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Die deutschen Heldensagen
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Ich hörte das sagen, Daß sich Ausfordrer einzeln trafen: Hildebrand und Hadubrand zwischen den Heeren. — Sie, Sohn und Vater, sahen nach ihrem Panzer, Schlossen ihr Schirmhemd, gürteten sich ihr Schwert um, Die Reisigen über die Ringe, da zum Streite sie ritten. — Hildebrand anhub, er war höher an Jahren, Der Menschen Meister; gemessenen Wortes Begann er zu fragen, wer sein Vater wäre, Der Führer im Volke. —- — —- — — — — —- "oder wes Geschlechtes du bist. Wenn du mir einen sagest, weiß ich die andern eh', Kind, im Königreiche; ich kenne die Heldenwelt." — Hadubrand anhub, Hildebrands Sohn: "Das sagten mir unsere Leute, Alte Meister, die eh'r da waren, Daß Hildebrand heiße mein Vater; ich heiße Hadubrand — Ostwärts fuhr er einst, floh des Otaker Grimm Weg mit Dietrich und vielen seiner Degen. In der Heimat ließ er harmvoll zurück Die Frau im Haus, das hilflose Kind, Ganz ohn ' Erbe, er ritt gen Osten. — Denn der Dietrich darbte so Nach meinem Vater, der gar Verfemte. |
Der war dem Otaker bös ohne Maß Und war der Degen liebster dem Dietrich. Er ritt nur an Volkes Spitze, ihm war nur das Fechten zu lieb, Kund war sein Name . . . . kühnen Männern. Nicht, glaub ich, lebe noch" . . . . "Zeuge der Höchste oben im Himmel, Daß dennoch du nie mit so Versippten Deine Sache führtest." Da wand er vom Arm ab gewundene Spangen, Kaisergoldwerk, wie's der König ihm gab, Der Hunnen Herr: "das geb ' ich nun aus Huld dir!" Hadubrand anhub, Hildebrands Sohn: "Mit dem Gere soll man Gaben empfangen, Spitze gen Spitze. . . . . Du bist mir, alter Hunn', unmäßig schlau, Lockst mich mit Worten, willst die Lanz' auf mich werfen, So uralt bist du und immer voll Untreu. — Das sagten mir, so die See befahren, Westlich das Weltmeer, daß Krieg ihn wegnahm: Tot ist Hildebrand, Herbrands Sohn. Wohl aber seh ich an deinem Harnisch, Daß du zu Haus hast guten Herrn, Nimmer vom Reiche bannflüchtig reistest." Hildebrand anhub, Herbrandes Sohn: "Wehe nun, waltender Gott, Wehgeschick wird. Der Sommer und Winter wallt' ich sechzig außer Lande, Seitdem man mich schlug zum Volk der Schützen. Dem auf keiner Burg wer das Sterben bot, Nun soll eignen Kindes Eisen mich treffen, Schwert mich strecken, oder ich ihm das Sterben schaffen. Doch kannst auch du einfach, wenn dein Eifer reicht, Des Hochbejahrten Harnisch gewinnen, Raub dir erraffen, wenn's irgend dein Recht läßt. . . ." |
(In den hier fehlenden Versen warf Hadubrand dem Hildebrand Feigheit vor und der Alte erwidert.)
"Der wär doch der Feigste der Fahrer von Osten, Der den Kampfweg dir weigre, da so wohl es dich lüstet Gemeinsamer Gänge. Erprobe, wer muß, |
Welcher heute räumt sein Heergewand Oder der beiden Brünnen walte." Da ließen sie erst Eschlanzen gleiten In scharfen Schauern, die standen im Schilde fest. Dann stapften sie zusammen, Buntschilde zerstoßend, Hieben harmweckend ins helle Schildfeld. Bis die Lindenschilde zerschnitten wurden, Zerwirkt von den Waffen. . . . |
Die Form des Liedes ist der fortlaufende Langvers, nicht die Strophe wie im Nibelungenlied und in den Liedern der Edda. Jeder Langvers ist aus zwei Kurzversen gebaut und diese sind durch den Stabreim, durch den gleichen Anlaut der Silben verbunden , die den stärksten Ton tragen. Im ersten Halbvers stehen ein oder zwei stabreimende, im zweiten nur ein stabreimendes Wort (Hildebrand und Hadubrand zwischen den Heeren, gegen: Hadubrand anhub, Hildebrands Sohn). Jeder der Halbverse hat zwei bis vier Hebungen (betonte Silben), die Gesetze der Senkungen (unbetonte Silben) sind etwas freier: es können eine oder zwei zwischen den Hebungen stehen, es können auch zwei Hebungen sich unmittelbar aneinander schließen. Ende des Langverses und Ende des Satzes fallen meist zusammen, bisweilen zieht der Dichter das Ende des Satzes über einen Langvers herüber bis in die Mitte des zweiten. — Der Dichter vermag also den Vers zusammenzuziehen und zu erweitern, er kann gedrungene und lockere, langsame und rasche oder gleichmäßig gebaute Verse neben und gegeneinander stellen, er kann stärker ausholen und mitten im Vers innehalten, die Hebungen von Gipfel zu Gipfel führen und wieder abschwellen lassen, überall schafft ihm sein Vers die Möglichkeit Nachdruck und Tempo und Fluß der Rede zu variieren. — Die sogenannte stilistische Variation, d. h. die Kunst, durch umschreibende Wiederholungen die Vorgänge zu schildern, oder einen Vorgang in seinen wechselnden und sich steigernden
Einzelheiten uns darzustellen, ist eine Stärkung und Stützung dieser rhythmischen Möglichkeiten.Unser Dichter bleibt dieser Möglichkeiten Meister. Seine Sprache ist auch des Klanges ebenso mächtig wie des Rhythmus. Die Stabreime hämmern den Klang, den wir hören sollen, wuchtig ins Ohr, die Vokale der Stammsilben breiten ihren hellen und dunklen Schimmer in reicher Abwechslung vor uns aus und die Vokale der Biegungen und Endungen folgen in bunten und schmiegsamen und verstummenden Ausklingungen. Man höre Klangfolgen wie: sunufatarungo iro saro rihtun; forn her ostar giweit, floh er Otachres nit; brut in bure, barn unwahsan; und vor allem: welaga nu, waltant got, wewurt skihit.
Ähnliche Wirkungen erstreben und erreichen Denkmäler aus der gleichen Zeit: Zaubersprüche und Hymnen. Eine reiche, durch lange überlieferung feste und geschmeidige, aus den besondern Bedingungen der germanischen Sprachen gewachsene Technik bietet sich den Dichtern an. Die Verskunst unsres Hildebrandsliedes ist nichts vereinzeltes, sie ist die Verskunst der alten heroischen und mythischen germanischen Dichtung. Entsprechendes gilt für den Stil, die Vortragsart, die ganze Kunst, den ganzen Lebenskreis des Hildebrandsliedes.
Trotz der trümmerhaften überlieferung unsrer alten heroischen Dichtung ist es gelungen, eine ganze Reihe von seinen Worten, Stabreimen , Wendungen in der Dichtersprache der alten nordischen, englischen, deutschen Dichtung nachzuweisen. Auch die Sitten des Hildebrandliedes, die Formen der Begrüßung, die Einleitung und den Verlauf der Kämpfe, die Anschauungen von Ehre und Ruhm, die Gier nach Schatz und Rüstung gehören in die germanische Heldenzeit.
In der Darstellung fällt uns weiter auf die strenge Sachlichkeit. Ganz wenige Worte des Dichters führen mitten in die Begebnisse. Dem heimkehrenden Heere reitet Hildebrand voran und
stößt auf Hadubrand: der hält vor dem die Heimat bewachenden Heere. Als die Helden einander gewahr werden, prüfen sie zuerst die Rüstungen: wie Hagen sich den Helm fester bindet, als er Kriemhilds tödlichem Haß Auge in Auge sieht. Hildebrand, als der ältere, beginnt das Gespräch: im Gespräch und durch das Gespräch erzählt der Dichter knapp, lebendig, erschöpfend das Schicksal der beiden, das der Begegnung vorausging und den Kampf, zu dem die Begegnung führt. Er unterbricht Rede und Gegenrede nur einmal, um zu erzählen, wie Hildebrand sich die Gunst des Sohnes durch kostbare Geschenke erwerben will und wie er dadurch nur das Mißtrauen und die Gier des Jungen steigert. Den Kampf schildert wieder der Dichter selbst, mitten in der Schilderung reißt die Überlieferung ab. In einem nordischen Lied des 12. Jahrhunderts klagt der sterbende Hildebrand, daß er wider Seinen Willen dem eignen Sohn das Leben nahm. Dies war das Ende: diesen harten und tragischen Ausgang forderten Anlage und Art des Liedes.Rede und Gegenrede in Hildebrandslied müssen nicht nur die Vorgeschichte der Handlung entfalten und die Handlung selbst entwickeln und steigern, sie müssen auch den Alten und den Jungen in ihrer Verschiedenheit zeigen und gegenüberstellen! Wie ist auch das gelungen! Jung, unbesonnen, herausfordernd, verstockt Hadubrand; die verzehrende Sehnsucht nach der ersten Heldentat, nach Ruhm, nach der glänzenden Rüstung des Alten, sonst ist nichts in seinem Sinn; eine tragische Ironie ohnegleichen, daß er vom Vater sagt, dem sei der Kampf immer zu lieb gewesen! Hadubrand will es nicht glauben, daß sein Vater vor ihm steht. Zuerst verkündet er wortreich dessen ganze Lebensgeschichte, beruft sich eigensinnig auf seine Gewährsmänner; anfangs vermutet er nur, sein Vater sei nicht mehr am Leben, dann redet er sich heftig in die Gewißheit hinein: Hildebrand ist tot. Den Alten belehrt er über die Gebote des Heldentums, dann schilt er ihn einen
Lügner, der sich die Rüstung unredlich erbeutet, der dem Gegner ausweichen will, und ihn listig betrügen; ein Hunne sei er, führe Böses im Schild, kein Held, ein Feigling. — Dagegen Hildebrand: gütig, bedächtig und mild, voller Verständnis für das wilde Heldentum vor ihm, gesättigt mit der Erfahrung eines langen, ruhmreichen, heimatlosen Lebens. Aber die verderblichen Worte und die schmählichen Vorwürfe des Jungen müssen die schlafenden Geister des Kampfes in dem Alten wecken, die heiße Liebe des Sohnes gerät in unlöslichen Widerstreit mit den eisernen Geboten des Heldentums, mit dem Gebot der Ehre. Dies Gebot muß siegen, den Alten zermalmt eine Macht, die stärker ist als alles Heldentum, das Schicksal. In dem Augenblick der letzten Erkenntnis verwandelt sich das Zwiegespräch in Selbstgespräch "Wehe nun, waltender Gott, Wehgeschick wird" .Die Erfindung ist das Gemeingut vieler Völker und Sagen, daß ein Vater nach jahrelanger Abwesenheit in die Heimat zurückkehrt, und daß ihm dort als erster sein Sohn entgegentritt und ihn bekämpft, weil er ihn nicht kennt. Aber die Konflikte, die solches Aufeinanderstoßen in sich birgt, und ihre Tragik sind in keiner Dichtung so rücksichtslos und so folgerichtig und erschütternd durchgeführt wie im germanischen Hildebrandslied.
Der ganze Gehalt dieser Tragik wird jedoch erst sichtbar, wenn wir dies Lied in seinen großen Zusammenhang stellen, in den Zusammenhang der Theoderich Dichtung. Hildebrand hat sein Leben seinem Herrn geopfert, dem Theoderich oder Dietrich, wie ihn die deutsche Sage nennt. Dietrichs Heimat war Italien, daraus vertrieb ihn der Haß Otakers (Odoakers). Er zog nach Osten, und Attila, der Herr der Hunnen, gab ihm gütigen Schutz, dem einsamen König und dem Recken, der ihm allein die Treue hielt. Um Dietrichs willen hatte Hildebrand die Heimat verlassen, die junge Frau und das Söhnchen, das sie ihm kaum geschenkt. Er wußte nicht, ob er sie je wiedersehen werde. Nun, nach dreißig
Jahren, kam er, der Heimatlose, in die Heimat zurück. Ihn begrüßte der Sohn, zur vollen Heldenkraft erblüht, und — hier liegt der Kern der Tragik — der alte Held wird noch einmal, grausamer als je aus dem Glück der Heimat und der Ruhe verstoßen. Nachdem in allen Schlachten der Tod ihn niemals packte, muß der Sohn ihn töten, oder er wird der Mörder des eigenen Kindes. Zu dieser Prüfung hatte ihn das Schicksal sich aufbewahrt ! Welch ' eine Zeit war es, die solche Konflikte fand und ertrug und besang!Der Dietrich der Sage ist in seinen äußeren Schicksalen dem Theoderich der Geschichte sehr unähnlich. Der Theoderich der Geschichte hat den Odoaker besiegt, Italien erobert, und in langer, gerechter und ruhmreicher Regierung beherrscht. Der Dietrich der Sage ist aus seiner Heimat von Odoaker vertrieben, findet bei dem Hunnenkönig Attila, der in Wirklichkeit gar nicht sein Zeitgenosse war, Schutz, kehrt nach langer Verbannung in die Heimat zurück und erobert sie nach langen schweren Kämpfen. In diesen verliert er seine liebsten Helden oder seine Getreuen müssen das zerstören , was doch der Inhalt und die Sehnsucht ihres Lebens war.
Zum Teil haben Verwechslungen diese Verkehrung der Dinge geschaffen. Die Dichtung erinnerte sich wohl daran, daß schon vor der Zeit des Theoderich die Goten in Italien eingedrungen waren, und leitete daraus den Glauben ab, daß Italien ihre Heimat sei. Sie vertauschte auch, wie wir das öfter beobachten können, Vater und Sohn. Theoderichs Vater war in der Verbannung bei Attila gewesen und hatte unter seinem gütigen Schutze gelebt. Theoderich selber lebte übrigens in seiner Jugend als Geisel am Hofe des oströmischen Kaisers. Dem Theodemer, dem Vater Theoderichs, wahrte der treue Gensimund Krone und Reich. In diesem Gensimund haben manche Forscher das geschichtliche Urbild Hildebrands erblicken wollen.
Dann aber, und das liegt im Wesen der Heldendichtung,
blieb im Gedächtnis der kriegerischen Goten nicht die lange Zeit des Friedens hasten, sondern die leidenschaftliche Zeit der Kämpfe, die Theoderich um Italiens Besitz führen mußte, ihre Treulosigkeit, ihre unwiederbringlichen Verluste und ihr haßerfülltes Ringen. Die Erinnerung an die Zeit der Kämpfe wird das Bild des Odoaker verzerrt haben. Später verschwand er aus der Sage und an seine Stelle trat Ermanarich. Davon erzählen dann die Dichtungen des späteren deutschen Mittelalters. Auch der Dichter des Beowulf erzählt nur in ganz wenigen Versen von den fünfzig Jahren friedlicher Herrschaft, die dem Beowulf vergönnt waren. Endlich glauben einige Forscher, daß die dem Theoderich folgenden Jahrzehnte, deren lange bittre Kämpfe zum Untergang der Goten führten, in der Erinnerung der Nachlebenden sich mit der Erinnerung an Theoderich vermischt hätten.Das Wesen des Theoderich, wie ihn seine Zeitgenossen schildern, blieb jedoch bei allem diesem Wechsel unverändert. Den Kern der Geschichte, die Persönlichkeit, hat die Dichtung nicht angetastet, , sondern geläutert und verklärt. Dietrich von Bern war, wie den Theoderich seine Zeitgenossen schildern, milde und liebreich ; er hielt die andern vom Kampfe zurück und kämpfte nur, wenn die Ehre es verlangte. Dann aber wurde offenbar, daß er stärker und tapferer war als alle seine Helden. Nie hat dieser König seine überlegenheit mißbraucht, den Seinen blieb er der gütigste Herr, für den sie gern ihr Leben und ihr Alles hingaben. Sein Wesen ruhte schön und fest in sich selbst, es strahlte von ihm ein Zauber und eine Gewalt aus, die jeden in ihren Bann zog. Man mußte ihn lieben, denn er war der freundlichste König und der leuchtendste Held.
Die Sage vom alten Hildebrand, der den eigenen Sohn erschlug, wanderte, wie gesagt, nach dem Norden, und begegnet uns dort im zwölften Jahrhundert bei dem dänischen Geschichtsschreiber Saro und in einer isländischen Saga. Hildebrand
kämpft mit seinem jüngeren Halbbruder. Beide führen wunderbare Schwerter. Das von Hildebrand zerspringt und er empfängt die Todeswunde. Der Sterbende gibt sich dem Sieger zu erkennen, der nicht ahnt, wen er überwand, dann blickt er noch einmal zurück auf sein Leben.Steht mir zu Häupten der Heerschild geborsten . . . Sind an der Zahl zehnmal acht, Lauter Männer, denen ich Mörder ward. Liegt hier der Sohn selbst mir zu Häupten, Erbsproß er, den eigen gehabt, Unwollend schuf ich sein Ende. |
Diese Verse atmen die Melancholie und die Sentimentalität der späteren isländischen Dichtung, ihnen fehlt die Kraft und die Gehaltenheit des altdeutschen Liedes. Aber in den Worten des sterbenden Helden liegt eine wunderbare visionäre Stimmung. Die Worte wiederholen, die Gedanken verwirren sich, und die Gesichte sind von einer überirdischen Klarheit. Die Geschichte und der Ruhm eines langen Lebens und endloser Kämpfe, die Namen der erschlagenen Feinde ziehen nochmals an ihm vorüber, und der eigene Sohn ist das schmerzlichste Opfer. Ihm gilt die bittere Klage und er zeigt dem Sterbenden jenes Reich, indem die anderen Helden des Alten harren.
Ganz anders, vom Boden der Heldenzeit auf den des Bürgertums verpflanzt, behaglich und guten Ausgangs ist das jüngere Hildebrandslied, das wohl im dreizehnten Jahrhundert entstand und bis in das sechzehnte Jahrhundert hinein zu den beliebtesten deutschen Heldenliedern gehörte, breit und leicht im Vortrag, unsern alten Volksliedern gleich. Vater und Sohn kämpfen; nachdem der Junge den Alten verspottet, gibt der Sohn dem Vater zuerst einen Schlag, daß der voller Schreck sieben Klafter zurückspringt. Doch er findet seinen Humor bald wieder, fragt den Jungen, ob er diesen Schlag von den Weibern gelernt,
packt ihn dann an seiner schwächsten Stelle und wirft ihn zu Boden. Den überwundenen erst fragt Hildebrand, wer er sei. Hadubrand gibt sich zu erkennen, beide erschrecken, freuen sich aber, daß ihnen nichts geschah, versöhnen sich und reiten frohgemut zu Frau Ute, der Mutter. — Ganz hat auch dies Lied das Erbe der Heldenzeit nicht verloren; den alten und den jungen Krieger stellt es hübsch gegeneinander; es charakterisiet sie duch Rede und Gegenrede. In den Worten des Hildebrand, ihm sei für sein ganzes Leben das Wandern auferlegt, klingt leise die Erinnerung an sein heimatloses Sein nach. Der Junge begehrt auch wieder die Waffen des Vaters. Die Verbissenheit Hadubrands wandelte sich aber in rühmlichen Ehrgeiz, die Schmähungen in die liebenswürdige Unverschämtheit der Jugend, er rät dem Alten, zuhause am warmen Ofen zu hocken, zum Fechten sei er zu alt, er will ihm den Bart ausraufen und ihn gefangen nehmen. Vor allem ist von der Tragik des alten Liedes nichts mehr geblieben, an ihre Stelle trat der beliebte gute Ausgang, in den im dreizehnten Jahrhundert auch andere Lieder der alten Heldenzeit mündeten. So sehr konnte sich im Laufe der Jahrhunderte das alte Hildebrandslied lockern und wandeln, dessen Gefüge uns so fest und unverletzlich scheint, und aus solchen anderen Augen sah das Heldentum der Germanen in das ausgehende Mittelalter! — Im Österreichischen und Bayerischen gerät denn zu guterletzt der alte Hildebrand als komischer Ehemann ins Märchen und haut den Ehebrecher durch, der seine Frau verführen will, im Schwertfechterspiel wechselt er mit seinem Sohn Hadubrand lustige Prahlreden. — Nun, aus Siegfried wurde ein Säufritz, der heilige Gral wurde ein Name für ein recht unheiliges Jahrmarktsfest, dem Wort grölen merkt nur der Sprachforscher seine Herkunft aus Gral an. Sogar sehr große überlieferungen geraten in Vergessenheit, , nur einzelne Töne, mutwillig und abgerissen und neckend, fliegen über die Jahrhunderte herüber.Dem Ermanarich, dem Feind des Dietrich von Bern im Mittelalter, galt auch eine heroische Dichtung.
Als am Ende des vierten Jahrhunderts die Hunnen in das Reich der Ostgoten einbrachen, gab sich ihr hochbetagter König Ermanarich, der eine weite Herrschaft über die umliegenden Stämme aufgerichtet, selbst den Tod. Die Gewalt des Einfalls und die wilden Gerüchte von der Zahl und Macht des Gegners brachen seine Widerstandskraft — so erzählt es der Geschichtschreiber Ammianus Marcellinus.
Dieser Ermanarich wurde einer der berühmten Helden der deutschen Heldensagen, der späteren deutschen Dichtung war er das Beispiel des Königs, wie er nicht sein soll.
Jordanes weiß, daß Ermanarich hundertzehn Jahre alt beim Einfall der Hunnen starb. Aber nicht genug mit Alter und Schwäche, der König siechte noch an einer schweren Wunde dahin. Die hatten ihm zwei Brüder, Sarus und Ammius beigebracht, weil sie den Tod ihrer Schwester Sunilda rächen mußten. Denn die Sunilda ließ Ermanarich an wilde Pferde binden und zerreißen. Was nun das Vergehen der Sunilda war, das eine solche entsetzliche Strafe forderte, sagt uns Jordanes wohl; aber seine Ausdrucksweise ist leider unklar und vieldeutig. Für das Wahrscheinlichste halten wir trotz allem, daß Jordanes sagen will, daß Sunilda die Gattin Ermanarichs war und daß sie ihn betrog. Ihre Brüder und sie gehörten dem Stamm der Rosomonen an, den Ermanarich vorher unterworfen hatte und der ihm widerwillig genug gehorchte. Vielleicht hatte der König, um den Stamm zu versöhnen, die Sunilda zu seiner Gemahlin erhoben; nun, bei dem Einfall der Hunnen, stachelte sie die Ihren zum Aufruhr an und mußte den Verrat mit dem Tode büßen, der einer Verräterin gebührt. Dieser Verlauf entspräche der Art germanischer Heldenlieder; von Frauen, die ähnliche Schuld auf Sich laden wie Sunilda und die sie mit ähnlicher grausamer Strafe
bezahlen, wissen longobardische Sagen. In der späteren altnordischen Dichtung ist Sunilda unschuldig; der gegen sie erhobene Vorwurf ist Ehebruch, ihre Strafe ist die gleiche wie bei Jordanes , die Rache vollziehen ihre beiden Brüder und sie töten den König nicht, aber sie verstümmeln ihn. Sarus, gotisch Sarws, heißt der Gerüstete, Ammius, gotisch Hamjis, der durch ein Zauberkleid beschützte. Die Forschung schließt, und wohl mit Recht, aus diesen Namen, daß die Brüder bei ihrem Kampf gefeite Rüstungen trugen, die kein Eisen verletzen konnte. Solche Rüstungen tragen sie noch im Altnordischen.Aus dem Gegensatz zwischen der Macht dieses völkerbeherrschenden Königs und seinem kläglichen Ende ist gewiß die Dichtung von Ermanarich erwachsen. Die Sage erklärte das Ende durch Verrat und Abfall eines der unterworfenen Völker, und den Verrat erklärte sie durch ein Ereignis, wie es das Leben und auch die Dichtung oft zeigte, durch die Treulosigkeit einer Frau.
2. Alboin
Das Hildebrandlied zeigte uns als die Merkmale des germanischen Heldenliedes: Entwicklung der Handlung und der Handelnden durch Rede und Gegenrede und durch Aussprüche, scharfe Kontrastierung der Handelnden, strenge dramatische Geschlossenheit und rasche Steigerung und schwere Konflikte.
Der Geschichtschreiber der Longobarden, Paulus Diaconus, erzählt im 8. Jahrhundert von Alboin, dem berühmtesten König der Longobarden, der in der zweiten Hälfte des s. Jahrhunderts lebte und der Italien erobert hat. Seine Taten erschollen überall , sein Ruhm wurde bei den Longobarden, den Bayern, den Sachsen und andern Völkern der gleichen Sprache gesungen. Die erste Tat vollbrachte der junge Held im Kampf mit den Gepiden: er trat darin dem Turismod, dem Sohn des Turisind entgegen, traf ihn mit seinem Schwert, daß er vom Pferde stürzte, tötete
ihn und entschied dadurch den Kampf. Die Longobarden verfolgten die Gegner. Nachdem sie soviel wie möglich von ihnen erschlagen, kehrten sie zurück und nahmen die Waffen der Gefallenen .Nach diesem glänzenden Sieg schlugen die Longobarden ihrem König vor, daß Alboin sein Tischgenoß werden solle, durch dessen Kühnheit sie ja den Sieg errungen hätten; damit er dem Vater ebenso in Gefahr wie beim Mahl ein Freund wäre. Audoin aber verwarf dies, weil nach der Gewohnheit des Volks der Königssohn nicht eher mit dem Vater speisen dürfe, bis er von einem auswärtigen König bewaffnet worden sei. Sobald dies Alboin hörte, ritt er, nur von vierzig Jünglingen begleitet , zu Turisind und erzählte ihm, aus welcher Ursache er käme. Turisind nahm ihn gütig auf, lud ihn zu Gast und setzte ihn zu seiner Rechten an der Mahlzeit, wo sonst sein Sohn zu sitzen pflegte. Als er nun so saß und als sie speisten, sah Turisind seinen Sohn im Geiste neben sich und erlebte noch einmal seinen Tod. Und nun gewahrte er, daß der Mörder seines Sohnes dort sitze, seufzte tief auf, konnte sich nicht mehr bezwingen, und in seinem Schmerz brach er endlich in die Worte aus: "Der Platz ist mir lieb, aber der Anblick des Mannes leid, der nun daraufsitzt." Durch diese Worte gereizt, hub der andere Sohn Turisinds an, der Longobarden zu spotten, weil sie unterhalb der Waden weiße Binden trügen und verglich sie Stuten, deren Füße bis an die Schenkel weiß sind, " das sind ekelhafte Mähren, denen ihr gleicht" . Einer der Longobarden versetzte hierauf, "komm mit ins Asfeld, da kannst du sehen, wie gut die, welche du Mähren nennst, mit den Hufen schlagen. Da liegen deines Bruders Gebeine wie die eines elenden Gauls, mitten auf der Wiese." Die Gepiden mochten die Schmach nicht ertragen, gerieten in Wut und wollten sich rächen. Augenblicklich faßten alle Longobarden ihre Schwertgriffe. Der König aber sprang vom Tische auf, warf sich in ihre Mitte, hielt die Seinen vom Krieg zurück und bedrohte den, welcher zuerst den Streit anheben würde: der Sieg mißfalle Gott, wenn man in seinem eignen Hause den Feind erlege. So beschwichtigte er den Zank, nahm nach vollbrachtem Mahle die Waffen seines Sohnes Turismod und übergab sie dem Alboin. Dieser kehrte in Frieden zu seinem Vater heim und wurde nun dessen Tischgenoß . Er erzählte alles, was ihm bei den Gepiden begegnet war, und die Longobarden lobten mit Bewunderung sowohl Alboins Wagstück, als Turisinds große Treue.Wir erkennen, daß dieser Bericht aus einem longobardischen Lied übersetzt ist, das noch zur Zeit des Paulus Diaconus gesungen wurde. Die Achse, um die es sich dreht, ist wieder ein Konflikt, der zwischen dem Gebot der Gastfreundschaft und dem Gebot der Rache. Die Höhepunkte sind die Aussprüche des Königs. Der eine, indem er seinem Schmerz nachgibt und der dann den Kampf zu entfesseln droht und der andere, in dem er sich bezwingt und den Kampf beschwichtigt. Diese Erfindung des Dichters, daß der König einen Augenblick unterliegt und sich dann höher als je über sich erhebt, ist von der stärksten dramatischen Kraft. In dem Augenblick, als das Unheil unabwendbar scheint, triumphiert der Beruf des Königs, der sein Volk erhalten soll, über den Schmerz des Vaters, der den liebsten Sohn verlor. Eine kurze, eindringliche Vorgeschichte leitet ein; nachdem er von Schlachten und Taten erzählt, versenkt sich der Dichter in die Empfindungen des Königs, der endlich seinen Schmerz aussprechen muß. Leidenschaftliche, aufreizende Reden folgen, die sich die germanischen Helden so gern zuwerfen und die fast immer den Kampf erzeugen, und sie erhöhen sich hier rasch in atemloser Spannung. Dann bannt der König das Unheil, das er, wie er nun erkennt, selbst heraufbeschwor, und in einem kurzen versöhnenden Bericht, der beide Helden preist, klingt das Lied aus. Die beiden Charaktere sind sehr schön gegeneinander gestellt, der alte, milde König, den der Schmerz bezwingt und der sich dann königlicher als je bewährt, und der junge tollkühne Held, der im Rausch des Sieges mit kleinem Gefolge mitten in das feindliche Lager reitet und im wilden Trotz gerade von dem die Waffen fordert, dessen Sohn er erschlagen und den dann der Edelmut doch überwältigt und fast beschämt, den ihm der feindliche König zeigt.
Ker weist darauf hin, daß Homer in der Ilias eine vergleichbare Szene hat: Achill hat den Hektor erschlagen und seinen
Leichnam geschändet und der alte Priamus bittet den Mörder seines Sohnes, daß er ihm die Leiche gebe. Wie anders aber erzählen der griechische und der germanische Dichter! Homer mildert die schreckliche Szene, wo er sie nur mildern kann, er breitet sein ganzes weiches Mitleid darüber aus. Die Götter beschützen den Priamus und leiten ihn mit gütiger Hand und Achill, von tiefem Erbarmen erfüllt, des eigenen alten Vaters gedenkend, erquickt den Priamus durch Essen und Schlaf und durch freundliche Worte. — Der germanische Dichter weiß nichts von Weichheit, in seinem Liede weht und wirbelt die ganze wilde Art der Jugend, die keine Schonung kennt und die eigensinnig Ruhm will und die eigenen Heldentaten überjagen muß. Die ganze Gefahr, die ganze Kühnheit des jungen, den ganzen Schmerz des alten Königs läßt das Lied uns auskosten; an der Härte des Konfliktes will der Dichter seine Hörer härten und der Edelmut des alten Königs soll ihnen ein großes und leuchtendes Vorbild werden. Wohl ist das germanische Lied in seinem Äußern barbarisch, aber das Heldentum und die Kraft der Selbstüberwindung, die seine sittliche Voraussetzung bilden, haben die Germanen von allen Völkern der Welt allein.Von Alboin erzählt derselbe Paulus Diaconus weiter:
Nach Turisinds Tod brach dessen Sohn und Nachfolger Cunimund, um das alte Leid zu rächen, aufs neue den Frieden mit den Longobarden. Alboin aber schlug und vernichtete die Feinde, erlegte den Cunimund selber und machte sich aus dessen Schädel eine Trinkschale. Cunimunds Tochter Rosimund führte er mit vielen anderen in die Gefangenschaft und nahm sie darauf zu seiner Gemahlin. Eines Tages sah Alboin zu Verona länger, als es gut war, fröhlich am Mahl, er befahl der Königin in jener Schale Wein zu schenken, die er aus ihres Vaters Haupt gemacht hatte, und sprach zu ihr: " Trinke fröhlich mit deinem Vater!" Rosimund empfand tiefen Schmerz, bezwang sich gleichwohl und sann auf Rache. Sie wandte sich aber an Helmichis, des Königs Waffenträger (Schiltpor) und Milchbruder, und bat ihn, daß er den Alboin umbringe. Dieser riet ihr, den Peredeo, einen
tapfern Helden, ins Verständnis zu ziehen. Peredeo wollte aber mit dieser Untat nichts gemein haben. Da barg sich Rosimund heimlich in ihrer Kammermagd Bett, mit welcher Peredeo vertrauten Umgang hatte; und so geschah's, daß er unwissend dahin kam und bei der Königin schlief. Nach vollbrachter Sünde fragte sie ihn: Für wen er sie wohl halte? und als er den Namen seiner Freundin nannte, sagte sie: "Du irrst dich sehr, ich, Rosimund bin's; und nun du einmal dieses begangen hast, gebe ich dir die Wahl, entweder den Alboin zu ermorden oder zu erwarten, daß er dir das Schwert in den Leib stoße." Da sah Peredeo das unausweichliche übel ein und bewilligte gezwungen des Königs Mord.Eines Mittags also, wie Alboin eingeschlafen war, gebot Rosimund Stille im ganzen Schlosse, schaffte alle Waffen beiseits und band Alboins Schwert an die Bettstelle stark fest, daß es nicht weggenommen, noch aus der Scheide gezogen werden mochte. Dann führte sie, nach Helmichis Rat, grausamer als ein wildes Tier, Pereheo herein. Alboin, aus dem Schlafe erwachend, sah die Gefahr, worin er schwebte, und wollte schnell sein Schwert ergreifen; da er's nicht losbringen konnte, griff er den Fußschemel und wehrte sich eine gute Weile tapfer damit. Endlich aber mußte dieser kühne und gewaltige Mann, der so viele Feinde besiegt hatte, durch die List seiner Frau wehrlos unterliegen. —
Schon Gregor von Tours, der Franke, weiß von Alboins Tod: er habe nach dem Tode seiner ersten Frau eine andere zur Frau genommen, deren Vater er kurze Zeit vorher getötet. Deshalb hegte sie immer einen Groll gegen ihren Gemahl und wartete nur auf eine günstige Gelegenheit, um das Unrecht zu rächen, das der Vater erlitten. So geschah es, daß sie auf einen von Alboins Leuten ihr Auge warf und ihren Gemahl durch Gift umbrachte.
Dieser Bericht klingt neben dem des Paulus Diaconus recht farblos, und weicht in einem entscheidenden Zug, in der Todesart des Alboin, wesentlich oon ihm ab. Er steht wohl den wirklichen Vorgängen näher. Das Mehr und das Andere bei Paulus Diaconus sind grade dichterische Motive: die unbesonnene, leichtfertige und grausame Kränkung der Rosimund beim Gastmahl, die Selbstentehrung der Rosimund, die Treulosigkeit der Treuesten,
der schmähliche Untergang des Alboin; ihm fehlt in der Todesstunde die Waffe, er muß sich der Feinde mit einem Schemel erwehren , er stirbt den ruhmlosen Bettod.Solch jämmerliches Ende war in der germanischen Heldendichtung manchem Helden beschieden. Von dem Goten Turismod erzählt Jordanes: während er sich zur Ader ließ, wurde er von einem ihm feindlich gesinnten Diener angegriffen; der hatte ihm vorher die Waffen versteckt und ihm angekündigt, daß seine Feinde kämen. Aber mit einer freien Hand ergriff Turismod einen Schemel und erschlug damit einige der Andringenden, bis er ihrer Übermacht erlag. — In der späteren dänischen Dichtung von Amleth stirbt Amleths Oheim, nachdem ihm der Neffe das Schwert genommen und an seine Stelle das eigene, unbrauchbar gemachte, in die Scheide gesteckt hatte. Amleth vollstreckt seine Rache mit Hilfe seiner Mutter, die dem Oheim als Gattin gefolgt war.
Noch auffallender sind die Ähnlichkeiten der Schicksale Siegfrieds und Alboins. Wie Alboin verletzt Siegfried, ohne das zu ahnen, tötlich die Ehre einer Frau, der Brünhild, diese verleumdet ihn, verwandelt dadurch seine Blutsbruder in seine Feinde, die ihn ermorden: nach nordischen Berichten erschlugen sie den Waffenlosen im Bett. — Die Ehe eines Fürsten mit der Tochter des Königs, den er gefällt, ist in manchen germanischen Liedern der Anfang des Unglücks, und die Treuen wandeln sich oft in Treulose . — In ihren Motiven, in ihren Kontrasten, im tragischen Gegeneinander von heldenhaftem Leben und unheldischem Tod, von heller jugendlicher Unbesonnenheit und dunklem Ränkespiel, auch in ihren Seelenkämpfen, im Widerstreit des Verlangens nach Leben mit dem Verlangen nach Treue und Ehre — in dem allem ist die Alboindichtung bis in den letzten Faltenwurf germanische Kunst.
Allerdings enthält sie ein Motiv, das uns befremdet. Wozu
Helmichis und Peredeo? War nicht ein Mörder genug, wie bei Gregor? Sollte die Verdoppelung das Wert eines lombardischen Spielmanns sein, dem Tragik weniger galt als Reichtum der Handlung? Das Recht zu diesen Fragen bestätigt ein Blick auf die weitere Geschichte der Rosimund, die uns Paulus Diaconus noch erzählt.Nach Alboins Tode dachte Helmichis das Reich zu bekommen, allein die Longobarden hinderten das und stellten ihm, vor tiefem Schmerz über ihres Herrschers Ermordung, nach dem Leben. Also entflohen Helmichis und Rosimund, jetzt seine Gemahlin, auf einem Schiffe, das ihnen Longinus, Vorsteher zu Ravenna, gesandt hatte, nachts aus Verona, entwandten Albsuind, Alboins Tochter erster Ehe, und den ganzen longobardischen Schatz. Wie sie zu Ravenna angelangt waren, nahm Rosimundens Schönheit auch den Longinus ein, und er beredete sie, den Helmichis zu töten und sich hernach ihm zu vermählen. Zum Bösen aufgelegt und wünschend, Ravennas Herrin zu werden, reichte sie dem Helmichis, als er aus dem Bad kam, einen Becher Gift; er aber, sobald er merkte, daß er den Tod getrunken, zog das Schwert über sie und zwang sie, was im Becher geblieben war, auszuleeren. So starben diese beiden Mörder durch Gottes Gericht zu einer Stunde. Longinus schickte Albsuind und die lombardischen Schätze nach Konstantinopel zum Kaiser Tiberius. Einige erzählen: auch Peredeo sei mit Helmichis und Rosimund nach Ravenna gekommen und ebenfalls mit Albsuinden nachher zu Tiberius gesandt worden.Er soll zu Konstantinopel Beweise seiner großen Stärke gegeben und einmal im Schauspiel vor dem Kaiser und allem Volk einen ungeheuren Löwen erlegt haben. Aus Furcht, daß er kein Unheil stifte, ließ ihm der Kaiser die Augen ausstechen. Peredeo schaffte sich zwei kleine Messer, barg sie in seinen Ärmeln und ging in den Palast unter dem Vorwand, er habe dem Kaiser etwas Wichtiges zu offenbaren. Dieser sandte zwei seiner vertrauten Diener, daß sie ihn anhörten; alsbald nahte er sich ihnen, als wolle er etwas Heimliches entdecken, und schlug ihnen mit seinen beiden kleinen Schwertern solche Wunden, daß sie zur Stelle hinsanken und ihren Geist aufgaben. So rächte dieser tapfere Mann, dem Simson nicht ungleich, seiner beiden Augen Verlust an dem Kaiser durch den Verlust zweier wichtiger Hofmänner.Klingt das alles nicht stärker nach einem byzantinischen Roman
als nach einer deutschen Heldendichtung? Spätantike Einwirkungen haben wohl eine germanische Erzählung auf einen Boden gedrängt, auf dem sie entartete.Daß der Vertraute eines Königs, durch die Königin bestochen, der Feind des Königs wird, und daß die Gattin dem Helden, den sie beseitigen will, vorher das Schwert nimmt, das erzählt uns schon Herodot als Schicksal alter griechischer Könige.
3. Der Untergang der Heruler
Als die Heruler und Longobarden ihren Krieg durch ein Friedensbündnis aufheben wollten, sandte König Rodulf seinen Bruder zu König Tabo, daß er alles abschließen solle. Nach beendigtem Geschäfte kehrte der Gesandte heim; da geschah es, daß er unterwegs vorbeiziehen mußte, wo Rumetrud wohnte, des longobardischen Königs Tochter. Diese sah die Menge und die Vornehmheit seines Gefolges, fragte, wer das wohl sein möchte, der einen so hohen Dienst um sich hätte und hörte, daß es der herulische Gesandte, Rodulfs leiblicher Bruder wäre, der in sein Land heimzog. Da schickte sie einen zu ihm und ließ ihn laden, ob er kommen wollte, einen Becher Wein zu trinken. Ohne Arg folgte er der Ladung, aber die Jungfrau spottete voller Verachtung seiner aus Übermut, weil er klein von Gestalt war und sprach höhnende Reden. Er dagegen, übergossen von Scham und Zorn, stieß noch härtere Worte aus, also daß die Königstochter viel mehr beschämt wurde und innerlich vor Wut entbrannte. Sie konnte ihr Herz nicht bändigen und beschloß, das Verbrechen auszuführen, das sie im Sinn hatte. Allein sie verstellte ihre Rache und versuchte mit heiterer Miene, ihn durch ein freundliches Gespräch zu besänftigen und lud den Jüngling zum Sitzen ein. Den Sitz aber wies sie ihm da an, wo in der Wand eine Luke war, darüber sie gleichsam zu des Gastes Ehren einen köstlichen Teppich hängen lassen, eigentlich aber wollte sie damit allen Argwohn entfernen. Nun hatte sie, erbarmungsloser als ein wildes Tier, ihren Dienern befohlen, sobald sie zu dem Schenken das Wort sprechen würde "mische den Becher", daß sie durch die Luke des Gastes Schulterblatt durchstoßen sollten und so geschah es auch. Denn bald gab das grausame Weib jenes Zeichen und der Gast sank, mit Wunden durchbohrt, zur Erde.
Da König Rodulf von seines Bruders Mord Kundschaft bekam,
klagte er schmerzlich und entbrannte nach Rache; alsbald brach er den neuen Bund und sagte den Longobarden Krieg an. Wie nun der Schlachttag erschien, war Rodulf seiner Sache so gewiß, daß ihm der Sieg unzweifelhaft deuchte, und während das Heer ausrückte, er ruhig im Lager blieb und Schachtafel spielte. Denn die Heruler waren dazumal im Kampf wohl erfahren und durch viele Kriege berühmt. Um freier zu fechten, oder als verachteten sie alle Wunden, pflegten sie auch nackend zu streiten und nichts als die Scham zu bedecken an ihrem Leibe.Als nun der König, wie gesagt, fest auf die Tapferkeit der Heruler baute und ruhig Tafel spielte, hieß er einen seiner Leute auf einen nahestehenden Baum steigen, daß er ihm der Heruler Sieg desto schneller verkündige; doch mit der zugefügten Drohung: "Meldest du mir von ihrer Flucht, so ist dein Haupt verloren." Der Knecht sah nun, daß die Reihen der Heruler wichen und daß die Longobarden sie zurückwarfen. Der König fragte mehrmals, was die Heruler täten, er antwortete nur, daß sie tapfer kämpften, und er wagte das Unheil, das er kommen sah, nicht eher zu verkündigen, bevor das ganze Heer dem Feinde den Rücken kehrte. Da brach er endlich und zu spät in die Worte aus: "Weh dir Herulerland, der Zorn des Himmels hat dich betroffen!" Das hörte Rodulf und sprach: "Wie, fliehen meine Heruler?" "Nicht ich," rief jener, "sondern du König hast dies Wort gesprochen." Da traf den König Schrecken und Verwirrung, daß er und seine umstehenden Leute keinen Rat wußten, und bald die longobardischen Haufen einbrachen und alles erschlugen. Und es fiel Rodulf, ohne männliche Tat. über der Heruler Macht aber, wie sie hierhin und dorthin zerstreut wurde, waltete Gottes Zorn schrecklich. Denn als die Fliehenden blühende Flachsfelder vor sich sahen, meinten sie vor einem schwimmbaren Wasser zu stehen, breiteten die Arme aus, in der Meinung zu schwimmen, und sanken grausam unter der Feinde Schwert. Die Longobarden aber trugen unermeßliche Beute davon und teilten sie im Lager; Rodulfs Fahne und Helm, den er in den Schlachten immer getragen hatte, bekam Tato, der König. Von der Zeit an war alle Kraft der Heruler gebrochen, sie hatten keine Könige mehr; die Longobarden jedoch wurden durch diesen Sieg reicher und mächtiger als je vorher. —
Auch der Geschichte dieser Dichtung können wir folgen. Die Heruler wurden 510 nach Christus vernichtet. Im s. Jahrhundert schildert Procop, der Geschichtschreiber, ihre Vernichtung so:
In der Zeit, als Anastasius römischer Kaiser wurde, hatten die Heruler keinen Gegner mehr, den sie hätten bekriegen können, legten die Waffen nieder und blieben drei Jahre hindurch ganz ruhig. Das konnten sie aber nicht länger aushalten; sie überhäuften ihren König Rodulf mit Vorwürfen, nannten ihn einen weibischen Schwächling, beschimpften und verhöhnten ihn auf die schamloseste Weise. Rodulf wollte diese Schmach nicht ertragen und zog gegen die Longobarden, die gar nichts verbrochen hatten, ohne ihnen eine bestimmte Sache, etwa die Verletzung der bestehenden Verträge vorzuwerfen, sondern wie aus Mutwillen. Als das die Longobarden erfuhren, schickten sie Gesandte an Rodulf, um die Ursache zu erfahren, derentwegen die Heruler gegen sie zu Felde zögen. Wenn sie zu wenig Tribut bekommen hätten, so sollten sie das Fehlende sofort erhalten und hohe Zinsen dazu, oder wenn ihnen der Tribut zu gering erscheine, so würden die Longobarden nicht säumen, ihn zu erhöhen. Mit solchen Vorschlägen kamen die Gesandten, wurden aber von Rodulf unter heftigen Drohungen abgewiesen. Eine zweite Gesandtschaft wurde abgeordnet, die unter vielem Flehen um Schonung bat. Als auch sie fortgeschickt ward, kamen zum drittenmal Gesandte zu Rodulf und beschworen ihn, die Heruler sollten doch nicht so ganz ohne Vorwand den Krieg vom Zaune brechen. Denn wenn jene in solcher Art auszogen, so würden sie, sehr wider ihren Willen, nur der Not gehorchend, dem Angriff Widerstand leisten. Gott riefen sie zum Zeugen an, auf dessen Wink selbst ein leichter Nebelhauch jeder menschlichen Gewalt wehren könne. Gott kenne die Ursachen dieses Krieges und werde darnach den Ausgang des Kampfes lenken. So sprachen sie, da sie immer noch hofften, die Angreifer von ihrem Vorhaben abwendig zu machen. Aber die Heruler blieben taub für all diese Vorstellungen und wollten mit den Longobarden kämpfen. Als sie sich nun dicht gegenüberstanden, lagerte sich über den Longobarden eine dicke, schwarze Wolke, über den Herulern dagegen war die Luft ganz klar. Ein Zeichenkundiger hätte daraus entnehmen können, daß es den Herulern in diesem Kampf schlecht gehen würde; denn ein schlimmeres Zeichen konnte ihnen gar nicht zuteil werden. Aber auch hierauf gaben die Heruler nicht acht, sondern gingen leichtsinnig und hochmütig auf ihre Gegner los, weil sie sich auf ihre überzahl verließen. In dieser Schlacht fiel ein großer Teil der Heruler, unter andern auch Rodulf; die übrigen flohen in völliger Auflösung, ohne an Gegenwehr zu denken. Auch auf der Flucht wurden noch sehr viele von den nachsetzenden Feinden niedergemacht, und nur wenige entkamen.
Ungefähr wie Procop das erzählt, werden die Heruler wirklich untergegangen sein. Daß sie ein wildes, ungebärdiges, tollkühnes Volk waren, melden auch andere Zeugnisse. Auf uns wirken die Heruler wie die Nachfahren der Cimbern und Teutonen, aus Dänemark kamen sie, dorthin kehrten sie zurück, sie stürmten, Bewunderung und Grauen weckend, durch ganz Europa. Wenn sie ihnen nicht gefielen, töteten sie die eigenen Könige, ihre Greise mußten auch fallen. Mit den Römern gingen sie nicht viel glimpflicher um. In den Adern des dänischen Kämpen Starkad scheint noch echtes herulisches Blut zu fließen.
Einfache Wiedergabe der Tatsachen ist aber die Erzählung Procops nicht, sie flattert schon zu den Höhen der Dichtung. Den langmütigen und doch so kampfstarken Longobarden stellt sie, ein echt germanisches Gegenbild, die unbesonnenen Heißsporne, die Heruler, gegenüber; Volk gegen Volk steht wie Sonst Held gegen Held, wie Hildebrand gegen Hadubrand, wie Turisind gegen Alboin. Mit Bedacht steigert sich die dreifache Bitte der Longobarden; sie erreicht ihre Höhe in einer feierlichen Beschwörung der Götter. Auch der alte Hildebrand ruft ja Gott als Zeugen an. Schon in einem Bericht des Tacitus über den Untergang der Amsioaren, tapferer Männer, die, vertrieben, die Römer umsonst um Grund und Boden bitten, wendet der Häuptling seine Augen zur Sonne, ruft die übrigen Gestirne an und stellt sie öffentlich zur Rede: " ob sie leeren Grund und Boden bescheinen wollen? Sie möchten lieber das Meer wider diejenigen ausschütten, welche also den Menschen das Land entzögen." — Der Untergang der Heruler ist aus natürlichen Ursachen zu erklären , sie stehen im Sonnenschein, in dem ihre nackten Leiber aufglänzen und sind für Speere und Pfeile der Longobarden das beste Ziel, sie selbst sind geblendet und erkennen den beschatteten Feind nicht, können daher auch die Waffen nicht auf ihn schleudern. —Eben diese Verteilung von Wolken und Sonne war
das Werk Gottes, dessen Zorn die Heruler, die Gebote des Rechts mißachtend, auf ihre Unbesiegbarkeit pochend, heraufbeschworen. Von der Geduld des starken und gerechten Königs, dem frevelhaften Übermut des Angreifers, dem Strafgericht des Schicksals erzählt die germanische Überlieferung schon früh. Bei Jordanes hören wir von dem Gepvdenkönig Fastida, der, stolz über einen Sieg, durch den er die Burgunder fast vernichtet, von Ostrogotha fordert, er solle ihm Land abtreten oder mit ihm kämpfen. Ostrogotha weist die Forderung ernst zurück: er werde sich schwer entschließen, einen Krieg mit Verwandten zu führen, der Gott mißfalle, aber Land gebe er nicht her. Ein harter Kampf ist die Folge, die gute Sache gibt den Goten den Sieg.Ostrogotha, er lebte im J. Jahrhundert, auch das altenglische Gedicht Widsith nennt ihn, ist der älteste König, von dem die germanische Heldendichtung weiß. —
Aus diesen Motiven: aus der Gegensätzlichkeit der kämpfenden Völker, aus der frevelhaften Herausforderung des Schicksals, aus dem Eingreifen der Götter, aus der Vernichtung eines Volkes, ist die Dichtung vom Untergang der Heruler gewachsen, die wir dem Paulus Diaconus verdanken.
Sie verteilt Licht und Schatten anders. Den Herulern wird noch ihr Selbstvertrauen zum Verderben, aber sie sind nicht mehr das frevelhaft herausfordernde Volk. Ludwig Uhland sagt: "Rodulfs kühne Gestalt ist mit Vorliebe hingestellt, die siegenden Longobarden selbst mit ihrer verräterischen Königstochter stehen im Schatten. Der tragische Glanz haftet auf dem untergehenden Heldenvolk, das im blühenden Leinfeld sein Grab findet." — Eben weil sie untergingen, haben sich die Heruler im Gedächtnis der Nachlebenden verklärt, ihren Besiegern wurde die überhebung zugeschoben, die den Krieg verschuldet. Die Anstifterin des Unheils ist eine Frau, wie in der germanischen Heldendichtung oft. Rumetruds Verrat wirkt eher wie oströmische als wie germanische
Hinterlist, wenn sie aber über die Gestalt des Gesandten spottet, ist sie die germanische Fürstin, noch in unserm Märchen von Drosselbart ist der Prinzessin das Aussehen und der Wuchs keines Freiers recht. Der Germane will seine Helden groß, sehnig, schlank; gegen Spott über Wuchs und Gestalt war er besonders empfindlich: ein Gote erstach seinen König Athaulf, weil der seine Kleinheit verhöhnte. —Wie die Burgunden, todgeweiht, den Hof Etzels betreten, schildert der Dichter unsres Nibelungenliedes den Hagen: die Brust breit, die Beine lang, den Gang stolz, das Haar ergraut, den Blick scharf und furchterregendHöhe und Mitte des Liedes ist wieder ein Ausruf: "Wehe dir Herulerland, der Zorn des Himmels hat dich getroffen" — wie ähnlich klingt er dem Weheruf des alten Hildebrand! Es folgt die Verblendung, stärker, toller als die bei Procop — in einem solchen jähen Schrecken, der auch die tapfersten Heere in wilde, sinnlose Flucht treibt, endet manche heroische Dichtung der Germanen.
Der Untergang der Heruler zeigt uns die Königszeichen des germanischen Heldenliedes reiner und mächtiger als der Bericht von Alboins Ende. Das Vorspiel, die Verhöhnung und der Mord des Gesandten, steigert Rede und Gegenrede in verderblicher, rascher Folge (sie fragte ihn, sie hörte, sie ließ ihn laden, sie spottete, sie sprach höhnende Reden, er stieß noch härtere Worte aus usw.). Dem Verrat der Königstochter folgt eine verweilende und doch weiterführende Schilderung; sie stellt beide Heere und Völker gegenüber und weist uns auf den siegesgewissen, kindlichen König. Den entscheidenden Ausruf bereitet wieder ein lebhafter dramatischer Wortwechsel vor, der Schluß ist wieder Schilderung, diesmal nicht verweilend, sondern rasch und erregt und zugleich großartig: Schlag auf Schlag, in gewaltigen, erbarmungslos herabsausenden Streichen erfüllt sich das Schicksal
und vernichtet ein ganzes Volk. — Der Dichter dieses Liedes war ein Meister des Aufbaus!In allem Wesentlichen ist unser Lied unter den germanischen Heldenliedern ein Meisterstück. Ein Spielmann, ein Verwalter des Erbes der Antike auf antikem Boden, hat es dann mit spielmännischen Motiven geschmückt. Den ersten Verrat trug er, wie wir sahen, in byzantinischer Art vor; die Drohung des Königs "du bist des Todes, wenn du mir die Flucht der Heruler meldest " und die List des Boten "Nicht ich, sondern du, König, hast es gesagt" (daß die Heruler fliehen) sind nachgewiesen als ein in vielfältigen Variationen behandeltes spielmännisches Thema, auch das Schachspiel als Zeichen der Sorglosigkeit und die Auffassung der blaugrünen Flachsfelder als Teiche scheinen spielmännische Erfindung.
Einzelne Szenen des Herulerliedes, sogar die Art seiner Tragik haben im dänischen Heldenlied des 10. Jahrhunderts ihre Seitenstücke . Das Lied von Wermund und Uffe beginnt mit der frechen Herausforderung eines Gesandten; beim Entscheidungskampf sagt der alte blinde König, er werde sich in die Fluten stürzen, wenn sein Sohn unterliege, und als er den Klang seines Schwertes und den Bericht vom Sieg seines Sohnes gehört, bricht er in Tränen der Freude aus. — Das Lied von der Brawallawlacht erzählt, wie Odhin Zwietracht zwischen Dänen und Schweden sät, die vorher friedlich nebeneinander lebten. Der König der Dänen ist, da ihm Odhin immer geholfen, seines Sieges gar zu sicher: aber in dieser Schlacht entnimmt er, selbst erblindet, dem traurigen Gemurmel der Seinigen, daß seine Scharen weichen, von seiner gerechten Sache wendet Odhin sich ab, er gibt dem Feind Hilfe und bereitet dem alten Schützling, durch alle Bitten ungerührt, einen grausamen Tod.
4. Heldenleben und Heldentod
Die reifste Frucht der germanischen Heldendichtung war das Heldenlied. Tragische Kämpfe der Geschichte waren der Boden, auf dem es wuchs; zuerst wurden sie erzählt, wie sie sich zutrugen: dann gestalteten sich ihre dichterischen Elemente. Zwischen dem Lied hier, der Geschichte dort steht auch in germanischer Zeit die geschichtliche Volkssage, die Heldensage im engeren Sinn. Aus ihrem Schatz hat uns Paulus Diaconus manches gerettet.
Wir erzählen zuerst die longobardische Sage von Lamissio.
Zu den Zeiten Agelmunds, des longobardischen Königs, trug es sich zu, daß ein Weib dieses Volkes sieben Knäblein auf einmal gebar und, um der Schande zu entgehen, eine Mutter grausamer als alle wilden Tiere, sie in einen Fischteich warf. Bei diesem Teich ritt der König gerade vorüber, sah die elenden Kinder liegen, hielt sein Pferd an und wandte sie mit dem Spieß, den er in der Hand trug, von einer Seite auf die andere um. Da griff eines der Kindlein mit seinen Händchen den königlichen Spieß fest. Der König, voller Mitleid und voller Staunen, glaubte, daß aus diesem Kinde ein besonderer Mann werden würde und befahl, es aus dem Fischbehälter zu ziehen und übergab es einer Amme, die es mit aller Sorgfalt säugen sollte. Und weil er ihn aus dem Fischteich, der in ihrer Sprache Lama heißt, gezogen hatte, legte er dem Kind den Namen Lamissio bei. Es erwuchs, wurde ein streitbarer Held, wie er denn auch als der Kampffreudigste sich bewährte und über die Longobarden herrschte. —
Eine sehr ähnliche Sage gilt dem longobardischen König A i st ulf. Beide beruhen auf einem alten grausamen Brauch, auf der Aussetzung schwacher Kinder, die den Eltern unwillkommen waren und der Mutter hier doppelt unerwünscht, weil viele gleichzeitig geborene Kinder als Zeichen des Ehebruchs galten. Das Heldenhafte an diesen Berichten ist, daß der Held, kaum geboren, durch rasche Entschlossenheit und kühnes Zugreifen sein natürliches Heldentum bewährt. Von andern Helden weiß die germanische Sage, wie auch die Sage andrer Völker, sie seien den Wölfen oder starken Bären entsprossen, oder als Knäblein von der Milch
der Wölfe gesäugt. Der kaum auf die Welt gekommene Wolfdietrich im späten mittelhochdeutschen Gedicht spielt am Rande eines Teiches freundlich mit den Wölfen, die sich zu ihm drängen, und faßt in ihre glühenden Augen.Zu dem kleinen Skyld legten die Männer, die ihn allein über das Meer schickten, leuchtende Waffen aufs Fahrzeug. —Von ähnlichem Geblüte und ähnlicher Tapferkeit war der longobardische Knabe Grimoald.
Die Longobarden waren von den Hunnen überfallen worden und mußten fliehen. Doch entrannen Taso und Romoald, Gisulfs älteste Söhne, glücklich; und weil sie Grimoald, ihren jüngsten Bruder, noch für zu klein hielten, ein Roß zu besteigen, so dachten sie, " es wäre besser, daß er stürbe, als in Gefangenschaft fiele", und wollten ihn töten. Und schon war der Speer gegen den Knaben erhoben, da rief Grimoald mit Tränen: "Erschlag mich nicht, denn ich kann mich schon auf dem Pferde halten." Sein Bruder ergriff ihn beim Arm und setzte ihn auf den bloßen Rücken eines Pferdes. Der Knabe faßte die Zügel bei der Hand und folgte seinen fliehenden Brüdern nach. Als die Hunnen das sahen, stiegen sie rasch auf ihre Pferde und verfolgten sie. Aber während die andern durch rasche Flucht entkamen, wurde Grimoald, der Knabe, von einem, der schneller geritten war, gepackt. Doch mochte ihn dieser mit dem Schwert nicht töten, weil er gar zu klein war, sondern gedachte ihn als Diener zu behalten. Er kehrte ins Lager zurück, hielt das Pferd des Knaben am Zügel und frohlockte über die edle Beute. Denn der Knabe war schlanker Gestalt, leuchtenden Auges und lang wallte sein helles Haar herab. Da riß Grimoald, den es schmerzte, daß man ihn als Gefangenen fortschleppte, das kleine Schwert, das er noch trug, aus der Scheide und hieb mit der Kraft, die ihm gegeben war, den Hunnen, der ihn zog, grad auf seinen Scheitel. Der Hieb drang bis ans Gehirn und der Feind stürzte vom Pferd. Der Knabe Grimoald aber ritz sein Pferd herum und ergriff froh noch einmal die Flucht. Endlich erreichte er die Brüder und machte ihnen durch seine Befreiung und durch die Botschaft vom Tode des Feindes unsägliche Freude.
Näher dem Lied steht die longobardische Geschichte von der Brautfahrt des Authari.
Authari, König der Longobarden, sandte nach Bayern zu König Garibald und ließ um dessen Tochter Theodelind (Dietlind) freien. Garibald nahm die Botschaft freundlich auf und sagte die Braut zu. Auf diese Botschaft hatte Authari Lust, seine Verlobte selbst zu sehen, nahm wenige aber geprüfte Leute mit, und darunter seinen Getreuesten, der als Ältester den ganzen Zug anführen sollte. So langten sie ohne Verzug in Bayern an und wurden dem König Garibald in der Weise anderer Gesandten vorgestellt; der Älteste sprach den üblichen Grutz, hernach trat Authari selbst, der von keinem Bayer erkannt wurde, vor und sprach: "Authari, mein Herr und König, hat mich deshalb hierher gesandt, daß ich seine bestimmte Braut, die unsre Herrin werden soll, schaue und ihm ihre Gestalt genau berichten könne." Auf diese Worte hieß der König seine Tochter kommen, und als sie Authari stillschweigend betrachtet hatte, auch gesehen, daß sie schön war, und seinen Augen gefiel, redete er weiter: " Weil ich, v König, deine Tochter fo gestaltet sehe, daß sie wert ist, unsre Königin zu werden, möge es dir belieben, daß ich aus ihrer Hand den Weinbecher empfange." Der König gab jemen Willen dazu, Dietlind stand auf, nahm den Becher und reichte zuerst dem zu trinken, der unter ihnen der Älteste zu sein schien; hernach schenkte sie Authari ein, von dem sie nicht wußte, daß er ihr Bräutigam war. Authari trank, und beim Zurückgeben des Bechers rührte er leise mit dem Finger, ohne daß jemand es merkte, Dietlindens Hand an, darauf fuhr er sich selbst mit der Rechten, von der Stirn an über die Nase, das Antlitz herab. Die Jungfrau, von Scham errötend, erzählte es ihrer Amme. Die Amme versetzte: "Der dich anrührte, muß wohl der König und dein Bräutigam selber sein, sonst hätte er's nimmer gewagt: du aber schweige, daß es dein Vater nicht vernehme; auch ist er so beschaffen von Gestalt, daß er wohl wert scheint, König und dein Gemahl zu beitzen."Authari war schön in blühender Jugend, von blondem Haar umflossen , schlank von Gestalt und eine Weide den Augen. Bald darauf empfingen die Gesandten Urlaub beim König und zogen, von den Bayern geleitet, heim. Da sie aber nahe an der Grenze und die Bayern noch in der Gesellschaft waren, richtete sich Authari, so viel er konnte, auf dem Pferde auf und stieß mit aller Kraft ein Beil, das er in der Hand hielt, in einen nahestehenden Baum. Das Beil haftete fest und er sprach: "Solche Würfe pflegt König Authari zu tun!" Aus diesen Worten verstanden die Bayern, die ihn geleiteten, daß er selber der König war. —
Auch Brautfahrten waren ein beliebtes Thema der germanischen Heldensage; recht früh haben sich ihrer die Spielleute bemächtigt . In der Brautfahrt des Authari fällt uns der heroische Zug sofort auf: dem Alboin gleich, mit geringem Gefolge, wagt sich Authari an den Hof des fremden Königs. Sein Tatendrang und sein lachender Übermut gewinnen ihm unsre Herzen. Am Hof des Königs, den erprobten Ratgeber zur Seite, wahrt er die Würde, auf der Rückfahrt kann er es nicht lassen, er muß durch eine Kraftprobe den bayrischen Begleitern verraten, wer er ist. Die dramatische Bewegtheit, das rasche Tempo, Rede und Gegenrede , die Kunst der Charakterzeichnung hat der Bericht mit dem germanischen Heldenlied gemein, es ist ein Akt mit schöner Szenenfolge , noch nicht das ganze Drama. Beim Gelage rühmten sich die germanischen Helden gern ihrer Taten, da erzählte Beowulf von seinem Wettkampf mit Breca und Alboin von seinen frühen Siegen; in diese Reihe gehört auch die Tat des Authari. Der dramatische Griff des Erzählers ist das Motiv, daß der junge Held bei seiner Tat unerkannt bleibt, daraus ergeben sich die Spannungen. Das deutsche Spielmannsgedicht vom König Rother, eigentlich einem longobardischen König geltend, im 12. Jahrhundert stark erweitert, hatte vielleicht einen ähnlichen heroischen und dramatischen Lichtkern.
Die Unerkanntheit des Authari hatte nun außer dem dramatischen noch einen novellistischen Wert. .Dieser zog die Spielleute des Mittelalters stärker an und sie haben ihn vielfältig gesteigert. Schon die alten Longobarden hatten für diese Novellen einen feinen Sinn. Man höre die Geschichte von unsrer Dietlind.
Als Authari gestorben war, gefiel Dietlind den Longobarden so, daß sie ihr die königliche Würde lassen wollten, wenn sie einen Mann sich gewählt habe, der das Königtum verdiene. Sie beriet sich mit ihren klugen Ratgebern und wählte den Agilulf, den Herzog von Turin
sich zum Gemahl, den Longobarden zum König. Denn er war stark und streitbar und eignete sich durch seine Gestalt und durch seinen Sinn zum Herrschen. Die Königin befahl ihm zu kommen, sie selbst ging ihm nach Lumello entgegen. Als er gekommen war, wechselte sie mit ihm einige Worte, dann ließ sie Wein bringen, trank zuerst und reichte ihm den Rest zum Trinken. Da nahm er den Becher und küßte der Königin ehrerbietig die Hand. Sie aber errötete und lächelte, der brauche ihr die Hand nicht zu küssen, der ihren Mund küssen dürfe und sie richtete den Agilulf rasch auf, damit er sie küssen könne und sagte ihm dann von ihrer Hochzeit und von der ihm bestimmten Würde.Solche Szene darf sich gewiß der Kunst des Boccaccio vergleichen, der ja auf Agilulf und Dietlind eine seiner Novellen überträgt. Die Erzählungskunst, die sie schuf, mag unter dem Einfluß der antiken Kultur gereift sein.
über das Ende eines germanischen Fürsten haben wir aus der Völkerwanderungszeit eine schöne und rührende Sage, die vom Gelimer.
Dieser war von Belisarius besiegt und von ihm eingeschlossen. So wurde nun, heißt es, Gelimer mitten im Winter hart belagert und litt an allem Lebensunterhalt Mangel, denn Brot backen die Maurusier nicht, sie haben keinen Wein und kein sondern essen, unvernünftigen Tieren gleich, unreifes Korn und Gerste. Da schrieb der Wandalenkönig einen Brief an Pharas, Hüter des griechischen Heeres, und bat um drei Dinge: eine Laute, ein Brot und einen Schwamm. Pharas fragte den Boten: Warum das? Der Bote antwortete: " Das Brot will Gelimer essen, weil er keines gesehen, seit er auf dieses Gebirge stieg; mit dem Schwamm will er seine roten Augen waschen, die er die Zeit über nicht gewaschen hat; und der König hat ein Lied gedichtet von seinem eigenen Unglück, da bittet er um eine Laute, damit er sich darauf begleiten könne, wenn er sein Lied unter Weinen und Wehklagen vortrage ." Pharas aber erbarmte sich und sandte dem König, was er wünschte. Denn jener hatte wie kaum ein andrer den Wechsel des Geschicks erfahren, der Herrscher, der früher in Reichtum und Macht schwelgte, saß jetzt hungernd, arm und verfolgt im Elend und Gefangenschaft .
Auch der nordische Gunnar (Gunther), den Atli (Attila) in
eine Schlangengrube werfen läßt, schlägt eine Harfe und besänftigt damit alle Nattern, nur eine nicht, die stach ihm in sein Herz und so fand Gunnar den Tod.Das Spielmännische, auch die feinere Linienführung der Novelle haben, wie wir beobachteten, sich mit der dramatischen Kunst unsres alten Heldenliedes verbunden. Der Bericht über Gelimer zeigt uns nun noch eine lyrische Melancholie und Weichheit, die uns bei den Germanen eigentlich überrascht. Ganz fremd war sie ihrem Wesen kaum, sonst hätte sie später bei den alten Engländern sich nicht so rührend und so großartig entwickeln können, von dort ist sie dann auch in die altnordische Dichtung gedrungen.
Wie die Goten ihren geliebten König Alarich begraben, erzählt Jordanes.
Die Westgoten wollten durch Italien nach Afrika wandern, unterwegs starb plötzlich Alarich, ihr König, den sie über die Maße liebten, einen allzufrühen Tod. Da buben sie an und leiteten den Fluß Barent, der neben der Stadt Consentina vom Fuße des Berges fließt, aus seinem Bette ab. Mitten in dem Bett ließen sie nun durch einen Haufen Gefangener ein Grab graben, und in den Schoß der Grube bestatteten sie, nebst vielen Kostbarkeiten, ihren König Alarich. Wie das geschehen war, leiteten sie das Wasser wieder ins alte Bett zurück und töteten, damit die Stätte von niemand verraten würde, alle die, welche das Grab gegraben hatten.
Das Begräbnis des Beowulf schildert der altenglische Dichter:
Dort schichteten sie einen Scheiterhaufen Festen Gefüges auf dem First des Bergs, Mit Helmen behangen, mit Heergewanden, Mit schimmernden Schilden, wie er scheidend gebeten. Sie legten inmitten den mächtigen König, Die Helden voll Leides den lieben Herrn. Dann ließen sie lodern den Leichenbrand In gewaltigen Wogen. Es wirbelte Rauch In schwarzem Schwalle aus schwelender Glut. |
Nun begannen die Gauten, auf gähem Felsen Einen Hügel zu baun; der hoch und breit Und den Wogenwandrern weithin sichtbar. Sie gruben zehn Tage am Grabmal des Tapfern, Vollführten es fürstlich, wie erfahrene Männer Den Bau geboten. Dort betteten sie In steinerner Kammer den köstlichen Staub und legten dazu all die lichten Schätze Mit Ringen und Reifen und der Rüstung Schmuck, Den die Helden geholt aus der Höhle des Drachen, Gaben der Erde zur Obhut das Edelgeschmeide, Den leuchtenden Hort. Dort liegt er bis heut In Nacht und nutzlos nach wie vor. |
Dann umritten den Hügel zwölf ruhmvolle Helden Von adligen Ahnen, die ersten des Volks. Dem König erklang ihr klagender Sang; Sie rühmten in Reden sein Reckentum, Seines Armes Gewalt, sein edles Wesen. Denn das ist Gebrauch und gebührt sich wohl, Daß den lieben Herrn man im Lied erhebe, Ihn trauernd trage im treuen Herzen, Wenn das Leben er ließ und dem Licht entschwand. So beklagten die kühnen Krieger Gautlands Ihres Herren Hingang, die Herdgenossen, Und feierten ihn vor den Fürsten der Welt Als milde den Mannen, sich mühend nach Ehren, Liebreich vor allem, vor allen geliebt. |
Mit diesen Versen hat man den Bericht von Jordanes über die Bestattung des Attila verglichen, der freilich, wenn er von den Huldigungen der Reiter erzählt, hunnischen Brauch uns schildert:
Mitten in das Lager zwischen die seidenen Zelte legten sie den Leichnam und begingen feierlich ein wunderbares und erhabenes Schauspiel . Denn von dem ganzen Volk der Hunnen (und der unterworfenen Germanen) kamen die erlesensten Reiter an den Ort, an dem die Leiche aufgebahrt lag, und umritten sie so wie man bei den iiriensischen Spielen reitet und priesen im Klagegesang seine Taten: "Der herrliche König der Hunnen, Attila, der Sohn des Mundzucco, der Herr der tapfersten Völker, er, in einer vor ihm unerhörten Macht, er allein besaß die skythischen und germanischen Reiche, und er schreckte die beiden Reiche Roms durch die Länder, die er besiegte. Attila ließ, damit man ihm den Rest seiner Beute nicht entzöge, durch die Bitten der Unterworfenen sich bewegen, eine jährliche Abgabe anzunehmen. Dies alles vollbrachte er mit glücklicher Hand und nun starb er, nicht durch die Wunden der Feinde, nicht durch Betrug der Seinen, sondern froh, inmitten der Freude seines starken Volks, ohne die Spur eines Schmerzes. Wer hätte diesen Ausgang erwartet, der keine Rache fordert." — Mit solchen Klagen beweinten sie ihn. Dann errichteten sie feierlich eine Strava, wie sie es selbst nennen (wohl einen Scheiterhaufen aus erbeuteten Waffen und Rüstungen), über seinem Grabhügel, veranstalteten ein ungeheures Trinkgelage und das Entgegengesetzte verbindend, feierten sie die Leichenklage und mischten ihre Freude hinein. Bei Nacht verbargen sie heimlich den Leichnam in der Erde.Nun berichtet Jordanes weiter von den drei Särgen Attilas, dem aus Eisen, dem aus Silber und dem aus Gold, und wie sie Kostbarkeiten und die Waffen der Feinde, die er erbeutet, dem Herrscher ins Grab legen und, damit die Neugier der Menschen von diesen Schätzen zurückgehalten werde, die dem Tod überliefern, die dem Grabe halfen, wie ja auch die getötet werden, die Alarichs Grab bereiteten und wie man die Sklaven, die den Wagen der Nerthus gewaschen, in die Fluten stieß.
5. Jngeld
In eine frühe Zeit der longobardischen Geschichte, in jene Jahrhunderte, in denen die Longobarden noch in Niederdeutschland hausten, führt der Kampf der Longobarden und
Dänen, von dem der Dichter des Beowulf weiß, und den auch eine andere, ungefähr gleichzeitige altenglische Dichtung erwähnt, die Dichtung von Widsith, dem Weitgewanderten.Der Held dieser Sage war Jngeld , der Sohn des Longobardenfürsten Froda. Dieser Froda war in einem Kampf gegen die Dänen gefallen; um die feindlichen Völker zu versöhnen und um der alten Fehde ein Ende zu machen, wurde Freawaru, die Tochter des Siegers, des Dänenkönigs Hrodhgar, dem Sohn des Besiegten als Gemahlin gegeben. Doch es ruht, wenn ein Fürst gefallen, nicht lange der Mordspeer und die Blutrache schläft nicht, wie schön auch die Frau sei. Jngeld freute sich eine Zeitlang ihrer Liebe und ihrer Anmut, aber die Krieger der Longobarden konnten es nicht verwinden, daß die Dänen, die mit der Herrin den Saal betraten, die Waffen und die Rüstung trugen, die ihren Königen früher gehörten, bevor sie das Leben ließen. Und beim Gelage hub ein alter grimmer Kämpe an, den jungen Fürsten zu reizen und seine Rachgier zu wecken, denn er gedachte aller großen Kämpfe: Du mußt, junger Freund, das Schwert erkennen, das dein Vater unter seinem Helm zum Kampfe trug, er führte ihn das letztemal, den kostbaren Stahl, als ihn die Dänen fällten. Sie hielten die Walstatt nach dem Vergeltungskampf, als die kühnen Schildungen gefallen waren. Nun schreitet ein Sohn der Mörder durch unsren Saal, prunkend im Schmuck, und rühmt sich prahlend des Mords und trägt das Kleinod, das du doch tragen solltest. — So mahnt er und mahnt mit bitteren Worten, unablässig, bis die Zeit kommt, daß der Fürstin Knappe die Tat des Vaters büßt; vom Schwert getroffen entschläft er, blutüberströmt und hat sein Leben verwirkt; doch der Mörder entweicht unverletzt, denn er kennt die Pfade des Landes. Dann sind gebrochen auf beiden Seiten die Eide der Männer, wenn den Jngeld tödlicher Haß erfüllt und die Liebe zur Gattin ihm kühlem wird durch die Wogen des Kummers.Wir dürfen die Erzählung des Dichters ergänzen: die alte Fehde lebt wieder auf zwischen den beiden Völkern und fordert neue Opfer.
Das Wesen dieser Dichtung ist der tragische Konflikt in Jngelds Seele, der Konflikt zwischen dem Gebot des Friedens und der Eide und dem Gebot der Rache. Er selbst, der König, ist
jung und weich und untätig. Ihn freut die Liebe seiner Frau. Aber die ehernen Gesetze der alten Heldenzeit gönnen ihm nicht sein Glück, ihre unentrinnbare Forderung ist Rache für den erschlagenen Vater. Der Vertreter des Alten und das Gegenbild des Königs ist jener Krieger, der, eine lebende Chronik des ganzen Heldentums, unerbittlich den Jungen reizt und aufstachelt, bis das Gefolge die Rache für den Herrn übernimmt und er die Gattin verstößt und sich zu neuem Kampf waffnet. — Die Gestalt des jungen milden Königs und die Zornrede des alten harten Kriegers sind den Dänen jahrhundertelang im Gedächtnis geblieben. Im zehnten Jahrhundert schuf aus diesem Gegensatz zwischen alt und jung, zwischen vergangener und gegenwärtiger Zeit ein dänischer Dichter ein neues Lied, darin fällt das ganze Licht auf den alten Starkad, der ein Held war, wie ihn nur die Vergangenheit und nicht mehr die Gegenwart kennt. Einzelne Verse in seinen Reden gleichen noch Wort für Wort den Versen des Beowulf.
6. Der Kampf in Finnsburg
Zu den Friesen und vielleicht zu den Angelsachsen, in der Zeit, als sie noch auf dem deutschen Festland saßen, geleiten uns die Fragmente eines sehr berühmten Heldenliedes, des Kampfes in Finnsburg. Statt der Angelsachsen erscheinen in unsern Texten die Dänen. Der Anfang des Liedes ist verloren, den Fortgang erzählt ein altenglisches Bruchstück, das, ähnlich dem Hildebrandslied, mitten im entscheidenden Kampfe abreißt, dann folgt wieder eine lange leere Strecke. Das Ende erfahren wir aus dem Beowulf, dessen Dichter läßt aber die Flut der Empfindungen über die Ereignisse strömen und verschweigt manchen Namen. So ist es nicht leicht, Aufbau und Kunst des alten Liedes zu erschließen. Wir teilen hier mit, was der Forschung nun leidlich gesichert scheint:
Hildburg, eine dänische Königstochter, ist die Gemahlin des Finn, des Königs der Friesen — vielleicht folgte sie ihm widerwillig. Auf einen Herbst hat Finn den Bruder seiner Frau, Hnäf, den König der Dänen, (verräterische) eingeladen. Dieser wird mit seinem Gefolge mit sechzig Dienern in einer Halle, in der Finnsburg, untergebracht. Bei Mondenschein überfallen sie die Friesen. — Hier beginnt das Fragment:
Der Wächter der Burg sieht im Osten grellen Schein, er meldet es dem König und verwirrt und betäubt weiß er nicht: zieht der Tag herauf oder fliegt ein feuriger Drache durch die Luft oder brennen gar die Zinnen der Burg ? Aber der König Finn sieht, was in Wirklichkeit droht: Feinde ziehen heran, die Vögel der Schlacht kreischen in der Luft, die Brünnen klirren, die Gere singen, in die Schilde sausen die Schäfte. Der aus den Wolken tretende Mond beleuchtet das todverheißende Bild und dem Volk naht der Untergang. "Erwacht, meine Helden! Ergreift eure Schilde! Gedenkt eurer Kraft, tretet in die ersten Reihen, bleibt bei eurem Mut."
Die Helden springen auf, waffnen sich, besetzen die Tore und ziehen die Schwerter. Ein junger Krieger unter den Angreifern, Gudher, will an den gefährlichsten Platz, ein älterer, Garulf drängt ihn zurück und fragt trotzig, wer das Tor drinnen bewache. "Sigeferd heiße ich" tönte es zurück. " Mein Name hat einen guten Klang, in manchem harten Kampf hielt ich aus, du kannst es erfahren, wenn du dich an mich wagen willst." Beide Helden treten gegenüber und ihre Begleiter stürzen sich in den Kampf. Die Burg erdröhnt von den Schlägen: Garulf fällt und neben ihm viele Helden. Der Rabe, schwarz und glänzenden Gefieders, fliegt über das Schlachtfeld und die Schwerter leuchten, als stehe die Finnsburg in Flammen. Niemals kämpften sieggewohnte Krieger tapferer als jene sechzig und nie vergalt einem Herrn besser sein Gefolge den Met als dem Hnäf seine Freunde.
Fünf Tage kämpften sie, keiner von ihnen fiel, die an den Toren wachten, bis ein Held verwundet fortging, da ihm die Brünne zerbrochen, der Helm durchlöchert war.
Hier bricht das Fragment ab. Aus den Versen des Beowulf dürfen wir schließen, daß endlich von den Friesen der Sohn des Finn und der Hildburg fiel und von den Dänen Hnäf. An dessen Stelle übernahm Hengest die Führung. Finn konnte mit seinen letzten Kriegern die Dänen nicht bewältigen. Beide Völker schlossen einen Vertrag: die Dänen sollten in das Gefolge Finns aufgenommen werden und Gaben
erhalten. Die alte Feindschaft sollte man vergessen, und kein Krieger des einen Volkes sollte den des andern schmähen. Die Leichen der Gefallenen wurden auf einen Holzstoß gehoben und verbrannt. Aber die Dänen behielten ihre Rache im Herzen, ein Krieger legt dem Hengest, um ihn zur Vergeltung zu mahnen, das Schwert in den Schoß. Als die günstige Zeit gekommen war, vielleicht nachdem sie sich von der Heimat Verstärkung geholt, überfielen die Dänen den Finn in seiner Halle, erschlugen ihn und führten Hildburg heim und den ganzen Schatz der Friesen.Dies Lied entwickelt sich wieder aus einem Konflikt; aus dem Konflikt zwischen den Geboten der Rache und den Geboten des feierlich beschlossenen Vertrags. Hildburg verliert ihren Bruder und ihren Sohn, um diesen Preis sieht sie die Heimat wieder. Wilde Reden begleiten und steigern die Kämpfe, der überfall geschieht beidemal jäh und unerwartet. Die Charaktere und die Begebnisse treten uns freilich nicht klar entgegen, sie sind wie in einen Nebel gehüllt, der bald zu weichen scheint, bald sich ganz dicht um sie legt. Dafür ist die Schilderung von einer Kunst, die uns bisher das Germanische nicht zeigte: "zieht der Tag herauf, fliegt ein feuriger Drache durch die Luft, brennen die Zinnen der Burg?" — "Der aus den Wolken tretende Mond beleuchtet das todverheißende Bild." "Der Rabe schwarz und glänzenden Gefieders fliegt über das Schlachtfeld, und die Schwerter leuchten, als stehe die Burg Finns in Flammen." —
Die schöpferischen Motive unsres Liedes gleichen den schöpferischen Motiven andrer germanischen Heldendichtungen. Die verräterische Einladung, die der König dem Schwager schickt, kennen wir aus dem Nibelungenlied, die Rückkehr einer Frau zu den Ihren nach langen schweren Kämpfen ist das Thema der Gudrun, dem Hildebrand gleich muß die Hildburg die Heimkehr mit dem Liebsten, was sie hat, bezahlen; der tragische Untergang eines geliebten Königs, bei einem jähen überfall, nach verzweifelter Gegenwehr, das besingt uns das dänische Lied von Hrolf und
Bjarki. Das Schicksal der Hildburg, den Verlust von Sohn und Bruder haben auch nordische Frauen tragen müssen. In der Dichtung von Hetel und Hilde verlor Hilde den Vater um des Geliebten willen; Hetel und Hilde war ein altes, an den Ostseegestaden heimisches Heldenlied.Von ähnlichem Geist erfüllt wie dies Lied von den Friesen- und Dänenkämpfen waren die Lieder, die dem Königsgeschlecht der Dänen, den Schildungen, galten und aus denen in späteren Jahrhunderten in England, in Dänemark und im Norden immer von neuem großartige Dichtungen sich erzeugten. Die geschichtlichen Grundlagen dieser Dichtungen hat Axel Olrik gefunden.
Der Königssitz des Geschlechts war Lejre auf Seeland. Seine Kämpfe führte es (im fünften Jahrhundert) mit den Longobarden und Schweden Hrodhgar, derselbe, der den Froda, den Vater des Jngeld, besiegte und dessen Tochter Freawaru mit Jngeld vermählt wurde, war ein Schildung. Den Sohn Jngelds, Ägenhere (Agnar), tötete später ein Däne Bjarki, und sein Lohn war die Schwester des Hrodulf (Hrolf), eines anderen Schildungs. Die Schwester des Königs Hrodgar war vermählt mit dem Schwedenkönig Onela (Aale), sein Neffe Eadgils (Adils) tötete ihn, und um den Mord zu rächen, zog Hrodulf nach Schweden. Der Dichter des Beowulf ergänzt unser Wissen von diesen Kämpfen: er weiß noch, daß Onela früher seine beiden Neffen Eadgils und Eanmund aus Schweden vertrieb, weil sie sich gegen ihn empörten. Sie suchten mit ihrem Anhang Hilfe bei Heardred, dem Gautenkönig, den nun Onela sofort mit Krieg überzog. Dabei fiel Heardred und es fiel auch Eanmund; der ihn erschlug, Weohstan, erbeutete auch seine Rüstung. Eadgils fand dann Hilfe bei Beowulf und besiegte und tötete nun seinen Oheim Onela.
Vor allem aber zerrissen innere Kämpfe das Geschlecht der Schildunge. Wir hören zuerst von Healfdene (Halfdan), dessen Söhne waren Hrodhgar (Hroar) und Halga (Helgi). Hrodhgar ist derselbe König, dessen wunderbare Halle Heorot durch Grendels mörderische Untaten verödete und dem Beowulf später half. Sein Sohn war Hredhric (Hrörik), Halgas Sohn war Hrodulf (Hrolf). Hrolf stieß nach Hroars Tod seinen Vetter Hrörik vom Thron und er selbst wurde wieder durch einen Verwandten, Hjörward, überfallen, entthront und getötet.
Von diesen Ereignissen prägte sich der Dichtung, wie wir wissen, die Vermählung Jngelds ein und die Aufreizung des Jngeld durch den alten Kämpen; außerdem der Zwist und der blutige Kampf der beiden Vettern und schließlich der überfall auf Hrolf und sein Ende. Der Dichter des Beowulf erzählt, daß die berühmte Halle Heorot bei dissem überfall verbrannte. Zwischen die beiden Vettern stellte die englische Dichtung einen Zwietrachtstifter Unferdh (Unfried) und ihm stellte sie wieder eine milde Königin, Wealhtheow, gegenüber, Hrodhgars Gemahlin, die umsonst sich mühte, die feindlichen Vettern zu versöhnen und den Kampf zu verhüten.
Ein Lied in der Form, die wir nun kennen, wird die lange Reihe dieser Taten und Kämpfe kaum erzählt haben. In alter Zeit, wahrscheinlich schon in den Tagen des Tacitus, feierten germanische Helden ihre Vorfahren, indem sie ihre Namen in langer Reihe nannten und sie durch den gleichen Anlaut, den Stabreim, dem Hörer einprägten. Es war ja damals der Name etwas anderes als heute, er besaß zauberische Kraft, stellte seinen Träger unter den Schutz der Götter, auch von seinem Klang strömte eine geheimnisvolle Wirkung. Namenreihen von Helden und Ahnen zeigt uns auch die altirische und die altjüdische Dichtung, der Nachfahr, der sie lernte, verband sich mit seinem ganzen Geschlecht, seinen Taten und seinem Wesen. Ebensolche "Geschlechtslisten" führen in der isländischen Saga die Helden ein. Ihnen steht der altenglische Widsith nah. Fast wirkt er auf uns wie eine übersicht über alte germanische Helden- und Königstafeln, zu den Namen kommen dann noch da und dort kurze Angaben über Taten und Reiche und Persönlichkeiten. Ähnlich denken wir uns das alte Gedicht von den Schildungen: Heldenreihen, unterbrochen durch einige Verse über die Taten und Schicksale der Hervorragendsten. Aus diesen Reihen traten dann, frei und abgeschlossen in sich, die einzelnen Helden und Lieder heraus.
In der nordischen Dichtung verwandeln sich die Lieder von den Nibelungen, den Wölsungen, die Dichtung von Ermanarich wieder in die Dichtung von der langen Kette der Geschlechter zurück.Der Anfang der Ahnen- und Heldenreihen ist bei Tacitus und bei Jordanes der Gott. Auch der Stammwater der Schildungen ist göttlicher Art, Skyld. Von ihm weiß die Sage, daß er, aus unbekannten Fernen kommend, in einem Schiff ans Land getrieben wurde, als er gestorben war, gab man ihn den Fluten zurück, die ihn ans Land getragen. Seine lange Herrschaft war eine goldene Zeit des Glückes und Friedens. — Das ist eine alte Dichtung, der ältesten von Lohengrin verwandt. Spätere Dichter haben sie verwirrt, der Dichter des Beowulf hob sie in das Heroische.
Als die Schicksalsstunde Skylds gekommen war, und er sich in den Schutz des Herrn begab, trugen ihn seine Getreuen zur Meeresflut, wie er selbst bestimmt, als er der Worte noch mächtig war und herrschte. Am Hafen stand das Schiff des Fürsten, zur Fahrt gerüstet, glänzend wie Eis, und sie legten den lieben Herren in seinen Schoß an den Mast und viele Kleinodien und Edelsteine legten sie zu ihm. Niemals wohl wurde ein Kiel schöner geschmückt mit Kampfwaffen und Rüstungen, mit Schwertern und Brünnen. In seinem Schoße lagen viele Kostbarkeiten, die mit ihm sollten in der Fluten Trift mitfahren. Sie gaben ihm nicht geringere Spenden und Schätze als jene, die ihn ausgesandt allein über das Meer, als er ein kaum geborenes Kind war. Nun setzten sie ihm ein goldenes Banner hoch über das Haupt, da ließen sie ihn dann die Wogen treiben, gaben ihn dem weiten Meer. Ihnen war traurig der Mut, sorgend der Sinn. Die Männer, die in unsern Wohnungen hausen, können nicht sagen, die Helden unter unserm Himmel, wer diese leuchtende Last empfing."
Im Beowulf und im Kampf in Finnsburg stehen sich Dänen und Friesen gegenüber. An Stelle der Dänen standen früher vielleicht die Angeln. Erinnerungen an die Schicksale und Lieder mancher germanischer Stämme gingen eben in die Dichtung der Dänen ein und gewannen dort eine neue tragische Größe. —
Dänische Berichte des 12. Jahrhunderts, die auf das 10. zurückweisen, feiern den alten König Wermund und seinen Sohn Uffe. Im Zweikampf verteidigte er gegen freche Herausforderung mit dem Schwert seines Vaters die Heimat, man hatte ihm, der stumpf und untätig dahin zu leben schien, diese Tat nicht zugetraut . Von Uffe (Offa) weiß der Widsith, daß er König der Angeln war und gegen die Myrginge, ein südlicher wohnendes Volk, einen Sieg erstritt, er setzte die Grenze am Fifeldor, das ist an der Eider, fest. Das entspricht den wirklichen Hergängen der Geschichte im 4. Jahrhundert. — Wie bei Siegfried und Alboin hing das Schicksal des Uffe mit einer wilden und grausamen Frau, der Thryda, zusammen; der Beowulf erzählt, nur der eigene Gemahl hätte ihr ins Auge sehen dürfen, wer das sonst wagte, wurde gefesselt oder mit dem Schwert durchstoßen. Spätere Berichte verwandeln die Thryda in eine bezähmte Widerspenstige . — Auch das dänische Lied von Hagbard und Signe möchte man aus einem germanischen Lied herleiten, wegen des unbändigen Trotzes und der lachenden, herausfordernden Todesverachtung des Helden.
7. Chlothar. Die Franken
Von Chlothar, dem Sohn des Chilperich und der Fredegund, dem Urenkel von Chlodwig, erzählt Aimoin, ein Chronist des 10. Jahrhunderts, der aus älteren Berichten schöpft:
Chlotar hatte seinen Sohn Dagobert über die austrasischen Franken zum König gesetzt. Dieser brach mit Heereskraft über den Rhein auf, um die sich empörenden Sachsen zu züchtigen. Der sächsische Herzog Bertoald lieferte ihm aber eine schwere Schlacht; Dagobert empfing einen Schwertstreich in sein Haupt und sandte die mit dem Stück vom Helm zugleich abgeschnittenen Haare alsbald seinem Vater, zum Zeichen, daß er ihm schleunig zur Hilfe eile, ehe ihm das übrige Heer zerrinne. Chlotar bekam die Botschaft von der Gefahr, in der sein Sohn schwebte, wie er gerade auf der Jagd war. Bestürzt machte er sich sogleich mit dem geringen Gefolge, das ihn begleitete, auf den
weiten Weg, schickte Gesandte an die anderen, daß sie sich anschließen sollten, eilte Tag und Nacht und langte endlich an der Weser an, wo der Franken Lager stand. Früh morgens erhoben die Franken ein Freudengeschrei über ihres Königs Ankunft. Bertoald am andern Ufer hörte den Jubel und fragte, was er bedeute. " Die Franken feiern Chlotars Ankunft." — "Ihr lügt", antwortete er lachend, " oder ihr träumt, wenn ihr das sagt, denn ich habe gewisse Kundschaft, daß der König, über den sie so freudig sich gebärden, nicht mehr am Leben sei." Da stand Chlotar am Ufer, und als er diese frechen Worte hörte, sprach er keinen Laut, damit seine Schweigsamkeit die Feinde noch mehr erschrecke, sondern erhob schnell seinen Helm vom Haupte, daß das schöne, mit weißen Locken gemischte Haupthaar herunterwallte. An diesem königlichen Schmucke erkannten ihn gleich die Feinde. Bertoald rief: "Bist du also da, weißmähnige Mähre (bale jumentum)?" Glühend vor Zorn setzte der König seinen Helm aufs Haupt und spornte sein Roß durch den Fluß, daß er sich an den Feinden räche. Alle Franken, zornig über das Unrecht, das ihrem Führer geschehen, und angespornt durch sein Beispiel, sprengten ihm nach. Chlotars Waffen waren schwer und beim Durchschwimmen hatte ihm Wasser den Brustharnisch und die Schuhe gefüllt. Dennoch folgte er dem fliehenden Sachsenherzog unermüdlich nach. Bertoald, zurückweichend rief dem König zu: "Es sei nicht gut und recht, daß er ihn verfolge. Er denke zu sehr an den eigenen Ruhm und trenne sich von den Seinen, um den Feind zur Flucht zu zwingen. Er solle sehen, daß ihm dies nicht zum Unheil ausschlage und ihn zugrunde richte." Während dieser Worte floh er immer so rasch er konnte und nannte sich seinen Knecht, jenen den Herrn. "Ungerecht sei es, daß der Knecht vom huldreichen Herrn und der Herr vom Knechte wider dessen eigenen Willen und gezwungen getötet werde." Chlotar aber wußte wohl, daß er aus Hinterlist so redete, kümmerte sich nicht um die Worte, sondern holte ihn mit seinem Schnellen Rosse ein und brachte ihn um. Darauf schlug er ihm das Haupt ab und trug es den nachkommenden Franken entgegen. Da verwandelte sich ihre Trauer in Freude, sie überzogen ganz Sachsenland und der König hieß alle Einwohner männlichen Geschlechts, die länger waren als das Schlachtschwert (spatha), das er damals grade trug, hinrichten; auf daß die jüngeren und kleineren durch das lebendige Andenken hieran abgeschreckt würden. Und so verfuhr Chlotar.Zwei germanische Worte mitten in seinem Latein (bale: weiß,
spatha: kurzes Schwert) und eine erhaltene Alliteration (bale: Bertoald) bestätigen uns, daß der Chronist ein germanisches Lied übertrug.Der Rächer, den er tot oder weit entfernt glaubt, erscheint plötzlich vor dem, der seine Rache fürchten muß. Der weiß, daß die Stunde des Gerichts schlug, er sucht seinen Schreck durch wilde Prahlreden zu verbergen. Diese mächtige Szene unsres Liedes hat ebenbürtige Brüder in den Dichtungen von Ermanarich und Amleth; Heinrich von Kleist hat Szenen solcher Art mit neuem Leben erfüllt. — Ähnlich wie in unserm Lied stehen Verfolger und Verfolgter gegenüber in den nordischen Dichtungen von Hrolf und Adils, von den Halfdansöhnen und Frodi, inder deutschen Dichtung von Witege und Dietrich. — Chlothar ist stumm, seine Stummheit wird immer drohender, unheimlicher, schicksalhafter: in demselben Maße werden die Reden des Bertoald heimtückischer, verschlagener, unterwürfiger. Dieser Gegensatz von unbeweglicher Stille und erregtester Rede ist der andre dramatische Nerv unsres Liedes. — Im nordischen Lied von Ermanarich folgt den Prahlreden des Königs ein stiller, wilder, verbissener Kampf, dessen Zauber wird wieder durch einen unbedachten Ausruf gebrochen. In einer nordischen Sage von Hrolf und Adils endet eine stille Verfolgung mit einem lauten triumphierenden Ausruf. Witege, im deutschen Gedicht, wird stiller und stiller und verschwindet schließlich in den dunklen Fluten des Meeres, der Verfolger erhöht umsonst sein Bitten und Flehen. — Die Rache war heilig und Heiligkeit verlangte Schweigen: das muß man sich vorstellen, wenn man die ganze dramatische Kraft würdigen will, die in diesen Gegensätzen der Rede und der Stummheit, in natürlicher und immer neuer Meisterschaft vor uns ersteht.
Ein Bild, wie das des Bertoald, der im königlichen Schmuck seiner hellen Haare plötzlich, hoch zu Roß, sich dem Feind zeigt,
haben wir in den germanischen Liedern noch nicht gesehen — diese bildhafte Kunst besaßen in der heroischen Dichtung, wie es scheint, vor allem die Franken. Es folgen dem Bilde Rede und Gegenrede, aufreizend, sich steigernd, zur Katastrophe führend wie in den uns bekannten besten germanischen Liedern, und von gleicher Begabung in der Zeichnung und Gegenüberstellung der Charaktere. Bertoald vergleicht den Chlothar mit einer Stute, die eine weiße Mähne trägt: diese, ebenso wie die Stuten mit einem weißen Fleck auf der Stirn oder mit weißen Flecken an den Hufen — wir erinnern uns an das Lied von Alboin und Turisind (S. 19) — gelten als besonders heimtückisch, darum ist dieser Vergleich solche Kränkung und erhöht die Wut des Angreifers . Der Schluß des Liedes ist sehr grausam: die Franken sind unter den Germanen die Wildesten und Grausamsten.Barbarisch und grausam, zugleich heroisch, von unvergleichlicher dramatischer Kraft und bildhaft eindringlich — so stellt sich uns nun die Dichtung von Chlothars Sieg über die Sachsen dar. Das Lied erstreckte seine Wirkung tief in die französische Heldendichtung. —
Von den andern Berichten der fränkischen Chronisten erweckt unsre besondere Aufmerksamkeit die Geschichte von Chrotilds Verlobung. Sie ist vom s. bis zum 10. Jahrhundert, von Gregor von Tours bis zu Aimoin bezeugt.
Chrothild folgte dem berühmten Chlodwig als Braut. Ihr Oheim, der Burgundenkönig Gundobad, gab sie dem Bewerber widerstrebend, denn er hatte ihren Vater schimpflich getötet und ihrer Mutter einen Stein um den Hals gebunden und sie in den Fluß versenkt. Nun fürchtete er die Rache. Zu dieser Rache trieb denn auch der andere Bruder Gundobads, Godegisel. Den Frevler erreichte seine Strafe.
Diesen Bericht des Gregor von Tours verwandelten nun spätere Erzähler in Dichtung. Sie gestalteten die Werbung Chlodwigs ins Spielmännische und Novellistische um. Chlodwigs Bote Aurelian verkleidete sich als Bettler, als Chrothild aus der
Kirche kam, bat er um ein Almosen, streifte ihr den Mantel weit über den Arm zurück und küßte ihre Hand. Das Mädchen eilte verwirrt nach Haus, sandte eine ihrer Dienerinnen zu dem vermeintlichen Bettler, der zu ihr kam, sich enthüllte, seine Werbung vortrug und auch Gehör fand.So ungefähr und noch mit allerhand Zusätzen erzählt es ein Geschichtschreiber des 8. Jahrhunderts und noch Aimoin: es sind das typische Szenen aus Brautwerbungsgeschichten. Uns erinnert die Kühnheit des Aurelian an die des Authari (S. 34). Die überraschung der Braut beim Kirchgang, das heimliche Gespräch von Braut und Werber, die Verabredung der Flucht oder das Einverständnis schildern dann manche mittelalterliche Gedichte.
Der erste Teil der Dichtung wurde also zu einer Spielmannsfabel . Der zweite straffte sich ins Heroische: in den Berichten des 7. Jahrhunderts ist nicht Godegisel der Rächer, sondern Chrothild die Rächerin, sie hat die Rache lange ersehnt und jubelt auf und dankt Gott, als sie endlich sich erfüllt. Den König Gundobad warnt der weise Aridius, er möge die Jungfrau dem Chlodwig nicht geben, doch Gundobad fürchtet die Macht der Franken.
Wir betonen nun nochmals, daß unser Lied von Burgunden und Franken erzählt, oon der Rache an einem burgundischen Fürsten, von einer Jungfrau, die mädchenhaft scheu zuerst und dann unerbittlich grausam einem mächtigen Fürsten folgt, weil er das Werkzeug ihrer Rache werden kann, von schwerem Unrecht, das diese Jungfrau erlitt, von einem klugen Ratgeber eines Königs, der das Unheil sieht, das aus der Vermählung der Jungfrau entstehen muß und der warnt, aber umsonst. Nennen wir nun die Namen Etzel, Gunther, Hagen, Kriemhild, so fühlen wir die starken und fortlaufenden Übereinstimmungen zwischen der alten fränkischen Dichtung und dem zweiten Teil des deutschen Nibelungenliedes. — Aimoin erzählt uns auch die Geschichte vom kommenden Wald und den klingenden Schellen.
Als Childebert mit großer Heeresmacht in Guntrams und Fredegundens Reich einbrach, um seinen Vater und seinen Oheim zu rächen, die durch die Anschläge Fredegundens getötet waren, ermahnte die Königin ihre Franken zu tapferem Streit, zur Verteidigung ihres Landes, zum ehrerbietigen Gehorsam und zur Treue für ihren jungen König; sie werde sich von den Taten eines jeden überzeugen und ihn nach seinem Verdienst belohnen. Dann ließ sie Guntrams hinterlassenes Söhnlein in der Wiege voraustragen und dem Säugling folgten die gewaffneten Scharen. Fredegund ersann nun eine List. In finsterer Mitternacht, angeführt von Landerich, des jungen Chlotars Vormund, erhob sich das Heer und zog in einen Wald. Landerich griff ein Beil und hieb sich einen Baumast; darauf nahm er Schellen und hing sie an des Pferdes Hals, auf dem er ritt. Dasselbe zu tun ermahnte er alle seine Krieger; jeder mit Baumzweigen in der Hand und klingenden Schellen auf ihren Pferden, rückten sie in früher Morgenstunde dem feindlichen Lager näher. Die Königin, den jungen Chlotar in den Armen haltend, ging voraus, damit Erbarmen über das Kind die Krieger entzünden möchte, welches gefangen genommen werden mußte, wenn sie unterlägen. Als nun einer der feindlichen Wächter in der Dämmerung ausschaute, rief er seinem Gesellen: " Was ist das für ein Wald, den ich dort stehen sehe, wo gestern abend nicht einmal kleines Gebüsch war?" " Du bist noch weintrunken und hast alles vergessen," sprach der andere Wärter, "unsre Leute haben im nahen Wald Futter und Weide für ihre Pferde gefunden. Hörst du nicht, wie die Schellen klingen am Halse der weidenden Rosse?" (Denn es war von alten Zeiten her Sitte der Franken, und zumal der östlichen, daß sie ihren grasenden Pferden Schellen anhingen, damit, wenn sie sich verirrten, das Läuten sie wiederfinden liebe.) Währenddessen die Wächter solche Reden untereinander führten, ließen die Franken die Laubzweige fallen, und der Wald stand da, leer an Blättern, aber dicht von den Stämmen schimmernder Spieße. Da überfiel Verwirrung die Feinde und jäher Schrecken; aus dem Schlaf erweckt wurden sie zur blutigen Schlacht, und die nicht entrinnen konnten, fielen erschlagen; kaum mochten sich die Heerführer auf schnellen Rossen vor dem Tode retten. . . . Nachdem sie einen so großen und unverhofften Sieg errungen, fiel Fredegund mit ihrem Sohn Chlotar und mit dem größten Teil des Heeres in die Champagne und Reims ein und erfüllte dort alles mit Feuer und Glut. Erst als es sich an Mord und Raub gesättigt, führte die Königin ihr Heer nach Soissons zurück.Fredegunde war die Gemahlin König Chilperichs und dieser ein Enkel Chlodwigs. Die Chronik der Frankenkönige, die auch unsre Sage, allerdings weniger wirkungsvoll, erzählt, weiß von ihr, daß sie niederer Herkunft, sehr schön und sehr klug war. Zuerst die Beischläferin des Königs, verdrängte sie dessen Gemahlin und setzte sich an ihren Platz. Dann aber hinterging sie den König mit seinem, Vertrauten Landerich und als Chilperich das entdeckte, ließ sie ihn durch gedungene Knechte ermorden und aussprengen, das fei das Werk Childeberts, seines Neffen, gewesen. Diese Untat der Fredegunde wollte Childebert rächen, doch es gelang ihm nicht.
Die Kriegslist dieser Geschichte, den kommenden Wald, kennen wir aus Shakespeares Macbeth. Shakespeare entnahm das Motiv einer schottischen Chronik; der dänische Geschichtschreiber Saxo und eine deutsche Volkssage, auch die arabische Dichtung bringen es an.
Das Gespräch der Wächter, der jähe überfall, die entscheidende Szene ist wieder wie ein Auftritt aus einem germanischen Heldenlied. So groß und so mächtig gesehen steht er selten vor uns: selten steigt der kriegerische Tag, der Wald, dicht von den Stämmen schimmernder Spieße, so hell und stolz vor uns auf und so bestürzend und jäh — aus dem geheimnisvollen und geschäftigen Dunkel der Nacht und dem unheilkündenden Dämmer des Zwielichts. Es ist wieder fränkische Kunst, die uns ihre Vollendung zeigt. —
Im nordischen Lied von Wieland wird der Rhein genannt, unter seinen Namen deutscher Herkunft steht ein fränkischer. Franken wird die Heimat des Liedes sein: seine Wildheit und Grausamkeit und seine furchtbare Rache traut man auch am ehesten den Franken zu; die Schatzgier der Königin, die Durchschneidung von Wielands Sehnen, den Mord der Knaben, denen Wieland den Deckel der Truhe auf den Hals wirft, als sie in die
Truhe schauen, das Schmieden von Trinkschalen und Kostbarkeiten aus den Schädeln und Zähnen und Augen der Knaben, die Entehrung der Bodwild.Der Kunst des Schmiedes galt schon in sehr alter Zeit ehrfürchtige Bewunderung. Einige Forscher führen das auf die Zeit zurück, in der man lernte, aus Eisen Rüstungen, Schwerter, Panzer , Geräte zu schmieden, nachdem man lange Zeit nur Holz und Stein bearbeiten konnte. Der Schmied galt als Zauberer, den Zwergen gleich weilte er in verborgenen Höhlen oder auf entlegenem Eiland. Vor den Eingang seiner Werkstätte legte man abends die Dinge, die gebessert werden sollten, am nächsten Morgen lagen sie schön und vollendet da. Von den germanischen Schmieden war Wieland der berühmteste, die vollendetsten Schwerter und Panzer galten als sein Werk.
Daß germanische Herrscher und Herrscherinnen Schmiede fast ebenso schlimm ausbeuteten wie Nidhod und Nidhods Gattin den Wieland, erzählt uns aus dem s. Jahrhundert die Lebensbeschreibung des heiligen Severin: Giso, die Gemahlin des rugischen König Feletheo, nahm Schmiede gefangen und zwang sie, königlichen Schmuck zu schmieden. Zu den Schmieden kam das Söhnchen des Königs, da drohten ihn die Schmiede zu ermorden und sich selbst zu töten, wenn sich niemand ihrer erbarme. Der heilige Severin besänftigte sie; sie wurden in Freiheit gesetzt und der Sohn des Königs gerettet. —
Auch das Lied von Siegfried und Brunhild und das vom Untergang der Burgunden prägte wohl zuerst fränkische Kunst.
8. Irinc und Irminfried
Zu den Söhnen Chlodwigs führt uns die Sage von Irini und Irminfried zurück, die wir bei Widukind von Corvey im 10. Jahrhundert finden.
Der Frankenkönig Chlodwig hinterließ uneheliche Söhne und eine
eheliche Tochter Amelberg, die mit Irminfried, dem König der Thüringer , vermählt war, und über deren Grausamkeit und Machtgier schon Gregor klagt. Die Franken wählten seinen unehelichen Sohn Dietrich zu ihrem König. Dieser schickte Gesandte zu Irminfried und bot ihm Freundschaft an. Irminfried empfing sie freundlich, aber Amelberg wollte selbst herrschen, darum stiftete sie den Irinc, den klugen, tapferen und zähen Rat des Königs, an, daß er Irminfried bewege, er solle dem Dietrich keine freundliche Botschaft schicken. Irini gab ihr nach und drang mit seinem Willen durch, trotzdem alle anderen Räte gegen ihn sprachen. Irminfried sagte nun dem Gesandten: "Sage Dietrich, er, der als Knecht geboren, möge doch zuerst für sich die Freiheit und dann die Herrschaft zu erwerben trachten." Darauf versetzte der Gesandte: "Ich wollte dir lieber mein Haupt geben, als solche Worte von dir gehört zu haben, ich weiß wohl, daß um ihretwillen viel Blut der Franken und Thüringer fließen wird."Als Dietrich diese Botschaft vernommen, wurde er erzürnt, aber er verstellte sich. "Es tut not, sagte er, daß wir eilig unsern Dienst bei Irminfried antreten, damit wir, der Freiheit beraubt, wenigstens das nackte Leben genießen."
In dem Krieg, der nun entbrannte, wurde Irminfried schließlich besiegt und zurückgeworfen; aber die Kräfte Dietrichs, des Siegers, waren auch geschwächt. Auf den Rat eines Alten, der zur Standhaftigkeit mahnte, verband er sich mit den Sachsen, die ein überaus tapferes und gefährliches Volk waren und von altersher die Feinde der Thüringer und die diese auch sofort überfielen. In dieser Not schickte Irminfried wieder den Irini zu Dietrich mit dem Anerbieten, daß die Thüringer sich doch mit den Franken verbinden und über die gefährlichen Sachsen herfallen sollten. Er verspreche den Franken Schätze und Unterwerfung. Irini, der die Räte des Königs mit Gold gewann, drang mit seinem Anerbieten wieder durch. Das Bündnis wurde geschlossen, doch wurde es durch einen Zufall bald verraten. Ein Sachse hatte nämlich einem Thüringer seinen Sperber geraubt; dieser wollte ihn wieder haben und empfing ihn auch, nachdem er das Geheimnis preisgab. Die Sachsen, als sie dies erfuhren, waren von Bestürzung erfüllt. Unter ihnen sprach ein von allen geehrter Greis, genannt Hathugast: " Bis hierher habe ich unter Sachsen gelebt und sie nie fliehen gesehen; so kann ich auch jetzt nicht genötigt werden, das zu tun, was ich niemals gelernt. Kann ich nicht weiter leben, so ist es mir das Liebste, mit den Freunden zu
fallen; die erschlagenen Genossen, welche hier liegen, sind mir ein Beispiel der alten Tugend, da sie lieber ihren Geist aufgegeben haben, als vor dem Feinde gewichen sind."Diese Worte machten auf die Sachsen großen Eindruck. Beim Einbruch der Nacht überfielen sie die Thüringer, brachten die Erwachsenen zum Tod und schonten nur die Kinder. Irminfried entrann mit Weib und Kindern und weniger Begleitung. Die Sachsen wurden von den Franken des Sieges gerühmt, freundlich empfangen und mit dem ganzen Land auf ewig begabt.
Welches Ende aber die Könige erreicht haben, fährt Widukind fort, will ich als eine merkwürdige Sage nicht versäumen zu erzählen. Irini nämlich, welcher an dem Tage, als die Stadt fiel, zu Dietrich geschickt wurde, blieb während der nächsten Nacht als Gast im Lager. Als aber Dietrich gehört hatte, daß Irminfried entkommen wäre, suchte er ihn durch List zurückzurufen und durch Irini töten zu lassen, wofür dieser mit herrlichen Gaben von ihm beschenkt und mit großer Macht im Reich betraut werden sollte, während Dietrich selbst gewissermaßen als fremd dieser Mordtat erschien. Nur ungern unterzog sich Irini diesem Auftrag; endlich durch trügerische Verheißungen bestochen, gab er nach und versprach ihm, willfährig zu sein. Irminfried wurde demnach zurückgerufen und warf sich dem Dietrich zu Füßen. Irini aber, der wie ein königlicher Waffenträger mit entblößtem Schwert daneben stand, tötete seinen knieenden Herrn. Sogleich rief ihm der König zu: " Da du durch solchen Frevel allen Menschen verhaßt geworden bist, weil du deinen Herrn getötet, sollst du freie Bahn haben, von uns hinwegzugehen, an deiner Freveltat wollen wir weder Schuld noch Anteil haben." " Mit Recht", erwiderte Irini, "bin ich allen Menschen verhaßt geworden, weil ich deinen Ränken gedient habe. Bevor ich jedoch von dannen gehe, will ich mein Verbrechen sühnen dadurch, daß ich meinen Herrn räche." Und wie er mit entblößtem Schwerte dastand, hieb er auch den Dietrich selbst nieder, nahm den Körper seines Herrn und legte ihn über den Leichnam des Dietrich, damit der wenigstens im Tode siegte, welcher im Leben unterlegen. Und er ging von dannen, mit dem Schwerte sich den Weg bahnend. — Ob dieser Erzählung, fügt Widukind hinzu, einiger Glaube beizumessen sei, das entscheide der Leser. Doch können wir nicht umhin, uns zu verwundern, daß die Sage solche Bedeutung gewonnen hat, daß mit dem Namen Irincs die sogenannte Milchstraße am Himmel noch heutigen Tages bezeichnet wird.
Wir fügen noch hinzu, daß in den letzten Kämpfen des Nibelungenlieds dem Irinc und dem Irminfried bedeutende Rollen zugeteilt werden, sie sind die ersten tapferen Fürsten, die Hagen und die Burgunden angreifen, ihnen Wunden beibringen, aber ihr Leben dabei einbüßen.
Der Eingang des Liedes erinnert an den Eingang des Liedes von den Herulern, hier wie dort eine Gesandtschaft mit verletzenden , verhängnisvoll anschwellenden Reden. Helden und Heldinnen gleichen den uns vertrauten; die Amelberg der Rosimund, Irinc dem Peredeo, und wie Irini ist Hagen aus Treue und Untreue zugleich geschaffen. Hathugast, der Greis als Sinnbild des Heldentums, vergleicht sich dem alten Hildebrand, der Berchter, dem Starkad, wie seine Rede klingt in der späten Wölsungensage noch die Rede Wölsungs: er habe den Erd geschworen, er wolle weder Eisen noch Feuer fliehen, und habe ihn bis ins Alter nie gebrochen, seinen Söhnen solle man Todesfurcht nicht vorwerfen, hundertmal habe er gekämpft und immer gesiegt und niemand solle das hören, daß er fliehe oder um Frieden bitte. — Nach dem großen Eingang verrinnt und zerteilt sich die Handlung und gerät etwas ins Kleinliche.
Im legten Teil, den Widukind selbst eine Sage nennt, steigt sie auf einmal wieder mächtig an, und ein großer germanischer Konflikt spielt sich vor unsern Augen ab. Es ist der Konflikt der Gier nach Macht mit der Treue. Zuerst siegt die Treulosigkeit; dann triumphiert die Treue gegen den toten Herrn gewaltig über die Treulosigkeit gegen den lebenden. Der Verrat, der Hohn und der freche Tadel des Dietrich werden sein Verderben. Sie öffnen dem Irinc die Augen über die eigene Schändlichkeit und im jähen übergang erkennt er die ehernen Gebote des Gefolgsmanns, Treue und Rache. Und er, der sonst so bedächtig und langsam Vorgehende, handelt, von der aufflammenden Erkenntnis überwältigt, nur dem inneren Gefühle gehorchend, mit solch ungeheurer
Schnelle, daß die Mannen des Dietrich wie gelähmt zur Seite treten und dem Mörder ihres Herrn freie Bahn lassen. Die Art, wie diese Szene geschildert und gesehen ist, und wie die ganz wenigen Worte die mächtigen seelischen Vorgänge klar und knapp zeichnen, das ist die unverkennbare Art des großen germanischen Dichters. Ein Ende von seltener Tragik; derselbe Ratgeber, dessen überlegene Klugheit die Schicksale der Könige lenkte, wird der Mörder des eigenen und des feindlichen Königs; derselbe Held ist der Träger der edelsten germanischen Eigenschaften und zugleich ein Abscheu der Menschen, der verzweifelt über die eigene Untreue in die Einsamkeit sich flüchtet. Wir begreifen es gut, daß Jahrhunderte diesen Irinc nicht vergessen konnten.Erinnerungen an Söhne, Enkel, Urenkel Chlodwigs blieben in der Dichtung noch lange Zeit lebendig. Im 12. und in den folgenden Jahrhunderten sind sie in die Dichtungen von Hugdietrich und Wolfdietrich eingezogen, aber sie wurden gestaltlos und zerfließend. In dem bunten Hin und Her und in dem mittelalterlichen Gewoge dieser Dichtungen tauchen sie wie ein seltsam schimmernder Nebel manchmal auf.
9. Die Hunnenschlacht
Die Sage von Theoderich führt in die Kämpfe der Goten um Italien. Ob von dem letzten heldenmütigen Ringen der Goten mit den Römern das germanische Heldenlied erklang, das wissen wir nicht. Wenn der Sänger, der so selten den Sieg und oft den Untergang germanischer Völker besang, auch diese letzten Kämpfe feierte, so sind alle diese Lieder verschollen und verweht. Ein großer weltgeschichtlicher Kampf der Goten lebte jedoch im Liede fort: die Schlacht der Westgoten und des Aetius auf den Katalaunischen Feldern, die in der Mitte des fünften Jahrhunderts dem Vordringen Attilas in Europa Halt gebot und die westliche Kultur gerettet hat.
Jordanes berichtet von dieser großen Schlacht lebhafter und dramatischer als es sonst seine Art ist, die Erinnerung an sie war schon zu seiner Zeit gewachsen, sie galt als ein Kampf ohnegleichen, erfüllt von einem Heldentum und einer Gewalt des Ringens, wie es die Menschheit noch nie gesehen. Hunnen, Römer und alle germanischen Stämme, unzählige Krieger hatten daran teil; Westgoten und Ostgoten traten sich gegenüber. Auf beiden Seiten wurde mit ungeheurer Tapferkeit gestritten; Attila rief vor der Schlacht ein Orakel an, ermahnte in wilder Rede die Seinen und verhieß, er werde zuerst sein Geschoß in die Feinde schleudern. Im heftigsten Kampf war sein Leben bedroht und man sagte, er habe sich selbst nach verlorener Schlacht töten wollen. Ein Führer der Westgoten fiel, von dem Blut der Gefallenen schwollen die Bäche zu reißenden Strömen an, und die Krieger mußten den Durst mit blutgefülltem Wasser löschen.
Das Lied von dieser Hunnenschlacht wanderte nach England und dem Norden. Dort wurde es spät (im zwölften Jahrhundert) und nicht mehr vollständig aufgezeichnet; seine überlieferung ist schwer beschädigt, über älteren kraftvollen liegen jüngere kraftlose Schichten. Es steht in einer isländischen Saga, der Herwararsaga , eine Reihe von Strophen sind erhalten, andere in die umgebende Prosa aufgelöst. Saro Grammaticus hat dasselbe Lied in einer abweichenden Fassung gekannt, wir finden auch sonst in der isländischen Literatur seine Spur. Seine echten und besten Strophen übertreffen wahrscheinlich die ältesten Eddalieder an Alter und gehören der vornordischen, der germanischen Zeit an.
Heidhrek der Gotenkönig hat zwei Söhne hinterlassen, den vollbürtigen Anganty und den Bastard Hlöd. Dieser Hlöd wächst bei seinem Muttervater, dem König Humli im Hunnenland auf, als Held und Krieger. Hlöd im schimmernden Schmuck von Rüstung und Waffen, auf prächtigem Hengst reitet zu Anganty, um die Hälfte des väterlichen Erbes zu beanspruchen. Er fordert gewaltsam Einlaß, die Mannen drängen sich alle herbei, um zu hören, was er spricht und was der
Bruder antwortet. Der bietet ihm an, er möge mit ihm zu des Vaters Gedächtnis und zu ihrer Aller Ehre trinken. Hlöd weist ihn barsch zurück, er wolle vom ganzen Besitztum des Vaters die Hälfte, von Schwert und Schatz, von Kuh und Kalb, von mahlenden Mühlen, von Knechten und Mägden und deren Kindern, von den dunklen Wäldern und heiligen Gräbern, von geweihten Steinen, von den Heerburgen, von Land und Leuten und leuchtenden Ringen. Anganty erwidert, eher solle der helle Schild brechen oder der kalte Ger' eines andern ihn treffen, bevor er sein Land in zwei Teile teile und ihm den einen lasse. Doch er biete ihm schöne Ringe, Geld und Kostbarkeiten, wonach ihn nur gelüste, zwölfhundert Männer, zwölfhundert Pferde, zwölfhundert schildtragende Knechte, er werde jedem dieser Männer viel und Besseres geben, als jeder sich wünsche, jedem Mann ein Mädchen und jedem Mädchen Halsschmuck. Ihn selbst wolle er mit Silber umhüllen, wenn er sitze, mit Gold überschütten, wenn er gehe, so daß er die Ringe auf alle Wege streuen könne und den dritten Teil des Gotenreiches solle er beherrschen.Ein alter Krieger im Gefolge Angantys, Gizur, meint, dies Angebot sei stattlich genug für einen Bastard. Aber Hlöd ist ergrimmt über den Vorwurf der Unebenbürtigkeit, auch Humli, sein Pflegevater wird, als er das schmähende Wort hört, zornig und rüstet ihm eine gewaltige Heeresmacht. Die Hunnen, einer mächtigen Staubwolke vergleichbar , unter der Gold, Schilde und Helme aufblinken, ziehen zu Anganty und besiegen unterwegs durch ihre ungeheure Übermacht Herwör, die Schwester von Anganty und Hlöd. Herwör wird getötet, ihr Pflegevater Ormar flieht zu Anganty und meldet ihm die Schlacht: "Verbrannt ist der Wald, das Land schwimmt im Blut der Helden, deine Schwester ist getötet." Anganty, als er die Botschaft hört, verzieht die Lippen, schweigt lange und sagt dann "unbrüderlich war das Spiel, aber herrlich die Schwester" . Dann sieht er über das Heer, "wir waren zu viel beim Gelage!" ruft er aus, " nun sind wir zu wenig, wo wir mehr sein sollten. Ich finde keinen, wenn ich auch bitte und ihm Ringe verspreche, der mir zu den Hunnen reite und ihnen den Kampf entbiete" . Aber der alte Gizur will ohne Lohn reiten, springt auf das Pferd wie ein Jüngling und entbietet den Hunnen die Schlacht auf der Dunheide und bei den Jassarbergen. "Entsetzen eurer Schar," ruft er, " dem Tod geweiht seien eure Fürsten, euch sollen sinken die Kampffahnen, grimmig ist euch Odhin." Hlöd ruft, man solle
ihn ergreifen, der Hunnenkönig aber sagt, " den Boten, der allein fährt, darf man nicht vernichten" . Zurückgekehrt schildert Gizur dem Anganty die übermacht der Hunnen. Sechs Fürsten ziehen mit sechs Heerscharen heran, in jeder Heerschar sind fünftausend, in jedem Tausend dreizehnhundert , in jedem Hundert vier Krieger statt eines. — Die folgenden Ereignisse berichtet das Lied leider nicht, nur die Saga erzählt sie, sie schilderte die Schlacht, die acht Tage dauerte, dem Anganty strömen immer neue Scharen zu, in der letzten Schlacht wurden im erbitterten Kampf durch den Angriff der Goten die feindlichen Reihen ins Wanken gebracht, Anganty trat in die vorderste Reihe und erschlug mit dem Schwert Tyrfing seinen Bruder, auch Humli fiel und die Hunnen flohen.Anganty aber — diese Verse erhielt uns wieder das Lied — sägt: "Ich bot dir, Bruder, ungezählte Ringe und Kostbarkeiten, nun hast du keinen Kampf zu vergelten und nicht Land und nicht Schätze. Unheil waltet über uns beiden, Bruder. Dein Mörder bin ich geworden, daran bleibt die Erinnerung. Finster ist der Spruch der Nornen."
Im Vergleich zu denen der Geschichte scheinen die Ereignisse dieses Liedes eng und äußerlich. Ein häuslicher Zwist, Erbstreitigkeiten zweier Brüder, entfachen einen Weltbrand, und sein erstes Opfer ist ihre Schwester. Wie oft flammen die Kämpfe der germanischen Heldendichtung ausser Zwietracht der Verwandten, aus dem Streit des Vollbürtigen und Halbbürtigen auf, wir denken an Chrothild, an Irini, an Ermanarich. Der Dichter zeigt
seine größte Kraft und Anschaulichkeit, als er die Reichtümer aufzählt, die Hlöd verlangt und die Anganty dem Bruder verspricht und deren er noch stolz gedenkt, als er vor seiner Leiche steht. In ähnlicher Prahlerei malt der Dichter uns die Größe des Hunnischen Heeres aus, er schildert uns das Äußere, das Dekorative der Kriegsansage und der Schlacht.Wenn die Dichtung auch den tieferen Sinn und die weltgeschichtliche Bedeutung dieses Völkerringens nicht begriff, so hat sie doch das im künstlerischen Sinn Eindrucksvolle gut erfaßt und mächtig wiedergegeben: den Weg Attilas, die übermacht seines Heeres, das Anschwellen der Bäche vom Blut der Gefallenen. Sie hat auch die Tragik der Geschichte, die ungeheuren Opfer, die ein Sieg verlangt, empfunden, und hat die menschlichen Gründe der Schlacht, so wie sie germanischen Hörern vertraut und lebendig waren, gezeigt, die Erbstreitigkeiten. Die Geschichtsschreiber wissen übrigens von solchen Streitigkeiten auch: ein junger fränkischer Königssohn habe den Aetius, sein Bruder den Attila gebeten, ihm bei der Schlichtung ihrer Zwiste zu helfen. Bei Jordanes stehen außerdem Ost- und Westgoten, also zwei germanische Bruderstämme, sich feindlich gegenüber. Aetius schifte ferner nach der Schlacht den König der Westgoten, dessen Vater fiel, in die Heimat zurück, angeblich, damit nicht seine Brüder seine Schätze an sich rissen und damit er nicht mit den eigenen Verwandten unglücklich kämpfen müsse. Wie erfüllt ist auch die ganze Geschichte der Völkerwanderung von Ländergier, Länderkampf, Bruderzwist!
In den Einzelheiten finden sich dann noch viele Beziehungen von Geschichte und Dichtung. Der Attila der Geschichte wurde z. B. in der Schlacht bedroht, er wollte sich selbst töten; ein Einsiedler prophezeite ihm Unheil, und man ließ ihn frei. Der Hunnenkönig der Dichtung findet im Kampf den Tod, seinem Heere hatte der alte Gizur Böses verheißen, und auch an Gizur vergriff sich niemand.
Ob der Kampf und die überwindung der Herwör aus der Geschichte oder aus einem andern ostgotischen Sagenkreis stammt, ist ungewiß. Es könnte allerdings sein, daß die Kämpfe der Hunnen und Ostgoten im vierten Jahrhundert im südlichen Rußland auch in einem Lied nachklangen, und daß solch ein Lied sich mit unsrem Lied verschmolzen hätte. Doch einen bestimmten Anhalt dafür haben wir nicht, und es bleibt problematisch, die Dunheide unseres Liedes als die Donauebene und die Jassarberge als die Ossetischen Berge zu deuten oder gar in den Stätten des Danpar, die einmal genannt sind, eine Erinnerung an den Danaper des Jordanes, den russischen Dnjepr zu sehen. Problematisch erscheint uns, wenn man den Namen Anganty durch verschiedene Zwischenstufen hindurch aus Aetius ableitet. Eine Reihe von Namen bleiben uns ganz rätselhaft, z. B. können wir nicht erklären, warum der König der Hunnen Humli und nicht Atli heißt. Gizur könnte einem Geiserich entsprechen, sein Mut, seine Kriegserfahrenheit und seine Freude am Krieg und Zwietracht würden zu dem Bilde stimmen, das Jordanes von dem berühmten Vandalenkönig entwirft. Dieser war wirklich Attilas Bundesgenosse und hat ihn gegen die Goten aufgereizt.
Wie es sich mit diesen Deutungen und Beziehungen auch verhalten möge, als Ergebnis bleibt bestehen, daß uns das Lied von der Hunnenschlacht als einziges unter den erhaltenen germanischen einen mächtigen Völkerkampf besingt, und daß es, anschaulich wie wenige, uns Besitz und Begier germanischer Fürsten malt. Auch ist es ein merkwürdiges Zeugnis von den verschlungenen , dunkeln und leidensreichen Wegen und von der unzerstörbaren Lebenskraft unsrer alten Heldendichtung.
10. Wölfungen und Nibelungen
Bei dem Lied von Alboins Tod, bei dem Lied vom Kampf in Finnsburg, bei den Berichten über Chrothilds Rache zeigten
sich uns Motive, Schicksale, Helden und Frauen, die auch die nordischen und deutschen Nibelungendichtungen uns zeigen. — Das deutsch-lateinische Gedicht vom starken Waltharius, verwandt mit altenglischen Bruchstücken des 8. Jahrhunderts, entwickelte sich aus einem germanischen, einem westgotischen Heldenlied: Gunther und Hagen, der letzte nach langen inneren Kämpfen, griffen um eines Schatzes willen den Walther an und besiegten den überstarken Helden, der ein wunderbares Schwert, ein Werk Wielands, schwang; hier sehen wir noch ein Seitenstück zum Nibelungenlied, zum Tod Siegfrieds, in germanischer Zeit. An andre gotische Berichte des s. Jahrhunderts, die unverkennbare Ähnlichkeiten mit Szenen der Nibelungendichtung tragen, hat man ebenfalls mit Recht erinnert.Von den älteren Königen, die im Liede der Goten lebten, nennt Jordanes den Fritigern. Er berichtet von ihm, daß unter den Goten eine Hungersnot ausbrach, daher ersuchten ihre Fürsten und Herzöge Fritigern, Alatheus und Safrak, aus Mitleid mit ihrem bedrängten Heer die römischen Heerführer Lupicinus und Maximus um Eröffnung eines Marktes. Aber aus Habsucht verkauften diese Heerführer nicht nur Fleisch von Schafen und Rindern, sondern bald auch von verrecken Hunden und unreinen Tieren zu hohen Preisen, sa daß sie einen Sklaven gegen einen einzigen Laib Brot, oder zehn Pfund gegen ein Stück Fleisch eintauschten. Als aber den Goten die Sklaven und die Gerätschaften ausgingen, forderte der habgierige Kaufmann bei der drückenden Not die Söhne als Zahlung. Indem die Eltern diese hergaben, sorgten sie nur für das Wohl ihrer Kleinen. Denn sie hielten es für besser, daß sie ihre Freiheit als daß sie ihr Leben verlören . In jener Zeit der Drangsal begab es sich, daß Lupicinus, der Anführer der Römer, den Gotenhäuptling Fritigern zu einem Gastmahl einlud und ihm, wie der Ausgang zeigte, nach dem Leben trachtete. Fritigern, der keine Brglist befürchtete, kam von wenigen begleitet zum Mahle. Während er aber im Feldherrnzelt speiste, hörte er das Geschrei der Seinigen, die elend gemordet wurden. In einem andern Teil des Hauses nämlich suchten die Soldaten des Feldherrn auf dessen Befehl die Gefährten Fritigerns, welche man eingeschlossen hatte, zu töten, und das laute Aufschreien der Sterbenden drang bis zu den schon argwöhnischen
Ohren. Sogleich erkannte Fritigern den offenbaren Trug. Er zog sein Schwert aus der Scheide und entkam mit großer Verwegenheit und Schnelligkeit von dem Gastmahl, entriß die Seinigen dem drohenden Tod und trieb sie zur Ermordung der Römer. So hatten die kriegstüchtigen Männer die erwünschte Gelegenheit gefunden, eher im Krieg als durch Hunger umzukommen, und sogleich waffneten sie sich, um Lupicinus und Maximus zu töten. Jener Tag nahm den Goten den Hunger und den Römern die Sicherheit. Nunmehr begannen die Goten nicht mehr als Fremdlinge und Ausländer, sondern als Bürger und Herren über die Besitzer des Landes zu herrschen und den ganzen Norden des Landes bis an die Donau in Besitz zu halten.Die todesverachtende Tapferkeit beim Mahl nach verräterischer Einladung läßt uns an den Verrat denken, den Attila an den Nibelungen übte und an deren wilde Gegenwehr.
Die Katastrophe der Nibelungensage, Siegfrieds Tod, wird durch den Zank der beiden Königinnen Brünhild und Kriemhild heraufbeschworen. Im deutschen Nibelungenlied streiten die Frauen um den Vortritt beim Münster. In den nordischen Liedern streiten sie sich im Bad. Mit dieser Szene vergleiche man, was Procop, der Geschichtsschreiber der Goten, von den Frauen des Urajas und Ildibad als Wirklichkeit erzählt. Die Männer waren erlauchte Herrscher der Ostgoten im sechsten Jahrhundert, die sich das Volk vor seinem letzten Kampf mit den Römern zur Hilfe rief.
Urajas zog sich Jldibads Haß folgendermaßen zu:
Die Gemahlin des Urajas nahm unter den Goten unbedingt den ersten Platz ein durch ihren Reichtum und ihre Schönheit. Einst begab sie sich ins Bad, herrlich geschmückt und von einem zahlreichen Gefolge umgeben. Dort erblickte sie Jldibads Gemahlin, mit dürftigen Gewändern angetan, denn noch war Ildibad arm, da er kein königliches Einkommen hatte. Statt nun ihr als der Gattin des Königs die schuldige Ehrfurcht zu bezeigen, unterließ sie dies und beleidigte sie noch obendrein durch geringschätzige Blicke. Jldibads Gattin empfand die ihr angetane Schmach sehr tief, trat weinend zu ihrem Gemahl und verlangte von ihm, er solle sie an Urajas Gattin rächen. Deswegen streute
Ildibad unter den Barbaren zunächst die Verleumdung aus, Urajas wolle zu den Feinden übertreten, und bald darauf beseitigte er ihn durch Meuchelmord. Seitdem war er den Goten verhaßt, denn es wollte ihnen gar nicht in den Sinn, daß Urajas so ganz ungerechtfertigterweise hatte sterben müssen. Unter sich redeten sie zwar vielfach von der Freveltat Jldibads in den härtesten Ausdrücken, aber als Rächer des Mordes wollte doch keiner auftreten. Es war aber unter ihnen ein Gepide, Namens Uilas, der zu den Leibwächtern des Königs gehörte. Dieser bewarb sich um eine schöne Jungfrau, zu der er in heißester Liebe entbrannt war. Während er nun mit einigen andern auf einem Streifzüge gegen die Feinde begriffen war, vermählte Ildibad seine Braut an einen andern Barbaren, aus Unkenntnis oder irgendeinem andern Grunde. Als das Uilas bei seiner Rückkehr erfuhr, konnte er nicht verschmerzen, was ihm angetan war, denn er war ein höchst leidenschaftlicher Mensch, sondern beschloß sofort, Ildibad zu töten, und war der Meinung, dadurch allen Goten einen Gefallen zu tun. Er benutzte als Gelegenheit ein Gastmahl, das jener den Gotenfürsten gab. Wenn nämlich der König Tafel hält, so dürfen außer vielen andern auch die Leibwächter zugegen sein. Ildibad neigte sich gerade von seinem Lager vornüber, um nach den Speisen zu langen, als ihn plötzlich Uilas mit dem Schwerte in den Nacken traf, und während der König noch die Speisen in den Fingern hielt, rollte schon sein Kopf auf den Tisch, zum Staunen und Entsetzen aller Anwesenden. So ward Urajas Mord an Ildibad gerächt. —Wenn nun in der Zeit der Völkerwanderung bei den Goten, bei den Franken, bei den Longobarden so viele Lieder und Berichte umgingen, die der großen Nibelungendichtung gleichen, so wird diese auch in derselben Zeit, im fünften und nnsechsten Jahrhundert sich gebildet haben. Die germanische Nibelungendichtung selbst ist uns nicht erhalten. Wenn wir aber den gemeinsamen Besitz der späteren nordischen und deutschen Fassungen zusammenstellen, alles, worin sie übereinstimmen, so werden wir diese Dichtung ungefähr gewonnen haben.
Auch der Kranz der Geschichten, die sich um die Vorfahren der Nibelungen, um die Wölsungen, windet, und den wir besonders aus einer späteren isländischen Saga, aus der Wölsungasaga,
kennen lernen, haben germanische Dichter zu flechten begonnen .Siegmund und Sinfiötli —Sinfjötli gilt bald als der Sohn, bald als der Neffe des Siegmund — waren fränkische Helden, stark und wild wie die Wölfe. Vielleicht sagte man ihnen nach, daß sie bisweilen in die Wolfshaut fuhren; der Wolf war ja das heldische Tier des Zauber- und Kriegsgottes Wodan, des Gottes der Franken. Der Dichter des Beowulf weiß von Siegmund, dem Sohn des Wölsi, und von Fitela (so nennt er Sinfjötli), daß beide die Wälder durchstreiften. Nur Fitela kannte Fahrten, Taten und Frevel des Oheims. Beide erschlugen Riesen, Siegmund allein tötete einen Drachen, heftete ihn mit seinem Schwert an den Felsen, erwarb seinen Schatz und trug ihn dann ins Schiff. Ein wildes, ungebärdiges Heldenleben führten beide: unter den germanischen Helden und noch unter den nordischen fehlen die berserkerhaften nicht, wilde Helden, bissig wie die Hunde, toll und überstark. Es bedurfte langer und großartiger Zucht, bis aus diesen Helden die germanischen Fürsten der Völkerwanderungszeit und ihr Gefolge wurden.
In der Wölsungasaga heißt es: Sinfjötli warb um die gleiche Frau, um die ein Bruder der Borghild (seiner Stiefmutter) freite. Dabei erschlug er diesen im Kampf. Nun wollte Borghild, daß Sinfjötli aus dem Lande weiche, doch Siegmund bot ihr Buße und sie schien sich zu fügen. Bei dem Erbmahl aber zu Ehren ihres Bruders bot sie dem Sinfjötli einen Trank. Er weigerte sich zu trinken, weil ihm der Trank trübe schien, und er glaubte, daß er vergiftet sei. Sein Vater aber trank zweimal, ohne daß er es spürte. Er war nämlich, wie es hieß, ganz gegen Gift gefeit, doch dem Sinfjötli konnte nur an seiner Haut das Gift nicht schaden. Beim drittenmal riet Siegmund dem Sohn, er solle den Trank durch den Schnurrbart seihen lassen (denn er meinte, das Gift werde sich an der Haut zersetzen), da trank er und fiel sofort tot zu Boden. Siegmund stand auf; sein Schmerz ging ihm nah an den Tod. Er nahm den Leichnam und trug ihn fort und kam endlich an das Meer. Da sah er einen Mann auf einem kleinen Boot, der sollte ihn,
überfahren. Doch das Boot war so klein, daß es außer dem Fährmann nur den Leichnam tragen konnte. Den legte Siegmund hinein und kehrte zurück und vertrieb seine Frau, die starb bald darauf. Der Fährmann aber war keine anderer als Odhin.Bei keltischen Gastmahlen war es Sitte, das Getränk in einem großen Gefäß herumzutragen. Die einzelnen Helden tranken daraus der Reihe nach, so daß der Trank durch ihre Bärte wie durch ein Sieb träufelte. Vielleicht ist das der Ursprung von Siegmunds Aufforderung an Sinfjötli. Der Glaube, die Wölsungen seien gegen Gift gefeit, aber nicht alle und nicht alle gleich stark, scheint ziemlich alt. —Odhin als Totenferge, auf einsamem Kahn, den Helden ins weite, dunkle Jenseits führend: das ist wieder eine Szene von denen, die keltische Phantasie liebt und abwandelt, etwa im Tristan. Skylds Totenfahrt kommt uns auch in den Sinn. — Stellt man unsern Bericht ohne diese zauberischen und seltsam lockenden keltischen Umbildungen sich vor, so erscheint die Geschichte eines Vaters, den die zweite Frau zur Ermordung seines Sohnes bringt, ein heroisches Thema, hier ganz von fern und matt anklingend.
Nun höre man die Geschichte von Siegmund — man beachte den Namen — und Sigirich , die Gregor von Tours im s. Jahrhundert erzählt.
Ein burgundischer König Sigimund nahm nach dem Tode der ersten eine zweite Frau. Diese behandelte den Sohn der ersten Frau, Sigirich, hart, daß er sich empörte und ihr einmal zurief, ihr gebührten nicht die Kleider seiner Mutter, die einst ihre Herrin gewesen. Da reizte die Frau mit falschen Reden ihren Gemahl gegen den Sohn, er trachte ihm nach dem Leben und wolle sein Reich gewinnen. Sigimund aber hieß, verführt durch sein Weib, nach einem Mahl den trunkenen Jüngling zur Ruhe gehen und ihn im Schlaf erdrosseln. Als es .geschehen war, stürzte er sich, bitterlich weinend, auf den Leichnam seines Sohnes. Da soll ein Greis zu ihm getreten sein mit den Worten: über dich weine, der du auf verruchten Rat gehört und der du ein Mörder wurdest, über ihn, den Schuldlosen, weine nicht.
Hier haben wir das heroische Thema selbst! Der Zuruf des Sigirich an seine Mutter erneut die Klage der Longobarden, daß die Dänen die Kleider und Rüstungen der gefallenen Longobarden tragen (S. 40), und die Klage des Wieland, daß Bödwild den Ring trägt, den er für seine Geliebte geschmiedet. Die Stiefmutter gleicht der Amelberg, der Rumetrud, der Brünhild, der Rosimund; dem Alboin ähnlich wird Sigirich ermordet; auf einem Mahl, durch die Trunkenheit, wie in der Alboindichtung und wie sonst so oft, geschieht das Unheil. Die Reue des Siegmund erinnert an die des Irini, und auch dieser Vater steht an der Leiche des einzigen Sohnes. Der Greis ist der alte Mahner und Warner der germanischen Heldendichtung. Rede und Gegenrede erklingen in dem Bericht des Gregor, ganz aus der Nähe (er rief ihr zu, sie reizte mit falschen Reden, er hieß den Sohn zur Ruhe gehen, ein Greis trat zu ihm mit den Worten) und erklangen kaum anders in dem germanischen Lied, das uns Gregor hier übertragen hat. Wir erstaunen, daß mitten in den Historien des Gregor ein altes Heldenlied, fast unversehrt, aufleuchtet —
Siegfried wächst einsam auf, elternlos, im dunkeln, heiligen Wald, bei einem Schmied mit zauberischen Kräften, der ihm eine wunderbare Waffe schmiedet. Als junger Bursch besiegt er einen furchtbaren Drachen. Dessen geschmolzene Hornhaut macht ihn unverletzbar bis auf eine Stelle zwischen den Schultern. Dann erschlägt er die Nibelungenfürsten, die um das Erbe ihres Vaters streiten, erbeutet ihren Schatz, belädt damit sein Roh und führt ihn hinter sich her.
Das sind die Ursagen von Siegfried — noch keine Lieder —, aus denen sich die späteren Dichtungen entwickelten. Der Held wächst auf wie der Knabe des deutschen Märchens, der deutschen Dichtung aufwächst, wie der starke Hans, wie Parzival, wie der Simplizissimus: in den Schauern und Wundern des deutschen Waldes; er weiß nicht, von wannen er kommt, ein väterlicher Berater oder die Mutter behüten ihn und er entwächst ihnen nur zu bald.
Wir stehen hier im Allerheiligsten unsres Wesens. — Siegfrieds erste Tat ist die Tat des Beowulf, die Tat des Gottes Donar, er bezwingt einen überstarken Unhold, aber nicht wie jene, um ein Land zu beschützen oder zu befreien, sondern weil ihn überströmende Jugend und Kraft zur Tat drängen. Die naive Freude am Schatz und das stürmische Verlangen nach dem Schatz überrascht uns in unsrer alten Heldendichtung oft. Wir vermuten, daß die Fahrt zu den Nibelungen eigentlich eine der Fahrten ins Jenseits war, die auch dem Gotte Donar seinen Ruhm schafften und die ein Anfang aller Dichtung sind. Unverletzbar bis auf eine Stelle des Körpers, oder gefeit gegen alle Waffen bis auf eine sind Götter und Helden jugendlicher Völker gern.In die Welt der Geschichte führt uns die Kunde von Siegfrieds Jugend nirgends, aber in die Welt vor der Geschichte, in die Welt des Märchens, der Sage, des Mythus überall. Sarws und Hamjis tragen gefeite Rüstungen, Wieland ist ein zauberstarker Schmied, Beowulf und Siegmund sind Drachenbezwinger, der starke Walther schwingt ein wunderbares Schwert: so viel Wunder und zugleich so viel Deutschheit wie die Sagen von Siegfried bergen aber die Sagen keines andern Helden.
Das germanische Lied von Brünhild und Siegfried hat Andreas Heusler so hergestellt:
Zu Worms am Rhein herrschten die burgundischen Fürsten, Söhne des Gibiche, Gunther, Giselher und Gotmar. Ihre Schwester war die schöne Kriemhild, ihr Waffenmeister der grimme Hagen.
Eines Tages ritt in ihren Hof ein fremder Held von überragender Gestalt, in herrlicher Rüstung, auf mächtigem Rosse. Das war Siegfried, Sohn König Siegmunds vom Niederrhein. Die Gibichungen nahmen den berühmten Recken in Ehren auf. Er zechte mit ihnen und zog mit ihnen auf Kriegstaten. Sie mischten ihr Blut mit ihm, nahmen ihn zum Schwurbruder an und zum Mitherrscher, sie gaben ihm ihre Schwester Kriemhild zum Weibe. So genossen sie das Leben, und Siegfried war
Stütze und Glanz des Gibichungenhofs. Einst kam die Kunde von Brünhild, der Heldenjungfrau. Die hauste auf einer Insel fern im Norden. Um ihre goldstrahlende Burg hatte sie einen zauberischen Flammenwall , und einen Eid hatte sie geschworen, nur dessen Weib zu werden, der durch die Waberlohe zu ihr dringe. Gunther gelüstete es, um sie zu werben, und Siegfried, der aller Wege kundig war, sagte ihm seine Führung und Hilfe zu.Sie fuhren ihrer Viere den Rhein hinab und in das Meer hinaus. Als sie vor Brunhildens feuerumloderter Burg standen, spornte Gunther sein Roß gegen die Flammen; aber es wich zurück. Da gab ihm Siegfried seinen eigenen Hengst, aber auch den brachte Gunther nicht vom Fleck. Nun tauschte Siegfried mit ihm die Gestalt, bestieg sein Roß und sprengte gegen die Lohe: die Erde bebte, die Flammen rasten zum Himmel hinauf und senkten sich und loschen vor ihrem Besieger.
Siegfried trat bei Brünhild ein, nannte sich Gunther, Gibiches Sohn, und begehrte sie zum Weibe. Sie zauderte, denn sie hatte erwartet, nur Siegfried, der Drachentöter, könnte die Feuerprobe bestehen. Sie sprach: " Wird nicht um mich, außer wenn du der erste von allen bist. Oft hab ich das Schwert geführt und noch steht mir der Sinn nach Krieg." Er mahnte sie an ihren Eid und sie fügte sich und begrüßte ihn als ihren Gatten.
Drei Nächte teilte Siegfried in Gunthers Gestalt ihr Lager: sein blankes Schwert hatte er zwischen sie beide gelegt. So sei es ihm verhängt, sagte er, seine Brautnächte zu begehen.
Am dritten Morgen zog er ihr einen Ring von der Hand, dann kehrte er zu den Gefährten zurück und tauschte wieder mit Gunther die Gestalt. Mit Brünhild fuhren sie nach Worms und tranken dort Gunthers Brautlauf. Den Ring gab Siegfried seinem Weibe und erzählte ihr das Geschehene.
Sie lebten in Frieden Jahr und Tag. Einst, als Brünhild und Kriemhild im Rheine badeten, da trat Brünhild über die Strömung hinauf, denn sie sei die Vornehmere, ihr Mann sei der größere Held, er habe das Feuer durchritten; aber Siegfried ging mit dem Wild des Waldes und war der Knecht des Schmiedes. Kriemhild höhnte ihre Verblendung. Mein Mann hat den Drachen besiegt und den Albenhort erobert — und er hat das Feuer durchritten und dir diesen Ring genommen: wie kannst du den schmähen, dessen Kebse du geworden bist?
Da erbleichte Brünhild, ging heim und sprach an dem Abend kein
Wort. Als Gunther unter vier Augen sie fragte, antwortete sie: "Ich will nicht länger leben, denn Siegfried hat mich betrogen und dich, als du ihn, mein Lager teilen ließest. Ich will nicht zwei Männer haben in einer Halle: Siegfried muh sterben oder du oder ich." Gunther erschrak ; er glaubte der Anklage, doch lieber hätte er darüber geschwiegen. Sie erwiderte: "Kriemhild weiß alles und schmäht mich. Willst du mich nicht verlieren, so mußt du den Mann wegräumen, der als Recke ohne Reich an euren Hof kam und euch jetzt in Schatten stellt. Mit ihm muß sein Söhnchen aus der Welt."Gunther suchte seine Brüder auf: Siegfried habe seine Brudereide gebrochen und sein Leben verwirkt. Giselher rät ab: Laß dich nicht von einem Weibe aufhetzen! Brünhild beneidet unsere Schwester. Solange wir Siegfried haben, weiß ich keinen uns gleich! Da griff Hagen ein: Ob der König Bastarde aufziehen wolle? Sei Siegfried tot mitsamt seinem Sohn, dann hätten sie keinen Meister mehr über sich, und sie seien dann die Herren des Nibelungenhorts.
Da willigten die Brüder ein. Hagen versprach, die Tat auf sich zu nehmen; er hatte keine Eide geschworen und er wußte Siegfrieds verwundbare Stelle am Rücken. Er und Gunther rüsteten eine Jagd. Alle fünf jagten hinter einem mächtigen Eber her, und Siegfried war es, der ihn einholte und schlug. Dann dürstete sie, sie kamen zu einem Bach und Siegfried warf sich flach hin, um zu trinken. Da stieß ihm Hagen den Speer zwischen den Schulterblättern durch das Herz. Siegfried verwünschte sterbend die feigen Verräter, er beklagte sein Weib und sein wehrloses Kind. Die Mörder frohlockten: einen Morgen lang hatten sie einen Eber verfolgt; jetzt hatten sie ein stärkeres Wild zur Strecke gebracht!
Sie luden den Leichnam auf und kamen nach Tage heim. Sie erbrachen Kriemhilds Kammer und warfen den Toten zu der Schlafenden ins Bett. Als sie in seinem Blute erwachte, stieß sie einen Schrei aus, so gell, daß die Krüge auf dem Bort klirrten und die Gänse im Hof kreischten. Brünhild im Saale hörte den Schrei, da lachte sie laut auf, zum letzten Male, daß das ganze Haus erhallte: "Wohl euch, nun bestreitet euch niemand mehr die Herrschaft!" Kriemhild aber erkannte, daß Helm und Schild unzerschroten waren und daß es feiger Mord war; da rief sie Unglück herab auf die Mörder. Die Fürsten aber zechten siegesfroh in die tiefe Nacht.
Früh am Morgen rief Brünhild die Hausgenossen vor ihr Bett und
weinend eröffnete sie ihnen: Siegfried hatte dem Schwurbruder die Treue heilig gehalten, sein blankes Schwert teilte das Lager: Gunther hat seine Brudereide vergessen. Sei es euch lieb oder leid, mein Leben ist aus. Mit Trug habt ihr mich gewonnen, aus Schlimmem wuchs Schlimmes." Und ehe es jemand hindern konnte, stieß sie sich ihr Schwert in die Seite.Unsere Dichtung ist an Vorgängen reich, ein vielgliedriger Organismus, wie das Lied von der Hunnenschlacht und das von Irinc und das vom Kampf in Finnsburg und das vom Untergang der Heruler. In Rede und Gegenrede zeigen die Handelnden ihr Wesen und die Reden sind niemals mächtiger und verhängnisschwerer als in den entscheidenden Wendungen der Handlung , sie beschwören das Schicksal und das Schicksal bestimmt wieder ihren Lauf. Der Schrei der Kriemhild, als man den ermordeten Gatten zu ihr ins Bett wirft und sie in seinem Blut aufwacht , das letzte, wilde, todgeweihte Lachen der Brunhild: das ist unvergeßlich und der Sinn und die grause Höhe des Liedes. Siegfried in jedem Wort und jeder Tat der germanische junge Held: arglos, hilfsbereit, überschwellend von Jugend und Kraft und unbedacht, und Brünhild die germanische Frau, die unsre Lieder so oft zeigen, von empfindlichstem Gefühl für Adel und Ehre; daß Siegfried sie betrog, daß Kriemhild, der sie sich überlegen weiß, sie eine Kebse schilt, das ist ihr tödliche Schmach; Betrug und Schande vergilt sie durch Verleumdung und Mord. Aber eins hebt die Brünhild über Rosimund und Amelberg und ihresgleichen hoch hinaus, die jungfräuliche herbe Reinheit, das tiefe ahnende Wissen um das Schicksal und der selbstgewählte, alles sühnende Tod. Die Umgebung von Siegfried und Brünhild ist, wohl absichtlich, nicht so scharf gezeichnet: aber nach sicheren, wenigen Strichen stehen die Helden da, die der Germane kennt und sehen will, ein schwacher und dann sich doch aufreckender König, ein mannhafter Königsbruder mit festem und klarem Blick, und ein mächtiger, die Könige beherrschender Ratgeber,
dem die Menschen wenig gelten und das Reich und die Macht alles. Die seelischen Kämpfe, durch die Brünhild und die Burgunden schreiten, der klare und große Aufbau, die Unerbittlichkeit und die stählende Kraft des Ausgangs: das ist alles große germanische Kunst und großes Germanentum.Besondere fränkische Eigenheiten werden in unserm Lied oft sichtbar. Bestimmte Persönlichkeiten der fränkischen Geschichte in Brünhild, Siegfried, Hagen zu suchen, wie es die Forschung bis in die letzten Jahre unternahm, scheint uns allerdings überflüssig: Hagen ist wie Hildebrand und Berchter und Starkad der Vertreter eines bestimmten Standes und Berufes und soll nichts anders sein, es gab viele seinesgleichen bei den Franken und bei den andern Germanen, nicht nur einen. Siegfried und Brünhild gehören in unserm Liede der vorgeschichtlichen, der mythischen und auch der geschichtlichen Welt. Trotzdem darf man an Taten und Schicksale der Franken erinnern, die Gregor von Tours und seine Nachfolger schildern, und in denen Werbungen um mächtige Königstöchter, haßerfüllter Zank der Königinnen, bei dem die eine die andre eine Kebse schilt, erbitterte Rangstreitigkeiten unter Frauen, hinterlistige Ermordung gerade aufrechter und starker Helden immer wiederkehren. Der unbequeme Nebenbuhler, wenn er ein Anwärter auf den Thron scheint, wird hinterrücks ermordet, und welche Gier nach Macht, nach Gold, nach Reichtum verdunkelt diese Zeiten! Fränkische Königinnen tragen öfter den Namen Brünhild, Namen wie Sigimund, Sigirich, Sigibert und ähnliche sind bei den Franken beliebt. —Auch die Grausamkeiten unsres Liedes sind von fränkischer Wildheit: daß man der Kriemhild den ermordeten Gatten ins Bett wirft, daß die Fürsten nach vollbrachtem Mord siegesfroh zechen. Und die Bildkraft einzelner Szenen ist die Bildkraft fränkischer Dichtung: die vom flackernden Flammenwall umlohte Jungfrau, das Roß, das vor den Flammen zurückweicht, weil der Reiter zu schwach ist, die
Lohe, die vor Siegfried himmelan brennt und dann in sich zusammensinkt , der Held, der den Todesstoß empfängt, als er, am Boden flach hingestreckt, im Bach seinen Durst löscht, Kriemhild, die im Blut Siegfrieds erwacht. — Das geistige Geschehen stellen sinnbildhafte Züge eindrucksvoll dar: "Das trennende Schwert ist das heroisch empfundene Zeichen der selbstbeherrschten Freundestreue , das Höherstehen im Bad spiegelt den Gattenstolz der Frauen, der erjagte Eber wird zum Gegenbild des erjagten Fürsten, der hingestreckt am Bach Trinkende veranschaulicht den wehrlosen, arglosen Helden. Das Nichtvorwärtswollen der Tiere verbildlicht Gunthers schwächeren Mannesmut." (Heusler.)Siegfried kommt aus dunkler umwaldeter Ferne, Brünhild träumt in tiefer, flammenumloderter Einsamkeit, auch sie kommt vom Reich des Mythus in diese Welt. Die Bezwingung wilder Jungfrauen und jungfräulicher Göttinnen durch Zauber und Gestaltentausch und der Flammenwall sind Motive und Themen mancher Götterdichtung. Aber unser Nibelungenlied ist weder reine Götterdichtung noch reine Heldendichtung und darf weder als das eine noch als das andre erforscht werden, es ist eine Verschmelzung von mythischer und heroischer Dichtung, wie wir sie so großartig noch nicht fanden, und daher überflog der Ruhm dieses Heldenlieds wohl den Ruhm der andern. Beide, Siegfried und Brünhild, bezahlen es mit dem Tode, daß sie aus ihrem Jenseits in diese Welt schritten, ihnen war es wieder verhängt, daß sie diese Welt verwirrten und gegen sich reizten.
Den Inhalt des alten germanischen Liedes vom Untergang der Burgunden hat Andreas Heusler so erschlossen: (wir bringen Seine Wiedergabe wieder im Wortlaut, nur seine Auffassung über Hagen können wir nicht teilen.)
Nach Siegfrieds Ermordung haben die burgundischen Könige zu Worms den Nibelungenhort an sich genommen. Gunther und Hagen haben den
Schatz am Rhein geborgen und sich zugeschworen, das Versteck geheimzuhalten, solange der eine den andern am Leben wisse. Mit ihrer Schwester Kriemhild haben sie sich vertragen und sie Etzel, dem mächtigen Hunnenkönig, vermählt. Sie hat von ihm zwei Söhnchen, Erphe und Orte.Das Lied setzt damit ein, daß Etzel, nach dem Horte seiner Schwäger lüstern, einen Boten nach Worms schickte, sie an seinen Hof zu laden. In der Halle, beim Weingelage, brachte der Bote seinen Auftrag vor; er versprach den Fürsten unermeßliche Gaben und Ehren von seinem Herrn. Hagen mißtraute und riet ab. Gunther aber rief, eher sollten Wölfe und Bären über das Nibelungenerbe schalten, als daß er feige die Fahrt versitze.
Unter dunklen Ahnungen geleitete man die vier Fürsten mit kleinem Gefolge hinaus. Sie setzten über den Rhein und ruderten so gewaltig, daß Riemen und Pflöcke barsten. Dann stieß Hagen das Boot in den Strom hinaus: auf Rückkehr zählte er nicht.
Drüben an der Hunnenmark trafen sie einen schlafenden Krieger. Den hatte Kriemhild entgegengeschickt, ihre Brüder zu warnen. Tage und Nächte war er geritten und dann am Strome in Schlaf gefallen: seine Warnung kam zu spät, die Grenze war überschritten, der Entschluß stand fest.
Sie ritten übers Land zu Etzels hochzinniger Burg, die von Gewaffneten erfüllt war. Als sie in die Halle traten, kam Kriemhild auf sie zu: " Du bist verraten Gunther! Was willst du ohne Brünne und mit so wenigen gegen die hunnische Arglist?"
Sie setzten sich zu den zechenden Hunnen, Etzel heischte den grossen Hort, Gunther weigerte ihn trotzig. Da ließ Etzel seine Krieger über sie hereinbrechen. Im ersten Ansturm wurde Gunther in Fesseln geschlagen Im Handgemenge fielen Giselher und Gotmar mit den übrigen. Hagen kämpfte noch weiter und brachte acht Hunnen zur Strecke, dann wurde auch er geknebelt abgeführt.
Etzel trat vor Gunther und fragte ihn, ob er sein Leben lösen wolle mit dem Schatze. Aber Gunther sagte, erst müsse er Hagen tot wissen, eh er das Versteck des Hortes verraten dürfe. Da schickte Etzel, dem Hagen das Herz auszuschneiden: lachend ertrug er das Messer. Als Gunther das blutende Herz des Bruders auf der Schüssel sah, sprach er: "Jetzt erst bin ich des Nibelungenhorts sicher, nun Hagen nicht mehr lebt! Bei mir allein ist das Geheimnis nun geborgen. Im
Rhein sollen die Goldringe bleiben und nie euch Hunnen am Arme glänzen!"Da hieß ihn Etzel in den Schlangenhof werfen. Die Harfe, die Kriemhild ihm reichte, spielte Gunther unverzagt, bis das giftige Gewürm ihn totbiß.
In Etzels Halle sammelten sich die Hunnen zum Gelage. Die Königin , ihren Schmerz beherrschend, trug starken Trank auf und legte Etzel einen Leckerbissen vor, dann enthüllte sie ihm: "Die Herzen deiner Knaben hast du gekaut; nie wieder rufst du Erphe und Orte vor dich!" Sie hätte die eigenen Kinder zur Rache geschlachtet. Die wilden Krieger weinten auf, nur Kriemhild hatte keine Tränen: sie streute die Goldringe aus des Königs Schatzhaus unter die Mannen und sorgte, daß sie berauscht einschliefen. Etzel selbst, von Trunk und Schrecken gelähmt, war auf sein Bett zurückgesunken. Hier stieß ihm Kriemhild das Schwert in die Brust. Dann legte sie Feuer an, und in dem Saalbrand endete sie selbst und das ganze Gefolge.
Im Unterschied vom Liede von Siegfried und Brünhild hat sich dies Lied vom Untergang der Burgunden ganz aus den Vorgängen der Geschichte entwickelt. Die Namen Gibica (nordisch Gjuki, altdeutsch Gibicho), Godomar (im deutschen nicht erhalten, nordisch Gotthorm, im deutschen Nibelungenlied tritt an seine Stelle Gernot), Giskahari (altdeutsch Giselher, im Nordischen nicht erhalten), Gundahari (nordisch Gunnar, altdeutsch Gunther) nennt im 6. Jahrhundert in der lex Burgundionum der burgundische König Gundobad als seine Vorfahren; möglich daß die zuletzt genannten Herrscher seine Brüder waren. — Im Jahr 437 wurden die Burgunden von Attila in Rheinhessen vernichtet, ihr König Gunther fiel. — Es ging auch ein von den Geschichtschreibern verzeichnetes Gerücht, daß Attila im Bett an der Seite seiner germanischen Gattin Hildiko an einem Blutsturz starb. Da konnte sich wohl die Sage bilden, die Germanin hätte den Attila gemordet, die Rache für ihre Brüder vollstreckend. — Aus dem Sande des Mittelrheins wusch man Goldstaub, das erklärt den Glauben an einen Goldschatz auf dem Boden des Rheins.
Die Grausamkeiten des Liedes sind hunnischer Art, wie Heusler fein hervorhebt, stärker und noch barbarischer als wir es aus unsrer Vorzeit gewohnt sind. Das Ganze ist lauter, erregter als das Lied von Brünhild, etwa dem nordischen Lied von Ermanarich verwandt. Motive, Persönlichkeiten, Tragik bleiben ganz im Geist unsrer Heldendichtung, selten entwickelt sich die Folge: verräterische Einladung, Fahrt mit geringem Gefolge zum Feind, vergebliche Warnungen, heroische Gegenwehr gegen erdrückende Übermacht, Rache für die Erschlagenen, Untergang der Lebenden in brennender Halle — so groß und so klar. Wundervoll in seinen Abmessungen und Steigerungen ist der Wechsel von Schilderung und Rede, der Gipfel des Ganzen die unvergleichliche Trotzrede Gunthers. Der ganze Aufbau ist von erstaunlicher Kunst. Ein Gelage Anfang, Mitte und Ende. Dreifach steigern sich die Warnungen: Das berstende Boot, der Krieger, den Schlafrunen binden", wie es im Dänischen heißt, und die beschwörenden Worte der Kriemhild. Dreifacher Angriff bringt die Burgunden um ihre Helden: beim ersten wird Gunther überwältigt , beim zweiten Giselher und Gotmar und die andern, beim dritten Hagen. Und dreifach steigert sich auch die Grausamkeit: dem lebenden Hagen wird das Herz ausgeschnitten, Gunther wird in den Schlangenhof geworfen, Etzel muß das Herz seiner Knaben verzehren, die ihm Kriemhild gemordet. Dieser Aufbau und der wilde Trotz und die heroische Klarheit, vielleicht auch sein erregter Lärm und seine skrupellosen Grausamkeiten sicherten dem Lied seinen Ruhm.
Das Lied von Siegfrieds Tod und das vom Untergang der Burgunden lebten lange Zeit getrennt nebeneinander; im Norden blieb bis in das späte Mittelalter ihre Verbindung locker und äußerlich.
11. Rückblicke
Die Zeit, die uns die germanische Heldendichtung besingt,
erstreckt sich vom vierten bis zum Ende des sechsten Jahrhunderts. Ob schon Ostrogotha im Lied gefeiert wurde, wissen wir nicht. Wermund und Uffe und andre englische und dänische Lieder führen uns auf das vierte Jahrhundert zurück. Ermanarich fiel 379. Alarich, Fridigern, Attila, der Untergang der Burgunden, die Kämpfe der Dänen mit den Longobarden und Schweden und die Kämpfe der dänischen Dynastie der Schildunge, schließlich Chlodwigs Anfänge, gehören in das fünfte, Theoderich, der Untergang der Heruler, Chlodwigs Söhne und Nachfahren, die Kämpfe der Franken mit den Sachsen, Thüringern und Burgunden, Audoin, Alboin, der Italien eroberte, und Authari gehören in das sechste, der letzte führt bis dicht an das siebente Jahrhundert.Die ältesten Heldenlieder, von denen wir ausführlichere Kunde haben, sind uns durch Gregor von Tours (Siegmund und Sigirich) und durch Jordanes (Fntigern, Ermanarich) bezeugt, gehören also in des sechste Jahrhundert. Die Annahme ist gestattet, daß sie aus den Anfängen des germanischen Heldenliedes in der Völkerwanderungszeit stammen und daß diese in das fünfte Jahrhundert fallen. Fredegar und seine schönen Sagen gehören in das siebente Jahrhundert, Paulus Diaconus und der Verfasser der Frankenchronik schrieben im achten Jahrhundert, im Anfang des achten Jahrhunderts ist die Entstehungszeit des Beowulf anzunehmen, im achten wurde das Hildebrandslied aufgezeichnet . Die Lieder vom Untergang der Heruler und von Alboin, wie sie uns Paulus Diaconus mitteilt, können sich frühestens im letzten Drittel des sechsten Jahrhunderts gebildet haben. Wir gehen daher in dem Schluß wohl nicht fehl, daß die Blütezeit der longobardischen ebenso wie die der fränkischen Lieder das siebente Jahrhundert war. In diese Zeit fallen gewiß auch die in den Motiven und der Erzählungsart so verwandten Lieder von Jngeld und Hildebrand. Da die Frankenchronik des achten
Jahrhunderts die Lieder des siebenten wiederum in veränderter Gestalt wiedergibt, und da dieser Frankenchronik die Berichte sehr nahestehen, aus denen Aimoin schöpfte, halten wir es für wahrscheinlich, daß sich die Heldendichtung der Völkerwanderung noch bis in das achte Jahrhundert lebendig weiterbildete, ein englisches Zeugnis über Jngeld aus dem Ende des achten Jahrhunderts bestätigt diese Annahme. Es umfaßte dann die Blütezeit unserer Heldendichtung einen Zeitraum von etwa zwei Jahrhunderten.Einige dieser Lieder blieben wenigstens in der Hauptsache bis in das zehnte und elfte Jahrhundert unangetastet. Das erfuhren wir aus der Wiedergabe der fränkischen Lieder bei Aimoin und Widukind von Corvey, aus dem nordischen Lied von Ermanarich und aus dem von der Hunnenschlacht.
Von den Liedern des einen Stammes sind viele zu anderen, zuerst zu den Nachbarstämmen gezogen. Für die Lieder von Alboin bezeugt uns das ausdrücklich Paulus Diaconus, den Alboin rühmt auch der altenglische Widsith. Die gotischen Lieder von Ermanarich, oon Hildebrand und von der Hunnenschlacht finden wir später in Deutschland, in England und im Norden. Nach England und nach dem Norden zogen auch die fränkischen und die burgundischen Lieder von Siegfried und vom Untergang der Burgunden. Die Zeit dieser Wanderungen war wohl das sechste und vor allem das siebente Jahrhundert. Sie hingen mit dem Verkehr der Stämme untereinander zusammen. Später, im achten Jahrhundert, wurden die Schwierigkeiten, die durch die zunehmende Verschiedenheit der germanischen Sprachen der Wanderung sich entgegenstellten, ganz unüberwindlich. Im siebenten Jahrhundert vollendete sich ja jene Lautverschiebung, die bis auf unsre Tage das Niederdeutsche vom Oberdeutschen trennt. Vorher verhinderten die Unterschiede wenigstens nicht die Verständigung , wenn wir uns auch vorstellen müssen, daß beispielsweise
an die oberdeutschen Lieder, die vom Süden nach Norden zogen, allerhand niederdeutsche Eigentümlichkeiten sich ansetzten. In ihrer lautlichen Gestalt mögen sie dem alten Hildebrandslied geglichen haben, in welchem ja auch Niederdeutsches und Oberdeutsches in seltsamer Mischung an uns vorüberzieht. Die dänischen Lieder kamen, wie es scheint wieder aus sprachlichen Gründen, nicht nach dem Süden, sondern sind nur nach England und nach dem Norden gedrungen.Wir haben schon oft betont und wiederholen hier noch einmal, daß die meisten der von uns mitgeteilten Dichtungen Lieder sind oder auf Lieder zurückgehen. Das Lied als Form der germanischen Heldendichtung, zur Begleitung der Laute vorgetragen, wird uns von den Geschichtsschreibern der germanischen Stämme oft bestätigt.
Das Lied ist nun, wie wir öfter sahen, nicht der Anfang, sondern die Höhe der Heldendichtung, zu der ein langer und mühseliger Weg führte. Von den Anfängen wurde uns einiges sichtbar: das Preislied, die Ahnenreihe, die Volkssage. Diese erschien bald als gesteigerter Bericht von Taten und Abenteuern des Helden, oder von ihren magischen und mythischen Besonderheiten, bald als Bericht über Seltsames von Wolken und Himmel oder über Seltsames, wie das Gold am Boden des Rheins. Religiöses, Mythisches, Gottesdienstliches taucht in weiter Ferne auf, wir erinnern an die Totenfeiern und an die Verehrung der Ahnen. Auch das feierliche Gebot des Schweigens, das heilige Dunkel des Waldes, die bezwingende Gewalt des Schlafes, die Sehnsucht nach der wunderschweren, unendlichen Ferne, der Glaube an den Zauber des Namens und an die Kraft der Tiere, das alles webt und waltet in den heroischen Liedern der Germanen . Aber diese Schauer der Urzeit weichen zurück, die Geschichte selbst, ihre Helden und ihre Kämpfe und ihre Unerbittlichteiten haben der Dichtung der Völkerwanderung das tragische Leben eingehaucht. v. d. Leyen, Sagenbuch II 6
Der Name dieses Buches "Deutsche Heldensagen" ist nicht genau, es hieße besser deutsche Heldendichtung. Doch seit längerer Zeit nennt die Forschung unser Heldenlied und unsre Heldensage und unser Heldenepos Heldensage und diesem Brauch sind wir gefolgt. Wie aus Geschichte und Sage sich Dichtung bildete, zeigten uns die Schicksale einiger Lieder. Wir fanden, daß nicht das im Sinn der Geschichte Wesentliche von der Dichtung aufgefaßt wurde, sondern Ereignisse, die den Helden erschütterten oder in denen er die Hand des Schicksals zu erkennen glaubte. Den Untergang der Heruler schilderte der Dichter als Strafgericht, den der Burgunder als verschuldet durch Verrat; der Eroberer Italiens, Alboin, galt ihm als strahlender, sieghafter und unwiderstehlicher Held, bei dem Ermanarich erschütterte ihn der Selbstmord eines Herrschers, der doch so mächtig war und so viele Völker unterworfen hatte, die Dichtungen von Theoderich entsprangen aus den langen verlustreichen und tragischen Kämpfen um Italiens Besitz. Erbstreitigkeiten der Fürsten, Ansprüche des halbbürtigen Bruders waren die Grundlage der Lieder von der großen Schlacht zwischen Hunnen und Goten, von den Schildungen, von Irini und Irminfrid, der mächtige Chlodwig lebt im Lied nur als Brautwerber fort. Einzelheiten der Geschichte erhielten sich, wenn sie als dichterische Motive verwertbar waren, merkwürdig genau, so daß die Forschung z. B. aus den Liedern von den Schildungen die wirklichen Kämpfe und Fehden dieses Geschlechtes zu erschließen vermochte. Sonst übertrug die Dichtung die Taten des Vaters auf den Sohn oder verschmolz deren Wesen, oder sie verschmolz oder verwirrte die Kämpfe verschiedener Stämme, wenn der eine dem andern ähnlich sah. Der altenglische Widsith nennt gar Ermanarich, Theoderich und Alboin als Zeitgenossen. Hätten wir aus der Zeit der Völkerwanderung einen größeren Reichtum geschichtlicher Lieder —ein Gewinn für die Erkenntnis der Geschichte im engeren Sinn wäre das nicht.
Man kann nun beobachten, wie einige Lieder zuerst sich noch ziemlich genau an die Geschichte anschließen, dann aber diesen Halt fortwerfen und frei und groß auf eigenen Füßen stehen. Das alte Lied über die Heruler schildert die Heruler, wie sie wirklich waren, dem Bericht von Gregor von Tours über Alboin fehlt alles Tragische und Abenteuerliche. Die alten überlieferungen über die Kämpfe von Franken und Burgunden kennen die Chrothild als Anstifterin noch nicht, sie ist ein Geschöpf des Dichters . Der erste Teil der Sage von Irminfried und Irinc hat die Treulosigkeiten der Thüringer und Franken gegeneinander gut behalten, die Sagen von Wermund und Uffe, von Jngeld, von Longobarden und Dänen, wie sie der Beöwulf erzählt, gleichen wohl den wirklichen Fehden. Es ist eine Eigentümlichkeit aller dieser älteren Formen, daß sie noch breit oder ohne Spannung sind, ohne rechte übersicht und ohne strengen Aufbau. Sie standen eben der Wirklichkeit zu nah, ihnen fehlte die künstlerische Distanz. Die älteren Formen hatten die Bedeutung, die für den Dichter seine ersten Konzeptionen und Entwürfe besitzen, die jüngeren beseitigen deren Fülle und Unklarheit, sie sichten und wählen und erbauen dann das Kunstwerk. Bei dieser Umformung mußte die geschichtliche Wahrheit der künstlerischen Notwendigkeit weichen, denn die heroische Tragik und nicht die geschichtliche war für den Dichter das Entscheidende. Darum verwandelten sich die Heruler aus einem verblendeten und wilden in ein schuldlos untergehendes, verräterisch überfallenes Volk, die Longobarden wurden aus Angegriffenen die Angreifer. In ähnlicher Art vertauschten später in der Sage von Jngeld Dänen und Longobarden ihren Platz. Aus dem alten müden Ermanarich wurde ein böser und heimtückischer, aus dem siegreichen Theoderich ein vertriebener König.
Der Kreis der Begebenheiten und Motive ist in den Heldenliedern der Völkerwanderung nicht groß und noch mehr, die
Folge der Motive und Begebenheiten wiederholt sich oft, —welch ein Gegensatz zu den bunten, immer wechselnden Kombinationen des Märchens! Aber jede Begebenheit gehört, wie wir schon sagten, zu denen, die in jener Zeit und bei jenen Helden immer wiederkehren. So hören wir immer von Fehden und Morden zwischen Verwandten und ihrer Rache, von Hader um das Erbe und um die Schätze, von kühnen Fahrten ins Feindesland mit geringem Gefolge, von wilder Tapferkeit auf der Flucht, von Verrat und jähem Überfall und von heldenhafter Gegenwehr der überfallenen gegen gewaltige übermachten, von Unebenbürtigkeit, von Verhöhnung der Gestalt, von der Trunkenheit des Mahles, von panischem Schreck, von Knechtschaft und Freiheit, von leuchtenden Heldentaten der Todgeweihten in brennender Halle. Das alles entfaltet sich in höchsten seelischen Spannungen, in Konflikten auf Leben und Tod, dem zwischen den Geboten der Gastfreundschaft und Rache im Lied von Alboin, dem zwischen den beschworenen Eiden und der Rache im Lied von Jngeld und vom Kampf in Finnsburg, dem zwischen Treue und Gier nach Macht im Lied von Irinc, dem zwischen Heldenehre und Liebe zu Sohn und Heimat im Lied von Hildebrand.Die meisten dieser Lieder schonen den Hörer nicht, ja sie stellen seinen Mut und seine Kraft auf die härteste Probe, er soll es eben lernen, dem finsteren Schicksal ins Auge zu sehen. Wie oft ist das Ende Untergang der Helden und die Tragik erbarmungslos ohne jede Hoffnung, ohne tröstenden Ausblick auf eine mildere Zukunft!
Unsere Dichtung schildert nicht den einzelnen Helden, der nur er selbst ist, keinem andern vergleichbar. Sie schildert Repräsentanten des Heldentums, wie es sein soll und wie es niemals sein darf. Diese Repräsentanten stellt sie gegeneinander: alt und jung, Vater und Sohn, König und Gefolgsmann, treu und verräterisch, tapfer und feige, friedfertig und streitsüchtig, still und laut, freigebig
und geizig, geliebt und verhaßt. Sehr ferne stehen unsrem seelischen Empfinden die Frauen jener Heldenzeit. Unter dem Einfluß des Christentums, im englischen Epos, werden sie sanft und bringen den Frieden und in einer späten longobardischen Geschichte entzücken sie durch ihre weibliche Anmut. Vorher hat Liebe zum Mann und natürliche Güte in diesen Herzen keinen Raum, sie sind von reizbarstem Ehrgefühl und Geburtsstolz und leidenschaftlicher noch als die Männer, beseelt von dem Willen zur Macht, dem sie unbedingt sich selbst und ihre Ehre opfern. Wenn sie nur ihr Ziel erreichen, so kümmert sie es nicht, ob die herrlichsten Helden und ob ganze Völker darüber zugrunde gehen.Die Kunst der Charakteristik in unsren Liedern ist schwer zu übertreffen. über Alboin und Authari und Hadubrand und Siegfried breitet der Dichter die ganze hinreißende Macht und den herausfordernden Übermut und die wilde Verblendung der Jugend, über Turisind die wundervolle Würde und Selbstüberwindung des Königs, über Theoderich jene königliche Güte und Milde und jene innere Ausgeglichenheit, die nur die schweren Verluste und die Erfahrung eines langen Lebens dem Herrscher geben. Die alten Gefolgsleute sind die starren unerbittlichen Hüter der heldenhaften Sitte, der ganze Fluch des Heimatlosen, des Verurteiltseins zum Kämpfen und wieder zum Kämpfen und der Ruhm der Siege ruht auf Hildebrand und später auf Starkad.
Der Bau und die Gliederung der Lieder zeichnet sich aus durch unvergleichliche Prägnanz und Klarheit, oft durch erstaunliche Kunst. Sachlicher und zugleich lebendiger war keine Dichtung als die Dichtung im Heldenzeitalter der Germanen. Denn der Dichter tritt ganz zurück; er sagt nur, was der Hörer wissen muß, wenn er das Lied verstehen und in sich erleben will, und dies Unentbehrliche sagt er ganz rasch und knapp. Nachher handeln und sprechen nur die Helden selbst, und weil sie inden Reden sich reizen, berauschen und in die wilde Leidenschaft und zum Gipfel
ihres Daseins steigern, enthüllen sie uns ihr ganzes Wesen und machen zugleich diese Lieder so packend und gegenwärtig. Die Spannung erhöht sich in den Konflikten, löst sich in Aussprüchen, die in wenige Worte gefaßt, den ganzen Inhalt eines Lebens und die ganze Seele eines Liedes zeigen. "Wehe nun, waltender Gott, Wehgeschick wird" — "Der Platz ist mir lieb, aber leid der Anblick des Mannes, der nun darauf sitzt." Manchmal ist die ungeheure Bewegung durch Ruhe unterbrochen, durch kurze Schilderungen und durch unvergeßliche Bilder.Jedes Lied war in sich abgeschlossen und schilderte ein einfaches oder mehrgliederiges Ereignis in seinem dramatischen Verlauf. Berühmte Fürsten, wie Alboin, wurden durch viele Lieder gefeiert, doch war jedes eine künstlerische Einheit für sich und vom andern unabhängig, jedes ein leuchtender Stein in der Krone ihres Ruhmes.
Man sagt oft, im Germanen sei der Sinn und die Begabung zur Form schwach entwickelt. Nun, eine so stark und fest geprägte Form wie die Form des germanischen Heldenliedes wird man in allen Dichtungen der Welt nicht oft finden. Wie locker und frei Vers und Rhythmus scheinen; nicht um der Freiheit und Willkür willen, sondern um die Möglichkeit der verschiedensten Gegenüber zu schaffen, von schwerem, gehaltenem Schritt bis zum wilden , stürmischen Vorwärts, ergeht sich die Dichtung in vielfältigem Wechsel, sie übt die Meisterschaft der Variation wie sie eine Dichtung selten geübt hat. Die Form des germanischen Heldenliedes behielt denn auch in vielen germanischen Ländern ihre Herrschaft Jahrhunderte hindurch, sie unterwarf sich noch weite Gebiete der isländischen Saga hier, des Nibelungenliedes dort. Die Sänger und Dichter der Lieder lebten im Gefolge der Könige, priesen den König und seine Helden, erhielten dafür kostbare Geschenke und zogen wohl auch in die Schlacht. Die Könige selbst schämten sich nicht zu singen und zu dichten, wir erinnern
an Gelimer und Gunther. Die alten Heldenlieder galten nicht dem Volk, sondern dem Adel, daher ihre starre und harte Weltanschauung: es ist die Anschauung eines Standes.Es lag auch nicht im Sinn dieser Dichter zu unterhalten oder die Kunst um der Kunst willen zu üben. Ihre Lieder erklangen, wenn die Männer in der Königshalle beim Gelage saßen, damit sich das Heldentum, das sie verkündeten, den Zuhörern tief einprägte und ihnen Leitstern werde für das eigene Handeln. Der Ruhm, nicht das Leben war unsern Vorfahren der Güter Höchstes: der Freund stirbt, das Vermögen zerrinnt, dem Held schwindet das Leben; der Nachruhm vergeht niemals, sagt der nordische Dichter.
Die Unterschiede der germanischen Stämme werden auch in den wenigen uns erhaltenen Liedern deutlich. Die Franken sind die wildesten, grausamsten, treulosesten und zeigen Freude am theatralischen Auftreten, die Engländer verlieren sich gerne ins Weiche und Sanfte, auch ins Prahlerische, die Goten haben das ausgeprägteste Gefühl für die Macht der Persönlichkeit, für die Konflikte des Heldenlebens und für die Unentrinnbarkeit des Schicksals. Die Kunst der Longobarden ist die mannigfaltigste und gereifteste, in dieser Hinsicht denen der anderen Stämme überlegen. Die ältesten Heldenlieder scheinen gotisch, den gotischen Helden war auch bis in das letzte Mittelalter hinein das reichste dichterische Leben beschieden. Da die Goten in ihrer bildenden Kunst, in ihrer religiösen Empfänglichkeit, in der Entwicklung ihres Schrifttums die begabtesten und die selbständigsten der germanischen Stämme waren, da unsre älteste Bibelübersetzung, da die Runenschrift, da die interessanteste Ornamentik, da die großartigsten und klarsten germanischen Göttersagen das Werk der Goten sind, haben wahrscheinlich auch sie das Heldenlied der Germanen geschaffen.
Viel stärker als diese Verschiedenheiten fällt uns aber in
unsren Dichtungen, in ihren Motiven, ihren Themen, ihren Persönlichkeiten und ihrer Weltanschauung das allen germanischen Stämmen Gemeinsame auf. In ihrer Heldendichtung erkannten sich die germanischen Helden als Germanen, erkannten, trotz aller Fehden der Geschlechter und Stämme, das Heldentum, das sie alle verband. Die Heldendichtung gab ihnen zuerst das Bewußtsein ihrer Zusammengehörigkeit, dazu die Erkenntnis der nur ihnen eigenen Heldenart, die sich in der Glut jahrhundertelanger Kämpfe, Siege und Niederlagen läuterte und stählte. Es ist eines der seltsamsten Verhängnisse, die auf der germanischen Geschichte ruhen, daß dies Bewußtsein groß und klar wurde zu einer Zeit, welche die eine germanische Sprache in viele Sprachen spaltete , deren Wanderungen, Kämpfe und Konflikte die germanischen Völker trennten und bis zur Selbstvernichtung der Edelsten gegeneinander trieben. Gerade das im Untergang über sich selbst emporwachsende Germanentum der Völkerwanderung verklärte die Heldendichtung.National in dem Sinn wie die griechische und iranische, wie die französische und serbische Dichtung ist die Heldendichtung unsrer Vorfahren nicht. Ihr fehlt, worauf Andreas Heusler hinweist, auch der Sinn für die geschichtlichen Wirklichkeiten und Horizonte, der Blick für die Besonderheiten und die Natur der Länder, für geographisches und ethnographisches Allerlei — und das im Zeitalter der Völkerwanderungen! In einer überreichen geschichtlichen Welt besangen diese Helden immer nur sich selbst und ihre Kämpfe und Konflikte. Aber sie schildern mit diesen germanischen Helden doch eine ewige und sich immer neu gestaltende Deutschheit.
Die Könige und Krieger der germanischen Völkerwanderung, die in unsren Liedern vor uns treten, werden wohl manchen erschrecken und für ein Zeitalter der Humanität immer ein Abscheu sein, vor ihren Grausamkeiten fahren auch wir erschreckt zurück.
Sie sind hart und unbarmherzig; um schöne Rüstungen zu erbeuten , töten sie die Feinde, lüstern begehren sie nach Ländern und Schätzen, halten nur dem König die Treue, der ihnen freigebig ist und sie belohnt, wie sie es wollen. Sie nennen ihr oberstes Gebot die Rache und sind verschlagen und tückisch, wenn sie ihre Ziele erreichen wollen. Der gelungene Verrat, der grausame überfall erfüllt sie mit stolzer Genugtuung, um ihrer Rache und ihrer Gier und ihrer Kriegslust willen stürzen sie sich einer auf den andern, Bruder gegen Bruder, Sohn gegen Vater, Volk gegen Volk. Und doch welche Helden! Überwältigend in ihrem Mut und ihrer unbändigen Kraft; um leben zu können, suchen sie die wildesten Gefahren und Abenteuer auf und lassen nur die schwersten Heldenproben als Proben gelten. Eisern, unbeugsam, unerbittlich, wie die Naturgewalten sind sie in ihrem Handeln, sobald es die höchsten Gebote des Heldentums gilt, Ehre und Rache, Gastfreundschaft und Treue. Sie opfern dem kategorischen Imperativ ihrer Sitte, ohne zu fragen, ihr Glück, ihre Liebe, ihr ganzes Dasein, sie halten die Treue über Leben und Tod hinaus; diese Kraft und diese Freude sich zu opfern, gibt ihrem Heldentum die Größe. Die alten Helden sind wortkarg, siegreich über sich im vernichtenden Widerstreit der Gefühle und herrlicher als je, wenn sie den sicheren Tod vor Augen kämpfen, wenn sie ehrerbietig und still dem allmächtigen Geschick gehorchen, das sie alle hinweggerafft hat, und über das doch die Kraft ihres Heldentums sich leuchtend und unvergänglich emporhebt.Vom König Ostragotha sagt der Geschichtschreiber der Goten, Cassiodor, patienta enituit", " er tat sich hervor durch Geduld" . Dies Wort, über dem Eingangstor der germanischen Heldendichtung gleichsam eingemeißelt, bleibt ihr unvergänglicher und stolzer Ruhmestitel. Welche Beispiele von Geduld und Selbstüberwindung zeigten uns diese Helden! Cassiodor fährt fort: Attala tat sich hervor durch Güte (mansuetudine), Winitar durch
Gerechtigkeit (aequitate), Winimund durch Schönheit (forma), Thurismund durch Reinheit (castitate), Walamer durch Treue (fide), Theudimer durch Demut (pietate).Nicht die äußeren Begebenheiten, aber die Helden und das Heldenschicksal der Völkerwanderung und damit sehr mächtige Triebkräfte alles Geschehens erfaßte die Dichtung. Die Heruler und die Longobarden, die Wandalen und die Goten, sie alle fielen und mußten fallen, ihr Heldentum bleibt und lebt mächtig und verklärt, sieghaft und unzerstörbar in ihren Liedern.
2. England und Dänemark
1. Beowulf
Als wir in der Völkerwanderung verweilten, tauchten vor uns immer von neuem in großen, ahnungsvollen Umrissen Sagen und Lieder auf, die uns das alte englische Epos Beowulf erhielt. Dies Epos — und darin liegt seine besondere Bedeutung — ruht nicht allein in sich selbst, es führt überall über sich selbst hinaus. Denn es weist zurück in jene dunklen Anfänge, in denen die Germanen sich des Lebens und seiner Vergänglichkeit und Trauer bewußt werden, es zeigt dann, nicht ohne Stolz und Wehmut, die breite Gegenwart des Heldenlebens und die epische überlieferung der nordgermanischen Stämme, endlich deutet es vorwärts auf die Entwicklung von Heldenlied und Heldensage im germanischen Norden.
Der Beowulf wurde im Anfang des achten Jahrhunderts gedichtet und im zehnten Jahrhundert aufgezeichnet. Am anschaulichsten hat die Vorgänge der Dichtung Wilhelm Hertz wiedererzählt, dem wir uns in unserer Wiedergabe eng anschließen.
Der Anfang des Beowulf, die Geschichte vom Skyld, ist uns bekannt (S. .46). Skylds Nachfahr war der Dänenkönig Hrodgar. Der baute sich, als er grau geworden, ein Saalhaus, die wunderbare Halle Heorot (d. h. Hirsch), um dort in frohem Gelage im Kreise seiner Helden auszuruhen und alle seine Schätze mit ihnen zu teilen.
Nie hatte eine Gefolgschaft einen freundlicheren Herrn, als die im Heorot satz um König Hrodhgar. Da erscholl Jubel jeglichen Tag, Harfenklang und heller Sang des sagenkundigen Sängers. Das hörte in der Ferne ein grausiger Unhold, der Riese des Moors, der mit seiner schrecklichen Mutter in ewiger Nacht den schlammigen See bewohnte, das neblige Sumpfmeer. Der grimme Gast war Grendel geheißen. Ihn erboste der fröhliche Lärm, der in seine freudenlose Wohnung herüber
hallte, und er ging eines Nachts zu dem hohen Haus, wo die Helden-war sich nach ihrer Gewohnheit ihr Lager bereitet hatte; er fand die Männer schlafend nach dem Gastmahl, packte und erwürgte ihrer dreißig und schleppte sie heim, des Fraßes frohlockend. Da erschall statt des Jubels Wehgeschrei; im Jammer um seine Mannen saß der gute König. Hier gab es keine Gegenwehr, keine Hilfe. An des Menschenfeindes Hornhaut haftete kein Schwert, und wieder kam er und verübte neuen Mord, neuen Greuel. Wohl gelobten oft beim Trunke kühne Helden, daß sie im Saale Grendels warten wollten; dann fand man aber zur Morgenzeit die Halle voll geronnenen Blutes, alle Bankdielen rot überströmt und immer kleiner wurde Hrodhgars Gefolgschar. Manchmal saß der König mit seinen Weisen zu Rate; aber sie sahen des Unheils kein Ende. Denn mit dem wilden Dämon war nicht zu verhandeln, noch gegen Tribut Friede zu schließen. Vergeblich waren alle Gebete bei ihren heidnischen Götterzelten, die Verheißung von Weihgeschenken. Der Mordgast saß zur Nachtzeit in dem verödeten Festsaal.So duldete zwölf Winter lang der alte König unablässiges Weh. Die schaurige Kunde aber verbreitete sich über Land und Meer, und so vernahm sie ein Held drüben bei den Gauten. Das war Beowulf, Ecgtheows Sohn, der Neffe des Gautenkönigs Hygelac, vom fürstlichen Stamme der Wägmundinge. Nach seines Vaters Tod war er als siebenjähriger Knabe an den Königshof gekommen, wo er in der Gefolgschar aufwuchs. Er wurde anfangs von seinen Landsleuten gering geachtet und wenig Ehre erwies man ihm auf der Metbank; denn die Gauten sagten von ihm, daß er träge sei, ein untüchtiger Edeling. Aber als er erwachsen war, vollbrachte er Taten wie keiner vor ihm, und sie erkannten, daß er der Stärkste war von allen Kindern der Menschen. Da ward ihm reicher Ersatz für die Schmach seiner Jugend. Doch kein Haß, kein Übermut kam in seine Seele; freundlich war er gegen alle und niemals erschlug er beim Trunk einen Herdgenossen. Er war ein echter Held: stark und milde, klug von Sinn, weiser Worte kundig.
Als er die Märe von Grendels Untaten vernahm, befahl er sofort, daß ihm sein gutes Schiff gerüstet werde. Sein Gefolgsherr, der König Hygelac, widerriet ihm die sorgenvolle Fahrt; aber kluge Männer stimmten dem Helden bei, obwohl sie ihn liebten, und ermunterten ihn mit der Deutung günstiger Zeichen. So erlas er sich vierzehn kühne Genossen und machte sich mit ihnen zur Meerfahrt auf.
Die Helden trugen in des Schiffes Schoß leuchtendes Geschmeide,
stattliches Kampfzeug. Dann stießen sie ab zu fröhlicher Fahrt. Da lief über das Wogenmeer, vom Winde getrieben, mit schäumendem Halse, das Schiff wie ein Vogel, bis daß es um dieselbe Zeit des andern Tages mit gewundenen Steven so weit gekommen war, daß die Seefahrer Land ersahen, blinkende Meerklippen, steile Uferhöhen und weite Vorgebirge. Die Fahrt war zu Ende, die Helden sprangen hurtig ans Land, daß die Panzerhemden klirrten, und sie seilten das Seeschiff an. Der Strandwächter, entzückt von diesen Männern und ihrem herrlichen Führer, fragt, woher sie kämen und weist ihnen dann den Weg zur Halle Heorot. Dort empfängt sie Wulfgar und meldet sie dem König, der den Beowulf und sein Geschlecht wohl kennt, ihn gütig begrüßt und zufrieden die stolze Versicherung des Helden hört, er werde den Kampf mit dem Unhold aufnehmen. Dann weist er seinem Gast den Ehrenplatz in der Halle an und das Gelage beginnt. Unferdh, der Sprecher des Königs, neidet dem Beowulf seinen Ruhm und wirft ihm aufreizende Reden hin. "Bist du der Beowulf, der mit Breca im Wettschwimmen kämpfte auf der weiten See, da ihr euch aus übermut ins tiefe Wasser mit dem Leben wagtet ? Niemand konnte euch die tolle Fahrt abraten. Ihr schwammet durch die Meeresströme sieben Nächte. Er aber besiegte dich; er hatte die größere Kraft. Darum versehe ich mich für dich eines schlimmen Schicksals, obgleich du sonst wohl im Kampfsturm taugtest, wenn du Grendels eine Nacht hier zu warten wagst."Beowulf erwiderte: " Was hast du doch alles, mein Freund Unferdh, trunken von Bier über Breca gesprochen und seine Fahrt! Die Wahrheit sage ich dir, daß ich der Meerkraft mehr hatte als je ein anderer Mann. Wir beide gelobten uns, da wir Jünglinge waren, uns in das Weltmeer hinaus mit dem Leben zu wagen. Wir hatten ein nacktes Schwert in der Faust, womit wir uns gegen die Walfische zu wehren dachten. So schwammen wir nebeneinander fünf Nächte lang, bis uns die Flut auseinandertrieb, aufwallende Wasser, düsternde Nacht, der Wetter tältestes, und der Nordwind uns kampfgrimm entgegenkam. Wild wurden die Wogen. Da bestanden mich die Ungeheuer der See; aber die goldgeschmückte Brünne schützte meine Brust vor ihren tödlichen Griffen. Nicht sollten sie sich des Fraßes freuen, im Kreise um mich gelagert auf des Meeres Grund, sondern am Morgen lagen der Niie neun tot auf dem Strande. Keinem Seefahrer sollten sie mehr die Straße verlegen. Da kam das Licht von Osten, das strahlende Feuerzeichen Gottes, und die Wogen glätteten sich, daß ich Vorgebirge sehen
konnte, windige Wälle. So trug mich der Meeresstrom nach der Finnen Land. Das sage ich dir in Wahrheit, Sohn Ecglafs, daß niemals Grendel soviel Graus verübt hätte, der furchtbare Waldgänger, gegen deinen Herrn, wenn dein Sinn so kampfgrimm wäre, wie du schwatzest. Nein, er hat empfunden, daß er von den Dänen keinen Widerstand zu fürchten braucht. Aber nun soll ihm der Gauten Macht und Stärke Streit entbieten. Dann komme, wer da mag, freudig zum Mete, wenn das Morgenlicht über die Kinder der Menschen von Süden scheint!" — Unferdh verstummt. Der König freut sich der gewaltigen Worte Beowulfs und fröhlich sitzen die Helden beim Gelage, bei dem die Königin ihres Schenkenamtes waltet. Mittlerweile war der Abend herangekommen und mit ihm das Ende des Festes. Beowulf blieb mit seinem Gefolge allein in der Halle. Er legte die eiserne Brünne, den Helm und das ziere Schwert ab. Da der Unhold sich nicht auf den Heldenkampf mit Schwert und Schild verstand, wollte auch er keine Waffe gegen ihn brauchen. Dann streckte er sich auf das im Saal bereitete Lager.Da kam vom Moor her in finstrer Nacht unter Nebelhalden der Schattengänger geschritten, mordgierig die Männer in der Halle zu beschleichen . Bald erreichte er das Haus; die eisenfeste Tür brach ein, wie er sie nur mit der Hand berührte. Dann stürzte der Feind in den bunten Flur; in den Augen stand ihm ein greuliches Licht, einer Flammenlohe gleich, und als er die Schar der Fremdlinge liegen sah, da lachte sein Herz. Rasch faßte er nach einem schlafenden Manne, zerschliß ihn unversehens, zerbiß ihm die Gelenke, trank das Blut aus den Adern und verschlang ihn in großen Stücken. Dann ging er weiter und griff nach dem Mann auf dem nächsten Lager. Der aber stützte sich auf den Arm, reckte die Hand gegen ihn aus und packte ihn fest. Da empfand der Frevler sofort, daß er nie auf Erden einem härteren Handgriff begegnet sei, und jähe Furcht überfiel ihn. Er trachtete von dannen in seinen Schlupfwinkel zu fliehen. Aber der Held sprang auf und drückte ihn, daß ihm die Finger zerbrachen. Da drängte der Riese rückwärts nach der Türe. Von seinem Stampfen erkrachte der Saal; die Bänke stürzten übereinander; aber ihn hielt zu fest, der der Männer stärkster war. Ein Geschrei erscholl, wie es Menschenohren noch nie gehört. Alle Dänen faßte Entsetzen, als sie den Wehruf hörten, das Grauslied gellen des Gottverhaßten, den sieglosen Sang, darin er seinen Schmerz ausheulte. Ein ungeheurer Riß klaffte ihm an der Achsel auf: die Sehnen zersprangen, die Gelenke barsten; der Arm trennte sich ihm vom Leibe,
und todwund entfloh er unter die Sumpfhalden in sein wonneloses Haus, am Leben verzweifelnd.So hatte Beowulf Hrodhgars Halle gesäubert; er freute sich seines Nachtwerks und des erworbenen Ruhms. Alle Gelübde waren erfüllt, dessen war ein sichtbares Zeichen, als der Held Arm und Achsel auf den Boden des Saales warf und die Männer in der Nähe die stahlharten Nägel, die unheimlichen Handstacheln des Feindes bestaunen konnten.
Das war ein Festtag im Heorot. Der König kam und die Königin und die umsitzenden Herzöge des Landes. Sie folgten den Spuren des Riesen und sahen den Moorpfuhl, worein er sich geflüchtet hatte, aufwallen von schäumendem Blute. Auf dem Heimweg ließen sie lustig die Rosse in die Wette laufen. Sangeskundige Helden priesen den Sieger in gebundener Rede und gesellten seinen Namen zu den gefeiertsten Heldennamen der Vorzeit. Beowulf und seine Genossen erhielten prachtvolle Geschenke. Mit Einbruch der Nacht aber wurde den Fremden eine besondere Herberge angewiesen und eine Schar der Dänen blieb wie früher als Besatzung im Heorot. Sie breiteten ihre Betten auf den Boden und entschliefen dort, ihre Waffen über sich auf der Bank.
Aber sie hatten vergessen, daß dem Unhold ein Rächer lebte, und ein neues, ungeahntes Unheil brach über sie herein. Die Mutter Grendels tauchte aus der schauerlichen Flut und kam gefräßig, galligen Herzens zu dem Königshaus. Die Schläfer schraken auf und liefen das Riesenweib gemeinsam von allen Seiten an. Da wandte sie sich zum Rückzug, ergriff aber zuvor einen der Männer, den liebsten Ratgeber des Königs, und schleppte ihn fort. Auch Grendels Arm nahm sie mit. Da war Jammer und Angst erneut. Der alte König klagte schmerzlich um des liebsten Freundes Tod. Beowulf kam zum Morgengruß in die Halle und erfuhr vom König, was geschehen. — "Oft hörte ich von meinen Leuten", sprach Hrodhgar, "daß sie zwei solche große Waldgänger inden Mooren sahen; der eine glich von Gestalt einem Weibe. Sie bewohnen unferne ein schwer zugängliches Land, Wolfeshalden, windige Klippen, den gefahrvollen Moorpfad, wo ein Bergstrom niederrinnt unter nächtige Felsen in die Tiefen der Erde. Dort steht ein Meer, und darüber hangen brausende Bäume, wurzelfester Wald das Wasser überhelmend. Dort kann man allnächtlich schaurige Wunder sehen, Feuer in der Flut. Kein noch so Kundiger hat die Tiefe ergründet. Ja selbst der hornstarke Hirsch, der Heidegänger, der von den Hunden bedrängt nach dem Gehölze flieht, fernher gejagt, er läßt sein Leben lieber am
Ufer, als daß er drinnen sein Haupt bärge. Das Wogengewühl steigt finster den Wolken zu, wenn der Wind böse Wetter zusammentreibt, so daß die Luft sich schwärzt und die Himmel weinen. Hier ist Hilfe wiederum nur bei dir allein!" —Beowulf tröstete den alten Herrn: " Gräme dich nicht, weiser Mann! Besser ist es, den Freund zu rächen als viel zu klagen. Jeder von uns muß des Endes gewärtig sein. Schaffe sich daher, wer da kann, Ruhm, dieweil er lebt, das beste Gut, das den gestorbenen Mann überdauert. Auf, Walter des Reichs, laß uns eilig fahren, von Grendels Mutter die Gangspur zu schauen. Das gelobe ich dir: sie entkommt mir nicht, nicht im Schoß der Erde, nicht im Waldgebirg, nicht auf des Meeres Grund, wohin sie auch gehe!"
Der König sprang auf; alle rüsteten sich und zogen auf Waldpfaden nach dem finstern Moor. Das Wasser wallte blutig aufgewühlt, und auf einer Klippe lag, ein schmerzlicher Anblick, des entführten Helden abgerissenes Haupt. Die ganze Schar lagerte sich am Ufer; zuweilen sang ein Horn ein rüstiges Kampflied. Da sahen sie durch das Wasser hin der Wurmgeschlechter viele, seltsame Seedrachen die Tiefen durchschwimmen und Nixe kauern an der Klippen Absturz. Diese huschten in die Flut erbost und erbittert, als sie das Kriegshorn gellen hörten. Eines der Ungetüme schoß Beowulf mit dem Pfeil und seine Begleiter zogen es mit widerhakigen Eberspießen ans Land, den grausenvollen Gast bestaunend. Dann aber legte Beowulf das Kettenhemd an und rüstete sich zur Fahrt in die Tiefe. Der beschämte Unferdh lieh ihm bereitwillig sein eigenes erprobtes Schwert Hrunting. Beowulf empfahl seine Kampfgenossen dem Schutze Hrodhgars und sprang in den See. Lange tauchte er durch den furchtbaren Schlund, bis ihn die alte Meerwölfin , Grendels Mutter, erspähte und ihn mit mächtigem Griff in ihr Wasserhaus zog. Manches schwimmende Untier Hitz nach ihm auf der Niederfahrt und mancher Ring seines Stahlhemdes zerbrach unter ihren feindlichen Zähnen. Doch bald fand sich der Held in einer weiten Halle, in welche die Flut nicht eindrang. Ein Feuer leuchtete mit hellem Licht; bei dessen Scheine gewahrte er das gewaltige Meerweib und ließ seine Klinge um ihr Haupt ein wildes Kampflied singen. Allein zum ersten Male versagte das gute Schwert seine Hilfe. Da warf er es von sich, der Kraft seiner Hände vertrauend, packte die Riesin bei der Achsel und gab ihr einen Schwung, daß sie zu Boden stürzte. Aber im Fallen griff sie mit grimmen Fäusten gegen ihn, daß auch er, der Helden stärkster,
strauchelte und zu Boden fiel. Da kniete sie auf ihn und zog ihr breites Hüftmesser, um ihren Sohn zu rächen. Hier hätte der Held seinen Tod gesunden, wenn ihn nicht das feste Panzerhemd geschützt hätte, des berühmten Schmiedes Wieland kunstvolles Werk. Der Spitze wie der Schneide wehrte es den Eingang, und so rang er sich wieder empor. Da sah er unter dem Rüstzeug ein uraltes Riesenschwert, der Waffen beste, aber für jeden andern Mann zu schwer. Doch er faßte es beim kettenbehangenen Griff, schwang es wild, am Leben verzweifelnd, und traf die Feindin am Halse, daß es die Beinwirbel brechend hindurchfuhr und sie tot zu Boden sank. Die Lohe flackerte; licht war die Halle. Beowulf schaute sich um, das Schwert inder Hand. Da sah er auf einem Lager ausgestreckt Grendels Leiche liegen; er trat hinzu und hieb ihm zum Siegeszeichen das Haupt ab, daß der Rumpf weithin sprang. Aber die Klinge zerschmolz wie Eis bis an den Griff im giftigen Blute der Unholde.Da sahen Hrodhgar und seine Mannen, welche den langen Tag auf den See hinschauten, wie das Wasser sich verdickte von aufwallendem Blut. Das dünkte sie ein Zeichen, daß der Held ermordet sei und nicht wiederkehren werde. Sie verließen das Ufer und zogen heim. Die Fremdlinge aber, Beowulfs Gefolgsmannen, blieben traurigen Herzens an den Klippen sitzen und starrten in die Tiefe, obgleich sie nimmer hofften, den lieben Herrn wiederzusehen. Da plötzlich tauchte er auf, Grendels Haupt und den Griff des Riesenschwertes mit sich führend, und schwamm fröhlich ans Land. Mit Jubel liefen sie ihm entgegen und lösten ihm Helm und Brünne. Dann zogen sie im Triumph nach dem Heorot und vier Männer trugen an der Speerstange Grendels Haupt bei den Haaren in den Saal.
Voller Rührung nahm am nächsten Morgen Beowulf Abschied von dem alten König und kehrte froh nach der Heimat zurück.
Darnach geschah es, daß Hygelac auf einem Wikingszug gegen die Hetwaren am Niederrhein unter dem Heerschild erschlagen wurde und bald nach ihm fand auch sein Sohn Heardred einen jähen Tod. Da bestieg Beowulf den Habenstuhl der Gauten und waltete seines Reiches ruhmvoll fünfzig Winter.
Das Gedicht meldet nichts von dieser langen Zeit, sondern geht sofort zur Erzählung von Beowulfs Tod über.
In einem hohlen Felsen in der Seeküste lag seit Jahrhunderten ein Feuerdrache und bewachte einen alten Schatz. Den hatte dereinst
der Letzte eines reichen Geschlechtes in den Berg gebracht und mit klagenden Worten der Erde anheimgegeben.Drei Jahrhunderte vergingen; kein Steig führte zu seiner Höhle; kein Mensch wußte von seinem Dasein. Doch eines Tages kam ein Mann, der seinem Herrn wegen eines Vergehens entflohen war, zum Eingang des Schachtes, während der Drache schlief, raubte eine kostbare Schale und brachte sie heim, um seinen Herrn zu versöhnen. Der Drache erwachte, umschnüffelte den Stein und entdeckte den Raub. Da flog er zur Dämmerstunde hinab ins bewohnte Land und spie Gluten aus, daß bald die glänzenden Gehöfte in Flammen standen und der Feuerschein weithin leuchtete. Auch Beowulfs Erbhof, der Königssitz der Gauten, sank in Asche. Da sann der greise Held auf Rache für sich und sein Volk. .Er ließ sich einen eisernen Schild schmieden und machte sich mit elf seiner Gefolgsmannen auf, den Lindwurm zu bestehen. Der Mann, der durch seinen Raub die Verwüstung über das Land gebracht hatte, ging gefesselt als der Dreizehnte mit, um den Weg zu zeigen.
Als sie den Drachenfels von ferne sahen, da setzte sich Beowulf auf einen Stein und überblickte sein langes, ruhmreiches Leben, nahm Abschied von jedem seiner Begleiter und hieß sie zurückbleiben, da nur er allein diesem gefahrvollen Kampfe gewachsen sei. Dann richtete er sich an seinem Schilde auf und ging zu dem alten Felsenbau, einem Werke der Riesen, daraus ein kochender Gießbach stürzte. Mächtig hallte sein Schlachtruf ins Gewölbe hinein, wo der Drache lag. Da kam ein feuchtheißer Dampf aus der Höhle, des Wurmes Atem, und bald er selbst. Die Erde dröhnte. Feuerschnaubend wälzte er sich gegen den Helden heran, der ihm Schild und Schwert entgegenschwang. Aber die Schneide glitt ab an dem Hornpanzer des Untiers und dieses, über den Schlag ergrimmt, spie wildere Gluten gegen den König, daß er hinter dem Schild, von Flammen umlodert, in schmerzliche Not kam. Als das seine Begleiter sahen, flohen sie angstvoll in den Wald. Nur einer gedachte der Ehren und der Liebesgaben, die er von dem Herrn empfangen hatte. Das war der junge Wiglaf, ein Verwandter Beowulfs. Er rief den Genossen zu: "Nun ist der Tag gekommen, wo wir unserem Kriegsfürsten die Ringe vergelten können, die Schwerter und Helme, die er uns verliehen. Nicht dünkt es mich geziemend, heimzukehren ehe wir den Feind gefällt und das Leben des Königs gerettet haben. Lieber soll mich mit meinem Herrn die Glut umarmen!"
Mit diesen Worten drang er durch den Rauch und stellte sich dem
König zur Seite. Aber bald brannte sein Lindenschild in hellen Flammen, so daß er hinter dem eisernen Schilde Beowulfs Schutz suchen mußte. Da ringelte sich der Wurm zum dritten Male herum; vergebens schlug der König mit übergewaltigem Arm; sein altes gutes Schwert Nägling zerbrach auf des Drachen Haupt, und dieser biß ihn in den Hals, daß das Blut hervorquoll. Doch unterdessen stieß der junge Held den Feind in die Weichen, nicht achtend, daß ihm dabei die Hand verbrannte. Beowulf faßte das Messer, das ihm an der Brünne hing, und schnitt den Wurm mitten durch. Da schwand dem Ungeheuer Kraft und Leben.Aber die Wunde des Königs begann zu brennen und zu schwellen und er fühlte, daß ihm der giftige Geifer die Brust durchwütete. Da setzte er sich vor das Felsenhaus und Wiglaf labte ihn mit Wasser. "Nun würde ich", sprach er, " meinem Sohn die Kampfgewande geben, wenn mir ein leiblicher Erbwart beschieden wäre. Ich herrschte über dieses Land fünfzig Winter. Kein Volkskönig wagte mich mit Kriegsschrecken zu bedrohen. Ich lebte im Hofsitz meine Schicksalszeit und bewahrte das Meinige wohl. Nie suchte ich Feindschaft; nie schwur ich trügerische Eide. Alles dessen darf ich jetzt, an Todeswunden siech, Freude haben. Nun lauf, mein lieber Wiglaf, unter dem grauen Steine den Hort zu holen! Aber spute dich, daß ich die alten Kleinodien noch schaue und sanfter so vor der Fülle der Schätze vom Leben scheide, von Land und Leuten, die ich lange beherrscht."
Da eilte der Jüngling in den hohlen Berg, raffte zusammen, soviel er tragen mochte, Kannen und Schüsseln, Schwert und Goldbanner, und häufte sie auf vor dem sterbenden Herrn. Der freute sich in Wehmut des reichen Horts und sprach: " Dank sage ich dem König der Herrlichkeit , daß mir noch vergönnt war, vor meinem Scheiden meinem Volk den Schatz zu erwerben. Nun heißt einen Hügel die Helden erbau'n, wenn mein Leib verbrannt ist; der soll meinem Volk zum Angedenken hoch sich heben auf Hronesnäs (dem Walfischtap), daß ihn Beowulfs Berg die Seefahrer heißen, die den brandenden Kiel über der Fluten Genibel fernhin treiben."
Darauf nahm er sich den goldenen Ring vom Halse und schenkte ihn seinem jungen Gefährten, auch den Helm und die Rüstung dazu und hieß es ihn wohl brauchen. " Du bist der letzte Sproß unseres Geschlechtes, der Wägmundinge. Alle trieb das Schicksal hinweg zur bestimmten Stunde: ich muß ihnen nach." — Das war des alten Helden letztes Wort. Aus der Brust schied ihm die Seele.
Wiglaf saß trauernd über dem toten Herrn; da kamen die entflohenen Genossen beschämt aus ihrem Waldversteck hervor. Aber der Held scheuchte sie mit Fluchworten von der Leiche hinweg und hieß sie landflüchtig von hinnen fahren, sie und ihr ganzes Geschlecht. Dann sandte er einen Boten nach dem Königshof mit der schmerzlichen Kunde. Der rief: "Nun wird Kriegszeit kommen über der Gauten Volk, wenn Franken, Friesen und Schweden den Fall des Königs vernehmen. Bitter sind die Schätze erkauft; der Brand soll sie fressen. Nie soll ein Held eines der Kleinodien zum Andenken tragen, nie eine schöne Magd ihren Hals mit den Ringen schmücken. Nein, mit jammerndem Herzen, goldesberaubt wird manche als Kriegsgefangene ins Elend gehen, da der Heerfürst das Lachen vergaß und der Männer gesellige Freuden. Manche Hand wird den morgenkalten Speer umfassen und kein Harfenklang wird die Kämpfer wecken, sondern der dunkle Rabe wird geschäftig über toten Männern vieles reden und dem Adler erzählen, wie es beim Fraß ihm wohl ging, da er mit dem Wolf die Walstatt beraubte."
Nun folgt die Verbrennung Beowulfs und die Totenklage, die uns auch durch die Übersetzung von Wilhelm Hertz bekannt sind (S. 37).
Der Stil und die Vortragsart im Beowulf sind von denen des germanischen Heldenliedes sehr verschieden. Dort hatten wir äußerste Knappheit, eine sprunghaft andringende Darstellung, gewaltige Spannungen, tragische Gegensätze und Konflikte und am Ende die Vernichtung. Im Beowulf ist verweilende Breite, langatmige Reden, umständliche Zurüstung zur immer wieder sich hinausschiebenden Tat, lange Variationen der gleichen Vorstellungen, eine manchmal etwas selbstgefällige Gelehrsamkeit und viele Anspielungen auf andere Sagen, dann noch wehmütige Klagen und elegische Rückblicke. Zum Schluß zeigt uns der Dichter ähnlich wie Shakespeare nicht die Vernichtung allein, sondern an die Stelle des untergehenden tritt ein neues strahlendes und kräftiges Heldentum.
Im Beowulf steht statt des Liedes ein Epos für den Hörer und für den Leser vor uns, an Stelle der Strophe die fortlausende
Langzeile. Das alte Lied und unser Epos unterscheiden sich nicht dadurch, daß etwa das Epos inhaltsreicher war und viele Lieder aneinander reihte oder verschmolz, sondern sie unterscheiden sich durch die Art, durch die Kürze und die Breite der Darstellung. Der Inhalt des Beowulf würde den Umfang von zwei oder drei Liedern nicht überschreiten. Man nimmt allgemein an, daß der Dichter des Beowulf wirklich zwei oder drei alte germanische Lieder zerdehnt und in ein Epos verwandelt hätte. Dann müßten aber diese Lieder von den uns bekannten sich ziemlich stark unterschieden haben. Sie hätten nicht Kämpfe von Held gegen Held, sondern Kämpfe von Helden gegen Ungeheuer und überstarke Wesen geschildert, sie wären weniger heroisch als mythisch gewesen und, wie schon angedeutet, den alten dichterischen überlieferungen von Siegfried und Donar am nächsten verwandt. Das waren aber in germanischer Zeit nicht Lieder, sondern Gebilde, die zwischen Sage und Märchen standen, in Prosa erzählt, Gebilde, aus denen erst später die Lieder sich gestalteten . Muß man nicht die Möglichkeit erwägen, daß der Dichter des Beowulf oder sein Vorgänger nur diese sagenhaften Überlieferungen kannte und aus ihnen unmittelbar sein Epos schuf?Die altenglische Kunst war dem Epos und der Elegie immer stärker zugetan als dem Lied.
Die Neigung zum Breiten und Verweilenden, zur Wiederholung, zur Umschreibung und zu Vergleichen und auch die zur sanften Klage über das Schicksal und über die Vergänglichkeit des Irdischen war in England schon in der germanischen Zeit erkennbar , ja sie gehört zu den bezeichnenden Eigentümlichkeiten der älteren englischen Dichtung.
Man denkt dabei gern an die Natur des meerumgrenzten Landes. Wir finden im Beowulf, wenn der Dichter schildert, weniger Bilder als Stimmungen, weniger Farben als Töne und wir erkennen eine Vorliebe für das düster Großartige und für die
erhabene Melancholie der Einförmigkeit. Die Schilderungen verdehnen sich in das Weite und Endlose, sie verschwimmen und tauchen auf wie die Klippen und Küsten bei der Fahrt über das Meer, in dem ganzen Epos glaubt man das ewig gleichmäßige, feierliche und gewaltige Rauschen der Wogen zu hören.Der Dichter des Beowulf hatte auch geistige Bildung, wahrscheinlich war er sogar ein Geistlicher. Die geistlichen Dichter aber mußten erklären und wieder erklären, in immer anderen Wendungen das gleiche sagen, damit doch das Christentum, das dem germanischen Wesen und besonders den germanischen Helden so fremd war, endlich von den germanischen Hörern erfaßt wurde. Diese Breite, das so gern sich Wiederholende, die Klagen über die Nichtigkeit der Welt wären dann auch von der christlichen Dichtung her in den Beowulf gedrungen.
Aus dieser Mischung von heimischen und christlichen Elementen im Stil des Beowulf leiten wir ab, daß trotz aller Breite das Epos nicht den ruhigen Fluß der Erzählung gewinnt. Denn die Verbindung beider Elemente ist nicht organisch, an einzelnen Stellen eilt die Schilderung, sich mit wenigen und dunklen Andeutungen begnügend, mit der Schnelligkeit der alten Lieder weiter; wenn sie aber langsam wird, gerät sie leicht ganz ins Stocken. Die Breite ist dann nicht die des Epos, sondern die Gefühlsschwelgerei der Elegie oder die Umständlichkeit des beschreibenden oder lehrenden Gedichtes.
Geistliche Dichtung hieß im England des achten Jahrhunderts auch Vertrautheit mit der alten römischen Poesie, mit Vergil, mit seiner Äneis und seiner idyllischen und elegischen Dichtung, , und mit Ovid. Die Gehaltenheit und das Maß des Beowulf, , die Vornehmheit der Gesinnung, die Freude an der Schilderung hat die Forschung der letzten Jahre aus dem Vorbild des Vergil ableiten wollen, bisweilen vielleicht mit Recht.
Für uns ist die Breite des Beowulf insofern ein unschätzbarer Gewinn, als sie ein sonst niemals in dieser Ausführlichkeit
wiederkehrendes, freilich idealisierendes Bild gibt vom Leben und von den Sitten der heroischen Zeit der Germanen. über Waffen und Rüstung, über die Hallen der Könige und ihre Herrschaft und Schätze, über festliche Gelage, über Sänger und Helden, über die königliche und sanfte und über die unzähmbare Frau, über Geschenke und Buße und über Tod und Bestattung, über dies alles verbreitet sich der Dichter. Es ist manchmal eine Wohltat, daß er uns nicht immer zu Kampf und Mord führt, sondern auch in Frieden und Freude gern verweilt. Von den Sitten und der Art der Völkerwanderung erkennen wir vieles wieder, das Verhältnis vom König zum Gefolge, die Ruhmsucht und die prahlerischen Reden der Helden, die Freude an Waffen und Schatz, ein stolzes Selbstbewußtsein, die Sorge um guten Ruf und um Nachruhm. Die Blutrache und die Grausamkeit haben sich auch erhalten. Auf das Christentum deutet, wie wir schon hervorhoben, die Stellung der Frau, vor unsren Augen verwandelt sich die grausame Thryda in ein treues Eheweib, und die sanfte Königin erhält den höchsten Preis. Huldspendend schreitet sie durch die Reihen der Helden, reicht ihnen den Becher zum Trank und trachtet, die Streitenden zu versöhnen. Auch der Ruhm des Beowulf ist ein wenig in das Christliche und Milde gefärbt, als der Ruhm des Helden, der lange Jahrzehnte den Frieden wahrte und der sich und sein Heldentum dem Land opfert. Durch das ganze Gedicht zieht sich eine, freilich etwas eintönige, innere Würde und die Helden, die vor uns auftreten, sind wieder Vorbilder, Repräsentanten des Heldentums in seiner großen Zeit, die, wie der Dichter wehmütig glaubt, immer weiter uns entrückt und verschwindet.Das Ältere im Beowulf sind nicht die geschichtlichen Vorgänge, sondern die Kämpfe eines Helden mit Unholden von übermenschlicher Kraft. Diese Kämpfe sind in die Höhe des Heroischen gehoben. Auch die ganze Umgebung des Gedichtes
wurde heroisch, nicht ohne Absicht spielt der Dichter auf die berühmten Lieder und Helden an, auf Finnsburg und Jngeld, auf Hrodulf und seine Sippe, auf Eadgils, auf Offa und Thryda, auf Heremod, auf Siegmund und Fitela und auf Wieland. Hier mag erwähnt sein, daß gerade die altenglische Heldendichtung besonders gern die berühmten Helden und Lieder aufzählt und an uns vorüberführt. Der Sänger Deor, der aus der Gunst seines Herrn verdrängt wurde, tröstet sich mit dem Leid anderer, das vorüberging, so wie er hofft, daß auch das seine vorübergehen würde, dabei nennt er das Lied vom Wieland und das von Ermanarich. Der Sänger Widsith reiht ja in langer Folge die germanischen Völker und ihre Herrscher auf und spielt auf Lieder von ihnen an, er hat sich wohl selbst die Lieder alle zusammengestellt, die er beherrschte und um deren Vortrag man ihn bat.Der Beowulf nennt mit Sympathie die Dänen, deren Staat sich im fünften Jahrhundert bildete, er kennt, wie wir wissen, das Königsgeschlecht der Schildunge, seine Kämpfe mit den Schweden und Longobarden und seine inneren Zwiste. Der Dichter weiß auch von den feindlichen Zusammenstößen der Friesen und Dänen. Südlich der Schweden wohnen die Gauten und beide Völker haben sich oft bekriegt. Beowulf selbst ist ein Gautenheld . Die Geschichtsschreiber berichten von einem Einfall der Gauten unter ihrem König Chochilaicus bei den Friesen der Rheinmündung und bei den hattuarischen Franken, dabei wurden die Gauten von den Franken überrascht und überwältigt, ihr König fiel und sie mußten fliehen. Diesen Kriegszug — er geschah 518, gehört also wieder in das sechste Jahrhundert — kennt der Dichter des Beowulf. Chochilaicus ist Hygelac, die hattuarischen Franken sind die Hetware, auf dem Rückzug soll Beowulf Wunder der Tapferkeit vollbracht haben.
Trotz aller Abschweifungen und Verdunklungen tritt im Beowulf
die große Grundidee der Dichtung klar hervor: der Held, der die Unholde besiegt, die Leben und Werk der Menschen vernichten und der in diesem Kampf für andere seinen Ruhm findet und seinen Tod.Seit der Urzeit und dann in den folgenden Jahrhunderten ging wie wohl in allen germanischen, so auch in den dänischen und benachbarten Landen eine Reihe von Volkssagen um von Kämpfen der Helden mit allerlei unheimlichem und überkräftigem Getier.
Wir kennen aus der Sage einen Drachen, der bei seinen Schätzen wacht und bleibt, meist nachdem er sich aus einem Menschen in einen Drachen verwandelt, wie etwa der nordische Fafnir. Das Drachenhafte ist nicht das Ursprüngliche an diesen Unholden, es sind eigentlich Menschen mit zauberhaften Kräften, die schreckliche Gestalt darum annehmen, weil sie ihren Besitz nicht hergeben wollen. Keiner soll einen Angriff auf sie wagen. Wir kennen auch Drachen, die feuerspeiend und verderbenbringend das Land verwüsten und im Kampf mit denen ein Held unterliegt. Die Forscher meinen, daß der Eindruck der Meteore, die unheimlich und wunderbar die Luft durchsausen, diese Vorstellung geschaffen hätte. Diese beiden Drachensagen verschmolz der Dichter in seiner Erzählung vom letzten Drachenkampf Beowulfs. — Es gibt außerdem eine sehr weit verbreitete, uns auch aus dem Märchen bekannte Geschichte von Unholden, die, sei es zu bestimmten Tagen und Zeiten, sei es fortwährend, ein Haus zu einem Aufenthalt des Schreckens machen, indem sie alle, die es besuchen, überfallen, zerreißen und töten, bis endlich der Held erscheint, der ihren Untaten ein Ende macht. Daneben gibt es Sagen von Unholden, die im Sumpf oder in der Tiefe von Seen hausen, nachts heraufsteigen, vernichten, wen sie vernichten können, endlich aber kommt auch über sie der Stärkere. Diese beiden Vorstellungen sind wiederum im Beowulf verbunden, und daraus
ergaben sich Unzuträglichkeiten, die nur die Würde der Darstellung verschleiert. Denn der Dichter nennt wohl zwei Unholde, Grendel und seine Mutter, unterscheidet sie aber im Wesen so gut wie gar nicht voneinander. Die doppelte Rolle des Grendel, als Sumpfbewohner und als Unhold in einem Hause, verpflichtet ferner den Geist zu einer recht sonderbaren und mühseligen Tätigkeit. Zwölf Jahre, allnächtlich, muß er den weiten Weg von feiner Behausung zur Halle Heorot sich schleppen, und wenn er die Halle leer findet, kriecht er ganz zufrieden zurück, ohne den leisesten Versuch, nach weiteren Opfern zu spähen, die doch in nächster Nähe schlafen.Es sind im Beowulf also mindestens vier Sagen von Kämpfen mit Drachen verwertet, wir werden durch ihn auf eine reiche, alte überlieferung geführt. Im Verlauf der Darstellung steigert sich das Phantastische der Drachenkämpfe und neigt sich dem Märchenhaften zu. Die Mutter Grendels haust auf dem Meeresgrund, in goldschimmernder Halle, Beowulf steigt zu ihr herab in die Tiefen des Sees, kämpft mit seltsamem Meergetier, sie unterliegt nicht den Schwertern der Menschen, sondern einem uralten Schwerte, das der stärkste Held allein schwingen kann. Der letzte Drache aber brütet über der leuchtenden Pracht der Schätze, speit Feuer beim Flug durch die Lüfte und wälzt sich feuerschnaubend gegen den Helden heran.
Zu den Drachensagen, die wir aus dem Beowulf herausschälten , finden wir überall Parallelen in den Sagen der germanischen Völker. Das Verbreitungsgebiet dieser Sagen ist zum großen Teil erforscht, viele ihrer Erscheinungsformen gezeigt und untersucht, der Annahme liegt nichts im Wege, daß der Dichter des Beowulf alte germanische Schätze gehoben und geprägt hat.
Dagegen kann die phantastische Zutat im Kampf mit Grendels Mutter, vielleicht auch die im Kampf mit dem letzten Drachen aus keltischer Dichtung stammen. Diese zeigt seit alter Zeit eine
Freude an Glanz und Pracht und an bunter Erfindung. Sie liebt außerdem das Groteske und die fröhliche Prahlerei. Besonders wenn die Helden beim Trunk sitzen, gefallen sie sich gern in übertreibungen und Erfindungen von ihren Taten. Ganz fehlt auch diese Art im Beowulf nicht, wir denken besonders an das erste Gelage bei Hrodhgar und an die Erzählung vom Wettschwimmen mit Breca. —Der Anfang des Beowulf ist die Sage. Vielleicht schon in alter germanischer Zeit übertrug ein Dichter verschiedene Sagen vom Kampf gegen Unholde auf einen Helden und verband sie durch eine tiefe Auffassung. Beowulf kam wie Skyld aus der Fremde, schützte, sein ganzes Leben einsetzend, die Seinen im Kampf gegen feindliche Drachen und erlag endlich einem Drachen. Der altenglische Dichter, stolz auf die heroische Dichtung seines Landes, veredelt durch Christentum und antike Bildung, froh der keltischen Prahlreden und der keltischen phantasiereichen Erfindung, verwandelte die alten überlieferungen in ein Epos, das ist unser Beowulf. — Er ist das Epos eines stolzen seefahrenden Volkes, die Verherrlichung eines Helden, der für dies Volk kämpft und stirbt, der nach siegreichen Kämpfen das Verlangen nach unermeßlichem Schatz mit dem Heldentod büßen muß. — Ist das ein Symbol der Kraft und der Geschichte Englands? Eine Prophezeiung des Untergangs nach langem Ruhm, nach stolzer Sicherheit und großer Herrschaft?Wie es scheint, hatte der Beowulf eine tiefe, eindringende Wirkung auf die folgende englische Dichtung. —Sagen, die seinen Drachenkämpfen gleichen, ja ihnen manchmal überraschend ähnlich sehen, kennt auch die nordische und isländische überlieferung des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts. Sie finden sich besonders in den Geschichten von Bödwar Bjarki und vom starken Gretti.. Diese mögen, besonders die von Gretti, auf den Beowulf selbst oder auf eng verwandte Überlieferungen zurückgehen und haben sich dann märchenhaft und phantastisch erweitert.
Viel bedeutender ist die Entwicklung der Heldensagen, deren alte Form der Beowulf kennt.
2. Wermund und Uffe
Garmund (dän.: Wermund) und sein Sohn Offa (dän.: Uffe) waren anglische Könige des vierten Jahrhunderts; die germanische Dichtung, die sie feierte, haben wir schon kurz geschildert (S. 47). Den Kampf Uffes um sein Reich erzählt am schönsten Saro Grammaticus. Freilich umschreibt er die Vorgänge nach seiner Art rhetorisch und gefällt sich in seiner Redseligkeit. Doch unter dieser gelehrten und mönchischen Hülle spüren wir überall den Herzschlag des heroischen Liedes.
Wermund, der König der Dänen, war im Alter erblindet. Da lieh ihm der Sachsenkönig in herausfordernden Worten sagen, er sei zur Herrschaft doch zu schwach und er möge ihm sein Reich geben, sonst würde er es ihm mit Gewalt nehmen, es sei denn, daß ihre Söhne sich im Zweikampf mäßen; dem Sieger solle dann die Herrschaft zufallen. Wermund klagte, daß man sein Alter und seine Blindheit so schamlos und ungeduldig mißbrauche, doch werde er selbst lieber den Zweikampf bestehen, als seine Freiheit und Herrschaft aufgeben. Die Gesandten lachten, da bat Uffe, Wermunds Sohn, um die Erlaubnis zur Rede, nachdem er bis dahin sein ganzes Leben untätig und stumm geblieben. Der alte König fragte, wer reden wolle, und glaubte, auch seine Leute verhöhnten ihn, als sie antworteten, das sei ja sein eigener Sohn. Doch er ließ ihn sprechen und jener nahm in tapferen und würdigen Worten die Herausforderung an, er werde nicht allein den Sohn jenes Königs, sondern außer ihm den tapfersten ihrer Helden bestehen. Die Sachsen hielten diese Rede für Prahlerei, setzten aber Zeit und Ort des Kampfes fest, die Dänen waren von Staunen und Zweifeln erfüllt.
Wermund befühlte den Leib des Sohnes, um sich zu überzeugen, daß er wirklich gesprochen und er erkannte, daß er ihm am königlichen Wuchs und an Kraft der Glieder gleiche. Dann ließ er ihm Panzer bringen, doch alle waren diesem Helden zu eng, und auch des Vaters Panzer schnürte ihn ein. Da ließ Wermund ihn an der linken Seite zerschneiden und mit einer Spange zusammenheften: hier schützte ihn sein Schild und er brauche keinen anderen Schutz. Man brachte nun
dem jungen Helden Schwerter. Beim ersten Schwung zersprangen alle. Endlich gedachte der alte König des eigenen Schwertes, dem kein Eisen und keine Rüstung widerstand, er hatte es tief vergraben, weil er an seinen Sohn nicht glaubte, und kein anderer sollte es führen. Dies Schwert ließ er aus seinem Versteck holen, aber Uffe sollte es erst beim Kampf erproben, denn wenn auch dies vorher zerbreche, so wisse er für den Sohn keine Waffe.Der Platz für den Kampf war eine von der Eider umströmte Insel. Uffe begab sich allein dorthin, seinen Gegner begleitete der stärkste Recke der Sachsen. Dänen und Sachsen strömten an beiden Ufern zusammen, Wermund trat an den Rand einer Brücke und wollte sich in die Fluten stürzen, wenn sein Sohn unterläge. Uffe erprobte zuerst die Kraft seiner Gegner, indem er sich vorsichtig verteidigte, und den Vater erfüllten bange Zweifel, als der Kampf sich in die Länge zog. Doch dann, indem er die Zurückhaltung des Begleiters verhöhnte, lockte Uffe ihn zum Kampf und schlug ihn mit dem ersten Schwertstreich mitten durch. Wie er den Klang des Schwertes hörte und wie ihm die Dänen sagten, sein Sohn habe den ganzen Mann zerspalten, lebte der alte Wermund auf und trat, nun wieder von Lebenslust erfüllt, vom Rand der Brücke zurück. Uffe jedoch reizte nun auch den Königssohn, er solle den Tod seines Freundes rächen, und zerschlug ihn dann wie seinen Begleiter. Das Gefolge meldete das jubelnd dem alten Herrscher, der brach in Tränen der Freude aus, und die Dänen empfingen den Sieger mit wilden Siegestänzen. —
Wermund ist in diesem Bericht König der Dänen und seine Feinde sind die Sachsen. Dänen und Sachsen bekämpften sich im zehnten Jahrhundert. Aus dieser Zeit stammt wohl auch das dänische Lied, dem Saxo folgte. Dies beruhte auf einem älteren germanischen, von dem Widsith wußte. Aus der germanischen Kunst sind uns bekannt der Kontrast zwischen dem herausfordernden prahlerischen und dem stillen tapferen König, die kämpfenden Helden, die sich durch ihre Reden reizen, auch der Held, der in der Jugend stumm und dumpf ist und die Seinen plötzlich durch sein Heldentum überrascht. Die dramatischen Augenblicke in unsrer Erzählung können ebenfalls dem germanischen Dichter gehören: die tapfere Rede Uffes in der höchsten Not seines Volkes,
der jähe Umschlag des Kampfes aus vorsichtig lauernder Deckung in vernichtendem Angriff. Der im Kampf untätige König, die Meldung vom Verlauf des Kampfes an den König, die freche Herausforderung der Gesandten hatten ja ihre Seitenstücke im Herulerlied (S. 31). Schließlich ist es die Art der germanischen Lieder, uns zwei einander ebenbürtige Helden zu zeigen, meist stellt sie dabei den Jungen und den Alten gegenüber, wir erinnern wieder an Turisind und Alboin, an Hildebrand und Hadubrand. — Anderes in unserer Erzählung weist auf eine Kunst, die ihre Steigerungen sorgfältiger vorbereitet, die ein feineres Ohr hat für seelische Schwingungen und deren Anschaulichkeit auch weniger gewaltsam wirkt. Das sind die Kennzeichen der dänischen Kunst des zehnten Jahrhunderts. Langsam entfaltet sich Uffe vor uns. Wir zweifeln noch mit dem Vater, ob denn wirklich er die erlösenden Worte gesprochen, dann zeigt uns der Dichter nacheinander seinen königlichen Wuchs, die Kraft des Leibes, die jeden Panzer sprengt, die Kraft des Arms, die jedes Schwert zerbricht. Den so entfalteten Helden führt er in den Kampf. Darin bewährt sich Uffe wiederum nicht sogleich, sondern allmählich erst in seiner gewaltigen überlegenheit. Im alten Wermund aber wollen die Zweifel nicht weichen, und nicht die Kraft des Sohnes, sondern erst der Klang des Schwertes, gibt ihm die ganze Zuversicht . Wie leidet dieser Greis unter der Bürde seines Alters und seiner Blindheit, und wie stolz und königlich steht er doch vor uns, der im Kampf lieber fallen will als sich unterwerfen, und der es ebensowenig überleben mag, wenn sein Sohn fällt. Es ist ein Bild von großer Anschaulichkeit, wie er am Rande der Brücke steht, bereit, sich ins Wasser zu stürzen, wie er vorschreitet, als der Kampf nicht voranrückt, und wie er stolz zurücktritt, als sein Schwert ertönt.In allen diesen Zügen spüren wir die Hand des feinen Künstlers, in dem doch die Größe der alten Dichtung lebhaft
wiederklingt. Doch er hat das alte Lied nicht nur geadelt. Die Erfindung, daß Uffe nicht einen, sondern zwei Gegner besiegt, ist gewiß eine Vergröberung, die das Germanische noch nicht kannte. Ebenso scheint die so breit vorgetragene Schwertprobe nicht das Eigentum des alten Liedes, sondern dem keltischen Sagenschatz entnommen. — Wir sehen bei Wermund und Uffe an einem merkwürdigen Beispiel, wie spätere Jahrhunderte bemüht sind, das germanische Erbe zu wahren und zu erhöhen, ihm einen menschlichen Gehalt und zugleich eine wirksame Volkstümlichkeit zu geben. Eine verwandte Entwicklung können wir bei der Dichtung von Hagbard und Signe verfolgen.
3. Hagbard und Signe
Die Geschichte von Hagbard und Signe verdanken wir wiederum dem Saro Grammaticus. Er kannte das alte Lied von beiden und teilte uns seinen Inhalt mit; einige Strophen, die ihm besonders zusagten, hat er sogar in lateinische Verse übertragen.
Signe, die Tochter Sigars, zieht dem Hildegisel, einem Deutschen, der nur schön ist, den tapferen Hagbard vor, und preist ihn:
Der eine wirbt mit Tat und Mut, der andre wirbt mit Schönheit und Locken. Kurze Zeit nur besteht auch die blühendste Farbe, die große Tat vergißt sich niemals. Hildegisel wendet sich im Zorn über diese Zurückweisung an den, bösen Ratgeber des Königs Sigar, den Bölwis. Der sät Zwietracht zwischen den Söhnen des Sigar und den Söhnen des Hamund, unter denen Hagbard war. Die Söhne des Sigar bekriegen und töten die des Hamund, und den Tod seiner Brüder rächt wieder Hagbard, indem er die Söhne des Sigar erschlägt und dabei den Hildegisel schimpflich verletzt. Trotzdem schleicht er sich, weil Signe ihre Liebe ihm versprochen , verkleidet als Schildmädchen zu ihr, der er die Brüder geraubt . Als beim Schlafengehen die Mägde dem verkleideten Mann die Füße waschen und abtrocknen, erstaunen sie sich, daß sie gar so männlich und hart seien, und er antwortet: Das ist kein Wunder, wenn meine Sohlen mir hart geworden,
behaart der Schenkel. Über Land und Meer bin lang ich gefahren , ich trat auf Dornen, schlug mich durchs Dickicht. — Die Brust der Kämpferin deckt die Brünne, nicht zartes Linnen umhüllt sie weich. Nicht Faden und Spindel faßten die Hände, sie faßten des Schwertes blanke Schneide und haben im dunkeln Blut sich gerötet. Dann verlangt Hagbard, weil er so vornehm sei, daß die Dienerinnen ihn zu Signe auf die Schlafstatt weisen. Während er sie umarmt, , fragt er sie:Sag ' mir, Signe, Sonnenhelle: wir vereinten uns beide zu unsrer Brautnacht, der Sohn des Hamund und du, die Edle. Der Verwandten Rat, des Vaters Wille hat uns nicht geleitet. — Wenn dein Vater mich fängt, zum Tode führt, wenn Sigar rächt die erschlagenen Söhne, wenn mein Leben vergeht, was wird dein Los? Wirst du in deiner Treue verharren?
Signe antwortete:
Verhaßt wird mir sein das Leben zu längen, wenn das Grab verschließt mein schönstes Glück. Ob Siechtum, ob Schwert, ob See oder Land, kein Tod soll dich treffen, ich wähle denselben. Geschlossen der Bund, den niemand zerbricht, seit ich teilte das Lager mit meinem Helden. Verwunden in einem sind unsre beiden Lebensfäden, seit ihrem Gemahl die Frau sich gab, die wert des Schildes.
Hagbard wird von Bölwis entdeckt und verraten und nach tapferem Kampf gegen die Mannen des Königs überwältigt. Der König, trotzdem einige seiner Helden die Kühnheit des Jünglings bewundern und bitten, ihn zu schonen, gibt, wieder auf Anstiften des Bölwis, den Befehl ihn zu hängen. Als die Mannen ihn zum Galgen führen, bietet ihm die Königin mit höhnischen Worten den Abschiedstrunk.
Hagbard, harter, dem die Richter sprachen das Todesurteil, dir entbiet ' ich, nimm hier das Horn, den Becher der Hel, trink' ihn, trink ' freudig! geweiht dem Tode sind deine Lippen. Zum Hochsaal der Hel wand're dahin, zerreißen den Leib dir die Raben am Galgen!
Hagbard antwortet:
Ich nehme den Becher mit jener Hand — den letzten Trank —
die erschlug deine Söhne. Niemals wirst du, Sigars Weib, die Pfänder der Hel, niemals sie lösen.Und mit diesen Worten schleudert er der Königin den Becher vor die Füße.
Signe hat unterdessen ihre Jungfrauen gefragt, ob sie mit ihr sterben wollen und sie geloben das gern. Hagbard, auf dem Galgenberg angelangt, bittet die Henker, sie sollten statt seiner zuerst seinen Mantel in die Höhe ziehen, es werde ihm eine Freude sein, den Tod vorher im Abbild zu erblicken. Die Bitte wird ihm erfüllt, der Wächter meldet den Frauen, daß Hagbard gehängt sei. Da legt Signe Feuer ans Gemach und stirbt mit ihren Jungfrauen. Als Hagbard die Flammen auflodern sieht, ruft er jubelnd:
Hebt mich, ihr Burschen, hoch an den Galgen, sie ging voran, der ich nun folge. Die Flammen lodern hinauf zu den Wolken, die Balken prasseln, Signes Treue leuchtet brennend über die Lande.
Die Worte der Treue banden keine wie Signe, die Frau entflammte selbst sich den Holzstoß, nun hat Hagbards Weib die Tore der Hel weit geöffnet. Die nicht trennte der Tod, was kann sie trennen?
Hako, sein Bruder, rächte den Hagbard. Mit wenigen Kriegern eilte er dem Sigar entgegen. Damit seinen Mannen der Schatten nicht fehlte, ließ er sie Bäume abhauen und vor sich hertragen und er gebot ihnen auch, einen Teil der Kleider und die Scheiden der Schwerter fortzuwerfen. In der Nacht stürmte er voran, beim Morgengrauen sah der Wächter den wandernden Wald und stürzte mit der Botschaft zu Sigar. Der fragte nur, ob Hako schon nahe sei und sagte dann, dies Wunder künde ihm seinen Tod. In der Schlacht mit Hako wurden Sigars Krieger nach tapferer Gegenwehr von der übermacht der Feinde überwältigt, er selbst erschlagen und seine schöne Stadt verbrannt.
über Tod und Leben; wie geht sie auf in die Ewigkeit des Ruhmes!
Dänisch in diesem Lied ist die Komposition: der böse Rat und der Verrat des Bölwis, der sich dreimal wiederholt, die Ausmalung der Verkleidungsszene, die Gegenüberstellung des weichen deutschen, verwöhnten Hildegisel und des harten Hagbard, die Gegenüberstellung von Trotz und Treue und Todesverachtung und von Schönheit bei Signe. Schicksale wie Signe sie für sich heraufbeschwört, wählen auch andre dänische Jungfrauen, die Sigrun, die Hilde. Die Prahlerei des Hagbard und seine Todesverachtung und seine Reden hat der dänische Dichter etwas ins Aufdringliche und Prahlerische gesteigert.
Stellen wir uns nun das Lied ohne diese übermalungen vor, so erzählt es: den jähen überfall des Hagbard auf Sigars Söhne, so wie ihn etwa fränkische Lieder darstellen (das fränkische Motiv vom wandernden Wald (S. 52) überrascht uns ja am Ende von Saws Bericht), danach den tollkühnen Besuch Hagbards bei Signe — wir erinnern an Alboins Besuch bei Turisind —, danach die Entdeckung und Verurteilung Hagbards und den Tod der beiden. Hagbard wirft der Königin, deren Söhne er getötet, den Becher vor die Füße, Alboin verlangt von Rosimund, daß sie aus dem Becher trinkt, der aus dem Schädel ihres Vaters geschmiedet war, des Vaters, den Alboin erschlug. — Vielleicht trug das Lied dann noch die Rache vor, die Hagbards Bruder an Hagbards Mördern nahm. Das wäre dann ein reiches, , mächtig und groß gegliedertes Lied von stärkster dramatischer Spannung.
Das Lied und die Sage von Hagbard und Signe wurden im Norden berühmt wie kaum andere und das Volk sang und erzählte sie überall. Welche Dichtung war auch reicher und stolzer? Welche pries so hinreißend die Liebe in ihrer leidenschaftlichen Hingabe und ihrer todüberwindenden Kraft:
Von der alten Dichtung her blieb in Volkslied und Sage überall der Zusammenhang vom brennenden Jungfrauenhaus und dem Galgenhügel. Sonst hat die spätere Dichtung gerade die Motive entwickelt und anmutig und rührend ausgebreitet, die im alten Liede nur wie im Keim lebten: die Treue und die verzehrende Liebe, die Lieblichkeit der Verkleidungsszene und das Mitleid mit dem Tode des jungen Paares. Saro stellte die Geschichte der Signe in eine Reihe von Liebessagen, in die von Alfhilds Trotz und in die von Sigrids schamhaftem Stolz.
4. Starkad
Wir rufen uns nun das Lied oon Jngeld (S. 40) in unser Gedächtnis zurück. Dieser nahm die Tochter des Longobardenfürsten Froda zur Gemahlin, deren Vater ihm seinen Vater erschlagen hatte. Ihn reizte mit unerbittlichen Worten ein alter Krieger, bis einer von Jngelds Mannen einen Jüngling aus dem Gefolge der Könige tötete. Der Mörder entrann und die alte Feindschaft zwischen den Stämmen flammte wieder auf.
Das Lied von Jngeld lebte wie die von Uffe und Hagbard weiter und steht im zehnten Jahrhundert in einer neuen Form vor uns die Saro Grammaticus kannte und die er uns diesmal freilich in seinen lateinischen Versen, vollständig wiedergegeben hat. Wie die alten Strophen von Hagbard und Signe, so hat Axel Olrik uns auch das Lied von Starkad in seiner alten Reinheit wiedergeschenkt und wir folgen genau seiner Schilderung.
Die Handlung des Jngeldliedes spielt in dem Königsgehöft Lejre. Die Hofbediensteten König Jngelds eilen hinein und hinaus mit den leckeren Gerichten; sie beachten nicht den alten Mann, der; zu unterst in der Halle steht; da erhebt er seine Stimme und erinnert daran, wie er einst König Frodi gedient und zu oberst in der Halle des Dänenkönigs gesessen hat; nun ist er gekommen, um zu sehen, was jetzt Brauch sei im Königsgehöft der Schildunge; denkt Jngeld daran, seines Vaters Tod zu rächen ? oder nur daran, seinen Leib zu mästen? Er erinnert
sich, wie er von Frodi mit bangen Ahnungen schied; wäre er nur bei ihm gewesen, dann würde der trügerische Sachsenhäuptling erschlagen sein — oder er selbst wäre an des Herrn Seite gefallen! Die Königin, die sächsische Gattin Jngelds, sucht ihn zu beruhigen durch ein goldgewirktes Hauptband; aber er schleudert es von sich mit Spott über die fremden Sitten in Kleidung und Speise, verhöhnt Jngeld, der mit den Fingern in den Eingeweiden der Vögel wühle, und preist die alte Zeit, wo er in der Wikingerschar Hakis rohen Schinken ass und sich süßer, berauschender Getränke enthielt. Er scheint nahe daran, sich in eine greisenhafte Lobrede der Vergangenheit zu verlieren, aber plötzlich ist er wieder bei dem Ziele, das er verfolgt: keiner nahm da eine Buße an für des Vaters Tod, nicht würde da ein Sohn zu Tische gesessen haben mit seines Vaters Mörder (wir denken aber an Alboin der am Tische des Königs saß, dem er den Sohn getötet). Er ermahnt Jngeld mit den stärksten Worten: wenn andre singen von den Großtaten der Könige, wird Starkad voll Scham sein Angesicht im Mantel verbergen, denn von Frodis Sohn gibt es nichts zu singen; ihm wird der Ruhm anderer Gewissensbisse erwecken, er wird nimmer sich den Edlen gesellen, sondern sich verbergen in den Armen des fremden Weibes und daliegen als eine Beute für die Begierde der Sachsen nach Seinem Reiche. Oder — er muß Rache nehmen für seinen Vater! Da springt Jngeld auf, schlägt die Sachsen nieder, die an seinem Tische sitzen, die sieben Brüder seiner Gattin, und trennt sich- auf den Rat des Starkad- von ihr, damit nicht das Geschlecht der Verräter in Dänemark gedeihe. Und während noch die Knechte die Leichen der Getöteten aus der Halle schleppten, richtet der alte Kämpe Abschiedsworte an die Generation, in deren Tun er dies eine Mal eingegriffen hat; er erinnert an das Kriegerleben zur See, .das die harte Schule Seiner Jugend war, wirft einen verächtlichen Blick auf die Menschen, die nunmehr vorwärts zu kommen suchen durch schlau angelegte Prozesse und Geldgeschäfte, die ihr Haar kräuseln und den Gaumen kitzeln wollen; alle werden sie einmal bangen um ihr Leben, aber er, der sich seinen Weg durch die Welt erkämpft hat, kann dem Tode frei ins Auge sehen.den Tod des Vaters, sondern ein anderer, das war wieder das ältere und im künstlerischen Sinn eine Unbeholfenheit. Die Vereinfachung , daß Jngeld selbst den Vater rächte, war die Tat eines Künstlers. Durch sie wurde der beherrschende große Gegensatz in dem Liede dieser: der alte Kämpe hier, der junge König dort. Die Longobarden des Beowulf sind im Starkadlied die Dänen, statt der Dänen des Beowulf erscheinen die Sachsen, aber sie erscheinen nicht als Volk, nur die Brüder der Königin sitzen am Mahl. Die Longobarden wurden eben, weil sie so weit fortgezogen waren, vergessen, der alte longobardische Kämpe, als der eigentliche Held, mußte sich im dänischen Liede in einen Dänen verwandeln, die Gegner von Starkad und Jngeld mußten Sachsen werden, weil sie damals die wirklichen Feinde der Dänen waren. Im Beowulf bricht der Haß der Stämme und der Durst nach Rache in seiner ganzen Grellheit hervor. Im Starkadlied ist die Rache für den hinterlistig ermordeten Vater ein sittliches Gebot, eine Mahnung, dem Beispiel und dem Heldentum der Vorfahren zu folgen, denn im Unterschied von der alten Dichtung war Frodi verräterisch von Swerting zum Gastmahl geladen worden, und beide Könige hatten sich getötet. Den einzelnen Menschen sieht unser Starkadlied im Zusammenhang mit der Kultur, der König steht für sein Reich.
Starkad aber tritt in anderer Vollendung vor uns als der alte aufreizende longobardische Krieger. Er ist nun der Repräsentant der alten Zeit, der starke, im kriegerischen Leben hart und rauh gewordene Held. Nicht als der Vollbringer einer großen Tat tritt er vor uns, er hat nur die ganze Heldenzeit erlebt. Er soll das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Jugend mit ihren Ahnen wecken, wie es später der Sänger Nornagest und wie es früher der englische Sänger Widsith geweckt hat. Starkad ist aber nicht wie jene ein Bote oder ein Sänger des Vergangenen, er ist ein Kämpfer, vorbildlich im Leben und vorbildlich im Tod.
Als der König tut, was seines Amtes, legt sich Starkad selbst geruhig zum Sterben.Starkad preist nicht allein die Vorzeit, er preist auch das Wikingerleben. Als solches, als Preis des Wikingerlebens, ist das Lied das erste seiner Art. Es entstand um die Mitte des zehnten Jahrhunderts, damals war der Gegensatz zwischen Dänen und Sachsen besonders heftig, damals beobachtete man ein Sinken der Moral, wie es das Lied andeutet, die Jugend schwankte damals ungewiß wie Jngeld zwischen Altem und Neuem. Der Einfluß deutscher Kultur drang gleichzeitig nach Dänemark und der alte Wikingergeist erwachte. —
Von den anderen vielfältigen Berichten über Starkad reicht noch einer in die Völkerwanderungszeit zurück, der über seinen Tod.
Starkad hatte das Neidingwerk seines Lebens getan, er hatte seinen König, den kühnen Ole, verräterisch getötet (wie Irini den Irminfried) . Nun wollte er selbst nicht länger leben. Er ging mit zwei Schwertern und zwei Stäben, auf die er sich stützte. Ein Bauer dat ihn um ein Schwert, den schlug Starkad mitten durch. Dann sah er den Hader, den Sohn eines Königs, den er ermordete. Er bat diesen, ihn zu töten und den Vater zu rächen. Hader stimmte zu, Starkad reichte ihm das Schwert, beugte seinen Nacken und versprach ihm, wenn er zwischen Rumpf und Haupt springen könne, während er falle, so solle er unverwundbar werden. Da hieb ihm Hader das Haupt herunter, war aber so vorsichtig, nicht zwischen Haupt und Rumpf zu springen, weil er die Tücke des Alten fürchtete und meinte, das Gewicht seines Körpers würde ihn erdrücken. Das Haupt Starkads biß noch in die Erde, als es sich vom Rumpf getrennt hatte.
Der freiwillige Tod eines Helden war eine im Germanischen und auch sonst weitverbreitete Sitte. In der nordischen überlieferung steht aber Starkads Tod vereinzelt da. Jedoch stimmt er überein mit der Todesart der wilden Heruler, sie beseitigten ihre Greise durch den Dolchstoß eines Stammesgenossen und verbrannten sie dann auf dem Scheiterhaufen.
Die Reste der Heruler kehrten im Anfang des sechsten Jahrhunderts
nach Dänemark zurück und töteten dort nach alter Art ihre Greise. Da ein aussterbender, wilder und räuberischer Stamm ,einen Männern diesen Tod gab, wurde die Todesart immer seltener und von selbst zur Sage. Die Sage hat sich in Dänemark festgesetzt und steigerte ihr sagenhaftes Wesen, indem sie Motive aus Riesen- und Räubersagen zu sich nahm, wie das Volk sie von jeher gern miteinander verschmolz. Wer z. B. einen Riesen erschlägt, springt zwischen seinen Rumpf und seinen Kopf, damit beide nicht wieder zusammenwachsen. Aus einem seltsamen Mißverständnis dieses alten Glaubens ist die Vorsicht entstanden, die Starkads Mörder übt. Der Zug, daß der Kopf, vom Rumpf getrennt, ins Gras beißt und weiter kämpft, oder daß der kopflos gewordene Rumpf den Kampf fortsetzt, stammt wieder aus der Wirklichkeit und wird auf besonders kampfwütige Helden gern übertragen. Die Todessage von Starkad zeigt nicht Wikingerart, sondern nach germanischer Anschauung die Macht des Willens in der Todesstunde.Die anderen Sagen von Starkad hatten in den folgenden Jahrhunderten in allen nordischen Ländern eine reiche Entwicklung. In der einen Gruppe lebte Starkad fort als das Ideal des Kämpfers aus der Wikingerzeit, stark und hart, rauh, genügsam, er kennt keinen Schmerz und ist ein bewundertes und gefürchtetes Vorbild. Die andere Gruppe ging aus von den betrügerischen Motiven, den Riesenmotiven in der Sage von seinem Tod. Diese Motive verbanden sich im Norden mit Geschichten von Wikinger Helden und es entwickelten sich aus ihnen Erzählungen von der Tücke und der grauenhaften Untreue des Krieges, die auch der besten Helden sich bemächtigt und sie fast wider ihren Willen zu hassenswerten Taten treibt. Schuldig unschuldig wurde Starkad die Ursache vom Tod des Königs Wikar, seine schlimmste Tat aber war der Mord des Königs Ole. Starkad konnte seinen Blick nicht ertragen, und erstach ihn deshalb, als er matt aus
dem Bade kam. — Das eigentliche Inbild von der Größe und Untreue des Krieges war im Norden der Gott Odhin, sein Opfer ist dann Starkad auch geworden. Daneben vergrößerten und vermehrten sich die Riesenmotive, Starkad verschmolz mit einem Wasserriesen, er wurde der Gegner Thors, der ihn, den Achthändigen , besiegte. Andreas Heusler charakterisiert den Starkad so: Keineswegs das Idealbild des germanischen Helden, die derbere kämpenmäßige Art des Waffenmeisters, eines Wate oder Hildebrand , kommt bei ihm, nordisch düster und fast ins Dämonische gesteigert, zur Erscheinung. Als berufsmäßiger Kämpe zieht er von Land zu Land, von Wasser zu Wasser, im Heer und im Holmgang, oon Byzanz bis Irland, von der Elbe bis zum Weißen Meer, am öftesten gegen slawische und finnische Gegner.Wer die Schicksale der alten germanischen Lieder an sich vorüberführt , erstaunt immer von neuem über die Fülle der Motive, die aus diesem scheinbar so harten und steinigen Boden hervordringen . Der Krieger, der im Dunkel des alten englischen Liebes wie die Stimme der Rache selbst den jungen König mahnte, wird im Dänischen des zehnten Jahrhunderts das Vorbild des Wikingers und versinkt dann wieder unter einer allzu großen Fülle von Geschichten . In dem gleichen Krieger lebt fort die todüberwindende Kraft der Germanen, das Volk gibt ihm zur Riesenstärke die Riesentücke. Isländischen Sagen erscheint er wie das Symbol des Krieges, und er, der die Treue selbst war; wird der treulose Gefolgsmann. Die isländische Dichtung steigert ihn dann ganz in das Phantastische und Riesenhafte and verbindet ihn mit ihren Göttern.
5. Hrolf
Starkad und Jngeld führten uns zu den Schildungen und zu ihren Kämpfen mit den Longobarden. Das Geschlecht der Schildunge war, wie wir wissen, auch von wilden inneren Kämpfen erfüllt (S. 44). Der Beowulf deutete uns an, daß Hrolf, der Sohn
Helges, seinen Vetter Hrörik, den Sohn Hroars, vom Thron stieß und daß Hrolf selber von einem anderen Verwandten überfallen und getötet wurde. Dies Ende Hrolfs besang die Dichtung und sein Ruhm wuchs. Die schönste Form gewann das Lied in Dänemark im zehnten Jahrhundert, in dem Lied von Bjarki, dies erklang bis zum Ausgang der Heldenzeit durch den ganzen Norden. Vom Liede selbst blieben uns nur wenige Bruchstücke, prosaische Umschreibungen in späteren nordischen Sagen und eine lange lateinische Umschreibung des Saro. Daraus hat mit hingebender Kunst und bewundernswertem Scharfsinn Axel Olrik die alte Dichtung zurückgebildet.Hjalti, der die Nacht außerhalb der Burg zugebracht hat, sieht das herankommende Heer der Feinde. Ereilt zur Königshalle und ruft die Kämpen auf:
Erwacht, erwacht, tapfere Freunde, alle ihr Besten im Königsgefolge , nicht zum Wein erwacht, nicht zu Scherz und Kuß, erwacht zum grausamen Spiel des Kampfes.
Bjarki erwacht und glaubt, daß Gäste zum Gehöft gekommen sind; er ruft seinem Diener:
Rühre dich Knecht, entzünde das Feuer, sege den Herd, blas' in die Kohlen, lass' die Flammen knistern von Knorren und Scheit, mit warmer Hand grüß' gern ich den Freund.
Darnach versinkt Bjarki wieder in Schlaf. Hjalti ermuntert die allmählich sich sammelnden Krieger und begleitet den Kampf mit seinen Reden:
Der milde König gab seinen Kriegern Schwert, Helm und Ringe und breite Brünnen. Des Friedens Geschenke verdient euch im Krieg, der Kampf muß bewähren, was beim Trank ihr gelobtet.
Der Dänen Kampfherr wählte die Kühnen, nun erkennt man die Tapfren, wo die Feigen fliehen. Im Kampfgetümmel erwärmt sich der Recke, der Fürsten Schutz ist das treue Gefolge.
Erprobte Mannen, packt euren Schwertgriff! Das Schild auf der Schulter, schreitet zur Walstatt! Brust nackt gegen Brust,
entbieten den Kampf wir. Wie Adler auf Adler die Schnäbel wir hacken.An des Feindes Spitze reitet dort Hjörward, froh des Kampfes unter goldenem Helm. Die grimmen Goten folgen ihm gern, ihre Speere klirren, den Helm schmücken Ringe.
Ihn reizte Skuld, die Schildungen Frau, die Vettern zu täuschen, den Herrn zu betrügen. Töricht ist sie und ohne Sinne, von bösen Nornen zum Frevel geschaffen.
König Hrolf Kraki fällt tapfer kämpfend.
Der letzte Trank erquickte die Helden, nach dem teuren König soll keiner leben. Er sei denn so feig, daß er flieht die Hiebe, oder zu träg, den Herrn zu rächen.
Die Mannen Hrolfs werden nach dem Burgtor zurückgedrängt, Hjalti ruft Hrut, die Gattin Bjarkis, aus der Burg.
Zeig' uns, Hrut, deine hellen Locken, die weihe Stirn, geh ' aus dem Haus in den Kampfeslärm. . . die Burg erdröhnt, die Tore brechen.
Die Brünnen zersplittern, die Waffen zerspringen, unseres Königs Schild zerspellte der Axthieb. Das Tor klafft auf, die Tapferen weichen, die Äxte dringen in unsere Scheitel.
Die Mannen Hrolfs werden hinter das Burgtor zurückgetrieben. Hjalti holt ein brennendes Scheit, um Feuer an die Burg zu legen. Er ruft Bjarki, der noch immer im tiefen Schlafe liegt, zum zweiten Male zum Kampfe auf.
Schläfst du noch, Biarki? Binden dich Runen? Geh ' mit mir hinaus, eh' die Flamme dich treibt! Brand jagt den Bären, Feuer den Feind. Hochauf schlägt die Lohe, die Burg stürzt zusammen.
Hjalti sammelt die Krieger von neuem, besingt die Taten und den Tod seines Fürsten und fordert die Mannen auf, dem Herrn im Tode zu folgen.
Ordnet die Heerschar, wie Hrolf es euch lehrte. Hrolf schlug den Hrörik, den Gabenkargen. Ein Bettler war Hrörik und hatte doch Schätze, er sammelte Gold, nicht tapfere Streiter.
Hrolf kam und die Seinen, da gab ihnen Hrörik, vor den Toren entleerend der Goldbeutel Lasten, vor die Königsburg
streuend der Kisten Schätze. An den Feind ward vergeudet, was am Freund er ersparte.Und ihn schlug doch der Schildung, der gab seine Schätze erprobten Freunden, nichts nahm er für sich. Nichts war ihm so teuer, er gönnt' es den Seinen und nichts so lieb, er gab es den Kriegern.
Dahingesunken der beste der Fürsten, vorbei sein Leben, unsterblich sein Ruhm. Er stürmte zum Streit wie der Wildbach zum Tal, er eilte zum Feind wie der stolze Hirsch. Blutströme rinnen, die Toten bedecken das weite Schlachtfeld, das Kampfspiel übt Hjörward. Aber im Tode lächelte Hrolf, als sei er zu frohem Feste geladen.
Frodes Vetter, auf Fyresfelder hat Gold er gesät in lachendem Mute. Wir folgen ihm gern auf den Todesweg, froh im Wort, fest im Sinn.
Laßt die %reu' uns zeigen, schlagt drein eure Schwerter! Des Helden Nachruhm kann niemand fällen. Noch schützen die Halle Schloß und Riegel, das dritte Mal, Bjarki: ich rufe dich, kämpfe!
Bjarki erwacht, rüstet sich zum Kampf und spricht:
Hjalti, du regst mich mit lautem Rufen, doch großem Wort folge große Tat! Warte, bis Bjarki die Brünne anlegt, er denkt auf Beßres als hier zu verbrennen.
Auf einsamer Insel, arm und elend, ward ' ich geboren. Hrolf gab mir zwölf Höfe und die Herrschaft darüber und rotes Gold und die Schwester zum Weib — der eine Tag soll alles vergelten.
Bjarki stürzt in den Kampf.
Was soll mir der Panzer? Ich geh ' in den Tod! Ein Schwächling nur bedarf des Schutzes. Meine Brust sei bloß! Fort der Schild! Der Goldring am Arm gibt Wucht meinen Schlägen.
Den wilden Hirsch erschlug mein Schwert, das scharfe Schwert, das sie Snirtir nennen. Meinen Ruhm schuf dies Schwert, als zuerst ich es schwang, als Agnar ich fällte, Jngelds Sohn.
Sein Hieb traf mein Haupt und Höking zersprang, die Blutwaffe brach an Bjarkis Stirn. Es mähte mein Schwert ihn mitten durch, von der linken Hand schlug ich zum rechten Fuß.
Niemals lebte meines Gedenkens ein besserer Krieger. Erbrach in die Knie und ließ sein Leben und lachte im Tode, ging frohen Herzens ins herrliche Walhall.Einem Edlen gab ich die Todeswunde, wie war er jung und wie stolz sein Mut! Nicht Brünne noch Schild hat ihn geschützt, mein Snirtir hat wieder beides zerschnitten.
Kommt ihr Besten, ihr Gotenführer, nur Fürstensohne halten noch stand. . . .
Die Edlen fallen, die Heldengeschlechter, nur den Krieger, den Knecht nicht, will immer der Tod. Nie fielen, scheint mir, dichtere Schläge, geb ' ich einen, empfang ' ich drei.
Lebend allein unter allen Gefällten, vom Hügel der Toten, wehr ' ich den Feinden. Wo ist nun er, der jüngst mich gereizt der frech mich gescholten, als hätt' er zwölf Leben?
Hjalti:
Klein ist mein Gefolge, doch bin ich nicht fern. Umsonst ist der Wunsch nach tapferen Helden. Mein Schild ist zerbrochen, zerschnitten von Schwertern, sieh's an und schweige: hier sind die Trümmer. Kämpfst du nun, Bjarki, wie vordem du säumtest?
Bjarki:
Mit harten Worten schilt mich nicht länger: kam ich zu spät, nicht mein war die Schuld. Des Schweden Schwert hat hart mich getroffen, wie Wasser durchschnitt es die Waffenkleider.
Hrut hat den schwerverwundeten Gemahl, Bjarki, auf der Walstatt aufgesucht. Der Kampf läßt nach.
Wo bist du, Odhin, du einäugiger Alter ? Hrut sag ' es mir rasch, siehst du ihn nicht?
Hrut:
Senk dein Auge, sieh mir durch den Arm. Erst segne den Blick mit Siegesrunen, fest sollst du, Bjarki, und sicher blicken: sieh hin, erkenne den Siegesvater!
Bjarki:
Würd' ich erblicken den Gatten der Frigg, den kühnen Kämpfer, Sleipnis Reiter, sein Leben bracht' er mir nicht von Lejre. An dem Kriegsgott übte Bjarki dann Rache.
Hier sink' ich ans Haupt des geliebten Herrn, zu seinen Füßen such' du dir dein Lager. Wer die Walstatt durchsucht, der soll es verkünden, noch die Toten vergelten des Fürsten Milde.
Uns werden zerreißen die hungrigen Adler, raubgierige Raben zerhacken die Leiber. Der stolze und edle Krieger darf es: wir umarmen sterbend den herrlichen König.
In diesem Lied von Bjarki sind die Freude am schlichten Alltag, an der behaglichen Wärme des Herdes, die Liebe zur sanften und schönen Frau, die vielen Rückblicke, die Wiederholungen , der sich nie genugtuende Preis des geliebten Herrn, dies alles sind Eigentümlichkeiten der dänischen, nicht der germanischen Dichtung. Im Unterschied vom Starkadlied spielt das Leben der Wikingerzeit hier nirgends hinein, wohl aber der Glaube, besonders der dänische Glaube des zehnten Jahrhunderts. Der Trotz gegen Odhin als den unheilvollen Anstifter der Kriege stammt aus dieser Zeit, deren Glaube an die alten Götter wankend wurde. Gerade damals hören wir auch oft die leidenschaftlichen Anklagen gegen das Schicksal, gegen die Nornen, die den Menschen zu Verrat und Treubruch treiben. Dies Schicksal hat Hrolfs Untergang beschlossen, seinen treuesten und stärksten Helden bindet es durch Schlafrunen. Als Bjarki aufwacht und in den Kampf stürzt, ist sein König gefallen, das Heer der Freunde zusammengeschmolzen, die Burg brennt und seine verzweifelten Taten sind umsonst; der Feinde sind zu viele. Von Wunden bedeckt sinkt er zu Boden und umarmt das Haupt des geliebten Herrn.
Das späte Erwachen Bjarkis ist, wenn man den Aufbau betrachtet, die Mitte des Liedes. Beim ersten Weckruf Hjaltis glaubt Bjarki, daß Gäste kamen und versinkt wieder in Schlaf. Der König fällt, seine Mannen werden nach dem Burgtor zurückgedrängt und Hjalti legt Feuer an die Burg. Der zweite Weckruf verhallt umsonst. Nur das Andenken an Hrolf erhält seine
Mannen noch aufrecht, aber .einer nach dem andern erliegt den Wunden. In der größten Not wie Roland im Rolandlied ruft Hjalti zum drittenmal: Bjarki erhebt sich und stürzt ohne Panzer und Schild in den Kampf, und der Dichter besingt nun nichts als seine Liebe zu Hrolf und seinen Ruhm und seine Taten. Dann klingt das Lied groß und voll aus: Bjarki und Hjalti versöhnen sich, die Gattin Bjarkis umarmt und besänftigt den im Tode noch Ungebärdigen und der alte Krieger findet am Haupt, der junge an den Füßen des Königs die letzte Ruhe.Für unser Empfinden schieben sich zuviel Mahnungen, Rückblicke und Reden zwischen die edle Gliederung dieses Liedes. Das zehnte Jahrhundert empfand vielleicht anders und erkannte gerade in diesen Reden und Selbstgesprächen das Heldentum und die Heldentaten, die ihm der Sänger feiern sollte. Was erzählen doch alles diese Rückblicke! Hrolf verdrängte den Hrörik. Dieser war geizig und hatte keinen Freund; als er Gold gab, mußte er es den Feinden geben und seine erzwungene Milde half ihm nichts, er wurde doch gefällt. Hrolf streute, als ihn einmal die Schweden verfolgten, das Gold hinter sich, hielt die Verfolger auf und entkam ihnen. Seine Schwester gab der König dem treuesten Gefolgsmann zum Weib, weil dieser den Sohn Jngelds, den Agnar, getötet. Hjörward hatte dem Hrolf Treue geschworen, aber Hjörwards Weib Skuld trieb ihn solange, bis er die Treue brach und den Vetter überfiel. Die Kämpfe eines ganzen Heldengeschlechtes steigen aus diesen wenigen, inhaltschweren Andeutungen vor uns auf, und diese Kämpfe sind wie die germanischen waren.
Wenn wir dann weiterblicken, erkennen wir überall, daß in unsrem Liede germanische Kunst lebendig blieb, von einem dänischen Dichter geläutert und geadelt.
Die Strophen sind wohl länger und wortreicher als die germanischen Verse. Und die Reden, die in der germanischen Dichtung die Erzählung schon zurückschoben, haben sie nun in unsrem
Liede ganz verdrängt. Der Dichter erzählt nirgends, nur seine Helden sprechen, zuerst Hjalti, dann Bjarki und dazwischen einmal Hrut. In dem Lied von Starkad sprach ja Starkad ganz allein. Die alte germanische Kunst, Helden aus Reden zu entwickeln, ist unserm Lied geblieben. Der königlichste Held, Hrolf, tritt gar nicht auf, aber der Preis seiner Krieger zeigt sein ganzes Wesen. Daß er nicht für sich lebt, sondern für die Seinen, ist sein Ruhm. Wie Turisind im Lied von Alboin gehört er seinem Volk. Er bedarf nicht des Reichtums, er bedarf der Liebe und der Treue, die Schätze wirft er übermütig unter die Verfolger oder verteilt sie bis auf den letzten Ring unter das Gefolge . Der erste ist er im Kampf und in Sieg und Tod der erste und lacht, als ihn die Todeswunde trifft. Eine Liebe, ein strahlendes Heldentum, ein hinreißender Zauber breiten sich über sein Wesen, das wir in der deutschen Heldensage nur bei Dietrich von Bern wiederfinden. Doch der Gotenkönig wurde nicht leidenschaftlich und mit Solch stürmischen und rührenden Hingabe geliebt, wie den Hrolf die Seinen liebten. Dadurch hebt sich das Lied von Bjarki unter allen anderen germanischen Liedern hervor , durch diese Liebe des Gefolges zum Herrn. Weil er ihnen alles gab, wird es ihnen wieder das höchste Glück, ihm ihr ganzes Dasein zu opfern.Dem König stehen der alte und der junge Krieger zur Seite, Bjarki und Hjalti. Der junge scheint etwas lehrhaft, wortreich, prahlerisch und vorlaut, wie die Jugend eben ist, aber von brennendem Ehrgeiz und lauterem Heldentum erfüllt. Er weckt die Schlafenden, treibt die Säumigen, verlegt ihnen den Rückweg und stirbt als letzter für seinen Herrn. Der alte Bjarki ahnt wohl, daß dieser Kampf, der für ihn unter solchem Unstern begann , sein letzter Kampf ist, darum will er sein eigenes Heldentum überbieten. Er verschmäht den Schutz von Panzer und Schild, spricht zärtliche Worte zum geliebten Schwert, ruft sich
die eigenen Heldentaten ins Gedächtnis zurück; einen Gegner nach dem andern erschlägt er und fällt dann doch, einer gegen viele. In der Todesstunde flammt noch einmal der alte Trotz unbeugsamer als je in ihm auf; wie sanft, dem Willen des Gottes ehrerbietig gehorchend, steht da seine Frau neben ihm.Diese Helden stehen alle auf germanischem Boden. Germanisch ist auch die Handlung des Liedes, der Treubruch, der überfall der Feinde am frühesten Morgen, während die Recken noch schlafen, die brennende Halle, der Kampf gegen die erdrückende Übermacht, der Untergang aller Besiegten. Germanisch bleibt die Wildheit des Kampfes, die den Schutz verachtet, auf den Gegner hackt wie Adler auf Adler, den Feind mitten durchschlägt und stolz an den Nachruhm denkt, während die Helden wissen, daß Adler und Rabe bald ihre Leichen zerreißen.
Es war ein stolzes Wahrzeichen germanischen Heldentums, das Lied von Bjarki, das die Dänen in das nordische Mittelalter trugen. —
Die Hörer, denen die Sänger das Lied sangen von Hrolfs Herrlichkeit und Untergang und von Hjörwards Sieg, sehnten sich zu erfahren, wie es dem treulosen überwinder erging und wer den milden König rächte. Da erzählte man ihnen, was das germanische Rechtsbewußtsein verlangte. Ein junger Krieger, Wigge, überlebte den geliebten Herrn. Er mußte dem Sieger Treue schwören, aber dasselbe Schwert, auf das er den Eid schwur, stieß er dem König in die Brust und vergalt Verrat mit Verrat. Wir erinnern uns daran, wie Irinc den Irminfried rächte, er schlug den Dietrich mit dem gleichen Schwert, das eben noch Irminfried getötet.
Diese Sage von Wigge ist in Art und Anschauung germanisch und kann der Zeit der Völkerwanderung entstammen. Sie schien wieder eine Ergänzung zu fordern: Wer war denn Wigge? Über ihn gibt es nun eine sehr hübsche Geschichte. Am besten erzählt
sie uns im dreizehnten Jahrhundert der berühmte Isländer Snorri in seiner jüngeren Edda. Die Freude an der Namendeutung und an pointierten Aussprüchen scheint für Island als für ihre Heimat zu sprechen.Ein König in Dänemark hieß Hrolf Kraki. Er war der berühmteste der alten Könige durch seine Gabenmilde und durch seine Kühnheit. Das ist ein Beispiel seiner Leutseligkeit, von der alte Sagen viel erzählen , daß ein kleiner Bursch und ein recht armer — Wigge hieß er — in die Halle König Hrolfs kam, da war der König noch recht jungen Alters und schmalen Wuchses (über den Wuchs der Helden und Könige siehe oben S .30). Wigge trat vor ihn hin und sah ihn von unten bis oben an, und der König sprach: Was willst du mir denn sagen, Bursch, daß du mich so von unten bis oben ansiehst? Wigge antwortete: Als ich zu Hause war, hörte ich erzählen, daß König Hrolf auf Lejre der größte Mann im Norden wäre, aber nun sitzt hier auf dem Hochsitz ein kleines Kummerpflänzchen (Kraki) und den nennen sie ihren König. Da erwiderte der König: Du Bursch hast mir den Namen gegeben, daß ich nun Hrolf Kraki beitzen muß; aber das ist Brauch bei uns, daß ein Geschenk die Namengebung begleitet (siehe oben S .45). Nun sehe ich, daß du mir keine Gabe zu geben hast, die ich nehmen könnte, darum soll vielmehr dem andern der geben, der geben kann. Dabei streifte er sich den Goldring vom Arm und gab ihn jenem. Da sprach Wigge: Heil dir vor allen Königen für deine Gabe! Ich leiste das Gelübde, daß ich den erschlagen will, der dein Mörder wird. Der König antwortete und lachte: über kleine Gabe wird Wigge froh. —
Das Lied oon Bjarki nannte die Fyrisfelder und spielte auf ein Erlebnis von Hrolf beim König Adils von Schweden an. Der Beowulf wußte, daß Hrolf nach Schweden zog, um den Aale zu rächen, den Adils erschlagen hatte.
In der späteren überlieferung hieß es: Adils habe den Hrolf unter trügerischen Versprechungen eingeladen, die er dann nicht hielt und als er dann zurücktritt, sei er ihm mit einer großen Schar von Bewaffneten nachgesetzt, um ihn zu töten. "Da griff", so erzählt wieder Snorri, "Hrolf Kraki mit der linken Hand von oben in ein Horn und säte daraus das Gold auf die Straße. Als die Schweden das sahen, sprangen sie aus ihren Sätteln und jeder nahm, so viel er sammeln konnte. v. b. Leyen Sagenbuch II 9
Aber Adils der König beschwor sie zu reiten und sprengte selbst gewaltig voran. Nun sah Hrolf Kraki, daß der König Adils nah an ihn herangeritten war und da nahm er den Ring Swiagri und warf den nach ihm und bat ihn, den möge er als Geschenk annehmen. Der König Adils ritt nach dem Ring, fing ihn auf der Spitze des Speeres auf und ließ ihn auf den Schaft gleiten. Hrolf blickte zurück und sah, wie jener sich bückte, da rief er: " Wie ein Schwein hab ' ich den nun gebeugt , der unter Schweden der Mächtigste war."Das ist wieder germanische Art, dieser wilde triumphierende Zuruf als Höhe und Abschluß der Dichtung. Wie charakterisieren diese wenigen Worte Hrolfs den kühnen und königlichen Verfolgten und zugleich den niedrigen und gierigen Verfolger! Auch sonst könnten diese Geschichte ebensogut Paulus Diaconus oder der Dichter des Liedes von Chlotar und Bertoald erzählt haben wie Snorri. Wie Alboin zu Turisind, begibt sich Hrolf mit geringem Gefolge zu Adils, an den Knaben Grimoald (S. 33) erinnert die Kühnheit bei seiner Flucht.
Noch eine leider nicht ganz klare longobardische Sage des neunten Jahrhunderts ist der unsren ähnlich. Der riesenstärke Adelgis, des Desiderius Sohn, wagte sich an den Hof Kaiser Karls und speiste unerkannt an seinem Tisch. Als er wieder fort war, entdeckte karl, wer sein Gast gewesen und einer seiner Helden setzte dem Flüchtling nach. Er holte ihn ein und reichte ihm auf der Spitze des Speeres Goldspangen. Aber Adelgis ahnte den Verrat, rief zurück: " Was du mit dem Speere reichst, sollst du mit dem Speer empfangen" (S .8 und er reichte jenem stolz die eigenen Armspangen und entfloh vor seinen Augen. —
Die Erlebnisse in Adils Halle und den Zug von Hrolf zu Adils schmückte dann in der folgenden Zeit die Phantasie isländischer Erzähler weiter aus.
Zuerst schickte Hrolf seine Berserker zu Adils, die aber der König nicht belohnte, wie er ihnen versprochen, obwohl er ihnen den Sieg über Aale verdankte. Nun kam der König Hrolf selbst und unterwegs prüfte Odhin als Bauer ihn und seine Getreuen, ob sie Kälte, Durst und Feuer ertragen könnten. In der Halle des Adils wurden große Feuer
für Hrolf und seine Berserker angezündet, und man gab ihnen Bier zu trinken. Dann kamen die Mannen des Königs Adils herein und trugen Scheite ins Feuer und machten es so groß, daß die Kleider oon Hrolf und den Seinen anbrannten, dabei sagten sie: "Ist das wohl wahr, daß Hrolf Kraki und seine Berserker weder Feuer noch Eisen fliehen?" Da sprang Hrolf Kraki auf und alle um ihn und er rief: "Zu klein ist das Feuer in Adils Halle" und da nahm er seinen Schild und warf ihn ins Feuer und sprang über die Flammen, während der Schild verbrannte und sprach noch einmal, " der flieht nicht das Feuer, der darüberspringt" . Dasselbe tat jeder von seinen Berserkern und dann nahmen sie jene, die das Feuer angezündet, und warfen sie in die Flammen.Um den Ruhm und die Taten Hrolfs und seiner Helden haben noch manche Erzähler Kränze geflochten. Die meisten dieser Geschichten entstanden im elften und zwölften Jahrhundert aus dem Lied von Bjarki. Sie führten, dem andern Geschmack späterer Zeiten entsprechend, grade das in das Zauberhafte, Abenteuerliche, Groteske und Anekdotische, was im Liede mit schöner künstlerischer Zurückhaltung nur angedeutet war. Der Zauberschlaf Bjarkis wird in einer späteren isländischen Saga von Hrolf Kraki so erzählt, daß Bjarki schläft, während seine Seele als Bär kämpft. Seine Kraft bewährt der Held im Kampf mit Bären und dann mit Drachen. Den jungen Hjalti schützt er vor dem Übermut der Berserker des Königs, die mit großen Knochen nach ihm werfen. Hjalti, hieß es dann, war ursprünglich feig und er mußte das Blut eines Bären trinken, um Stärke zu gewinnen. —Und —diese Erfindung ist vor dem Eindringen internationaler Märchen und Novellenstoffe nach dem Norden schwer denkbar —Hjaltis Frau fragte ihn, als er in den Krieg zog, ob sie nach seinem Tod einen Alten oder einen Jungen heiraten solle, da schnitt er ihr empört die Nase ab.
Von Hrolf selbst erzählte wohl schon im zehnten Jahrhundert die Dichtung, er sei aus der Ehe Helgis mit seiner eigenen Tochter, der Yrsa, entsprossen. In ihm habe sich dadurch die
Kraft des Geschlechts gewissermaßen verdoppelt. Auch in der nordischen Sage von den Wölsungen entspringt der stärkste Held Sinfjötli aus der Ehe Siegmunds mit Signy, der eigenen Schwester. Uns erscheinen diese beiden Berichte als gewaltsame und übertreibende Steigerungen alter Fabeleien von Heldenkraft, als barock, nicht als klassisch. Was nun gar von Berichten umlief über Helgis doppelte Ehe mit Mutter und Tochter hat mit der Heldensage kaum irgendwelchen Zusammenhang, sondern ist wiederum aus den durch die Welt wandernden Novellenstoffen geholt und auf Helgi übertragen.Hrolf war die Höhe und zugleich das Ende seines Geschlechtes, wie in Sigurd das Geschlecht der Wölsungen, in Gunnar das der Gjukungen zum höchsten Heldentum aufstieg und zugleich erlosch . Die Liebe zu Geschlechtssagen als Eigentümlichkeit der nordischen Heldendichtung ist uns schon bekannt (siehe oben S. 46).
Die Betrachtung der dänischen Sagen und Lieder hat unsre Erkenntnis der germanischen Heldendichtung überall befestigt, ergänzt und vertieft. Der Beowulf nahm sich in der Umgebung der dänischen Lieder, von denen er doch abstammt, sonderbar genug aus. Die alten Stoffe hat der englische Dichter nicht bereichert, sondern unmäßig auseinandergezogen und zerfasert und doch wieder verwirrt, so daß sie ihre Anziehungskraft verlieren mußten, wenn auch wunderschöne Reden und Klagen um sie gestellt wurden. Ein ganz anderes Bild zeigen die dänischen Dichtungen. Hier in Dänemark lebt und blüht im zehnten Jahrhundert ungestört das germanische Lied und die germanische überlieferung. Die alten Lieder lockern sich ein wenig, die allzu herbe, allzu gedrängte alte Kunst wird freundlicher und leichter, sie verklärt und läutert sich dadurch vor unsren Augen und steigert sogar das alte Heldentum. Uffe, Hagbard, Starkad, Hrolf erscheinen, wenn wir sie mit den alten germanischen Helden vergleichen, leuchtender und reiner, edler in ihrer Menschlichkeit, schwelgerischer in ihrem Heldentum.
Diese Lockerung war freilich die Ursache noch anderer Wandlungen . Sie schuf Raum für die dänische, weiche, lyrische Art, für die Liebe zu zurückblickender Betrachtung, zu langem Gespräch und zu leidenschaftlicher Mahnung, auch brachte sie eine Reihe oon Motiven zur Entfaltung, die in der germanischen Gedrängtheit kaum sichtbar waren.
Dann ließ die gleiche Lockerung auch andere Gäste ein, denen man in der Zeit der alten, adeligen Abgeschlossenheit der Völkerwanderung den Eingang absichtlich verwehrt hatte: die Freude an der Alltäglichkeit, am Herd und Haus, an den Wonnen und dem Weh der Liebe, an bunter Erfindung, phantastischer Ausschmückung und grotesker übertreibung. Wenn aber einmal die Tore diesen Gästen geöffnet sind, so breiten sie sich überall aus und suchen die alten Helden und alten Anschauungen zu verdrängen. Denn dem Volk sind sie immer willkommen, nur die strengste künstlerische Zucht kann sie, und auch sie nicht für immer, verbannen. Wie diese neuen Zutaten überhand nehmen und die alten Helden erdrücken oder im Wesen verwandeln, wie sie den Sinn der alten Lieder verschieben, die alte große Einfachheit aufheben, das haben wir bei der Entwicklung besonders der Starkad- und Hrolfsagen im elften und zwölften Jahrhundert im Norden gespürt.
In größeren Linien, gewaltiger hier, phantastischer, grotesker und reicher dort, wiederholt sich in Norwegen und Island die dänische Entwicklung. Sie erhebt sich wie jene auf der Grundlage der alten germanischen Heldenlieder.
3. Germanische Sagen im Norden
Die Wikinger
1. Die Halfdansöhne
Wir gehen nun im Geschlecht der Schildunge noch eine Generation zurück. Hrolf Kraki war der Sohn Helgis und Helgis Bruder war Hroar. Die Geschichte von Helgi und Hroar kennt Saro Grammaticus, sehr ausführlich und anschaulich erzählt sie mit manchen Abweichungen die isländische Saga von Hrolf Kraki (vierzehntes Jahrhundert), deren Inhalt wir wiedergeben.
Den Vater von Hroar und Helgi, Halfdan, hatte dessen Bruder Frodi getötet, das mußten die Söhne rächen. Sie waren noch im Knabenalter und ihr Erzieher Regin gab sie einem treuen und zauberkundigen Mann Wifil, der auf einer Insel in der Nähe von Frodis Burg hauste und zwei Hunde hatte, die Hopp und Ho hießen. Dort liefen die Kinder des Tages im Wald herum, des Nachts verbargen sie sich in einem Erdhaus. Frodi wollte nun erfahren, wo die Kinder wären, denn er wußte, daß ihm von ihnen große Gefahr drohe. Aber obwohl Zauberfrauen und kluge Männer das ganze Land durchsuchten, fanden sie die Kinder nicht. Ein Zauberer endlich deutete dem König an, daß sie auf einer Insel in dem Meer sein möchten, über die aber ein schlauer Greis durch seine Hexereien Dunkel und Nebel verbreitete. Zweimal fuhren die Mannen des Königs auf die Insel und zweimal fanden sie nichts und kehrten unverrichteter Dinge zurück. Da machte sich der König selber auf den Weg. Wifil riet den Knaben, sie sollten sich sofort in ihrem Erdhaus verstecken, wenn er laut nach seinen Hunden Hopp und Ho rufe. Als Frodi kam, führte man Wifil zu ihm. Der König sagte, du bist sehr zauberkundig und schlau. Sage mir, wo die Königssöhne sind, denn du weißt es. Der Mann antwortete: "Heil euch, Herr. Haltet mich nicht auf, denn der Wolf will meine Herde zerreißen." Der Mann rief gar laut: "Hopp und Ho, gebt auf meine Herde acht, denn ich kann sie jetzt nicht beschützen." Der König sprach: " Was rufst du da?" Der Mann antwortete: "Meine Hunde heißen so. Aber sucht nun, Herr, wie es euch gefällt. Ich glaube zwar
nicht, daß die Königssöhne hier gefunden werden, und es wundert mich sehr, daß ihr glaubt, ich wollte die Leute vor euch verbergen." Der König war sehr böse und drohte dem Wifil das Leben zu nehmen. Er konnte sich aber doch nicht dazu entschliessen und kehrte nun auch zurück, ohne daß er etwas gefunden. Wifil aber sah, daß er die Kinder nicht länger auf der Insel verstecken konnte, und er schickte sie deshalb zu dem Mann ihrer Schwester Signy, dem Jarl Sefil, dort nannten sie sich Ham und Hrani. Der Jarl wußte nicht, welcher Herkunft sie waren, sie blieben aber drei Jahre bei ihm.Frodi entbot den Jarl, dem er mißtraute, zum Gastmahl, im Gefolge ritten auch die beiden Halfdansöhne, sie stellten sich närrisch, vermummten sich mit großen Mänteln, ritten auf elenden Pferden und Helgi setzte sich rückwärts aufs Roß. Da fiel dem Hroar sein Hut vom Haupt und Signy erkannte den Bruder und sagte es weinend ihrem Gemahl. Sefil stellte sich zornig gegen die Burschen und wollte sie heimschicken; sie aber liefen doch mit in die Halle und trieben dort ihre Narrheiten weiter. Dem Frodi ahnte immer noch Unheil, er gebot deshalb einer Wölwa (zauberkundige Frau) zu sagen, was sie von Halfdans Söhnen wisse. Sie gähnte und lallte halb im Schlaf die Verse, daß ihr die beiden verdächtig schienen, die hinten am Herde hockten, die hätten früher bei Wifil gehaust und Hopp und Ho geheißen . Da warf ihr Signy einen Goldring zu; sie verstand und sagte, was ihr da auf die Zunge gekommen, das sei falsch. Frodi wurde zornig, schöpfte Verdacht gegen Signy, die ihren Platz verlassen und gebot der Zauberin bei Androhung von Martern noch einmal, sie solle bekennen, was sich ihr offenbart. Da entschloß sich die Frau, die Pläne der beiden anzudeuten und ihre Kühnheit zu schelten, dann lief sie rasch aus der Halle. Die beiden Burschen erkannten, was sie wollte und liefen ihr nach. Frodi rief, man solle sie verfolgen, doch Regin, ihr Erzieher, löschte die Lichter. In der Dunkelheit fielen die Männer, auch hielten einige, die den Entflohenen günstig gesinnt waren, die anderen zurück. Der König merkte das wohl und verhieß Rache, aber nun, sagte er, werden die Entkommenen froh sein, daß sie entwischt sind. Wir brauchen sie nicht zu fürchten und wollen trinken, solange der Abend währt. Regin ging zu den Schenken und seine Freunde auch. Sie sorgten für reichliche Trunke; bald fielen die Leute des Königs in schwerem Rausch zu Boden, einer lag über dem andern und sie entschliefen.
Des Nachts ritt Regin zu den beiden Burschen in den Wald, er mußte sich aber zornig stellen, auch durfte er nicht mit ihnen reden, da er dem König Frodi die Treue gelobt hatte. Darum redete er wie zu sich selbst, aber so, daß sie es hörten und deutete ihnen an, sie möchten Frodis Halle anstecken bis auf einen Ausgang für ihre Freunde. Da legten Helgi und Hroar das Feuer, der Jarl Sefil aber kam heraus, ihnen zu helfen.König Frodi erwachte nun in der Halle, seufzte laut auf und sprach: "Ich habe einen Traum geträumt, Männer, der nichts Gutes bedeutet; ich will ihn euch sagen. Ich träumte, daß mir schien, als würden wir gerufen, und da wurde gesagt: ,Nun bist du heimgekommen, König, und deine Mannen ', mir war, als ob ich antwortete und sehr zornig: Heim ? Wohin? ' Da kam die Antwort und sie war mir so nah, daß ich den Atem des Rufenden spürte: ,Heim zur Hel ' sagte die Stimme und da erwachte ich." In dem Augenblick hörten sie, wie Regin sprach und zu sagen schien, daß des Königs Schmiede, die War hießen, Nägel schmiedeten. In Wahrheit deutete er an, daß die Vorsichtigen (War heißt Vorsicht und die Vorsichtigen sind Hroar und Helgi) ihre Pläne nun ausführten und daß ein Vorsichtiger (Regin selbst) einen anderen Vorsichtigen (den König Frodi) warnte. Mit dieser List half sich Regin aus seiner zwiespältigen Lage, denn er muhte den König warnen und wollte ihm doch die Halfdansöhne, die er liebte, nicht ausliefern. Die Krieger des Königs ahnten den Doppelsinn nicht, wohl aber Frodi, er ging nach der Tür. Da stand die Halle schon in Flammen. Nun wollte Frodi sich mit Helgi und Hroar versöhnen: unziemlich sei, sagte er, daß ein Verwandter den andern erschlage. Die Halfdansöhne fragten ihn aber höhnisch, ob er das bedacht hätte, als er den Bruder erschlug, und sie trieben ihn in die Halle zurück, darin mußte er und sein ganzes Gefolge verbrennen. Alle wurden aber gerettet, die dem Hroar und Helgi freundlich gewesen.
Für ein altes germanisches Rachelied von den Halfdansöhnen
fehlt leider ein äußeres Zeugnis. Wir denken uns die Hergänge dieses Liedes so: Frodi erschlug den Halfdan, der alte Waffenmeister Halfdans mußte in Frodis Dienste treten, er verbarg die Söhne des Erschlagenen; als sie herangewachsen waren, schickte er ihnen eine Botschaft, sie möchten kommen. In der Dämmerung, als Frodi und die Seinen beim Gelage saßen, schlichen sie sich in seinen Hof, gaben sich plötzlich zu erkennen — vielleicht indem sie, wie Chlotar, den Hut vom Haupt rissen, so daß sie im Schmuck ihres Haares dastanden (S. 49), in der entstehenden Verwirrung und Bestürzung überfielen sie den König, der umsonst suchte, sie mit heuchlerischen Worten zu betrügen, sie erschlugen nun ihn und warfen Feuer in die Halle.Dies Lied wäre sehr ähnlich dem von Chlotar und Bertoald, auch dem von Ermanarich. Regin ist der alte Waffenmeister, am genauesten entspräche er dem Randolt in der Sage von Dietrich von Bern, der einem verhaßten König dienen muß und einen jungen Schutzbefohlenen warnt. In der von uns schon genannten Dichtung vom starken Adelgis weilt dieser unerkannt am Hof eines mächtigen Feindes, des Kaisers karl. Ein Freund erkennt ihn, doch er verrät ihn nicht.
Im Unterschied vom alten Lied verdoppelt und verdreifacht der Bericht in der Saga von Hrolf Kraki die Ereignisse.
Drei Männer: Wifil, Sefil und Regin schützen die Knaben, dreimal suchen sie Frodis Mannen und Frodi bei Wifil, zweimal müssen Zauberer sie erspähen, zuerst bei Wifil, dann in der Halle selbst, und in der Halle wird die Enthüllung der Seherin noch unterbrochen. Den Zweck dieser Häufungen haben wir erkannt: sie wollen den Stoff mehren und abwechslungsreich machen und sie wollen die Spannung erhöhen. Bei Wifil und Sefil entdeckt Frodi beinahe die Knaben. In der Halle glaubt er sie schon zu halten, dann meint er, als sie entflohen sind, er habe endlich vor ihnen Ruhe. Da aber warnt ihn Regin und dann ist es zu spät.
Immer sind die Knaben wie eine Drohung des Schicksals um den Missetäter, immer will er sie vernichten und es gelingt ihm nicht, und als er sich von ihnen endlich befreit glaubt, zeigen Träume und Warnungen die Rache an, und er erliegt doch seinem Verhängnis. Diese Art, eine Spannung auszukosten und zu dehnen und eine reiche Handlung mit ihr zu verbinden, ist auch sonst die Art der späteren isländischen Heldensaga, das wird uns die Saga von Amleth und dann die von den Wölsungen bestätigen.Die Weissagung der Seherin in der Halle, als die wirkungsvollere, wird die ältere gewesen sein, die mit Wilfil zusammenhängende etwas zu stark aufgetragene Zauberei nach ihrem Muster später gebildet.
Von den drei Beschützern der Knaben ist der Jarl Sefil der überflüssigste und gerade die Episode bei ihm zeigt eine sehr deutliche märchenhafte Zutat. Die Motive: die Knaben hätten wohl Grind auf dem Kopf (so heißt es einmal inder Saga) und das Rückwärtssitzen auf einem elenden Klepper stammen nämlich aus dem im ganzen Mittelalter sehr beliebten Märchen vom Grindkopf oder vom Goldener. Das erzählt uns, wie ein verlachter und verachteter Grindkopf sich später in den herrlichsten Helden verwandelt. In der Saga, im Zusammenhang der Handlung haben die Narreteien keinen Sinn, denn der Jarl und die Seinen wollen ja den Burschen wohl, diese brauchen sich deshalb gar nicht zu verstellen.
Der schlaue Wifil mit seinen Zauberkünsten ist ebenfalls eine Persönlichkeit, wie grade die isländische Saga sie sehr liebt, wie viel Witz und kühne Geistesgegenwart zeigt sie uns!
Sato Grammaticus in seiner Erzählung von der Vaterrache der Halfdansöhne kennt nur den Regin als Beschützer der Knaben, er hat hier das Alte bewahrt.
Auch sonst gibt Sato in verschiedenen Fällen die bessere und ältere Form der Saga. Sie muß sehr großartig erzählt worden
sein; der böse und schwere Traum des Königs, die Weissagungen der Wölwa, die Warnungen Regins gehören zu den Meisterstücken der isländischen Kunst. Ob sie mächtige alte Strophen in der Umschreibung der Prosa wiedergeben? In der Hrolfsaga tauchen nämlich mitten in der Prosa Strophen auf; die Möglichkeit, daß das alte germanische Rachelied in ein isländisches Rachelied des 10. Jahrhunderts sich verwandelte, daß dies Rachelied in Prosa umgesetzt und immer breiter und abenteuerreicher wurde, dürfen wir ohne weiteres zugeben; eine Entwicklung, die vom germanischen über das nordische Lied des 10. Jahrhunderts zur isländischen Saga des 12. —14. Jahrhunderts führt, werden wir noch öfter beobachten.Auf jeden Fall bestätigt uns die Geschichte unsrer Dichtung, wie lange der Norden das germanische Erbe ehrfürchtig verwaltete , wie viel von seiner Größe er noch einer späteren unruhigen Zeit zeigte, die viel lüsterner war nach Spannungen und Abenteuern und Märchenhaftem und weniger empfänglich für das alte Heldentum.
Wir trennen uns nun von den Liedern und Sagen über die Schildungen, nachdem wir einige ihrer größten und schönsten zu schildern und zu verstehen suchten. Freilich konnten wir dem vielfältigen Geäder ihrer überlieferung und Nachwirkung nicht nachgehen, obwohl uns gerade dies in so vielen bezeichnenden Einzelheiten gezeigt hätte, wie goldhaltig im Norden diese Dichtungen blieben und wie sie immer wieder andere Formen gewannen . Doch erklärten uns die Lieder und überlieferungen von Starkad, Hrolf, Helgi und Hroar jedes von neuem die tieferen Bedingungen ihres langen Lebens und ihres langen Ruhmes. Sie stellten in leuchtenden Bildern, in unvergeßlichen, leidenschaftlichen Vorgängen die bleibenden Vorbilder des Heldentums vor die Augen einer vom Heldengeist und dann vom Wikingertum durchwehten Zeit. Diesen Idealen gaben sie eine menschliche Wahrheit und
Lebensfülle, einen immer wechselndem Reichtum, der sie mit den wirklichen Helden immer von neuem verschmelzen mußte und der vielen Generationen ein Quell der Erfrischung war.
2. Amleth
Die Sage von Amleth besitzen wir in der ausführlichen Darstellung des Saro Grammaticus (12./13. Jahrhundert).
Horvendill (deutsch Orendel, nord. Aurwandil), ein leuchtend tapferer Held, besiegte den Coller im Zweikampf auf einer lieblichen Insel und sorgte für sein ehrenvolles Begräbnis. Seine Gemahlin war Gerutha (deutsch Gertrud), und sein Sohn Amleth. Der Bruder Fengo neidete dem Horwendill sein Glück, tötete ihn und führte seine Frau Gerutha heim.
Amleth, dem die Aufgabe der Vaterrache zufiel, stellte sich blödsinnig, damit ihn der König für ungefährlich hielte und damit er seine Rachepläne in Ruhe schmieden könnte. Es regte sich wohl am Hof des Fengo der Verdacht, daß Amleth klug und verschlagen sei, doch wußte er seine Feinde immer von neuem durch Beweise der Narrheit zu täuschen, nur sagte er jedesmal in der Hülle des Unsinns die Wahrheit. So saß Amleth einmal am Herd, wühlte mit den Händen in der Asche, schnitzte hölzerne Pflöcke und härtete sie am Feuer. Auf die Frage, was er treibe, antwortete er, er verfertige Pfeile zur Rache für seinen Vater. Alle lachten, aber die Pflöcke waren ihm später bei seinem Rachewerk wirklich von Nutzen. Nun wollte man den Amleth durch ein schönes Mädchen verführen und dadurch zeigen, daß er ein natürlicher Mensch war wie die anderen und kein Verrückter. Jedoch ein milchbruder ging mit, um ihn zu warnen, und der Jüngling setzte sich verkehrt aufs Pferd, so daß alle lachten, und gebärdete sich närrischer als je.
Seine Begleiter sagten, als sie einen Wolf sahen, das sei ein Füllen. Amleth erwiderte: davon sind zu wenig im Gestüt meines Oheims. Die Begleiter sahen dann ein großes Ruder eines gestrandeten Schiffes. Das sei ein sehr großes Messer, meinten sie. Damit kann man freilich einen sehr großen Schinken schneiden, antwortete Amleth und meinte mit dem Schinken das Meer. Den Sand nannten seine Begleiter Mehl, Amleth erwiderte: er sei gewiß von den weißlichen Meeresstürmen gemahlen (hier ist ein Wortspiel, im Nordischen heißt mjöl das Mehl und melr der Sand).
Als Amleth das Mädchen bewältigen wollte, warnte ihn sein Freund durch eine Bremse, an deren Hinterleib er einen Strohhalm befestigt hatte. Das sollte, wie man sagt, bedeuten, daß Aufpasser in der Nähe stünden. Deshalb schleppte der Jüngling das Mädchen dahin, wo keine Menschen waren, und vollbrachte dort an ihr seinen Willen. Da sie ihn liebte, versprach sie ihm gern Schweigen. Amleth sagte zu Hause, er habe das Mädchen beschlafen und dabei auf dem Huf eines Pferdes (d. i. die Blume Huflattich, sie heißt im Dänischen Pferdehuf), einem Hahnenkamm (das ist wieder die Blume) und dem Tafelwerk eines Daches (das ist Schilf) geruht. Alle lachten und verstanden nicht den Doppelsinn. Das Mädchen aber beteuerte, Amleth habe ihr nichts getan und man glaubte ihr. Dem freundlichen Warner sagte Amleth auf seine Weise seinen Dank.
Nun wollten den Jüngling seine Feinde dadurch überführen, daß sie ihn seiner Mutter gegenüberstellten und dabei durch einen Späher belauschen ließen. Amleth stellte sich, als er die Mutter sah, ganz toll. Er sprang wie ein Hahn auf das Stroh, unter dem der Lauscher versteckt lag, spürte ihn, durchbohrte ihn, zerstückelte ihn und warf die Stücke durch den Abtritt dann den Schweinen zum Fraß vor. Darauf schmähte er seine Mutter mit den entsetzlichsten Vorwürfen und schalt sie wegen ihrer tierischen Lüsternheit. Als er gefragt wurde, ob er jenen Späher nicht gesehen, antwortete er achselzuckend, jener sei in die Kloake gefallen, im Kote dort versunken und von den Schweinen schließlich gefressen worden.
Fengo schickte den Amleth, dessen Wesen ihm unheimlicher und unheimlicher wurde, nun nach England. Seinen Begleitern gab er Briefe mit, des Inhalts, daß der König von England ihn töten sollte. Amleth fand die Briefe; er schabte aber die Schriftzeichen fort und schrieb darauf, seine Begleiter sollten getötet werden. Am Hofe des Königs behauptete Amleth nach dem Essen, das Brot sei blutig gewesen, der Wein habe nach Eisen geschmeckt, das Fleisch habe nach Leichen gerochen, der König habe Knechtesaugen und die Königin drei Gewohnheiten von Mägden. Alles stellte sich bei genauen Nachforschungen als richtig heraus. Der englische König gab nun dem Amleth seine Tochter zur Ehe, die Begleiter ließ er aufhängen. Zur Sühne, als Wehrgeld, empfing Amleth Gold, das er im Feuer schmelzen und in ausgehöhlte Stöcke gießen ließ.
Nach einem Jahre genau kehrte Amleth zurück, als des Königs
Mannen grade seine Leichenfeier lärmend begingen, so hatte er es mit seiner Mutter verabredet und sie hatte über die Decke der Halle ein Gewebe gespannt. Das anfängliche namenlose Erschrecken und die Bestürzung, als vor den Halbberauschten der Totgeglaubte plötzlich erschien, wich bald dem übermut der Trunkenheit. Man fragte den Amleth nach seinen Begleitern, da zeigte er die Stöcke, und dieser Einfall wurde wieder mit Jubel begrüßt. Darauf berauschte Amleth die Edelinge ganz, ließ das Netz, das seine Mutter gespannt, von der Halle herunter, verwirrte es durch die Pflöcke, die er vordem gehärtet, in das Unauflösliche und legte Feuer an den Saal, in dem nun alle Mannen verbrannten. Darnach begab er sich in das Schlafgemach seines Oheims, nahm dessen Schwert und befestigte an dessen Stelle das eigene, bei dem man ihm, damit er sich nicht damit schade, durch Scheide und Schwert einen Nagel geschlagen. Amleth weckte den Oheim, zeigte ihm die brennende Halle; nun begehre er die Rache für seinen Vater. Fengo sprang auf, vergeblich suchte er das Schwert aus der Scheide zu ziehen und erhielt den Todesstoß.Wir sind nun auch bei der Amlethsage zu dem Schluß berechtigt, daß eine ältere, einfachere Dichtung zugrunde liegt und daß ihre Vorgänge in der Pflege späterer Erzähler sich wuchernd vermehrten. Die späten Zutaten abzuschälen und die Dichtung selbst, die die Anspielung eines Skalden vielleicht in das Ende des zehnten Jahrhunderts weist, wieder herzustellen, ist keine ganz unlösbare Aufgabe, wenn auch viele Einzelheiten ungewiß bleiben . — Unter den Zutaten sind einige märchenhaft. Von der Briefvertauschung und von Amleths Scharfsinnsproben am Hof des englischen Königs hat die Forschung so gut wie sicher gemacht , daß sie vom Orient stammen und nicht vor dem elften Jahrhundert in unsre Sage kamen, und zwar die Scharfsinnsproben nach Dänemark. Auch ein Wortspiel, das mit dem Pferdehuf, dem Hahnenkamm und dem Dachtafelwerk, bringt einen dänischen Pflanzennamen und klingt, in seiner Freude an krausem und buntem Doppelsinn, nach dem Märchen. Ebenso empfindet man die närrische, tolle Grausamkeit Amleths gegen den Lauscher eher als kindische Märchengrausamkeit denn als Grausamkeit einer heroischen Dichtung. Daß Amleth wie Aschenbrödel am Herde hockt und sich in seiner Narrheit verkehrt auf das Pferd setzt, das sind wieder verbreitete Märchenmotive und späte Ausschmückungen. Als eine Einfügung, die im Organismus der Rachesage keine Bedeutung hat und nur die Mannigfaltigkeit der Begebnisse ins Romantische steigern soll, erscheint uns schließlich die Verführung des Mädchens. Wir dürfen sie ebenfalls abtrennen.
Andere Motive der Amlethsage sind der klassischen Sage von Brutus entnommen. Sie deuten auf einen Erzähler gelehrter Bildung, der eine germanische Dichtung aus der klassischen überlieferung bereichern wollte. In der Brutussage, wie Livius sie uns erzählt, stellt sich Brutus dumm, weil er den Nachstellungen seines königlichen Oheims entgehen will, der ihm den Vater getötet.
Brutus wird dann den Söhnen des Tarquinius als Spaßmacher beigegeben. In Delphi opfert er einen einfachen Reisestab, der aber im Innern einen goldenen Stab birgt, er opfert ihn als Symbol seines Geistes. Diesen Stab nahm also der Erzähler , den der töricht sich gebärdende Brutus an seinen Amleth erinnerte, in unsre Dichtung. Doch ließ er das Motiv nicht unverändert, sondern glich es der germanischen Anschauung an: bei ihm ist das Gold im Stab Wergeld für die Erschlagenen. Schließlich fügte er die Stäbe mit großer Kunst in den Organismus der Dichtung: die Antwort Amleths: meine Gefährten sind diese Stäbe, gab den erschrockenen und verstörten Mannen des Königs die Sorglosigkeit zurück. — Das Geschick, die Gelehrsamkeit und die Kunst in diesem Brutusteil machen wahrscheinlich, daß sein Einfüger ein Isländer war.Alsdann begegnen wir in Saxos Bericht einer Menge von Doppelsinnrgkeiten und Wortspielen. Sie weisen wieder auf einen Isländer als Dichter und sind erst allmählich so zahlreich geworden . Das erste Wortspiel ist das mit den Pflöcken, der Pflock heißt im Nordischen nämlich krókr und krókr heißt zugleich die Nachstellung, das zweite ist das von mjöl Mehl und melr Sand, dann kommen die Vergleiche vom Wolf und Füllen, von Messer und Ruder, von Meer und Mühle. Der letzte, der vom Meer, ist einem isländischen Skalde des zehnten Jahrhunderts bekannt, er nennt das Meer Amleths Mühle.
Die für uns nicht ganz klare Warnung durch die Bremse ist ebenfalls in der Manier der Skalden. Auch die Szene von Amleth und seiner Mutter, die dann Sato durch seine Rhetorik und sein Pathos etwas aufdonnerte, hat in der nordischen Dichtung ein Gegenstück. In der Dichtung von den Schildungen tritt einmal Hrolf seiner Mutter Yrsa, die sich mit dem geizigen Adils vermählt, ähnlich entgegen wie Amleth der Gerutha. Die isländische Dichtung mag deshalb die Mutterszene enthalten haben.
Wir gelangen nun etwa zu dieser isländischen Dichtung: Amleth, dem Fengo den Vater erschlug und mit dessen Mutter er sich vermählte, stellt sich blöde und neckt den König und die Seinen durch doppeldeutige Worte. Die Mutter tritt Amleth mit strafenden Worten gegenüber, dann macht er sie zu seiner Verbündeten. Weil Fengos Verdacht wächst, geht er vom Hof des Königs nach England. Als man ihn tot glaubt, kehrt er bei einem Gelage zurück, verbrennt die Mannen des Königs und tötet den Wehrlosen, dem er das Schwert vorher geraubt.
Diese Schöpfung erweiterten und bereicherten isländische Erzähler durch künstliche und gelehrte Zutaten, dann ist sie wohl nach Dänemark gewandert. Dort hat sie sich mit bem Schmuck des Märchens geschmückt.
In der isländischen Dichtung erkennen wir noch eine schöne, mächtig anschwellende Steigerung. Zuerst erscheint der Bursche, den alle verlachen und doch ein wenig fürchten. Dieser Amleth wächst vor unsern Augen, tritt der Mutter strafend gegenüber, gewinnt ihre mächtige Hilfe und dann, unbarmherzig wie das Schicksal selbst, rächt er den Vater. Vor allem die Schlußszene: Amleths Erscheinung und Rache ist von einer grandiosen dramatischen Wirkung. Der Jüngling, den sie tot glauben, steht leibhaftig unter den halbberauschten Mannen, die lachend und mitleidig von ihm reden: er verbrennt die Trunkenen und zeigt dem wehrlosen König, bevor er ihn erschlägt, mit einer wilden Gebärde die brennende Halle.
Nun meldet sich ebenso gebieterisch wie bei der Dichtung von den Halfdansöhnen die alte Frage: war die isländische Dichtung von Amleth die Umdichtung eines germanischen, genauer eines dänischen Liedes des siebenten Jahrhunderts? Da wiederum jedes äußere Zeugnis fehlt, werden wir eine Gewißheit auch hier nicht erreichen. Wir können nur sagen, daß die Verwandtschaft von Amleth mit den Liedern der Völkerwanderung vielleicht
noch enger als die des Liedes von den Halfdansöhnen. Die große Erscheinungsszene am Schlusse ist, wie wir bald erfahren werden, der Szene wie Ermanarich überfallen wird, ähnlich. Wir erinnern auch hier 1%f) einmal an die Geschichte von Chlotar , wie er sich dem Feinde zeigt, der ihn tot glaubt (S. 49). Fengos Tod, dem man die Waffe nahm, entspricht, wie uns bekannt dem Tod des gotischen Turismod und dem Alboins ((3.23). Wie bei Alboin verbindet sich auch bei Amleth die Frau mit dem Rächer, um den Helden ganz wehrlos zu machen, dem der Tod bestimmt ist.Von Amleth als König erzählt Saxo Grammaticus noch mancherlei, breit, märchenhaft und indem er schon einmal verwandte Motive wiederholt. Auch in Island hat die Sage von Amleth weiter gelebt, im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert erscheint sie dort als Märchen, und erhielt sich bis zur Gegenwart. Die dummen und klugen Antworten und die Narrenstreiche sind das Rückgrat dieses Märchens geworden, sein Held heißt Brj ám. — Vor allem aber hat Shakespeare, wie jedermann weiß, den Bericht des Saro zu seinem Drama umgebildet. Die alte Dichtung war ein treues und wildes Abbild der Sitten und der Welt unsrer Vorfahren, ihrer Rache, ihres Heldentums und ihrer Verschlagenheit. Shakespeares Drama gibt das Bild der Germanen , in deren Brust mit dem Christentum und seinen Zweifeln die Feigheit des Gewissens, des Gedankens Blässe und die Furcht vor der anderen Welt lähmend, quälend und vernichtend einzog, während die Sehnsucht nach dem großen, ungebrochenen Heldentum der Vorfahren niemals erlöschen kann.
3. Ermanarich
Wir haben gehört ((3.17), daß die Sage vom Gotenkönig Ermanarich im Norden vom neunten bis zum dreizehnten Jahrhundert berühmt war. Von den Liedern, die den Tod der armen
Swanhild und die Rache besangen, die ihre Brüder an Ermanarich nahmen, ist uns das großartigste, das Lied von Hamther, in der älteren Edda erhalten, leider nicht ganz vollständig und auch nicht einheitlich und mit verwirrter Folge der Strophen; hat ein Skalde des zehnten Jahrhunderts zwei Lieder verschmolzen: Wir geben das Lied hier, wie wir es haben, mit ganz wenigen Ergänzungen und Ausscheidungen.In grauer Vorzeit, sie war doppelt so alt wie die ältesten Dinge, da reizte Gudrun, Gjukis Tochter, ihre jungen Söhne, die Swanhild zu rächen.
"Was sitzt ihr still, was verschläft ihr das Leben, verdrießt euch das nicht, Heiteres zu schwatzen? Und Jörmunrek ließ doch eure Schwester in jungen Jahren durch Pferde zertreten!
Einsam bin ich geworden wie die Espe im Wald, verlassen von Freunden wie die Föhre von Zweigen, an Freuden arm wie die Weide an Laub, das die Sonne verbrannte am heißen Tag.
Ihr lebt allein von meiner Sippe, die Ahnen Helden, die Enkel Memmen!
Ihr wardet nicht, was Gunnar geworden, ihr seid nicht gesinnt, wie Högni gesinnt war, ihr hättet längst die Schwester gerächt, hättet den Mut ihr meiner Brüder!"
Da sprach dies Hamther, der Hochgesinnte: "Du rühmtest wenig die Tat des Högni, als sie deinen Sigurd vom Schlafe weckten. Auf dem Bette lagst du, die Mörder lachten.
Deine Bettücher waren, das weiße Linnen, vom Blut überströmt der Todeswunde. Da starb dir Sigurd, du saßest beim Toten. Dein Glück war zerbrochen, so wollte das Gunnar.
Atli wolltest du treffen durch Erps Ermordung, durch Eitils Ende, dich trafst du noch schlimmer. So schwinge jeder das schneidende Schwert, zum Ende der andern, nicht zum eignen Schaden."
Dies sprach Sörli, er war weisen Sinnes: " Mit der Mutter mag, ich in Worten nicht streiten. Eins hat keiner von euch gesagt: was erbittest du Gudrun, das nicht Tränen dir bringt?
Um deine Brüder klagst du, um deine Kinder, dein nächstes Geschlecht, das zum Streit du getrieben. Du wirst auch, Gudrun, uns
beide beweinen. Wir sitzen dem Tode geweiht auf den Rossen, fern von der Heimat müssen wir sterben."Dies sprach Hamther der leicht erzürnte: "Bring uns die Waffen des Hunnenkönigs! Du hast uns gereizt, das Schwert entscheide."
Lachend wandte sich Gudrun zum Hause, aus den Schreinen hob sie stolze Helme, breite Brünnen und gab sie den Söhnen. Die schwangen sich stolz auf den Rücken der Rosse.
Da sprach froh des Ruhmes zu ihren Söhnen die schöne Frau mit den schmalen Fingern, sie stand bei den Helden: "Gefahr ist nur, wenn Gehorsam nicht ist, bewahrt das Schweigen bei eurem Kampf. Dann überwinden zwei Helden auch tausend."
Sie ritten vom Hause, schnaubend vor Zorn, und ritten weit über feuchte Gefilde auf schnellen Pferden, den Mord zu rächen.
(Unterwegs sehen beide ihren Stiefbruder Erp, der ihnen seine Hilfe anbietet.) Sie fragen: "Was kann denn der braune Knirps uns helfen ?' '
Erp antwortet: "So will ich den Brüdern Hilfe leisten, wie die Sehnige Hand hilft der andern oder wie ein Fuß dem andern Fuße."
Die Brüder erwidern: " Was hilft der Fuß denn dem andern Fuße oder die sehnige Hand der andern?"
Dies sagte Erp mit einem Male und wiegte sich stolz auf Rosses Rücken. " Was soll den Feigen den Weg ich weisen?" Da riefen die Brüder: "Schweig ', du Bastard!"
Aus der Scheide flogen die scharfen Schwerter, die Klingen blitzten, es lachte die tückische Todesgöttin. Um ein Drittel schwächer ward ihre Kraft, sie schlugen den jungen Burschen zu Boden.
Sie schüttelten die Mäntel, festeten die Schwerter und schmiegten sich fröstelnd in ihre Gewänder.
Es dehnten sich weit vor ihnen die Straßen, sie fanden ihren Weg des Unheils, den Stiefsohn der Schwester, am Galgen hängend, am windkalten Wolfsbaum, im Westen des Baues. Um ihn kroch die Schlange, der Anblick war schlimm. (Der am Galgen hing, war Randwer , der Sohn des Jörmunrek. Der Vater ließ ihn hängen, weil sein böser Ratgeber Vikki den unglücklichen Jüngling verklagte, er liebe seine Stiefmutter.)
Lärm war in der Halle, bierfroh die Mannen, sie hörten nicht der Helden Hengste, da stieß der beherzte Wächter ins Horn.
Es sagten die Boten dem Jörmunrek eilends, sie hätten behelmte Männer gesehen. " Beratet euch rasch, es sind Helden, die kommen. Mächtigen Männern ließt ihr die Schwester zerstampfen von Rossen."
Laut lachte Jörmunrek, drehte den Schnurrbart, strich sich den Wangenwald, Mut gab ihm Trunkenheit, er schüttelte das braune Haar, sah auf den hellen Schild, schwenkte in der Hand den goldenen Becher.
"Glücklich will ich sein, könnt ' ich sie sehen, Sörli und Hamther, in meiner Halle. Ich bände die Burschen mit Bogensehnen; an den Galgen müßten Gudruns Söhne."
Die Halle erdröhnte, die Humpen stürzten, in ihrem Blute lagen die Männer, Blut entströmte der Brust der Goten.
Dies sprach Hamther, der hochgesinnte: " Du wolltest, Jörmunrek, uns beide sehen, die Söhne einer Mutter in deiner Halle. Sieh du deine Hände, sieh du deine Füße, geworfen, König, ins heiße Feuer."
Da brüllte auf der Gottentstammte, der Held in der Brünne, wie der Bär nur aufbrüllt. " Wenn Schwerter nicht schneiden und Eisen und Erz nicht, werft Steine auf sie, auf Jonaks Söhne."
Sörli sprach: "Schlimmes schufst du, Bruder, daß den Mund du ihm löstest. Aus dem alten Mund kam manch böser Rat. Mut hast du Hamther, ach, hättest du Sinn! Manches fehlt dem Mann, dem die Klugheit fehlt."
Hamther sprach: " Ab wär ' nun das Haupt, wenn Erp noch lebte, der kampfkühne Bruder, den wir erschlugen, der herrliche Held. Uns reizten die Nornen — der geweihte Necke- sie schufen den Mord.
Nach Wolfes Art haben wir es getrieben, daß wir uns selbst anfielen im Kampfe, wie der Norne Grauhund, der gierig wütet, den wilde Einöde sich gebiert.
Wie Helden haben wir gekämpft, wir stehn über Goten, über Schwertgetroffenen, wie Adler auf Zweigen. Heller Ruhm bleibt unser, wenn wir auch sterben. Wer erlebt den Abend, wenn die Norne es wehrt?"
Da fiel Sörli an des Saales Giebel und Hamther fiel an der Wand des Hauses.
Die Sage oon Ermanarich ist im Norden in einen neuen Zusammenhang gestellt. Die Mutter der rächenden Helden ist die Gudrun der Nibelungensage, die Witwe Sigurds und Atlis.
Nach nordischen Berichten hatte sie sich zum drittenmal mit Jonak vermählt, sie wollte sterben und stürzte sich in das Meer, aber die Wellen trugen sie an das Land. Dem Jonak gebar die Gudrun eben den Sörli, den Hamther und die Swanhild. Diese wurde die Gemahlin Jörmunreks, der ließ sie von Rossen zertreten , und die Brüder mußten das rächen.Der Gedanke, die Ermanarichsage derart an die Nibelungensage zu hängen, entsprang dem Kopf eines nordischen Dichters und ist nicht sehr glücklich. Was Gudrun erlebt hatte, war übergenug, wir gönnen ihr gern den Tod wie der deutschen Kriemhild. Es war aber die Art der Wikinger Dichtung, das Unglück eines Menschen in das Übermäßige zu erhöhen.
Trotzdem ist diese Konzeption oon dichterischer Größe und verwandelt das Schicksal der Gudrun in heldenhafte Tragik. Diese Frau verlor alle, die sie liebte, oder mußte sie in den Tod treiben. Nun zwingen sie die Gebote des Heldentums und der Rache, die letzten Söhne in ihr Verderben zu senden.
Damit stoßen wir wieder auf die beherrschende Idee unsres Liedes: es schildert Geschlechter, die sich selbst vernichten. Ermanarich ist Gudruns Gegenbild. Wozu die Frau das Muß der heroischen Gebote treibt, dasselbe tut der Mann aus Schwäche, Grausamkeit und Tücke, er läßt die Gemahlin zertreten, den Sohn an den Galgen hängen, und findet dann das verdiente schmähliche Ende. Er stirbt einen schauerlichen Tod, weil er Frau und Sohn so schimpflich enden ließ. Die Söhne aber der Gudrun erfaßt Verblendung und Verwirrung, sie wüten nun auch gegen sich. Sie wissen, daß sie in den Tod reiten, die harten Worte der Mutter klingen in ihnen nach, als sie den Erp sehen. So fallen sie über ihn in bissigen Worten her, glauben sich von ihm verhöhnt und töten nun gerade den, ohne den sie ihre Rache nicht vollbringen können. Als sie dem Ermanarich Hände und Füße abgeschlagen, wirft der eine Bruder dem anderen in haßerfüllten Worten
Geschwätzigkeit vor, und dieser gibt ihm zurück, daß sie beide an ihrem Ende Schuld seien. Dann erst, als es zu spät ist, erschrecken sie über den eigenen wölfischen Sinn und erheben sich zugleich über ihr Schicksal und sterben den Heldentod.Unser Lied scheint die ganze Tragik des germanischen Heldentums noch einmal in wenige Strophen zu bannen, die Selbstvernichtung der Helden und das Heldentum, das aus der Vernichtung leuchtend emporsteigt — ein altes gotisches Lied wie das von der Hunnenschlacht und von Hildebrand.
Wie steht der Ermanarich des Liedes tückisch, feig, laut, grausam und trunken vor uns! Und wie lebendig ist Gudrun! Sie sieht nur ihr eigenes Leid und sonst nichts, versenkt sich darin, gerät in leidenschaftlichen Zorn und überhäuft ungerecht, nach Art der Frauen, die Söhne mit wilden Vorwürfen. Der jähzornige , heftige und wortreiche Hamther und der klügere, gesetztere Sörli sind sehr wirksam gegeneinander gestellt. Es ist auch schön erfunden, daß gerade über Hamther, dessen natürliche Empfindung stärker ist als die des Bruders, die Erkenntnis der Verblendung kommt und daß er die wundervollen Verse über das Heldentum spricht.
In den ersten Strophen scheint Gudrun wie Starkad sich zu tief in ihrem Schmerz und ihren Zorn zu verlieren, der Wortwechsel mit den Söhnen will in unfruchtbare Vorwürfe ausarten. Da klingt das Thema des Liedes an, Sörli sagt zur Mutter; Du schickst uns in den Tod. Nun stößt der Dichter die Handlung vorwärts. Die Brüder reiten über die feuchten Gefilde, fallen bissig über den Stiefbruder und erschlagen ihn, Grauen packt sie, sie reiten weiter, da sehen sie den Sohn Ermanarichs am Galgen: es ist wie eine düstere Prophezeiung. In der Halle lärmen die Goten beim Gelage, die Warnung des Wächters kommt zu spät, der berauschte König lacht prahlerisch und stößt unsinnige Drohungen aus, die Mannen springen auf und stürzen sofort, zu
Tode getroffen, zu Boden, ein ungeheures Getümmel, das Blut strömt über den Estrich, böe Leichen fallen übereinander, Feuer fliegt in die Halle, dem König sind Hände und Füße abgehauen und hohnlachend wirft sie Hamther in die Flammen. Da, als das schauerliche Schweigen des Kampfes aufhört und die wilden Schmerzen ihn peinigen, kommt der König zur Besinnung und erinnert sich des Zaubers und schreit auf, daß man die Helden steinigen solle, da Eisen sie nicht verletze. Noch einmal lodert die Zwietracht zwischen den Brüdern auf, dann steht ihr ganzes Heldentum groß und frei vor uns, und ganz einfach, etwa wie eine Chronik, schließt der Dichter seinen Bericht.Die Kunst der Charakterisierung und des Aufbaues in unsrem Lied gründet sich, wie man leicht erkennt, auf die Kunst der Völkerwanderung . Wir sehen auch die Unterschiede, das Tempo ist noch rascher und abgerissener. Der Dichter beschränkt sich auch nicht auf die Erzählung, mit einer gewissen Eitelkeit legt er uns seltsame und gekünstelte Vergleiche vor, schildert anschaulich das Aussehen und die Bewegungen seiner Helden, versenkt sich in ihre Empfindungen, geht zurück in die Vergangenheit und wirft ahnende Blicke in die Zukunft, auch versucht er unser Grauen zu wecken. Man erkennt, daß der Weg, den seine schon allzu bewußte Kunst geht, zum Virtuosentum führt.
Schon im Anfang des neunten Jahrhunderts hatte sich ein Skalde an der Ermanarichsage versucht, der berühmte Bragi in seiner Ragnarsdrapa. Hier fehlt die Aufreizung der Gudrun, das Gedicht beginnt mit dem Überfall. Auch Erp tritt nicht auf; dagegen ist die Verbindung von der Nibelungensage und Ermanarichsage dem Dichter schon bekannt. Die Ragnarsdrapa ist dem Hamtherliede sehr ähnlich und sie wurde wohl von seinem Dichter benützt. Allerdings steht Bragi in einer anderen künstlerischen Tradition, er beschreibt nur und erzählt und charakterisiert nicht durch Rede und Gegenrede.
Erp, den dritten Bruder, nennen auch die deutschen und die englischen Zeugnisse der Ermanarichsage nicht. Uns erscheint sein Los als eine ins Virtuose spielende Variation des Themas vom Geschlecht, das gegen sich selbst wütet, wir möchten den Erp nicht für eine Schöpfung eines germanischen, sondern für die Schöpfung eines nordischen Dichters halten. Dies nimmt ihr nichts von ihrer tragischen Bedeutung: hätten die Brüder den Erp nicht erschlagen, so hätten sie auch den Ermanarich überwunden. Der Ausruf vor ihrem Ende "Ab wär ' nun das Haupt, wenn Erp noch lebte" ist in seiner tragischen Prägnanz den Ausrufen der germanischen Dichtung ebenbürtig.
Aus den andren nordischen Berichten über die Ermanarichsage sei hervorgehoben, daß bei Snorri in der jüngeren Edda der Sohn des Ermanarich, als er gehängt werden soll, dem Vater einen Habicht schickt, dem er die Federn ausrauft. Der alte federlose Vogel soll ein Bild des alten kinderlosen Ermanarich sein. Bei Saxo rauft sich der Habicht gar selbst die Federn aus, und der Sohn wird im letzten Augenblick gerettet. Derselbe Saxo, dem auch die deutsche Tradition über Ermanarich bekannt war, berichtet noch allerhand Märchenhaftes aus Ermanarichs Jugend. erkennen, daß bei diesen Erzählungen die Sage in das Rührende und Abenteuerliche hineingleitet und anfängt, ihren heroischen Charakter zu verlieren. Es ist auch in der Art des rührenden Märchens, wenn die Wölsungasaga erzählt, daß Swanhilds Augen so schön waren, daß die Rosse nicht wagten, die Frau zu zertreten. Man habe erst einen Sack über die Unglückliche werfen müssen. Snorri behauptet, die Brüder hätten den Erp getötet, weil er der Lieblingssohn der Mutter war und er (und noch trivialer die Wölsungasaga) berichten weiter, Erp habe den Brüdern angeboten, er wolle ihnen helfen wie die Hand dem Fuße. Nach Erps Tode sei Sörli (nach der Wölsungasaga seien beide Brüder) gleich gestrauchelt, da habe die Hand dem Fuße
helfen müssen. Das sind Erklärungen und Erfindungen von Snorri selbst, sie haben für die Sagengeschichte keinen Wert.Bei Jordanes verstümmelten zwei Brüder, die gefeite Rüstungen trugen, den Ermanarich, ihre Schwester Swanhild hatte der König durch Rosse zerreißen lassen, die Schuld der Swanhild war vielleicht Verrat.
Diese Vorgänge der alten germanischen Dichtung hat das nordische, fast ein halbes Jahrtausend jüngere Lied treu bewahrt; sogar die Namen sind im wesentlichen dieselben geblieben.
In den folgenden Auffassungen und Motiven wurde die Dichtung eine andere.
Swanhild ist ganz schuldlos, die Schuld wird auf den König geladen und ein Teil dann auf den bösen Ratgeber gewälzt. Der Vorwurf gegen die Swanhild ist im Nordischen, daß sie den Sohn des Königs liebt und von diesem wiedergeliebt wird. Diese Erfindung klingt mehr nach einem Roman als nach einer Heldensage , sie mag aber schon früh Osten, im byzantinischen Reiche, an die gotische Sage gewachsen sein. Das Nordische weiß außer den gefeiten Rüstungen noch von einem anderen Zauber: die Helden sollen siegen, wenn sie beim Kampf schweigen. Diesen Zauber hat der Dichter des Hamtherliedes vertieft. Die prahlerischen Reden Hamthers wecken nämlich den Ermanarich aus seiner Betäubung und ihm fällt nun ein, wie er die Helden verderben kann.
Die geschichtliche Bedeutung vom Tod des Ermanarich entfiel dem Norden. Ermanarich ist nicht mehr der mächtige König über viele Völker. Zuerst hieß es wohl, der König ließ sein Volk im Stich. Dann hieß es, durch des Königs Schuld ging das Volk zugrunde. Zuletzt sagte man: der König wütete gegen die Seinen, er vernichtete sein eigenes Geschlecht. Die Verstümmelung des Königs rief die Meinung hervor, sie sei die Strafe für einen Frevel. Nun verschob sich die Schuld; Swanhild wurde die
schuldlose Frau, Ermanarich der schuldbeladene Mann. Die Verleumdungen gegen die Frau brachte ein bestimmter Mann vor, ein tückischer Ratgeber. Alles in allem bleibt auch diese nordische Dichtung ein wundervolles Zeugnis für die Ehrfurcht und das tiefe Verständnis, das die Wikinger dem germanischen Erbe entgegenbrachten .Wie groß und reich die Ermanarichsage im Norden sich entfaltete , erkennen wir recht durch einen Vergleich mit den spärlichen deutschen und englischen Zeugnissen und Berichten. Vielleicht hat schon Widsith von Swanhild gewußt. Am Ende des zehnten Jahrhunderts sagt dann Flodoard in seiner Geschichte der Rheimser Kirche, der Erzbischof Fulko habe den König Arnulf gewarnt, , er möge nicht handeln wie König Ermanarich, der, verleitet durch die tückischen Ratschläge eines Ratgebers, das eigene Geschlecht getötet habe. Um die Wende des elften und zwölften Jahrhunderts klagt Ekkehard von Aura in seiner großen Chronik über die Lieder und Fabeleien des Volkes, in denen Theoderich und Odoaker als Neffen des Ermanarich auftreten und in denen es heiße, daß Odoaker den Oheim angestiftet habe, den Theoderich aus Verona zu vertreiben. Das, sagt Ekkehard, sei falsch, und nun zitiert er den Jordanes und erwähnt, daß die beiden Brüder vom Vom Sarelo und Hamidiech genannt würden. Im zwölften Jahrhundert kennen auch die Quedlinburger Annalen die falschen Behauptungen über Ermanarich, Odoaker und Theoderich; sie berichten dann von Ermanarichs Reichtum, teilen mit, daß er seine beiden Neffen, Embrica und Fridla, aufhängen ließ und wissen schließlich, daß er von Hemido, Serila und Adaccarus getötet sei, nachdem man ihm zuerst Hände und Füße abgehauen.
Vom Schatz des Ermanarich, den er sich durch Raub angeeignet habe, meldet dann in England der Dichter des Beowulf, der Widsith schilt den Ermanarich als bösen und eidbrüchigen Fürsten, sagt aber aus, daß er ihn freigebig beschenkt habe, zu
seinem Gesinde hätten die Herelingen, Emerca, Fridla, Freotheric und Sifeca gehört. Dann erwähnt ganz kurz der Dichter von Deors Klage den wölfischen Sinn des gefürchteten Gotenherrschers.Den deutschen und englischen Quellen fehlt also die Swanhild und es fehlt ihnen Erp, natürlich kennen sie auch nicht die Verbindung von Ermanarich und Nibelungensage. Gemeinsam ist den nordischen und deutschen Quellen die Todesart des Ermanarich, der Name der Mörder und der Name des bösen Ratgebers . Gemeinsam ist beiden auch die Auffassung von Ermanarich als dem Zerstörer des eigenen Geschlechtes. Nur deutsch ist die Verbindung des Königs mit Dietrich und Odoaker, deutsch und englisch erscheint ein neues Motiv, der Schatz des Ermanarich, den er geraubt hat und um dessentwillen er zwei Brüder, wie es wieder heißt, seine Neffen töten ließ. Diese Sage hat sich im Breisgau festgesetzt. Der Schatz hieß Brisingamene oder Brosingamene. In späteren deutschen Gedichten wird gemeldet, daß die Besitzer des Schatzes übermütige Jünglinge gewesen seien; sie wurden vom treulosen Sibiche verleumdet, wie auch Ermanarichs Sohn verleumdet wird, sie hätten nämlich ein Auge auf Ermanarichs Gemahlin geworfen. Deshalb tötete und beraubte sie Ermanarich . Der getreue Ekhart rächte die Brüder an dem ungetreuen Sibiche und von diesem hieß es außerdem, er sei dem Ermanarich zuerst ergeben gewesen, und sei — welch ' ärmliche Wiederholung! — aus einem Helden ein Bösewicht geworden, weil der König ihm seine Frau entehrte.
Die Sage vom Raub des Schatzes, die ja Widsith bezeugt, wird in alte Zeit zurückgehen. Ermanarich galt als reich, er hatte viele Völker unterworfen. Daraus konnte, wenn Ermanarich sich in den tückischen König verwandelte, die überlieferung entstehen, Ermanarich habe anderen Völkern wider das Recht ihre Schätze geraubt und ihre Könige getötet, wie ja auch Gunther sich wider alles Recht der Schätze des Walther bemächtigen will und wie
er ihn deshalb überfällt. Von hier aus war nur ein Schritt zu den Herelingen und dem Brisingamene.Die Geschichte vom Brisingamene hat sich im Norden in die Höhe des Mythus gehoben und mit der Göttersage verbunden.
Noch ein niederdeutsches Lied des sechzehnten Jahrhunderts erzählt von Ermanarich, es ist das Lied von Koninc Ermenrikes Tod. Darin ist Dietrich der Gegner Ermanarichs, er überfällt den Ermanarich und tötet ihn. Wie im nordischen Hamtherlied reiten Dietrich und seine Helden am Galgen vorbei, der Pförtner will ihnen nicht auftun, Ermanarich ergeht sich in wilder Prahlerei. Vielleicht entspricht der Bloedelin des Liedes, der jung ist und von besonderer Kraft und der Sohn einer Witwe, dem nordischen Erp, und vielleicht entspricht sogar die Frau des alten Hildebrand, die von der Zinne herab dem Helden rät, der Gudrun, die ihren Söhnen nachblickt. Da diese übereinstimmungen nicht die zwischen sagenhaften Motiven sind, sondern die zwischen Bildern und Auftritten eines Gedichts, müssen wir annehmen, daß unser niederdeutsches Lied ein Nachklang des Hamtherliedes ist; wir wissen, daß manches nordische Heldenlied über Dänemark nach Niederdeutschland wanderte. Sagengeschichtlich betrachtet erscheint uns das niederdeutsche Lied als ein Zeugnis von sekundärem Wert, sein Interesse gewinnt es für uns, weil es uns zeigt, durch wie lange Jahrhunderte die Erinnerung an Ermanarich fortlebte.
Das ist überhaupt der Wert der deutschen Sagen und Zeugnisse, , daß sie uns noch einmal verkünden, wie vielfältig und wie lebenskräftig die Sage von Ermanarich war. Wenn auch der Geist der alten Heldensage aus den deutschen Berichten entfloh, wie stark muß der Eindruck der Begebenheiten selbst gewesen sein, daß sie solange im Gedächtnis der Nachlebenden hafteten!
4. Wieland und Egil
Von dem Lied von Wieland dem Schmied sagt Andreas
Heusler, es sei wohl das tönereichste der Edda. Wir geben es wieder wie das von Ermanarich, so, wie es war, mit ganz wenigen notwendigen Ergänzungen und Kürzungen.Mädchen flogen vom Süden, durch dunkle Wälder, Schwanenjungfrauen , des Schicksals zu walten. Da am Meeresstrand saßen sie zur Rast, die Frauen vom hellen Süd ', spannen köstliches Linnen. (Die Jungfrauen waren Walküren, sie hatten, als sie am Strande ruhten, ihre Schwanenhemden abgestreift.) Da kamen drei Brüder, Egil, Slagfidhr und Wölund, die sahen die Schwanenhemden, nahmen sie und vermählten sich mit den Mädchen.
Eine von ihnen umarmte den Egil, das Mädchen den Mann, und schloß ihn an ihre lichten Brüste.
Die andere war Schwanweiß, ein Schwanenkleid trug sie. . . . Und die dritte, ihre Schwester, umschlang den weißen Hals des Wölund.
Da saßen sie dort sieben Winter und den achten versehnten sie ganz und den neunten trennte die Not. Die Mädchen trieb es zum dunklen Wald, die Schwanenjungfrauen, des Schicksals zu walten.
Es kam von der Jagd der helläugige Schütze, Wölund schreitend den langen Weg. Slagfidhr und Egil fanden leer das Haus, gingen aus und ein und sahen herum.
Nach Osten glitt Egil, nach seiner Ölrun, nach Süden Slagfidhr, nach der Schwanweißen. Doch Wölund einsam saß im Wolfstal.
In rotes Gold schlug er hellen Stein, reihte alle Ringe schön an den Bast, so harrte er lange der lichten Frau, ob sie wiederkäme zu ihm zurück.
Nidhöd erfuhr das, der Herr der Njaren, daß Wölund einsam saß im Wolfstal. Nächtens fuhren die Mannen, goldbenagelt die Brünnen, ihre Schilde blinkten, schmal schien der Mond.
Sie stiegen aus den Sätreln am Giebel des Hauses und gingen hinein in den langen Saal, sahen auf den Bast die Ringe gezogen, wohl siebenhundert, die der Schmied dort besaß.
Sie nahmen sie ab, sie reihten sie auf, einen allein nahmen sie fort. . . .
Es kam von der Jagd der helläugige Schütze, Wölund schreitend den langen Weg, ging zu braten das Fleisch der braunen Bärin.
Hoch brannte Reisig, dürres Föhrengezweig, windsprockes Holz vor Wölund auf.
Auf dem Bärenfell saß er, zählte die Ringe, der Schmiede Bester, suchte den einen. Er dachte, ihn hätte Hlodwers Tochter — die Schwanenjungfrau — kam sie denn heim?
Lang saß er da, bis er entschlief, dann erwachte er freudenlos. An den Händen fühlte er schwere Bande, die Füße umspannten eng die Fesseln.
Wölund sprach: " Wer sind die Recken, die mir anlegten Bastgeschnür und mich gebunden? . . ."
Nidhöd sprach, der König der Njaren: " Wo erwarbst du Wölund, du Fürst der Alben, all' das Gold dir in unserem Wolfstal?"
Wölund sprach: " Gold war da nicht auf Granis Pfad, fern ist dies Land den Gefilden des Rheins. Ich meine, wir hatten größere Schätze, als wir saßen froh daheim."
Draußen stand die kluge, Nidhöds Gemahlin, sie ging hinein inden langen Saal, stand in der Halle, dämpfte die Rede: "Nicht geheuer ist der Bursch, der vom Walde kam.
Die Augen gleichen dem gleißenden Wurme, die Zähne fletscht er, sieht er das Schwert, erblickt er den Ring, der Bödwild nun schmückt. Durchschneidet ihm die Kraft der Sehnen und setzt ihn dann an des Meeres Strand."
(Nidhöd hatte seiner Tochter Bödwild den Ring gegeben, den seine Mannen dem Wölund genommen, er selbst trug das Schwert, das, Wölund besaß. Dem Schmied durchschnitten sie die Sehnen und setzten ihn auf eine Insel dicht am Land, dort mußte er dem König Kostbarkeiten schmieden. Niemand durfte ihm nahen außer dem König.)
Wölund sprach: "Nun leuchtet dem Nidhöd das Schwert am Gürtel, das ich geschmiedet, so scharf ich konnte, das ich gehärtet mit meinem Hammer. Das glänzende Schwert ist immer mir fern, nicht seh' ich's dem Wölund zur Schmiede getragen. Nun trägt Bödwild die roten Ringe meiner Geliebten, ich kann es nicht rächen."
Ihn floh der Schlaf und immer dort saß er und schlug den Hammer, dem König schmiedend schönen Schmuck. Da liefen die Burschen, des Königs Söhne, die Schätze zu sehen auf einsamer Insel.
Sie gingen zum Kasten, erbaten den Schlüssel und blickten hinein
— da sah er die Rache. Dort lag Schmuckes die Fülle, vor den Augen der Knaben funkelten Gold und reiches Geschmeide.Wölund sprach: " Kommt allein ihr zwei, kommt morgen wieder! Das Gold soll alles euer werden! Sagt's nicht den Mägden, nicht im Saal den Knechten, verratet es niemand, daß ihr mich fandet!"
Bald rief der eine Knabe dem andern, der Bruder dem Bruder: "Laß die Ringe uns sehen."
Sie kamen zum Kasten, erbaten den Schlüssel und sahen hinein — da sah er die Rache. Er schnitt ab das Haupt der beiden Burschen, in den Schlamm der Esse warf er die Füße.
Doch die Schädel unter den Haaren beschlug er mit Silber, schickte sie Nidhöd. Und aus den Augen Edelsteine sandt' er der klugen, Nidhöds Gemahlin. Und aus den Zähnen der beiden Knaben schuf er Brustschmuck, sandt' es der Bödwild.
(Bödwild zerbrach ihren Ring, der früher der Geliebten Wölunds gehörte und brachte ihn dem Schmied; sie wagte das nur ihm zu sagen.)
Wölund sprach: "Ich büße dir so den Bruch am Ringe, daß er deinem Vater schöner scheine und deiner Mutter um vieles besser und dir selber so wie vordem."
Er brachte ihr Bier, daß er's besser vollbrachte, daß auf ihrem Sitze sie sanft entschliefe. " Nun hab ' ich die Rache für meine Leiden, nur für eines nicht an den Missetätern."
Wölund rief: "Ich schmiede mich frei, ich bin frei an den Sehnen, die Nidhöds Mannen mir einst zerschnitten."
Lachend stieg Wölund hoch in die Lüfte, weinend ging Bödwild von seiner Insel, erzitternd von dem Flug des Buhlen, erbebend vor dem Zorn des Vaters.
Draußen stand die kluge, Nidhöds Gemahlin und ging hinein in den langen Saal. An der Türe sah sie erschöpft und ruhte: "Wachst du, Nidhöd, du Herr der Nsaren?"
Nidhöd sprach: "Ich wache und wache freudenlos, ich schlafe nicht, seit tot meine Söhne. Kalt ist mein Haupt, kalt war dein Rat, ich will nur eines: mit Wölund reden.
Sage mir Wölund, du Fürst der Alben, was ward aus meinen starken Söhnen ?"
Wölund, der in den Lüften über ihm schwebt, sagt: "Die Eide sollst du mir alle schwören, bei Schiffes Bord, bei Schildes Rand, bei Rosses Bug, bei Schwertes Schneide, daß du nicht peinigst des Wölund Gattin, noch meiner Frau zum Mörder werdest, wär ' auch meine Gattin von dir gekannt oder mein Kind in deinem Hause.
Geh ' du zur Schmiede, die du geschaffen, dort findest du Bälge, blutbefleckt. Ich schnitt ab das Haupt deiner beiden Söhne, in den Schlamm der Esse warf ich die Füße.
Doch die Schädel unter den Haaren beschlug ich mit Silber und schickte sie Nidhöd. Und aus den Augen Edelsteine Sandt' ich der klugen, Nidhöds Gemahlin. Und aus den Zähnen beider Knaben schuf ich Brustschmuck, sandt ' es der Bödwild. Nun geht Bödwild und trägt ein Kind, eurer beider einzige Tochter."
Nidhöd rief: "Welche Kunde könnte mich bitterer kränken? Ah, könnt ' ich, Wölund, nun dich strafen! Doch kein Mann ist so hoch, der vom Hengste dich fällte und keiner so stark, der dich niederschösse, der du nun schwebst da im Himmel oben."
Lachend stieg Wölund hoch in die Lüfte, gebrochen sah Nidhöd und starrte ihm nach.
Nidhöd sprach: "Steh ' auf, Thakkrat, Bester der Knechte. Entbiete Bödwild — ihre Brauen sind weiß, ihr Schmuck leuchtet hell — sie gehe zum Vater!
Ist das wahr, Bödwild, was er mir sagte? Warst du bei Wölund, draußen am Holm?"
Bödwild sprach: "Wahr ist das, Nidhöd, was er dir sagte. Ich saß mit Wölund draußen am Holm, eine Schreckensstunde, hätt' ich nie sie erlebt! Mich seiner erwehren, ich konnte das nicht, mich seiner erwehren, ich wollte das nicht."
Das alte, vermutungsweise von uns erschlossene, fränkische Lied von Wieland und seine Grausamkeiten sind uns im Gedächtnis (siehe oben S .53). Das Lied wanderte nach England. Dort ist Wieland der "Fürst der Schmiede" —und er blieb es bis in das neunzehnte Jahrhundert, in der Volkssage. Er lebt in schwer zugänglichen Höhlen, niemand hat ihn gesehen; vor den Eingang seiner Behausung mußte man ihm legen, was man gebessert zu v b. Legen, Sagenbuch II 11
haben wünschte, dann fand man es am Morgen, wunderbar vollendet wieder. — Die Geschichte von Wielands Knechtschaft und Rache kannte ja der Dichter von Deors Klage. Seine Verse sind erfüllt von Jammer und Unglück. Schmerz und Sehnsucht, sagt er, waren Wielands Gefährten, oft empfand er Weh, nachdem Wieland ihn in Fesseln gelegt, Baduhild konnte die eigene Schande schwerer verwinden als den Tod der armen Brüder. — Auch ein sehr altes wertvolles Zeugnis für die Sage ist ein altenglisches Runenkästchen, wohl aus dem achten Jahrhundert, eines der wenigen bildlichen Denkmäler, die uns die Verbreitung der germanischen Heldenlieder bezeugen. Es zeigt die Baduhild, die den Wieland in Begleitung einer Dienerin besucht, unten liegt die Leiche eines Knaben. In den Versen von Deors Klage hat sich der Dichter tief in das vergebliche Sehnen, in die zerstörte Liebe, in die trostlose Einsamkeit des Wieland versenkt. Von den germanischen Völkern hat das englische zuerst die ganze Kraft und den ganzen Schmerz der Liebe, der Verlassenheit, der Sehnsucht besungen, vielleicht war den Dichtern dabei die Kunst des Vergil und des Ovid Vorbild. Klassische Sagen von der Kunst des Fluges, der Knechtschaft und der Lähmung des Schmiedes, von der Rache des Geknechteten, das Schicksal des Ikarus, des Dädalus, des Hephästus klingen ja an die Sage von Wieland an.An die altenglische Kunst und ihre Stimmung erinnert da und dort das Wielandslied. Wir denken bei der Schilderung der Krieger, die beim Schein des Mondes zu Wieland reiten, an das Finnsburglied (S. 43). Wie rührend —weicher als sonst im Nordischen — ist Wielands Verlangen nach der entflogenen Geliebten geschildert, wie herzbrechend Baduhilds Schmerz und Angst, wie oft kehren, im melancholischen und im drohenden Gleichklang, Verse und Versreihen wieder. Bilder, wie die von Wieland, der am Feuer sitzend sich die Bärin brät, der Geliebten nachseuszt und die Ringe zählt, haben vielleicht im dänischen Lied von Bjarki ihr Seiten
stück, in dem das prasselnde Herdfeuer und der warme Herd gepriesen werden. Andere Bilder haben nirgends im Nordischen ihresgleichen: der Schmied, der funkelnden Auges, die Zähne fletschend, zusehen muß, wie man ihm seine Schätze raubt, die Knaben, die neugierig zum gefesselten Schmied laufen und in seinen Kasten schauen, die Baduhild, die erhebend zu dem entfliegenden Geliebten hinaufstarrt. Solche Szenen kann man sich im Märchen vorstellen, und auch die Knechte, die Wielands Ringe zählen und den schönsten nehmen, die Freude an Schmuck und Edelsteinen, die grausame Königin gehören dahin. Grade diese Szenen stehen in merkwürdigem und wohl auch gewolltem Gegensatz zu der Grausamkeit des Liedes. Am Schluß zeigt uns der Dichter das mächtigste Bild: den Wieland, der hoch in den Lüften schwebend, dem König die Einzelheiten der Rache zuruft.Im nordischen Lied von Wölund dehnt sich einsam und weit der Meeresstrand, in Tälern versteckt liegen die Hütten, auf Schneeschuhen ziehen die Jäger zur Bärenjagd und kehren erschöpft nach weitem Weg heim, die Wölfe hausen im Wald, die Schwäne lassen sich nach langem Flug am Ufer nieder. Das ist eine Landschaft im nordischen Osten, in Finnlands Nähe, in der etwa der Gott Ull und die Schneeschuhgöttin Skadi verehrt werden.
Das Lied von Wieland besteht aus zwei Dichtungen, die früher Selbständig und in sich abgeschlossen waren. Die eine ist das Märchen von den Schwanenjungfrauen, denen Sterbliche ihre Gewänder rauben. Sie verweilen bei den Sterblichen, sehnsüchtig nach der alten Kraft, bis sie ihr Gewand wiederfinden, da fliegen sie davon und kommen nie wieder. Das ist eine sehr alte und sehr verbreitete Erzählung, sie fehlt kaum in einer Märchensammlung. Die andere ist die Dichtung von dem Schmied, der einsam seine Kunst übt, den ein König fängt und fesselt und der die Schmach an dem König rächt, sich Flügel schmiedet und auch davonfliegt.
Es war die Tat eines nordischen Dichters, daß er diese beiden Dichtungen verband. Sie hatten gewisse Ähnlichkeiten, Wieland und Baduhild (Bödwild) waren beide verlassen, Wieland von der geliebten Frau, Baduhild vom geliebten Mann. Der Dichter deutet uns an, leise, doch erschütternd, daß Baduhild den liebte, der ihr das Leben zerstörte. Beiden entflog das Wesen, an dem ihr Leben hing, sie blieben einsam zurück. Der einsame Schmied war der Anfang der Dichtung von Wieland, da war es für einen Dichter verlockend zu erzählen, wodurch er einsam geworden. Welche Vorgeschichte war nun schöner, als das weitbekannte Märchen von der Schwanenjungfrau, die den Menschen doppelt einsam zurückließ, der lange Jahre ihre Liebe genoß?
Nun, da beide Geschichten verbunden waren, hatte der Dichter noch einen künstlerischen Gewinn. Er konnte allmählich den Wieland aus seiner Umgebung herausheben. In den ersten Strophen ist sein Los wie das der andern Brüder auch, diese gehen fort, er bleibt einsam da, ihm gehört nun unsre ganze Teilnahme. Das war nordische, besonders isländische Kunst, das Interesse des Hörers langsam auf den Helden zu lenken. Es ist auch sehr schön, wie das Lied mit sehnsüchtiger Erzählung beginnt, und, Sobald es in die Gegenwart kommt, in das Dramatische, in Rede und Gegenrede, sich erhebt.
Der Beginn des Liedes hebt sich leuchtend und hell aus dem Dunkel des Waldes: helle Schwanjungfrauen in weißem Gefieder rasten an dem weißen Strand des Meeres, sie schließen die Helden an ihre lichten Brüste, ihre schimmernden Arme umschließen den weissen Hals der Männer. Wie strahlt der Klang des Verses: onnur was Swanhwit swanfjadrar dro! — Wieland ist Herr der Alben, sein Feind Nidud der Herr der Njaren, der Herr dunkler, tückischer Mächte und Knechte. Die Jungfrauen fliegen ins tiefe Dunkel des Waldes zurück. — Dies Auftauchen und Entschwinden des Lichts, die alles umschattende, dichter und
dichter sich niedersenkende Finsternis ist wie ein schnell und trostlos verfliegender Traum aus längst vergangenem flüchtigem und unvergeßlichem Glück.Die Geschichte oon den Schwanenjungfrauen selbst erscheint im Wielandslied in ganz anderer Gestalt als im Märchen. Nicht wie dort, nicht durch einen Zufall, oder durch eine Unachtsamkeit oder durch eine List finden die Schwanenjungfrauen ihr Gewand: sie bleiben sieben Winter bei den Sterblichen, den achten versehnen sie, im neunten trennt sie die Not, das allgewaltige Schicksal. Denn es sind nicht die Schwanenjungfrauen des Märchens, denen wir im Wielandslied begegnen, es sind Walküren, die des Schicksals und des Krieges walten, die sich selbst am Meeresstrand die Zukunft weben, daß sie irdischen Männern wenige Winter gehören müssen und die es dann doch unwiderstehlich zurücktreibt zum alten Wesen, zum Flug durch die Lüfte, zum ewigen Kampf.
Im Märchen von den Schwanenjungfrauen ziehen die Verlassenen den Entflogenen nach, manchmal finden sie nach langen Wanderungen die Geliebten, dann gibt es eine Vereinigung für immer. Im Wielandlied wandern nur Schlagfider und Egil hinter den Geliebten her, wir hören nicht, ob sie jemals sie wieder fanden. Wieland bleibt zurück: er glaubt wohl, daß die Schönheit des Mannes und seine Liebe und sein Schmuck und seine Kostbarkeiten die Geliebte doch wieder zu ihm treiben werden.
Wir stoßen hier auf eine bewundernswerte Kunst. Aus einer alten zauberhaften Geschichte ist ein dunkles Schicksalslied geworden und das Vorspiel zugleich zu dem Liede von Wieland dem Schmied. Damit ist dies selbst in die Höhe und Tragik des Schicksals gehoben. Es ist nicht eine grausame Begebenheit, ein seltsames und nie wiederkehrendes Unglück, diese Geschichte von Wielands Knechtschaft und Wielands Rache. Es ist die ewige Schmach der Knechtschaft, das ewige Gebot der Rache, das uns der Dichter besingt.
Man darf die Geschichte von den Schwanenjungfrauen auch eine Geschichte der Liebe nennen, das Lied von Wieland ein Lied der Rache. Sind beide verbunden, so ergibt sich für den Künstler noch eine Möglichkeit der Steigerung. Er kann schildern — und unser Dichter hat es geschildert — wie die Gefühle der Liebe, von denen Wieland sich zuerst überwältigen läßt, durch die Gefühle der Rache ganz verdrängt werden. Dieser Rache gibt sich Wieland mit noch wilderer Leidenschaft hin als der, die er früher für seine Liebe hatte. Er gibt sich ihr hrn, bis sie ihn ganz erfüllt und durchdringt, ja bis sie größer wird als er selbst und ihm überirdische Kräfte zuführt. Nun erst, das ist wieder eine wunderbare Vertiefung des alten Märchens vom Flug des Menschen, nun erst, nicht früher, gewinnt Wieland die Macht, sich Flügel zu schmieden, die alte Freiheit sich zu Waffen, den Peinigern, die ihm das Leben zerstören wollten, in furchtbarer Vergeltung vielfältig zurückzugeben, was sie ihm angetan.
In der Rache selbst liegt eine schaurige Folgerichtigkeit. Man nahm Wieland das Schwert, er tötet die Knaben, des Königs Schwerter. Man nahm ihm den Ring, den er für seine Geliebte bestimmt; er heilt diesen Ring der Baduhild und entehrt sie und unterwirft sie seiner Liebe. Man zwang ihn, Kostbarkeiten zu schmieden; er schmiedet seine besten Kostbarkeiten aus den Schädeln, den Zähnen, den Augen der Königsknaben, die er gemordet . Man durchschnitt ihm die Sehnen und stahl ihm die Freiheit; er schmiedet sich Flügel und ist freier als jemals. Vom Himmel herunterrufend, enthüllt er den Peinigern die furchtbaren Einzelheiten seiner Rache, erhebt sich höhnisch lachend in die Lüfte und überläßt sie ihrem ohnmächtigen Grimm.
Diese Vergeltung ist barbarisch, uns überläuft ein Grauen, wenn sie vor uns aufsteigt. Aber sie geht den unerbittlichen Gang des Schicksals und ist unabwendbar wie das Schicksal: das bleibt ihre Größe. Am Ende, nachdem der Dichter unsre
Empfindungen alle in wilden Aufruhr gebracht, läßt er sein Lied leise und trostlos verklingen, mit den verzweifelnden Worten des Vaters und dem wimmernden Ruf der Baduhild, daß sie des Wieland sich nicht erwehren konnte und nicht erwehren wollte —Nach langer Zeit, im dreizehnten Jahrhundert, finden wir die Sage von Wieland wieder, in der Thidreksaga, jener großen Sammlung von Heldensagen, die ein nordischer Sagaschreiber auf Grund von Berichten von Kaufleuten aus Soest und Münster aufzeichnete und die er um Dietrich von Bern ordnete. In den drei Jahrhunderten seit dem Lied von Wölund hat sich aber unsre Sage bis zur Unkenntlichkeit verändert und erweitert.
Der Anfang der Sage berichtet nun von Wielands Jugend, er sei der Sohn Mades gewesen und habe zuerst bei Mimi zur selben Zeit wie Siegfried und dann bei zwei Zwergen das Schmieden gelernt. Diese behielten ihn, weil er so geschickt war, länger bei sich. Zuerst gaben sie dem Wade dafür Lohn, dann aber gereute sie das und sie knüpften an den Lohn die Bedingung, daß Wielands Leben ihnen verfallen sei, wenn Wade ihn nicht zur rechten Zeit zurückhole. Nach einem Jahr kam Wade, doch wurde er dicht vor dem Ziel, als er sich zur Ruhe gelegt, von einer herabfallenden Klippe erschlagen, und als Wieland ihn gefunden und dies gesehen, tötete er die Zwerge, die sein Leben wollten, nahm ihre Schätze, ging zur Weser, fällte dort einen starken Baum, höhlte ihn aus und schloß beide Teile eng aneinander, setzte vor die Löcher Glas und lieh sich und seine Schätze vom Baum ins Meer tragen, bis Fischer des Königs Nidung in Jütland den Stamm in ihren Netzen fingen und ihn und Wieland ans Land zogen.
Wieland wurde nun vom König Nidung gut aufgenommen und zeigte seine Schmiedekünste. Er schmiedete ein weit besseres Schwert als der Schmied des Königs, obwohl er nur dessen Werkzeuge dabei brauchte. Als seine eigenen Werkzeuge dann gestohlen waren, fertigte er ein Bild des Mannes an, den er beim Diebstahl beobachtet hatte und führte dadurch dessen Entdeckung herbei. Dann schmiedete er mit seinen Werkzeugen ein Schwert so scharf, daß es in einem Strom gegen die Strömung gehalten eine antreibende Wollflocke zerschnitt. Vorher hatte Wieland zweimal das Schwert zerfeilt, die Eisenspäne mit Mehl
vermischt und sie den Vögeln zu fressen gegeben, ihre Eikremente schmolz er aus und gewann dadurch sein wunderbares Material.Der König zog nun in den Krieg, hatte aber seinen Siegstein vergessen . Wieland ritt auf seinem wunderbaren Roß in einem Tag einen fünf Tage langen Weg zurück, holte den Siegstein und begehrte des Königs Tochter, die dieser dem überbringer des kostbaren Steines versprochen. Ein neidischer Truchseß wollte dem Wieland mit Gewalt den Siegstein abnehmen, wurde jedoch von ihm erschlagen. Da verbannte Nidung den Wieland. Dieser schlich sich, als Koch verkleidet, an Nidungs Hof und tat Liebeszauber in die Speisen der Prinzessin. Doch das Mädchen erkannte das am Klang ihres Messers, das alles Unreine anzeigte, und Wieland wurde gefangen, die Sehnen wurden ihm zerschnitten und er mußte für den König Geschmeide schmieden.
Nun erzählt die Sage, daß Wieland die Söhne des Königs erschlug und aus ihren Gebeinen allerhand Schmuck und Tischgerät fertigte. Er bewältigte auch die Königstochter und heilte ihr dann ihren Ring. Darnach ließ er sie durch seinen Bruder Egil zu sich rufen und er versprach ihr und sie ihm Treue. Wieland fertigte sich nun aus Vogelfedern ein Fluggewand. Egil sollte es erproben; der stieg, wie es ihm Wieland geraten, gegen den Wind auf und setzte sich mit dem Wind und stürzte ab. Wieland, der mit Recht gefürchtet, Egil würde ihn um sein Flughemd betrügen, wenn er ihn richtig unterwies, setzte ihm auseinander, die Vögel stiegen mit dem Wind auf und setzten sich gegen den Wind. Wieland flog nun auf und von der Luft herab erzählte er dem König, was er ihm angetan. Nidung befahl dem Egil, nach Wieland zu schießen; dieser, einer Verabredung gemäß, traf nur eine mit Blut gefüllte Blase, die Wieland sich unter den Arm gebunden. Der König glaubte nun, Wieland sei tot. Doch dieser entkam nach Seeland. Dann starb Nidung, sein Sohn versöhnte sich mit dem Schmied und gab ihm seine Schwester, die Prinzessin, zur Frau.
Die alte Größe und Tragik des Wielandliedes ist in dieser Form der Wielandsage bis auf die letzte Spur getilgt. Die Schwanenmädchen, die Königin, die Bedeutung vom Ring und der tiefe Sinn und die Gewalt der Rache, die Einsamkeit, kurz der ganze Geist der alten Dichtung fehlt. Der Ausgang ist freundlich und die ganze Sage ist erweitert und mit Wundern und Anekdoten überdeckt, so daß eine schlechte und grobe Erzählung
vor uns steht. Sie war für den Geschmack eines niederen Hörerkreises berechnet und wurde ihm wahrscheinlich mit allerhand derben Pantomimen vorgetragen. Freilich kam ja schon das nordische Wielandslied in manchen Szenen dem Märchen entgegen.In Island wohl wird man das Lied von Wölund in eine Saga verwandelt haben, an einzelnen Stellen klingt die Thidreksaga noch an das Lied von Wölund wörtlich an. Einige seiner uns neuen Züge, die nämlich, die aus der Siegfriedsage stammen, vermischten sich wohl dort schon mit der Wielandsaga, nämlich die erste Lehrzeit bei den Zwergen, die Schwertprobe im Strom und die Furcht vor dem neidischen Egil. Andere Motive in dem Bericht der Thidreksaga wanderten vom Märchen hinüber: der neidische und diebische Ritter, der neidische Truchseß, der Siegstein, das schnelle Roß, der Liebeszauber in der Speise, das Messer, das alles Unreine anzeigt. Da der Ritter auch in seinem Namen dem Ritter Röd entspricht, den besonders das dänische Märchen kennt, und da unsre Erzählung in Jütland und Seeland angesiedelt ist, darf man annehmen, daß wir die märchenhaften Zutaten einem dänischen Erzähler verdanken. Von wieder anderen Zügen endlich machte die Forschung wahrscheinlich, daß sie in Niedersachsen hinzukamen: der Tod Wades durch die herabfallende Klippe, der Einbaum, die Fahrt auf der Weser, die Schmiedeanekdoten von der Nachahmung des Diebes im Bild und von der Gewinnung des Materiales für das Schwert, der falsche und der richtige Rat zu fliegen und die Blutblase.
Je weiter sie sich vom Norden entfernte, um so fremder wurde die Sage von Wieland also ihrem Wesen, und um so eifriger behing sie sich mit märchenhaftem Tand, bis sie endlich sich in der Thidreksaga in eine rohe und aufdringlich aufgeputzte Fabel verwandelt hatte. Ein ähnliches Schicksal ereilte auch andere Helden und Sagen. Starkad, der freilich viel größer blieb und tiefer, wurde in das Reich der Wunder und des Zaubers geführt, über die Balder-sage, wie Sato Grammaticus sie uns erzählt,
sind eine Fülle von Märchen und Wunderdingen geschüttet. Aber so entstellt und verroht wie die Sage von Wieland ist doch keine andere; ihre Grausamkeiten mögen daran ein wenig schuld sein.Die alte Dichtung verlor ihr Ansehen nicht, die Nordmänner scheinen sie und die Dichtung von Sigurd in Frankreich erzählt zu haben. Aus ihnen beiden erwuchs dann, indem sie sich mit seltsamen Erinnerungen aus Schlangenmärchen bereicherte, in der Gascogne eine neue wunderbare Erzählung. —
In der Thidreksaga trat neben Wieland sein Bruder Egil auf als wunderbar geschickter Schütze, und die Saga erzählte von seiner Geschicklichkeit und seinem kühnen Trotz eine sehr schöne Geschichte. Egil erscheint im Wielandslied des zehnten Jahrhunderts ja nur in der Geschichte von den Schwanenjungfrauen, doch war er seit langen Jahrhunderten der germanischen Sage bekannt, auch das altenglische Runenkästchen zeigt ihn im Bild. Die ihm geltende Sage kennt auch Saxo Grammaticus, sein Schütz heißt freilich nicht Egil, sondern Toko.
Egil rühmte sich und seine Schützenkunst. Der König wollte ihn erproben und hieß ihn einen Apfel vom Kopf seines dreijährigen Söhnchens schießen. Da nahm Egil drei Pfeile aus dem Köcher und der erste traf den Apfel. Als der König ihn fragte, was er mit den beiden anderen Pfeilen gewollt, erwiderte er, daß er sie dem König zugedacht, wenn er seinen Sohn getroffen hätte. Der König aber verstand und bewunderte diese kühne Antwort und tat dem Schützen nichts zuleide.
Nach Saxo war Toko ein Prahler und behauptete, er könne einen Apfel vom Stock schießen. Diesen Stock ersetzte der König durch das Kind. Toko mußte sich dann noch als Skiläufer erproben und einen steilen Bergabhang herunterfahren. Sato und wohl auch die Thidretsaga schöpfen aus isländischer Tradition; die Sage von Egil dem Schützen ist in ihrer Art durchaus denen der Völkerwanderung gleich. Ihr Schwerpunkt ist das Verhältnis des Königs zum Gefolgsmann, nicht das Kind und die Liebe zu ihm, das würde Egil opfern. Der Schütz bezwingt sich, als der König die
grausame Probe seiner Kunst von ihm verlangt. Dann kommt die verhaltene Mal und der verhaltene Zorn gewaltsam zum Ausbruch und diese Entladung versteht der König und vergibt ihm in königlicher Milde, ein Herrscher ebenbürtig dem Turisind.Den gleichen Egil bildet auch das altenglische Runenkästchen als Verteidiger seines Hauses ab. Daran bewahrte eine englische Ballade des sechzehnten Jahrhunderts die Erinnerung, die Ballade von William von Cloudesly.
William wurde in seinem Hause von bewaffneter Macht belagert. Er ging in sein stärkstes Zimmer und schoß auf seine Feinde, während sein Weib mit der Axt an die Türe trat. " Der muß sterben, der hier herein will, solange ich dastehe." — "Ergib dich!" rufen die Feinde, dem Helden zu. " Gott verfluche ihn, der diesen Rat gibt," antwortete die Gattin. Da legten sie draußen Feuer an. " Verbrennen wir William, sein Weib und seine drei Kinder." Die Flamme schlug hoch auf. "Wehe, daß wir hier sterben sollen! rief die Frau. Da ließ William Weib und Kind an Tüchern zum Fenster herunter. " Tut ihnen kein Leid," rief er, " an mir nehmt Rache." Und er schoß, bis alle seine Pfeile verschossen waren und das Feuer auf ihn fiel und seine Bogensehne entzwei brannte. " Lieber mit dem Schwert in den Haufen stürzen," sagte er, " als hier jämmerlich verbrennen," und er nahm Schwert und Schild und rannte in die dichteste Schar und schlug um sich, bis man Fensterläden und Türen über ihn warf, da konnten sie ihm die Hände und Füße binden.
Auf dem Runenkästchen waren von dieser stolzen und im Wesen ganz germanischen Geschichte — manche ihrer Züge erinnern an den weisen Njal und an die Geschichte seiner Verbrennung — schon abgebildet der zum Fenster hinausschießende Held, die von Pfeilen heregneten Angreifer, die Frau mit der Waffe unter der Tür und der mit dem Schild sich unter die Feinde werfende Egil, am Boden liegend, von einem andern am Bein gepackt.
Von der Sage von Wieland drangen nur wenige Namen und der Ruf seiner Schmiedekunst nach dem südlichen Deutschland. Die
Sage von Egil dem Schützen, der den Apfel vom Haupt des Sohnes schoß, kam bis in die Schweiz und auf ihr beruht die Sage vom Wilhelm Tell. Diese ist wirkungsvoller und volkstümlicher, die germanische Sage durch die Gestalt ihres Königs und durch ihre Auffassung von der Gefolgschaft edler und höher. — Wie bunt, abenteuerlich und vielfältig werden nun vor unsren Augen die Schicksale der Heldensage und wie mächtig war ihr Leben, daß sie sogar unter späten altenglischen Balladen in ihrer alten tragischen Größe überraschend vor uns tritt!
5. Helgi
Bei den Sagen von den Halfdansöhnen, Amleth, von Ermanarich , von Wieland und von Egil wurden wir wie von selbst in die Zeit der Völkerwanderung geführt. Bald waren die Lieder, die ihnen galten, in der germanischen überlieferung bezeugt, bald wiesen ihre Wurzeln auf sie zurück. Die Gedichte von Helgi gehören ganz in die Wikinger Zeit, sie entstanden aus Kämpfen der Dänen und Sachsen im zehnten Jahrhundert. Es sind drei Lieder, zwei dem Helgi gewidmet, der die Hundinge erschlug, und eins dem Helgi, dem Sohn Hjörwards, zwei in Bruchstücken, eines vollständig erhalten. Das vollständige und einheitliche ist das echte nordische Wikingerlied.
Das Lied berichtet zuerst von Geburt und Benennung des Helden. Fünfzehn Winter alt, bekämpfte und erschlug Helgi den Hunding und seine Söhne, dann erklärte ihm die Walküre Sigrun ihre Liebe. Sie bat um seine Hilfe, ihr Vater wolle sie mit Hödbrodd, Granmars Sohn, vermählen und den verabscheue sie. Helgi sammelte nun ein Heer und eine Flotte und fuhr in den Kampf. Als der Wächter der Feinde seine Schiffe nahen sah, fragte er nach ihrem Führer und Helgis Bruder Sinfjötli gab höhnische Antwort. Helgi verwies ihm die schlimmen Reden, er und die Seinen landeten, der Kampf begann, Hödbrodd fiel und Helgi errang Sigrun als Gemahlin, die ihn jubelnd empfing.
Das ganze Lied ist auf einen Ton gestimmt: auf das Glück,
das dem Helden Kampf und Macht geben. Der Jubel des Herrschers klingt darin wieder, den seine Kühnheit und seine Bestimmung zu Ruhm und Größe auslesen und dem alle Herrschaft und aller Sieg wurde, die er auf Erden für sich erstrebte.Unter bedeutenden Zeichen kündet sich seine Geburt an, die Nornen spannen ihre Fäden von Ost nach West und von Süd nach Nord; überall in diesem Bezirke soll der kaum geborene Fürst herrschen und nur das Glück soll ihn begleiten. Die Tiere des Schlachtfeldes, Rabe und Wolf, freuen sich über den kaum Geborenen. Der Vater kehrt nach der Geburt des Sohnes, wieder aus siegreicher Schlacht, heim und beschenkt ihn mit reichen Ländern und mit einem blitzenden Schwert. Der Knabe wächst zur Freude aller heran, als Fünfzehnjähriger zieht er in seinen ersten großen Kampf und mit Ruhm gekrönt kommt er zurück. Dem Kampf folgt die Liebe, eine himmlische, keine irdische Jungfrau ersehnt sich dieser Held. Schicksal, Sehnsucht und Seligkeit dieser Jungfrau sind wieder Kampf und Heldentum. Sie fällt dem Geliebten nicht zu; er muß um sie kämpfen und versammelt um ihretwillen ein gewaltiges Heer und eine gewaltige Seemacht. Zum Kampf gegen die Menschen gesellt sich nun der Kampf gegen die Elemente, die Schiffe ringen sich durch die Stürme des Meeres. An die Schiffswände schlagen die Wellen, als schlage an die Felsen die Brandung, die Schiffe scheinen sich in den Himmel zu heben und die tückische Göttin des Meeres schlägt nach ihnen mit ihren Pranken. Zu gleicher Zeit steigt auf den Schiffen ein Segel nach dem anderen empor, wie um die Elemente zu verhöhnen und sie zu wilderern Angriff zu reizen; Mann an Mann, Schild an Schild, steht die Heldenschar auf Deck. Sie kommen an Land; ein blutroter Schild, goldumrandet, drängt sich zwischen die weißen Segel, um den Feinden den Kampf zu künden. Die Kampflust, während der ganzen Seefahrt nur mühsam gebändigt, bricht nun mit ganzer Gewalt heraus, der wildere und rohere Held schleudert auf den Feind greuliche Schmähungen , bevor er sich auf ihn stürzt, der edle Führer mahnt zur Achtung des tapferen Gegners, dann stürzt alles in Kampf und Sieg. Auf der See suchten die Riesinnen und die Dämonen der Tiefe der Helden Herr zu werden, umsonst! Auf dem Land funkelt und strahlt es plötzlich über den Häuptern der siegreichen Streiter, blutrote Brünnen leuchten auf, und aus den Speeren sprühen die Funken. Die Walküren sind herangeflogen , um ihre Lieblinge zu schützen, wie aber der Sieg errungen,
haben sich der Herr der Wikinger und die Herrin der Walküren fürs Leben verbunden.Wie sehr weicht dies Lied von denen ab, die bisher an uns vorüberzogen! Nicht der leiseste tragische Unterton klingt hinein, uns umbraust nur das Glück und der Stolz des Krieges. Am Schluß schwillt der Jubel der Heldentaten noch einmal zu mächtigen Akkorden an, es erklingt der Preis des Helden, den himmlische Jungfrau sich erwählte. Auch Stil und Art des Liedes sind von denen der germanischen Lieder ganz verschieden: der Dialog tritt zurück, die Gleichnisse und Umschreibungen häufen sich, der Dichter selbst erzählt und schildert. Er gibt uns, darf man sagen, eine Biographie und eine Charakteristik des Helden in Form eines Preisliedes.
Dänen und Sachsen kämpften im zehnten Jahrhundert erbittert um Jütlands Besitz, und zur gleichen Zeit unternahmen die Dänen ihre Eroberungszüge nach Pommern. Die Grundlagen der Kämpfe Helgis gegen Hunding und Hödbrodd sind diese wirklichen Kämpfe. Das zeigen uns noch die Namen des Liedes: Hrwasund (öresund), Hlebjörg (Laeborg), Soarins haugi (Schwerin), Hedhinsey (Hiddensee) usw.
Die Ereignisse der Geschichte wurden dann, zuerst in Dänemark, , von der ausschmückenden und bereichernden Dichtung durchflochten. Sie rückte den einen Helden Helgi nach ihrer Art in den Mittelpunkt, und sie steigert sein Heldentum und seine edle Menschlichkeit dadurch, daß sie ihn von seinem Bruder abhebt, vom Sinfjötli. Ursprünglich gehört dieser in die berühmte Sage von den Wölsungen und mit dieser wurde die Sage von Helgi im Norden verbunden. Sinfjötli tritt in den Helgiliedern als Vertreter einer wilden und überwundenen Heldenzeit auf, einer Zeit, in der die Helden sich noch in Tiere verwandelten, Menschen erwürgten, mit wüsten Schmähungen den Gegner anfielen. Den Helden selbst stellte das Lied unter den Schutz überirdischer
Mächte, der Nornen und der Walküren. Sonst werden in der nordischen Dichtung die guten Gaben der freundlichen Nornen durch die schlechte einer feindlichen in ihrem Wert gemindert oder gar ins Unheil verkehrt. Es ist wieder bezeichnend, daß unser Lied aus den Nornen Göttinnen des Segens macht. Auch die Liebe Helgis zur Walküre hat es verklärt, vielleicht sogar war es, sein Werk, daß es die Sigrun zur Walküre erhob, und das Tragische von ihrer Liebe fortnahm. —Die Tragik der Liebe zeigt uns der Dichter des anderen im Inhalt reicheren Helgiliedes. Seine Kunst ist im wesentlichen dänisch, er mag ungefähr ein Zeitgenosse des ersten sein und wie dieser aus dem zehnten Jahrhundert stammen. Wohl stellte ein Sammler von seinem Lied nur Bruchstücke nebeneinander und diese nicht einmal in die rechte Ordnung, Bruchstücke anderer Lieder finden sich auch dazwischen. Aber die leitende Idee der Schöpfung tritt aus diesen Bruchstücken groß und tragisch heraus , es ist eben die Geschichte der Liebe Helgis zu Sigrun. Sigrun wird zuerst von einem Aufzeichner des Liedes in Anlehnung an die Sigrun des ersten Liedes Walküre genannt, doch ihre Liebe und ihr Schicksal sind das der irdischen Frau.
Sie hat die Tat von Helgis Jugend, den Kampf mit den Hundingen jubelnd gesehen, eilte zu dem Geliebten, fiel ihm um den Hals. und küßte ihn. Dem Hödbrodd habe sie ihr Vater versprochen und sie habe doch nur, schon ehe sie ihn erblickt, den Helgi geliebt. Nun fürchte sie den Zorn des Vaters und der Sippe. Helgi tröstete sie, nur ihr solle sein Leben gehören. Er besiegte in furchtbarem Kampfe den Högni, den Vater der Sigrun, und seine Söhne und dazu den Hödbrodd; beide erhielten die Todeswunde. Den sterbenden Hödbrodd umarmte Sigrun, pries seinen Edelsinn und versöhnte ihn mit seinem Schicksal.
Wie mild und schön ist dieser Zug im Vergleich mit dem ersten Helgilied! Dort hatte Sigrun für den Hödbrodd nur Worte des Hohnes und sagte, er tauge zum König wie ein Kater.
In dem Kriege wurde nur Dag, Högnis Sohn, verschont; er mußte
dem Helgi Treue schwören. Aber Dag opferte den Odhin um Rache, da lieh ihm der Gott seinen Speer und mit dem durchbohrte erden Helgi im Wald. Das sagte er der Schwester und bot ihr jede Buße. Sie aber brach in wilde Verwünschungen aus über den Bruder. Alle heiligen Eide sollten ihn verderben, die er einst dem Helgi geschworen; sein Schiff solle festgebannt bleiben, wenn auch sausender Wind in die Segel fahre; sein Roß solle nicht rennen, wenn ihm auch der Feind auf den Fersen folge; sein Schwert solle nicht schneiden, es sei denn, daß es zum Todesstreich um das Haupt singe; zum Wolf solle er werden, von Leichen sich nähren und von der überfülle ekler Nahrung endlich bersten. Dann klagte die arme Frau in erschütternden Worten um ihren Gemahl. "Er ragte hervor aus den anderen Helden, wie die helle Esche aus Dornengestrüpp, oder wie der Hirsch, der taubesprengte , über alles Wild das Geweih erhebt. Er schreckte die Feinde und ihre Vettern, wie die Geißen rennen vor grauem Wolfe, schreckerfüllt den Abhang herunter."Sigrun weinte daß ihre Klagen und Tränen dem Helden keine Ruhe im Grab ließen, sie fielen auf ihn wie Blutstropfen, kalt und eisig und kummerschwer. Zur Abendzeit erschien er der Magd; der Grabhügel ist offen, seine Wunden bluten. Sie weiß nicht, erblickt sie ein Blendwerk, bricht die Götterdämmerung an, oder kehrt der verstorbene Held wieder. Helgi sagt, daß er selbst es sei, wenn er auch nicht heimkehren dürfe, Sigrun möge kommen, seinen Wunden zu lindern. Sigrun geht in den Hügel zu Helgi, froh wie Odhins Raben, wenn sie auf dem Schlachtfeld warme Beute wittern, und taubenetzt den anbrechenden Tag spüren. Sie will den toten König noch einmal küssen, bevor er die blutige Brünne abstreift. Sein Haar ist bedeckt von Reif, seine Brust von geronnenem Blut, die Hände sind kalt und starr. Er trinkt den letzten Trank aus einem Trinkhorn, das sie ihm bietet. Leben und Land und Todeswunden sind vergessen, er umschlingt noch einmal in wildem Rausch die Frau. Sie aber will immer in seinem Arm ruhen, wie sie im Arm des Lebenden ruhte. Beim Morgengrauen reitet er zurück nach Walhall, auf fahlem Roß, auf Wolkenwegen, bevor der Hahn die Helden weckt. Sigrun geht den nächsten Abend wieder an den Grabhügel, sie wartet noch einmal auf den Geliebten. Den Toten hat sie geküßt, nun gehört sie dem Toten.
Uns klingen aus dieser Dichtung viele vertraute Töne entgegen. Ihre Klagen, ihre Weichheit und auch ihre Verwünschungen und
ihr Schwelgen in Tod und Liebe weisen sie in die große Zeit der dänischen Dichtung. In der Art steht sie dem germanischen Heldenlied viel näher als das erste Helgilied und hat auch wieder dessen Kunst, dessen Dialog, dessen Steigerung und dessen Konflikte . Die Liebe von Helgi und Sigrun läßt sich der von Hagbard und Signe vergleichen. Beide Paare finden sich gegen den Wunsch der Ihren und der, Mann erschlägt der Frau dort die Brüder, hier den Vater und die Brüder. Auch der Widerstreit der Gefühle ist uns bekannt, unter dem Sigrun und Dag leiden und der dem Vater die Tochter, die Schwester dem Bruder raubt. Signe folgte jubelnd dem Hagbard in den Tod, sie legt selbst Feuer an ihr Frauengemach, Sigrun umschlang den toten Geliebten und gab ihm eine Nacht Seligkeiten der Liebe, die das Leben nicht kennt. Die Verse von der Wiederkehr und der Liebe des Toten, ihre Mischung von Nacht und Glut, von Grauen und Sehnsucht sind ein Wagnis, wie es der Kunst nur selten gelingt. Manche Ähnlichkeiten verbinden noch die Sage von Helgi und die von Hilde, von der wir bald hören werden. Auch Hedhin entführte die Hilde, die ihn zum Gemahl wollte, ihrem Vater, und erschlug dann diesen, der dem Entführer seiner Tochter nachgeeilt war. Die Rolle des Dag klingt an die des Jngeld an, der Zorn Sigruns ist dem des Starkad ähnlich. Die Art, wie Helgi von Dag erschlagen und wie Dag von Sigrun verwünscht und wie Helgi von ihr beklagt wird, läßt sich auch mit dem Tod Sigurds und den Verwünschungen vergleichen, die Gudrun für Sigurds Mörder und der Klage, die sie für Sigurd hat. Der Dichter unsres Helgiliedes ist in der Kraft seiner Bilder anschaulicher und stärker.Das eine Helgilied malte die alte germanische Tragik aus und erhöhte sie, das andere entfernte sie und schilderte uns statt ihrer das Wikingertum, froh seines Glücks und froh seiner Siege. So verschieden satzten die Dichter des zehnten Jahrhunderts den gleichen
Helden und seine Schicksale auf. Es mußte sie wohl reizen, noch anderes von diesem Helgi zu singen, der gleichsam in seiner Person die germanische Kunst zur Wikinger Kunst leitete.So wurde denn die Jugend Helgis noch ausgeschmückt. Bruchstück, das in der Edda das zweite Helgilied einleitet, erzählt folgendes:
Helgi weilte verkleidet als Kundschafter bei Hunding und meldete, als er entronnen war, einem Hirten, daß er bei Hunding gewesen. Nun schickte König Hunding Männer zu Hagal, dem Pflegevater Helgis, die den Burschen suchen und ihm bringen sollten. Hagal aber zog seinem Pflegling Mägdekleider an und ließ ihn auf einer Mühle mahlen und als einer der Mannen, Blind Bölwis (Bösewicht), erstaunte über die scharfen und kühnen Augen der Magd, der wohl das Schwert mehr gezieme als die Mühlstange, antwortete Hagal, die Magd sei früher eine Walküre gewesen.
Diese Erfindungen sind, wie wir sofort sehen, wiederum nordischen Liedern nachgebildet, aus denen die überlieferungen von Helgi sich so gerne nährten. Der Kundschafter Helgi, nach dem ein König sucht, und den sein Pflegevater versteckt, stammt aus der Sage von den Halfdansöhnen, der verkleidete Helgi aus der Sage von Hagbard und Signe und dorther auch der Verdacht schöpfende Mann Hundings Blind Bölwis (gegen Bölwis Blind bei Hagbard). Die Walküre, die auf der Mühle mahlen muß, schildert das Lied von Frodi und den Riesenmädchen.
Dann sangen die Dichter von einem andern Helgi, dem Sohn Hjörwards und übertrugen auf ihn Erlebnisse, die denen des ersten Helgi glichen, und erweiterten sie. Wir gleiten mit diesen Dichtungen in das 11. und 12. Jahrhundert.
Helgis Vater Hjörward, hieß es, wollte nur das schönste Mädchen heiraten, da hörte er von Sigrlinn, der Tochter des Svafni, und schickte einen Jarl, Atli, nach ihr. Dieser kehrte ohne Erfolg heim. Ein Jarl von Svafni, Franmar, widerriet dem König, seine Tochter diesem Bewerber zu geben. Da fuhr Hjörward selbst, um das schöne Mädchen zu freien, unterdessen aber hatte sich ein anderer König um sie beworben,
ihren Vater getötet und sein Land verwüstet, als er sie ihm verweigerte. Atli schlich in der Nacht rasch und heimlich zur Königstochter, gab sich ihr zu erkennen und führte sie seinem königlichen Herrn zu. Hjörward nahm nun die Sigrlinn zur Frau und Atli vermählte sich mit Franmars Tochter.Das ist eine Werbungssage deutscher Herkunft, eine andere Späte Form von ihr hat uns die Thidreksaga erhalten. Hjörward schickt erst Boten, dann kommt er selbst: ähnlich versucht Hartmut die Gunst der Gudrun zu erringen. Freilich um sonst. Und wiederum ähnlich unsrer Geschichte heißt es in der Gudrun, daß der abgewiesene königliche Werber in das Land des Königs einfällt, der ihm die Tochter verweigert, daß er es verwüstet und den König tötet. Unser Lied erweitert die Werbungsfabel durch die Geschichte von Atli und dem Adler: ein Adler verwies den Atli auf Sigrlinn als auf eine Braut, die sich für seinen Herrn eigne, und der Vogel verlangte dafür unmäßig große Opfer und Schätze. Diese Unmäßigkeit war vielleicht ironisch gemeint und sollte die Begehrlichkeit mancher Priester verspotten. Nachher ergab sich, daß der Jarl Franmar und der Adler dasselbe Wesen waren, und daß er sich in einen Vogel verwandelt hatte, um die Königstochter zu behüten, als Vogel wurde er von dem ahnungslosen Atli getötet.
Diese Episode war wohl ein Lied für sich, eine Ballade, wie dergleichen noch manche uns erhalten sind, und ihr Inhalt vielleicht der, daß ein Vater durch seine Zauberkraft seine Tochter vor Bewerbern schützen will, daß er aber, als er sich deswegen in einen Vogel verwandelt, von einem dieser Bewerber getötet wird. —Wenn in unsrem Helgilied der Vogel den Atli auf die schönste Jungfrau verweist, so spielte wohl die Erinnerung an die berühmten Verse von den Waldvögeln mit, die dem Sigurd oon der Brünhild sangen.
Helgi, der Sohn des Hjörward, war stumm und untätig in
seiner Jugend, wie mancher andere germanische Held in Märchen und Sage. Gerade darum liebte ihn eine Walküre Swawa; sie weckte seinen schlafenden Heldengeist und beschenkte ihn mit einem leuchtenden Schwert. Nun rächte sich Helgi zuerst am Mörder seines Großvaters, vollbrachte noch manche andere Heldentat und errang sich dann Swawa zur Frau.Diese Geschichte von Helgi und Swawa ist eine Nachbildung von der von Helgi und Sigrun. Ihr ist nur das Leidenschaftliche genommen, und sie ist in das Strahlende und Märchenhafte, in die Kunst der Ballade hinübergeführt. Noch deutlicher zeigt sich ihre märchenhafte Art bei Sato Grammaticus. Der Knabe, den sich bei ihm die Walküre wählt, wird von den andern verachtet und hütet die Schweine. —
Noch eine Variation des Helgi- und Sigrunthemas zeigt uns das Altnordische: die tragische Liebe von Helgi, der die Haddingen erschlug, zu Kara, der Walküre. Sie schwebte als Schwan über ihm, als er kämpfte, und lähmte mit ihrem Zaubergesang die Feinde. Helgis geschwungene Waffe trennte ihr den Fuß ab, sie fiel tot zu Boden. Da war auch sein Glück zerbrochen.
Diese Dichtung erhielt sich lange im Norden und verbreitete sich in manchen Umbildungen: die niederdeutsche Thidrekssaga, böhmische Überlieferungen, russische Bylinen wissen von ihr.
Auch das Gespräch zwischen Sinfjötli und Granmar im ersten und zweiten Helgilied erhielt in unsrem ditten ein Gegenstück, und wieder ein zauberisch erhöhtes, es ist das Gespräch von Atli und Hrimgerd. An der Mündung eines Flusses erhob sich die Hrimgerd und versperrte den Schiffen Helgis den Weg. Atli schmähte und schalt sie, und sie erwiderte ihm nach Art der nordischen Riesinnen durch manche Unflätigkeiten. So hielt der Held sie bis zum Aufgang der Sonne hin, da mußte sie versteinern. — An der Mündung eines Stroms wird sich ein Felsen erhoben
haben, der wie eine riesenhafte steinerne Frau aussah, da erzählte man, er sei eine zur Strafe versteinerte Riesin. —Am Julabend kam Hedhin allein aus dem Walde und traf ein Zauberweib, die ritt auf einem Wolfe und hatte Schlangen an Stelle des Jaumzeuges; sie bot dem Hedhin an, er möge ihr folgen. Er sagte aber nein. Sie erwiderte: "Dafür sollst du büßen, wenn du den geweihten Becher leerst." Am Abend wurden feierliche Gelübde abgelegt; der Eber ward hineingeführt, auf den legten die Männer ihre Hände und leisteten ihre Schwüre bei dem heiligen Becher. Hedhin gelobte, er wolle Swawa gewinnen, die Geliebte seines Bruder Helgi; doch gleich darauf erfaßte ihn so große Reue, daß er auf wilden Pfaden gen Süden eilte und seinen Bruder Helgi aufsuchte. Dieser aber tröstete ihn, denn er ahnte sein Ende, da seine Folgegeister (die fylgjur) dem Hedhin begegnet waren, als er jene Frau auf dem Wolf reiten sah. Helgi empfing denn auch die Todeswunde drei Tage später im Zweikampf und der Sterbende bat seine Frau, sie solle den Bruder zu ihrem Gemahl erwählen. Sie aber verhieß ihm, daß sie ihre Gunst niemals einem Unwürdigen schenken würde.Daß zwei Brüder sich bekämpfen um einer Frau willen und in ihrer Verblendung erschlagen, ist wohl der tragische Kern dieses Liedes, den wir in mancher isländischen Saga wiederfinden. In unsrer Darstellung hat es ein versöhnliches und weiches Ende gewonnen und wurde durch Zaubermotive bereichert und verwirrt , durch die Erfindung von Helgis Folgegerstern, die ihm den Tod künden und durch die andere Geschichte von dem Zauberweib, das dem Hedhin begegnet, seine Liebe fordert und ihn mit Verblendung schlägt, als er sich ihr versagt — wir denken hier an die Ballade von Herrn Olaf. —
Wie reich ist doch der Schmuck der Balladen in den beiden letzten Helgiliedern: die Wiederkehr und Liebe des toten Helgi ist das Thema, das wir aus der Lenore kennen, dazu kommt der Vater, der als Vogel seine Tochter beschützen will, die Liebe des schüchternen und armen Jünglings zur strahlenden Jungfrau, die Walküre als Schwan, die der liebende Held ahnungslos erschlägt,
und die Begegnung von Hedhin mit dem Zauberweib. In diese Balladen sehen wir eine Gruppe der nordischen Heldendichtung münden und erkennen einen neuen Weg ihres Schicksals. — Sonst ziehen die Lieder von Helgi, weil sie aus so vielen nordischen Liedern ihre Kraft und ihre Kunst schöpften, wie ein stolzer und reicher Nachklang der nordischen Heldendichtung an uns vorüber, sie lebten in dänischen und englischen Balladen weiter.Jedes der nordischen Heldenlieder, deren Art und Kunst wir zu erfassen suchten, hatte seine besondere Entwicklung und seine besonderen Schicksale. Wir stehen im Norden vor einem seltenen Reichtum künstlerischer Gestaltungskraft. Die Lieder von Ermanarich und von Wieland, wohl auch das von Amleth, das von den Halfdansöhnen und das von Egil bildeten germanische Schöpfungen weiter, die von Helgi verwerteten Erfindungen und Motive, die zuerst das germanische Lied schuf und deren Lebens- und Wirkungskraft der Norden ungeschwächt erhielt. Der Ruhm und die Umbildung der alten Lieder dauerte bis in das dreizehnte Jahrhundert und noch länger.
In Dänemark hat sich das germanische Heldentum geläutert und verklärt und fing langsam an, sich zu lockern und dann sich aufzulösen. Die dänischen Lieder von Hrolf, oon Starkad kamen nach Island, das Abenteuerliche und Zauberhafte an ihnen wurde dort stärker, äußerlicher, die heroischen Persönlichkeiten treten gewaltsamer hervor. Andere dänische Dichtungen wanderten nach Island und kehrten nach Dänemark zurück, z. B. das von Amleth; nordische Dichtungen wie die von Wieland gerieten in Dänemark ins Märchenhafte; die von Ermanarich zog wohl über Dänemark zu den Niederdeutschen; aus dänischer Kunst und aus dänischer Geschäfte wiederum entwickelten sich die Lieder von Helgi, wundervolle Seitenstücke zu denen von Hrolf und Starkad. überall das lebendigste Hin und Her der Beziehungen. In Norwegen und Island blieb wie in Dänemark die Form der germanischen
Dichtung, das Lied lebendig. Dazu gesellte sich später die der künstlerischen Erzählung in Prosa, die Saga. Die alten germanischen Motive steigerten und erhöhten sich im Norden: wir denken an die Rache der Halfdansöhne, an die Amleths, an die Wielands. Uns kommt auch in den Sinn die dramatische, fortreißende Kraft in der Schilderung, als Sörli und Hamther den Jörmunrek überfallen, die Szene, wie Amleth vor seinem Vater steht, ihm den Tod seiner Helden meldet und ihn selbst mit dem Ende bedroht. Oder wir erinnern uns an den Schluß des Wielandliedes, in dem der freigewordene Knecht dem König, der ihn schändete, seine Rache enthüllt. Die Kunst, alte Zauber- und Wundermotive psychologisch zu vertiefen, ist uns so groß und bewundernswert noch nie entgegengetreten in dem Lied von Ermanarich und Wieland. Ebensowenig hat uns ein germanisches Lied einen solchen Reichtum des Aufbaues gezeigt, wie wir sie bei Amleth, bei Ermanarich, bei dem Lied von Wieland entdeckten.Die schönsten Lieber, die wir besitzen oder die wir erschlossen, stammten aus dem zehnten Jahrhundert. Das war die Blütezeit der nordischen Dichtung in allen nordischen Ländern. In diesem Jahrhundert flammte der Wikingergeist auch wieder zu großen Taten auf. Wie uns die nordische Dichtung des zehnten Jahrhunderts oft entgegentritt als ein gesteigertes, überhöhtes Gegenbild der germanischen Dichtung des siebenten Jahrhunderts, so scheint uns auch die Wikingerzeit wie das letzte grandiose Aufleuchten der Bewegung, die man die germanische Völkerwanderung nennt; man denke an ihre kühnen Einfälle in Irland und England, in Deutschland und Frankreich, ihre stolzen Eroberungszüge nach dem Osten. Die ähnliche Zeit also schuf sich ähnliche Lieder und ähnliche Helden, ihre bezeichnendsten waren Starkad und Helgi.
Daneben erkennen wir auch hier die Mächte, die das alte
germanische Lied umgestalten. Die Erhöhung und das Auskosten der Spannung geht in das Übertriebene, Zauber- und Traumgeschichten dringen in die alten Lieder, das finstere Walten des Geschicks wird etwas zu rhetorisch betont, Walküren und Nornen weben um die Helden, die einzelnen Motive häufen, wiederholen und verwirren sich, und die Menschen verlieren sich schwelgerisch in ihre Liebe, ihre Verwünschungen, ihre Aufreizungen. Dazu tritt an Stelle der Kunst die Künstlichkeit, Wortspiele und Doppelsinn, allzukluge Berechnung und die Überlegenheit des Virtuosen.Der Weg, den die künftige Entwicklung ging, ist damit angedeutet. Die späteren Dichter schwelgten noch hingegebener in Klage und Melancholie, ergingen sich in endlosen Rückblicken und vertieften zugleich die Kunst der seelischen Mitempfindung. Die Heldenlieder verwandelten sich in Balladen und Volkslieder, die den Zauber, das Wunder und die Liebe nicht entbehren können, oder sie werden in prosaischen Berichten umschrieben und füllen sich an mit Märchenschmuck. Die Dichter, die etwas auf sich hielten, wurden Gelehrte, an Stelle der Poesie trat die Poetik und die Schätze der Vergangenheit wurden geordnet und gesammelt . Wir erkennen in der Weichheit der Gefühle den Einfluß des Christentums, in der zunehmenden Schätzung der Gelehrsamkeit den Einfluß der Bildung, und diesen Mächten allen erlag langsam, ohne gewaltsame Katastrophe das alte Heldenlied. Auch die Helden, die sich vordem daran erquickten und stählten, waren längst alle in Walhall eingegangen und die mächtige Wikingerzeit war verrauscht.
4. Das deutsche Mittelalter
Als wir bei der Sage von Ermanarich die nordischen Formen mit den deutschen verglichen, erschraken wir fast über die Ärmlichkeit der deutschen. Solch ein Schreck wird sich noch mehr als einmal wiederholen, die deutschen Heldenbücher und Heldensagen sind an Umfang reich, an heroischem Inhalt oft recht arm. Damit hängt etwas anderes zusammen. Die germanische überlieferung aus der Zeit der Völkerwanderung lebte und entfaltete im Norden durch Jahrhunderte und trieb Zweig auf Zweig. Als sie endlich verdorrte und als andere Dichtungsarten sie verdrängten, geschah das sanft und friedlich; ihre Zeit war gekommen, ihre Aufgabe gelöst. Die nordische Sage von Nornagest ist für diese Entwicklung ein schönes Symbol. Dieser Held hatte sein Leben in seiner Hand, es hing an einer Kerze, verbrannte sie, so mußte auch er sterben, das war die Gabe der Norne bei seiner Geburt. Nun lebte er dreihundert Jahre und kannte alle mächtigen Helden und sang oon ihnen, dann machte er mit dem Christentum seinen Frieden, zündete die Kerze an, empfing, wie es der neue Glaube verlangte, die letzte Ölung und starb, als das Licht verlosch.
In Deutschland lebten die alten Heldenlieder wohl auch weiter, Sagen, die auf ihnen beruhen, hatten uns ja Widukind von Corvey und Aimoin im zehnten und elften Jahrhundert aufgezeichnet . Doch wenn Ermanarich, Dietrich von Bern und ihre Helden sonst erwähnt werden, so wird dabei gern hinzugefügt, daß nur das Volk sich von ihnen unterhielt, und das Volk wird besonders das Wirksame und Abenteuerliche und übertriebene der alten Mären betont und wohl auch vergröbert haben.
In der Literatur aber herrschten vor allem die Geistlichen. Sie wollten die Bildung und den Geschmack und die Dichtung
des Volkes mit christlichem Geist erfüllen und durchdringen und in immer neuen Versuchen mühten sie sich, die geistliche, die gelehrte und auch die unterhaltende Dichtung zu pflegen und zu verbreiten. Da vom neunten Jahrhundert an bis tief in das elfte Jahrhundert hinein keiner dieser Versuche einen dauernden Erfolg hatte, so konnten sie weder eine Literatur, noch eine überlieferung schaffen, nur eine Fülle der verschiedensten und isoliert bleibenden Versuche erzeugte sich aus ihnen.Neben den Geistlichen erschienen als Pfleger der Literatur die Spielleute. Doch diese, die sich uns schon in der Völkerwanderung und namentlich in longobardischen Dichtungen zeigten, waren nicht die Nachfahren der germanischen Sänger, sondern die Erben der römischen Mimi und Gaukler, eine Hinterlassenschaft der alten Welt an das Mittelalter von immerhin zweifelhaftem Wert. Es war ein: bunt und üppig durcheinander gewürfelte Gesellschaft; sie traten gerne in Massen auf und führten wohl auch einen Troß von Frauen mit sich. Schauspieler und Seiltänzer, Akrobaten und Musiker, Kundschafter und wandernde Zeitungen, Sänger und Erzähler, alles waren sie in einem. Sie unterhielten das Volk auf den Gassen und rissen es zum Jubel hin, sie sangen auch den Ruhm dessen, der ihnen Brot, Geld und Geschenke gab, und machten sich ihm durch ihre Schlauheit und ihre Verwegenheit unentbehrlich. Natürlich blieben sie selbst auf die Gunst der Mächtigen und Reichen besonders angewiesen. Um den Mönchen und um den hohen geistlichen Herren zu gefallen, trugen sie ihnen daher gewandt und gefügig, wie sie waren, lateinische Schwänke und Lieder in den Formen und Maßen der geistlichen Dichtung vor und suchten zugleich durch ihre derben Spässe und durch unterhaltsame Geschichten die geistlichen Poeten aus der Gunst des Volkes zu verdrängen. Auch bemächtigten sie sich der nationalen Dichtung und bildeten sie nach ihrer Art weiter; noch an der Gudrun und an dem deutschen Nibelungenlied erkennen
wir die vergröbernden Hände der Spielleute. Es ist daher kein Zufall, wenn die beiden deutschen Heldengedichte, die uns aus dem zehnten und aus dem Anfang des zwölften Jahrhunderts erhalten sind, das eine, der Waltharius manu fortis (Walter Starkhand) einen Geistlichen, das andere, der König Rother, einen Spielmann zum Dichter hat.
1. Walther und Hildegund
Den Waltharius verfaßte im ersten Drittel des zehnten Jahrhunderts der Klosterschüler Eckehard in St. Gallen für seinen Lehrer Geraldus. Noch im elften Jahrhundert verbesserte der vierte Eckehard seinen Stil und sein Latein. Das Gedicht, ein Epos in Hexametern, wurde in den Klöstern gern gelesen und hat sich uns in vielen Handschriften erhalten.
Attila, der König der Hunnen, zog erobernd durch die germanischen Länder. Weil die Franken, die Burgunden und die Aquitanier zu schwach waren zum Widerstand, leisteten sie dem Eroberer hohe Tributzahlungen und gaben ihm Geiseln: Gibicho (Gibich) von Franken den Hagano (Hagen), Herrich von Burgund seine Tochter Hildgund (Hildegund), Alphere von Aquitanien seinen Sohn Walthari (Walther). Die drei Königskinder wurden am Hof der Hunnen sorgfältig und liebevoll erzogen . Attila war dem tapferen Jüngling geneigt und seine Gemahlin der Hildegund. Als Gibich starb, verweigerte sein Sohn Gunther die Tributzahlung und Hagen entfloh den Hunnen. Attila wollte den Walther nun dadurch für immer an seinen Hof binden, daß er ihn mit einer hunnischen Fürstentochter vermählte. Doch den Walther trieb es, wie seinen Freund, zur Heimat zurück; er wich dem König in geschickten Worten aus und verdoppelte dann sein Vertrauen durch einen glänzenden Sieg, den er für ihn gegen seine Widersacher erstritt. Als er müde vom Streite zurückkehrte, fand er Hildegund allein im Königsgemach. Sie reichte ihm einen Erquickungstrunk, er erinnerte sie daran, daß sie von Kind auf einander versprochen seien und fragte sie, ob sie nun ihm wieder indie Heimat folgen wolle. Hildegund wagte zuerst kaum den Ernst dieser Frage zu glauben, dann folgte sie gern seinen Vorschlägen. Walther veranstaltete nun zur Feier seines Sieges ein großes Gelage
und berauschte dabei den Attila und sein Gefolge: als sie im tiefen Schlafe lagen, entrann er mit der Geliebten. Das Mädchen hatte — sie war die Schatzmeisterin — aus dem Schatz der Königin zwei große Truhen Goldes entwendet, damit beluden sie Walthers Roß. Hildegund führte es mit der einen Hand am Zaum, mit der andern trug sie eine Angelrute, damit beide sich durch Fischfang das Leben fristen könnten. Walther in schwerer Rüstung schritt voran.Attila erwachte aus seinem Rausche erst den nächsten Mittag und rief umsonst nach Walther und die Königin ebenso umsonst nach Hildegund. Voller Grimm verbrachte der König eine schlaflose Nacht: am nächsten Morgen bot er dem ungeheuren Lohn, der ihm die Flüchtlinge finge und wiederbrächte. Doch von seinen Edlen wagte das keiner.
Nach vierzig Tagen und nach beschwerlicher Wanderung gelangten Walther und Hildegund an den Rhein; sie waren auf versteckten Wegen, mehr des Nachts als des Tages fortgeeilt und lebten unterwegs von Jagd und Fischfang. Bei Worms gab Walther dem Fährmann einen großen Fisch für die Überfahrt. Der Fährmann brachte diesen dem König und bei der Tafel bestaunten alle die Größe des Tieres. Der Fährmann schilderte den Helden, der ihn so reich belohnt, seine Begleiterin und das-mit Gold beladene Roß. Da sprang Hagen auf, denn er hatte erkannt, daß dieser Held kein anderer als Walther sein könne. Gunther aber triumphierte, daß er nun den Schatz zurückerhalte, den Attila seinem Vater einst genommen, und trotz der Vorstellungen Hagens machte er sich mit ihm und elf Helden auf den Weg, um dem Walther seinen Schatz zu nehmen.
Dieser war unterdessen vor eine enge Felshöhle gekommen, oon der aus er einen weiten Blick über die Landschaft hatte und die Selbst für ihn den besten Schutz bot. Nur ein schmaler Pfad führte zu ihr. Der Held ruhte von der Mühsal der Reise aus, Hildegund bewachte den Schlafenden. Als sie Reiter herankommen sah, weckte sie ihn sanft. Walther erkannte die Franken, von ihnen, sagte er, brauche ich nur den Hagen zu fürchten und der ist mein Freund. Gunther aber schickte an Walther einen Boten: gegen Schatz, Mädchen und Pferd solle er das Leben behalten. Walther wies diese unerhörte Anforderung zurück und bot dem Gunther hundert Armringe. Hagen beschwor seinen Herrn, dies Angebot anzunehmen, aber Gunther fertigte ihn mit solch höhnischen Vorwürfen ab, daß er sich zornig abwandte und von einem Hügel gleichmütig den Kämpfen zusah, die sich nun entwickelten. Walther erhöhte
noch einmal sein Angebot; zweihundert Armringe soll Gunther von ihm nehmen, aber auch das wies der habgierige König zurück und schickte seine Helden gegen Walther vor. Der aber streckte die elf Mannen Gunthers einen nach dem andern nieder.Der König flehte nun Hagen um Hilfe. Dieser im Widerstreit zwischen der Treue zum Freund und der zum Herrn, konnte doch die Erniedrigung seine Königs nicht verwinden. Deshalb schlug er ihm vor, den Walther nicht jetzt in seiner günstigen Stellung, sondern ihn am nächsten Tage auf freiem Felde zu überfallen. Gunther war das zufrieden und beide Helden ritten davon, damit Walther glaube, er sei nun ganz außer Gefahr.
Der Held von Aquitanien verschanzte sich in seiner Stellung, tröstete die Geliebte und erquickte sich durch Speise und Trank. Dann schlief er die erste, Hildegund die andere Hälfte der Nacht. Am andern Morgen belud er die Pferde der Erschlagenen mit ihren Waffen. Da er nirgends einen Feind sah, ritt er mit Hildegund davon. Diese aber, nach Frauenart , spähte ängstlich zurück und sah, wie zwei Reiter sie verfolgten. Walther schickte das Mädchen mit ihren Schätzen rasch in den Wald, er selbst stellte sich ban Feinden entgegen. Die heftigen Schmähungen Gunthers überhörte er, den Hagen erinnerte er an die alte Treue und wollte ihn durch einen mit Gold gefüllten Schild versöhnen. Doch Hagen erwiderte finster, der Tod so vieler junger Helden habe die Freundschaft zwischen ihnen zerrissen und er müsse auch seinen Neffen rächen, den Walther ihm erschlagen. Nun war also der Kampf unvermeidlich, es wurde für Walther der schwerste von allen. Gunther war ja schwächlich und ihn brauchte Walther nicht zu fürchten. Aber in Hagen hatte er einen zum mindesten ebenbürtigen Gegner. Zweimal wehrte dieser von seinem König den Todesstreich ab, aber das konnte er nicht verhindern, daß Walther dem Gunther sein Bein über dem Knie vom Leibe schlug. Dafür trennte er durch einen Schwertstreich Walthers Hand vom Arm, dieser aber stieß ihm mit seinem Dolch das rechte Auge aus und raubte ihm, Wange und Mund durchschneidend, sechs Zähne.
Hildegund, von Walther gerufen, reichte den nun kampfuntauglich gewordenen Helden den Becher und verband sanft ihre Wunden. Walther und Hagen spotteten in derben Reden über ihre und Gunthers Verstümmelung . Dann setzten sie den König auf sein Pferd und Hagen brachte ihn nach Worms, Walther aber zog nach der Heimat, führte dort die Geliebte heim und herrschte lange und glücklich über sein Volk. —
Dies Epos, das Eckehard frisch und lebendig erzählt, ist ein schönes Zeugnis oon der Bildung und Frömmigkeit von St. Gallen. Der Einfluß der lateinischen Bibel, des im Mittelalter so gern studierten Prudentius und vor allem der des Vergil wird oft fühlbar. Man hat auf die Schilderung der Kämpfe verwiesen: Reiterschlachten beginnen mit Trompetenstößen, die geordneten Heere schleudern die Wurfspieße aufeinander, der Sieger krönt seine Schläfe mit Lorbeer. Bei der Darstellung der Einzelkämpfe bietet Eckehard seine ganze Kraft auf, das antike Vorbild zu erreichen, Belebung und Erregung zu schaffen, Waffen, Kampfreden, Witzworte der Krieger abwechselnd darzustellen; die Kämpfer fliegen heran, ihre Glieder zittern vor Kampflust, sie ergehen sich in langen Deklamationen. Die Menschen sind weicher als in den alten germanischen Liedern, Helden betteln um ihr Leben, Hagen vergießt Tränen aus Sorge um seinen Neffen.
Hildegund ist demütig und gehorsam, sie blickt ja vor letzten Kampf in ihrer Angst zurück und entdeckt, daß Gunther , und Hagen den Walther verfolgen. Walther bittet seinen Trotz, in dem er sich vermißt, alle Franken zu erschlagen, die ihm seinen Schatz rauben wollen, seinem Gott bald reumütig ab, als der Held wirklich elf seiner Feinde getötet, dankt er voller Demut dem Herrn für seine Gnade und seinen Schutz.
Häufung der Einzelkämpfe und in der Häufung wieder Abwechslung , das ist das eine Ziel von Eckehards Kunst. Charakterisierung, nicht Idealisierung, ist das andere Ziel, das geht aus der Schilderung von Hildegund, von Walther, von Attila, von Hagen und dem Gunther hervor. Der Dichter zeigt uns weniger Helden als Menschen.
Eckehards künstlerische Bestrebungen gehören ganz in seine Zeit und in deren künstlerische Art. Er folgt auch darin ihrer Liebhaberei, daß er in seine Darstellung Komik, Derbheit und übertreibung hinein mischt. Vier Recken ziehen an Walthers
Schild, er steht wie eine Eiche. Daß er allein elf Helden überwindet, ist auch ein überstarkes Stück. Wenn Hagen ein Auge und einige Backenzähne, Gunther ein Bein und Walther seine Hand einbüßt, und wenn die Helden nachher in derben Spässen über ihre Verstümmelungen scherzen, so ist das als derbe übertreibung gemeint. Natürlich beruht sie nicht auf alter sagenhafter Überlieferung und weniger die Verletzung selbst als das sonderbare und etwas lächerliche Bild der grotesk verletzten Helden steht dem Dichter vor Augen.In der Sage vom Riesen Einher, die wohl in unsre Zeit gehört, reitet der Held durch alle Wasser, zieht sein Pferd am Schwanz hinter sich, mäht die Hunnen und Wenden mit seinem Schwert nieder wie mit der Sense Gras, hängt sie an den Spieß und trägt sie über den Achseln wie Hasen oder Füchse. Nachher nennt er sie verächtlich guakende Fröschlein. — Der starke Adelgis, den wir schon kennen, bricht Hirsch- und Bären- und Ochsenknochen auf, als wären es Hanfstengel, und wirft sie in großen Haufen unter den Tisch, nachdem er ihr Mark verzehrt. Die Spange, die er am Arm trägt, fällt dem Kaiser karl bis auf seine Schulter. — Von unserm Walther aber ging die Sage, er habe sich am Abend seines Lebens in ein Kloster zurückgezogen und sei dort Gärtner geworden. Im Auftrag des Klosters habe er einmal gegen Räuber gekämpft, auf seinem alten Pferde sitzend, das nun dem Bäcker sein Korn in die Mühle trug. Nachdem er sich zuerst, den christlichen Lehren des Abtes widerwillig gehorchend, seine Rüstung bis auf die Hose ausziehen ließ, schlug er dann auf einen Räuber seinen Steigbügel, so daß dieser besinnungslos niederfiel. Darnach riß er einem Kalb das Schulterblatt aus und schlug damit weiter auf seine Angreifer ein, bis sie alle in voller Angst davonliefen. Einem versetzte er mit der Faust einen solchen Streich über dem Hals, daß ihm das zerbrochene Halsbein sogleich in den Schlund fiel.
Hier haben wir die Entsprechungen zu unsrem Waltharius, in der Thidreksaga verteidigt er sich wirklich mit einem Schinkenknochen. Erfindungen dieser Art liebte vor allem die französische Heldendichtung; der alternde Held im Kloster gehört zu ihren Lieblingsgeschichten. Von Frankreich her wanderten solche Fade
leien in späteren Jahrhunderten noch einmal in die deutschen Heldenepen, z. B. in das vom Mönch Ilsan und von Wolfdietrich . Beide, französische Poeten und Eckehard, werden diese Vorliebe für das Groteske, Derbe und Anschauliche von den Spielleuten übernommen haben, in deren Kunst solche Würzen fast eine Notwendigkeit waren, da ja auf ihnen die Wirkung des mimischen Vortrags fast ganz beruhte. Einwirkungen von den Spielleuten her zeigt der Waltharius auch an anderen Stellen, etwa wie Attila, als er vom Rausch aufwacht, die beiden Hände ächzend an feinen Kopf preßt und nachher, wie er von Walthers Flucht hört, nur mit Gebärden seinen Grimm kundgibt, oder wie die Recken den großen Fisch bewundern, den Walther als Lohn gab, und wie der Fährmann lüstern erzählt, in den Truhen seiner Fahrgäste sei bei jeder Bewegung des Pferdes das Gold erklungen. Es ist auch eine Unart der Spielleute, Könige und hohe Herren zu verspotten und herabzusetzen: das erklärt uns zum Teil die unwürdige Rolle, mit der Gunther und Hagen im Waltharius bedacht sind. Wir dürfen also annehmen, daß dem Eckehart beim Waltharius die deutsche Dichtung eines Spielmanns vorlag und daß er sie in sein Latein und in die Bildung seines Klosters übertrug.In diesem Spielmannsgedicht befremden uns nun Widersprüche. Derselbe Attila, dem drei germanische Fürsten Tribut zahlen und Geiseln stellen, damit er sie verschone, der soll, um zweier Flüchtlinge willen, einen ganzen Tag verdämmern, eine schlaflose Nacht verbringen und keine Krieger haben, die es wagen, den Entflohenen zu folgen? Und schließlich soll er sich bei der Flucht seiner Schützlinge beruhigen? Und ein König und Fürst, der Gunther doch ist, fällt feige wie ein Wegelagerer mit beschämend großer übermacht über den Walther her, der ihm nichts entwendete und auf dessen Schätze nur Attila ein Recht hätte?
Solche Widersprüche in Handlungen und Menschen haben die alte reine Heldendichtung niemals entstellt, die Spielmannsdichtung schämte sich ihrer nicht. Fülle der Begebnisse, Abwechslung und Spannung waren ihr wichtiger als organischer Aufbau der Handlung und organische Entwicklung der Menschen. Bisweilen sind Widersprüche, wie wir sie im Waltharius aufdeckten, dadurch zu erklären, daß zwei verschiedene Dichtungen in eine verschmolzen wurden. Vielleicht geschah das auch hier; und zwar scheint der Waltharius aus einer Fluchtdichtung und einer Schatzdichtung zusammengesetzt. Der Inhalt der Fluchtdichtung war, daß Königskinder, die als Geiseln oder Gefangene am Hof eines fremden Königs weilen, sich durch List und Kühnheit befreien, ihren Verfolgern entrinnen und die Heimat erreichen . Das älteste Beispiel einer Fluchtdichtung erzählt uns Gregor von Tours in seinem Attalus und Leo, uns durch Grillparzers "Weh dem, der lügt" bekannt, behaglich und breit und legendenhaft, aber doch nicht ohne Szenen von dramatischer Spannung und rücksichtsloser Kühnheit.
Die nordische und die deutsche überlieferung besitzen Sagen, die der von Walther und Hildegund noch ähnlicher waren. In der Kormakssaga entführt Bersi die Steinwör, die mit ihm gefangen ist. Beide fliehen auf einem Pferd, er verbirgt sie und das Pferd im Wald und kämpft dann glücklich gegen eine Übermacht der Feinde. In der Gönguhrolfssaga flieht Gönguhrolf mit einer Königstochter und zwei Goldkisten auf einem Pferd und beide reisen mehr Nachts als Tags. In der Herbortsage , die wir aus dem mittelhochdeutschen Biterolf und der niederdeutschen Thidrekssaga kennen, entführt Herbort eine Jungfrau , rettet sich mit ihr und beschützt sie tapfer kämpfend vor den Verfolgern.
Die Schatzdichtung galt vielleicht ursprünglich dem Streit zweier Fürsten um einen Schatz, auf den beide ein Recht zu haben
glaubten oder den einer dem andern geraubt hatte und nun wiedergeben sollte. Damit kann es zusammenhängen, daß Walther bei Eckehard dem Gunther so reichen Ersatz anbietet. In der alten Sage war die Situation etwa der verwandt, die uns das Lied von der Hunnenschlacht schilderte. Ähnlich wie in Waltharius bricht dort ein Kampf aus, nachdem unmäßige Forderungen eines Bruders und gerechte Anerbietungen des andern zurückgewiesen sind. Attila will den von Kopf zu Fuß mit einem Berg von Gold umgeben, der ihm den Walther zurückbringt, Anganty will den Hlöd mit Silber umhüllen, wenn er sitzt, mit Gold überschüssen, wenn er geht. Von Etzels Kriegern will keiner zu Walther, von Angantys Kriegern will keiner zu den Hunnen reiten. Auch in der Schilderung der kämpfenden Heere zeigen der Waltharius und das Lied von der Hunnenschlacht manche, vielleicht trügerische Ähnlichkeit (S. 60). —Hildegund ist eine burgundische Königstochter, Gunther und Hagen sind Franken, Habgier und Kämpfe aber um der Schätze willen sind bezeichnend auch für fränkische und burgundische Fürsten. Gregor von Tours weiß davon nur allzuviel. — Der schwächliche, feige, geldlüsterne Gunther hier, der tapfere, wortkarge Hagen dort, der den König verachtet und ihm doch in der Not die Treue hält, sind wiederum Männer, wie sie uns die Geschichtsschreiber der Franken oft schildern. Das für die fränkische Geschichte bezeichnende Verhältnis zwischen König und Hausmeister spiegelt sich in ihnen sehr lebendig wieder.In der Fluchtdichtung stehlen Walther und Hildegund den Schatz, in der Kampfdichtung kämpfen Helden um einen Schatz, der Schatz also brachte beide Sagen zusammen. Wo und wann sie verschmolzen sind, wissen wir nicht. Die altenglischen Fragmente schildern den Kampf um den Schatz viel lebhafter und eindringlicher als Eckehard, sie standen der Schatzdichtung noch näher. Wenn wir Andeutungen des Eckehard bedenken, seine
Verse mit denen des altenglischen Fragments und mit Anspielungen im späteren Nibelungenlied und in den mittelhochdeutschen Versen einer Waltherdichtung vergleichen, so beleben sich die Züge dieser alten Schatzdichtung (S. 64).Darnach entfloh Hagen dem Etzel nicht, dieser schickte ihn selbst zurück. Die Kämpfe dauerten nur einen Tag. Hildegund war trotzig und trieb den Walther in den Kampf, wie es die Art der germanischen Heldinnen und wie es auch ihr Name fordert. Gunther stellte sich zum Einzelkampf, als tapferer Feind. Hagen riet von dem Kampf ab, als der Kampf trotzdem gekämpft wurde, saß er auf seinem Schild und sah untätig und trotzig zu: das ist ein Bild von echter und sinnbildhafter Anschaulichkeit. — Als aber Gunther in Lebensgefahr geriet, warf sich Hagen zwischen die Kämpfenden, fing Walthers Schwertschlag mit dem Helm auf: Walthers Schwert, Wielands Werk, zersprang, Walther fiel wie Siegfried um eines Schatzes willen. Bei Hagen hatte die Treue zum König über die Freundschaft zu Walther gesiegt.
Nun steht eine echte alte germanische Dichtung da, ein Meisterstück gotischer, heroischer Kunst, denn Walther wird genannt von Aquitanien oder von Spanien — das war die Heimat der Westgoten — und das Wasgenland, in dem die Kämpfe spielen, ist das Basconoland, die Gascogne. Etzel ist aufgefaßt, wie ihn die gotische Dichtung auffaßt; von Spanien kam das Lied nach Frankreich und zu den Franken und Burgunden. Gunther ist dahin, wie in andern alten germanischen Liedern der König der Franken und Burgunden.
Das Lied von Walther wurde gern gehört und hat eine lange Geschichte. Die älteste uns erhaltene Niederschrift ist das altenglische Fragment, im dreizehnten Jahrhundert gibt es hübsche Verse aus einem Walthergedicht, das den Empfang der Flüchtlinge in der Heimat schildert, noch ein andres Walthergedicht setzt das Nibelungenlied voraus, und wieder eine abweichende
Version zeigt uns die Thidreksaga, diese wanderte nach Polen, griff unterwegs dies Märchen von der treulosen Frau auf und verwirrte sich damit und außerdem mit der Sage von Hilde. So stark und so vielfältig und wieder so durcheinander hallend waren die Nachwirkungen dieses Liedes, bei Eckehard ist es schon mehr Sport und Spiel und groteske übertreibung als altes Heldentum.
2. König Rother
Die Geschichte von König Rother erzählt uns am ausführlichsten ein deutsches Gedicht aus der ersten Hälfte des zwölften Jahrhunderts — rheinischer Herkunft —, in einer vollständigen Handschrift und in einigen Bruchstücken überliefert, die manches einfacher bringen und auch manche Zusätze zeigen. Das beste an der alten Dichtung scheint das Werk rheinischer Spielleute. Wir geben im Anschluß an Ludwig Uhland und Friedrich Vogt den Inhalt wieder.
Am Westmeere sitzt König Rother in der Stadt zu Bare (Bari in Apulien). Er sendet Boten, die um die Tochter des Königs Konstantin zu Konstantinopel für ihn werben sollen. Als sie hinschiffen wollen, heißt er seine Harfe bringen. Drei Leiche (Spielweisen) schlägt er an; wo sie diese in der Not vernehmen, sollen sie seiner Hilfe sicher sein. Jahr und Tag ist um, die Boten sind nicht zurück. Konstantin, jede Werbung verschmähend, hat sie in einen Kerker geworfen, wo sie nicht Sonne noch Mond sehen. Frost, Nässe und Hunger leiden sie; mit dem Wasser, das im Kerker steht, laben sie sich. Auf einem Steine sitzt Rother drei Tage und drei Nächte, ohne mit jemand zu sprechen, traurigen Herzens seiner Boten gedenkend.
Auf den Rat Berchters von Meran, Vaters von sieben der Boten, beschließt er Heerfahrt, sie zu retten oder zu rächen. Das Heer sammelt sich; da sieht man auch den König Asprian, den kein Roß trägt, mit zwölf riesenhaften Mannen daherschreiten; der grimmigste unter ihnen, Widolt mit der Stange, wird wie ein Löwe an der Kette geführt und nur zum Kampfe losgelassen. Bei den Griechen angekommen, nimmt Rother den Namen Dietrich an. Er läßt sich vor Konstantin
auf die Knie nieder; vom übermächtigen König Rother geächtet, sucht er Schutz und bietet dafür seinen Dienst an. Konstantin fürchtet sich, die Bitte zu versagen. Durch Pracht und übermut erregen die Schützlinge Staunen und Furcht. Den zahmen Löwen, der von des Königs Tischen das Brot wegnimmt, wirft Asprian an des Saales Wand, daß er zerschmettert wird. Wie leid es dem König ist, er rührt sich nicht. Rother verschafft sich, nach Berchters Rat, durch reiche Spenden großen Anhang.Da klagt die Königin, daß ihre Tochter dem versagt worden, der solche Männer vertrieben. Die Tochter selbst möchte den Mann sehen, von dem so viel gesprochen wird. Am Pfingstfeste, wo sie mit ihren Jungfrauen zu Hofe kommt, gelingt ihr dies nicht vor dem Gedränge der Gaffer um die glänzenden Fremdlinge. Als es in der Kammer stille geworden ist, geht ihre Dienerin Herlind, Rother zu ihr zu bescheiden. Er stellt sich scheu, läßt aber seine Goldschmiede eilend zwei silberne Schuhe gießen und zwei von Gold. Von jedem Paare schickt er der Königstochter einen, beide für denselben Fuß. Bald kehrt Herlind zurück, den rechten Schuh zu holen und den Helden nochmals zu laden. Jetzt geht er hin mit zwei Rittern, setzt sich der Jungfrau zu Füßen und zieht ihr die Goldschuhe an. Dabei fragt er sie, welcher von ihren vielen Freiern ihr am besten gefalle. Sie will immer Jungfrau bleiben, wenn ihr nicht Rother werde. Da spricht er: "Deine Füße stehen in Rothers Schoß." Erschrocken zieht sie den Fuß zurück, den sie in eines Königs Schoß gesetzt. Gleichwohl zweifelt sie noch. Sie zu überzeugen, beruft er sich auf die gefangenen Boten.
Darauf erbittet sie von ihrem Vater, als zum Heil ihrer Seele, die Gefangenen baden und kleiden zu dürfen. Des Lichtes ungewohnt, zer-wunden und verschwollen, entsteigen sie dem Kerker. Der graue Berchter sieht, wie seine schönen Kinder zugerichtet sind; doch wagt er nicht zu weinen.
Da spricht einer der Gefangenen zum andern: "Sahst du den Greis da stehen, mit dem schönen Barte, der mich so wunderbar aufmerksam anschaute. Er wandte sich um und rang seine Hände, er wagte nicht zu weinen und zeigte doch die schmerzlichste Gebärde. Wie, wenn der gnädige Gott ein großes Zeichen tun will, daß wir von hinnen kommen? Fürwahr, Bruder, es mag wohl unser Vater sein." Da lachen sie beide voll Freude und voll Leid. Als sie darauf an sicherem Orte, wohlgekleidet, am Tische sitzen, ihres Leides ein Teil vergessend, schleicht
Rother mit der Harfe hinter den Vorhang. Ein Leich erklingt. Welcher trinken wollte, der gießt es auf den Tisch; welcher Brot schnitt, dem entfällt das Messer. Vor Freuden sinnlos, sitzen sie und horchen, woher das Spiel komme. Laut erklingt der andere Leich; da springen ihrer zwei über den Tisch, grüßen und küssen den mächtigen Harfner. Die Jungfrau sieht, daß es König Rother ist.Fortan werden die Gefangenen besser gepflegt; sie werden ledig gelassen, als der falsche Dietrich sie verlangt, um Ymelot von Babylon zu bekämpfen, der mit großem Heere gegen Konstantinopel heranzieht. Nach gewonnener Schlacht wird Dietrich mit den Seinigen zur Stadt vorangesandt, um den Frauen den Sieg zu verkünden. Er meldet aber, Konstantin sei geschlagen und Ymelot komme, die Stadt zu zerstören. Die Frauen bitten ihn, sie zu retten, und er erfahrt sie zu seinen Schiffen. Als die Königstochter das Schiff bestiegen, stößt er ab; Rother entdeckt sich und fährt, begleitet von dem Segen der Königin, die ihren Lieblingswunsch erfüllt sieht, nun ihre Tochter des gewaltigsten Königs Frau geworden, in die Heimat.
Nun wird Rothers junge Gattin durch einen listigen Spielmann wieder zu ihrem Vater heimgebracht und Rother fährt seinen Mannen wiederum nach Konstantinopel und verbirgt sie in einem nahen Walde, während er selbst als Pilger verkleidet in die Stadt zieht. Dort kommt er noch gerade zur rechten Zeit, um Zeuge zu sein, wie seine Gattin gezwungen wird, dem Sohne jenes heidnischen Königs, den er besiegt hatte, die Hand zu reichen. Beim Hochzeitsmahle steckt er ihr einen Ring zu, an dem sie ihn erkennt; aber auch den anderen Anwesenden bleibt er nicht verborgen. Zum Tode verurteilt, wählt er sich selbst die Richtstätte vor jenem Walde, wo die Seinen versteckt liegen. Im entscheidenden Augenblicke brechen die Getreuen hervor und richten ein furchtbares Blutbad unter den Heiden an. Konstantin demütigt sich vor Rother und dieser kehrt mit der Gattin und seinen Mannen abermals heim.
Absichtlich ist der Rother leicht und abenteuerlich gebaut und bunt geputzt, er gehört in die Zeit der Kreuzzüge. Ob Vorgänge aus den Kreuzzügen, sei es aus dem Kreuzzug des Bayernherzogs Welf, sei es aus den Unternehmungen des Königs Roger von Sizilien, nachklingen, das ist ungewiß. Der letzte Teil, die Entführung der jungen Gattin durch einen Spielmann und ihre abermalige Gewinnung durch Rother ist der Zusatz eines Spielmanns,
der nach Art der Erzähler für das Volk den Stoff wiederholte, an dem die Hörer schon einmal ihre Freude gehabt. Wir kennen auch die Quelle, aus der dieser erweiternde Spielmann schöpfte, nämlich die Sage von Salman und Morolf, die eigentliche und bezeichnendste Spielmannsdichtung des Mittelalters. Sie kann sich in der Wiederholung und Variierung von Entführungsgeschichten nicht genug tun und preist dabei natürlich die Listen, Kühnheiten und Genialitäten der Spielleute gebührend. Die Salomonsage kam aus dem Orient ins Abendland. Sie hat durch Vermittlung der Spielleute manche mittelalterliche Dichtung umgestaltet, von den alten Heldendichtungen außer dem König Rother die von Hetel und Hilde.Die Thidreksaga, die uns die Sage von Rother ebenfalls erzählt , nur daß der Held bei ihr den Namen Osantrir führt, hat nun wirklich die angehängte Entführung des deutschen Gedichtes nicht und steht der ursprünglichen Form der Rothersage also näher. Der Thidreksaga fehlen außerdem Berchter von Meran und seine Söhne. Auch diese gehören nicht in die Geschichte von Rother, sondern in die Sage vom vertriebenen westfränkischen König Wolfdietrich. Irgendwann wurde dann der Beiname von Meran dem Berchter gegeben. Meran (Dalmatien und Istrien) ist in der Sage das Stammland der Goten. Berchter ist dem Hildebrand verwandt, ein im Kampf ergrauter Recke, der dem vertriebenen und geliebten König die Treue hält und ihm gern alles opfert, was er besitzt, auch seinen besten Schatz: seine Söhne. Da Rother sich als vertriebener König ausgibt, und sich nach dem vertriebenen König der germanischen Heldendichtung, nach Dietrich nennt, lag es nahe, die Gestalt Berchters von Meran und seiner Söhne mit ihm zu verbinden; besonders empfahl sich das für einen Spielmann. Denn durch diese Einfügung und die mit ihr verbundene, in der damaligen Kunst fehr beliebte Wiedererkennungsszene gewann er die ihm erwünschte Sentimentalität
und Rührung. Zugleich konnte er durch die Ausmalung von Rothers musikalischen Künsten wirksam für die eigene Kunst werben.In der Thidreksaga verläuft nun die Geschichte von Rother so:
Osantrix wirbt um Oda, die Tochter des Königs Milias von Hunnenland. Er schickt zuerst sechs Ritter, die wirft Milias ins Gefängnis; dann schickt er seine Neffen; denen widerfährt das gleiche. Nun kommt er selbst mit seinen Mannen und vier Riesenbrüdern. Er bittet den König Milias um Schutz vor Osantrie, und als dieser ihn dem zu gewähren zaudert, tritt Aspilian, einer der Riesen, vor Wut bis an die Knöchel in die Erde. Einen anderen Riesen Widolt hatte man wie im deutschen Rother schon vorher an die Kette legen müssen. Milias erzürnt sich; da schlägt ihn Aspilian mit der Hand nieder und Osantrix und seine Mannen erschlagen alle, die sie in der Stadt finden, befreien die Gefangenen und lassen sich Oda bringen. Nun folgt die Geschichte mit dem goldenen und silbernen Schuh. Osantrix gibt sich zu erkennen, versöhnt sich mit Milias und führt die Braut heim.
Der Bericht, an den die Thidrekssaga sich hielt, erzählte anscheinend mit besonderer Genugtuung die Kraftstücke und die Wildheit der riesischen Begleiter. Nachdem wir bei Waltharius ähnliches kennen gelernt, dürfen wir vermuten, daß diese Kraftstücke und die Riesen selbst eine Zutat des zehnten Jahrhunderts sind. Uns überrascht es nicht, wenn die Dichtung oon Rother sich vielfältig erweiterte. Entstand sie doch aus einer Werbungssage , wie sie von altersher die Spielleute zur Fabelei verlockten. In unsrer Werbungsdichtung kam ein königlicher Held verkleidet in das Gemach der Jungfrau, die er sich erwerben wollte. Er offenbarte sich ihr, gewann ihre Gunst und entführte sie. Das Besondere der Rotherdichtung, das sie von ihresgleichen unterscheidet, wohl auch der Kern, aus dem sie wuchs, ist nun die Schuhszene und ihr Ausspruch "Ja stehen deine Füße in Rothers Schoße" . Das ist germanisch, Bild und Sinnbild zugleich und altem Rechtsbrauch entsprungen: Der Bräutigam nimmt die Braut in Besitz, indem er sie sich aufs Knie setzt. Grade die
Verschmelzung von Heroischem und Novellistischem, die uns die Schuhszene zeigt, scheint uns ein Vorrecht longobardischer Dichtung; wir beobachteten ähnliches im Authari (S. 34). Wenn der Rother auch nicht, wie man früher glaubte, aus dem Gedicht von Authari entstand, im Wesen steht er ihm nahe. — Seine Geschichte und seine Wandlungen sind leichter und gefälliger, unterhaltender und rührender als die des Waltharius; in die Höhe der Bildung hat ihn freilich kein Geistlicher gehoben. Er blieb ein Spielmannsepos, aber alle seine Hüllen durchleuchtet sein heroischer Lichtkern.
3. Wolfdietrich
Die Sage von Wolfdietrich und seinem Geschlecht ist fränkischer Herkunft. Der Vater des Wolfdietrich heißt in der Sage Hugdietrich. Hugo Theodoricus, d. i. Hugdietrich, ist aber als Name von Chlodwigs Sohn überliefert. Es ist der gleiche Dietrich, den wir als Überwinder Irminfrieds aus der germanischen Heldendichtung kennen (S. 55). Wir hörten damals auch, welcher Vorwurf ihn zum Haß und Kampf gegen Irminfried antrieb: der Vorwurf unehelicher Geburt. Seine Brüder, erzählen uns die Geschichtsschreiber , mißgönnten ihm, dem Bastard, die Ansprüche auf sein Reich, und er hatte manchen Kampf zu bestehen, bis er sich durchsetzte. Diese Streitigkeiten der Geschichte klingen in den Kämpfen nach, die der Wolfdietrich der Sage führt. Die Sage verschmolz also, wie oft, die Schicksale des Vaters, des Hugo Theodoricus, und die seines Sohnes, des Theodebert. Dieser mußte in der Wirklichkeit Ähnliches erleben wie der Vater. Darum begreift es sich leicht, daß sie in der Erinnerung späterer Geschlechter zusammenfielen . Nicht nur dem Bruder, auch dem Sohne des Bruders machten nämlich Chlodwigs echte Söhne das Reich streitig. Theodebert aber behauptete sich durch die Treue und Standhaftigkeit seiner Dienstmannen.
Der Hergang des alten Liedes über die Kämpfe des Wolfdietrich
war demnach wohl der: Die Brüder überfallen und vertreiben den Bastard, dem sie das Reich nicht gönnen, im Elend halten ihm seine Recken die Treue, er gewinnt sich Anhänger, bekämpft mit ihnen wieder die Brüder und besiegt sie. Die königliche Gesinnung und das Heldentum bei einem Bastard, der erbitterte Kampf zwischen Brüdern, die Treue und die Opferkraft der Recken: das waren die heroischen und tragischen Elemente der Dichtung. Ein Lied dieser Art entspräche ungefähr den uns bekannten Liedern von den Schildungen und von dem Kampf um Finnsburg.Dem treuen Ratgeber stellte das Lied den bösen gegenüber. Dieser entwickelte sich wieder aus der Geschichte und zwar aus der fränkischen Geschichte. Die allmächtige Stellung des fränkischen major domus, des königlichen Hausmeisters, gab ihm seine Besonderheit und seine Gewalt, die er dann in unsrer Sage mißbraucht , um den Bastard zu verdrängen und um seine Mutter zu verleumden. Im Lied von der Hunnenschlacht schalt ja der alte Gizurr den Hlöd einen Bastard und mahnte ihn zur Bescheidenheit (S. 60). Dieser böse Ratgeber hieß Sabene; schon der Widsith kennt und nennt ihn neben dem fränkischen Theoderich, bei ihm heißt er Seafola.
Es hatte nun die Sage vom Wolfdietrich eine große Ähnlichkeit mit der des gotischen Theoderich. Wie dieser wurde der fränkische Theoderich von seinem Erbe vertrieben, lebte nur von wenigen Getreuen begleitet in der Verbannung und eroberte sich schließlich sein Reich zurück. Sogar die Namen beider Herrscher waren die gleichen und dem Hildebrand entsprach der Berchter. Beide Dichtungen, die von Dietrich von Bern und die von Wolfdietrich haben sich darum wohl öfter vermischt.
Die Dichtung von Wolfdietrich entwickelte sich dann in den karolingischen Zeiten und bei den Romanen und bei den Franken. In altfranzösischem Epos zeigt sie sich in vielfältiger Gestalt:
Verachter rüstet seinen jungen Herrn aus, beschützt ihn, wird für ihn gefangen und von ihm befreit. Früh glitten dann die Berichte über Wolfdietrich ins Abenteuerliche, sie schilderten Drachenkämpfe des Helden, in denen ein wunderbares Schwert ihm half. — Bei den westlichen Franken geriet die Wolfdietrichdichtung außerdem in die Reihe der Geschichten vom Kampf von Heiden und Christen: Chlodwig, Wolfdietrichs Vater, war ja der christlichste König. Die Heiden waren für den westfränkischen Spielmann die Sarazenen. Diese mußte Wolfdietrich bekämpfen, zu ihnen gesellten sich als Gegner die Räuber. Die Tochter eines sarazenischen Fürsten war dem Wolfdietrich hold, sie half ihm bei dem Kampf gegen den Vater, der besiegte Heide gab dem Wolfdietrich die Tochter zur Frau, mit seiner Hilfe besiegte er endlich die feindlichen Brüder.In den deutschen Gedichten des dreizehnten Jahrhunderts von Wolfdietrich hat Berchter sechzehn Söhne; sechs fallen im Kampf mit den Brüdern Wolfdietrichs und Berchter sieht jedesmal, wenn einer den Todesstreich empfängt, lachend zu seinem Herrn herüber und sucht ihn zu trösten. Als dann Wolfdietrich seinem wilden Schmerz um den Verlust der Jugendgespielen sich hingibt, fährt ihn der Alte rauh an, ihm und seinem Weib sollte er die Tränen überlassen, er müsse jetzt an die Flucht denken. Mit den lebenden Söhnen deckt Berchter dem Herrn den Rückzug und ermöglicht ihm die Flucht. Dann harren sie alle auf Wolfdietrichs Wiederkehr. Sie werden von den Brüdern Wolfdietrichs gefangen genommen und müssen in Jammer und Not ihr Leben hinbringen, je zwei zusammengeschmiedet, werden sie auf die Burgmauer als Wache gesetzt. Berchter stirbt vor Herzeleid, als Wolfdietrich nicht zurückkehrt. Als der König endlich, als Pilger verkleidet, zu den Söhnen kommt, sagen sie ihm, den Tod des Vaters wollten sie wohl verschmerzen; den Tod ihres Herrn würden sie niemals verwinden. Mit den Worten: "Lebtest du, Wolfdietrich, du ließest uns nicht in solcher Armut," sei Berchter dahingegangen. Um ihres Herrn willen bieten sie dem Pilger ihren Panzer an, als er sie um Gottes Willen um ein Stück Brot bittet. Das sei ihre einzige Habe und von dem Erlös könne er sich Brot und Wein kaufen. Wolfdietrich gibt sich nun zu erkennen. Berchters Söhne
flehen Gott an, er möge ihre Bande lösen, wenn der Pilger wahr gesprochen . Da springen ihre Fesseln, sie eilen von der Mauer, öffnen das Tor, erobern die Stadt und besiegen Wolfdietrichs Brüder. Mitternachts bemerkt Wolfdietrich einen Sarg neben dem Sarg seines Vaters; es ist der Berchters. Der König reißt die Steine vom Sarg und umarmt und küßt den Toten, dessen Leichnam noch unzerstört ist. Die Söhne entschädigt er durch reichen Lohn für alle Leiden, die sie um seinetwillen erduldet.Die Treue des Gefolgsmannes gegen den Herrn ist die germanische Grundlage dieser Erzählung, sie erscheint auch im altfranzösischen Epos, in Paris la duchesse. Aber wie weichlich und sentimental, wie unnatürlich und romanhaft überspannt, wie unwahr erscheint uns diese versechzehnfachte Treue und dieser Jammer , wenn man sie etwa mit der vergleicht, die der Hildebrand des alten Liedes für seinen Dietrich hatte und mit dem Wehe- ruf, der seinem gequälten Vaterherzen sich entringt, als er den Sohn verlieren soll. Den stumpfen Hörern, auf die der Dichter des Wolfdietrich wirken wollte, mußte er wohl solche übertreibungen vorsetzen, damit sie die Treue des Lehensmannes überhaupt fühlen und anhören und darüber die gebührenden Tränen vergießen sollten. Spielleute und Christentum haben hier zu gleichen Teilen die alte Heldendichtung verweichlicht und ihre hohe und große Hingebung, ihre überwindung des Todes herabgezogen. Nichts war dem Wesen des germanischen Helden entgegengesetzter als unerwartete und wunderbare Erlösungen, als weinerliche Rührung und als Lächeln in Tränen. Und gerade damit hat der Spielmann die Geschichte von Berchter und seinen Söhnen angefüllt.
Wenn nun die Dichtungen von Wolfdietrich vom dreizehnten bis tief in das sechzehnte Jahrhundert immer von neuem gelesen und umgedichtet wurden und sich einer besonderen Beliebtheit erfreuten — sie waren noch bekannt, als man das Nibelungenlied vergessen hatte —, so kann, wie uns die Geschichte von Berchter
zeigt, der Grund dieser Beliebtheit nicht der Geist und die Kunst der alten großen Lieder gewesen sein. Die Heldensage, aus der der Wolfdietrich hervorging, war in den späteren deutschen Gedichten auch mir eine blasse Erinnerung, und nicht nur den Berchter und das Ende der alten Dichtung haben die Spielleute des dreizehnten Jahrhunderts auf ihre Art umgebildet. Die Gestalt des bösen Ratgebers hat sich zum Beispiel in ihren Händen auch verwandelt, in den bösen Ratgeber, den wir aus Märchen und Legende kennen. Nachdem er die Königin verleumdet hat und in die Verbannung geschickt ist, weiß er nach dem Tode des Hugdietrich die Huld seiner Witwe wieder zu gewinnen, verdrängt den treuen Berchter und reizt die beiden älteren Brüder gegen den Jungen auf, ja er bringt sie dazu, daß sie die Mutter, seine Wohltäterin, vertreiben.Der eigentliche Inhalt und das Anziehende für die wunder-süchtigen und unterhaltungslüsternen Zeitgenossen waren in den Dichtungen des späten Mittelalters die Abenteuer, die Wolfdietrich während seiner Verbannung erlebte, die sich fortwährend vermehrten, veränderten und durcheinanderschoben und derentwegen auch sein Vater und seine Geburt mit sonderbaren Erfindungen umgeben wurden. —
Wie Wolfdietrich selbst, ist sein Vater Hugdietrich aus einer Vermischung von Vater und Sohn hervorgegangen. Den Namen hat er von Chlodwigs Sohn, die Werbungsgeschichte, die auf ihn die Dichtung des dreizehnten Jahrhunderts überträgt, zeigt mit der alten Fabel von Chlodwigs Werbung manche Verwandtschaft (S. 50).
Das Heroische der alten Dichtung: Chrotilds Rache fehlt in der Späten Fassung ganz. Aber die novellistischen und abenteuerlichen Fäden spann der Dichter des Hugdietrich weiter. Von Chrothilds Schönheit waren die Boten Chlodwigs erfüllt. Ihr Onkel hielt das Mädchen in strengem Gewahrsam und versagte
sie dem Werber. Der Bote des Königs mußte sich verkleiden, die Christin wollte dem Heiden nicht folgen.Walgunt von Salneck (Salonichi) hat eine Tochter Hildburg, deren wunderbare Schönheit der treue Berchter dem Herrn rühmt. Doch der Vater hält sie in einen Turm eingesperrt und will sie keinem Mann geben. Hugdietrichs gelbes Haar reicht ihm bis zu den Hüften (wir erkennen darin den stolzen Schmuck der fränkischen Könige). Dem Spielmann war das lange Haar das Zeichen des Weibes, so gab er dem Jüngling ein rosenfarbenes Antlitz zu den goldenen Locken und berichtete, er habe sich als Mädchen verkleidet und sich mit großem Gefolge nach Samed begeben. Der Griechenkönig, sein Bruder, sagte er dort, habe ihn vertrieben. Hildburg fand solches Gefallen an der lieblichen Jungfrau, daß sie bat, man möge sie ihr zur Gespielin geben. Wirklich wurde sie mit ihr in den Turm eingeschlossen und beschämte die Königstochter und ihre Gespielinnen durch ihre Kunstfertigkeit in weiblichen Handarbeiten. Nach länger als einem halben Jahr erschien der alte Berchter, wie es vorher verabredet war, und brachte die Meldung, nun sei der Zorn des Bruders verraucht. Hugdietrich kehrte also zurück. Nach kurzer Zeit genas Hildburg eines Sohnes, und als Hugdietrich das hörte, kam er noch einmal, aber als Mann, zur Geliebten, küßte sein Kind, versprach ihm Konstantinopel als Erbe, nahm Hildburg zur Frau und führte sie heim.
Die Erfindung, daß sich der Werber als vertrieben ausgibt, brachte uns schon der Rother, die Geschichte von Hetel und Hilde wird sie uns noch einmal bringen. Auch die Erfindung, daß der Mann, als Frau verkleidet, zur Geliebten dringt, ist uns nicht fremd, das Lied von Hagbard und Signe (S. 112) kannte sie. Dort aber, im dänischen Heldenlied, erschraken die Dienerinnen der Königstochter über die männliche Rauheit des Wesens, das sich als Mädchen ausgab, sie nannte sich stolz und trotzig eine Walküre. In der deutschen Spielmannsdichtung ist Hugdietrich weiblicher noch als ein Weib, die Geschichte seiner Werbung wird nicht ohne versteckte Lüsternheit vorgetragen. Mit der alten Heldenart hat sie wieder nichts gemein. Es ist sehr möglich, daß unser Spielmann die ganze Ausmalung nicht aus dem germa
nischen Horte, sondern aus einem der spätgriechischen Romane holte, die das Mittelalter seiner Zeit kannte und liebte.Von Wolfdietrichs Geburt erzählt die Geschichte von Hugdietrich noch weiter, daß Hildburg das Kind vor ihren Eltern verbarg. Einmal trat ihre Mutter unerwartet in den Turm, da ließ sie das Kind in das Gebüsch am Fuß des Turmes herab. Dort fand es ein Wolf und trug es als Speise zu seinen Jungen in die Höhle, doch die waren noch blind und taten dem Kleinen kein Leid. Am nächsten Tag, während Hildburg verzweifelt und umsonst nach ihrem Knäblein suchte, fand es ihr Vater bei den Wölfen, entzückte sich über seine Schönheit, trug es zu seiner Frau und ließ es taufen. Nun begibt sich eine Familienszene . Als die Mutter ihrer Tochter das Wunder erzählte, da offenbarte sich ihr Hildburg und erhielt ihre Verzeihung. Die Mutter aber brachte des Nachts im ehelichen Bette das Geheimnis ihrem Manne bei. Der war zuerst sehr ungebärdig und stellte dann nach Art der Männer durch eine genaue Untersuchung den Hergang der Dinge noch einmal fest. Als ihm dabei klar wurde, daß er eine gewisse Schuld daran habe, ließ er den Vater Seines Enkelchens holen, der denn auch gern den Sohn anerkannte.
Viel hübscher und kindlicher erzählt eine andere Fassung des Wolfdietrich die Geburt unsres Helden. Wir geben sie mit Ludwig Uhlands Worten wieder:
Zu Konstantinopel herrscht ein gewaltiger König, namens Hugdietrich ; zwei Söhne hat ihm seine Gemahlin geboren, beide hießen Dietrich. Einst mußte er zum Kriege ausziehen. Reich und Gemahlin empfahl er dem Schutze des Herzogs Sabene. Dieser aber suchte die Königin zu unerlaubter Liebe zu verleiten; als sie ihn zürnend abwies, verredete er seine schmähliche Zumutung, es sei nur eine List gewesen, um ihre Treue zu erproben. Die Königin glaubte ihm und versprach, darüber zu schweigen. Noch in Abwesenheit des Königs genas sie eines dritten Sohnes, den sie bei seiner Abreise im Schoße getragen. Der König freut sich bei seiner Heimkehr des neugeborenen Kindes. Sabene aber verleumdet die Königin, sie habe dem König die Treue gebrochen und der junge Sohn sei eines teuflischen Unholds Kind.
Dei König hat einen treuen Mann, Herzog Berchter von Meran; diesem befiehlt er, das Kind zu töten. Lange weigert sich der Treue, erst
die schrecklichsten Drohungen bringen ihn zum Nachgeben. Er empfängt das Kind und reitet mit ihm in den Wald; aber wie das unschuldige Kind mit seinen Panzerringen lachend spielt, bringt er den Mord nicht Wers Herz, und doch schämt er sich wieder, um eines Kindes willen so zage zu sein, da er doch in heißer Schlacht schon gar manchen Mann gefällt. So kommt er, schwankenden Sinnes weiterreitend, zu einem Gewässer, in dem Seerosen blühen. Hier legt er das Kind an den Rand und überläßt es seinem Geschick; er meint, es werde nach Kinderart nach den Wasserrosen haschen, und so werde sich des Königs Wille erfüllen, ohne daß ihn Blutschuld belaste. Aber das Kind spielt auf der Wiese bis in die Nacht hinein. Da kommen Wölfe aus dem Walde und schnobern es an; das Kind greift nach ihren Augen, die in der Dunkelheit wie Lichter glänzen, aber keines der Tiere tut ihm etwas zuleide. Darüber staunt Berchter und beschließt, den Knaben zu retten; einem Wildhüter gibt er es zur Erziehung und nennt es Wolfdietrich.Die Königin, der das Kind, während sie schlief, weggenommen worden war, bricht beim Erwachen in lautes Wehklagen über den Raub aus, der König schiebt, nach des bösen Sabene Rat, alle Schuld auf Berchter. Berchter wird gefangen genommen und vor Gericht gestellt;. niemand wagt für ihn einzutreten, da der König auf den Rat des tückischen Sabene allen seinen Mannen es verboten. Schon soll das Urteil gesprochen werden, da tritt Berchters Schwager, Baltram, in den Ring und verlangt ein Gottesurteil; wer Berchter des Mordes zeihe, der solle mit dem Angeklagten kämpfen. Sabene weigert sich, und als ein Schriftstück eröffnet wird, worin Berchter den ihm gewordenen Auftrag und die Schicksale Wolfdietrichs berichtet, ist seine Schuld offenbar. Sabene soll gehängt werden, aber eingedenk der früheren Freundschaft schenkt ihm auf seine flehentlichen Bitten Berchter das Leben. Doch muß er als Verbannter das Land verlassen. Wolfdietrich aber wird aus dem Walde geholt und von Berchter in Gemeinschaft mit den eigenen Söhnen erzogen.
In dieser Erzählung ist wieder der Boden der alten Heldendichtung verlassen, es lebt darin die Unschuld und Einfalt unsrer Legenden und Märchen. Das entzückt uns daran wie die Gewichten, nach deren Vorbild sie wohl geschaffen wurde, wie etwa die von der armen Genovefa und dem bösen Golo oder das Märchen von der verleumdeten unschuldigen Königin oder das von dem
armen Kind, das eine grausame Stiefmutter töten lassen monte und das zu töten der Diener doch nicht über das Herz brachte.Es mag immerhin sein, daß schon in germanischer Zeit der Dichter die Kraft des Wolfdietrich besang und ihn als Sprößling von Wölfen feierte. Wir wissen, wie bue Unerschrockenheit winziger Kinder die alten Dichter freute; wie Wolfdietrich in die Augen der Wölfe, so greift der kleine Lamissio herzhaft nach dem Speer des Königs, der ihn und seine kleinen Brüderchen im Fischteich von einer Seite auf die andre wendet (S. 32). Fränkische Knaben, Siegfried und seine Sippe, sind besonders ungebärdig und furchtlos. Von Krafttaten und Unbändigkeiten des Knaben Wolfdietrich wissen dann auch die Spielleute manches zu melden, sie gleichen denen des starken Hans im Märchen und denen des jungen Siegfried in späterer überlieferung. —
Von den Heldentaten des vertriebenen Wolfdietrich wurde oft besungen die, daß er einen Drachen und seine Brut besiegte, der einem mächtigen König Ortnit das Leben genommen. Es war ein schwerer Kampf, dem Kampf des Beowulf nicht unähnlich, , das eigene Schwert sprang dem Helden in Stücke, er siegte erst, als er in der Höhle, in die ihn der Drache geschleppt, Ortnits Schwert fand. Nach Art des Märchens erwies er sich als den Sieger, indem er als Wahrzeichen einem lügnerischen Nebenbuhler, der die Köpfe brachte, die Zungen des Untiers entgegenhielt. Der Königin gab er sich dann durch einen Ring zu erkennen. Dann wurde Wolfdietrich der trotzigen Vasallen der Königin Herr und sie reichte ihm ihre Hand und die Krone. Nun erst konnte er ausziehen, um Berchter und seine Söhne zu befreien.
Den Inhalt des Gedichtes von Ortnit erzählt uns Ludwig Uhland so:
Ortnit, der junge König in Lamparten (Lombardei) auf der Burg zu Garten (Garda), findet keine kronwürdige Braut, weil alle Könige
diesseits des Meeres ihm dienen. Darum will er nach der Tochter des Heidenkönigs Machorel zu Muntabur fahren, obgleich schon viele Häupter der Werber um sie auf den Zinnen der Burg stecken. Zuvor reitet er in die Wildnis am Gartenidee (Gardasee), von dem wunderkräftigen Stein eines Ringes geleitet, den ihm die Mutter gegeben. Vor einer Felswand, aus der ein Quell fließt, sieht er auf blumigem Anger eine Linde stehen, die fünfhundert Rittern Schatten gäbe. Unter der Linde liegt ein schönes Kind im Grase, köstlich gekleidet, mit Gold und Gesteinen reich geschmückt. Es ist der Zwergkönig Alberich, dem Berge und Tale dienen. Lange neckt und prüft der starke Zwerg den Jüngling: zuletzt entdeckt er sich als dessen Vater. Dann geht er in den Berg und holt für Ortnit eine leuchtende Rüstung, samt dem herrlichen Schwert Rose. Zum Abschied verspricht er, dem Sohne stets gewärtig zu sein, solange dieser den Ring habe.Die Zeit der Meerfahrt ist herangekommen. Zu Messina eingeschifft, fahren sie erst nach Suders, der Heiden Hauptstadt, wo vor allem Iljas, König aller Reußen, Ortnits Oheim, als Heidenvertilger wütet. Von da ziehen sie vor die Königsburg Muntabur, auf des Gebirges Höhe. Alberich hat seines Wortes nicht vergessen; er saß die ganze Fahrt über auf dem Mastbäume, keinem sichtbar, als wer den Ring am Finger hatte. überall schafft er Rat und Hilfe. Jetzt weist er die Straße nach Muntabur, dem Heere mit dem Banner vorreitend; aber nur Roß und Fahne sind sichtbar, der Träger nicht. Er neckt den Heidenkönig, wenn dieser nachts, sich zu kühlen, an die Zinne tritt, rauft ihm den Bart, wirft das Wurfgeschütz und die Särge der Heidengötier in den Graben. Erzeigt der Königstochter von der Zinne den Helden Ortnit, wie er herrlich im Streite geht, sein Harnisch leuchtend, blutig das Schwert. Da spricht sie: "Er ist eines hohen Weibes wert." Alberich führt sie heimlich zur Burg hinaus, wo Ortnit sie vor sich zu Rosse hebt und mit ihr davonrennt. Mit den verfolgenden Heiden besteht der Held siegreichen Kampf; des Heidenkönigs schont er um der Tochter willen. Auf dem Meere wird sie getauft und erhält den Namen Liebgart (Sidrat nach anderen Fassungen), nach der Heimkunft aber wird ihre Krönung zu Garten gefeiert.
Der alte Heidenkönig, Versöhnung heuchelnd, sendet reiche Geschenke. Zugleich aber bringt sein Jäger zwei junge Lindwürmer mit, die er im Gebirg oberhalb Trient in einer Felsenhöhle großzieht. Nach Jahresfrist kommen sie heraus und schweifen gierig umher. Ihr Pfleger selbst ist
ihnen kaum entronnen Niemand wagt mehr die Straße zu ziehen; die Äcker werden nicht eingesäet, die Wiesen nicht gemäht. Bis vor die Burg von Garten wird das Land verwüstet. Tod droht dem Helden, der sie zu bestehen wagt.Da beschließt Ortnit, der Not des Landes zu steuern. Umsonst fleht ihn die Unheil ahnende, besorgte Gattin, von dem Unternehmen abzustehen; er reiht sich aus ihren Armen und heißt sie, wenn er fallen solle, dereinst seinem Rächer ihre Hand zu reichen. Ohne Gefolge reitet er in den wilden Wald, um den Lindwurm aufzusuchen und zu bestehen. Fahrtmüde rastet er unter einem Baume und versinkt in tiefen Schlaf. Da wälzt sich der Lindwurm heran; vergeblich sucht der treue Hund durch Bellen und Scharren seinen Herrn zu wecken, zu tief ist sein Schlaf. So findet Ortnit von dem Lindwurm, der ihn verschlingt, den Tod.
Die Spielleute haben in diesem Gedicht die Neckereien des Alberich gewiß mit besonderer Freude und mit drastischen Gebärden vorgetragen. Als alten Bekannten begrüßen wir sonst darin die Werbungsfabel, sie steht dem Rother nah und näher noch dem Oswald. Mit ihr Scheint aber eine andere Geschichte verschmolzen. Der überirdische Helfer, der unsichtbar machende Stein, die Rüstung und das Schwert gehören nämlich in das Märchen von dem Helden, der in die Hölle fährt, oder der eine Jungfrau aus der Gewalt eines Unholds oder der Behausung eines Riesen befreit und dabei die Hilfe eines gütigen Wesens von überirdischer Kraft genießt. — Auf diesem Märchen beruht wohl das französische Heldengedicht von Hüon von Bordeaux. Darin hilft Oberon dem Hüon, wie Alberich dem Ortnit, eine schöne Sultanstochter zu entführen. Den Hüon wiederum wird unser deutscher Spielmann gekannt und verwertet haben. Auch der Wolfdietrich der Spielleute glich, grade in seinem Zusammenhang mit Ortnit, einer altfranzösischen Heldendichtung, dem Karlmeinet. Dieser berichtet, wie ein Thronerbe von seinen neidischen Verwandten vertrieben wird, sich inder Ferne die Gunst eines anderen Königs erwirbt und mit dessen Hilfe sein mächtiges Reich zurückerobert. Eine andre Lieblingsgeschichte der französischen
Epen, daß der alternde Held ins Kloster geht, wird ja ebenfalls auf den deutschen Wolfdietrich übertragen (S. 191). Der hat auch noch mit den Seelen derer zu kämpfen, die er im Leben erschlug.Germanisch an dem Gedicht von Ortnit ist der Name Alberich. Auch das ist vielleicht eine germanische Vorstellung, daß Alberich sich als den Vater des Helden enthüllt. Dann wäre der verstorbene Vater selbst oder ein Ahn dem Ortnit als helfender Elbe erschienen. Die Schönheit des Alberich und sein Aussehen, daß er einem Kinde gleicht, besitzen in der deutschen Sage gerade die Seelengeister, z. B. die mit den Elben verwandten Kobolde.
Sehr verwunderlich scheint uns der Schluß des Gedichtes: daß der heidnische König dem Ortnit gleich zwei Lindwürmer ins Land schickt, daß der Held vor dem .Kampf einschläft, daß ihm Alberich nicht hilft und daß der treue Hund sich vergeblich müht, ihn zu wecken. Die Erfindung gleicht persischen Erzählungen. Da der Ortnit in seinen Namen (Machorel und Muntabur) und auch sonst sehr deutliche Erinnerungen an Kreuzzüge (die von 1212, 1217 und 1218) zeigt, kann auch sein Schluß aus persischer Erzählungskunst stammen. Freilich dürfen wir uns darauf besinnen, daß auf Bjarki, kurz vor dem Tode seines geliebten Herrn, ein bleierner Schlaf sich senkt, aus dem er zu spät erwacht (S. 125), daß der Warner, den Kriemhild den Brüdern schickt, durch ein Verhängnis dem Schlaf verfällt, daß seine Warnungen zu spät kommen (S. 76), daß oft auch im Märchen, sogar im ältesten, von dem wir wissen, dem von Gilgamesch, der Held sein hohes Ziel nicht erreicht, weil er des Schlafes sich nicht erwehren kann.
Wolfdietrich selbst zeigt ebenfalls manche Einflüsse von der Fabulierfreude des Orients, von Geschichten, die als Erinnerungen von den Kreuzzügen nach dem Abendlande zogen. Die Kämpfe zwischen Löwen, Drachen und Elefanten oder die zwischen den Löwen und einem Serpant, die sich darin begeben, sind beispielsweise orientalischer Herkunft. Die Tochter eines Heiden liebt
unsren Helden. Doch weil sie nicht getauft ist, widersteht er ihr, trotzdem ihre Reize und ihre Zärtlichkeiten ihn verwirren. Wolfdietrich zeigt hier die gleiche übernatürliche Keuschheit, durch die manche Heilige der Legende sich hervortun. Der Erzähler übertreibt sie absichtlich und sogar in das Komische hinein, denn seine Hörer hätten sonst kaum aufgemerkt, sie verlangten grobe Reize. Deshalb malte der Spielmann auch die Schönheit und die Verführungsversuche der Heidin recht derb und lüstern aus. Zornig, daß er sie verschmähte, bringt die Schöne am nächsten Morgen den Helden in Not, indem sie, als er fortreiten will, vor ihn einen See und einen Wald zaubert, doch dieser und anderer Spuk verschwindet, als Wolfdietrich Gott anruft.Die anderen Abenteuer der Gedichte führen uns zu den Zwergen, Riesen, wilden Leuten, Wassergeistern und ihresgleichen. In einer Fassung gelangt Wolfdietrich nach mühseliger Wanderung an das Meer, schön und anschaulich schildert der Dichter den Weg, den der Held zwischen Geröll und umgestürzten Bäumen hinabgeht und die See, deren Wogen sich tosend an hohen Felswänden brechen. Als er zu Tode erschöpft eingeschlafen, entsteigt ein Meerweib den Fluten, weckt den Helden, wirft ihre Hülle ab und steht in leuchtender Schönheit als Herrin aller Wassergeister vor ihm. Wolfdietrich weist ihre Werbung zurück, trotzdem erquickt sie ihn und sein Pferd mit einer Zauberwurzel und weist ihm den Weg.
In einer anderen Fassung sind die Erlebnisse des Wolfdietrich noch bunter und vielfältiger. Als er nachts im Walde Wache hält, naht sich ihm, liebebegehrend, auf allen Vieren kriechend, ungeschlacht wie ein Bär, ein Waldweib, die rauhe Else; er weist sie entsetzt zurück, da schlägt sie ihn mit Sinnenverwirrung, so daß er noch in der Nacht zwölf Meilen hin und her läuft und schließlich unter einem Baum das liebegierige Ungetüm wiederfindet. Als er sich ihr voller Widerwillen nochmals versagt, wirft sie einen noch stärkeren Zauber auf ihn, er sinkt betäubt nieder und sie schneidet ihm zwei Haarlocken vom Kopf und die Nägelspitzen von den Fingern. Nun ist ihm alle Kraft genommen und der Arme läuft, verzaubert wie ein Tor, im Wald umher und nährt sich von den Kräutern der Erde; endlich erbarmt sich Gott seiner und befiehlt durch einen Engel dem Weib, den Zauber aufzuheben.
Nun will Wolfdietrich sich mit der rauhen Else vermählen, wenn sie sich taufen lasse. Da führt sie ihn zu Schiff in das Land Troja, wo sie Königin ist, läßt sich dort in einem Jungbrunnen taufen, steigt daraus als Schönste der Frauen hervor, heißt Sigeminne und Wolfdietrich vermählt sich nur zu gern mit ihr.Später- das ist wieder eines der Anhängsel und eine Stoffvermehrung, wie die Spielleute sie lieben- verliert Wolfdietrich die Frau, als er zur Jagd ausreitet. Als Pilger verkleidet eilt er ihr nach und nach langer Wanderung findet er sie endlich wieder. Ein wilder Mann hatte sie verschleppt, er wollte die Widerstrebende zum Weib. Wolfdietrich besiegte ihn und die Scharen der ihm gehorchenden Zwerge. Dann entraffte ihm doch der Tod die kaum wiedergewonnene geliebte Frau. Der Held war nun wieder frei und konnte den Kampf mit dem Drachen bestehen, dem Ortnit erlag.
Das Abenteuer mit der Meerfrau und das mit der rauhen Else, auch andre Künste im Wolfdietrich, z. B. das Messerwerfen, in dem unser Held einen heidnischen König übertrifft, der sich auf seine Götter verläßt — das alles ist im Geschmack der höfischen Epen, die von Artus und seinen Rittern erzählen, von Jwein und von Erec, von Wigalois, von Lanzelot und den anderen. Diese Heiden treffen auf ihren Fahrten wunderbare überirdische Frauen, sie werden verzaubert und mit Sinnenverwirrung geschlagen, oder sie erlösen durch ihren Mut ein Wesen, das zuerst als häßliches Ungetüm sie erschreckt und sich dann, als der Ritter seine Tapferkeit behält und das Erlösungswerk auf sich nimmt, in die schönste Frau verwandelt. Unser Erzähler tut in seinem Bericht den Herrn und einen Engel hinein und macht ihn dadurch gottgefälliger. Durch die wilden Leute und Zwerge erhöht er seine Volkstümlichkeit. Die Geschichte von der rauhen Else in ihrer bunten und lockeren Anhäufung zauberhafter Dinge, in ihrem leichten und raschen Hin und Her zwischen Gott und Engel und Menschen und Menschentieren und häßlichen Jungfrauen und Verwünschungen und Erlösungen führt uns mitten in die Märchenwelt. Die Geschichte der Meerfrau ist
einfacher und in sich abgeschlossener, die von der rauhen Else schwelgt in phantastischen Wundern und wirren Unbegreiflichkeiten, die sich dann doch heiter und überraschend lösen. Wie viele Märchen wird die Geschichte eine Verflechtung verschiedener Überlieferungen sein, die eine erzählte von einem Helden, der sich dem Werben einer Waldfrau versagte und dafür verhext wurde — wie den Hedin, Helgis Bruder, Sinnenverwirrung traf, als er dem Zauberweib sich versagte (S. 181) —, die andre war die Geschichte eines Ritters, der eine Unholdin aus ihrer Ungestalt erlöste.Die wirre Abenteuermasse der Wolfdietrichdichtungen ist noch reicher. Unsere Aufgabe ist es nicht, sie auszubreiten; manche Dichter und manche Zeiten haben das ihre dazu beigetragen, vom neunten bis zum dreizehnten Jahrhundert; das Wesentliche davon hat die Forschung erkannt und abgegrenzt. Daß verschiedene Dichter sich an diesen Epen versuchten, ging auch aus unsren Angaben hervor, wir fanden neben der Einfalt und Anmut der Legende freche Spielmannserfrndungen, neben frischer, lebendiger und humorvoller Schilderung endlose Breiten und Stoffanhäufung, neben klarer, abgerundeter Darstellung Verwirrtes , neben behaglichem und doch zielsicherem epischen Verweben , liebloses und überhetztes Erzählen, ohne Plan und Ziel.
Nacheinander sind bei dieser Betrachtung des einen Epos von Wolfdietrich alle Gattungen an uns vorübergezogen, die für die deutsche erzählende Dichtung im Mittelalter Bedeutung gewannen: Legende und Märchen, Spielmannsdichtung, Novellen und Fabeleien aus dem Orient, französische Heldendichtung und das höfische Epos. Unserm Gedicht haben diese Zusätze einen ganz ungewöhnlichen Stoffreichtum gegeben, aber sie machten es auch immer zusammenhangsloser und wirrer. Statt der Heldendichtung steht im ' Wolfdietrich schließlich ein nicht endenwollender abenteuerreicher und formloser Roman vor uns, recht von der Art, wie sie das Von immer will; seine Grundlage, das Helden
lied, ist von dem Erzähler unter der Fülle der späteren Erfindungen ganz verdeckt worden. Gegen den Reichtum der Ereignisse im Wolfdietrich war die späte Form der Wielandsage fast arm. Wir genießen es aber bei dem deutschen mittelalterlichen Gedichte dankbar, daß, wenn auch dunkle oder aufgebauschte, so doch Erinnerungen an die Treue und die Größe der alten Heldensagen in diesem Gewirre der Abenteuer erklingen, und daß unter den vielen Geschichten so liebliche und anmutige, so zarte und so kindliche auftauchen.Die Schicksale der alten Heldendichtung waren ja in Deutschland sehr anders als im Norden. Trotzdem überrascht uns die Wahrnehmung, wie oft die Entwicklung hier wie dort den gleichen Weg ging. In Deutschland und im Norden entstanden formlose, überreiche, verworrene Gebilde, hier der Wolfdietrich, dort die Wielandsaga, in beiden Ländern verwandelt sich das Heldenlied in das bürgerliche Volkslied, das Hildebrandslied ebenso wie das Lied von Ermanarich wie das von Hagbard und Signe; übrigens zogen die englischen Lieder von William Cloudesly und von Rosamund in dieselbe Richtung. In beiden Ländern entwickelt sich die Ballade; wenn wir hier unter Ballade , Nicht ganz richtig, ein Lied verstehen dürfen, das den Helden zeigt, dem überirdische Mächte feindlich, segnend, warnend, drohend, verlockend begegnen. Am schönsten und reifsten meisterten die dänischen Helgilieder diese Themen, wir erinnern an die Wiederkehr des toten Helgi, an die Liebe von Helgi und Swava und Helgi unb Kara, an die Verwünschung des Hedin durch ein Zauberweib. Im Wolfdietrich gehören die Geschichte der Meerfrau und der rauhen Else in diesen Kreis, im Dietrich von Bern die Kämpfe Dietrichs mit Zwergen, Riesen, wilden Leuten, die Rettung des vor seinen Feinden flüchtigen Witege durch seine Mutter, die Meerfrau, die den Sohn in den Wellen birgt, in der Gudrun der göttliche Vogel, der den Jungfrauen die Er
lösung ,verheißt, in den nordischen Nibelungenliedern die Vögel, die dem Siegfried von Brünhild singen und ihn vor Regin warnen , im deutschen die Meerfrauen, die dem Hagen den Untergang der Burgunden künden. Im älteren Epos traf er sie nicht im hellen Licht des Tages, sondern im zauberhaften Schein des Mondes. — Die jüngere Heldendichtung strebt zum Lied zurück, aus dem sie kam, sie ist reicher, zauberschöner, geheimnisvoller geworden, aber die alten festen Linien kann sie nicht mehr ziehen.
4. Dietrich von Bern
Die Entwicklung der Sage von Theoderich ist uns bekannt (S. 12). Im Gegensatz zur Geschichte galt er als verbannter König. Odoaker hatte ihn vertrieben, und nachdem er lange die Gastfreundschaft Attilas genossen, eroberte er sich endlich die Heimat zurück. So erzählte uns im achten Jahrhundert das Hildebrandslied. Außer dem Theoderich galten nun noch einem anderen gotischen König oft erzählte Sagen, dem Ermanarich. Dieser Ermanarich drängte sich dann in die Sage von Dietrich von Bern ein, davon wissen zuerst Zeugnisse des elften und zwölften Jahrhunderts. Er wurde darin der Oheim des Dietrich und auf Anstiften des Odoaker, der auch sein Neffe war, vertrieb Ermanarich — von jeher ein Werkzeug schlechter Ratgeber — den Dietrich. Dann verschwand Odoaker, dem keine besondere Sage galt, ganz aus der überlieferung. An seine Stelle trat im zwölften Jahrhundert der böse Ratgeber Sibiche, dessen Aufstachelung bewog den Ermanarich zu Grausamkeit und Heimtücke gegen den Neffen, bis dieser vor seiner übermacht fliehen mußte und bei Etzel Schutz und Hilfe fand. Mit hunnischem Beistand kehrte er in seine Heimat zurück, den Ermanarich besiegte er im Kampf bei Ravenna. In der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts schilderte ein sächsisches Epos die Verbannung und die Rückkehr, sein Dichter war ein Spielmann; auf diesem Epos beruht die Darstellung der
Thidreksaga. Alte epische überlieferungen und Erinnerungen an Kämpfe und Ereignisse des elften und zwölften Jahrhunderts, auf sächsischem Boden, sind darin verschmolzen. Die oberdeutschen Gedichte des dreizehnten Jahrhunderts ziehen die Geschichte von Dietrichs Verbannung weiter in die Länge. Dem Dietrich gelingt die Eroberung Italiens erst beim zweiten Versuch, beim ersten wird er zurückgetrieben. Vordem er in sein Elend ziehen mußte, lassen sie den Dietrich den Ermanarich einmal besiegen, dazu erfanden die Dichter noch allerhand andere Kämpfe und Siege; in ihren Epen verwandelt sich die Sage in ein recht langwieriges und oft recht verworrenes Hin und Her.Den Inhalt der beiden großen Gedichte, die uns von der Verbannung und Heimkehr Dietrichs derart breit und weitschweifig erzählen — es sind das Gedicht von Dietrichs Flucht (besser das Buch von Bern) und das von der Rabenschlacht —, faßt Ludwig Uhland so zusammen.
Sibiche reizt den Ermenrich, seinen Neffen, den Dietrich von Bern zu verraten und sein Erbe an sich zu ziehen. Randolt von Ancona wird, unter Verheißung reichen Lohnes, als Bote nach Bern abgefertigt; der König wolle über Meer fahren, der Harlungen Tod zu büßen. Dietrich möge kommen und so lange des Reiches Pfleger sein. Als Randolt die Straße reitet, trocknen ihm die Augen nicht, wenn er des Mordes denkt, den er werben soll. Zu Bern richtet er die Botschaft aus, wie er geheißen ist, warnt aber den jungen Fürsten, er solle die Reise lassen und seine Festen besetzen. Dann reitet er zurück und meldet, daß Dietrich nicht komme. Fürder will Randolt nicht mehr zu dem Könige stehen, sondern alles für Dietrich wagen. Ermenrich rüstet nun große Heerfahrt und wütet mit Mord und Brand, bis Dietrich in nächtlichem überfall das feindliche Heer vertilgt. Ehrlos entflieht Ermenrich und läßt seinen Sohn mit achtzehnhundert Helden in Dietrichs Hände fallen.
Dietrich hätte nun gerne den Recken gelohnt, die ihm Land und Ehre gerettet. Aber leer sind die Kammern, die sein Vater Dietmar voll Schatzes hatte. Hildebrand trägt ihm sein und der Seinigen Gut an und Bertram von Pola bietet so viel, als fünfhundert Säumer tragen
können. Sieben Recken werden mit Bertram nach dem Golde gen Pola gesendet: Hildebrand, Sigeband, Wolfhart, Helmschart, Amelolt, Sindolt und Dietleib von Steier. Da legt Ermenrich an die Straße fünfhundert Mann unter Witege; sie überfallen Dietrichs Recken auf der Heimkehr und führen sie samt dem Schatze gefangen nach Mantua. Dietleib allein entrinnt und sagt die Märe zu Bern. Dietrich, nur um seine Recken, nicht um das Gold klagend, erbietet sich, für die Lösung der Sieben den Sohn Ermenrichs und die Achtzehnhundert, die mit ihm gefangen wurden, freizulassen. Ermenrich aber droht, die Recken Dietrichs aufzuhängen, wenn dieser nicht all seine Städte und Lande für sie hingebe. Man rät dem Berner, um die Sieben nicht alles zu verlieren, aber er ließe lieber alle Reiche der Welt als seine getreuen Mannen; so willigt er in Ermenrichs Begehren.Ermenrich zieht nun mit Heereskraft vor Bern. Dietrich aber reitet aus der Stadt zu des Königs Zelt, steigt ab und beugt mit nassen Augen das Haupt ihm zu Füßen. "Gedenke," spricht er, daß ich bin deines Bruders Kind, daß meine Einsicht noch schwach ist! Nimmer will ich deine Huld verwirken; laß ab von deinem Zorne!" Lange schweigt Ermenrich, dann heißt er drohend den Jüngling aus seinen Augen gehen. Um die eine Stadt Bern fleht Dietrich, nur bis er zum Manne gewachsen. Umsonst; Ermenrich droht nur grimmiger. Da bittet Dietrich nur noch um seine sieben Mannen und will mit ihnen von hinnen reiten. Auch diese Ehre wird ihm nicht gelassen, zu Fuß soll er seines Weges ziehen. Mehr denn tausend Frauen kommen aus dem Tore, für ihren Herrn zu bitten. Zuvorderst geht Frau Ute mit vierzig Jungfrauen ; sie fallen vor Ermenrich nieder und mahnen ihn bei aller Frauen Ehre, an seinem Neffen königlich zu handeln. Er stößt sie von sich und gestattet auch ihnen nicht, in der Stadt zu bleiben. Da scheiden Männer und Frauen zu Fuß von Hab und Gut, Hildebrand hat Frau Ute an der Hand, der anderen Recken jeder die seinige. Jammervoll ob all der Schmach geht Dietrich von seinem Erbe, nimmer soll man ihn lachen sehen bis zum Tage, da er sein Leid rächen könne. Die Frauen werden nach Garda geführt, das der treue Amelolt besetzt hält. Ein Stein hätte weinen mögen, wie jetzt Frau und Mann, Mutter und Kind sich zum Abschied küssen. Fünfzig Getreue gehen mit Dietrich ins Elend, durch Isterreich in das Land der Hunnen. Dietrich wird von Etzel gütig aufgenommen und weilt an seinem Hofe. Er wird doch hochgehalten, aber er kann den Schmerz um sein verlorenes Erbe und seine gefallenen
Helden nicht verwinden. Die milde Königin Helche bemerkt seine beständige Trauer; ihn zu trösten, vermählt sie ihm die schöne Herrad, ihre Nichte, und Etzel verspricht, zum Frühjahr ein Heer auszurüsten, mit dem Dietrich Italien wieder erobern soll. Das Frühjahr kommt, zu Etzelnburg sammelt sich ein Heer, zahlreich wie keines zuvor. König Etzel hat zwei herrliche junge Söhne, Scharpf und Ort. Diese wünschen sehnlichst, mit Dietrich zu reiten und seine gute Stadt Bern zu sehen. Sie wenden sich erst an die Mutter. Frau Helche sieht ihre Kinder traurig an, ihr hat geträumt, ein Drache sei durch ihrer Kammer Dach geflogen, habe vor ihren Augen die beiden Söhne hinweggeführt und sie auf weiter Heide zerrissen. Als aber die Jünglinge nicht ablassen, legt die Mutter selbst Fürbitte bei Etzel ein. Ungerne gewährt er. Dietrich verheißt, sie treulich zu behüten und nicht über Bern hinausreiten zu lassen. Mit viel Tränen werden sie entlassen. Das Heer zieht durch Isterreich gegen Bern (Verona). Hier sollen Etzels Söhne zugleich mit Diether, des Berners einzigem Bruder, der wenig älter ist als sie, zurückbleiben. Dietrich befiehlt sie auf Leben und Ehre dem alten Helden Elsau. Niemals sollen sie auch nur vor das Tor kommen; er droht, den Pfleger mit eigener Hand zu töten, wenn ihnen irgend Leides geschehe . Er bricht nun mit dem Heere gen Raben auf, wo Ermenrichs Kriegsmacht liegt. Den Jünglingen aber ist herzlich leid, daß man sie nicht mitgenommen. Sie knien vor ihrem Meister Elsan nieder und küssen ihm die Hände, daß er sie nur vor die Stadt reiten lasse, all den herrlichen Bau zu sehen. Er widersteht ihren Bitten nicht und ehe er noch sich gerichtet, sie zu begleiten, sind sie schon zur Stadt hinaus. Es naht schon dem Herbste, wo die Nebel stark sind; so kommen die drei Jünglinge auf einen unrechten Weg, der sie über die weite Heide gegen Raben (Ravenna) führt. Elsau reitet ihnen nach und findet sie nirgends um die Stadt; laut ruft und jammert er, niemand antwortet ihm. Vor dichtem Nebel kann er sie auch auf der Heide nicht erschauen. Den ganzen Tag streichen sie hin und übernachten im Freien. Am Morgen reiten sie weiter, nach dem Meere zu. Diether fängt an, diese Irrfahrten zu bereuen. Als aber der Nebel weicht und die Sonne heiter scheint, da bewundern Etzels Söhne die Herrlichkeit des Landes, darin der Berner immer mit Freuden wohnen sollte.Da erblicken sie den Recken Witege, der mannlich unter seinem Schilde hält. Sie wollen diesen Verräter an Diether und seinem Bruder sogleich angreifen, obschon sie, statt Harnischen, nur Sommerkleider an
haben. Umsonst warnt Witege mehrmals. Scharpf reitet zuerst ihn an und schlägt ihm starke Wunden: da zuckt Witege mit Grimm das Schwert Mimung, mit gespaltenem Haupte schießt der Jüngling vom Rosse. Wäre er zum Mann erwachsen, ihm hätten alle Reiche dienen müssen. Ort will den Bruder rächen und erleidet gleichen Tod, obschon Diether ihm beigestanden. Dieser kämpft noch bis zum Abend zu Fuße; seine Gewandtheit, darin ihm niemand gleich ist, fristet ihn so lange; zuletzt fällt auch er, durch das Achselbein bis auf den Gürtel gehauen. Ihn betrauert Witege, Dietrichs Zorn fürchtend; er will zu Rosse steigen, aber die Kraft versagt ihm und er muß sich auf der Heide niederlegen.All das geschah um die Zeit der zwölftägigen Schlacht, worin Ermenrich bei Raben von dem Berner besiegt wurde. Er entflieht zur Stadt; den Verräter Sibiche fängt der treue Eckhart und führt ihn, quer auf das Roß gebunden, durch das Heer. Dietrich freut sich auf der Walstatt des Sieges, da kommt Elsan und meldet, daß er die jungen Könige verloren. Mit eigenen Händen, wie gedroht war, schlägt Dietrich ihm das Haupt ab. Die drei Erschlagenen werden auf der Heide gefunden . Dietrich küßt ihre Wunden, verflucht den Tag seiner Geburt und weint vor Jammer Blut. " Armes Herz," spricht er, "daß du so fest bist!" An der Größe der Wunden erkennt er, daß sie mit dem Schwert Mimung geschlagen sind.
Da sieht man Witege rasch über die Heide reiten. Grimmig springt der Berner auf und reitet so hastig nach, daß keiner der Seinigen ihm folgen kann; Feuer sprüht von den Hufschlägen. Speer, Helm und Schild hat er auf der Walstatt zurückgelassen, nur das Schwert führt er mit sich. Er ruft Witege an, mahnt, fleht ihn bei Heldenruhm und Frauenehre, zum Kampfe zu halten, verheißt Bern und Mailand, verheißt sein ganzes Reich, wenn Witege obsiege. Aber Witege jagt nur stärker voran. Rienold, sein Neffe, der mit ihm reitet, schämt sich der Flucht und will auch ihn zum Kampfe bewegen: zu zweien würden sie den Berner bezwingen. Witege will nicht hören, befiehlt den Neffen in Gottes Schutz und jagt weiter. Rienold sticht seinen Speer auf den Berner, dieser haut ihn vom Rosse, reitet Witege nach und reizt ihn, Rienolds Tod zu rächen. Je länger je mehr eilt Witege, mahnt unablässig seinen Schemming, verspricht ihm Gras und lindes Heu in Fülle. Schemming macht weite Sprünge. Dietrich klagt, daß Schemming, einst ihm gehörig, seinen Feind von hinnen trage; er treibt sein jetziges Roß Falke, daß es von Blut trieft; vor Zorn glüht er, daß sein Harnisch
weich wird. Kaum eines Roßlaufs Weite ist noch zwischen beiden, Witege ist bis an das Meer getrieben, er gibt sich verloren. Da kommt die Meerfrau Waghild, seine Ahnmutter, und nimmt ihn samt dem Roß auf den Grund des Meeres. Der Berner reitet bis zum Sattelbogen in das Meer nach; er muß umkehren und wartet vergeblich, ob Witege wieder erscheine.Noch erstürmt Dietrich die Stadt Raben, daraus Ermenrich, die Seinen verlassend, um Mitternacht entweicht, während die Stadt in Flammen aufgeht. Doch der Sieg führt zu keiner dauernden Behauptung Italiens, Dietrich muß zu den Hunnen zurückkehren und sendet Rüdiger voraus, daß er ihn bei Etzel und Helche entschuldige; er selbst wagt noch nicht, ihnen vor die Augen zu treten. Als der Markgraf mit seinen Helden zu Gran ankommt, laufen die herrenlosen Rosse der zwei jungen Könige mit blutigen Sätteln auf den Hof. Die Königin will eben mit ihren Frauen in einen Garten gehn, an den Blumen ihr Auge zu weiden, da sieht sie die blutigen Rosse ihrer Kinder stehen. Im ersten Schmerz verwünscht sie den Berner: doch sie wird versöhnt, als Rüdiger meldet, daß Dietrich mit ihnen den eigenen Bruder verloren. Sie selbst ist Dietrichs Fürsprecherin bei Etzel. Der Berner kommt nach Etzelnburg, geht in den Saal, neigt sein Haupt auf Etzels Fuß und bietet sein Leben zur Sühne. Die Königin weint und Etzel richtet mit neuer Huld ihn auf.
Der schmerzliche und tränenreiche Ton in dieser Geschichte, der breite und weitschweifige Vortrag und die mühselige und unbeholfene Diktion sind nicht in der Art und dem Geschmack der alten Heldendichtung. Freilich ermüden und verdrießen sie in den Gedichten selbst den Leser viel mehr, als in Uhlands gedrängter Wiedergabe. Ebensowenig war das Auftreten Dietrichs. in den alten Gedichten des siebenten Jahrhunderts so sanft und so demütig . Trotzdem wittern wir in diesen Epen sofort eine ganz andere Kunst als in den Gedichten von Wolfdietrich. Wir fühlen, daß ihnen alte heroische Lieder und Szenen zugrunde liegen oder Dichtungen, die mit ganz eigener und eindringlicher Kraft alte heroische Themen verwerten. Die Forschung nimmt an, daß zwei gotische Heldenlieder Dietrichs Schicksale besangen, das eine
Dietrichs Flucht und Verbannung, das andere den Fall der Etzelsöhne.Der Bote Randolt, der den Dietrich verräterisch einladen soll und der den jungen Helden doch warnt, erlebt einen Konflikt, wie ihn germanische Helden erleben. Wir erinnern an den Regin der nordischen Sage, der die Söhne Halfdans warnte, obwohl er dem Frodi Treue geschworen (S. 137). Eine ähnliche verzweifelte Lage wie dem Randolt war auch einem sächsischen Sänger beschieden.
Er sollte im Auftrag des Königs Magnus den Herzog Canut einladen . Magnus aber wollte Canut hinterrücks ermorden. Der Sänger wußte das, hatte jedoch vorher dem Magnus geschworen, daß er es nicht verraten werde. Doch die Ahnungslosigkeit des Canut, der nicht einmal ein Schwert nahm, rührte ihn, und da sang er ihm das berühmte Lied von der Treulosigkeit der Kriemhild gegen ihre Brüder. Canut aber überhörte die Warnung und ritt in sein Verderben.
Die Dichtung vom Tode der Etzelsöhne reicht wohl auch in die Zeit der Völkerwanderung zurück. Um die Mitte des fünften Jahrhunderts besiegten die germanischen Stämme das Heer der Söhne Attilas. Ellak, der bedeutendste oon ihnen, fand dabei den Tod. Die Erinnerung an diesen Sieg wird in der Sage nachgeklungen sein und das Lied von dem Sohn des mächtigen Königs geschaffen haben, der einen grausamen Tod starb. Vielleicht ist der Bericht im Nibelungenlied, in dem Hagen den Sohn von Etzel und Kriemhild tötet, auch ein Nachklang eines Liedes dieser Art.
In unsrem mittelalterlichen Gedicht von der Rabenschlacht überraschen uns zwei Szenen, weil sie der alten germanischen Kunst entsprechen. Die erste ist die Gegenüberstellung von Etzels Söhnen, ihrem jugendlichen ungestümen Tatendurst und Heldensinn gegen den harten, unbeweglichen Witege. Die andere ist die Verfolgung des Witege durch Dietrich. Sie erschien uns wie eine Umkehrung des alten Liedes von Chlotars Sieg über die Sachsen
(S. 49). Dort war der Verfolgte der Beredte und Heimtückische, der Verfolger still. Hier scheint der Verfolgte immer noch stiller und verstockter zu werden, der Verfolger ergeht sich in den leidenschaftlichsten Beschwörungen, Bitten und Klagen. Diese beiden Szenen mögen dem germanischen Lied gehört haben. Indem er sie in das Traumhafte und Visionäre steigerte und die gleiche düstere Stimmung des Traumes über das ganze Gedicht breitete, , schuf dann ein deutscher Dichter aus der alten germanischen eine mittelalterliche Dichtung von seltsamer rührender und phantastischer Kraft. Wäre sie uns doch selbst erhalten, wie sie der Dichter des Meter Helmbrecht noch kannte, müßten wir sie doch nicht aus der allzubreiten Umschreibung des Epos von der Rabenschlacht herausholen!Der bange Traum der Helche leitet das Gedicht ahnungsschwer ein. Nebel verwirrt die Helden und raubt die Jünglinge das erstemal ihrem alten Erzieher Elsau. Wie ein Traumgesicht von wunderbarer und beseeligender Schönheit taucht Ravenna vor ihnen auf. Unwirklich, wie eine finstere Erscheinung, steht dann plötzlich Witege vor den jungen Helden und tötet einen nach dem andern. Grausam und ganz gegen die eigene Natur erschlägt Dietrich den Elsan. Die Stummheit und die rasende Flucht des verfolgten Witege wächst immer mehr in das Unheimliche und Traumhafte, so daß wir uns kaum noch wundern, als seine Ahnmutter den Fluten entsteigt und den Sohn rettend zu sich zieht. Die herrenlosen Rosse, die mit blutigen Sätteln auf den Hof der Königsburg laufen, sehen wir wieder vor uns wie die jammervollen Bilder, die ein quälender Traum uns zeigt, und sie sind doch der schmerzliche und milde Nachklang des Gedichtes und geben ihm zugleich durch die Klage der Mutter die rührendste und menschlichste Trauer.
Das alte Gedicht von der Rabenschlacht mag um die Wende des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts entstanden sein. Die
Umschreibung, in der wir es besitzen, gehört dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts. Wie stark der Eindruck des alten Gedichtes war, erkennt man auch daraus, daß es einem andern zum Vorbild diente, dem Gedicht von Alpharts Tod. Dies ist seinerseits wohl durch manche Zusätze entstellt, aber auch wenn man es sich davon gereinigt denkt, so steht nur ein Werk der Epigonenkunst vor uns. Besonders in seinem ersten Teil ist es eindrucksvoll und lebendig vorgetragen, man erkennt darin gute künstlerische Muster und Meister, freilich hält es sich von übertreibungen, Breiten und Weinerlichkeiten nicht frei. Aus der alten heroischen überlieferung hat es nirgends geschöpft.Das Lied schildert, wie der junge Alphart, Hildebrands Neffe, allein auf der Warte gegen Ermenrich reiten will und seinen Willen durchsetzt, obwohl alle Helden der Jugend Alpharts wegen es widerraten. Frau Ute waffnet ihn selbst und läßt ihn dann weinend ziehen, seine junge Frau bittet ihn kniefällig, er möge doch nicht allein ausreiten, aber er küßt sie nur und jagt sie dann davon. Hildebrand will die Kraft des Jünglings prüfen und reitet ihm nach, mißt sich mit ihm, ohne daß er sich zuerkennen gibt und bereut es bitter; denn der junge Held richtet den Oheim übel zu. Dann begegnet Alphart der Vorhut des Feindes, achtzig Rittern, die er besiegt und tötet, nur acht entfliehen blutend und verbreiten Schrecken in Ermenrichs Lager. Ermenrich verspricht den höchsten Lohn dem Helden, der gegen Alphart kämpfen wolle. Keiner wagt es. Endlich ruft er den Witege und Heime auf. Als Witege kommt, verweist ihm Alphart den Verrat an Dietrich, schleudert ihn aus dem Sattel und streckt ihn auch im Schwertkampf nieder. Wie tot liegt er unter dem Schild. Heime bietet dem Alphart an, er solle zurückkehren, sie wollten sagen, daß sie ihn nicht angetroffen, doch der junge Held verschmäht den Vorschlag, er will Witege zum Pfand. Der hat sich wieder erhoben, erinnert nun den Heime an die Treue, die er ihm geschworen, und beide dringen auf Alphart ein. Als der auch den Heime schwer trifft, brechen die beiden Angreifer das Versprechen, das sie vorher dem Gegner gegeben, Witege fällt ihn von hinten an, Heime von vorne, und der junge Held, nach tapferster Gegenwehr, muß sein Leben lassen und verwünscht sterbend die ehrlosen Mörder.
Witege und Heime gehören schon in die germanische Heldensage, denn der altenglische Widsith nennt ihre Namen. Der Held der Geschichte, aus dem der Witege der Dichtung entsprossen, ist einmal der König der Ostgoten Witigis. Wenn man sich erinnert, wie Prokop diesen König schildert, seine Treue, sein tapferes Ausharren in allen Wechselfällen des Kampfes, sein mannhaftes Heldentum und sein Unglück — er mußte sich in Ravenna ergeben —so versteht man wohl, daß die germanische Heldendichtung diesen König gern besang. Außerdem meint man, daß der tapfere Gotenheld Widigoia, der durch die Hinterlist der Hunnen fiel und nach dem Zeugnis des Jordanes im Liede gefeiert wurde, in Witege fortlebe. Doch kennen deutsche Heldengedichte des Mittelalters einen eigenen Helden Witegouwe. Ob Heime einem Helden der Geschichte sein Dasein verdankt, wissen wir nicht.
Die beiden, Witege und Heime, waren in den alten Liedern andere als in den deutschen Epen des dreizehnten Jahrhunderts. Selbst in diesen ist die Erinnerung an ihr starres aufrechtes und vorbildliches Heldentum nicht ganz gewichen, darin muß früher ihr eigentliches Wesen bestanden haben. Wohl durch eine Verwirrung der Sagenerzähler wurden sie aus Helden Dietrichs zu Helden Ermanarichs, diese Verwirrung mag die Vorstellung von ihrer Untreue geschaffen und sie endlich, wie Ludwig Uhland das ausdrückt, in finstere und kalte Mordrecken verwandelt haben. Das Gedicht von Dietrichs Flucht schiebt den Witrge gewissermaßen zwischen Dietrich und Ermanarich hin und her. Witrge geht von Ermanarich zu Dietrich über und übergibt dann wieder verräterisch an Ermanarich die Stadt Ravenna, die Dietrich in seiner Hut gelassen. Einen ähnlichen Verrat beging in der Geschichte Odoakers Feldherr Tufa. Es ist nicht ganz ausgeschlossen, daß auch eine Erinnerung daran das Wesen von Witege befleckt hat.
Am ehesten vergleicht sich Witege in seiner Entwicklung wohl dem nordischen Starkad. Beide Helden werden aus Vorbildern
der Treue und des Heldentums zu Verrätern. Die wilde Kampflust des Starkad zeigt der Witege der Thidreksaga. Wie Starkad zu einem Wasserriesen, wird Witege zum Sohn einer Meerfrau; auch er steigert sich also in das Mythische.Die seltene Beliebtheit, die Dietrich von Bern während des ganzen Mittelalters genoß, verdankt er zu einem Teil der heroischen überlieferung, mit der er verwachsen war, vor allem aber seiner Persönlichkeit, in der Volk und Helden ihr eigenes Wesen wiederfanden. Denn dem Dietrich blieb seine Langmut und seine Geduld erhalten, ja sie verklärte sich im Lauf der Jahrhunderte, dazu trug wohl das Christentum das Seine bei. Auch die Kraft des Dietrich blieb die alte, wenn er sich einmal zum Kampfe entschloß , war sein Angriff stärker und unwiderstehlicher als der irgendeines anderen Helden, es hieß sogar, daß er mit seinem Feueratem den Gegner versengte.
Das Vock liebte den Dietrich und sang von ihm auch noch aus anderen Ursachen. Es gab ihm nämlich die Freude am Kampf und die Siege, die vorher der alte Gott Donar besaß und die im altenglischen Epos der Beowulf besitzt. Dietrich zeigte sie wie jene im unablässigen, übermächtigen Wirken gegen die Mächte, die die Arbeit des Bauern bedrohen, gegen die Riesen von Wind und Wetter und die andern Unholde alle. Von diesen Kämpfen erzählen uns eine Fülle von Gedichten aus dem dreizehnten Jahrhundert, von denen einige das Mittelalter überlebten . Leider ist das Volkstümliche und das im germanischen Sinn Mythische aus diesen Liedern fast ganz verwischt; nur der Riese Fasolt und die böse, Steine und Lawinen schleudernde Riesin Runze entstammen dem alten Volksglauben. Sonst sind die alten Sagen durch Erfindungen und Erzählungen im höfischen Geschmack und nach den höfischen Vorbildern der Artusdichtung ersetzt oder überwuchert. Die Kunst der Spielleute drang natürlich auch in sie hinein. Dabei wurde auch die alte schwere
Bedeutung der Kämpfe vergessen; so wie die Dichter des dreizehnten Jahrhunderts erzählen, sollen sie nur unterhalten, wie eben die höfischen Romane unterhielten.Da besiegt der Riese Sigenot den Berner und Hildebrand befreit ihn nach schwerem Kampf, oder Dietrich hilft der Bergkönigin Virginal vor den Riesen, die sie bedrängen, oder es dringen Dietrich und seine Helden in das Reich des Laurin, das mit einem Seidenfaden umgeben ist und das kein Irdischer betreten darf; sie wollen aber den Zwerg strafen, weil er die Künhilt, die Schwester eines ihrer Helden, entführt. Laurin wird erst besiegt, als sie ihm seinen Gürtel abreißen, der ihm die Stärke von zwölf Männern verlieh. In dem Reiche des Zwergkönigs werden die Helden herrlich bewirtet und weiden sich an dem funkelnden Glanz und der Pracht, die sie überall umgibt. Dann aber bezaubert und fesselt der tückische Zwerg die Helden, nur durch die Hilfe der entführten Künhilt werden sie wieder sehend und überwinden noch einmal ihren hinterlistigen Wirt.
Den Inhalt des hübschesten und beliebtesten dieser Gedichte, den Inhalt des Eckenliedes, teilen wir wieder mit Ludwig Uhlands Worten mit. Das Lied ist aus einem älteren deutschen Lied erwachsen:
Ecke wird von drei Königinnen auf Jochgrimm zum Kampf ausgesendet, kämpft mit Dietrich, wird von ihm überwunden und erschlagen. Dietrich wirft das Haupt des jungen Recken den Königinnen zornig vor die Füße und reitet heim. Im Kampf hat er Eckes Schwert, den Eckesachs erbeutet. — Einflüsse aus der altfranzösischen Hewendichtung, besonders aus dem sogenannten Papageienroman, haben dies Lied bereichert.
Auf Jochgrimm sitzen drei königliche Jungfrauen. Sie haben Dietrichs Lob vernommen und wünschen sehnlich, ihn zu sehen. Drei riesenhafte Brüder, Ecke, Fasolt und Ebenrot, werben um die Jungfrauen. Ecke, kaum achtzehn Jahre alt, hat schon manchen niedergeworfen; sein größter Kummer ist, daß er nichts zu fechten hat. Ihn verdrießt, daß der Berner vor allen Helden gerühmt wird, und er gelobt, ihn gütlich oder mit Gewalt, lebend oder tot herzubringen. Zum Lohne wird ihm
die Minne einer der Königinnen zugesagt. Seeburg, die schönste, schenkt ihm eine herrliche Rüstung, womit sie selbst ihn wappnet. Auch ein treffliches Roß läßt sie ihm vorziehen, aber ihn trägt kein Pferd, und er braucht auch keines, vierzehn Tage und Nächte kann er gehen ohne Müdigkeit und Hunger. Zu Fuß eilt er von dannen über das Gefild, in weiten Sprüngen, wie ein Leopard; fern aus dem Walde noch, wie eine Glocke, klingt sein Helm, wenn ihn die Äste rühren. Durch Gebirg und Wälder rennend, schreckt er das Wild auf; es flieht vor ihm oder sieht ihm staunend nach und die Vögel verstummen. So läuft er bis nach Bern und, als er dort vernimmt, daß Dietrich ins Gebirg geritten, wieder an der Etsch hinauf in einem Tage bis Trient.Den Tag darauf findet er im Walde den Ritter Helfrich mit Wunden, die man mit Händen messen kann: kein Schwert, ein Donnerstrahl scheint sie geschlagen zu haben. Drei Genossen Helfrichs liegen tot. Der Wunde rät Ecken, den Berner zu scheuen, der all den Schaden getan. Ecke läßt nicht ab, Dietrichs Spuren zu verfolgen. Kaum sieht er ihn im Walde reiten, als er ihn zum Kampfe fordert. Dietrich zeigt keine Lust, mit dem zu streiten, der über die Bäume ragt. Ecke rühmt seine köstlichen Waffen, von den besten Meistern geschmiedet, Stück für Stück, um durch Hoffnung dieser Beute den Helden zu reizen. Aber Dietrich meint, er wäre töricht, sich an solchen Waffen zu versuchen. So ziehen sie lange hin, der Berner ruhig zu Roß, Ecke nebenher schreitend und inständig um Kampf flehend. Er droht, Dietrichs Zagheit überall zu verkünden, er mahnt ihn bei aller Frauen Ehre, er gibt dem Gegner alle Himmelsmächte vor.
Endlich willigt der Berner ein, am Morgen zu streiten. Doch Ecke will nicht warten, er wird nur dringender. Schon ist die Sonne zu Rast, als Dietrich vom Rosse steigt. Sie kämpfen noch in der Nacht; das Feuer, das sie aus den Helmen schlagen, leuchtet ihnen. Das Gras wird vertilgt von ihren Tritten, der Wald versengt oon ihren Schlägen. Sie schlagen sich tiefe Wunden, sie ringen und reißen sich die Wunden auf. Zuletzt unterliegt Ecke. Vergeblich bietet Dietrich Schonung und Genossenschaft, wenn jener das Schwert abgebe. Ecke trotzt und zeigt selbst die Fuge, wo sein Harnisch zu durchbohren ist. Dietrich beklagt den Tod des Jünglings, nimmt dessen Rüstung und Schwert Eckesachs, das er seitdem führt, und bedeckt den Toten mit grünem Laube. Dann reitet er hinweg, blutend und voll Sorge, man möchte glauben, er habe Ecke im Schlaf erstochen. Schwere Kämpfe besteht er noch mit Eckes
Bruder Fasolt, der mit wilden Hunden eine Jungfrau durch den Wald hetzt, und mit dem übrigen riesenhaften Geschlechte, namentlich der wilden Runze, die lawinengleich eine Berglehne herabsaust und mit einer Hand eine ganze Burg wegfegt. Das Haupt Eckes führt er am Sattelbogen mit sich und bringt es den drei Königinnen, die den Jüngling in den Tod gesandt.Die Dichtungen von Wolfdietrich und Dietrich von Bern sind sich also auch darin verwandt, daß sie Abenteuer und Fabeleien nach Art der höfischen und Spielmannsdichtung auf einen alten Helden und auf seine heroischen Kämpfe übertragen. Die Gedichte über Dietrich von Berns wunderbare Kämpfe und Erlebnisse stehen aber frei und locker nebeneinander, sie verschlingen sich nicht wie bei Wolfdietrich zu einer Einheit, die denn doch keine Einheit ist. Darum wird das Wesen des Dietrich von Bern auch von diesen Abenteuern nicht erdrückt, es hat sich auch hier alles in allem in großer Reinheit erhalten.
Die Frömmigkeit und Einfalt der Legende fehlt den mythischen Gedichten von Dietrich von Bern und vom Märchen lebt mehr das Phantastische, wunderbar Verwirrende als das Kindliche in ihnen. Am meisten aber entzückt in ihrer Kunst die Schilderung der Natur. Im Ortnit und im Wolfdietrich fanden wir auch Szenen von einer Freude an der Natur und von einer Sahe, ihre Lieblichkeit und Größe wiederzugeben, die wir vorher in der Heldendichtung noch nicht entdeckten, wir erinnern uns etwa an die Szene, in der Ortnit unter der Linde auf blühendem Anger des Alberich gewahr oder an die Geschichte vom Knäblein Wolfdietrich , das an dem von Seerosen bewachsenen Teich sitzt und den Wölfen in ihre glühenden Augen faßt oder an den Weg Wolfdietrichs, den Abhang herunter zum Meer. Anschaulicher und großartiger noch ist die Natur in den Gedichten von den Abenteuern Dietrichs erfaßt. Wir können die Art dieser Schilderungen wieder nicht besser schildern als mit den Worten Ludwig Uhlands.
Im Eckenlied rauscht noch immer der unbändige Sturmgeist, zum Schrecken der Vöglein und alles Getieres, durch die krachenden Bergwälder . Selbst in dem späten Dichtwerke Virginal waltet noch immer, mitten unter dem geziertesten Hofwesen, ein reger Sinn für die großartige Gebirgswelt, deren gewaltsamste Erscheinungen als Riesenvolk und Drachenbrut dargestellt sind. Die Abenteuer bewegen sich im wilden Lande Tirol, im finsteren Walde, darin man den hellen Tag nicht spürt, wo nur enge Pfade durch tiefe Tobel, Täler und Klingen führen, zu hochragenden Burgfesten, deren Grundfels in den Lüften zu hängen scheint; wo der Verirrende ein verlorener Mann ist, der einsam Reitende sich selbst den Tod gibt. Dort, wo ein Bach vom hohen Fels her bricht, da springt der grimmige Drache, Schaum vor dem Rachen, fort und fort auf den Gegner los und sucht ihn zu verschlingen; wieder " bei eines Brunnen Flusse" vor dem Gebirg, das sich hoch in die Lüfte zieht, schießen große Wurme her und hin und trachten, die Helden zu verbrennen ; bei der Herankunft eines Solchen, der Roß und Mann zu verschlingen droht, wird ein Schall gehört, recht wie ein Donnerschlag, davon das ganze Gebirg ertost. Leicht erkennbar sind diese Ungetüme gleichbedeutend mit den siedenden, donnernden Wasserstürzen selbst. Dazwischen ertönt, ebenso donnerartig, das gräßliche Schreien der Riesen; als Dietrich mit tödlichem Steinwurf einen jungen Riesen getroffen hat, stößt dieser einen so grimmen Schrei aus, als bräche der Himmel entzwei, und seine Genossen erheben eine Wehklage, die man vier Meilen weit über Berg und Tann vernimmt, die stärksten Tiere fliehen aus der Wildnis, es ist, als wären die Lüfte erzürnt, der Grimm Gottes im Kommen, der Teufel herausgelassen, die Welt verloren, der jüngste Tag angebrochen; ein starker Riese "Felsenstoß" läßt seine Stimme gleich einer Orgel erdröhnen, man hört sie über Berg und Tal, überall erschrecken die Leute, und selbst der sonst unersättliche Kämpe Wolfhart meint, die Berge seien entzwei, die Hölle aufgeweckt, alle Recken sollen flüchtig werden; auch die Riesen hausen am betäubenden Lärm eines Bergwassers, bei einer Mühle und zunächst einer tiefen Höhle.Der weiteren, reichen, bald abenteuerlichen und spielerischen, bald breiten und aufzählenden Entwicklung oon Kämpfen Dietrichs von Bern und seiner Recken brauchen wir nicht mehr zu folgen, wir haben auf unsren Wanderungen nun gar zu oft die eigentliche Heldensage aus dem Auge verloren.
Die Kirche war dem Dietrich von Bern von jeher abhold; sie hat ihn zuerst gehaßt, weil er ein Ketzer war, und dann, weil das Volk so leidenschaftlich an ihm hing. Es gab von dem König eine Sage, daß er nicht gestorben, sondern in einen Berg entführt sei, wo er nun schlafe. Diese verwandelte die Kirche: den Dietrich habe ein schwarzes Roß, und das war niemand anders als der Teufel selbst, entführt, und ihn in den Ätna getragen, in dessen Feuergluten er seine Sünden noch immer büßen müsse. Aber wie oft diese aue Erzählung auch wiederholt und dem Volke vorgehalten wurde, aus seinem Herzen hat sie diesen König nie reihen können. Und so vermehrt gerade sie unser Staunen und unsre Rührung darüber, daß Jahrhunderte diesem treuesten König die Treue hielten und ihn als das verklärte Abbild des eigenen Wesens liebten. Zum Schluß führen alle Sagen von Dietrich von Bein doch wieder zu ihm selbst und zu der Seele unsres Volkes zurück.
5. Hilde und Gudrun
Das Gedicht von Gudrun ist uns in einer einzigen, in der berühmten Ambraser Handschrift überliefert, die im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts der Schreiber Hans Ried in Bozen für den Kaiser Maximilian schrieb. Die Vorlage des Hans Ried war eine Handschrift des dreizehnten Jahrhunderts, und aus dem dreizehnten Jahrhundert, wohl aus seinem zweiten Jahrzehnt, stammt die Gudrun.
Ihr erster Teil ist dem Hagen, dem König von Irland, gewidmet. Wie er ein Knabe war, raubte ihn bei einem großen Fest seiner Eltern ein Greif und schleppte ihn auf ein ödes Eiland. Das Kind sollte den Jungen des Vogels zum Fraß dienen. Aber es kroch aus dem Nest- erschlug die Greifen und fand auf der Insel drei Königstöchter, die von den Vögeln ebenfalls dorthin verschleppt waren und die sich durch Flucht gerettet. Diesen fristete Hagen durch seine Jagdbeute sein Leben und er nahm an Stärke und Wildheit unmäßig zu, nachdem er vom Blut eines rätselhaften Tieres, eines Gabilunes, getrunken, das er vor
her erlegt. Dann fuhr an der Insel ein Schiff vorbei, seine Mannen hörten die Rufe Hagens und nahmen ihn und seine Gespielinnen auf. Sie brachten sie in die Heimat zurück, nicht ohne daß Hagen vorher die Schiffleute durch seine Kraft in Schrecken gesetzt und sich ihrer Hinterlist erwehrt hätte. Sigebant, der Vater, überließ nun dem Hagen die Krone, und der nahm sich die schönste der Jungfrauen, Hilde, zum Weib.Als König war Hagen durch seine Wildheit, seine Stärke und seine Strenge gefürchtet. Seine Tochter, die wieder Hilde hieß, versagte er jedem Freier, die Boten ließ er hängen. Die Schönheit des Mädchens wurde weithin gerühmt, von ihr hörte auch der mächtige König Hetel von Dänemark, dessen Herrschaft weit über die Nordsee und Ostsee reichte. Seine Helden bereiteten sich, ihm die Braut zu gewinnen. Es waren Wate von Stürmen, Horand und Frute von Dänemark, Morung von Nifland und Irold von Ortland. Die Helden rüsteten ein Schiff aus mit prächtigem Schmuck, Kostbarkeiten und Gewanden und verkleideten sich als Kaufleute, in den Schiffsraum aber legten sie gewaffnete Krieger. In Irland gaben sie vor, der gewaltige König Hetel habe sie vertrieben, sie erbaten den Schutz Hagens und der wurde ihnen gern gewährt. Frute breitete in den Häusern, die man den Recken eingeräumt, seine Schätze aus und verkaufte sie wohlfeiler, als sie je ein Kaufmann verkauft hatte, ja, er gab auch allen denen gern, die ohne Kauf etwas begehrten. Die seltene Freigebigkeit der Fremden erregte überall staunende Bewunderung, auch die junge Königstochter hörte von ihnen und wollte sie natürlich sehen. So lud man denn die Kaufleute an den Hof, dort schufen ihnen ihre reiche und prächtige Kleidung und ihr ritterliches Auftreten neue Freunde und Verehrer.
Wate maß sich mit Hagen in der Kunst des Fechtens, dabei zeigte er sich dem starken König ebenbürtig. Horand aber sang so schön, daß Hagen und die Seinen hingerissen zuhörten; auch die Tiere im Walde ließen ihre Weide stehen und die Würmer im Grase, die Fische im Wasser lauschten. Hilde entbot den Sänger heimlich zu sich, da sang er ihr seine schönsten Weisen und trug ihr dann die Werbung seines Herrn vor. Die Jungfrau will gern dem König Hetel folgen, wenn Horand auch dort morgens und abends ihr vorsingen wolle, das verspricht ihr der Held gern, doch seien bei Hetel zwölf Sänger, die ihn an Kunstfertigkeit überträfen, am schönsten aber singe der König selbst.
Nun nahmen die Gäste Abschied vom König; Hetel habe nach ihnen gesandt und ihnen Sühne geboten. Hagen geleitete sie auf ihre Schiffe,
um auch selbst die dort ausgestellten Schätze zu betrachten. Hilde ging auf das reichste Schiff, auf das Frutes. Sowie sie mit ihren Jungfrauen an Bord war, wurden die Anker gelöst und die Segel aufgezogen, die verborgenen Gewappneten sprangen hervor und vor den Augen ihrer Eltern fuhr Hilde davon. Hagen, in heller Wut, wollte den Flüchtigen sofort nach, doch seine Schiffe waren leck und nicht fahrtbereit . Aber bald hatte er eine Flotte gesammelt, und als Hilde ankam und Hetel seine Braut empfing, erschienen am Horizont auch Hagens Schiffe. Am Strand begann nun ein grimmer Kampf. Hetel wurde dabei von Hagen verwundet, aber Wate war stärker selbst als der König von Irland und brachte ihm eine Wunde bei. Da flehte Hilde bei Hetel für den Vater und der schied den wütenden Streit der Helden. Wate, der von einem wilden Weib die Heilkunst gelernt, heilte die Verwundeten. Hagen verzieh gern seiner Tochter und erfreute sich ihres tapferen Gemahls, hätte er noch mehr Töchter, sagte er, so würde er sie alle zu Hetel und den Hegelingen senden.Hetel und Hilde gewannen zwei Kinder: einen Sohn Ortwin und eine Tochter Gudrun. Die Tochter übertraf die Mutter noch an Schönheit und sie wurde gleich ihr allen Freiern versagt. Der erste Werber war der heidnische König Siegfried oon Morland. Er drohte, als er zurückgewiesen wurde, dem Hetel sein Reich zu verbrennen. Der zweite Werber Hartmut, der Sohn Ludwigs von der Normandie, schickte Boten, die nichts ausrichteten; dann kam er selbst, unerkannt, an Hetels Hof, gewann den Zutritt zu Gudrun und gab sich ihr zu erkennen; doch sie bat ihn nur, er möge forteilen, wenn ihm sein Leben lieb sei. Der dritte Werber, Herwig oon Seeland, überzog den Hetel, als er verschmäht wurde, mit Krieg. Beim Zweikampf erprobte Hetel die Mannlichkeit des jungen Helden und gewann zu ihm Zuneigung. Gudrun, die dem Kampf der beiden zusah, fühlte Stolz und Sorge zugleich und führte, wie die Liebe zu Herwig in ihr Herz einzog. Sie schied und versöhnte beide Kämpfer und wurde dem Herwig anverlobt.
Als Siegfried das hörte, fiel er, um sich zu rächen, in Herwigs Land ein. Dieser eilte zurück und Hetel zog mit ihm, um dem Bräutigam der Tochter Beistand zu leisten. Da vernahmen wieder Ludwig und Hartmut, daß Hetels Land von Helden entblößt sei; sie kamen mit einer großen Flotte und raubten Gudrun und ihre Jungfrauen. Als Herwig und Hetel die böse Botschaft hörten, schlossen sie Frieden mit Siegfried, und der gewährte ihnen sogar seine Hilfe. Alle eilten sie
den Räubern nach und auf dem Wülpenwert erreichten sie die Normannen, wie sie gerade Rast hielten. Hetel erkämpste sich die Landung, wieder erhob sich eine furchtbare Schlacht, die tapferen Helden beider Heere fielen, im Kampf wurde Hetel von Ludwig erschlagen. Nachts fuhren die Normannen mit Gudrun davon, Herwig und die Seinen aber waren durch ihre Verluste so geschwächt, daß sie ihnen nicht folgen und sie nicht in der Normandie angreifen konnten. So kehrten sie heim, die Rache mußten sie verschieben, bis die Kinder der Erschlagenen heranwuchsen.Gudrun verweigerte Hartmut ihre Hand, sie könne dem nicht als Gemahlin folgen, dessen Vater ihren Vater erschlug, und sie wollte dem Herwig die Treue halten. Gerlint, Hartmuts Mutter, bot der Gudrun ihre Krone an, aber die Jungfrau blieb fest. Wie nun der junge König auf neue Heerfahrten zog, peinigte Gerlint die Gudrun und ihre Jungfrauen . Die stolze Königstochter mußte die Dienste einer Magd verrichten , mit ihren Haaren den Staub von Tischen und Bänken fegen und den Ofen heizen. Hartmut wiederholte seine Werbung und blieb immer ritterlich, Ortrun, seine Schwester, redete der Gudrun gütig zu, doch es blieb alles vergebens. Schließlich muhte Gudrun Tag für Tag die Kleidung Gerlints und des Gesindes am Meeresstrande waschen. Die treueste ihrer Gefährtinnen, Hiltburg, teilte gern ihr Los und ihre Erniedrigungen.
So vergingen dreizehn Jahre. Da ermahnte Frau Hilde die Helden an die Rache. Ortwin, Herwig, Frute, Wate und Horand führten ein starkes Heer über die See. Sie erreichten die normannische Küste und verbargen hinter einer waldigen Insel ihre Flotte. Herwig und Ortwin machten sich sofort auf zur Kundschaft.
Der Gudrun aber erschien, als sie am Strande wusch, auf den Wellen schwimmend ein Vogel; der verkündete ihr, ein Bote Gottes mit menschlicher Stimme, daß ihr Verlobter und ihr Bruder lebten und daß ihre Freunde nun bald kommen würden, sie zu befreien. Die beiden Mädchen, voller Freude über das Gehörte, versäumten sich im Waschen und mußten abends einen besonders grimmigen Zornesausbruch der Gerlint über sich ergehen lassen. Am nächsten Morgen war Schnee gefallen und ein eisiger Märzwind wehte. Aber Gerlint wollte den beiden keine Schuhe geben, barfuß und im Hemd mußten sie durch den Schnee an den Meeresstrand waten. Dort erblickten sie endlich das ersehnte Boet und zwei Männer darin; als die Helden ans Land springen,
wollen die Jungfrauen voller Scham fliehen, doch der Ruf der beiden hält sie zurück. Sie beben vor Frost, der Wind hat ihre Haare ganz zerzaust, und ihr schneeweiher Leib schimmert durch das Hemd. Die Helden bieten ihnen Mäntel an, doch sie weisen sie zurück. Noch erkennen sie sich nicht und Ortwin fragt nach dem Fürsten des Landes und nach der Königstochter, die vor Jahren hergeführt wurde. Die sei vor Jammer gestorben, sagt Gudrun. Da fließen die Tränen aus den Augen der Männer. Dann aber erkennen Gudrun und Herwig eins an dem andern die goldenen Ringe an der Hand, Braut und Bräutigam küssen sich, und die Helden scheiden mit dem Versprechen, sie würden am nächsten Tag mit gewaltigem Heer vor der Burg erscheinen.Gudrun aber will nicht länger dienen, nachdem zwei Könige sie geküßt und umarmt, und sie wirft das Linnen der Gerlint in das Meer. Der alten Königin, die sie zur Rede stellt, begegnet sie mit trotziger Antwort. Die droht ihr, sie würde sie mit Ruten peitschen und sie grausamer als je züchtigen. Gudrun verheißt ihr Rache, wenn sie einst gekrönt unter mächtigen Königinnen stehen würde, und erklärt sich plötzlich geneigt, dem Hartmut die Hand zu reichen. Gerlint verzeiht ihr nun gern, sie jubelt, daß die Stolze sich endlich ergab. Hartmut eilt freudig herbei und will die Braut umarmen, sie deutet auf ihre ärmliche Kleidung und weist ihn zurück, noch sei sie nur eine arme Wäscherin. Dann bittet sie für sich und für ihre Jungfrauen um die gebührende Speise und Pflege. Die wird ihr gern gewährt. Als sie dann in ihrer Kemenate mit ihren Jungfrauen zusammensitzt, teilt sie ihnen mit, was sie erlebt und lacht jubelnd und in wildem Triumph auf — als sie das Lachen hört, fürchtet die alte Königin, aber nur sie, Unheil.
Am nächsten Morgen sieht eine Jungfrau beim ersten Tagesschein und beim ersten Glanz des Wassers das Meer voller Segel und das in Waffen leuchtende Gefilde. Der Wächter weckt Ludwig und seine Helden und der Entscheidungskampf beginnt. Die Normannen tun sich durch große Tapferkeit hervor, Ludwig bringt den jungen Herwig in schwere Bedrängnis, wird aber endlich von ihm erschlagen. Nur die Fürbitte Gudruns und Herwigs Dazwischentreten, das ihm fast das Leben kostet, vermag es, den Wate von Hartmut fortzureißen. Nun stürmt der Alte in die Burg und erschlägt dort auch die Kinder, damit sie nicht zum Schaden der Nachkommenden heranwachsen. Die alte Gerlint zieht er, trotz Gudruns hochherziger Fürbitte, aus ihrem Versteck hervor und schlägt ihr das Haupt ab. Ortrun wird von der dankbaren
Gudrun beschützt. Das Land aber wird zerstört und die Burgen gebrochen.Nachdem Sieg und Rache vollendet, löst eine große Versöhnung den Kampf und Streit und verwandet ihn in Frieden und Freude. Hartmut erhält sein Land zurück und wird mit Hiltburg vermählt. Seine Schwester Ortrud erhält Ortwin zum Gemahl, Siegfried von Morland erhält Herwigs Schwester, vor allem aber vereinen sich Herwig und Gudrun für immer und Herwig führt die Braut nach Seeland heim.
Wenn wir die Gudrun unbefangen auf uns wirken lassen und uns dabei die auen Herdenlieder und die mittelalterlichen Dichtungen vergegenwärtigen, die nun schon in langer Reihe an uns vorüberglitten, so fühlen wir wohl manchen Anklang und manches Motiv aus der heroischen Zeit, und diese verstärken sich am Ende des Gedichtes. Besonders nah scheinen uns die Beziehungen der Gudrun zur dänischen Heldendichtung. Aber die Ähnlichkeiten , die das Gedicht mit den Spielmannsgedichte des deutschen Mittelalters. verbinden, sind auffallender. Es hat die gleiche Liebe für den Reichtum und die Fülle der Erzählung. Der Geschichte von der Hilde und von der Gudrun schickt es die von Hagen voran, eine abenteuerliche Erfindung, für die zuerst die Kreuzzüge mit ihren seltsamen und wunderbaren Erlebnissen und namentlich die Berichte von den merkwürdigen und sonderbaren Taten und Reisen des Herzogs Ernst den Boden geschaffen haben. Die Geschichte der Hilde verbindet wie der König Rother die Werbung mit der listigen Entführung, die zuerst der Orient ersann. Der Dichter der Gudrun verweilt dabei weniger bei dem Heldentum der Mannen Hetels als bei ihrem Reichtum, ihren Kostbarkeiten und ihrem vornehmen Auftreten. Endlich die Geschichte der Gudrun ist in gewissem Sinne eine Vermehrung und Steigerung von der Geschichte der Hilde, wie die Gudrun die Mutter ja auch an Schönheit übertrifft. Drei Werber nicht wie bei Hilde einer, bemühen sich um Gudruns Gunst. Der Einfall Siegfrieds in Herwigs Land, der Einfall der Normannen bei
Hetel, der Kampf oon Hetel zuerst gegen Herwig, dann gegen Hartmut und Ludwig verwideln und bereichern die Handlung. Herwig führt die Braut erst heim, nachdem diese ihren Vater verloren und eine schwere Zeit der Prüfung überstanden, der Geschichte des glücklichen Werbers Herwig steht die des unglücklichen, des Hartmut gegenüber.Der Dichter der Gudrun wandte sich, wie wir sehen, den Spielleuten gleich an Hörer, die unterhalten sein wollten, und er wußte mit einem Geschick, das uns weder der Rother, noch der Wolfdietrich, noch gar die Gedichte über Dietrich von Bern zeigen, die Begebnisse zu verdoppeln, zu steigern und immer reicher, verwickelter und großartiger zu gestalten. Wie die Spielleute sorgte er neben der Unterhaltung für die Rührung. Er läßt sich ebensowenig wie der Dichter des Rother und des Wolfdietrich eine Wiedererkennungsszene entgehen. Als Herwig und Ortwin und Gudrun sich nach langer Trennung begrüßen, weinen sogar die Männer. Die Wiedererkennung wird dadurch noch ergreifender, daß die Königstochter zuerst sagt, die Gudrun, sie selbst, sei vor Jammer gestorben. In ganz großem Stil aber brachte der Dichter das gute Ende, das seine Hörer verlangten. Nicht so einfach stellte er esher wie bei der Hilde, Tod und Wehklage geht ihm voraus, die Schlacht, der überfall, die Vorbereitungen zum Kampf, die überlistungen der Feinde werden kunstreicher und spannender vorgetragen als vorher und im Stil der Spielmannsdichtung, in bewußter Anlehnung an die Salomodichtung. Am Ende finden sich nicht nur Herwig und Gudrun, auch Hartmut und Hildburg, Siegfried und Ortrun scheiden als glücklich Vermählte von uns.
Die einzelnen Ereignisse, Feste, Werbungen, Botenreisen, Beratungen, Rüstungen, überfälle, Kämpfe, Seefahrten, putzt und schmückt der Dichter überall. Welche Fülle der Helden: Hagen, Hetel, Wate, Horand, Frute, Morung, Irold, Herwig, Ortwin,
Hartmut, Ludwig, Siegfried. An den Kämpfen selbst läßt der Dichter unendliche Mengen teilnehmen und übertreibt die Zahlen in das Phantastische. Der Kampf der Könige vollzieht sich nach ritterlichem Brauch, die Helden fechten wie die der französischen Heldengedichte auch friedlich miteinander, um ihre Kräfte zu messen. Bei dem Kampf der Massen hören wir den dröhnenden Klang der Schwerter, fühlen die Hiebe auf den Gegner niederprasseln, sehen die Funken aus Helmen und Klingen springen, entzückt gleiten die Blicke des Dichters über die in wundervoller Ordnung anrückenden Scharen, er schildert, stolz über seine Kenntnisse, die einzelnen Heerzeichen, wie er denn auch bei Empfängen und Festen auf die Wahrung des Zeremoniellen sehr bedacht ist.Überall erkennen wir den Reichtum, die Buntheit und die Freude an der Fülle der Ereignisse und Schilderungen, darin begrüßen wir das Mittelalter, das Kreuzzüge und Rittertum geschaffen haben. Eine ritterliche Dichtung, aber nicht in dem strengeren und feineren Geschmack der höfischen Epen, sondern eine ritterliche Dichtung, durch die ein Spielmann viele Hörer erfreuen wollte, das war die Gudrun.
Der Eindruck, den das Gedicht auf uns Gegenwärtige macht, ist, während wir es lesen, recht wechselnd. Neben frischen und starken Stellen stehen Weitschweifigkeiten, matte und erfindungsarme Verse, eine mühselig sich weiterschleppende Erzählung, eine Art, in endlosen Wendungen, die nur wenig voneinander abweichen , im Grund immer wieder das gleiche zu sagen. Es ist darum nicht zu verwundern, daß die Forschung sich bemühte, diese schwachen und unvollkommenen Teile zu entfernen und das Gedicht in alter Reinheit und Größe wiederherzustellen. Aber diese Versuche gingen von falschen Voraussetzungen aus, sie meinten, wenn sie die späteren Zutaten abtrennten, gewännen sie ein wuchtiges Gedicht des heroischen Stils; das wollte und konnte
aber die Gudrun niemals sein. Die alten Lieder und Sagen aus der heroischen Zeit, die sie verwertet, bildet sie ja nach ihrem Geschmack um; sie waren ihr auch viel weniger durch ihren heroischen Charakter als durch ihren wechselvollen Inhalt, durch die Geschichten von Werbung und Kampf willkommen. Gerade was uns als Weitschweifigkeit erscheint, verlangte vielleicht die Zuhörerschaft des alten Dichters. Dadurch, daß er sich oft wiederholte , machte er seine Verse eindringlicher und einprägsamer, als wenn er die Dinge nur einmal ausgesprochen hätte. Wenn die Gudrun überhaupt jemals wesentlich anders war, als so, wie sie nun vor uns steht, so war sie doch immer eine Spielmannsdichtung dem König Rother und dem Herzog Ernst enger verwandt als den alten Heldenliedern. Aus dieser literarischen Stellung unseres Gedichtes dürfen wir uns auch ableiten, daß der Dichter so gern formelhafte Wendungen und Reime bringt, die seinen Hörern vertraut waren, sich in Variationen ergeht und anderen Dichtungen, von denen er wiederum annahm, daß seine Zuhörer sie kannten, allerhand Einflüsse auf sein Werk gestattete.Aus der reinen Spielmannsdichtung ragt die Gudrun doch wieder hervor, nicht allein durch die größere Geschlossenheit ihres Aufbaues, auch durch ihre Kunst, Charaktere zu erfassen und zu schildern.
Wieviele haben schon an Hagen und Wate, an Hartmut und Horand, an Hilde und Gudrun sich gefreut, wie nah und wie lebendig sind uns diese Menschen! Hagen und vor allem Wate sind sicher und mit leichter überlegenheit erfaßt, Hagen bei aller seiner Wildheit streng und gerecht, Wate ein Vorbild stürmischer und unersättlicher Tapferkeit, Haudegen und doch das Muster eines Helden, voll rasenden Zorns, wenn die Wildheit des Kampfes über ihn kommt, sonst ein Wahrer heroischer Sitte, einfach und gradaus, ja voll entzückender Kindlichkeit und voller Freude an
bunten märchenhaften Geschichten. Sehr hübsch steht diesem rauhen, männlichen, ungefügen Recken der schmiegsame, verführerische und doch so ritterliche Horand gegenüber, dem die Herzen aller Frauen zufliegen. Für Herwig tut der Dichter weniger, sein Glück nach langer Leidenszeit und die Liebe, durch die Gudrun ihn auszeichnet, war ihm wohl genug. Dagegen hebt er den unglücklichen Nebenbuhler Hartmut. Niemals verliert dieser der Gudrun gegenüber seine ritterliche Zartheit und Schonung, immer schützt er sie, wo er nur kann, vor dem Zorn und der rohen Mißhandlung Gerlint und Ludwigs. Als die Geliebte sich ihm zugesagt, als er sie umarmen will, sie aber sich ihm entzieht, da tritt er bescheiden zurück und gönnt ihr und ihrem Gefolge gern ihre Freude. Er beschwichtigt sogar die mißtrauische Gerlint. Es liegt gewiß eine Tragik darin, daß er gerade, als er nach jahrelangem Harren sich endlich am Ziel seiner Wünsche wähnt, überwunden und seines Glückes und Landes beraubt wird. —Reizend ist Hilde. Dem Vater, an den sich sonst niemand heranwagt, streichelt sie den Bart und bettelt ihm eine Erlaubnis ab. Voller Scheu und doch glücklich, einmal etwas Verbotenes zu tun und etwas Interessantes zu erleben, empfängt sie den Horand; sie erklärt sich nur dann bereit, dem Hetel zu folgen, wenn auch bei ihm Horand ihr jeden Morgen und Abend etwas vorsinge.Die reichste und größte unter ihnen bleibt aber Gudrun. Der Dichter läßt sie nach germanischer Art vor unsren Augen wachsen, nicht im Glück, erst in Not und Elend zeigt sie ihre ganze Größe und Treue. Durch ihre Ruhe, mit der sie gelassen und königlich alle Demütigungen erträgt, erhebt sie immer von neuem sich über die Gerlint und reizt diese dadurch zu heftigerem und doch ohnmächtigem Zorn. Als die Vergeltung naht, ist sie ganz germanische Heldin in ihrer Verschlagenheit, ihrem listigen Trug und ihrem wilden Triumph. Mitten im Kampf enthüllt sich ihre Hochherzigkeit und Milde, sie schont die Ortrun, sie will
sogar ihre Peinigerin, die Gerlint, schonen, das ist vielleicht der schönste Zug in ihrem Wesen. Dabei bleibt Gudrun als Königin und als Wäscherin immer ganz Frau, voll zarten Gefühls für Schicklichkeit und Scham. Wie im Nibelungenlied tritt in die Mitte der Dichtung die Frau und ihre Treue und ihre große Liebe — aber wie weich ist Gudrun und, trotz allen Stolzes und aller Herbheit, wie rührend, im Vergleich mit Kriemhild. Wenn auch die Kunst, Helden und Heldinnen zu schildern, auf dem Boden der alten germanischen Heldendichtung aufblüht, wie anders, wie viel mittelalterlicher, ist diese Kunst geworden! Früher wenige Helden, in Wesen und Tat, in Stellung und Gegenüberstellung immer dieselben, dem ehernen Gebot unverbrüchlicher Sitte unterworfen, Opfer des Schicksals und doch stolz und frei, größer als das Leben, monumental eher als menschlich. Die nordische Dichtung begnügt sich noch längere Zeit mit den wenigen Linien und mit der alten strengen Ordnung und Zeichnung , im deutschen Mittelalter umgeben die Ritter ihre königlichen Herren leichter und vielfältiger, malerischer und oft in froher Begleitschaft, dem Abenteuer zugänglicher als dem alten Heldentum; die Tafelrunde des Artus ist das Ideal, nicht das todbereite, schweigsame und gemessene Gefolge des germanischen Königs. — Und richten wir den Blick auf die Frauen: man vergleiche einmal die Hilde in der nordischen Dichtung und die Hilde der Gudrun, dann sieht man sofort die gleichen Umbildungen.Hetel ist dänischer König und sein Reich erstreckt sich weit über Nord- und Ostsee. Es entspricht ungefähr dem Dänemark vom Ende des neunten Jahrhunderts. Damals herrschte Dänemark in England und unternahm Beutezüge nach Irland. Hagen aber, Hildes Vater, ist irischer König. Horand und Frute sind dänische Helden, Frute ursprünglich der freigebige und milde dänische König Frodi. Wo Sass Mark Stürmen liegt, ob bei Berden oder in Holstein, ist ungewiß.
Diese Namen und Orte weisen, soweit sie sicher sind, auf die Dänen des neunten und zehnten Jahrhunderts und auf ihre Kämpfe mit germanischen Völkern und mit den Iren. Die noch unsicheren Namen widersprechen diesen Zeugnissen nicht.
Von Hetel und Hilde erzählt nun der Isländer Snorri:
Ein König, der Hagen genannt ist, hatte eine Tochter, die Hild hieß; sie nahm als Kriegsbeute ein König, der Hedin hieß, der Sohn des Hjarrandi. Da war der König grade gefahren zu einer Königsversammlung. Aber als er erfuhr, daß in seinem Reiche geheert war und seine Tochter fortgenommen, da machte er sich mit seinen Mannen auf, um Hedin zu suchen und erfuhr über ihn, daß er nach dem Norden zu entlang der Küste gefahren sei. Als der König Hagen nach Norwegen kam, erfuhr er, daß Hedin weitergesegelt sei, nach Westen, da segelte Hagen ihm immer nach, bis zu den Orkney-Inseln, und als er dorthin kam zu der Insel, die Haey heißt, da lag Hedin und sein Gefolge vor ihm. Nun fuhr Hild zur Begegnung mit ihrem Vater und bot ihm einen Vergleich an von Hedins Seite, aber in demselben Atem sagte sie, daß Hedin zum Schlagen bereit sei und Hagen solle sich keine Hoffnung darauf machen, er werde ihn irgendwie schonen. Hagen antwortete kurz seiner Tochter; aber als sie zu Hedin zurückkehrte, sagte sie ihm, daß Hagen keinen Vergleich wollte und bat ihn, sich zum Kampfe zu rüsten. Das tun sie nun beide, sie gehen auf die Insel und ihre Heere folgen. Da ruft Hedin den Hagen an als seinen Verwandten und bietet ihm einen Vergleich und viel Gold als Buße. Hagen antwortet: "Zu spät botest du das, wenn du einen Vergleich willst, denn nun habe ich Dainsleif, das Schwert aus der Scheide gezogen , das die Zwerge machten, das eines Mannes Mörder werden soll, jedesmal daß es entblößt wird und niemals verfehlt es einen Hieb und die Wunde wächst nicht zu, die es schlägt." Da antwortet Hedin: "Du rühmst dich des Schwertes, aber nicht des Sieges, mir ist jede Waffe gut, die dem Herrn gehorcht." So begannen sie den Kampf, der der Kampf der Hjadninge genannt wird, und schlugen sich den ganzen Tag und am Abend gingen die Könige zu ihren Schiffen. Aber Hild ging in der Nacht auf die Walstatt und weckte sie auf durch Zauberei, alle, die tot waren, und den andern Tag gingen die Könige zum Kampfplatz und schlugen sich und ebenso alle, die am vorigen Tag gefallen waren. So ging dieser Kampf einen Tag nach dem anderen, daß
alle Männer fielen und alle Waffen, die auf dem Kampfplatz lagen, zu Steinen wurden. Aber als es tagte, standen alle toten Männer auf und schlugen sich, und alle Waffen wurden neu. So ist es gesagt in den Gedichten, daß die Hjadninge so die Götterdämmerung erwarten.Die Sage von Hetel und Hilde ist uns vom neunten bis zum vierzehnten Jahrhundert in nordischen Ländern bezeugt, wurde also gern erzählt und besungen. Ihre Größe und Wildheit macht das leicht verständlich. Wir finden die Sage in der Skaldendichtung, in Anspielungen bei Sato Grammaticus, in der isländischen Saga und schließlich in Balladen. Sogar eine Ballade, die 1774 ein schottischer Reisender auf den Shetlandinseln hörte, bewahrt eine Erinnerung daran, vermischt sie allerdings mit anderen Erinnerungen, z. B. mit solchen aus den Liedern von den Nibelungen und von Hagbard und Signe. Genau stimmen die anderen Berichte nicht immer mit denen von Snorri überein. Aber die Abweichungen geben sich meist als Zutaten späterer Erzähler leicht zu erkennen. Zum Beispiel hat Saxo, indem ihn die Erinnerung an einen anderen Kampf verwirrte, den Kampf von Hedin und Hagen verdoppelt, und er hat seine Erzählung mit Motiven aus dänischen Liebessagen vermischt. Eine späte isländische Saga, aus dem vierzehnten Jahrhundert, der Sörla Thatt, fabelt, die Göttin Freya hätte den Kampf zwischen den Hjadningen heraufbeschworen , um den Odhin zu versöhnen, dem sie die Treue gebrochen. Bei diesen beiden Gewährsmännern sind Hagen und Hedin, wie viele Helden der isländischen Saga, bevor sie sich verfeinden, Blutbrüder; der Schauplatz des Kampfes lag wohl ursprünglich in Dänemark; Saxo verlegt ihn nach Hithinsö, Hiddensee.
In dem Bericht von Snorri erscheint dem ersten Blick und auch vielen Forschern der ewige Kampf der Hjadninge als das Älteste und Mythische. Wer genauer zusieht, erkennt, daß in der Erzählung von diesem Kampf die unersättliche Kampflust der
Wikinger sich zeigt und ihr Hang, eine alte einfache tragische Sage in das Phantastische zu .erhöhen, in das Endlose zu erweitern. Das Ganze klingt eher nach keltischer als nach germanischer Phantasie: ist es ein irisches Beutestück im Schatz der Wikingerdichtung? Im Bericht von Snorri ist außerdem manches sonderbar , er hat vergessen, daß ursprünglich die Seelen der Gefallenen , sie allein, in jeder Nacht, und nur nachts weiter kämpfen. Die ganze Erzählung von dem ewigen Kampf ist eigentlich eine Erzählung für sich, hängt mit der Hildesage gar nicht zusammen und wurde erst im Nordischen, schwerlich vor dem elften Jahrhundert und wahrscheinlich in Island, mit der Hildesage verbunden . —Auch die Geschichte oon dem unheilbringenden Schwerte Hagens ist nicht heroisch, sondern eine der schönen und finsteren Erfindungen, die gerade die isländische Saga liebt, wir denken etwa an die Herwararsaga.Trennen wir beides ab, so steht die Dichtung vor uns, daß Hedin die Hilde liebt, daß sie seine Liebe erwidert und ihrem Vater zum Trotz ihm folgt. Ihr Geliebter raubt sie, ihr Vater verfolgt das Paar, Vater und Geliebter kämpfen miteinander und fallen beide, sie bleibt einsam zurück. In dieser Gestalt ist die Dichtung eine Schwester der dänischen von Hagbard und Signe und der dänischen von Helgi und Sigrun. Ein dänischer Dichter des neunten Jahrhunderts hat sie ausgeprägt, von Dänemark ist sie nördlich Nach Island, südlich nach Deutschland gewandert.
Da der Widsith die Namen von Hagen (Hagena) Hedin (Heoden) und Wate (Wada) unmittelbar nebeneinander nennt, ist es wahrscheinlich, daß die Anfänge der Hildesage aus der germanischen Zeit stammen. Widsith nennt auch die Reiche, die diese Fürsten beherrschten. Die Namen weisen auf das Ostseegebiet. Die Holmryger, deren Herr Hagen ist, sind die alten Ulmerugier an der Weichselmündung, die Glommen, das Volk des Heoden, sind ihnen benachbart, gegenüber den Ulmerugiern lagen die Haelsingen,
das Volk des Wate, man denke an Helsingfors, Helsingör , Helsingborg. Von der Ostsee wanderte die Dichtung nach England und zu den Dänen, die Ereignisse der Wikingerzeit hauchten ihr neues Leben ein, das Leben, das wir kennen. In dem deutschen Gedicht ist der alte tragische Ausgang nicht wie im Nordischen in das Mythische und Endlose gesteigert, sondern wie im Waltharius in einen ritterlichen Kampf verwandelt, in dem die Gegner Kraft und Kunst zeigen, sich Verwundungen beibringen , nach derber Scheltrede einander die Hände schütteln und sich der Frau in ihrer Mitte freuen. Außerdem ist die Dichtung bereichert durch Frute und Horant.Frute wäre leicht zu entbehren. Die Spielleute, denen ein freigebiger König immer willkommen war, haben einen der freigebigsten und reichsten — denn das war Frute — natürlich mit besonderem Wohlbehagen in ihre Dichtung eingefügt.
Der Name Horand klingt an das Altenglische Heorrenda an — dieser Sänger hat den Deor, den Sänger der Hedeningen, aus der Gunst seines Herrn verdrängt — und an das Nordische Hjarrandi. Im Nordischen ist Hjarrgndi der Vater Hedins und erscheint auch einmal als ein Beiname des Gottes Odhin. Hjarrandi war, wie der Klang vermuten läßt, ein Sängername. Im Horand der Gudrun scheint uns zweierlei verschmolzen: der germanische Sänger, im Königsdienst und königlich belohnt, wie der altenglische Heorrenda, der nordische Hjarni — und der Bote, der, dem Befehl seines königlichen oder göttlichen Herrn gehorchend, durch seine Kunst, oder seinen Gesang, oder seine List, oder seine Zaubergewalt die Liebe eines Mädchens gewinnt. Wir erinnern an Skirm, der für Frey um Gerd wirbt, an Odhins Werbung um Rind. Diesem Boten geben die Spielleute ihre Kunst und ihre List.
Wate, den der Widsith und den das Gedicht von Hetel und Hilde kennen, in seiner unbändigen Kampflust, in der Vorbildlichkeit
seines Heldentums, erinnert wieder an einen dänischen Helden, an den Starkad. Wie jener steht er als erprobter und ergrauter Krieger dem jungen König bei, er hält auch seiner Gemahlin und seinen Kindern unverrückbar die Treue. Wie jener ist er unerbittlich in der Rache und erschlägt sogar die Kinder, damit sie nicht heranwachsen. Die Ähnlichkeiten reichen noch weiter, wie Starkad wurde Wate in späteren Sagen mit einem Wasserriesen verschmolzen, den die deutschen meeranwohnenden Stämme kannten. Dem deutschen Dichter der Gudrun erscheint dieser alte Held gar zu wild, er hält ihn zurück und entreißt ihm seine Opfer, damit er nicht gar so vernichtend wüte. Er gibt auch seinem Wesen, wie wir gesehen haben, eine hübsche Kindlichkeit . Da die altenglische Dichtung den Wate und den Horand in die Nähe des Hetel stellten, dürfen wir vermuten, daß schon im germanischen Lied Wate der Freund und Führer des Hetel war und daß Horand ihm als Werber seine Dienste leistete. Der dänische Dichter hätte dann den Reichtum der Helden und Begebnisse absichtlich eingeschränkt, der deutsche hätte ihn erweitert .Die Gudrun fassen manche Forscher als Schößling und Fortbildung der Hildedichtung auf: wie dort raube der Liebhaber in Abwesenheit des Vaters die Geliebte, der Vater verfolge ihn, hole ihn ein und auf einer Insel werde gekämpft. — Die Werbungsgeschichten und die Kämpfe der Gudrun galten auch uns als Steigerung und Erweiterung der Geschichte von Hetel und Hilde im spielmännischen Sinn. Wir sehen dem Spielmann in der Gudrun auch sonst in seine lustigen und übermütigen Augen. Wenn er z. B. den Siegfried von Morland schildert, der in den interessantesten und entlegensten Ländern herrscht, und der, ein armer Mohr, im Schweiße seines Angesichts und doch umsonst turniert, oder wenn er betont, der König Hetel hätte sich von überall her die schönsten Mädchen an seinen Hof geholt, und das
natürlich nur, damit seine Frau, die Königin Hilde, die rechte Augenweide hätte.Doch gerade solche spielmännischen Züge sind späte Arabesken, ebenso wie die Ausmalung der Gudrun in das Märchenhafte, in die Kunst des Volksliedes und der Ballade. Die böse Gerlint quält die Gudrun wie die Stiefmutter das Aschenbrödel, die Gudrun leidet wie die brave und schöne Stieftochter des Märchens, ein Vogel tröstet sie und verheißt ihr Hilfe, wie die hilfreichen Tiere im Märchen sich der armen und unschuldigen Kinder erbarmen, die arme Wäscherin wird durch den stollen Bruder von ihrer bösen Herrin befreit, wie es auch das Volkslied tröstlich schildert — und der Schwan, ein Wunderbote aus dem Jenseits, königlich einer Königstochter nahend und ihr ein königliches Los verheißend, gehört doch in die zauberhafte Ballade . — Nicht eine, sondern ein ganzes Geflecht von Werbungsfabeln webt und entwirrt am Ende vor uns der Dichter; eine vergleichbare Vielfältigkeit zeigte uns nur die späte Einleitung eines späten nordischen Gedichtes, des Gedichtes von Helgi, dem Sohn Hjörwards (S. 178 f.).
Auch Gegensätze und Widersprüche in der Gudrun verraten uns, daß sie ihre endgültige Form in einer spätem Zeit erhielt; besonders zeigen das die Angaben über Herwig. Bald soll er ein mächtiger König, bald ein Held niederer Herkunft sein, statt den Räuber seiner Frau zu verfolgen und zu erschlagen, rät er nach dem Tod Hetels, den Kampf abzubrechen, und dann muß ihn Frau Hilde zur Rache treiben, und dann erschlägt er nicht seinen Nebenbuhler, sondern befreit ihn aus Wates Hand — Aber auch Ortwin, der Sohn Hotels, überrascht uns: warum treibt er nicht unablässig zur Rache für Hetel an und warum wird er nicht von Wate unablässig dazu getrieben? Und warum wird Hartmut durch den alten Ludwig so verdunkelt?
Eine Auflösung dieser Widersprüche und Befremdlichkeiten ist
noch nicht gelungen. — Ist nun an der Gudrun alles spielmännisch , Märchen- und Volkslied- und Balladenkunst, oder ist sie die Umdichtung einer älteren heroischen Fabel?Siegfried von Morland ist in der Geschichte nachgewiesen als ein Dänenfürst, der im neunten Jahrhundert in Frankreich und in den Niederlanden einfiel und im Kampf gegen die Friesen seinen Tod fand. Hartmut und Ludwig heißen Normannen: die Normannen hatten enge Beziehungen zu England im zehnten Jahrhundert und dies war Dänemark untertan. Der Wülpenwert, der Schauplatz der Schlacht zwischen Hetel und den Normannen , ist bei der Scheldemündung im westlichen Friesland nachgewiesen (Wulp heißt ein Brachvogel, der in der Gegend dort nistet). Herwig dürfen wir vielleicht in Seeland ansiedeln. Diese Namen weisen also wieder auf das neunte und zehnte Jahrhundert und auf die Dänen und auf ihre Kämpfe mit Friesen und Normannen.
Die Gudrun ist außerdem, wie wir wiederholt andeuteten, mit dänischen Dichtungen des zehnten Jahrhunderts eng verwandt . — Gudrun selbst entscheidet zwischen ihren Werbern wie Signe und Sigrun, wie Signe teilt sie Leiden und Freuden mit ihren Jungfrauen, sie triumphiert über Gerlint ähnlich wie Hagbard über Signes Mutter, sie tröstet edelmütig den Hartmut wie die Sigrun den Hödbrodd, ihr gilt wie den dänischen Heldinnen Königtum wenig und Heldentum alles. Auch die Charakterisierung der Gudrun, ihre feine Ausmalung, erinnert an die dänische Kunst.
Wir glauben also, daß die Vorlage für unsern Spielmann auf ein dänisches Gedicht des zehnten Jahrhunderts zurückweist, ein Gedicht von der Entführung einer Frau, der Verfolgung des Entführers, die zu heftigen tragischen Kämpfen führte, vom Leiden der Frau in der Fremde und von ihrer Rückkehr in die Heimat. Dies Gedicht war dem von Hetel und Hilde verwandt,
aber stärker und widerstandsfähiger in seinen heroischen Elementen . Noch unsre Gudrun kennt keine List bei der Entführung, sondern Raub und Kampf, das tragische Ende, der Tod Hetels, und der tragische Zwang, die Rache, sind noch nicht vergessen. Grade das unterscheidet im künstterischen Sinn unsre altdeutsche Dichtung von Hetel und Hilde von der altdeutschen Gudrun. Hetel und Hilde sind ganz und gar Spielmannsgedicht geworden, in der Gudrun ist das Spielmännische etwas gewaltsam, zu absichtlich und zu vielfältig auf ein altes heroisches Gedicht aufgetragen.Der Kern der dänischen Gudrun des zehnten Jahrhunderts war also nicht eine heroische Werbungsfabel, sondern mehr: nach der Entführung ein Kampf mit tragischem Ausgang, das Leiden der Entführten nider Fremde, die Rache an dem Entführer, die Rückkehr der Entführten in die Heimat. Wie die geknechteten Fenja und Menja im Mühlenlied stählte sich Gudrun durch ihr Leid, das sie in der Fremde ertrug, und die Rückkehr zu den Ihren vergleicht sich, wie wir schon hörten, ehesten dem Schicksal der Hildburg m der alten englischen Dichtung vom Kampf um Finnsburg (S. 43). In dieser kämpften Dänen und Friesen; Hetel aber ist ein Däne, der Wülpenwert liegt in Friesland, Siegfried von Morland war ein Däne und fiel bei den Friesen, Herwig ist wieder ein Däne, im dänisch friesischen Umkreis ist also die Dichtung geblieben, und es scheint ein merkwürdiger Zufall, daß noch in der Gudrun plötzlich eine Hildburg dem Fürsten des Feindes die Hand reicht.
Aus germanischen und dänischen Elementen ist also, wie wir glauben, die Gudrun wie auch die Hilde entstanden, im deutschen Mittelalter hat sis ein Spielmann umgedichtet.
Unsere Gudrun ist in Bayern aufgezeichnet worden. Ob auch ein Bayer die Gedichte von Hilde und Gudrun, die von Dänemark und Niederdeutschland her rheinaufwärts wanderten, erweitert , verbunden und verschmolzen hat? Wir wissen es nicht.
Bekannt ist uns nur, daß ein rheinischer Dichter aus dem ersten Drittel des zwölften Jahrhunderts, der Pfaffe Lamprecht, der allerdings vieles durcheinanderrührt, noch den tragischen Ausgang des Kampfes von Hetel und Hilde kennt. Doch er verlegt diesen Kampf auf den Wülpenwert, der doch in dem späteren Gedicht der Schauplatz des Kampfes um die Gudrun war. Namen aus der Gudrun sind uns dann in Bayern seit dem zwölften Jahrhundert bezeugt.Die Zeitgenossen haben die Gudrun nicht so geliebt und geschätzt wie wir. Wahrscheinlich ist sie ihnen nicht bunt und abenteuerlich genug gewesen, zu fest gefügt und gerade durch ihren alten heroischen Inhalt doch zu eintönig; sie liebten wohl nicht diese sich ewig wiederholenden und im Grunde einander so ähnlichen Entführungen und Kämpfe. Erst im neunzehnten Jahrhundert haben sich die Augen für die Kunst der Gudrun geöffnet; seine Forscher haben freilich lange Zeit hindurch ihren heroischen Gehalt überschätzt, ihre mittelalterliche Art verkannt. —
Nun hat auch unsre Wanderung durch die Heldendichtung des deutschen Mittelalters, soweit sie außerhalb des Nibelungenliedes liegt, glücklich ein Ende. Es war kein ganz einfacher Weg, er führte durch allzu dichte Wirrnis der Abenteuer. Wie mühselig aber wäre die Fahrt erst geworden, hätten wir unsre Leser durch alle Schlachten und durch alle ärmlichen Erfindungen der Epen von Dietrich von Bern oder durch alle Erlebnisse des Wolfdietrich geschleppt. So fanden wir in der bunten Fülle der Geschichten , in der kindlichen Einfalt und Unschuld des Märchens und der Legende und in der heiteren Freude am Fabulieren reichen Ersatz für die Verluste im Heldenhaften. Wie froh ist doch das Mittelalter über seine Mären, und wie gern und viel und hübsch hat es manchmal erzählt, dieselbe Zeit, die man immer noch die finstere nennen hört, und die so viel bunter, heiterer und kindlicher war als die strenge und unbarmherzige Zeit der Völkerwanderung.
Es war natürlich, daß in diesem Mittelalter die Heldensage viel von ihrem heroischen Charakter verlor. Seltsam erscheint es uns freilich, daß in unsrer überlieferung gerade ein Geistlicher als erster den Weg geht, der von der Dichtung, die stählen und hart machen will, führt zu der anderen, die nur die Unterhaltung liebt. Unter der bunten Decke der mittelalterlichen Fabeleien zogen wir aber manchmal noch das alte Heldentum hervor und erkannten, daß es in manchen Helden und Heldinnen, wie im Dietrich von Bern und in der Gudrun, rein und groß blieb wie in den alten Tagen, ja daß es sich läuterte. Bei der Gudrun hat sich unsre Kenntnis der alten Sagen und Lieder sogar .bereichert.Die Nibelungensage ist von allen germanischen Heldensagen die reichste. Manche Stämme haben ihre besten Helden ihr gegeben, die Franken, die Burgunden, die Goten. Dazu gewann der hunnische König Attila gerade für diese Sage eine große Bedeutung. Die Ausdehnung der Sage erstreckt sich über einen größeren Raum als die irgendeiner anderen, die nordischen Nibelungenlieder sind über Dänemark und Island hinaus zu den Färöischen Inseln und nach Grönland gedrungen, die deutsche Nibelungensage erhielt in Österreich ihre künstlerische Vollendung, uns erscheint die Sage und Dichtung von den Nibelungen dadurch wie ein Symbol für die Einheit aller germanischen Völker. Auch der Zeugnisse aus der bildenden Kunst sind bei der Nibelungensage mehr, besonders im Norden, als bei anderen germanischen Heidensagen.
Die Dichtungen, die den Nibelungen gelten, überragen an umfang die anderen Heldenlieder und Heldenepen weit und noch weiter übertreffen sie diese an Vielfältigkeit und Bedeutung des Stoffes. Wir haben in der Edda eine große Anzahl von Nibelungenliedern , die Nibelungensage und ihre Vorgeschichte finden wir in verschiedenen Auszügen in Prosa und in der isländischen Wölsungensaga, ein großer Teil der niederdeutschen Thidreksaga ist wieder der Nibelungensage gewidmet. In Deutschland haben wir, wenn wir von manchen Fortsetzungen und Anspielungen absehen, das Nibelungenlied und das Lied vom Hürnen Seyfried.
Die ältesten germanischen Nibelungenlieder sangen die Sänger des sechsten oder siebenten Jahrhunderts. Die nordischen Nibelungenlieder reichen dann vom neunten bis in das dreizehnte Jahrhundert. Die Sagas führen bis in das vierzehnte Jahrhundert . Das deutsche Nibelungenlied entstand um die Wende
5. Die Nibelungensage und das Nibelungenlied
des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts, wurde dann erweitert
und immer von neuem abgeschrieben bis in das fünfzehnte Jahrhundert
hinein, das Lied vom Hürnen Seyfried wurde im sechzehnten
Jahrhundert aufgezeichnet, jedoch viel früher, vielleicht im
dreizehnten Jahrhundert, gedichtet.Ein ganzes Jahrtausend hindurch also zog die Nibelungensage die Dichter zu sich und lebte und bildete sich um. Das Volksbuch vom hürnen Seyfrred wurde bis ins neunzehnte Jahrhundert verkauft, Lieder von Siegfried und Brünhild sang man auf den Färöern bis in unsre Tage. Aus den nordischen Nibelungenliedern läßt sich die ganze Geschichte der nordischen Heldendichtung erkennen, von ihren germanischen Anfängen zur wilden und starren Tragik und dann zum strahlenden Glanz der Wikingerzeit, der Übergang zur seelischen Vertiefung, zur Melancholie und Klage und zur Gelehrsamkeit und der Fabulierfreude des mittelalterlichen Island. Das deutsche Nibelungenlied ist wieder aus der Verbindung des alten Heldentums mit dem Christentum und Rittertum und der Spielmannsdichtung hervorgegangen. Aber seine innere Größe und Würde stehen hoch über allen anderen Dichtungen dieser Art, hoch sogar über der Gudrun und seine Helden bewahren im Kampf und Tod, in Treue und Tücke viel reiner die Heldenart der Vorfahren. Dies mächtige, lange und wunderbare Leben war wiederum keiner anderen germanischen Heldensage beschieden.
Eine so unendlich reiche und vielgestaltige Sage und Dichtung muß unsre Erkenntnis vom germanischen Heldentum und von der germanischen Heldendichtung überall ausdehnen, befestigen und vertiefen. Auf neuen und alten Wegen führt sie uns in die Seele unsres Heldentums und dies ist, wie bei keiner anderen Sage das aller germanischen Stämme von ihren Anfängen bis zum Verklingen des Mittelalters. Aber diese Gedichte stellen die Forschung auch vor ganz neue und schwere Aufgaben. Eine Verschmelzung
des Mythischen und Heroischen von der Art, die uns die Dichtung von Siegfried zeigt, kennt eine andere germanische Dichtung nicht. Gerade aber weil sie, als Werk eines Dichters betrachtet, wunderbar gelang, steht der Forscher, der das Verbundene scheiden und die Kunst der Verbindung erkennen möchte, vor einem fast unlösbaren Problem. Das Material aber für die Nibelungensage hat wegen seines Reichtums viele Tücken und Gefahren, die wir wiederum bei anderen Sagen überhaupt nicht, oder nicht in diesem Maße finden. Aus dem Gewirr ähnlicher oder sich kreuzender Berichte über die gleichen Begebenheiten das Ursprüngliche herauszulösen, und die Art und den Grund der Änderungen zu bestimmen, will manchmal gar nicht gelingen, manchmal ist es erst nach unsäglichen Schwierigkeiten gelungen. An anderen Stellen aber läßt uns das Material im Stich. Die einzige Handschrift, die uns die ältere Edda überliefert, hat ihre große Lücke, der alten Handschrift fehlen einige Blätter, grade mitten in den Nibelungenliedern. Erst vor wenigen Jahrzehnten vermochte die Forschung vor allem auf Grund einer ziemlich verwirrten Wiedergabe dieser Lieder in der Wölsungensaga ihren Inhalt zu ermitteln. Schließlich hat sich die Wissenschaft — und daran war allerdings sie selbst, viel weniger ihr Material schuld —die Erkenntnis des deutschen Nibelungenliedes und unsrer Heldendichtung erschwert. Sie wandte nämlich ihren ganzen Scharfsinn und ihre ganze Gelehrsamkeit vor allen Dingen der überlieferung des Nibelungenliedes und seinen mittelalterlichen Handschriften zu. Außerdem vertiefte sie sich leidenschaftlich und erbittert in die Frage, wie wohl das Nibelungenlied sich aus einzelnen epischen Liedern zusammengesetzt haben möchte, untersuchte dabei aber nicht die reiche germanische überlieferung an Heldenliedern, die ihr die besten Aufschlüsse geben konnte, sondern ließ sich durch klassische, und dazu noch falsch aufgefaßte Vorbilder in die Irre führen. Sie erklärte das Unbekannte durch das Unbekanntere, während das Bekannte ihr dicht vor Augen lag.Wir deuten alle diese Schwierigkeiten an, weil aus ihnen die Art unserer Behandlung der Nibelungensage und des Nibelungenliedes sich ergibt; sie erklären auch, warum wir noch vor manchen umstrittenen, ungekösten und unlösbaren Fragen stehen. - Weniger noch als je vorher können wir alle einzelnen Ableitungen und Widersprüche der Nibelungensage hier ausbreiten und weniger als je allen Gängen und Irrgängen der Forschung folgen . Bei dem verwirrenden Reichtum gelten besonders streng die Forderungen der Klarheit und Konzentration. Wir wonen, immer im Anschluß an die bekanntesten oder übersichtlichsten Fassungen, zuerst die Nibelungensage selbst erzählen wie sie das Mittelalter uns gedichtet und hinterlassen hat. Bei der nordischen halten wir uns an die Wöfsungensaga und an den Bericht des Snorri, bei der deutschen an das deutsche Nibelungenlied. Alsdann versuchen wir auf Grund dieser Berichte und anderer wertvoller alter Zeugnisse , auf Grund auch der Erkenntnisse der Forschung, die uns als gesichert oder wahrscheinlich gelten, die stufenweise Entwicklung der Dichtung aus den germanischen Anfängen zu schildern. Dabei verweilen wir bei der künstlerischen Besonderheit und Größe der nordischen und deutschen Nibelungendichtungen und suchen zusammenfassend zu sagen, was sie für unser germanisches Heldentum bedeuten.
1. Die nordischen Sagen von den Nibelungen.
Die nordischen Berichte über die Nibelungen erzählen die Geschichte von Siegfrieds Vorfahren (im Nordischen heißt der deutsche Siegfried Sigurd und gehört zum Geschlecht der Wölsungen) und die Geschichte von dem unheilvollen Ring, der über Götter und Riesen und über Sigurd Fluch, Kampf und Untergang brachte. Beide Erzählungen fehlen in der deutschen Nibelungensage.
Der Inhalt der Geschichte der Wölsungen ist nach der Wöksungensaga dieser:
Sigi war der Sohn Odhins. Auf der Jagd erschlug er den Knecht des Skadi, weil dieser, was sich für den Knecht nicht zieme, glücklicher und erfolgreicher jagte, als Sigi selbst, und er legte den Toten auf einen Schneehaufen. Da nannten sie den Sigi den Wolf im Heiligtum und er mußte mit seinem Vater Odhin fliehen, weit fort in ein anderes Land. Dort verschaffte ihm Odhin Sieg und Glück. Sigi aber nahm ein Weib, herrschte über das Hunnenland und wurde ein reicher und mächtiger König und großer Held. Sein Sohn hieß Reri und wurde bald groß und stark.
Am Ende seines Lebens stellten dem Sigi die nach, die ihm die nächsten waren und die ihm seine Macht mißgönnten, das waren die Brüder seiner Frau. Als er sich dessen am wenigsten versah und nur ein kleines Gefolge um sich hatte, überfielen sie ihn und erschlugen ihn und die Seinen. Reri aber, der bei dem überfall nicht war, sammelte um sich ein großes Gefolge von Freunden und Landeshäuptlingen, vermehrte seine Macht und rächte dann den Tod seines Vaters, er ruhte nicht, bis er alle Mörder erschlagen hatte.
Dann nahm sich Reri ein Weib. Aber lange waren sie zusammen und hatten weder Erben noch Kind. Das schien ihnen beiden schlimm und sie baten die Götter sehr innig, daß sie ihnen ein Kind gäben. Frigg und Odhin erhörten ihre Bitte und eine Walküre brachte auf Geheiß des Gottes, in eine Krähe verwandelt, dem Reri einen Apfel, den gab er seiner Frau. Sie fühlte sich schwanger, als sie davon gekostet kostet; nun muhte Reri auf eine Heerfahrt ziehen; er wurde krank dabei und der Tod nahm ihn. Sein Weib aber trug ihren Sohn sechs Jahre, er mußte aus ihrem Leib geschnitten werden und war sehr groß und stark, er küßte noch die Mutter und dann starb sie.
Dieser Sohn hieß Wölsung. Dem schickte, als er herangewachsen war, Odhin die Walküre zum Weibe, die seinem Vater den Apfel gebracht Sie hatten zehn Söhne und eine Tochter. Der älteste Sohn hieß Siegmund, die Tochter Signy, und sie waren Zwillinge und waren die herrlichsten und schönsten von Wölsungs Kindern. Die Wölsungen aber überragten alle anderen Geschlechter an Klugheit, Begabung und Kampflust.
Wölsung ließ eine schöne Halle erbauen, darin stand eine große Eiche und ihre Zweige breiteten ihre Blätter über das Dach der Halle. v. b. Leyen, Sagenbuch II 17
Siggeir war ein mächtiger König über Gautland, er freite um Signy. Sie wollte ihm nicht folgen, fügte sich aber dem Wunsch ihres Vaters und ihrer Brüder. Wölsung rüstete zur Hochzeit ein würdiges Mahl. Des Abends, als die Männer bei den Feuern saßen, ging ein Mann in die Halle hinein, den kannte keiner der Helden, er trug einen gefleckten Mantel, hatte bloße Füße und eine Leinenhose um das Bein. Er hielt ein Schwert in der Hand und ein breiter Hut bedeckte sein Gesicht. Er war groß und einäugig. Da schwang er sein Schwert und stieß es in den Baumstamm, daß es bis zum Griff darin haftete, allen Helden entfielen die Worte, als sie diesen Mann sahen. Der Mann sagte, daß der die beste Waffe sich gewinnen würde, der dies Schwert aus dem Baum ziehen könne. Dann ging er heraus, keiner wußte, woher er kam und wohin er ging. Nun drängten sich alle um das Schwert. Bei keinem von allen rührte es sich, die daran rissen. Siegmund aber zog es heraus, als hätte es lose für ihn im Baum gelegen. Siggeir bot ihm das dreifache Gewicht des Schwertes in Gold, aber Siegmund sagte, er hätte das Schwert ja selbst herausziehen können, wenn es ihm gebührte, und er gebe es nicht für alles Gold Siggeirs her. Dieser wurde zornig, doch er verstellte sich. Am nächsten Morgen aber fuhr er, entgegen dem Brauche, in die Heimat zurück und lud Wölsung und seine Söhne ein, sie möchten ihn in drei Monaten besuchen. Signy mußte dem Gemahl folgen, obwohl sie ahnte, daß aus dieser Verbindung Unheil wachsen würde und obwohl sie den Vater bat, die Ehe aufzugeben.
Wölsung und seine Söhne fuhren zu Siggeir. Als sie abends gelandet waren, kam Signy ihnen entgegen und warnte sie, Siggeir habe verräterisch ein großes Heer gegen sie versammelt, sie sollten zurückfahren und mit einem ebenso großen Heere wiederkommen. Wölsung aber wollte sein Versprechen halten, er habe den Eid geschworen, er wolle weder Feuer noch Eisen fliehen, und habe ihn bis ins Alter nicht gebrochen, seinen Söhnen sollte man Todesfurcht nicht vorwerfen, hundertmal habe er gekämpft und immer gesiegt und niemand solle das hören, daß er fliehe oder um Frieden bitte.
Wölsung schickte auch Signy, die bei ihm bleiben wollte, zu ihrem Gemahl zurück.
Am nächsten Morgen begann der Kampf, achtmal schlugen sich Wölsung und die Seinen durch die übermacht der Feinde, dann wurde Wölsung erschlagen und seine Söhne gefangen. Weil Signy es wollte,
gehorchte Siggeir ihrem rasenden Zorn. Er ließ die Brüder in einen Stock setzen (das ist ein gespaltener Baumstamm, in dessen Innern Löcher für die Füße sind). So sollten sie im einsamen Walde verhungern . Um Mitternacht kam eine Wölfin aus dem Wald und tötete und verzehrte einen der Brüder und so auch die acht anderen. Dem Siegmund aber ließ Signy das Antlitz mit Honig bestreichen, da beleckte ihn die Wölfin und fuhr ihm mit der Junge in den Mund und da biß ihr Siegmund in die Zunge und hielt sich so fest an ihr, daß die Füße aus dem Stock frei wurden, dann riß er dem Untier die Junge aus den Wurzeln, daran starb es. Siegmund aber baute sich auf Signys Rat im Wald ein Erdhaus, darin blieb er und sie gab ihm, was er zum Leben brauchte.Signy schickte dem Bruder ihren älteren Sohn, dem gab Siegmund einen Beutel mit Mehl, er solle daraus Brot bereiten. Der wagte aber nicht, den Beutel zu berühren, weil etwas Lebendiges darin sei. Siegmund sah nun, daß er Furcht hatte und schickte ihn der Schwester zurück. Auf deren Geheiß erschlug Siegmund dann den Burschen und ebenso erging es seinem jüngeren Bruder.
Signy tauschte mit einer Zauberfrau die Gestalt und ging zum Erdhaus ihres Bruders. Er gewährte ihr Unterkunft und sah sie oft an und sie schien ihm schön und hold. Sie sträubte sich gegen sein Verlangen nicht, als er sagte, daß sie beide in der Nacht auf einem Sager schlafen wollten. Drei Nächte legte er sie zu sich. Signy gebar, als die Zeit gekommen war, einen Knaben, der hieß Sinfjötli und wurde groß und stark und schön und schlug nach der Art der Wölsungen.
Als er zehn Winter alt war, nähte sie ihm den Rock an die Arme, durch Haut und Fleisch hindurch. Die Brüder hatten das ungern ertragen und geschrien, Sinfjötli rührte sich nicht. Dann zog sie ihm den Rock von den Ärmeln, daß ihm das Fleisch in Fetzen folgte, er sagte: gering scheint solche Wunde einem Wölsung. Da schickte sie den Knaben zu Siegmund, der gab auch ihm das Mehl zu bereiten. Dem Knaben schien zuerst, als sei etwas Lebendiges darin, doch er knetete es in den Teig hinein, und da war es eine große, giftige Schlange gewesen.
Siegmund und Sinfjötli zogen durch die Wälder und erschlugen Männer und fristeten davon ihr Leben. Einmal trafen sie in einem Hause zwei Männer mit dicken Goldringen an den Fingern, die schliefen, und über ihnen hingen Wolfshemden, in die fuhren sie hinein und mußten nun Wölfe werden. Sinfjötli half dem Siegmund, als diesem
Männer begegneten. Er selbst aber wehrte sich allein gegen elf Männer, und darüber fiel Siegmund, weil es gegen ihre Verabredung war, in solchen Zorn, daß er dem Sohn in die Gurgel biß und ihn tötete. Dann legte er ihn auf seinen Rücken und trug ihn in das Haus. Da sah er eines Tages, daß ein Hermelin das andere anfiel und es in die Gurgel biß. Das lief in den Wald und legte ein Blatt über die Wunde und das erste Hermelin sprang heil auf und lief davon. Dem Siegmund brachte ein Rabe solch ein Blatt; er legte es dem Sohn über die Wunde, der wurde auch gesund, als sei er nie verwundet gewesen. Dann war die Zeit ihrer Erlösung gekommen, sie verbrannten die Wolfshemden und vollbrachten in Siggeirs Reich manche berühmte Tat.Sinfjötli war nun genug erprobt. Siegmund zog mit ihm zu Siggeir und sie verbargen sich im Hause des Königs in einer Vorstube hinter Bierfässern. Die Königin beriet mit ihnen, daß sie die Rache nachts ausführen sollten. Signy und der König hatten zwei junge Söhne, die spielten mit Goldringen am Boden, einer rollte davon und sie liefen ihm nach. Da sahen sie zwei große und grimmige Männer mit weißen Brünnen und breiten Helmen. Das sagten sie dem König. Als Signy das hörte, nahm sie die Burschen und warf sie dem Siegmund vor; der wollte sie nicht töten, aber Sinfjötli erschlug sie und warf sie in die Halle vor Siggeirs Füße.
Der König schickte seine Helden über sie beide. Nach langer Gegenwehr wurden die Helden überwältigt und gefesselt. Siggeir ließ da einen großen Hügel von Gras und Stein machen, in dessen Mitte wurde eine große Felswand gesetzt und Siegmund auf eine, Sinfjötli auf die andere Seite. Als sie den Hügel zudecken wollten, warf Signy dem Sinfjötli ein Strohbündel zu. Darin war Speise und Siegmunds Schwert. Dessen Spitze trieb Sinfjötli in den Felsen, so daß es auf der anderen Seite herausragte, die ergriff Siegmund und sie zersägten den Felsen, zerschnitten Stein und Eisen und kamen aus dem Hügel heraus.
Im Saale schliefen alle, und sie trugen Holz herbei und zündeten es an. Die Helden erwachten vom Rauche und sahen, daß die Halle über ihnen brannte. Der König fragte, wer das Feuer angelegt. "Das sind wir, mein Schwestersohn und ich," sagte Siegmund, "und nun glauben wir, daß du erfahren mußt, daß noch nicht alle Wölsungen tot, sind." Siegmund bat die Schwester, zu ihm zu kommen, sie aber enthüllte ihm alles, was sie getan, und daß Sinfjötli sein und ihr Kind sei. Sie dürfe nicht länger leben und sterbe so gerne mit König Siggeir,
wie sie ungern mit ihm gelebt. Dann küßte sie noch einmal den Siegmund und den Sinfjötli und ging in die Halle und empfing dort den Tod mit Siggeir und allen seinen Mannen.Siegmund aber ging in sein Reich zurück und vertrieb den König, der sich dort niedergelassen. (Nun erzählt der Sagaschreiber, daß Siegmund sich mit Borghild vermählte, ihr Sohn war Helgi und es folgt dessen uns bekannte Geschichte 172 f. 1. Dann wenden sich die Ereignisse wieder zu den Wölsungen und zu Sinfjötlis Tod, S. 67.)
In hohem Alter warb Siegmund noch um Hjördis, die Tochter des Königs Eylimi. Sein Nebenbuhler war Lyngwi, Hundings Sohn. Eylimi überließ der Tochter die Entscheidung. Sie wählte den berühmtesten , den Siegmund, obwohl er schon ergraut war. Dann überzogen Lyngwi und seine Brüder den Siegmund mit Krieg. Er stritt tapfer gegen die große übermacht und der Sieg schien sich auf seine Seite zu neigen. Doch da trat ein Mann mit einem blauen Mantel und mit einem breiten Hut unter die Kämpfenden. Er hatte nur ein Auge und trug einen Speer in der Hand. Den hielt er dem Siegmund entgegen und als dieser stark darauf schlug, brach sein Schwert in zwei Stücke und sein Heil wandte sich, und er fiel, und der König Eylimi fiel und die meisten seines Gefolges.
Des Nachts ging Hjördis zu Siegmund; der sagte, daß Odhin nicht wolle, daß er länger kämpfe. "Solange es ihm gefiel, hatte ich manchen ruhmreichen Krieg." Die Rache für den Vater der Hjördis sei einem anderen bestimmt. Sie gehe mit einem Kinde, das solle das berühmteste des Geschlechtes werden und sein Ruhm Solle bleiben, solange die Welt bestehe. Für ihn möge sie die Schwertstücke aufheben. Er selbst aber wolle die heimgegangenen Verwandten aufsuchen.
Lyngwi und die Seinen waren, weil sie die versteckte Hjördis und den Schatz der Wölsunge nicht fanden, fortgezogen. Alf, der Sohn Hjalpreks (Hjalprek ist der- Chilperich) kam mit seinen Schiffen zufällig vorbeigefahren und fand die Hjördis und ihre Magd, die ihre Kleider vertauscht hatten. Sie erzählten ihm, was sich begeben und zeigten ihm die Reichtümer. Alf nahm sie und nahm auch die Frauen mit sich. Bald aber ahnte seine Mutter, wer die Herrin und wer die Dienerin war, und als der König beide fragte, woran sie das Nahen des Morgens spürten, antwortete die Magd: daran, daß wir früher viel des Morgens tranken, und daran erwache ich noch jetzt. Hjördis aber sagte: daran, daß mein Ring kühl wird am Morgen, den mir
mein Vater geschenkt. Da war wohl Gold genug, meinte Alf, wo auch die Mägde Ringe trugen und er nahm Hjördis zur Frau. Der Sohn aber, den sie von Siegmund empfangen hatte, war Sigurd.Nun erzählen wir mit den Worten Snorris die Vorgänge der nordischen Nibelungensage:
Es wird erzählt, daß die drei Asen, Loki; Odhin und Höni einmal auszogen, um die Welt zu besichtigen. Sie kamen zu einem Flusse und gingen seinem Wasser nach bis zu einem Wasserfall. In diesem war ein Otter, der im Falle lebte, er hatte aus dem Wasser einen Lachs gefangen und ass ihn blinzelnd. Da hob Loki einen Stein auf und warf ihn nach dem Otter; er traf den Kopf und das Tier war sofort tot. Loki rühmte sich seiner Jagdbeute, da er mit einem Wurfe Otter und Lachs erlangt habe. Die Asen nahmen nun den Otter und den Lachs und trugen ihn mit sich. Bald darauf kamen sie zu einem Gehöft und gingen hinein. Dort wohnte Hreidmar, ein stattlicher Bauer, und er war auch zauberkundig. Die Asen baten ihn, sie für die Seit des Nachtmahls und die nächste Nacht zu beherbergen, ihre Kost, sagten sie, hätten sie selber mitgebracht und zeigten ihm ihre Jagdbeute. Als Hreidmar diese erblickte, rief er seine Söhne Regin und Fafni herbei und sagte ihnen, daß Otr, ihr Bruder, erschlagen sei und auch, wer das getan habe. Nun gingen der Vater und die Söhne auf die Götter los, nahmen sie fest und banden sie und sagten ihnen, der Otter sei Hreidmars Sohn gewesen. Die Asen erboten sich, für ihr Leben so viel Buße zu zahlen, als Hreidmar selbst verlange. Das wurde sofort festgelegt und durch Eide bestärkt. Der Otter wurde darauf abgehäutet, es nahm Hreidmar den Otterbalg und sagte den Asen, daß sie ihn mit rotem Golde füllen und auch außen ganz damit bedecken sollten. Damit wäre dann die Sühne geleistet. Odhin sandte nun den Loki in das Gebiet der Schwarzelben und er kam zu einem Zwerge, der Andwari hieß und so zauberkundig war, daß er zuzeiten als Fisch im Wasser lebte. Loki fing ihn mit den Händen und verlangte, daß er, wenn er sein Leben wolle, alles Gold hergebe, das er in seinem Stein habe. Der Zwerg gab all sein Gold her, als sie zum Stein kamen, und es war recht viel. Doch verbarg er in seiner Hand einen kleinen Goldring. Das sah Loki und verlangte , daß er auch diesen Ring ihm ausliefere. Der Zwerg bat, ihm den nicht zu nehmen, da er durch ihn seinen Besitz wieder mehren könne. Loki aber sagte, er dürfe nicht einen Pfennig nachbehalten, nahm ihm den Ring fort und wandte sich zum Gehen. Da sprach der Zwerg, daß
der Ring jedem, der ihn besitze, den Tod bringen werde. Loki antwortete, das schiene ihm sehr gut, und er sagte, daß der Fluch sich dann bewähren sollte, wenn er selbst den Ring dem übergebe, der ihn haben soll, und wenn dieser ihn annehme. Er ging nun fort und zu Hreidmar zurück und zeigte dem Odhin das Gold. Als dieser den Ring erblickte, schien er ihm überaus schön und er nahm ihn von dem anderen Schatze fort und gab dem Hreidmar das Gold. Der füllte den Otterbalg , so fest er nur konnte, und als er gefüllt war, stellte er ihn aufrecht . Darauf trat Odhin hinzu, der das Fell von außen mit Gold bedecken sollte. Dann rief er den Hreidmar und sagte, er möge kommen und sehen, ob der Balg auch ganz umhüllt sei. Der Bauer sah nach und prüfte sehr genau; er erblickte noch ein Haar von dem Mundbart und bat, auch dies zu bedecken, sonst sei der Vergleich nicht erfüllt. Da zog Odhin den Ring hervor und bedeckte das Barthaar mit ihm und sagte, nun seien sie frei von der Otterbuße. Als nun Odhin seinen Speer ergriffen hatte und Loki seine Schuhe und sie nichts zu fürchten brauchten, da sprach Loki, daß sich das bewähren solle, was Andwari gesprochen habe, daß nämlich der Ring den Tod dem bringe, der ihn habe und so bewährte es sich seitdem.Hreidmar nahm das ganze Gold als Sohnesbuße an sich. Fafni und Regin verlangten aber auch etwas davon, als Buße für ihren Bruder. Hreidmar gönnte ihnen jedoch keinen Pfennig von dem Schatze und darum faßten sie den bösen Rat und töteten ihren Vater. Dann verlangte Regin, daß Fafni das Gold zu zwei gleichen Teilen mit ihm teile. Fafni erwiderte, es sei nicht von ihm zu erwarten, daß er das Sold mit dem Bruder teile, nachdem er den Vater wegen des Goldes erschlug. Er hieß dem Regin, sich davon zu machen, sonst werde es ihm ergehen wie dem Hreidmar. Fafni hatte den Helm, den Hreidmar besaß, genommen und sich ihn aufs Haupt gesetzt, der ward der Schreckenshelm genannt, weil er allen lebenden Wesen, die ihn sähen, Schrecken brachte. Und ebenso nahm er noch das Schwert, das Hrotti heißt. Regin hatte das Schwert Refil und floh. Fafni aber begab sich nach der Gnitaheide und ließ sich dort nieder. Er verwandelte sich in einen Drachen und legte sich auf sein Gold.
Das ist die Geschichte von dem Nibelungenring und nun beginnt die eigentliche Nibelungensage.
Regin begab sich nun zu König djalprek nach Thiod und wurde dessen Schmied. Er nahm dort auch den Sigurd in Pflege, den Sohn
von Siegmund, dem Sohne Wölsungs und der Hjördis, Eylimis Tochter. Sigurd war der berühmteste aller Heerkönige, an Geschlecht, Kraft und Mut. Regin sagte ihm, wo Fafni auf dem Golde ruhte und reizte ihn, das Gold zu erwerben. Er schmiedete ihm auch das Schwert, das Gram heißt, das war so scharf, daß es einmal, als Sigurd es in fliehendes Wasser hielt, eine Wollflocke durchschnitt, die der Strom gegen die Klinge trieb. Dann spaltete Sigurd mit dem Schwerte den Amboß Regins von oben herab bis in den Holzblock hinein. Nun gingen Sigurd und Regin nach der Gnitaheide, dann grub Sigurd auf dem Wege Fafnir eine Grube und setzte sich hinein. Als dann Fafni zum Wasser kroch und über die Grube kam, durchbohrte ihn Sigurd mit dem Schwert, und so fand er den Tod. Da kam Regin und sagte, daß Sigurd seinen Bruder getötet habe und verlangte das als Buße, daß er Fafnis Herz nehme und am Feuer brate, aber Regin legte sich und trank Fafnir Blut und legte sich dann nieder zum Schlafen. Aber als Sigurd das Herz briet und meinte, daß es ganz gebraten sei und mit dem Finger fühlte, wo es noch hart wäre, da rann der Saft aus dem Herzen an seinen Finger und verbrannte ihn. Da führte er den Finger zum Munde, und als das Herzblut auf seine Junge kam, da verstand er die Sprache der Vögel und vernahm, was die Meisen sagten, die im Baume saßen. Die eine sprach:Dort sitzt Sigurd, beronnen mit Blut. Des Fafnirs Herz brät er am Feuer. Klug schiene mir der Spender der Ringe, äss ' er den hellen Lebensmuskel.
Dort liegt Regin, berät mit sich, will betrügen den Knaben, der ihm vertraut. Im Zorne spricht er falsche Worte, der Ränke Schmied will den Bruder rächen.
Da ging Sigurd zu Regin und erschlug ihn. Darnach schritt er zu seinem Rosse, das Grani heißt, und ritt weiter, bis er zu der Wohnung Fafnis kam. Dort nahm er alles Gold und band es in Bündel und legte diese auf Granis Rücken. Er stieg dann selbst hinauf und setzte seinen Weg fort.
Sigurd ritt weiter, bis er auf einem Berge ein Haus fand. Darin schlief eine Frau und sie hatte Helm und Panzer. Er zog sein Schwert und durchschnitt ihr den Panzer, da erwachte sie und nannte sich Hild. Sie wird auch Brünhild genannt und war Walküre. Von dort ritt Sigurd weiter und kam zu dem König, der Gjuki hieß, seine Frau ist genannt Grimhild und die Kinder der beiden waren Gunnar, Högni,
Gudrun und Gudny, Gutthorm war ein Stiefsohn Gjukis. Dort weilte Sigurd lange Zeit und vermählte sich mit Gudrun, der Tochter Gjukis, Gunnar aber und Högni schlossen mit Sigurd Blutsbrüderschaft. Demnächst begaben sich Sigurd und die Söhne Gjukis zu Atli, dem Sohne Budlis, um für Gunnar um seine Schwester Brünhild zu werben. Diese saß auf Hindarfjall und um ihren Saal war die Waberlohe. Sie hatte aber den Eid abgelegt, nur den zum Manne zu nehmen, der durch diese Flamme zu reiten wage. Sigurd und die Gjukunge sie heißen auch Riflunge — ritten zu dem Berge hinauf und Gunnar sollte die Waberlohe durchreiten. Er hatte das Pferd, das Goti hieß. Dies wagte jedoch nicht in das Feuer zu laufen. Da wechselten Sigurd und Gunnar die Gestalt und ebenso ihren Namen; denn Grani wollte unter keinem anderen gehen als unter Sigurd. So sprang Sigurd auf Granis Rücken und ritt durch die Waberlohe. An demselben Abend hielt er den Brautlauf mit Brünhild. Als sie aber ins Bett sich legten, zog er sein Schwert Gram aus der Scheide und legte es zwischen sich und die Jungfrau. Am nächsten Morgen, als er aufgestanden war und sich angekleidet hatte, gab er der Brünhild als Linnengabe den goldenen Ring, den er auf der Gnitahaide erbeutet und den Loki einst dem Andwari fortnahm und er nahm von ihr als Erinnerungsgabe einen anderen Ring. Dann Sprang Sigurd auf sein Roß und ritt zu seinen Genossen; er wechselte mit Gunnar wiederum die Gestalt und sie zogen mit Brünhild heim zu Gjuki.Es geschah einmal, daß Brünhild und Gudrun zum Wasser gingen, um ihre Haare zu bleichen. Als sie an den Fluß kamen, watete Brünhild tiefer vom Ufer in den Strom hinein und sagte, daß sie auf ihrem Kopf nicht das Wasser dulden wolle, das aus Gudruns Haaren fließe, da sie einen weit beherzteren Gatten habe. Gudrun aber ging ihr nach in den Strom und sagte, daß sie deswegen über Brünhild ihr Haar im Flusse waschen könne, weil sie den Mann besitze, dem weder Gunnar noch irgendein anderer Mann in der Welt an Kühnheit gleiche, denn er erschlug Fafni und Regin und nahm beider Erbe. Da antwortete Brünhild, eine größere Tat war es, daß Gunnar durch die Waberlohe ritt, aber Sigurd wagte das nicht. Gudrun lachte und sprach: "Meinst du, daß Gunnar durch die Waberlohe geritten sei? Der, meine ich, ging zu dir ins Bett, der mir diesen goldenen Ring gab. Der Goldring aber, den du an der Hand hast und als Linnengabe empfingst, heißt Andwaranaut und ich glaube nicht, daß Gunnar ihn auf der Gnitaheide holte." Da schwieg Brünhild und ging heim. Darauf reizte sie Gunnar
und Högni, den Sigurd zu töten, aber da sie Blutsbruder Sigurds waren, bewogen sie den Gutthorm, ihren Bruder Sigurd zu erschlagen. Er durchbohrte ihn mit dem Schwerte, während er schlief. Aber als er die Wunde empfing, warf Sigurd sein Schwert Gram nach Gutthorm, das den Mann mitten durchschnitt. So fiel Sigurd und auch sein drei jähriger Sohn Siegmund, den sie gleich ihm töteten. Dann durchbohrte Brünhild sich selbst mit dem Schwerte und sie wurde mit Sigurd verbrannt . Gunnar und Högni aber nahmen Fafnis Erbe und den Andwaranaut in Besitz und herrschten über die Lande.König Atli, Budlis Sohn, Brünhilds Bruder, vermählte sich mit der Gudrun und beide hatten Kinder miteinander. Atli lud Gunnar und Högni zu sich ein und beide kamen. Ehe sie aber vom Hause aufbrachen, senkten sie das Gold, das Erbe Fafnis, in den Rhein, und das Gold fand seitdem niemand wieder. König Atli hatte zuvor Kriegsvolk versammelt. Erkämpfte gegen Gunnar und Högni und beide wurden gefangen. Da ließ er dem Högni bei lebendem Leibe das Herz ausschneiden und das war sein Tod. Den Gunnar ließ er in die Schlangengrube werfen, doch ihm wurde heimlich eine Harfe zugesteckt, die er mit den Zehen schlug, da ihm die Hände gebunden waren, so daß alle Schlangen einschliefen. Nur eine Natter kroch an ihm herauf und stach ihn unter der Brust und steckte den Kopf in die Höhlung und hängte sich ihm an die Leber, bis er tot war. Bald danach tötete Gudrun ihre beiden Söhne und ließ ihre Schädel mit Gold und Silber überziehen und Trinkgefäße daraus bilden. Das Erbmahl der Niflunge wurde veranstaltet. Da ließ Gudrun bei dem Gelage in diesen Schalen dem König Atli Meth reichen, der mit dem Blut der Knaben vermischt war. Die Herzen aber lieh sie braten und gab sie dem König zu essen. Als dies geschehen war, sagte sie ihm selber mit vielen bösen Worten, was sie getan hatte. Es fehlte nicht an berauschendem Trank, so daß die meisten Mannen dort, wo sie saßen, in Schlaf sanken. In derselben Nacht ging sie zu dem König hinein, während er schlief und mit ihr Högnis Sohn. Sie brauchten ihre Waffen wider ihn und so fand er den Tod. Darauf warfen sie Feuer in die Halle und alles Volk, das darin war, verbrannte.
Der Bericht von Snorri ist, besonders als er sich seinem Ende zuneigt, etwas rasch und knapp, wir müssen zu seiner Ergänzung schon hier einiges beifügen.
Nach der Wötsiengensaga war das Schwert Sigurds das alte Schwert der Wölsungen, das Regin ihm aus den beiden Stücken zusammenschmiedete, in die Odhin es zerschlagen. Der Gott war dem jungen Helden geneigt wie allen Wölsungen. Er sorgte, daß er sich das beste Roß wählte, besänftigte den Sturm, gegen den Sigurds Schiffe kämpften, als er zuerst zur Rache gegen die Mörder des Vaters auszog, und deutete dem jungen Helden die Vorzeichen des Kampfes.
Sehr verschieden sind die Berichte über die Erweckung der Brünhild durch Sigurd. Nach den alten Gedichten der Edda vermählte Sigurd sich zuerst mit Gudrun. Dann erst ritt er für Gunnar durch die Waberlohe und gewann für ihn die Brünhild. Nach jüngeren Fassungen verlobte sich Sigurd mit der Brünhild, die er erweckte, vergaß sie, nachdem ihm Grimhild, die Mutter Gudruns, einen Vergessenheitstrank gereicht und erwarb alsdann die Brünhild für. Gunnar. Einige der Dichter der Edda meinen auch, daß die Brünhild, die hinter der Waberlohe schlief und die Sigurd für Gunnar eroberte, nicht die Brünhild war, die Sigurd erweckte. Diese war eine Walküre, Odhin hatte sie mit dem Schlafdorn gestochen und sie in einen Zauberschlaf versenkt, weil sie entgegen seinem Willen ihrem Günstling zum Siege verhalf. Sie wollte nur dem gehören, dem Furcht fremd war. Als sie aufwachte, schützte sie den Sigurd durch zauberkräftige Runen. Ganz späte Dichter ersannen noch andere Mären von Brünhild, die jedoch ganz aus dem Rahmen der heroischen Dichtung fallen.
Von Sigurds Tod war die im Norden verbreitetste Fassung die, daß der Held in seinem Bett ermordet wurde. Daneben gab es eine andere, darnach erschlugen ihn die Mörder im Wald. Diese Fassung, die ältere, nennt ein isländischer Gelehrter in Bemerkungen , die er einem alten Sigurdlied nachschickt, ausdrücklich den Bericht deutscher Männer.
Die Geschichte vom Untergang der Nibelungen erzählt uns
am eindrucksvollsten und großartigsten das erste Lied von Atli in der älteren Edda, das aus dem zehnten Jahrhundert stammt und dessen Stimmung und Kunst auch in ihren Unausgeglichenheiten dem Lied vom Hamther nah verwandt sind.Dec Bote des Atli verheißt den Burgunden reiche Schätze. Diese meinen, ihr eigener Reichtum sei groß genug, und sie bedenken auch, daß Gudrun sie warnte; sie schickte ihnen nämlich einen Ring, in den ein Wolfshaar geflochten war. Keiner der Ratgeber redet ihnen zur Fahrt zu den Hunnen zu, aber Gunnar der König verwirft feige Furcht, und wenn er auch weiß, daß niemand von ihnen zurückkehrt, so will er die Reise doch unternehmen. Als sie in Atlis Land ankommen, tritt ihnen die Schwester noch einmal entgegen, um sie zu warnen, sie sollten heimreiten und gerüstet wiederkehren. Doch Gunnar antwortet, nun sei es zu spät. Atli überfällt plötzlich die Helden, Högni allein tötet sieben Hunnen und wirft den achten ins Feuer, die Burgunden werden überwältigt und gefesselt. Gunnar und Högni wissen nun allein, wo der Schatz der Nibelungen im Rhein versenkt ist. Gunnar will nicht sagen, wo er liegt, bevor er Högnis Tod erfahren. Da schneiden die Hunnen einem der ihren, einem feigen Koch, das Herz aus der Brust und zeigen es dem Gunnar. Der sieht, daß es noch auf der Schüssel bebt und daß es das Herz Högnis nicht sein kann. Högni lacht, als sie ihm das Herz ausschneiden, und Gunnar verrät, in prachtvollen Worten des Trotzes, nachdem der einzige Mitwisser gestorben, niemandem, wo der Schatz liegt, er solle verborgen bleiben im Rhein für alle Zeiten. Da stoßen sie den Gunnar in die Schlangengrube, dort besänftigt er durch sein Spiel zuerst die Nattern und empfängt dann den tödlichen Biß. Ein großes Gelage beginnt, das Erbmahl für die Gefallenen wird gefeiert. Die Gudrun gibt dem Atli die blutgetränkten Herzen seiner Söhne zu essen und verschenkt bei dem entstehenden Getümmel ihren Schatz, um sich die Hunnen geneigt zu machen. Atli, trunken und müde, vergißt der Vorsicht, Gudrun ermordet den Schlafenden und wirft Feuer in die Halle.
In dem zweiten grönländischen Liede von Atli weist Gunnar die Entscheidung, ob sie zu Atli gehen solle, dem Högni zu. Dessen Frau ängsten böse Träume und sie entdeckt, daß Gudrun die Brüder hat warnen wollen, daß ihre Runen aber gefälscht wurden. Högni weist den Verdacht der Frau zurück und gibt ihren bösen Träumen eine freundliche
Deutung. Das gleiche Spiel mit Traum und Deutung wiederholt sich zwischen Gunnar und seiner Gemahlin. Auf der Fahrt rudern die Helden so mächtig, daß ihnen das halbe Schiff zerbricht, sie lassen das Schiff dann forttreiben, da sie ja doch nicht wieder darauf fahren werden. Bei Atli erschlagen sie zuerst den Boten, der sie trügerisch einlädt, ihnen Treueide schwur und sie nun höhnisch warnt. Gudrun kämpft an der Seite der Brüder, diese richten unter den Mannen Atlis große Verheerungen an und steigern dadurch den Zorn des Hunnenherrschers. Der Koch, dem sie das Herz aus dem Leibe schneiden wollen, hat solche Furcht, daß Hagen selbst rät, sie sollten ihn schonen. Die Rache der Gudrun ist dann ebenso entsetzlich wie bei Snorri, aber Högnis Sohn allein tötet den Atli.Der Dichter hat, sagt Andreas Heusler, Neigung zum Niedrigen, Unadligen, zum Genrehaften und wieder zum Krassen; ein eigenartiger Realismus, den wir aus der isländischen Saga gut kennen, der sich aber nur hier in der Heroendichtung vorgewagt hat. Die strahlende Heldenwelt erscheint wie eingetaucht in einen trüben cholerischen Nebel. Dazu diese absonderliche , klumpfüßige Sprache, der fast mit jedem Verse der Anm ausgeht. Oft ist sie leere Prosa, dann wieder verfängt sie sich in gesuchten Wendungen, den kühnen Schritt des Heldensängers gewinnen diese vielsilbigen unfanglichen Zeilen kaum je.
2. Das deutsche Nibelungenlied
Im Anfang des Nibelungenliedes steht der Traum der Kriemhild: sie hat sich einen wilden Falken gezogen, den zerreißen ihr zwei Adler. Ihre Mutter deutet ihr den Traum: der Falke sei der Gemahl, den sie liebe, und wenn Gott ihn nicht beschütze, werde sie ihn bald verlieren. Kriemhild wehrt lachend und trotzig ab, sie wolle keinem Gatten gehören.
Von der Schönheit Kriemhildens hört der junge Siegfried in .den Niederlanden. Er zieht selbstzwölft aus und will um sie werben. Wie ein Recke auf Abenteuern naht er trotzig dem Gunther und den Seinen und fordert sie prahlerisch heraus. Wenn sie wirklich die Tapfersten seien, sollten sie mit ihm um Land und Leute kämpfen. Hagen, Gunthers Manne, kennt den Siegfried und weiß von seinen Taten und Schätzen:
Siegfried hat einen Drachen erschlagen, er besitzt den Schatz der Nibelungen; die beiden Söhne Niblungs, Schilbung und Niblung, baten den Helden, das Erbe des Vaters zu teilen und verhießen ihm Balmung, Niblungs Schwert, als Lohn. Da sie Siegfrieds Teilung nicht anerkannten , erschlug Siegfried sie beide und bemächtigte sich ihrer Schätze. Der junge Held besänftigt sich erst, als Gunther und Gernot, seltsam nachgiebig und unkriegerisch, ihm versprechen, sie würden ihren Besitz mit ihm teilen und als sie ihn auffordern, bei ihnen zu bleiben.Die Sachsen und Dänen erklären Gunther den Krieg. Siegfried zieht gern mit seinen neuen Freunden gegen die feindlichen Heere; sein Mut und seine Kraft überstrahlen die der anderen Helden; er selbst nimmt die Könige der Feinde gefangen. Die Botschaft von dem Sieg wird nicht dem Gunther, sondern der Kriemhild überbracht. Ein großes Fest feiert den ruhmreichen Kampf. Dabei erblickt Siegfried zum erstenmal die Geliebte, die nach höfischer Sitte behütet wurde, und er darf ihr seine ritterlichen Dienste anbieten.
Fern jenseits des Meeres wohnt Brünhild, sie ist über die Maßen schön und stark und folgt nur dem als Weid, der sie im Kampfspiel überwand. Siegfried allein weiß von ihr. Er verspricht dem Gunther, sie ihm zu gewinnen, wenn Gunther ihm dafür Kriemhild geben wolle. Zwölf Tage fahren sie bis nach Island. Siegfried nennt sich, als sie in den Palast der Brünhild getreten, den Eigenmann Gunthers und stellt der Brünhild den neuen Werber vor. Die Jungfrau waffnet sich sofort zum Kampf, Siegfried holt sich seine Tarnkappe, die ihm Unsichtbarkeit gibt und steht dem Gunther bei. Die Jungfrau schleudert den Speer, daß beide Helden straucheln und dem Siegfried das Blut zum Munde herausbricht. Siegfried streckt durch seine Würfe die Jungfrau nieder, dann nimmt Brünhild einen Stein, den vier Männer mühsam tragen, wirft ihn zwölf Klafter weit und springt noch über den Wurf hinaus. Siegfried wirft und springt wiederum weiter als sie und trägt dazu den König im Sprunge. Dann, nachdem er die Tarnkappe wieder abgelegt, triumphiert Siegfried, daß die Starke nun endlich überwunden sei und sich und ihr Land dem Gunther geben müsse.
Siegfried selbst bringt die Botschaft von Brünhilds Erwerbung an Kriemhild. Die Burgunden treffen die Vorbereitungen zum großen festlichen Empfang, und es folgt die Vermählung der beiden Paare. Als Brünhild bei der Hochzeit die Kriemhild an Siegfrieds Seite sitzen sieht, bricht sie in Tränen aus, nun müsse die Schwester eines Königs seinem
Eigenmanne als Gattin folgen. Gunther sucht sie zu trösten, er werde ihr die Erklärung geben. In der Brautnacht entzieht sich Brünhild den Umarmungen des Gatten. Sie bindet den König an Händen und Füßen und hängt ihn an einen Nagel an der Wand. Gunther klagt dem Siegfried sein Leid, der hilft ihm unsichtbar noch einmal, muss aber seine ganze Kraft aufbieten, um der Brünhild Herr zu werden. Dann bittet sie ihm demütig ihren Trotz ab. Im Kampf raubt er ihr den Gürtel und ihren Ring, beide gibt er seiner Frau und gebietet ihr, zu schweigen.Siegfried und seine Gattin kehren heim und der König waltet der Niederlande und der Nibelungen. Brünhild verwundert sich, warum Siegfried so lange säume, seinem Herrn die Huldigung zu erweisen. Gunther lächelt, er wolle gern den Siegfried zu einem großen Fest entbieten. So geschieht es. Juni Sonnwendfest gehen die Gatten nach Worms und werden glänzend empfangen.
Beim Turnier, als sie den Kämpfen der Helden zusehen, streiten sich Kriemhild und Brünhild über die Herrlichkeit ihrer Männer. Kriemhild ruft unbedacht aus, dem Siegfried sollten alle Lande dienen. Brünhild besteht auf der Vortrefflichkeit ihres Gemahls: Siegfried sei ja dessen Eigenmann. Sie hält die Ansprüche auf ihren höheren Rang aufrecht, obwohl Kriemhild ihr besänftigend zuredet. Da saht auch diese der Zorn, beim großen Kirchgang solle sich entscheiden, wem der Vortritt gebühre. Und bei dem Kirchgang stößt Brünhild die Kriemhild zurück, sie sei eine unfreie Magd. Kriemhild aber antwortet: Du warst des Eigenmannes Kebse, wie konntest du des Königs Weib werden? Nach dem Gottesdienst zeigt die erbitterte Fürstin Ring und Gürtel als ihre Beweise, Brünhild weint, Siegfried wird geholt, er entrüstet sich über Kriemhild und ist bereit, mit feierlichem Eide zu beschwören, er habe sich nie gerühmt, daß er die Brünhild als Erster besessen. Die Frauen empfangen ernste Mahnungen, ihr Gezänk zu unterlassen, und damit scheint dieser Streit beendet.
Hagen aber leidet unter dem erschütterten Ansehen seiner Herren und unter dem Schmerz Brünhilds, der nur durch Blut zu sühnen sei. Er bedenkt auch, daß der Tod Siegfrieds die Macht der Burgunden vermehren müßte. Den Ortwin hat er auf seiner Seite und den zögernden Gunther zieht er langsam zu sich herüber, der junge Giselher allein empört sich über den Verrat, den die Seinen nun an Siegfried planen.
Hagen läßt falsche Botschaft berichten, die Sachsenkönige hätten den Frieden gebrochen, Siegfried erbietet sich sofort wiederum zur Hilfe
Als Hagen von Kriemhild Abschied nimmt, um in den Krieg zu ziehen, vertraut sie ihm ihre Sorge um Siegfried an. Er sei ja, da er im Blut eines Lindwurms gebadet, unverwundbar, bis auf eine Stelle zwischen den Schultern, auf die ein Lindenblatt gefallen. Aber sein Mut und seine Kampfesleidenschaft könnten ihn doch fortreißen und ihm gefährlich werden. Hagen überredet die Kriemhild, sie möge ein kleines Kreuz aus Seide an die verwundbare Stelle nähen, so wolle er den Siegfried im Auge behalten und beschützen. Am nächsten Morgen erscheinen neue Boten: die Sachsenkönige wollten den Krieg nicht, Gunther schlägt statt des Kriegszugs eine Jagd vor.Kriemhild, durch böse Träume und Ahnungen geängstet, sucht Siegfried zu bewegen, daß er bei ihr bleibe. Er fragt sie, wer ihn denn wohl hassen solle und reitet fröhlich fort. Auf der Jagd ist seine Beute wieder die reichste und er zeigt noch einmal seinen ganzen strahlenden, sieghaften und lachenden Heldenmut. Als die Könige rasten, sagt Hagen, er habe den Wein vergessen, doch wisse er einen klaren Brunnen ganz in der Nähe. Die Drei, Gunther, Hagen und Siegfried, laufen zum Brunnen. Jene in leichtem Waffenhemd und ohne Waffen, Siegfried mit Waffen und in schwerer Rüstung und doch überholt er die andern im Lauf. Trotz seines Durstes läßt Siegfried den Gunther zuerst trinken. Als er selbst sich zum Wasser beugt, stößt ihm Hagen die Gerstange in die Schulter und flüchtet. Siegfried, dem man sein Schwert genommen, holt ihn ein, zerschlägt auf ihm den Schild und stürzt nieder. Die Blumen röten sich von seinem Blut, er schilt, im Bewußtsein der Unschuld , mit empörten Worten die Tücke seiner Mörder und seine letzten Gedanken gelten der Kriemhild, er empfiehlt sie der Sorge ihrer Brüder.
Man legt die Leiche Siegfrieds auf einen goldenen Schild und trägt ihn vor Kriemhilds Tür. Ein Kämmerer sieht, als die Königin zur Frühmesse will, den toten Mann und die Frau ahnt sofort, daß es ihr Gemahl ist. Ihr Schmerz kennt keine Grenzen. Die Leiche wird in den Sarg gelegt und im Dom feierlich aufgebahrt. Als Hagen ihm naht, bluten Siegfrieds Wunden. Bevor sie den Leib des toten Helden bestatten, läßt Kriemhild den Sarg noch einmal aufbrechen, hebt das Haupt des Geliebten auf und küßt ihn das letzte Mal.
Kriemhild bleibt, den Bitten des unschuldigen Giselher nachgebend, in Worms. Siegmund, dem sie selbst von der Rache abgeraten, da er zu schwach sei, kehrt in die Niederlande zurück. Auf den Rat der Burgunden läßt die Witwe Siegfrieds den Hort der Nibelungen nach Worms
bringen, der ihr als Morgengabe gebühre. Sie verteilt daraus freigebig die Schätze und gewinnt sich die Anhänglichkeit vieler Helden. Da fürchtet Hagen, sie möchte sich zu viel Freunde erwerben, bemächtigt sich der Schlüssel für den Schatz und versenkt ihn, als die drei Könige abwesend sind, in den Rhein. Dreizehn Jahre bleibt Kriemhild bei den Ihren, immer in Trauer um Siegfried versunken.Helche, die Gemahlin des Königs Etzel, war gestorben. Seine Freunde rieten ihm, er möge sich mit Kriemhild vermählen. Rüdeger überbringt die Werbung an Kriemhild, die Burgundenkönige nehmen sie an, trotzdem Hagen es widerrät. Die Königin selbst weist Rüdeger zweimal zurück, sie gehöre der Trauer und Etzel sei ein Heide. Giselher und die Mutter der Fürstin, Frau Ute, gönnen der armen Frau ein neues Glück und drängen sie, die Bitte des mächtigen Königs nicht abzuschlagen. Endlich verspricht ihr Rüdeger und beschwört es durch Eide, daß er alles Unrecht rächen werde, das ihr widerfahre. Da nimmt sie die Werbung an und folgt ihm an Etzels Hof. Aber den Rest ihrer Schätze mitzunehmen , verwehrt ihr wieder Hagen. Bei Etzel wird die Königin mit großen Ehren empfangen.
Sieben Jahre gehen wieder dahin, Kriemhild beweint den Tod Siegfrieds noch immer jeden Tag und vergißt nicht die Rache. Sie bittet den König Etzel, die Burgunden zum Sonnenwendfest einzuladen, denn sie wolle ihre Verwandten wiedersehen. Hunnische Spielleute richten die Botschaft aus, Kriemhild trägt ihnen besonders auf, auch den Hagen zu entbieten, die Könige bedürften seiner Begleitung, denn er sei der Wege kundig. Hagen widerrät die Reise, die Könige empfehlen sie. Gernot wirft dem Hagen Todesfurcht vor; das weist der empört zurück, nun werde er mit ihnen fahren. Trotz böser Träume der Ute und schlimmer Weissagungen machen sich die Burgunden auf die Fahrt mit einem großen, wohlgerüsteten Heere. Als sie an die Donau kommen, sieht Hagen zwei Wasserfrauen. Er raubt ihnen die Gewänder und zwingt sie zur Weissagung. Außer dem Kaplan, sagen die Frauen, würde keiner von ihnen die Heimat wiedersehen. Sie teilen Hagen auch mit, wo er den Fährmann finde. Der weigert ihnen, grob und widerspenstig — er war ein Bayer — die überfahrt. Hagen erschlägt ihn, lenkt selbst das Fahrzeug, so gewaltig, daß sein Ruder zerbricht, und als alle Mannen übergesetzt sind, zerschlägt er die Fähre in Stücke. Den Kaplan wirft er ins Wasser, aber der gewinnt schwimmend das Land und eilt nach Burgund zurück. Nun, da eine Rückkehr nicht mehr möglich, enthüllt
Hagen die Prophezeiung der Wasserfrauen, die unheilvolle Kunde fliegt von Schar zu Schar, die Helden erbleichen.Die Herren des Fährmannes überfallen die Nachhut der Burgunden, aber Dankwart, der Marschall, ist wachsam und die Angreifer werden leicht zurückgewiesen. An der Grenze des Hunnenlandes finden die Burgunden einen schlafenden Helden, Eckewart. Hagen nimmt sein Schwert, der Held ist untröstlich, nun erkennt Hagen, daß er ein tapferer Krieger sei, gibt ihm seine Waffe wieder und jener warnt ihn vor Kriemhild.
Rüdeger, dessen Mark sie nun betreten, empfängt die Helden gütig und ist beglückt, daß sie bei ihm einkehren. Die Burgunden verwandeln sich in seinem Haus in ritterliche und liebenswerte Helden, sie vergessen alle Sorgen und lachen heiter auf. Die liebliche Tochter Rüdegers, Gotelind, wird auf Volkers Rat mit dem jungen Giselher vermählt, und Gernot empfängt Rüdegers Schwert. Es sind Tage reinen Glückes, edler Gastfreundschaft und hohen Heldentums, der letzte Sonnenblick, der den Burgunden gegönnt ist.
Als die Burgunden in Etzels Hof einziehen, erfreut sich der König ahnungslos seiner stolzen Gäste und Kriemhild frohlockt; die Stunde ihrer Rache ist gekommen. Alles drängt sich staunend und bewundernd um Hagen. Dietrich von Bern reitet den Helden entgegen, warnt sie alle noch einmal und führt Hagen an der Hand. Kriemhild reicht ihre Hand nur Giselher, den Hagen fragt sie, ob er ihr den Schatz der Nibelungen mitbrachte, der antwortet, er habe an seinem Schild und seiner Rüstung genug zu tragen. Vergebens sucht Kriemhild die Burgunden entwaffnen zu lassen, sie haben es ja durch Dietrich erfahren, welches Schicksal ihrer wartet.
Hagen setzt sich in den Hof, so daß Kriemhild ihn sehen muß. Sie tritt vor ihn mit großem Gefolge: warum er sich zu ihr wage, er, Siegfrieds Mörder ? Hagen bleibt sitzen, legt Siegfrieds Schwert auf seine Knie, und während die Königin ihn ansieht, bekennt er, daß er den Siegfried erschlagen, weil Kriemhild die Brünhild schmähte. Die Hunnen aber wagen, als sie Hagen und neben ihm den tapferen Volker sehen, trotz ihrer übermacht nicht, die beiden Helden anzugreifen und ziehen sich feige zurück.
Der Empfang bei Etzel folgt. Am Abend halten bei den ermüdeten Recken Volker und Hagen Wache und Volker singt durch seine sanften und süßen Weisen in den Schlaf. Mitternachts schleichen die Hunnen heran, ergreifen aber rasch die Flucht, als sie die Helden wachend finden.
Am nächsten Morgen bei der Messe beleidigen Hagen und Volker die Kriemhild und bei einem Turnier erschlägt Volker einen Hunnen, dessen Aussehen ihn ärgert. Etzel, höflich und voll feiner Sitten, begleicht den Streit, der aufflammen will. Dietrich weist Kriemhilds Bitten, er möge die Burgunden überfallen, entrüstet zurück. Bloedelin, Etzels Bruder, läßt sich durch ihre Versprechungen verführen und überfällt den Dankwart. Etzel und die Burgunden sitzen unterdessen beim Mahl. Kriemhild läßt ihren und Etzels Sohn hereinbringen, der König, noch immer ahnungslos, erzählt davon, daß er das Kind später zu den Burgunden schicken wolle. Da kommt blutüberströmt Dankwart herein und als Hagen das sieht, schlägt er dem Sohn Etzels das Haupt ab, seinem Erzieher dazu, und nun sind Kampf und Rache ganz unabwendbar.Die Burgunden bleiben im Saal. Etzel, Kriemhild, Dietrich, Rüdeger und ihre Mannen erhalten auf Dietrichs Bitten freien Abzug. Volker und Dankwart hüten den Ausgang. Die Leichen der erschlagenen Hunnen werden vor die Türen geworfen, Hagen und Volker spotten des Etzel und seiner Mannen. Mit Mühe halten die Seinen den König Etzel vom Kampf zurück.
Iring von Dänemark greift als Erster den Hagen an, ihn lockt der hohe Preis, den Kriemhild auf das Haupt des von ihr so Gehaßten gesetzt . Und er bringt dem Hagen eine Wunde bei. Als er aber nach kurzer Rast ihn von neuem bekämpft, erhält er den Todesstreich. Irnfried von Thüringen und Haward von Dänemark wollen seinen Tod rächen, die Burgunden lassen sie in den Saal hinein und erschlagen sie alle.
Am Abend wollen die Burgunden mit Etzel reden, doch der verwirft nach dem Tod seines Kindes jeden Gedanken an Schonung. Kriemhild verhindert, daß die Helden in das Freie treten. Ihr tut das Schicksal des jungen Giselher selbst weh und sie würde sie alle schonen, wenn sie ihr den Hagen auslieferten. Aber diesen einen wollen die Könige um keinen Preis hergeben, und wenn sie auch tausend wären ihrer Sippe, sie stürben eher alle, als daß sie ihn opferten. Da heißt Kriemhild den Saal anzünden. Eine furchtbare Nacht ist nun den Helden beschieden, sie schützen sich mit den Schilden vor den herabfallenden Bränden und um ihren Durst zu löschen, trinken sie auf Hagens Rat das Blut der Erschlagenen und schlürfen damit neuen wilden Mut und neue Kampfkraft in sich.
Am kommenden Morgen erinnert Kriemhild den Rüdeger an den
Eid, den er ihr geschworen, als er für Etzel um sie warb. Etzel und sie flehen ihn fußfällig um Hilfe. Es ist umsonst, daß Rüdeger seinem König Land und Burgen anbietet, er wolle allein zu Fuß ins Elend wandern, umsonst auch erinnert er ihn, daß er die Burgunden gastlich empfing, und daß Giselher und seine Tochter versprochen seien; König und Königin lassen ihn nicht frei. Da empfiehlt er Gemahlin und Tochter ihrer Sorge und wappnet sich zu seinem schwersten Gang. Volker erkennt gleich, daß Rüdeger und die Seinen nicht zum Frieden kamen, und der Markgraf sagt ihnen wirklich Fehde an, er setzt seinen Schild vor seinen Fuß. Die Burgunden wollen noch immer nicht glauben, daß ihr edler Freund sie nun bekämpfen will, aber es ist unabänderlich. Rüdeger zeigt seinen hohen Sinn noch einmal, er rührt die Helden zu Tränen, indem er dem Hagen seinen Schild gibt. In dem wilden Kampf, der nun entbrennt, werden Rüdegers Mannen alle getötet, er selbst fällt durch sein eigenes Schwert, das Gernot schwang, und er hatte zuerst dem Gernot die Todeswunde geschlagen. Die Burgunden sind zu Tode erschöpft und beweinen den Verlust der beiden herrlichen Helden, Etzel aber und seine Mannen kennen in wilder Trauer kein Maß und der König brüllt auf in seinem wilden Schmerz wie ein Löwe.Dietrich von Bern hört das Wehklagen und sendet einen Helden, zu erfragen, was geschah. Der bringt die Nachricht von Rüdegers Tod. Nun schickt er, indem er ihm gebietet, Frieden zu halten, den alten Hildebrand zu den Burgunden, der soll ihm genaue Kunde bringen. Dietrichs Mannen begleiten den Waffenmeister, der junge Wolfhart, sein Neffe, rät ihnen, sich zu waffnen. Die Goten erbitten Rüdegers Leichnam . Gunther ist gewillt, ihn zu geben. Da reizen sich Wolfhart und Volker durch heftige Reden. Wolfhart läßt sich nicht länger bändigen, und ehe sie sich dessen recht bewußt werden, sind die Helden mitten im wilden Kampf. Volker erschlägt den Sigestab, Hildebrand den Volker, Wolfhart und Giselher töten einer den andern, und alle, bis auf Gunther, Hagen und Hildebrand, fallen, dieser flieht vor Hagens grimmen Schlägen. Dem Dietrich aber, der ihm seine ewige Streitsucht vorwirft, erzählt der Alte nacheinander, wer in dem Kampfe fiel, und daß er ganz allein von allen seinen Helden lebe. Da seufzte der König auf, er war reich, gewaltig und hehr und ist nun ein armer König, seiner hat Gott vergessen, warum er denn vor Leid nicht sterben könne? Dann waffnet er sich, geht in den Saal und fordert Gunther und Hagen auf, sich zu ergeben. Sie weisen es, trotzdem er ihnen sicheres Geleite in die
Heimat verspricht, zurück. Hildebrand fängt an, den Hagen zu schmähen und beide Helden werfen sich Feigheit vor, das verweist Dietrich dem alten Waffenmeister, Helden sollten sich nicht schelten wie alte Weiber. Dann bezwingt der König den Hagen, indem er ihn verwundet, im Ringen überwindet und fesselt, er bringt ihn der Kriemhild. Ebenso überwältigt er ' den Gunther und empfiehlt ihn wiederum dem Schutz der Königin. Sie fragt den Hagen, wo der Schatz sei, er will es nicht verraten, solange sein Herr lebe. Da läßt sie dem Gunther das Haupt abhauen und zeigt es dem Hagen. Der lacht höhnisch auf, nun wissen Gott und er allein von dem Schatz, und sie solle niemals davon erfahren. Da erschlägt sie ihn mit Siegfrieds Schwert. In wildem Zorn springt Hildebrand dazu und erschlägt die laut aufschreiende Königin. Dietrich und Etzel weinen, die Liebe ist, wie alle Liebe, schließlich in Leid verendet, alle, die noch leben, beklagen den Tod so vieler Helden, das Lied hat ein Ende, das ist der Nibelunge Not.
3. Die Wölsungen. Ring und Schwert
Wir haben in unsrer Wiedergabe nur die hervorragenden Schätze der Nibelungensage gezeigt, und doch, wie groß, wie verwirrend und wie blendend liegen sie nun vor uns, wo wir den Weg durch sie finden und die Länder und Zeiten entdecken sollen, die sie schufen und die ihnen ihre Größe gaben!
Bei der Wöisungensaga erinnert uns die Form, in der wir sie besitzen, an die späten nordischen Heldensagen, und sie gehört auch wie sie wohl in das zwölfte Jahrhundert. Wir erinnern an die späte Wielandsage, an die Sage von den Halfdansöhnen und an die von Amleth. Gleich ihnen häuft die Wölsungensaga das Wunderbare und die Ereignisse, besonders die Kämpfe, und gleich ihnen erzählt sie dieselbe Erfindung in leiser Variation zweimal hintereinander.
Ein fruchtbringender Apfel, jahrelange Schwangerschaft, eine Hexe, die als Wölfin neun Brüder tötet und vom zehnten getötet wird, eine giftige Speise und giftgefeite Helden, Gestaltentausch, Helden als Wölfe, ein Kraut, das den Toten belebt, die Verkleidung
der Herrin als Magd, das sind die Motive in der Wölsungensaga, die wir aus dem Märchen kennen. Von Kampf und wieder von Kampf hören wir bei Sigi, Reri, Wölsung, Siegmund , Sinfjötli und Helgi, an diesen Kämpfen nehmen ungezählte Mengen der Krieger und am letzten sogar ein Gott teil. Zweimal werden zwei Söhne von Signy getötet, das erstemal von Siegmund, das zweitemal von Sinfjötli. Einmal muß Siegmund im Stock, einmal unter einem Hügel von Gras und Steinen sitzen, qualvollem Tode ausgeliefert.Die Wunderhäufungen lassen sich, wie auch in anderen Sagen, leicht als späte Anwüchse am Organismus der Dichtung erkennen und ablösen. —Sollte Signy in einer alten Dichtung wirklich ihre zehn geliebten Brüder, die sie eben noch gewarnt, einem solch schauerlichen Tode im Ward überantwortet haben? Die alte Dichtung erzählte statt dessen wohl, daß Signy ihren einzigen Bruder — denn immer nur ein Held pflanzt die stolze Heldenreihe der Wölsungen fort — in den Wald schickte unter dem Vorgeben , dort müsse er friedlos und elend sterben. So glaubte Siggeir sich von dem Wölsung befreit, Signy aber wußte, daß dieser Held am Leben bleiben werde. Das wäre eine genaue Entsprechung zur Saga von den Halfdansöhnen (S. 134); die Frau, die dort die Rächer verbirgt und die Rache vorbereitet, heißt auch Signy: ihr Name wird aus der Wölsungensaga geholt sein. Die neun Brüder scheinen in unsrer Saga eigens erfunden, damit auf sie das Märchen von ben Brüdern sich übertragen ließ, die eine Hexe umbringt bis auf den letzten, der sich befreit und sie tötet. Dies Märchen steigerte dann unser Erzähler nach isländischer in das Schauerliche und Gespenstische. —Recht unwahrscheinlich und wenig in seinem Wesen begründet ist auch, daß Siegmund als Wolf den eigenen Sohn aus so nichtigem Grunde tötet. Das berichtet der Erzähler anscheinend, damit er die, dem klassischen Altertum entstammende, im Mittelalter so gern gehörte Geschichte
vom belebenden Kraut auch in die Wölsungensaga flechten konnte. Wie wenig geschickt aber flocht er sie hinein! Das Natürliche war doch, daß Siegmund wie in allen Märchen dieser Art, das Kraut, das ihm das Hermelin liegen ließ, selbst nahm und seinen Sohn damit belebte. Unser Erzähler bringt auch hier den Vogel Odhins, den Raben, an, der fliegt herbei mit dem Kraut. Odhin sollte eben bei jeder Gelegenheit in der Geschichte erscheinen. — Der gleiche Erzähler wird auch der Walküre ein Krähenhemd verliehen und sie zuerst zur Apfelüberbringerin und dann zur Gattin desselben Wölsung bestimmt haben, dem sie doch vor langen Jahren zur Geburt verhalf. — Die Geschichte von dem Leben des Siegmund und des Sinfiötli als Wölfe ist auch nicht klar vorgetragen. Die alte Vorstellung war wohl, daß die Heiden die übermäßige Kraft und die Wildheit des Wolfes besaßen und sich in Wölfe verwandeln konnten. Mit dieser Vorstellung vermischte unser Erzähler eine Sage von Männern, die sich in Wölfe verwandeln müssen, sei es, weil sie in Wolfshemden fahren, sei es, weil sie einen Ring mit dämonischen Kräften an ihre Hand stecken und die erst Erlösung finden, nachdem die Woifshemden verbrannt sind oder nachdem der Ring von ihren Fingern entfernt wurde. — Alsdann hat der Erzähler die Geschichte von der Giftspeise verworren dargestellt. Bei ihm ist sie eine Kraftprobe von der Art, wie der junge Herakles sie leistet, der ja in der Wiege Schlangen erwürgte. Zugleich sagt aber unser Erzähler, daß Sinfjötli das Speisemehl mit Schlangengift vermischte. Er hat wahrscheinlich vergessen, daß diese Speise den Helden gegen Gift feien sollte, wie ja auch der Gott Balder durch den Genuß von Schlangengift unverletzlich wurde. In der Snorra Edda nimmt Frigg dem Gift und den Schlangen den Eid ab, daß sie Balder nicht schaden. — Die andere Probe der Signysöhne, daß ihnen die Jacke ans Fleisch genäht und vom Fleisch gerissen wird, erscheint zu häuslich und zu absichtlich übertrieben für ein altes Heldengedicht. Die Kleidervertauschung zwischen Hjördis und ihrer Magd gehört ebenfalls in die häusliche, nicht in die heroische Sphäre. Wie wir erfuhren, ist nun gerade für die dänische heroische Dichtung des späteren Mittelalters der Sinn für das Haus und für häusliche Geschichten ein Kennzeichen. Daß diese Dichtung alte Heldenfabeln freigebig mit Märchenschmuck ausstattete, das verrieten uns die späte Wieland- und die späte Amlethdichtung. Für den Verlauf der Wölsungensaga hat ja außerdem der Kleidertausch keine Bedeutung.Nun haben wir von der Geschichte der Ahnen Sigurds den lose umgehängten Märchenschmuck abgerissen. Die Begebnisse, die ihr noch bleiben, sind aber der Dichtung vom Untergang der Burgunden bei Atli auffallend ähnlich, besonders der Darstellung im ersten Atlilied. Hier wie dort erzählt uns der Dichter von einer verräterischen Einladung, von der vergeblichen Warnung der Schwester, die Helden möchten umkehren und mit einem starken Heere wiederkommen, von der überwältigung der Tapferen und von ihrem schrecklichen Tod. Die Darstellung in dem ersten Atliliede ist nun älter als die in der Wölsungensaga. Denn sie steht, wie wir noch sehen werden, der Geschichte näher, und der Grund Atlis für die verräterische Einladung, die Gier nach dem Schatz, ist überzeugender als der Grund Siggeirs, die verletzte Eitelkeit. Die Rache der Gudrun ist schnell, unbarmherzig und überwältigend wie in der alten Heldendichtung. Dagegen zieht sich die Rache Signys immer wieder hinaus und steht wie ein Ungewitter, das sich nicht entladen will, über dem Hause Siggeirs. Das ist aber der Geschmack der isländischen Saga. —Wir hörten von einer solchen sich lange hinausschiebenden Rache wiederum bei den späten Formen der Geschicht von den Halfdansöhnen und der von Amleth.
Auch sonst erkennen wir in der Wölsungensaga die Absicht, die Ereignisse aus der Dichtung von Sigurd und den Burgunden zu wiederholen und dadurch zu zeigen, daß in der Geschichte eines
Geschlechtes immer wie ein unentrinnbarer Zwang des Schicksals das gleiche Erleben wiederkehrt und die Helden erhebt und zermalmt . Dabei sind aber die Ereignisse der alten Dichtung aus ihrem organischen Zusammenhang gerissen, über verschiedene Generationen verteilt und verdoppelt, oder auch auf einen Helden übertragen , während sie in der alten Dichtung verschiedenen Helden gelten. Sigi stirbt wie Sigurd durch die Untreue seiner nächsten Verwandten, Wölsung wiederum wächst einsam auf wie Sigurd und eine Walküre liebt auch ihn. Das ruhm- und unheilbringende Schwert der Wölsungen erinnert an den fluchbeladenen Ring des Andwari, der Gestaltentausch der Signy und der Zauberfrau erinnert an den zwischen Sigurd und Gunnar. Gudrun tötet Atlis Söhne, Signy läßt ihre beiden Söhne zuerst von Siegmund ermorden und ihre anderen beiden Söhne durch Sinfjötii dem Siggeir vor die Füße werfen. Dann stirbt Signy den Tod der Brünhild, sie folgt dem Mann in die Flammen, dessen Tod sie verschuldet. Sinfjötli aber stirbt wie Sigurd durch die Tücke eines Weibes.Von diesen Nachbildungen ist die Geschichte oon Sigi gewiß die späte Zutat eines Erzählers des zwölften Jahrhunderts; der Neid auf den Knecht und dessen Mord und der mit dem Helden fliehende Gott gehören nicht in die Heldendichtung, sondern in die isländische Saga. Ebenso können wir den Reri als Geschöpf eines späten Dichters betrachten, was erlebt er auch außer der wunderbaren Geburt seines Sohnes? Die erste Ermordung der Söhne Signys, eine überflüssige Grausamkeit, ist ebenfalls ein spätes Beiwerk der Dichtung. Am liebsten möchten wir sie dem Erzähler zuschieben, dessen plumpes und aufdringliches Ungeschick uns schon bei dem fruchtbringenden Apfel und bei dem belebenden Kraut verdroß. Der gleiche Erzähler brachte den Odhin viel zu oft und viel zu aufdringlich in die Begebenheiten der Saga hinein; späte isländische Sagas mißbrauchten den Gott ebenso.
Ohne diese Zutaten und ohne die Wunder haben wir in der Erzählung noch die Hochzeit von Signy, die Erscheinung Odhins, die Erwerbung des Schwertes durch Siegmund, die verräterische Einladung des Siggeir, den Tod Wölsungs, das Leben des Siegmund im Erdhaus, die Erzeugung des Sinfjötli, das Hausen von Vater und Sohn im Wald, die zuerst gestörte und dann nach Zersägung der Felsplatte ausgeführte Rache, den Tod der Signy, die Vergiftung des Sinfjötli, die letzte Vermählung des Siegmund und seinen Fall im Kampf. Diese ganze Nachbildung der Nibelungenlieder ist eine großartige Dichtung, wie die isländische Kunst des späten zehnten und des elften Jahrhunderts sie liebt. Ihre Form war ein Lied, einige Verse sind uns noch erhalten und andere schimmern aus der Prosa der Wölsungensaga noch heraus. Das Thema des Liedes war die Läuterung eines Geschlechtes , das im Leben wild und grausam war, zum Heldentum im Tod. Dies Thema ist dem des Liedes von Hamther nah verwandt. Es erhebt unser Lied auch über eine andre Dichtung, die man nicht ohne Grund an seine Seite stellte, über die Dichtung vom König Harald Kampfhahn, dessen Leben und Tod dem Odhin geweiht waren (Sagenbuch, Band I S. 180 f. j. — Wie groß stehen die Wölsungen, die Odhin liebt und schützt, in ihren letzten Stunden vor uns! Wölsung verschmäht die Flucht und will eher sich und alle die Seinen als sein Heldentum opfern, den Tod vor Augen kämpft er sich durch die feindlichen Reihen hindurch. Signy küßt Sohn und Bruder zum letztenmal, eilt in das brennende Haus und stirbt gern an der Seite dessen, den sie im Leben gehaßt. Siegmund hadert nicht wie Bjarki mit dem Gotte, sondern sieht, daß seine Stunde gekommen , versöhnt sein junges Weib mit ihrem Schicksal und geht gern nach Walhall, denn er weiß, daß Hjördis einen Sohn trägt, dessen Ruhm noch den seinen überstrahlen wird. Sinfjötli aber, den Bruder und Schwester gezeugt, darf nicht untergehen wie
die anderen Helden. In tragischer Verwirrung und in der Trunkenheit verschuldet der Vater, der ihn über alles liebt, seinen Tod und der höchste Gott selbst bringt ihn en ein geheimnisvolles Jenseits. In den alten Heldendichtungen der Germanen verbirgt sich manche wunderbare und tröstliche prophetische Warnung . Wenn Siegmund dem Siggeir, der die Rache vollbringt, auf seine Frage, wer das Feuer anlege, erwidert: das sind wir, mein Schwestersohn und ich, und nun glauben wir, daß du erfahren mußt, daß noch nicht alle Wölsungen tot sind, — so atmen wir auf.Auch heute sind alle Wölsungen noch nicht tot! —
Der Dichter des Wölsungenliedes erbaute seine Sage nun nicht aus den Vorgängen der Nibelungensage allein, einzelne seiner Erfindungen haben noch eine andere merkwürdige Herkunft und Geschichte.
Wenn wir uns die Erzählung ansehen, in der Odhin erscheint und das Schwert in den Baum stößt, das dann jeder Held herausziehen will, so haben wir wieder eine Szene vor uns, die an Lieblingsszenen der keltischen Dichtung erinnert und die gewiß von ihnen in die nordische Dichtung wanderte: Die Helden sind beim Gastmahl versammelt, rühmen sich in lauten Worten ihrer Kraft und versuchen, ein Schwert vergeblich zu heben, aber nur einem Erwählten gelingt es (S. 107). Diese Szene findet sich in der keltischen Artusdichtung: Artus hebt darin das Schwert nicht nur einmal, nein, immer von neuem, und zum Jubel und Erstaunen der Anwesenden. Wieviel dunkler, spannender und schicksalsschwerer erzählt aber der nordische Dichter diese Vorgänge! — Die Geschichte von Odhin, der als Todenferge den Sinfjötli ins Jenseits führt, die Geschichte vom vergifteten Trank beim Gastmahl haben wir als keltisches Gut schon erkannt (S. 68). —Diese keltischen Beiträge werden nicht in der Zeit um Christi Geburt oder gar früher, als Kelten und Germanen noch neben
einander wohnten, sondern im neunten oder zehnten Jahrhundert in die nordische Dichtung aufgenommen sein. Das war die Zeit, als die nordischen Wikinger in Irland und England ihre Eroberungen machten und keltische Geschichten hörten.Aus der Urzeit aber stammt in der Wölsungensaga die Vorstellung von der Wildheit des Siegmund und Sinfjötli, die denen der Wölfe glich. Eben diese empfand unser Dichter wie der des Helgiliedes als die furchtbare, rohe und zu überwindende Grausamkeit des ältesten Heldentums. Wir verstehen nun ganz, warum Hamther am Ende seines Lebens, als sein Heldentod ihn verklärt, noch einmal klagt, daß er und seine Brüder sich anfielen wie bissige Wölfe. Die Wildheit kommt von den Franken, von denen auch Odhin, der Beschützer der Wölsunge und die wolfsgleichen Helden kommen. Wären Siegmund und Sinfsötli nordische Helden, so erschienen sie wahrscheinlich als Berserker und nicht als Werwölfe vor uns. Die Geschichte von Sinfjötlis Vergiftung fanden wir schon bei Gregor von Tours.
Wir erkennen nun, daß die Sage von Sinfjötli und Siegmund fränkischer Herkunft ist und sich bei den Franken mit dem Lied von Sigirichs Tod verschmolz. Von den Franken wanderte sie vielleicht nach Deutschland, denn dort begegnen uns im neunten Jahrhundert die Namen Welisunc (Wölsung) und Sintarfizzilo (entsprechend Sinfjötli). Außerdem zog die Sage wie die von Wieland nach England herüber. Dort erweitert nun wiederum der Beowulf unsre Kenntnisse oon ihr. Er rühmt den Siegmund und seinen Neffen, den Fitela (das ist Sinfjötli). Den Siegmund nennt er den Sohn des Waise, das ist der alte echte Name: Wölsung heißt eigentlich Sohn und Nachfahr des Wölsi (Waise). Die Wölsungen sind, darauf deutet ihr Name, ein Geschlecht oon besonderer schöpferischer Kraft. Einsam durchstreiften nach dem Bericht des Beowulf Ohm und Neffe die Wälder, nur Fitela kannte die Fahrten, Taten und Frevel Siegmunds, beide erschlugen
Riesen und Siegmund allein (aber diese Interpretation wird jetzt bezweifelt) tötete einen Drachen, indem er ihn mit dem Schwert an einen Felsen spießte, und er erwarb dessen Schatz und trug ihn in das Schiff. Siegmund also hätte ursprünglich die Tat vollbracht, die spätere Jahrhunderte auf seinen berühmteren Sohn übertrugen. — Im Norden des zehnten Jahrhunderts sind Siegmund und Sinfjötli bei den Skalden sehr berühmt, in den Eiriksmal sitzen sie in Walhall bei Odhin und erheben sich auf sein Geheiß, um den neu eintretenden König zu begrüßen.Wie die Dichtung von den beiden Helden sich im Norden umbildete und erweiterte, haben wir nun erfahren. Ihr Vorbild war die nordische Dichtung von den Nibelungen, ihr schöner Schmuck keltische Geschichten von Heldentum und Heldentod, sie erfüllte sich im Norden mit den geläuterten Anschauungen von Heldentum und Schicksal, die sie dort im zehnten und elften Jahrhundert bildeten. Dann behing sie sich im Island und im Dänemark des Mittelalters mit märchenhaften Zutaten und häufte ihre Motive und verwirrte sie. Aber weil das gar so ungeschickt und äußerlich gemacht war, konnten wir es leicht abstreifen oder entwirren. Der mächtige Geist nordischen Heldentums atmet unter diesem Schmuck, noch uns adelt und erhebt der Hauch dieses Geistes und seiner unvergänglichen Kräfte.
Das Schwert in der Sage von den Wölsungen entfacht, sowie Siegmund sich seiner bemächtigt, unheilvollen und ruhmreichen Streit. Es verhilft dann dem Siegmund und dem Sinfjötli zur Rettung, und als Siegmund sein Ende finden soll, schlägt ihm Odhin die Waffe in Stücke, die er selbst dem Helden bestimmte. Für die Schicksale des Sigurd hat das Schwert dann keine Bedeutung, der Verfasser der Wölsungensaga sucht es noch einmal einzuführen, aber er vergißt das bald. — Geschichten von Schwertern dieser Art erzählt die nordische und isländische Dichtung
gern. Wir kennen schon das Schwert Dainsleif, das Hagen im Kampf mit Hedin führte, und es wäre hier vor allem das Schwert Tyrfing in der Herwararsaga zu nennen, das gefangene Zwerge einem König widerwillig schmiedeten und auf das sie einen Fluch legten, der sich dann Geschlechter hindurch erfüllte. Die Geschichte dieses Schwertes leitet uns zu der Geschichte des Ringes Andwaranaut herüber. Gleich jener ist sie eine große Erfindung eines isländischen Poeten, ähnlich wie bei jener wird der Ring einem Zwerg gewaltsam entrissen und mit einem Fluch beladen. Der verfolgt und vernichtet die Riesen zuerst und dann die Menschen.Die Götter müssen in der Geschichte vom Ringe einen Bauer begütigen und ihm Buße zahlen, und sie teilen ihm den Fluch des Ringes erst mit, als sie sich in Sicherheit glauben. Diese Rolle der Götter weilt unsre Geschichte in die Zeit des verfallenden Heidentums, vor dem Ende des zehnten Jahrhunderts ist sie nicht denkbar. Wie in anderen Göttersagen dieser Zeit auch, bringt Loki — man weiß nicht, ob aus Bosheit oder aus übermut — die Götter in Gefahr und Widerwärtigkeiten. Hier tötet er den Otr. Derselbe Loki muß dann in anderen Erzählungen und auch hier die Götter befreien.
In der Geschichte des Ringes ist nach isländischer Art der Geiz, das Mißtrauen und die Goldgier des Bauern unübertrefflich und mit wenigen sicheren Strichen gezeichnet. Wie anschaulich ist das Bild, daß er den Otr anfüllt mit Gold, so fest wie er nur kann, daß er dann die Hülle des Goldes gierig und mit schaden Augen lange betrachtet, bis er das Barthaar erspäht, das noch nicht bedeckt ist. — Es gibt auch ein Lied in der Edda, das uns die Geschichte des Ringes besingt, und dies nagt über die Gabe des Goldes, die mit feindlichem Herzen die Götter gaben, und zeigt, wie der Geiz und die Habgier des Vaters sich bei den Kindern steigern und vermehren. Schon Otr, heißt es an anderer Stelle, schloß die Augen, während er ass, weil er den Anblick der sich vermindernden
Speise nicht ertrug. Hreidmars Töchter sehen dann im Liede ruhig zu, wie Fafni den schlafenden Vater durchbohrt, Fafni aber weigert mit höhnischen Worten dem Bruder Regin einen Anteil am Gold. Dieser wiederum ruht nicht, bis er den Sigurd gereizt, den Fafni zu ermorden, aber auch er selbst wird von dem gewarnten Sigurd erschlagen. — Der gleiche Ring verfeindet dann die Gudrun und die Brünhild und wird die Ursache zu Sigurds Tod. Danach verschwindet er aus der Nibelungensage, sein Fluch hat sich erschöpft, nachdem der herrlichste Held sein Opfer wurde.
4. Siegfried und Brünhild
In der germanischen Dichtung war Siegfried — wie wir uns das nochmals einprägen wollen — ein vater- und mutterloser Bursche, dem ein Schmied ein wunderbares Schwert schmiedet, der einen überstarken Drachen besiegt und sich mit dessen geschmolzener Hornhaut bis auf eine Stelle zwischen den Schultern unverletzlich macht, der zwei Nibelungenfürsten erschlägt, die um das Erbe ihres Vaters streiten, ihren Schatz erbeutet und auf sein Roß legt.
In der nordischen und in der deutschen Dichtung haben sich diese alten Sagen verschieden entwickelt. Im Nibelungenlied blieben sie ziemlich unversehrt, freilich behauptet der Dichter bald, Siegfried sei ein fahrender Recke, bald, er sei der Sohn eines mächtigen Königs, und bei der Brünhild läßt er ihn sagen, er sei Gunthers Eigenmann. Im Nordischen erscheinen statt der streitenden Nibelungen Regin und Fafnir, und Fafnir verwandelt sich in den überwundenen Drachen. Als Siegfried von seinem Herzsaft kostet, versteht er die Sprache der Vögel. Dieser Zug erscheint uns als eine Entlehnung aus einer keltischen Dichtung. - Das nordische Lied, das uns den Tod Fafnirs schildert, ist eine edle Frucht germanischer Kunst. Der sterbende Drache verwundert sich über den leuchtenden Knaben, der ihn erschlug.
"Knabe, der du noch Knabe bist, wer der Menschen gebar dich, daß du im Fafni gerötet hast dein Schwert und es drang mir bis an mein Herz." Und dieser Knabe steht, unschuldig und unüberwindlich, geheimnisvoll und trotzig vor dem Wurm, sagt ihm widerstrebend seinen Namen, sein Mut habe ihn zur Tat gereizt, seine Hände und sein Schwert hätten sie vollbracht. Auf die Weissagung des Sterbenden, Gold und Ringe würden ihm den Untergang bringen, hat er nur die Antwort, daß einmal jeder sterben werde. Das Gift, das er von sich schnaubte, und der Schreckenshelm, den er trug, haben dem Wurm nicht geholfen; umsonst bleiben die Mahnungen des Sterbenden. Er verhaucht bei seinem Gold sein Leben, der Fluch seines Goldes ergeht auch über Sigurd und rafft ihn dahin.Der nordische Dichter des zehnten Jahrhunderts stellt dann den Sigurd in das Heldengeschlecht der Wölsunge, gibt ihm den Siegmund zum Vater, dessen Tod er rächt, dessen zerbrochenes Schwert er zusammenschmelzt, Sigurds Ruhm überstrahlte den Ruhm aller Helden, ihn berät und beschützt Odhin. — In Tat, Wesen, Herkunft waren Sigurd und Siegmund von jeher verwandt, daß beide in der Dichtung Vater und Sohn wurden, kann uns nicht überraschen. Im deutschen Nibelungenlied ist Siegmund fast vergessen, ein Schemen, der nicht einmal den Mord seines Sohnes rächt. — Die überlieferung behing den Gott Thor, dessen Wesen an das Siegfrieds manchmal erinnert, im Norden mit Fabeleien, wie wir sie aus dem Märchen vom starken Hans kennen. Es ist das Märchen von einem Helden, der seinen Dienstherrn durch seine Wildheit und Überkraft zur Verzweiflung bringt, und den dieser darum vernichten will. Er wirft auf ihn schwere Steine, schickt ihn zur Hölle, aber aus allen Gefahren kommt der Bursche unversehrt zurück. Dies Märchen hat sich auch des Siegfried bemächtigt, zusammen mit dem vom kräftigen Bärensohn und seinen tückischen schwächeren
Genossen, die vergeblich versuchen, ihn zu töten, und trotz denen er die schöne Jungfrau sich erringt; er tötet mit einem Schwert, das nur er schwingen kann, den Drachen, der sie bewacht. Deutlich kann man märchenhafte Zutaten dieser Art in der niederdeutschen Thidrekssage und im deutschen Lied vom Hürnen Seyfried erkennen.Der Seyfried dieses Liedes peinigt seinen Meister, einen Schmied, und seine Gesellen, reißt Bäume aus, fängt Löwen und hängt sie hoch in die Bäume, der Meister schickt ihn, um ihn zu verderben, zu einem Drachen, aber Seyfried verbrennt ihn und seine Brut, badet sich in ihrem Blute und wird unverwundbar, bis auf eine Stelle zwischen seinen Schultern. Dann will Seyfried die Kriemhild, die ein Drache entführte, befreien. Ein Zwerg Euglein warnt ihn und gibt ihm seinen Rat erst, als Seyfried ihn gepackt und an einen Felsen geschlagen hat. Er weist ihm den Weg zum Riesen Kuperan, der den Schlüssel zum Stein besitze, in dem der Drache haust. Seyfried besiegt, trotz dessen Stärke und dessen Rüstung, den Kuperan, der ergibt sich ihm, stößt dann aber hinterrücks mit seinem Schwert nach dem jungen Helden, so daß diesen nur die Tarnkappe des Iwerges rettet. Als Seyfried wieder zu sich kommt, zwingt er den Riesen, ihm den Weg zum Drachen zu zeigen und tröstet die Kriemhild. In der Höhle zeigt der Riese noch einmal seine Untreue und muß sie nun mit dem Tode büßen. Seyfried aber nimmt das Schwert, das ihm der Riese entdeckt und erschlägt nach wildem, gräßlichem Kampf endlich den Drachen, dessen Schätze er nimmt und aus dessen Haft er viele Zwerge befreit. Das Lied erzählt dann noch ganz kurz, daß Seyfried die Schätze in den Rhein versenkt und daß er von Hagen ermordet wird. —
Auch in den anderen Liedern und Dichtungen von Siegfried haben sich die nordischen und deutschen Auffassungen und Darstellungen weit getrennt. Im Nordischen blieben die Erweckung und der Charakter der Brünhild die großen Themen, die Dichter schilderten Stolz und Liebe der Brünhild, das Herbe und Verschlossene, die Reizbarkeit und die Größe ihres Wesens, dem nur der unerschrockenste und der unberührteste Held ebenbürtig war. Im zehnten und elften Jahrhundert steigerte, verwirrte und
vertiefte man das Wesen dieser Frau. Einigen Poeten galt sie als Walküre: ein Lied von einer Walküre, die gegen das Gebot Odhins einen Helden im Kampf beschützte und die der Gott zur Strafe für ihren Trotz und Ungehorsam in langen Zauberschlaf versenkt hatte, wurde auf Brünhild übertragen. Aus ihrem Zauberschlaf erweckte sie Sigurd, beim Erwachen sprach sie die wundervollen Verse:"Lange schlief ich, lange schlummerte ich, lang ist des Lebens Leid. Odhin schuf, daß den Schlummerbann zu lösen mir nicht gelang. Heil dir Tag! Heil euch Tagsöhne! Heil Nacht und Nachtkind! Mit holden Augen schaut hier auf uns und gebt uns Sitzenden Sieg! Heil euch Asen, heil euch Asinnen, heil dir fruchtschwere Flur. Rat und Rede gebt uns ruhmreichen beiden und heilkräftige Hände." (Genzmer.)
Dann verdoppelten Dichter, denen eine Walküre Brünhild und eine andere Brünhild in Erinnerung waren, Brünhilds Erwerbung: Sigurd erweckte sie aus ihrem Zauberschlaf, verlieh sie, vermählte sich mit Gunthers Schwester und erwarb für Gunther die Frau, die er zuerst erweckt und verlassen. — Brünhild war nun eine verlassene Geliebte und eine Walküre; früher das Schicksal beherrschend, nun vom Schicksal gedemütigt und um ihre Liebe betrogen. Den Trotz, die Wildheit, die Rachsucht der alten Brünhild hat sie nicht eingebüßt, nach himmlischer Macht und nach kurzem Glück muß sie die ganze Ohnmacht der irdischen Frau und den endlosen Schmerz der Liebe auskosten. — Siegfrieds Wesen befleckte sich durch seine Treulosigkeit. Der alte Glanz verblich, er wurde dem Jüngling im Märchen ähnlich, der die Braut vergißt, die ihm durch ihre Zauberkraft das Leben gerettet, vergißt, trotzdem sie. ihn vor dem Vergessen gewarnt. Was half da die Erfindung, daß Siegfried Brünhild vergaß, weil ihm Gudruns Mutter einen Trank der Vergessenheit gereist? —
Das älteste nordische Sigurdlied stammt aus dem Anfang
des zehnten Jahrhunderts, seine Auffassung leitet unmittelbar aus der germanischen her. Brünhild reizt den Gunnar, den Sigurd zu ermorden, und sie verleumdet ihn, er habe bei ihr geschlafen, damit Gunnar nicht anders kann als dem Gebot der Ehre folgend, die Treue zu brechen. Sigurd mußte fallen, weil er die Ehre der Brünhild kränkte und ihr eine Lüge sagte. Als er gefallen ist, folgt ihm, dem einzigen Ebenbürtigen, die Frau in den Tod. Sie will mit denen nicht leben, die das Gesetz der Blutsbrüderschaft verletzten, wozu sie selbst sie doch antrieb, sie bekennt, vordem sie stirbt, daß Sigurd sich nie an ihrem Magdtum verging, und sie klagt leidenschaftlich die an, die ihrer Aufreizung gehorchten.Den Tod von Sigurd schildert dieser Dichter nicht, er läßt ihn durch eine Vogelstimme und dann durch eine kurze Botschaft verkünden und die Stimme des Vogels kann Gunnar nicht vergessen. Immer tönt sie in ihm nach und raubt ihm die Ruhe der Nacht.
Das zweite Sigurdslied, das kürzere, gehört dem elften Jahrhundert . Die Kunst seines Dichters ist eine ganz andere und ist ungleich; was er erzählt, entnimmt er rasch älterer Dichtung, er selbst ergeht sich in Selbstgesprächen und oft viel breiten Reden und er gibt die meisten davon seiner Brünhild. Diese Brünhild sehnt sich mit der ganzen Gewalt ihrer Seele nach der Liebe des Mannes, den ihr das Geschick versagte, ihr steht immer vor Augen, wie Sigurd die Gudrun liebt und zärtlich beschützt, ihr ist die Freude am Leben verschlossen, und nur der Zorn und die Wildheit gegeben, und aus aller ihrer Qual findet sie nur den einen Ausweg: wenn sie den Sigurd nicht besitzen darf, so soll er sterben. Die Seelenkämpfe und die Wildheit der Brünhild schildert dieser Dichter mit hinreißender Gewalt und Wahrheit in Tönen, wie sie die germanische Dichtung vor ihm noch nicht fand, und er vertieft sich auch mit großer und ernsthafter
Kunst in den Widerstreit der Gefühle, die Gunnars Herz zerreißen. Zum Schluß stellt er die Brünhild, die den eigenen Tod will, und über die in der letzten Stunde die Kraft der Seherin kommt, dem Gunnar, der Gudrun und dem Högni gegenüber. Sie will auf drin Holzstoß neben Sigurd liegen und das gleiche Schwert soll die Toten trennen, das einst die Lebenden trennte.Der Dichter des letzten großen, nur in prosaischer Umschreibung erhaltenen Sigurdliedes gehört in die gleiche Zeit. Er unterscheidet sich dadurch von dem des zweiten, daß er die Grimhild, Gudruns Mutter, und ihren Vergessenheitstrank einführt, ihr schiebt er alle Schuld zu und er trägt die Vorgänge breiter vor und begründet sie umständlicher. Bei diesem Dichter verachtet Brünhild den Gunnar und nicht nur sie liebt den Sigurd, er erwidert leidenschaftlich ihre Liebe. Dadurch werden die seelischen Konflikte noch tiefer und wilder, die Äußerungen von Liebe und Haß mannigfaltiger, der Ausdruck der Leidenschaft gerät dabei freilich oft in das Gedunsene und in das Krasse.
Im deutschen Nibelungenlied erwirbt Siegfried für Gunther die Brünhild durch Kampfspiele, er reitet nicht mehr durch die Waberlohe. Die Kampfspiele um Brünhilds Besitz gleichen den Kämpfen, durch die ein Held in Sage und Märchen sich den Eingang ins Jenseits erzwingt, von denen die isländische Saga und die isländische Göttergeschichte wissen und die ja auch Dietrich von Bern bei Riesen und Zwergen besteht. — Siegfried spielt im Kampf um Brünhild etwa die Rolle, die im Ortnit Alberich spielt, die Rolle eines mächtigen, überirdischen Wesens, das unsichtbar wirkt und hilft. Dies Märchenhafte an der deutschen Dichtung von Brünhild haben viele Hörer empfunden. Die Gewichte von Brünhilds Erwerbung ist bis nach Rußland gewandert und hat sich dort mit andern Märchen verschmolzen. — Das Reich der Burgunden um Worms, in der gesegneten Ebene
des Rheins, hieß nun, wie Laurins Reich, der Rosengarten; in der Phantasie der Erzähler verwandelte es sich in eins jener Reiche, die ihre Besitzer eifersüchtig behüten und in die sie jedem den Eintritt verwehren. Wenn Siegfried am Anfang des Nibelungenliedes trotzig den Eingang in Gunthers Reich fordert und mit ihm kämpfen will, so hat er in einer älteren Dichtung vielleicht schon bei Gunther und den Seinen Kämpfe bestehen müssen, wie später bei Brünhild.Die Vorgänge bei der Erwerbung der Brünhild erzählt ähnlich wie unser Nibelungenlied noch die Thidreksaga. Ein Vergleich beider Fassungen ergibt, daß sie auf ein gemeinsames Original zurückführen, auf eine Dichtung des zwölften Jahrhunderts.
Die Kampfspisle — das hat zuerst Andreas Heusler gesehen und in seiner Tragweite erkannt — gaben der alten Dichtung oon Brünhild ein ganz neues Gesicht. Der Gestaltentausch, die Durchreitung des Flammenwalles war eine mächtig ansteigende Überraschung, die Kampfspiele sind abwechslungsreicher, länger, spannender und unterhaltender; die alte Dichtung war eben heroisch, die junge ist spielmännisch. Der Durchreitung des Flammenwalles folgte das keusche Beilager, den Kampfspielen konnte sich das nicht anschließen. Da der Spielmann es nicht entbehren mochte, erfand er, daß Brünhild noch einmal sich gegen Gunther auflehnte, in der Brautnacht, und daß Siegfried sie noch einmal bezwang: damit war denn die von den Spielleuten so geliebte Verdoppelung erreicht. Für die Hörer der Spielleute war die weitere Ausmalung dieser Brautnacht bestimmt, , daß Brünhild den Gunther knebelt und an einen Pflock hängt, drei Nächte hintereinander. Im Spielmannsgedicht — im Nibelungenlied nicht mehr — hat Brünhild in der verhängnisvollen Nacht dem Siegfried wirklich gehört. Daß er sich vor der Kriemhild dieses Erfolges rühmte, wurde sein Verhängnis. — Im alten nordischen Sigurdlied sind die Königinnen allein, ihre
Reden folgen kurz, scharf und dramatisch aufeinander, als Brünhild den Ring sieht, wird sie bleich wie der Tod, geht in das Haus und spricht kein Wort. Der deutsche Dichter, und noch der des Nibelungenliedes, verdoppelt wieder den Streit und bringt ihn unter die Leute. Beim Turnier flammt er auf, beim Kirchgang setzt er sich fort, vor dem Gottesdienst sagt Kriemhild ihre Schmähung, nach dem Gottesdienst sagt sie ihre Beweise. Brünhild weint und ruft wach ihrem Mann, er solle ihr helfen! Das denke man sich in einem germanischen Heldenlied! Auch die eheliche Schelte, die dann die Frauen von den Männern hören müssen, paßt nicht in eine heldenhafte Sphäre!Brünhild steht nun ziemlich tief, Kriemhild tritt zu stark in den Vordergrund, Gunther ist nicht frei von einer starken Komik, Siegfried gerät ins Prahlhansentum: so verwandelt sich ein altes heroisches Lied in der Hand eines Spielmanns. Sein Gedicht war nach Ausweis der Thidreksaga noch härter und heroischer als unser Nibelungenlied.
Nach Siegfrieds Mord ging Brünhild den Heimkehrendm entgegen, beglückwünschte sie zur guten Jagd, forderte sie auf, den Leichnam ins Bett der Kriemhild zu werfen, ,umarme sie ihn nun als Toten '. Jetzt ist ihm geworden, was er verdient hat, ihm und Kriemhild." (Heusler.)
In dieser Spielmannsdichtung treten noch wenig Handelnde auf, die Handlung wurde durch Schilderung nicht aufgehalten, es war noch ein Lied. Aber die Fügungen sind schon locker, der Inhalt bunt, die Vortragskunst malt breit aus, die Hörer werden nicht in die heroische Sphäre gehoben, sondern der Dichter steigt zu ihnen herunter, sie sollen sich erregen und lachen und weinen und aufschaudern.
Siegfrieds Mord geschah nach dem deutschen Nibelungenlied und nach den ältesten nordischen Zeugnissen im Wald. Im Nordischen wird Gutthonn der Vollstrecker der Tat und durch besonderen
Zauber dafür gestärkt, die Brüder geben ihm vom Fleisch des Wolfes, der Schlange und des Geiers. Im Deutschen ist ja Hagen der Mörder. Der Tod Siegfrieds im deutschen Nibelungenlied ist nun dem Tod Balders, wie ihn Snorri nider jüngeren Edda erzählt (Sagenbuch l, S. 120 f.), seltsam ähnlich. Ganz unmöglich ist es ja nicht, daß beide Berichte auf eine alte germanische Götter- und Heldensage zurückweisen, die dann aus dem Kultus entstanden wäre. Vorsichtiger und einleuchtender ist die Vermutung, daß der deutsche Dichter und der nordische Dichter beide ein weitverbreitetes Märchen kannten, das vom bedingten Leben: es erzählt von einem Helden, dessen Kraft auf irgendeinem geheimnisvoll Zauber beruht, den eine Frau kennt und verrät. — Wie dem auch sei, wenn der deutsche Dichter vom Ende Siegfrieds, der nordische vom Ende Balders berichtet, umfängt beide der Geist und die Tragik der alten großen jeder. Und im Nordischen und im Deutschen sind beide, Siegfried und Brünhild, immer Bürger zweier Welten geblieben. Im Nordischen ist das Walkürentum der Brünhild etwas zu lebhaft betont, im Deutschen ist sie etwas zu tief in das Bürgertum heruntergedrückt — doch wie verwundert und fremd und unberührt blickt sie immer noch in die Welt der Burgunden! — Das Nordische hält den Sigurd zu stark in den qualvollen Banden der Liebe zu Brünhild, aber der Tat seiner Jugend, der Bezwingung Fafnis, gab es ein wunderbares Leuchten. Im Deutschen der Drachenkampf hier verschollen, dort verwildert, dafür fällt auf Siegfrieds Tod das große scheidende Licht des alten germanischen Heldentums.
5. Die-Burgunden. Hagen und Etzel
In den nordischen Liedern und Berichten vom Untergang der Nibelungen lädt Attila Gunther und die Seinen aus Gier nach ihrem Schatz verräterisch ein. Gunther, nicht Hagen ist der burgundische Held, den Mord der Brüder rächt die Schwester, sie
tötet den Attila und wirft Feuer in seine Halle. — Im deutschen Nibelungenlied rächt Kriemhild den Tod Siegfrieds, sie ist die Verräterin, sie läßt die Halle in Flammen aufgehen, in der die Burgunden kämpfen, durch sie fallen die Brüder. Der Held der Burgunden ist Hagen, Etzel bleibt am Leben. Der Dichter faßt den Etzel auf, wie die Heldendichtung der (boten ihn auffaßt. Im alten Hildebrandslied war er der milde Herr der Hunnen, die Lieder von Dietrich von Bern, die mit den Goten von Italien nach Tirol und Österreich wanderten und die sich dort zu Epen erweiterten, schildern den Etzel immer als den gütigen König, der den Dietrich beschützt, gegen den Ermanarich waffnet, der ihm sogar in echt königlicher Huld verzeiht, daß seine Söhne, nicht ohne des vertriebenen Herrschers Schuld, den Tod finden.Wenn nun zu den Bayern und Österreichern ein fränkisches Lied kam, dessen Attila ihrem Etzel so widersprach, mußte dies Lied sich umgestalten. Ohne ein bestimmtes Vorbild ist solche Umgestaitung kaum möglich.
Wir erinnern uns nun, daß, nachdem Attila ihre Herrscher und Krieger überwunden, die überlebenden der Burgunden sich in Savoyen ansiedelten und daß sie dort nach hundert Jahren (538) abermals und zwar von den Franken vernichtet wurden. Auch dieses Untergangs bemächtigt lid) eine Dichtung, die sich fast vor unsern Augen entwickelt. Im siebenten Jahrhundert ist sie das Lied von der Chrothild: das an ihr begangene Verbrechen, der Mord ihrer Eltern, rächt die Chrothild, eine burgundische Königstochter, an ihrem burgundischen Oheim Gundobad. Sie folgt der Werbung des fränkischen Königs Chlodwig, damit sie diesen zur Rache treiben kann, Gundobads weiser Ratgeber, Aridius , beschwört seinen königlichen Herrn umsonst, er möge um jeden Preis Werbung und Ehe verhüten (siehe oben S. 50).
Dies zweite Lied vom Untergang der Burgunden wanderte nach unsrer überzeugung nach dem Osten und vermischte sich dort
mit dem ersten, dem es vielfältig verwandt war; galt es doch auch dem gleichen Volk. Vermischungen dieser Art zeigten uns die Lieder oon Dietrich von Bern und von Wolfdietrich. Wir haben nun das Urbild der deutschen Kriemhild: eben die Chrothild, wir haben das Urbild des deutschen Hagen: eben den Aridius , wir haben das Urbild des Königs, der die Frau gewähren läßt und ganz zurücktritt: eben den Chlodwig. Diese Stellung des Chlodwig war auch dem Etzel angemessen, den die Bayern und Österreicher kannten. Das Lied vom Untergang der Burgunden wurde nun im deutschen Osten, und wohl schon im achten Jahrhundert, ein Lied von Kriemhilds Rache. In Kriemhild hatte, wie in Wieland, das Verlangen nach Rache alle Liebe fortgerissen; man hatte sie verraten, ihr den Mann gemordet, an dem ihr Leben hing, seinen Schatz ihr geraubt: das gab ihr das Recht zu unerbittlicher Vergeltung.Dies Lied von Kriemhilds Rache, die Schöpfung eines bayrisch-österreichischen Dichters des achten Jahrhunderts, eines Landsmanns und eines Zeitgenossen vom Dichter des Hildebrandliedes , wies die Geschichte der Nibelungendichtung neue Bahnen . — Schon in germanischer Zeit wird das Lied von Siegfried und Brünhild dem Lied vom Untergang der Burgunden nah gekommen sein. Den Hort, um dessentwillen Attila die Burgunden zu sich lockte, wird ein germanischer Dichter für den Nibelungmhort gehalten haben, der Siegfried gehörte und dessen sich nach seinem Tod die Mörder bemächtigten; eben jene Burgunden , deren Schwester Attilas Gattin wurde. Das eine Lied führte gewissermaßen zum anderen, zu einer Dichtung verschmolzen beide nicht, ebensowenig wie aus den Liedern von Alboin ein Epos wurde. Nun, im achten Jahrhundert, wurde Kriemhilds Rache die Seele des zweiten Liedes, die Vorgeschichte der Rache erzählte das erste Lied, dadurch wurden beide Lieder eigentlich Glieder eines Ganzen. Wenn sie auch äußerlich noch lange Zeit
eins neben dem andern lebten, im Wesen waren sie nun schon eines. Gegenspieler in diesem Lied waren Kriemhild und Hagen: wer besiegte den Hagen? Und wer bezwang Gunther? Und wie reizte Kriemhild den Etzel gegen seine Gäste? Und durfte sie ihre Rache überleben?Die späte Thidreksaga gibt der Forschung auf diese Fragen bestimmte und einleuchtende Antworten.
Kriemhild opfert schon im Germanischen die Kinder, die sie dem Attila geboren: nunmehr reizt sie durch ihr ungebärdiges Söhnchen die Burgunden, so daß Hagen es tötet. Etzel, des geliebten Kindes beraubt, gibt den Kampf gegen die Burgunden zu. Als Bundesgenossen wirbt sich die Königin den Bruder Etzels, Budel, der besetzt die Halle, in der die Burgunden waren, und aus der nur das Königspaar und Blödel entrinnen. Blödel bezwingt den Gunther. Als das Feuer die Burgunden aus der Halle treibt und sie sich draußen ihrer Widersacher erwehren, fällt Hagen den Blödel. Das darf Dietrich von Bern nicht dulden, er überwältigt den Hagen und bringt ihn gefesselt der Königin. Sie fragt ihn nach dem Hort, er weigert trotzig die Antwort, muß den Trotz mit dem Tod büßen, sie fällt von Dietrichs Hand.
Die alte asiatische Grausamkeit des germanischen Burgundenliedes ist dem bayrischen Lied genommen, die Handlung ist reicher und abgeglichener, seine heroische Kraft und sein heroischer Trotz und seine heroische Tragik sind geblieben. Die Helden stehen größer, lebendiger vor uns, sie entfalten sich mächtiger und stehen in reicherer Spiegelung vor uns. Der Dichter war, wie der des alten Heldenliedes, ein großer Vertreter seiner Kunst — Die Darstellung unsres Nibelungenliedes von den Kämpfen und dem Ende der Burgunden geht nun nicht unmittelbar auf dies Lied des achten Jahrhunderts zurück. Zwischen ihnen steht ein Epos, etwa aus den Jahren 1160 —70, das ein bayrischer Spielmann schuf, eben auf Grund des alten Liedes. Dies Epos hat die Thidretsaga nacherzählt, im wesentlichen treu, aber nicht ohne Entstellungen, Verwirrungen, Vergröberungen, Auslassungen und
Zusätze. Die Erkenntnis dieses Sachverhalts verdankt die Forschung wieder Andreas Heusler.Das Vorbild dieses Epos war die deutsche Spielmannsdichtung aus der Mitte des zwölften Jahrhunderts. Ein Spielmannsepos über Dietrich von Bern aus dieser Zeit ging uns verloren, das rheinische Spielmannsgedicht vom König Rother ist uns erhalten, es machte in Bayern großen Eindruck und wurde dort erweitert. Geistliche Dichter, die der Spielmannskunst manches verdankten, hatten das Rolandslied und das Alexanderlied schon früher aus dem Französischen übertragen. Unser Spielmann gab dem alten bayrischen Lied die Fülle der Auftritte und Helden, den Reichtum der Kämpfe und Schilderungen, dessen das Epos bedarf und den seine Hörer begehrten, er gab ihm auch die breitere Charakterzeichnung. Der österreichische Boden, auf dem er dichtete, war der Boden einer echten, jugendstarken Dichtung, im Epos und Zauberspruch, im geistlichen Gedicht und im Minnesang.
Im bayrischen Lied waren Kriemhild, Etzel, Hagen, Gunther, Dietrich, Blödel die Helden. Unser Dichter gab außerdem von den Burgunden dem Giselher und dem Gernot ein neues Leben, dem Dietrich von Bern gab er den alten Hildebrand als Begleiter , zu diesen Recken traten die vielbesungenen Thüringer Irinc und Irminfried. Was Namen und Klang hatte von den Fürsten und Mannen der Burgunden, der Amelungen, der Thüringer, das breitet nun das Nibelungenepos aus. Im Nordischen ziehen die berühmten Heldengeschlechter, die Schildungen, die Wölsungen, die Gjukungen, Ahnen, Söhne und Enkel in langer Reihe an uns vorüber, im Deutschen stellen sie sich im großen Kreis vor uns. Den Kriegern der germanischen Zeit schließen sich Volker und Rüdeger an, diese beiden danken wir der Kunst unsres Spielmanns, sie zeigen uns, welch ein begnadeter Dichter auch er war.
Bei der Todesfahrt der Burgunden verweilt dieser Dichter länger als seine Vorgänger, sie ist ahnungsschwerer geworden, der Hauch reiners Tragik umwittert sie.Während der Fahrt auf der Donau, im hellen Mondschein, sucht Hagen für die Burgunden ein Schiff, erblickt die Meerfrauen, hört von ihnen, daß keinem Burgunden die Rettung beschieden, gewinnt durch reichen Lohn einen Fergen und sein Boot, das nun Gunther und seine Mannen besteigen, Hagen rudert es so gewaltig, daß die Ruder brechen und die Pflöcke abgehn — diese Kraftleistung erzählt auch das grönländische Atlilied —, erschlägt den Fergen, damit er die Burgunden nicht bei den Hunnen meldet. Als alle übergesetzt sind, schlägt er das Schiff in Stücke, keiner soll zurück über den Strom, als Helden sollen sie alle in den Tod schreiten.
Der edle Rüdeger nimmt die Burgunden gütig, liebevoll und ehrerbietig auf. Mit seiner Tochter Gotelind verlobt sich der junge Giselher und empfängt Rüdegers Schwert, ein Bund für das Leben scheint geschlossen. Diese Rast bei Rüdeger, kurz vor den Schrecken des Endes, ist das reinste Glück, das den Burgunden das Schicksal bescheidet, ein letzter, tiefer Atemzug in Unschuld und Frieden.
Den Empfang bei Etzel und den Untergang der Helden entwickelt das Epos wieder in einer großen Reihe von Bildern, es läßt den Wogenprall der Kämpfe immer mächtiger und vernichtender aufbranden. Dietrich reitet den Gästen entgegen und warnt sie, die Nibelungen reiten in stolzem Aufzug durch die Straßen nach der Königsburg, an der mächtigen Gestalt Hagens haften die Blicke der Hunnen. In der Schloßhalle begrüßt Kriemhild die Helden. Sie fragt Hagen nach dem Hort. Er sagt: Ich trage an meinem Helm, meinem Panzer und meinem Schwert genug und bringe dir den Teufel. Sie erkennt, daß die Burgunden gewaffnet und gewarnt sind; auf den Ausbruch ihres Zorns erwidert Dietrich: "Ich war es, der sie gewarnt hat." Zwischen Gunther und Giselher sitzend bricht sie, von ihren bittern Erinnerungen überwältigt , in Tränen aus. "Latz Siegfried ruhn," sagt Hagen, "habe du nun deinen Etzel lieb."
Dietrich bringt die Burgunden zu Etzel. Dem fällt Hagen auf, er fragt nach ihm, erinnert sich seiner und gedenkt der alten Tage, in denen Hagen bei ihm als Geisel geweilt. Der Hunnenkönig gibt seinen Gästen das erste große Gelage, sie erkennen die Herrlichkeit seiner Hofhaltung. In der Nacht halten Hagen und Volker die Wache, Volkers Weisen singen die Helden in den Schlaf. Am zweiten Tage beginnt das
letzte mörderische Ringen. Von der Gewinnung Blödels durch Kriemhild bis zur Gefangennahme Gunthers durch Blödel folgten sich die Vorgänge ungefähr so wie im alten bayrischen Lied. Aber dem alten Dichter galt Etzels Palast als Holzhalle, dem Dichter der Stauferzeit als Steinbau. Der Brand vertrieb darum die Burgunden nicht aus der Halle, das Feuer ergriff Dach und Decke, quälte die Eingesperrten und zwang sie, ihren Durst mit Blut zu löschen. Blödel versuchte nun in die Halle zu dringen. Dabei geriet er in Kampf mit Gernot und fiel. Den Hagen wagte nun, von Kriemhilds Bitten und von ihrem Gold betört, Irini anzugreifen, ihn durchbohrte Hagens Speer. Etzel beschwört den Rüdeger, den Tod seines Bruders, des Blödel, zu rächen; Rüdeger muß seinem Lehnsherrn gehorchen und gegen seine Gastfreunde kämpfen. Giselher versetzt ihm mit dem Schwert, das er dem Verlobten seiner Tochter geschenkt, den tödlichen Streich. Als Dietrich hört, daß sein treuester Freund gefallen, führt er selbst seine Helden in den Kampf: wie Achill nach dem Fall des Patroklos von seinem Zorn läßt und den Kampf für die Griechen entscheidet. Im letzten Ringen fallen alle Burgunden bis auf Gernot, Giselher, Volker, Hagen. Den Gernot und den Giselher erschlägt Hildebrand, den Volker Dietrich, er fesselt auch den Hagen. Das Ende war wieder wie im alten bayrischen Lied.Rüdeger gehört eigentlich in das Epos von Dietrich von Bern, als Markgraf Etzels, als vertriebener Fürst, als Freund und rater Dietrichs. Die Güte und Milde, den abgeklärten Sinn, das reife und bescheidene Heldentum hat er mit dem deutschesten König unsrer Heldendichtung gemeinsam. Wie der alte Hildebrand muß er nach härtestem Widerstreit der Gefühle den Jüngling fällen, der ihm der liebste ist, den Verlobten seiner Tochter — ihn fällen, nachdem ihm nach langem heimatlosen Heldentum nun endlich das Glück der Ruhe und der Liebe von Frau und Kind lächeln wollte, — wie dem Hildebrand auch. Wie schön hebt sich wieder Giselhers strahlende, unschuldige Jugend ab von dem gefaßten und männlichen Heldentum der Amelungen und von der ungerührten Härte Hagens! Er, aus dessen Mund wir sonst nur Worte des Trotzes und der Verachtung hören, bittet für Giselher: der habe den Siegfried nicht erschlagen. — Rüde
geis Tod reiht Giselher und Gernot und Volter und Hagen in die Vernichtung, er treibt zugleich den Dietrich an zur unerbittlichen Bewährung seines königlichen Amtes. Wenn die heroische Dichtung der Germanen den Boden betritt, auf dem die Lieder von Dietrich von Bern und den Seinen wuchsen, so strömt das adligste Blut ihr in das Herz, kein Heldentum der Welt ist ihr dann gleich. Der Rüdeger unsres staufischen Nibelungendichters ist ein Besitz, um dessentwillen wir den Verlust mancher Dichtung von Dietrich von Bern verschmerzen.Weis er Dichter und Spielmann zugleich war, schuf unser Dichter sich in dem Spielmann Boner ein Gegenbild. Spielleute, die als tapfere Helden auszeichneten, pries zuerst das altfranzösische Epos, von der rheinischen Dichtung gelangten sie in die deutsche. Doch das Heldentum dieses Sängers, seinen Todesmut und Stolz in allen Ehren, und wenn auch niemand die wundervolle Szene wird missen wollen, nider seine Weisen die Helden in den Schlaf singen — uns scheint, als sei Boker den burgundischen Helden nicht immer ebenbürtig und etwas laut und aufdringlich. überhaupt tritt für unser Empfinden im älteren Epos das Spielmännische da und dort zu stark hervor: wenn z. B. Hagen die Meefrauen und Dietrich die Kriemhild entzweischlägt, wenn das sechsjährige Söhnchen Etzels dem Hagen einen Backenstreich gibt und dieser nicht nur das Kind tötet, sondern auch dessen Erzieher, weil der ihn so schlecht erzog. Auch neigt der Dichter dazu, Zahlen und Kämpfe zu übertreiben, in Einzelheiten ist er nicht immer klar. Doch welcher Große zahlt keinen Tribut an seine Zeit und seine Hörer? Die alte germanische Nibelungendichtung fand in den Jahrhunderten der Völkerwanderung , im Jahrhundert Karls des Großen, im Jahrhundert des Friedrich Rotbart immer wieder den großen Sänger; der Form des Liedes waren die ästen, der Form des Epos waren die jungen Dichter gewachsen.
Der Dichter unsres Nibelungenliedes stand, wenn er seinen Vorgängern gewachsen bleiben wollte, vor einer schweren Aufgabe: er hat sie gelöst. Auch er war ein Spielmann und auch seine Heimat war Österreich. Etwa um 1200 hat er gedichtet: er nennt Rumolt einen Küchenmeister, dies Amt ist am deutschen Königshof 1202 eingeführt. Den wünneclichen hof ze Wiene, den Walther so liebte, hat unser Dichter wohl auch gekannt. Die herrlichste seiner Hochzeiten, die Etzels, verlegt er dorthin. In Pilgrim, von Passau, einem Bischof des zehnten Jahrhunderts, dessen Ruhm im zwölften Jahrhundert sich wieder auffrischte, als man seine Gruft öffnete, hat er vielleicht den Nachfolger Pilgrims feiern wollen, den Bischof Wolfger von Ellenbrechtskirchen , einen hohen Gönner der Fahrenden, der auch Walther von der Vogelweide beschart hat. 1199 fielen bayerische Grafen ins Bistum Passau ein: den Bayern ist unser Dichter nicht wohlgesinnt. Der bayrische Ferge, dem Hagen begegnet, ist ein recht rauhes Exemplar bayrischer Grobheit, den bayrischen Herren wird als Gewohnheit Straßenraub nachgesagt.
Das Ziel unsres Poeten war ein Epos ritterlichen Stils, feiner und höfischer als das seines Vorgängers, den er auch aus der Gunst seiner Hörer verdrängte, und großartiger und breiter in der Anlage, ein Epos aus der heimischen, nicht aus der höfischen Weit. Die alten deutschen heldischen überlieferungen waren ihm lebendiger als Artus, Parzival und Tristan. Doch hat er Wolframs Parzival gekannt und Wolfram hat sich an seinem Rumolt ergötzt. Eine große Szene aus Hartmanns Jwein hat sich dem Nibelungendichter tief eingeprägt: die Wunden des Ermordeten beginnen wieder zu bluten, wenn der Mörder in seine Nähe tritt. So bluten Siegfrieds Wunden, als Hagen der Leiche naht: nun ist es Kriemhild ganz gewiß, daß er der Mörder war. In Hartmanns Jwein ist die Szene eigentlich nichts als ein spannender und erregender Zug, fast nur dekorativ, im Nibelungenlied
steht die Szene in feierlicher, düstrer Umgebung-siegfried — Siegfried liegt aufgebahrt im Dom — und sie entscheidet das Schicksal der Burgunden.Im Versmaß folgte der Nibelungendichter den heimischen Weisen, er wählte nicht die Reimpaare der höfischen Dichter. — In kurzen und leichten Strophen, die sie gern und kunstreich variierten , haben die Spielleute ihre deutschen Lieder im zehnten und elften Jahrhundert oft erklingen lassen. Von besonderem künstlerischen Reiz war die Strophe der Salman und Morolf-Dichtung. Um die Mitte des zwölften Jahrhunderts wählte ein bayrisch -österreichischer Dichter, der Kürenberger, für seinen Minnesang ein neues Versmaß: zwei Langzeilenpaare aus je zwei Kurzzeilen, die Langzeilen reimten miteinander, der letzte Kurzvers fällt durch einen volleren Schluß merklich ins Ohr. Dies Maß war im wesentlichen das Maß des älteren epischen Dichters und auch unsres Dichters; in Schwellungen und Ausweitungen kehrt es in der Gudrun, in Dichtungen von Wolfdietrich und Dietrich von Bern und im Volkslied wieder. Uns scheint es eher lyrisch als episch, doch stimmt es schön zu dem bewegten Tempo des germanischen Epos, bald feierlich einhaltend, bald rasch vordrängend, bald verströmend und weich, bald kurz und hart, Spannungen und Gegensätze sind ihm leicht erreichbar, alles in allem bleibt es der Strophe der Edda und der germanischen Strophe seltsam nah und verwandt.
Die Verspaare des Dichters von 1160 waren noch härter, sie standen schärfer und eckiger gegeneinander, die Renne und Versschiüsse waren altertümlicher, die Worte derber. Unser Nibelungendichter gleicht aus, seine Sätze zieht er über das Langzeiienende in die nächste Reihe, oder gar über das Strophenende in die nächste Strophe, seine Reime und Füllungen werden reicher, seine Worte gewählter und milder, oft zu bewußt ritterlich. Aber das Alte, Reckenhafte bewahrt uns der Vers noch
oft; die Gegenwirkung von ruhenden und bewegten, von raschen und langsamen Kurzzeilen, der Klang mit seinem altertümlichen Reichtum und seiner wunderbaren Abstufung zeigen ihn als großen Künstler auch im Vers.Der Dichter unsres Nibelungenliedes also hat das Spielmannslied von Siegfried und Brünhild und das Epos von der Todesfahrt der Burgunden zur Einheit verschmolzen. Wenn ihn auch die Jahrhunderte vorbereitet hatten, ohne Risse und Brüche gelang dieser Guß nicht. Giselher, im zweiten Teil des Epos ein Kind, ist im ersten ein reifer Mann, ein Eckehard — ein Warner im Dienst Rüdegers, und ein anderer, ein Kämmerer Kriemhilds — sind nicht klar voneinander geschieden, ebensowenig der Küchenmeister Rumolt und ein anderer Rumolt, der kurz hinter dem ersten, man weiß nicht warum, die Burgunden nochmals warnt. Solche Unstimmigkeiten besagen wenig; schwerer wiegt der Unterschied des Tons im ersten und im zweiten Teil. Im ersten Teil ermüden uns die vielen Feste, Botenfahrten, Hochzeiten recht oft, ebenso ein zur Schau getragenes höfisches Wesen und der Kleiderprunk . Wir müssen durch leere und weitschweifige Schilderungen hindurch. Im zweiten Teil ist der Gang gemessener, ernster, die Schilderung gleichmäßiger und getragener. Manches von den leeren Versen des ersten Teils mag Zutat späterer Spielleute sein, die ihre Hörer nach all dem Aufwand an königlichen Höfen lüstern machen wollten. Aber auch wenn wir uns das Lästigste fortdenken, das Lied, aus dem er seinen ersten Teil schuf, mußte unser Dichter stärker und öfter erweitern als das Epos, das er im zweiten Teil vor sich hatte, an der Ungleichheit der beiden Teile des Nibelungenliedes hat die Ungleichheit der Vorlagen die Hauptschuld. — Die Kämpfe um Brünhild trägt der Dichter frisch und lebendig vor, die Vorbereitungen zur Fahrt sind freilich gar zu breit. Der Brünhild gönnt er nicht einmal Schönheit, sie steht seinem Herzen nicht nah. Dafür hat er die Jagd, die der ahnungslose Siegfried mit
dem Tod büßt, mit dem ganzen Aufgebot seiner künstlerischen Kraft geschildert. Das goldene Licht des süddeutschen Sommers flutet durch den Wald, dem Siegfried fällt die größte Beute zu, er treibt in die Küche einen gefangenen Bären, so daß die Köche schreiend durcheinanderfahren, dann verlangt er umsonst das köstliche Naß des Weins, schilt in derben Worten, daß man gerade den Trunk vergessen, läuft, um sich am Brunnen im Wasser zu erquicken, mit Hagen und Gunther in großen Sprüngen durch den Wald. Als ihn der Ger Hagens getroffen und er nach verzweifelter Gegenwehr erbleicht und in die Blumen sinkt, denkt er wehmütig noch einmal der geliebten Frau und des kleinen Söhnchens.Das Entscheidende ist unserm Dichter gelungen, als künstlerische Einheit steht das Nibelungenlied vor uns, nicht als zweigeteiltes Epos. Die Mitte, aus der dies Epos zu entwickeln war, hat der Dichter erkannt: das Schicksal und die Tragik der Kriemhild . Das Nibelungenlied dürfte wirklich heißen, wie es im Mittelalter gelegentlich genannt wird, das Buch von Kriemhild. Gleich die ersten Verse künden, ein weissagender Traum, Kriemhilds Los. Dann zeigt sich das scheue, stolze und schöne Mädchen, ihre hingebende Liebe, ihr strahlendes Glück, die zärtliche und unbedachte Sorge und der grenzenlose Stolz auf den geliebten Mann, die ihres besten Lebens beraubte Frau, die einsame Witwe, von den Mördern ihres Mannes umgeben, ihre fürstliche Würde stolz wahrend. Je länger sie ihn entbehrt, um so weniger kann sie Siegfried vergessen. Das Verlangen, seinen schmählichen Tod zu rächen, verdrängt alle andern Gefühle, und als es sich nach langen Jahren endlich erfüllt, durch grausamen Hohn und bittere Kränkungen immer wieder verschärft, greift es, alle vernichtend, ungeheuer um sich und stürzt die besten Helden und Fürsten in Verzweiflung und Tod.
Hagen ist eigentlich eine gerade für die fränkischen Zustände bezeichnender Held: der fränkische Major domus, der königliche
Hausmeister, wie er schon im Waltharius vor uns trat. Im deutschen Nibelungenlied steht er als der starke, herrschsüchtige, unbeugsame, ränkevolle und doch treue Diener den schwachen, unschlüssigen, leicht bestimmbaren Fürsten gegenüber. Er sieht viel weiter als sie in die Zukunft und ist, wie man heute sagen würde, ihnen an staatsmännischer Einsicht sehr überlegen. Dadurch wird er auch gerade das Gegenbild des froh in den Tag hineinlebenden Siegfried, der nur der Gegenwart gehört und nur die lachende Freude des Kampfes und des Lebens kennt. Hagen hängt leidenschaftlicher noch als die Herrscher selbst an der Größe seines Herrscherhauses und seines Landes. Er kann die Schmach und die Einbuße an Ruhm nicht verwinden, die Siegfried über die Burgunden brachte. Den Mord Siegfrieds plant er auch darum, weil dessen Tod für die Burgunden einen Zuwachs an Macht und Reichtum bedeutet, er versenkt seinen Schatz — das hat wieder unser Dichter erfunden —, damit Kriemhild ihn nicht gegen die Burgunden verwertet. Nicht aus Bosheit und Mißgunst und feiger Gesinnung, sondern aus der Staatsräson, weil er weiß, daß Kriemhilds Verbindung mit Etzel und die Fahrt Gunthers und der Seinen zum Hunnenkönig den Untergang der Fürsten und des Reichs nach sich ziehen, widerrät er die Heirat und widerrät die Reise. Dann geht er, weil es sein Amt und seine Treue fordern, mit offenen Augen in seinen Tod. Er weiß für die Könige zu sterben, wie er mit allen Fasern seines Herzens für sie und nur für sie gelebt hat. Jeder seiner Gedanken und seiner Sorgen galt seinem Reich, ihm danken die Burgunden ihren großen und heldenhaften Untergang. Sie aber vergelten ihrem größten Diener die Treue und sterben alle lieber den grausamsten Tod, ehe sie den opfern, dessen Auslieferung sie leicht retten würde.Kein anderer germanischer Dichter hat den fränkischen königlichen Hausmeister so leidenschaftlich aufgefaßt und sein Wesen in allen seinen germanischen Tiefen und Ewigkeiten so wundervoll
und so sachlich geschildert und zugleich verklärt wie der Dichter unsres Nibelungenliedes.Die Thidreksaga macht Hagen zum Sohne eines Elben und schildert mit besonderer Genugtuung seine fahle Farbe und sein bleiches Antlitz. Es ist schwer zu begreifen, daß viele Forscher bis in die Gegenwart hinein den Hagen für ein Wesen mythischer Herkunft, für den eigentlichen Nibelungen, und den Bericht der Thidreksaga über ihn für den ursprünglichsten erklären. Die Dämonisierung Hagens ist nach unsrer Auffassung ähnlich zu beurteilen wie die von Starkad, Witege und Wate, sie vertieft nicht, sie verflüchtigt Hagens Art, die in die große und harte Welt des germanischen Heldentums gehört. Wenn ein Held ein Wesen von Fleisch und Blut ist, so ist das Hagen, er stammt nicht aus dem dunklen und gespenstischen Reich der Schwarzelben.
Gegenüber seinen Vorgängern hat unser Dichter wieder manche Zusätze und manche Änderungen. Den Krieg gegen Sachsen und Dänen, bei dem Siegfried den Gunther so ritterlich und erfolgreich unterstützt, würden wir gern entbehren. Aber Schilderungen solcher Kämpfe sind für die Spielmannsdichtung des zwölften Jahrhunderts ein nicht uninteressantes Merkmal, das die Forschung erst in den letzten Jahren fand. In solchen Schilderungen hat die Heldendichtung Erinnerungen an kriegerische Vorgänge des neunten und zehnten und der folgenden Jahrhunderte festgehalten; in den Helgidichtungen und in der Gudrun beobachteten wir das zum erstenmal, im Rother und in den Dichtungen von Wolfdietrich klingen Abenteuer aus Kreuzzügen nach, in der Thidreksaga, in den Kämpfen Dietrichs von Bern, und eben in unserm Nibelungenlied Erinnerungen an Siege und Taten des Lothar von Supplinburg, des sächsischen Königs. Das Interesse an der Zeit, ein neues geschichtliches und politisches Bewußtsein war im elften Jahrhundert in Deutschland lebendig geworden, die Geistlichen hatten es geschaffen oder verwertet, und im Annolied
und Kaiserchronik zeitgeschichtliche Dichtungen geschaffen. Nun trugen die Spielleute diese neue Kunst auch in die Heldendichtung .Im zweiten Teil entwickelt und ordnet unser Dichter die Kämpfe anders als sein Vorgänger; er schließt sie nicht so klar und mächtig aneinander. Die Szenen, die uns den Empfang der Burgunden schildern, geraten in Verwirrung, dafür findet sich in ihnen ein neuer großartiger Auftritt: Hagen steht vor Kriemhild nicht auf und zeigt ihr das Schwert, das den Siegfried erschlug. Das ist das Gegenstück zum Auftritt im Dom, bei dem des toten Siegfried Wunden bluten. — Blödel tritt im Nibelungenlied zurück, an seiner Stelle tritt Dankwart, ein neuer Held, auf die Bühne, ihn und die Knappen überfällt Blödel, er, als der einzige, entkommt dem Blutbad und meldet den Burgunden, die an Etzels Tafel sitzen, diesen unerhörten Treubruch. Da erschlägt Hagen zur Vergeltung den Sohn Etzels. Das ist nun kein häßlicher Mord mehr an einem unschuldigen Kind, sondern ein tragischer Zwang. Eben noch malte Etzel sich die Zukunft seines Söhnchens aus, seines Trostes und seines Glücks. Doch über dies Schicksal war schon anders entschieden, aus dem Tod des Kindes mußte unversöhnlicher Haß aufspringen, er war das Vorspiel zu Kampf und Tod ohnegleichen. Kriemhild wollte das Kind opfern, um Etzel zur Rache zu treiben, doch die Ereignisse gingen einen rascheren, gewaltigeren Gang.
Dankwart also, nicht Gernot, erschlug den Blödel. Dafür trat Gernot, nicht Giselher dem Rüdeger entgegen, beide geben sich den Heldentod, der junge Giselher fiel nicht durch den alten Hildebrand , sondern Wolfhart, der junge Neffe Hildebrands, und Giselher streckten sich nieder. Den Wolfhart hat wieder unser Dichter geschaffen, dem Sterbenden gab er die Worte: um mich weint nicht, von den Händen eines Fürsten sterbe ich den Heldentod . Nicht Dietrich, sondern Hildebrand fällte den Volker, Dietrich
bezwang den Gunther und den Hagen und nicht er, sondern der alte Hildebrand erschlug die Kriemhild. Gunther wurde nicht schon im Beginn der Kämpfe gefesselt, er überdauert mit Hagen die andern alle und steigt wieder auf zu der heroischen Geltung, die er in der germanischen Dichtung besaß.Die Neubildungen sind nicht immer ein Gewinn. Verloren hat das Heldentum Rüdigers. Seinen Konflikt bereitet der Dichter sorgfältig vor, dann entfaltet er sich in einer schwer zu ertragenden Rührseligkeit und Breite. Das Königspaar fleht seinen Markgrafen fußfällig um Hilfe, Rüdiger findet des Redens und Flehens kein Ende. Wenn er dabei sagt, er habe der Herrin den Leib und nicht die Seele versprochen, und was er auch tun und lassen möge, so folge er dem Bösen, wenn er Gott um Hilfe fleht, weil er selbst keinen Ausweg sieht, so erkennen wir grade hier zu unferm Schmerz, wie der Geist des Christentums und wie scholastische Dialektik das starre und große alte Heldentum zersetzten. Die germanischen Helden in ihrer Not kannten die Entscheidung, die sie zu treffen hatten, und sie trafen sie rasch. — Merkwürdigerweise ist die Darstellung von Rüdigers Konflikt die einzige tiefere Wirkung des Christentums auf das Nibelungenlied. Sonst gilt für das Epos Goethes Wort: "Grundheidnisch". "Keine Spur von einer waltenden Gottheit . . . Helden und Heldinnen gehen eigentlich nur in die Kirche, um Händel anzufangen." — Dafür strömten aus den Dichtungen von Dietrich von Bern wieder wundervolle Wirkungen in das Epos auch unsres Dichters. Wie in der alten Heldendichtung steht der geduldige König, der nie die Herrschaft über sich verliert, dem alten ungebärdigen Hildebrand gegenüber, dessen Kampflust mächtiger ist als er selbst. Wie im alten Hildebrandslied wird der Alte gegen seinen Willen vom Ungestüm eines Jungen, des Wolfhart, in den Kampf gerissen und er bleibt der einzig Überlebende. Dietrich selbst steht ritterlicher, gefaßter, geläuterter vor uns denn je. Nicht Rüdigers Fall treibt ihn in den
Kampf, er schickt den Hildebrand, der soll fragen, was geschah. Als der Alte wiederkehrt, ganz allein, da erst geht er und macht dem Ringen ein Ende, er ein König, einst mächtig und reich und hehr, nun ohne Land und ohne Helden. Sobald er dem Hagen und Gunther gegenüber tritt, verwandelt sich das wilde Morden wieder in ritterlichen Kampf. Freilich, die beiden Fürsten sind nicht mehr zu retten.Auch aus unserm Nibelungenlied wünschten wir manches Spielmännische fort. Die Beleidigungen, durch die Hagen und Kriemhild sich kränken, wiederholen sich zu oft und verletzen zu stark die einfachsten Forderungen der Sitte. Warum muß auf der Fahrt zu Etzel der eine Herr des Fährmanns, Gelfrat, den Hagen hinters Roß setzen, daß er kläglich nach Dankwarts Hilfe ruft, warum müssen vor dem letzten Kampf Hagen und Hildebrand sich wie die alten Weiber schelten, warum Hildebrand vor Hagen flüchten, warum Hildebrand der Kriemhild das Haupt abschlagen und sie dabei einen ungefügen Schrei ausstoßen? Das Weinerliche und Rührende ist dem Nibelungenlied auch nicht fremd. Die Burgunden vergießen Tränen der Rührung über Rüdigers Edelmut, Dietrich weint laut auf, als er seine Mannen verlor, und klagt, daß er vor Leid nicht sterben könne. Als alle Helden gefallen sind, weiß der Dichter wieder nichts zu sagen, als daß alle Liebe in Leid verendet , daß man Ritter und Frauen weinen sah, und dazu die edlen Knechte über den Tod ihrer lieben Herren.
Im Vergleich mit seinen Vorgängern hat unser Dichter gemildert. Man wirft den toten Siegfried der Kriemhild nicht mehr ins Bett, man legt ihn leise vor ihre Tür, Brünhild geht den Mördern nicht mehr triumphierend entgegen, diese feiern ihre Tat nicht mehr durch ein Gelage. Hagen empfängt von Etzels Söhnchen keinen Backenstreich, er schlägt nicht mehr die Meerfrauen, Dietrich schlägt nicht mehr die Kriemhild in Stücke. Dabei ist die alte bildhafte und sinnbildhafte Kraft der germanischen
Dichtung geblieben: Im Morgengrauen liegt Siegfrieds Leiche auf goldenem Schild vor Kriemhilds Tür. Kriemhild läßt den Sarg des toten Gemahls aufbrechen und hebt das Haupt des Geliebten noch einmal empor, um es zu küssen. Dietrich faßt den Hagen an der Hand, Rüdiger, als er den Burgunden Fehde ansagt, setzt seinen Schild vor die Füße. — Die Einwirkung des höfischen Minnewesens und seiner Pracht steht dem Nibelungenlied freilich nicht immer gut an. Über die "Zuschneiderphantasie" des Dichters hat man schon oft gespottet. Mitten in der alten heldischen Welt befremdet es, wenn gesagt wird: Kriemhild leuchtet wie die Morgenröte aus trüben Wolken. Ihr Antlitz ist rosenrot, wie der lichte Mond lautern Scheines vor den Sternen steht, so steht sie vor ihrem Gefolge. Siegfried aber wird bleich und rot, er kann es sich gar nicht ausmalen, daß er die Kriemhild je lieben darf, wenn er sie aber nie wieder sehen würde, so wäre er lieber tot. Dabei steht er so minniglich da, "als wäre er von der Kunst eines guten Meisters auf einem Pergament entworfen" . Bei Volker verlieren wir noch immer nicht die Empfindung, daß er sich in Kreise eindrängt, in die er nicht gehört, überall will er der erste und der klügste sein, gibt Ratschläge, um die man ihn nicht bittet, kränkt ohne Grund und Recht Kriemhild, als sei er derselbe wie Hagen, tötet beim Turnier einen Hunnen, bloß weil er ihn ärgert — die Langmut und Höflichkeit Etzels gegenüber diesem Gast sind wirklich übertrieben. Ohne Volker blieben Heldentum und Tragik die gleichen, ja sie blieben ungestörter.Die nordische Überlieferung von den Nibelungen ist mannigfaltiger als die deutsche, sie verteilt sich gleichmäßig über ein halbes Jahrtausend. Die Lieder nehmen an Umfang zu, den Weg zum Epos gehen sie nicht. Ihre Darstellung bleibt dramatisch oder sie verlieren sich in lyrische und seelische Schwelgereien. Am Ende der nordischen Zeit löst man die Heldenlieder auch in Prosa auf, setzt, oft sehr mechanisch, die aufgelösten Lieder eins neben
das andere oder in das andere und schafft daraus jene Heldensagen , die im Äußeren der isländischen Saga gleichen. Im Deutschen hat sich schon im zehnten Jahrhundert aus dem Lied das Epos entwickelt. Ganz hat es das Lied nicht verdrängt und dies hat sich neue Formen gesucht, aber das Epos blieb die herrschende Gattung. Spielmännische, ritterliche, christliche Elemente nahm es in sich auf und blieb in seinen großen Leistungen doch germanische Kunst. Ganz rein zusammenklingende Werke gerieten nicht, doch ihre Vielfältigkeit begünstigte die Kunst des Erzählens und die Kunst des seelenkundigen Gestaltens. Im Nibelungenlied ersteht das ganze Leben der Helden vor uns und geht den vom Schicksal gewiesenen Gang, aus der Fülle der Szenen und Taten entfaltet sich, Zug um Zug, ihr tragisches Handeln. Im ganzen gesehen, bleibt es ein Wunder, wie rein und groß, ja wie geläutert und verklärt ein Dichter der großen staufischen Zeit uns das Heldentum der Vorfahren zeigte. Nicht jedes Volk hat das stolze Erbe seiner Vergangenheit so bewahrt und erworben!Von den germanischen Völkern aus der Zeit der Völkerwanderung gingen gerade die ganz Heldenhaften, Wilden und Großen zugrunde, die Longobarden, die Heruler, die Wandalen, die Burgunden, die Goten. Die höchsten Gebote ihres Heldentums haben sie gegeneinander getrieben und vernichtet, Treue und Untreue, Rache und Ehre verschlangen sich unlösbar ineinander, wie ist noch im Nibelungenlied Hagen um seiner Treue willen zugleich der treuloseste Held. Der Kampf, und immer wieder der Kampf wandte sich feindselig gegen die Helden selbst und schlug sie mit tragischer Verblendung, so daß sie alles zerstörten, woran ihr Leben hing. Es erkannten das wohl einige, aber sie erkannten es, als es zu spät war, in ihrer Todesstunde. Wäre das Christentum nicht zu ihnen gedrungen, hätte es ihre Blicke nicht in das Jenseits gelenkt und über die Rache die Gnade gestellt, hätte es nicht den Gehorsam und die Liebe um ihrer selbst willen in ihre
Herzen gesenkt, die Germanen alle wären längst vom germanischen Boden verschwunden.Aber ohne die Mächte ihres Heldentums können die Germanen ebensowenig leben, wie von diesen Mächten allein. Weil sie Sein waren von ihrem besten Sein, lebten die germanischen Heldenlieder in allen germanischen Ländern durch lange Jahrhunderte. Und uns treibt es immer von neuem unwiderstehlich zum germanischen Heldentum zurück, in den ernsten Stunden unsrer Geschichte erwacht jedesmal dies alte Heldentum, stellt Ehre und Treue über Tod und Leben, geht unbeugsam und still die Wege, die es gehen muß, sieht im Kampf die Höhe des Daseins und erwehrt sich, bis zum letzten Atemzuge kämpfend, jeder Übermacht.
Wie die unbarmherzigen Kämpfe der Völkerwanderung dies germanische Heldentum erzeugten und es schmiedeten, bis es starr und überwältigend vor uns stand, wie es im Norden sich stolz entfaltete, und wie es in der Dichtung des Mittelalters gerade in den großen und hohen nationalen Schöpfungen noch einmal gewaltig aufloderte, das haben wir nun im einzelnen erfahren. Mancher hat zu seinem Staunen wohl gesehen, wie reich und überwältigend , trotz aller bitteren und unwiederbringlichen Verluste, unser Besitz an diesem Heldentum noch ist. Die Forschung hat uns den Weg zu diesen Schätzen und zu diesen Quellen unsres Lebens und unsres Schicksals gewiesen. Sie hat auch gezeigt, daß die Germanen für ihr Wesen eine große künstlerische Form fanden, fähig mancher Umbildung, natürlich sich anschmiegend mancher Zeit, und in allen Verwandlungen doch immer die eine gleiche Ausprägung eben unsrer Art.
Uns bleibe unser Heldentum ein dauernder Besitz und eine hohe und ernste Mahnung! Nicht, wenn sie den Hörer unterhielten und zerstreuten, nein, wenn sie den schlummernden Heldengeist in ihm weckten, wenn sie ihn stählen wollten, daß er um des Heldentums und seiner Gebote willen alles gern opfert und gern in
gewissen Tod geht, dann strömt aus diesen Dichtungen ihre echte und ewige Kraft. Aus allem Untergang, aus aller Zerstörung, aus allen wilden und grausamen Kämpfen hat die Dichtung uns das Wesen unsres alten Heldentums gerettet, in der Heldendichtung erkannten die Germanen zum erstenmal sich selbst. Mögen die Enkel des großen Vermächtnisses wert bleiben, das ihnen die Ahnen geschaffen haben und geschenkt!
Anmerkungen
Die zweite Auflage der Heldensagen bemüht sich, den Grundgedanken der ersten Auflage, die Überzeugung, daß aus dem germanischen Heldenlied der Völkerwanderungszeit die ganze germanische Heldendichtung gewachsen sei, schärfer und methodischer auszuführen: durch genauere Interpretation der Motive und der Charaktere, durch eine bessere Ordnung und Gliederung der Lieder und durch vermehrte Hinweise auf Ähnlichkeiten und Verwandtschaften. Außerdem sucht sie den großen Reichtum von neuen Einsichten zu verwerten, den das letzte Jahrzehnt der Forschung der germanischen Heldendichtung gebracht hat, vor allen Dingen die Ergebnisse der Untersuchungen von Andreas Heusler und seinen Schülern. Das an neuen überzeugenden Feststellungen reiche Buch von Andreas Heusler über Nibelungensage und Nibelungenlied machte eine Umformung der Abschnitte über die Nibelungendichtung notwendig. Wenn mein Empfinden mich nicht trügt, ist auf dem Gebiet der germanischen Heldendichtung der Besitz an Überzeugungen und Auffassungen, die als Gemeingut der Wissenschaft und als gesichert gelten können, jetzt recht stattlich. Das ist ein großer Gewinn, um seinetwillen schied ich in dieser zweiten Auflage alles aus ersten aus, das zu unsicher und zu problematisch war, z. B. das Kapitel über die Urzeit. Einige Fälle blieben, in denen ich mich der Mehrheit der Forscher nicht anschließen konnte, dann stelle ich meine Überzeugung der Überzeugung der andern gegenüber und gebe dem prüfenden Leser die Mittel in die Hand, die ihm ein eigenes Urteil ermöglichen. Die Anmerkungen sind nach dem Vorbild der Anmerkungen zu den Göttersagen (in der zweiten Bearbeitung) eingerichtet und ein Register ist nun auch den Heldensagen beigegeben. Der Verfasser wünscht auch dieser zweiten Auflage, daß sie der deutschen Sache gute Dienste leisten möge: wenige Dichtungen haben das Wesen der Germanen und Deutschen so tief erkannt, wenige das germanische Heldentum so groß und so klar, so künstlerisch und so sachlich geschildert wie unsere heroische Dichtung. Wenige besitzen darum eine so unvergängliche, tröstende, warnende und weissagende Kraft.
Allgemeine Literatur zur deutschen Heldensage: Wilhelm Grimm, Die deutschen Heldensagen, 3. Auflage, Gütersloh 1889. — O. L. Jiriczet,
Die deutsche Heldensage, Sammlung Göschen 32, 5. Auflage, Leipzig 1914. — Andreas Heusler in dem von Hoops herausgegebenen Realleiikon der germanischen Altertumskunde, Straßburg 1911 —1919. —Edda, 1. Band, Heldendichtung, übertragen von Felix Genzmer, mit Einleitungen und Bemerkungen von Andreas Heusler, Jena 1912 (jetzt 1921 neue Ausgabe) . — Friedrich Wolters und karl Petersen, Die Heldensagen der germanischen Frühzeit, Breslau 1921 (Wiedererzählung der germanischen Heldendichtungen in Prosa; die Wiedergabe ist schön, aber alle Unterschiede der Zeiten, der Länder, der dichterischen Form sind verwischt, die Einleitung ist beachtenswert). Axel Olrik, Nordisches Geistesleben, Heidelberg 1908. — Derselbe, Danmarks garnle Heltedigtning (DOH), Kopenhagen 1903 und 1910. — Woldemar Vedel, Helteliv, Kopenhagen 1903 (in deutscher, gekürzter Ausgabe Leipzig 1910). — W. P. Ker, Epic and Romance, 3. Auflage, London 1922. — Munro Chadwick, The heroic age, London 1913.1. Die Völkerwanderung. S. 7 ff. Hildebrand: s. Wolfskehl und v. der Leyen, Älteste deutsche Dichtungen, 3. Auflage, Leipzig 1923, S. 2 —13 und Nachwort S. 177 ff. — Gustav Ehrismann, Geschichte der althochdeutschen Literatur, München 1918, S. 115 ff. —Wilhelm Scherer, Geschichte der deutschen Literatur, 6. Auflage, S. 28. — S. 16ff. Sage von Theoderich und Ermanarich: Otto Jiriczek, Deutsche Heldensagen 1, Straßburg 1898, S. 55 ff. — R. C. Boer, Die Sagen von Ermanarich und Dietrich von Bern, Halle 1910. — A. Heusler, bei Hoops 1, S. 627 f. — Strafe der Sunilda, vgl. J. u. W. Grimm, Deutsche Sagen (D. (3.) Nr. 406, 448 (in ursprünglicher Fassung zertreten die Rosse die Verräterin kaum aus Zufall). —R. W. Charnbers, Widsith, London 1911, (3.15 —(3.18 Alboin. Nach Grimm, D. S. Nr. 399, 400, 401. — Alboin bei Gregor von Tours, nach der Übersetzung von Giesebrecht Hellmann in den Geschichtschreibern der deutschen Vorzeit, Band 8, S. 234. — Ker S. 66ff. — Wolf Aly, Volksmärchen usw. bei Herodot, Göttingen 1921, S. 34 f. — S. 23. Turismod: Jordanes, De origine actibusque Getarum, ed. Holder, Freiburg und Tübingen 1882, cap. 43. — S. 25 Tod des Helden, dem vorher Schwert geraubt: Wolf Ali) a .a O. S 102. — S. 25. Untergang der Heruler, Grimm, D. S. Nr. 396. — S .26. Die Heruler bei Procop, Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit, 2. Auflage, Band 7, (3.120. — S. 28. Über die Heruler s. Kaspar Jeuß, Die Deutschen und ihre Nachbarstämme, 2. Auflage, Göttingen 1904, S. 476 und Literatur zu Starkad, zu (3.115f. —Amsivaren, Grimm, D. S. Nr. 367. — Verteilung
von Wolken und Sonne, Hinweis von Friedrich Ranke. Ähnlicher Wetterzauber bei Paul Herrmann, Nordische Mythologie, Leipzig 1903, S. 75 (aus der Jomswikingasaga). —S. 29. Ostrogotha, bei R. W. Chambers, Widsith, London 1911, S. 13 —15. — Ludwig Uhland über den Untergang der Heruler, s. R. Kögel, Geschichte der althochdeutschen und altniederdeutschen Literatur, Pauls Grundriß der germanischen Philologie, 2. Auflage, Straßburg 1898, 2, S. 60. — S. 30. Athaulf, Grimm, D. S. Nr. 374. — S. 31. Spielmännisches im Herulerlied Zachariae, Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 25, 402. 26, 88. — Paul Herrmann, Saws Heldensagen, Leipzig 1922, S. 474. —Brawallawlacht, s. Sagenbuch 1, 180. —S. 32. Lamissio, Grimm, D. S. Nr. 393, Aistulf, ebenda, Nr. 411. —S. 33. Wolfdietrich, oben S. 208. — Grimoald, Grimm Nr. 406. — Authari, Grimm Nr. 402. Heusler bei Hoops 3, 533 f. — S. 35. Dietlind, Grimm Nr. 404. — S. 36. Gelimer, Grimm Nr. 376. Procop, Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit, 2. Auflage, Band 6, S. 68ff. — Gunnars Tod, oben S. 266. — S. 37. Alarich, Grimm Nr. 373, nach Jordanes, cap. 30. — Beowulfs Begräbnis, Wilhelm Hertz, Gesammelte Dichtungen, Stuttgart 1900, S. 476. — S. 39. Attilas Bestattung, Jordanes, cap. 49. — Edward Schröder, Zeitschrift für deutsches Altertum 59, 240. Der Klagegesang nach dem Umritt scheint mir nach wie vor germanisch, die Künste beim Umritt werden, wie Edw. Schröder zeigt, vor allem hunnische Reiterkünste gewesen sein; die Sitte des Umritts selber wird magische Bedeutung gehabt haben; ich denke mir, der Umritt sollte das Grab vor dem Andringen feindlicher Geister schützen, einen feierlichen und geweihten Umkreis schaffen, in den nichts Böses eindringen konnte. Diesen religiösen Sinn des Umritts halte ich für germanisch. Das Pferd war ja bei den Germanen ein heiliges Tier, vgl. auch Georg Schierghofer, Umrittsbrauch und Roßsegen, Bayerische beste für Volkskunde 8, München 1921, S. 1 ff. — S. 39. Jngeld Beowulf (Ausgabe von Heyne Socin, 8. Auflage, Paderborn 1908) y. 2025 f. — Chambers, Widsith, S. 78 —81. — Derselbe, Introduction to Beowuif, Cambridge 1921, S. 21 ff. — (3.41 f. Kampf in Finnsburg, Heusler bei Hoops 2, S .505 f. Ker, Epic and Romance S. 94 f., Chadwick, Origins S. 52 f., Chambers, Introduction to Beowulf, S. 245 f., Rudolf Imelmann, Forschungen zur altenglischen Poesie, Berlin 1920, S. 342 f. J. hält die erhaltenen Verse nicht für das Fragment einer Dichtung von Einladung, Kampf, Rache, Heimholung der Frau, sondern für das Fragment einer Dichtung, die dem Hengest, dem Eroberer Englands, galt. Hengest und die Seinen wären von Finn und den Friesen freundlich aufgenommen worden, hätten sich lästig gemacht und mehr Land gefordert, seien deshalb bekriegt worden und zum Schluß doch die Stärkeren geblieben. Diese germanische Siedlungsdichtung bringt J. in Zusammenhang mit ähnlichen Dichtungen in Vergils Aneis. — Das klingt verführerisch; solche unbotmäßigen Forderungen stellen ja auch die Heruler und die Sachsen bei Wermund: sie bekommen ihnen aber schlecht. Siegfried im Nibelungenlied fordert von den Burgunden: seid meine Freunde oder kämpst mit mir. — Gegen Imelmann muß ich aber einwenden: 1. nicht Hengest, sondern Hnäf ist der Führer der Dänen. 2. Hildburgs Schicksal findet in der Rekonstruktion Imelmans keinen Platz; und damit ist aus dem Organismus der Finnsburgdichtung ein lebenswichtiges Glied genommen. 3. Hengest nennt sich wohl friedlos, aber nur für die Zeit, in der er am Hof der Dänen weilt. — S. 44. Die Schildungen, Heusler, bei Hoops 4, 186 f. Chambers, Widsith S .78ff. — S .46. Skyld, Olrik, D. G. H. i, S. 223 ff., 2, 239 ff. — S. 47. Offa, Heusler, bei Hoops 3, 361. — Chambers, , Beowulf, S. 31 ff. —Chlothar, Die Franken, Grimm, D. S. Nr. 435. — Voretzsch, Einführung in das Studium der altfranzösischen Litteratur, 2. Auflage, Halle 1913, S. 92 ff. — Suchier, Zeitschrift für romanische Philologie 18 (1894), S. 175 ff. — Bédier, Les legendes épiques, Paris 1911, 4, 289 f. — S. 50f. Chrothild, Grimm, D. S. Nr. 430. —Geschichtschreiber, 2. Auflage, Bd. 9, 273, 287. — Voretzsch, Epische Studien, Halle 1900, S. 305 ff. — J. de Vries, Germanisch-romanische Monatschrift, 9, 340 ff., 10, 31 ff. — S. 5 2. Childebert, Grimm, D. S. Nr. 434 u .92. — Saxo Grammaticus, ed. Holder Buch 7, 238. — Herrmann, Saxos Heldensagen, Leipzig 1922, S. 498. S. 53f. Wieland. Jiriczek, Deutsche Heldensagen, 1, S. 1—55. — S. 54 f. Inne und Irminfried. Grimm, D. S. Nr. 550, 551. — Widukind: Rerum gestarum Saxonicarum (Scriptores Rerum Germanicarum) I, 9 (Hannover und Leipzig 1904). Olrik, DOH. 2, 146. — Heusler, Hoops 2, 598 f. — S .58f. Die Hunnenschlacht, Jordanes, c. 37 —41. Richard Heinzel, Sitzungsberichte der Wiener Akademie 114 (1887), (3.417 ff. Andreas Heusler, Eddica Minora VII f., 1 ff., derselbe bei Hoops 2, 574 f., derselbe in Genzmer Edda 1, 24 ff. — S. .64. Fritigern, Jordanes, c .26, Grimm, D. S. Nr. 372. — S .65. Urajas und Ildibad, Procop. 3 ,1 (Geschichtschreiber, 2. Auflage, Band 7, S. 174), Grimm D. S. Nr. 385. — S. 67 f. Wölsungen. Wölsungensagen, herausgegeben von Wilken in der Ausgabe der prosaischen Edda, 2. Auflage , Paderborn 1912. Heusler, Hoops 4, 442. — Siegmund bei Beowulf, Vers 876 —901. —Keltische Gastmahle, Schrader, Die Indogermanen, Leipzig 1911, S. 48. — S. 68. Siegmund und Sigirich, Gregor von Tours, bei Giesebrecht 1, S. 136. — S. 69. Siegfrieds Jugend, Panzer Siegfried , München 1911, S. 1ff. Heusler, Hoops 4, 172. — S. 70 f. Wichtigste Arbeiten von Heusler zur Nibelungensage: die Lieder der Lücke im Codex regius der Edda. Germanistische Abhandlungen für Paul, Straßburg 1902, S. .1 ff. — Artikel bei Hoops, s. u. Nibelungen, Siegfried , Wölsungen. — Geschichtliches und Mythisches in der germanischen Heldensage, Sitzungsberichte, Akademie Berlin 1909, S. 920 ff. — Die Heldenrollen im Burgundenuntergang, ebda 1914, S. 1114 ff. — Altnordische Dichtung und Prosa von Jung Sigurd, ebda 1919, S. 162 ff. — Die deutsche Quelle der Ballade von Kremolds Rache, ebda 1921, S. 445 ff. — Die Quelle der Brunhildsage in Thidrekssage und Nibelungenlied, Festschrift für Braune, Dortmund 1920, S. 47 ff. — Das Nibelungenlied und die Epenfrage, Internationale Monatschrift 13, 2 (1920), S. 97 ff., S. 225 ff. —Nibelungensage und Nibelungenlied, Dortmund 1921, ohne Literaturangaben, dort S. 9 ff., S. 37 ff. — S. 78 ff. Rückblicke. Zeugnisse über Lieder jetzt am besten bei Heusler, Hoops 1, 439 ff., 2, 490 ff. Ehrismann, Geschichte der althochdeutschen Literatur, S. 14 ff. Farm des Liedes, Heusler, Zeitschrift für deutsches Altertum 46, 189 ff. —S. 89. Zitat aus Cassiodor, Chambers, Widsith, S. 35 Anm 1.2. England und Dänemark. (3.91. Beowulf. Literatur und alle Zeugnisse und Dokumente jetzt am besten bei Chambers, Introduction to Beowulf, , s. oben zu S. 39. Ausgaben außer der von Heyne-schücking die von Wyatt und Chambers, Cambridge 1920. Übersetzung nach Wilhelm Hertz, Aus Dichtung und Sage, Stuttgart und Berlin 1907, S. 123 ff. Panzer, Beowulf, München 1910. — S. 100. Lied und Epos, Heusler, Lied und Epos, Dortmund 1905. — S. 102. Jur geistlichen Bildung in der altenglischen Heldendichtung vgl. R. Imelmanns Bemerkungen, Hinweise und Ergebnisse in seinen zu (3.41 f. genannten Forschungen. — S. 105. Zu den Drachenkämpfen die Literaturangaben bei Chambers, bei Panzer, S. 294 f.; ferner Laistner, Rätsel der Sphinx, Berlin 1889, 2, 22 f. S. 106 f. Keltisches im Beowulf, Deutschbein, Germanischromanische Monatschrift 1 (1909), S. 103 ff. —A. Jeanroy, Origines de la poesie lyrique en France, Paris 1889, S. 17. — C. W. von Sydow, Sigurds Strid med Favne, Lunds Universitäts Arskrift, Band 14, Nr. 16 (Lund 1918). - (3.108 ff. Wermund und Uffe. Vgl. oben zu S. 47. Chambers, Introduction, S. 31 ff., S. 217 ff. Saxo Grammaticus, ed.
Holder, Straßburg 1886, S. 113 ff. — Paul Herrmann, Saxos Heldensagen 1922, S. 296 ff., Axel Olrik, Kilderne til Sakses Oldhistorie 2, S. 181 f. — S. lii f. Hagbard und Signe, Heusler bei Hoops, 2, 360. —Saxo, Holder, S. 230f., Paul Herrmann, Saxos Heldensagen, S. 490ff. Olrik, Geistesleben, S. 47, 179. — S. usf. Starkad. Heusler bei Hoops 4, 276. — Sato, Holder, S. 182 f., 191. — Paul Herrmann, Saxos Heldensagen, S. 412 ff. — Olrik, Geistesleben S. 87 f., 190 f., derselbe, D. G. h. 2, 11-87, 149-77. — von Unwerth, Germanistische Abhandlungen 37, 89. — S. 120 f. Hrolf. S. 121f. Das Bjarkilied. Auf Grund der Wiederherstellung von Olrik versuchte Genzmer eine neue Übertragung, die noch geschlossener und schöner scheint. Edda 1, 179. —Saxo, Holder, S. 59 f. — Paul Herrmann, Saxos Heldensagen, S. 155ff. Olrik, Geistesleben , S. 181f., derselbe, D. G. H. 1,8—114. —Heusler-Ranisch, Eddica Minora, S. XXI und 21 f. — S. 128 f. Wigge. Jüngere Edda, Wilken, S. 134 f. Sato, Holder, S. 57, Paul Herrmann, Saxos Heldensagen, S. 177 f., Olrik D. G. H. 1, 127, Heusler, Zeitschr. f. deutsches Altertum 48, 78. — S. 129 f. Adils. Jüngere Edda, S. 134 f. — Saro, Holder, S. 54. Paul Herrmann, Saxos Heldensagen, S. 177. Heusler a. a. O. (3.80 . Olrik, D. G. H. 1,179. — Sage von Adelgis bei Grimm, Nr. 449. — S. 131. Spätere Dichtungen über Hrolf, Paul Herrmann, Die Geschichte von Hrolf Kraki, Torgau 1905, S. 50f. — Axel Olrik, D. G. H. 1, S. 115, 118, 121, 144 f., doch scheint Olrik das Dänische und Altertümliche dieser Geschichten zu überschätzen, und den Einfluß der damals das ganze Abendland durchwandernden Sagen und Märchenmotive zu unterschätzen.3. Germanische Sagen im Norden. Die Wikinger, S. 134 f., Die Halfdansöhne, Paul Herrmann, Rolf Kraki, S. 5ff. Sato, Holder, S. 217. Herrmann, Saws Heldensagen, S. 469 ff. —Olrik, D. G. H. i, S. 167 f. — Eddica Minora, LV. — Heusler, Zeitschr. f. deutsches Altertum 48, S. 76. — S. 140 f. Amleth. Saxo, Holder, S. 86f., Herrmann, Saws Heldensagen, S. 248 ff., F. Detter, Zeitschr. f. deutsches Altertum 36, S .1ff. Heusler bei Hoops 1, S. 78. — S. 146 f. Ermanarich, siehe Literatur zu S. 16 f. Für die Edda verweise ich auf die Ausgabe von Neckel, Heidelberg 1913. — Bei Genzmer Heusler, Thule 1, 53 f. eine in der Reihenfolge der Strophen von der meinen abweichende Herstellung. Heusler glaubt, daß Gudrun selbst den Erp gebeten habe, den Brüdern zu helfen, weil zwei zu schwach seien im Kampf gegen Ermanarich und die Seinen. Aber hat Gudrun nicht selbst die Söhne leidenschaftlich in den Tod getrieben
und ist der Zauber, den sie ihnen mitgibt, nicht wirksamer als die irdische Hilfe des Stiefbruders? — S. 153. Der federlose Vogel, Wolf QUI) a. a. O. S. 78. —S. 154. Liebe des Stiefsohns zur Stiefmutter. Einige Forscher glauben, dies Motiv sei aus der anderen Ermanarichdichtung herübergewandert, von der uns deutsche Zeugnisse berichten, und in der Sibiche die Neffen des Ermanarich verleumdet, sie seien in sündiger Liebe zur Gattin ihres Oheims entbrannt. Wir glauben umgekehrt: : aus der gotischen Dichtung wanderte das Liebesmotiv in die deutsche. Denn was ist natürlicher, die Liebe eines Stiefsohns zur schönen Stiefmutter oder die Liebe gleich zweier Neffen zu einer Tante? — S. 157. Koning Ermenrikes Tod, Symons, Zeitschr. f. deutsche Philologie 38, S. 145. — H. Schneider, Zeitschr. f. deutsches Altertum 51, S. 343f. —S. 157 f. Wieland. Thule 1, S. 17 ff. Jiriczek, Deutsche Heldensagen 1, S .1ff. Heusler bei Hoops 4, 528. — S. 163. Schwanenjungfrauenmärchen , Helge Holmström, Studier övar Swanjungfrumotivet i. Volundarkwidha, 1921, dazu F. R. Schröder in der Germanisch-romanischen Monatschrift 9, S. 122 f. — S. 170. Wieland in der Gascogne. Tegethoff, Französische Märchen, Jena 1923, 2, S. 260, 342. — S. 170. Egil. Heusler in der Festschrift für Theodor Plüß, derselbe bei Hoops 1, S. 498. — S. 172 f. Helgi. Thule 1, S. 142 ff. Heusler bei Hoops 2, 497. Bugge, The home of the Eddic poems, London 1899. Waldemar Haupt, Jur niederdeutschen Thidreksaga, S. 150 f. — S. 180. Helgis Jugend. Herrmann, Rolf Kraki, S. 128.4. Das deutsche Mittelalter. S. 185. Die Spielleute. Wilhelm Hertz in seinem Spielmannsbuch, 4. Auflage, Stuttgart 1912, Einleitung. — S. 187. Waltharius, herausgegeben von karl Strecker, Berlin 1907. — Gustav Ehrismann, Geschichte der althochdeutschen Literatur, S. 381 ff. — Heusler bei Hoops 4, S. 476. Gustav Neckel, Germanisch-romanische Monatschrist 9 (1921), S. 139, 209, 277. Dieser ausgezeichneten Abhandlung schließen wir uns bei der Rekonstruktion des alten westgotischen Liedes an. — Richard Heinzel, Sitzungsberichte der Wiener Akademie der Wissenschaften Band 117, Heft 2. — (3.191. Einher. Grimm, D. S. Nr. 18, Adelgis, Grimm Nr. 449. Walther im Kloster, Grimm Nr. 412. — S. 196 f. König Rother. Ausgabe von Jan de Vries, Heidelberg 1922, mit wichtiger Einleitung, derselbe über germanische Brautwerbungssagen in der Germanisch-romanischen Monatschrift 9, S. 330 f., 10, S. 31 f. — G. Ehrismann, Geschichte der mittelhochdeutschen Literatur, München 1922 1, S. 290 f. — Die schönen Wiedergaben altdeutscher Heldensagen
durch Ludwig Uhland, die des Rother und der Dichtungen von Wolfdietrich und von Dietrich von Bern hat Jiriczek in seinen deutschen Heldensagen, Sammlung Göschen 32, jetzt 5. Auflage, sorgfältig durchgesehen; wir geben diese durchgesehene Form wieder. — Friedrich Vogt, in seiner Geschichte der deutschen Literatur, 4. Auflage, Leipzig 1919, 1, S. 90. — S. 201 f. Wolfdietrich. Ausgaben im deutschen Heldenbuch von Janicke, Amelung, Zupitza, Berlin 1866—73, Band 3, 4. A. Holtzmann, Der große Wolfdietrich, Heidelberg 1865. karl Voretzsch, Epische Studien, Halle 1900, S. 278 ff. Heusler bei Hoops 4, S. 584. — Hermann Schneider, Die Gedichte und die Sage von Wolfdietrich, München 1913, sehr wichtig. —S. 217f. Dietrich von Bern. Deutsches Heldenbuch, Band 1, 2, 5. Jiriczek, Deutsche Heldensagen 1, S. 119 ff. Heusler bei Hoops 1, S. 484 f. Waldemar Haupt, Zur niederdeutschen Dietrichsage, Berlin 1914. — S. 225. Alpharts Tod. Emil Kettner, Zeitschrift für deutsche Philologie, Band 31. S. 24, 327. — S. 228. Ecke. Helmut de Boor, Mitteilungen der Schlesischen Gesellschaft für Volkskunde, 23 (1922) S. 29ff. Hermann Schneider, Zeitschrift für deutsches Altertum 54, S. 354 ff. — S. 232 f. Hetel und Hilde. Gudrun. Ausgabe von Ernst Martin, 2. Auflage, , Halle 1901, von B. Symons, 2. Auflage, Halle 1914; mit umfassender Einleitung. —Friedrich Panzer, Hilde Gudrun, Halle 1901. —Heusler bei Hoops 2, S. 520, 3, (3.113, 4, S .488. — Gegenüber den Forschern, die immer noch die Gudrun als spielmännische Variation und Weiterbildung des Hetel- und Hildethemas betrachten, wäre doch zu bemerken: Hetel und Hilde geht auf ein heroisches Original zurück und ist spielmännisch geworden, und Gudrun, obwohl spielmännischer Herkunft, soll in Art und Ton viel heroischer sein? Sollte der Dichter das Heroische in Hetel und Hilde ausgeblasen und in der Gudrun wieder angefacht haben? Erklärt sich dies heroische nicht viel einfacher als das Erbe einer alten Heldendichtung? Wie spielmännisch der Dichter der Gudrun verfuhr, wenn er keine alte große Vorlage hatte, zeigt doch das Gedicht von Hagen. — Literatur über den Zusammenhang von Finnsburgfragment und Gudrun Symons S. L, Anmerkung. — S. 243. Hetel und Hilde, jüngere Edda, Ausgabe von Wilken, S. 134 f.5. Nibelungensage und Nibelungenlied. S. 257 f. Das ganze Material der Sage am ausführlichsten bei A. Raßmann, Die deutsche Heldensage, 2. Auflage, Hannover 1863. Wölsungensaga und die nordische Nibelungensaga bei Snorri nach der Ausgabe von Wilken in der jüngeren Edda, vgl. auch Wilhelm Ranisch, Eddalieder, Sammlung Göschen 171, Leipzig
1903. —S. 266 f. Nordische Nibelungenlieder, Thule 1, 33 —53., 58-141. — S. 269 f. Das deutsche Nibelungenlied. Ausgaben von karl Bartsch, s. Auflage, Leipzig 1886, Friedrich Zarmke, 6. Auflage, Leipzig 1887, karl Lachmann, 5. Auflage, Berlin 1878. — Urteit und Simrocks Übersetzung gegenüber in der Tempelausgabe, Leipzig 1910. Josef Römer, Das Nibelungenlied, Leipzig 1921. S. 277 f. Die Wölsungen, vgl. vor allem Heusler in den Sitzungsberichten der preußischen Akademie 1919, S. 162 ff. — S. 278. Märchen von der menschenfressenden Hexe, Bolte Polioka, Anmerkungen zu Grimms Märchen, Leipzig 1913, Band 1, S. 124 Anm. 1. — S. 280. Kleidervertauschung. E. Cosquin, Les Mongols, Niort 1912, S. 51, Anm. 1. — S. 287. Siegfried kostet vom Herzsaft Fafnis, Keltisch: von Sydow, Sigurds Strid med Favne, S. 35 ff. Dagegen Heusler, Sitzungsberichte, Berlin 1919, S. 165 f. — S. 288. Der bürne Seijfrid. Ausgabe von Golther, Halle 1889; vgl. auch zu diesen Teilen fortlaufend Panzer, Siegfried. — S. 290 f. Charakteristik der Sigurdlieder auch Heusler, Lieder der Lücke, siehe oben zu S. 70. — S. 292. Siegfrieds Kampfspiele. R. Heinzel, Sitzungsberichte der Wiener Akademie 109 (1885). Brunhildmärchen, vor allem in Rußland, seit Panzer, Siegfried , S. 144 f. vielfach umstritten, vgl. zuletzt Heusler in Festschrift für Braune, 1920, oben zu S. 70 und F. R. Schröder, Nibelungenstudien, Bonn 1921, Vf. will diesmal sein Urteil im einzelnen nicht begründen, da eine von A. von Löwis vorbereitete Studie neue Materialien und neue Gesichtspunkte verspricht. — S. 293 ff. Es sei noch einmal nachdrücklich auf die zu S. 70 f. genannten Schriften von 91. Heusler verwiesen namentlich auf seine zusammenfassende Darstellung von Nibelungensage und Nibelungenlied. S. 295. Siegfrieds Tod. J. Singer, Neujahrsblatt der literarischen Gesellschaft, Bern 1917, verweist auf eine merkwürdige Ähnlichkeit der Sage von der Ermordung des Bueve (im provenzalischen Epos von Daurel et Beton) mit der Ermordung des Siegfried und zwar in der Fassung der Thidreksaga. Die Frage, ob das provenzalische Epos die Thidreksaga beeinflußt hat, oder ob umgekehrt eine der in der Thidreksaga aufgezeichneten, weit wandernden germanischen Überlieferungen auch den Weg in die Provence fand, scheint mir trotz Heusler, Nibelungensage, S. 33, der sich im ersten Sinne entscheidet, noch nicht geklärt; daß wir Einwanderungen von germanischen Heldensagen nach Frankreich belegen können, zeigt Tegethoff, Französische Märchen 2, 342. Schließlich ist die Gascogne altes westgotisches Land! —Balder, siehe Heusler a. a. O. (3.111. — S. 296. Andreas Heusler sucht, a .a. O. S. 48 ff., die Verschiedenheit der deutschen und der nordischen Kriemhild dadurch zu erklären, daß Etzel als Rächer zurücktrat, daß Kriemhild die Rächerin Siegfrieds wurde, daß Kriemhilds Bedeutung dann einen Gegenspieler , den Hagen, verlangt hätte. So geistreich das begründet wird, und wenn es auch die in der Forschung allgemein geltende Ansicht scheint, mich kann diese Annahme nicht überzeugen. Sie scheint mir zu errechnet und zu logisch; Umbildungen der Dichtung folgen andern Gesetzen. Daß ein Held der Geschichte von der Dichtung in sein Gegenbild verwandelt wird, erlebt man oft, daß aber in einer germanischen Dichtung dieselbe Frau sich aus der Helferin ihrer Brüder in die Mörderin derselben Brüder verwandelt, ist meines Wissens ohne jedes Beispiel und scheint mir ausgeschlossen. Die Kriemhild im bayrischen Lied ist meines Erachtens ganz andrer Herkunft als die Schwester Gunthers in der germanischen und nordischen Überlieferung. — Über die Sage von Chrothild, Voretzsch, Zeitschrift für deutsches Altertum, 51, S. 39 ff. S 298 ff. Zum Untergang der Burgunden vgl. noch L. Polak, Zeitschrift für deutsches Altertum Bd. 54, S. 427, Bd. 55 S 445, Bd. 60 S 1 ff. —S .308. aber Hagen zuletzt F. R. Schröder in seinen Nibelungenstudien. Sch. hält Hagen für eine Umbildung des "dankbaren Toten" im Märchen vom dankbaren Toten. Das ist schon deshalb nicht möglich, weil in allen diesen Märchen der Tote, sowie er seine Dankespflicht erfüllt, sofort in das Reich der Toten verschwindet, wohin er ja auch gehört, während Hagens Tod oon jeher das heldische Ende eines heldischen Lebens war. — Zeitgeschichtliches in der deutschen Heldendichtung des Mittelalters, vgl. vor allem Woldemar Haupt, Zur niederdeutschen Dietrichsage, bes. S. 83 ff. — Am Ende erinnern wir uns nochmals an das S. 283 genannte Wort aus der Wölsungensaga "Und nun glauben wir, daß du erfahren mußt, daß noch nicht alle Wölsungen tot sind!"