine unsterbliche Seele und nehmen teil am ewigen Glücke der Menschen. Du arme kleine Seejungfrau hast mit ganzem Harzen nach demselben, wie wir, gestrebt, du hast gelitten und geduldet, dich zur Luftgeisterwelt erhoben, nun kannst du dir selbst durch gute Werke nach drei Jahrhunderten eine unsterbliche Seele schaffen."
Und die kleine Seejungfrau erhob ihre verklärten Arme gegen Gottes Sonne, und zum ersten Male fühlte sie Tränen in ihren Augen.
Auf dem Schiffe aber war wieder Lärm und Leben, sie sah den Prinzen mit seiner schönen Braut nach ihr suchen, wehmütig starrten sie den perlenden Schaum an, als ob sie wüßten, daß sie sich in die Fluten gestürzt habe. Unsichtbar küßte sie die Stirne der Braut, lächelte ihn an und stieg mit den übrigen Kindern der Luft auf die rosenrote Wolke hinauf, welche den Äther durchschiffte.
"Nach dreihundert Jahren schweben wir so in das Reich Gottes hinein!"
"Auch können wir noch früher dahingelangen!" flüstern eine Tochter der Luft. "Unsichtbar schweben wir in die Häuser der Menschen hinein, wo da .Kinder sind, und für jeden Tag, an dem wir ein gutes Kind finden, welches seinen Eltern Freude bereitet und deren Liebe verdient, verkürzt Gott unsere Prüfungszeit Das Kind weiß nicht, wann wir durch die Stube fliegen, und müssen wir aus Freude über das Kind lächeln, so wird ein Jahr von den dreihundert abgerechnet, aber sehen wir ein unartiges, böses Kind, so müssen wir Tränen der Trauer vergießen, und jede Träne legt unserer Prüfungszeit einen Tag zu!"
Am nächsten Tage kam der kleine Knabe, dem das Spielzeug gehörte; er bemalte den Kreisel rot und gelb und schlug einen Messingnagel mitten hinein; dies sah gerade recht prächtig aus, wenn der Kreisel sich herumdrehte.
"Sehen Sie mich am" sagte er zum Ball. "Was sagen Sie nun? Wollen wir nun nicht Brautleute sein, wir passen so gut zueinander. Sie springen und ich tanze! Glücklicher als wir beide würde niemand werden können."
"So, glauben Sie dass" sagte der Ball. "Sie wissen wohl nicht, daß mein Vater und meine Mutter Saffianpantoffeln gewesen sind, und daß ich einen Kork im Leibe hadel"
"Ja, aber ich bin von Mahagoniholz," sagte der Kreisel, "und der Stadtrichter hat mich selbst gedrechselt; er hat seine eigene Drechselbank, und es hat ihm viel Vergnügen gemacht.
"Kann ich mich darauf verlassen?" fragte der Ball.
"Möge ich niemals Peitsche bekommen, wenn ich lüge", erwiderte der Kreises
"Sie wissen gut für sich zu sprechen," sagte der Ball, "aber ich kann doch nicht, ich bin mit einer Schwalbe so gut wie versprochen! Jedesmal, wenn ich in die Luft fliege, steckt sie den Kopf zum Neste heraus und fragt: ,Wollen Sie?
und nun habe ich innerlich ja gesagt, und das ist so gut wie eine halbe Verlobung. Aber ich verspreche Ihnen, Sie nie zu vergessen!""Ja, das wird viel helfen!" sagte der Kreisel, und so sprachen sie nicht mehr miteinander.
Am nächsten Tage wurde der Ball von dem Knaben vorgenommen. Der Kreisel sah, wie er hoch in die Luft flog, gleich einem Vogel, zuletzt konnte man ihn gar nicht mehr erblicken; jedesmal kam er wieder zurück, machte aber immer einen hohen Sprung, wenn er die Erde berührte, und das geschah entweder aus Sehnsucht, oder weil er einen Kork im Leibe hatte. Das neuntemal aber blieb der Ball fort und kam nicht mehr wieder, und der Knabe suchte und suchte, aber weg war er.
"Ich weiß wohl, wo er ist", seufzte der Kreisel; "er ist im Schwalbennest und hat sich mit der Schwalbe verheiratet!"
Je mehr der Kreisel daran dachte, um so mehr wurde er für den Ball eingenommen; gerade weil er ihn nicht bekommen konnte, darum nahm die Liebe zu; daß er einen andern genommen hatte, war das Eigentümliche dabei; und der Kreisel tanzte herum und schnurrte, dachte aber immer an den Ball, welcher in seinen Gedanken immer schöner und schöner wurde. So verstrich manches Jahr — und da war es eine alte Liebel
Und der Kreisel war nicht mehr jung —! Aber da wurde er eines Tages ganz und gar vergoldet, nie hatte er so schön ausgesehen; er war nun ein Goldkreisel und sprang, daß es schnurrte. Ja, das war doch noch etwas; aber auf einmal sprang er zu hoch und — weg war er!
Man suchte und suchte, selbst unten im Keller, doch er war nicht zu finden. — Wo war er?
Er war in den Müllkasten gesprungen, wo da allerlei, Kohlstrünke, Müll und Schutt, lag, welches von der Dachrinne heruntergefallen war.
"Nun liege ich freilich gut! Hier wird die Vergoldung von mir verschwinden; ach, unter welchen Unrat bin ich hier geraten!" Dann schielte er nach einem langen Kohlstrunk, welcher allzu kurz abgestreift war, und nach einem sonderbaren runden Ding, welches wie ein alter Apfel aussah; aber es war kein Apfel, es war ein alter Ball, welcher viele Jahre in der Dachrinne gelegen und den das Wasser durchdrungen hatte.
"Gott sei Dank, da kommt doch einer unsersgleichen, mit dem man sprechen kannt" sagte der Ball und betrachtete den vergoldeten Kreisel. "Ich bin eigentlich von Saffian, von Jungfrauenhänden genäht und habe einen Kork im Leibe, aber das wird mir wohl niemand Ansehen! Ich war nahe daran, mich mit einer Schwalbe zu verheiraten, aber da fiel ich in die Dachrinne, und dort habe ich wohl fünf Jahre gelegen und bin ausgequollen! Glauben Sie mir, daß ist eine lange Zeit für ein junges Mädchen!"
Aber der Kreisel sagte nichts, er dachte an sein altes Liebchen, und je mehr er hörte, desto klarer wurde es ihm, daß sie es war.
Da kam das Dienstmädchen und wollte den Kasten umwenden. "Heisa, da ist der Goldkreisel!" sagte sie.
Und der Kreisel kam wieder zu seinem großen Ansehen und zu Ehre, aber von dem Balle hörte man nichts, und der Kreisel sprach nie mehr von seiner alten Liebe; die vergeht, wenn die Geliebte fünf Jahre lang in einer Wasserrinne gelegen hat und ausgequollen ist, ja man erkennt sie nicht wieder, wenn man ihr im Müllkasten begegnet.
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Die ganze Woche hindurch mußte der kleine Klaus für den großen Klaus pflügen und ihm sein einziges Pferd leihen; dann half der große Klaus ihm wieder mit allen seinen vieren, aber nur einmal wöchentlich, und das war des Sonntags. Hussa, wie klatschte der kleine Klaus mit seiner Peitsche über alle fünf Pferde! Sie waren ja nun so gut wie sein an dem einen Tage. Die Sonne schien so herrlich, und alle Glocken im Kirchturme läuteten zur Kirche, die Leute waren alle so geputzt und gingen mit dem Gesangbuche unter dem Arme, den Prediger zu hören, und sie sahen den kleinen Klaus, der mit fünf Pferden pflügte, und er war so vergnügt, daß er wieder mit der Peitsche klatschte und rief: "Hü, alle meine Pferde!"
"So mußt du nicht sprechen," sagte der große Klaus, "das eine Pferd ist nur dein!"
Aber als wieder jemand vorbeiging, vergaß der kleine Klaus, daß er es nicht sagen sollte, und da rief er: "Hü, alle meine Pferde!"
"Ja, nun ersuche ich dich, es bleiben zu lassen!" sagte der große Klaus; "denn sagst du es noch einmal, so schlage ich dein Pferd vor den Kopf, daß es auf der Stelle tot ist, dann ist es mit ihm aus!"
"Ich will es wahrlich nicht mehr sagen!" sagte der kleine Klaus, aber als da Leute vorbeikamen und ihm guten Tag zunickten, wurde er so erfreut und
dachte, es sähe doch recht gut aus, daß er fünf Pferde habe, sein Feld zu pflügen, und da klatschte er mit der Peitsche und rief: "Hü, alle meine Pferde!""Ich werde deine Pferde hüen!" sagte der große Klaus und nahm den Spannstrickhammer und schlug des kleinen Klaus einziges Pferd vor den Kopf, so daß es umfiel und tot war.
"Ach, nun habe ich gar kein Pferd mehrt" sagte der kleine Klaus und fing an zu weinen. Später zog er dem Pferde die haut ab und ließ sie gut im Winde trocknen, steckte sie dann in einen Sack, den er auf der Schulter trug, und machte sich nach der Stadt auf den Weg, um seine Pferdehaut zu verkaufen.
Er hatte einen sehr weiten Weg zu gehen, mußte durch einen großen dunklen Wald, und nun wurde es gewaltig schlechtes Wetter; er verirrte sich gänzlich und ehe er wieder auf den rechten Weg kam, war es Abend und allzuweit; um zur Stadt oder wieder nach Hause zu gelangen, bevor es Nacht wurde.
Dicht am Wege lag da ein großer Bauernhof; die Fensterladen waren draußen vor den Fenstern geschlossen, aber das Licht konnte doch darüber hinaugscheiaen. "Da werde ich wohl Erlaubnis erhalten können, die Nacht über zu bleiben" dachte der kleine Klaus und ging hin, um anzuklopfen.
Die Bauersfrau machte auf; aber als sie hörte, was er wollte, sagte sie, er möge seiner Wege gehen, ihr Mann sei nicht zu Hause und sie nähme keine Fremden auf.
"Nun, so muß ich draußen liegenbleiben", sagte der kleine Klaus, und die Bauersfrau schlug ihm die Tür vor der Nase zu.
Dicht daneben stand ein großer Heuschober, und zwischen diesem und dem Hause war ein kleiner Schuppen mit einem flachen Strohdache gebaut.
"Da oben kann ich liegen!" sagte der kleine Klaus, als er das Dach erblickte; "das ist ja ein herrliches Bett. Der Storch fliegt wohl nicht herunter und beißt mich in die Beine." Denn da stand ein lebendiger Storch oben auf dem Dache; wo er sein Nest hatte.
Nun kroch der kleine Klaus oben auf den Schuppen hinauf, wo er lag und sich drehte, um recht gut zu liegen. Die hölzernen Laden vor den Fenstern schlossen oben nicht zu, und so konnte er gerade in die Stube hineinblicken.
Da war ein großer Tisch gedeckt mit Wein und Braten und ein herrlicher Fisch darauf, die Bauersfrau und der Küster saßen bei Tisch und sonst niemand anders, sie schenkte ihm ein, und er gabelte in den Fisch, denn das war sein Leibgericht.
"Wer doch etwas davon abbekommen könnte!" dachte der kleine Klaus und streckte den Kopf gerade gegen das Fenster. Gott, welchen herrlichen Kuchen sah er daim simmer stehen! Ja, das war ein Fest!
Nun hörte er jemand von der Landstraße her gegen das Haus geritten kommen; das war der Mann der Bauersfrau, der nach Hause kam.
Das war ein ganz guter Mann, aber er hatte die wunderliche Eigenheit; daß er es nie ertragen konnte, einen Küster zu sehen; kam ihm da ein Küster vor die Augen, so wurde er ganz rasend. Deshalb war es auch, daß der Küster zu seiner Frau hineingegangen war, um ihr guten Tag zu sagen, weil er wußte, daß der Mann nicht zu Hause sei, und die gute Frau setzte ihm deshalb all das herrliche Essen vor, das sie hatte. Als sie nun den Mann kommen hörten, erschraken sie sehr, und die Frau bat den Küster, in eine große leere Kiste hineinzukriechen, denn er wußte ja, daß der arme Mann es nicht ertragen konnte, einen Küster zu sehen. Die Frau versteckte geschwind all das herrliche Essen und den Wein in ihren Backofen, denn hätte der Mann das zu sehen bekommen, so hatte er sicher gefragt; was zu bedeuten habe.
"Ach ja!" seufzte der kleine Klaus oben auf seinem Schuppen, als er all das Essen verschwinden sah.
"Ist jemand dort oben?" fragte der Bauer und sah nach dem kleinen Klaus hinauf. "Weshalb liegst du dort? Komm lieber mit in die Stube!"
Nun erzählte der kleine Klaus, wie er sich verirrt habe, und bat, daß er die Nacht über bleiben dürfe.
"Ja freilich!" sagte der Bauer, "aber wir müßten zuerst etwas zu leben haben!"
Die Frau empfing beide sehr freundlich, deckte einen langen Tisch und gab ihnen eine große Schüssel voll Grütze. Der Bauer war hungrig und ass mit rechtem Appetit, aber der kleine Klaus konnte nicht unterlassen, an den herrlichen Braten, den Fisch und den Kuchen, welche er im Ofen wußte, zu denken.
Unter den Tisch zu seinen Fußen hatte er den Sack mit der Pferdehaut gelegt, denn wir wissen ja, daß er ihrethalben ausgegangen war, um sie in der Stadt zu verkaufen. Die Grütze wollte ihm nicht schmecken, und da trat er auf seinen sack, und die trockene Haut im Sacke knarrte ganz laut.
"St!" sagte der kleine Klaus zu seinem Sacke, trat aber zu gleicher Zeit wieder darauf: da knarrte es weit lauter als zuvor.
"Ei, was hast du in deinem Sacke?" fragte der Bauer darauf.
"Oh, es ist ein Zauberer!" sagte der kleine Klaus; "er sagt, wir sollten doch keine Grütze essen, er hat den ganzen Ofen voll von Braten, Fischen und Kuchen gehext."
"Ei der Tausend!" sagte der Bauer und machte schnell den Ofen auf, wo er all die prächtigen leckeren Speisen erblickte, welche d:e Frau dort verborgen hatte; die aber, wie er glaubte, der Zauberer im Sacke für sie hergehen habe. Die Frau durfte nichts sagen, sondern setzte sogleich die Speisen auf den Tisch, und so aßen beide vom Fisch, vom Braten und von dem Kuchen. Nun trat der kleine Klaus wieder auf seinen Sack, daß die Haut knarrte.
"Was sagt er jetzt?" fragte der Bauer.
"Er sagt," erwiderte der kleine Klaus, "daß er auch drei Flaschen Wein uns hergehert hat; sie stehen dort in der Ecke beim Ofen!" Nun mußte die Frau den Wein hervorholen, den sie verborgen hatte, und der Bauer trank und wurde lustig. Einen solchen sauberer, wie der kleine Klaus im Sacke hatte, hätte er doch gar zu gern gehabt.
"Kann er auch den Teufel hervorhexen?" fragte der Bauer. "Ich möchte wohl sehen, denn nun bin ich lustig!"
"Ja," sagte der kleine Klaus, "mein Zauberer kann alles, was ich verlange. Nicht wahr, du?" fragte er und trat auf den Sack, daß es knarrte. "Hörst du; er sagt ja! Aber der Teufel sieht so häßlich aus, wir wollen ihn lieber nicht sehent"
"O mir ist gar nicht bange; wie mag er wohl aussehens"
"Ja, er wird sich ganz leibhaftig als ein Küster zeul"
"Hu!" sagte der Bauer, "das ist häßlich! Ihr müßt wissen, ich kann nicht ertragen, einen Küster zu sehen! Ader es macht nichts, ich weiß ja, daß es der Teufel ist, so werde ich mich wohl leichter darein finden! Nun habe ich Mut! Aber er darf mir nicht zu nahe kommen!"
"Nun, ich werde meinen sauberer fragen", sagte der kleine Klaus, trat auf den sack und hielt sein Ohr hin.
"Was sagt er?"
"Er sagt, Ihr könnt hingehen und die Kiste aufmachen, die dort in der Ecke steht, so werdet Ihr den Teufel sehen, wie er darin kauert, aber Ihr müßt Deckel halten, daß er nicht entwischt."
"Wollt Ihr mir helfen, ihn zu halten?" bat der Bauer und ging zu der Kiste hin, wo die Frau den wirklichen Küster verborgen hatte, der darin saß und sich sehr fürchtete.
Der Bauer öffnete den Deckel ein wenig und sah unter ihn hinein. "Hui" schrie er und sprang zurück. "Ja, nun habe ich ihn gesehen, er sah ganz aus wie unser Küster! Nein, das war schrecklich!"
Darauf mußte getrunken werden, und so tranken sie denn noch bis lange in die Nacht hinein.
"Den Zauberer mußt du mir verkaufen", sagte der Bauer; "verlange dafür alles, was du willst! Ja, ich gebe dir gleich einen ganzen Scheffel Geld!"
"Nein, das kann ich nicht!" sagte der kleine Klaus. "Bedenke dach, wie vielen Nutzen ich von diesem sauberer haben kann!" "Ach, ich möchte ihn so gern haben", sagte der Bauer und fuhr fort zu bitten.
"Ja," sagte der kleine Klaus zuletzt, "da du so gut gewesen bist, mir diese Nacht Obdach zu gewähren, so mag es darum sein; du sollst den Zauberer für einen Scheffel Geld haben, aber ich will den Scheffel gehäuft voll haben."
"Das sollst du bekommen," sagte der Bauer; "aber die Kiste dort mußt du mit dir nehmen, ich will sie nicht eine Stunde im Hause behalten, man kann nicht wissen, vielleicht sitzt er noch darin."
Der kleine Klaus gab dem Bauer seinen Sack mit der trockenen .Sant darin und bekam einen ganzen Scheffel Geld, gehäuft gemessen, dafür. Der Bauer schenkte ihm sogar noch eine große Karre, um das Geld und die Kiste darauf fortzufahren.
"Lebe wohl!" sagte der Keine Klaus, und da fuhr er mit seinem Gelde und der großen Kiste, in der noch der Kuster s iss, davon.
Auf der anderen Seite des Waldes war ein großer, tiefer Fluß, das Wasser floß so reißend darin, daß man kaum gegen den Strom anschwimmen konnte; man hatte eine große neue Brücke darüber geschlagen. Der kleine Klaus hielt mitten auf derselben an und sagte ganz laut, damit der Küster in der Kiste es hören könne:
"Nein, was soll ich doch mit der dummen Kiste machen? Sie ist so schwer, als ob Steine darin wären! Ich werde nur müde davon, sie weiter zu fahren; ich will sie deshalb in den Fluß werfen; schwimmt sie zu mir nach Hause, so ist es gut, und tut sie es nicht, so bleibt es sich auch gleich."
Nun faßte er die Kiste mit der einen Hand an und hob sie ein wenig auf, gerade als ob er sie in das Wasser werfen wollte.
"Nein, laß das sein!" rief der Küster innerhalb der Kiste. "Laß mich erst heraus!"
"Hu!" sagte der kleine Klaus und tat, als fürchte er sich. "Er sitzt noch darin! Da muß ich ihn geschwind in den Fluß werfen, damit er ertrinkt!"
"O nein, o nein!" rief der Küster, "ich will dir einen ganzen Scheffel Geld geben, wenn du mich gehen läßt!"
"Ja, das ist etwas anderes!" sagte der kleine Klaus und machte die Kiste auf. Der Küster kroch schnell heraus, stieß die leere Kiste in das Wasser hinaus und ging nach seinem Hause, wo der kleine Klaus einen ganzen Scheffel Geld
bekam; einen hatte er ja schon von dem Bauer erhalten, nun hatte er also seine ganze Karre voller Geld."Sieh, das Pferd erhielt ich ganz gut bezahlt!" sagte er zu sich selbst, als er zu Hause in seiner eigenen Stube war und alles Geld auf einen Berg mitten in der Stube ausschüttete. "Das wird den großen Klaus ärgern, wenn er erfährt; wie reich ich durch mein einziges Pferd geworden bin, aber ich will es ihm doch nicht gerade rein heraus sagen!"
Nun sandte er einen Knaben zum großen Klaus hin, um sich ein Scheffelmaß zu leihen.
"Was mag er wohl damit wollen!" dachte der große Klaus und schmierte Teer unter den Boden desselben, damit von dem, was gemessen wurde, etwas daran hängen bleiben könnte. Das tat denn auch, denn als er das Scheffelmaß zurückerhielt, hingen drei neue silberne Achtschillingstücke daran.
"Was ist das?" sagte der große Klaus und lief sogleich zu dem kleinen. "Wo hast du all das viele Geld herbekommen?"
"Oh, das für meine Pferdehaut. Ich verkaufte sie gestern abend!"
"das war wahrlich gut bezahlt!" sagte der große Klaus, lief geschwind nach Hause, nahm eine Axt und schlug alle seine vier Pferde vor den Kopf, zog ihnen die Haut ab und fuhr mit diesen Häuten zur Stadt.
"Häute! Häute! Wer will Häute kaufen?" rief er durch die Straßen.
Alle Schuhmacher und Gerber kamen gelaufen und fragten, was er dafür haben wolle.
"Einen Scheffel Geld für jede", sagte der große Klaus.
"Bist du toll?" riefen alle, "glaubst du, wir hätten Geld scheffelweise?"
"Häute, .häute! Wer will Häute kaufen!" rief er wieder; aber allen denen, welche ihn fragten, was die Häute kosten sollten, erwiderte er: "Einen Scheffel Geld."
"Er will uns foppen", sagten alle, und da nahmen die Schuhmacher ihre Spannriemen und die Gerber ihre Schurzfelle und fingen an, auf den großen Klaus loszuprügeln.
"Häute, Häute!" riefen sie ihm nach, "ja, wir wollen d ;r die Haut gerben! Hinaus aus der Stadt mit ihm!" riefen sie, und der große Klaus mußte sich sputen, was er nur konnte, so war er noch nie durchgeprügelt worden.
"Sal" sagte er, als er nach Hause kam, "das soll der kleine Klaus bezahlt erhalten! Ich will ihn dafür totschlagen!"
Aber zu Hause beim kleinen Klaus war die alte Großmutter gestorben; sie war freilich recht böse und schlimm gegen ihn gewesen, aber er war doch ganz betrübt und nahm die tote Frau und legte sie in sein warmes Bett, um zu sehen, ob sie nicht zum Leben zurückkehren möchte; da sollte sie die ganze Nacht liegen,
Als er nun da in der Nacht saß, ging die Tür auf, und der große Klaus kam mit seiner Axt herein; er wußte wohl, wo des kleinen Klaus Bett stand, ging gerade darauf los und schlug nun die alte Großmutter vor den Kopf, indem er glaubte, dast es der kleine Klaus sei.
"Sieh so!" sagte er, "nun sollst du mich nicht mehr zum besten haben!" Und dann ging er wieder nach Hause.
"Das ist doch ein recht böser Mann!" sagte der kleine Klaus; "da wollte er mich totschlagen! Es war doch gut für die alte Mutter, daß sie schon tot war; sonst hätte er ihr das Leben genommen!"
Nun legte er der alten Großmutter Sonntagskleider an, lich sich von seinem Nachbar ein Pferd, spannte es vor den Wagen und setzte die alte Großmutter auf den hintersten Sitz, so daß sie nicht hinausfallen konnte, wenn er fuhr, und so rollten sie von dannen durch den Wald. als die Sonne aufging, waren sie vor einem großen Wirtshause, da hielt der kleine Klaus an und ging hinein, um etwas zu genießen.
Der Wirt hatte so vieles, vieles Geld, er war auch ein recht guter, aber hitziger Mann, als wären Pfeffer und Tabak in ihm.
"Guten Morgen!" sagte er zum kleinen Klaus. "Du bist heute früh ins Zeug gekommen!"
"Ja," sagte der kleine Klaus, "ich will mit meiner alten Großmutter zur Stadt; sie sitzt da draußen auf dem Wagen, ich kann sie nicht in die Stube hereinbringen. Wollt Ihr der Frau nicht ein Glas Met geben? Aber Ihr müßt recht lant sprechen, denn sie kann nicht gut hören."
"Ja, das will ich tun!" sagte der Wirt und schenkte ein großes Glas Met ein, mit der er zur toten Großmutter hinausging, welche in dem Wagen aufrecht gesetzt war.
Hier ist ein Glas Met von Eurem Sohne!" sagte der Wirt aber die tote Frau erwiderte kein Wort, sondern saß ganz stille.
"Hört Ihr nicht?" rief der Wirt, so laut er konnte. "Hier ist ein Glas Met von Eurem Sohne!"
Noch einmal rief er dasselbe, und dann noch einmal, aber da sie sich durchaus nicht von der Stelle rührte, wurde er ärgerlich und warf ihr das Glas in das Gesicht, so daß ihr der Met gerade über die Nase lief und sie hintenüber in den Wagen fiel, denn sie war nur aufgesetzt und nicht festgebunden.
"Heda! rief der kleine Klaus, sprang zur Tür heraus und packte den Wirt an der Brust, "da hast du meine Großmutter erschlagen! Siehst du, da ist ein großes Loch in ihrer Stirn!"
"Oh, das ist ein Unglück!" rief der Wirt und schlug die Hände über dem Kopf
zusammen; "das kommt alles von meiner Heftigkeit! Lieber kleiner Klang, ich will dir einen Scheffel Geld geben und deine Großmutter begraben lassen, als wäre es meine eigene, aber schweig nur still, sonst wird mir der Kopf abgeschlagen, und das wäre doch zu arg!"So bekam der kleine Klaus einen ganzen Scheffel Geld, und der Wirt begrub die alte Großmutter so, als ob es seine eigene gewesen wäre.
Als nun der kleine Klaus wieder mit dem vielen Gelde nach Hause kam, schickte er gleich seinen Knaben hinüber zum großen Klaus, um ihn bitten zu lassen, ihm ein Scheffelmaß zu leihen.
"Was ist das?" sagte der große Klaus, "ich habe ihn nicht totgeschlagen? Da muß ich doch selbst nachsehen!" Und so ging er selbst mit dem Scheffel hinüber zum kleinen Klaus.
"Nein, wo hast du doch all das Geld herbekommen?" fragte er und riß die Augen auf, als er alles das erblickte, was noch hinzugekommen war.
"Du hast meine Großmutter, aber nicht mich erschlagene" sagte der kleine Klaus. "Die habe ich nun verkauft und einen Scheffel Geld dafür bekommen!"
"Das ist wahrlich gut bezahlt!" sagte der große Klaus und eilte nach Hause, nahm eine Axt und schlug gleich seine alte Großmutter tot, legte sie auf den Wagen, fuhr mit ihr zur Stadt, wo der Apotheker wohnte, und fragte, ob er einen toten Menschen kaufen wolle.
"Wer ist es, und wo habt Ihr ihn her?" fragte der Apotheker;
"Es ist meine Großmutter!" sagte der große Klaus. "Ich habe sie totgeschlagen um einen Scheffel Geld dafür zu bekommen!"
"Gott bewahre uns!" sagte der Apotheker. "Ihr sprecht irre! Sagt doch nicht dergleichen, sonst könnt Ihr den Kopf verlieren!" Und nun sagte er ihm gehörig, was das für eine böse Tat sei, die er begangen habe, und was für ein schlechter Mensch er sei, und daß er bestraft werden müsse. Da erschrak der große Klaus so sehr, daß er von der Apotheke gerade in den Wagen sprang, auf die Pferde schlug und nach Hause fuhr; aber der Apotheker und alle Leute glaubten, er sei verrückt, und deshalb ließen sie ihn fahren, wohin er wollte.
"Das sollst du mir bezahlen!" sagte der große Klaus, als er draußen auf der Landstraße war. "Ja, das sollst du mir büßen, kleiner Klaus!" Sobald er nach Hause kam, nahm er den größten Sack, den er finden konnte, ging hinüber zum kleinen Klaus und sagte: "Nun hast du mich wieder gefoppt; erst schlug ich meine Pferde tot, dann meine alte Großmutter, das ist alles deine Schuld; aber du sollst mich nie mehr foppen!" und da packte er den Keinen Klaus um den Leib und steckte ihn in seinen Sack, nahm ihn so auf seinen Rücken und rief ihm zu: "Nun gehe ich und ertränke diehl"
Es war ein weiter Weg, den er zu gehen hatte, bevor er zu dem Fusse kam, und der kleine Klaus war nicht so leicht zu tragen Der Weg ging dicht bei der
Kirche vorbei, die Orgel ertönte, und die Leute sangen so schön darinnen! Da setzte dee große Klaus seinen Sack mit dem kleinen Klaus darin dicht bei der Kirchentüre nieder und dachte, es könne wohl ganz gut sein, hineinzugehen und einen Psalm zu hören, ehe er weiter ginge; der kleine Klaus konnte ja nicht herauskommen, und alle Leute waren in der Kirche. So ging er denn hinein."Ach Gott, ach Gottl" seufzte der kleine Klaus im Sacke und drehte und wandte sich, aber es war ihm nicht möglich, das Band aufzulösen. Da kam ein alter, alter Viehtreiber daher mit schneeweißem Haare und einem großen Stab in der Hand; er trieb eine ganze Herde Kühe und Stiere vor sich her, die liefen an den sack, in dem der kleine Klaus saß, so daß er umgeworfen wurde.
"Ach Gottl" seufzte der kleine Klaus, "ich bin noch so jung und soll schon ins Himmelreich!"
"Und ich Armer," sagte der Viehtreiber, "ich bin schon so alt und kann noch immer nicht dahin kommen!"
"Mache den sack auf," rief der kleine Klaus, "krieche statt meiner hinein, so kommst du sogleich ins Himmelreich!"
"Ja, das will ich herzlich gern", sagte der Viehtreiber und band den Sack auf, aus dem der kleine Klaus sogleich heraussprang.
"Willst du nun auf das Vieh achtgeben?" sagte der alte Mann und kroch dann in den Sack hinein, den der kleine Klaus zuband, und dann zog er mit allen Kühen und Stieren seines Weges weiter.
Bald darauf kam. der große Klaus aus der Kirche. Er nahm wieder seinen sack auf den Nücken, obgleich es ihm schien, als wäre er leichter geworden, denn der alte Viehtreiber war nicht mehr als nur halb so schwer als der kleine Klaus. "Wie leicht ist er doch zu tragen geworden! Ja, das kommt daher, daß ich einen Psalm gehört hadel" So ging er nach dem Flusse, der tief und groß war, warf den sack mit dem alten Viehtreiber ino Wasser und rief hinterdrein, denn er glaubte ja, daß es der kleine Klaus see "Sieh so; nun sollst du mich nicht mehr foppen!"
Drauf ging er nach Hause, aber als er an die Stelle kam, wo der Weg sich kreuzte, begegnete er dem kleinen Klaus, welcher mit all seinem Vieh dahergezogen kam.
"Was ist dass" sagte der große Klaus. "Habe ich dich nicht ertränkte"
"Ja," sagte der kleine Klaus, "du warfst mich ja vor einer kleinen halben Stunde in den Fluß hinunter!"
"Aber wo hast du all das herrliche Vieh herbekommen?" fragte der große Klaus.
"Das ist Seevieh!" sagte der Keine Klaus. "Ich will dir die ganze Geschichte erzählen und dir Dank sagen, daß du mich ertränkt hast, ich bin ja nun obenauf, denn ich bin wahrhaft reicht Mir war so bange, als ich im Sacke steckte,
und der Wind pfiff mir um die Ohren, als du mich von der Brücke hinunter in das kalte Wasser warfst. Ich sank sogleich zu Boden, aber ich stieß mich nicht, denn da unten wächst das schönste weiche Gras. Darauf fiel ich, und sogleich wurde der Sack geöffnet, und das lieblichste Mädchen in schneeweißen Kleidern und mit einem grünen Kranz um das nasse Haar nahm mich bei der Hand und sagte: ,Bist du da, kleiner Klaus? Da hast du zuerst einiges Vieh; eine Meile weiter auf dem Wege steht noch eine ganze Herde, die ich dir schenken willi Nun sah ich, daß der Fluß eine große Landstraße für das Meervolk bildete Unten auf dem Grunde gingen und fuhren sie gerade von der See her und ganz hinein in das Land, bis wo der Fluß endet. Da war es so schön von Blumen und dem frischesten Gras; die Fische, welche im Wasser schwammen, schossen mir an den Ohren vorüber, gerade so wie hier die Vögel in der Luft. Was gab es da für hübsche Leute, und was war da für Vieh, das an Gräben und Wällen weidete!""Aber weshalb bist du gleich wieder zu uns heraufgekommen?" fragte der große .Klaus. "Das hätte ich nicht getan, wenn so schön dort unten ist!"
"Ja," sagte der kleine Klaus, "das ist gerade klug von mir gehandelt. Du hörst ja wohl, daß ich dir erzähle: die Seejungfrau sagte mir, eine Meile weiter auf dem Wege — und mit dem Wege meinte sie ja den Fluß, denn sie kann nirgend anders hinkommen — stehe noch eine ganze Herde Vieh für mich. Aber ich weiß, was der Fluß für Krümmungen macht, bald hier, bald dort, das ist ein weiter Umweg. Nein, so macht man es kürzer ab, wenn man hier auf das Land kommt und treibt querüber wieder zum Flusse; dabei spare ich ja fast eine halbe Weile und komme schneller zu meinem Biehl"
"Oh, du bist ein glücklicher Mann!" sagte der große Klang. "Glaubst du, daß ich auch Seevieh erhielte, wenn ich auf den Grund des Flusses kämet"
"Ja, das denke ich wohl", sagte der kleine Klaus; "aber ich kann dich nicht im Sacke bis zum Flusse tragen, du bist mir zu schwer! Willst du selbst dahin gehen und dann in den sack kriechen, so werde ich dich mit dem größten Vergnügen hineinwerfen."
"Ich danke dir!" sagte der große Klaus. "Aber erhalte ich kein Seevieh, wenn ich hinunterkomme, so glaube mir, werde ich dich tüchtig prügeln!"
"O nein, mache es nur nicht so schlimm!" Und da gingen sie zum Flusse hin. Als das Vieh, welches durstig war, das Wasser erblickte, lief es, was es nur konnte, um hinunter zum Trinken zu gelangen
"Sieh, wie es sich sputet!" sagte der Keine Klaus. "Es verlangt darnach, wieder auf den Grund zu kommen!"
Ja, hilf mir nun erst!" sagte der große Klaus, "sonst bekommst du Prügel!" Und so kroch er in den großen sack, der quer über dem Rücken eines der Stiere gelegen hatte.
"Lege einen Stein hinein, ich fürchte, daß ich sonst nicht untersinke", sagte der große Klaus.
"Es geht schon!" sagte der Seine Klaus, legte aber doch einen großen Stein in den Sack, knüpfte das Band fest zu, und dann stieß er daran. Plumps! da lag der große Klaus in dem Flusse und sank sogleich hinunter auf den Grund.
"Ich fürchte, er wird das Vieh nicht finden!" sagte der Keine Klaus und trieb dann heim mit dem, was er hatte.
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In China, weißt du ja wohl, ist der Kaiser ein Chinese. und alle. die er um sich bat, sind Chinesen. Es ist nun viele Jahre her, aber gerade deshalb ist es wert, die Geschichte zu hören, ehe sie vergessen wird. Des Kaisers Schloß war das prächtigste der Welt, ganz und gar von feinem Porzellan, so kostbar, aber so spröde, so mißlich daran zu rühren, daß man sich ordentlich in acht nehmen mußte. Im Garten sah man die wunderlichsten Blumen, und an die allerprächtigsten waren Silberglocken gebunden, welche erklangen, damit man nicht vorbeigehen möchte, ohne die Blumen zu bemerken. Ja, alles war in des Kaisers Garten so fein ausgedacht, und er erstreckte sich so weit, daß der Gärtner selbst das Ende nicht kannte; ging man immer weiter, so kam man in den herrlichsten Wald mit hohen Bäumen und tiefen Seen. Der Wald ging gerade hinunter bis zum Meere, welches blau und tief war; große Schiffe konnten gerade unter den Zweigen hinsegeln, und in diesen wohnte eine Nachtigall, welche so herrlich sang, daß selbst der arme Fischer, der so viel anderes zu tun hatte, still hielt und horchte, wenn er des Nachts ausgefahren war, um das Fischnetz aufzuziehen, und dann die Nachtigall hörte. "Ach Gott, wie ist das schön!" sagte er, aber dann mußte er auf seine Sachen acht geben und vergaß den Vogel; doch wenn der in der nächsten Nacht wieder sang und der Fischer kam dorthin, sagte er wieder: "Ach Gott, wie ist das doch schön!"
Von allen Ländern der Welt kamen da Reisende nach der Stadt des Kaiserl und bewunderten diese, das Schloß und den Garten; doch wenn sie die Nachtigall zu hören bekamen, sagten sie alle: "Das ist doch das Beste!"
Die Reisenden erzählten davon, wenn sie nach Hause kamen; und die Gelehrten
schrieben viele Bücher über die Stadt, das Schloß und den Garten, aber die Nachtigall vergaßen sie nicht, sie wurde am höchsten gestellt; und die, welche dichten konnten, schrieben die herrlichsten Gedichte über die Nachtigall im Walde bei dem tiefen See.Die Bücher durchliefen die Welt, und einige kamen dann auch einmal zum Kaiser. Er saß in seinem goldenen Stuhle, las und las, jeden Augenblick nickte er mit dem Kopfe, denn freute ihn, die prächtigen Beschreibungen der Stadt; des Schlosses und des Gartens zu vernehmen. "Aber die Nachtigall ist doch das Allerbeste!" stand da geschrieben.
"Was ist das?" sagte der Kaiser. "Die Nachtigall kenne ich ja gar nicht! Ist ein solcher Vogel hier in meinem Kaiserreiche und sogar in meinem Garten? Das habe ich nie gehört! So etwas soll man erst aus Büchern erfahren?"
Da rief er seinen Haushofmeister. Der war so vornehm, daß, wenn jemand, der geringer als er war, mit ihm zu sprechen oder ihn um etwas zu fragen wagte, er weiter nichts erwiderte als "P!" — und das hat nichts zu bedeuten.
"Hier soll ja ein höchst merkwürdiger Vogel sein, welcher Nachtigall genannt wird!" sagte der Kaiser. "Man spricht, dies sei das Allerbeste in meinem großen Reichel Weshalb hat man mir nie etwas davon gesagt?"
"Ich habe ihn früher nie nennen hören!" sagte der Haushofmeister. "Ich werde ihn suchen, ich werde ihn finden!"
"Tsing-pel" sagte der Kavalier und lief wieder alle Treppen auf und nieder; durch Säle und Gänge, keiner von allen denen, auf die er traf; hatte von der Nachtigall sprechen hören, und der Haushofmeister lief wieder zum Kaiser und sagte, daß es sicher eine Fabel von denen sein müsse, die da Bücher schrieben. "Dero Kaiserliche Majestät können gar nicht glauben, was da alles geschrieben wirds Das sind Erdichtungen und etwas, was man die schwarze Kunst nennt!"
"Aber das Buch, in dem ich dieses gelesen habe", sagte der Kaiser, "ist mir von dem großmächtigen Kaiser von Japan gesandt worden, also kann es keine Unwahrheit sein. Ich will die Nachtigall hörens Sie muß heute abend hier sein! Sie meine höchste Gnade! Und kommt sie nicht, so soll der ganze Hof auf den Leib getrampelt werden, wenn er Abendbrot gegessen hat!"
"Tsing-pel" sagte der Kavalier und lief wieder alle Treppen auf und nieder; durch alle Säle und Gänge; und der halbe Hof lief mit, denn sie wollten nicht gern auf den Leib getrampelt werden. Da gab es ein Fragen nach der merkwürdigen Nachtigall, welche die ganze Welt kannte, nur niemand bei Hofe.
Endlich trafen sie ein kleines, armes Mädchen in der Küche. Sie sagte: "O Gott, die Nachtigall, die kenne ich gut, ja, wie kann die singen! Jeden Abend habe ich die Erlaubnis, meiner armen kranken Mutter einige Überbleibsel vom Tische mit nach Hause zu bringen; sie wohnt unten am Strande, und wenn ich dann zurückgehe, müde bin und im Walde ausruhe, dann höre ich die Nachtigall
singen; es kommt mir dabei das Wasser in die Augen, und es ist gerade, als ob meine Mutter mich küßte!""Kleine Köchin!" sagte der Haushofmeister, "ich werde dir eine feste Anstellung in der Küche und die Erlaubnis, den Kaiser speisen zu sehen, verschaffen; wenn du uns zur Nachtigall führen kannst, denn sie ist zu heute abend angesagt."
Und so zogen sie allesamt hinaus in den Wald, wo die Nachtigall zu singen pflegte; der halbe Hof war mit. Als sie im besten Zuge waren, fing eine Kuh zu brüllen an.
"Ohl" sagten die Hofjunker, "nun haben wir sie! Das ist doch eine merkwürdige Kraft in einem so kleinen Tiere! Die habe ich si her schon früh; gehört!"
"Nein, das sind Kühe, welche brüllen!" sagte die kleine Köchin. "Wir sind noch weit von dem Orte entfernt!"
Nun quakten die Frösche im Sumpfe. "Herrlich!" sagte der chinesische Schloßpropst. "Nun höre ich sie es klingt gerade wie kleine Kirchenglocken."
"Nein, das sind Frösche!" sagte die Keine Köchin. "Aber nun, denke ich, werden wir sie bald hören!"
Da begann die Nachtigall zu singen.
"Das ist sie", sagte das kleine Mädchen. "Hört! hört! Und da sitzt siel" Und dabei zeigte sie nach einem kleinen grauen Vogel oben in den Zweigen.
"Ist es möglich?" sagte der Kavallier. "So hätte ich sie mir nimmer gedacht! Wie einfach sie aussieht! Sie hat sicher ihre Farbe darüber verloren, daß sie so viele vornehme Menschen um sich erblickt!"
"Kleine Nachtigall," rief die kleine Köchin ganz laut "unser gnädigster Kaiser will so gern, daß Sie vor ihm singen möchten!"
"Mit dem größten Vergnügen!" sagte die Nachtigall und sang dann, daß es eine Lust war.
"Es ist gerade wie Glasglocken!" sagte der Haushofmeister; "Und seht die kleine Kehle, wie sie arbeitet! Es ist merkwürdig, daß wir sie früher nie gehört haben! Sie wird großes Aufsehen bei Hofe machen!"
"Soll ich noch einmal vor dem Kaiser singens" sagte die Nachtigall, welche glaubte, der Kaiser sei auch da.
"Meine vortreffliche kleine Nachtigall," sagte der Haushofmeister; "ich habe die große Freude, Sie zu einem Hoffeste heute abend einzuladen, wo Sie Dero hotze Kaiserliche Gnaden mit Ihrem scharmanten Gesange bezaubern werden!"
"Der nimmt sich am besten im Grünen aus!" sagte die Nachtigall, aber sie kam doch .gerne mit, als sie hörte, daß der Kaiser es wünschte.
Auf dem Schlosse war alles aufgeputzt. Die Wände und der Fußboden, welche von Porzellan waren, glänzten im Strahle vieler tausend goldener Lampen; die prächtigsten Blumen, welcker recht klingeln konnten, waren in den Gängen auf
gestellt; da war ein Laufen und ein Zugwind, aber alle Glocken klingelten so, daß man sein eigenes Wort nicht hören konnte.Mitten in dem großen Saal, wo der Kaiser saß, war ein goldener Stab hingestellt, und auf dem sollte die Nachtigall sitzen; der ganze Hof war da, und die kleine Köchin hatte die Erlaubnis erhalten, hinter der Tür zu stehen, da sie nun den Titel einer Wirklichen Hofköchin bekommen hatte. Alle waren sie in ihrem größten Staate, und alle sahen sie nach dem kleinen grauen Vogel, dem der Kaiser zunickte.
Und die Nachtigall sang so herrlich, daß dem Kaiser die Tränen in die Augen traten; die Tränen liefen ihm über die Wangen hernieder, und da sang die Nachtigall
"Ich habe Tränen in des Kaisers Augen gesehen, das ist mir der reichste Satz! Eines Kaisers Tränen haben eine besondere Kraft! Gott weiß es, ich bin genug belohnt!" Und darauf sang sie wieder mit ihrer süßen, herrlichen Stimme.
"Das ist die liebeswürdigste Stimme, die ich kennel" sagten die Damen ringsherum, und dann nahmen sie Wasser in den Mund, um zu klucken, wenn jemand mit ihnen spräche; sie glaubten, dann auch Nachtigallen zu sein. Ja, die Diener und Kammermädchen ließen melden, daß auch sie zufrieden seien, und das will viel sagen, denn sie sind am schwierigsten zu befriedigen. Ja, die Nachtigall machte wahrlich Glück.
Sie sollte nun bei Hofe bleiben, ihr eigenes Bauer samt der Freiheit haben, zweimal des Tages und einmal des Nachts herauszuspazierem Sie bekam zwölf Diener mit, welche ihr alle ein Seidenband um das Bein geschlungen hatten
woran sie sie recht fest hielten. Es war durchaus kein Vergnügen bei einem solchen Ausflug.Die ganze Stadt sprach von dem merkwürdigen Vogel, und begegneten sich zwei, so sagte der eine nichts anderes als "Nacht!" und der andere sagte: "Gall", und dann seufzten sie und verstanden einander; ja elf Hökerkinder wurden nach ihr benannt, aber nicht eine von ihnen hatte einen Ton in der Kehle.
Eines Tages erhielt der Kaiser ein großes Paket, auf dem geschrieben stand: Die Nachtigall."
"Da haben wir nun ein neues Buch über unsern berühmten Vogel", sagte der Kaiser; aber es war kein Buch, es war ein kleines Kunststück, welches in einer Schachtel lag, eine künstliche Nachtigall, die der lebenden gleichen sollte, aber überall mit Diamanten, Rubinen und Saphiren besetzt war. Sobald man den Kunstvogel aufzog, konnte er eins der Stücke; die der wirkliche sang, singen; und dann bewegte sich der Schweif auf und nieder und glänzte von Silber und Gold. Um den Hals hing ein kleines Band, und darauf stand geschrieben "Des Kaisers von Japan Nachtigall ist arm gegen die des Kaisers von China."
"Das ist herrlich!" sagten alle, und der, welcher den künstlichen Vogel gebracht hatte, erhielt sogleich den Titel Kaiserlicher Ober-Nachtigall-Bringer.
"Nun müssen sie zusammen singen, was wird das für ein Genuß werden!"
Und so mussten sie zusammen singen, aber wollte nicht recht gehen, denn die wirkliche Nachtigall sang auf ihre Weise, und der Kunstvogel ging auf Walzen.. "Der hat keine Schuld", sagte der Spielmeister; "der ist besonders taktfest und ganz nach meiner Schule." Nun sollte der Kunstvogel allein singen. Er machte ebensoviel Glück alg der wirkliche, und dann war er ja so viel niedlicher anzusehen; er glänzte wie Armbänder und Brustnadeln.
Dreiunddreißigmal sang er ein und dasselbe Stück und war doch nicht müde; die Leute hätten ihn gern wieder von vorn gehört, aber der Kaiser meinte, daß nun auch die lebendige Nachtigall etwas singen solle. Aber wo war die? Niemand hatte bemerkt, daß sie aus dem offenen Fenster fort zu ihren grünen Wäldern geflogen war.
"Aber was ist denn daz?: sagte der Kaiser; und alle Hofleute schalten und weinten, daß die Nachtigall ein höchst undankbares Tier sei. "Den besten Vogel haben wir doch!" sagten sie, und so mußte der Kunstvogel wieder singen, und das war das vierunddreißigste Mal, daß sie dasselbe Stück zu hören bekamen, aber sie konnten es noch nicht ganz auswendig, denn es war so schwer. Der Spielmeister lobte den Vogel so außerordentlich, ja er versicherte, daß er besser als die wirkliche Nachtigall sei, nicht nur was die Kleider und die vielen herrlichen Diamanten beträfe, sondern auch innerlich.
"Denn sehen Sie, meine Herrschaften, der Kaiser vor allen, bei der wirklichen Nachtigall kann man nie berechnen, was da kommen wird, aber bei dem
Kunstvogel ist alles bestimmt; man kann es erklären, man kann ihn aufmachen und das menschliche Denken zeigen, wie die Walzen liegen, wie sie gehen, und wie das eine aus dem anderen folgt!""Das sind ganz unsere Gedanken!" sagten sie alle, und der Spielmeister erhielt die Erlaubnis, am nächsten Sonntag den Vogel dem Volke vorzuzeigen; es sollte ihn auch singen hören, befahl der Kaiser; und es hörte ihn, und wurde so vergnügt, als ob es sich in Tee berauscht hätte; denn das ist nun so ganz chinesisch, und da sagten alle: "Oh!" und hielten den Zeigefinger in die Höhe und nickten dazu. Aber die armen Fischer, welche die wirkliche Nachtigall gehört hatten, sagten: "Es klingt hübsch gaug, die Melodien gleichen sich auch, aber es fehlt etwas, ich weiß nicht was!"
Die wirkliche Nachtigall war aus dem Lande und Reiche verwiesen.
Der Kunstvogel hatte seinen Platz auf einem seidenen Kissen dicht bei des Kaisers Bett; alle Geschenke, welche er erhalten hatte, Gold und Edelsteine, lagen rings um ihn her, und im Titel war er zu einem Hochkaiserlichen Nachttisch-Sänger gestiegen, im Range Numero eins zur linken Seite, denn der Kaiser rechnete die Seite für die vornehmste, auf der das Herz saß, und das Herz sitzt auch bei einem Kaiser links. Und der Spielmeister schrieb ein Werk von fünfundzwanzig Bänden über den Kunstvogel; das war so gelehrt und so lang, voll von den allerschwersten chinesischen Wörtern, daß alle Leute sagten, sie hätten gelesen und verstanden, denn sonst wären sie ja dumm gewesen und auf den Leib getrampelt worden.
So ging es ein ganzes Jahr; der Kaiser, der Hof und alle die übrigen Chinesen konnten jeden kleinen Kluck in des Kuntvogels Gesang auswendig, aber gerade deshalb gefiel er ihnen jetzt am allerbesten; sie konnten selbst mitsingen, und das taten sie. Die Straßenbuben sangen: "Zizizi! Kluckkluckkluck!", und der Kaiser sang col Ja, das war gewiß prächtig!
Aber eines Abends, als der Kunstvogel am besten sang und der Kaiser im Bett lag und darauf hörte, sagte es "Schwupp!" inwendig im Vogel: da sprang etwas. "Schnurr!" Alle Räder liefen herum, und dann stand die Musik still.
Der Kaiser sprang gleich aus dem Bette und ließ seinen Leibarzt rufen, aber was konnte der helfen! Dann ließen sie den Uhrmacher holen, und nach vielem Sprechen und Nachsehen bekam er den Vogel etwas zustande, aber er sagte; daß er sehr geschont werden müsse, denn die Zapfen seien abgenutzt, und es wäre unmöglich, neue so einzusetzen, daß die Musik sicher ginge. Das war nun eine große Trauer! Nur einmal des Jahres durfte man den Kunstvogel singen lassen, und das war fast schon zu viel; aber dann hielt der Spielmeister eine Seine Rede mit den schweren Worten und sagte, daß es ebenso gut als früher sei, und dann war es ebenso gut als früher.
Nun waren fünf Jahre vergangen, und das ganze Land bekam eine wirkliche große Trauer. Die Chinesen hielten im Grunde allesamt große Stücke auf ihren Kaiser jetzt war er krank und konnte nicht länger leben. Schon war ein neuer Kaiser gewählt, und das Volk stand draußen auf der Straße und fragte den Haushofmeister, wie es ihrem alten Kaiser ginge.
"P!" sagte er und schüttelte mit dem Kopfe.
Kalt und bleich lag der Kaiser in seinem großen prächtigen Bette, der ganze Hof glaubte ihn tot, und ein jeder von ihnen lief hin, den neuen Kaiser zu begrüßen grüßen; die Kammerdiener liefen hinaus, um darüber zu sprechen, und die Kammermädchen hatten große Kaffeegesellschaft. Ringsumher in allen Sälen und Gängen war Tuch gelegt, damit man niemand gehen hören könnte, und deshalb war es da so still, so still. Aber der Kaiser war noch nicht tot; steif und bleich lag er in dem prächtigen Bette mit den langen Sammetgardinen und schweren Goldensten, hoch oben stand ein Fenster auf, und der Mond schien herein auf den Kaiser und den Kunstvogel
Der arme Kaiser konnte kaum atmen; es war gerade, als ob etwas auf seiner Brust säße; er schlug die Augen auf, und da sah er; daß es der Tod war, der auf seiner Brust saß und sich seine goldene Krone aufgesetzt hatte und in der einen Hand des Kaisers goldenen Säbel, in der anderen seine prächtige Fahne hielt; und ringsumher aus den Falten der großen Sammetbettgardinen sahen wunderliche Köpfe hervor, einige ganz häßlich, andere so lieblich und mild: das waren alle des Kaisers böse und gute Taten, welche ihn anblickten, jetzt, da der Tod ihm auf dem Herzen saß.
"Entsinnst du dich dieses?" flüsterte der eine nach dem anderen. "Erinnerst du dich dessen?" und erzählten sie ihm so viel, daß ihm der Schweiß von der Stirne rann.
"Das habe ich nie gewußt!" sagte der Kaiser. "Musik; Musik, die große chinesische Trommelt" rief er, "damit ich nicht alles zu hören brauche, was sie sagen!"
Und sie fuhren fort, und der Tod nickte wie ein Chinese zu allem; was gesagt wurde.
"Musik, Musik!" schrie der Kaiser. "Du kleiner, herrlicher Goldvogel, singe doch, singet Ich habe dir Gold und Kostbarkeiten gegeben, ich habe dir selbst meinen goldenen Pantoffel um den Hals gehängt, singe doch, singet"
Aber der Vogel stand stille, es war niemand da, um ihn aufzuziehen, und sonst sang er nicht; aber der Tod fuhr fort, den Kaiser mit seinen großen leeren Augenhöhlen anzustarren, und es war so stille, so erschrecklich stille.
Da klang auf einmal vom Fenster her der herrlichste Gesang. Es war die kleine lebendige Nachtigall, welche auf einem Zweige waus saß, sie hatte von der Not ihres Kaisers gehört und war deshalb gekommen, ihm Trost und Hoffnung
zu singen; und sowie sie sang, wurden die Gespenster immer bleicher und bleicher, das Blut kam immer rascher und rascher in des Kaisers schwachen Gliedern in Bewegung, und selbst der Tod horchte und sagte: "Fahre fort, kleine Nachtigall! Fahre fort!""Ja, willst du mir den prächtigen goldenen Säbel geben? Willst du mir die reiche Fahne geben? Willst du mir des Kaisers Krone geben?"
Und der Tod gab jedes Kleinod für einen Gesang, und die Nachtigall fuhr noch fort zu singen; und sie sang von dem stillen Gottesacker; wo die weißen Rosen wachsen, wo der Sicher duftet und wo das frische Gras von den Tränen der Überlebenden befeuchtet wird. Da bekam der Tod Sehnsucht nach seinem Garten und schwebte wie ein kalter weißer Nebel aus dem Fenster.
"Dank Dankt" sagte der Kaiser. "Du himmlischer kleiner Vogel, ich kenne dich wohn Dich habe ich aus meinem Lande und Reiche gejagt, und doch hast du die bösen Gesichter von meinem Bette weggesungen und den Tod von meinem Herzen weggeschafft! Wie kann ich dir lohnen?"
"Du hast mich belohnt!" sagte die Nachtigall. "Ich habe deinen Augen Tränen entlockt, als ich das erstemal sang, das vergesse ich niel Das sind die Juwelen, die ein Sängerherz erfreuen! Aber schlafe nun und werde frisch und stark, ich werde dir vorsingen!"
Und sie sang, und der Kaiser fiel in einen süßen Schlummer; ach, so mild und wohltuend war der Schlaf.
Die Sonne schien durch die Fenster zu ihm herein, als er gestärkt und gesund erwachte; keiner von seinen Dienern war noch zurückgekehrt, denn sie glaubten, er sei tot; aber die Nachtigall saß noch und sang.
"Immer mußt du bei mir bleiben!" sagte der Kaiser. "Du sollst nur singen, wenn du selbst willst, und den Kunstvogel schlage ich in tausend Stücke."
"Tu das nicht!" sagte die Nachtigall, "der hat ja das Gute getan, solange er konnte! Behalte ihn wie bisher. Ich kann nicht nisten und wohnen im Schlosse, aber laß mich kommen, wenn ich selbst Lust habe da will ich des Abends auf dem Zweige dort beim Fenster sitzen und dir vorsingen, damit du froh werden könnest und gedankenvoll zugleich! Ich werde von den Glücklichen singen und von denen, die da leiden, ich werde vom Bösen und Guten singen, was rings um dich her dir verborgen bleibt! Der kleine Singvogel fliegt weit herum zu dem armen Fischer, zu des Landmanns Dach, zu jedem, der weit von dir deinem Hofe entfernt ist. Ich liebe dein Herz mehr als deine Krone, und doch hat die Krone einen Duft von etwas Heiligem um sich Ich komme, ich singe dir oort Aber eins mußt du mir versprechen."
"Alles!" sagte der Kaiser und stand da in seiner kaiserlichen Tracht, die er selbst angelegt hatte, und drückte den Säbel, welcher schwer von Gold war, an sein Herd
"Um eins bitte ich dich: erzähle niemand, daß du einen Seinen Vogel hast, der dir alles sagt, dann wird es noch besser gehen!" Und so flog die Nachtigall fort.
Die Diener kamen herein, um nach ihrem toten Kaiser zu sehne — — ja, da standen sie, und der Kaiser sagte: "Guten Morgen!"
Da träumte ihm ein sonderbarer Traum; er sah, wie Sonne und Mond sich vor ihm neigten, und erblickte seinen Vater frisch und gesund und hörte ihn lachen, wie er immer lachte, wenn er recht froh war. Ein schönes Mädchen mit einer goldenen Krone auf ihrem langen glänzenden Haar reichte Johannes die Hand, und sein Vater sagte: "Siehst du, was für eine Braut du erhalten hast! Sic ist die schönste in der ganzen Weltl" Da erwachte er, und alle Herrlichkeit war vorbei, sein Vater lag tot und kalt im Bette, es war gar niemand bei ihm Der arme Johannes!
In der folgenden Woche wurde der Tote begraben; Johannes ging dicht hinter dem Sarge und konnte nun den guten Vater nicht mehr zu sehen bekommen, der ihn so sehr geliebt hatte; er hörte, wie man die Erde auf den Sarg
hinunterwarf, sah noch die letzte Ecke desselben, aber bei der nächsten Schaufel Erde, welche hinabgeworfen wurde, war auch sie verschwunden; da war es gerade, als wolle sein Herz in Stücke zerspringen, so betrübt war er. Ringsherum sangen sie nun noch einen Psalm, es klang sehr schön, und die Tränen traten Johannes indie Augen, er weinte; und das tat seiner Trauer wohl. Die Sonne schien herrlich auf die grünen Bäume, gerade als wolle sie sagen: "Du mußt nicht so betrübt sein, Johannes! Siehst du, wie hübsch blau der Himmel ist! Dort oben ist nun dein Vater und bittet den lieben Gott daß es dir allezeit wohl ergehen möge!""Ich will auch immer gut sein!" sagte Johannes. "Dann komme ich in den Himmel zu meinem Vater, und was wird das eine Freude werden, wenn wir einander wiedersehen! Wieviel werde ich ihm dann nicht erzählen können, und er wird mir so viele Sachen zeigen, mich so viel über die Herrlichkeit im Himmel belehren, gerade wie er mich hier auf Erden unterrichtete. O was wird das für eine Freude werden!"
Johannes dachte sich das so deutlich, daß er dabei lächelte; während die Tränen ihm noch über die Wangen liefen. Die Keinen Vögel saßen oben in den Kastanienbäumen und zwitscherten: "Quivit, quatl" Sie waren so munter, obgleich sie mit bei dem Begräbnisse waren, aber sie wußten wohl, daß der tote Mann nun oben im Himmel war, Flügel hatte, weit schönere und größere als die ihrigen, und daß er nun glücklich sei, weil er hier auf Erden gut gewesen war, und darüber waren sie vergnügt. Johannes sah, wie sie von den grünen Bäumen weit in die Welt hinausflogen, und da bekam auch er Lust mitzufliegen. Aber zuerst schnitt er ein großes Holzkreuz, um es auf seines Vaters Grab zu setzen, und als er es am Abend dahin brachte, war das Grab mit Sand und Blumen geschmückt; das hatten fremde Leute getan, denn sie hielten alle so viel von dem lieben Vater der nun tot war.
Früh am nächsten Morgen packte Johannes sein kleines Bündel zusammen und verwahrte in seinem Gürtel sein ganzes Erbteil, welches fünfzig Taler und ein paar Silberschillinge betrug; damit wollte er in die Welt hinauswandern. Aber zuerst ging er nach dem Kirchhofe zu seines Vaters Grab, betete ein Vaterunser und sagte: "Lebe wohl, du lieber Vater! Ich will immer ein guter Mensch sein, darum magst du den lieben Gott auch bitten, daß mir wohl ergehe!"
Draußen auf dem Felde, wo Johannes ging, standen alle Blumen so frisch und schön in dem warmen Sonnenschein, und sie nickten im Winde, gerade als wollten sie sagen: "Willkommen im Grünen! Ist es hier nicht schön?" Aber Johannes wendete sich noch einmal zurück, um die alte Kirche zu betrachten, wo er als kleines Kind getauft worden, jeden Sonntag mit seinem Vater zum Gottesdienst gewesen war und seinen Psalm gesungen hatte; da sah er hoch oben in einer der Öffnungen des Turms den Kirchenkobold mit seiner Keinen roten spitzen
Mütze stehen, indem er sein Antlitz mit dem gebogenen Arm beschattete, da ihn sonst die Sonne in die Augen stach. Johannes nickte ihm Lebewohl zu, und der kleine Kobold schwenkte seine rote Mütze, legte die Hand auf das Herz und warf ihm viele Kußhände zu, um zu zeigen, wieviel Gutes er ihm wünsche, und daß er besonders eine recht glückliche Reise machen möge.Johannes dachte daran, wieviel Schönes er nun in der großen prächtigen Welt zu sehen bekommen würde, und ging weiter und weiter fort so weit, als er früher nie gewesen war; er kannte die Orte gar nicht, durch die er kam, oder die Menschen, denen er begegnete, er war weit draußen in der Fremde.
Die erste Nacht mußte er sich auf einen Heuschober auf dem Felde schlafen legen, ein anderes Bett hatte er nicht. Aber das war gerade hübsch, meinte er, der König könnte es nicht besser haben. Das ganze Feld mit dem Flusse, der Heuschober und dann der blaue Himmel darüber, das war gerade eine schöne Schlafkammer. Das grüne Gras mit den kleinen roten und weißen Blumen war die Fußdecke, die Fliederbüsche und die wilden Rosenhecken waren Blumensträuße, und zum Waschbecken diente ihm der ganze Fluß mit dem klaren, frischen Wasser; wo das Schiff sich neigte und ihm guten Abend wie guten Morgen bot. Der Mond war eine große Nachtlampe, hoch oben unter der Decke, und der zündete die Gardinen nicht an mit seinem Feuer; Johannes konnte ganz ruhig schlafen, er tat es auch und erwachte erst wieder, als die Sonne aufging und alle die kleinen Vögel ringsumher sangen: "Guten Morgen! Guten Morgen! Bist du noch nicht auf?"
Die Glocken läuteten zur Kirche, es Sonntag. Die Leute gingen hin, den Prediger zu hören, und Johannes folgte ihnen, sang ein frommes Lied mit und hörte Gottes Wort; und es war ihm gerade, als wäre er in seiner eigenen Kirche, in der er getauft worden war, und wo er Psalmen mit seinem Vater gesungen hatte.
Draußen auf dem Kirchhofe warm so viele Gräber, und auf einigen wuchs hohes Gras Da dachte Johannes an seines Vaters Grab, welches am Ende auch so aussehen würde wie diese, da er es nicht vom Unkraut reinigen und schmücken konnte. setzte sich also nieder und riß das Gras ab, richtete die Holzkreuze auf, welche umgefallen waren, und legte die Kränze, die der Wind vom Grabe fortgerissen hatte, wieder auf ihre Stelle, indem erdachte: "Vielleicht tut jemand dasselbe an meines Vaters Grab, da ich es nicht tun kann!"
Draußen vor der Kirchhofstür stand ein alter Bettler und stützte sich auf seine Krücke; Johannes gab ihm die Silberschillinge, die er hatte, und ging dann glücklich und vergnügt weiter fort, in die weite Welt hinaus.
Gegen Abend wurde es ein schrecklich böses Wetter. Johannes sputze sich, unter Dach zu gelangen, aber es wurde bald finstere Nacht; da erreichte er endlich eine Keine Kirche, die ganz einsam auf einem kleinen Hügel lag; die Tür
stand zum Glück nur angelehnt und er schlüpfte hinein; hier wollte er bleiben, bis das böse Wetter sich gelegt hatte."Hier will ich mich in einen Winkel setzen!" sagte er. "Ich bin ganz ermüdet und bedarf der Ruhe." Dann setzte er sich nieder, faltete seine Hände und betete sein Abendgebet, und bevor er es wußte, schlief und träumte er, während es draußen blitzte und donnerte.
Als er wieder erwachte, war es mitten in der Nacht; aber das böse Wetter war vorübergezogen, und der Mond schien durch die Fenster zu ihm herein. Mitten in der Kirche stand ein offener Sarg mit einem toten Mann darin, denn er war noch nicht begraben, Johannes war durchaus nicht furchtsam, denn er hatte ein gutes Gewissen, und er wußte wohl, daß die Toten niemand etwas zuleide tun; sind lebende böse Menschen, die Übles tun. Solche zwei lebende schlimme Leute standen dicht bei dem toten Mann, der hier in die Kirche hineingesetzt war, bevor er beerdigt wurde, dem wollten sie Übles erweisen, ihn nicht in seinem Sarge liegen lassen, sondern ihn draußen vor die Kirchtür werfen, den annen toten Mann.
"Weshalb wollt ihr das tun?" fragte Johannes. "Das ist böse und schlimm; laßt ihn in Jesu Namen ruhen!"
"Ach Schnickschnackl" sagten die beiden häßlichen Menschen. "Er hat uns angeführt! Er schuldet uns Geld, das konnte er nicht bezahlen, und nun ist er obendrein tot, da bekommen wir keinen Schilling, deshalb wollen wir uns ordentlich an ihm rächen, er soll wie ein Hund draußen vor der Kirchtür liegen!"
"Ich habe nicht mehr als fünfzig Taler!" sagte Johannes, "das ist mein ganzes Erbteil; aber das will ich euch gern geben, wenn ihr mir ehrlich versprechen wollt, den armen toten Mann in Ruhe zu lassen. Ich werde schon durchkommen ohne das Geld; ich habe gesunde starke Gliedmaßen, und der liebe Gott wird mir allezeit helfen."
Ja!" sagten die häßlichen Menschen, "wenn du so seine Schuld bezahlen willst, wollen wir beide ihm nichts tun, darauf kannst du dich verlassen!" Und so nahmen sie das Geld, welches ihnen Johannes gab, lachten laut auf über seine Gutmütigkeit und gingen ihres Weges; Johannes aber legte die Leiche wieder im Sarge zurecht; faltete ihre Hände, nahm Abschied von ihr und ging dann durch den großen Wald zufrieden weiter.
Ringsumher, wo der Mond durch die Bäume hereinscheinen konnte, sah er die niedlichen kleinen Elfen lustig spielen; sie ließen sich nicht stören, sie wußten wohl, daß er ein guter, unschuldiger Mensch sei, und es sind nur die bösen Leute, welche die Elfen nicht zu sehen bekommen. Einige von ihnen waren nicht größer, als ein Finger breit ist; und hatten ihre langen gelben Haare mit goldenen Kämmen aufgeheftet; zwei und zwei schaukelten sie sich auf den großen Tautropfen, die auf den Blättern und dem hohen Gras lagen; zuweilen entrollte ihnen der Tropfen, dann fielen sie nieder zwischen den langen Grashalmen, und das verursachte ein Gelächter und Lärmen unter den anderen Kleinen. Es allerliebst! Sie sangen, und Johannes erkannte ganz deutlich alle die hübschen Lieder, die er als kleiner Knabe gelernt hatte. Große bunte Spinnen mit silbernen Kronen auf dem Kopfe mußten von der einen Hecke zur anderen lange Hängebrücken und Paläste spinnen, welche, da der feine Tau darauf fiel, wie glänzendes Glas im klaren Mondscheine aussahen. So währte es fort, gerade bis die Sonne aufging. Die kleinen Elfen krochen dann in die Blumenknospen, und der Wind erfaßte ihre Brücken und Schlösser, die als Spinnweben durch die Luft dahinflogen
Johannes war nun aus dem Walde herausgekommen, als eine starke Mannsstimme hinter ihm rief: "Holla, Kamerad, wohin geht die Reise?"
"In die weite Welt hinaus!" sagte Johannes. "Ich habe weder Vater noch Mutter, bin ein armer Busche, aber der Herr hilft mir wohl!"
"Ich will auch in die weite Welt hinaus!" sagte der fremde Mann. "Wollen wir beide einander Gesellschaft leisten?"
"Jawohl!" sagte Johannes, und so gingen sie miteinander. Bald wurden sie sich recht gut, denn sie waren beide gute Menschen. Aber Johannes merkte wohl, daß der Fremde viel klüger war als er, er hatte fast die ganze Welt durchreist und wußte von allem möglichen, was existierte, zu erzählen.
Die Sonne war schon hoch herauf, als sie sich unter einen großen Baum setzten, ihr Frühstück zu genießern Zur selben Zeit kam da eine alte Frau daher.
Oh, sie war so alt und ging ganz krumm, stützte sich auf einen Krückstock und hatte auf ihrem Rücken ein Bündel Brennholz, welches sie sich im Walde gesammelt hatte. Ihre Schürze war aufgebunden, und Johannes sah, daß drei große Ruten von Farnkraut und Weidenreisern daraus hervorsahen. Indem sie ihnen ganz nahe war, glitt ihr ein Fuß aus, sie fiel um und tat einen lauten Schrei, denn sie hatte ihr Bein gebrochen, die arme alte Frau.Johannes meinte sogleich, daß sie sie nach Hause tragen wollten, wo sie wohnte, aber der Fremde machte sein Ränzel auf nahm eine Kruke hervor und sagte, daß er hier eine Salbe habe, welche sogleich ihr Bein wieder ganz und kräftig machen würde, so daß sie selbst nach Hause gehen könne, und zwar so, als ob sie nie das Bein gebrochen hätte. Aber dafür wolle er auch, daß sie ihm die drei Ruten schenke, die sie in ihrer Schürze habe.
"Das wäre gut bezahlt!" sagte die Alte und nickte ganz eigen mit dem Kopfe; sie wollte die Ruten eben nicht gern hergeben, aber es war auch nicht angenehm, mit gebrochenem Beine dazuliegen So gab sie ihm die Ruten; und sowie er nur die Salbe auf das Bein gerieben hatte, erhob sich auch die alte Mutter und ging viel besser denn zuvor. Das hatte die Salbe bewirkt; aber die war auch nicht in der Apotheke zu baba
"Was willst du mit den Ruten?" fragte Johannes nun seinen Reisekameradem
"Das sind drei schöne Kräuterbesen!" sagte er; "die liebe ich sehr, denn ich bin ein närrischer Patron!"
Dann gingen sie noch ein gutes Stück.
"Nein, wie der Himmel sich umzieht!" sagte Johannes und zeigte geradeaus. "Das sind schrecklich dicke Wolken!"
"Nein," sagte der Reisekamerad, "das sind keine Wolken, das sind Berge, die herrlichen großen Berge, wo man ganz hinauf über die Wolken in die frische Luft gelangt! Glaube mir, das ist herrlich! Morgen sind wir sicher schon dort!"
Das war nicht so nahe, wie es aussah; sie hatten einen ganzen Tag zu gehen bevor sie die Berge erreichten, wo die schwarzen Wälder gerade gegen den Himmel aufwuchsen, und wo es Steine gerade so groß wie eine ganze Stadt gab. Das mochte wahrlich eine schwere Anstrengung werden, da ganz hinüberzukommen, aber darum gingen auch Johannes und der Reisekamerad in das Wirtshaus hinein, um sich gut auszuruhen und Kräfte zum morgenden Marsche zu sammeln.
Unten in der großen Schenkstube im Wirtshause waren viele Menschen versammelt denn da war ein Mann, der gab Puppenkomödie; er hatte gerade sein kleines Theater aufgestellt, und die Leute saßen ringsumher, um die Komödie zu sehen. Aber ganz vom hatte ein dicker Schlächter Platz genommen, und zwar den
allerbesten; sein großer Bullenbeißer — uh! der sah so grimmig aus! — saß an seiner Seite und machte große Augen, gerade wie alle die andern Zuschauer.Nun begann die Komödie, und das war ein niedliches Stück mit einem Könige und einer Königin; die saßen auf dem schönsten Thron, hatten goldene Kronen auf dem Haupte und lange Schleppen an den Kleidern, denn das konnten sie haben. Die niedlichsten Holzpuppen mit Glasaugen und großen Schnurrbärten standen an allen Türen und machten auf und zu, damit frische Luft in das Zimmer kommen konnte. Es war wirklich eine recht niedliche Komödie, und sie war gar nicht traurig, aber gerade als die Königin aufstand und über den Fußboden hinging, da — ja, Gott mag wissen, was der große Bullenbeißer sich dachtet — aber da der dicke Schlächter ihn nicht hielt, machte er einen Sprung gerade hinein in das Theater, nahm die Königin mitten um ihre schlanke Taille, so daß es knickt knackt ging. Es war ganz schrecklich!
Der arme Mann, der die ganze Komödie gab, war sehr erschrocken und betrübt über seine Königin, denn es war die allerniedlichste Puppe, die er hatte, und nun hatte ihr der häßliche Bullenbeißer den Kopf abgebissen; aber als die Leute später fortgingen, sagte der Fremde, der mit Johannes gekommen war, daß er sie schon wieder zurechtmachen werde, und da nahm er seine Kruke vor und schmierte die Puppe mit der Salbe, womit er der alten Frau geholfen, als sie ihr Bein gebrochen hatte. Sowie die Puppe geschmiert war, wurde sie gleich wieder ganz, ja sie konnte sogar alle ihre Glieder selbst bewegen, man brauchte gar nicht mehr an der Schnur zu ziehen; die Puppe war wie ein lebendiger Mensch, nur daß sie nicht sprechen konnte. Der Mann, der das kleine Puppentheater hatte, wurde sehr froh; nun brauchte er diese Puppe gar nicht mehr zu halten, die konnte ja von selbst tanzen. Das konnte keine der anderen.
Als es Nacht geworden und alle Leute im Wirtshause zu Bett gegangen waren, war da jemand, der schrecklich tief seufzte und so lange damit fortfuhr, bis alle aufstanden, um zu sehen, wer es sein könnte. Der Mann, der die Komödie gegeben hatte, ging nach seinem kleinen Theater hin, denn dort war es, wo jemand seufzte. Alle Holzpuppen lagen untereinander, der König und alle Trabanten, und die waren es, die so jämmerlich seufzten und mit ihren Glasaugen stierten; denn sie wollten so gern gleich der Königin ein wenig geschmiert werden, damit sie sich auch von selbst bewegen könnten. Die Königin legte sich gerade hin auf die Kniee und sirene ihre prächtige Krone in die Höhe, während sie bat: "Nimm mir diese, aber schmiere meinen Gemahl und meine Hofleute!" Da konnte der arme Mann, der die Komödie und alle Puppen besaß, nicht unterlassen zu weinen, denn es tat ihm wirklich ihretwegen so leid. Er versprach sogleich dem Reisekameraden, ihm alles Geld zu geben, das er am nächsten Abend für sein Spiel erhalten werde, wenn er nur vier bis fünf von seinen niedlichsten Puppen schmieren wolle; aber der Reisekamerad sagte, daß er durchaus nichts
anderes verlange als den großen Säbel, den jener an seiner Seite habe, und als er den erhielt, beschmierte er sechs Puppen, die sogleich tanzten, und das so niedlich, daß alle Mädchen, die lebendigen Menschenmädchen, die sahen, sogleich mittanzten. Der Kutscher und die Köchin tanzten, der Diener und das Stubenmädchen, alle die Fremden und die Feuerschaufel und die Feuerzange; aber die fielen um, gerade als sie die ersten Sprünge machten. Ja, das war eine lustige Nacht!Am nächsten Morgen ging Johannes mit seinem Reisekameraden von ihnen allen fort, auf die hohen Berge hinauf und durch die großen Tannenwälder. Sie kamen so hoch hinauf, daß die Kirchtürme tief unter ihnen zuletzt wie kleine rote Beeren unten in all dem Grünen aussahen, und sie konnten so weit hin sehen, viele, viele Meilen weit, wo sie nie gewesen waren! So viel Schönes der prächtigen Welt hatte Johannes früher nie auf einmal gesehen, und die Sonne schien so warm aus der frischen blauen Luft; er hörte auch zwischen den Bergen die Jäger das Waldhorn so schön und lieblich blasen, daß ihm vor Freude das Wasser in die Augen trat und er nicht unterlassen konnte auszurufen: "Du guter lieber Gott, ich möchte dich küssen, weil du so gut gegen uns alle bist und uns all die Herrlichkeit, die in der Welt ist, gegeben bast!"
Der Reisekamerad stand auch mit gefalteten Händen da und sah über den Wald und die Städte in den warmen Sonnenschein hinaus. Zu gleicher Zeit ertönte es wunderbar lieblich über ihren Häuptern, sie blickten in die Höhe, ein großer weißer Schwan schwebte in der Luft und sang, wie sie früher nie einen Vogel hatten singen hören. Aber der Gesang wurde schwächer und schwächer, der schöne Vogel neigte seinen Kopf und sank ganz langsam zu ihren Füßen nieder; wo er tot liegen blieb.
"Zwei so herrliche Flügel," sagte der Reisekamerad, "so weiß und groß wie die, welche der Vogel hat; sind Geldes wert, die will ich mit mir nehmens Siehst du nun wohl, daß es gut war, daß ich einen Säbel bekam?" Und so hieb er mit einem Schlage beide Flügel des toten Schwanes ab, die wollte er behalten.
Sie reisten nun viele, viele Meilen weit fort über die Berge, bis sie zuletzt eine große Stadt vor sich sahen mit über Hunderten von Türmen, die wie Silber in der Sonne erglänzten; mitten in der Stadt war ein prächtiges Marmorschloß, mit purem roten Golde gedeckt, und hier wohnte der König.
Johannes und der Reisekamerad wollten nicht sogleich in die Stadt gehen, sondern blieben im Wirtshause draußen vor der Stadt, damit sie sich putzen konnten, denn sie wollten nett aussehen, wenn sie auf die Straße kämet Der Wirt erzählte ihnen, daß der König ein so guter Mann sei, der nie einem Menschen etwas zuleide täte, weder dem einen noch anderen, aber seine Tochter ja Gott behüte uns! das wäre eine schlimme Prinzessin. Schönheit besaß sie genug, keine konnte so hübsch und niedlich sein, als sie war, aber was half das! Sie
war eine schlimme böse Hexe, die schuld daran war, daß so viele herrliche Prinzen ihr Leben verloren hatten. Allen Menschen hatte sie die Erlaubnis erteilt, um sie freien zu dürfen; ein jeder konnte kommen, er mochte Prinz oder Bettler sein; das war ihr ganz gleich; er sollte nur drei Sachen raten, an die sie gedacht hatte, und um die sie ihn befragte; könnte er das, so wollte sie sich mit ihm verbinden, und er sollte König über das ganze Land sein, wenn ihr Vater stürbe; konnte er aber die drei Sachen nicht raten, so ließ sie ihn aufhängen oder ihm den Kopf abhauen. Ihr Vater, der alte König, war so betrübt darüber, aber er konnte ihr nicht verbieten, so böse zu sein, denn er hatte einmal gesagt, er wolle nie etwas mit ihren Liebhabern zu tun haben, sie könne selbst tun, was sie wolle. Jedesmal, wenn ein Prinz kam und raten sollte, um die Prinzessin zu erhalten, so konnte er es nicht, und dann wurde er gehängt oder geköpft; er war ja beizeiten gewarnt worden, er hätte das Freien unterlassen können. Der alte König war so betrübt über all die Trauer und das Elend, daß er einen ganzen Tag des Jahres mit all seinen Soldaten auf den Knieen lag und betete, die Prinzessin möge gut werden; aber das wollte sie durchaus nicht. Die alten Frauen, die Branntwein tranken, färbten denselben ganz schwarz, bevor sie ihn tranken; so trauerten sie und mehr konnten sie doch nicht tun."Die häßliche Prinzessin!" sagte Johannes. "Sie sollte wirklich die Rute haben, das würde gut tun. Wäre ich nur der alte König, sie sollte schon gegerbt werden."
Da hörten sie das Volk draußen Hurra rufen. Die Prinzessin kam vorbei, und sie war wirklich so schön, daß alle Leute vergaßen, wie böse sie war, deshalb riefen sie Hurra. Zwölf schöne Jungfrauen, allesamt in weißen Seidenkleidern und eine goldene Tulpe in der Hand, ritten auf kohlschwarzen Pferden ihr zur Seite; die Prinzessin selbst hatte ein kreideweißes Pferd, mit Diamanten und Rubinen geschmückt, ihr Reitkleid war von reinem Golde, und die Peitsche, die sie in der Hand hatte, sah aus, als wäre sie ein Sonnenstrahl; die goldene Krone auf dem Haupte war gerade wie kleine Sterne oben vom Himmel, und der Mantel war von mehr als tausend schönen Schmetterlingsflügeln zusammengenäht; dessenungeachtet war sie viel schöner als alle ihre Kleider.
Als Johannes sie zu sehen bekam, wurde er so rot in seinem Antlitz wie ein Blutstropfen, und er konnte kaum ein einziges Wort sagen; die Prinzessin sah ganz so aus wie das schöne Mädchen mit der goldenen Krone, von dem er in der Nacht geträumt hatte, in der sein Vater gestorben war. Er fand sie schön und konnte nicht unterlassen, sie recht zu lieben. Das wäre gewiß nicht wahr; sagte er, daß sie eine böse Hexe sei, welche die Leute hängen oder köpfen ließe, wenn sie nicht raten könnten, was sie von ihnen verlangte. "Ein jeder hat ja die Erlaubnis, um sie zu freien, sogar der ärmste Bettler; ich will wirklich nach dem Schlosse gehen, denn ich kann es nicht unterlassen!" Sie sagten ihm alle, er möge
es nicht tun, es würde ihm bestimmt wie allen den anderen ergehen. Der Reisekamerad riet ihm auch davon ab, aber Johannes meinte, es würde schon gut gehen, bürstete seine Schuhe und seinen Rock, wusch sein Gesicht und seine Sunde, kämmte sein hübsches gelbes Haar und ging dann ganz allein in die Stadt hinein und nach dem Schlosse."Herein!" sagte der alte König, als Johannes an die Tür pochte. Johannes öffnete, und der alte König, im Schlafrock und in gestickten Pantoffeln, kam ihm entgegen; die goldene Krone hatte er auf dem Haupte, das Zepter in der einen Hand und den Reichsapfel in der anderen. "Warte ein bißchen!" sagte er
Laß sein!" sagte er, "es geht dir schlecht wie all den andern Nun, du sollst es sehent" Dann führte er Johannes hinaus nach dem Lustgarten der Prinzessin. Da sah es schrecklich aus! Oben in jedem Baum hingen drei, vier Königssöhne, die um die Prinzessin gefreit hatten, die Sachen aber nicht hatten raten können, die sie ihnen aufgegeben hatte. Jedesmal, wenn es wehte, klapperten alle Gerippe, so daß die Keinen Vögel erschraken und nie wieder in den Garten zu kommen wagten; alle Blumen waren an Menschenknochen aufgebunden, und in Blumentöpfen standen Totenköpfe und grinsten. Das war wahrlich ein sonderbarer Garten für eine Prinzessin!
"Hier kannst du es sehen!" sagte der alte König. "Es wird dir ebenso wie all den anderen ergehen, die du hier siehst. Laß es deshalb lieber sein; du machst mich wirklich unglücklich, denn ich nehme mir das so zu Herzen!"
Johannes küßte dem guten alten Könige die Hand und sagte, es würde schon gut gehen, denn er sei ganz entzückt von der schönen Prinzessin.
Da kam die Prinzessin selbst mit allen ihren Damen in den Schloßhof geritten; sie gingen deshalb zu ihr hinaus und sagten ihr guten Tag. Sie war so wunderschön anzuschauen und reichte Johannes die Hand, und er hielt noch viel mehr von ihr als früher; sie konnte sicher keine schlimme böse Hexe sein, wie alle Leute es ihr nachsagten. Dann gingen sie hinauf inden Saal, und die kleinen Pagen präsentierten ihnen Eingemachtes und Pfeffernüsse, aber der alte König war so betrübt, er konnte gar nichts essen, und die Pfeffernüsse waren ihm auch zu hart.
Es wurde bestimmt, daß Johannes am nächsten Morgen wieder nach dem Schlosse kommen solle, dann würden die Richter und der ganze Rat versammelt sein und hören, wie es ihm beim Raten ergehe. Wenn er gut dabei fahre, so sollte er dann noch zweimal kommen, aber es war noch nie jemand dagewesen, der es das erstemal geraten hatte, sie hatten alle das Leben verloren.
Johannes war gar nicht bekümmert darum, wie ihm ergehen würde, er war vielmehr vergnügt, gedachte nur der schönen Prinzessin und glaubte ganz sicher, der liebe Gott werde ihm schon helfen, aber wie; das wußte er nicht; und wollte lieber gar nicht daran denken. Er tanzte auf der Landsaße dahin, als er nach dem Wirtshause zurückkehrte, wo der Reisekamerad auf ihn wartete.
Johannes konnte nicht fertig damit werden, zu erzählen, wie artig die Prinzessin gegen ihn gewesen und wie schön sie sei; er sehnte sich schon so sehr nach dem nächsten Tage, wo erin das Schloß sollte, um sein Glück mit Raten zu versuchen.
Aber der Reisekamerad schüttelte mit dem Kopfe und war ganz betrübt. "Ich bin dir so gut!" sagte er, "wir hätten noch lange zusammen sein können, und nun soll ich dich schon verlieren! Du armer, lieber Johannes, ich könnte weinen, aber ich will am letzten Abend, den wir vielleicht zusammen sind, deine Freude nicht stören. Wir wollen lustig sein, recht lustig; morgen, wenn du fort bist, kann ich ungestört weinen"
Alle Leute drinnen in der Stadt hatten sogleich erfahren, daß ein neuer Freier der Prinzessin angekommen war; und deshalb herrschte große Betrübnis. Das Schauspielhaus blieb geschlossen, alle Kuchenfrauen banden Flor um ihre Zuckerherzen der König und die Priester lagen auf den Knieen in den Kirchen, es herrschte allgemeine Betrübnis, denn Johannes konnte es ja nicht besser ergehen, als es allen den übrigen Freiern ergangen war.
Gegen Abend bereitete der Reisekamerad eine große Bowle Punsch und sagte
zu Johannes: "Nun wollen wir recht lustig sein und auf der Prinzessin Gesundheit trinken." Als aber Johannes zwei Gläser voll getrunken hatte, wurde er so schläfrig, daß es ihm unmöglich war, die Augen offen zu halten, er versank in tiefen Schlaf. Der Reisekamerad hob ihn ganz sachte vom Stuhle auf und legte ihn in das Bett hinein, und als es dann dunkle Nacht wurde nahm er die beiden großen Flügel, die er dem Schwane abgehauen hatte, und band sie N seine Schultern fest; die größte Rute, die er von der alten Frau erhalten hatte, welche gefallen war und das Bein gebrochen hatte, steckte er in seine Tasche, öffnete das Fenster und flog so über die Stadt, gerade nach dem Schlosse hin, wo er sich in einen Winkel oben unter das Fenster setzte, welches in die Schlafstube der Prinzessin hineinging.Es war ganz stille in der ganzen Stadt. Nun schlug die Uhr drei Viertel auf zwölf; das Fenster ging auf, und die Prinzessin flog in einem langen weißen Mantel und mit schwarzen Flügeln über die Stadt weg, hinaus zu einem großen Berge; aber der Reisekamerad machte sich unsichtbar, so daß sie ihn nicht sehen konnte, flog hinterher und peitschte die Prinzessin mit seiner Rute so daß ordens lich Blut floß, wohin er schlug. Ah, das war eine Fahrt durch die Luft! Der Wind faßte ihren Mantel, der sich nach allen Seiten ausbreitete, gleich einem großen Schiffssegel, und der Mond schien durch ihn hindurch.
"Wie es hagelt! Wie es hagelt!" sagte die Prinzessin bei jedem Schlage, den sie von der Rute bekam, und das geschah ihr schon recht. Endlich kam sie hinaus zum Berge und klopfte an. Es rollte gleich dem Donner, indem der Berg sich öffnete, und die Prinzessin ging hinein. Der Reisekamerad folgte ihr; denn niemand konnte ihn sehen, er war unsichtbar. Sie gingen durch einen großen langen Gang, wo die Wände ganz besonders glänzten; es waren über tausend glühende Spinnen, die an der Mauer auf und ab liefen und wie Feuer leuchteten. Dann kamen sie in einen großen Saal, von Silber und Gold erbaut. Blumen, so groß wie Sonnenblumen, rote und blaue, glänzten von den Wänden, aber niemand konnte die Blumen pflücken, denn die Stengel waren häßliche, giftige Schlangen, und die Blumen waren Feuer, welches ihnen aus dem Maule herausbrannte. Die ganze Decke war mit leuchtenden Johanniswürmchen und himmelblauen Fledermäusen bedeckt, welche mit den dünnen Flügeln schlugen; es sah ganz schauerlich aus! Mitten auf dem Fußboden war ein Thron, der von vier Pferdegerippen, welche Zaumzeug von den roten Feuerspinnen aufhatten, getragen wurde; der Thron selbst war von milchweißem Glase, und die Kissen darauf waren kleine schwarze Mäuse, die einander in den Schwanz bissen. Wer dem Throne war ein Dach von rosenroten Spinnweben, mit den niedlichsten kleinen grünen Fliegen besetzt, welche wie Edelsteine glänzten. Mitten auf dem Throne saß ein alter Zauberer, mit einer Krone auf dem häßlichen Kopf und einem Zepter in der Hand. Er küßte die Prinzessin auf ihre Stirn, ließ sie sich
zu seiner Seite auf den kostbaren Thron setzen, und nun begann die Musik. Große schwarze Heuschrecken spielten die Mundharmonika, und die Eule schlug sich auf den Leib, denn sie hatte keine Trommel. Das war ein possierliches Konzert! Kleine schwarze Kobolde mit einem Irrlicht auf der Mütze tanzten im Saale herum. Niemand aber konnte den Reisekameraden erblicken; er hatte sich gerade hinter den Thron gestellt und hörte und sah alles.Die Hofleute, die nun hereinkamen, waren fein und vornehm, aber der; welcher ordentlich sehen konnte, merkte wohl, wie es damit zusammenhing. Es waren nichts weiter als Besenstiele mit Kohlköpfen darauf, in die der Zauberer Leben gehext und denen er gestickte Kleider gegeben hatte. Aber das war ja auch gleich, sie wurden doch nur zum Staat gebraucht.
Nachdem nun etwas getanzt worden war, erzählte die Prinzessin dem Zauberer daß sie einen neuen Freier erhalten habe, und fragte deshalb, woran sie wohl denken solle, um ihn am nächsten Morgen danach zu fragen, wenn er nach dem Schlosse komme.
Höre!" sagte der Zauberer, "das will ich dir sagen! Du sollst etwas recht Leichtes wählen, denn so fällt er gar nicht darauf. Denke an deinen einen Schuh. Das rät er nicht. Laß ihm dann den Kopf abhauen, doch vergiß nicht, wenn du morgen nacht wieder zu mir herauskommst, mir seine Augen zu bringen, denn die will ich essen!"
Die Prinzessin verneigte sich ganz tief und sagte, sie werde die Augen nicht vergessen. Der sauberer öffnete nun den Berg, und sie flog wieder zurück; aber der Reisekamerad folgte ihr und prügelte sie so stark mit der Rute, daß sie ganz tief seufzte über das starke Hagelwetter und sich, so sehr sie konnte, beeilte, durch das Fenster in ihre Schlafstube zu gelangen; aber der Reisekamerad flog zum Wirtshause zurück, wo Johannes noch schlief, löste seine Flügel ab und legte sich dann auch auf das Bett, denn er konnte wohl ermüdet sein.
Es war ganz früh am Morgen, als Johannes erwachte; der Reisekamerad stand auch auf und erzählte, daß er diese Nacht einen ganz sonderbaren Traum von der Prinzessin und ihrem Schuh gehabt habe, und bat ihn deshalb, doch zu fragen, ob die Prinzessin nicht an ihren Schuh gedacht haben sollte, denn das es ja, was er von dem Zauberer im Berge gehört hatte.
"Ich kann ebensogut danach als nach etwas anderem fragen", sagte Johannes "vielleicht ist das ganz richtig, was du geträumt hast, denn ich vertraue auf den lieben Gott, der mir schon helfen wird! Aber ich will dir doch Lebewohl sagen, denn wenn ich falsch rate, bekomme ich dich nie mehr zu sehen!"
Dann küßten sie sich, und Johannes ging in die Stadt und nach dem Schlosse. Der ganze Saal war mit Menschen angefüllt, die Richter saßen in ihren Lehnstühlen und hatten Eiderdaunenkissen unter dem Kopfe, denn sie hatten so viel zu denken. Der alte König stand auf und trocknete seine Augen mit einem weißen
Taschentuche. Nun trat die Prinzessin herein; sie war noch viel schöner als gestern und grüßte alle so lieblich, aber dem Johannes gab sie die Hand und sagte: Guten Morgen, du!"Nun sollte Johannes raten, woran sie gedacht habe. Gottl wie sah sie ihn freundlich an, aber sowie sie ihn das eine Wort "Schuh" aussprechen hörte wurde sie kreideweiß im Gesicht und zitterte am ganzen Körper; aber das konnte ihr nichts helfen, denn er hatte richtig geraten!
Der Tausend! wie wurde der alte König vergnügt! Er schoß einen Purzelbaum, daß es eine Lust war, und alle Leute klatschten in die Hände für ihn und Johannes, der das erste Mal richtig geraten hatte.
Der Reisekamerad war auch erfreut, als er erfuhr, wie gut es abgelaufen war; aber Johannes faltete seine Hände und dankte seinem Gott, der ihm sicher die beiden anderen Male wieder helfen würde. Am nächsten Tage sollte schon wieder geraten werden.
Der Abend verging ebenso wie der gestrige. Als Johannes schlief, flog der Reisekamerad hinter der Prinzessin her zum Berge hinaus und prügelte sie noch stärker als das vorige Mal, denn nun hatte er zwei Ruten genommen; niemand bekam ihn zu sehen, und er hörte alles. Die Prinzessin wollte an ihren Handschuh denken, und das erzählte er wieder dem Johannes, gerade als ob es ein Traum sei; so konnte Johannes wohl richtig raten, und es verursachte eine große Freude auf dem Schlosse. Der ganze Hof schoß Purzelbäume, gerade so wie sie vom Könige das erste Mal hatten machen sehen; aber die Prinzessin lag auf dem Sofa und wollte nicht ein einziges Wort sagen. Nun kam es darauf an, ob Johannes das dritte Mal richtig raten konnte. Glückte es, so sollte er ja die schöne Prinzessin haben und nach dem Tode des alten Königs das ganze Königreich erben; riet er falsch, so sollte er sein Leben verlieren, und der sauberer würde seine schönen blauen Augen essen.
Den Abend vorher ging Johannes zeitig zu Bett, betete sein Abendgebet und schlief dann ganz ruhig; aber der Reisekamerad band seine Flügel an den Rücken, schnallte den Säbel an seine Seite, nahm alle drei Ruten mit sich, und so flog er nach dem Schlosse.
es war ganz stockfinstere Nacht; es stürmte so, daß die Dachsteine von den Häusern flogen, und die Bäume drinnen im Garten, wo die Gerippe hingen, bogen sich gleich dem Schilfe vom Sturmwind; es blitzte jeden Augenblick und der Donner rollte gerade, als ob es nur ein einziger Schlag sei, der die ganze Nacht währte. Nun schlug das Fenster auf, und die Prinzessin flog heraus; sie war so bleich wie der Tod, aber sie lachte über das böse Wetter, meinte, es sei noch nicht stark genug, und ihr weißer Mantel wirbelte in der Luft herum gleich einem großen Schiffssegel. Aber der Reisekamerad peitschte sie mit seinen drei
Ruten, daß das Blut auf die Erde tröpfelte und sie zuletzt kaum weiterfliegen konnte. Endlich kam sie doch nach dem Berge."Es hagelt und stürmt", sagte sie; "nie bin ich in solchem Wetter ausgewesen
"Man kann auch des Guten zuviel haben", sagte der Zauberer. Nun erzählte sie ihm, daß Johannes auch das zweite Mal richtig geraten habe; wenn er nun dasselbe auch morgen tue, so hätte er gewonnen, und sie könne nie mehr nach dem Berge hinauskommen und werde nie mehr solche Zauberkünste wie früher machen können; deshalb war sie ganz betrübt.
"Er soll es nicht raten können!" sagte der Zauberer. "Ich werde schon etwas erdenken, was er sich nie gedacht hat, oder er müßte ein größerer Zauberer sein als ich. Aber nun wollen wir lustig sein!" Und damit faßte er die Prinzessin bei beiden Händen, und sie tanzten mit all den kleinen Kobolden und Irrlichtern herum, die in dem Zimmer waren; die roten Spinnen sprangen an den Wänden ebenso lustig auf und nieder; es sah aus, als ob Feuerblumen sprühten. Die Eulen schlugen auf die Trommel, die Heimchen pfiffen, und die schwarzen Hem schrecken bliesen die Mundharmonika. Es war ein lustiger Ballt
Als sie nun lange genug getanzt hatten, mußte die Prinzessin nach Hause, sonst wäre sie im Schlosse vermißt worden; der Zauberer sagte, daß er sie begleiten wolle, dann wären sie doch noch unterwegs beisammen.
Dann flogen sie im bösen Wetter davon, und der Reisekamerad schlug seine drei Ruten auf ihren Nücken entzwei; nie war der Zauberer in solchem Hagelwetter ausgewesen. Draußen vor dem Schlosse sagte er der Prinzessin Lebewohl und flüsterte ihr zugleich zu: "Denke an meinen Kopf!" Aber der Reisekamerad hörte es wohl, und gerade in dem Augenblick, als die Prinzessin durch das Fenster in ihr Schlafzimmer schlüpfte und der Zauberer wieder umkehren wollte, ergriff er ihr an seinem langen schwarzen Barte und hieb mit dem Säbel seinen häßliehen Zaubererkopf gerade bei den Schultern ab, so daß der Zauberer ihn nicht einmal selbst zu sehen bekam den Körper warf er hinaus in den See zu den Fischen, doch den Kopf tauchte er nur in das Wasser und band ihn dann in sein seidenes Taschentuch, nahm ihn mit nach dem Wirtshause und legte sich dann schlafen
Am nächsten Morgen gab er Johannes das Taschentuch und sagte ihm dabei, daß er es nicht eher aufknüpfen dürfe, als die Prinzessin frage, woran sie gedacht habe.
Es waren so viele Menschen in dem großen Saale auf dem Schlosse, daß sie so dicht standen wie Radieschen, die in ein Bund zusammengeknüpft sind. Der Rat saß in seinen Stühlen mit den weichen Kopfkissen, und der alte König hatte neue Kleider an, die goldene Krone und das Zepter waren poliert; es sah ganz feierlich aus; aber die Prinzessin war ganz bleich und hatte ein kohlschwarzem Kleid an, als gehe sie zum Begräbnis.
"Woran habe ich gedachte" fragte sie Johannes, und sogleich band er das Taschentuch auf und erschrak selbst ganz gewaltig, als er das häßliche Zauberei haupt erblickte. Es schauderte allen Menschen, denn es war schrecklich anzusehen, aber die Prinzessin saß gerade wie ein Steinbild und konnte nicht ein einziges Wort sagen; zuletzt erhob sie sich und reichte Johannes die Hand, denn er hatte ja richtig geraten; sie sah weder auf ihn noch auf irgend jemand anders, sondern seufzte ganz laut: "Nun bist du mein Herr! Diesen Abend wollen wir Hochzeit halten!"
"Das gefällt mir!" sagte der alte König; "so wollen wir es haben!" Alle Leute riefen Hurra, die Wachtparade machte Musik in den Straßen, die Glocken läuteten, und die Kuchenfrauen nahmen den schwarzen Flor von ihren Zuckerherzen, denn nun herrschte Freude. Drei ganze gebratene Ochsen, mit Enten und Hühnern gefüllt, wurden mitten auf den Markt gesetzt jeder konnte sich ein Stück abschneiden; in den Wasserkünsten sprudelte der schönste Wein, und kaufte man eine Schillingsbrezel beim Bäcker, so bekam man sechs große Zwiebacke als Zugabe, und den Zwieback mit Rosinen darin.
Am Abend war die ganze Stadt erleuchtet, und die Soldaten schossen mit Kanonen und die Knaben mit Knallerbsen, und wurde gegessen und getrunken, angestoßen und gesprungen oben im Schlosse, alle die vornehmen Herren und schönen Fräuleins tanzten miteinander; man konnte in weiter Ferne hören, wie sie sangen:
Hier sind viel hübsche Mädchen, Die gerne tanzen rund herum, Drehn sich wie Spinnerädchen; Hübsches Mädelchen, dreh dich um! Tanzt und springet immerzu, Bis die Sohle fällt vom Schul)! |
Aber die Prinzessin war ja noch eine Hexe und mochte Johannes gar nicht leiden; das fiel dem Reisekameraden ein, und deshalb gab er Johannes drei Federn aus den Schwanenflügeln und eine kleine Flasche mit einigen Tropfen darin, sagte ihm dann, daß er ein großes Faß, mit Wasser gefüllt, vor das Bett der Prinzessin setzen lassen solle, und wenn die Prinzessin hineinsteigen wolle; solle er ihr einen kleinen Stoß geben, so daß sie in das Wasser hinunterfalle; wo er sie dreimal untertauchen müsse, nachdem er vorher die Federn und die Tropfen hineingeschüttet habe; dann würde sie ihre Zauberei verlieren und ihn recht lieb haben.
Johannes tat alles, was der Reisekamerad ihm geraten hatte. Die Prinzessin schrie ganz laut, indem er sie unter das Wasser tauchte, und zappelte ihm unter den Händen als ein großer schwarzer Schwan mit funkelnden Augen; als sie das zweite Mal wieder über das Wasser heraufkam, war der Schwan weiß; bis auf
einen schwarzen Ring um den Hals. Johannes betete fromm zu Gott und ließ das Wasser das dritte Mal über den Vogel zusammenschlagen, und im selben Augenblick wurde dieser in die schönste Prinzessin verwandelt. Sie war noch schöner als zuvor und dankte ihm mit Tränen in ihren herrlichen Augen, daß er ihre Bezauberung gehoben habe.Am nächsten Morgen kam der alte König mit seinem ganzen Hofstaate, und da gab es ein Gratulieren bis spät in den Tag hinein. Zu allerletzt kam der Reisekamerad; kamerad; er hatte seinen Stock in der Hand und das Ränzel auf dem Nücken. Johannes küßte ihn viele Male und sagte, er dürfe nicht fortreisen, er solle bei ihm bleiben, denn er sei ja die Ursache seines ganzen Glückes. Aber der Reisekamerad schüttelte mit dem Kopfe und sagte so mild und freundlich: "Nein, nun ist meino Zeit um. Ich habe nur meine Schuld bezahlt. Erinnerst du dich des toten Mannes, dem die bösen Menschen Übles tun wollten? Du gabst alles, was du besaßest, damit er Ruhe in seinem Grabe haben könnte. Der Tote bin ich!"
Zu gleicher Zeit war er verschwunden
Die Hochzeit währte nun einen ganzen Monat. Johannes und die Prinzessin liebten einander innig, und der alte König erlebte manche frohe Tage und ließ ihre kleinen Kinderchen auf seinen Knieen reiten und mit seinem Zepter spielen; aber Johannes wurde König über das ganze Land.
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Es war einmal ein armer Prinz; er hatte ein Königreich, welches ganz klein war, aber es war immer groß genug, um sich darauf zu verheiraten und verheiraten wollte er sich.
Nun war es freilich etwas keck von ihm, daß er zur Tochter des Kaisers sagen wagte: "Willst du mich haben?" Aber er wagte es doch, denn sein Name war weit und breit berühmt, es gab Hunderte von Prinzessinnen, die gern ja gesagt hätten, aber ob sie es tat?
Nun, wir wollen hören.
Auf dem Grabe des Vaters des Prinzen wuchs da ein Rosenstrauch, und solch ein herrlicher Rosenstrauch! Der blühte nur jedes fünfte Jahr und trug dann auch nur eine einzige Blume, aber das war eine Rose, die duftete so süß, daß man alle seine Sorgen und seinen Kummer vergaß, wenn man daran roch. Der Prinz hatte aber auch eine Nachtigall, die konnte singen, als ob alle schönen Melodien in ihrer kleinen Kehle säßen. Diese Rose und diese Nachtigall solls die Prinzessin haben; und deshalb wurden sie beide in große silberne Behälter gesetzt und ihr so zugesandt.
Der Kaiser ließ sie vor sich her in den großen Saal tragen, wo die Prinzessin war und "Es kommen Fremde" mit ihren Hofdamen spielte; und als sie die großen Behälter mit den Geschenken darin erblickte, klatschte sie vor Freude in die Hände.
"Wenn es doch eine kleine Miezekatze wäre!" sagte sie, aber da kam der Rosenstrauch mit der herrlichen Rose hevor.
"Nein, wie ist die niedlich gemacht!" sagten alle Hofdamen.
"Sie ist mehr als niedlich!" sagte der Kaiser, "sie ist schön!" Aber die Prinzessin befühlte sie, und da war sie nahe daran, zu weinen.
"Pfui, Papa!" sagte sie, "sie ist nicht künstlich, sie ist natürlich!"
"Pfui!" sagten alle Hofdamen, "sie ist natürlich!"
"Laßt unz nun erst sehen, was in dem anderen Behälter ist ehe wir böse werden!" meinte der Kaiser, und da kam die Nachtigall heraus, die so schön sang, man nicht gleich etwas Böses gegen sie vorbringen konnte.
Superbe! Charmant!" sagten die Hofdamen, denn sie plauderten alle französisch, die eine immer ärger als die andere.
"Wie der Vogel mich an die Spieldose der seligen Kaiserin erinnert!" sagte ein alter Kavalier. "Ach ja, das ist ganz derselbe Ton, derselbe Vortrag!"
"Ja!" sagte der Kaiser, und dann weinte er wie ein kleines Kind.
"Es wird doch hoffentlich kein natürlicher sein?" sagte die Prinzessin.
Ja, es ist ein natürlicher Vogel!" sagten die, welche ihn gebracht hatten.
"So laßt den Vogel fliegen", sagte die Prinzessin, und sie wollte auf keine Weise gestatten, daß der Prinz käme.
Aber er ließ sich nicht einschüchtern; er bemalte sich das Antlitz mit Braun und Schwaz, drückte die Mütze tief über den Kopf und klopfte an.
"Guten Tag, Kaiser!" sagte er. ,Könnte ich nicht hier auf dem Schlosse einen Dienst bekommen?"
"Jawohl!" sagte der Kaiser. "Ich brauche jemand, der die Schweine hüten kann, denn deren haben wir viele!"
So wurde der Prinz angestellt als kaiserlicher Schweinehirt. Er bekam eine jämmerlich kleine Kammer unten beim Schweinekoben, und da mußte er bleiben; aber den ganzen Tag saß er und arbeitete, und als es Abend war, hatte er einen niedlichen kleinen Topf gemacht, rings um denselben waren Schellen, und sobald der Topf kochte, so klingelten sie so schön und spielten die alte Melodie:
Ach, du lieber Augustin, Alles ist weg, weg, weg! |
Aber das Allerkünstlichste war doch, daß, wenn man den Finger in den Dampf des Topfes hielt; man sogleich riechen konnte. welche Speisen auf jedem Feuerherd in der Stadt zubereitet wurden. Sieh, das war wahrlich etwas ganz anderes als die Rose!
Nun kam die Prinzessin mit allen ihren Hofdamen daherspaziert, und als die Melodie hörte, blieb sie stehen und sah ganz erfreut aus; denn sie konnte auch "Ach, du lieber Augustin" spielen, das .Nr das einzige, was sie konnte, aber das spielte sie mit einem Finger.
"Das ist ja das, was ich kann!" sagte sie. "Dann muß es ein gebildeter Schweinehirte sein! Höre, gehe hinunter und frage ihn, was das Instrument kostet!"
Und da mußte eine der Hofdamen hineingehen, aber sie zog Holzpantoffeln
"Was willst du für den Topf habens" Sagte die Hofdame.
"Ich will zehn Küsse von der Prinzessin haben!" sagte der Schweinehirt.
"Gott bewahre uns!" sagte die Hofdame.
"Ja, anders tue ich es nicht!" antwortete der Schweinehirt.
"Er ist ja unartig!" sagte die Prinzessin, und dann ging sie; aber als ein kleines Stück gegangen war, erklangen die Schellen so lieblich:
Ach, du lieber Augustin, Alles ist weg, weg, weg! |
"Höre," sagte die Prinzessin, "frage ihn, ob er zehn Küsse von immen Hofdamen haben will!"
"Ich danke schön!" sagte der Schweinehirt; "zehn Küsse von der Prinzessin, oder ich behalte meinen Topf!"
"Wag ist das doch eine langweilige Geschichte!" sagte die Prinzessin "Aber dann müßt ihr vor mir stehen, damit es niemand sieht!"
Und die Hofdamen stellten sich davor, und dann breiteten sie ihre Kleider aus, und da bekam der Schweinehirt zehn Küsse, und sie erhielt den Topf.
Nun, das gab eine Freudel Den ganzen Abend und den ganzen Tag mußte der Topf kochen; es gab nicht einen Feuerherd in der ganzen Stadt, von dem sie nicht wußten, was darauf gekocht wurde, sowohl beim Kammerherrn wie beim Schuhmacher. Die Hofdamen tanzten und klatschten in die Hände.
"Wir wissen, wer süße Suppe und Eierkuchen essen wirdt Wir wissen, wer Grütze und Karbonade bekommt! Wie ist das doch interessant!"
"Ja, aber haltet reinen Mund, denn ich bin des Kaisers Tochter!"
"Gott behüte uns sagten alle.
Der Schweinehirt das heißt der Prinz, aber sie wußten es ja nicht anders, als daß er ein wirklicher Schweinehirt sei, ließ die Tage nicht verstreichen, ohne etwas zu tun, und da machte er eine Knarre, wenn man die herumschwang, klangen alle die Walzer und Hopser die man von Erschaffung der Welt her kannte.
"Ach das ist superbe!" sagte die Prinzessin, indem sie vorbeiging. "Ich habe nie eine schönere Musik gehört! Höre, gehe hinein und frage ihn, was das Instrument kostet, aber küssen tue ich nicht wieder!"
"Er will hundert Küsse von der Prinzessin haben!" sagte die Hofdame, welche hineingegangen war, um zu fragen.
"Ich glaube, er ist verrückt!" sagte die Prinzessin, und dann ging sie; aber als sie ein kleines Stück gegangen war, blieb sie stehen. "Man muß die Kunst aufmuntern", sagte sie; "ich bin des Kaisers Tochter! Sage ihm, er solle wie neulich zehn Küsse haben; den Rest kann er von meinen Hofdamen nehmen!"
"Ach, aber wir tun es so ungern!" sagten die Hofdamen.
"Das ist Geschwätz!" sagte die Prinzessin. "Wenn ich ihn küssen kann, dann könnt ihr es auch! Bedenkt, ich gebe euch Kost und Lohn!" Und da mußten die Hofdamen wieder zu ihm hineingehen.
"Hundert Küsse von der Prinzessin," sagte er, "oder ein jeder behält das Seine!"
"Stellt euch davor!" sagte sie dann, und da stellten alle Hofdamen sich davor; und nun küßte er.
"Was mag das wohl für ein Auflauf beim Schweinekoben sein?" fragte der Kaiser, welcher auf den Balkon hinausgetreten war. Er rieb sich die Augen und setzte die Brille auf. "Das sind ja die Hofdamen, die da ihr Wesen treiben; ich werde wohl zu ihnen hinunter müssen!" Und so zog er seine Pantoffeln hinten herauf, denn es waren Schuhe, die er niedergetreten hatte.
Potz Welt, wie er sich sputete!
Sobald er in den Hof hinunterkam, ging er ganz leise, und die Hofdamen hatten so viel damit zu tun, die Küsse zu zählen, damit es ehrlich zugehen möge, daß sie den Kaiser gar nicht bemerkten. Er erhob sich auf den Zehen.
"Was ist das?" sagte er, als er sah, daß sie sich küßten, und dann schlug er sie mit seinem Pantoffel an den Kopf, gerade als der Schweinehirt den sechsundachhigsten Kuß erhielt.
"hinaus!" sagte der Kaiser, denn er war böse, und sowohl die Prinzessin wie der Schweinehirt mußten sein Kaiserreich verlassen.
Da stand sie nun und weinte, der Schweinehirt schalt, und der Regen Strömte hernieder.
"Ach, ich elendes Geschöpf!" sagte die Prinzessin, "hätte ich doch den schönen Prinzen genommen! Ach, wie unglücklich bin ich!"
Der Schweinehirt ging hinter einen Baum, wischte das Schwarze und Braune aus seinem Antlitz, warf die schlechten Kleider von sich und trat nun in seiner Prinzentracht hervor, so schön, daß die Prinzessin sich verneigen mußte.
"Ich bin dahin gekommen, dich zu verachten, du!" sagte er. "Du wolltest keinen ehrlichen Prinzen haben! Du verstandest dich nicht auf die Rose und die Nachtigall, aber den Schweinehirten konntest du eine Spielerei küssen! das hast du nun dafür!"
Und dann ging er in sein Königreich hinein und machte ihr die Tür vor der Nase zu; da konnte sie freilich singen:
Ach, du lieber Augustin, Alles ist weg, weg, weg! |
Zweite Geschichte
Ein kleiner Knabe und ein kleines Mädchen
Drinnen in der großen Stadt, wo so viele Menschen und Häuser sind, so daß dort nicht Platz genug ist, daß alle Leute einen Keinen Garten besitzen können, und wo sich deshalb die meisten mit Blumen in Blumentöpfen begnügen müssen, da waren doch zwei arme Kinder, die einen etwas größeren Garten als einen Blumentopf besaßen. Sie waren nicht Bruder und Schwester, aber sie waren sich ebenso gut als wenn sie es gewesen wären. Die Eltern wohnten einander gerade gegenüber; sie wohnten in zwei Dachkammern, da, wo das Dach des einen Nachbarhauses gegen das andere stieß und die Wasserrinne zwischen den Dächern entlang lief. Hier war in jedem Hause ein neins Fenster; man brauchte nur über die Rinne zu schreiten, so konnte man von dem einen Fenster zum anderen gelangen.
Die Eltern hatten draußen jedes einen großen Holzkasten, und darin wuchsen Küchenkräuter, die sie brauchten, und ein kleiner Rosenstock; es stand einer in jedem Kasten, und sie wuchsen so herrlich. Nun fiel es den Eltern ein, die Kasten quer über die Rinne zu stellen, so daß sie fast von dem einen zum anderen
Fenster reichten und zwei Blumenwällen ganz ähnlich sahen. Erbsenranken hingen über die Kasten hinunter und die Rosenstöcke schossen lange Zweige, die sich um die Fenster rankten und sich einander entgegenbogen: es war fast einer Ehrenpforte von Blättern und Blumen gleich. Da die Kasten sehr hoch waren und die Kinder wußten, daß sie nicht hinaufkriechen durften, so erhielten sie oft die Erlaubnis, zueinander hinauszusteigen, auf ihren kleinen Schemeln unter den Rosen zu sitzen, und da spielten sie dann so prächtig.Im Winter hatte dies Vergnügen ein Ende. Die Fenster waren oft ganz zugefroren. Aber dann wärmten sie Kupferschillinge auf dem Ofen, legten den warmen Schilling gegen die gefrorene Scheibe, und dann entstand da ein rundes schönes Guckloch; dahinter blitzte ein lieblich mildes Auge; eines von jedem Fenster; das waren der kleine Knabe und das kleine Mädchen. Er hieß Kay, und sie hieß Gerda. Im Sommer konnten sie mit einem Sprunge zueinander gelangen, im Winter mußten sie erst die vielen Treppen hinunter und die andern Treppen hinauf; draußen trieb der Schnee.
"Das sind die weißen Bienen, die schwärmen!" sagte die alte Großmutter.
"Haben sie auch eine Bienenkönigin?" fragte der kleine Knabe, denn er wußte, daß unter den wirklichen Bienen eine solche ist.
"Die haben siel" sagte die Großmutter. "Sie fliegt dort; wo sie am dichtesten schwärmen, sie ist die größte von allen, und nie ist sie stille auf Erden, sie fliegt wieder in die schwarze Wolke hinauf. Manche Winternacht fliegt sie durch die Straßen der Stadt und blickt zu den Fenstern hinein, und dann befrieren die so sonderbar, gleichwie mit Blumen."
"Ja, das habe ich gesehen!" sagten beide Kinder; und nun wußten sie, daß es wahr sei.
"Kann die Schneekönigin hier hereinkommen?" fragte das Keine Mädchen
"Laß sie nur kommen," sagte der Knabe, "dann setze ich sie auf den warmen Ofen, und dann schmilzt sie."
Aber die Großmutter glättete sein Haar und erzählte andere Geschichten.
Am Abend, als der kleine Kay zu Hause und halb entkleidet war, kletterte er auf den Stuhl am Fenster und guckte aus dem kleinen Loche. Ein paar Schneeflocken fielen da draußen, und eine derselben, die allergrößte, blieb auf dem Rande des einen Blumenkastens liegen; sie wuchs mehr und mehr und wurde zuletzt ein ganzes Frauenzimmer; in den feinsten weißen Flor gekleidet, der wie von Millionen sternartiger Flocken zusammengesetzt war. Sie war so schön und fein, aber von EIS, dem blendenden, blinkenden Eise, und doch war sie lebendig; die Augen blitzten wie zwei nare Sterne, aber es war keine Ruhe noch Rast in ihnen. Sie nickte dem Fenster zu und winkte mit der Hand. Der kleine Knabe erschrak und sprang vom Stuhl hernieder; da war es, als ob draußen vor dem Fenster ein großer Vogel vorbeiflöge.
Am nächsten Tage wurde es klarer Frost — und dann kam das Frühjahr; die Sonne schien, das Grün keimte hervor, die Schwalben bauten Nester, die Fenster wurden geöffnet und die kleinen Kinder saßen wieder in ihrem kleinen Garten hoch oben in der Dachrinne über allen Stockwerken.
Die Rosen blühten diesen Sommer so prachtvoll. Das kleine Mädchen hatte in diesem Sommer ein Lied gelernt; in welchem auch von Rosen die Rede war, und bei den Rosen dachte sie an ihre eigenen, und sie sang es dem kleine Knaben vor, und er sang mit:
"Die Rosen, sie blühn und verwehen, Wir werden das Christkindlein sehen!" |
Und die Kleinen hielten einander bei den Händen, küßten die Rosen und blickten in Gottes klaren Sonnenschein hinein und sprachen zu demselben, als ob
Kay und Gerda saßen und blickten in das Bilderbuch mit Tieren und Vögeln, da war es — die Uhr schlug gerade fünf auf dem großen Kirchturme — daß Kay sagte: "Au, es stach mir in das Herzl Und jetzt flog mir etwas in das Auge!"
Das Seine Mädchen nahm ihn um den Hals, er blinzelte mit den Augen; nein, es war gar nichts zu sehen.
"Ich glaube, ist forti" sagte er; aber war es nicht. Es gerade so eins von diesen Glaskörnern, welches vom Spiegel gesprungen war, dem Zauberspiegel, wir entsinnen uns seiner wohl, das häßliche Glas, welches alles Große und Gute, was sich darin abspiegelte, nein und häßlich machte, aber das Böse und Schlechte trat ordentlich hervor, und jeder Fehler an einer Sache war gleich zu bemerken. Der arme Kay hatte auch ein Korn gerade in das Herz hinein bekommen. Das wird nun bald wie ein Eisklumpen werden. Nun tat es nicht mehr wehe, aber es war da.
"Weshalb weinst du?" fragte er. "So siehst du häßlich aus! Mir fehlt ja nichts! Pfui!" rief er auf einmal, "die Rose dort hat einen Wurmstich! Und sieh, diese da ist ja ganz schief! Im Grunde sind es häßliche Rosen! Sie gleichen dem Kasten, in welchem sie stehen!" und dann stieß er mit dem Fuße gegen den Kasten und riß die beiden Rosen ab.
"Kay, was machst du?" rief das kleine Mädchen; und als er ihren Schreck gewahr wurde, riß er noch eine Rose ab und lief dann in sein Fenster hinein von der Keinen lieblichen Benda fort.
Wenn sie später mit dem Bilderbuche kam, dann sagte er daß das für Säuglinge wäre, und erzählte die Großmutter Geschichten, so kam er immer mit einem Aber; ja, konnte er dazu gelangen, dann ging er hinter ihr her, setzte eine Brille auf und sprach ebenso wie sie; das machte er ganz treffend, und dann lachten die Leute über ihn. Bald konnte er allen Menschen in der ganzen Straße nachsprechen und nachgehen. Alles, was ihnen eigen und unschön war, das wußte Kay nachzumachen, und dann sagten die Leute: "Das ist sicher ein ausgezeichneter Kopf, den der Knabe hat!" Aber das war das Glas, das ihm in das Auge gekommen war, das Glas, welches ihm in dem Herzen saß; daher kam es daß er selbst die kleine Gerda neckte, die ihm von ganzem Herzen gut war.
Seine Spiele wurden nun ganz anders als früher, sie waren so verständig! An einem Wintertage, als es schneite, kam er mit einem großen Brennglase, hielt seinen blauen Rockzipfel hinaus und ließ die Schneeflocken darauf fallen
"Sieh nun in das Glas, Gerda!" sagte er und jede Schneeflocke wurde viel größer und sah aus wie eine prächtige Blume oder ein zehneckiger Stern; war schön anzusehen. "Siehst du, wie künstlich!" sagte Kay. "Das ist weit interessanter als die wirklichen Blumen, und es ist kein einziger Fehler daran, sie sind ganz akkurat, wenn sie nur nicht schmelzen würden!"
Bald darauf kam Kay mit großen Handschuhen und seinen Schlitten auf dem Nücken, und er rief Gerda gerade in die Ohren: "Ich habe Erlaubnis erhalten, auf den großen Platz zu fahren, wo die anderen Knaben spielen!" und weg er.
Sori auf dem Platze banden oft die kecksten Knaben ihre Schlitten an die
Fahrzeuge der Landleute fest, und dann fuhren sie ein gutes Stück Weges mit. Das ging prächtig! Als sie im besten Spielen waren, kam da ein großer Schlitten; der war ganz weiß angestrichen, und darin saß jemand in einen rauhen weißen Pelz gehüllt und mit einer weißen rauhen Mütze. Der Schlitten fuhr zweimal herum um den Platz, und Kay band seinen kleinen Schlitten schnell daran fest, und nun fuhr er mit. Es ging rascher und rascher, gerade hinein in die nächste Straße; der, welcher fuhr, endete das Haupt und nickte dem Kay freundlich zu, es war gerade, als ob sie einander kannten. Jedesmal, wenn Kay seinen kleinen Schlitten ablösen wollte, nickte die Person wieder, und dann blieb Kay sitzen. Sie fuhren gerade zum Stadttor hinaus. Da begann der Schnee so hernieder zu fallen, daß der kleine Knabe keine Hand vor sich erblicken konnte, aber er fuhr davon. Da ließ er schnell die Schnur fahren, um von dem großen Schlitten loszukommen, aber das half nichts, sein kleines Fahrzeug hing fest; und ging mit Windeseile. Da rief er ganz laut, aber niemand hörte ihn, und der Schnee trieb, und der Schlitten flog von dannen; mitunter gab einen Sprung, es war, als führe er über Gräben und Hecken. Er war ganz erschrocken, er wollte sein Vaterunser beten, aber er konnte sich nur des großen Einmaleins entsinnen.Die Schneeflocken wurden größer und größer, zuletzt sahen sie aus wie große weiße Hühner; auf einmal sprangen sie zur Seite, der große Schlitten hielt, und die Person, die ihn fuhr, erhob sich. Der Pelz und die Mütze waren ganz und gar von Schnee, es war eine Dame, hoch und schlank, glänzend weiß: es war die Schneekönigin.
"Wir sind gut gefahren!" sagte sie, "aber wer wird frieren! Krieche in meinen Bärenpelzl" und sie setzte ihn neben sich in den Schlitten, schlug den Pelz um ihn, und es war, als versinke er in einem Schneetreiben.
"Friert dich noch?" fragte sie, und dann küßte sie ihn auf die Stirn. Oh! das war kälter als Eig, das ging ihm gerade hinein bis in sein Herz, welches ja doch zur Hälfte ein Eisklumpen war. Es war, als sollte er sterben, aber nur einen Augenblick, dann tat es ihm gerade recht wohl; er spürte nichts mehr von der Kälte ringsumher.
"Meinen Schlitten! Vergiß nicht meinen Schlitten!" daran dachte er zuerst; und der wurde an eines der weißen Hühner festgebunden, und dieses flog hinterher mit dem Schlitten auf dem Rücken. Die Schneekönigin küßte Kay nochmals und da hatte er die kleine Gerda, die Großmutter und alle daheim vergessen.
"Nun bekommst du keine Küsse mehrt" sagte sie, "denn sonst küsse ich dich tot!"
Kav sah sie an, sie war so schön, ein klügeres, lieblicheres Antlitz konnte er sich nicht denken. Sie erschien ihm nun nicht von Eis wie damals, als sie draußen vor dem Fenster saß und ihm winkte; in seinen Augen war sie vollkommen,
er Mite gar keine Furcht; er erzählte ihr, daß er im Kopf rechnen könnte, und zwar mit Brüchen, er wisse die Größe des Landes in Quadratmeilen und die Einwohnerzahl, und sie lächelte immer. Da kam es ihm vor, als wäre es doch noch nicht genug, was er wisse, und er blickte hinauf in den großen, großen Luftraum, und sie flog mit ihm, flog hoch hinauf auf die schwarze Wolke, und der Sturm sauste und brauste, es war, als sänge er alte Lieder. Sie flogen über Wälder und Seen, über Meere und Länder; unter ihnen sauste der kalte Wind, die Wölfe heulten, der Schnee funkelte, über die Schneedecke flogen die schwarzen, schreienden Krähen dahin, aber hoch oben schien der Mond so groß und klar, und den betrachtete Kay die lange, lange Winternacht; am Tage aber schlief er zu Füßen der Schneekönigin.
Dritte Geschichte
Der Blumengarten bei der Frau, welche zaubern konnte
Aber wie erging es der kleinen Gerda, als Kay nicht zurückkehrte? Wo war er doch geblieben? Niemand wußte es niemand konnte Bescheid geben. Die Knaben erzählten nur, daß sie ihn seinen Schlitten an einen prächtig großen hätten binden sehen, der in die Straße hinein und ans dem Stadttor hinausgefahren wäre. Niemand wußte, wo er war, viele Tränen flossen, die Keine Guda weinte so viel und so lange; dann sagten sie, er sei tot, er wäre im Flusse versunken, der nahe bei der Stadt vorbeifloß. Oh, das waren recht lange, finstere Wintertage.
Nun kam der Frühling mit warmem Sonnenschein.
"Kay ist tot!" sagte die kleine Gerda.
"Das glaube ich nicht!" sagte der Sonnenschein.
"Er ist tot!" sagte sie zu den Schwalben.
"Das glauben wir nicht!" erwiderten diese, und am Ende glaubte die Keine Gerda es auch nicht.
Ich will meine neuen roten Schuhe anziehen," sagte sie eines Morgens, die, welche Kay nie gesehen hat und dann will ich zum Flusse hinunter gehen und den nach ihm fragen!"
Und es war noch ganz früh; sie küßte die alte Großmutter, welche noch schlief, zog die roten Schuhe an und ging ganz allein aus dem Stadttor nach dem Flusse.
"Ist es wahr, daß du meinen kleinen Spielkameraden genommen hast? Ich will dir meine roten Schuhe verehren, wenn du mir ihn wiedergeben willst!"
Und es war ihr, als nickten die Wogen so sonderbar; da nahm sie ihre roten Schuhe, das, was sie am liebsten hatte, und warf sie alle beide in den
Fluß hinaus, aber sie fielen dicht an das Ufer, und die Seinen Wellen trugen sie ihr wieder an das Land. Es war gerade, als wollte der Fluß das Liebste, was sie hatte, nicht nehmen, weil erden kleinen Kay ja nicht hatte. Aber sie glaubte nun, daß sie die Schuhe nicht weit genug hinausgeworfen habe, und so kroch sie in ein Boot, welches im Schilfe lag, sie ging ganz an das äußere Ende desselben und warf die Schuhe von da aus ino Wasser. Aber das Boot war nicht festgebunden, und bei der Bewegung, welche sie verursachte, glitt es vom Lande ab; sie bemerkte es und beeilte sich fortzukommen; aber ehe sie zurückkam, war das Boot über eine Elle vom Lande, und nun trieb es schneller von dannen.Da wurde die kleine Gerda ganz erschrocken und fing an zu weinen, aber niemand außer den Sperlingen hörte sie, und die konnten sie nicht an das Land tragen; aber sie flogen längs dem Ufer und sangen, gleichsam, um sie zu trösten: "Hier sind wir, hier sind wir!" Das Boot trieb mit dem Strome; die kleine Gerda saß ganz still in den bloßen Strümpfen; ihre Keinen roten Schuhe trieben hinterher, aber sie konnten das Boot nicht erreichen, das hatte stärkere Sahs
Hübsch war es an beiden Ufern, schöne Blumen, alte Bäume und Abhänge mit Schafen und Kühen, aber nicht ein Mensch war zu erblicken.
"Vielleicht trägt mich der Fluß zu dem kleinen Kay hin", dachte Gerda, und da wurde sie heiterer, erhob sich und betrachtete viele Stunden die schönen grünen Ufer; dann gelangte sie zu einem großen Kirschengarten, in dem ein kleines Haus mit sonderbaren roten und blauen Fenstern war, übrigens hatte ein Strohdach, und draußen standen zwei hölzerne Soldaten, die vor den Vorbeisegelnden das Gewehr schultertem
Werda rief nach ihnen, sie glaubte daß sie lebendig seien, aber sie antwortteten natürlich nicht; sie kam ihnen ganz nahe, der Fluß trieb das Boot gerade auf das Land zu.
Gerda rief noch lauter, und da kain eine alte, alte Frau aus dem Hause, die sich auf einen Krückstock stützte; sie hatte einen großen Sonnenhut auf, und der war mit den schönsten Blumen bemalt.
"Du kleines armes Kind!" sagte die alte Frau, "wie bist du doch auf den großen reißenden Strom gekommen und weit in die Welt hinausgetrieben worden!" Und dann ging die alte Frau ganz in das Wasser hinein, erfaßte mit ihrem Krückstock das Boot, zog es an das Land und hob die kleine Gerda heraus.
Diese war froh, wieder auf das Trockene zu gelangen, obgleich ihr ein bißchen bange vor der fremden alten Frau war.
"Komm doch und erzähle mir, wer du bist und wie du hierher kommst!" sagte sie.
Und Werda erzählte ihr alles; und die Alte schüttelte mit dem Kopfe und sagte: "Hm! bml" und als ihr Gerda alles gesagt und gefragt hatte, ob sie nicht den kleinen Kay gesehen habe, sagte die Frau, daß er nicht vorbeigekommen
sei, aber er käme wohl noch, sie solle nur nicht betrübt sein, sondern ihre Kirschen kosten, ire Blumen betrachteten, sie seien schöner als irgendein Bilderbuch, eine jede könne eine Geschichte erzählen. Dann nahm sie Gerda bei der Hand, sie gingen in das Keine Haus hinein, and die alte Frau schloß die Türe zu.Die Fenster lagen sehr hoch, und die Scheiben waren rot, blau und gew, und das Tageslicht schien mit allen Farben so sonderbar herein. Aber auf dem Tisch standen die schönsten Kirschen, und Gerda ass davon so viel sie wollte, denn das war ihr erlaubt. Und während sie speiste, kämmte die alte Frau ihr Haar mit einem goldenen Kamme, und das Haar ringelte sich und glänzte so herrlich gelb rings um das kleine, freundliche Antlitz, welches so rund war und wie eine Rose aussah.
"Nach einem so lieben kleinen Mädchen habe ich mich schon lange gesehnt", sagte die Alte. "Nun wirst du sehen, wie gut wir miteinander leben werden!" Und sowie sie der kleinen Gerda Haar kämmte, vergaß Gerda mehr und mehr ihren Pflegebruder Kay; denn die alte Frau konnte zaubern, aber eine böse Zauberin war sie nicht, sie zauberte nur ein bißchen zu ihrem eigenen Vergnügen, und nun wollte sie gern die kleine Gerda behalten. Deshalb ging sie hinaus in den Garten, streckte ihren Krückstock gegen alle Rosenstrauche aus und wie schön sie auch blühten, so sanken sie alle in die schwarze Erde hinunter, und man konnte nicht sehen, wo sie gestanden hatten. Die Alte fürchtete, daß Gerda, wenn sie die Rosen erblickte, an ihre eigenen denken, sich dann des kleinen Kay erinnern und davonlaufen möchte.
Nun führte sie Gerda hinaus in den Blumengarten. Nein, was war da für ein Duft und eine Herrlichkeit! Alle nur denkbaren Blumen, und das für jede Jahreszeit, standen hier im prächtigsten Flor; kein Bilderbuch konnte bunter und hübscher sein. Gerda sprang vor Freude und spielte, bis die Sonne hinter den hohen Kirschbäumen unterging, dann bekam sie ein schönes Bett mit roten Seidenkissen, die waren mit bunten Veilchen gestopft, und sie schlief und träumte da so herrlich wie nur eine Königin an ihrem Hochzeitstage.
Am nächsten Tage konnte sie wieder mit den Blumen im warmen Sonnen schein spielen. So verflossen viele Tage. Gerda kannte jede Blume, aber wie viele es auch waren, so war es ihr doch, als ob eine fehlte, aber welche, das wußte sie nicht. Da sitzt sie eines Tages und betrachtet den Sonnenhut der alten Frau mit den gemalten Blumen, und gerade die schönste darunter war eine Rose. Die Alte hatte vergessen, diese vom Hute wegzuwischen, als sie die anderen in die Erde verbannte. Aber so ist es, wenn man die Gedanken nicht immer zusammen hat! "Was!" sagte Gerda, "sind hier keine Rosens" und sprang zwischen die Beete, suchte und suchte, aber da war keine zu finden. Da setzte sie sich hin und weinte, aber ihre Tränen fielen gerade auf eine Stelle, wo ein Rosenstrauch versunken war, und als die warmen Tränen die Erde
benetzten, schoß der Strauch auf einmal empor, so blühend, als er versunken war, und Gerda umarmte ihn, küßte die Rosen und gedachte der herrlichen Rosen daheim und mit ihnen auch des Keinen Kay."Oh, wie bin ich aufgehalten worden!" sagte das kleine Mädchen. "Ich wollte ja den Keinen Kay suchen! Wißt ihr nicht, wo er ist?" fragte sie die Rosen. "Glaubt ihr, er sei tot?"
"Tot ist er nicht", sagten die Rosen. "Wir sind ja in der Erde gewesen, dort sind alle die Toten, aber Kay war nicht dal"
"Ich danke euch!" sagte die kleine Gerda, und sie ging zu den anderen Blumen hin, sah in deren Kelch hinein und fragte: "Wißt ihr nicht, wo der kleine Kay ist?"
Aber jede Blume stand in der Sonne und träumte ihr eigenes Märchen oder Geschichtchen, davon hörte Gerda so viele, viele, aber keine wußte etwas von Kay.
Und was sagte denn die Feuerlilie?
"Hörst du die Trommeln Bum! Bum! Es sind nur zwei Töne, immer bum! bum! Höre der Frauen Trauergesang! Höre den Ruf der Priester! In ihrem langen roten Mantel steht das Hinduweib auf dem Scheiterhaufen, die Flammen lodern um sie und ihren toten Mann empor; aber das Hinduweib denkt an den Lebenden hier im Kreise, an ihn, dessen Augen heißer denn die Flammen brennen, an ihn, dessen Augenfeuer ihr Herz stärker berührt als die Flammen, welche bald ihren Körper zu Asche verbrennen. Kann die Flamme des Herzens in der Flamme des Scheiterhaufens ersterben?"
"Das verstehe ich durchaus nicht!" sagte die Seine Gerda.
"Das ist mein Märchen!" sagte die Feuerlilie. Was sagte die Winde?
"Über den schmalen Feldweg hinaus hängt eine alte Ritterburg; dichtes Immergrün wächst um die alten roten Mauern empor, Blatt an Blatt, um den Altan herum, und da steht ein schönes Madsen; sie beugt sich über das Geländer hinaus und sieht den Weg hinunter. Keine Rose hängt frischer an den Zweigen als sie, keine Apfelblüte, wenn der Wind sie dem Baum entführt, schwebt schöner alg sie; wie rauscht das prächtige Seidengewand! .Kommt er noch nicht?"
"Ist es Kay, den du meinst?" fragte die Keine Berna.
"Ich spreche nur von meinem Märchen, meinem Traum!" erwiderte die Winde.
Was sagte die kleine Schneeblumen
"Zwischen Bäumen hängt an Seilen das lange Brett, das ist eine Schaukel. Zwei niedliche kleine Mädchen — die Kleider sind weiß wie der Schnee, lange grüne Seidenbänder flattern von den Hüten — sitzen und schaukeln sich; der Bruder, welcher größer ist als sie, steht in der Schaukel, er hat den Arm um das Seil geschlagen, um sich zu halten, denn in der einen Hand hält er eine kleine Schale, in der anderen eine Tonpfeife, er bläst Seifenblasen. Die Schaukel geht, und die Blasen fliegen mit schönen, wechselnden Farben; die letzte hängt noch am Pfeifenstiele und biegt sich im Winde; die Schaukel geht. Der kleine schwarze Hund, leicht wie die Blasen, erhebt sich auf den Hinterfüßen und will mit in die Schaukel; sie fliegt; der Hund fällt, bellt und ist böse; er wird neckt, die Blasen bersten. Ein schaukelndes Brett, ein zersprmgendes Schaumbild ist mein Gesang!"
"Es ist wohl möglich, daß es hübsch ist, was du erzählst, aber du sagst es so traurig und erwähnst des kleinen Kay gar nicht."
Was sagten die Hyazinthen?
"Es waren drei schöne Schwestern, durchsichtig und fein. Der einen Seid war rot, das der anderen blau, das der dritten ganz weiß. Hand in Hand tanzten sie beim stillen See im klaren Mondenscheine. Es waren keine Elfen, es waren Menschenkinder. Dort duftete es so süß, und die Mädchen verschwanden im Walde. Der Duft wurde stärker. Drei Särge, darin lagen die schönen Mädchen, glitten von des Waldes Dickicht über den See dahin; die Johanniswürmchen flogen leuchtend ringsherum als kleine schwebende Lichter. Schlafen die tanzenden Mädchen oder sind sie tot? Der Blumenduft sagt, sie sind Leichen; die Abendglocke läutet den Grabgesang!"
"Du machst mich ganz betrübt!" sagte die Keine Gerda. "Du duftest so stark; ich muß an die toten Mädchen denken! Ach, ist denn der kleine Kay
wirklich tot? Die Rosen sind unten in der Erde gewesen, und die sagen: Nein!""Kling, klang!" läuteten die Hyazinthenglocken. "Wir läuten nicht für den Keinen Kay, wir kennen ihn nicht! Wir singen nur unser Lied, das einzige, welches wir können!"
Und Gerda ging zur Butterblume, die aus den glänzenden grünen Blättern hervorschien.
"Du bist eine Keine klare Sonne!" sagte Gerda. "Sage mir, ob du weißt, wo ich meinen Gespielen finden kann?"
Und die Butterblume glänzte so schön und sah wieder auf Gerda. Welches Lied konnte wohl die Butterblume singen? Es handelte auch nicht von Kay.
"In einem kleinen Hofe schien die liebe Gottessonne am ersten Frühlingstage so warm; ihre Strahlen glitten an des Nachbarhauses weißen Wänden hinab, dicht dabei wuchs die erste gelbe Blume, glänzte golden in den warmen Sonnenstrahlen. Die alte Großmutter saß draußen in ihrem Stuhl, die Enkelin, ein armes, schönes Dienstmädchen, kehrte von einem kurzen Besuche heim; sie küßte die Großmutter. Es war Gold, Herzensgold in dem gesegneten Kusse. Gold im Munde, Gold im Grunde, Gold dort in der Morgenstunde! Sieh, das ist meine kleine Geschichte!" sagte die Butterblume.
"Meine arme alte Großmutter!" seufzte Gerda. "Ja, sie sehnt sich gewiß nach mir, ist betrübt über mich, ebenso, wie sie es über den kleinen Kay war. Aber ich komme bald wieder nach Hause, und dann bringe ich Kay mit. Es nützt zu nichts, daß ich die Blumen frage, die wissen nur ihr eigenes Lied, sie geben mir keinen Bescheid!" Und dann band sie ihr kleines Kleid auf, damit sie rascher läufen könne; aber die Pfingstlilie schlug ihr über das Bein, indem sie darüber hinsprang. Da blieb sie stehen, betrachtete die lange gelbe Blume und fragte: "Weißt du vielleicht etwas?" und sie bog sich ganz zur Pfingstlilie hinab. Und was sagte die?
"Ich kann mich selbst erblicken! Ich kann mich selbst sehen!" sagte die Pfingstlilie. "Oh, oh, wie ich dufte! Oben in dem kleinen Erkerzimmer steht, halb bekleidet, eine kleine Tänzerin, sie steht bald auf einem Bein, bald auf beiden, sie tritt die gang Welt mit Füßen, sie ist nichts als Augenverblendung. Sie gießt Wasser aus dem Teetopfe auf ein Stück Zeug aus, welches sie hält, es ist der Schnürleib — Reinlichkeit ist eine schöne Schel Das weiße Kleid hängt am Haken, das ist auch im Teetopf gewaschen und auf dem Dache getrocknet Sie zieht es an, nimmt das safrangelbe Tuch um den Hals, so scheint das Kleid weißer. Das Bein ausgereckt! Sieh, wie sie auf einem Stiele prangt! Ich kann mich selbst erblicken! Ich kann mich selbst sehen!"
"Darum kümmere ich mich gar nisi" sagte Gerda. "Das brauchst du mir nicht zu erzählen!" Und dann lief sie nach dem Ende des Gartens.
Die Tür war verschlossen, aber sie drückte auf die verrostete Klinke, so daß diese losging; die Tür sprang auf, und da lief die kleine Gerda auf bloßen Füßen in die weite Welt hinaus. Sie blickte dreimal zurück, aber da war niemand, der sie verfolgte; zuletzt konnte sie nicht mehr laufen und setzte sich auf einen großen Stein, und als sie ringsum sah, war der Sommer vorbei, es war Spätherbst, das konnte man in dem schönen Garten gar nicht bemerken, wo immer Sonnenschein und Blumen aller Jahreszeiten waren.
Gott, wie habe ich mich verspätet!" sagte die kleine Werda "Es ist ja Herbst geworden, da darf ich nicht ruhen!" und sie erhob sich, um weiterzugehen.
Oh, wie warm ihre Keinen Füße so wund und so müde, und ringsumher sah es kalt und rauh aus; die langen Weidenblätter waren ganz gelb, und der Tau tröpfelte als Wasser herab, ein Blatt fiel nach dem andern ab, nur der Schlehdorn trug noch Früchte, die waren herbe und zogen den Mund zusammen. Oh, wie war es grau und schwer in der weiten Weltl
Vierte Geschichte
Prinz und Prinzessin
Gerda mußte wieder ausruhen. Da hüpfte dort auf dem Schnee, der Stelle, wo sie saß, gerade gegenüber, eine große Krähe, die hatte lange gesessen, sie betrachtet und mit dem Kopfe gewackelt; nun sagte sie: "Kra, kral — gut Tag, gut Tag!" Besser konnte sie es nicht herausbringen, aber sie meinte es so gut mit dem kleinen Mädchen und fragte, wohin sie so allein in die weite Welt hinausginge. Das Wort "allein" verstand Gerda schr wohl und fühlte recht, wie viel darin lag, und dann erzählte sie der Krähe ihr ganzes Leben und Geschick und fragte, ob sie Kay nicht gesehen habe.
Und die Krähe nickte ganz bedächtig und sagte: "Das könnte sein! Das könnte sein!"
"Wie, glaubst du?" rief das kleine Mädchen und hätte fast die Kräht totgedrückt, so küßte sie diese.
"Vernünftig, vernünftig!" sagte die Krähe. "Ich glaube, ich weiß — ich glaube, es kann der kleine Kay sein! Aber nun hat er dich sicher über der Prinzessin vergessen!"
"Wohnt er bei einer Prinzessin?" fragte Gerda.
"Ja, höre!" sagte die Krähe, "aber fällt mir so schwer, deine Sprache zu reden. Verstehst du die Krähensprache, dann will ich besser erzählen!"
"Nein, die habe ich nicht gelernt" sagte Benda, "aber die Großmutter
konnte sie, und auch Kleinkinderkauderwelsch konnte sie sprechen. Hätte ich es nur gelernt!""Tut gar nichts!" sagte die Krähe. "Ich werde erzählen, so gut ich kann, aber schlecht wird es immer," und dann erzählte sie, sie wußte.
"In diesem Königreiche, in welchem wir jetzt sitzen, wohnt eine Prinzessin die ist so unbändig klug, aber sie hat auch alle Zeitungen, die es in der Welt gibt, gelesen und wieder vergessen, so klug ist sie. Vor kurzem sitzt sie auf dem Throne, und das ist doch nicht so angenehm, sagt man; da fängt sie an ein Lied zu singen, und das war dieses: Weshalb sollt ich mich nicht verheiraten? Höre, da ist etwas daran, sagte sie, und so wollte sie sich verheiraten, aber sie wollte einen Mann haben, der zu antworten verstand, wenn man mit ihm sprach, einen, der nicht nur stand und vornehm aussah, denn das ist so langweilig. Nun ließ sie alle Hofdamen zusammentrommeln, und als diese hörten, INO sie wollte, wurden sie sehr vergnügt. .Das mag ich leiden! sagten sie, ,daran dachte ich neulich auch!' — Du kannst glauben, daß jedes Wort, das ich sage, wahr ist!" sagte die Krähe. "Ich habe eine zahme Geliebte, die geht frei im Schlosse umher, und die hat mir alles erzähl!"
Die Geliebte war natürlicherweise auch eine Krähe. Denn eine Krähe sucht die andere auf, und das bleibt immer eine Krähe.
"Die Zeitungen kamen sogleich mit einem Rande von Herzen und der Prinzessin Namenszug heraus. Man konnte dann lesen, daß es jedem jungen Manne, der gut aussah, freistehe, auf das Schloß zu kommen und mit der Prinzessin zu sprechen, und derjenige, welcher rede, daß man hören könne, er sei dort zu Hause, und der am besten spreche, den wolle die Prinzessin zum Manne nehmen! — Ja, ja!" sagte die Krähe, "du kannst es mir glauben, es ist so gewiß wahr, als ich hier sitze. Die Leute strömten herzu, da war ein Gedränge und ein Laufen, aber es glückte nicht, weder den ersten noch den zweiten Tag. Sie konnten alle gut sprechen, wenn sie draußen auf der Straße waren, aber wenn sie in das Schloßtor traten und sahen die Garden in Silber und die Treppe hinauf die Lakaien in Gold und die großen erleuchteten Säle, dann wurden sie verwirrt; und standen sie vor dem Throne, wo die Prinzessin saß, dann wußten sie nichts zu sagen als das letzte Wort, das sie gesprochen hatte, und sie kümmerte sich nicht darum, das noch einmal zu hören. war gerade, als ob die Leute dadrinnen Schnupftabak auf den Magen bekommen hätten und in den Schlaf gefallen wären, bis sie wieder auf die Straße kamen; ja, dann konnten sie wieder sprechen. Da stand eine ganze Reihe vom Stadttor an bis zum Schlosse. Ich war selbst drinnen, um es zu sehen!" sagte die Krähe. "Sie wurden sowohl hungrig wie durstig, aber auf dem Schlosse erhielten sie nicht einmal ein Glas Wasser. Zwar hatten einige der Klügsten Butterbrot mitgenommen, aber sie
teilten nicht mit ihrem Nachbar, sie dachten: ,Laß ihn nur hungrig aussehen dann nimmt die Prinzessin ihn nicht!""Aber Kay, der kleine Kay!" fragte Gerda "Wann kam der? War er unter der Menge?"
"Warte, warte, nun sind wir gerade bei ihm! war am dritten Tage, da kam dort eine kleine Person, ohne Pferd oder Wagen, ganz fröhlich gerade auf das Schloß marschiert; seine Augen glänzten wie deine, er hatte schöne lange Haare, aber sonst ärmliche Kleider."
"Das war Kay!" jubelte Gerda. "Oh, dann habe ich ihn gefunden!" und sie klatschte in die Hände.
"Er hatte ein kleines Ränzel auf dem Rücken!" sagte die Krähe.
"Nein, das war sicher sein Schlitten!" sagte Gerda; "denn mit dem Schlich ten ging er fort!"
"Das kann wohl sein!" sagte die Krähe, "ich sah nicht so genau darnach. Aber das weiß ich von meiner zahmen Geliebten, daß, wie er in das Schloßtor kam und die Leibgardisten in Silber und die Treppe hinauf die Lakaien in Gold sah, er nicht im mindesten verlegen wurde, sondern nickte und zu ihnen sagte: Das muß langweilig sein, auf der Treppe zu stehen, ich gehe lieber hinein!" Da glänzten die Säle von Lichtern; Geheimräte und Erzellenzen gingen auf bloßen Füßen und trugen Goldgefäße; man konnte wohl schüchtern werden; seine Stiefel knarrten so gewaltig laut, aber ihm wurde doch nicht Hangel"
"Das ist ganz gewiß Kay!" sagte Werda "Ich weiß, er hatte neue Stiefel, ich habe sie in der Großmutter Stube knarren hören!"
"Ja, knarren taten sie!" sagte die Krähe, "und fröhlich ging er gerade zur Prinzessin hinein, die auf einer großen Perle saß, welche so groß wie ein Spinnrad war, und alle Hofdamen mit ihren Jungfern und den Jungfern der Jungfern und alle Kavaliere mit ihren Dienern und den Dienern der Diener, die wieder einen Burschen hielten, standen ringsherum aufgestellt, und je näher sie der Tür standen, desto stolzer sahen sie aus. Des Dieners Dieners Burschen, der immer in Pantoffeln geht, darf man kaum anzusehen wagen, so stolz steht er in der Tür."
"Das muß greulich sein!" sagte die Keine Gerda. "Und Kay hat doch die Prinzessin erhalten?"
"Wäre ich nicht eine Krähe gewesen, so hätte ich sie genommen, und das ungeachtet dessen, daß ich verlobt bin. Er soll ebenso gut gesprochen haben, wie ich spreche, wenn ich die Krähensprache rede, das habe ich von meiner zahmen Geliebten gehört. Er war fröhlich und niedlich; er war gar nicht gekommen zum Freien, sondern nur gekommen, um der Prinzessin Klugheit zu hören, und die fand er gut, und sie fand ihn wieder gut."
"Ja, sicher, das war Kay!" sagte Vers "Er war so klug, er konnte die
Kopfrechnung mit Brüchen! — Oh, willst du mich nicht auf dem Schlosse einführen?""Ja, das ist leicht gesagt!" sagte die Krähe. "Aber wie machen wir das? Ich werde darüber mit meiner zahmen Geliebten sprechen, sie kann uns wohl Rat erteilen; denn das muß ich dir sagen, so ein kleines Mädchen, wie du bist, bekommt nie die Erlaubnis, ordentlich hineinzukommen!"
"Ja, die erhalte ich!" sagte Gerda. "Wenn Kay hört, daß ich da bin, kommt er gleich heraus und holt mich!"
"Erwarte mich dort am Gitter!" sagte die Krähe, wackelte mit dem Kopfe und flog davon.
Erst als es spät abends war, kehrte die Krähe wieder zurück. Rar, rar!" sagte sie. "Ich soll dich vielmal von ihr grüßen, und hier ist ein kleines Brot dich, das nahm sie aus der Küche, da ist Brot genug, und du bist sieler hungrig! Es ist nicht möglich, daß du in das Schloß hineinkommst! Du hast ja bloße Füße. Dig Garden in Silber und die Lakaien in Gold würden es nicht erlauben. Aber weine nicht du sollst schon hinaufkommen. Meine Geliebte kennt eine kleine Hintertreppe, die zum Schlafgemache führt, und sie weiß, wo sie den Schlüssel erhalten kann!"
Und sie gingen in den Garten hinein, in die große Allee, wo das eine Blatt nach dem anderen abfiel, und als auf dem Schlosse die Lichter ausgelöscht wurden, das eine nach dem anderen, führte die Krähe die kleine Gerda zu einer Hintertür, die angelehnt stand.
Oh, wie Gerdas Herz vor Angst und Sehnsucht pochte! Es war gerade, als ob sie etwas Böses tun wollte, und sie wollte ja doch nur wissen, ob hier der kleine Kay sei. Ja, der mußte hier sein; sie gedachte so lebendig seiner klaren Augen, seines langen Haares; sie konnte ordentlich sehen, wie er lächelte, so wie damals, als sie daheim unter den Rosen saßen. Er würde sicher froh werden, sie zu erblicken, zu hören, welchen langen Weg sie um seinetwillen zurückgelegt habe, zu wissen, wie betrübt sie alle daheim gewesen seien, als er nicht wiedergekommen war. Oh, das war eine Furcht und eine Freudel
Nun waren sie auf der Treppe. Da brannte eine Keine Lampe auf einem Schranke, und mitten auf dem Fußboden stand die zahme Krähe und wendete den Kopf nach allen Seiten und betrachtete Gerda, die sich verneigte, wie die Großmutter sie gelehrt hatte.
"Mein Verlobter hat mir so viel Gutes von Ihnen gesagt, mein kleines Fräulein," sagte die zahme Krähe, "Ihr Lebensschicksal ist auch sehr rührend! Wollen Sie die Lampe nehmen, dann werde ich vorangehen. Wir gehen hier den geraden Weg, denn da begegnen wir niemand!"
"ES ist mir, als käme jemand gerade hinter uns!" sagte Gerda, und es sauste an ihr vorbei; es war wie Schatten an der Wand entlang, Pferde mit
fliegenden Mähnen und dünnen Beinen, Jägerburschen, Herren und Damen zu Pferde."Das sind nur Träume!" sagte die Krähe, "die kommen und holen der hohen Herrschaft Gedanken zur Jagd ab. Das ist recht gut, dann können Sie sie besser im Bette betrachten. Aber ich hoffe, wenn Sie zu Ehren und Würden gelangen, daß Sie dann ein dankbares Herz zeigen werden!"
"Darüber bedarf es ja gar keiner Redensarten!" sagte die Krähe vom Walde.
Nun kamen sie in den ersten Saal, der war von rosenrotem Atlas mit künstlichen Blumen anden Wänden hinauf. Hier sausten die Träume schon an ihnen vorüber, aber sie fuhren so schnell, daß Gerda die hohen Herrschaften nicht zu sehen bekam. Ein Saal war immer prächtiger als der andere, ja, man konnte wohl betäubt werden, und nun waren sie im Schlafgemach. Die Decke hier glich einer großen Palme mit Blättern von Glas, kostbarem Glase, und mitten auf dem Fußboden hingen an einem dicken Stengel von Gold zwei Betten, von denen jedes wie eine Lilie aussah. Das eine war weiß, in dem lag die Prinzessin; das andere war rot, und in diesem sollte Gerda den kleinen Kay suchen Sie
Der Prinz glich nur im Nacken, aber jung und hübsch war er. Und aus dem weißen Lilienbaum blinzelte die Prinzessin hervor und fragte, was das
wäre. Da weinte die Keine Gerda und erzählte ihre ganze Geschichte und alles, was die Krähen für sie getan hätten."Du armes Kind!" sagten der Prinz und die Prinzessin, und sie belobten die Krähen und sagten, daß sie gar nicht böse auf sie seien, aber sie sollten es doch nicht öfter tun. Übrigens sollten sie eine Belohnung erhalten.
"Wollt ihr frei fliegen?" fragte die Prinzessin, "oder wollt ihr feste Anstellung als Hofkrähen haben mit allem, was da in der Küche abfällt?"
Und beide Krähen verneigten sich und baten um feste Anstellung, denn sie gedachten ihres Alters und sagten, es sei schön, etwas für das Alter zu hasen.
Der Prinz stand aus seinem Bette auf und ließ Werda dann schlafen, und mehr konnte er wirklich nicht tun. Sie faltete ihre kleinen Hände und dachte: "Wie gut sind nicht die Menschen und Tiere!" und dann schloß sie ihre Augen und schlief so sanft. Alle Träume kamen wieder hereingeflogen, und da sahen sie wie Gottes Engel aus, und sie zogen einen kleinen Schlitten, auf welchem Kay saß und nickte. Aber das Ganze war eben nur Traum, und deshalb war es auch wieder fort, sobald sie erachte.
Am nächsten Tage wurde sie von Kopf bis zu Fuß in Seide und Sammet gekleidet; es wurde ihr angeboten, auf dem Schlosse zu bleiben und gute Tage zu genießen, aber sie bat nur um einen kleinen Wagen mit einem Pferde davor und um ein Paar kleine Stiefel, dann wolle sie wieder in die weite Welt hinausfahren und Kay suchen.
Sie erhielt sowohl Stiefel als Muff, sie wurde niedlich gekleidet, und als sie fort wollte, hielt vor der Tür eine neue Kutsche von reinem Golde; des Prinzen und der Prinzessin Wappen glänzte an derselben wie ein Stern. Mitscher, Diener und Vorreiter, denn da waren auch Vorreiter, saßen mit Goldkronen auf dem Kopfe. Der Prinz und die Prinzessin halfen ihr selbst in den Wagen und wünschten ihr alles Glück. Die Waldkrähe, welche nun verheiratet war, begleitete sie die ersten drei Meilen; sie saß ihr zur Seite, denn sie konnte nicht vertragen, rückwärts zu fahren; die andere Kreis stand in der Tür und schlug mit den Flügeln, sie kam nicht mit, denn sie litt an Kopfschmerzen, seitdem sie feste Anstellung und zu viel zu essen erhalten hatte. Inwendig die Kutsche mit Zuckerbrezeln gefüttert, und im Sitze waren Früchte und Pfeffernüsse.
"Lebe wohl! Lebe wohl!" riefen der Prinz und die Prinzessin, und die kleine Gerda weinte, und die Krähe weinte. So ging es die ersten Meilen; da sagte auch die Krähe Lebewohl, und das war der schwerste Abschied. Sie flog in einen Baum hinauf und schlug mit ihren schmerzen Flügeln, solange sie den Wagen, welcher wie der klare Sonnenschein glänzte, erblicken konnte.
Fünfte Geschichte
Das kleine Räubermädchen
Sie fuhren durch den dunklen Wald, aber die Kutsche leuchtete gleich einer Fackel. Das stach den Räubern in die Augen, das konnten sie nicht ertragen.
Das ist Gold! Das ist Gold!" riefen sie, stürzten hervor, ergriffen die Pferde, schlugen die Keinen Vorreiter, den Kutscher und die Diener tot und zogen nun die kleine Gerda aus dem Wagen.
"Sie ist fett, sie ist niedlich, sie ist mit Nußkernen gefüttert!" sagte das alte Räuberweib, das einen langen struppigen Bart und Augenbrauen hatte, die ihr über die Augen herabhingen.
"Das ist so gut wie ein kleines fettes Lamm! Na, wie soll die schmecken!" und dann zog sie ihr blankes Messer heraus, und das glänzte, daß es greulich war.
"Au!" sagte das Weib zu gleicher Zeit, denn sie wurde von ihrer eigenen Tochter, die auf ihrem Rücken hing, so wild und unartig, daß es eine Lust war; in das Ohr gebissen. "Du häßliches Blag!" sagte die Mutter und kam nicht dazu, Gerda zu schlachten.
"Sie soll mit mir spielen!" sagte das Seine Räubermädchen. "Sie soll mir ihren Muff, ihr hübsches Kleid geben, bei mir in meinem Bette schlafen!" und dann bist sie wieder, daß das Räuberweib in die Höhe sprang und sich ringsherumdrehte, und alle Räuber lachten und sagten: "Sieh, wie sie mit ihrem Jungen tanzt!"
"Ich will inden Wagen hinein!" und sie mußte und wollte ihren Willen haben, denn sie war so verzogen und hartnäckig. Sie und Werda saßen darinnen, und so fuhren sie über Stock und Stein tiefer in den Wald hinein. Das kleine Räubermädchen war so groß wie Werda, aber stärker, breitschultriger und von dunkler Haut. Die Augen waren ganz schwarz, sie sahen fast traurig aus. Sie nahm die kleine Gerda um den Leib und sagte: "Sie sollen dich nicht schlachten, solange ich dir nicht böse werde! Du bist wohl eine Prinzessin?"
"Nein", sagte Gerda und erzählte ihr alles, was sie erlebt hatte, und wieviel sie vom kleinen Kay hielt.
Das Räubermädchen betrachtete sie ganz ernsthaft, nickte ein wenig mit dem Kopfe und sagte: "Sie sollen dich nicht schlachten, selbst wenn ich dir böse werde, dann werde ich es schon selbst tun!" und dann trocknete sie Gerdas Augen und steckte dann ihre beiden Hände in den schönen Muff, der so weich und warm war.
Nun hielt die Kutsche still; sie waren mitten auf dem Hofe eines Räuberschlosses, das von oben bis unten geborsten war. Raben und Krähen flogen aus den offenen Löchern, und die großen Bullenbeißer, von denen ein jeder aussah, als könnte er einen Menschen Schlingen, sprangen hoch empor, aber sie bellten nicht, denn das war verboten.
In dem großen, alten, verräucherten Saale brannte mitten auf dem steinernen Fußboden ein großes Feuer; der Rauch zog unter der Decke hin und mußte sich selbst den Ausweg suchen; ein großer Braukessel mit Suppe kochte, und sowohl Hasen als Kaninchen wurden an Spießen gebraten.
"Du sollst diese Nacht mit mir bei allen meinen kleinen Tieren schlafen!" sagte das Räubermädchen. Sie bekamen zu essen und zu trinken und singen dann nach einer Ecke, wo Stroh und Teppiche lagen. Oben darüber saßen auf Latten und Stäben mehr als hundert Tauben, die alle zu schlafen schienen, sich aber doch ein wenig drehten, als die beiden kleinen Mädchen kamen.
"Die gehören mir alle!" sagte das kleine Räubermädchen und ergriff eine der nächsten, hielt sie bei den Füßen und schüttelte sie, daß sie mit den Flügeln schlug. Küsse sie!" rief sie und schlug sie ihr ino Gesicht "Da sitzen die Waldkanaillen", fuhr sie fort und zeigte hinter eine Anzahl Stäbe, die vor einem Loche oben in der Mauer eingeschlagen waren. "Das sind Waldkanaillen, die beiden, die fliegen gleich fort, wenn man sie nicht ordentlich verschlossen hält; und hier steht mein alter Liebster Bä!" und damit zog sie ein Renntier am Horn, welches einen blanken kupfernen Ring um den Hals trug und gebunden war. "Den müssen wir auch in der Klemme halten, sonst springt er von uns fort. An jedem Abend kitzele ich ihn mit meinem scharfen Messer am Halse, davor fürchtet er sich so!" und das kleine Mädchen zog ein langes Messer aus einer Spalte in der Mauer und ließ es über des Rennntiers Hals hingleiten. Das arme Tier schlug mit den Beinen aus, aber das kleine Räubermädchen lachte und zog dann Gerda mit in das Ben hinein.
"Willst du das Messer behalten, wenn du schläfst?" fragte Gerda und blase etwas furchtsam nach demselben.
"Ich schlafe immer mit d ;m Messer!" sagte das kleine Räubermädchen Man weiß nie, was vorfallen kann. Aber erzähle mir nun wieder, was du mir vorhin von dem kleinen Kay erzählt hast, und weshalb du in die weite Welt hinausgegangen bist." Und Gerda erzählte wieder von vorn an, und die Waldtauben knurrten oben im Käfig, und die andern Tauben schliefen. Das kleine Räubermädchen legte ihren Arm um Gerdas Hals, hielt das Messer in der anderen Hand und schlief, daß man es hören konnte, aber Gerda konnte ihre Augen durchaus nicht schließen, sie wußte nicht, ob sie leben oder sterben würde. Die Räuber saßen rings um das Feuer, sangen und tranken, und das Räuberweib schoß Purzelbäume. Oh! es war ganz greulich für das kleine Mädchen mit anzusehen.
Da sagten die Waldtauben: "Kurre, kurre! wir haben den Seinen Kay gesehen Ein weißes Huhn trug seinen Schlitten, er saß im Wagen der Schneekönigin, welcher dicht über den Wald hinfuhr, als wir im Neste lagen; sie blies auf uns Junge, und außer uns beiden starben alle; kurre! kurre!"
"Was sagt ihr dort oben?" rief Vers "Wohin reiste die Schneekönigin? Wißt ihr etwas davon?"
"Sie reiste wahrscheinlich nach Lappland, denn dort ist immer Schnee und EIS Frage das Renntier, welches am Strick angebunden steht."
"Dort ist Eis und Schnee, dort ist es herrlich und gut!" sagte das Renntier; "dort springt man frei umher in den großen glänzenden Tälern; dort hat die Schneekönigin ihr Sommerwelt; aber ihr festes Schloß ist da oben gegen den Nordpol, auf der Insel, die Spitzbergen genannt wirdt"
"O Kay, kleiner Kay!" seufzte Gerda.
"Nun mußt du still liegen!" sagte das Räubermädchen, "sonst stoße ich dir das Messer in den Leibl"
Am Morgen erzählte Gerda ihr alles, was die Waldtauben gesagt hatten, und das kleine Räubermädchen sah ganz ernsthaft aus, nickte aber mit dem Kopfe und sagte: "Das ist einerlei, das ist einerlei! Weißt du, wo Lappland ist?" fragte sie das Renntier.
"Wer könnte es wohl besser wissen als ich", sagte das Tier, und die Augen funkelten ihm im Kopfe. "Dort bin ich geboren und erzogen, dort bin ich auf den Schneefeldern herumgesprungen."
"Höre!" sagte das Räubermädchen zu Gerda, "du siehst, alle unsere Mannsleute sind fort, jedoch die Mutter ist noch hier, und sie bleibt zu Hause. Gegen Mittag aber trinkt sie aus der großen Flasche und schlummert dann ein wenig darauf; dann werde ich etwas für dich tun!" Nun sprang sie aus dem Bett, fuhr der Mutter um den Hals, zog sie am Knebelbart und sagte: "Mein einzig lieber Ziegenbock, guten Morgen!" Und die Mutter gab ihr Nasenstüber, daß die Nase rot und blau wurde, aber alles aus lauter Liebe.
als die Mutter dann aus ihrer Flasche getrunken hatte und darauf einschlief, ging das Räubermädchen zum Renntier hin und sagte: "Ich könnte große Freude davon haben, dich noch manchmal mit dem scharfen Messer zu kitzeln, denn dann bist du so possierlich; aber das ist einerlei, ich will deine Schnur lösen und dir hinaushelfen, damit du nach Lappland laufen kannst; aber du mußt tüchtig Beine machen und dieses kleine Mädchen zum Schlosse der Schneekönigin bringen, wo ihr Spielkamerad ist. Du hast wohl gehört, was sie erzählte, denn sie sprach laut genug, und du lauschtest!"
Das Renntier sprang vor Freude hoch empor. das Räubermädchen hob die kleine G rda hinauf und hatte die Vorsicht, sie festzubinden, ja sogar ihr ein kleines Kissen zum Sitzen zu geben. "Das ist einerlei," sagte sie, "da hast du deine Pelzstiefel, denn es wird kalt, aber den Muff behalte ich, der ist gar zu niedlich! Darum sollst du doch nicht frieren. Hier hast du meiner Mutter große Fausthandschuhe, die reichen dir gerade bis zum Ellbogen hinauf; ziehe sie ant Nun siehst du an den Händen gerade wie meine häßliche Mutter aus!"
Und Gerda weinte vor Freude.
"Ich kann nicht leiden, daß du heulst!" sagte das kleine Räubermädchen. Nun mußt du gerade recht froh aussehen; und da hast du zwei Brote und einen Schinken, dann wirst du nicht hungern." Beides wurde hinten auf das Renntier gebunden; das mme Räubermädchen öffnete die Tür, lockte alle großen Hunde herein, durchschnitt dann den Strick mit ihrem scharfen Messer und sagte zum Renntier: "Lauf denn, aber gib recht auf das Keine Mädchen acht!"
Werda streckte die Hände mit den großen Fausthandschuhen gegen das Räubermädchen aus und sagte Lebewohl, und dann flog das Renntier über Stock und
Stein davon, durch den großen Wald, über Sümpfe und Steppen, soviel es nur konnte. Die Wölfe heulten, und die Raben schrieen. Fut, fut! ging es am Himmel. Es war gerade, als ob er rote Funken nieste.
"Das sind meine alten Nordlichter!" sagte das Renntier, "sieh, wie sie leuchten!" Und dann lief es noch schneller davon, Nacht und Tag. Die Brote wurden verzehrt, der Schinken auch, und dann waren sie in Lappland.
Sechste Geschichte
Die Lappin und die Finnin
Bei einem kleinen Hause hielten sie an. Es war sehr jämmerlich; das Dach ging bis zur Erde hinunter, und die Tür war so niedrig, daß die Familie auf dem Bauche kriechen mußte, wenn sie heraus oder hinein wollte. Hier war außer
einer alten Lappin, welche bei einer Tranlampe Fische kochte, niemand zu Hause. Das Renntier erzählte Gerdas ganze Geschichte, aber zuerst seine eigene, denn diese erschien ihm weit wichtiger, und Gerda war von der Kälte so mitgenommen, daß sie nicht sprechen konnte."Ach, ihr Armen!" sagte die Lappin, "da habt ihr noch weit zu last Ihr müßt über hundert Meilen weit nach Finnmarken hinein, denn dort wohnt die Schneekönigin auf dem Lande und brennt jeden Abend bengalische Flammen. Ich werde ein paar Worte auf einen trockenen Klippfisch schreiben, Papier habe ich nicht, den werde ich euch für die Finnin dort oben mitgeben, sie kann euch besseren Bescheid erteilen als ich!"
und als Gerda nun erwärmt worden war und zu essen und zu trinken erhalten hatte, schrieb die Lappin ein paar Worte auf einen trockenen Klippfisch, bat Gerda, wohl darauf zu achten, band sie wieder auf das Renntier fest, und dieses sprang davon. Fut, fut! ging es oben in der Luft, die ganze Nacht brannten die schönsten blauen Nordlichter — und dann kamen sie nach Finnmarken und klopften an den Schornstein der Finnin, denn sie hatte nicht einmal eine Tür.
Da war eine Hitze drinnen, so daß die Finnin selbst fast ganz nackt ging; sie war nein und dabei ganz schmutzig. Sie löste gleich die Kleider der kleinen Gerda auf, zog ihr Fausthandschuhe und Stiefel aus, denn sonst wäre es ihr zu heiß geworden, legte dem Renntier ein Stück Eis auf den Kopf und las dann, auf dem Klippfisch geschrieben stand. Sie las dreimal, und dann wußte sie auswendig und stecks den Fisch in den Suppenkessel, denn der konnte ja gut gegessen werden, und sie verschwendete nie etwas.
Nun erzählte das Renntier zuerst seine Geschichte, dann die der Keinen Gerda, und die Finnin blinzelte mit den klugen Augen, sagte aber gar nichts.
"Du bist so klug," sagte das Renntier, "ich weiß, du kannst alle Winde der Welt in einen Zwirnsfäden zusammenbinden; wenn der Schiffer den einen Knoten löst, so erhält er guten Wind, löst er den anderen, dann weht es scharf, und löst er den dritten und vierten, dann stürmt es, daß die Wälder umfallen. Willst du nicht dem kleinen Mädchen einen Trank geben, daß sie Zwölfmannskraft erhält und die Schneekönigin überwindet?"
"Zwölfmannskraft," sagte die Finnin, "ja, das würde viel helfen!" Und dann ging sie nach einem Brette, nahm ein großes zusammengerolltes Fell hervor, und das rollte sie auf. Da waren wunderbare Buchstaben darauf geschrieben, und die Finnin las, daß ihr das Wasser von der Stirn heruntcrlief.
Aber das Renntier bat wieder so sehr für die kleine Gerda, und Gerda blickte die Finnin mit so bittenden Augen voller Tränen an, daß diese wieder mit den ihrigen zu blinzeln anfing und das Renntier in einen Winkel zog, wo sie ihm zuflüsterte, während es wieder fisches Eis auf den Kopf bekam:
"Der kleine Kay ist noch bei der Schneekönigin und findet dort alles nach
seinem Geschmack und Gefallen und glaubt, es sei der beste Ort in der Welt. Das kommt aber davon, daß er einen Glassplitter in das Herz und ein kleines Glaskörnchen in das Auge bekommen hat; die müssen zuerst heraus, sonst wird er nie ein Mensch, und die Schneekönigin wird die Gewalt über ihn behalten""Aber kannst du nicht der kleinen Gerda etwas eingeben, daß sie Gewalt über das Ganze erhält?"
"Ich kann ihr keine größere Gewalt geben, als sie schon besitzt! Siehst du nicht; wie groß diese ist? Siehst du nicht, wie Menschen und Tiere ihr dienen müssen, wie sie auf bloßen Füßen so gut n der Welt fortgekommen ist? Sie kann ihre Macht nicht von uns erhalten, die sitzt in ihrem Herzen und besteht darin, daß sie ein liebes unschuldiges Kind ist. Kann sie nicht selbst zur Schneekönigin hineingelangen und das Glas ans dem kleinen Kay bringen, dann können wir nicht helfen! Zwei Meilen von hier beginnt der Garten der Schneekönigin; dahin kannst du das kleine Mädchen tragen; setze sie beim großen Busche ab, welcher mit roten Beeren im Schnee steht, verliere aber nicht viele Worte und spute dich, hierher zurückzukommen!" Und damit hob die Finnin die kleine Gerda auf das Renntier; welches lief, was es konnte.
"Oh, ich bekam meine Stiefel nicht! Ich bekam meine Fausthandschuhe nicht!" rief die Keine Gerda, das merkte sie erst in der schneidenden Kälte, aber das Renntier wagte nicht anzuhalten, es lief, bis es zu dem Busche mit den roten Beeren gelangte. Da setzte es Gerda ab, küßte sie auf den Mund, und es liefen große blanke Tränen über des Tieres Backen, und dann lief was es nur konnte, wieder zurück. Dastand die arme Gerda, ohne Schuhe, ohne Handschuhe; mitten in dem fürchterlich eiskalten Finnmarken.
Sie lief vorwärts, so schnell sie konnte. Da kam ein ganzes Regiment Schneeflocken; aber sie fielen nicht vom Himmel herunter; der war ganz klar und glänzte von Nordlichts. Die Schneeflocken liefen gerade auf der Erde hin, und je näher sie kamen, desto größer wurden sie. Gerda erinnerte sich noch, wie groß und künstlich sie damals ausgesehen hatten, als sie die Schneeflocken durch ein Brennglas betrachtet hatte, aber hier waren sie wahrlich noch viel größer und fürchterlicher, sie waren lebendig, sie waren der Schneekönigin Vorposten. Sie hatten die sonderbarsten Gestalten; einige sahen aus wie häßliche große Stachelschweine, andere wie ganze Knoten, gebildet von Schlangen, welche die Köpfe hervorstreckten, und andere wie kleine dicke Bären, auf denen die Haare sich sträuben; alle glänzten weiß, alle waren lebendige Schneeflocken.
Da betete die kleine Gerda ihr Vaterunser, und die Kälte war so groß, daß sie ihren eigenen Atem sehen konnte; der stand ihr ganz wie Rauch aus dem Munde. Der Atem aber wurde immer dichter und dichter und gestaltete sich zu kleinen klaren Engeln, die mehr und mehr wuchsen, wenn sie die Erde berührun, und alle Helme auf dem Kopf und Spieß und Schild in den Händen hatten.
Ihre Anzahl wurde größer und größer, und als Gerda ihr Vaterunser geendet hatte, war da eine ganze Legion um sie. Sie stachen mit ihren Spießen gegen die greulichen Schneeflocken, so daß diese in hundert Stücke zersprangen, und dieAber nun wollen wir erst sehen, was Kay machte. Erdachte freilich nicht an die kleine Gerda, und am wenigsten, daß sie draußen vor dem Schlosse stände.
Siebente Geschichte
Von dem Schlosse der Schneekönigin, und was sich später darin zutrug
Des Schlosses Wände waren gebildet von dem treibenden Schnee und Fenster und Türen von den schneidenden Winden; da waren über hundert Säle, alle, wie der Schnee sie zusammentrieb; der größte erstreckte sich mehrere Meilen lang, alle beleuchtet von dem starken Nordlicht, und sie waren so weit, so leer, so eisig und so glänzend. Nie gab es hier Lustbarkeit, nicht einmal einen kleinen Bärenball, wozu der Sturm aufspielen und die Eisbären auf den Hinterfüßen gehen und dabei ihre Gebärden hätten zeigen können; nie eine kleine Spielgesellschaft mit Maulklapp und Tatzenschlag; nie ein klein bißchen Kaffeeklatsch von den weißen Fuchsfräuleins; leer, groß und kalt war es in den Sälen der Schneekönigin Die Nordlichter flammten so genau, daß man sie zählen konnte, wenn sie am höchsten und wenn sie am niedrigsten standen. Mitten in diesem leeren unendlichen Schneesaale war ein zugefrorener See; der war in tausend Stücke
gesprungen, aber jedes Stück war dem anderen so gleich, daß es ein wahres Kunstwerk war. Mitten auf diesem aber saß die Schneekönigin, wenn sie zu Hause war, und dann sagte sie, daß sie im Spiegel des Verstandes sitze, und daß dieser der einzige und beste in der Welt sei.Der kleine Kay war ganz blau vor Kälte, ja fast schwarz, aber er merkte es doch nicht, denn sie hatte ihm den Frostschauer abgeküßt, und sein Herz glich einem Eisklumpen. Er ging und schleppte einige scharfe flache Eisstücke, die er auf alle mögliche Weise aneinander paßte, gleichwie wir kleine Holztafeln haben und diese in Figuren zusammenlegen, was man das chinesische Spiel nennt. Kay ging auch und legte Figuren, die allerkünstlichsten; das war das Eisspiel des Verstandes. In senien Augen waren die Figuren ganz ausgezeichnet und von der höchsten Wichtigkeit; das machte das Glaskömchen, welches ihm im Auge saß! Er legte ganze Figuren, die ein geschriebenes Wort waren, aber nie konnte er es herausbringen, das Wort zu legen, das er gerade haben wollte, das Wort "Ewigkeit", und die Schneekönigin hatte gesagt: "Kannst du die Figur ausfindig machen, dann sollst du dein eigner Herr sein, und ich schenke dir die ganze Welt und ein Paar neue Schlittschuhe." Aber er konnte es nicht.
"Nun sause ich fort nach den warmen Landet" sagte die Schneekönigin. "Ich will hinfahren und in die fichten Töpfe hineinsehen!" — Das waren die feuerspeienden Berge Ätna und Vesuv, wie man sie nennt. —"Ich werde sie ein wenig weiß machen, das gehört dazu, das tut den Zitronen und Weintrauben gut!" Damit flog die Schneekönigin davon, und Kay saß ganz allein in dem viele Meilen großen leeren Eissaal, betrachtete die Eisstücke und dachte und dachte, so daß es in ihm knackte, ganz steif und stille saß er, man hätte glauben sollen, er wäre erfroren.
Da war es, daß die kleine Gerda durch das große Tor in das Schloß trat. Hier herrschten schneidende Winde; aber sie betete ein Abendgebet, und da legten sich die Winde, als ob sie schlafen wollten, und sie trat in die großen leeren, kalten Säle hinein — da erblickte sie Kay, sie erkannte ihn, sie flog ihm um den Hals, hielt ihn dann fest und rief: "Kay! lieber kleiner Kay! da habe ich dich endlich gefunden!"
Aber erfaß ganz stille, steif und kalt. Da ante die kleine Gerda heiße Tränen, die fielen auf seine Brust, sie drangen in sein Herz, sie tauten den Eisklumpen auf und verzehrten das kleine Spiegeltück darin; er betrachtete sie, und sie sang das Lied:
"Rosen, die blühn und verwehen, Wir werden das Christkindlein sehen!" |
Da brach Kay in Tränen aus; er weinte, daß das Spiegelkörnchen ans dem Auge schwamm, er erkannte sie und jubelte: "Gerda! liebe kleine Gerda! Wo bist du doch so lange gewesene und wo bin ich gewesen?" Und erblickte rings
um sich her. "Wie kalt es hier ist! Wie es hier weit und leer ist!" Und er klammerte sich an Gerda an, und sie lachte und weinte vor Freude. Das war so herrlich, daß selbst die Eisstücke vor Freude ringsherum tanzten, und als sie müde waren und sich niederlegten, lagen sie gerade in den Buchstaben, von denen die Schneekönigin gesagt hatte, daß er sie ausfindig machen sollte, dann sei er sein eigner Herr, und sie wolle ihm die ganze Welt und ein Paar neue Schlittschuhe geben.Und Gerda küßte seine Wangen, und sie wurden blühend; sie küßte seine Augen, und sie leuchteten gleich den ihren, sie küßte seine Hände und Füsse, und er war gesund und munter. Die Schneekönigin mochte nun nach Hause kommen: sein Freibrief stand da, mit glänzenden Eisstücken geschrieben.
Und sie faßten einander bei den Händen und wanderten aus dem großen Schlosse hinaus; sie sprachen von der Großmutter und von den Rosen oben auf dem Dache, und wo sie gingen, ruhten die Winde, und die Sonne brach hervor. Als sie den Busch mit den roten Beeren erreichten, stand das Renntier da und wartete; es hatte ein anderes junges Renntier mit sich, dessen Euter voll waren, und dieses gab den Kleinen seine warme Milch und küßte sie auf den Mund. Dann trugen sie Kay und Gerda erst zur Finnin, wo sie sich in der heißen Stube auswärmten und über die Heimreise Bescheid erhielten, dann zur Lappin, welche ihnen neue Kleider genäht und ihren Schlitten instand gesetzt hatte.
Das Renntier und das Junge sprangen zur Seite und folgten mit, gerade bis zur Grenze des Landes; dort sproßte das erste Grün hervor, da nahmen sie Abschied vom Renntiere und von der Lappin. "Lebt wohl!" sagten alle. Und die ersten kleinen Vögel begannen zu zwitschern, der Wald hatte grüne Knospen, und aus ihm kam auf einem prächtigen Pferde, welches Gerda kannte (es war vor die goldene Kutsche gespannt gewesen), ein junges Mädchen geritten mit einer glänzenden roten Mütze auf dem Kopfe und Pistolen im Halfter. Das war das kleine Räubermädchen, welches satt hatte, zu Hause zu sein, und nun erst gegen Norden und später, wenn ihr dies nicht zusagte; nach einer anderen Weitgegend hin wollte. Sie erkannte Gerda gleich, und Gerda erkannte sie, das eine Freude!
"Du bist ein schöner Patron mit deinem Herumschweifen!" sagte sie zum Keinen Kay. "Ich möchte wissen, ob du verdienst; daß man deinethalben bis an der Welt Ende läuft!"
Aber Gerda klopfte ihr die Wangen und fragte nach dem Prinzen und der Prinzessin.
"Oic sind nach fremden Ländern gereist!" sagte das Räubermädchen.
"Aber die Krähe?" fragte Gerda.
"Ja, die Krähe ist tot!" erwiderte sie. "Die zahme Geliebte ist Witwe geworden und geht mit einem Endchen schwarzen wollenen Garns um das Beni;
sie klagt ganz jämmerlich, und Geschwätz ist das Ganze! Aber erzähle mir nun, wie dir ergangen ist, und wie du ihn erwischt hast!"Und Gerda und Kay erzählten.
Das Räubermädchen nahm beide bei den Händen und versprach, daß, wenn sie je durch ihre Stadt kommen sollte, so wolle sie hinaufkommen, sie zu besuchen und dann ritt sie indie weite Welt hinaus. Aber Kay und Gerda gingen Hand in Hand, und wie sie gingen, war es herrlicher Frühling mit Blumen und mit Grün; die Kirchenglocken läuteten, und sie erkannten die hohen Türme, die große Stadt, es war die, in der sie wohnten, und sie gingen in sie hinein und hin zur Türe der Großmutter, die Treppe hinauf, in die Stube hinein, wo alles wie früher auf derselben Stelle stand, und die Uhr sagte: "Tickt tack!" und die Zeiger drehten sich; aber indem sie durch die Türe gingen, bemerkten sie, daß sie erwachsene Menschen geworden waren. Die Rosen aus der Dachrinne blühten zum offenen Fenster herein, und da standen noch die kleinen Kinderstühle, und Kay und Gerda setzten sich ein jeder auf den seinigen und hielten einander bei den Händen; die kalte leere Herrlichkeit bei der Schneekönigin hatten sie gleich einem schweren Traum vergessen. Die Großmutter saß in Gottes hellem Sonnenschein und las laut aus der Bibel: "Werdet ihr nicht wie die Kinder, so werdet ihr das Reich Gottes nicht erben!"
Und Kay und Gerda sahen einander in die Augen, und sie verstanden auf einmal den alten Gesang:
"Rosen, die blühn und verwehen, Wir werden das Christkindlein sehen!" |
Da saßen sie beide, erwachsen und doch Kinder, Kinder im Herzen, und es war Sommer, warmer, wohltuender Sommer.
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Draußen im Walde stand so ein niedlicher kleiner Tannenbaum; er hatte einen guten Platz, Sonne konnte er bekommen, Luft war genug da, und ringsumher wuchsen viele größere Kameraden, sowohl msn wie Fichten. Aber dem kleinen Tannenbaum schien nichts so wichtig als das Wachsen; er dachte nicht an die warme Sonne und die frische Luft; er kümmerte sich nicht um die Bauernkinder, die da gingen und plauderten, wenn sie herausgekommen waren, um Erdbeeren und Himbeeren zu sammeln. Oft kamen sie mit einer ganzen Kruke voll oder hatten Erdbeeren auf einen Strohhalm gezogen zogen, dann setzten sie sich neben den kleinen Tannenbaum und sagten: "Nein! wie niedlich Kein ist der!" Das mochte der Baum gar nicht hören.
Im folgenden Jahre war er ein langes Glied größer, und das Jahr darauf war er um noch eines länger, denn anden Tannenbäumen kann man immer nach den vielen Gliedern, die sie haben, sehen, wie viele Jahre sie gewachsen sind.
"Oh, wäre ich doch so ein großer Baum wie die anderen!" seufzte das kleine Bäumchen, "dann könnte ich meine Zweige so weit umher ausbreiten und mit der Krone in die weite Welt hinausblicken! Die Vögel würden dann Nester zwischen meinen Zweigen bauen, und wenn der Wind wehte, könnte ich so vornehm nicken, gerade wie die anderm dort!"
Er hatte gar keine Freude am Sonnenschein, an den Vögeln und den roten Wolken, die morgens und abends über ihn hinsegelten.
War es nun Winter und der Schnee lag ringsumher funkelnd weiß, so kam häufig ein Hase angesprungen und setzte gerade über den kleinen Baum weg. Oh, das war so ärgerlich! Aber zwei Winter vergingen; und im dritten war das Bäumchen so groß, daß der Hase darum herumlaufen mußte. "Oh, wachsen;
wachsen, groß und alt werden das ist doch das einzig Schöne in dieser Welt", dachte der Baum.Im Herbst kamen immer Holzhauer und fällten einige der größten Bäume; das geschah jedes Jahr, und dem jungen Tannenbaum, der nun ganz gut gewachsen war, schauderte dabei; denn die großen prächtigen Bäume fielen mit Knacken und Krachen zur Erde, die Zweige wurden abgehauen, die Bäume sahen ganz nackt, lang und schmal aus; sie waren fast nicht zu erkennen. Aber dann wurden sie auf Wagen gelegt, und Pferde zogen sie davon, aus dem Walde hinaus.
Wo sollten sie hin? Was stand ihnen bevor?
Im Frühjahr, als die Schwalben und Störche kamen, fragte der Baum sie: "Wißt ihr nicht, wo sie hingeführt wurden? Seid ihr ihnen begegnete"
Die Schwalben wußten nichts, aber der Storch sah nachdenklich aus, nickte mit dem Kopfe und sagte: "Ja, ich glaube wohl; mir begegneten viele neue Schiffe, als ich aus Ägypten flog; auf den Schiffen waren prächtige Mastbäume; ich darf annehmen, daß sie es waren, sie hatten Tannengeruch; ich kann vielmals grüßen, sie prangen, sie prangen!"
"Oh, wäre ich doch auch groß genug, um über das Meer hinfahren zu können! Was ist das eigentlich, dieses Meer, und wie sieht es aus?"
"Ja, das ist so weitläufig zu erklären!" sagte der Storch, und dann ging er.
"Freue dich deiner Jugend!" sagten die Sonnenstrahlen; "freue dich deines frischen Wachstums, des jungen Lebens, das in dir ist!"
Und der Wind küßte den Baum, und der Tau weinte Tränen über denselben, aber das verstand der Tannenbaum nicht.
Wenn es gegen die Weihnachtszeit war, wurden ganz junge Bäume gefällt, Bäume, die oft nicht einmal so groß oder gleichen Alters mit diesem Tannenbaume waren, der weder Rast noch Ruhe hatte, sondern immer davon wollte; diese jungen Bäume, und waren gerade die allerschönsten, behielten immer alle ihre Zweige; sie wurden auf Wagen gelegt, und Pferde zogen sie von dannen zum Walde hinaus.
"Wohin sollen die?" fragte der Tannenbaum. "Sie sind nicht größer als ich, vielmehr war da einer, der war viel Keiner. Weshalb behalten sie alle ihre Zweiges Wo fahren sie hin?"
"Das wissen wirt Das wissen wir!" zwitscherten die Sperlinge. "Unten in der Stadt haben wir in die Fenster gesehen! Wir wissen, wohin sie fahren! Oh, sie gelangen zur größten Pracht und Herrlichkeit, die man sich denken kann! Wir haben in die Fenster gesehen und erblickt, daß sie mitten in der warmen Stube aufgepflanzt und mit den schönsten Sachen, vergoldeten Äpfeln, Honigkuchen, Spielzeug und vielen Hunderten von Lichtern, geschmückt werden."
"Und dann?" fragte der Tannenbaum und bebte in allen Zweigen. "Und dann? Was geschieht daas"
"Ja, mehr haben wir nicht gesehen! Das war unvergleichlich schön."
"Ob ich wohl bestimmt bin, diesen strahlenden Weg zu betreten?" jubelte der Tannenbaum. "Das ist noch besser, als über das Meer zu ziehen! Wie leide ich an Sehnsucht! Wäre es doch Weihnachten! Nun bin ich hoch und entfaltet wie die anderen, die im vorigen Jahre davongeführt wurdent Oh, wäre ich erst auf dem Wagen! Wäre ich doch inder warmen Stube mit all der Pracht und Herrlichkeit! und dann, ja dann kommt noch etwas Besseres, noch Schöners, weshalb würden sie mich sonst so schmückens Es muß noch etwas Größeres, noch Herrlicheres kommen! Aber was? Oh, ich leide; ich sehne mich, ich weiß selbst nicht, wie es mir ist!"
"Freue dich unsert" sagten die Lust und das Sonnenlicht; "freue dich deiner frischen Jugend im Freien!"
Aber erfreute sich durchaus nicht; er wuchs und wuchs, Winter und Sommer stand er grün; dunkelgrün stand er da, die Leute, die ihn sahen, sagten: "Das ist ein schöner Baum!" und zur Weihnachtszeit wurde er von allen zuerst gefällt! Die Axt hieb tief durch das Mark, der Baum fiel mit einem Seufzer zu Boden, er fühlte einen Schmerz, eine Ohnmacht, er konnte gar nicht an irgendein Glück denken, er war betrübt, von der Heimat scheiden zu müssen, von dem Flecke; auf dem er emporgeschossen war; er wußte ja, daß er die lieben alten Kameraden, die kleinen Büsche und Blumen ringsumher nie mehr sehen würde, ja vielleicht nicht einmal die Vögel. Die Abreise war durchaus nichts Behagliches.
Der Baum kam erst wieder zu sich selbst, als er im Hofe, mit anderen Bäumen abgepackt, einen Mann sagen hörte: "Dieser hier ist prächtig! Wir brauchen nur diesen!"
Nun kamen zwei Diener im vollen Staat und trugen den Tannenbaum in einen großen schönen Saal. Ringsherum an den Wänden hingen Bilder, und bei dem großen Kachelofen standen große chinesische Vasen mit Löwen auf den Deckeln da waren Wiegestühle, seidene Sofas, große Tische voll von Bilderbüchern und Spielzeug für hundertmal hundert Reichstaler — wenigstens sagten das die Kinder. Und der Tannenbaum wurde in ein großes mit Sand gefülltes Faß gestellt, aber niemand konnte sehen, daß es ein Faß war, denn es wurde rundherum mit grünem Zeug behängt stand auf einem großen bunten Teppich. Oh, wie der Baum bebte! Was wird da doch vorgehen? Sowohl die Diener als die Fräuleins schmückten ihn. Auf einen Zweig hängten sie Keine Netze, aus farbigem Papier ausgeschnitten; jedes Netz war mit Zuckerwerk gefüllt; vergoldete Apfel und Walnüsse hingen herab, als wären sie festgewachsen, und über hundert rote, blaue und weiße Keine Lichter wurden in den Zweigen festgesteckt. Puppen, die leibhaftig wie die Menschen aussahen — der Baum
hatte früher nie solche gesehen — schwebten im Grünen, und hoch oben in der Spitze wurde ein Stern von Flittergold befestigt. Das war prächtig, ganz außerordentlich prächtig."Heut abend", sagten alle, "heut abend wird er strahlen!"
"Oh!" dachte der Baum, "wäre es doch Abend! Würden nur die Lichter bald angezündet! Und was dann wohl geschieht? Ob da wohl Bäume aus dem Walde kommen, mich zu sehen? Ob die Sperlinge gegen die Fensterscheibe fliegen? Ob ich hier festwachse und Winter und Sommer geschmückt stehen werde?"
Ja, er wußte gut Bescheid; aber er hatte ordentlich Borkenschmerzen vor lauter Sehnsucht, und Borkenschmerzen sind für einen Baum ebenso schlimm, wie Kopfschmerzen für uns andere.
Nun wurden die Lichter angezündet. Welcher Glanz, welche Pracht! Der Baum bebte in allen Zweigen dabei, so daß eins der Lichter das Grüne brannte; es sengte ordentlich.
"Gott bewahre uns!" schrieen die Fräuleins und löschten es hastig aus.
Nun durfte der Baum nicht einmal beben. Oh, das war ein Grauen! Ihm war so bange, etwas von seinem Staate zu verlieren; er war ganz betäubt von all dem Glanze. Und nun gingen beide Flügeltüren auf, und eine Menge Kinder stürzten herein, als wollten sie den ganzen Baum umwerfen; die älteren Leute kamen bedächtig nach; die Kleinen standen ganz stumm, aber nur einen Augenblick dann jubelten sie wieder, daß es nur so schallte, sie tanzten um den Baum herum, und ein Geschenk nach dem andern wurde abgepflückt.
"Was machen sie?" dachte der Baum. "Was soll geschehen?" Die Lichter brannten gerade bis auf die Zweige herunter, und je nachdem sie niederbrannten; wurden sie ausgelöscht, und dann erhielten die Kinder die Erlaubnis, den Baum zu plündern. Oh, sie stürzten auf ihn ein so daß es in allen Zweigen knackte; wäre er nicht mit der Spitze und mit dem Goldsterne an die Decke festgebunden gewesen, so wäre er umgestürzt.
Die Kinder tanzten mit ihrem prächtigen Spielzeug herum, niemand sah nach dem Baume, ausgenommen das alte Kindermädchen, welches kam und zwischen die Zweige blickte, aber es geschah nur, um zu sehen ob nicht noch eine Feige oder ein Apfel vergessen wäre.
"Eine Geschichtet eine Geschichte!" riefen die Kinder und zogen einen Keinen dicken Mann gegen den Baum hin, und ersetzte sich gerade unter denselben, "denn so sind wir im Grünen," sagte er, "und der Baum kann besonders Nutzen davon haben, zuzuhören! Aber erzähle nur eine Geschichte. Wollt ihr die von Jvede-Avede oder die von Klumpe-Dumpe hören, der die Treppen hinunterfiel und doch erhöht wurde und die Prinzessin erhielt?"
"Jvede-Avede!" schrieen einige, "Kumpe-Dumpe!" schrieen andere. Das
Und der Mann erzählte von Klumpe-Dumpe, welcher die Treppen hinunterfiel und doch erhöht wurde und die Prinzessin erhielt. Und die Kinder klatschten in die Hände und riefen: "Erzähle! Erzähle!" Sie wollten auch die Geschichte von Jvede-Avede hören, aber sie bekamen nur die von Klumpe-Dumpe. Der Tannenbaum stand ganz stumm und gedankenvoll, nie hatten die Vögel im Walde dergleichen erzählt. "Klumpe-Dumpe fiel die Treppen hinunter und bekam doch die Prinzessin! Ja, ja, so geht in der Welt zu!" dachte der Tannenbaum und glaubte, daß es wahr sei, weil es ein so netter Mann war, der es erzählte. "Ja, ja, wer kann es wissen! Vielleicht falle ich auch die Treppe hinunter und bekomme eine Prinzessin!" Und er freute sich, den nächsten Tag wieder mit Lichtem und Spielzeug, Gold und Früchten aufgeputzt zu werden.
"Morgen werde ich nicht zittern!" dachte er; "Ich will mich recht aller meiner Herrlichkeit freuen. Morgen werde ich wieder die Geschichte von Klumpe-
Dumpe und vielleicht auch die von Jvede-Avede hörern" Und der Baum stand die ganze Nacht still und gedankenvoll.Am Morgen kamen der Diener und das Mädchen herein.
"Nun beginnt der Staat aufs neue!" dachte der Baum; aber sie schleppten ihn zum Zimmer hinaus, die Treppe hinauf, auf den Boden, und hier stellten sie ihn in einen dunklen Winkel hin, in den kein Tageslicht schien. "Was soll das bedeuten?" dachte der Baum "Was soll ich hier wohl machen? Was mag ich hier wohl hören sollen?" Er lehnte sich gegen die Mauer und dachte und dachte. und er hatte gute Zeit dazu, denn es vergingen Tage und Nächte; niemand kam herauf, und als endlich jemand kam, so geschah es, um einige große Kasten in den Winkel zu stellen; der Baum stand ganz versteckt, man mußte glauben, daß er ganz vergessen war.
"Nun ist es Winter draußen!" dachte der Baum. "Die Erde ist hart und mit Schnee bedeckt, die Menschen können mich nicht pflanzen; deshalb soll ich wohl bis zum Frühjahr hier im Schutz stehen! Wie wohl bedacht das ist! Wie die Menschen doch gut sind! Wäre es hier nur nicht so dunkel und so schrei lich einsam! Nicht einmal ein Keiner Hasel Das war doch so niedlich da draußen im Walde, wenn der Schnee lag, und der Hase sprang vorbei, ja, selbst als er über mich hinwegsprang, aber damals mochte ich es nicht leiden. Hier oben ist es doch erschrecklich einsam!"
"Piep, piep!" sagte da eine kleine Maus und huschte hervor; und dann kam noch eine Keine. Sie beschnüffelten den Tannenbaum, und dann schlüpften sie zwischen dessen Zweige.
"ES ist eine greuliche Kälte!" sagten die kleinen Mäuse. "Sonst ist es hier gut sein! Nicht wahr, du alter Tannenbaum?"
"Ich bin gar nicht alt!" sagte der Tannenbaum; "es gibt viele, die weit älter sind als ich!"
"Wo kommst du her", fragten die Mäuse, "und was weißt du?" Sie waren so gewaltig neugierig. "Erzähle uns doch von den schönsten Orten auf Erdem Bist du dort gewesen? Bist du in der Speisekammer gewesen, wo Käse auf den Brettern liegen und Schinken unter der Decke hängen, wo man auf Talglicht tanzt; mager hineingeht und fett herauskommt?"
"Das kenne ich nicht," sagte der Baum, "aber den Wald kenne ich, wo die Sonne scheint, und wo die Vögel singen!" Und dann erzählte er alles aus seiner Jugend, und die kleinen Mäuse hatten früher nie dergleichen gehört, und sie horchten auf und sagten: "Nein, wie viel du gesehen bast! Wie glücklich du gewesen bist"
"Ich?" sagte der Tannenbaum und dachte über das, was er selbst erzählte, nach. "Ja; es waren im Grunde ganz fröhliche Zeiten!" Aber dann erzählte er vom Weihnachtsabend, wo er mit Kuchen und Lichtern geschmückt
"Oh," sagten die kleinen Mäuse "wie glücklich du gewesen bist, du alter Tannenbaum!"
"Ich bin gar nicht alt!" sagte der Baum, "erst in diesem Winter bin ich vom Walde gekommen! Ich bin in meinem allerbesten Alter, ich bin nur so aufgeschossen."
"Wie schön du erzählst!" sagten die kleinen Mäuse, und in der nächsten Nacht kamen sie mit vier anderen kleinen Mäusen, die den Baum erzählen hören sollten, und je mehr er erzählte, desto deutlicher erinnerte er sich selbst an alles und dachte: "Es waren doch ganz fröhliche Zeiten! Aber sie können wiederkommen können wiederkommen! Klumpe-Dumpe siel die Treppe hinunter und erhielt doch die Prinzessin, vielleicht kann ich auch eine Prinzessin bekommen" Und dann dachte der Tannenbaum an eine kleine niedliche Birke, die draußen im Walde wuchs, das war für den Tannenbaum eine wirkliche schöne Prinzessin.
"Wer ist Klumpe-Dumpe?" fragten die kleinen Mäuse. Und dann erzählte der Tannenbaum das ganze Märchen, er konnte sich jedes einzelnen Wortes entsinnen; und die kleinen Mäuse waren aus reiner Freude bereit, bis in die Spitze des Baumes zu springen. In der folgenden Nacht kamen weit mehr Mäuse und am Sonntage sogar zwei Ratten, aber die meinten, die Geschichte sei nicht hübsch, und das betrübte die kleinen Mäuse; denn nun hielten sie auch weniger davon.
"Wissen Sie nur die eine Geschichte?" fragten die Ratten.
"Nur die emmel" antwortete der Baum; "die hörte ich an meinem glücklichsten Abend, aber damals dachte ich nicht daran, wie glücklich ich war."
"Das ist eine höchst jämmerliche Geschichtet Können Sie keine von Speck und Talglicht? Keine Speisekammergeschichte?"
"Nein!" sagte der Baum.
"Ja, dann danken wir dafür!" erwiderten die Ratten und gingen zu den Ihrigen zurück.
Die kleinen Mäuse blieben zuletzt auch fort, und da seufzte der Baum: "Es war doch ganz hübsch, als sie um mich herumsaßen, die beweglichen kleinen Mäuse, und zuhörten, wie ich erzählte! Nun ist auch das vorbei! Aber ich werde daran denken, mich zu freuen, wenn ich wieder hervorgenommen werde"
Aber wann geschah dag? Ja, o war eines Morgens, da kamen Leute und wirtschafteten auf dem Boden; die Kasten wurden fortgesetzt der Baum wurde hervorgezogen; sie warfen ihn freilich ziemlich hart gegen den Fußboden, aber ein Diener schleppte ihn gleich nach der Treppe hin, wo der Tag leuchtete.
"Nun beginnt das Leben wieder!" dachte der Baum; er fühlte die frische Luft, die ersten Sonnenstrahlen, und nun war er draußen im Hofe. Alles ging so geschwind, der Baum vergaß völlig, sich selbst zu betrachten, da war so vieles ringsumher zu sehen. Der Hof stieß an einen Garten, und alles blühte darinnen;
die Rosen hingen so frisch und duftend über das kleine Gitter hinaus, die Lindenbäume blühten, und die Schwalben flogen umher und sagten: "Quirrevirrevit, mein Mann ist kommen!" Aber es war nicht der Tannenbaum, den sie meintet"Nun werde ich Leben!" jubelte dieser und breitete seine Zweige weit aus; aber ach, die waren alle vertrocknet und gelb, und er lag da im Winkel zwischen Unkraut und Nesseln. Der Stern von Goldpapier saß noch oben in der Spitze und glänzte im hellen Sonnenschein.
Im Hofe selbst spielten ein paar der munteren Kinder, die zur Weihnachtszeit den Baum umtanzt hatten und so froh über ihn gewesen waren. Eines der kleinsten lief hin und riß den Goldstern ab.
"Sieh, was da noch an dem häßlichen alten Tannenbaum sitzt!" sagte und trat auf die Zweige, so daß sie unter seinen Stiefeln knackten.
Und der Baum sah auf all die Blumenpracht und Frische im Garten, er betrachtete sich selbst und wünschte, daß er in seinem dunklen Winkel auf dem Boden geblieben wäre; er gedachte seiner frischen Jugend im Walde, des lustigen Weihnachtsabends und der kleinen Mäuse, die so munter die Geschichte von Klumpe-Dumpe angehört hatten.
"Vorbei, vorbei!" sagte der arme Baum. "Hätte ich mich doch gefreut, als ich es noch konnte! Vorbei, vorbei!"
Und der Diener kam und hieb den Baum in kleine Stücke, ein ganzes Bund lag da. Hell flackerte es auf unter dem großen Braukessel. Der Baum seufzte so tief, und jeder Seufzer war einem kleinen Schusse gleich; deshalb liefen die Kinder, die da spielten, herbei und setzten sich vor das Feuer blickte in dasselbe hinein und riefen: "Piff, paff!" Aber bei jedem Knalle, der ein tiefer Seufzer war, dachte der Baum an einen Sommertag im Walde oder an eine Winternacht dadraußen, wenn die Sterne funkelten; erdachte an den Weihnachtsabend und an Klumpe-Dumpe, das einzige Märchen, welches er gehört hatte und zu erzählen wußte — und dann war der Baum verbrannt.
Die Knaben spielten im Garten, und der kleinste hatte den Goldstern auf der Brust, den der Baum an seinem glücklichsten Abend getragen hatte; nun war der vorbei, und mit dem Baum war es auch vorbei, und mit der Geschichte ist es auch vorbei; vorbei, vorbei, und so geht mit allen Geschichten.
"Ja, ich habe mit einem Regenwurm meiner Bekanntschaft gesprochen", sagte die dritte Eidechse; "der Regenwurm kam gerade aus dem Hügel, wo er Tag und Nacht in der Erde gewühlt hatte. Der hatte vieles gehört, sehen kann er ja nicht, das elende Tier, aber vorfühlen und nachhören, das versteht er. Sie erwarten Fremde im Elfenhügel, vornahme Fremde, aber wen, das wollte der Regenwurm nicht sagen, oder er wußte es auch nicht. Alle Irrlichter sind bestellt, um einen Fackelzug zu halten, wie man das nennt, und Silber und Gold, wovon genug im Hügel ist, wird poliert und im Mondenschein ausgestellt!"
"Wer mögen wohl die Fremden sein?" sagten alle Eidechsen. "Was mag da wohl los sein? Hört, wie es summt! Hört, wie es brummt!"
Zur selbigen Zeit teilte sich der Elfenhügel, und ein altes Elfenmädchen, sie hatte keinen Rücken, kam herausgetrippelt. Es war des alten Elfenkönigs Haushälterin, sie war mit der Familie weitläufig verwandt und trug ein Bernsteinherz vor der Stirn. Ihre Beine bewegten sich so hurtig: tripp, tripp! Potztausend, wie konnte sie trippeln, und das gerade hinunter in das Moor zum Nachtraben!
"Sie werden zum Elfenhügel eingeladen, und zwar diese Nacht!" sagte sie. "Aber wollen Sie uns nicht erst einen großen Dienst erweisen und die Einladungen übernehmen? Sie müssen auch etwas tun, da Sie selbst kein Haus machen. Wir bekommen einige hochvornehme Fremde, Zauberer, die etwas zu bedeuten haben, und deshalb will der alte Elfenkönig sich zeigen!"
"Wer soll eingeladen werden?" fragte der Nachtrabe.
"Ja, zu dem großen Ball kann alle Welt kommen, selbst Menschen, wenn sie nur im Schlaf sprechen oder etwas dergleichen tun können, was in unsere Art fällt. Aber zu dem ersten Feste soll strenge Auswahl herrschen, wir wollen nur die Allervornehmsten haben. Ich habe mich mit dem Elfenkönig gestritten, denn ich meinte, wir könnten nicht einmal Gespenster zulassen. Der Wassernix und seine Töchter müssen zuerst eingeladen werden, es mag ihnen wohl nicht lieb sein, aufs Trockene zu kommen, aber sie sollen schon einen nassen Stein zum Sitzen oder noch etwas Besseres haben, und dann, denke ich, werden sie es für diesmal wohl nicht abschlagen. Alle alten Dämonen erster Klasse mit Schweifen den Alraun und die Kobolde müssen wir haben, und dann, denke ich, können wir die Grabsau, das Totenpferd und den Kirchenzwerg nicht weglassen; sie gehören freilich mit zur Geistlichkeit, die nicht zu unseren Leuten gezählt wird, aber das ist nur ihr Amt, sie sind uns doch nahe verwandt und machen uns fleißig Besuch."
"Brav!" sagte der Nachtrabe und flog davon, um einzuladen.
Die Elfenmädchen tanzten schon auf dem Elfenhügel, und sie tanzten mit Schals, die aus Nebel und Mondschein gewebt waren, und das sieht recht niedlich für die aus, die dergleichen lieben. Mitten in dem Elfenhügel war der große Saal herrlich aufgeputzt, der Fußboden war mit Mondschein gewaschen, und die Wände waren mit Hexenfett abgerieben, so daß sie gleich Tulpemblättern von dem Lichte glänzten. In der Küche warm vollauf Frösche am Spieße, Schneckenhäuser mit Kinderfingern darin und Salate von Pilzsamen und feuchten Mäuseschnauzen mit Schierling, Bier, von der Sumpffrau gebraut, glänzender Salpeterwein aus Grabkellem, alles höchst solide; verrostete Nägel und Kirchenfensterglas gehörte zum Naschwerk.
Der alte Elfenkönig ließ seine Goldkrone mit gestoßenem Griffel polieren, das war Tuffsteingriffel, und es ist für den Elfenkönig sehr schwer, Tuffsteingriffel zu erhalten. Im Schlafgemach wurden Gardinen aufgehangen und mit Schnekkenhörnem befestigt. Ja, das war ein rechtes Summen und Brummen!
"Nun muß hier mit Roßhaaren und Schweineborsten geräuchert werden, dann glaube ich das meinige getan zu haben!" sagte das alte Elfenmädchen.
"Süßer Vater!" schmeichelte die kleinste der Töchter; "bekomme ich nun zu wissen, wer die vornehmen Fremden sind?"
"Nu denn!" sagte er, "dann muß ich es wohl sagen! Zwei meiner Töchter
müssen sich zum Heiraten bereit halten; zwei werden sicher verheiratet. Der greise Kobold oben von Nonvegen, der im alten Dovrefelsen wohnt und viele Klippenschlösser von Feldsteinen und ein Goldwerk, welches besser ist, als man glaubt, besitzt, kommt mit seinen beiden Söhnen herunter, die sich eine Frau aussuchen sollen. Der greise Kobold ist so ein rechter alter, ehr 'jeher nordischer Greiz, lustig und schlicht; ich kenne ihn aus alten Tagen, als wir Brüderschaft miteinander tranken; er war hier unten, seine Frau zu holen. Nun ist sie tot, sie war eine Tochter des Felsenkönigs von Möen. Er nahm seine Frau auf der Kreide, wie man zu sagen pflegt. Oh, wie ich mich nach dem nordischen greisen Kobold sehne! Die Knaben, sagt man, sollen etwas unartige, naseweise Jungen sein, aber man kann ihnen ja auch unrecht tun, und sie werden wohl gut; wenn sie älter werden. Laßt mich nun sehen, daß ihr ihnen Sitte beibringt!""Und wann kommen sie?" fragte die eine Tochter.
"Das kommt auf Wind und Wetter ant" sagte der Elfenkönig. "Sie reisen ökonomisch! Sie kommen mit Schiffsgelegenheit herunter. Ich wollte, sie sollten über Schweden gehen, aber der Alte neigt sich noch nicht nach jener Seite! Er schreitet nicht mit der Zeit fort, und das kann ich nicht leiden!"
Da kamen zwei Irrlichter angehüpft, das eine schneller als das andere, und deshalb kam das eine zuerst.
"Sie kommen, sie kommen!" riefen sie.
"Gebt mir meine Krone und laßt mich im Mondscheine stetzen!" sagte der Elfenkönig.
Die Töchter hoben die Schals auf und verneigten sich bis zur Erde.
Da stand der greise Kobold von Dovre mit der Krone von gehärteten Eig- und polierten Tannenzapfen; übrigens hatte er einen Bärenpelz und Schlittenstiefel an, die Söhne hingegen gingen mit bloßem Halse und ohne Tragbänder; denn es waren Kraftmänner.
"Ist das eine Anhöhe?" fragte der kleinste der Söhne und zeigte auf den Elfenhügel. "Das nennen wir oben in Norwegen ein Loch!"
"Jungens!" sagte der Alte. "Loch geht einwärts, Höhe geht aufwärts! Habt ihr keine Augen im Kopfe?"
Das einzige, was sie hier unten wunder nahm, sagten sie, wäre, daß sie ohne weiteres die Sprache verstehen könnten.
"Habt euch nur nicht!" sagte der Alte. "Man möchte glauben, ihr wäret nicht recht ausgebacken!"
Und dann gingen sie in den Elfenhügel hinein, wo die wahrhaft feine Gesellschaft versammelt war, und das in einer Hast daß man glauben sollte, sie seien zusammengeweht, und für einen jeden war es niedlich und nett eingerichtet. Die Wassenixen saßen in großen Wasserkufen zu Tische, sie sagten, es sei gerade, als ob sie zu Hause wären. Alle beachteten die Tischsitte, außer den beiden kleinen
nordischen Kobolden; die legten die Beine auf den Tisch, aber sie glaubten nun einmal, dast ihnen alles gut stehe!"Die Füße vom Napfe!" sagte der alte Kobold, und da gehorchten sie, aber sie taten es doch nicht sogleich. Ihre Tischdame kitzelten sie mit Tannenzapfen, die sie in der Tasche mit sich führten, und dann zogen sie ihre Stiefel aus, inn bequem zu sitzen, und gaben ihr die Stiefel zu halten. Aber der Vater, der alte Dovrekobold, der war freilich ganz anders; er erzählte so schön von den stolzen nordischen Felsen und von den Wasserfällen, die weißschäumend mit einem Gepolter wie Donnerschlag und Orgelklang niederstürzen; er erzählte vom Lachse, der gegen die stürzenden Wasser emporspringt, wenn die Nixe auf der Goldhase spielt. Er erzählte von den glänzenden Winternächten, wenn die Schlittenschellen tönen und die Burschen mit brennenden Fackeln über das blanke Eis hinlaufen, welches so durchsichtig ist, daß sie die Fische unter ihren Füßen bange werden sehen. Ja, er konnte erzählen, so daß man sah und hörte, was er beschrieb. Es gerade, als wenn Sägemühlen gingen, als wann Knechte und Mägde Lieder sängen und den Hallingetanz tanzten. Heisa! mit einemmal gab der greise Kobold dem alten Elfenmädchen einen Gevatterschmatz; das war ein ordentlicher Kuß, und doch waren sie nicht verwandt.
Nun mußten die Elfenmädchen tanzen, und das sowohl einfach wie auch mit Stampfen, und das stand ihnen gut an. Dann kam der Kunsttanz. Der Tausend, wie sie das Bein ausstrecken konnten, man wußte nicht, was Ende und Anfang war; was Arme und Beine waren, das ging alles durcheinander wie Sägespäne, und dann schnurrten sie herum, daß dem Totenpferd unwohl wurde und vom Tische gehen mußte.
"Prrrrr!" sagte der greise Kobold, "das ist ein Wirtschaften mit den Beinen! Aber was können sie mehr als tanzen, die Beine ausstrecken und den Wirbelwind machen?"
"Das sollst du bald erfahren!" sagte der Elfenkönig, und dann rief er die jüngste von seinen Töchtern vor; sie war so behende und klar wie Mondschein, sie war die feinste von allen Schwestern. Sie nahm einen weißen Span in den Wund, und dann war sie ganz fort, das war ihre Kunst.
Aber der greise Kobold sagte, diese Kunst möchte er bei seiner Frau nicht leiden, und er glaube auch nicht, daß seine Knaben etwas davon hielten.
Die andere konnte sich selbst zur Seite gehen, gerade, als wäre sie ihr eigener Schatten, und den haben die Elfen nicht.
Die dritte Tochter war ganz anderer Art. Sie hatte in der Sumpffrau Brauhaus gelernt, und sie war es, die da verstand, Erlenknorren mit Johanniswürmchen zu spicken.
"Sie wird eine gute Hausfrau abgeben!" sagte der greise Kobold, und stieß er mit den Augen an, denn er wollte nicht so viel trinken.
Nun kam die vierte Elfe. Sie hatte eine große Harfe zum Spielen, und als sie auf die erste Saite schlug, erhoben alle das linke Bein, denn die Kobolde sind linksbeinig, und als sie die andere Saite anschlug, mußten alle tun, was sie wollte.
"Das ist ein gefährliches Frauenzimmer!" sagte der greise Kobold, aber beide Söhne gingen zum Hügel hinaus, denn nun langweilte es sie.
"Und was kann die nächste Tochter?" fragte der greise Kobold.
"Ich habe gelernt, das Nordische zu liebem" sagte sie, "und nie werde ich mich verheiraten, wenn ich nicht nach Norwegen kommen kannt"
Aber die kleinste der Schwestern flüsterte dem Greise zu: "Das ist nur, weil sie aus einem nordischen Liede gehört hat, daß, wenn die Welt untergeht, doch die nordischen Klippen gleich Bausteinen stehen bleiben werden, und deshalb will sie da hinaus, denn sie fürchtet das Untergehen so sehr."
"Ho, hol" sagte der greise Kobold, "war es so gemeint? Aber was kann die siebente und letzte?"
"Die sechste kommt vor der siebentem" sagte der Elfenkönig, denn er konnte rechnen, aber die sechste wollte nicht recht hervorkommen.
"Ich kann nur den Leuten die Wahrheit sagen!" sagte sie, "um mich kümmert sich niemand, und ich habe genug damit zu tun, mein Leichenzeug zu nähen!"
Nun kam die siebente und letzte, und was konnte sies Ja, sie konnte Märchen erzählen, so viel sie wollte.
"Hier sind alle meine fünf Finger!" sagte der greise Kobold, "erzähle mir eins von jedem!"
Und die Elfe faßte ihn um das Handgelenk, und er lachte; daß es in ihm kluckte, und als sie zum Goldfinger kam, der einen Goldring umhatte, gerade- als ob er wisse, daß Verlobung sein sollte, sagte der greise Kobold: "Halte fest, was du hast, die Hand ist dein! Dich will ich selbst zur Frau haben!"
Und die Elfe sagte, daß die Märchen vom Goldfinger und vom kleinen Peter Spielmann noch fehlten.
"Die wollen wir im Winter hören!" sagte der greise Kobold, "und von der Tanne wollen wir hören und von der Birke und von den Geistergeschenken und von dem klingenden Frost! Du sollst schon erzählen, denn das versteht noch keiner so recht dort oben! Und dann wollen wir in der Steinstube sitzen, wo der Kienspan brennt, und Met aus den goldenen Hörnern der alten nordischen Könige trinken. Der Nick hat mir ein paar geschenkt; und wenn wir dann sitzen so kommt die Nixe zum Besuch, sie singt dir alle Lieder der Hirtenmädchen im Gebirge. Das wird munter werden! Der Lachs wird im Wassersturz springen und gegen die Steinwände schlagen, aber er kommt doch nicht herein! Ja, es ist gut sein in dem lieben alten Norwegen! Aber wo sind die Jungen?"
Ja, wo waren die? Sie liefen auf dem Felde herum und bliesen die lichter aus, die so gutmütig kamen, um den Fackelzug zu bringen.
"Was ist das für ein Herumstreichen?" sagte der greise Kobold. "Ich habe mir eine Mutter für euch genommen, nun könnt ihr eine Tante nehmen!"
Aber die Jungen sagten, daß sie am liebsten eine Rede halten und Brüderschaft trinken wollten, zum Heiraten hätten sie keine Lust. Und dann hielten sie Reden, tranken Brüderschaft und machten die Nagelprobe, um zu zeigen, daß sie ausgetrunken hatten. Darauf zogen sie die Röcke aus und legten sich auf den Tisch, um zu schlafen, denn sie genierten sich nicht. Aber der greise Kobold tanzte mit seiner jungen Braut in der Stube herum und wechselte Stiefel mit ihr, denn das ist feiner als Ringe wechseln.
"Nun kräht der Hahn!" sagte die alte Elfe, welche das Hauswesen besorgte. "Nun müssen wir die Fensterladen schließen, damit die Sonne uns nicht verbrennt brennt!"
Und dann schloß sich der Hügel.
Aber draußen liefen die Eidechsen indem geborstenen Baume auf und nieder; und die eine sagte zur andern:
"Oh, wie mir der nordische greise Kobold gefiel!"
"Wir gefallen die Knaben bessert" sagte der Regenwurm, aber es konnte ja nicht sehen, das elende Tier.
Der Floh kam zuerst vor. Er hatte solche niedliche Manieren und grüßte nach allen Seiten, denn er hatte Fräuleinblut in den Adern und war gewohnt, nur mit Menschen umzugehen, und das macht sehr viel aus.
Nun kam der Grashüpfer, der war freilich bedeutend schwerer, aber er hatte doch eine ganz gute Gestalt und trug grüne Uniform, und die war ihm angeboren Überdem behauptete die Person, daß er im Lande Ägypten eine sehr alte Familie besitze, und daß er dort hochgeschätzt sei. Er war gerade vom Felde genommen und in ein Kartenhaus von drei Stockwerken gesetzt worden, die alle aus Kartenfiguren, welche die bunte Seite einwärts kehrten, zusammm'ngesetzt waren; da waren sowohl Türen als Fenster, und zwar im Leibe der Coeurdamen, ausgeschnitten. "Ich singe so," sagte er, "daß sechzehn eingeborene Heimchen, die von klein auf gepfiffen und doch kein Kartenhaus erhalten haben, aus Arger noch dünner wurden, als sie schon waren, da sie mich hörten!"
Alle beide, der Floh und der Grashüpfer, taten so gehörig kund, wer sie waren, und daß sie glaubten, eine Prinzessin heiraten zu können.
Der Springbock sagte nichts, aber man erzählte von ihm, daß er desto mehr
denke, und als der Hofhund ihn nur beschnüffelte, haftete er dafür, daß der Springbock von guter Familie sei. Der alte Ratsherr, der drei Orden für das Stillschweigen erhalten hatte, versicherte, daß der Springbock mit Weissagungskraft begabt sei; man könne an seinem Rücken erkennen, ob man einen milden oder einen strengen Winter bekomme, und das kann man nicht einmal auf dem Nücken dessen sehen, der den Kalender schreibt."Ja, ich sage gar nichts," sagte der alte König, "aber ich gehe nun immer so und denke das meine!"
Nun war es um den Sprung zu tun. Der Floh sprang so hoch, daß niemand es sehen konnte, und da behaupteten sie, daß er gar nicht gesprungen sei, und das war doch recht schiechtl
Der Grashüpfer sprang nur halb so hoch, aber er sprang dem König gerade ins Gesicht, und da sagte dieser, das sei häßlich.
Der Springbock stand lange still und bedachte sich; am Ende glaubte man, daß er gar nicht springen könne.
"Wenn ihm nur nicht unwohl geworden ist!" sagte der Hofhund, und dann beschnüffelte er ihn wieder. Rutsch! da sprang er in einem kleinen schiefen Sprung hin in den Schoß der Prinzessin, welch niedrig auf einem goldenen Schemel saß.
Da sagte der König: "Der höchste Sprung ist der, zu meiner Tochter hinaufzuspringen, denn dann liegt das Feine; aber es gehört Kopf dazu, darauf zu kommen, und der Springbock hat gezeigt, daß er Kopf hat. Er hat Grütze im Kopfe!"
Und dann erhielt er die Prinzessin.
"Ich sprang doch am höchsten!" sagte der Floh. "Aber es ist einerlei! Laß sie nur den Gänserücken mit Stock und Pech haben! Ich sprang doch am höchsten, aber es gehört in dieser Welt ein Körper dazu, damit man gesehen werden kann!"
Und dann ging der Floh in fremde .Kriegsdienste, wo er, wie man sagt, erschlagen worden sein soll.
Der Grashüpfer setzte sich draußen in den Graben und dachte darüber wie es eigentlich in der Welt zugehe, und er sagte auch: "Körper gehört dazu! Körper gehört dazu!" Und dann sang er sein eigentümlich trübseliges Lied, und daher haben wir die Geschichte erfahren, die doch erlogen sein könnte, wenn sie auch gedruckt ist.
Die Hirtin und der Schornsteinfeger
Hast du wohl je einen recht alten Holzschrank ganz schwarz vom
Alter und mit ausgeschnitzten Schnörkeln und Laubwerk
daran, gesehen? Gerade ein solcher stand in einer Wohnstube,
er war von de Urgroßmutter geerbt und mit ausgeschnitzten
Rosen und Tulpen von oben bis unten bedeckt.
Da waren die sonderbarsten Schnörkel, und aus
diesen ragten kleine Hirschköpfe mit Geweihen hervor.
Aber mitten auf dem Schranke stand ein ganzer Mann
geschnitzt; er war freilich lächerlich anzusehen, und er
grinste auch, man konnte es nicht lachen nennen; er hatte
Ziegenbocksbeine, kleine Hörner am Kopfe und einen
langen Bart. Die Kinder im Zimmer nannten ihn
immer den Ziegenbocksbein -Oberunduntergeneralkriegsbefehlshaber;
denn das war ein schwerer Name, und es
gibt nicht viele, die den Titel bekommen; aber ihn ausschnitzen
zu lassen, das war auch etwas! Doch nun war er ja da! Immer sah er nach dem Tische unter dem Spiegel, denn da stand eine liebliche kleine Hirtin von Porzellan; die Schuhe waren vergoldet, das Kleid mit einer roten Rose niedlich aufgeheftet, |
Da stand er so niedlich mit seiner Leiter und mit einem Antlitz, so weiß und
rot wie ein Mädchen, und das war eigentlich ein Fehler, denn etwas schwarz hätte er wohl sein können. Er stand ganz nahe bei der Hirtin, sie waren beide hingestellt; wo sie standen; und da sie nun hingestellt waren, so hatten sie sich verlobt; sie paßten ja zueinander, sie waren von demselben Porzellan und beide gleich zerbrechlich.Dicht bei ihnen stand noch eine Figur, die war dreimal größer. Es war ein alter Chinese, der nicken konnte; er war auch von Porzellan und sagte, er sei der Großvater der kleinen Hirtin, aber das konnte er freilich nicht beweisen; er behauptete, daß er Gewalt über sie habe, und deshalb hatte er dem Ziegenbocksbein- Oberunduntergeneralkriegsbefehlshaber, der um die kleine Hirtin freite, zugenickt.
"Da erhältst du einen Mann," sagte der alte Chinese, "einen Mann, der, wie ich fast glaube von Mahagoniholz ist; er kann dich zur Ziegenbocksbein- Oberunduntergeneralkriegsbefehlshaberin machen; er hat den ganzen Schrank voll Silberzeug, ungerechnet, was er in den geheimen Fächern hat.
"Ich will nicht in den dunklen Schrank hineinge" sagte die kleine Hirtin. "Ich habe sagen hören, daß er elf Porzellanfrauen darin hat!"
"Dann kannst du die zwölfte sein!" sagte der Chinese. "Diese Nacht, sobald es in dem alten Schrank knackt, sollt ihr Hochzeit halten, so wahr ich ein Chinese bin!" Und dann nickte er mit dem Kopfe und fiel in Schlaf.
Aber die kleine Hirtin weinte und blickte ihren Herzallerliebsten, den Porzellanschornsteinfeger, an.
"Ich möchte dich bitten," sagte sie, "mit mir in die weite Welt hinauszugehen, denn hier können wir nicht bleiben!"
"Ich will alles, was du willst!" sagte der kleine Schornsteinfeger; "Laß uns gleich gehen; ich denke wohl, daß ich dich mit meiner Profession ernähren kann!"
"Wenn wir nur glücklich vom Tische hinunter wären!" sagte sie. "Ich werde nicht froh, bevor wir nicht in die weite Welt hinaus sind."
Und er tröstete sie und zeigte, wie sie ihren kleinen Fuß auf die ausgeschnittenen Ecken und das vergoldete Laubwerk am Tischfuße hinabsetzen sollte; seine Leiter nahm er auch zu Hilfe, und da waren sie auf dem Fußboden. Aber als sie nach dem alten Schranke hinsahen, war da solche Unruhe dann; alle die ausgeschnittenen Hirsche steckten die Köpfe weit hervor, erhoben die Geweihe und drehten die Hälse; der Ziegenbocksbein-Oberunduntergeneralkriegsbefchlshaber sprang hoch in die Höhe und rief zum alten Chinesen herüber: "Nun laufen sie fort! Nun laufen sie fort!"
Da erschraken sie etwas und sprangen geschwind in den Schubkasten des Fenstertrittes.
Hier lagen drei bis vier Spiele Karten, die nicht vollständig waren, und ein
"Das kann ich nicht aushalten" sagte sie. "Ich muss aus dem Schubkasten hinaus!" Alg sie aber auf dem Fußboden anlangten und nach dem Tische hinaufblickten, da war der alte Chinese erwacht und schüttelte mit dem ganzen Körper; unten war er ja ein Klumpen!
"Nun kommt der alte Chinese!" schrie die kleine Hirtin und fiel gerade auf ihre Porzellanknie nieder, so betrübt war sie.
"Es fällt mir etwas ein", sagte der Schornsteinfeger. "Wollen wir in die große Potpourrikruke, die in der Ecke steht, hinabkriechen? Da können wir auf Rosen und Lavendel liegen und ihm Salz in die Augen werfen, wenn er kommt!"
"Das kann nichts nützen!" sagte sie. "Überdem weiß ich, daß der alte Chinese und die Potpourrikruke miteinander verlobt gewesen sind, und es bleibt immer etwas Wohlwollen zurück, wenn man in solchen Verhältnissen gestanden hat! Nein, es bleibt uns nichts übrig, als in die weite Welt hinauszugehen!"
Hast du wirklich Mut, mit mir in die weite Welt hinauszugehen?" fragte der Schornsteinfeger. "Hast du bedacht, wie groß die ist, und daß wir nie mehr hierher zurückkommen können 2"
"Das habe ich!" sagte sie.
Und der Schornsteinfeger sah sie ganz fest an, und dann sagte er: "Mein Weg geht durch den Schornstein! Hast du wirklich Mut, mit mir durch den Ofm, sowohl durch die Trommel als durch die Röhre, zu kriechen? Dann kommen wir hinaus in den Schornstein, und da versehe ich mich zu tummeln! Wir steigen so hoch, daß sie uns nicht erreichen können, und ganz oben geht da ein Loch in die weite Welt hinaus!"
Und er führte sie zu der Ofentür hin.
"Da sieht es schwarz aus!" sagte sie, aber sie ging doch mit ihm, sowohl durch die Trommel als durch die Röhre, wo pechfinstere Nacht herrschte.
"Nun sind wir im Schornsteine!" sagte er. "Und sieh, sieh, hoch oben scheint der herrlichste Stern!"
Und es war ein wirklicher Stern am Himmel, der zu ihnen hinabschien, gerade als wollte er ihnen den Weg zeigen. Und sie kletterten und krochen, ein greulicher Weg war es, so hoch, so hoch, aber er hob und hielt sie und zeigte die besten Stellen, wo sie ihre kleinen Porzellanfüße hinsetzen konnte, und so er:
reichten sie den Schornsteinrand, und auf den setzten sie sich, denn sie waren tüchtig ermüdet, und das konnten sie auch wohl sein.Der Himmel mit allen seinen Sternen war oben über ihnen und alle Dächer der Stadt tief unten; sie sahen so weit umher, so weit hinaus in die
"Das ist allzuviel!" sagte sie. "Das kann ich nicht ertragen! Die Welt ist allzu groß! Wäre ich doch wieder auf dem Tisch unter dem Spiegel! Ich werde nie froh, ehe ich wieder dort bin! Nun bin ich dir in die weite Welt hinaus gefolgt, nun kannst du mich auch wieder zurückbegleiten, wenn du etwas von mir hältst!"
Der Schornsteinfeger sprach vernünftig mit ihr sprach von dem alten Chinesen und vom Ziegenbocksbein-Oberunduntergeneralkriegsbefehlshaber, aber sie schluchzte gewaltig und küßte ihren kleinen Schornsteinfeger; so daß er nicht anders konnte, als sich ihr fügen, obgleich es töricht war.
Und so kletterten sie wieder mit vielen Beschwerden den Schornstein hinunter, und sie krochen durch die Trommel und die Röhre, das war gar nichts Schönes, und dann standen sie in dem dunklen Ofen. Da horchten sie hinter der Türe, um zu erfahren, wie es in der Stube stände. Dort war es ganz stille; sie sahen hinaus — ach, da lag der alte Chinese mitten auf dem Fußboden; er war vom Tisch heruntergefallen, als er hinter ihnen her wollte, und lag in drei Stücke
zerschlagen; der ganze Rücken war in einem Stücke abgegangen, und der Kopf war in eine Ecke gerollt; der Ziegenbocksbein -Oberunduntergeneralkriegobefehls haber stand, wo er immer gestanden hatte, und dachte nach."das ist gräßlich!" sagte die kleine Hirtin, "der alte Großvater ist in Stücke zerschlagen, und wir sind schuld daran! Das werde ich nie überleben!" Und dann rang sie ihre kleinen Hände.
"Er kann noch genietet werden!" sagte der Schornsteinfeger. "Er kann sehr gut genietet arden! Sei nur nicht so heftig! Wenn sie ihn im Rücken kitten und ihm eine gute Niete im Nacken geben, so wird er so gut wie neu sein und kann uns noch manches Unangenehme sagen!"
"Glaubst du?" sagte sie. Und dann krochen sie wieder auf den Tisch hinauf; wo sie früher gestanden hatten.
"Sieh, so weit kamen wir!" sagte der Schornsteinfeger. "Da hätten wir uns alle die Mühe sparen können!"
"Hätten wir nur den alten Großvater wieder genietet!" sagte die Hirtin. "Wird das sehr teuer sein?"
Und genietet wurde er. Die Familie ließ ihn im Rücken kitten, er bekam eine gute Niete am Halse, er war so gut wie neu, aber nicken konnte er nicht mehr.
"Sie sind wohl hochmütig geworden, seitdem Sie in Stücke geschlagen sind?" sagte der Ziegenbocksbein -Oberunduntergeneralkriegsbefehlshaber. "Mich dünkt, daß Sie keine Ursache haben, so gefährlich zu tun. Soll ich sie haben, oder soll ich sie nicht haben?"
Und der Schornsteinfeger und die kleine Hirtin sahen den alten Chinesen so rührend an, sie fürchteten so, er möchte nicken; aber er konnte nicht, und das war ihm unbehaglich, einem Fremden zu erzählen, daß er beständig eine Niete im Nacken habe. Und so blieben die Porzellanleute zusammen, und sie segneten des Großvaters Niete und liebten sich, bis sie in Stücke gingen.
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Da war ein kleines Mädchen, so fein und so niedlich, aber im Sommer mußte sie immer mit bloßen Füßen gehen, denn sie war arm, und im Winter mit großen Holzschuhen, so daß der kleine Spann ganz rot wurde, und das sah so schrecklich aus. Mitten im Dorfe wohnte die alte Mutter Schuhmacher; sie saß und nähte, so gut sie konnte, von alten roten Tuchstrifen ein Paar Seine Schuhe. Sie aren ganz plump, aber es war so gut gemeint; die sollte das kleine Mädchen haben Das kleine Mädchen hieß Karen.
Gerade an dem Tage, als ihre Mutter begraben wurde, erhielt sie die roten Schuhe und hatte sie zum ersten Male an. Freilich war es nichts, um damit zu trauern, aber sie hatte nun keine anderen, und da ging sie mit bloßen Füßen darin hinter dem ärmlichen Strohsarge her.
Da kam auf einmal ein großer alter Wagen, und darin saß eine große alte Dame. Sie betrachtete das kleine Mädchen und fühlte Mitleid mit ihr, und dann sagte sie zum Prediger: "Hört, gebt mir das kleine Mädchen, dann werde ich mich ihrer annehmen!"
Karen glaubte, das geschähe alles nur der roten Schuhe halber; aber die alte Dame meinte, die seien greulich, und sie wurden verbrannt, aber Karen selbst wurde rein und nett angezogen; sie mußte lesen und nähen lernen, und die Leute sagten, sie sei niedlich, aber der Spiegel sagte: "Du bist weit mehr als niedlich, du bist schön!"
Da reiste die Königin einst durch das Land und hatte ihre kleine Tochter bei sich, das war eine Prinzessin, und die Leute strömten nach dem Schlosse hin, und da war Karen denn auch, und die kle'ne Prinzessin stand in feinen weißen Kleidern auf einem Balkon und ließ sich anstaunen; sie hatte weder Schleppe
noch Goldkrone, aber herrliche rote Saffianschuhe an; die waren freilich weit schöner alg die, welche die Mutter Schuhmacher der kleinen Karen genäht hatte. nichts in der Welt kann doch mit roten Schuhen verglichen werden!Nun war Karen so alt, daß sie eingesegnet werden sollte. Sie bekam neue Kleider, und neue Schuhe sollte sie auch haben. Der reiche Schuhmann in der Stadt nahm Maß zu ihrem kleinen Fuße, das geschah zu Hause in seinem eigenen Zimmer, und da standen große Glasschränke mit niedlichen Schuhen und blanken Stiefeln. Das sah allerliebst aus, aber die alte Dame konnte nicht gut sehen, und da hatte sie kein Vergnügen daran. Mitten unter den Schuhen stand ein Paar rote, ganz wie die, welche die Prinzessin getragen hatte. Wie schön waren die! Der Schuhmacher sagte auch, daß sie für ein Grafenkind gemacht wären, sie hätten aber nicht gepaßt.
"Das ist wohl Glanzleder?" fragte die alte Dame. "Sie glänzen so!"
"Ja, sie glänzen!" sagte Karen, und sie paßten und wurden gekauft, aber die alte Dame wußte nichts davon, daß sie rot waren, denn sie hätte Karen nie erlaubt, in roten Schuhen zur Einsegnung zu gehen, aber das tat sie nun.
Alle Menschen betrachteten ihre Füße, und als sie zur Chortüre über die Kirchendiele hinschritt, kam es ihr vor, alg wenn selbst die alten Bilder auf den Begräbnissen, die Prediger und Predigerfrauen mit steifen Kragen und langen schwarzen Kleidern, die Augen auf ihre roten Schule hefteten, und nur an diese dachte sie, als der Prediger seine Hand auf ihr Haupt legte und von der heiligen Taufe, vom Bunde mit Gott, und daß sie nun eine erwachsene Christin sein solle, sprach. Die Orgel spielte so feierlich, die hübschen Kinderstimmen sangen, und der alte Kantor sang, aber Karen dachte nur an die roten Schuhe.
Am Nachmittage erfuhr die alte Dame von allen Menschen, daß die Schuhe rot gewesen waren, und sie sagte, daß es häßlich sei, daß es sich nicht schicke, und daß Karen später, wenn sie zur Kirche ginge, immer mit schwarzen Schuhen gehen solle, selbst wenn sie alt seien.
Am nächsten Sonntag war Abendmahl, und Karen betrachtete die schwarzen Schuhe, sie besah die roten — und besah sie wieder und zog die roten an. war ein herrlicher Sonnenschein Karen und die alte Dame gingen den Fußsteig durch das Korn entlang, da stäubte es ein wenig.
An der Kirchentür stand ein alter Invalide mit einem Krückstocke und mit einem wunderbar langen Bart, der war mehr rot als weiß, und er neigte sich bis zur Erde und fragte die alte Dame, ob er ihre Schuhe abwischen dürfe. Karen streckte auch ihren kleinen Fuß aus. "Sieh, was für schöne Tanzschuhe! sagte der Soldat, "sitzt fest wenn ihr tanzt!" und dann schlug er mit der Hand gegen die Sohlen.
Die alte Dame gab dem Soldaten ein Almosen, und dann ging sie mit Karen indie Kirche.
Alle Menschen drinnen sahen nach Karens roten Schuhen, und alle Bilder sahen danach, und als Karen vor dem Altare kniete und den goldenen Kelch an ihren Mund setzte, dachte sie nur an die roten Schuhe, und es war ihr, als ob sie im Kelche herumschwömmen; und sie vergaß ihren Psalm zu singen, sie vergaß ihr Vaterunser zu beten.
Nun gingen alle Leute aus der Kirche, und die alte Dame stieg in ihren Wagen. Karen erhob den Fuß, um nachzusingen, da sagte der alte Soldat: "Sieh, was für schöne Tanzschuhe!" und Karen konnte nicht umhin, sie mußte einige Tanztritte machen, und als sie anfing, fuhren die Beine fort zu tanzen, es war gerade, als hätten die Schuhe Macht über sie erhalten. Sie tanzte um die Kirchenecke, sie konnte nicht lassen, der Kutscher mußte hinterher laufen und sie greifen, und er hob sie in den Wagen, aber die Füße fuhren fort zu tanzen, so daß sie die gute alte Dame gewaltig trat. Endlich bekamen sie die Schuhe ab, und die Beine erhielten Ruhe.
Daheim wurden die Schuhe in einen Schrank gestellt; aber Raren konnte nicht unterlassen, sie zu betrachten.
Nun lag die Dame krank darnieder, es hieß, sie würde es nicht überleben. Gepflegt und gewartet mußte sie werden, und keiner war mehr dazu verpflichtet als Karen. Aber in der Stadt war ein großer Ball. Karen eingeladen — sie betrachtete die alte Dame, die doch nicht genesen konnte, sie besah die roten Schuhe, und sie meinte, es sei keine Sünde dabei! Sie zog die roten Schuhe an, das konnte sie ja auch wohl; aber dann ging sie zum Ball und fing an zu tanzen.
Als sie aber zur Rechten wollte, tanzten die Schuhe zur Linken, und als sie die Diele hinauf wollte, tanzten die Schuhe dieselbe hinunter, die Treppe hinab, durch die Straße aus dem Stadttore hinaus. Sie tanzte und mußte tanzen, gerade hinaus in den finstern Wald.
Da leuchtete es zwischen den Bäumen, und sie glaubte, es sei der Mond, denn es war ein Gesicht, aber es war der alte Soldat mit dem roten Bart, er saß und nickte und sagte: "Sieh, was für schöne Tanzschuhe!"
Da erschrak sie und wollte die roten Schuhe abwerfen, aber die hingen fest; und sie schleuderte ihre Strümpfe ab, aber die Schuhe waren an den Füßen festgewachsen, und sie tanzte und mußte über Feld und Wiese, im Regen und Sonnenschein, bei Nacht und bei Tage tanzen, aber nachts war es am greulichsten.
Sie tanzte auf den offenen Kirchhof hinauf aber die Toten dort tanzten nicht, die hatten etwas viel Besseres zu tun, als zu tanzen. Sie wollte sich auf des Armen Grab setzen, wo das bittere Farnkraut wächst, aber für sie war weder Ruhe noch Rast, und als sie gegen die offene Kirchentür hintanzte; sah sie dort einen Engel in weißen Kleidern, mit Schwingen, die ihm von den Schultern bis zur Erde reichten, sein Antlitz war streng und ernst, und in der Hand hielt er ein Schwert, breit und glänzend.
"Tanzen sollst du!" sagte er, "tanzen auf deinen roten Schuhen, bis du bleich und kalt wirst, bis deine Haut zu einem Gerippe zusammengeschrumpft ist! Tanzen sollst du von Tür zu Tür, und wo stolze, hochmütige Kinder wohnen, sollst du anklopfen, so daß sie dich hören und fürchten! Tanzen sollst du, tanzen — —!"
"Gnade!" rief Karen. Aber sie hörte nicht, was der Engel erwiderte, denn die Schuhe trugen sie durch die Tür auf das Feld, über Weg und Steg, und immer mußte sie tanzen.
Eines Morgens tanzte sie an einer Tür vorbei, die sie gut kannte. Drinnen tönte Psalmengesang, ein Sarg wurde herausgetragen, der mit Blumen geschmückt war. Da wußte sie, daß die alte Dame gestorben war, und nun fühlte sie; daß sie von allen verlassen und von Gottes Engel verdammt sei.
Sie tanzte, und sie mußte tanzen, tanzen in der finsteren Nacht. Die Schuhe trugen sie über Dom und Stumpf davon, sie riß sich blutig, sie tanzte über die Heide dahin nach einem Keinen einsamen Hause. Hier, wußte sie, wohnte der Scharfrichter, und sie klopfte mit den Fingern an die Scheiben und sagte: "Komm heraus! — komm heraus! — Ich kann nicht hineinkommen, denn ich muß tanzen!"
Und der Scharfrichter sagte: "Du weißt wohl nicht, wer ich bin? Ich schlage den bösen Menschen die Köpfe ab, und ich merke, daß meine Axt klingt!"
"Schlage mir nicht den Kopf ab," sagte Karen, "denn dann kann ich meine Sünde nicht hernien! Aber schlage meine Füße mit den roten Schuhen abl"
Und dann bekannte sie ihre ganze Sünde, und der Scharfrichter hieb ihr die Füße mit den roten Schuhen ab, aber die Schuhe tanzten mit den kleinen Füßen über das Feld dahin in den tiefen Wald hinein.
Und er schnitzte ihr Holzfüße und Krücken, lehrte sie einen Psalm, den die Sünder immer singen, und sie küßte die Hand, die das Beil geführt batte, und ging über die Heide fort.
"Nun habe ich genug für die roten Schulg gelitten!" sagte sie, "nun will ich in die Kirche gehen, damit sie mich sehen können!" Und sie ging rasch gegen die Kirchentür; als sie aber dahin kam, tanzten die roten Schuhe vor ihr her, und sie erschrak und wendete um.
Die ganze Woche hindurch war sie betrübt und weinte viele bittere Tränen, aber als es Sonntag wurde, sagte sie: "Sieh so! Nun habe ich genug gelitten und gestritten! Ich glaube wohl, daß ich ebenso gut bin als manche von denen, die da in der Kirche sitzen und sich brüsten!" Und dann ging sie mutig hin; aber sie kam nicht weiter als bis zur Kirchhofstür, da sah sie die roten Schuhe vor sich hertanzen, und sie erschrak und wendete um und bereute recht von Herzen ihre Sünde.
Und sie ging zur Pfarrwohnung und bat, daß man sie dort in Dienst nehmen
möge, fleißig wollte sie sein und alles tun, was sie könnte, auf den Lohn sähe sie nicht, nur daß sie unter Dach käme und bei guten Menschen wäre. Die Predigerfrau hatte Mitleid mit ihr und nahm sie in ihren Dienst. Karen war fleißig und nachdenkend. Stille saß sie und horchte auf, wenn der Prediger des Abends aus der Bibel laut vorlas. Alle die Kleinen hielten viel von ihr, wenn sie aber von Putz und Staat und von Schönheit sprachen, dann schüttelte sie mit dem Kopfe.Am nächsten Sonntage gingen alle zur Kirche, und sie fragten sie, ob sie mit wolle, aber sie blickte betrübt, mit Tränen in den Augen, auf ihre Krücken, und dann gingen die anderen hin, Gottes Wort zu hören, sie aber ging allein in ihre kleine Kammer. Die war nicht größer, als daß das Bett und ein Stuhl darin stehen konnten, und hier setzte sie sich mit ihrem Gesangbuche hin; und als sie mit frommem Sinn darin lao, trug der Wind die Orgeltöne von der Kirche zu ihr herüber, und sie erhob ihr Antlitz mit Tränen und sagte: "O Von, hilf mir!"
Da schien die Sonne so klar, und gerade vor ihr stand Gottes Engel in den weißen Kleidern, derselbe, den sie in jener Nacht in der Kirchentür erblickt hatte,
"Das war Gnade!" sagte sic.
Und die Orgel Klang, und die Kinderstimmen im Chor tönten so sanft und lieblich! Der nare Sonnensein strömte so warm durch das Fenster in den Krchensthl, wo Karen saß, hinein; ihr Herz wurde so voller Sonnenschein, Frieden und Freude, daß es brach; ihre Seele flog auf Sonnenschein zu Gott, und dort war niemand, der nach den roten Schuhen fragte.
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In Dänemark liegt ein altes Schloß, das heißt Kronburg; es liegt gerade in den Sund hinein, wo die großen Schiffe jeden Tag zu Hunderten vorbeifahren, sowohl englische, russisch wie deutsche, und sie begrüßen das alte Schloß mit Kanonen: "Bum!" und das alte Schloß antwortet mit Kanonen: "Bum"; denn so sagen die Kanonen "Guten Tag!" "Schönen Dank!" Im Winter segeln da keine Schiffe, dann ist alles mit Eis bedeckt, bis hinüber zur schwedischen Küste, sieht genau so aus wie eine große Landstraße. Da weht die dänische Flagge und die schwedische, und die dänische und die schwedische Bevölkerung sagt einander: "Guten Tag" "Schönen Dank!", aber nicht mit Kanonen, nein, mit freundlichem Handschlag, und der eine holt Weißbrot und Brezeln bei dem anderen, denn fremde Kost schmeckt am besten. Aber das Herrlichste am Ganzen ist doch das alte Kronburg, und unter diesem ist es, wo Holger Danske in dem tiefen finsteren Keller sitzt, wo niemand hinkommt. Er ist in Eisen und Stahl gekleidet und stützt sein Haupt auf die starken Arme; sein langer Bart hängt über den Marmortisch hinaus, in dem er festgewachsen ist, er schläft und träumt, aber im Traume sieht er alles, was hier oben in Dänemark vorgeht. Jeden Weihnachtsabend kommt ein Engel Gottes und sagt ihm, daß das richtig ist, was er geträumt hat, und daß er ruhig wieder schlafen kann, denn Dänemark befinde sich noch in keiner wirklichen Gefahr. Aber gerät es in eine solche, ja, dann wird der alte Holger Danske sich erheben, so daß der Tisch birst wenn er den Bart zurückzieht. Dann kommt er hervor und schlägt drein, daß es in allen Ländern der Welt gehört wird.
Ein alter Großvater saß und erzählte all dies vom Holger Danske seinem kleinen Enkel, und der kleine Knabe wußte, daß, was der Großvater sagte, wahr sei. Und während der Alte saß und erzählte, schnitzte er an einem großen Holzbilde,
welches Holger Danske darstellen und an den Vorderteil eines Schiffes angebracht werden sollte; denn der alte Großvater war Bildschnitzer, und das ist so ein Mann, der Figuren für die Gallionen der Schiffe ausschneidet, je nachdem jedes Schiff benannt arden soll, und hier hatte er nun Holger Danske ausgeschnitzt, der so schlank und stolz mit seinem langen Barte stand und in der einen Hand das breite Schlachtschwert hielt während er sich mit der anderen Hand auf das dänische Wappen stützte.Und der alte Großvater erzählte so viel von ausgezeichneten dänischen Männern und Frauen, daß es dem kleinen Enkel am Ende vorkam, als wisse er nun ebensoviel, wie Holger Danske wissen könne, der es ja doch nur träumte; und als der Kleine in sein Bett kam, dachte er so viel daran, daß er ordentlich sein Kinn gegen die Bettdecke preßte und meinte, er habe einen langen Bart, der daran festgewachsen sei.
Aber der alte Großvater blieb bei seiner Arbeit sitzen und schnitzte an dem letzten Teil derselben, das war das dänische Wappen; nun aber war er fertig, und er betrachtete das Ganze und dachte an alles, was er gelesen und gehört und was er diesen Abend dem kleinen Knaben erzählt hatte; und er nickte, trocknete seine Brille ab, setzte sie wieder auf und sagte: "Ja, während meiner Lebenszeit kommt Holger Danske wohl nicht, aber der Knabe dort im Bette kann ihn vielleicht zu sehen bekommen und mit dabei sein, wenn es wirklich gilt." Und der alte Großvater nickte, und je mehr er seinen Holger Danske anblickte, desto deutlicher wurde es ihm, daß es ein gutes Bild sei, was er gemacht habe es schien ihm ordentlich Farbe zu bekommen, und daß der Harnisch wie Eisen und Stahl glänzte; die Herzen im dänischen Wappen wurden mehr und mehr rot und die Löwen sprangen, mit der Goldkrone auf dem Kopfe.
"Das ist doch das schönste Wappen, das man in der Welt hat!" sagte der Alte. "Die Löwen sind die Stärke und die Herzen die Milde und Liebe!" Er betrachtete den obersten Löwen und gedachte des Königs Knud, der das große England an Dänemarks Thron fesselte, und erblickte den zweiten Löwen an, und er dachte an Waldemar, der Dänemark vereinigte und die wendischen Länder bezwang; er besah den dritten Löwen und dachte an Margarethe, die Dänemark, Schweden und Norwegen vereinigte. Aber indem er die roten Herzen betrachtete, da leuchteten sie noch stärker als zuvor sie wurden zu Flammen, die sich bewegten, und sein Geist folgte einer jeden.
Die erste Flamme führte ihn in ein enges dunkles Gefängnis hinein. Da saß eine Gefangene, ein schönes Weib, Christians des Vierten Tochter, Eleonore Ulfeld; und die Flamme setzte sich einer Rose gleich an ihren Busen und blühte mit ihrem Herzen ineinander, dem der edelsten und besten aller dänischen Frauen.
"Ja, das ist ein Herz in Dänemarks Wappen!" sagte der alte Großvater.
Und sein Geist folgte der zweiten Flamme, die ihn auf das Meer hinaus
führte, wo die Kanonen donnerten, wo die Schiffe in Rauch gehüllt lagen; und die Flamme heftete sich als Ordensband auf Hvitsfeldts Brust, als er zur Errettung der Flotte sich und sein Schiff in die Luft sprengte.Und die dritte Flamme führte ihn nach Grönlands erbärmlichen Hütten, wo der Prediger Hans Egede mit Liebe in Wort und Tat stand, die Flamme war ein Stern auf seiner Brust, ein Herz zum dänischen Wappen.
Und des alten Großvaters Geist ging der schwebenden Flamme voran, denn sein Geist wußte, wohin die Flamme wollte. In der Bäuerin ärmlicher Stube stand Friedrich der Sechste und schrieb seinen Namen mit Kreide an den Balken. Die Flamme bebte auf seiner Brust, bebte in seinem Herzen; in der Stube des Bau erg wurde sein Herz ein Herz im dänischen Wappen und der alte Großvater trocknete seine Augen, denn er hatte König Friedrich mit den silberweißen Haaren und den ehrlichen blauen Augen gekannt und gelebt, und er faltete seine Hände und blickte stille vor sich hin. Da kam des alten Gros vaters Schwiegertochter herein und sagte, daß es spät sei, nun solle er ruhen, denn der Abendtisch sei gedecke
"Aber schön ist doch, du gemacht hast, Großvater!" sagte sie. ,Sah ger Danske und unser ganzes Wappen! Es ist mir gerade, als hätte ich das Gesicht schon früher gesehen!"
"Nein, das hast du wohl nicht!" sagte der alte Groser; "aber ich habe es gesehen, und ich habe gestrebt, es in Holz zu schneiden, so wie ich es in der Erinnerung behalten habe. Damals war es, als die Engländer auf der Reede lagen, am dänischen zweiten April, als wir zeigten, daß wir alte Dänen arent Auf ,Danmark, wo ich in Steen Billes Geschwader stand, hatte ich einen Mann zur Seite; es war, als fürchteten sich die Kugeln vor ihm! Lustig sang er alte Lieder und schoß und kämpfte, als wäre er mehr als ein Mensch. Ich erinnere mich seines Antlitzes noch; aber woher er kam, wohin er ging, weiß ich nicht, weiß niemand. Ich habe oft gedacht das möchte der alte Holger Danske wohl selbst gewesen sein, der von Kronburg heruntergeschwommen war und uns in der Gefahr half. Das war nun meine Idee, und dort steht sein Bild."
Und das Bild warf seinen großen Schatten gegen die Wand hinauf, selbst über einen Teil der Decke, es sah aus, als wäre es der wirkliche Holger Danske selbst, der dahinterstände, denn der Schatten bewegte sich; aber es konnte auch daher rühren, daß die Flamme des Lichtes nicht gleichmäßig brannte. Und die Schwiegertochter küßte den alten Großvater und führte ihn nach dem großen Lehnstuhle vor dem Tische, und sie und ihr Mann, der ja des alten Großvaters Sohn und Vater des kleinen Knaben war, der im Bette lag, saßen und speisten Abendbrot Der alte Großvater sprach von den dänischen Löwen und den dänischen Herzen, von der Stärke und der Milde, und ganz deutlich erklärte er, daß es noch eine Stärke außer der gebe welche im Schwerte liege, und er zeigte
dem Bücherbrett, wo alle Bücher lagen, wo Holbergs sämtliche Komödien lagen, die so oft gelesen worden waren, denn sie waren so ergötzlich, man meinte ordentlich alle die Personen vergangener Tage dann zu erkennen."Sieh, der hat auch zu schlagen verstanden!" sagte der alte Großvater. "Er hat das Unverständige und Eckige des Volkes, solange er konnte, gegeißelt!" und der Großvater nickte zum Spiegel hin, wo der Kalender mit dem runden Turme darauf stand, und sagte: "Tycho Brahe war auch einer, der das Schwert gebrauchte, nicht um in Fleisch und Bein zu hauen, sondern um einen deutlicheren Weg zwisten alle Sterne des Himmels hinaufzuhauen! — Und dann er, dessen Vater meinem Stande angehörte, des alten Bildschnitzers Sohn, er, den wir selbst gesehen haben mit dem weißen Haare und den breiten Schultern, er, der in allen Ländern der Welt genannt wird! Ja, er konnte hauen, ich kann nur schnitzen! Ja, Holger Danske kann in vielen Gestalten kommen, so daß man in aller Welt Ländern von Dänemarks Stärke hört! Wollen wir nun des Bertel Thorwaldsen Gesundheit trinken?"
Aber der kleine Knabe im Bette sah deutlich das alte Kronburg mit dem Öeresund; den wirklichen Holger Danske, der tief unten mit dem Bart im Marmortische festgewachsen saß und von allem, was hier oben gechieht, träumte. Holger Danske träumte auch von der kleinen ärmlichen Stube wo der Bildschnitzer saß, erhörte alles, was da gesprochen wurde, und nickte im Traume und sagte;
"Ja, erinnert euch meiner nur; ihr dänischen Leute! Behaltet mich im Angedenken! Ich komme in der Stunde der Not!"
Draußen vor Kronburg schien der klare Tag, und der Wind trug die Töne des Jägerhorns herüber vom Nachbarlande; die Schiffe segelten vorbei und grüßten: "Bum! Bum!" und von Kronburg antwortete es: "Bum! Bum!" Aber Holger Danske erwachte nicht, so stark sie auch schossen, denn es war ja nur: "Guten Tag!" "Schönen Dankt" Da muß anders geschossen werden, bevor er erwachen wird; aber er erwacht wohl, denn es ist Kern in Holger Danske!
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Es war einmal ein kleiner Knabe, der hatte sich erkältet; er war ausgegangen und hatte nasse Füße bekommen, niemand konnte begreifen, woher er sie erhalten hatte, denn es war ganz trockenes Wetter. Nun entkleidete ihn seine Mutter, brachte ihn zu Bette und ließ die Teemaschine hereinbringen, um ihm eine gute Tasse Fliedertee zu bereiten, denn der Tee erwärmt! Zu gleicher Zeit kam auch der alte freundliche Mann zur Tür herein, der ganz oben im Hause wohnte und so allein lebte, denn er hatte weder Frau noch Kinder, liebte aber die Kinder sehr und wußte so viele Märchen und Geschichten zu erzählen, daß es eine Lust war.
"Nun trinkst du deinen Tee!" sagte die Mutter, "vielleicht bekommst du dann ein Märchen zu hören."
"Ja, wenn ich nur ein neues asel" sagte der alte Mann und nickte freundlich. "Wo hat aber der Kleine die nassen Füße herbekommen?" fragte er.
"Ja, wie das geschehen ist," sagte die Mutter, "das kann niemand begreifen."
"Bekomme ich ein Märchen erzählte" fragte der Knabe.
"Ja! Kannst du mir genau sagen, denn das muß ich zuerst wissen, wie tief der Rinnstein in der kleinen Straße ist, wo du in die Schule gehst?"
"Gerade bis mitten auf die Schäfte," sagte der Knabe, "aber dann muß ich in das tiefe Loch gehen!"
"Sieh, davon haben wir die nassen Füße", sagte der Alte. "Nun soll ich freilich ein Märchen erzählen, aber ich weiß keins mehr!"
"Sie können gleich einz machen", sagte der kleine Knabe. "Mutter sagt,
daß alles, was Sie betrachten, zu einem Märchen werden kann, und von allem, was Sie berühren, können Sie eine Geschichte erhalten!""Ja, aber die Märchen und Geschichten taugen nichts! Nein, die ordentlichen, die kommen von selbst, die klopfen mir gegen die Stirn und sagen: Hier bin ich!"
"Klopft nicht bald?" fragte der kleine Knabe, und die Mutter lachte, tat Fliedertee in die Kanne und goß kochendes Wasser darüber.
"Erzählen Sie, erzählen Sie!"
Ja, wenn mein Märchen von selbst kommen möchte, aber so einz ist vornehm kommt nur, wenn es selbst Lust hat! Warte!" sagte er auf einmal "Da haben wir es! Gib acht nun ist eins in der Teekanne!"
Und der kleine Knabe sah nach der Teekanne hin, der Deckel hob sich mehr und mehr, und die Fliederblumen kamen so frisch und weiß daraus hervor, sie schossen große lange Zweige, selbst aus der Leinwand verbreiteten sie sich nach allen Seiten und wurden größer und größer. Es war der herrlichste Fliederbusch ein ganzer Baum, er ragte in das Bett hinein und schob die Gardinen zur Seite. Nein, wie das blühte und duftete! Und minen im Baume saß eine alte, freundliche Frau mit einem sonderbaren Kleide an, es war ganz grün, gleich den Blättern des Fliederbaumes, und mit großen weißen Fliederblumen besetzt, man konnte nicht gleich erkennen, ob es Zeug oder lebendiges Grün und Blumen waren.
"Wie heißt die Frau 2" fragte der kleine Knabe.
"Ja, die Römer und Griechen," sagte der alte Mann, "die nannten sie eine Dryade, aber das verstehen wir nicht. Draußen in der Vorstadt haben wir einen bessern Namen für sie, da wird sie Fliedermütterchen genannt, und sie ist auf die du acht geben mußt. Horch nur auf, und betrachte den herrlichen Fliederbaum.
Gerade so ein großer blühender Baum stand dadraußen in Nyboder; er wuchs dort in einem Winkel eines kleinen ärmlichen Hofes. Unter diesem Baume saßen eines Nachmittags im schönsten Sonnenschein zwei alte Leute, es war ein alter, alter Seemann und seine alte, alte Frau; sie waren Urgroßeltern und sollten bald ihre goldene Hochzeit halten, aber sie konnten sich des Hochzeitstages nicht recht entsinnen; und die Fliedermutter saß im Baume und sah so vergnügt aus, gerade wie hier. "Ich weiß wohl, wann die goldene Hochzeit ist!" sagte sie, aber sie hörten es nicht, sie sprachen von alten Zeiten.
"Ja, entsinnst du dich," sagte der alte Seemann, "damals, als wir noch ganz Kein waren und herumliefen und spielten, es war gerade in demselben Hofe, wo wir nun sitzen, und wir pflanzten Keine Stecken in den Hof und machten einen Garten."
"Ja," sagte die alte Frau, "dessen erinnere ich mich recht gut; und wir begossen die Stecken, und einer derselben war ein Fliederzweig, der schlug Wurzeln,
schoß grüne Zweige und ist ein großer stattlicher Baum geworden, unter dem wir alten Leute nun sitzen.""Ja, sicher!" sagte er; "und dort in der Ecke stand ein Wasserkübel, dort schwamm mein Fahrzeug, ich hatte es selbst ausgeschnitten, wie das segeln konnte! Aber ich mußte freilich bald anderswohin segeln."
"Ja, aber zuerst gingen wir in die Schule und lernten etwas," sagte sie, "uno dann wurden wir eingesegnet. Wir weinten beide; aber dez Nachmittags gingen wir Hand in Hand auf den runden Turm und sahen in die Welt hinaus über Kopenhagen und das Wasser, dann gingen wir hinaus nach Friedrichsberg, wo der König und die Königin in ihrem prächtigen Boote auf den Kanälen herumführen."
"Aber ich mußte bald anderswo fahren und viele Jahre lang weit weg rei en!
"Ja, ich weinte oft deinetwegen", sagte sie. "Ich glaubte, du seiest tot und müßtest dort unten im tiefen Wasser liegen. Manche Nacht stand ich auf und sah, ob der Wetterhahn sich drehte; ja er drehte sich wohl, aber du kamst nicht! Ich erinnere mich so deutlich, wie es eines Tages vom Himmel goß, der Kehrichtmann hielt vor der Tür, wo ich diente, ich ging mit dem Mülleimer hinunter
und blieb in der Tür stehen; — was war das für ein abscheuliches Wettert Und gerade, als ich dastand; war der Briefträger mir zur Seite und gab mir einen Brief, der war von dir! Ja, wie der herumgereist war! Ich riß ihn auf und lao; ich lachte und weinte, ich war so froh! Da stand, daß du in den warmen Ländern wärest, wo die Kaffeebohnen wachsen. Was muß das für ein herrliches Land sein! Du erzähltest so viel, und ich sah das alles, während der Regen herniedergoß und ich mit dem Mülleimer dastand. Da war einer der mich um den Leib nahm — —""Ja, aber du gabst ihm einen tüchtigen Schlag auf das Ohr daß es nur so klatschte."
"Ich wußte ja nicht, daß du es warst. Du warst ebenso geschwinde als dein Brief gekommen, und du warst so schön — das bist du ja noch! Du hattest ein lan geo, gelbes, seidenes Tuch in der Tasche und einen neuen Hut auf, du warst so fein. Gott, was das doch ein Wetter war, und wie die Straße aussah!"
"Dann heirateten wir uns sagte er, "entsinnst du dich? Und dann, als wir den ersten kleinen Knaben und dann Marie und Niels und Peter und Hans Christian bekamen!"
"Ja, und wie die alle herangewachsen und ordentliche Menschen geworden sind, die ein jeder gern hat."
"Und ihre Kinder haben wieder Kleine bekommen," sagte der alte Matrose, "ja, das sind Kindeskinder, da ist Kern drin! — War es nicht gerade um diese Zeit des Jahres, daß wir Hochzeit hielten?"
"Ja, eben heute ist der goldene Hochzeitstag!" sagte die Fliedermutter und streckte den Kopf gerade zwischen die beiden Alten hinunter, und sie glaubten, es sei die Nachbarin, die da nickte. Sie sahen einander anund behielten sich an den Händen. Bald darauf kamen die Kinder und Kindeskinder; sie wußten wohl, daß es der goldene Hochzeitstag sei, sie hatten schon des Morgens gratuliert, aber die Alten hatten es vergessen, während sie so gut sich an alles erinnerten, was vor vielen Jahren geschehen war. Der Fliederbaum duftete so stark, und die Sonne, die im Untergehen begriffen war, schien den beiden Alten gerade in W Antlitz, sie sahen beide so rotwangig aus, und das kleinste der Kindeskinder tanzte um sie herum und rief ganz glücklich, daß diesen Abend große Pracht herrschen werde, sie sollten warme Kartoffeln haben; und die Fliedermutter nickte im Baume und rief mit all den anderen: "Hurra!"
"Aber das war ja kein Märchen!" sagte der kleine Knabe, der es erzählen hörte.
"Ja, das mußt du verstehent" sagte der Alte der erzählte; "aber laß uns Fliedermütterchen danach fragen!"
"Das war kein Märchen," sagte die Fliedermutter, "aber nun kommt es! Aus der Wirklichkeit wächst gerade das sonderbarste Märchen heraus; sonst
könnte ja mein schöner Fliedbusch nicht aus der Teekanne hervorgesproßt sein!" Und dann nahm sie den kleinen Knaben aus dem Bette, legte ihn an ihre Brust, und die Fliederzweige voller Blumen schlugen um sie zusammen, sie saßen wie in der dichtesten Laube, und diese flog mit ihnen durch die Luft, es so unaussprechlich schön!Fliedermütterchen war auf einmal ein niedliches schönes Mädchen geworden, aber das Kleid war noch von demselben grünen weißgeblümten Zeuge, wie es Fliedermütterchen getragen hatte. Am Busen hatte sie eine wirkliche Fliederblume und um ihr gelbes, gelocktes Haar einen ganzen Kranz von Fliederblumen; ihre Augen waren so groß, so blau, oh, sie war so herrlich anzuschauen! Sie und der Knabe küßten sich, und dann waren sie im gleichen Alter und fühlten gleiche Freuden.
Sie gingen Hand in Hand aus der Laube und standen nun im schönen Blumengarten der Heims Bei dem frischen Grasplatze war des Vaters Stock an einen Pflock angebunden Für die Kleinen war Leben im Stocke; sobald sie sich quer über denselben setzten, verwandelte sich der blanke Knopf zu einem prächtig wiehernden Kopf, die lange schwarze Mähne flatterte, vier schlanke starke Beine schossen hervor. Das Tier war stark und mutig; im Galopp fuhren sie um den Grasplatz herum, hussa! "Nun reiten wir viele Meilen weit forti" sagte der Knabe; "wir reiten nach dem Rittergute, wo wir im vorigen Jahre waren!" Und sie ritten und ritten um den Rasenplatz herum, und immer rief das kleine Mädchen, die, wie wir wissen, keine andere als die Fliedermutter war: "Nun sind wir auf dem Landet Siehst du das Bauernhaus mit dem großen Backofen, der wie ein riesengroßes Ei aus der Mauer nach dem Wege heraus erscheint? Der Fliederbaum breitet seine Zweige über sie hin, und der .Hahn geht und kratzt für die Hühner; Sieh, wie er sich brüstet! Nun sind wir bei der Kirche! Die liegt hoch auf dem Hügel unter den großen Eichbäumen, von denen der eine halb abgestorben ist! Nun sind wir bei der Schmiede, wo das Feuer brennt und die halbnackten Männer mit den Hämmern schlagen, daß die Funken weit umhersprühen. Fort, fort nach dem prächtigen Rittergute!" Und alles, das kleine Mädchen, die hinten auf dem Stocke saß, sagte, das flog auch vorbei; der Knabe sah und doch kamen sie nur um den Grasplatz herum. spielten sie im Seitengänge und ritzten in der Erde einen kleinen Garten, und sie nahm Fliederblumen aus ihrem Haar, pflanzte sie, und sie wuchsen gerade wie bei den Alten in Ryser damals, als sie noch klein gewesen waren; und wie früher erzählt worden ist. Sie gingen Hand in Hand, gerade wie die alten Leute es als Kinder gemacht hatten, aber nicht auf den runden Turm hinauf oder nach dem Friedrichsberger Garten, nein, das kleine Mädchen faßte den Knaben um den Leib, und dann flogen sie weit herum im ganzen Lande, und es war Frühjahr, und es wurde Sommer, und es war Erntezeit, und es wurde
Winter, und Tausende von Bildern spiegelten sich in des Knaben Augen und Herzen ab, und immer sang das kleine Mädchen ihm vor: "Das wirst du nie vergessen!" und auf dem ganzen Fluge duftete der Fliederbaum so süß und so herrlich; der Knabe bemerkte wohl die Rosen und die frischen Buchen, aber der Fliederbaum duftete noch stärker, denn seine Blumen hingen an des Keinen Mädchens Herzen, und daran lehnte er oft im Fluge sein Haupt."Hier ist es schön im Frühjahr!" sagte das junge Mädeln, und sie standen in dem frisch ausgeschlagenen Buchenwalde, wo der grüne Klee zu ihren Füßen duftete, und in dem Grünen sahen die blaßroten Anemonen so lieblich aus. Oh, wäre es immer Frühjahr in dem duftenden Buchenwalde!"
"Hier ist es herrlich im Sommer!" sagte sie, und sie fuhren an alten Schlössern aus der Ritterzeit vorbei, wo sich die roten Mauern und gezackten Giebel in den Kanälen spiegelten, wo die Schwäne schwammen und in die alten kühlen Alleen hinauf sahen. Auf dem Felde wogte das Kom, gleich einem See, in den Gräben standen rote und gelbe Blumen und auf den Gehegen wilder Hopfen
"Hier ist es herrlich im Herbst!" sagte das kleine Mädeln, und die Luft
war doppelt so hoch und blau, der Wald bekam die schönsten Farben von Rot, Gelb und Grün. Jagdhunde jagten davon, ganze Scharen Vogelbild flogen schreiend über die Hünengräber hin, auf denen Brombeerranken sich um die alten Steine schlangen. Das Meer war schwarzblau mit weißen Seglern bedeckt, und in der Tenne saßen alte Frauen, Mädchen und Kinder und pflückten Hopfen in ein großes Gefäß; die Jungen sangen Lieder, aber die Alten erzählten Märchen von Kobolden und bösen sauber Besser konnte es nirgends sein!"Hier ist es schön im Winter!" sagte das kleine Mädchen, und alle Bäume waren mit Reif bedeckt, so daß sie wie weiße Korallen aussahen, der Schnee knarrte unter den Füßen, als hätte man immer neue Stiefel an, und vom Himmel fiel eine Sternschnuppe nach der anderen. Im Zimmer wurde der Weihnachtsbaum angezündet, da gab es Geschenke und gute Laune; auf dem Lande ertönte nider Bauernstube die Violine, Äpfelschnittchaschen wurde gespielt; selbst das ärmste Kind sagte: "Es doch schön im Winter!"
Ja, es war schön, und das kleine Mädchen zeigte dem Knaben alles, und immer duftete der Fliederbaum, und immer wehte die rote Flagge mit dem weißen Kreuze, die Flagge, unter welcher der alte Seemann in Nyboder gesegelt hatte. Der Knabe wurde Jüngling, und er sollte in die weite Welt hinaus, weit fort nach den warmen Ländern, wo der Kaffee wächst, aber beim Abschied nahm das Keine Mädchen eine Fliederblume von ihrer Brust und gab sie ihm aufzubewahren. Sie wurde sorgfältig in das Gesangbuch gelegt, und im fremden Lande, wenn er das Buch öffnete, geschah es immer an der Stelle, wo die Erinnerungsblume lag, und je mehr er sie betrachtete, desto frischer wurde sie, so daß er gleichsam einen Duft von den heimatlichen Wäldern einatmete, und deutlich erblickte erdas kleine Mädchen, wie sie mit ihren klaren blauen Augen zwischen den Blumenblättern hervorsah, und sie flüsterte dann: "Hier ist es schön im Frühling, im Sommer, im Herbst und im Winter!" und Hunderte von Bildern glitten durch seine Gedanken.
So verstrichen viele Jahre, und er war nun ein alter Mann und saß mit seiner alten Frau unter einem blühenden Fliederbaum. Sie hielten einander an den Händen, gerade wie der Urgroßvater und die Urgroßmutter es draußen in Nyboder getan hatten, und sie sprachen ebenso wie diese von den alten Zeiten und von der goldenen Hochzeit. Das Seine Mädchen mit den blauen Augen und mit den Fliederblumen im Haar saß oben im Baume, nickte beiden zu und sagte: "Heute ist der goldene Hochzeitstag!" Dann nahm sie zwei Blumen aus ihrem Kranze, küßte sie, und sie glänzten zuerst wie Silber, dann wie Gold, und als sie sie auf die Häupter der Alten legte, wurde jede Blume zu einer Goldkrone. Da saßen sie beide, einem Könige und einer Königin gleich, unter dem duftenden Baume, der ganz und gar wie ein Fliederbaum aussah, und er erzählte seiner alten Frau die Geschichte von dem Fliedermütterchen, so wie sie ihm er
Ja, so ist es!" sagte das kleine Mädchen im Baume. "Einige nennen mich Fliedermütterchen, andere nennen mich Dryade, aber eigentlich heiße ich Erinnerung; ich bin es, die im Baum sitzt, welcher wächst und wächst, ich kann zurückdenken, ich kann erzählen! Laß sehen, ob du deine Blume noch hast."
Und der alte Mann öffnete sein Gesangbuch, da lag die Fliederblume so frisch, als wäre sie erst kürzlich hineingelegt worden, und die Erinnerung nickte und die beiden Alten mit den Goldkronen auf dem Haupte saßen in der roten Abendsonne. Sie schlossen die Augen und — und — ja, da war das Märchen aus!
Der kleine Knabe lag in seinem Bette, er wußte nicht, ob er geträumt oder ob er es erzählen gehört habe. Die Teekanne stand auf dem Tische, aber es wuchs kein Fliederbaum daraus hervor, und der alte Mann, der erzählt hatte; war eben im Begriff, zur Tür hinauszugehen, und das tat er auch.
"Wie schön war das!" sagte der kleine Knabe. "Mutter, ich bin in den warmen Ländern gewesen!"
Ja, das glaube ich wohl!" sagte die Mutter, "wenn man zwei volle Tassen Fliedertee zu sich nimmt, dann kommt man wohl nach den warmen Ländern!" — Und sie deckte ihn gut zu, damit er sich nicht erkälte. "Du hast wohl geschlafen, während ich mich mit dem alten Manne darüber stritt, ob es eine Geschichte oder ein Märchen seil"
"Und wo ist die Fliedermutter?" fragte der Knabe.
"Sie ist in der Teekanne!" sagte die Mutter, "und dort kann sie bleiben!"
Während dies der Stoff der Unterhaltung war, die im Augenblick durch die Ankunft eines Tageblattes unterbrochen wurde, welches nichts enthielt, was zu lesen der Mühe wert gewesen wäre, wollen wir uns in das Vorzimmer hinaus begeben, wo die Mäntel, Stöcke und Galoschen Platz gefunden hatten. Hier saßen zwei Mädchen, ein junges und ein altes. Man hätte glauben mögen sie seien gekommen, um ihre weibliche Herrschaft nach Hause zu geleiten; betrachtete man sie aber etwas genauer, so begriff man bald, daß sie keine gewöhnlichen Dienstboten waren, dazu waren die Formen gar zu edel, die Haut zu fein
und der Schnitt der Kleider zu gewagt. Es waren zwei Feen, die jüngste zwar nicht das Glück selbst, aber ein Kammermädchen einer der Kammerjungfrauen desselben, welche die geringeren Gaben des Glückes umhertragen; die ältere sah etwas finster aus, es war die Trauer. Sie geht immer selbst in höchsteigener Person ihre Geschäfte zu besorgen, dann weiß sie, daß sie gut ausgeführt werden.Die beiden Feen erzählten einander, wo sie an diesem Tage gewesen waren. Die Abgesandte des Glückes hatte nur einige unbedeutende Handlungen ausgeführt, einen neuen Hut vorm Regenguß errettet, einem ehrlichen Mann einen Gruß von einer vornehmen Null verschafft usw., aber was ihr noch übrig blieb, war etwas ganz Ungewöhnliches.
"Ich kann auch erzählen," sagte sie, "daß heute mein Geburtstag ist, und zur Ehre desselben sind mir ein paar Galoschen anvertraut, die ich der Menschheit bringen soll. Diese Galoschen haben die Eigenschaft, daß ein jeder, der sie anzieht, augenblicklich an die Stelle und in die Zeit versetzt wird, wo er am liebsten sein will, ein jeder Wunsch, mit Rücksicht auf Zeit, Ort oder Dauer; wird sogleich erfüllt und der Mensch so endlich einmal glücklich hienieden!"
"Ja, das magst du glauben!" sagte die Trauer; "er wird sehr unglücklich und segnet den Augenblick, wo er die Galoschen wieder los sein wird!"
"Wo denkst du hin!" sagte die andere. "Nun stelle ich sie an die Tür, einer vergreift sich und wird der Glückliche!"
Sieh, das war das Zwiegespräch
ll. Wie es dem Justizrat erging
Es war spät geworden. Justizrat Knap, in die Zeit des Königs Hans vertieft, wollte heimkehren, und das Schicksal lenkte es so, daß er anstatt seiner Galoschen die des Glücks anbekam und nun auf die Oststraße hinaustrat. Aber er war durch die Zauberkraft der Galoschen in die Zeit des Königs Hans zurückversetzt, und deshalb setzte er den Fuß geradezu in Kot und Morast auf die Straße, weil es zu jener Zeit noch kein Steinpflaster gab.
"Es ist ja greulich, wie schmutzig es hier ist!" sagte der Justizrat. "Der ganze Bürgersteig ist fort, und alle Laternen sind ausgelöscht!"
Der Mond war noch nicht hoch genug heraufgekommen und die Luft überdem ziemlich dick, so daß alle Gegenstände ringsumher bei dieser Dunkelheit ineinander verschwammen. An der nächsten Ecke hing jedoch eine Laterne vor einem Marienbilde, aber die Beleuchtung war so gut wie keine, er bemerkte sie erst, als er gerade darunter stand, und seine Augen fielen auf das gemalte Bild mit der Mutter und dem Kinde.
"Das ist wohl," dachte er "eine Kunstsammlung, wo man vergessen hat, das Schild einzunehmen."
Ein paar Menschen, in der Tracht des Zeitalters, gingen an ihm vorbei
"Wie sahen sie doch aus! Sie kamen wohl von einer Maskerade!"
Plötzlich ertönten Trommeln und Pfeifen, Fackeln leuchteten hell. Der Justizrat stutzte und sah nun einen sonderbaren Zug vorbeiziehen. Zuerst kam ein ganzer Trupp Trommelschläger, die ihre Instrumente recht tüchtig bearbeiteten; ihnen folgten Trabanten mit Bogen und Armbruster Der Vornehmste im Zuge war ein geistlicher Herr. Erstaunt fragte der Justizrat, was das zu bedeuten habe, und wer der Mann sei.
"Das ist der Bischof von Seeland!"
"Mein Gott, was gibt der Bischof an?" seufzte der Justizrat und schüttelte mit dem Haupte; der Bischof konnte es doch unmöglich sein. Darüber grübelnd und ohne zur Rechten oder Linken zu sehen, ging der Justizrat durch die Oststraße und über den Hohenbrückenplatz. Die Brücke, die nach dem Schloßplatze führte, war nicht zu finden, er wurde ein seichtes Ufer gewahr und stieß endlich hier auf zwei Leute, die in einem Boote waren.
"Will der Herr nach dem Holm übergesetzt werdens" fragten sie.
"Nach dem Holm hinüber?" sagte der Justizrat, der ja nicht wußte, in welchem Zeitalter er sich befand. "Ich will nach Christianshafen in die kleine Torfstraße!"
Die Leute betrachteten ihn.
"Sagt mir nur, wo die Brücke ist!" sagte er. "Es ist schändlich, daß hier keine Laternen angezündet sind, und dann ist es ein Schmutz, als ging man in einem Sumpf!"
Je länger er mit den Bootsmännern sprach, desto unverständlicher waren sie ihm.
"Ich verstehe euer Bornholmisch nicht!" sagte er zuletzt ärgerlich und kehrte ihnen den Rücken. Die Brücke konnte er nicht finden, ein Geländer war auch nicht da. "Es ist ein Skandal, wie es hier aussieht!" sagte er. Nie hatte er sein Zeitalter elender gefunden als an diesem Abend. "Ich glaube, ich werde am besten tun, eine Droschke zu nehmen!" dachte er, aber wo waren die Droschken? Keine war zu erblicken "Ich werde nach dem Königsneumarkt zurückgehen müssen, dort halten wohl Wagen, sonst komme ich wohl nie nach Christianshafen hinaus!"
Nun ging er nach der Oststrasse und war fast hindurchgekommen, als der Mond hevorbrach
"Mein Gott, was ist das für ein Gerüst, das man hier errichtet hat!" rief er aus, als er das Osttor erblickte, welches zu jener Zeit am Ende der Oststraße stand.
Inzwischen fand er doch einen Durchgang offen, und durch diesen kam er nach unserem Neumarkt hinaus; aber das war ein großer Wiesengrund, einzelne Büsche ragten hervor, und quer durch die Wiese ging ein breiter Kanal oder Strom. Einige erbärmliche Holzbuden für holländische Schiffer, nach denen der Ort den Namen Hollandsaue hatte, lagen auf dem entgegengesetzten Ufer.
"Entweder erblicke ich eine Fata Morgana, oder ich bin betrunken!" jammerte der Justizrat. "Was ist das doch! Was ist das doch?"
Er kehrte wieder um in der festen Überzeugung, daß er krank sei; indem er in die Straße zurückkam, betrachtete er die Häuser etwas genauer, die meisten aren nur von Fachwerk, und viele hatten nur ein Strohdach.
"Nein, mir ist gar nicht wohn" seufzte er "und ich trank doch nur ein Glas Punsch; aber ich kann ihn nicht vertragen, und es war auch ganz und gar verkehrt, uns Punsch und warmen Lachs zu geben, das werde ich der Frau Agentin auch sagen! Ob ich wohl wieder zurückkehre und sage, wie mir zumute ist? Aber das sieht so lächerlich aus, und es ist die Frage, ob sie noch wach sind!"
Er suchte nach dem Hause, aber es war gar nicht zu finden.
"Es ist doch schrecklich, ich kann die Oststraße nicht wieder erkennen! Nicht ein Laden ist da! Alte, elende; verfallene Häuser erblicke ich als ob ich in Roeskilde oder Ringstedt wäre! Ach, ich bin krank! Es nützt nichts, sich zu genieren! Aber wo in aller Welt ist des Agenten Haus? Es ist nicht mehr dasselbe, aber dort drinnen sind noch Leute auf; ach, ich bin sicher krank!"
Nun stieß er auf eine halb offene Tür, wo das Licht durch eine Spalte fiel. Es war eine Herberge jener Zeit, eine Art von Bierhaus. Die Stube hatte das Ansehen einer holländischen Diele; eine Anzahl Leute, bestehend aus Schiffern Kopenhagener Bürgern und ein paar Gelehrten, saßen hier im tiefsten Gespräch bei ihren Krügen und beachteten den Eintretenden nur wenig.
"Um Entschuldigung," sagte der Justizrat zur Wirtin, die ihm entgegenkam "ich bin sehr unwohl geworden! Wollen Sie mir nicht eine Droschke nach Christianshafen hinaus besorgen lassen?"
Die Frau betrachtete ihn und schüttelte mit dem Kopfe; darauf redete sie ihn in deutscher Sprache an. Der Justizrat nahm an, daß sie der dänischen Zunge nicht mächtig sei, und brachte deshalb seinen Wunsch auf Deutsch an. Dies im Verein mit seiner Kleidung bestärkte die Frau darin, daß er ein Ausländer sei; daß er sich unwohl befinde, begriff sie bald und brachte ihm deshalb einen Krug Wasser, freilich hatte es etwas vom Seewasser; wiewohl es draußen aus dem Brunnen geschöpft war.
Der Justizrat stützte sein Haupt auf die Hand, holte tief Atem und grübelte über alles Seltsame rings um sich her nach.
"Ist das ,Der Tag' von heute abend?" fragte er ganz mechanisch, indem er sah, wie die Frau ein großes Stück Papier fortlegte.
Sie verstand nicht, was er damit meinte, reichte ihm aber das Blatt; es war ein Holzschnitt, welcher eine Lufterscheinung zeigte, die in der Stadt Köln gesehen worden war.
"Das ist sehr alt:" sagte der Justizrat und wurde durch diese Antiquität ganz aufgeräumt. "Wie sind Sie doch zu diesem seltenen Blatt gelangt? Das ist höchst interessant, obgleich das Ganze eine Fabel ist! Man erklärt dergleichen Lufterscheinungen dadurch, daß es Nordlichter sind, die man erblickt hat; wahrscheinlich entstehen sie durch die Elektrizität!"
Die, welche ihm zunächst saßen und seine Rede hörten, sahen ihn erstaunt an, und einer von ihnen erhob sich, nahm ehrerbietig den Hut ab und sagte mit der ernsthaftesten Miene: "Ihr seid sicher ein höchst gelehrter Mann Monisieur!"
"O nein!" erwiderte der Justizrat, "ich kann nur von einem und dem anderen mitsprechen, was man ja verstehen muß!"
Modestia ist eine schöne Tugend!" sagte der Mann. "Übrigens muß ich zu Eurer Rede sagen: mihi secus videtur, doch suspendiere ich hier gern mein Judicium!"
"Darf ich wohl Sagen, mit wem ich das Vergnügen habe, zu sprechen?" fragte der Justizrat.
"Ich bin Baccalaureus der heiligen Schrift", erwiderte der Mann.
Diese Antwort war dem Justizrat genügend, der Titel entsprach hier der Tracht. "Das ist sicher," dachte er, "ein alter Dorfschulmeister, ein origineller Patron, wie man sie noch zuweilen oben in Jütland treffen kann."
"Hier ist zwar kein locus docendi," begann der Mann, "doch bitte ich, daß Ihr Euch bemüht zu sprechen! Ihr seid sicher in den Alten sehr belesen!"
"Oh, jawohl!" antwortete der Justizrat "ich lese gern alte nützliche Schriften, habe aber auch die neueren recht gern, mit Ausnahme der Alltagsgeschichten, deren wir in der Wirklichkeit genug haben!"
"Alltagsgeschichten?" fragte unser Baccalaureus.
"Ja, ich meine diese neuen Romane, die man jetzt hat."
"Oh," lächelte der Mann, "sie enthalten doch vielen Witz und werden bei Hofe gelesen, der König liebt besonders den Roman von Herrn Ivent und Herrn Gaudian, welcher von König Artus und seinen Helden der Tafelrunde handelt, er hat mit seinen hohen Herren darüber gescherzt."
"Ja, den habe ich noch nicht gelesen," sagte der Justizrat, "das muß ein ganz neuer sein, den Heiberg herausgegeben hat!"
"Nein," erwiderte der Mann, "der ist nicht bei Heiberg, sondern bei Godfred von Gehmen herausgekommen!"
"So ist das der Verfasser!" sagte der Justizrat. "Das ist ein sehr alter Name. So hieß ja wohl der erste Buchdrucker, der in Dänemark gewesen ist!"
"Ja, das ist unser erster Buchdrucker!" sagte der Mann.
So weit ging es ganz gut; nun sprach einer der guten Bürgersleute von der schweren Pestilenz, die vor ein paar Jahren regiert hatte, und meinte die im Jahre 1484. Der Justizrat nahm an, daß es die Cholera sei, von der die Rede war, und so ging die Unterhaltung ganz gut. Der Freibeuterkrieg von 1490 lag so nahe, daß er berührt werden mußte; die englischen Freibeuter hatten Schiffe auf der Reede genommen, sagten sie; und der Justizrat, der sich in die Begebenheiten von 1801 recht hineingelebt hatte, stimmte vortrefflich gegen die Engländer mit ein. Das übrige Gespräch hingegen ging nicht so gut, jeden Augenblick wurde es gegenseitig zum Leichenbitterstil; der gute Baccalaureus gar zu unwissend, und die einfachsten Äußerungen des Justizrats klangen ihm wieder zu dreist und zu phantastisch. Sie betrachteten einander, und wurde es gar zu arg, dann sprach der Baccalaureus Latein, in der Hoffnung, besser verstanden zu werden, aber es half doch nichts.
"Wie ist es mit Ihnen?" fragte die Wirtin und zog den Justizrat beim Ärmel; nun kam seine Besinnung zurück, im Laufe der Unterhaltung hatte er alles rein vergessen, was vorangegangen war.
"Mein Gott, wo bin ich?" sagte er; und es schwindelte ihm, wie er daran dachte.
"Klaret wollen wir trinken! Met und Bremer Bier;" rief einer der Gäste, "und Ihr sollet mittrinken!"
Zwei Mädchen kamen herein, die eine hatte eine zweifarbige Haube auf; sie schenkten ein und verneigten sich; dem Justizrat rieselte es eiskalt über den Rücken hinab.
"Was ist denn das? Was ist denn das?" sagte er; aber er mußte mit ihnen trinken, sie bemächtigten sich ganz artig des guten Mannes, er war höchst verzweifelt, und als der eine sagte, daß er betrunken sei, so zweifelte er durchaus nicht an des Mannes Wort, bat sie nur, ihm eine Droschke zu verschaffen, und dann glaubten sie, er spreche moskowitisch.
Nie war er in so roher Gesellschaft gewesen. "Man sollte glauben, das Land wäre zum Heidentum zurückgekehrt," meinte er; "das ist der schrecklichste Augenblick in meinem Leben!" Aber zu gleicher Zeit kam ihm der Gedanke, sich unter den Tisch hinabzubücken und dann nach der Tür zu kriechen. Das tat er; aber indem er beim Ausgange war, bemerkten die anderen, was er vorhatte, sie ergriffen ihn bei den Füßen, und nun gingen die Galoschen zu seinem Glücke ab und — mit diesen die ganze Bezauberung.
Der Justizrat sah ganz deutlich vor sich eine Laterne brennen, und hinter dieser erblickte er ein großes Gebäude, alles sah bekannt und prächtig aus, das
war die Oststraße, wie wir sie kennen, er lag mit den Beinen gegen eine Pforte hin, und gerade gegenüber saß der Wächter und schlief."Du mein Schöpfer, habe ich hier auf der Straße gelegen und geträumt!" sagte er. "Ja, das ist die Oststraße! Wie prächtig hell und bunt! Es ist doch schrecklich, wie das Glas Punsch auf mich gewirkt haben muß!"
Zwei Minuten später saß er in einer Droschke, die mit ihm nach Christianshafen fuhr; er gedachte der Angst und der Not, die er ausgestanden hatte, und pries von Herzen die glückliche Wirklichkeit, unsere seit, die mit allen ihren Mängeln doch weit besser wäre als die, in der er vor kurzem gewesen war.
III. Des Wächters Abenteuer
"Da liegen ja wahrlich ein paar Galoschen!" sagte der Wächter. "Die gehören sicher dem Leutnant, der dort oben wohnt. Sie liegen gerade bei der Tür!"
Gern hätte der ehrliche Mann geklingelt und sie abgeliefert, denn da war noch Licht, aber er wollte nicht die übrigen Leute im Hause wecken, und deshalb ließ er es sein.
"Das muß recht warm sein, ein paar solcher Dinger anzuhaben!" sagte er. "Sie sind so weich im Leder. Sie paßten gut an meine Füße. Wie ist es doch drollig in der Welt! Nun könnte sich der Leutnant in sein warmes Bett legen, doch sieh, ob er es tut! Da geht er im Zimmer auf und nieder; das ist ein glücklicher Mensch! Er hat weder eine Frau noch Buben, jeden Abend ist er in Gesellschaft; oh, wäre ich doch er, ja dann wäre ich ein glücklicher Mann!"
Indem er den Wunsch aussprach, wirkten die Galoschen, die er angezogen hatte, der Wächter ging in des Leutnants Sein und Wesen über. Da stand er oben im Zimmer und hielt ein kleines rosenrotes Papier zwischen den Fingern, auf dem ein Gedicht stand, ein Gedicht des Herm Leutnants selbst. Denn wer hat in seinem Leben nicht einmal einen lyrischen Augenblick gehabt, und schreibt man dann den Gedanken nieder, so hat man Poesie. Hier stand geschrieben:
Oh, wär' ich reich!
Oh, wär' ich reich! so wünscht' ich mir schon oft, Als ich, kaum ellengroß, auf viel gehofft. Oh, wär ich reich! so würd' ich Offizier, Mit Säbel, Uniform und Bandeleier. Die Zeit kam auch, und ich ward Offizier, Doch nun und nimmer ward ich reich, ich Armer; Hilf mir, Erbarmer! |
Einst saß ich abends lebensfroh und jung, Ein kleines Mädchen küßte meinen Mund, Denn ich war reich an Märchenpoesie, An Gold dagegen, ach, so arm wie nie —; Das Kind nur wollte diese Poesie; Da war ich reich, doch nicht an Gold, ich Armer; Du weißt's, Erbarmer! |
Oh, wär' ich reich! so tönt zu Gott mein Flehn, Das Kind hab' ich zur Jungfrau reifen sehn, Sie ist so klug, so hübsch, so seelensgut: Oh, wüßte sie, was mir im Herzen ruht, Das große Märchen — wäre sie mir gut! Doch bin zum Schweigen ich verdammt, ich Armer; Du willst's, Erbarmer! |
Oh, wär' ich reich an Trost und Ruhe hier, Dann käme all mein Leid nicht aufs Papier. Verstehst du mich, du, der ich mich geweiht, So lies dies Blatt aus meiner Jugendzeit, Ein dunkles Märchen, dunkler Nacht geweiht. Nur finstre Zukunft seh' ich, ach, ich Armer! Dich segne der Erbarmer! |
Ja, solche Gedichte schreibt man, wenn man verliebt ist aber ein besonnener Mann läßt sie nicht drucken. Leutnant, Liebe und Mangel, das ist ein Dreieck, oder, ebensogut, die Hälfte des zerbrochenen Würfels des Glückes. Das fühlte der Leutnant recht lebendig, und deshalb legte er das Haupt gegen den Fensterrahmen und seufzte ganz tief.
"Der arme Wächter draußen auf der Straße ist weit glücklicher als ich! Er kennt nicht, was ich Mangel nenne; er hat eine Heimat, Frau und Kinder, die bei seiner Trauer weinen, sich bei seiner Lust freuen! Oh, ich wäre glücklicher, als ich bin, könnte ich in sein Wesen und Sein übergehen, mit seinen Forderungen und Hoffnungen durch dieses Leben wandeln! Ja, er ist glücklicher als ich!"
Im selben Augenblick war der Wächter wieder Wächter, denn durch die Galoschen des Glückes war er in das Wesen und Sein des Leutnants übergegangen, aber da, wie wir sehen, fühlte er sich noch weniger zufrieden und zog gerade das vor, was er vor kurzem verworfen hatte. Also war der Wächter wieder Wächter.
"Das war ein häßlicher Traum!" sagte er, "aber drollig genug. Es war mir, als ob ich der Leutnant dort oben sei, und das war durchaus kein Vergnügen. Ich entbehrte die Frau und die Buben, die mich, wenn's drauf ankommt halbtot küssen!"
Er saß wieder und nickte, der Traum wollte ihm nicht recht aus den Gedanken, die Galoschen hatte er noch an den Füßen. Eine Sternschnuppe glitt über den Horizont.
"Da ging die!" sagte er, "doch was tut's, es sind ihrer noch genug! Ich hätte wohl Lust, die Dinger etwas näher zu betrachten, besonders den Mond, denn der kommt einem doch nicht unter den Händen fort. Wenn wir sterben, sagt der Student, für den meine Frau das grobe Zeug wäscht, fliegen wir von dem einen zum andern. Das ist eine Lüge, könnte aber recht hübsch sein. Könnte ich doch einen kleinen Sprung da hinauf machen, dann möchte der Körper gern hier auf der Treppe liegen bleiben!"
Sieh, es gibt nun gewisse Dinge in der Welt die man auszusprechen sehr vorsichtig sein muß, aber doppelt vorsichtig muß man sein, wenn man die Galoschen des Glücks an den Füßen hat. Höre nur, wie es dem Wächter erging.
Was uns betrifft, so kennen wir fast alle die Schnelligkeit der Dampfbeförderung, wir haben sie entweder auf Eisenbahnen oder mit Schiffen über das Meer hin erprobt; doch dieser Flug ist wie die Wanderung des Faultieren oder der Marsch der Schnecke im Verhältnis zu der Schnelligkeit, die das Licht hat; es fliegt neunzehn Millionen mal schneller als der beste Wettrenner, und doch ist die Elektrizität noch schneller. Der Tod ist ein elektrischer Stoß, den wir in das Herz erhalten; auf den Flügeln der Elektrizität fliegt die befreite Seele. Acht Minuten und wenige Sekunden gebraucht das Sonnenlicht zu einer Reise von über zwanzig
Millionen Meilen; mit der Schnellpost der Elektrizität bedarf die Seele noch weniger Minuten, um denselben Flug zu vollbringen. Der Raum zwischen den Weltkörpern ist für sie nicht größer, als es für uns in einer und derselben Stadt Entfernungen zwischen den Häusern unserer Freunde sind, selbst wenn diese ziemlich nahe beieinander liegen. Inzwischen kostet dieser elektrische Herzensstoß uns den Gebrauch des Körpers hienieden, im Fall wir nicht, gerade wie der Wächter, die Galoschen des Glücks anhaben.In wenigen Sekunden hatte der Wächter zweiundfünfzigtausend Meilen bis zum Monde zurückgelegt, welcher, wie man weiß, von einem weit leichteren Stoff als unsere Erde geschaffen und weich wie frischgefallener Schnee ist, wie wir sagen würden. Er befand sich auf einem der unzählig vielen Ringberge, die wir aus Dr. Mädlers großer Karte über den Mond kennen. Innerhalb ging es in einen Kessel ungefähr eine halbe dänische Meile senkrecht hinab; dort unten lag eine Stadt, von deren Aussehen wir allein einen Begriff bekommen können, wenn wir Eiweiß in ein Glas Wasser schlagen; das Material hier war ebenso weich und bildete ähnliche Türme mit Kuppeln und segelförmigen Altanen, durs sichtig und in der dünnen Luft schwebend. Unsere Erde schwebte wie eine dunkelrote Kugel über seinem Haupte.
Er wurde sogleich eine Menge Geschöpfe gewahr, die sicherlich das waren, was wir Menschen nennen, aber sie sahen ganz anders aus als wir; die reichste Phantasie hatte sie geschaffen; würden sie in Reih und Glied aufgestellt und so abgemalt, so würde man sagen: das ist eine hübsche Arabeske! Sie hatten auch eine Sprache, aber es kann ja niemand verlangen, daß die Seele des Wächters sie verstehen sollte; dessenungeachtet konnte sie es, denn unsere Seele hat weit größere Fähigkeiten, als wir glauben. Zeigt sie uns nicht in unseren Träumen ihr erstaunlich dramatisches Talent? Ein jeder Bekannter tritt da sprechend auf, so völlig in Wesen und Worten ähnlich, daß niemand von uns wachend es nachahmen kann. Wie weiß sie nicht uns Personen zurückzurufen, an die wir in vielen Jahren nicht gedacht haben! Plötzlich treten sie in unseren Träumen so lebendig, bis auf die feinsten Züge, hervor. Im Grunde sieht es mit unserem Seelengedächtnis ängstlich aus; jeden bösen Gedanken wird es ja wiederholen können, dann wird es darauf ankommen, ob wir Rechenschaft von jedem ungebührlichen Worte im Herzen und auf der Lippe werden geben können.
Die Seele des Wächters verstand auf diese Weise die Sprache der Mondbewohner sehr gut. Sie unterhielten sich über unsere Erde und bezweifelten, daß sie bewohnt sein könne. Die Luft müßte dort zu dick sein, als daß ein vernünftiges Mondgeschöpf dort leben könnte. Sie hielten den Mond allein für bewohnt, er war der eigentliche Weltkörper, wo die alten Weltbewohner lebten.
Sie sprachen auch von Politik; doch wir begeben uns nach der Oststraße hinab und sehen da, wie es dem Körper des Wächters ergeht.
Leblos saß er auf der Treppe, der Morgensternstock war ihm aus der Hand gefallen, und die Augen blickten zum Monde empor, auf dem die ehrliche Seele herumwandelte.
"Was ist die Uhr, Wächters" fragte ein Vorübergehender. Wer aber nicht anwortete, das war der Wächter; dann schnippte der Mann ihm ganz sacht auf die Nase, und nun verlor er das Gleichgewicht; da lag der Körper, so lang er war, der Mensch war ja tot. Alle seine Kameraden erschraken sehr, tot war und blieb er; es wurde gemeldet, und es wurde besprochen, und in der Morgenstunde trug man den Körper nach dem Hospital hinaus.
Das konnte nun einen ganz hübschen Spaß für die Seele abgeben, im Fall sie zurückkehrte und aller Wahrscheinlichkeit nach dem Körper auf der Oststraße suchen, aber keinen finden würde; wahrscheinlich würde sie dann erst auf die Polizei und später nach dem Adreßkomptoir laufen, daß von dort aus Nachfrage unter den fortgekommenen Sachen darüber angestellt werden könnte, und dann nach dem Hospital hinaus wandern; doch wir können uns damit trösten, daß die Seele am klügsten ist, wenn sie auf ihre eigene Hand etwas unternimmt, nur der Körper macht sie dumm.
Wie gesagt, des Wächters Körper kam nach dem Hospital, wurde dort in die Reinigungsstube gebracht, und das erste, was man hier tat, war natürlicherweise, daß man die Galoschen abnahm, und da mußte die Seele zurück, sie nahm sogleich die Richtung gerade nach dem Körper, und ein paar Sekunden darauf war wieder Leben im Manne. Er versicherte, daß es die schrecklichste Nacht seines Lebens gewesen sei; nicht für acht Groschen wolle er solche Empfindungen wieder haben, aber nun war es ja überstanden.
Am selben Tage wurde er wieder entlassen, aber die Galoschen blieben in dem Hospital.
IV. Ein Hauptmoment
Eine höchst ungewöhnliche Reise
Ein jeder Kopenhagener weiß, wie der Eingang zum Friedrichshospital aussieht; da aber wahrscheinlich auch einige Nichtkopenhagener diese Keine Schrift lesen, müssen wir eine kurze Beschreibung davon geben.
Das Hospital ist von der Straße durch ein ziemlich hohes Gitter geschieden, in welchem die dicken Eisenstäbe so weit voneinander abstehen, daß, wie man erzählt, sehr dünne Kandidaten sich sollen hindurchgeklemmt und so ihre Keinen Besuche außerhalb abgestattet haben. Der Teil des Körpers, der am schwierigsten hinauszubringen war, war der Kopf; hier, wie oft in der Welt, waren also die kleinsten Köpfe die glücklichsten. Das wird als Einleitung genug sein.
Einer der jungen Leute, von dem man nur in körperlicher Hinsicht sagen konnte, daß er einen großen, dicken Kopf habe, hatte gerade die Wacht an diesem Abend, der Regen strömte herab; doch ungeachtet dieser beiden Hindernisse mußte er hinaus, nur eine Viertelstunde; das war ja nichts, was er dem Pförtner zu vertrauen brauche, meinte er, wenn man durch die Eisenstangen schlüpfen könne. Da lagen die Galoschen, die der Wächter vergessen hatte; es fiel ihm nicht im mindesten ein, daß es die des Glückes seien, sie konnten in diesem Wetter recht gute Dienste leisten, daher zog er sie an. Nun kam es darauf an, ob er sich würde durchklemmen können, er hatte es früher nie versucht. Da stand er nun.
"Gott gebe, daß ich den Kopf schon hinaus hättet" sagte er, und sofort, obgleich derselbe sehr dick und groß war, glitt er leicht und glücklich hindurch, das mußten die Galoschen verstehen, aber nun sollte der Körper mit hinaus. Hier stand er.
"Uh, ich bin zu dick!" sagte er. "Der Kopf, dachte ich, sei das schlimmste! Ich komme nicht hindurch."
Nun wollte er rasch den Kopf zurückziehen, aber das ging nicht. Den Hals konnte er bequem bewegen, aber das war auch alles. Das erste Gefühl war, daß er ärgerlich wurde, das zweite, daß seine Laune unter Null fiel. Die Galoschen des Glückes hatten ihn in diese schreckliche Lage gebracht, und unglücklicherweise fiel es ihm nicht ein, sich frei zu wünschen, nein, erhandelte, und er kam nicht
von der Stelle. Der Regen strömte herab, nicht ein Mensch war auf der Straße zu erblicken. Die Pfortenklingel konnte er nicht erreichen, wie sollte er nun loskommen! Er sah voraus, daß er hier bis zur Morgenstunde stehen könne, dann mußte man nach einem Schmied senden, damit die Eisenstäbe zerfeilt werden könnten, aber das geht nicht so geschwind, die ganze blaue Knabenschule gerade gegenüber würde auf die Beine kommen, ganz Nyboder würde berlaufen, um ihn am Pranger zu sehen, es würde einen Zulauf abgeben, ganz anders als zur Riesenagave im vorigen Jahre. "Hu! das Blut steigt mir zu Kopfe, so daß ich wahnsinnig werden muß! —Ja, ich werde verrückt! Oh, wäre ich doch wieder los; dann ginge es wohl vorüber!"Sieh, das hätte er etwas eher sagen sollen; augenblicklich, sowie der Gedanke ausgesprochen war, hatte er den Kopf los und stürzte nun hinein, ganz verwirrt über den Schreck, den ihm die Galoschen des Glückes eingejagt hatten.
Hiermit dürfen wir nicht glauben, daß das Ganze vorbei war, nein — es wird noch ärger.
Die Nacht verstrich und der folgende Tag mit, es wurde nicht nach den Galoschen geschickt.
Am Abend sollte eine Vorstellung auf dem Keinen Theater in der Kannikengasse gegeben arden. Das Haus war gepfropft voll; unter den Zuschauern befand sich der junge Mann aus dem Hospitale, der sein Abenteuer der vergangenen Nacht vergessen zu haben schien; die Galoschen hatte er an, denn sie waren nicht abgeholt worden, und da es auf der Straße schmutzig war, konnten sie ihm ja gute Dienste leisten. Ein neues Gedicht, "Die Brille der Muhme", wurde vorgetragen. Das war eine Brille, wenn man die aufhatte und vor einer großen Versammlung von Menschen saß, so sahen die Menschen wie Karten aus, und man konnte aus diesen alles, was im kommenden Jahre geschehen würde, prophezeien
Die Idee beschäftigte ihn, er hätte wohl eine solche Brille haben mögen; wenn man sie richtig gebrauchte, konnte man vielleicht den Leuten gerade in die Herzen hineinschauen, das wäre eigentlich noch interessanter, meinte er, als zu sehen, was im nächsten Jahre geschehen würde, denn das bekäme man doch zu wissen, Das andre hingegen nie. "Ich denke mir nun die ganze Reihe von Herren und Damen auf der ersten Bank, könnte man ihnen gerade in das Herz sehen, ja, das müßte so eine Öffnung, eine Art von Laden sein, wie sollten meine Augen im Laden herumschweifen! Bei jener Dame dort würde ich sicher einen großen Modehandel finden, bei dieser da ist der Laden leer, doch würde es ihm nicht schaden, gereinigt zu werden. Doch würden da auch solide Läden sein? Ach ja!" seufzte er, "ich kenne einen, in dem ist alles solide, aber da ist schon ein Diener drin, das ist das einzige Übel im ganzen Laden! Aus dem einen und
dem anderen würde es schallen: Treten Sie gefälligst nähert Ja, könnte ich nur wie ein kleiner niedlicher Gedanke hineintreten und durch die Herzen schlüpfen"Sieh, das war das Stichwort für die Galoschen; der ganze junge Mann schrumpfte zusammen, und eine höchst ungewöhnliche Reise begann mitten durch die Herzen der vordersten Reihe der Zuschauer. Das erste Herz, durch welches er kam, war das einer Dame; doch glaubte er augenblicklich im orthopädischen Institute; in dem Zimmer zu sein, wo die Gipsabgüsse der verwachsenen Glieder an den Wänden hängen; nur war hier der Unterschied der; daß sie im Institut genommen werden, wenn der Patient hineinkommt, aber hier im Herzen waren sie genommen und aufbewahrt, indem die guten Personen hinausgegangen waren. Es waren Abgüsse von Freundinnen, deren körperliche und geistige Fehler hier aufbewahrt wurden.
Schnell war er in einem weiblichen Herzen, aber dieses erschien ihm wie eine große heilige Kirche; die weiße Taube der Unschuld flatterte über dem Altar. Wie gern wäre er nicht auf die Kniee niedergesunken, aber fort mußte er, in das nächste Herz hinein, doch hörte er noch die Orgeltöne, und er selbst kam sich vor, als wäre er ein neuer und besserer Mensch geworden, er fühlte sich nicht unwürdig, das nächste Heiligtum zu betreten, welches ihm eine ärmliche Dachkammer mit einer kranken Mutter zeigte. Durch das offene Fenster aber strahlte Gottes warme Sonne, herrliche Rosen nickten von dem kleinen Holzkasten auf dem Dache, und zwei himmelblaue Vögel sangen von kindlicher Freude, während die kranke Mutter um Segen für die Tochter flehte.
Nun kroch er auf Händen und Füßen durch einen überfüllten Schlächterladen, das war Fleisch und nur Fleisch, worauf er stieß, das war das Herz in einem reichen, respektablen Manne, dessen Name sicher im Adreßbuche steht.
Nun war er in dem Herzen der Gemahlin dieses Mannes, das war ein alter verfallener Taubenschlag. Das Bild des Mannes wurde als Wetterfahne benutzt; diese stand in Verbindung mit den Türen, und so gingen diese auf und zu, so wie der Mann sich drehte.
Darauf kam er in ein Spiegelkabinett, gleich dem, welches wir auf dem Rosenburger Schlosse haben, aber die Spiegel vergrößerten in einem unglaublichen Grade. Mitten auf dem Fußboden saß wie ein Dalailama das unbedeutende Ich der Person, erstaunt, seine eigene Größe zu betrachten.
Hierauf glaubte er sich in eine enge Nadelbüchse voller spitzer Nadeln versetzt zu sehen, er mußte denken: "Das ist sicher das Herz einer alten unverheirateten Jungfrau!" Aber das war nicht der Fall, das war ein ganz junger Offizier mit mehreren Orden, von dem man sagte: ein Mann von Geist und Herz.
Ganz betäubt kam der arme junge Mann aus dem letzten Herzen in der Reihe, er vermochte seine Gedanken nicht zu ordnen, sondern meinte, daß es seine allzu starke Phantasie sei, die mit ihm durchgegangen sei.
"Mein Gott," seufzte er, "ich habe gewiß Anlage, verrückt zu werden! Hier drinnen ist es auch unverzeihlich heiß, das Blut steigt mir zu Kopf!" Und nun erinnerte er sich der großen Begebenheit des vorhergehenden Abends, wie sein Kopf zwischen den Eisenstäben des Hospitals festgesessen hatte. "Da habe ich es gewiß bekommen!" meinte er. "Ich muß beizeiten etwas dazu tun. Ein russisches Bad könnte recht gut sein. Läge ich nur erst auf dem höchsten Brette."
Und da lag er auf dem obersten Brette im Dampfbade, aber er lag da mit allen Kleidern, mit Stiefeln und Galoschen; die heißen Wassertropfen von der Decke fielen ihm in das Antlitz.
"Hu!" schrie er und fuhr herab, um ein Sturzbad zu nehmen. Der Aufwärter stieß auch einen lauten Schrei aus, wie er den angekleideten Menschen darin erblickte.
Der junge Mann hatte indes so viel Fassung, daß er ihm zuflüsterte: "Es gilt eine Wette!" Aber das erste, was er tat, als er sein eigenes Zimmer erreichte, war, daß er sich ein großes spanisches Fliegenpflaster in den Nacken und eines den Rücken hinab legte, damit die Verrücktheit hinausziehen könne.
Am nächsten Morgen hatte er einen blutigen Rücken, das war es, was er durch die Galoschen des Glückes gewonnen hatte.
V. Die Verwandlung des Schreibers
Der Wächter, den wir sicher noch nicht vergessen haben, gedachte inzwischen der Galoschen, die er gefunden und mit nach dem Hospital hinausgebracht hatte; er holte sie ab, aber da weder der Leutnant noch sonst jemand in der Straße sie als die seinigen anerkennen wollte, wurden sie auf die Polizeikammer abgeliefert
"Es sieht aus, als wären es meine eigenen Galoschen," sagte einer der Herren Schreiber indem er das Findelgut betrachtete und sie an die Seite der seinigen stellte. "Da gehört mehr als ein Schuhmacherauge dazu, um sie voneinander unterscheiden zu können!"
"Herr Kopist!" sagte ein Diener, der mit einigen Papieren hereintrat.
Der Schreiber wendete sich um und sprach mit dem Manne; nachdem das aber geschehen war und er wieder die Galoschen ansah, war er in großer Ungewißheit darüber, ob es die zur Linken oder die zur Rechten wären, die ihm gehörten.
"Es müssen die sein, die da naß sind!" dachte er; aber das war gerade verkehrt gedacht, denn das waren die des Glückes, aber weshalb sollte nicht auch die Polizei fehlen können! Er zog sie an, steckte seine Papiere in die Tasche, nahm einige Manuskripte unter den Arm, die zu Hause durchgelesen und abgeschrieben werden sollten; aber nun war es gerade Sonntagvormittag und das Wetter gut.
"Ein Ausflug nach Friedrichzberg könnte mir wohltun", dachte er, und so ging er da hinaus.Niemand konnte ein stillerer und solider Mensch sein als dieser junge Mann, wir gönnen ihm darum diesen kleinen Spaziergang wohl, er wird nach dem vielen Sitzen sicher recht wohltuend auf ihn wirken. Anfangs ging er nur so hin wie jeder andere Mensch, deshalb hatten die Galoschen keine Gelegenheit ihr Zauberkraft zu betätigen.
In der Allee begegnete er einem Bekannten, einem unserer jüngeren Dichter, der ihm erzählte, daß er am folgenden Tage seine Sommerreise beginnen werde.
"Also, Sie wollen nun wieder fort!" sagte der Schreiber. "Sie sind doch ein glücklicher, freier Mensch. Sie können fliegen, wohin Sie wollen, wir anderen haben eine Kette an dem Fuß!"
"Aber sie ist an dem Brotbaum befestigt!" erwiderte der Dichter. "Sie brauchen nicht für den morgenden Tag zu sorgen, und werden Sie alt, so erhalten Sie Pension!"
"Sie haben es doch am besten", sagte der Schreiber. "Es ist ja ein Vergnügen, zu sitzen und zu dichten; die gang Welt sagt Ihnen Angenehmes, und dann sind Sie Ihr eigener Herr! Ja, Sie sollten es nur probieren, im Gericht bei den langweiligen Sachen zu sitzen!"
Der Dichter schüttelte mit dem Haupte, der Schreiber schüttelte auch mit dem Haupte, jeder blieb bei seiner Meinung, und sie trennten sich.
"Es ist ein eigenes Volk, diese Dichter!" sagte der Schreiber. "Ich möchte wohl versuchen, in eine solche Natur einzugehen, um selbst ein Dichter zu werden; ich bin gewiß, daß ich nicht solche Klageverse schreiben würde wie die andern! — — Das ist ein rechter Frühlingstag für einen Dichter! Die Luft ist ungewöhnlich klar, die Wolken so schön, und das Grüne duftet so prächtig! Ja, in vielen Jahren habe ich es nicht so gefühlt wie in diesem Augenblick."
Wir bemerken schon, daß er ein Dichter geworden ist; und das anzudeuten, würde in den meisten Fällen, wie der Deutsche sagt, abgeschmackt sein; es ist eine törichte Vorstellung, sich einen Dichter anders als andere Menschen zu denken, es können unter diesen weit mehr poetische Naturen sein, als manche große anerkannte Dichter es sind. Der Unterschied ist nur der, daß der Dichter ein besseres geistiges Gedächtnis hat, er kann die Idee und das Gefühl festhalten, bis es klar und deutlich durch das Wort verkörpert ist, das können die anderen nicht. Aber der Übergang von einer Alltagsnatur zu einer begabten ist immer ein Übergang, und so muß er bei dem Schreiber in das Auge fallen.
"Der herrliche Duft!" sagte er, "wie erinnert er mich an die Veilchen bei der Tante Lone! Ja, das war, als ich ein Keiner Knabe war! Mein Gott, daran habe ich seit langer Zeit nicht gedacht! Das gute alte Mädchen! Sie wohnte dort herum hinter der Börse. Immer hatte sie einen Zweig oder ein
paar grüne Schößlinge im Wasser, der Winter mochte so strenge sein, wie er wollte. Die Veilchen dufteten, während ich die erwärmten Kupferschillinge gegen die gefrorene Fensterscheibe legte und Gucklöcher machte. Das war ein hübscher Ausblick. Draußen im Kanale lagen die Schiffe eingefroren, von der ganzen Mannschaft verlassen, eine schreiende Krähe bildete die ganze Besatzung; wenn dann die Frühlingslüfte wehten, dann wurde es lebendig; unter Gesang und Hurarruf sägte man das Eis entzwei, die Schiffe wurden geteert und getakelt, dann fuhren sie nach fremden Ländern. Ich bin hier geblieben und muß immer bleiben, immer auf der Polizeikammer sitzen und die anderen Pässe zu den Reisen nach dem Auslande nehmen sehen, das ist mein Los! O Ja!" seufzte er tief, dann hielt er plötzlich an. "Mein Gott, wie ist mir denn? So habe ich früher nie gedacht oder gefühlt, das muß die Frühjahrsluft sein, das ist ebenso ängstlich wie angenehm!" Er griff in die Tasche nach seinen Papieren. "Diese geben mir etwas anderes zu denken!" sagte er und ließ die Augen über bao erste Blatt hingleiten. "Frau Sigbrith, Originaltragödie in fünf Aufzügen," las er, "was ist das? Und das ist ja meine eigene Handl Habe ich diese Tragödie geschrieben? ,Die Intrigue auf dem Walle, oder der Bußtag, Lustspiel.' Aber wo habe ich das bekommen? Man muß mir das in die Tasche gesteckt haben; hier ein Brief!" Ja, der war von der Theaterdirektion, die Stücke waren verworfen worden, und der Brief war durchaus nicht höflich abgefaßt. ,Smi bml" sagte der Schreiber und setzte sich auf eine Bank nieder; seine Gedanken hatten so leichte Füße, sein Herz war so weich; unwillkürlich ergriff er eine der nächsten Blumen, es war eine gewöhnliche kleine Gänseblume. Was uns die Naturforscher erst durch manche Vorlesungen sagen, verkündete sie in einer Minute; sie erzählte die Geschichte ihrer Geburt, sie erzählte von der Kraft des Sonnenlichts, welches die feinen Blätter ausspannte und sie zum Duften zwang. Da gedachte er der Kämpfe des Lebens, die gleichfalls Gefühle in unserer Brust erwecken. Luft und Licht sind die Liebhaber der Blume, aber das Licht ist der begünstigte nach dem Lichte wendete sie sich, verschwand dieses, so rollte sie ihre Blätter zusammen und schlief in der Umarmung der Luft ein. "Das Licht ist es, was mich schmückt!" sagte die Blume. "Aber die Luft läßt dich atmen!" flüsterte die Dichterstimme.Dicht dabei stand ein Knabe und schlug mit seinem Stocke in einen morastigen Graben; die Wassertropfen spritzten zwischen die grünen Zweige hinauf, und der Schreiber gedachte der Millionen kleiner Tierchen, die in dem Tropfen in die Höhe geschleudert wurden, was nach ihrer Größe für sie dasselbe war, was es für uns sein würde, bis hoch über die Wolkenregionen emporgewirbelt zu werden. Indem der Schreiber daran dachte und an die ganze Veränderung, die mit ihm vorgegangen war, lächelte er: "Ich schlafe und träume! Merkwürdig ist es gleichwohl, wie man natürlich träumen und doch wissen kann, daß es nur ein Traum
ist. Möchte ich mich doch morgen seiner entsinnnen können, wenn ich erwachs; nun scheine ich ganz ungewöhnlich aufgelegt zu sein! Ich habe eine klare Anschauung von allem, fühlte mich so aufgeweckt, aber ich bin sicher, wenn ich morgen etwas davon behalten habe, so ist es dummes Zeug, das ist mir schon früher begegnet! Es geht mit allem Klugen und Prächtigen, welches man im Traume sagt und hört, wie mit dem Gelde der Unterirdischen; indem man es erhält ist es reich und herrlich, aber bei Tage besehen, sind es nur Steine und vertrocknete Blätter. Ach", seufzte er ganz wehmütig und betrachtete die singenden Vögel, die fröhlich von Zweig zu Zweig sprangen. "Die haben weit besser als ich! Fliegen, das ist eine herrliche Kunst, glücklich der, welcher damit geboren ist! Ja, könnte ich mich in etwas verwandeln, dann sollte es in solch eine Keine Lerche sein!"Im selben Augenblicke flogen Rockschöße und Ärmel in Flügel zusammen, die Kleider wurden zu Federn und die Galoschen zu Klauen; er bemerkte es ganz wohl und lachte innerlich; "So, nun kann ich doch sehen, daß ich träume! Aber so närrisch habe ich es früher nie getan!" Und er flog in die grünen Zweige hinauf und sang, aber es war keine Poesie im Gesang, denn die Dichternatur war fort. Die Galoschen konnten, wie ein jeder; der etwas gründlich tut, nur eine Sache auf einmal besorgen, er wollte Dichter sein, das wurde er, nun wollte er ein kleiner Vogel sein, und indem er dieses wurde, hörte die vorige Eigentümlichkeit auf.
"Sas ist allerliebst", sagte er; "Bei Tage sitze ich in der Polizeikammer unter den nüchternsten Abhandlungen, des Nachts kann ich träumen, als Lerche im Friedrichsberger Garten zu fliegen. Es könnte wahrlich ein ganzes Theaterstück davon geschrieben werden!"
Nun flog er in das Gras nieder, drehte den Kopf nach allen Seiten herum und schlug mit dem Schnabel auf die geschmeidigen Grashalme, die im Verhältnis zu seiner gegenwärtigen Größe ihm so lang wie die Palmenzweige Nordafrikas erschienen.
Es war nur einen Augenblick so, dann wurde es kohlschwarze Nacht um ihn; ein, wie es ihm erschien, ungeheurer Gegenstand wurde über ihn hingeworfen, es war eine große Mütze, welche ein Knabe von Nyboder über den Vogel warf. Eine Hand kam herein und ergriff den Schreiber um Rücken und Flügel, so daß er pfiff; im ersten Schreck rief er laut: "Du unverschämter Bube! Ich bin Kopist in der Polizeikammer!" Aber das klang dem Knaben wie ein Pipipip! Er schlug den Vogel auf den Schnabel und wanderte davon.
In der Allee begegnete er zwei Schulknaben der gebildeten Klasse, das heißt, gesellschaftlich betrachtet, denn als Köpfe waren sie nur in der niedrigsten Schule; sie kauften den Vogel für acht Schillinge, und so kam der Schreiber nach Kopenhagen zu einer Familie in der Gotherstrasse.
"Es ist gut, daß ich träume," sagte der Schreiber, "sonst würde ich wahrlich böse. Zuerst war ich Dichter, nun bin ich eine Lerche; ja, das war s cher die Dichternatur, die mich in das kleine Tier verwandelte! Es ist doch eine jämmerliche Geschichte, besonders wenn man einigen Knaben in die Hände fällt. Ich möchte wohl wissen, wie das abläuft!"
Die Knaben brachten ihn in ein sehr schönes Zimmer; eine dicke, lächelnde Dame empfing sie, aber sie war durchaus nicht darüber erfreut, daß der gemeine Feldvogel, wie sie die Lerche nannte, mit hereinkam; doch für heute wollte sie sich gefallen lassen, und sie mußten ihn in den leeren Käfig setzen, der am Fenster stand. "Das wird vielleicht dem Papchen Freude machen!" fügte sie hinzu und lachte einen großen Papagei an, der sich vornehm in seinem Ring in dem prächtigen Messingkäfig schaukelte. "Es ist Papchens Geburtstag!" sagte sie. "Deshalb will der kleine Feldvogel Glück wünschen!"
Papchen erwiderte nicht ein einziges Wort, sondern schaukelte vornehm hin und her; dagegen fing ein hübscher Kanarienvogel, der im letzten Sommer von seinem warmen, duftenden Vaterlande hierher gebracht worden war, laut zu singen an.
"Schreihals!" sagte die Dame und warf ein weißes Taschentuch über den Käfig.
"Pipip!" seufzte er, "das ist ein schreckliches Schnewetter!" und mit diesem Seufzer schwieg er.
Der Schreiber, oder, wie die Dame sagte, der Feldvogel, kam in einen kleinen Käfig, dicht neben den Kanarienvogel, nicht weit vom Papagei. Den einzigen Satz, welchen Papchen plaudern konnte, und der oft recht belustigend klang, der: "Nein, laßt uns nun Menschen sein!" Alles übrige, was er schrie, war ebenso unverständlich, wie das Zwitschern des Kanarienvogels, nur nicht für den Schreiber, der nun selbst ein Vogel war, er verstand die Kameraden sehr gut.
"Ich flog unter der grünen Palme und unter dem blühenden Mandelbaume!" sang der Kanarienvogel. "Ich flog mit meinen Brüdern und Schwestern über die prächtigen Blumen und über den spiegelklaren See hin, wo die Pflanzen sich auf dem Boden wiegten. Ich erblickte auch viele schöne Papageien, die die lustigsten Geschichten erzählten, lange und viele!"
"Das waren wilde Vögel," erwiderte der Papagei, "die besaßen keine Bildung. Nein, laßt uns nun Menschen sein! Weshalb lachst du nicht? Wenn die Dame und alle Fremden darüber lachen können, so kannst du es auch. Es ist ein großer Fehler, am Ergötzlichen keinen Geschmack finden zu können. Nein, laßt uns Menschen sein!"
"Oh, Entsinnst du dich der hübschen Mädchen, die unter dem ausgespannten Zelte bei den blühenden Bäumen tanzten? Entsinnst du dich der süßen Früchte und des kühlen Saftes in den wild wachsenden Kräutern?"
"O ja," sagte der Papagei, "aber hier habe ich es weit besser! Ich habe gutes Essen und eine liebevolle Behandlung; ich weiß, ich bin ein guter Kopf, und mehr verlange ich nicht. Laßt uns nun Menschen sein! Du bist eine Dichterseele, wie sie es nennen, ich habe gründliche Kenntnisse und Witz, du hast viele Gaben, aber keine Besonnenheit, steigst in diesen hohen Naturtönen hinauf, und deshalb wirft du zugedeckt Das bietet man mir nicht, nein, denn ich habe ihnen etwas mehr gekostet! Ich mase Eindruck mit meinem Schnabel und kann mit Witz schlagen: nein, laßt uns nun Menschen sein!"
"Oh, mein warmes, blühendes Vaterland!" sang der Kanarienvogel. "Ich will deine dunkelgrünen Bäume und deine stillen Meerbusen besingen, wo die Zweige die klare Wasserfläche küssen, singen von dem Jubel aller meiner schimmernden Brüder und Schwestern, wo der Wüste Pflanzenquellen, die Kakteen, wachsen!"
"Laß doch nur diese traurigen Töne sein!" sagte der Papagei. "Sage etwas, worüber man lachen kann! Gelächter ist das Zeichen des höchsten geistigen Standpunktes. Sieh, ob ein Hund oder ein Pferd lachen kann; das ist allein dem Menschen gegeben. Ho, ho, hol" lachte das Papchen und fügte seinen Witz "Laßt uns nun Menschen sein!" hinzu.
"Du kleiner grauer dänischer Vogel," sagte der Kanarienvogel, "du bist auch Gefangener geworden; es ist sicher kalt in deinen Wäldern, aber da ist doch
die Freiheit, fliege hinaus! Man hat vergessen, deinen Käfig zu schließen; das oberste Fenster steht offen. Fliege, Siegel"Unwillkürlich gehorchte der Schreiber und flog aus dem Käfig; im gleichen Augenblick knarrte die halbgeöffnete Tür zum nächsten Zimmer, und geschmeidig, mit grünen funkelnden Augen, schlich die Hauskatze herein und machte Jagd auf Der Kanarienvogel flatterte im Käfig, der Papagei schlug mit den Flügeln und rief; "Laßt uns nun Menschen sein!"
Der Schreiber fühlte den tödlichsten Schreck und flog durch das Fenster, über die Häuser und Straße davon; zuletzt musst er sich etwas ausruhen. Das gegenüberliegende Haus hatte etwas Heimisches, ein Fenster stand offen, er flog hinein, es war sein eigenes Zimmer; er setzte sich auf den Tisch.
"Laßt uns nun Menschen sein!" sprach er unwillkürlich dem Papagei nach, und im selben Augenblick war er der Schreiber, aber er saß auf dem Tische.
"Gott bewahr mich!" sagte er, "wie bin ich hier herauf gekommen und eingeschlafene Das war auch ein unruhiger Traum, den ich hatte. Dummes Zeug war doch die ganze Geschichte!"
VI. Das Beste, was die Galoschen brachten
Am darauffolgenden Tage in der frühen Morgenstunde, als der Schreiber noch im Bette lag, klopfte es an seine Tür; es war sein Nachbar in derselben Etage, ein junger Theologe, der hereintrat.
"Leihe mir deine Galoschen," sagte er, "es ist so naß im Garten, aber die Sonne scheint herrlich, ich möchte eine Pfeife dort unten rauchen."
Die Galoschen zog er an und war bald unten im Garten, welcher einen Pflaumen- und einen Apfelbaum enthielt Selbst ein so kleiner Garten, wie dieser war, gilt innerhalb Kopenhagens für eine große Herrlichkeit.
Der Theologe wanderte im Ganze auf und nieder; die Uhr war erst sechs; draußen von der Straße ertönte ein Posthorn.
"O reisen reisen!" rief er aus, "das ist doch das größte Glück in der Welt, das ist meiner Wünsche höchstes Zielt Da würde diese Unruhe, die ich fühle, gestillt werden. Aber weit fort müßte sein! Ich möchte die herrliche Schweiz sehen, Italien bereisen und —"
Ja, gut war es, daß die Galoschen sogleich wirkten, sonst wäre er gar zu weit herumgekommen, sowohl für sich selbst wie für uns anderen. Er reiste. Er war mitten in der Schweiz, aber mit acht anderen in das Innere einer Postkutsche eingepackt; er hatte Kopfschmerzen, fühlte sich müde im Nacken, und das Blut war ihm in die Füße hinabgesunken, die, angeschwollen, von den Stiefeln gedrückt wurden. Er befand sich in einem Zustande zwischen Schlafen
und Wachen. In seiner Tasche zur Rechten hatte erden Wechsel, in seiner Tasche zur Linken den Paß und in einem kleinen Lederbeutel auf der Brust einige festgenähte Goldstücke; jeder Traum verkündete, daß eines oder das andere dieser Kostbarkeiten verloren wäre, und deshalb fuhr er fieberartig empor, und die erste Bewegung, welche die Hand machte, war ein Dreieck von der Rechten zur Linken und gegen die Brust hinauf, um zu fühlen, ob er seine Sachen habe oder nicht. Schirme, Stöcke und Hüte schaukelten im Netze über ihm und benahmen so ziemlich die Aussicht, die wundervoll war; er schielte danach, während das Herz sang, was wenigstens schon ein Dichter, den wir kennen, in der Schweiz gesungen hat, was er aber bis Setzt noch nicht hat drucken lassen:Hier ist's so schön und frei und still, Montblanc seh ich, den steilen, Wenn nur das Geld ausreichen will, Ach, dann ist hier gut weilen! |
Groß, ernst und dunkel war die ganze Natur rings um ihn. Die Tannenwälder erschienen wie Heidekraut auf den hohen Felsen, deren Gipfel im Wolkemnebel verborgen waren; nun begann es zu schneien, der kalte Wind blies.
"Uhl" seufzte er, "wären wir doch auf der anderen Seite der Alpen, dann wäre es Sommer, und ich hätte Geld auf meinen Wechsel erhoben; die Angst, die ich für diesen fühle, macht, daß ich die Schweiz nicht genieße, oh, wäre ich doch erst auf der anderen Seite!"
Und da war er auf der anderen Seite; mitten in Italien war er, zwischen Florenz und Rom Der Trasimener See lag in der Abendbeleuchtung, wie flammendes Gold, zwischen den dunkelblauen Bergen. Hier, wo Hannibal den Flaminius schlug, hielten sich nun die Weinranken feiedlich an den grünen Fingern; liebliche halbnackte Kinder hüteten eine Herde kohlschwarzer Schweine unter einer Gruppe duftender Lorbeerbäume am Wege. Könnten wir dieses Gemälde richtig wiedergeben, so würden alle jubeln: "Herrliches Italien!" Aber das sagte keineswegs der Theologe oder ein einziger seiner Reisegefährten im Wagen des Veturim
Giftige Fliegen und Mücken flogen bei ihnen zu Tausenden in den Wagen hinein, vergebens schlugen sie mit einem Myrtenzweige um sich, die Fliegen stachen dennoch; es war nicht ein Mensch im Wagen, dessen Gesicht nicht von blutigen Bissen angeschwollen gewesen wäre. Die armen Pferde sahen wie Aser aus, die Fliegen saßen im großen Scharen auf ihnen, und nur für einen Angew blick half daß der Kutscher hinabstieg und die Tiere abschabte. Nun sank die Sonne unter, eine kurze, aber eisige Kälte ging durch die ganze Natur, es war gleich des Grabgnvölbes kaltem Luftzug nach einem heißen Sommertage, aber ringsumher erhielten Berge und Wolken den sonderbaren grünen Ton,
welchen wir auf einzelnen alten Gemälden finden und, wenn wir ein solches Farbenspiel nicht im Süden erlebt haben, für unnatürlich halten. Es war ein herrliches Schauspiel, aber — der Magen war leer, der Körper ermüdet, alle Sehnsucht des Herzens drehte sich um ein Nachtquartier, aber wie würde das ausfallend Man blickte weit inniger danach als nach der schönen Natur.Der Weg ging durch einen Olivenwald, es war, als führe er daheim zwischen knotigen Weiden, hier lag das einsame Wirtshaus. Ein Dutzend bettelnder Krüppel hatte sich vor ihm gelagert, der rascheste von ihnen sah aus, um einen Ausdruck von Marryat zu gebrauchen, wie "der älteste Sohn des Hungers, der das Alter seiner Volljährigkeit erreicht hat", die anderen waren entweder blind, hatten vertrocknete Beine und krochen auf den Händen oder hatten abgezehrt Arme mit fingerlosen Händen. Das war das Elend recht aus den Lumpen gezogen. "Eccellenza, miserabili!" seufzten sie und streckten die kranken Glieder vor. Die Wirtin selbst, mit bloßen Füßen, ungemachten Haaren und nur mit einer schmutzigen Bluse bedeckt, empfing die Gäste. Die Türen waren mit Bindfaden zusammengebunden, der Fußboden in den Zimmern bot ein halbaufgewühltes Pflaster von Mauersteinen dar; Fledermäuse flogen unter der Decke hin, und der Gestank hier drinnen — —
"Ja, decken Sie unten im Stall!" sagte einer der Reisenden, dort runten weiß man doch noch, was man einatmet!"
Die Fenster wurden geöffnet, damit etwas frische Luft hereindringen könnte, aber schneller als diese kamen die verdorrten Arme und das ewige Jammern: "Misserabili, Eccellenza!' herein. Auf den Wänden standen viele Inschriften, die Hälfte war gegen die delli ltalia!
Das Essen wurde aufgetragen, es gab eine Suppe von Wasser, gewürzt mit Pfeffer und ranzigem Öl. Letzteres spielte die Hauptrolle beim Salate; verdorbene Eier und gebratene Hahnekämme waren die Prachtgerichte, selbst der Wein hatte einen Beigeschmack, er war eine wahre Arznei.
Zur Nacht wurden die Koffer gegen die Tür aufgestellt; einer der Reisenden hatte die Wache, während die anderen schliefen; der Theologe war der Wachthabende habende; oh, wie schwül war es hier drinnen! Die Hitze drückte, die Mücken summten und stachen, die miserabili draußen jammerten im Traume.
"Ja, reisen ist schon gut!" sagte der Theologe, "hätte man nur keinen Körper; könnte dieser ruhen und der Geist dagegen fliegen! Wohin ich komme, fühle ich einen Mangel, der das Herz drückt; etwas Besseres als das Augenblickliche ist es was ich haben will; ja etwas Besseres, das Beste, aber wo und was ist es? Im Grunde weiß ich wohl, was ich will, ich will zu einem glücklichen Ziel, dem glücklichsten von allen!"
Und sowie das Wort ausgesprochen war, befand er sich in der Heimat; die langen weißen Gardinen hingen vor den Fenster herab, und mitten auf dem
Fußboden stand der schwarze Sarg, in diesem lag er in seinem stillen Todesschlaf, sein Wunsch war erfüllt, der Körper ruhte, der Geist reiste. "Preise niemand glücklich, bevor er in seinem Grabe ist!" waren die Worte Solons, hier wurde ihre Wahrheit erneuert.Jede Leiche ist die Sphinx der Unsterblichkeit; auch die Sphinx hier auf dem schwarzen Sarge beantwortete uns, was der Lebende zwei Tage im voraus niedergeschrieben hatte:
Du starker Tod, dein Schweigen machet Graun; Hast du uns nur die Totengruft zu bieten, Soll nicht der Geist die Jakobsleiter schaun Und fortbestehn nur in den Grabesblüten? Das größte Leiden sieht die Welt oft nicht! Du, der du einsam warst bis an dein Ende, Weit schwerer drückt das Herz so manche Pflicht Als hier die Erde an des Sarges Sandel |
Zwei Gestalten bewegten sich im Zimmer; wir kennen sie beide: es waren die Fee der Trauer und die Abgesandte des Glückes; sie beugten sich über den Toten hin.
"Siehst du," sagte die Trauer, "welches Glück brachten deine Galoschen wohl der Menschheit?"
"Sie brachten wenigstens ihm, der hier schlummert, ein dauerndes gut!" antwortete die Freude.
"O nein!" sagte die Trauer. "Selbst ging er fort, er wurde nicht gerufen! Seine geistige Kraft war nicht stark genug, um die Schätze hier zu heben, die er seiner Bestimmung nach heben muß! Ich will ihm eine Wohltat erweisen!"
Und sie zog die Galoschen von seinen Füßen; da war der Todeoschlaf geendet, der Wiederbelebte erhob sich. Die Trauer verschwand, mit ihr aber auch die Galoschen; sie hat sie sicher als ihr Eigentum betrachtet.
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Des Abends in den schmalen Straßen der großen Stadt, wenn die Sonne unterging und die Wolken oben Gold zwischen den Schornsteinen glänzten, hörte häufig bald der eine, bald der andere einen sonderbaren Laut, gerade wie den Klang einer Kirchenglocke, aber man hörte nur einen Augenblick, denn da war ein solches Rasseln von Wagen und ein solches Rufen, und das stört. "Nun läutet die Abendglockel" sagte man, "nun geht die Sonne unterl"
Die, welche außerhalb der Stadt gingen, wo die Häuser weiter voneinander entfernt lagen, mit Gärten und kleinen Feldern dazwischen, die sahen den Abendhimmel noch prächtiger und hörten den Klang der Glocke weit stärker, es war, als käme der Ton von einer Kirche tief aus dem stillen, duftenden Walde, und die Leute blickten dorthin und wurden ganz andächtig.
Nun verstrich längere Zeit. Der eine sagte zum anderen: Ob wohl eine Kirche da draußen im Walde ist? Die Glocke hat doch einen eigentümlich herrlichen Klang; wollen wir nicht hinaus und sie näher betrachtens" Die reichen Leute fuhren, und die Armen gingen, aber der Weg wurde ihnen so erstaunlich lang, und als sie zu einer Menge Weidenbäume kamen, die am Rande des Waldes wuchsen, da lagerten sie sich dort und blickten zu den langen Zweigen
hinauf und glaubten, daß sie nun recht im Grünen sein Der Konditor aus der Stadt kam hinaus und schlug sein Zelt auf, und dann kam noch ein Konditor, und der hing eine Glocke gerade über seinem Zelte auf, und zwar eine Glocke, die geteert war, um den Regen aushalten zu können, und der Klöppel fehlte. Wenn dann die Leute wieder nach Hause gingen, sagten sie, daß es wunderschön gewesen sei. Drei Personen versicherten, daß sie in den Wald hineingegangen seien bis dahin, wo er ende, und sie hätten immer den sonderbaren Glockensang gehört, aber es war ihnen dort gerade, als wenn er aus der Stadt käme. Der eine schrieb ein ganzes Lied davon und sagte, daß die Glocke wie die Stimme einer Mutter zu einem lieben, klugen Kinde klänge, keine Melodie sei herrlicher als der Klang der Glocke.Der Kaiser des Landes wurde auch aufmerksam darauf und versprach, daß der, welcher ausfindig machen könne, woher der Schall komme, den Titel eines Weltglöckners haben solle, und das selbst, wenn es auch keine Glocke sei.
Nun gingen viele der guten Versorgung halber nach dem Walde, aber da war nur einer, der mit einer Art Erklärung zurückkehrte. Keiner war tief genug eingedrungen, und er denn auch nicht; aber er sagte doch, daß der Glockenton von einer sehr großen Eule in einem hohlen Baume herkomme, das sei so eine Weisheitseule, die ihren Kopf fortwährend gegen den Baum schlage, aber ob der Ton von ihrem Kopfe oder von dem hohlen Stamme komme, das könne er noch nicht mit Bestimmtheit sagen, und dann wurde er als Weltglöckner angestellt und schrieb jedes Jahr eine kleine Abhandlung über die Eule; man war damm ebenso klug als vorher.
Nun war es gerade ein Einsegnungstag. Der Prediger hatte so schön und innig gesprochen, die Konfirmanden waren so bewegt gewesen, es war ein wichtiger Tag für sie; sie wurden aus Kindern mit einem Male zu erwachsenen Menschen, die Kinderseele sollte nun gleichsam in eine verständigere Person hinüberfliegen Es war der herrlichste Sonnenschein, die Konfirmanden gingen zur Stadt hinaus, und vom Walde erklang die große unbekannte Glocke ganz besonders stark. Sie bekamen sogleich Lust, dahin zu gelangen, und zwar alle bis auf drei; ein Mädchen wollte nach Hause und ihr Ballkleid anprobieren, denn es waren gerade das Kleid und der Ball, welchen sie verdankte, daß sie dieses Mal eingesegnet worden war, denn sonst wäre sie nicht mitgekommen; der zweite war ein armer Knabe, welcher seinen Konfirmationsrock und die Stiefel vom Sohne des Wirtes geliehen hatte, und die mußte er zur bestimmten Zeit zurückliefern; der dritte sagte, daß ernie nach einem fremden Orte gehe, wenn seine Eltern nicht mit dabei seien, und daß er immer ein artiges Kind gewesen sei, und das wolle er auch bleiben, selbst als Konfirmand, und darüber soll man sich nicht lustig machen! — Aber das taten die andern dennoch.
Drei von ihnen gingen also nicht mit, die anderen trabten davon. Die
Sonne schien, und die Vögel sangen, und die Konfirmanden sangen mit und hielten einander bei den Händen; denn sie hatten ja noch keine Ämter erhalten und waren alle Konfirmanden vor dem lieben Gott.Aber bald ermüdeten zwei der Kleinsten, und dann kehrten sie um und gingen wieder zur Stadt; zwei kleine Mädchen setzten sich und banden Kränze; sie kamen auch nicht mit, und als die andern die Weidenbäume erreichten, wo der Konditor wohnte, da sagten sie: "Sieh so, nun sind wir hier draußen, die Glocke gibt es ja doch eigentlich nicht, sie ist nur etwas, was man sich einbildet!"
Da ertönte plötzlich tief im Walde die Glocke so schön und feierlich, daß vier oder fünf sich entschlossen, doch weiter in den Wald hineinzugehen. Der war so dicht, so belaubt, es war außerordentlich beschwerlich vorzudringen, Waldlilien und Anemonen wuchsen fast allzu hoch, blühende Winden und Brombeerranken hingen in langen Guirlanden von Baum zu Baum, wo die Nachtigallen sangen und die Sonnenstrahlen spielten. Oh, das war herrlich, aber für Mädchen war es kein gangbarer Weg, sie würden sich die Kleider zerrissen haben. Da lagen große Felsstücke, mit Moos von allen Farben bewachsen, das frische Quellwasser quoll hervor, und wunderbar tönte es gleich wie "Kluck, kluck!"
"das sollte doch wohl nicht die Glocke sein!" sagte einer der Konfirmanden und legte sich nieder und horchte. "Das muß man ordentlich studieren!" Da blieb er und ließ die anderen gehen.
Sic kamen zu einem Hause von Borke und Zweigen; ein großer Baum mit wilden Äpfeln lehnte sich darüber hin, als wolle er seinen ganzen Segen über das Dach ausschütten, welches blühende Rosen trug; die langen Zweige lagen gerade um den Giebel hin, und an diesem hing eine kleine Glocke. Sollte es diese sein, die man gehört hatte? Ja, darin stimmten alle überein bis auf einen, der sagte, daß die Glocke zu klein und zu fein sei, als daß sie in solcher Entfernung gehört werden könne, wie sie sie gehört hätten, und daß es ganz andere Töne seien, die ein Menschenherz so rührten. Der, welcher sprach, war ein Königssohn, und da sagten die andern, so einer wolle immer klüger sein.
Dann ließen sie ihn allein gehen, und wie erging, wurde seine Brust mehr und mehr von der Einsamkeit des Waldes erfüllt. Aber noch hörte er die kleine Glocke; über die sich die andern so freuten, und mitunter, wenn der Wind die Töne vom Konditor herübertrug, konnte er auch hören, wie da zum Tee gesungen wurde. Aber die tiefen Glockenschläge tönten doch stärker, bald war es so, als spielte eine Orgel dazu, der Schall kam von der linken Seite, auf der das Herz sitzt.
Nun rasselte es im Busche, und da stand ein Keiner Knabe vor dem Königssohn, ein Knabe in Holzschuhen und mit einer so kurzen Jacke, daß man recht sehen konnte, wie lange Handgelenke er hatte. Sie kannten einander, der Knabe war gerade derjenige von den Konfirmanden, der nicht hatte mitkommen können,
"Dann können wir ja zusammengehen!" sagte der Königssohn. Aber der arme Konfirmand mit den Holzschuhen war ganz verschämt, er zupfte an den Ärmeln der Jacke und sagte, er fürchte, er könne nicht so rasch mitkommen, überdem meine er, daß die Glocke zur Rechten gesucht werden müsse, denn der Platz habe ja alles Große und Herrliche.
"Ja, dann begegnen wir uns gar nicht!" sagte der Königssohn und nickte dem armen Knaben zu, der in den tiefsten, dichtesten Teil des Waldes hineinging ging, wo die Dornen seine ärmlichen Kleider entzwei und Antlitz, Hände und Füße blutig rissen. Der Königssohn erhielt auch einige tüchtige Sisse, aber die Sonne beschien doch seinen Weg, und er ist es, dem wir nun folgen, denn es war ein flinker Bursche.
"Die Glocke will und muß ich finden!" sagte er, "wenn ich auch bis zum Ende der Welt gehen muß!"
Die häßlichen Affen saßen oben in den Bäumen und grinsten mit allen ihren Zähnen. "Wollen wir ihn prügeln?" sagten sie; "wollen wir ihn dreschen? Er ist ein Königssohn!"
Aber er ging unverdrossen tiefer und tiefer in den Wald, wo die wunderbarsten Blumen wuchsen; da standen weiße Sternlilien mit blutroten Staubfäden, himmelblaue Tulpen, die im Walde funkelten, und Apfelbäume, deren Apfel ganz und gar wie große glänzende Seifenblasen aussahen; denkt nur, wie die Bäume im Sonnenlichte strahlen mußten! Rings um die schönsten grünen Wiesen, wo Hirsch und Hindin im Grase spielten, wuchsen prächtige Eichen und Buchen, und war einer der Bäume in der Borke gesprungen, so wuchsen Gras und lange Ranken in den Spalten; da waren auch große Waldstrecken mit stillen Landseen, in denen weiße Schwäne schwammen und mit den Flügeln schlugen. Der Königssohn stand oft still und horchte, oft glaubte er, daß von einem dieser tiefen Seen die Glocke zu ihm herauf klinge, aber dann merkte er wohl, daß es nicht daher käme, sondern daß die Glocke noch tiefer im Walde ertöne.
Nun ging die Sonne unter, die Luft erglänzte rot wie Feuer, es wurde so still, so still im Walde, er sank auf seine Kniee, sang seinen Abendpsalm und sagte: "Nie finde ich, was ich suche; nun geht die Sonne unter, nun kommt die Nacht die finstere Nacht; doch einmal kann ich die Sonne vielleicht noch sehen, bevor sic ganz hinter der Erde versinkt; ich will dort auf die Klippen hinaufsteigen, ihre Höhe erreicht die der höchsten Bäumel"
Und er ergriff nun Ranken und Wurzeln und kletterte anden nassen Steinen empor, wo die Wasserschlangen sich wanden, wo die Kröten ihn gleichsam an
bellten; aber hinauf kam er, bevor die Sonne, von dieser Höhe gesehen, ganz untergegangen war. Oh, welche Pracht! Das Meer, das große herrliche Meer, welches seine langen Wogen gegen die Küste wälzte, streckte sich vor ihm ans, und die Sonne stand wie ein großer, glänzender Altar dadraußen, wo Meer und Himmel sich begegneten. Alles schmolz in glühenden Farben zusammen, der Wald sang, und das Meer sang, und sein Herz sang mit; die ganze Natur war eine große heilige Kirche, in der Bäume und schwebende Wolken die Pfeiler, Blumen und Gras die gewebte Sammetdecke und der Himmel selbst die große Kuppel bildeten. Dort oben erloschen die roten Farben, indem die Sonne verschwand, aber Millionen Sterne wurden angezündet, da glänzten Millionen Diamantlampen, und der Königssohn breitete seine Arme gegen den Himmel, gegen das Meer und den Wald aus, und da kam plötzlich, von dem rechten Seitenwege, der arme Konfirmand mit den kurzen Ärmeln und den Holzschuhen; er war daDer Fürst betrachtete sein Gold, sah seine prächtigen Gebäude und dachte dann, gleich der Menge: "Welch großer Fürst!"
"Aber ich muß mehr haben, viel mehr! Keine Macht darf mir gleich, viel weniger größer genannt werden als die meine!" Er begann Krieg mit allen
seinen Nachbarn und besiegte sie alle. Die überwundenen Könige ließ erinit goldenen Ketten an seinen Wagen fesseln, wenn er durch die Straßen fuhr, und saß er zu Tische, so mußten sie ihm und seinen Hofleuten zu Füßen liegen und die Brocken aufsammeln, die man ihnen zuwarf.Nun ließ der Fürst seine Bildsäule auf den Plätzen und in den königlichen Schlössern errichten. Ja, er wollte, sie solle in den Kirchen vor dem Altar des Herrn stehen, aber die Prediger sagten: "Fürst, du bist groß, aber Gott ist größer, wir wagen es nicht!"
"Wohl," sagte der böse Fürst, "dann überwinde ich auch Gott!" Und in seines Herzens Übermut und Torheit ließ er ein köstliches Schiff bauen, mit dem man die Luft durchschiffen konnte; es war so bunt wie der Schweif des Pfauen und schien mit tausend Augen besetzt zu sein, aber jedes Auge war ein Büchsenlauf. Der Fürst saß mitten im Schiffe, er brauchte nur an eine Feder zu drücken, dann flogen tausend Kugeln hinaus, und die Büchsen waren gleich wieder wie früher geladen. Hunderte von starken Adlern wurden vor das Schiff gespannt, und so flog er nun gegen die Sonne an. Die Erde lag tief unten, zuerst erschien sie mit ihren Bergen und Wäldern nur wie ein aufgepflügter Acker, wo das Grüne aus den umgewälzten Rasenstücken hervorblickt, später glich sie einer flachen Landkarte, und bald war sie ganz in Nebel und Wolken verhüllt. Höher und höher flogen die Adler aufwärts. Da entsandte Gott einen einzigen seiner unzähligen Engel, und der böse Fürst ließ Tausende von Kugeln gegen ihn fliegen, aber die Kugeln fielen gleich Hagel von den glänzenden Flügeln des Engels zurück; ein Blutstropfen, nur ein einziger, tröpfelte von der weißen Flügelfeder; und dieser Tropfen fiel auf das Schiff, in welchem der König saß; er brannte sich im Schiffe ein, er lastete gleich tausend Zentnern Blei und riß das Schiff in stürzender Fahrt gegen die Erde nieder. Der Adler starke Schwingen zerbrachen, der Wind umsauste des Fürsten Haupt, und die Wolkken ringsum — sie waren aus den abgebrannten Städten emporgestiegen — bildeten sich zu drohenden Gestalten, wie zu meilengroßen Krebsen, die ihre starken Klauen nach ihm ausstreckten, zu rollenden Felsstücken und feuerspeienden Drachen; halbtot lag der König im Schiffe, welches zuletzt in des Waldes dicken Baumzweigen hängen blieb.
"Ich will Gott besiegem" sagte er, "ich habe es geschworen, mein Wille soll geschehen!" und er ließ sieben Jahre lang künstliche Schiffe zum Durchsegeln der Luft bauen, erließ Blitzstrahlen vom härtesten Stahl schmieden, denn er wollte des Himmels Befestigung sprengen. Von allen seinen Landen sammelte er große Kriegsheere, die einen Raum von mehreren Meilen bedeckten, als sie Mann an Mann aufgestellt waren. Sie bestiegen die künstlichen Schiffe, der König selbst näherte sich dem seinen; da entsandte Gott einen Mückenschwarm, einen einzigen kleinen Mückenschwarm. Der umschwirrte den König und stach
dessen Antlitz und Hände; er zog im Zorn sein Schwert, schlug aber nur in die leere Luft, die Mücken konnte er nicht treffen. Da gebot er, daß köstliche Teppiche gebracht werden sollten, mit diesen mußte man ihn umwickeln, da konnte keine Mücke mit ihrem Stachel durchdringen, und man tat wie er befohlen hatte. Aber eine einzige Mücke setzte sich auf die innere Seite des Teppichs, sie kroch in des Königs Ohr und stach ihn dort; es brannte wie Feuer, das Gift schlug in sein Gehirn, wie toll schleuderte er die Teppiche ab, zerriß seine Kleider und tanzte nackt vor den rohen, wilden Soldaten umher, die nun des tollen Fürsten spotteten, der Gott bestürmen wollte und von einer einzigen kleinen Mücke überwunden worden war."Wie schön ist das Dasein!" sagte jede Rose. "Das einzige, was ich wünschen möchte, wäre, daß ich die Sonne küssen könnte, weil sie warm und klar ist. Ja, die Rosen dort unten im Wasser möchte ich auch küssen; sie gleichen uns ganz genau. Ich möchte die süßen jungen Vögel dort unten im Neste küssen; ja es gibt auch viele oben über uno; sie stecken die Köpfe heraus und piepen ganz leise, sie haben gar keine Federn, wie ihr Vater und ihre Mutter.
Das sind gute Nachbarn, die wir haben, sowohl die über wie die unter uns. Oh, wie schön ist das Dasein!"Die kleinen Jungen oben und unten — die unten waren nur der Widerschein im Wasser — waren Sperlinge, Vater und Mutter waren Sperlinge; sie hatten das verlassene Schwalbennest vom vorigen Jahr eingenommen, in diesem lagen sie und waren zu Hause.
"Sind das Entenkinder, die dort schwimmens" Sagten die jungen Sperlinge, als sie die Entenfedem auf dem Wasser treiben sahen.
"Fragt vernünftig!" sagte die Mutter. "Seht ihr denn nicht, daß es Federn sind, lebendiges Kleiderzeug, wie ich es habe und wie ihr es bekommen werdet; aber unseres ist feiner! Ich wollte übrigens, wir hätten sie hier oben im Neste; denn sie wärmen. Ich möchte wissen, worüber die Enten so erschraken! Da muß etwas im Wasser gewesen sein, denn ich war es sicher nicht; obgleich ich freilich etwas laut Piep zu euch sagte! Die dickköpfigen Rosen müßten es wissen, aber die wissen gar nichts, die sehen sich nur selbst an und riechen. Es sind mir recht langweilige Nachbarn!"
"Hört die lieben, kleinen Vögel dort oben!" sagten die Rosen, "sie wollen jetzt auch anfangen zu singen! Sie verstehen es noch nicht recht, aber es wird schon kommen! Was das für ein großes Vergnügen sein mußt Es ist recht ergötzlich, solche lustige Nachbarn zu haben!"
Gleichzeitig kamen zwei Pferde im Galopp an, sie sollten getränkt werden; ein Bauernknabe saß auf dem einen, und er hatte alle seine Kleider, seinen schwarzen, großen und breiten Hut ausgenommen, abgelegt. Der Knabe pfiff gerade, als wenn er ein Keiner Vogel wäre, und ritt dann in die tiefste Stelle des Teiches; und als er zum Rosenstock herüber kam, riß er eine der Rosen ab und steckte sie auf den Hut, so glaubte er recht geputzt zu sein, und ritt dann damit fort. Die anderen Rosen blickten ihrer Schwester nach und fragten einander: "Wohin reist sie?" — aber das wußte keine.
"Ich möchte wohl in die Welt hinaus!" sagte die eine Rose zur anderen; "aber hier zu Hause in unserem eigenen Grünen ist es auch schön! Am Tage scheint die Sonne warm, und nachts glänzt der Himmel noch schöner; das können wir durch die vielen kleinen Löcher sehen, die darin sind!"
Das waren die Sterne, von denen sie glaubten, jeder sei ein Loch; die Rosen wußten es nicht besser!
Wir beleben ringsum das Haus," sagte die Sperlingsmutter" ,und Schwalbennester bringen Glück, sagen die Leute, deshalb freuen sie sich, uns zu haben. Aber jene Nachbarn dort, so ein ganzer Rosenstrauch an der Mauer hinauf, verursacht Feuchtigkeit. Ich hoffe, er wird wohl fortgeschafft werden, dann kann doch da Korn wachsen. Rosen sind nur zum Ansehen da, und daran zu riechen, oder höchstens, sie auf den Hut zu stecken. Jedes Jahr;
das weiß ich von meiner Mutter, fallen sie ab, die Bauersfrau legt sie mit Salz ein, sie bekommen einen französischen Namen, den ich nicht aussprechen kann, und um den ich mich auch nicht kümmere; und dann wers sie aufs Feuer gestreut, wenn es gut riechen soll. Sieh! das ist nun ihr Lebenslauf! Sie sind zu nichts als für Augen und Nase da. Nun wißt ihr es!"Als es Abend wurde und die Mücken in der warmen Luft tanzten, wo die Wolken schön rot waren, kam die Nachtigall und sang den Rosen vor, daß das Schöne dem Sonnenschein in dieser Welt gleiche und das Schöne ewig lebe. Die Rosen abei glaubten, daß die Nachtigall sich selbst besinge, und das konnte man ja auch denken. Es fiel ihnen gar nicht ein, daß sie es waren, denen der Gesang galt, sie freuten sich aber darüber und sannen nach; ob nicht alle die jungen Sperlinge auch zu Nachtigallen werden könnten.
Ich verstand sehr wohl, was der Vogel sang!" sagten die jungen Sperlinge, da war nur ein Wort, welches ich mir nicht erklären kann: Was ist das Schöne?"
"Das ist nichts," sagte die Sperlingsmutter, "das ist nur so ein Schein. Oben auf dem Rittergute, wo die Tauben ihr eigenes Haus haben und jeden Tag Erbsen und Korn in den Hof gestreut bekommen — ich habe mit ihnen gegessen, und dazu sollt ihr auch gelangen: Sage mir, mit wem du umgehst, und ich werde dir sagen, wer du bist — dort oben auf dem Herrengute halten sie zwei Vögel mit grünen Hälsen und einem Kamm auf dem Kopfe; ihr Schweif kann sich ausbreiten, als wäre er ein großes Rad, und er hat alle Farben, so daß einem die Augen schmerzen, Pfaue werden sie genannt, und sie sind das Schöne! Sie sollten ein wenig gerupft werden, dann würden sie nicht anders aussehen als die anderen. Ich würde sie gebissen haben, wenn sie nicht so groß gewesen wären!"
"Ich will sie beißens" sagte der kleinste der jungen Sperlinge, und er hatte noch keine Federn.
Im Bauernhöfe wohnten zwei junge Leute, die liebten sich sehr, waren recht fleißig und flink, und es sah niedlich bei ihnen aus. Am Sonntagmorgen kam die junge Frau heraus, nahm eine ganze Handvoll der schönsten Rosen, stellte sie in ein Wasserglas und seten dieses mitten auf den Schrank.
"Nun sehe ich, daß es Sonntag ist!" sagte der Mann, küßte seine liebe Frau, und dann setzten sie sich nieder, lasen einen Psalm, hielten einander bei den Händen, und die Sonne schien zu den Fenstern hinein auf die frischen Rosen und auf die jungen Leute.
Dieser Anblick langweilt mich!" sagte die Sperlingsmutter, welche aus dem Neste gerade in die Stube hineinsah; und dann flog sie davon.
Dasselbe tat sie am folgenden Sonntage, denn jeden Sonntag wurden frische Rosen in das Glas gestellt, und immer blühte die Rosenhecke gleich schön.
Die jungen Sperlinge, welche jetzt Federn bekommen hatten, wollten gern mitfliegen, aber die Mutter sagte: "Ihr bleibt hier", und so blieben sie. Sie flog, doch wie sich nun auch zugetragen haben mag, genug, auf einmal hing sie in einer Vogelschlinge aus Pferdehaaren, welche einige Knaben an einen Zweig befestigt hatten. Die Pferdehaare schlangen sich fest um das Bein zusammen, so fest, als ob zerschnitten werden sollte. Das war eine Pein, das war ein Schreck! Die Knaben sprangen darauf zu und ergriffen den Vogel, und sie griffen ihn schrecklich hart an. "Das nichts weiter als ein Sperling!" sagten sie, aber sie ließen ihn doch nicht wieder fliegen, sie gingen mit ihm nach Hause; und jedesmal, wenn er schrie, schlugen sie ihn auf den Schnabel.Im Bauernhof stand ein alter Mann, welcher Seife zum Bart und zu den Händen, Seife in Kugeln und Seife in Stücken anzufertigen verstand. Es war ein herumwandernder lustiger Alter, und glo er den Sperling erblickte, mit welchem die Knaben daherkamen, und aus dem, wie sie sagten, sie sich nichts machten, fragte er: "Wollen wir ihn schön machen?" Und es schauerte der Sperlingsmutter, als er das sagte. Aus seinem Kasten, in dem die schönsten Farben lagen, nahm er darauf eine ganze Menge glänzendes Schaumgold, die Knaben mußten ein Ei herbeischaffen, davon nahm erdas Weiße und bestrich den ganzen Vogel damit. Dann klebte er Schaumgold darauf, so war die Sperlingomutter vergoldet, sie aber dachte nicht an den Staat, sie zitterte an allen Gliedern. Und der Seifenmann nahm einen roten Lappen, er riß ihn aus dem Futter seiner alten Jacke, schnitt den kappen zu einem gezackten Hahnenkamme aus und klebte den auf den Kopf des Vogels fest
"Jetzt sollt ihr den Goldvogel fliegen sehen!" sagte er und ließ den Sperling los welcher in der schrecklichsten Angst in dem klaren Sonnenschein dahinflog. Nein, wie er glänzte! Alle Sperlinge, ja sogar eine große Krähe, und zwar nicht eine von diesem Jahre, erschraken richtig über diesen Anblick, aber sie flogen doch hinterdrein, denn sie wollten wissen, was das für ein fremder Vogel sei.
"Woher? Woher?" schrie die Krähe.
"Wart' ein bißchen! Wart' ein bißchen!" sagten die Sperlinge. Aber sie wollte nicht warten; von Angst und Schrecken ergriffen, flog sie nach Hause; sie war nahe daran, ermattet zur Erde zu sinken, und immer kamen mehr Vögel hinzu, um auf sie loszuhacken. "Seht den! Seht den!" schrieen alle.
"Seht den! Seht den!" schrieen die Jungen, als sie auf das Nest zukam. "Das ist gewiß ein junger Pfau, da sind alle Farben, welche in die Augen stechen, wie die Mutter sagte. Piep! Das ist das Schöne!" Dann hackten sie mit ihren kleinen Schnäbeln, so daß ihr nicht möglich war, hineinzuschlüpfen, und sie war vor Schrecken so ermattet, daß sie nicht mehr "Piep", viel weniger "Ich bin ja eure Mutterl" sagen konnte. Die anderen Vöget hackten nun alle
auf sie ein, so daß sie alle Federn verlor, und blutig sank die Sperlingsmutter in den Rosenstrauch hinab."Das arme Tier!" sagten die Rosen. "Komm, wir wollen dich verbergen! Lehne dein Köpfchen an uns an!"
Die Sperlingsmutter breitete noch einmal die Flügel aus, drückte sie dann wieder fest an sich und war bei der Nachbarfamilie; den frischen, schönen Rosen, gesiorben.
"Piep!" sagten die jungen Sperlinge im Neste, "wo nur die Mutter bleiben mag, das kann ich gar nicht begreifen! Es soll doch nicht etwa ein Pfiff von sein, damit wir uns selbst ernähren und für uns sorgen sollens Das Haus hat sie uns als Erbteil hinterlassen, aber wer von uns soll es allein besitzen, wenn wir Familie bekommen?"
"Ja, ich kann euch anderen nicht hier behalten, wenn ich mein Hauswesen mit Frau und Kindern erweitere!" sagte der kleinste.
"Ich bekomme wohl mehr Frauen und Kinder glo du!" sagte der zweite.
"Ich bin der älteste!" sagte ein dritter. Alle fingen an, sich zu schelten, sie schlugen mit den Flügeln, hackten mit den Schnäbeln, und bums! wurde das eine nach dem anderen aus dem Neste gepufft. Da lagen sie, und böse waren sie noch; den Kopf hielten sie ganz auf die eine Seite und blinzelten mit dem Auge, welches nach oben gekehrt war; das war so ihre Art zu schmollen.
Ein wenig konnten sie fliegen, und dann übten sie sich noch etwas mehr, und zuletzt kamen sie überein, daß sie, um sich wiederzuerkennen, wenn sie sich später in der Welt begegnen sollten, "Piep!" sagen und dreimal mit dem linken Fuß kratzen wollten.
Der Junge, welcher im Nest zurückgeblieben war, machte sich so breit, wie er nur konnte, er war ja nun Hauseigentümer, aber lange währte es nicht. In der Nacht leuchtete das rote Feuer durch die Fenster, die Flammen schlugen unter dem Dache hervor, das dürre Stroh loderte auf, das ganze Haus verbrannte und der junge Sperling mit, die jungen Leute aber kamen glücklich davon.
Als die Sonne am nächsten Morgen wieder aufgegangen war und alles wie nach einem sanften Nachtschlaf erquickt schien, war von dem Bauernhöfe weiter nichts übrig geblieben als einige schwarze, verkohlte Balken, die sich gegen den Schornstein anlehnten, der nun sein eigener Herr war. Aus dem Grunde erhob sich noch starker Rauch, aber vor demselben stand frisch und blühend der ganze Rosenstrauch, der jeden Zais und jede seiner Blumen in dem ruhigen Wasser spiegelte.
"Wie schön stehen die Rosen vor dem abgebrannten Hause!" rief ein Mann, welcher daherkam, aus "Das ist das lieblichste Keine Bild, das muß ich haben!" Der Mann zog aus der Tasche ein kleines Buch mit weißen Blättern hervor und
nahm seine Bleifeder, denn er war ein Maler, und zeichnete dann den rauchenden Schutt, die verkohlten Balken gegen den überhängenden Schornstein, denn dieser neigte sich mehr und mehr, aber vorn stand der große, blühende Rosenstrauch; der war wahrhaftig schön und war ja auch allein die Veranlassung, daß das Ganze gezeichnet wurde.Später am Tage kamen zwei Sperlinge vorbei, die hier geboren waren "Wo ist das Haus?" sagten sie. "Wo ist das Nest? — Piep! Alles ist verbrannt, und unser starker Bruder ist mit umgekommen; das hatte er davon, daß er das Nest behielt. — Die Rosen sind gut davon gekommen, die stehen noch mit roten Wangen da. Sie trauern also nicht über des Nachbars Unglück. Ich spreche nicht mit ihnen, und häßlich ist es hier, das ist meine Meinung!" Dann flogen sie fort.
Spät im Herbst gab es einen schönen, sonnenhellen Tag, man hätte glauben können, man sei noch mitten im Sommer. Es war trocken und rein im Hofe vor der großen Treppe beim Edelmann, und da gingen die Tauben, sowohl schwarze als weiße und bunte, sie glänzten im Sonnenschein, und die alten Taubenmütter sagten zu den Jungen: "Steht in Gruppen, Kinder! Steht in Gruppen, Kinder!" denn so nahmen sie sich weit besser aus.
Was ist das kleine Graue, was hier zwischen uns herumläuft?" fragte die
alte Taube, welche Not und Grün in den Augen hatte. "Kleine Graue; kleine Graue!" sagte sie."das sind Sperlinge, gute Tierchen! Wir haben stets in dem Ruf gestanden, gutmütig zu sein, darum wollen wir ihnen auch gestatten, etwas mit aufzulesen lesen! — Sie sprechen nicht mit und kratzen so niedlich mit dem Fuße."
Ja, sie kratzten, dreimal kratzten sie mit dem linken Fuße, aber sie sagten auch piep! Und dann erkannten sie ,ich; es waren drei Sperlinge vom abgebrannten Hause.
"Hier außerordentlich gut fressen!" sagten die Sperlinge. Und die Tauben gingen umeinander herum, brüsteten sich und hatten ihre Ansicht inwendig.
"Siehst du die Kropftaube?" sagte die eine Taube zu der anderen. "Siehst du, wie sie Erbsen verschluckt? Sie bekommt zu viel; sie bekommt die besten! Kurr, kurr! Siehst du, wie die da kahl im Kamme wird, siehst du das häßliche, das boshafte Tier? Kurr, kurr!" Und ganz rot funkelten aller Augen vor Bosheit. "Steht in Gruppen, steht in Gruppen! Kleine Graue Keine Grauet Kurre, kurre, kurre!" So ging es in einem fort unter den sanften Tauben und Täubchen, und so geht es wohl noch nach tausend Jahren.
Die Sperlinge fraßen gut; und sie hörten gut, ja, sie stellten sich sogar mit auf, aber das stand ihnen nicht gut. Zuletzt waren sie satt und gingen von den Tauben weg und äußerten gegenseitig ihre Meinung über diese, hüpften dann unter den Gartenzaun, und da die Tür zum Gartenzimmer offen stand, hüpfte der eine auf die Türschwelle, er war übersatt und deshalb mutig. "piep!" sagte er; "das wage ich!" — "Piep!" sagte der zweite, "das wage ich auch, und noch etwas mehrt" Und dann hüpfte erin das Zimmer hinein. Es befanden sich keine Leute dann, das sah der dritte wohl, und dann flog er noch weiter in das Zimmer hinein und sagte: "Ganz oder gar nicht! Dies ist übrigens ein sonderbares Menschennest; und was ist hier aufgestellt; was ist das?"
Gerade vor den Sperlingen blühten die Rosen, sie spiegelten sich im Wasser, und die verkohlten Balken lagen gegen den gebrechlichen Schornstein! Wie war doch das, und wie kam das in das Zimmer des Rittergutes?
Alle drei Sperlinge wollten über die Rosen und den Schornstein hinfliegen, aber ihr Flug wurde gehemmt, es war eine flache Wand, gegen die sie anflogen. Das Ganze war ein Gemälde, ein großes, prächti geo Stück, welches der Maler nach seiner kleinen Zeichnung gemacht hatte.
"Piep!" sagten die Sperlinge, "es ist nichts, es sieht nur so aus! piep! Das ist das Schöne! Kannst du das begreifen? Ich kann es nicht!" Und dann flogen sie davon, denn es kamen Menschen in das Zimmer.
Nun vergingen Jahr und Tag, die Tauben hatten vielmal gekurrt, um nicht zu sagen geknurrt, die boshaften Tiere. Die Sperlinge hatten den Winter über gefroren und den Sommer hindurch lustig gelebt; sie waren alle verlobt oder
verheiratet. Junge hatten sie, und das eines jeden war natürlich das schönste und klügste von allen; der eine flog hierhin, der andere dorthin, und begegneten sie sich, dann erkannten sie sich gegenseitig am "Piep!" und dem dreimaligen Kratzen mit dem linken Fuße. Die älteste von ihnen war nun ein altes Sperlingsfräulein, sie hatte kein Nest und auch keine Jungen; sie wollte gern einmal nach einer großen Stadt, und darum flog sie nach Kopenhagen.Da lag ein großes Haus mit vielen Farben dicht beim Schlosse und am Kanal, wo sich Schiffe mit Äpfeln und Töpfen befanden. Die Fenster waren unten breiter als oben, und guckten die Sperlinge da hinein, so war eine jede Stube, wie es ihnen vorkam, gerade als ob sie in eine Tulpe hineinblickten, sie sahen alle möglichen Farben und Schnörkel; und mitten in der Tulpe standen weiße Menschen, die waren von Marmor, einige von ihnen waren auch von Gips, doch für Sperlingsaugen bleibt sich das gleich. Oben auf dem Hause stand ein Metallurgen mit Metallpferden davor, und die Siegesgöttin, auch von Metall, lenkte sie. Es war Thonwldsens Museum.
"Wie das glänzt, wie das glänzt!" sagte das Spertingsfräulein, "das ist sicher das Schöne. Piept Hier ist es doch größer als ein Pfau!" Sie gedachte von ihrer Kindheit her, was das größte Schöne sei, welches ihre Mutter gekannt hatte. Und sie flog gerade in den Hof hinab; dort war es auch prächtig, da waren Palmen und Zweige an die Mauern gemalt, und mitten im Hof stand ein großer, blühender Rosenstrauch, der breitete seine frischen Zweige mit den vielen Rosen über ein Grab hin. Sie flog dorthin, wo mehrere Sperlinge gingen. "Piep!" und drei Kratze mit dem linken Fuß; diesen Gruß hatte sie manchesmal in Jahr und Tag gemacht, und keiner hatte ihn verstanden, denn die, welche einmal getrennt sind, treffen sich nicht an jedem Tag wieder. Der Gruß war ihr aber zur Gewohnheit geworden, und heute waren da zwei alte und ein junger Sperling, welche "Piep!" sagten und mit dem linken Fuße schabten.
"Ei sich, guten Tag, guten Tag!" Es waren drei alte aus dem Sperlingsneste und noch ein kleiner zur Familie gehörender. "Treffen wir uns hier?" sagten sie. "Das ist ein vornehmer Ort, aber hier ist nicht viel zu fressen. Das ist das Schöne! Piep!"
Da kamen viele Leute aus den Seitengemächern, wo die prächtigen Marmorgestalten standen, und gingen nach dem Grabe, welches den großen Meister barg, der die Marmorbilder gemacht hatte, und alle. die da kamen, standen mit leuchtendem Antlitz um Thorwaldsens Grab. Einzelne sammelten die abgefallenen Rosenblätter auf und bewahrten sie. Da waren Leute aus weiter Entfernung, sie kamen guo England, aus Deutschland und Frankreich; und die schönste Dame nahm eine d Rosen und barg sie an ihrem Busen. Da glaubten die Sperlinge, daß die Rosen hier regierten, daß das Haus ihretwegen gebaut sei, und das schien ihnen freilich etwas zu viel zu sein; da aber die Menschen alle viel Liebe
für die Rosen zeigten, so wollten sie nicht zurückstehen. "piep!" sagten sie und fegten den Fußboden mit ihren Schwänzen und blinzelten mit dem einen Auge nach den Rosen; kaum sahen sie hin, so hatten sie sich überzeugt, daß es die alten Nachbarn seien, und das waren sie auch. Der Maler, welcher den Rosenstrauch neben dem alten, abgebrannten Bauernhöfe zeichnete, hatte später gegen Ende des Jahres die Erlaubnis erhalten, den Strauch auszugraben, und hatte ihn dann dein Baumeister gegeben, denn schönere Rosen waren nirgends zu finden; der Baumeister hatte sie auf Thorwaldsens Grab gesetzt, wo sie, als Bild des Schönen, blühten und feine, rote, duftende Blätter gaben, die zur Erinnerung nach fernen Landen getragen wurden."Habt ihr hier in der Stadt eine Anstellung erhalten?" fragten die Sperlinge. Und die Rosen nickten sie erkannten die grauen Nachbarn und freuten sich, sie wiederzusehen.
"Wie schön es doch ist, zu leben und zu blühen, alte Freunde und Bekannte zu sehen und jeden Tag freundliche Gesichter zu erblicken! Hier ist es gerade; als ob jeder Tag ein großer, herrlicher Festtag wäre!"
"Piept" sagten die Sperlinge, "ja, das sind die alten Nachbarn; ihrer Abstammung von dem Dorfteiche entsinnen wir uns. Piep! Wie die zu Ehren gelangt sind! Manche kommen auch im Schlafe dazu. Was an so einem roten Klumpen Schönes ist, weiß ich nicht! — Und da sitzt doch ein vertrocknetes Blatt, denn das sehe ich ganz genau!"
Dann pickten sie daran, bis das Blatt abfiel, und frischer und grüner stand der Strauch, und die Rosen dufteten im Sonnenschein auf Thorwaldsens Grab, an dessen unsterblichen Namen sich ihre Schönheit anschloß.
Auf dem Rinnsteinbrett standen drei, die sich der Laterne vorgestellt hatten, indem sie glaubten, daß diese es sei, weise das Amt zu vergeben habe. Der eine davon war ein Heringskopf, denn ein solcher leuchtet im Dunkeln, und daher meinte er, würde eine große Oelersparnis sein, wenn er auf den Laternenpfahl käme. Der zweite war ein Stück faulen Holzes, welches auch leuchtete, und überdies war es das letzte Stück von einem Baume, welcher einst die Zierde des Waldes gewesen war. Der dritte war ein Johanniswurm. Woher der gekommen war, begriff die Laterne nicht, aber der Wurm war da und leuchtete auch; aber das faule Holz und der Heringokopf beschworen, daß derselbe nur zu gewissen Zeiten leuchte, und daß er deshalb nie berücksichtigt werden könne.
Die alte Laterne sagte, daß keiner von ihnen genug leuchte, um Straßenlaterne zu sein, aber das glaubte nun keiner von ihnen, und als sie hörten, daß die Laterne selbst die Anstellung nicht zu vergeben habe, so sagten sie, daß das höchst erfreulich sei, denn sie sei schon gar zu hinfällig, um noch wählen zu können.
Gleichzeitig kam der Wind von der Straßenecke, er sauste durch den Schornstein der alten Laterne. "Was höre ich!" sagte er zu ihr, "du willst morgen fort? Ist das der letzte Abend, an welchem ich dich hier treffe? Ja, dann mache ich dir ein Geschenk; nun erfrische ich deinen Verstandskasten, so daß du klar und deus lich dich nicht allein dessen entsinnen kannst; was du gehört und gesehen hast, sondern wenn etwas in deiner Gegenwart erzählt oder gelesen wird, so sollst du so hellsehend sein, daß du es auch siehst!" —
"Das ist viel!" sagte die alte Straßenlaterne, "meinen besten Dankt Wenn ich nur nicht umgegossen werde!"
"Das geschieht noch nicht!" sagte der Wind, "und nun erfrische ich dir dein Gedächtnis. Kannst du mehr derartige Geschenke erhalten, so wirst du ein recht frohes Alter haben!"
"Wenn ich nur nicht umgeschmolzen werde!" sagte die Laterne, "oder kannst du mir dann auch das Gedächtnis sichern?"
"Alte Laterne, sei vernünftig!" sagte der Wind, und dann wehte er. — Gleichzeitig kam der Mond hervor. "Was geben Sie?" fragte der Wind.
"Ich gebe gar nichts" sagte dieser, "ich bin ja im Abnehmen, und die Laternen haben mir nie, sondern ich habe den Laternen geleuchtet." Darauf ging der Mond wieder hinter die Wolken, denn er mochte sich nicht quälen lassen Da fiel ein Wassertropfen, wie von einer Dachtraufe, gerade auf den Schornstein, aber der Tropfen sagte, er komme aus den grauen Wolken und sei auch ein Geschenk, vielleicht das allerbeste. "Ich durchdringe dich so, daß du die Fähigkeit erhältst, in einer Nacht, wenn du es wünschest, dich in Rost zu verwandeln, so daß du ganz zusammenfällst und zu Staub wirst." Aber der Laterne schien das ein schlechtes Geschenk zu sein, und der Wind meinte es auch. "Gibt es nichts Besseres, gibt es nichts Besseren" blies er, so laut er konnte; da fiel eine glänzende Sternschnuppe, sie leuchtete in einem langen Streifen.
"Was war das?" rief der Heringokopf. "Fiel da nicht ein Stern gerade herab? Ich glaube, er fuhr in die Laterne! Nun, wird das Amt auch von so Hochstehenden gesucht, dann können wir uns zur Ruhe begebene" Und das tat er und die anderen mit. Aber die alte Laterne leuchtete auf einmal wunderbar stark. "Das war ein herrliches Geschenkt" sagte sie. "Die klaren Sterne, über die ich mich immer so sehr gefreut habe, und welche so herrlich scheinen, wie ich eigentlich nie habe leuchten können, obgleich es mein ganzes Streben und Trachten war, haben mich arme Laterne beachtet und mir einen mit einem Geschenk herabgeschickt, welches in der Fähigkeit besteht daß alles, dessen ich mich entsinne, und das ich recht deutlich erblicke, auch von denjenigen gesehen werden kann, die ich liebe; und das ist das wahre Vergnügen, denn wenn man es nicht mit anderen teilen kann, so ist nur eine halbe Freudel"
"Das ist recht ehrenwert gedacht!" sagte der Wind, "aber du weißt noch
nicht; daß dazu Wachslichter gehören. Wenn nicht ein Wachslicht in dir angezündet wird, kann keiner der anderen etwas bei dir erblicken. Das haben die Sterne nicht gedacht, sie glauben, daß alles, was leuchtet, wenigstens ein Wachslicht in sich hat. Aber jetzt bin ich müde," sagte der Wind, "nun will ich mich legen!" Und dann legte er sich.Am folgenden Tage — — ja, den folgenden Tag können wir überspringen — am folgenden Abend lag die Laterne im Lehnstuhl, und wo? — bei dem alten Wächter. Vom hochlöblichen Rat hatte er sich für seine langen, treuen Dienste erbeten, die alte Laterne behalten zu dürfen Sie lachten über ihn, und dann gaben sie ihm die Laterne, und nun lag sie im Lehnstuhl dicht bei dem warmen Ofen, und es war, als ob sie dadurch größer geworden wäre, sie füllte fast den ganzen Stuhl aus. Die alten Leute saßen schon beim Abendbrot und warfen der alten Laterne, welcher sie gern einen Platz am Tische eingeräumt hätten, freundliche Blicke zu. Sie wohnten zwar in einem Keller, zwei Ellen tief unter der Erde, man mußte über eine gepflasterte Flur, um zur Stube zu gelangen, aber warm war es darin, denn sie hatten Tuchleisten um die Tür genagelt Rein und niedlich sah es hier aus, Vorhänge um die Bettstellen und über den kleinen Fenstern, wo da oben auf dem Fensterbrette zwei sonderbare Blumentöpfe standen. Der Matrose Christian hatte sie von Ost- und Westindien mit nach Hause gebracht; waren zwei Elefanten von Ton, denen der Rücken fehlte, aber an dessen Stelle wuchsen guo der Erde, die hineingelegt war, in dem einen der schönste Schnittlauch, das war der Küchengarten der alten Leute, und in dem anderen ein großes, blühendes Geranium, das war ihr Blumengarten An der Wand hing ein großes buntes Bild, "Die Fürstenversammlung zu Wien", da besaßen sie alle Kaiser und Könige auf einmal! Eine Schwarzwälder Uhr mit den schweren Bleigewichten machte "Tik, tak!" und immer zu schnell: aber das sei besser, als wenn sie zu langsam ginge, meinten die alten Leute. Sie verzehrten ihr Abendbrot, und die alte Straßenlaterne lag, wie gesagt, im Lehnstuhl dicht bei dem warmen Ofen. Der Laterne kam es vor, als wäre die ganze Welt umgekehrt Als aber der Nachtwächter sie anblickte und davon sprach, was sie beide miteinander erlebt hatten, im Regen und Schneegestöber, in den hellen, kurzen Sommernächten und wenn der Schnee trieb, so daß es ihm wohltat, wieder in den Keller zu gelangen, da war für die alte Laterne alles wieder in Ordnung, denn wovon er sprach, das erblickte sie, als ob es noch da wäre, ja der Wind hatte sie inwendig wahrlich gut erleuchtet.
Sie waren fleißig und flink, die alten Leute, keine Stunde waren sie untätig. Am Sonntagnachmittag kam das eine oder das andere Buch zum Vorschein, gewöhnlich eine Reisebeschreibung, und der alte Mann lao laut von Afrika, von den großen Wäldern und Elefanten, die da wild umherliefen, und die alte Frau horchte hoch auf und blickte dann verstohlen nach den Tonelefanten hin, welche
Blumentöpfe area "Ich kann es mir beinahe denken!" sagte sie. Die Laterne wünschte dann sehnliche, daß ein Wachslicht da wäre, damit es angezündet werde und in ihr brenne, dann sollte die Frau alles genau so sehen, wie die Laterne es erblickte, die hohen Bäume, die dicht ineinander verschlungenen Zweige, die schwarzen Menschen zu Pferde und ganze Scharen von Elefanten, die mit ihren breiten Füßen Rohr und Büsche zermalmtem"Was helfen mir alle meine Fähigkeiten, wenn kein Wachslicht da ist!" seufzte die Laterne. "Sie haben nur Öl und Talglichte, und das ist nicht genug!"
Eines Tages kam ein ganzes Bund Wachslichtstückchen in den Keller, die größten Stücke wurden gebrannt; und die kleineren brauchte die alte Frau, um ihren Zwirn damit zu wichsen, wenn sie nähte. Wachslicht war nun da, aber es fiel den beiden Alten nicht ein, davon ein kleines Stück in die Laterne zu setzen.
"Hier stehe ich mit meinen seltenen Fähigkeiten!" sagte die Laterne; "ich habe alles in mir; aber ich kann es nicht mit ihnen teilen Sie wissen nicht, daß ich die weißen Wände in die schönsten Tapeten, in reiche Wälder, in alles, was sie sich wünschen wollen, verwandeln kann! Sie wissen es nicht!"
Die Laterna stand übrigens gescheuert und sauber in einem Winkel, wo sie jederzeit in die Augen fiel; die Leute sagten zwar, daß es nur ein altes Gerümpel sei, aber daran kehrten sich die Alten nicht, sie liebten die Laterne.
Eines Tages, es war des alten Wächters Geburtstag, kam die alte Frau zur Laterne hin, lächelte und sagte: "Ich will die Stube heute ihn glänzend beleuchten!" Und die Laterne knarrte im Schornsteine, denn sie dachte: "Jetzt wird ihnen ein Licht aufgehen!" Aber da kam Öl und kein Wachslicht, sie brannte den ganzen Abend, wußte aber nur, daß die Gabe, welche die Sterne ihr gegeben hatten, die beste Gabe von allen, für dieses Leben ein toter Schatz bleiben werde. Da Säumte sie — und wenn man solche Fähigkeiten hat; kann man wohl träumen — daß sie selbst zum Eisengießer gekommen sei und umgeschmolzen werden sollte, sie war ebenso in Furcht, als da sie auf das Rathaus kommen und von dem hochlöblichen Rat beurteilt werden sollte; aber obgleich sie die Fähigkeit besaß, in Rost und Staub zu zerfallen, sobald sie es sich wünschte, so tat sie das doch nicht, und dann kam sie in den Schmelzofen und wurde zum schönsten eisernen Leuchter, in welchen man ein Wachslicht stellt; er hatte die Form Eines Engels, welcher einen Blumenstrauß trug, und mitten in den Strauß wurde Das Wachslicht gestellt, und der Leuchter erhielt seinen Platz auf einem grünen Schreibtisch; das Zimmer war behaglich, da standen viele Bücher, da hingen herrliche Bilder, es war die Wohnung eines Dichters, und alles, was er sagte und schrieb, zeigte sich ringsherum. Das Zimmer wurde zu tiefen, dunklen Wäldern, zu sonnebeleuchteten Wiesen, wo der Storch umherstolzierte; und zum Schiffsverdeck hoch auf dem wogenden Meere!
"Welche Fähigkeiten besitze icht" sagte die alte Laterne, indem sie erwachte. "Fast möchte ich mich danach sehnen, umgeschmolzen zu werden! Doch nein, das darf nicht geschehen, solange die alten Leute leben! Sie lieben mich meiner Person wegen! Ich bin ihnen ja an Kindes Statt, sie haben mich gescheuert und haben mir Öl gegeben; und ich habe es ebensogut wie das Bild, das doch so etwas Vornehmes ist!"
Von dieser Zeit an hatte sie mehr innere Ruhe, und das verdiente die ehrliche alte Straßenlaterne.
"Das geht doch am" sagten die Finger und faßten sie um den Leib. "Seht ihr, ich komme mit Gefolge!" sagte die Stopfnadel, und dann zog sie einen langen Faden nach sich, der aber keinen Knoten hatte.
Die Finger richteten die Stopfnadel gerade gegen den Pantoffel der Köchin, an dem das Oberleder abgeplatzt war und jetzt wieder zusammengenäht werden sollte.
"Das ist eine gemeine Arbeit!" sagte die Stopfnadel, "ich komme nie hindurch, ich breche! ich breche!" — und da brach sie. "Habe ich es nicht gesagt?" seufzte die Stopfnadel; "ich bin zu fein!"
"Nun taugt sie nichts mehr," meinten die Finger; aber sie mußten sie festhalten die Köchin betröpfelte sie mit Siegellack und steckte sie dann vorn in Tuch.
"Sieh, jetzt bin ich eine Busennadel!" sagte die Stopfnadel. "Ich wußte wohl, daß ich zu Ehren kommen werde: wenn man etwas wert ist; so wird man auch anerkannt." Dann lachte sie innerlich, denn von außen kann man einer Stopfnadel niemals ansehen, daß sie lacht; da saß sie nun so stolz, als wenn sie in einer Kutsche führe, und sah sich nach allen Seiten
"Sind Sie von Gold?" fragte die Stecknadel, welche ihre Nachbarin war. "Sie haben ein herrliches Äußere und Ihren eigenen Kopf, aber nein ist erl Sie müssen danach trachten, daß erwächst, denn man kann nicht allen das Ende
mit Lack betröpfeln!" Und darauf hob sich die Stopfnadel so stolz in die Höhe, daß sie aus dem Tuch in die Gosse fiel, gerade als die Köchin spülte."Nun gehen wir auf Reisen", sagte die Stopfnadel; "wenn ich nur nicht dabei verloren gehe!" Aber sie ging verloren.
"Ich bin zu fein für diese Weltl" sagte sie, als sie im Rinnstein saß. "Ich habe ein gutes Bewußtsein, und das ist immer ein kleines Vergnügen!" Die Stopfnadel behielt ihre Haltung und verlor ihre gute Laune nicht.
Es schwamm allerlei über sie hin, Späne und Stroh und Stücken von Zeitungen "Sich, wie sie segeln!" sagte die Stopfnadel. "Sie wissen nicht, unter ihnen steckt. Ich stecke, ich sitze hier. Sieh, da geht nun ein Span, der denkt an nichts in der Welt, ausgenommen an einen ,Span', und das er selbst; da schwimmt ein Strohhalm, sieh, wie der sich schwenkt, wie der sich dreht! Denk nicht so viel an dich selbst, du könntest dich an einen Stein stoßen! Da schwimmt eine Zeitung! Vergessen ist, was darin steht; und doch macht sie sich breiti Ich sitze geduldig und still; ich weiß, was ich bin, und das bleibe ich!"
Eines Tages lag etwas dicht neben ihr; was herrlich glänzte, und da glaubte die Stopfnadel, daß es ein Diamant sei, aber es war ein Glasscherben, und weil der glänzte, so redete die Stopfnadel ihn an und gab sich als Busennadel zu erkennen. "Sie sind wohl ein Diamant?" "Ja, ich bin etwas der Art!" Und so glaubte eines vom anderen, daß sie recht kostbar seien, und dann sprachen sie darüber, wie hochmütig die Welt sei.
"Ja, ich habe in einer Schachtel bei einer Jungfrau gewohnt," sagte die Stopfnadel, "und die Jungfrau war Köchin; sie hatte an jeder Hand fünf Finger, aber etwas so Eingebildetes wie diese fünf Finger habe ich nicht gekannt; und doch waren sie nur da, um mich zu halten, mich aus der Schachtel zu nehmen und mich in die Schachtel zu legen."
"Glänzten sie denn?" fragte der Glasscherben.
"Glänzen?" sagte die Stopfnadel. "Nein, aber hochmütig waren siel Es waren fünf Brüder, alle geborene 'Finger', sie hielten sich stolz nebeneinander, obgleich sie von verschiedener Länge waren; der äußerste, der Däumling, war kurz und dick, erging außen vor dem Gliede her, und dann hatte er nur ein Gelenk im Rücken, er konnte nur eine Verbeugung machen, aber er sagte, daß, wenn er von einem Menschen abgehauen würde, dieser dann zum Kriegsdienste untauglich sei Der Topflecker kam in Süßes und Saures, zeigte nach Sonne und Mond, und er verursachte den Druck wenn sie schrieben; der Langemann sah den anderen über den Kopf; der Goldrand ging mit einem Goldreif um den Leib, und der kleine Peter Spielmann tat gar nichts, und darauf war er stolz. Prahlerei war es, und Prahlerei blieb col und deshalb ging ich in die Gosse."
"Nun sitzen wir hier und glänzen!" sagte der Glasscherben Gleichzeitig
kam mehr Wasser in den Rinnstein, es strömte über die Grenzen und riß den Glasscherben mit sich fort."Sieh, nun wurde dieser befördert!" sagte die Stopfnadel. "Ich bleibe sitzen, ich bin zu fein, aber das ist mein Stolz, und der ist alle Achtung wert!" saß sie stolz da und hatte viele Gedanken.
"Ich möchte fast glauben, daß ich von einem Sonnenstrahl geboren bin, so fein bin ich! Kommt es mir doch auch vor, als ob die Sonne mich immer unter dem Wasser aufsuche. Ach, ich bin so fein, daß meine Mutter mich nicht auffinden kann. Hätte ich mein altes Auge, welches abbrach, so glaube ich, ich könnte weinen; aber ich würde es nicht tun — es ist nicht fein, zu weinen!"
Eines Tages kamen einige Straßenjungen und wühlten im Rinnstein, wo sie alte Nägel, Pfennige und dergleichen fanden. Das war kein schönes Geschäft, und doch machte es ihnen Vergnügen.
An!" sagte der eine, er stach sich an der Stopfnadel. "Das ist auch ein Kerl!"
"Ich bin kein Kerl, ich bin ein Fräulein!" sagte die Stopfnadel, aber niemand hörte es; der Siegellack von ihr abgegangen, und sie war schwarz und dünn geworden, und darum glaubte sie, daß sie noch feiner sei, als sie früher war.
"Da kommt eine Eierschale angesegelt!" sagten die Jungen und steckten die Stopfnadel in die Schale.
"Weiße Wände und selbst schwarz," sagte die Stopfnadel, "das kleidet gut! Nun kann man mich doch sehen! Wenn ich nur nicht seekrank werdet" Aber sie wurde nicht seekrank.
"Es ist gut gegen die Seekrankheit, einen Stahlmagen zu haben und immer daran zu denken, daß man etwas mehr alg ein Mensch ist! Nun ist es bei mir vorbei. Je feiner man ist; desto mehr kann man aushalten."
"Krach!" da lag die Eierschale, es ging ein Lastwagen über sie hin. "Au, wie das drückt!" sagte die Stopfnadel. "Jetzt werde ich doch seekrank!" Aber sie wurde es nicht, obgleich ein Lastwagen über sie wegfuhr, sie lag der Länge nach — und da mag sie liegen bleiben.
Es war eine Freude, es mit anzusehen. Sobald das Licht in das Zimmer gebracht wurde, streckte der Schatten sich ganz gegen die Wand hinauf, so lang machte er sich; er mußte sich strecken, um wieder zu Kräften zu gelangen Der Gelehrte trat auf den Altan, um sich dort zu strecken, und sobald die Sterne in der herrlichen Luft erschienen, dann war es ihm, als ob er wieder auflebte. Auf allen Altanen in der Straße — und in den warmen Ländern hat jedes Fenster einen Altan — kamen Leute zum Vorschein, denn Luft muß man haben, selbst wenn man gewöhnt ist, mahagonibraun zu sein! Es wurde lebendig oben und unten. Schuhmacher und Schneider, alle Leute zogen auf die Straße, da kamen Tisch und Stuhl, und das Licht brannte, ja über tausend Lichter brannten.
und der eine sprach zum anderen und sang, die Leute spazierten, die Wagen fuhren, Maultiere gingen: klingelingeling, denn sie trugen Glocken. Da wurden Leichen mit Gesang begraben, die Straßenjungen brannten Sprühteufelchen ab, und die Glocken läuteten, ja es war recht lebendig unten auf der Straße. Nur in dem einen Hause, welches dem, worin der fremde gelehrte Mann wohnte, gerade gegenüberlag, war es ganz stille, und doch wohnte da jemand, denn es standen Blumen auf dem Altan, die wuchsen üppig in der Sonnenhitze, und das konnten sie nicht, wenn sie nicht begossen wurden, und jemand mußte sie doch begießen; Leute mußten also da sein. Die Tür da drüben wurde auch gegen Abend geöffnet, aber es war finster da drinnen, wenigstens im vordersten Zimmer, tiefer hinein ertönte Musik. Dem fremden, gelehrten Mann schien die außerordentlich schön zu sein, aber es war auch möglich, daß er sich das nur einbildete, denn er fand alles vortrefflich da draussen in den warmen Ländern, wenn nur die Sonne nicht so sehr gebrannt hätte. Der Wirt des Fremden sagte, daß er nicht wisse, wer das gegenüberliegende Haus gemietet habe, man erblicke ja keine Leute, und die Musik hielt er für langweilig. Es sei gerade, als ob jemand säße und ein Stück übe, daß er doch nicht herausbringen könne, immer dasselbe Stück. "Ich bekomme es doch heraus!" meint er, aber es gelingt nicht, solange er auch spielsEinmal nachts erwachte der Fremde, er schlief bei offener Altantür, der Vorhang vor der Tür wurde durch den Wind gelüftet, und es war ihm, als ob ein wunderbarer Glanz vom gegenüberliegenden Altan käme, alle Blumen leuchteten wie Flammen in den herrlichsten Farben, und mitten unter den Blumen stand eine schlanke, liebliche Jungfrau, es war, als ob sie auch leuchtete. Es blendete ihm förmlich die Augen, er riß sie aber auch gewaltig weit auf und kam eben aus dem Schlaf. Mit einem Sprung stand er auf dem Fußboden, ganz leise schlich er hinter den Vorhang, aber die Jungfrau war fort, der Glanz war fort; die Blumen leuchteten gar nicht, sondern standen so dort wie immer die Tür angelehnt, und tief aus dem Inneren erklang Musik, so lieblich und schön, daß man wirklich in süße Gedanken dadurch versenkt werden konnte. Es war doch wie ein Zauber, und wer wohnte da? Wo war der eigentliche Eingang? Im ganzen Erdgeschoß war Laden an Laden, und da konnten die Leute doch nicht immer hindurchlaufen.
Eines Abends saß der Fremde draußen auf seinem Altan, im Zimmer hinter ihm brannte Licht, und deshalb war es ganz natürlich, daß sein Schatten auf die gegenüberliegende Wand fiel, ja, da saß er gerade drüben zwischen den Blumen auf dem Altan; und wenn der Fremde sich bewegte, so bewegte sich der Schatten auch, denn das tut er.
"Ich glaube, mein Schatten ist das einzige Lebendige was man da drüben erblickt!" sagte der gelehrte Mann. "Sieh, wie hübsch er zwischen den Blumen
sitzt, die Tür ist halb angelehnt, und nun sollte der Schatten so pfiffig sein und hineingehen und dann zurückkehren und mir erzählen, was erdort erblich hat! Ja, du solltest dich nützlich machen!" sagte er im Scherz. "Gehe gefälligst hinein! Nun, wirst du gehen?" und dann nickte erdem Schatten zu, und der Schatten nickte wieder. "Nun, so gehe, aber bleibe nicht ganz fort!" Der Fremde erhob sich, und sein Schatten auf dem gegenüberliegenden Altan erhob sich auch, der Fremde kehrte sich um, und der Schatten kehrte sich auch um, ja, wenn jemand genau darauf geachtet hätte, so würde er deutlich haben sehen können, daß der Schatten in die halb offene Altantür des gegenüberliegenden Hauses hineinging, gerade wie der Fremde in sein Zimmer hineintrat und den langen Vorhang hinter sich fallen ließ.Am folgenden Morgen ging der gelehrte Mann aus, um Kaffee zu trinken und Zeitungen zu lesen. "Was ist das?" sagte er, als er in den Sonnenschein kam, "ich habe ja keinen Schatten! Also ist er wirklich gestern abend fortgegangen und nicht zurückgekehrt; das ist doch recht unangenehm!"
Und es ärgerte ihn, doch nicht so sehr, daß der Schatten fort war, sondern weil er wußte, daß es eine Geschichte gibt von einem Manne ohne Schatten, diese kannten ja alle Leute daheim in den kalten Ländern, und käme nun der gelehrte Mann dorthin und erzählte die seine, so würde man sagen, daß er nur nachzuahmen suche, und das brauchte er nicht. Deshalb wollte er gar nicht davon sprechen, und das war vernünftig gedacht.
Am Abend ging er wieder auf seinen Altan hinaus; das Licht hatte er ganz richtig hinter sich gestellt, denn er wußte, daß der Schatten immer seinen Herrn zum Schirm haben will, aber er konnte ihn nicht hervorlocken. Er machte sich klein, er machte sich groß, aber es kam kein Schatten wieder. Er sagte: "Hm! bml" aber es half nichts.
Ärgerlich war es. aber in den warmen Ländern wächst alles geschwind, und nach Verlauf von acht Tagen bemerkte er zu seinem großen Vergnügen, daß ihm ein neuer Schatten von den Beinen aus wuchs, sobald er in den Sonnenschein kam; die Wurzel mußte sitzen geblieben sein. Nach drei Wochen hatte er einen ganz leidlichen Schatten, der, als er sich heim nach den nördlichen Ländern begab, auf der Reise mehr und mehr wuchs, so daß er zuletzt so lang und groß war, daß an der Hälfte genug gewesen wäre.
So kam der gelehrte Mann nach Hause, und er schrieb Bücher über das, was wahr ist in der Welt, und über das, was gut und was schön ist, und so verstrichen Tage und Jahre; es vergingen viele Jahre.
Da sitzt er eins Abends in seinem Zimmer; und da klopft es ganz sacht an die Tür.
"Herein!" sagt er, aber es kommt niemand; da öffnet er die Tür, und da stand ein außerordentlich magerer Mensch vor ihm, so daß ihm ganz sonderbar
wurde. Übrigens war der Mensch sehr fein gekleidet, es mußte ein vornehmer sein."Mit wem habe ich die Ehre zu sprechen?" fragte der Gelehrte.
"Ja, das dachte ich wohl," sagte der feine Mann, "daß Sie mich nicht erkennen würden! Ich bin so viel Körper geworden, ich habe ordentlich Fleisch und Kleider bekommen! Sie haben wohl nie daran gedacht; mich in solchem Wohlstand zu erblicken! Kennen Sie Ihren alten Schatten nicht? Ja, haben sicher nicht geglaubt, daß ich je wiederkommen würdet Mir ist es außerordentlich wohl ergangen, seitdem ich das letztemal bei Ihnen war, ich bin in jeder Hinsicht sehr vermögend geworden. Wenn ich mich vom Dienst freikaufen will, so kann ich es!" Dabei klapperte erinit einem ganzen Bund kostbarer Petschafte, die an der Uhr hingen; und er steckte seine Hand in die dicke goldene Kette, die er um den Hals trug; wie blitze alle Finger von Diamantringen! Und das var alles echt.
"Nein, ich kann mich gar nicht erholen!" sagte der gelehrte Mann, "was bedeutet das alles?"
"Ja, es ist nichts Gewöhnliches!" sagte der Schatten, "aber Sie gehören ja selbst nicht zu den Gewöhnlichen, und ich, das wissen Sie wohl, bin von Kindesbeinen an in Ihre Fußstapfen getreten. Sobald Sie fanden, daß ich reif war, um allein in die Welt hinauszugehen, ging ich meinen eigenen Weg. Ich befinde mich in der besten Lage, aber es befiel mich eine Art von Sehnsucht, Sie einmal zu sehen, bevor Sie sterben, Sie müssen ja sterben! Auch wollte ich diese Länder gern wiedersehen, denn man liebt das Vaterland doch immer! Ich weiß; Sie haben einen anderen Schatten wieder erhalten, habe ich demselben oder Ihnen etwas zu bezahlen? Haben Sie nur die Güte, es zu sagen!"
"Nein, bist du es Sich?" sagte der gelehrte Mann, "das ist doch höchst merkwürdig! Nie hätte ich geglaubt, daß ein alter Schatten als Mensch wiederkommen könne!"
"Sagen Sie mir, was ich zu bezahlen babel" sagte der Schatten, "denn ich will nicht gern jemandes Schuldner sein."
"Wie Kannst du so sprechen!" sagte der gelehrte Mann, "von Schuld kann hier nicht die Rede sein! Sei so frei wie irgendeiner! Ich freut mich außerordentlich über dein Glück! Setze dich, alter Freund, und erzähle mir nur, wie sich alles zugetragen hat, und was du dort in den warmen Ländern indem gegenüberliegenden Hause erblickt hast!"
"Ja, das werde ich Ihnen erzählen," sagte der Schatten und setzte sich nieder "aber dann müssen Sie mir auch versprechen, daß Sie nie jemand hier in der Stadt, wo Sie mich auch treffen mögen, sagen, daß ich Ihr Schatten gewesen bin! Ich beabsichtige mich verloben; ich kann mehr als eine Familie ernähren!" —
"Sei ganz ruhig," sagte der gelehrte Mann, "ich werde niemand sagen, wer du eigentlich bist! Hier ist meine Hand! Ich verspreche es, und ein Mann, ein Wort!"
"Ein Wort ein Schatten!" sagte der Schatten, denn so mußte er sprechen.
Es war übrigens wirklich merkwürdig, wie sehr er Mensch war. Er war ganz schwarz gekleidet und in das allerfeinste schwarze Tuch, hatte glänzende Stiefel und einen Hut, den man zusammendrücken konnte, so daß er nichts als Krempe und Deckel war, nicht zu gedenken, was wir schon wissen, der Petsckafte, der goldenen Halskette und der Diamantringe: ja, der Schatten war außerordentlich gut gekleidet, und das war es gerade, was ihn zu einem ganzen Menschen machte.
"Nun werde ich erzählen!" sagte der Schatten, und dann setzte er seine Beine mit den Stiefeln, so fest er konnte, auf den Arm des neuen Schattens des gelehrten Mannes nieder, der wie ein Pudel zu seinen Füßen lag, und das geschah nun entweder aus Hochmut, oder vielleicht, daß derselbe daran hängen bleiben sollte. Aber der liegende Schatten verhielt sich ganz füll und ruhig, um recht zuzuhören, er wollte wohl auch wissen, wie man so loskommen und sich zu seinem eigenen Herrn aufdienen könne.
"Wissen Sie, wer in dem gegenüberliegenden Hause wohnte?" sagte der Schatten" ,es war das Schönste von allem, es war die Poesie. Ich war dort drei Wochen, und das ist ebenso wirksam, als ob man dreitausend Jahre lebte und alles lesen würde, was gedichtet und geschrieben ist, das behaupte ich, und das ist richtig. Ich habe alles gesehen, und ich weiß Alles!"
"Die Poesie!" rief der gelehrte Mann, "ja — sie ist oft Einsiedlerin in den großen Städten! Die Poesie! Ja, ich habe sie einen einzigen kurzen Augenblick gesehen, aber ich hatte die Augen voll Schlaft Sie stand auf dem Altan und leuchtete, wie das Nordlicht leuchtet. Erzähle, erzählet Du warst auf dem Altan, du gingst zur Tür hinein, und dann — —!"
"Dann befand ich mich im Vorzimmer!" sagte der Schatten. "Sie saßen stets und sahen nach dem Vorgemach hinüber. Da war gar kein Licht, dort herrschte eine Art Dämmrung, aber in einer langen Reihe von Zimmern und Sälen standen die einander gegenüberliegenden Türen offen; da war es erhellt, ich wäre vom Licht völlig Schlagen worden, wenn ich ganz bis zur Jungfrau hineingekommen wäre; aber ich war besonnen, ich nahm mir Zeit, und das muß man tun!"
"Und was erblicktest du dann?" Sagte der gelehrte Mann.
"Ich sah alles, und ich werde es Ihnen erzählen, aber — es ist durchaus kein Stolz von meiner Seite — als freier Mann und bei den Kenntnissen, die ich besse; meine gute Stellung und meine ausgezeichneten Vermögensverhältnisse nicht zu erahnen, so wünschte ich wohl, daß Sie mich Sie nennen möchten!"
"Ich bitte um Verzeihung," sagte der gelehrte Mann, "es ist eine alte,
"Alles," sagte der Schatten, "denn ich sah alles und weiß Alles!"
"Wie sah es in den innern Sälen aus?" Sagte der gelehrte Mann. "War es dort wie in dem frischen Waldes War es dort wie in einer Kirche? Waren die Säle wie der sternenhelle Himmel, wenn man auf den hohen Bergen steht?"
"Alles war da!" sagte der Schatten. "Ich ging ja nicht ganz hinein, ich blieb im vordersten Zimmer in der Dämmerung, aber da stand ich sehr gut, ich sah alles, und ich weiß alles! Ich bin am Hofe der Poesie im Vorgemach gewesen."
"Aber was sahen Sie? Gingen durch die großen Säle alle Götter der Vorzeit? Kämpften dort die alten Helden? Spielten dort liebliche Kinder und erzählten ihre Träume?"
"Ich sage Ihnen, daß ich dort war, und Sie begreifen wohl, daß ich alles sah, was dort zu sehen war! Wären Sie hinübergekommen, so wären Sie nicht Mensch geblieben, aber das wurde ich, und zugleich lernte ich meine innerste Natur, mein Angeborenes, die Verwandtschaft, die ich mit der Poesie hatte, kennen Ja, damals, als ich bei Ihnen war, dachte ich nicht darüber nach, aber immer, das wissen Sie, wenn die Sonne auf- und unterging, wurde ich so wunderbar groß, im Mondschein war ich fast noch deutlicher als Sie selbst. Ich verstand damals meine Natur nicht, im Vorgemach der Poesie wurde es mir klar. — Ich wurde Menschl — Reif ging ich daraus hervor, aber Sie waren nicht mehr in den warmen Ländern: ich schämte mich, als Mensch zu gehen, wie ich ging, bedurfte der Stiefel, der Kleider, dieses ganzen Menschenfirnisses, welcher den Menschen deutlich kenntlich macht. Ich suchte Schutz, ja, Ihnen sage ich es, Sie setzen es ja in kein Buch, ich suchte Schutz im Rock der Kuchenfrau, darunter versteckte ich mich. Die Frau dachte gar nicht daran, wieviel sie verberge; erst am Abend ging ich aus, ich lief im Mondschein auf der Straße herum, ich streckte mich lang gegen die Mauer, das kitzelte so schön den Rücken, ich lief hinauf und hinab, schaute durch die höchsten Fenster in die Säle und aufs Dach, ich sah hin, wohin niemand sehen konnte, und ich erblickte, was kein anderer sah, was niemand sehen sollte. Es ist im Grunde eine böse Weltl Ich möchte nicht Mensch sein, wenn es nicht einmal angenommen wäre, daß es etwas bedeute, es zu sein! Ich sah das Allerunglaublichste bei den Frauen, bei den Männern, bei den Eltern und bei den unvergleichlich laben Kindern — ich sah," sagte der Schatten, "was kein Mensch wissen sollte, was sie aber alle so gern wissen möchten, das Böse bei den Nachbarn. Hätte ich eine Zeitung geschrieben, die wäre gelesen worden! Aber ich schrieb gerade an die Person selbst, und es entstand Schrecken in allen Städten, in die ich kam. Sie wurden bang für mich, und sie hatten mich außerordentlich lieb. Die Lehrer machs mich zum Lehrer, die Schneider gaben mir neue Kleider,
ich bin gut versorgt; der Münzmeister schlug Münzen mich, und die Frauen sagten, ich sei schön! So wurde ich der Mann, der ich bin, und nun sage ich Ihnen Lebewohl; hier ist meine Karte, ich wohne auf der Sonnenseite bin bei Regenwetter immer zu Hauset" Damit ging der Schatten."Das war doch merkwürdig!" sagte der gelehrte Mann.
Nach Jahr und Tag kam der Schatten wieder.
"Wie geht es?" fragte er.
"Ach!" sagte der gelehrte Mann, "ich schreibe über das Wahre und das Gute und das Schöne, aber niemand mag dergleichen hören, ich bin ganz verzweifelt, denn ich nehme mir das so zu Herzen!"
"Das tue ich nicht," sagte der Schatten, "ich werde fett, und das zu werden, danach muß man trachten! Ja, Sie verstehen sich nicht auf die Weltl Sie werden krank dabei! Sie müssen Reisen! Ich mache im Sommer eine Reise, wollen Sie mitkommen? Ich möchte wohl einen Reisekameraden haben, wollen Sie als Schatten mitreisende Es Mrd mir sehr viel Vergnügen machen, Sie mitzunehmen, ich bezahle die Reiset"
"Das geht zu weit!" sagte der gelehrte Mann.
"Das ist gerade, wie man es nimmt!" sagte der Schatten. "Eine Reise wird Ihnen außerordentlich wohl tum Wollen Sie mein Schatten sein, so sollen Sie auf der Reise allez frei haben!"
"Das ist zu toll!" sagte der gelehrte Mann.
"Aber die Welt ist nun so," sagte der Schatten, "und so bleibt sie auch!" und dann ging der Schatten.
Dem gelehrten Mann ging es gar nicht gut, Sorgen und Plagen verfolgten ihn, und was er über das Wahre und das Gute und das Schöne sagte, das war für die meisten gerade wie die Rosen die Kuh. Er ward zuletzt krank.
"Sie sehen wirklich wie ein Schatten aus!" sagten die Leute zu ihm, und es schauderte dem gelehrten Mann, wenn er darüber nachdachte.
"Sie müssen in ein Bad reisen," sagte der Schatten, der ihn zu besuchen kam, "da hilft nichts weiter! Ich will Sie aus alter Bekanntschaft mitnehmen, ich bezahle die Reise, und Sie machen die Beschreibung und belustigen mich ein wenig unterwegs! Ich will nach einem Bade, mein Bart wächst nicht hervor, wie er sollte, das ist auch eine Krankheit, und einen Bart muß man haben! Seien Sie nun vernünftig und nehmen Sie mein Anerbieten an, wir reisen wie Kameraden!"
Und dann reisten sie, der Schatten war Herr, und der Herr war Schatten. Sie fuhren miteinander, sie ritten und gingen zusammen, Seite an Seite, vor und hintereinander, je nachdem die Sonne stand. Der Schatten wußte sich immer auf dem Herrenplatze zu halten, und das fiel dem gelehrten Mann nicht weiter auf; er war sehr gutmütig und sehr sanft und freundlich, und da sagte er
eines Tages zum Schatten: "Da wir nun, so wie wir jetzt sind, Reisekameraden geworden sind, und da wir zugleich von Kindheit an zusammen aufgewachsen sind, wollen wir da nicht Brüderschaft trinken? Das ist doch weit traulicher!""Sie sagen da etwas," sagte der Schatten, welcher ja nun der eigentliche Herr war, "das ist recht geradeheraus und wohlgemeint gesprochen. Sie als gelehrter Mann wissen sicher, wie sonderbar die Natur ist. Manche Menschen können es nicht ertragen, graues Papier anzufassen, dann wird ihnen unwohl; anderen geht es durch alle Glieder, wenn man mit einem Nagel gegen eine Glasscheibe reibt; ich habe ein ebensolches Gefühl, wenn ich höre, daß Sie Du zu mir sagen, ich fühle mich gleichsam zu Boden gedrückt, wie in meiner ersten Stellung bei Ihnen. Sie sehen, es ist ein Gefühl, es ist nicht Stolz; ich kann Sie nicht Du zu mir sagen lassen, aber ich werde gern Du zu Ihnen sagen, dann ist die Hälfte Ihres Wunsches erfüllt!"
Und dann sagte der Schatten Du zu seinem früheren Herrn.
"Das ist doch wahrhaft toll," dachte er, "daß ich Sie sagen muß und er Du sagt!" Aber nun mußte er aushalten.
Dann kamen sie nach einem Bade, wo viele Fremde waren, und unter diesen war eine schöne Königstochter, welche die Krankheit hatte, daß sie allzuscharf sah, und das war höchst beängstigend.
Sie merke sogleich, daß der, welcher angekommen war eine ganz andere Person sei als alle die andern. "Er ist hier, um seinen Bart zum Wachsen zu bringen, sagt man, aber ich erkenne die rechte Ursache; er kann keinen Schatten werten.
Sie war neugierig geworden, und daher ließ sie sich sogleich auf der Promenade mit dem fremden Herrn in ein Gespräch ein. Als Königstochter brauchte sie nicht viel Umstände zu machen, und deshalb sagte sie: "Ihre Krankheit ist; daß Sie keinen Schatten werfen können."
"Ihre Königliche Hoheit müssen sich bedeutend in der Besserung befinden!" sagte der Schatten. "Ich weiß, daß Ihr Ubel darin besteht, daß Sie allzu scharf sehen, das hat sich aber verloren, Sie sind geheilt. Ich habe gerade einen ganz ungewöhnlichen Schatten! Sehen Sie nicht die Person, welche immer mit mir geht? Andere Menschen haben einen gewöhnlichen Schatten, ich liebe aber das Gewöhnliche nicht. Man gibt oft seinen Dienern feineres Tuch, als man selbst trägt, und so habe ich meinen Schatten zum Menschen aufputzen lassen! Ja; Sie sehen, daß ich ihm sogar einen Schatten gegeben habe. Das ist etwas Kostbares aber ich liebe es, etwas für mich allein zu haben."
"Was?" dachte die Prinzessin, "sollte ich mich wirklich erholt haben? Dieses Bad ist das beste von allen! Das Wasser hat in unserer Zeit ganz erstaunliche Kräfte. Aber ich reise nicht ab, denn jetzt wird es hier unterhaltend; der Fremde gefällt mir. Wenn nur sein Bart nicht wächst, denn sonst reist er ab!"
Am Abend in dem großen Ballsaal tanzten die Königstochter und der Schatten. Sie war leicht, aber er war noch leichter, einen solchen Tänzer hatte sie noch nie gehabt Sie sagte ihm, aus welchem Lande sie sei, und er kannte das Land, er war dort gewesen, aber damals war sie nicht zu Hause gewesen, er hatte in die Fenster geschaut, sowohl oben wie unten, er hatte sowohl das eine wie das andere erblickt, und daher konnte er der Königstochter antworten und Andeutungen machen, daß sie ganz erstaunt wurde. Er mußte der weiseste Mann auf der ganzen Erde sein! Sie bekam große Achtung vor seinem Wissen, und als sie dann wieder tanzten, da wurde sie verliebt, und das konnte der Schatten recht gut merken, denn sie hätte ihn durch und durch gesehen. Dann tanzten sie noch einmal, und da war sie nahe daran, es zu sagen, aber sie war besonnen, sie dachte an ihr Land und an ihr Reich und an die vielen Menschen, die sie zu regieren hatte. "Ein weiser Mann ist er," sagte sie zu sich selbst "das ist gut, und herrlich tanzt er, das ist auch gut. Ob er aber gründliche Kenntnisse hat, das muß untersucht werden." Nun fing sie an, ihn nach etwas von dem Allerschwierigsten zu fragen, sie hätte es selbst nicht beantworten können, und der Schatten machte ein ganz sonderbares Gesicht.
"Das können Sie nicht beantworten!" sagte die Königstochter.
"Es gehört zu meiner Schulgelehrsamkeit", sagte der Schatten; "ich glaube sogar, mein Schatten dort bei der Tür kann es beantworten!"
"Ihr Schatten," sagte die Königstochter, "das würde höchst merkwürdig sein!"
"Ja, ich sage nicht mit Bestimmtheit, daß er es kann," sagte der Schatten, ,aber ich möchte es glauben er ist mir nun viele Jahre lang gefolgt und hat mich gehört; ich möchte es wohl glauben. Aber Ew. Königliche Hoheit erlauben, daß ich Sie darauf aufmerksam mache, daß er so stolz ist, um für einen Menschen
gelten zu wollen, daß er, wenn er bei guter Laune sein soll, und das muß er seni, um gut zu antworten, ganz wie ein Mensch behandelt werden muß.""Das gefällt mir!" sagte die Königstochter.
So ging sie zu dem gelehrt Mann bei der Tür und sprach mit ihm von Sonne und Mond und von dem äußeren und inneren Menschen, und er antwortete klug und gut.
"Was muss das ein Mann sein, der einen so weisen Schatten hatt" dachte sie. "Es würde ein wahrer Segen mein Volk und Reich sein, wenn ich ihn zum Gemahl erwählte — ich tue est"
Und sie waren bald einig, sowohl die Königstochter wie der Schatten, aber niemand sollte davon etwas erfahren, bevor sie in ihr eigenes Reich zurückkam.
"Niemand, nicht einmal mein Schatten!" sagte der Schatten, und da hatte er nun seine eigenen Gedanken dabei!
Dann kamen sie in das Land, wo die Königstochter agierte, wenn sie zu Hause war.
"Höre, mein guter Freund," sagte der Schatten zu dem gelehrten Manne, "jetzt bin ich so glücklich und mächtig geworden, wie nur jemand sein kann, nun will ich auch etwas Außerordentliches für dich tun. Du sollst immer bei mir auf dem Schlosse wohnen, mit mir in meinem königlichen Wagen fahren und jährlich hunderttausend Reichstaler haben; aber dann mußt du dich von allen und jedem Schatten nennen lassen; du mußt nicht sagen, daß du Mensch gewesen bist und einmal des Jahres, wenn ich auf dem Altan im Sonnenschein sitze und mich sehen lasse, mußt du zu meinen Füßen liegen, wie es einem Schatten gebührt! will dir sagen, ich heirate die Königstochter, heute soll die Hochzeit gefeiert werden."
"Nein, das ist doch zu toll," sagte der gelehrte Mann, "das will ich nicht, das ich nicht; das heißt das ganze Land betrügen und die Königstochter dazu! Ich sage alles: daß ich ein Mensch bin, und daß du ein Schatten bist du bist nur angekleidet!"
"Das glaubt niemand!" sagte der Schatten, "sei vernünftig, oder ich rufe die Wache!"
"Ich gehe gerade zur Königstochter!" sagte der gelehrte Sana "Aber ich gehe zuerst," sagte der Schatten, "und du gehst in das Gefängnis!" — und das mußte er, denn die Schildwachen gehorchten ihm, von dem sie wußten, daß die Königstochter ihn heiraten wollte.
"Du hebst," sagte die Königstochter, als der Schatten zu ihr hineinkam, "ist etwas vorgefallen? Du mußt zu heute abend nicht krank werden, jetzt, wo wir Hochzeit halten wollen."
"Ich habe das Greulichste erlebt, was man erleben kann", sagte der Schatten. "Denke dir — ja, solch ein armes Schattengehirn kann nicht viel aushalten —
denke dir; mein Schatten ist verrückt geworden, er glaubt er sei ein Mensch und daß ich — denke nur — daß ich sein Schatten seil""Das ist doch fürchterlich," sagte die Prinzessin, "er ist doch eingesperrt?" "Das ist erl Ich fürchte, er wird sich nie wieder erholen."
"Der arme Schatten," sagte die Prinzessin, "er ist sehr unglücklich; es ist eine wahre Wohltat, ihn von dem bißchen Leben, das er hat, zu befreien, und wenn ich recht darüber nachdenke, so glaube ich, es wird notwendig sein, daß man es in aller Stille mit ihm abmacht!"
"Das ist freilich hart," sagte der Schatten, "denn er war ein treuer Diener!" Und dann tat er, als ob er seufzte.
"Sie sind ein edler Mann!" sagte die Königstochter.
Am Abend war die ganze Stadt erleuchtet, und die Kanonen gingen los: Bum! — und die Soldaten präsentierten das Gewehr. Das war eine Hochzeit! Die Königstochter und der Schatten traten auf den Altan hinaus, um sich sehen zu lassen und noch einmal ein Hurra zu bekommen.
Der gelehrte Mann hörte nichts von diesen Herrlichkeiten — denn ihm hatten sie das Leben genommen.
Alle die anderen Häuser in der Straße waren neu und hübsch, mit großen Fensterscheiben und glatten Wänden; man konnte wohl sehen, daß sie mit dem alten Hause nichts zu tun haben wollten, sie dachten wohl: "Wie lange soll dieses alte Gerümpel hier noch zum allgemeinen Ärgernis in der Straße stehen? Auch springt der Erker so weit hervor, daß niemand aus unseren Fenstern sehen kann, was auf jener Seite vorgeht! Die Treppe ist so breit wie zu einem Schlosse und so hoch wie zu einem Kirchturm. Das eiserne Geländer sieht aus wie die Tür zu einem Erbbegräbnis, und dann hat es messingne Knöpfe. Es ist recht abgeschmackt!"
Gerade gegenüber in der Straße standen auch neue Häuser, sie dachten wie die anderen, aber am Fenster saß hier ein kleiner Knabe mit frischen, roten Wangen, mit hellen, strahlenden Augen; ihm gefiel das alte Haus noch am meisten, und das sowohl im Sonnenschein wie im Mondenschein. Und sah er hinüber nach der Mauer; wo der Kalk abgefallen war, dann konnte er sitzen und
die sonderbarsten Bilder herausfinden, gerade wie die Straße gher ausgesehen haben mochte, mit Treppen, Erkern und spitzen Giebeln, er konnte Soldaten mit Hellebarden sehen und Dachrinnen, die wie Drachen und Lindwurme herumliefen. Das war recht so ein Haus zum Assen; und da drüben wohnte ein alter Mann, der trug Kniehosen, hatte einen Rock mit großen messingnen Knöpfen und eine Perücke, der man es ansehen konnte, daß es eine wirkliche Perücke war. Jeden Morgen kam ein alter Aufwärter zu ihm, welcher rein machte und Gänge besorgte, sonst war der alte Mann ganz allein in dem alten Hause. Manchmal kam er an das Fenster und sah hinaus, und der kleine Knabe nickte ihm zu, und der alte Mann nickte wieder, und so wurden sie miteinander bekannt und waren Freunde, obgleich sie nie miteinander gesprochen hatten, aber das war auch gar nicht nötig.Der kleine Knabe hörte seine Eltern sagen: "Der alte Mann da drüben hat es recht gut, aber erlebt schrecklich einsam!"
Am nächsten Sonntag nahm der Keine Knabe etwas und wickelte es in ein Stück Papier, ging vor die Haustür, und als der, welcher die Gänge besorgte, vorbeikam, sagte er zu ihm: "Höre, willst du dem alten Mann da drüben das von mir bringens Ich habe zwei Zinnsoldaten, dies ist der eine, er soll ihn haben; denn ich weiß, er ist schrecklich einsam!"
Der alte Aufwärter sah ganz vergnügt aus, nickte und trug den Zinnnsoldaten hinüber in das alte Haus. Darauf wurde angelegt, ob der kleine Knabe nicht Lust habe, selbst hinüberzukommen und einen Besuch abzustatten, und dazu erhielt er von seinen Eltern die Erlaubnis, und so kam erin das alte Haus.
Die Messingknöpft auf dem Treppengeländer glänzten weit stärker als sonst; man hätte glauben können, daß sie des Besuches wegen poliert worden seien, und es war, als ob die ausgesetzten Trompeter — denn in der Tür waren Trompeter ausgeschnitzt, die in Tulpen standen — aus allen Kräften bliesen, die Backen sahen weit dicker aus als zuvor. Ja, sie bliesen: "Tratteratra! Der kleine Knabe kommt! Tratteratral" — und dann ging die Tür auf. Der ganze Flur war mit alten Bildern, Rittern in Harnischen und Frauen in seidenen Kleidern verziert; und die Harnische rasselten, und die seidenen Kleider rauschten — Dann kam da eine Treppe, die ging ein großes Stück hinauf und ein Seines Stück hinunter, und dann gelangte man auf einen Altan, der freilich sehr gebrechlich und mit großen Löchern und langen Spalten versehen war, aber aus allen achsen Gras und Blätter, der ganze Altan, der Hof und die Mauern aren mit so vielem Grün bewachsen, daß es wie ein Garten aussah, aber war nur ein Altan. Hier standen alte Blumentöpfe, die Gesichter und Eselsohren hatten; die Blumen wuchsen aber gerade so wilde Pflanzen. In dem einen Topf wuchsen nach allen Seiten Nelken über, das heißt das Grüne davon, Schößling Schößling, die sprachen ganz deutlich: "Die Luft hat mich gestreichelt,
die Sonne hat mich geküßt und mir zum Sonntag eine kleine Blume versprochen, eine kleine Blume zum Sonntag!"Dann gelangte er in ein Zimmer, wo die Wände einen Überzug von Schweinsleder hatten, und darauf waren goldene Blumen gedruckt.
"Vergoldung vergeht, Aber Schweinsleder besteht," sagten die Wände. |
Da standen Lehnstuhle mit hohen Rücken, ganz bunt ausgespitzt und mit Armen an beiden Seiten. "Setzen Sie sich! Nehmen Sie Platz!" sagten diese. Au, wie es in mir knackt! Nun bekomme ich wohl auch die Gicht wie der alte Schrank! Gicht im Rücken, au!"
Und dann kam der kleine Knabe das Zimmer, wo der Erker war, und wo der alte Mann saß.
"Vielen Dank für den Zinnsoldaten, mein kleiner Freundl" sagte der alte Sann. "Und herzlichen Dank dafür, daß du zu mir herüber kommt"
"Dank! Dank!" oder "Knack! Knack!" sagte es in allen Möbeln; es waren ihrer so viele, daß sie einander fast im Wege standen, um den Keinen Knaben zu sehen.
Mitten an der Wand hing das Gemälde einer schönen Dame, die jung und fröhlich aussah, aber ganz so gekleidet wie vor alten Zeiten, mit Puder im Haar und steif stehenden Kleidern; sie sagte weder "Dank" noch "Knack", sah aber mit ihren milden Augen den Seinen Knaben an, welcher sogleich den alten Mann fragte: "Woher hast du sie bekommen?"
"Vom Trödler drüben!" sagte der alte Mann. "Dort hängen viele Bilder! Niemand kennt sie oder bekümmert sich darum, denn sie sind alle begraben, aber vorzeiten habe ich diese gekannt, und nun ist sie seit einem halben Jahrhundert tot!"
Unter dem Gemälde hing unter Glas und Rahmen ein Strauß venvelkter Blumen, die waren gewiß auch vor einem halben Jahrhundert gepflückt, so alt sahen sie aus. Der Perpendikel an der großen Uhr ging hin und her, und die Zeiger drehten sich, und alles im simmer wurde noch älter, aber das merkten sie nicht.
"Sie sagen zu Hause," sagte der kleine Knabe, "daß du schrecklich einsam bist!"
"Oh," sagte er, "die alten Gedanken, mit dem, was sie mit sich führen können, kommen und besuchen mich, und jetzt kommst du ja auch! Ich bin ganz zufrieden!"
Dann nahm er von dem Schrank ein Buch mit Bildern, darin waren lange Aufzüge, die sonderbarsten Kutschen, wie man sie heutzutage nicht sieht, Soldaten und Bürger mit wehenden Fahnen, die Schneider hatten eine mit einer Schere,
welche von zwei Löwen gehalten wurde, und die der Schuhmacher war ohne Stiefel, aber mit einem Adler, der zwei Köpfe hatte, denn die Schuhmacher müssen alles so haben, daß sie sagen können: das ist ein Paar. Ja, das war ein Bilderbuch!Der alte Mann ging in das andere Zimmer; um Eingemachtes, Apfel und Nüsse zu holen; es war wirklich ganz herrlich in dem alten Hause.
"Ich kann es nicht aushalten!" sagte der Zinnsoldat, der auf dem Tische stand; "hier ist es einsam und traurig; nein, wenn man das Familienleben kennengelernt hat, so kann man sich an diese Einsamkeit hier nicht gewöhnen! Ich kann es nicht aushalten! Der ganze Tag ist schrecklich lang und der Abend noch länger! Hier ist es gar nicht wie drüben bei dir, wo dein Vater und dein: Mutter fröhlich sprechen, und wo du und ihr lieben Kinder alte einen herrlichen Lärm macht. Nein, wie lebt der alte Mann doch so einsam! Glaubst du wohl, daß er freundliche Blicke oder einen Weihnachtsbaum erhält? Außer einem Begräbnisse bekommt er gar nichts. Ich kann es nicht aushalten!"
"Du mußt es nicht so traurig auffassen!" sagte der kleine Knabe. "Mir kommt es hier ganz herrlich vor, und alle die alten Gedanken, mit dem, was sie mit sich führen können, kommen und statten Besuch ab!"
Ja, die sehe ich aber nicht und kenne ich auch nicht!" sagte der Zinnsoldat. "Ich kann es nicht aushalten!"
"Daz mußt du aber!" sagte der kleine Knabe.
Der alte Mann kam mit dem fröhlichsten Antlitz, dem schönsten Eingemachten, Äpfeln und Nüssen, und da dachte der kleine Knabe nicht an den Zinnsoldaten.
Glücklich und vergnügt kam der kleine Knabe nach Hause, Tage und Wochen wurde nach dem alten Hause hin- und von dem alten Hause hergenickt, und dann kam der Keine Knabe wieder hinüber.
Die ausgeschintzten Trompeter bliesen: "Tratteratral Da ist der Keine Knabe! Tratteratral" Schwert und Rüstung auf den alten Ritterbildern rasselten, und die seidenen Kleider rauschten, das Schweinsleder erzählte; und die alten Stühle hasen die Gicht im Rücken: "An!" Es war gerade so wie das erstemal, denn da drüben war der eine Tag und die eine Stunde so wie alle anderen.
"Ich kann nicht aushalten!" sagte der Zinnsoldat, "ich habe Zinn geweint! Hier ist es gar zu traurig! Laß mich lieber in den Krieg gehen und Anne und Beine verlieren! Das ist doch eine Veränderung! Jetzt weiß ich, was das heißt; Besuch von seinen alten Gedanken, mit dem, was sie mit sich führen können, zu haben! Ich habe den Besuch der meinigen gehabt und glaube mir, das ist auf die Länge der Zeit kein Vergnügen; ich war am Ende nahe daran, von dem Tische herabzuspringen. Ich sah euch alle da drüben im Hause so deutlich, als ob hier wäret; es war wies der Sonntagsmorgen, dessen du dich wohl entsinnst Ihr Kinder stands alle vor dem Tisch und sagt euer Lied, das ihr
jeden Morgen singt; ihr standet andächtig mit gefalteten Händen, Vater und Mutter warm ebenso feierlich, und da ging die Tür auf, und die Keine Schwester Maria, die noch nicht zwei Jahre alt ist und immer tanzt, wenn sie Musik oder Gesang hört, welcher Art es auch sein mag, wurde hereingebracht. Sie sollte nun zwar nicht, aber sie fing an zu tanzen, doch konnte sie nicht in den Takt kommen, denn die Töne waren so lang, da stand sie auf dem esen Bein und neigte den Kopf ganz vornüber; und dann auf dem anderen Bein und bog den Kopf wieder ganz vornüber, aber das wollte nicht passen. Ihr standet alle sehr ernsthaft da, was nich freilich schar siel, aber ich lachte inwendig, und deshalb fiel ich vom Tisch herab und bekam eine Beule, die ich noch trage, denn es war nicht recht von mir, daß ich lachte. Aber das Ganze erfüllt mich jetzt wieder sowie alles, was ich jetzt erlebt habe, und das sind wohl die alten Gedanken, mit dem, was sie mit sich führen können! — Sage mir, ob ihr noch des Sonntags singt? Erzähle mir etwas von der kleinen Maria; und wie ergeht es meinem Kameraden, dem anderen Zinnsoldaten? Ja, der ist wahrlich glücklich — Ich kann es nicht aushalten!""Du bist weggeschenkt!" sagte der kleine Knabe. "Du mußt bleiben. Kannst du das nicht einsehen?"
Der alte Mann kam mit einem Kasten, worin vieles zu bewundern war, Kostbarkeiten und Balsambüchsen und alte Karten, so groß und vergoldet, wie man sie jetzt nie mehr sieht. Es wurden mehrere Kasten, sowie auch das Klavier geöffnet; das hatte eine Landschaft inwendig auf dem Deckel, und es heiser, als der alte Mann darauf spielte, dann sang er leise ein Lied.
"Ja, das konnte sie singen!" sagte er, und dann nickte er dem Bilde zu, welches er bei dem Trödler gekauft hatte, und die Augen des alten Mannes glänzten dabei.
"Ich will in den Krieg! Ich will in den Kriegt" rief der Zinnsoldat so laut, wie er nur konnte, und stürzte sich gerade auf den Fußboden herab.
Ja, wo war er geblieben? Der alte Mann suchte, der kleine Knabe suchte, fort war er und fort blieb er. "Ich werde ihn wohl finden!" sagte der Alte, aber erfand ihn nie wieder, der Fußboden war allzu durchlöchert — der Zinnsoldat war durch eine Spalte gefallen und lag im offenen Grabe.
Der Tag verstrich, und der kleine Knabe kam nach Hause. Die Woche verging, und es vergingen mehrere Wochen. Die Fenster waren zugefroren; der kleine Knabe mußte darauf hauchen, um ein Guckloch nach dem anderen Hause hinüber zu erhalten, da war der Schnee in alle Schnörkel und Inschriften hineingetrieben und lag hoch über der Treppe, gerade als ob da niemand zu Hause wäre, und es war auch niemand zu Hause, der alte Mann war gestorben.
Am Abend hielt ein Wagen ander Tür, und auf dem Wagen trug man ihn in seinem Sarge, er sollte auf dem Lande in seinem Begräbnisplatz ruhen. Da
fuhr er nun, aber niemand folgte, alle seine Freunde waren ja tot. Der kleine Knabe warf dem Sarge, als er wegfuhr, Kußhände nach.Einige Tage darauf wurden das Haus und die Gerätschaften verkauft, der kleine Knabe sah von seinem Fenster aus, wie man alles forttrug, die alten Ritter und die alten Damen, die Blumentöpfe mit langen Ohren, die alten Stühle und die alten Schränke; einiges kam dahin und anderes dorthin; das Bild, das beim Trödler gefunden worden war, kam wieder zum Trödler zurück, und da hing es lange, denn niemand kannte die Frau mehr, niemand kümmerte sich um das alte Bild.
Im Frühjahr riß man das alte Haus selbst nieder, denn es war ein Gerümpel, sagten die Leute. Von der Straße aus konnte man gerade in das Zimmer mit dem Schweinslederüberzug hineinsehen, welcher zerfetzt und zerrissen wurde; und das Grüne am Altan hing ganz verwildert um die fallenden Balken. Dann wurde aufgeräumt
"Was half!" sagten die Nachbarhäuser.
An die Stelle des alten Hauses wurde ein schönes Haus mit großen Fenstern und weißen, glatten Mauern gebaut, aber vorn, wo eigentlich das alte Haus gestanden hatte, wurde ein kleiner Garten angelegt, und gegen des Nachbars Mauern wuchsen wilde Weinranken empor; vor den Garten kam ein großes eisernes Gitter mit eiserner Tür, es sah ganz stattlich aus, die Leute standen still und guckten da hinein. Die Sperlinge setzten sich dutzendweise auf die Weinranken und plauderten miteinander, so laut wie sie konnten, aber nicht von dem alten Hause, denn dessen konnten sie sich nicht erinnern. Viele Jahre verstrichen, der kleine Knabe war zu einem großen Manne herangewachsen, und zwar zu einem tüchtigen Manne, dessen sich die Eltern erfreuten. Er hatte sich eben verhütet und war mit seiner jungen Frau in das neue Haus, welches den Garten hatte, eingezogen; dastand er neben ihr, indem sie eine Feldblume pflanzte, die sie niedlich fand. Sie pflanzte die Blume mit ihrer Keinen Hand und drückte die Erde mit den Fingern fest. —
"Au!" Was war dass Sie hatte sich gestochen Da ragte etwas Spitziges aus der weichen hervor.
Das war — ja, denke! — es war der Zinnsoldat, derselbe, welcher oben bei dem alten Mann verloren gegangen war, und der zwischen Zimmerholz und Schutt sich herumgetrieben und dann vüle Jahre in der Erde gelegen hatte.
Die junge Frau wischte den Zinnsoldaten zuerst mit einem grünen Blatt und dann mit ihrem feinen Taschentuch ab, welches einen herrlichen Duft hatte, und es war dem Zinnsoldaten gerade, als ob er aus einer Ohnmacht erwache.
"Laß mich sehen!" sagte der junge Mann, lachte und schüttelte dann den
Kopf. "Ja, derselbe kann es nun wohl nicht sein, aber er erinnert mich an eine Geschichte, die ich mit einem Zinnsoldaten hatte, als ich noch ein kleiner Knabe war!" Dann erzählte er seiner Frau von dem alten Haus und von dem alten Manne und von dem Zinnsoldaten, den er ihm hinübergeschickt hatte, weil er so schrecklich einsam lebte, und er erzählte alles so natürlich, wie es wirklich gewesen war, so daß der jungen Frau über das alte Haus und den alten Mann die Tränen in die Augen traten.Es ist doch möglich, daß es derselbe Zinnsoldat ist!" sagte sie; "ich will ihn aufbewahren und alles dessen gedenken, was du mir erzählt hast; aber des alten Mannes Grab mußt du mir zeigen!"
"Ja, das kenne ich nicht," sagte er, "und niemand kennt es! Alle seine Freunde waren tot, niemand bekümmerte sich weiter darum, und ich war ja ein kleiner Knabe!"
"Wie muß er doch schrecklich einsam gewesen sein!" sagte sie.
"Schrecklich einsam!" sagte der Zinnsoldat; "aber schön ist es nicht versessen zu werden!"
"Herrlich!" rief etwas dicht daneben, aber außer dem Zinnsoldaten sah niemand, daß es ein Fetzen der schweinsledernen Tapete war. Er war ohne alle Vergoldung und sah aus wie feuchte Erde, aber eine Ansicht hatte er und sprach sie auch aus:
"Vergoldung vergeht, Aber Schweinsleder besteht." |
Doch das glaubte der Zinnsoldat nicht.
Nun war einmal ein alter Mann, den alle Leute Kribbel-Krabbel nasa, denn so hieß er. Er wollte immer das Beste von jeder Sache haben, und wenn das durchaus nicht gehen wollte, dann nahn er es durch Zauberei.
Dieser Mann sitzt eines Tages und hält sein Vergrößerungsglas vor das Auge und betrachtet einen Wassertropfen, welcher von draußen aus einer Pfütze im Graben genommen war.
Wie da kribbelte und krabbelte! Alle die tausend Tierchen hüpften und sprangen, zerrten aneinander und fraßen voneinander.
"Aber das ist ja abscheulich!" sagte der alte Kribbel-Krabbel, "kann man sie nicht dahin bringen, in Ruhe und Frieden zu leben, und daß sich jedes nur um sich bekümmert?" Er dachte und bte, aber es wollte nicht recht gehen, und deshalb mußte er zaubern. "Ich muß ihnen Farbe geben, damit sie deutlicher gesehen werden können!" sagte er, und dann tröpfelte er etwas, einem kleinen Tropfen Rotwein ähnlich, in den Wassertropfen, aber das war Hexenblut, von der feinsten Gattung zu sechs Pfennigen; nun wurden aber die wunderbaren Tierchen über den ganzen Körper rosenrot es sah aus wie eine ganze Stadt voller nackter wilder Männer.
"Was hast du da?" fragte ein anderer alter Zauberer, der keinen Namen hatte, und das war gerade das Feine an ihm.
"Ja, kannst du raten, was es ist," sagte Kribbel-Krabbel, "so will ich dir schenken, aber es ist nicht leicht herauszufinden, wenn man es nicht weiß!"
Der Zauberer, der keinen Namen hatte, sah durch das Vergrößerungsglas. Es sah wirklich aus wie eine ganze Stadt, wo alle Menschen ohne Kleider herumliefen. Es war schauerlich, aber noch schauerlicher war es, zu sehen, wie der eine den anderen puffte und stieß, wie sie gezwickt und gezupft, gebissen und gezaust wurden: Was unten war, sollte nach oben, und was oben war, sollte wieder nach unten! "Sieh! Sieh! Sein Bein ist länger als meins! Baff! Weg damit!" Da ist einer, der hat eine Keine Beule hinter dem Ohr; ein kleines, unschuldiges Beulchen, aber sie quält ihn, und darum soll sie nicht noch mehrere quälen, sie hackten in dieselbe, und sie zerrten ihn, und sie fraßen ihn der kleinen Beule wegen. Da saß einer so still wie eine kleine Jungfrau und wünschte nur Ruhe und Frieden. Aber nun sollte die Jungfrau hervor; und sie zerrten an ihr, und sie zerrissen und verschlangen sie!
"Das ist sehr belustigend!" sagte der sauberer.
"Ja, aber was glaubst du wohl, was es ist?" Sagte Kribbel-Krabbel "Kannst du es ausfindig machens"
"Nun, das ist ja leicht zu sehen!" sagte der andere. "Das ist irgendeine große Stadt, sie gleichen einander ja alle. Eine große Stadt ist es!"
"Es ist Grabenwasser!" sagte Kribbel-Krabbel.
Da meinte der Halskragen: "Habe ich doch nie jemand so schlank und so fein und so niedlich gesehen. Darf ich um Ihren Namen bitten?"
"Den nenne ich nicht!" sagte das Strumpfband.
"Wo sind Sie denn zu Hause?" fragte der Halskragen.
Aber das Strumpfband war verschämt und meinte, es sei doch etwas sonderbar, darauf zu antworten.
"Sie sind wohl ein Leibgürtel?" sagte der Halskragen, "ein inwendiger Leibgürtel? Ich sehe, Sie sind sowohl zum Nutzen als zum Staat, liebes Fräulein!"
"Sie dürfen nicht mit mir sprechen!" sagte das Strumpfband; "mich dünkt, ich habe Ihnen durchaus keine Veranlassung dazu gegeben!"
"Ja, wenn man so schön wie Sie ist," sagte der Halskragen, "so ist das Veranlassung genug!"
"Kommen Sie mir nicht so nahet" sagte das Strumpfband, "Sie sehen so männlich aus!"
"Ich bin auch ein feiner Herr!" sagte der Halskragen, "ich besitze einen Stiefelknecht und eine Haarbürste!" Das war nun nicht wahr, denn sein Herr hatte diese, aber er prahlte.
"Kommen Sie mir nicht so nahe!" sagte das Strumpfband, "ich bin das nicht gewöhnt!"
"Zierliese!" sagte der Halskragen, und dann wurden sie aus der Wäsche genommen; sie wurden gestärkt, hingen auf dem Stuhl im Sonnenschein und wurden dann aufs Plättbrett gelegt; da kam das warme Eisen.
"Liebe Frau!" sagte der Halskragen, "liebe Frau Witwe! Mir wird ganz warm! Ich werde ein ganz anderer, ich komme ganz aus den Falten, Sie brennen mir ein Loch! Uh! — Ich halte um Sie an!"
"Sol" sagte das Plätteisen und ging stolz über den Halskragen hin, denn das bildete sich ein, daß ein Dampfkessel sei, welcher zur Eisenbahn hinaus und dort Wagen ziehen sollte.
Laps!" sagte es.
Der Halskragen faserte an den Kanten ein wenig ans, deshalb kam die Papierschere und sollte die Fasern wegschneiden.
"Oh!" sagte der Halskragen, "Sie sind wohl erste Tänzerin? Wie Sie die Beine ausstrecken können! Das ist das Reizendste; was ich je gesehen habe, das kann Ihnen kein Mensch nachmachen!"
"das weiß icht" sagte die Schere.
"Sie verdienten, eine Gräfin zu sein!" sagte der Halskragen. "Alles, was ich besitze, ist ein feiner Herr, ein Stiefelknecht und eine Haarbürste! — Wenn ich nur eine Grafschaft hätte!"
"Er freit wohl gar!" sagte die Schere, sie wurde böse und gab ihm einen tüchtigen Schnitt, und da war er entlassen.
"Ich muß am Ende wohl um die Haarbürste freien. Es ist merkwürdig, wie Sie alle Ihre Zähne behalten, liebes Fräulein!" sagte der Halskragen. "Haben Sie nie daran gedacht, sich zu verloben?"
"Ja, das können Sie sich wohl denken!" sagte die Bürste. "Ich bin ja mit dem Stiefelknecht verlobt!"
"Verlobt!" sagte der Halskragen; nun gab niemand mehr, um die er hätte freien können, und darum verachtete er es.
Es verging eine lange Zeit, und dann kam der Halskragen in den Kasten beim Papiermüller. Da gab es große Lumpengesellschaft, die feinen für sich, die großen für sich, so wie sich das gehörs Sie hatten alle viel zu erzählen, aber der Halskragen am meisten, das war ein gewaltiger Prahlhans.
"Ick, habe ungeheuer viele Geliebten gehabt!" sagte der Halskragen, "man ließ mir gar keine Ruhet Ich war aber auch ein feiner Herr mit Stärke! Ich besaß sowohl einen Stiefelknecht wie eine Haarbürste, die ich nie gebrauchte! — Damals hätten Sie mich nur sehen sollen, wenn ich auf der Seite lag! Nie vergesse ich meine erste Geliebte, sie war ein Leibgürtel, fein, zart und niedlich, sie stürzte sich meinetwegen in eine Waschwanne. Da war auch eine Witwe, die für mich erglühte, aber ich ließ sie stehen und schwarz werden. Da war die erste Tänzerin, sie versetzte mir die Wunde, mit der ich gehe, sie war schrecklich bissig!
Meine eigene Bürste war in mich verliebt, sie verlor alle Haare aus Liebesgram. Ja, ich habe viel dergleichen erlebt; aber am meisten tut es mir leid um das Strumpfband — ich meine den Leibgürtel, welcher sich in die Waschwanne stürzte. Ich habe viel auf meinem Gewissen; es wird mir wohl tun, weißes Papier zu werden!"Und das wurde er, alle Lumpen wurden weißes Papier, aber der Halskragen wurde gerade das Stück Papier, das wir hier sehen, worauf die Geschichte gedrukt ist, und das geschah, weil er so gewaltig mit Dingen prahlte, die gar nicht wahr gewesen waren. Daran sollen wir denken, damit wir uns nicht ebenso betragen, denn wir können wahrlich nicht wissen, ob wir nicht auch einmal in den Lupmenkasten kommen und zu weißem Papier umgearbeitet werden und dann unsere ganze Geschichte, selbst die allergeheimste, aufgedruckt bekommen, mit der wir dann selbst herumlaufen und sie erzählen müssen, wie der Halskragen.
Nun gab da ein altes Rittergut, wo man keine Schnecken mehr speiste, diese waren beinahe ganz ausgestorben, aber die Setten waren nicht ausgestorben, sie wuchsen über alle Gänge und Beete; man konnte ihrer nicht mehr Meister werden. Es war ein förmlicher Klettenwald, hin und wieder stand ein Apfel- und ein Pflaumenbaum, sonst hätte man gar nicht vermuten können, daß dies ein Garten gewesen sei. Alles war Klette, und drinnen wohnten die beiden letzten steinalten Schnecken.
Sie wußten selbst nicht, wie alt sie waren, aber sie konnten sich sehr wohl erinnern, daß ihrer weit mehr gewesen waren, daß sie von einer Familie aus fremden Ländern abstammten, und daß sie und die Ihrigen der ganze Wald gepflanzt worden war. Sie waren nie aus demselben hinausgekommen, aber sie wußten doch, daß es außerdem noch etwas in der Welt gab, was der Herrenhof
hieß, und da oben wurde man gekocht, und dann wurde man schwarz, und dann wurde man auf eine silberne Schüssel gelegt, aber dann weiter gefs, das wußten sie nicht. Wie das übrigens war, gekocht zu werden und auf einer silbernen Schüssel zu liegen, das konnten sie sich nicht denken, aber schön sollte es sein und außerordentlich vornehm. Weder die Maikäfer noch die Kröten oder die Regenwürmer, welche sie darum befragten, konnten ihnen Bescheid darüber geben; keiner von ihnen war gekocht worden oder hatte auf einer silbernen Schüssel gelegen.Die alten, weißen Schnecken waren die vornehmsten in der Welt, das wußten sie; der Wald war ihrethalben da, und der Herrenhof war da, damit sie gekocht und auf eine silberne Schüssel gelegt werden konnten.
Sie lebten nun sehr einsam und glücklich, und da sie selbst keine Kinder hatten, so hatten sie eine kleine, gewöhnliche Schnecke angenommen, die sie wie ihr eigenes Kind erzogen; aber die Kleine wollte nicht wachsen, denn es war nur eine gewöhnliche Schnecke. Die Alten, besonders die Mutter, die Schneckenmutter; glaubte aber doch zu bemerken, daß sie zunahm, und sie bat den Vater; wenn er das nicht sehen könnte, so möge er doch nur das kleine Schneckenhaus anfühlen, und dann fühlte er und fand, daß die Mutter recht habe.
Eines Tages regnete es stark.
"Höre, wie es auf den Kletten tromme-romme-rommelt!" sagte der Schneckenvater.
"Da kommen auch Tropfen!" sagte die Schneckenmutter. "Es läuft ja gerade am Stengel herab! Du wirst sehen, daß es hier naß werden wird. Ich bin froh, daß wir unsere guten Häuser haben, und daß der Kleine auch eins hat! Für ung ist freilich mehr getan als für alle anderen Geschöpfe, man kann also sehen, daß wir die Herren der Welt sindt Wir haben ein Haus von der Geburt ab, und der Klettenwald ist unsertwegen gesät! — Ich möchte wohl wissen, wie weit er sich erstreckt, und was außerhalb desselben ist!"
"Da ist nichts außerhalb!" sagte der Schneckenvater. "Besser als bei uns kann es nirgends sein, und ich habe nichts zu wünschen!"
Ja," sagte die Schneckenmutter, "ich möchte wohl nach dem Herrenhof kommen, gekocht und auf eine silberne Schüssel gelegt werden, das ist allen unseren Vorfahren widerfahren, und glaube mir, es ist ganz etwas Besonderes dabei!"
"Der Herrenhof ist vielleicht zusammengestürzt," sagte der Schneckenvater, "oder der Klettenwald ist darüber hinweg gewachsen, so daß die Menschen nicht herauskommen können. Übrigens hat das keine Eile, du eilst immer so gewaltig, und der Kleine fängt auch schon damit an; er ist nun in drei Tagen an dem Stiel hinaufgekrochen, mir wird schwindlig, wenn ich zu ihm hinaufsehe!"
"Du mußt nicht schelten!" sagte die Schneckenmutter. "Er kriecht so besonnen; wir werden noch Freude an ihm erleben, und wir Alten haben ja nichts anderes, wofür wir leben könnten! Hast du aber wohl daran gedacht, wo wir eine Frau für ihn hernehmen? Glaubst du nicht, daß da weit hinein in den Klettenwald noch jemand von unserer Art sein möchte?"
"Schwarze Schnecken, glaube ich, werden wohl dasein", sagte der Alte; "schwarze Schnecken ohne Haus, aber das ist so gemein, und doch haben sie solchen Dünkel. Aber wir könnten es den Ameisen in Auftrag geben, die laufen hin und her, als ob sie etwas zu tun hätten, sie wissen sicher eine Frau unseren Kleinen."
"Ich weiß freilich die allerschönste," sagte eine der Ameisen, "aber ich fürchte, es geht nicht, denn sie ist eine Königin!"
"Das schadet nichts!" sagten die Alten. "Hat sie ein Hauss"
"Sie hat ein Schloß," sagte die Ameise, "das schönste Ameisenschloß mit siebenhundert Gängen."
"Schönen Dank!" sagte die Schneckenmutter. "Unser Sohn soll nicht in einen Ameisenhaufen! Wißt Ihr nichts Besseres, so geben wir den Auftrag den weißen Mücken, die fliegen bei Regen und Sonnenschein weit umher, die kennen den Klettenwald von innen und außen."
"Wir haben eine Frau ihn!" sagten die Mücken. Hundert Menschen- schritte von hier sitzt auf einem Stachelberstrauch eine Keine Schnecke mit einem Hause, sie ist ganz allein und alt genug, sich zu verheiraten. sind nur hundert Menschenschritte!"
Ja, laßt sie zu ihm kommen," sagten die Alten, "er hat einen Kettenwald, sie hat nur einen Strauch!"
Und dann holten sie das kleine Schneckenfräulein. Es währte acht Tage, ehe sie eintraf, aber das war gerade das Vornehme dabei, daran konnte man sehen, daß sie von der rechten Art war.
Dann hielten sie Hochzeit. Sechs Johanniswürmer leuchteten, so gut sie konnten; übrigens ging es im ganzen still zu, denn die alten Schnecken konnten Schwärme und Lustbarkeiten nicht vertragen. Aber eine schöne Rede wurde von der Schneckenmutter gehalten; der Vater konnte nicht er war so bewegt, und dann gaben sie ihnen den ganzen Klettenwald zur Erbschaft und sagten, was sie immer gesagt hatten, daß es das Beste in der Welt sei, und wenn sie redlich und ordentlich lebten und sich vermehrten, dann würden sie und ihre Kinder einst nach dem Herrenhofe kommen, schwarz gekocht und auf eine silberne Schüssel gelegt werden.
Nachdem die Rede gehalten war, krochen die Alten in ihre Häuser und kamen nie wieder heraus; sie schliefen. Das junge Schneckenpaar regierte im Walde und
erhielt eine große Nachkommenschaft, aber sie wurden nie gekocht, und sie kamen nie auf eine silberne Schüssel, woraus sie den Schluß zogen, daß der Herrenhof zusammengestürzt sei, und daß alle Menschen in der Welt ausgestorben seien, und da ihnen niemand widersprach, so mußte es ja wahr sein. Und der Regen schlug auf die Klettenbänder, um für sie eine Trommelmusik zu veranstalten, und die Sonne schien, um den Klettenwald für sie zu beleuchten, und sie waren sehr glücklich, und die ganze Familie war glücklich.Es klopfte an die Tür, und da kam ein armer, alter Mann, der wie in eine Pferdedecke gehüllt war, denn die wärmt, und ihn fror. Es war ja ein kalter Winter, draußen lag alles voll Eis und Schnee, und der Wind blies, daß es einem ino Gesicht schnitt.
Und da der alte Mann vor Kälte bebte und das Kind einen Augenblick schlief, so ging die Mutter hin und stellte Bier in einem kleinen Topf in den Ofen, daß es warm für ihn werden möchte; und der alte Mann saß und wiegte, und die Mutter setzte sich auf den Stuhl dicht neben ihn, betrachtete ihr krankes Kind, das tief Atem holte, und hob die kleine Hand empor.
"Glaubst du nicht auch, daß ich ihn behalten werde?" sagte sie. "Der liebe Gott wird ihn mir nicht nehmen!"
Und der alte Mann, es war der Tod selbst, der nickte sonderbar, das konnte ebensogut ja als nein bedeuten. Die Mutter schlug die Augen nieder, und die Tränen rollten ihr über die Wangen. Ihr Haupt wurde schwer, in drei Nächten und Tagen hatte sie ihre Augen nicht geschlossen, und nun schlief sie, aber nur einen Augenblick, dann fuhr sie empor und zitterte vor Kälte. "Was ist das?" sagte sie und blickte nach allen Seiten; aber der alte Mann war fort; und ihr kleines Kind war fort, er hatte es mitgenommen, und dort in der Ecke schnurrte und schnurrte die alte Uhr, das große Bleigewicht lief gerade bis auf den Fußboden, bum! und da stand auch die Uhr still.
Aber die arme Mutter lief aus dem Hause und rief nach ihrem Kinde.
Draußen, mitten im Schnee, saß eine Frau in langen, schwarzen Kleidern, die sagte: "Der Tod ist in deinem Zimmer gewesen, ich sah ihn mit deinem kleinen Kinde davoneilen, er geht schneller als der Wind, er bringt nie wieder, was er nahm!"
"Sage mir nur, welchen Weg er eingeschlagen hat!" sagte die Mutter, "zeige mir den Weg an, und ich werde ihn finden!"
"Den kenne ich," sagte die Frau in schwarzen Kleidern, "aber ehe ich ihn dir sage, mußt du mir erst alle die Lieder vorsingen, die du deinem Kinde vorgesungen hast; Ich liebe sie, ich habe sie früher gehört; ich bin die Nacht, ich sah deine Tränen, während du sie sanges"
"Ich will sie alle, alle singen!" sagte die Mutter, "aber halte mich nicht auf, damit ich ihn erreichen, damit ich mein Kind finden kann!"
Aber die Nacht saß stumm und still; da rang die Mutter die Hände, sang und weinte, und es waren viele Lieder, aber noch mehr Tränen; und dann sagte die Nacht; "Gehe rechts in den dunklen Tannenwald, dahin sah ich den Tod den Weg mit deinem kleinen Kinde nehmen!"
Tief in dem Walde kreuze sich die Wege; und sie wußte nicht mehr, wohin sie gehen sollte. Dastand ein Dornbusch, waren weder Blätter noch Blumen an ihm, war ja auch in der kalten Winterfest, und es lag Schnee und Eis auf seinen Zweigen.
"Hast du nicht den Tod mit meinem kleinen Kinde vorbeigehen sehen?"
"Ja!" sagte der Dornbusch, "aber ich sage dir nicht, welchen Weg er genommen hat, wenn du mich nicht an deinem Herzen erwärmen willst. Ich erfriere; ich werde ganz und gar zu Eis!"
Und sie drückte den Dornbusch an ihre Brust, so fest; damit er recht erwärmt werden könnte, und die Dornen gingen in ihr Fleisch hinein, und ihr Blut floß in großen Tropfen, aber der Dornbusch trieb frische, grüne Blätter und bekam Blumen in der kalten Winternacht, so warm war es an dem Herzen einer betrübten Mutter, und der Dornbusch bezeichnete ihr den Weg, den sie einschlagen sollte.
Da kam sie an einen großen See, wo sie weder ein Schiff noch ein Boot fand. Der See war noch nicht fest genug gefroren, um sie tragen zu können, und auch nicht offen und flach genug, so daß sie ihn hätte durchwaten können, und über denselben mußte sie hinüber, wenn sie ihr Kind finden wollte. Da legte sie sich nieder, um den See auszutrinken, aber das war ja site einen Menschen unmöglich; die betrübte Mutter aber dachte, daß vielleicht ein Wunder geschehen könnte.
"Nein, das geht nicht!" sagte der See, "laß uns beide lieber sehen, ob wir unz einigen können. Ich liebe es Perlen zu sammeln, und deine Augen sind die
beiden nasen, die ich je erblickt habe, willst du sie in mich ausweinen, so will ich dich nach dem großen Treibhause hinübertragen, wo der Tod wohnt und Blumen und Bäume pflegt; jeder von diesen ist ein Menschenleben!""Oh, was gebe ich nicht, um zu meinem Kinde zu komment" sagte die betrübte Mutter, und sie weinte noch mehr, und ihre Augen sanken auf den Grund des Sees und wurden zwei köstliche Perlen; aber der See erhob sie, als ob sie in einer Schaukel säße, und sie flog in einer Schwingung an das jenseitige Ufer, wo ein meilenbreites, sonderbares Haus stand. Man wußte nicht recht, ob es ein Berg mit Wald und Höhlen oder ob es gezimmert war, aber die arme Mutter konnte es nicht sehen, sie hatte ja ihre Augen ausgeweint.
"Wo werde ich den Tod finden, der mit meinem Keinen .Kinde davongegangen ist?" fragte sie.
"Hier ist er noch nicht angekommen", sagte die alte Grabfrau, welche auf das große Treibhaus des Todes acht haben mußte. "Wie hast du dich hierher finden können, und wer hat dir geholfen?"
"Der liebe Gott hat mir geholfen!" sagte sie, "er ist barmherzig, und das wirst du auch sein! Wo kann ich mein kleines .Kind finden?"
"Ja, ich kenne nicht," sagte die Frau, "und du kannst ja nicht sehen! Viele Blumen und Bäume sind über Nacht verdorrt, der Tod wird bald kommen und sie umpflanzen! Du weißt wohl, daß jeder Mensch seinen Lebensbaum oder seine Blume hat, je nachdem ein jeder beschaffen ist; sie sehen wie andere Gewächse aus, aber sie haben Herzschlag; das Kinderherz kann auch schlagen! Halte dich daran, vielleicht erkennst du den Herzschlag deines Kindes, aber was gibst du mir, wenn ich dir sage, was du noch mehr zu tun hast?"
"Ich habe nichts zu geben," sagte die betrübte Mutter, "aber ich will für dich bis ans Ende der Welt gehen!"
"Ja, da habe ich nichts zu schaffen, 'sagte die Frau, "aber du kannst mir dein langes schwarzes Haar geben, du weißt wohl selbst, daß es schön ist; und mir gefällt es! Du kannst mein weißes dafür bekommen, das ist doch immer etwas!"
"Verlangst du weiter nichts," sagte sie, "das gebe ich dir mit Freuden!" Und sie gab der Alten ihr schönes Haar und erhielt deren schneeweißes dafür.
Dann gingen sie in das große Treibhaus des Todes, wo Blumen und Bäume wunderbar durcheinander wuchsen. Dastanden feine Hyazinthen unter Glasglocken, und da standen große, baumstarke Pfingstrosen; da wuchsen Wasserpflanzen, einige recht frisch, andere kränklich; Wasserschnecken legten sich auf sie, und schwarze Krebse klemmten sich am Stengel fest. Da standen schöne Palmbäume, Eichen und Platanen, da stand Petersilie und blühender Thymian, jeder Baum und jede Blume hatten ihre Namen, sie waren jeder ein Menschenleben, der Mensch lebte noch, der eine in China, der andere in Grönland, ringsumher in der ganzen Welt. Da waren große Bäume in Keinen Töpfen, so daß sie ganz
verkrüppelt dastanden und nahe daran waren, den Topf zu sprengen. An manchen Stellen stand auch eine kleine langweilige Blume in fetter Erde, mit Moos ringsumher bedeckt und gepflegt. Aber die betrübte Mutter beugte sich über alle die kleinsten Pflanzen und hörte, wie in ihnen das Menschenherz schlug, und unter Millionen erkannte sie das Herz ihres Kindes wieder."Das ist es!" rief sie und streckte die Hand über eine kleine blaue Soso aus, welche ganz krank nach der einen Seite hinüberhing.
"Berühre die Blume nicht!" sagte die alte Frau, "aber stelle dich hierher, und wenn dann der Tod kommt — ich erwarte ihn jeden Augenblick — dann laß ihn die Pflanze nicht ausreißen und drohe ihm, daß du dasselbe mit den anderen Pflanzen tun würdest, dann wird ihm bange werden! Er ist dem lieben Gott dafür verantwortlich, ohne dessen Erlaubnis keine ausgerissen werden darf."
Auf einmal sauste es eiskalt durch den Saal, und die blinde Mutter konnte fühlen, daß es der Tod war, der da kam.
"Wie hast du den Weg hierher finden können?" fragte er. "Wie konntest du schneller hierher gelangen als ich?"
"Ich bin eine Mutter!" sagte sie.
Und der Tod streckte seine lange Hand nach der kleinen, feinen Blume aus, aber sie hielt ihre Hände fest um dieselbe, fest und dennoch besorgt, daß sie eines der Blätter berühren möchte. Da blies der Tod auf ihre Hände, und sie fühlte, daß dies kälter war als der kalte Wind, und ihre Hände sanken matt herab.
"Du vermagst doch nichts gegen mich!" sagte der Tod.
"Aber das vermag der liebe Gott!" sagte sie.
"Ich kie nur, was er will!" sagte der Tod. "Ich bin sein Gärtnert Ich nehme alle seine Blumen und Bäume und verpflanze sie in den Garten des Paradieses, in das unbekannte Land, aber wie sie dort wachsen, und wie es dort ist, das darf ich dir nicht sagen!"
"Gib mir mein Kind zurück!" sagte die Mutter und ante und bat. Mit einmal griff sie mit jeder Hand um zwei hübsche Blumen neben sich und rief dem Tode zu: "Ich reiße alle deine Blumen ab, denn ich bin in Verzweiflung!"
"Rühre sie nicht an!" sagte der Tod, "du sagst, du seiest unglücklich, und nun willst du eine andere Mutter ebenso unglücklich machen!"
"Eine andere Mutter!" sagte die arme Frau und ließ sogleich beide Blumen los.
"Da hast du deine Augen!" sagte der Tod, "ich habe sie aus dem See aufgefischt. sie leuchteten so stark; ich wußte nicht, daß es die deinigen waren; nimm sie wieder, sie sind jetzt klarer als zuvor; sieh dann in den tiefen Brunnen hier nebenbei hinab, ich werde die Namen der beiden Blumen nennen, die du ausreißen wolltest, und du wirst ihre ganze Zukunft, ihr ganzes Menschenleben erblicken blicken; sieh, was du zerstören und zugrunde richten wollte!"
Sie sah in den Brunnen hinab, und war eine Glückseligkeit zu sehen, wie die eine ein Segen für die Welt ward, zu sehen, wieviel Glück und Freude sich ringsum entfaltete Und sie erblickte das Leben der anderen, und es war Trauer und Not, Jammer und Elend.
"Beides ist Gottes Wille!" sagte der Tod.
"Welche ist die Blume des Unglücks und welche die des Segens?" fragte sie.
"Das sage ich dir nicht!" sagte der Tod, "aber das sollst du von mir erfahren rin, daß die eine Blume die deines eigenen Kindes war, war das Schicksal deines Kindes, welches du gesehen hast, die Zukunft deines eigenen Kindes!"
Da schrie die Mutter erschrocken auf: "Welche von ihnen war mein Kind? Sage mir das; erlöse das Unschuldige Befreie mein Kind von all dem Elend, trage es lieber fort! Trage es in Gottes Reicht Vergiß meine Zähren, vergiß meine Bitten und alles, was ich gesagt und getan babel"
"Ich verstehe dich nicht!" sagte der Tod. "Willst du dein Kind zurückhaben oder soll ich mit ihm da hineingehen, wo du nicht weißt, wie es ist?"
Da rang die Mutter ihre Hände, fiel auf ihre Kniee und betete zum lieben Gott: "Erhöre mich nicht, wenn ich gegen deinen Willen, welcher der beste ist, bitte! Erhöre mich nicht! Erhöre mich nicht!"
Und sie neigte ihr Haupt auf ihre Brust herab.
Und der Tod ging mit ihrem Kinde in das unbekannte Land.
Da ging nun das arme Mädchen auf den bloßen, kleinen Füßen, die ganz rot und blau vor Kälte waren. In einer alten Schürze hielt sie eine Menge Schwefelhölzer, und ein Bund trug sie in der Hand. Niemand hatte ihr während des ganzen Tages etwas abgekauft, niemand hatte ihr auch nur einen Dreier geschenkt; hungrig und halberfroren schlich sie einher und sah so gedrückt aus, die arme Kleine! Die Schneeflocken fiel n in ihr langes, gelbes Haar, welches sich so schön über den Hals lockte, aber an den Staat dachte sie freilich nicht.
In einem Winkel zwischen zwei Häusern — das eine sprang etwas weiter in die Straße vor als das andere — da setzte sie sich und kauerte sie sich zusammen; die kleinen Füße hatte sie fest angezogen, aber es fror sie noch mehr, und sie wagte nicht nach Hause zu gehen, denn sie hatte ja keine Schwefelhölzer verkauft, nicht einen einzigen Dreier erhalten, ihr Vater würde sie schlagen, und kalt war es daheim auch, sie hatten nur das Dach gerade über sich, und da pfiff der Wind herein, obgleich Stroh und Lappen zwischen die größten Spalten gestopft
waren. Ihre kleinen Hände waren vor Kälte fast ganz erstarrt. Ach! ein Schwefelhölzchen könnte gewiß recht gut tun; wenn sie nur wagen dürfte, eins aus dem Bunde herauszuziehen, es gegen die Wand zu streichen und die Finger daran zu wärmen! Sie zog eins heraus, ritschl wie sprühte es wie brannte es! Es gab eine warme, helle Flamme, gerade wie ein kleines Licht, als sie die Hand damm hielt, es war ein wunderbares Licht! Es kam dem kleinen Mädchen vor, als sitze sie vor einem großen eisernen Ofen mit blanken Messingkugeln und einem messingnen Aufsatz; das Feuer brannte ganz herrlich darin und wärmte so schön! Nein, was war das! — Die Kleine streckte schon die Fuße aus, uni auch diese zu wärmen — da erlosch die Flamme, der Ofen verschwand — sie saß mit einem kleinen Stumpf des ausgebrannten Schwefelholzes in der Hand.Ein neues wurde angestrichen, es brannte, es leuchtete; und wo der Schein desselben auf die Mauer fiel, wurde diese durchsichtig wie ein Flor; sie sah gerade in das Zimmer hinein, wo der Tisch mit einem glänzend weißen Tischtuch und mit feinem Porzellan gedeckt stand, und herrlich dampfte eine mit Pflaumen und Äpfeln gefüllte gebratene Gans darauf! Und was noch prächtiger war, die Gans sprang von der Schüssel herab, watschelte auf dem Fußboden hin mit Gabel und Messer im Rücken; gerade auf das arme Mädchen kam sie zu. Da erlosch das Schwefelholz, und nur die dicke, kalte Mauer war zu sehen.
Sie zündete ein neues an. Da saß sie unter dem schönsten Weihnachtsbaume; der war noch größer und aufgeputzter als der, welchen sie zu Weihnachten durch die Glastüre bei dem reichen Kaufmanne erblickt hatte. Tausende von Lichtern brannten auf den grünen Zweigen, und bunte Bilder wie die, welche die Ladenfenster schmücken, schauten zu ihr herab. Die Kleine streckte die beiden Hände in die Höhe — da erlosch das Schwefelholz; die vielen Weihnachtslichter stiegen höher und immer höher, nun sah sie, daß es die klaren Sterne am Himmel waren, einer davon fiel herab und machte einen langen Feuerstreifen am Himmel.
"Nun stirbt jemand!" sagte die Kleine, denn ihre alte Großmutter; welche die einzige war, die sie lieb gehabt hatte, die jetzt aber tot war, hatte gesagt: "Wenn ein Stern fällt, so steigt eine Seele zu Gott empor."
Sie strich wieder ein Schwefelholz gegen die Mauer, es leuchtete ringsumher, und im Glanze desselben stand die alte Großmutter so klar, so glänzend, so mild und lieblich
"Großmutter!" rief die Kleine. "Oh, nimm mich mit! Ich weiß, daß du fort bist, wenn das Schwefelholz ausgeht; fort wie der warme Ofen, der schöne Gänsebraten und der große, herrliche Weihnachtsbaum!" — und sie strich eiligst den ganzen Rest der Schwefelhölzer, welche noch im Bunde waren, sie wollte die Großmutter recht fest halten; und die Schwefelhölzer leuchteten mit solchem Glanz, daß es heller war als am lichten Tage. Die Großmutter war nie so
schön, so groß gewesen; sie hob das kleine Mädchen auf ihren Arm, und in Glanz und Freude flogen sie so hoch, so hoch, und da fühlte sie keine Kälte, keinen Hunger, keine Furcht — sie waren bei GottlAber im Winkel am Hause saß in der kalten Morgenstunde das kleine Mädchen mit roten Wangen, mit lächelndem Munde — tot, erfroren am letzten Abend des alten Jahres. Der Neujahrsmorgen ging über die kleine Leiche auf, welche mit Schwefelhölzern dasaß, von denen ein Bund fast verbrannt war. "Sie hat sich wärmen wollen", sagte man. Niemand wußte, was sie Schönes erblickt hatte, in welchem Glanze sie mit der alten Großmutter zur Neujahrsfreude eingegangen war!
"Ja, ja, ja!" sagten die Zaunspfähle, "Ihr kennt die Welt nicht, aber das tun wir, wir haben Knoten in uns"; und dann knarrten sie ganz jämmerlich:
"Schnipp-Schnapp-Schnurre, Baselurre, Aus ist das Lied!" |
"Nein, das ist es nicht!" sagte der Flachs. "Die Sonne scheint am Morgen, der Regen tut so wohl, ich kann hören, wie ich wachse, ich kann fühlen, daß ich blühe! Ich bin der Allerglücklichste."
Aber eines Tages kamen da Leute und faßten den Flachs beim Schopfe und rissen ihn mit der Wurzel heraus, das tat weh; er wurde in Wasser gelegt, als ob er ersäuft werden sollte, und dann kam er über Feuer, als ob er gebraten werden sollte, das war greulich!
"Es kann einem nicht immer gut ergehen!" sagte der Flachs, "man muß etwas durchmachen, dann weiß man etwas!"
Aber wurde allerdings sehr schlimm. Der Flachs wurde gerissen und gebrochen, gedörrt und gehechelt, ja, was wußte er, wie das alles hieß; er kam
auf den Rocken; schnurre rur! Da war es nicht möglich, die Gedanken teisammen zu behalten."Ich bin außerordentlich glücklich gewesen!" dachte er bei aller seiner Pein. "Man muß froh sein über das Gute, das man genossen hat. Froh, froh, oh!" — und das sagte er noch, als er auf den Webstuhl kam, und so wurde er zu einem herrlichen großen Stück Leinwand. Aller Flachs, jeder einzelne Stengel kam in das eine Stück.
"Aber das ist ja ganz außerordentlich! Das hätte ich nie geglaubt! Nein, wie das Gluck mir doch wohl willt Ja, die Zaunspfähle wußten wahrlich gut scheid mit ihrem:
Schnipp-Schnapp-Schnurre, Baselurre! |
Das Lied ist keineswegs aus! Nun fängt es erst recht ant Es ist herrlich! Ja, habe ich gelitten, so ist jetzt dafür auch etwas aus mir geworden, ich bin der Glücklichste von allen! — Ich bin so stark und so weich, so weiß und so lang! Das ist ganz etwas anderes, als nur Pflanze zu sein, selbst wenn man Blumen trägt! Man wird nicht gepflegt und bekommt nur Wasser, wenn es regnet! Jetzt habe ich Aufwartung! Das Mädchen wendet mich jeden Morgen, und mit der Gießkanne erhalte ich jeden Abend ein Regenbad. Ja, die Frau Pastorin hat selbst eine Rede über mich gehalten und gesagt, daß ich das beste Stück im ganzen Kirchspiele sei. Glücklicher kann ich gar nicht werden!"
Nun kam die Leinwand ino Haus, dann kam sie unter die Schere. Wie man schnitt, wie man mit der Nähnadel hineinstach, und das tat man! Das war wahrlich kein Vergnügen. Aber aus der Leinwand wurden zwölf Stück Wäsche von der Sorte, die man nicht gern nennt, die aber alle Menschen haben müssen; es waren zwölf Stück davon.
"Ei sieh, jetzt ist erst etwas aus mir geworden! Das war also meine Bestimmung! Das ist ja herrlich; nun schaffe ich Nutzen in der Welt, und das ist es, was man soll, das ist das wahre Vergnügen. Wir sind zwölf Stück geworden, aber wir sind doch alle eins und dasselbe, wir sind ein Dutzend! Was ist das für ein erstaunliches Glück!"
Jahre verstrichen — dann konnten sie nicht länger halten.
"Einmal muß ja doch vorbei sein!" sagte jedes Stück. "Ich hätte gern noch länger halten mögen, aber man darf nichts Unmögliches verlangen!" Und dann wurden sie in Stücke und Fetzen zerrissen, so daß sie glaubten, nun sei es gang vorbei; denn sie wurden zerhackt und zerquetscht und zerkocht, ja sie wußten selbst nicht, wie ihnen geschah — und dann wurden sie schönes, feines, weißes Papier!
"Nein, das ist eine Überraschung! Und eine herrliche Überraschung!" sagte das Papier. "Nun bin ich feiner als zuvor, und nun werde ich beschrieben
werden! Was kann nicht alles geschrieben werden! Daz ist doch ein ausserordentl liebes Glück!" Und es wurden die allerschönsten Geschichten darauf geschrieben, und die Leute hörten, was darauf stand, und es war richtig und gut, es machte die Menschen weit klüger und besser; als sie bisher waren; es war ein wahrer Segen, der dem Papier in den Worten gegeben"Das ist mehr, als ich mir träumen ließ, als ich noch eine Seine blaue Blume auf dem Felde war! Wie konnte es mir einfallen, daß ich dazu gelangen würde, Freude und Kenntnisse unter die Menschen zu bringen! Ich kann es selbst noch nicht begreifen! Aber es ist nun einmal wirklich so! Der liebe Gott weiß, daß ich selbst durchaus nichts dazu getan habe, als was ich nach schwachem Vermögen für mein Dasein tun mußte! Und doch gewährt er mir eine Freude nach der andern; jedesmal, nann ich denke: ,Aus ist das Lied!', dann geht es gerade zu etwas Höherem und Besserem über. Nun werde ich gewiß auf Reisen in der ganzen Welt herumgesandt werden, damit alle Menschen mich lesen können! Das ist das Wahrscheinlichste! Früher ich blaue Blumen, jetzt habe ich jede Blume die schönsten Gedanken! Ich bin der Allerglücklichste!"
Aber das Papier kam nicht auf Reisen, es kam zum Buchdrucker, und da wurde alles, was darauf geschrieben stand, zum Druck zu einem Buche gesetzt; ja zu vielen hundert Büchern, denn so konnten unendlich viel Leute mehr Nutzen und Freude davon haben, als wenn das einzige Papier, auf dem das Geschriebene stand, die ganze Welt durchlaufen hätte und auf dem halben Wege schon aufgenutzt worden wäre.
"Ja, das ist freilich das Allervernünftigste!" dachte das beschriebene Papier; "Das fiel mir gar nicht ein! Ich bleibe zu Hause und werde in Ehren gehalten wie ein alter Großvater! Ich bin es, der beschrieben worden ist, die Worte flossen aus der Feder gerade in mich hinein. Ich bleibe, und die Bücher laufen herum! Nun kann ordentlich was ausgerichtet werden! Nein, wie bin ich froh, wie bin ich glücklich!"
Dann wurde das Papier in ein Päckchen gesammelt und in ein Fach gelegt. "Nach vollbrachter Tat ist gut ruhen!" sagte dzo Papier. "Es ist ganz in Ordnung, daß man sich sammelt und über das nachdenkt; was in einem wohnt. Jetzt weiß ich erst recht, was in mir enthalten ist! Und sich selbst kennen, das ist der wahre Fortschritt. Was nun wohl kommen wird? Irgendein Fortschritt geschieht, es geht immer vorwärts!"
Eines Tages wurde alles Papier auf den Feuerherd gelegt es sollte verbrannt werden, denn es durfte nicht an Höker verkauft und Butter oder Puderzucker darin eingewickelt werden. Alle Kind r im Hause standen ringsherum, sie wollten es auflodern sehen, sie wollten die vielen roten Feuerfunken in der Asche sehen, die gleichsam davonlaufen und erlöschen, einer immer nach dem anderen, ganz geschwind — das sind die Kind; r; die aus der Schule kommen, und der
allerletzte Funke ist der Schulmeister; oft glaubt man, daß er schon fort ist, aber dann kommt er auf einmal noch hinterher.Und alles Papier lag in einem Bündel auf dem Feuer. Uh! wie flammte es empor! "Uh!" sagte es, und gleichzeitig war da alles eine Flamme; die ging höher empor, als der Flachs je seine kleine blaue Blume hatte erheben können, und glänzte, wie die weiße Leinwand nie hatte glänzen können; alle die geschriebenen Buchstaben wurden augenblicklich ganz rot, und alle Worte und Gedanken gingen in Flammen auf.
"Nun gehe ich gerade zur Sonne hinauf!" sprach es in der Flamme, und es war, als ob tausend Stimmen das mit einem Munde sagten, und die Flamme schlug durch den Schornstein oben hinaus — — und feiner als die Flammen, dem menschlichen Auge ganz unsichtbar, schwebten da kleine Wesen, an Zahl den Blumen, die der Flachs getragen hatte, gleich. Sie waren noch leichter als die Flamme, welche sie führte, und als diese erlosch und von dem Papier nur noch die schwarze Asche übrig war, tanzten sie noch einmal darüber hin, und wo sie dieselbe berührten, erblickte man ihre Fußtapfen, das waren die roten unken. "Die Kinder kamen aus der Schule, und der Schulmeister der Allerletzte!" Was war eine Freude mit anzusehen, die Kinder des Hauses standen und sangen bei der toten Asche:
"Schnipp-Schnapp-Schnurre, Baselurre, Aus ist das Lied!" |
Aber die kleinen unsichtbaren Wesen sagten alle: "Das Lied ist nie ans, das ist das Schönste von allein! Ich weiß es, und deswegen bin ich der Allerglücklichste!"
Aber das konnten die Kinder weder hören noch verstehen, und das sollten sie nicht, denn Kinder brauchen nicht alles zu wissen.
Nachwort
Hans Christian Andersen, der Dichter unserer Märchen, wurde im Jahre 1805 zu Odense auf der dänischen Insel Fünen geboren. Sein Vater war ein armer Flickschuster und seine Mutter eine noch ärmere Wäscherin, die zu den Leuten ing Hans waschen ging. Da war es denn für den kleinen Hano Christian nichts mit einer "sonnigen Kindheit", und als gar der Vater, der als Soldat weggewesen und krank wiedergekommen war, starb, da war die Not groß. Als der Knabe vierzehn Jahre alt war, faßte er darum den Entschluss, auf gut Glück nach Kopenhagen zu reisen. Er versuchte dort mit vielem, aber auch jetzt wollte ihm nichts recht gelingen, bis ihn endlich gute Menschen, die erkannt hatten, daß in dem Knaben große Anlagen steckten, auf die Lateinschule und später auf die Universität schickten. Aber einen festen Beruf hat er sich auch dort nicht erarbeitet. Schon früh wurde er Sichter, er schrieb Romane; Gedichte und Dramen in reicher Fülle; und mit dem Gelde, das er mit ihnen verdiente, konnte er recht gut auskommen, ja sogar zahlreiche Reisen unternehmen, die ihn bis nach Afrika und Kleinasien führten — das war damals schon etwas! Nachdem er so lange Jahre fast immer unterwegs gewesen war, bekam er aber doch Lust, sich in einem Zuhause auszuruhen — und wenn's auch nur ein Junggesellenzuhause war —, und das letzte Jahrzehnt seines Lebens verbrachte er dauernd in seinem lieben Kopenhagen, wo er 1875 im August starb.
Von seinen Werken ist heute das meiste wieder vergessen. Was aber ewig jung und schön bleiben wird, das sind seine Märchen. Die ersten vier "Eventyr, fortalte for Barn" erschienen 1835, und von da an schenkte Hans Christian Andersen fast jedes Jahr seinen Landsleuten und der ganzen Welt eine Sammlung, denn sie wurden in viele Sprachen übersetzt, und vor allem in Deutschland gibt es wohl kein Haus — die abgerechnet, wo das ganze Jahr kein Sonnenstrahl hineinfällt —, in dem man nicht die Märchen Andersens wenigstens dem Namen nach kennt.
Mit diesen Märchen hat nun eine eigene Bewandtnis. Sie sind nicht wie die Grimms und Bechsteins Bearbeitungen alter volkseigener Stoffe, sondern eben richtige neue Dichtungen, wenngleich auch viele dänische und überhaupt germanische Volksvorstellungen aus längstvergangenen Zeiten mit in sie aufgenommen
worden sind. Die meisten spielen auch nicht in einer raum- und zeitlosen Märchenwelt, wo es nur ein "Vor vielen Jahren war einmal" und ein "Weit, weit von hier" gibt, sondern sie sind mit den wirklichen Verhältnissen aufs engste verbunden; der eine von den Hunden in der Geschichte vom Feuerzeug hat ein paar Augen so groß wie der astronomische Turm in Kopenhagen, der Schreiber kommt als Vogel verwandelt zu der vornehmen Familie in der Gothersstraße, und die Geschichte vom Fliedermütterchen spielt in Nyboder, einer Vorstadt .Kopenhagens: überall ist Gegenwart und örtliche Bestimmtheit. Und das ist gerade das Schöne an diesen Märchen; gerade dadurch bekommen sie so etwas Heimeliges; es ist so, als wenn man den Märchenerzähler vor seinen Zuhörern sitzen sähe, der ihnen alles recht klar und deutlich machen will. Erdnähe und Märchenferne: die Vereinigung dieser beiden ist das große Wunderbare, das sich in diesen Erzählungen offenbart, und der seltsame Reiz, der uns immer wieder zu ihnen hinzieht: derselbe seltsame Reiz, den eine Kopenhagener Julinacht auf den Fremden ausübt, die mit ihrem Blau und ihren vielen Sternen zugleich so unwirklich himmlisch und so gegenständlich wie auf Kopenhagener Porzellan gemalt erscheint.Es ist ein weites Reich, das sich in Andersens Märchen auftun Blumen, Tiere und Menschen reden miteinander, lieben miteinander, leiden miteinander. Immer wieder staunt man über den herrlichen Erfindungsgeist des Dichters, der Brücken von einem Ende der Welt zum andern schlägt. Aber ebenso prächtig wie das Erfinden großer Zusammenhänge gelingt ihm das Ausmalen des Kleinen, und etwa die Stelle am Anfange des Märchens von den Nachbarfamilien, die schildert, wie der Ententeich in Bewegung gerät, ist ganz herrlich und beinahe ein Seitenstück zu dem Schönsten der Art, der Schilderung des einsetzenden Regenz in "Mogens", einer Novelle von einem anderen dänischen Dichter, Jens Peter Jacobsen. Andersen besaß eben den Sinn eines echten Dichters, eine Seele voll Poesie und vor allem ein Herz volk Liebe.
Mannigfach sind die Märchen ihrer Art nach; da gibt es welche, das sind feine, hauchzarte Gebilde, so schön wie der Schleier einer Elfe, auf den der Mondschein fällt, andere dagegen sind derb, kräftig, schwankartig, wie die vom Feuerzeug und vom großen und kleinen Klaus — aber immer ist der Dichter mit seinem Herzen dabei. Daß er sich jedoch nicht ino Sentimentale verliere, dazu hat ihm die Natur ein anderes geschenkt: seinen Humor. Mit fröhlicher Überlegenheit trägt der Dichter seine Märchen vor, man sieht ihn richtig verschmitzt dabei lächeln, und manchmal gibt er sogar recht deutlich zu verstehen, daß es in Wirklichkeit doch etwas anders ist, als er erzählt: dann wird sein liebenswürdiger Humor zuweilen sogar zu der leisen, ein wenig traurigen Ironie eines Mannes, der die Welt kennt und nun dasitzt und Märchen erzählt —, Märchen vom Glück und von der Liebe.
Darum sind Andersens Märchen ja auch gar nicht bloß Kindergeschichten, sondern noch viel mehr und viel Tieferes können sie den Erwachsenen geben. Oft
tut sich hinter ihnen das ganze Menschenleben auf, der Sinn oder der Unsinn des Daseins wird plötzlich im Hintergrunde der Geschichte sichtbar, und die einfache kleine Handlung erhebt sich zum Symbol alles Irdischen: und so gibt es wohl wenige Bücher, die so wie dieses allen, Großen wie Kleinen, das gibt, was sie gern haben, und was ihnen not tut.Alles das, was die Eigenart dieser Märchen ausmacht, muß sich nun auch in ihrer Übersetzung vorfinden. Am besten hat den Ton der ursprünglichen Geschichten die alte Übersetzung Neuzchers getroffen. Sie ist mehrfach überarbeitet worden, aber dabei il fast durchweg das Beste verloren gegangen. Der Herausgeber hat nun die alte Übersetzung Julius Neuschers wieder hergestellt und nur dort, wo wirkliche Fehler vorlagen, geändert. Vor allem wurden alle Ortshinweise wieder aufgenommen, um dem vorhin bezeichneten Charakter der Märchen genugzutun, ebenso auch die dänischen Namen wieder benutzt, da die deutschen, die manche Herausgeber eingesetzt haben, einen ganz fremden mang hineinbringen. Ebenso hat der Herausgeber die Fremdwörter da stehen lassen, wo sie um der Situation willen notwendig sind.
Wie der Herausgeber den Ton der Märchen auf die schöne alte Original ausgabe zurückgestimmt hat, so sind auch die Bilder aus ihr übernommen worden. Sie übertreffen allesamt die neuerer Ausgaben an märchenhafter Einfalt und köstlicher Feinheit der Ausführung bei gleichwohl großzügiger Auffassung ihres Stoffes. Die Künstler, die sie geschaffen haben, gehörten aber auch zu den besten Illustratoren ihrer Zeit. Obenan steht Ludwig Richter, der eine ganze Anzahl von Bildern zu diesem Buche beigesteuert hat, die sich alle durch ihre familienhaftgemütliche Art auszeichnen. Etwas herber stellen sich die Bilder Theodor Hosemanns dar, des berühmten Berliner Malers und Zeichners, der noch viele andere Kinderbücher illustriert hat. In liebevoller Versenkung und zugleich mit feiner Überlegenheit hat er seine Zeichnungen ausgeführt, die neben denen Richters leicht zu erkennen sind. Ein anderer Teil der Bilder stammt von dem Münchener Grafen Pocci, der auch als Dichter und Komponist bekannt ist und sich besonders in seinen Dichtungen immer wieder als der Kinderfreund gezeigt hat, als der er auch aus den einfachen, naiven, ganz und gar kindlichen Bildern entgegentritt. Raymond de Baux' Vignetten endlich zeichnen sich durch eine merkwürdige Ornamentik aus, die das Bild eigenartig beleben, freilich mehr von außen als von innen her, wie es bei denen Hosemanns der Fall
Diese Bilder machen die alte Ausgabe zu einer kleinen Kostbarkeit, so daß diese heute mit mehreren hundert Mark bezahlt wird. Der F. W. Hendel Verlag hat bei dieser neuen Ausgabe versucht, sie so treu wiederzugeben, als es möglich ist. Darüber hinaus aber hat er die Ausgabe mit elf in anderen Andersenausgaben erschienenen wertvollen Ganzbildern von Otto Speckter und einem in einer englischen Ausgabe aufgefundenen von Franz Pocci (Der Mann mit dem Schatten)
ausgestattet, die die innige und zugleich humorvolle Art der Andersenschen Märchen aufs allerreizendste wiedergeben. Für ihre Aufnahme besonders, dann aber die würdig: Ausstattung der Ausgabe überhaupt kann der Herausgeber seinen Dank zum Ausdruck zu bringen nicht unterlassen.Möge diese neue alte Ausgabe der Märchen Andersens in Herz und Haus die besinnliche Freude bringen, die zu allem Guten nötig ist!
Leipzig, im November 1927.
Dr. Karl Martin Schiller.