DeutschsSagenBuch-Band_1-00002. |
Flip
|
arpa
|
Die Götter und Göttersagen
der Germanen
von
Friedrich von der Leyen
Dritte Auflage
München 1924
C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung Oskar Beck
DeutschsSagenBuch-Band_1-00003. |
Flip
|
arpa
|
Der hohe Baum steht immergrün
An des Schicksals Quell
Wöluspa
DeutschsSagenBuch-Band_1-00004. |
Flip
|
arpa
|
Frau Frida von Kaulbach
in aufrichtiger Verehrung
Einleitung zum Deutschen Sagenbuch
Die deutsche Sage begleitet das deutsche Volk von seinen
dunklen Anfängen die Jahrtausende hindurch bis in unsere
Gegenwart. Durch grauenvolle Kriege, durch inneren Hader und
durch andere unselige Verhältnisse ist die deutsche Entwicklung
immer aufs neue zurückgeworfen oder zerstört worden. Die Geschichte
selbst scheint den Zusammenhang mit unserer eigenen Vergangenheit
zerrissen zu haben, das Leben und die Kunst unserer
Vorfahren sind uns oft fremder, entrückter als die ganz unverwandter
Völker. Die Sage blieb in aller dieser Unbeständigkeit
dem Volke treu und blieb dieselbe deutsche Sage. Jakob Grimm
sagt, sie sei neben dem Menschen wie sein guter Engel schützend
hergegangen. Treu und einfältig bewahrt sie uralten, ehrwürdigen
und unheimlichen, segnenden und vernichtenden Glauben, sie breitet
ihren Zauber um den See und den Wald, die Berge und die
Burgen der Heimat, und ihre einfachen Worte scheinen zugleich
deren tiefstes Wesen zu enthüllen. Von den ersten unbeholfenen
Regungen des Glaubens, des Rechtes, der Sitte führt sie uns
langsam zu einer bestimmteren, lebendigeren Anschauung von
Natur und Geist, gibt uns ihre Hexen und Zauberer, Kobolde und
Wichte, Elfen und Nixen, Feld, und Waldgeister, Zwerge und
Riesen. Die aus Furcht und Ehrfurcht gemischte Verehrung der
Ahnen, der Glaube an die zauberischen Kräfte des Geistes, der
demütige und hoffende Aufblick zum Vater Himmel, zur Mutter
Erde, der Wunsch nach Fruchtbarkeit und Glück schaffen im Lauf
der Jahrhunderte die erhabenen, völkerbeschattenden Gebilde der
Götter. Die Sage folgt verklärend auch den Helden des Volkes
und wirft über sie ein schimmerndes, aus Wunder und Wirklichkeit
naiv und seltsam gewebtes Gewand. Manche Kunde aus fernen
Ländern und oon ihren Abenteuern dringt in sie ein, aber
langsam streift sie das Fremdartige darin, auch manches Bunte
und Schöne ab, bis nur das bleibt, was sie wirklich mit sich verschmelzen
kann. Auch von den wandelbaren Schicksalen des Landes,
von seinen Fürsten und Herren, behält sie nur, was in der Seele
des Volkes wiederklingt.
Von den Werken, die deutsche Sagen aus allen deutschen Ländern
und aus allen Jahrhunderten zusammenstellten, bleibt das
unvergänglichste die deutschen Sagen der Brüder Jakob
und Wilhelm Grimm. Von diesem Buche ging auch eine tiefe und
stille Wirkung aus auf deutsche Kunst und Dichtung. Hellseherische,
ungewöhnliche Gelehrsamkeit hat sich in ihm, wie in anderen
Büchern der Brüder, verbunden mit schwärmerischer Liebe und
natürlichem Verständnis für alles, was zum Volk gehört, und
mit einfachem Kindersinn: solches Beieinander von Gaben wird
dem Gelehrten sehr selten gegeben.
Das Werk der Brüder Grimm, die Schätze, die nach ihnen
fleißige Hände zusammentrugen, und die Erkenntnisse der Sagenforschung
sind in unserm deutschen Sagenbuch gesichtet und verwertet;
außerdem bringen wir, was seinerzeit die Brüder Grimm
ausschlossen, die Göttersagen.
Das deutsche Sagenbuch zerfällt in vier Bände. Der erste
Band enthält die Göttersagen (die Götter und Göttersagen der
Germanen), der zweite die deutschen Heldensagen, der dritte die
deutschen Sagen im Mittelalter, der vierte Band endlich die deutschen
Volkssagen. Jeder der Bände ist eine Einheit für sich, aber
von dem einen Band fällt neues Licht und neue Aufklärung auf
den anderen, und erst das ganze Werk umschließt die ganze Welt
der deutschen Sage.
Der erste Band sucht zuerst das Wesen und die Entwicklung
der germanischen Götter zu schildern, im engen Anschluß an die
uns erhaltenen Zeugnisse, etwa von Beginn unsrer Zeitrechnung
bis ins 8. und 9. nachchristliche Jahrhundert. Dann wendet er sich
in den Norden und erzählt und erklärt nach bestem Vermögen
die Göttersagen, die uns vor allem die Edda aufbewahrt. Damit
wird der Bereich der deutschen Göttersagen wohl überschritten.
Aber die Grundlagen der nordischen Göttersagen sind germanisch.
Und die Erkenntnis der Entfaltung der Sagen erleuchtet nicht allein
Geist und Glauben, Gestaltungskraft und Götterverehrung des
germanischen Nordens. Auch die germanischen Götter und Göttersagen
zeigen ihr ganzes Antlitz erst dem Forscher, der gelernt hat,
mit den nordischen Augen zu sehen; ohne das nordische Licht
bleiben sie gar zu oft im Dunkel, gewaltige, doch unverstandene
Denkmäler.
überwältigender, erschütternder noch in seiner Tragik als in
den Göttersagen, offenbart sich das Germanentum in seinen
Heldensagen: den Sagen, die aus der Zeit der großen
Völkerwanderung stammen. Fast alle Lieder, die das Heldentum
der Germanen besangen, sind uns für immer verloren: was wir
noch besitzen, sind einige Fragmente. Aber dies Erhaltene ist köstlich
genug, und anstatt dem Verlorenen vergeblich nachzuklagen,
sollten wir uns des Geretteten freuen. Wenige ahnen, wie reich
und wie groß dies immer noch ist.
Der zweite Band unsres Sagenbuches gibt, wiederum in genauem
Anschluß an das Erhaltene, zuerst eine umfassende übersicht
der aus der germanischen Zeit der Heldendichtung geretteten
Schätze. Hier ist das A und das O, der ewige Kern der germanischen
Heldenlieder, Heldenepen, Heldensagen. Nur wer ihn kennt,
der gewinnt den rechten Blick für das Werk der späteren Geschlechter
, das in allen germanischen Ländern so viel reicher und
mächtiger blühte, als die Göttersagen. In unsrer Darstellung folgt
der germanischen Heldendichtung die Heldendichtung Englands und
Dänemarks, Norwegens und Islands, dann vor allem die deutsche
Heldendichtung bis zum Ausgang des Mittelalters. Die Spiegelung
der Heldenwelt eines germanischen Landes in der Welt des andern
wird das wahre Gesicht dieser Schöpfungen in allen Ländern,
ihre Besonderheiten und ihre Größe klar und ganz zeigen.
Die beiden ersten Bände des Werkes tauchen in die älteste
deutsche Vergangenheit; sie dringen noch hinter die Geschichte in
das Dunkel des Mythus und eine ihrer schönsten Aufgaben bleibt
der Nachweis, daß in den ersten Schöpfungen deutscher Einbildungskraft
Geist vom edelsten deutschen Geiste lebt und daß die
Keime des deutschen Wesens und seiner Entwicklung in jener Zeit
wuchsen, deren Dunkel dem Licht der Forschung ein wenig weicht
und deren heroischer Umriß vor uns großartig auftaucht.
Der dritte Band, der die Sagen des Mittelalters
umfaßt, schließt sich an die deutschen Heldensagen dicht an. Er
reiht die Sagen, die vom Jahrhundert Karls des Großen bis
zum Jahrhundert Kaiser Maximilians, des letzten Ritters, in die
Dichtung herüberwanderten, aneinander. Dieser Band schildert ein
Leben, das schon im hellen Sonnenschein der Geschichte vor uns
liegt. Die Sagen geben wir wieder nach ihren besten Aufzeichnungen,
die Verwandlung der Geschichte in Sage wird sich uns
in tausend lebendigen Einzelheiten zeigen. Die ersten Bände müssen
aus leisen und verwehten Spuren vergangne Größe erschließen,
sie bewegen sich allzuoft auf trügerischem Boden, und wie viele
der entscheidenden, wichtigen Fragen bleiben für immer ohne Antwort!
Die deutsche Sage des Mittelalters breitet sich in verwirrender
Fülle vor uns aus, wir können nur wenig von der überreichen
Ernte bergen. Gerade dieser Band kann nicht als Abschluß,
er muß als Anfang der Forschung gelten. Die Sagenforscher
haben den Reichtum den Geschichtschreibern, diese ihn wiederum
den Sagenforschern überlassen, so daß, rühmliche Ausnahmen abgerechnet,
keiner der beiden Berufenen ihn wirklich gepflegt hat.
Wir hoffen, den Anstoß zu geben zur Sühnung dieser alten Schuld.
Die Aufgabe des Erzählers ist hier, das Leben gewähren zu lassen
und es doch mit klarer Ordnung zu durchdringen.
Der letzte, den deutschen Volkssagen gehörende Band bewegt
sich zugleich in den ältesten und jüngsten Zeiten der Sage;
er gibt die ersten, heute noch lebendigen Vorstellungen wieder
über Traum, Schlaf und Tod, über Zauberei und Verdammnis,
über die Beseeltheit der Natur, so, wie sich dies alles in der Sage
spiegelt. Zugleich verfolgt er, wie die heidnischen und elementaren
Motive mit dem Christentum und der inneren Geschichte unsres
Volkes sich verschmolzen und wie diese Gebilde heute noch die Gewässer,
Wald, Feld und Wiesen, Berg und Tal beleben und auch
die Behausungen der Menschen mit ihrem seltsamen Wirken erfüllen.
Die deutschen Sagen der Brüder Grimm stehen wie ein unsichtbarer
Schutzgeist hinter diesem Bande. Die Brüder haben die
Sagen aus ihrer Vergessenheit erlöst und den Deutschen ihren
schlichten und tiefen Zauber gezeigt. Von den folgenden Sammlungen
offenbarte jede, wie erstaunlich reich in allen deutschen
Landschaften der Besitz an deutscher Sage ist. Eine Auswahl aus
diesem Reichtum ist eben unsre Aufgabe, jede Landschaft bringt
ihre eigenen Sagen. Namentlich die noch lebendigen Sagen und
Vorstellungen sollen in diesen Band fließen.
Wir versuchen aus der Fülle der Volkssagen, die zuerst jeder
Bändigung zu widerstreben scheint, ein klar gegliedertes, organisch
sich aufbauendes Ganzes zu schaffen, so daß jeder, der sieht, wie
die Sagen nun beieinanderstehen und sich ergänzen, ihre Wurzeln
erkennen, sie in ihrem Wachsen begleiten und ihre Verzweigungen
überblicken kann. Dieser aus dem Wesen der Dinge sich ergebende
Aufbau ersetzt manche Erklärung, alle freilich nicht. Denn die Vorstellungen
und der Glaube, aus denen die Sage entstand, sind
nicht jedem klar, sogar der Forscher muß sie manchmal mühsam
erspähen, sie haben sich, während die Sage von Mund zu Mund
ging, verdunkelt und verwirrt. Außerdem sind alte und junge,
heidnische und christliche, deutsche und fremde Bestandteile in der
Sage oft fast unlöslich verschlungen. Diese scheinbare Unklarheit
vieler Stücke hat manchen von der Sammlung der Brüder Grimm
ferngehalten. Werden aber die Wurzeln der Sage freigelegt und
der Grund ihrer Zusammensetzungen, Wandlungen, Entstellungen
aufgedeckt, so kehrt das echte, immer junge und sich umbildende
Leben in diese Gebilde zurück. Ihr eigentlicher und vielfältiger
Zusammenhang mit uns ist wieder gefunden, und damit enthüllt
sich auch der Sinn, den sie für unsere Gegenwart haben.
Unser deutsches Sagenbuch bietet seine Schätze allen an, die
erfüllt sind von treuer und stiller Liebe zur deutschen Heimat,
besonders jenen, die in deutscher Vergangenheit und deutscher Dichtung
das Wesen des eigenen Wesens suchen und wiederkennen
und sich an dieser Erkenntnis erfreuen und stählen wollen. Jeder
Band läßt, soweit wir das erreichen konnten, die Sagen selbst
reden und das Ziel der Erklärungen bleibt, die Sagen zum Tönen
und Reden bringen, deren Mund für immer geschlossen schien.
Wir stellen in unserm Buch die Sagen nicht aus und wir zeigen
und erläutern sie nicht, wie Schätze eines Museums, sondern wir
wünschen ihnen ein neues Leben, eine neue volkstümliche Wirkung
. Die Anmerkungen stehen jedesmal für sich und unter sich;
sie können den, der nur die Sagen liest, niemals stören und sie
Sorgen, daß alle, die darnach verlangen, sich über die hier behandelten
Fragen und Aufgaben der Wissenschaft selbst unterrichten
oder unsre Vermutungen und Ergebnisse nachprüfen können.
Auch der Forscher und Gelehrte soll von diesem Buche seinen
Gewinn haben, dessen Ehrgeiz ist, zugleich ein gutes Volksbuch
zu sein und die Anforderungen der Wissenschaft redlich
zu erfüllen. Wir möchten, daß es die Liebe zur Heimat in den
heranwachsenden Geschlechtern weckt und stärkt, daß es den unterrichtenden
Lehrer auf die Vorstellungen und Wünsche führt,
die in jungen Seelen lebendig wirken, daß es auch dem Gelehrten
die unlösliche Verbindung von deutscher Sage, deutschem
Wesen und deutscher Geschichte zeigt.
Niemand, der von den deutschen Sagen etwas weiß, darf bestreiten,
daß in ihnen Werte liegen, die uns Sagen anderer Völker
nie ersetzen können. Ihre schöpferische Kraft und ihr überquellender
Reichtum sind den Wundern der deutschen Sprache
ebenbürtig. Die erhabenen Denkmäler unsrer mythischen und
heroischen Vorzeit, unzählige echte und lebendige Erinnerungen
aus unsrer ganzen Geschichte, das alte und immer junge, ahnungsreiche,
einfältige Wähnen und Grübeln unsres Volkes, seine unermüdlichen
Versuche, den ewigen Rätseln von Natur und Geist,
Leben und Tod ihr Geheimnis abzuringen: das steht in der deutschen
Sage alles nebeneinander, ein Beisammen von Vergangenheit
und Gegenwart, Jenseits und Diesseits, Alter und Jugend,
das kaum ein anderes Volk kennt und nun schon seit zwei Jahrtausenden
am Werk. Die deutschen Sagen zeigen klar und einfach
die Kräfte und die Grenzen deutschen Wesens, die wir kennen
müssen, wenn wir für unsere Zukunft arbeiten wollen, und
von ihnen strahlt ein starkes, unbeirrbares Heimatgefühl in unsere
ruhelose, verworrene Gegenwart.
Das berühmte Gedicht der Edda vom Anfang und vom Ende
der Welt, die Wöluspa, sagt von der Weltesche: "Der hohe Baum
steht immer grün an des Schicksals Quell." Dies Wort haben wir
als Geleitwort für das deutsche Sagenbuch gewählt: auch die Sage
führt ihre Wurzeln in die tiefsten und dunkelsten Gründe, auch
sie erhebt sich am Quell des Schicksals, sie belebt sich und wächst
durch sein heiliges Naß und sie verbreitet, dem Baume gleich,
durch die Jahrtausende hindurch immer grün, ihr mächtiges Geäst
schützend und erfrischend über die ganze deutsche Welt.
Erster Teil
Die Götter und Göttersagen der Germanen
Von den Anfängen
bis zum Schluß der Völkerwanderung
1. Die Überlieferung
Wer die Berichte aus dem ersten christlichen Jahrtausend
mustert, die uns von dem Glauben und von den Göttern
unserer Vorfahren erzählen, der wird eine lange Zeit eine schwere
Enttäuschung nicht verwinden können, so klein sieht der Ertrag
zuerst aus. Einige Zaubersprüche und Runeninschriften, eine Reihe
von Götternamen, einige, bisweilen nur gelegentliche Angaben bei
griechischen, römischen und germanischen Schriftstellern und in den
Lebensbeschreibungen der Missionare, das ist eigentlich alles. Dazu
sind diese Zeugnisse oft gar nicht oder kaum verständlich oder sie
lassen viele Deutungen zu und haben dann auch viele und sehr
widersprechende Deutungen hervorgerufen. Besonders wichtige
Zeugnisse sind auch in ihrem germanischen Wert und ihrem germanischen
Charakter angezweifelt worden.
Vor dreißig Jahren etwa — und dieser Anschauung huldigen
noch heute manche Gelehrte — galt als Losung der Wissenschaft
der germanischen Mythologie gegenüber Resignation, das Eingeständnis
, daß wir so gut wie nichts wüßten. Die Ehrlichkeit verlange
diesen schweren Verzicht. Es sei die Kunde aus unsrer
mythischen Vorzeit gar zu unzuverlässig und gar zu gering.
Im letzten Menschenalter ist diese Auffassung umgeschlagen.
Immer zuversichtlicher und entschiedener betonen wir heute, daß
die vielgeschmähten und verdächtigten germanischen Zeugnisse so
arm nicht sind, wie sie unsern Lehrern und früher auch uns erschienen.
Gerade ihre oft nur andeutenden, geheimnisvollen und
lückenhaften Worte reizen immer von neuem, jede auch noch so
leise Spur zu erkennen und zu verfolgen. Die Arbeit der letzten
Jahre hat außerdem manche neue Kunde und Hilfe entdeckt, hat
auch die Augen der Forscher oft geschärft. Die erste Aufgabe bleibt
die Deutung der Namen mit Hilfe der Sprachwissenschaft: diese
Hilfe nimmt an Kenntnis, Einsicht und Umblick stetig zu. Die
Interpretation und Erklärung der Denkmäler aus sich selbst, ihre
genaue Abgrenzung nach Zeit und Ort und Geltungsbereich, mit
sorgfältigem Aufmerken auf jede Einzelheit ist das nächste Erfordernis.
Soweit es geht, soll man auch die Zeugnisse in ihrer
zeitlichen Folge aneinanderreihen. Ferner wirkt ein Vergleich verschiedener
Aussagen erhellend auf beide Seiten, und wenn Zeugen
aus getrennten Jahrhunderten fast wörtlich das Gleiche sagen oder
einer den anderen willkommen ergänzt, so gewinnen wir da und
dort festen Boden. In den östlichen und südöstlichen europäischen
Ländern wurden drittens manche, bis heute noch nicht verwischte
alte Spuren germanischen Glaubens und germanischen Geistes
sichtbar. Germanische Berichte werden alsdann durch nordische und
nordische durch germanische bestätigt und berichtigt, wie wir in
unserer Einleitung schon andeuteten. Durch viele Jahrhunderte oft
und lebhaft bezeugter Brauch, ebenso Sage und Glaube der germanischen
und deutschen Völker enträtseln und beleben uns gleichfalls
mehr als einmal die fragmentarische Kunde der Vorzeit.
Die Erfassung und Umgrenzung der römischen Gottheiten, mit
denen römische Schriftsteller die germanischen vergleichen, kann uns
das Wesen der germanischen bisweilen erklären. Endlich kann ein
Vergleich der deutschen Zeugnisse mit dem Glauben und dem Kultus
der sogenannten primitiven Völker in alter und neuer Zeit
überraschende Aufklärungen bringen, wenn man die Verwandtschaften
und Ähnlichkeiten, die hier so oft und unvermutet auftauchen,
, behutsam prüft und nicht in ihrer Tragweite überschätzt.
Jedenfalls haben die Berichte über diese primitiven Völker und
ebenso die vielen Sammlungen von deutschem Brauch und Glau
ben und von deutschen Sagen der Gegenwart unser mythisches
Material unendlich bereichert und damit neue Möglichkeiten methodischer
Einsicht geschaffen. Freilich, das dürfen wir uns nicht verschweigen,
daß wir unsere Bauten auf schwankem Boden mit brüchigen
Steinen und trügerischem Kitt noch allzuoft errichten müssen.
Und diese schmerzliche Gewißheit wird uns noch oft den Mut beengen
. Aber die Wissenschaft darf auf dem Gebiet der germanischen
Mythologie wieder hoffen und wagen und das frische Leben,
das wieder in sie einkehrte, trug uns bereits manchen schönen und
festen Gewinn ein.
2. Der Himmelsgott
Die Römer nannten ihre Wochentage nach dem Namen ihrer
Götter. Um den Ausgang des I. Jahrhunderts n. Chr. wurde die
römische Woche von sieben Tagen in Germanien eingeführt und
die römischen Götternamen ins Germanische übertragen. Der dies
Martis, der Tag des Mars, hieß bei den alten Deutschen der
ziestag (schwäbisch noch heute zisteg, zeisteg), bei den alten Engländern
tiwesdaeg oder tigesdaeg, bei den alten Friesen tiesdi
oder tisdei, bei den alten Nordleuten tysdagr. Die germanischen
Namen, auf die alle diese Namen der germanischen Einzelsprachen
zurückführen, dürfen wir als *tiuz (oder *tiwaz) erschließen
. Diese Namen sind mit dem griechischen Zeus (Genitiv
diwos), lateinischen Jupiter (aus *diu-piter), indischen Dyaus verwandt
. Da indogermanisch *diw leuchten bedeutet, war dem Namen
nach der germanische *Tiuz ein Himmelsgott, wie auch der griechische
Zeus, der lateinische Jupiter, der indische Dyaus. Die Germanen
selbst erkannten in ihrem Tiuz (Tiu, hochdeutsch später Ziu) den
römischen Kriegsgott wieder. Die Forschung nimmt an, der alte
Himmelsgott, den sie aus ihrer indogermanischen Heimat mitbrachten
(Inder, Griechen, Römer, Germanen und noch andere
Völker, z. B. Perser, Selten, Slawen entstammen einem Urvolk,
die Wissenschaft nennt es die Indogermanen), hätte bei den Germanen
sein Wesen erweitert und sei bei ihnen auch der Gott des
Krieges geworden. Denn der Himmelsgott, der alles sieht und
alles hört, ist der Gott des Schicksals. Den Germanen aber war
der Krieg das Schicksal, das Leben des Lebens, wie uns das ja
Tacitus in seiner Germania so oft schildert. Auch der keltische Gott
Nuada war zugleich der Gott des Himmels und der Gott des Krieges.
Was die Schriftsteller des klassischen Altertums also vom Mars
der Germanen aussagen, dürfen wir auf den Tiu beziehen. In
seinen Historien berichtet nun Tacitus, daß Gesandte der Tencterer,
eines am Rhein wohnenden Stammes, voller Stolz den
Mars den Höchsten der gemeinsam von den Germanen verehrten
Götter genannt hätten, in leinen Annalen fügte er hinzu, daß
die Hermunduren (die Ahnen der Thüringer) im Kriege, den
Chatten (den Ahnen der Hessen) obgesiegt hätten: denn die Sieger
bestimmten die feindliche Streitmacht dem Mercur und dem Mars
als Opfer und deshalb wurden Pferde, Männer, alles Lebende
rücksichtslos erschlagen. In diesen beiden Aussagen erscheint der
Kriegsgott als der höchste Gott aller germanischen Stämme,
namentlich westdeutscher und mitteldeutscher, und verlangt grausam
und unersättlich die höchsten Opfer. Wenn Tacitus an einer anderen
Stelle, in der Germania, behauptet, Mercur sei der von den Germanen
am meisten verehrte Gott gewesen und den Mars und
Herkules habe man durch Tieropfer zufrieden gestellt, so setzt er
sich mit sich selber in Widerspruch und auch, wie wir noch sehen
werden, mit anderen guten Zeugnissen. Die Behauptung der Germania
ist wohl ein Irrtum, für den es verschiedene Erklärungen
gibt, die unsere werden wir später vortragen.
Wir wissen nun aus einer späteren Zeit, aus dem Ende des
8. Jahrhunderts, daß besonders die Schwaben, die zur Zeit des
Tacitus noch in Mitteldeutschland lebten, den Tiu (Ziu) verehrten.
Eine Glosse des 8. Jahrhunderts nennt die Schwaben die
Cyuari, die Verehrer des Ziu. Von dem Kult der Ältesten und
Vornehmsten der Schwaben, der Semnonen, erzählt wiederum
Tacitus Folgendes: "Zu einer bestimmten Zeit des Jahres schickten
alle Stämme gleichen Blutes Vertreter in einen Wald, der geheiligt
war durch alten Schrecken und durch den Gottesdienst der
Väter. Dann erschlugen sie im Angesicht aller einen Menschen und
es begannen die fürchterlichen Weihen eines barbarischen Gottesdienstes.
Auch ein anderer ehrfürchtiger Brauch galt dem Hain.
Jeder betrat ihn gefesselt, und wenn er strauchelte oder fiel, durfte
er nicht aufstehen und nicht aufgehoben werden. Am Boden wälzten
sie sich heraus. Das scheint der Sinn des ganzen Aberglaubens,
daß hier gleichsam die Anfänge des Stammes sichtbar werden,
Herr über alle ist Gott, die andern unterworfen und gehorchend."
Diese Erzählung befremdet, ja erschreckt uns zuerst. Unsere Vorfahren
unterscheiden sich hier kaum von barbarischen Wilden. Nicht
nur, daß sie mitten im Frieden Menschen opfern, sie beten in
Fesseln oder platt am Boden liegend ihren Gott an und huldigen
ihm in knechtischern Gehorsam.
Wir wissen aus manchen Berichten, daß die Germanen ihre
Götter in heiligen Hainen und Wäldern verehrten. Ein Hain war
der Baduhenna geweiht, einer dem Dioskurenpaar der Alcis. Auf
einer abgelegenen Insel in einem keuschen unbetretenen Walde
stand der Wagen der Nerthus, in einer heiligen Eiche mitten
unter mächtigen Eichen hauste der starke Donar. In Helgoland
hieß der Gott des Himmels und der Gott des Gerichtes Fosite,
in seinem Hain wagte niemand weder von den dort weidenden
Tieren noch von anderen Dingen irgendetwas anzutasten. Auch
von der im Hain entspringenden Quelle schöpfte man nur schweigend
. Die übertreter dieser Gebote traf ein grausamer Tod.
Gerade dieser Bericht aus dem 9. Jahrhundert n. Chr. ist in
seiner Stimmung und in seiner Strenge dem Bericht des Tacitus
nahe verwandt. Fosite heißt vielleicht der Furchtbare (schwedisch
fasa, altenglisch fêsean schaudern). Da er ein Himmelsgott war,
wird auch der Gott, den die Semnonen so fürchteten, der Himmelsgott,
es wird eben Tiu gewesen sein. Wir durften das ja, da
die Semnonen Schwaben waren, sogleich vermuten.
Andere überlegungen führen zu demselben Schluß. Tacitus
nennt den Gott regnator omnium: den Herrn. Der Name — ursprünglich
war es wohl ein Beiname — eines nordischen Gottes
des Himmels und der Fruchtbarkeit ist nun Frey, d. h. wieder der
Herr. Und der Name Balder, auch der Name eines Himmelsgottes
— er bedeutet eigentlich: der Glanzbringer — nahm bei
den alten Engländern wieder die Bedeutung: Herr, Fürst an.
Vielen primitiven Völkern ist der höchste Gott der Herr, namentlich
die alten Orientalen fühlten sich als Knechte vor dem Angesicht
des göttlichen Herrschers.
Nicht allein Herr, auch Vater ist der Gott der Semnonen. Die
Anfänge des Stammes werden sichtbar, so chrakterisiert ja Tacitus
unsere Feier, und nur Geschlechtsverbände desselben Blutes entsenden
ihre Boten zu dem grausamen Gottesdienst. Wir erinnern
nun: Jupiter heißt so viel wie Diu Vater (diu piter), Zeus wird
als Vater angerufen und auch der indische Dyaus Vater Dyaus
genannt (dyaus pita). Danach bezeugt uns auch Tacitus, daß der
germanische Tiu der Vater Himmel ist, den schon die Indogermanen
verehrten. Noch in altenglischen Stammtafeln ist Sahsnot — das
ist ein Name, eigentlich wohl wieder ein Beiname des Himmelsgottes
— neben Wodan der Urvater der Helden. Nicht allein die
Indogermanen, auch viele primitive Völker verehrten zutraulich
und demütig den Vater Himmel, er ist ihnen Vater und Herr
zugleich. Das christliche Gebet der Gebete, Vater unser der Du
bist im Himmel, hat seine Wurzeln in der ältesten religiösen Verehrung
der Menschen, es mußte auch unseren Vorfahren wie eine
lang vertraute, heilige Anrufung klingen.
Weil die blutsverwandten Geschlechter sich alle ihm als dem
ältesten Ahnherrn nahen, ihm die Gesamtheit seiner Nachfahren
zeigen und ihm die schuldige Ehrfurcht erweisen wollen, schicken sie
alle ihre Vertreter in den heiligen Hain des Tiu. Die Geschlechtsverbände
betreten den Hain in Fesseln. Wir dürfen aus den allerdings
nicht ganz klaren Worten des Tacitus schließen, daß nicht
der Einzelne, sondern daß die Vertreter des Geschlechtsverbandes
gefesselt waren, wie ja auch die germanischen Geschlechtsverbände
gefesselt in die Schlacht gingen. Die Zusammengehörigkeit, die
durch Blutsverwandtschaft bedingt wird, empfinden nach dem
Zeugnis manchen alten Brauches primitive Völker stärker als
unsre Gegenwart. Goten, Longobarden, Angelsachsen feierten in
ihren Liedern immer von neuem die Folge und Verwandtschaft
ihrer Geschlechter. Dieser Ahnenkult ist ein Anfang der germanischen
Heldendichtung. Seine Ausläufer erstrecken sich bis in die
isländische Saga. Fülle und Gliederung der Geschlechter also sollte
durch die Fesselung dem göttlichen Ahnherrn recht sichtbar werden.
Außerdem wird die Auslegung des Tacitus zutreffen; indem sie
sich fesselten, erschienen die Germanen wehrlos, als Gefangene
gleichsam sich ihm ergebend, vor ihrem Gott, vor dem Schicksal,
gegen das jeder Kampf ja vergebens ist.
Vielleicht heißt Semnonen sogar die Gefesselten. Ihr Gottesdienst
muß lange Zeit hindurch in besonderem feierlichen Ansehen
gestanden haben, Wahrsager und Seherinnen zeichnete man mit
dem Beinamen: die Semnonischen aus. Das bestätigt uns ein
merkwürdiger Fund der letzten Jahre. Auf einem Ostrakon des
2. Jahrhunderts n. Chr. von der Insel Elefantine (an der alten
Südgrenze Ägyptens) erscheint unter dem Namen der Dienerschaft
des kaiserlich-römischen Statthalters eine Waluburg, eine semnonische
Sibylle grec grec grec. Germanische Truppen
hatten unter der römischen Herrschaft in Ägypten jahrhundertelang
einen festen Standort. Diese Seherin mag sich der Statthalter
als eine besondere Seltenheit aus den dunklen Wäldern
Sagenb. l 2
Germaniens nach Ägypten gebracht haben. Denn gerade in der
römischen Kaiserzeit strömten in das alte Pharaonenland die Wunder
, der Zauber, die Religion und der Aberglaube der ganzen
Welt zusammen.
Was bedeutet nun, daß bei der Feier der Semnonen im Angesicht
aller ein Mann getötet und als Opfer gebracht wurde, ein
Mann, wie Tacitus sagt, also wohl ein Freier, kein Sklave und
kein Kriegsgefangener? Opfer dieser Art sollen in der Regel
menschengierigen Gottheiten die Gier stillen. Damit er das ganze
Volk verschont, bringt man dem Gott jedes Jahr einen aus dem
Volk als Opfer. Namentlich den Flußgottheiten entrichten viele
Völker alljährlich diesen schrecklichen Tribut. Warum soll aber der
Vater Himmel das Opfer fordern, das die Semnonen ihm bringen?
Hier stellt sich ein Rätsel vor uns hin. Es sei denn, daß nicht ein
gewöhnlicher, sondern ein auserlesener, ein starker und ein herrlicher
Mann in der Blüte seiner Jugend dem Himmelsgott zum Opfer
fiel, daß der Sonne gewissermaßen ihr Abbild geopfert wurde,
bestimmt, ihrem Licht und ihrem Segen neue Kraft zu geben.
Gedankengänge dieser Art sind manchen alten und neuen Völkern
und auch den Germanen vertraut. Dürfen wir sie aber in
den Bericht des Tacitus hineindeuten?
Gleich im Anfang unsrer Fahrt geraten wir an verlockende
Geheimnisse und auf trügerischen, gleitenden Boden. Doch wie tief
führen uns, wenn wir sie uns genauer betrachten, die unschätzbaren
Sätze des Römers über den Gottesdienst unsrer Vorfahren
und ihre religiöse Scheu, und wie beleben sie uns das Bild des
Tiuz. Als Vater und Herr, von der langen Reihe der Geschlechter
alljährlich in den Schauern des Waldes unterwürfig verehrt, erscheint
uns nun dieser Gott vom Himmel, Krieg und Schicksal.
Im J. Jahrhundert n. Chr. setzten Bürger aus Twente, aus
der friesischen Legion, dem Mars Thingsus und den beiden Alaiiagis,
, der Beda und Fimilena einen Weihstein, der 1883 in Eng
land in Housesteads am Hadrianswall gefunden wurde. Da es
Germanen sind, die nach römischer Sitte einen Weihstein errichteten
als Dank für die Hilfe der Götter, wie wir es im 2. und
3. nachchristlichen Jahrhundert noch öfter beobachten werden,
nehmen wir an, daß sie auch germanischen Göttern huldigten. Wer
diese waren, das ist eine von der Forschung noch lebhaft umstrittene
Frage. Wir folgen der Auffassung, daß Mars wieder Tiu,
der Gott des Himmels und des Krieges ist. Thingsus hängt
thing, das Gericht, zusammen, der Gott des Himmels wird also
zugleich als Gott des Gerichtes angerufen. Fosite, wie wir bereits
wissen, und der mit ihm wiederum eng verwandte Balder waren
ebenfalls Götter des Himmels und der Rechtsprechung. Einige
Gelehrte leiten übrigens unser Wort Dienstag aus Thingsestag,
Tag des Things ab. Alaisiagis halten auch wir für eine Verschreibung
aus ala-isagiis und übersetzen es: den großen Rechtssprecherinnen
. Beda heißt die Entbietende, man hat an das friesische
bodthing, fimilena heißt die Gewaltige, man hat erinnert an
das wieder friesische fimeithing, Friesen waren es ja, die den Stein
setzten; man vergleiche auch das altnordische fimbulvetr, das große,
gewaltige Wetter. Wir übersetzen also: dem Tiuz, der über das
Recht waltet, und den beiden großen Gesetzkünderinnen, der Entbietenden
und der Gewaltigen, sagen Dank die Bürger aus Twente.
Göttinnen, die das Recht bewachen und den Angeklagten helfen,
War und Syn, nennen auch nordische Berichte im Gefolge der
Himmelsgöttin Frigg.
Auf unserm Weihstein ist der eine Himmelsgott von zwei
Göttinnen umgeben. Deren Tätigkeit scheint enger und bleibt in
bestimmten Grenzen; um einen Ausdruck der gelehrten Forschung
zu gebrauchen, sie erscheinen als Sondergöttinnen. Im Germanischen
sind die Göttinnen nun überhaupt zahlreicher als die Götter
— in einem Merseburger Zauberspruch treten nur Göttinnen, in
dem andern neben zwei Göttern vier Göttinnen auf, — und das
Gebiet der Göttinnen ist nicht so weit. Sie heben sich auch nicht
so klar voneinander ab, die Individualität der Götter tritt mächtiger
und entschiedener hervor. Nicht nur eine willkommene Bereicherung
unsres Wissens von Tiuz, auch eine ebenfalls willkommene
Bereicherung unsres Wissens von der germanischen
Götterwelt im allgemeinen ist also die Inschrift unsres Weihsteines.
— In der Provinz Limburg wurde ein Weihstein gefunden
, dessen Alter unbekannt bleibt und der dem Mars Halamardus
gilt, d. h. dem männermordenden Tiuz.
Erst aus dem s. Jahrhundert erscheinen wieder zwei Zeugnisse
über den Mars: bei Jordanes und Procop, den Geschichtsschreibern
der Goten. Dieser sagt aus, der Mars sei der Hauptgott der
Goten gewesen und man habe ihm das höchste Opfer, den Menschen,
und zwar die ersten Kriegsgefangenen dargebracht, indem
man sie schlachtete oder an die Bäume wie an einen Galgen hing
oder indem man sie in die Dornen warf oder sie sonst einem
jämmerlichen Tode auslieferte. Jordanes bestätigt, daß der Kriegsgott
die Kriegsgefangenen als Opfer empfing, den Anstifter des
Krieges habe man durch Vergießen menschlichen Blutes am ehesten
zu versöhnen geglaubt und ihm habe immer der härteste Kult
gegolten. Auch das Schönste der Beute habe man ihm gelobt und
mit den erbeuteten Waffen die Bäume (wohl seines heiligen
Haines) geschmückt. Diese Angaben lesen sich wie eine Wiederholung
und Ergänzung der Berichte des Tacitus und erhöhen dadurch
die eigene Glaubwürdigkeit und die des alten Römers. Wie
er berichten sie von strengem Kult, von Menschenopfern und von
der Darbringung der Trophäen.
Noch ein anderes Zeugnis über Tiu führen wir auf die Goten
zurück, das der germanischen Runenreihe. Die germanischen Runenzeichen
sind nämlich von den Goten vielleicht im 2. Jahrhundert
n. Chr. am Schwarzen Meer erfunden und den griechischen und
lateinischen Lautzeichen nachgebildet worden. Von den Goten über
nahmen sie die andern germanischen Stämme, Runeninschriften
finden wir vom 4. bis zum 16. Jahrhundert fast in allen Ländern,
die der Fuß eines Germanen betrat, namentlich in den nordischen.
Dort blieb die Runenschrift im ganzen Mittelalter die sakrale
Schrift.
Jedes einzelne Runenzeichen trägt bei den Germanen seinen
eigenen Namen, dieser Name charakterisiert und erhöht seine zauberische
Kraft. Aus der Gesamtheit dieser Zeichen wurde die Runenreihe
, der große Runenzauber gebildet und durch stabreimende
Verse, von einem ähnlichen Bau wie die germanischen Gesetzesverse
, eingeprägt. Von diesen Runengedichten kamen einige, freilich
nicht ganz unversehrt, auf uns, u. a. in einer altsächsischen Aufzeichnung
des 9. Jahrhunderts, die Namen der Runenzeichen bewahrt
uns noch ein gotisches Zeugnis.
In der altsächsischen Aufzeichnung ist der Name für T Tiu;
dem T folgt B, Brica (Birke); M, Man (Mann); L, Lagu (see),
mit dem Beinamen the leohto (der lichte).
Also der weiße Baum, die Birke, der Mensch und das leuchtende
Meer umgeben den Tiu, als heller Himmelsgott erscheint
er und als Schöpfer der Menschen, strahlend und ruhevoll; Bilder
aus Sturm, Wetter und Not gehen in der Runenreihe dem T
voran.
Auch die Goten verehren in Tiu außer dem strengen Kriegsgott
den Gott des heiteren Himmels und sie betonten vielleicht
stärker als ihre germanischen Vorfahren das Leuchtende seines
Wesens.
Neben dem Namen tiu, altenglisch tir, für das Runenzeichen
ae erscheint althochdeutsch aer, altenglisch ear und der Dienstag
wird im bayerischen Ertac, Erchtac, später Irtac genannt. Danach
muß der Himmelsgott neben dem Namen Tiu auch den Namen
Er, Erch getragen haben. Friedrich Kluge meint, Erch, Erich habe
mit Erin gewechselt, wie etwa kumich mit kumin und Erinta
sei griechisch Areintac, d. i. Tag des Ares, Tag des Mars. Das
ist eine kühne und geistreiche Kombination, die beste, die wir zur
Erklärung des schwierigen Namens wissen. Behielte sie recht, so
wäre durch Vermittlung der Goten ihr höchster Gott Ares-mars
zu den Bayern gekommen, wie gotische Christen den Bayern den
Namen für Pfingsten und Pfaffe brachten. Der gotische Ares, der
germanische Tiu würde dann als Er und Ir im Namen des
Wochentags bis auf unsre Gegenwart in Bayern leben, leider
nur als Name; seine Bedeutung ist längst vergessen.
Die Sachsen nannten ihren Kriegsgott, den alten Tiuz,
Sahsnot, den Freund der Sachsen. In einem sächsischen Taufgelöbnis
des 8. Jahrhunderts muß der Täufling dem Thuner und
dem Wodan und dem Sahsnot abschwören. Und in einer ostsächsischen
Stammtafel erscheint Sahsneat und seine ganze Nachkommenschaft,
Gesecg, der Freund, Andsecg, der Gegner, Sweppa,
das Getümmel, Sigefugl, der Siegvogel, Hedhca, das Erschlagen,
Bedheca, die Gefallenen.
Diese Stammtafel faßt die einzelnen Vorgänge in der Schlacht
als Götter auf: die Sondergötter begegnen uns im Gefolge des
Himmelsgottes das zweite Mal. Andere Völker, etwa die Römer
und die Litauer kannten viel mehr Sondergötter. Zugleich gibt
die Stammtafel ein sehr anschauliches Bild vom Verlauf der
Schlacht. Der Schlachtgott erscheint, die beiden Heere treten kampfgerüstet
gegenüber, Getümmel erhebt sich, auf die eine Seite neigt
sich der Sieg, die Feinde werden niedergehauen, ihre Leichen bedecken
das Schlachtfeld.
Bei dem kriegerischen Stamm der Sachsen scheint sich das
Wesen des Himmelsgottes wieder in das Kriegerische zu verengen.
Den Eid leisteten die Germanen auf das Schwert. Das ist
ein neuer Ausdruck für das uns bekannte germanische Gesetz, daß
der Gott des Krieges und des Himmels auch Eid und Recht bewacht.
Bei einem germanischen Stamm, den Suaden, genoß das
Schwert eine Verehrung wie ein Gott, wahrscheinlich als Waffe
des Kriegs- und Himmelsgottes. Mythen, die im Nordischen den
Himmelsgöttern und verwandten Göttern gelten, führen alle auf
eine gemeinsame Form zurück, daß nämlich den Göttern ein heiliges
Schwert geraubt wurde. Manche Forscher deuten den Namen
Sahsnot auch als Schwertgenoß.
Wir betonten vorher, daß auch der keltische Gott Nuada zugleich
ein Himmelsgott und Kriegsgott war. Dieser Nuada hat
nur einen, und zwar einen silbernen Arm. Ebenso erzählt der
nordische Mythus von der Einarmigkeit des Ty (-Tiu). Eine
Vorstellung, die Kelten und Nordleute kennen, wird in das germanische
Altertum zurückreichen. Der silberne Arm des keltischen
Gottes bringt uns zu der Vermutung, daß Kelten und Germanen
die Sonnenstrahlen als einen leuchtenden Arm des Sonnengottes
auffaßten, und da man ähnliche Vorstellungen bei den Indern
und auch bei primitiven Völkern nachgewiesen hat, brachten die
Germanen den einarmigen Himmelsgott wohl aus ihrer indogermanischen
Heimat mit. Im 10. Jahrhundert erzählt noch das
großartige nordische Gedicht, das die Edda eröffnet, die Wöluspa,
die Sonne hätte am Anfang der Dinge ihre rechte Hand an den
Rand des Himmels gelegt.
Diese Vorstellung, der Sonnengott hat nur einen Arm, muß
natürlich die Phantasie lebhafter Völker anregen. Im Nordischen
erzählt uns denn auch eine meisterhaft vorgetragene Geschichte,
dem Ty habe ein Wolf, der unhold Fenri, die Hand abgebissen.
Möglich, daß auch dieser Mythus von den Germanen oder wenigstens
von den Goten erfunden wurde, denn der Glaube, der ursprünglich
die Sonnenfinsternis hervorrief, daß nämlich ein Wolf
oder Unhold die Sonne verfolgt und bekämpft, war auch den
Goten bekannt (vgl. S. 70 f.). So mögen in alter Zeit ein germanischer
oder gotischer Dichter aus den beiden Motiven, dem von
der Einarmigkeit des Sonnengottes und dem von der Verfolgung
des Sonnengottes durch den Wolf, die Sage geschaffen haben,
daß ein Wolf dem Sonnengott den Arm abbiß, eine Sage, unbeholfen,
und doch nicht ohne großartige Anschauung, sowie man
sie einem begabten und kindlichen Volke gern zutraut. Das wäre
dann eine germanische Göttersage, die dem alten Himmelsgott galt.
Im Laufe unsrer Studien sind uns eine Reihe Namen für
den Himmelsgott begegnet, wenn wir von Erch absehen: Thingsus,
Fosete, Frey (- germ. *Fraujaz), Sahsnot, Balder. Wir glauben
nicht, daß diese Namen besonderen Himmelsgöttern gehörten, wir
halten sie für Beinamen eines und desselben Gottes, denn dem
Himmelsgott gebührte der größte Reichtum der Namen und Kräfte.
Bald hoben die Namen seine Eigenschaft als Gott des Gerichts
und Rechts hervor, bald die als Gott der höchsten Macht, bald
die als Gott des Krieges, bald die als Gott des Glanzes; im
ganzen entfalteten und erhöhten sie die Majestät dieses Herrn der
Herren. Unverkennbar weisen sie darauf hin, daß dem Himmelsgott
ein reicher und ausgebildeter Kultus gebührte. Die Priester
prägten die Fülle der Gewalten des Gottes und den Schauder
vor seiner Allmacht den Gläubigen am wirkungsvollsten ein, indem
sie den Tiu unter immer wechselnden Namen anriefen und immer
andere seiner Kräfte aufleuchten ließen. Es ist noch in einem
nordischen Gedicht der Edda, in dem Grimnismal, ein großer,
nicht leicht zu vergessender Eindruck, wenn dort Odhin die nicht
enden wollende Reihe seiner Namen aufzählt, die ihm Menschen
und Götter gegeben haben.
Den Gott Balder nennt uns ein unschätzbares deutsches Zeugnis
aus dem 8. Jahrhundert, der sogenannte zweite Merseburger
Zauberspruch. Darin fährt der Gott mit Wodan in den Wald;
sein Pferd verrenkt sich den Fuß. Die Göttinnen bemühen sich
eifrig, aber vergebens, den Schaden zu heilen. Wodan heilt ihn
erfolgreich. Auf seinem Roß erscheint hier der Himmelsgott, umringt
von einer Schar mächtiger Gottheiten, deren Wesen Sonne,
Mond, Fülle, Glanz und Güte ist (Sunna, Sinthgunt, Fulla,
Frija), und sorgsam behütet von ihrer Liebe und Kraft. Im
Altenglischen wird Baeldaeg, der helle Tag, der Sohn Wodans
genannt und dasselbe weiß noch in der jüngeren Edda der Isländer
Snorri; Bäldäg und Balder sind dieselben Götter. Im
Merseburger Zauberspruch erscheint Balder ebenso wie im Nordischen
als das Sorgenkind und der Liebling der Götter und er
ist der Verzug der Göttinnen. Sein weiches, von Liebe verklärtes
Wesen wird sogar durch alle Entstellung sichtbar, die Saro Grammaticus
, ein dänischer Mönch des 13. Jahrhunderts, in das Bild
des Gottes brachte, auch er muß berichten, daß alle Götter für
Balder kämpften.
Ein altes Gesetz für Götter und Geister verlangt, daß sie alle
herbeilaufen und helfen müssen, wenn einem von ihnen ein unglück
zustößt. So versammeln sich alle Götter um das Pferd des
Balder und so auch später um Thor, als er seinen Hammer verloren
hat oder als er unter dem Fuß eines mächtigen Riesen liegt.
Schon bei Homer kommen dem schreienden Polyphem alle andern
Riesen zu Hilfe, ebenso laufen noch in der deutschen Sage alle
Waldmännchen und Wichte und Zwerge zu ihren verletzten und
klagenden Genossen.
Wenn der christliche Gott im alten Hildebrandslied als Irmingot
angerufen wird, d. h. als großer Gott, so darf man immerhin
vermuten, daß irmingot ursprünglich ein Beiname des Tiuz gewesen
ist. Auch der bei Saro erscheinende Gott Metodhin kann
aus einem Beinamen des Tius sich entwickelt haben, denn der
Name heißt Schicksalsgott (metod das Schicksal, das Zugemessene,
nordisch mjötudhr, Saro nennt den Namen in der germanischen, nicht
in der nordischen Form) und Odhin kämpst mit ihm. Wir freilich
möchten das Wesen des Metodhin aus anderen Ursprüngen erklären.
Noch ein anderer Gott der Nordleute heißt Ull, und Ull entstand
aus gotisch wulthus, Glanz, Macht, Herrlichkeit. Das ist noch
einmal ein Beiname des Himmelsgottes, vielleicht von den Goten
geschaffen, die ja im Himmelsgott gerade den glänzenden Lichtgott
verehrten. Die ältesten Nachrichten über den nordischen Ull
bestätigen, daß er ein alter Himmelsgott war und wohl derselbe
Gott wie Ty; denn er ist unerschrocken wie jener, ein unermüdlicher
Krieger und ein Herr über die Erde. Ein Held des 6. Jahrhunderts
nennt sich Owluthewar, Diener des Ull, bei Ulls Ring
wird in einem Eddalied ein Schwur geleistet. Ein alter feierlicher
Heilwunsch lautet: Die Huld Ulls und aller Götter. Hier ist Ull
noch der erste Gott.
Setzen wir nun die Beinamen Meister des Rechts, Großer,
Leuchtender, Strahlender, Gewaltiger, Schrecklicher, Vater, Freund
der Krieger nebeneinander, klingt solche Namenreihe nicht wie ein
feierlicher Hymnus an den erhabenen Himmelsgott? Wir meinen
aus ihr einen Nachhall der Gebete zu vernehmen, die germanische
Priester im Angesicht des gläubigen Volkes zum höchsten Gott
emporsandten, bevor sie in den heiligen Krieg zogen.
Aus dem großen Meere der Vergessenheit tauchen die Erinnerungen
an Tiuz nur selten auf, an weit auseinanderliegenden
Stellen und verschwindend, kaum daß sie sich dem Auge boten.
Sobald wir sie uns aber einprägen und verdichten, ersteht vor
uns doch in großen Umrissen ein mächtiger, und wie wir behaupten
dürfen, ein echt germanischer Gott. Tencterer, Hermunduren
, Chatten, Schwaben, Friesen, Sachsen und Bayern erscheinen
in unsren Zeugnissen als seine Verehrer. Auch die Goten
haben seinen Kult entwickelt, dieser muß früh nach dem Norden
gezogen sein. Der Gott war dem Schicksal gleich. Jeder Widerstand
brach vor ihm in sich zusammen und er forderte unbedingte
Unterwerfung. Er war ein grausamer Gott des Krieges und der
höchste Gott des Rechtes, der Gott des leuchtenden Himmels und
unser aller Vater und Schöpfer.
3. Donar
Eine altenglische Glosse sagt: Latona Jovis mater, Thunres
moder, sie setzt also den Donar dem römischen Jupiter gleich.
Dasselbe sagt später der ausgezeichnet unterrichtete und charakterisierende
Geschichtsschreiber Adam von Bremen: Thor cum sceptro
Jovem simulara videtur (Thor mit seinem Szepter scheint dem
Jupiter zu gleichen). Dementsprechend heißt der römische Dies
Jovis donarestac, im niederdeutschen donresdach, friesisch thuneresdag,
, altenglisch thunaresdaeg, altnordisch thorsdagr. Im Bayrischen
heißt es pfinztac, das ist der fünfte Tag, bis zu den Bayern
ist der Kult des Donar wohl nicht gedrungen?
Wir sahen, daß Tiuz im Namen dem alten indogermanischen
Himmelsgott entsprach und damit auch etwas vom Wesen des
römischen Jupiter in sich schloß. Ein anderes Gebiet im Herrschaftsbereich
des Jupiter besetzt Donar. Der Name klärt uns
darüber auf, welches: Donar heißt der Donnerer und Donar ist
der Gott des Wetters und Gewitters. Thor, der stärkste der Götter,
sagt wieder Adam von Bremen, herrscht in der Luft und
waltet über Donner und Blitz, Wind und Regen, Sonnenschein
und Fruchtbarkeit. Ebenso ist Jupiter der Herr über Blitz und
Donner, der Donner ist das Rollen seines Wagens, und wie
Jupiters, so ist auch Donars Waffe, die Art oder der Hammer,
das Abbild des Blitzes. Site wurden dem germanischen Donnergott
schon in der Bronzezeit (1500 bis 500 v. Chr.) geopfert.
Donar schlägt zu mit seiner feurigen Art" , sagt das altenglische
Gedicht von Salomo und Saturn. Jupiter scheint reicher als
Donar, insofern er zugleich der Gott des ruhigen und des bewegten
, des heiteren und des dunklen Himmels ist, während bei
den Germanen Donar als Gott des bewegten und dunklen Himmels
, Tiu als Gott des ruhigen und heiteren Himmels verehrt
wird. Aber Donar hat, wie wir noch sehen werden, Kräfte, die
Jupiter nicht besitzt.
Wir müssen uns zunächst den Zeugnissen zuwenden, die vom
germanischen Jupiter sprechen. Das älteste stammt aus dem s. Jahrhundert
; es ist eine gotische Runenschrift auf einem in Pietroassa
in Rumänien gefundenen Ring, und sie lautet: Gutaniowihailag,
das ist Gutane Jowi hailag, dem Jupiter der Goten geweiht. Sie
bezeugt den Donar als den Jupiter; wir dürfen vielleicht sagen,
als den Gott der Goten. Denn im Norden, sogar in der Edda, ist
Thor der Ase, der Gott schlechthin. In unsrer gotisch-germanischen
Runenreihe wird auch für A As (der Ase) genannt. Wir übersetzen
As mit Donar und die umliegenden Stäbe verstärken uns
den Mut zu unsrer Interpretation. Voran geht nämlich für Th
Thuris (der Riese). Dem ist, sagt die Runenreihe, der Ase überlegen
. Die nordischen Sagen über Thor erwachsen nun alle aus
den Siegen des Gottes über die Niesen. — Es folgen in der Reihe
dem Asen die Stäbe für R Rat (das Wagenrad) und für R cen,
chaon (die Fackel): also auf dem Wagen, Blitze schleudernd, fährt
Donar. Dann schließen sich an für H Hagal (Hagel), für N Naut
(Not), für J Is (Eis), für A Ar (Jahr), für S Sol (Sonne). Über
das Unwetter, erklären wir, über Kälte, über den Jahreslauf und
über den Sonnenschein waltet wieder der Wettergott. Diese Erklärung
gleicht fast wörtlich der Aussage des Adam von Bremen
über Thor. Sie wird also das Rechte treffen. Zuerst den Gott
von Sturm und Blitz, dann den Gott des heiteren Himmels führt
die alte Runenreihe an uns vorüber, ihr danken wir das erste,
mächtige, in wenigen großen Eindrücken festgehaltene Bild des
germanischen Jupiter tonans.
Im 7. Jahrhundert warnt der hl. Eligius, man solle weder im
Mai noch zu anderen Zeiten den Tag des Donar müßig verbringen,
fern von den heiligen Festen der Kirche. Das berühmte
Verzeichnis der Aberglauben des Burchard von Worms aus dem
9. Jahrhundert warnt vor den Opfern und heiligen Tagen, die
dem Jupiter und Merkur bestimmt sind. In einem Lobgesang
auf den hl. Gallus im 10. Jahrhundert werden die Bekehrer gepriesen,
sie hätten den Heiden das Wort Gottes gelehrt und den
Donar brennend verlassen, d. h. wahrscheinlich sein aus Holz geschnitztes
Bild. Bonifatius, der Apostel der Deutschen, erwähnt
in seinen Briefen einen Priester, der dem Jupiter opfert. Spärlich
genug sind diese deutschen Angaben, immerhin bezeugen sie einen
Gott, dem ein lebhafter, von der Kirche besonders eifrig bekämpfter
Kult gehörte.
Sehr eindrucksvoll verstärkt wird diese Kunde durch den berühmten
Bericht über die Fällung der Donareiche im Hain von
Geismar, die dem Bonifatius gelang. "Auf ihr eifriges Zureden",
heißt es in seiner Lebensbeschreibung, "versuchte er einen Baum
von erstaunlicher Größe, der die alte heidnische Bezeichnung die
Eiche des Donar trug, im Ort, der Geismar heißt, zu fällen.
Während er, gestärkt durck) die Beharrlichkeit seines Vorsatzes, den
Baum fällen wollte, versammelte sich eine große Menge der
Heiden, die unter sich den Feind ihrer Götter heftig verwünschten.
Aber sehr bald, nachdem die ersten Hiebe ihn trafen, stürzte die
ungeheure Masse des Baumes, von einem durch Gott gesandten
Wind außerdem geschüttelt, vom Wipfel an sich spaltend und brach
wie durch tröstliche Hilfe der himmlischen Macht in vier Teile.
Vier Stämme von ungeheurer Größe und von gleicher Länge lagen
nun, fern von den Mönchen, die der Arbeit beigewohnt, am
Boden. Als die Heiden das sahen, die den Bonifatius zuerst verwünscht,
schworen sie den alten Göttern ab, tauschten gegen den
Fluch den Segen und wurden gläubig."
Diese lebhafte Erzählung führt uns mitten in das Werk der
Bekehrung unserer Vorfahren. Natürlich sammelt sie alles Licht
auf den Apostel der Deutschen, dessen kühne Entschlossenheit Gott
durch Wunder und Zeichen und durch einen von ihm selbst kaum
erwarteten Erfolg belohnt. In Wirklichkeit wird der Vorgang sich
kaum so spannend und so wunderreich abgespielt haben. Der Bio
graph deutet das hohe Alter der Donareiche ja an. Der überalte
Baum wäre wohl auch ohne Zutun eines christlichen Eiferers über
kurz oder lang in sich zusammengebrochen. Hätte Bonifatius, ein
kluger Angelsachse, sich auch an einem Baum versucht, der, in
voller Kraft vor ihm grünend, jeder An trotzte? Doch gerade, weil
sie Jahrhunderte überdauerte, hielten die alten Deutschen die Eiche
für unzerstörbar und sahen nun mit seinem heiligen Baum den
Gott stürzen. — Es war ein besonderer Mut von Bonifatius, daß
er gerade nach Geismar ins Hessische drang. Nach dem Zeugnis
von heute noch bestehenden Ortsnamen hatten die heidnischen
Götter dort mehr als ein Heiligtum. Das Heidentum war, wie
es scheint, dort noch fester verwurzelt, als in anderen deutschen
Ländern.
Die Germanen verehrten, wie wir schon wissen, ihre Götter
im heiligen Hain. Durch die Tat des Bonifatius erfahren wir
nun, daß ein bestimmter Baum einem bestimmten germanischen
Gott, dem Gott des Blitzes und Donners, heilig war. Ein uralter
Baum mußte das freilich sein. Warum aber gerade die Eiche:
Darauf gibt uns die Meinung primitiver Völker die Antwort:
weil die Eiche den Blitz anzieht und weil deshalb sich der Glaube
entwickelt, daß sie in geheimnisvollem Zusammenhang mit dem
Blitz steht und mit dem Gott, der dem Blitz gebietet. Im Norden
ist dem Thor die Eberesche heilig, auch ein Blitzbaum.
Die Nachrichten über Donar, die wir bisher auflasen, zeigen
uns einen übermächtigen Wetter- und Himmelsgott. Als Herrn
über das Wetter gebührt ihm eine besondere Verehrung und ihm
galt namentlich die gläubige Ehrfurcht der Goten. Alte mächtige
Eichenhaine verstärkten die Andacht vor seiner Majestät, die in
Wipfeln und Zweigen, in Stamm und Wurzel der Eiche geheimnisvoll
verborgen und offenbar schien.
Nach der Angabe der Germania des Tacitus ist auch Herkules
bei den Germanen gewesen, und wenn sie in den Kampf gingen,
priesen sie ihn als den ersten aller tapferen Männer. Ihm galt
der Barditus; wahrscheinlich Zauberlieder und Beschwörungen,
die von den Trägern in die vorgehaltenen Schilde gemurmelt
wurden, und die, um ihn selbst und seine Gewalt herbeizurufen,
die Stimme des Gottes nachahmten und sie durch den Widerhall
aus den Schilden verstärkten. An einem andern, von uns schon
angeführten Ort, sagt Tacitus: dem Herkules hätte man Tiere
geopfert. In den Annalen teilt er die Meldung eines überläufers
mit, das Schlachtfeld sei von Arminius ausgewählt und auch
andere Stämme seien in einem dem Herkules heiligen Wald zusammengekommen
.
Dieser Herkules, den Tacitus an der einen Stelle neben Mars
und Merkur, d. h. neben Tiu und Wodan nennt, neben den beiden
großen germanischen Göttern, kann kaum ein anderer als Donar
sein, nach dem uns schon bekannten altsächsischen Zeugnis des
8. Jahrhunderts und nach anderen Zeugnissen der dritte große
germanische Gott. Als den Stärksten, d. h. wohl auch als den
Tapfersten aller Menschen und Götter charakterisiert noch Snorri
in seiner jüngeren Edda den Thor, und seinen Bartruf, den
Barditus, erwähnt eine späte isländische Saga. Das Gemeinsame
von Donar und Herkules ist die Kraft. Herkules trägt eine Keule,
Donar schwingt seinen Hammer. Schließlich war kein Gott und
kein Heros der Griechen an kühnen Fahrten und Taten so reich
wie Herkules, er bezwang die Unholde und drang in das Jenseits.
Dasselbe gilt vom nordischen Thor. Ob die Germanen auch solche
Sagen von Donar erzählten, der die Riesen bezwang, das müssen
wir noch zu erkunden suchen, die gotische Runenreihe nennt den
Donar ja als den Gott, der stärker ist als die Riesen.
Auf römischen in Deutschland gefundenen Inschriften des 2.
und 3. Jahrhunderts taucht öfter der Name Herkules auf. Trägt
dieser Beinamen, die weniger ihn selbst als den germanischen
Donar zu charakterisieren scheinen, so dürfen wir vermuten, daß
die römischen Germanen, die diese Weihsteine setzten, sie ihrem
Douai weihen wollten. Im 2. Jahrhundert nach Christus wird
Herkules auf einer solchen Inschrift barbatus genannt; das übersetzen
wir: Donar mit dem starken Bart, und wir weisen darauf
hin, daß im Norden und gerade wieder in seinen alten und schönen
Sagen Thor einen wallenden, rötlich-blonden Bart trägt als
Zeichen seiner männlichen Schönheit und Kraft. Seine Gattin Sif
schmückt leuchtendes langes Haar; darin ruht ihre Macht. Loki
schneidet es ihr ab, um ihr die Macht zu rauben. Das ist ein
Glaube alt und weit wie die Welt und uns aus der Bibel aus
der Geschichte von Simson seit unsrer Kindheit vertraut, daß der
Mensch im Haar seine Kraft trägt.
Aus dem Gebiet der Batawer am Niederrhein nennen uns
acht Inschriften aus der ersten und zweiten Hälfte des J. Jahrhunderts
n. Chr. und eine Münze den Hercules magusanus, sechsmal
allein, einmal mit andern Göttern, einmal mit einer germanischen
Göttin, immer ihn an erster Stelle. Im Norden heißt ein
besonders starker Sohn des Thor Magni; magusanus deutet man
wohl darum mit Recht als der Starke, der Kräftige.
Die neben Herkules auf einigen Inschriften genannte germanische
Göttin heißt Haewa, das ist die Ehefrau (vgl. althochdeutsch
hîwiski, die Familie, und hîrât, die Heirat). Die Gattin
Thors im Norden heißt Sif, das ist die Sippe, sie waltet eben
über der Sippe, den Eltern und ihren Kindern.
Die Batawer riefen also den starken Donar und seine Ehefrau
für sich und ihre Kinder an. Damit stellten sie ihre Sippe unter
den Schutz des göttlichen Ehepaares. Der nordische Thor weiht
die ganze Zeit des nordischen Heidentums hindurch von Geburt
zum Tod das ganze Leben des nordischen Bauern und beschützt
Ehe, Zeugung und Nachkommenschaft. Aus unsren Inschriften
schließen wir, daß er Wiege, Bett und Grab auch unsrer deutschen
Vorfahren weihte. Er war zugleich der starke Gewittergott und
von Geschlecht zu Geschlecht der treueste und mächtigste Beschützer
des Hauses und der Familie. Allmählich wird er vor unsern
Augen ein Gott, in dem sich in echt deutscher Art Kraft, Treue
und Güte verschmelzen.
Im Gräberfeld von Nordendorf, zwischen Donauwörth und
Augsburg, wurde in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, 1843,
eine Spange aus dem 7. Jahrhundert gefunden, die eine Frau
dem gestorbenen Freund ins Grab gab, mit einer Runeninschrift,
deren letzter Sah lautet: wigi Thonar: es möge weihen Donar.
Dieselben Worte (Thor weihe diese Runen) beschließen viele
dänische Runeninschriften auf Grabsteinen aus manchem Jahrhundert
. Noch über den Tod hinaus behütet Donar die Seinen.
Die Macht der bösen Geister, die dem Toten die Ruhe stören, soll
durch die Macht des stärksten und treuesten Gottes gebrochen werden.
Die Nordendorfer Spange ist zugleich das älteste Zeugnis, das
den deutschen Namen des Gottes nennt. Ein zweites aus dem
8. Jahrhundert ist jenes sächsische Taufgelöbnis, in dem der Täufling
dem Wodan, dem Donar und dem Sahsnot abschwören soll.
Ein drittes findet sich in einem Segen gegen die Fallsucht, den
zwei Handschriften des 10. Jahrhunderts überliefern und durch
dessen verworrene, verstümmelte, christlich gefärbte Worte und
Sätze noch eine mächtige heidnische Dichtung, ein Zauberspruch,
hindurchzubrechen scheint. Wir deuten uns den Tert folgendermaßen:
Donar, der im Volk Mächtige oder, wie es in der anderen
Handschrift heißt, der im Volk Ewige — beides sind für unseren
volkstümlichen Gott sehr bezeichnende Beinamen — wird zuerst
angerufen. Nun verwirrt sich die Überlieferung und es taucht ein
riesisches Wesen auf, das einen Stein zu Holz scheitet. Da die
folgenden Sätze eine Brücke nennen, ist damit wohl gemeint, daß
es durch seinen Blitz eine steinerne Brücke zersplittert, als sei sie
von Holz. Da kam, fährt der Segen fort, des Adams Sohn zur
Brücke und schlug des Teufels Sohn in eine Staude, d. h. er
warf den Blitz in die Staude zurück, in der er verborgen gelegen
hatte. Denn ebenso wie Eiche und Eberesche ist die Staude ein
Baum des Blitzes. Setzt man nun an Stelle von Adams Sohn,
dem Heiland, den Donar, an Stelle von des Teufels Sohn einen
Riesen, so erkennen wir den folgenden Vorgang: Ein Riese zer-schleudert
mit seinem Blitz eine Brücke, über die der mächtige
Donar in sein Reich dringen will. Der Gott packt den Blitz, wirft
ihn in die Staude zurück und beraubt den Riesen seiner Waffe.
Nun wird er weiterschreiten und den Riesen ganz überwältigen.
Zu den großen Taten Thors in der Edda gehört sein Kampf
mit dem Riesen Geirrödh. Dieser haust in der Unterwelt und Thor
muß durch reißende Ströme zu ihm waten. Als er in die Halle
vor Geirrödh trat, so berichtet nach einer Dichtung des 10. Jahrhunderts
Snorri, packt dieser ein glühendes Eisenstück und wirft
es nach dem Gott. Der aber fängt es mit den Eisenhandschuhen
auf und schwingt es in der Luft. Geirrödh läuft hinter eine Eisensäule
, um sich zu schützen. Da wirft Thor das Eisen und schleudert
es durch die Säule und durch den Riesen und durch die Wand hindurch
und noch weiter in die Erde.
Das glühende Eisen kann nur der Blitz sein, die Verwandtschaft
des nordischen und des von uns erschlossenen germanischen Berichtes
ist kaum abzustreiten. Eine Fahrt des stärksten Gottes in
die Welt der zerstörerischen Riefen, der Triumph der blitzeschleudernden
göttlichen über die blitzeschleudernde riesische Kraft, das
scheint der Gehalt der heidnischen Dichtung, die das Christentum
verwirrte und abriß, deren packende und pittoreske Gewalt der
nordische Skalde in seiner Art noch steigerte.
Bis in die germanische Urzeit führt unsere Dichtung kaum zurück
. Sie ist kein Mythus und keine alte, ungefüge Schöpfung, wie
die Geschichte vom Himmelsgott, dem der Wolf den Arm abbeißt
sie ist die Anschauung eines Poeten, wie die Bilder der germanischen
Runenreihe. Im dunklen Gewitter und im grellen Hin und
Her der Blitze sieht der Dichter den Kampf vom Gewittergott und
Gewitterriesen. Vielleicht war dieser Dichter ein Gote. Gehört die
steinerne Brücke der Urform der Dichtung an, so muß eine Römerbrücke
vor seinen Augen gestanden haben, die Germanen kannte,
bis in die Karolingerzeit hinein, keine Steinbrücken.
Unsre Dichtung steht nun im Deutschen nicht für sich selbst da.
Ihre Sätze sind nur der Auftakt zur Beschwörung einer Krankheit
, der Fallsucht. Krankheiten halten viele Völker für das böse
Geschoß eines Gottes. Bei Homer schießt Apollo seine Pestpfeile
auf die Griechen. In einem altenglischen Segen schießen die Walküren
ihre gellenden Gere als Krankheiten auf die Menschen. Man
denke noch an die Bezeichnung der Krankheit Hexenschuß. Der
Beschwörer in unserem Spruch wird versucht haben, indem er sich,
wie es in der Anweisung heißt, mit gespreizten Beinen über den
Kranken stellte und ihn so unter seinen Schutz nahm, das Geschoß,
das ein tückischer Unhold in den Kranken schoß, wieder auf den
Absender zurückzuschießen. Als ein Beispiel für den zurückgesandten
Schuß, das hier vor allem helfen sollte und helfen konnte, sagte
er in feierlichen Versen unsere Geschichte vom Gott und vom Riesen
auf. Daran schloß sich wahrscheinlich die beschwörende uns verlorene
Zauberformel. Im zweiten Merseburger Zauberspruch, der die Verrenkung.
eines Fußes heilen soll, wird als Auftakt ebenfalls eine Götterfabel
erzählt: dem Fohlen des Himmelsgottes Balder verrenkt ein
tückischer Waldgeist den Fuß, erst der Gott, der des stärksten Zaubers
waltet, heilt durch seine Kunst und seinen Spruch die Verrenkung.
Noch der nordische Bericht über Thors Fahrt zu Geirrödh betont
Thors zauberische und beschwörende Kraft öfter als irgendeine
andere Thorsage. Das bestärkt unsren Glauben an die Urverwandtschaft
der Geirrödhgeschichte mit dem altdeutschen Segen.
Von den Nordgermanen und Ostgermanen gingen vielleicht
schon in der Bronzezeit, sicherlich aber in den ersten Jahrhunderten
unsrer Zeitrechnung und dann das ganze Mittelalter hindurch
Kultureinflüsse nach dem Osten und Nordosten, zu den Lappen,
Finnen und Esthen, vielleicht sogar zu den Littauern. Auch religiöse
Vorstellungen und Bräuche, Sagen und Götter wanderten hinüber,
stellten sich neben die einheimischen und einige davon blieben durch
die Jahrhunderte ziemlich unverändert. In diesen östlichen Literaturen
finden wir darum Märchen und Mythen, älter als die ältesten
der Edda, Gold aus dem Schatz der Germanen. Die merkwürdigsten
gelten dem Donar, dem nordischen Thor und seinem Kreise.
Der Thor der Lappen Hora Galles, das ist Thor karl, empfängt
als Opfer lange und große Hämmer und besitzt selbst zwei
Hämmer. Der eine soll den Donner von ihren Renntieren zurückhalten
, der andere mit dem Blitz ihre Feinde erschlagen. Vor
langer Zeit, erzählen die Lappen weiter, habe einer von ihren in
Berghöhlen wohnenden Riesen den Donnergott gefangen und versteckt
, ein verwegener Bursche habe ihn endlich befreit. Da fiel.
unter Blitz und Donner wieder Regen auf die Erde, die lange in
Trockenheit schmachten mußte.
In dem Märchen der Esthen entwendet der unbedachte Sohn
des Donnergottes, vom Teufel beschwatzt, dem schlafenden Vater
den Dudelsack, das Donnerwerkzeug. Der Teufel verbirgt es tief
im Meer. Als der Gott den Diebstahl bemerkt und der Sohn ihm
seine unbesonnene Tat gebeichtet, verkleidet er sich als Fischer, fischt
den Teufel, der Fische stiehlt, aus dem Meer, zerbläut ihn, läßt
sich von ihm zur Hochzeit einladen und während des Festes den
Dudelsack zurückgeben. Er bläst ihn, die ganze Hochzeitsgesellschaft
fällt vor Schrecken in Ohnmacht und es regnet wieder.
Mit diesen Berichten vergleichen wir den Inhalt eines berühmten
und wohl auch sehr alten Eddaliedes, den Inhalt der
Thrymskvidha.
Thrym, der Lärmer, ein Riese — man beachte den lautmalenden
namen — hat dem schlafenden Thor den Hammer gestohlen und
ihn tief unter der Erde versteckt. Das gesteht er dem Loki und
fügt hinzu, gebe man ihm Freyja zur Frau, so solle Thor seinen
Hammer zurückhaben. Thor als Freyja und Loki als Magd verkleidet
fahren nun beide zum Riesen. Dieser rüstet das Brautmahl,
bringt den Hammer, die Ehe zu weihen, da werden er und die Seinen
vom Gott erschlagen und dieser reißt seine Waffe rasch an sich.
Die drei Berichte, der lappische, der esthnische, der nordische,
zeigen uns sehr anschaulich die Verwandlung einer mythischen Vorstellung
in eine mythische Dichtung, die Vermischung der Motive
dieser Dichtung mit Motiven anderer Herkunft und endlich den
übergang aus dem Göttermythus in den Götterschwank. Eine lange
trockene Zeit mit nachfolgendem Gewitter und Regen schafft die
Vorstellung, zuerst — das berichten die Lappen — der Donnergott
selbst ist gefangen und wird wieder befreit, alsdann der Hammer
des Donnergottes oder sein Donnerwerkzeug ist gestohlen und wird
wieder zurückgebracht. Diese alte Fabel kommt nun in Bewegung,
das Spiel der Motive treibt sie hin und her. Der Räuber ist bald
ein verwegener Bursche, bald ein Riese — der esthnische Teufel
war früher gewiß ein Riese — und bald holt der listige Gott sich
seinen Hammer selbst zurück, bald holt ihn der verwegene Bursche,
bald ein listenreicher und gewandter, kleiner Gott. Wir glauben,
daß ein Riese, nach dem Blitz des Gottes lüstern, in der ältesten
Form der Sage der Dieb war, er raubte dem Schlafenden die
Waffe. Wir glauben ferner, daß der Gott selbst, sei es durch
Klugheit, sei es durch Kraft, seine Waffe zurückgewann und den
Riesen empfindlich strafte. Dann stoßen wir auf eine Dichtung
verwandten Gehaltes mit dem altdeutschen Segen, den wir eben
aus dem Durcheinander der überlieferung herausholten. Unsre
Dichtung wäre dann eine Variation des gleichen Themas, des
Kampfes von Riese und Gott um den Blitz.
Der Räuber oder der Zurückbringer des gestohlenen Schatzes
ist eine mythische Gestalt für sich, ein Wesen, mit dem Donnergott
nicht unverwandt, wir werden später versuchen, ihn zu enträtseln.
Dieser verwegene Bursche ist aber nicht die einzige Bereicherung
unserer Fabel, sowohl die nordische wie die esthnische Version
steigern die List. In beiden verkleidet sich der Donnergott, erscheint
verkleidet und enthüllt seine Majestät auf der Hochzeit. Das ist
nach unsrer Auffassung ein Motiv nicht aus dem Mythus, sondern
aus dem Kultus, der Nachklang einer alten, mimisch dargestellten
Begattungsszene, eins der ganz wenigen, uns erhaltenen
Fragmente des ältesten germanischen Dramas. Gerade die Herübernahme
dieses Motivs verwandelt unsre Dichtung in einen derben
und mächtigen Götterschwank. — Da der esthnische und der nordische
Bericht die Verkleidung kennen und da auch viele primitive
Völker, wie die indogermanischen, im Anfang ihres Daseins
mimische Ehedramen gern darstellen, dürfen wir annehmen, daß
die Zusammensetzung von Verkleidungsszene und Gewitterfabel das
Wert eines germanischen Poeten war. Vom dichterischen Standpunkt
aus betrachtet, ist die Fabel vom gestohlenen und zurückgeholten
Hammer unbeholfener und primitiver und darum wohl
auch älter a die Dichtung vom Kampf des blitzeschleudernden
Riesen mit dem blitzeschleudernden Gott.
Der Reichtum von. Motiven in unsrer Fabel ist aber noch
immer nicht erschöpft. Im Esthnischen fischt der Gott den Teufel
aus dem Meer, diese Tat gehört wieder in Donars germanische
Zeit. Denn das gleiche unternimmt Thor im Nordischen — keine
seiner Taten war berühmter —: seine Erzfeindin, die Midgardschlange
, holt er aus den Wogen und will sie zerschlagen. Die
Schlange aber ist ein alter Unhold des Meeres, wie die Phantasie
der Germanen sie nicht nur im Norden sich erfabelte. Der Unhold
Grendel und seine grause Mutter, die der altenglische Heros
Beowulf bewältigt und die auf dem Grunde des Meeres hausen,
sind der Midgardschlange verwandt.
Von der germanischen Luft der lappischen und esthnischen Berichte
wenden wir uns nun mit einem etwas jähen Ruck in das
Fabelwesen des ausgehenden Mittelalters und zwar in das südliche
Tirol, dessen Dichter allerlei ritterliches Zierwerk mit dem berühmten
König der Goten, mit Dietrich von Bern verflochten, mit
dem Theoderich der Geschichte. Die Kämpfe Dietrichs waren recht
nach dem Geschmack der höfischen Epigonenzeit, bunt, abwechselnd,
abenteuerlich, einige anmutend und reizvoll vorgetragen nach den
besten Mustern der höfischen Kunst, andere voll frischen und derben
Humors, wieder andere stellten jugendlichen übermut und gefaßte
Männlichkeit in ihrem Kontrast echt und ergreifend dar, alle
schwelgten in der seltsamen und erhabenen Welt dieser Felsen
und Berge.
Unter dem Gewirr dieser Taten verbirgt sich nun, wie wir
glauben, eine germanische Dichtung, die Geschichte vom Kampf
Dietrichs gegen eine böse Riesin der Berge, die den Namen Runze
trägt, Lawinen schleudert, Zerstörung und Unheil anrichtet und
von dem unbesiegbaren Recken bezwungen wird. Der Name ist
wieder lautmalend wie der Name von Donar und Thrym und
der Stamm der gleiche wie der des nordischen Riesennamen
Hrungni. Das ist ein von Thor besiegter Riese, felsenwerfend und
ein gewaltiger Verheerer. Wir vermuten demgemäß, die Geschichte
von Dietrich von Bern und Runze und die von Thor und Hrungni
entwickelten sich aus der gleichen Dichtung und diese Dichtung war
gotisch, blieb sie doch im deutschen Süden unter dem Schutz des
gotischen Dietrich. Der Kampf Thors wurde in vielen Dichtungen
gefeiert, die nordischen Berichte über ihn tragen noch manches
Zeichen hohen Alters. In seinem Wagen braust der Donnergott
heran, während er sonst zu Fuß bei seinen nordischen Kämpfen
schreitet. Er schleudert von weitem dem Riesen seinen Hammer entgegen
, während dieser sonst Waffe im Nahkampf ist. Das schwedische
Smaland bewahrt uns noch eine Reihe echter alter mythischer
Überlieferungen. Dort erzählt man noch immer von dem Riesen
Hrungni. Er wollte den Gott mit einem Steinblock erschlagen, aber
der Gott zerschlug ihn, und von ihm stammen die Steinhaufen,
die im Land liegen.
Ein Gewitter, dessen Blitz in die Felsen fährt und dort Steinmassen
absprengt, erschien der schöpferischen Phantasie eines Dichters
als der Hammerwurf des Blitzgottes, der über den Steinwurf
des Felsriesen triumphiert. Wir erkennen eine neue, nun die
dritte Variation des Themas vom Kampf der Riesen gegen die
Waffe des Blitzgottes. Dasselbe Thema wirkt noch in deutschen
Riesensagen nach, die sich in das 19. Jahrhundert erhielten.
Die Goten und nach ihnen die Nordleute haben es besonders eindrucksvoll
und großartig ausgeführt. —
Wie anders steht der germanische Donar vor uns als der germanische
Tiu! Dieser thront im hohen Himmel und hält die oberste
Entscheidung über Krieg, Schicksal, Recht in seinen Händen. Donar
wirkt stärker, den Menschen viel näher; er ist viel tätiger und wird
oft und plötzlich mit jäher Gewalt sichtbar. Tiu verlangt grausame
Opfer, Donar nicht. Er waltet über die Fruchtbarkeit der Felder.
Immer wollen die Riesen, die Erbfeinde menschlicher Arbeit, die
verheerende Macht der Elemente, den Gott besiegen, seine Waffe
ihm entwinden, immer bleibt er der Überlegene. Sein Donner und
Blitz schafft nicht Zerstörung, sondern beschützt den Menschen, unüberwindlich
und immer wachsam ist dieser Gott des Menschen
stärkster Freund. Von seiner Macht und seiner Treue konnten die
Germanen nicht genug erzählen. Nun, nachdem wir immerhin
einige Sagen über den germanischen Donar erschlossen, dürfen wir
behaupten, auch in seinen Taten war der germanische Donar dem
römischen Herkules gleich. In das Reich der Riesen hat er sich gewagt
, aus dem Meer hat er die Unholde geholt, ihre Waffen hat
er stumpf und ohnmächtig gemacht. Durch List und Stärke hat er
seine Gewalt gegen sie behauptet. Er war der Tatenfroheste und
der am liebsten Besungene der germanischen Götter. In seinem
Wirken ist etwas Zuversichtliches und Stolzes, der Jubel des
Überwinders klingt uns immer noch daraus entgegen, aus seinen
Sagen erblühten reiche und frohe Dichtungen. Den alten, ungefügen
Fabeln über ihn gaben zuerst die Goten ein mächtiges
künstlerisches Gesicht. Derselbe Gott des Donners und der Macht
wachte über Geburt und Ehe und Tod, über die Sippe und die
lange Reihe der Geschlecher ebenso stark und ebenso treu wie über
Feld und Flur. Wir werden noch ein reicheres und mächtigeres
Bild von Donar gewinnen; doch schon die von uns zusammengestellten
und erklärten Zeugnisse zeigen ihn als den volkstümlichsten
germanischen Gott. Lieber haben unsre Vorfahren keinen
verehrt, treuer haben sie keinem die Treue vergolten.
4. Wodan
Der Geschichtschreiber der Longobarden, Paulus Diaconus, sagt
im 8. Jahrhundert: Wodan ist derselbe, der bei den Römern Mercurius
heißt. Diese Entsprechung Wodan-Merkur wird noch oft
bestätigt, z. B. von Jonas von Bobbio im 7. Jahrhundert und
besonders häufig noch bei den Angelsachsen. Dort nennen in der
Geschichte des Galfrid von Monmouth Hengist und Horsa den
Merkur den englischen Wodan und betonen, daß er ihr Hauptgott
sei und daß nach ihm der vierte Wochentag wodenes dei
heiße. Dieser Name hat sich im englischen wednesday bis heute
erhalten, ebenso im friesischen wonsdeg, im niederländischen woensdach,
, im niederrheinischen gudestac, gudenstach, im nordischen
odhinsdagr. Wenn wir heute statt wodanstag Mittwoch sagen, so
bedeutet es, daß der Kult des Wodan vor allen Dingen auf mitteldeutsche
und niederdeutsche Stämme beschränkt war, wie noch die
mit ihm zusammengesetzten Ortsnamen bezeugen.
Wodan id est furor, Wodan heißt Wut, sagt Adam von
Bremen. Das ist wieder zutreffend. Freilich dürfen wir Wut nicht
abstrakt erklären. Das Heer der Seelen, die sich vom Leibe gelöst
hatten und nun im Sturm durch die Lüfte brausten, hieß die wilde
Jagd. Heftiger und wilder als sonst brauste sie in den Nächten
der Winterwende, den stürmischsten des Jahres. Diese wilde Jagd
nannten unsere Vorfahren Wod (Wut), das ist die wütende Schar.
Die Vorstellung von ihr ist immer noch in vielfältigster Variation
und reichster Fülle über Deutschland, Dänemark und Schweden
ausgeschüttet, nur einige Ausläufer erstrecken sich nach Norwegen.
In Deutschland ist die wilde Jagd schon im frühen Mittelalter
bezeugt und reicht in das germanische, wohl auch in das indogermanische
Altertum zurück. Denn der Glaube ist wieder uralt,
daß die Seele, die den Leib verläßt, in die Luft eingeht und in
der Luft bleibt; Wolken und Wind, auch Atem und Seele sind
Geschwister. Der Führer der Wod hieß wode und so heißt er im
Niederdeutschen noch heute, er hieß auch *wodanaz. Wode ist die
ältere Form und Wode der primitivere Gott. Er blieb durch alle
Jahrhunderte bei seinen wilden, unerlösten Seelen. Wodanaz,
später Wodan, ist der mächtigere — das Formandi -anaz werden
wir in der Bildung germanischer Götternamen noch öfter finden,
namentlich in der Bildung der Namen von Seelengottheiten —,
er löste sich vom Seelenheer ab und eroberte ein weiteres Reich.
In der Vorstellung der wilden Jagd und in dem Namen Wode
wirkt der Glaube und die Götterwelt unserer Vorfahren lebendig
bis in unsre Gegenwart hinein, vor allem auf niederdeutschem
Gebiet. Das ist ein recht seltener Fall. Der Glaube, auf den frühere
Generationen der Mythologen ihre stärkste Hoffnung setzten, daß
wir den Spuren der alten germanischen Götter in unsren Sagen,
unsrem Brauch, unsren Märchen noch auf Schritt und Tritt begegnen,
hat sich sonst leider recht oft als ein Irrglaube gezeigt.
Nun wird uns auch klar, warum die Römer in Wodan ihren
Merkur wieder fanden: beide waren Führer des Seelenheeres.
Sie hatten auch noch andere Eigenschaften gemeinsam. Darüber
später, sobald uns die Zeugnisse das Bild des Wodan deutlicher
gezeichnet haben.
Tacitus nennt in der von uns schon angeführten Stelle den
Merkur neben dem Mars und betont, daß die Hermunduren und
Chatten beiden Göttern im Falle ihres Sieges Opfer gelobt hätten.
Daß Merkur Menschen als Opfer empfing an bestimmten feierlichen
Tagen, sagt Tacitus noch einmal in der Germania. Wenn er
dort den Merkur über den Mars stellt, so ist das, wie wir wissen,
nicht richtig. Merkur war nicht der von den Germanen am meisten
verehrte Gott. Eine Reihe von germanischen Stämmen kannten
ihn gar nicht, namentlich nicht die Goten. Die Stämme, die den
Wodan verehrten, scheinen ihn freilich unbedingt als ihren höchsten
Gott gefeiert zu haben und daraus wird vielleicht der Irrtum
des Römers verständlich. Deorum maxime Mercurium colunt, heißt
es bei Tacitus, und colimus maxime Mercurium läßt Galfrid von
Monmouth fast ebenso seinen Hengist und Horsa sagen. Auch der
Kult des Wodan erhielt sich lange Zeit. Wir teilten ja schon mit,
daß Burchard von Worms vor den heiligen Tagen warnt, die
dem Jupiter und dem Merkur gelten und daß der Täufling im
8. Jahrhundert neben dem Donar und Sahsnot dem Wodan abzuschwören
hat und allen unreinen Geistern, die ihre Genossen sind.
Ein Weihstein des 4. Jahrhunderts, im oberen Ahrtal bei
Blankenheim gefunden, gilt dem Mercuri Channini, d. h. wahrscheinlich
Merkur dem Totengott, dem Führer der Seelen.
Aus dem Anfang des 3. Jahrhunderts, aus Blatzheim, zwischen
Düren und Köln, stammt ein Stein, dessen Inschrift einen deus
requalivahanus nennt, dem Quintus Aprianus tructus ex imperio
pro se et suis weiht. Früchte, die hier der Stifter für sich und seine
Sippe darbringt, werden gewöhnlich Göttern der Fruchtbarkeit und
den Ahnengöttern geopfert. Da *rekwa das gleiche Wort ist wie
gotisch riquis, nordisch rökkr Dunkelheit, und da die Ahnengötter
im Dunkeln und Verborgenen wirken, halten wir den deus requalivahanus
für einen Ahnengott und für verwandt mit Wodan, in
dessen engerem Kultgebiet er ja austritt. Vielleicht war sogar requalivahanus
ein Beiname von Wodan. Die Deutung von livahanus
ist noch unsicher. Darf man an gotisch leihwan, althochdeutsch
lîhan: leihen, verleihen denken und requalivahanus mit: der
im Dunkel Spendende übersetzen?
Der dem römischen Merkur entsprechende keltische Gott Efus
war ein rüstigerer Wanderer, als Wanderer zieht Odhin in vielen
nordischen Sagen durch die Welt. Zu Wodans Wesen als Seelenführer
gehörte das ruhelose Stürmen durch die Lüfte, unter dem
Einfluß des keltischen verwandten Gottes mag er auch ein irdischer
Wanderer geworden sein.
Dem Mercurius Cimbrianus gehören einige Steine aus der
Wende des 2. und J. Jahrhunderts, aus den fränkischen Ländern,
auf Bergen gefunden, wo nach Ausweis von Ortsnamen und von
späten englischen Zeugnissen Wodan oft verehrt wurde.
Die nächsten Zeugnisse über Wodan entstammen dem 7. Jahrhundert.
Das wichtigste ist die bereits erwähnte Nordendorfer
Spange, deren Inschrift vollständig lautet: loga thore Wôdan
wigi Thonar. Der kunstvoll verschlungene Stabreim (tho-wo-witho),
der reiche Wechsel der Vokale (o a, Ô a, o a, dazwischen o e,
i i), die reiche Modulation des Klanges (loga, wigi; thore thonar;
wôdan thonar; wôdan wigi) weisen darauf hin, daß die Inschrift
eine alte feierliche Formel war, von einem religiösen Dichter geschaffen
. Strittig ist allein die Bedeutung des logathore. Wir
übertragen: Flammenbringer sei Wodan. Es weihe Donar; und
stellen uns vor, daß Wodan die Flamme des Scheiterhaufens entzünden
sollte, auf den der Tote gelegt wurde, und daß Donar
den Scheiterhaufen alsdann weihte. Wodan als Herrn über die
Flamme nennen noch einige nordische Zeugnisse. Den Hergang bei
Balders Verbrennung, wie Snorri in der jüngeren Edda ihn
schildert, stellen wir uns so vor, daß Wodan die Flamme des
Holzstoßes entfachte, auf dem der tote Gott lag, und daß Donar
den Holzstoß mit seinem Hammer weihte. Damit erscheint Wodan
zum erstenmal als Gott des Zaubers vor uns; das ist eine neue
Ähnlichkeit mit Merkur, der ebenfalls als Meister des Zaubers gilt.
Nach unserer Deutung ist logathore ein Beiname von Wodan,
vielleicht auch verwandt mit nordisch Lôdhurr (wenn dies auf
*Iuh-thurar zurückführt). Lôdhurr ist ein Gott, den eine berühmte
Stelle der Wöluspa zusammen mit Hoeni und Odhin nennt, als
Beseeler des ersten Menschenpaares, und der seinerseits wieder
dem Loki sehr nahe steht. Denn mit Odhin und Hoeni wandert
nach den eddischen Zeugnissen sonst immer Loki durch die Welt.
Noch in der Lokasenna, einem späten, aber gut unterrichteten Gedicht
der Edda, erzählt Loki, er sei in alten Zeiten der Blutsbruder
Odhins gewesen.
Noch von einer anderen Seite her läßt sich unsere Vermutung
stützen. Auch Hoeni, der dritte Gott in dieser Dreiheit, war, wie
es scheint, ursprünglich nichts als ein Beiname von Wodan, der
Name bedeutet der Beseelende.
Es würden sich dann in germanischer Urzeit Wodan und Tiu
durch die Fülle der Beinamen charakterisieren, die ihnen die Priester
verliehen. Für Wodan bestätigt uns das ein altenglisches Zeugnis
(S. 52).
Jonas von Bobbio erzählt in seiner Lebensbeschreibung des
hl. Columban ca. 620, daß der Heilige, als er bei den Sueben
weilte, die Bewohner einer Ortschaft fand, wie sie gerade ein
heidnisches Opfer darbringen wollten. Sie hatten ein großes Gefäß,
das sie in ihrer Sprache cupa (das ist unser Stufe) nennen,
in der Mitte, das etwa 26 Scheffel faßte und voll Bieres war.
Als er sie nun fragte, was damit geschehen solle, erhielt er die
Antwort, sie wollten ihrem Gott Wodan opfern.
Bei diesen Sätzen muß man zuerst unwillkürlich lächeln. Sie
berühren uns fast wie ein Scherz auf einem studentischen Kommers
und nicht wie die Schilderung eines Gottesdienstes unsrer Vorfahren.
Vielleicht hat schon Jonas von Bobbio seine Angabe ab
sichtlich auf das Ironische gestimmt. Wir möchten zum Verständnis
bemerken, daß man dem Gott den Trank wohl opfert, damit
er die Felder ertragreich macht, die den Trank spenden. Speise-
und Trankopfer empfangen wie gesagt vor allem die Ahnen, die
Geister der Verstorbenen, die Hinterbliebenen wollen sich durch
ihr Opfer die gütige Hilfe der Väter sichern. Wodan, dem mächtigsten
der Ahnen, gebührt dann allerdings ein besonders reicher
Trank.
Ein nordisches Gedicht und eine nordische Sage erzählen im
10. und 12. Jahrhundert außerdem, wie Odhin den Göttertrank
den andern Göttern brachte. Eigentlich war dieser berauschende
Trank wohl ein Zaubertrank, wie ihn der Zauberer bei vielen
Völkern schlürft, damit er in die Ekstase gerät, die ihm die Kraft
des Zaubers gibt. Dann hätte an unsrer Stelle das Trankopfer
an Wodan noch einen besonderen tiefen Sinn. Man weiht dem
Gott seinen Trank auch darum, daß seine Zauberkraft sich erhöht,
zum Gewinn aller, die an ihn glauben. Wenn die Gläubigen den
Trank genießen, so setzen sie sich mit dem großen Gott in eine
heilige Gemeinschaft. —
Im 8. Jahrhundert feiert der von uns schon öfter genannte
zweite Merseburger Zauberspruch den Wodan als den mächtigsten
Zauberer. Ihm gelingt die Heilung, die den zauberkundigen Göttinnen
nicht gelang; er kennt den heilenden Spruch: Bein zu Bein,
Blut zu Blut, Glied zu Glied, als ob sie geleimt seien. Gewissermaßen
lehrt Wodan den Göttinnen den Zauber. Noch Snorri im
13. Jahrhundert erwähnt, daß Odhin, der mächtigste Zauberer,
den Göttinnen seine Kunst lehrte.
Die Longobarden stellten sich den Wodan als goldene Schlange
vor und der Schlangenkult ist bei ihnen noch einmal bezeugt. Die
Schlange kriecht aus der Erde und in der Erde liegen die Toten.
Dadurch wird begreiflich, dah der Gott der Toten sich in Schlangengestalt
zeigt. Unter Odhins Beinamen erscheinen im Nordischen
noch zwei Schlangennamen: Ofni, der Webende, Swafni, der
Schläfernde, Namen, die auch auf das geheimnisvolle, schicksalsschwere
Raunen und Sinnen des Zaubergottes deuten. Als
Schlange schlüpft Odhin zu Gunnlöd, der Jungfrau, die den
Göttertrank behütet.
Auch die älteste uns überlieferte Sage von Wodan ist longobardisch.
Sie steht in der Chronik vom Ursprung der Longobarden
(ca. 670), Paulus Diaconus, der Geschichtschreiber der Longobarden
, hat sie wiederholt, im 8. Jahrhundert; das ganze Mittelalter
hat sich an ihr gefreut.
Ein Stamm hieß die Winniler; unter ihnen war ein Weib Gambara,
die hatte zwei Söhne Ybor und Aio. Mit denen zusammen
herrschte sie über die Winniler. Nun bewegten sich die Führer der Wandalen
Ambri und Assi mit ihren Heeren und sagten zu den Winnilern:
entweder zahlt uns Zins oder bereitet euch zum Kampf und kämpft mit
uns. Da antworteten Ybor und Aio mit ihrer Mutter: besser ist es, den
Kampf zu rüsten als den Wandalen Zins zu zahlen. Nun baten Ambri
und Assi, eben die Führer der Wandalen, den Wodan, daß er ihnen
verhielte den Sieg über die Winniler. Wodan antwortete verheißend:
die ich beim Aufgang der Sonne zuerst sehen werde, denen werde ich
den Sieg geben. Zu derselben Zeit bat Gambara mit ihren beiden
Söhnen, eben dem Ybor und Aio, den Fürsten über die Winniler, die
Frea, die Gattin des Wodan, daß sie den Winnilern günstig sei. Da
gab Frea den Rat, daß beim Aufgang der Sonne die Winniler kommen
sollten und ihre Frauen sollten die Haare auflösen um das Antlitz nach
Bartes Weise und mit ihren Männern kommen. Da, als es Licht wurde,
während die Sonne aufging, drehte Frea, die Gattin des Wodan, das
Bett, in dem ihr Gemahl lag und wandte sein Antlitz nach Osten und
weckte ihn. Und jener, umblickend, sah die Winniler und ihre Frauen,
die Haare tragend aufgelöst um das Antlitz und sagte: wer sind jene
Langbärte? Und es sagte Frea zu Wodan: wie du ihnen den Namen
gegeben hast, so gib ihnen auch den Sieg (das war eine alte germanische
Sitte). Und er gab ihnen den Sieg, so daß sie, nachdem dies sichtbar
geworden, sich auch bewährten und den Sieg davontrugen. Aber seit
jener Zeit hießen die Winniler Longobarden.
Unsre übersetzung sucht, so gut es geht, die frische und naive
Unbeholfenheit des lateinischen Originals zu bewahren. Dies selbst
scheint auf ein altes alliterierendes Lied zurückzuführen, mit lebhaftem
Dialog und dramatischer, wenn nicht mimischer Darstellung.
Den Stil dürfen wir uns etwa denken wie den des nordischen
Liedes vom gestohlenen Hammer. Hier eine Überlistung, dort eine
Beraubung des schlafenden Gottes. Hier verkleiden sich Frauen
als Männer, dort trägt ein Gott das Gewand einer Frau und
beide Lieder durchklingt eine derbe Heiterkeit und die Freude an
dem wohlgelungenen Streich.
Im Anfang erzählt uns der Bericht, wie die Winniler den
höchsten Gott mit Hilfe einer zauberkundigen Frau und einer Göttin
überlisten, damit er ihnen den Sieg gebe. Am Ende scheint der
Sinn der ganzen Fabel die Erklärung, warum die Winniler Longobarden
heißen: auch hier kreisen die Berge und ein kleines Mäuslein
kommt zum Vorschein. Doch solche Kontraste sind bezeichnend
für die volkstümlichen, ätiologischen Geschichten bei allen Völkern,
man blättere nur einmal, wenn man Beispiele in Hülle und Fülle
finden will, die Natursagen von Dähnhardt durch. Bald ist wie
in unsrem Fall die ätiologische Erklärung als Schluß lose angehängt
, bald ist sie der eigentliche Anfang der Geschichte. Auch wir
haben einen Verlauf, der so seltsam und jäh abwärts führt, schon
beobachtet: bei den Zaubersprüchen. Die Lichtgötter erscheinen, der
höchste Gott zeigt seine überragende Kraft und am Ende wird die
Verrenkung eines Fußes geheilt, der Donnergott entreißt dem
Wetterriesen den Blitz und am Ende wird ein Kranker von der
Fallsucht befreit.
Wodan wird bei uns um Sieg angerufen, wie schon bei
Tacitus und wie noch in vielen späten nordischen Geschichten. Aber
während er sonst als der unsteteste Gott durch die Lüfte braust und
als unermüdlicher Wanderer die Welt durchstreift, thront er hier
in heiterer Ruhe im Himmel und betrachtet sich von seinem hohen
Sitz die Welt. Die Völker aber nahen ihm ehrerbietig und tragen
ihm ihre Bitten vor. So wird sonst dem Tiu, dem Himmelsgott,
und nicht dem Führer der Seelen und dem Zauberer gehuldigt.
Wir vermuten deshalb, daß bei den Longobarden Wodan den
alten Himmelsgott verdrängte und die Ehre des höchsten Gottes
an sich riß. Das geschah auch bei anderen germanischen Stämmen,
wir werden noch davon hören. Beide Götter haben in ihrem
Wesen Verwandtes. Der eine war ein Führer der Seelen und ein
Gott der Ahnen, der andere der Vater der Menschen; beide verleihen
den Sieg, beide prunken in der Fülle ihrer Namen. Die
Zauberkraft und der stürmische Drang seines Wesens führten den
Wodan wohl an die höchste Stelle.
Nun überrascht uns weiter, daß in unsrer Fabel im Unterschied
vom Merseburger Zauberspruch Wodan nicht der Mächtigste
bleibt, sondern der List und Kunst seiner himmlischen Ehefrau
unterliegt. Im Eingang eines Eddaliedes aus dem 10. Jahrhundert
wiederholt sich diese Demütigung, da siegt der Schützling der
Frigg und nicht der des Odhin. Dieser Eingang ist wohl ein Nachhall
unsrer Geschichte.
Noch im Nordischen ist der Frigg die eigentliche Sorge für den
Himmelsgott Balder anvertraut. Sie nimmt allen Wesen den Eid
ab, dem Liebling der Götter nicht zu schaden. In der Frühzeit der
germanischen Religion waren, wie wir wissen, die Göttinnen zahlreicher
als die Götter und ihnen ebenbürtig. Auch die Erde stellte
man sich als Göttin vor. Uns scheint, neben dem Himmelsgott haben
die Germanen in alter Zeit eine Himmelsgöttin verehrt und sie
mit einem Kranz von Himmelsgöttinnen umgeben. Wir nennen
hier aus dem Merseburger Zauberspruch die Namen Sunna, Sinthgunt,
Bolla, ihr Wesen werden wir später, so gut es geht, deuten.
Die Himmelsgöttin besaß wohl einen eigenen Kult und Frauen
wie die Gambara waren ihre Priesterinnen; als Priesterin, als
phitonissa bezeichnet sie an anderer Stelle unser Chronik nachdrücklich.
Der Name, mag man ihn nun als die Kluge (althochdeutsch
. 1. 4
gambrî, Scharfsinn) oder als die Trägerin des Zauberstabes
(*gandbera) deuten, bestätigt diese Angaben. Himmelsgöttin
und Himmelsgott werden also in der longobardischen Fabel in
ihrer Macht erprobt, noch ist die Himmelsgöttin die Mächtigere,
nicht aber Wodan, sondern der Himmelsgott ist ihr unterlegen.
Noch zwei Forderungen in unserem Bericht heben wir hervor.
Der Sieg soll denen gehören, die der Gott beim Sonnenaufgang
zuerst sieht, und die Frauen der Longobarden sollen sich ihre
wallenden Haare wie einen Bart ums Antlitz hängen. In sehr
vielen Frühlingsfeiern wird der zuletzt Aufstehende verspottet, der
zuerst Aufstehende gefeiert, wer zuerst aufstand, den segneten die
warmen und befruchtenden Strahlen der Sonne am ehesten und
längsten. Die Herrichtung aber des Mannes als Frau und der
Frau als Mann oder die Vereinigung der Kraft beider Geschlechter
in einem Wesen und dadurch die Steigerung seiner Fruchtbarkeit
erscheint, wie wir noch erfahren werden, bei Festen, die der Ehe
gelten, oder bei Festen, die über Menschen und Felder Fruchtbarkeit
verbreiten sollen. Nun wird, wie wir glauben, der älteste Sinn
unseres Berichtes sichtbar. Die Winnilerfrauen zeigten der zweigeschlechtigen
Gottheit des Himmels, dem Himmelsgott und seiner
Gattin, ihre Männer und außerdem ihre Frauen mit den Zeichen
beider Geschlechter, dem Antlitz der Frau und dem langen wallenden
Haar, dem Zeichen der männlichen Kraft. Darum wurde ihre
Fruchtbarkeit von Gott begünstigt, die Wandalen sah der Gott
später und er sah von ihnen nur die Männer. Der Name des
Winnilerfürsten Ybor (Eber) ist der Name eines Tieres stärkster
Fruchtbarkeit und Zeugungskraft, der Eber war später dem Gott
der Fruchtbarkeit, dem Frey, heilig.
Beim Kultus eines finnischen Gottes Pekko, den sein Name
aber als germanischen Gott ausweist, nehmen Frauen teil, doch
als Männer verkleidet. Umgekehrt schmücken lappische Priester bei
ihrem Kult Haupt und Haar in der Art der Frauen.
Als Kern aus dem heiteren und derben longobardischen Lied
haben wir nun die Bitte zweier germanischen Stämme um Fruchtbarkeit
herausgeschält, die Bitte, die sie dem Vater Himmel und
der hohen Himmelsfrau vortrugen und die dem von ihnen gewährt
wurde, der dem Gott die stärkere geschlechtliche Kraft zeigte.
Die Bitte um stärkere Fruchtbarkeit verwandelte sich dann in die
Bitte um Sieg über den Feind, dieser Bitte gab ein germanischer
Dichter, der durch die Schule der Spielleute gegangen war, ein
fröhliches Gewand. Im Umgang von Mensch und Gott zeigt die
longobardische Erzählung eine Vertraulichkeit, die wir in der germanischen
Götterdichtung sonst nicht treffen, wohl aber in späteren
Zaubersprüchen und Erzählungen, die den Einfluß der Spielleute
erfahren haben.
Sowohl die Führer der Wandalen wie die Führer der Winniler
sind nun ein Brüderpaar und unter einem Brüderpaar, Hengist
und Horsa, dringen die Sachsen nach England. In diesen brüderlichen
Führern soll die männliche Kraft des Stammes sich verdoppeln
und bei den Winnilern steht den Männern noch eine
männliche Frau, die Gambara, zur Seite. Sie weist den Weg zum
Sieg, sie gibt ihrem Stamm die überlegenheit, sie vermehrt und
ergänzt die männliche Kraft. Man erkennt, wie sinnreich die Anlage
der ganzen Erzählung ist. Von hier aus fällt nun ein überraschend
helles Licht auf eine Aussage des Tacitus, die bisher
allen Erklärungsversuchen siegreich widerstand. Der Römer berichtet
in seiner Germania von einem göttlichen Brüderpaar, den Alcis,
denen besondere Verehrung zuteil wurde: als Brüder, als Männer
in ihrer Jugendkraft wurden sie verehrt, eben wie Ambri und
Assi, Ybor und Aio, Hengist und Horsa. Ihren Kult verwaltete ein
Priester in weiblicher Tracht. Hier zeigt sich eine neue Spielart
unsres Themas, die Ergänzung und Vermehrung der Kraft des
männlichen Geschlechtes durch einen mannweiblichen Priester.
Wie man sich auch zu unsren Vermutungen stellen möge, daß
die leichte Hülle der longobardischen Dichtung über einen tiefen
mythischen und kultischen Gehalt geworfen wurde, ist wohl gewiß,
wenn wir auch für die Erkenntnis von Wodan nicht gerade das
lernten was wir vermuteten. —
Den alten Engländern galt Wodan als der höchste Gott. Auf
Bergen, in Wäldern, an Gewässern, an Kreuzwegen hat man ihm
gehuldigt und geopfert, eine unverstandene Erinnerung daran behielten
Ortsnamen bis in unsre Gegenwart. Viele Zeugnisse bis
in das 10. Jahrhundert bestätigen uns, daß Wodan der Stammvater
aller Helden war, daß er früher ein Mensch gewesen, deo
man zum Gott erhoben, daß er dem Merkur entspricht und daß
der vierte Wochentag seinen Namen trägt.
Neben dem Heldentum Wodans, durch das er vor allem die
siegreich vordringenden Hengist und Horsa beschützte, wird seine
Zauberkraft verehrt und gefürchtet. Die Denksprüche des Eieterbuches
nennen den Wodan den Stifter des Bösen, der allwaltende
Herr aber heißt es, schuf den Himmel, das ist der mächtige Gott.
Ein Neunkräutersegen zählt neun gegen Gift wirksame Kräuter
auf, die ein Wurm zerreißen will: da ergriff Wodan neun Zauberzweige
und schlug die Natter, daß sie in neun Stücke zerfiel und
floh. In dem Gedicht von Salomo und Saturn wird gefragt:
wer erfand die Runen?" Die Antwort lautet: "Merkurius, der
Unhold. Das ist Wodan, der Gott." Eine sehr ausführliche Schilderung
ebendort sagt: "Ein Mann war geheißen Merkurius im
Leben, er war sehr betrügerisch und unstet in seinen Taten und
er liebte den Diebstahl und den Wortbruch. Den machten sich die
Heiden zu ihrem berühmtesten Gott, bei der Kreuzung der Wege
tanzten sie zu seinen Ehren und auf hohen Hügeln brachten sie
ihm Opfer. Dieser Gott war verehrt unter allen Heiden und mit
verschiedenen Namen, im Dänischen heißt er Othon. Zu seinen
Ehren nannten sie den vierten Tag den Tag des Merkur."
Von dieser Charakteristik trifft auf Merkur allein der Diebstahl
und die Betrügereien; das Unstete, der Kult auf Bergen und an
Kreuzwegen und der Namenreichtum treffen außerdem auf Wodan
und sind bei ihm auch sonst bezeugt. Uns interessiert besonders, wie
ein dem Wodan nicht eben wohlgesinnter Mönch die alte Interpretation:
Merkur ist Wodan, auffaßt und darstellt.
Der englische Wodan als der Vater der Helden, der Mächtigste
der Ahnen, der Verleiher des Sieges und der größte Gott,
verbindet wieder Eigenschaften des alten Kriegs- und Himmelsgottes
Tiu mit den Eigenschaften des germanischen Wodan. Ganz
ähnlich wie bei den Longobarden wird er bei den Angelsachsen
den Tiu aus seiner Herrschaft geworfen haben, dabei war wieder
seine Zauberkraft der stärkste Helfer.
Als Führer der Seelen, als Spender des Sieges und als mächtigen
Zauberer, in dieser dreifachen Macht zeigen uns die wesentlichen
Zeugnisse aus römischer Zeit und aus den späteren germanischen
Jahrhunderten unsern Gott. Bedenken wir nun, daß bei
einem kriegerischen Volk wie den Germanen der Kriegszauber der
stärkste Zauber sein mußte, bedenken wir weiter, daß die Verstorbenen
als zauberkräftig gelten — bei sehr vielen Völkern alter
und neuer Zeit ist die stärkste Kunst des Zauberers der Umgang
mit den Toten, die ihm verborgene Weisheit künden —, so möchten
wir meinen, der Glaube an Wodan sei aus der Verehrung eines
besonders mächtigen, zauberkundigen Häuptlings erwachsen, der
sich auch im Jenseits an die Spitze der Abgeschiedenen stellte und
auch dort der stärkste Zauberer blieb. Alsdann gewönnen die altenglischen
und altnordischen Behauptungen, die in dieser Bestimmtheit
bei keinem andern germanischen Gotte auftreten, eine neue
Bedeutung: Wodan sei eigentlich ein Mensch und König. Noch
die Sagen vom wilden Jäger berichten gern, daß der wilde Jäger
eigentlich ein Mensch war, der zur Strafe für seine Sünden ruhelos
durch die Lüfte stürmt. Ein solcher Ahnengott, im Heulen des
Sturms sich immer von neuem offenbarend, mußte unmittelbarer
wirken und überwältigender als der weitentrückte Tiu. Auf die
Dauer blieb er der nähere, der stärkere Gott, der wilde Jäger
und Wode leben ja noch heute.
Auch dieser Gott hebt sich in bestimmten Umrissen vor uns ab,
trotz einzelner Ähnlichkeiten ist er von Tiu und noch stärker von
Donar unterschieden. Das Finstere, Ruhelose, Zauberstarke ist sein
Wesen Als der unwiderstehlichste Gott zieht er die Helden zu sich
und er scheint die dunkle Tragik von Krieg und Sieg in sich zu
bergen.
Ob wir den Wodan recht deuteten, werden wir erkennen, wenn
der nordische Odhin uns die Fülle seines Wesens zeigt. Einige
wenige Züge des nordischen Gottes, die auf das Germanische zurückführen
, haben wir erwähnt. Viele andere berührten wir noch
nicht, denn sie sind so fest in seinen andern nordischen Eigenschaften
eingekapselt, daß man sie aus ihnen nicht herausnehmen mag.
Schon jetzt aber erscheint uns Wodan tiefer und geheimnisvoller
und mit Krieg und Schicksal und Heldentum fester verflochten als
ein anderer germanischer Gott.
5. Mutter Erde
Von dem Kult einer germanischen Göttin erzählt Tacitus sehr
eingehend, von dem Kult der Nerthus.
Die Reudigner, Avionen, Angeln, Wariner, Eudosen, Suarthonen
und Nuithonen, deutsche Völker, zwischen Flüssen und Wäldern wohnend
, verehren insgesamt die Nerthus, das ist Mutter Erde, und
glauben, daß sie sich in die menschlichen Dinge mischt und zu den Völkern
gefahren kommt. Auf einem Eiland des Meeres liegt ein unentweihter
, ihr geheiligter Wald, da stehet ihr Wagen mit Decken umhüllt
, nur ein einziger Priester darf ihm nahen. Dieser weiß es, wann
die Göttin im heiligen Wagen erscheint; zwei weibliche Rinder ziehen sie
fort und jener folgt ehrerbietig nach. Wohin sie zu kommen und zu beherbergen
würdigt, da ist froher Tag und Hochzeit; da wird kein Krieg
gestritten, keine Waffe ergriffen, das Eisen verschlossen.
Nur Friede und Ruhe ist dann bekannt und gewünscht; das währt
so lange, bis die Göttin genug unter den Menschen gewohnt hat, und
der Priester sie wieder ins Heiligtum zurückführt. In einem abgelegenen
See wird Wagen, Decke und Göttin selbst gewaschen: die Knechte aber,
die dabei dienen, verschlingt der See alsbald.
Ein heimlicher Schrecken und eine heilige Unwissenheit sind daher stets
über das gebreitet, was nur diejenigen anschauen, die gleich darauf
sterben.
Auf welcher Insel die Göttin gefeiert wurde, wissen wir nicht,
manche Anzeichen deuten auf Seeland. Tacitus erklärt die Nerthus
als Mutter Erde. Dabei denkt er gewiß daran, daß ihr Kult mit
dem Kult einer phrygischen, in Rom bekannten Gottheit, einer
Mutter Erde, viele Ähnlichkeiten hatte. Aber auch germanische
Zeugnisse machen es wahrscheinlich, daß die Nerthus wirklich eine
Mutter Erde war.
Wenn die alten Engländer den Pflug ansetzten und die erste
Furche zogen, so sprachen sie das feierliche alte Gebet: "Gesegnet
seist du, Erde, der Menschen Mutter. Sei du wachsend in Gottes
Umarmung, erfüllt von Frucht, den Menschen zum Nutzen." Einen
wunderschönen Nachklang dieses Gebetes hören wir in der Edda.
Die aus langem Schlaf erwachende Brünhild ruft: "Heil euch
Göttern, Heil euch Göttinnen, Heil dir, fruchtschwere Flur!" Die
Vorstellung von einer Mutter Erde war also den Germanen bis
tief in das Mittelalter hinein vertraut.
Es scheint nun, als hätten unsere Vorfahren an den Wortstamm
, der Erde bedeutete, verschiedene Suffixe angehängt, gewissermaßen
, um ihre überall aufquillende Fruchtbarkeit anzudeuten
. In der gleichen Bedeutung stehen eru (althochdeutsch),
erce (altenglisch), ertha (gotisch) nebeneinander. Ein langer altenglischer
Segen aus der christlichen Zeit, der Heidnisches und
Christliches seltsam durcheinandermengt, zeigt unter christlichen Beschwörungen
und Vorschriften die folgende großartige Anrufung:
Erce, Erce, Erce, der Erde Mutter, es vergönne der allwaltende,
ewige Herrscher, daß die Äcker sprießen und gedeihen im Wettstreit
der Fruchtbarkeit. Er vergönne dem Korne Wachstum, der breiten
Gerste, dem weißen Weizen, der ganzen Flur. — Wir vermuten,
in einer reineren Fassung dieses Segens wurden Erce und Erde
als Mutter angerufen (Erce, Erce, Erce, du Mutter Erde), die,
von Gott umarmt, Fruchtbarkeit der Felder den Menschen spendete.
Aus unsern Zeugnissen geht weiter hervor, daß die Germanen
ihre Mutter Erde als Göttin im Frühjahr anriefen. Den Glauben
an die Mutter Erde teilen sie mit vielen Völkern, er mag ein
Erbe sein aus der indogermanischen Urzeit. Die Jungfrau Maria
empfanden unsre Vorfahren als ihre Göttin, weil sie, wie die alte
Erde, eine mütterliche Göttin, weil sie die Mutter war. Weiter
noch, die Erde wächst in Gottes Umarmung. Wer aber kann dieser
befruchtende Gott anders sein als der Vater Himmel? Auch den
Vater Himmel haben wir bei den Germanen entdeckt, außerdem
ist die Ehe zwischen Vater Himmel und Mutter Erde eine uralte
und weitverbreitete Vorstellung. Bei den Indern der wedischen
Zeit war sie schon verblaßt, die nordamerikanischen Indianer
reden von Mutter Erde und Vater Sonne, die Lappen von Akko,
dem Großvater, dem Himmelsgott, oon Akku, der Großmutter,
der Erdgöttin. Einige Völker glauben auch, am Anfang der Welt
seien Himmel und Erde eng verbunden gewesen und man habe sie
gewaltsam trennen müssen, damit ihre Kinder in freiem Licht
hätten atmen können.
Bei Tacitus bringt der Priester die Nerthus nach ihrer Umfahrt
in das Heiligtum zurück. Nehmen wir nun an, die Nerthus
war die Mutter Erde, und wir dürfen es nunmehr, sie wurde
wie die altenglische Mutter Erde im Frühjahr gefeiert, so wäre
der Priester, ihr Begleiter, der Vertreter des Vaters Himmel und
vollzöge am Schluß der Feier mit ihr die heilige Ehe. Auch diese
Vermutung wird richtig sein. Denn ein nordischer Bericht aus dem
späten Heidentum, der uns noch öfter fesseln wird und der beinahe
klingt wie eine Wiederholung der Aussagen des Tacitus,
teilt uns mit, daß der Himmelsgott Frey und seine Priesterin,
die Gottheit der fruchtbaren Erde, durch eine heilige Ehe verbunden
waren.
Auch der Name Nerthus weist in dieselbe Richtung, er ist jetzt
endlich zuverlässig gedeutet worden, von Erich Berneker. Nerthus
(ner+thus) heißt das eintauchende oder ' das in die Erde verschwindende
Wesen. Die Mutter Erde könnte keinen treffenderen
Namen tragen. Im Herbst und Winter scheint sie im dunkeln Schoß
der Fluren und Felder zu versinken. Im Frühjahr taucht sie blühend
und grünend tausendfach ans helle Licht. Noch mehr aber,
die Göttin taucht tief in das heilige Naß des Himmels und geht
aus diesem Bade in neuer, prangender, segensschwerer Fülle hervor
. Die geweihte Verbindung von Wasser und Land, von Meer
und Erde erklärt uns, daß Nerthus eine Göttin der Erde ist und
zugleich von meeranwohnenden Völkern verehrt wird.
Der unentweihts Wald auf einem abgelegenen Eiland, das
Heiligtum der Nerthus, ist ein echt germanisches Heiligtum. Auch
die Umfahrt der Göttin auf einem Wagen ist ein sehr alter germanischer
Brauch. 1902 wurden in Thrundholm auf Seeland (vgl.
oben S. 55) eine runde mit dünnem Gold belegte Scheibe gefunden,
dazu Räder, offenbar von einem Wagen, auf den die Scheibe gelegt
war, und schließlich hübsche Bronzepferdchen, diese hatten die
Bestimmung, den Wagen zu ziehen. Erfahrene Archäologen setzen
das Werk in die Zeit zirka 1000 v. Chr. und preisen seine vorzügliche
Arbeit. Die Scheibe war das Abbild der Sonne und eine
Votivgabe, der Sonne wurde ihr Abbild dargebracht, damit sie
selbst scheine und zu allen Völkern gefahren käme. — Im heiligen
Hain der Germanen wurden weiße Rosse gehalten, kein Sterblicher
durfte sie berühren, sagt wieder Tacitus an einer berühmten
Stelle der Germania, nur der Priester schirrte sie an den heiligen
Wagen, König und Fürsten gingen neben ihnen und alle beobachteten
ihr Wiehern und ihr Schnauben als das höchste Orakel,
an das Hoch und Niedrig, Priester und Laie glaubten. — Die
Umfahrt eines Götterbildes, wohl auf einem Wagen, bezeugt uns
für die Goten im 5. Jahrhundert Sozomenos. — Donar fährt
auf einem Wagen über den Himmel, wir wissen von einem Bilde
Thors, im Tempel zu Drontheim, das auf einen Wagen gesetzt
war, den Böcke zogen. 'Dies Bild entspricht also dem alten germanischen
Bild der Sonne. Der Himmelsgott Balder stieg wie
Frey auf einen Wagen und hielt auf ihm seine heilige Umfahrt. —
Der Wagen der Göttin, d .h . wohl das Bild der Göttin auf ihrem
Wagen, ist verhüllt. Das Volk verhüllt noch immer einen Gott,
wenn es seine Unsichtbarkeit andeuten will. So laufen die Burschen,
die das Heer der Seelen darstellen, vermummt über die Wege.
Der Frühlingsgott, der Pfingstl oder der Wassermann, wird in
der grünenden Blätterhülle ganz verborgen. — Das Zeichen, daß
die Göttin sich nahte, war etwa das Erblühen einer ihr heiligen
Blume oder das Ergrünen eines ihr heiligen Baumes. — Weibliche
Rinder als Zugtiere sind Symbole der Fruchtbarkeit. Sie
begegnen im Germanischen recht selten, da und dort bei dem ersten
Umziehen des Pfluges über die Felder. Die Vermutung läßt sich
nicht ganz abweisen, daß Tacitus hier den Kult der germanischen
Göttin mit dem der phrygischen magna mater verwechselte, diese
führte man auf rinderbespannten Wagen durch die Stadt Rom
und ihr Bild und ihr Wagen wurden im Tiber gebadet, d. h.
vom Umgang mit den Menschen gereinigt. Vom Bad der Nerthus
berichtet wieder Tacitus, sollte er auch diese feierliche Lustration
von der orientalischen auf die germanische Göttin übertragen
haben? Uns wenigstens ist kein sicheres germanisches Beispiel der
Lustration bekannt. — Wie damals Priester und Sklaven den
Wagen begleiteten, so umdrängte bis in die Gegenwart hinein bei
Frühlingsfesten den Frühlingsgott oder den Träger des Pfingstbaums
die jubelnde Menge. Heute ebenso wie vor Jahrtausenden
herrschl Freude, wenn er naht, die Felder und Fluren umschreitet,
die Häuser betritt. Jeder gibt ihm gern eine Gabe, Symbole der
Fruchtbarkeit, von denen wieder Fruchtbarkeit ausgehen soll. Auch
der Priester wird bei dem feierlichen Umzug der Nerthus kaum
versäumt haben, Opfer und Geschenke zu sammeln. — Die Knechte,
die bei dem feierlichen Umzug dienten, stürzte man ins Wasser,
das war ein Opfer für die Göttin, damit sie andere Menschen
verschone und, wie wir noch immer glauben, zugleich ein Regenzauber
. Wie die Knechte ganz mit Wasser bedeckt wurden, so sollten
die Fluren später im heiligen Regen ertrinken. Als derber Spaß
wurde dieser Regenzauber noch bis in unsre Zeit geübt, als Beschluß
mancher Frühlingsfeier.
In der Feier der Nerthus schließen froher Jubel, helle Hoffnung
, zitternde Scheu vor dem Heiligen und ein grausamer Opfertod
einen geheimnisvollen und tragischen Bund. Ein religiöses
Drama rauscht an uns vorüber, in dem die Stimmen der Freude
in dumpfem Schreck und in banger Furcht vor dem dunkeln Geheimnis
der Gottheit verklingen. Aus den Berichten über die Feier
des Tiu, über den Hain des Foseti weht uns ein ähnlicher
Schauder entgegen; wie fein und tief hat Tacitus diese Stimmung
empfunden und gedeutet.
Gerade diese Kontraste, diese Tiefe, der erhabene, religiöse Gehalt
fehlt den Frühlingsfeiern, die sonst der Feier der Nerthus
auffallend gleichen, die sie erhellen und die wieder oon ihr erhellt
werden und die in seltenem Reichtum in vielen Jahrhunderten
bei den Germanen und ihren Nachbarvölkern lebten. Die Feier
der Nerthus war eben ein germanisches Frühlingsfest, Mutter Erde
zog zu ihren Völkern, verlangte ihre Opfer und verhieß ihnen
ihre Fruchtbarkeit. Der Bericht des Tacitus, wenn er vielleicht
auch in weniger bedeutenden Einzelheiten irrt, führt uns in Altertum
und Gegenwart zugleich, mitten in das religiöse Leben der Germanen,
das Jahrtausende hindurch trotz allen Christentums lebendig
blieb. Eine seltene Fügung, daß uns dieser Bericht erhalten
ist, wir empfinden sie doppelt dankbar bei der Armut unsrer
andern Zeugnisse über die germanischen Götter!
Einige besonders interessante Meldungen über Feste, die denen
der Nerthus ähnlich sind, führen wir aus verschiedenen Jahrhunderten
und Ländern an, damit der Chor dieser Stimmen die
Bedeutung des römischen Berichts noch verstärke. Viel reicher sind
die Zusammenstellungen, die Wilhelm Mannhardt in seinen Wald-
und Feldkulten machte.
Der nordische, genauer schwedische Bericht, den wir schon
erwähnten und den der christliche Berichterstatter allerdings bös
zugerichtet hat, sagt aus, Frey sei, von einer Priesterin begleitet
und mit ihr vermählt, auf einem Wagen den Winter hindurch zu
den Menschen gefahren, überall mit Jubel begrüßt, mit kostbaren
Opfern gern bedacht, und er habe den Fluren Fruchtbarkeit gespendet
. Das ist wohl nichts anderes als das Nachleben des
Nerthuskults im Nordischen. Die Schwangerschaft der Frau, sagt
der Bericht, habe den Bauern als ein gutes Zeichen gegolten.
Eine im 13. Jahrhundert verfaßte niederländische Schrift erzählt
, daß im 12. Jahrhundert die Priester und Kleriker unter
der Teilnahme des ganzen Volkes bei den Feiern des Oster- und
Pfingstfestes aus ihren Frauen eine gewählt, sie mit Purpur und
Krone geschmückt, auf den Thron erhoben, mit Decken verhüllt
und zur Königin erkoren hätten. Dann stimmten sie zu ihrer Ehre
Lieder an, unter Begleitung von Musik, und feierten sie, vom
Götzendienst berauscht, wie ein Götzenbild.
Hier haben wir das Frühlingsfest, die von den Priestern verehrte
und verhüllte Göttin, auf einem Thron, wie früher auf
einen Wagen gesetzt und im Angesicht des ganzen Volkes gefeiert.
Marie Andrée Eysn berichtet in ihrem Buch, Volkskundliches
aus dem bayerisch-österreichischen Alpengebiet:
"In jedem Weiler, in jedem Dorfe im Pinzgau ist eine Familie,
die eine Frautafel ' besitzt, ein Madonnenbild, Mariä Heimsuchung
darstellend, meist ein Ölgemälde des 17. und 18. Jahrhunderts.
Solch ein Bild, welches das ganze Jahr über in der
besten Kammer, obern Geschoß des Hauses aufbewahrt war,
wird in die Stube herabgebracht und in einer mit Fichtenzweigen
und künstlichen Blumen geschmückten Ecke aufgestellt. Spät abends
versammeln sich davor die Dorfbewohner, es werden Psalter gebetet
und ,Fraulieder' gesungen, dann das Bild auf einer Kraxe
(Traggestell) befestigt und spät in der Nacht, begleitet von fackeltragenden
Burschen und Mädchen, Männern und Frauen unter
Gesang frommer Lieder nach dem Gehöft eines wohlhabenden
Bauern getragen, zuweilen weit entfernt oder hoch gelegen, wo
es freudig erwartet wird. Nachdem es auf seinen vorgerichteten,
gezierten Platz gebracht, wiederholen sich Gebet und Lieber; dann
werden alle Ankommenden mit Brot und Käse, Schnaps und gedörrtem
Obst, ,Kucheln' und Krapfen, je nach den Vermögensverhältnissen
des Bauern, bewirtet, und fröhliche, zuweilen aber
auch mehr als übermütige Tänze schließen die Feier.
Das Bild bleibt bis zur nächsten Nacht, in welcher es in ebensolcher
Weise wieder abgeholt und in ein anderes Gehöft gebracht
wird, das sich glücklich schätzt, es zu beherbergen, denn wohin es
kommt, bringt es Segen, Gedeihen und Fruchtbarkeit.
Die Umzüge des Bildes dauern bis zur Christnacht, in welcher
diese ,Frautafeln' in ebenso feierlicher Weise zur Pfarrkirche getragen
und auf den Seitenaltären aufgestellt, nach der Christmette
aber wieder an ihren Ort in dem ursprünglichen Hause
zurückgebracht werden."
Diese Maria, die Maria Gravida, wird auch im Bayrischen
Wald verehrt. Wie die Priesterin des Frey ist die Mutter Gottes
bei diesen Feiern in gesegneten Umständen, ein Symbol der Fruchtbarkeit.
Nur an einer feierlichen Zeit des Jahres erscheint die
Nerthus ihren Verehrern, wird das Bild der Maria herumgetragen.
Sonst bleibt sie das ganze Jahr am geweihten Plag.
Die Nerthus fährt auf ihrem Wagen, begleitet vom Priester,
unser Bild wird auf einem Traggestell befestigt und bei seinem Umzug
von Burschen und Mädchen, Männern und Frauen begleitet.
Helle Freude war bei der Nerthus und ist bei der Maria das
Kennzeichen der Feier, und zu beiden Feiern gesellten sich Opfer,
reiche Bewirtung, Tanz und Gesang, man vergleiche wieder den
Bericht über Frey und den niederländischen des 12. Jahrhunderts.
Die Feier in Bayern wurde so ausgelassen, eine solche Gaudi, daß
die Geistlichkeit endlich einschritt und das Fest überhaupt verbot.
Mit Fichtenzweigen und künstlichen Blumen wurde das Bild, vordem
es die Fahrt antrat, geschmückt. Ursprünglich verhüllten es
wohl Bäume und Blumen des Frühlings. Das Fest wurde in
Bayern in die Zeit der Jahreswende verlegt, wie manche andere
Frühlingsfeste auch. In die Nacht mag es sich in alter Zeit geflüchtet
haben, weil die Geistlichkeit eine heidnische Feier am hellen
Tage nicht duldete.
Die Verwandtschaften im ganzen und im einzelnen zwischen der
germanischen, der schwedischen, der niederländischen, der bayerischen
Feier, zwischen dem 1., dem 12. und dem 19. Jahrhundert
werden jedem auffallen. Unsere Beispiele zeigen unwiderleglich,
mit welcher Treue germanische Völker an uralten Bräuchen festhalten
können.
Die Völker, bei denen die Nerthus umzog, gehörten zu den
Ingaewonen, zu den am Meere hausenden, und ihr Gott hieß
Ing. Sein Namen erscheint noch im Beinamen des Frey, der im
schwedischen Yngwifrey oder Yngunarfrey heißt (die Bedeutung
des wi und des unar sind noch nicht zweifelsfrei aufgehellt), und
in dem Namen des schwedischen Königsgeschlechts, der Ynglinge.
Den Ing selbst nennt ein altenglisches Runenlied, das in stabreimenden
Versen die Bedeutung der germanischen Runennamen
uns erklärt und in geheimnisschweren Versen aussagt, er sei zuerst
bei den ostdänischen Männern gesehen worden, dann ging er nach
Osten, über die Wogen schritt er und sein Wagen rollte ihm nach.
Ein Gott, am Meere hausend, über Land und Meer, zu verschiedenen
Völkern ziehend, ein Wagen sein Gefährt oder auch ein
Wagen ihm folgend, das sind immerhin Merkmale, die den Ing
in nächste Nähe der Nerthus stellen. Sonst regen die Verse wohl
die nachschaffende Phantasie an, geben aber der Wissenschaft keinen
festen Halt.
Ein Teil der Germanen, sagt Tacitus, opfert der Isis. Ihr
Wahrzeichen sei wie ein Schiff gestaltet und ihr Kult stamme daher
aus der Fremde, wenn man auch nicht wisse, was sein Grund und
Ursprung sei. Die Isis war demnach eine die Schiffahrt begünstigende
Göttin. Der Annahme des Tacitus, sie sei aus der Fremde
eingewandert, brauchen wir nicht zu folgen, wenn wir bei den
Germanen Götter finden, die gerade die Schiffahrt beschützen. Ein
solcher ist anscheinend der eben genannte Ing und war sicher der
nordische Njördh, von dem Snorri uns mitteilt, daß er da wohne,
wo es Schiffszaun (Noatun) heißt und daß er dort walte über
des Windes Lauf und das Meer und das Feuer beruhige.
Man solle ihn bei der Seefahrt anrufen. Der Name Njördh
(Njördhr) entspricht nach den im Nordischen waltenden Lautgesetzen
Laut für Laut der germanischen Nerthus und ist ihr auch im
Wesen recht verwandt. Doch ist seine Herrschaft gewissermaßen
weiter aufs Meer hinausgerückt.
Die Isis kommt dadurch der Nerthus nah, sie gewinnt ein germanisches
Antlitz. Seinen Zügen können wir eine noch lebendigere
Zeichnung geben, denn die Isis des Tacitus ist wahrscheinlich dieselbe
Göttin wie die Nehalennia, von der uns Votivsteine manche
Kunde geben. Nehalennia heißt nämlich Schiffsherrin (nea in
neal-ennia lautet ab zu noa in noatun und beide sind urverwandt
mit lateinisch navis, navalis). Die Votivsteine zeigen das Bild der
Göttin, wie sie entweder den linken Fuß auf den Steven eines
Schiffes stellt oder wie sie auf ein Ruder zu ihrer Rechten sich
stützt. Neben ihr stehen Neptun und Herkules in römischer Auffassung
, und Früchte, Fruchtkörbe, Füllhörner als Symbole des
Reichtums, man erkennt die Verwandtschaft mit Njördh. Die
Steine sind von Kaufleuten wohl als Dank für glücklich und erfolgreich
überstandene Fahrten oder für andere Wohltaten der
Göttin gewidmet. Zwei wurden in Dentz gefunden, vierundzwanzig
in Dornburg auf der Insel Walcheren im 17. Jahrhundert vom
Dünensand befreit und 1845 sorgfältig beschrieben und abgebildet.
1848 wurde über die Hälfte bei einem Brande schwer beschädigt
oder zerstört.
Vom Jahre 1133 wird berichtet, daß ein Bauer aus Inden
(im Gebiet von Jülich) im nahen Wald ein Schiff zimmern ließ,
das auf Rädern lief und durch vorgespannte Menschen an Stricken
zuerst nach Maastricht gebracht wurde, wo Mastbaum und Segel
hinzukamen. Dann wurde es hinauf nach Tungern, Lonz usw. im
Lande umhergezogen, überall unter großem Zulauf und Geleit
des Volkes. Wo es anhielt, war Freudengeschrei, Jubel und Tanz,
namentlich der mit ausgelassener Lust erfüllten Frauen. Das ging
um das Schiff herum bis in die späte Nacht. Die Ankunft des
Schiffes sagte man den Städten an, die ihre Tore öffneten und
es feierlich einholten. Die Weber wurden zum Schiffsumzug gezwungen
, dafür durften sie dem übrigen Volk den Zuzug wahren
und Pfänder erheben. Der Zorn der Geistlichen bewog endlich den
Grafen von Löwen, den Umzug mit Gewalt zu verbieten.
Solche Schiffsumzüge sind alte Frühlingsfeste, von vielen Völkern
. gern begangen und bis in die Gegenwart lebendig. Die Schifffahrt
auf den enteisten Flüssen wurde in frohem, feierlichem Bild
dargestellt, damit sie auch in Wirklichkeit bald beginnen könne. Die
Göttin, der diese Feier galt, wird der alten Nehalennia geglichen
haben, als Göttin der Schiffahrt und des Frühlings war sie auch
der Nerthus recht ähnlich. Wie die Nerthus wurde sie von der
jubelnden Menge umdrängt, wie jene schuf sie, wohin sie kam,
Freude und fuhr von einem Volk zum andern. Die Verwandtschaft
dieser Feier mit den niederländischen des 12., mit der
bayrisch-österreichischen des 19. Jahrhunderts, wieder im ganzen
und in den Einzelheiten, wird uns alle wieder überraschen.
Der Bericht von 1133 trägt als besonderes Merkmal die Züge
einer ausgelassenen und überschäumenden, echt rheinischen Fröhlichkeit
, er versetzt uns in die Stimmung des rheinischen Karneval.
Wir glauben sogar, daß wir in ihm den ältesten deutschen Karnevalsbericht
besitzen, leitet man doch wohl mit Recht Karneval
von carrus navalis ab, von dem Wagenschiff, d. h. von dem wie
hier auf Räder gestellten Schiff, das als Symbol des Frühlings
die vom Winter befreiten Völker aufjauchzen macht. Das Fest
der Nerthus verwandelt sich nun vor uns in einen Ahnherrn der
deutschen Karnevalsfeste.
Jetzt weisen wir darauf hin, daß Nerthus eine Göttin, Njördh
ein Gott ist. Dieser Njördh ist aber ein weichlicher, fast weibischer
Gott und im Norden vermählt mit einer starken männlichen Frau,
der Skadhi. In ihrer Ehe verdoppeln sich gewissermaßen beide
Geschlechter, das Mannweib verbindet sich mit dem Weibmann.
Auch Skadhi erscheint seltsamerweise in einer nordischen überlieferung
als Mann. In der nordischen Sage darf Skadhi nur die Füße
des Gottes sehen, der ihr Gemahl werden soll. Dies Gebot treffen
wir vor allem in orientalischen Gewichten, bei Wesen, deren Geschlecht
zweifelhaft ist. Vielleicht stellten sich einige germanische
Stämme die Nerthus, die Mutter Erde, die Männer und Frauen
hervorbringt, als ein doppelgeschlechtiges Wesen vor. Die magna
mater, die wir schon nannten, die besonders in Kreta, Kleinasien,
Phrygien und Lydien verehrt wurde und deren Fest dem Fest
der Nerthus glich, galt auch als mannweibliche Göttin. Andere
orientalische und einige Götter der Primitiven sind ebenfalls
androgyn. Eine nordische Gottheit Fjörgyn erscheint außerdem als
männlich und als weiblich. Von dieser Gottheit behaupten alte
Sagenb. l. 5
nordische Gewährsmänner, sie sei die Erde. Fjörgyn war den Germanen,
und wohl schon den Indogermanen bekannt. Der Name
ist verwandt mit gotisch ferguni, Gebirge, mittelhochdeutsch virgunt,
Name eines Gebirgszugs, lateinisch quercus, Eiche, litauisch Perkunos,
, der Donnergott, indisch Pardschanja, der Regengott;
die Gottheit haust im Eichenwald, der aus der Erde sprießt. War
ihr der mächtige Eichenwald, die silva Hercynia, heilig? Wenn
uns nun Tacitus sagt, die Germanen hätten den Tuisto, den Sohn
der Erde gefeiert, so vermuten wir, daß der Römer sich hier geirrt
hat und daß tuisto das ist das Zwitterwesen, das Mannweib,
eben die Erde selbst war, wie noch im Nordischen der Riese Ymi,
aus dem die Menschen sich erzeugten, ein doppelgeschlechtiger
Riese scheint.
Zwei Vorstellungen von der Mutter Erde, die eine, daß aus
ihrer Umarmung mit dem Vater Himmel alle Frucht wachse, die
andere, daß sie selbst als doppelgeschlechtiges Wesen Männer und
Frauen hervorbringe, liefen, wie es scheint, bei den Germanen
nebeneinander.
Man beachte noch das Folgende: die Göttin Nerthus begleitet
ein Priester, den Gott Frey eine Priesterin, den Gott Balder behütet
eine Frau, Göttinnen wachen über sein Schicksal. Die niederländischen
Priester erheben und krönen eine ihrer Geliebten. Männer
ziehen das Schiff der Nehalennia, Frauen umtanzen es. Der
altenglische Priester reitet, ohne Schwert, auf einer Stute.
Und: der Sohn des Zwitterwesens Tuisto ist mannus, der
Mann; der Sohn des zweigeschlechtigen Ymi ist bur, der Geborene,
der erste Mann, der Sohn der zweigeschlechtigen Fjörgyn
ist Donar-Thor, der stärkste, der männlichste Gott.
Wir denken nun an unsere Analyse der longobardischen Fabel
zurück (S. 50). Was wir dort ermittelten, wird durch unsere neuen
Beobachtungen überraschend bestätigt. Bei Gottheiten der Fruchtbarkeit
und der Zeugung stellen die Germanen, Niederdeutsche,
Niederländer, Schweden, Longobarden in wechselnden Variationen
die Vertreter beider Geschlechter neben- und gegeneinander. Sie
suchen die Gewalt der geschlechtlichen Kraft auch dadurch zu verstärken
, daß sie einem Wesen die Kraft beider Geschlechter geben,
eine zugleich primitive und großartige Anschauung.
Durch diese Genealogien wird ein Zug im Wesen Donars
noch stärker betont: der männliche und schöpferische. Er, der über
Ehe und Zeugung wacht, wie bei den Römern die Mutter Erde
selbst, erscheint uns nun als der starke Sohn der Mutter Erde
und scheint aus ihren unerschöpflichen Tiefen immer neue Kräfte
zu heben. Vielleicht feierten die Germanen ihn als den großen
Demiurgos, den Schöpfer und Ordner der Welt, der Bereich seiner
übereinstimmung mit Zeus und Jupiter würde sich dann mächtig
erweitern. In einem sehr alten griechischen Gebet wird Zeus als
Sohn der Erde angerufen. Noch die Edda sagt uns, Thor habe
die Zehe eines Gottes an den Himmel geworfen, wo sie nun als
Stern leuchte, er habe die Wetzsteinfelsen abgesprengt, die nun
überall auf der Erde liegen, er habe mit seinem Hammer Vertiefungen
ins Felsgebirg geschlagen, er habe die Ebbe hervorgerufen,
ihm danke der Lachs seinen schmalen Schwanz. Es war
wohl auch Thor, nicht Odhin, der die Augen des Riesen Thiazi
als Sterne an den Himmel setzte.
Unser Kapitel über die Mutter Erde hat uns in ein neues
Zeitalter der Mythologie getragen. In diesem herrschten die weiblichen
und mannweiblichen Gottheiten und alter Glaube von Fruchtbarkeit
und Zeugung schwoll vor uns auf, alte Wünsche junger
unverbrauchter Völker nach dem Segen der Flur und der Fülle
der Kinder. Die Vorstellungen haben noch nicht die klare Bestimmtheit
und die festen Umrisse wie die von Tiu, Donar und
Wodan und stammen aus einer Zeit, die vor jenen Göttern lag.
Dafür sind sie viel länger lebendig geblieben, weil sie älter und
kindlicher waren und erhielten sich bis in die Gegenwart hinein
in allen germanischen Ländern. Schon in ihren Anfängen aber,
und das war ein neues Ergebnis unserer Studien, steigerten unsere
Vorfahren ihren ältesten Glauben zu starken Kontrasten und zu
dunkler Tragik oder zu großartiger Naivität. Und sie ließen aus
ihm ihren stärksten volkstümlichen Gott in seiner weltenbildenden
Kraft aufsteigen.
6. Alcis, Asen, Elben.
"Bei den Naharnavalen" , sagt Tacitus in jener Stelle, die uns
schon mehr als einmal interessierte, "gibt es einen Hain und dieser
ist seit alter Zeit bestimmt für einen religiösen Dienst. Den leitet
ein Priester in weiblichem Gewand. Aber die Götter entsprechen
dem römischen Castor und Pollux (das sind die Dioskuren). Das
ist das Wesen dieser Gottheit, der Name ist Alcis. Keine Bilder,
keine Spur fremden Glaubens, als Männer in ihrer
Jugendkraft werden sie verehrt."
Den Schlüssel, der das Geheimnis auch dieses germanischen
Kultus öffnet, glauben wir, wie gesagt, in Händen zu halten,
die Alcis galten nach unsrer Deutung als Sinnbild männlicher,
durch das Brüdertum verdoppelter Kraft. In ihrem Priester, der
weibliche Tracht trug, vereinte sich männliches und weibliches Geschlecht.
Kraft und Fruchtbarkeit sollte von den Göttern auf ihre
Verehrer überströmen.
Die Naharnavalen sind ein ostgermanisches Volk. Auch die
Ostgermanen also prägten in ihrer Weise den Glauben an Zeugung
und Fruchtbarkeit aus, dessen besondere Kennzeichen wir bei
den Longobarden, den Niederdeutschen und den nordischen Völkern
gewannen.
Ein Brüderpaar, das die den Naharnavalen eng verwandten
Wandalen beherrschte, hieß nun, wie wir wissen, Ambri und Assi,
ein anderes hieß Raus und Rafts. Das sind alles Baumnamen:
Ulme, Esche, Rohr und Stamm (Balken). Daraus schliessen wir,
dah die Alcis selber gleich Donar in den Bäumen ihres heiligen
Hains hausten, Wachstum und Kraft der Bäume war die ihre.
Der Glanz männlicher Jugend, das unlösbare Band, das den
Bruder an den Bruder bindet, das hatten die Alcis mit den
Dioskuren gemeinsam. — Die griechischen und indischen Dioskuren
galten ferner als Schützer und Retter in jeder Gefahr und. der
Name Alcis heißt: die Beschützer, die Schutzgottheiten (gotisch alhs,
der Tempel, altenglisch ealgian, schützen). — Außerdem waren
die indischen und griechischen Dioskuren Götter des leuchtenden
Himmels. Da bei den Germanen die Götter des Himmels, wie
Frey und Balder, Götter der Fruchtbarkeit sind, vermuten wir,
daß umgekehrt die Alcis, Götter der Fruchtbarkeit, zugleich als
Götter des Himmels verehrt wurden. — Das Wahrzeichen des
nordischen Aurwandil, eines Gottes der Fruchtbarkeit, des Gemahls
der Erde, ist ein im Frühling sichtbar werdender Stern;
Sterne gelte ; ebenso als Wahrzeichen von Castor und Pollux
und waren wohl auch Wahrzeichen der Alcis. — Die indogermanischen
Dioskuren beschützten vor allem die Schiffahrt. Vielleicht
hatten die germanischen Dioskuren das gleiche Amt. Wir
erinnern daran, daß Njördh ein Gott der Fruchtbarkeit und zugleich
ein Gott der Schiffahrt war. — Schließlich haben die indischen
und griechischen Dioskuren die Gestalt von Pferden oder sie
sind himmlische Reiter. Bei den Germanen ist das Pferd das
heilige Tier des Himmelsgottes und das Tier der starken geschlechtlichen
männlichen Kraft. Das letzte geht besonders deutlich
aus einem nordischen Zauberspruch hervor, dessen wichtigste Worte
schon eine Runeninschrift des vierten Jahrhunderts, auf einem
Schabmesser aus Knochen, überliefert: während der Spruch hergesagt
wird, reicht einer dem andern das in Leinen gehüllte, mit
Lauch geschützte Geschlechtsglied eines Pferdes. Lauch besitzt nach
alten Glauben eine geschlechtlich erregende Kraft. Die Alcis,
Götter des Himmels und der Fruchtbarkeit, mögen sich daher ihre
Verehrer als blühende, Rosse tummelnde Jünglinge vorgestellt
haben; ein germanisches Brüderpaar, Hengist und Horsa, trägt
ja Pferdenamen.
Der Glaube an die Dioskuren gehört wohl in die indogermanische
Urzeit. Die griechischen Dioskuren und die indischen Aschwins
sind in allen wesentlichen Zügen die gleichen Gottheiten, auch die
Letten und Kelten kannten ähnliche Brüderpaare. Die germanischen
Alcis würden dann auch aus der indogermanischen Heimat
unsrer Vorfahren stammen. Es scheint, daß die Germanen das
alte indogermanische Bild nicht änderten, nur die Fruchtbarkeit
der göttlichen Zwillinge, ihre Zeugungskraft, haben sie stärker
betont. —
Jordanes in seiner Gotengeschichte berichtet von den Goten,
sie hätten ihre Vorfahren, durch deren Schutz sie gleichsam siegten,
nicht nur Menschen, sondern Halbgötter, das ist Ansis, Ansen,
nordisch Asen, genannt. Das ist unser ältestes Zeugnis über die
Asen und wohl auch die authentische Erklärung über ihren Ursprung
und ihr Wesen. Jordanes leitet die gotische Heldenverehrung
aus dem Ahnenkult ab. Uns ist als Gott der Ahnen und
zugleich als Gott der Helden Wodan bekannt. Nun erfahren wir,
daß auch die Goten den Ahnenkult zum Heroenkult steigerten,
daß ihnen aber nicht Wodan als der höchste Ahne galt.
Den Namen Ansen (germanisch *ansuz und «ansiz, in vielen
Personennamen erhalten, vgl. Answald, Ansgar usw.) stellen auch
wir mit gotisch ans: der Balken zusammen und erklären ihn
als der holzgewnitzte Gott und dann als Gott überhaupt. Holzgeschnitzte
Götterbilder, meist Säulen, die im Kopf eines Gottes
enden, sind schon in früher germanischer Zeit bezeugt und
wurden noch von den Isländern verehrt, die meisten Bilder von
Thor scheinen solche Bilder gewesen zu sein. Es ist sehr möglich,
daß die Germanen von ihren Heroen und Ahnen ähnliche Bilder
herstellten. Auf den germanischen Ahnenkult weist auch, wie wir
schon wissen, die Verehrung des Tiu bei den Semnonen und die
Angabe des Tacitus, daß die Germanen in alten Liedern gefeiert
hätten: den Tuisto, seinen Sohn Mannus und dessen drei Söhne,
nach denen sich die germanischen Stämme Ingaewonen, Irminonen,
Istaewonen nannten. Der Stabreim und die Dreiheit
dieser Namen zeigen, daß ein altes germanisches Lied wirklich
die Urform dieser Angabe war. Die hier genannten germanischen
Stämme waren westgermanische und nordgermanische. Man deutet
sie wohl am besten als die eng verwandten (ingaevonen), als die
großen (irminonen) und als die echten (istaewonen) Völker.
Ein anderes Wort für Ahnen, vielfach variiert und in
mancherlei Zusammensetzung, wieder in Personen- und Völkernamen
wiederkehrend, war das Wort dado. Da und dort werden
dadsîsas erwähnt und verboten. Das sind wohl Lieder, die den
Ahnen gelten, sei es, daß sie ihre Hilfe erflehten, sei es, daß sie den
bösen Zauber abwehren wollten, dessen jene auch mächtig waren.
Weiterhin sind die Elb en (Alben, Elfen) den Asen eng verwandt
und wie diese aus dem Ahnenkult hervorgegangen. Die
Elben wurden bei allen germanischen Völkern verehrt. Die altenglische
Wendung in einem Segen: sei es der Asen Geschoß, sei
es der Elben Geschoß, und der nordische Vers: was gibt es bei
den Asen, was gibt es bei den Elben? zeigen, daß sie einmal den
Asen ebenbürtig waren. Eine Menge Personennamen bei den germanischen
Völkern ist wie mit dad und as auch mit alb, alf zusammengesetzt
(Albwin, Alfhild, Aibrûn, Alfrâd usw.). Der Kult
der Alben scheint den der Asen und Daven an Verbreitung noch
übertroffen zu haben. Im Unterschied von jenen leben sie in den
Sagen der germanischen Völker noch bis in unsre Gegenwart
hinein. Ihr Wesen ist freilich nicht leicht zu umgrenzen, sie vermischen
sich oft mit verwandten Geschöpfen, mit Zwergen, Wichten
und Kobolden, entwickelten sich in den verschiedenen germanischen
Ländern sehr verschieden; auch teilten sich ihnen im Mittelalter
die Eigenschaften keltischer ähnlicher Geister mit. Von der
Bedeutung des Namens wissen wir sicher nur, daß die Alben die
Wesen sind, die sich vom Leib des Schlafenden lösen, in der Welt
schweben und gleiten und Menschen und Tiere mit bösen Träumen
quälen. Überall gelten die Elben, und das ist das besondere
und das für uns Neue an ihnen, als klein und zierlich, als wohlgebildet
und als tiefer Einsicht und mancher Künste mächtig, sie
treten gern auf als Beschützer der Helden und leben und weben
später am liebsten in Nebel und Nacht auf den weiten Wiesen.
Von den nordischen Göttern, den Asen, sind wohl manche ursprünglich
eibisch gewesen und erst später in die Gemeinschaft der
Asen aufgenommen. Das möchten wir z. B. von dem raschen,
kleinen und schönen Loki glauben, von seinen und Thors Gefährten
Thjalfi und von dem glänzenden und klugen Heimdal.
Später werden wir die Gründe für unsere Annahmen ausbreiten.
Wenn wir ferner aus dem Klang des ersten Merseburger
Zauberspruchs Schlüsse ziehen dürfen (eins sâzun idisi l sâzun hera
duoder sumâ bapt heptidun l sumâ heri lezidun l sumâ clûbô
dun l umbi cuniowidi l inspninc haptbandum l invar vigandum ),
aus seinem Summen, Zischen und Sitzen und aus dem blitzschnellen
und geschickten, hilfreichen und verderblichen Tun seiner
Idise, die alle Fesseln, ehe man es denkt, lösen und binden,
sind diese den Walküren verwandten Göttinnen ursprünglich auch
kleine und biegsame Elbinnen gewesen.
Vergleichen wir Asen und Elben, so erscheinen die Elben als
die älteren Gottheiten. Ihre Züge sind weniger bestimmt und
ihre Lebensdauer war eine viel längere. Der Elbenkult hat sich
auch nicht in diesem Maße in den Heroenkult gesteigert.
In welches Altertum mag nun das anmutige und rasche, bewegte
und geschickte Treiben gerade dieser kleinen Geister und
Götter zurückreichen? Die Sonnenweibe, die etwa 1000 v. Chr.
unsre Vorfahren so kunstreich nachbildeten, die sie auf einen zierlichen
Wagen stellten und von wohlgebildeten kleinen Pferden
ziehen ließen, gehört sie vielleicht in die Zeit dieser Elben? Diese.
Zeit währt bei primitiven Völkern lange, die Lappen opferten
noch spät dem Meergott zierliche kleine Boote, dem Donnergott
ebensolche Arte oder ein Äxtepaar.
In den Kreis dieser kleinen Götter möchten wir noch zwei
Korngottheiten stellen, die in der Lokasenna, jenem nordischen Gedicht
, als geschickte und hurtige Diener des Frey auftreten und von
Loki verhöhnt werden: Byggwi und Beyla. Die Etymologie des
weiblichen Namens Beyla ist noch nicht aufgeklärt. Der Name
Byggwi führt auf urnordisch *beggwar, Gerste, zurück und erscheint
im Finnischen als der Gott Pekko (vgl. oben S. 50). Die Finnen
müssen diesen Gott schon in germanischer Zeit den Nordleuten entlehnt
haben, das geht aus seiner Namensform hervor. Bei ihnen
ist er ein Gott aus Wachs, in der Größe eines Kindes gebildet,
den man im Getreidekasten aufbewahrt, auf die Kornfelder führt,
damit er sie segne und den man im Frühjahr und Herbst feiert.
Byggwi und Beyla stellen wieder die männliche und weibliche
Fruchtbarkeit vereinigt dar. Sie sind wohl älter als Frey, in
dessen Gefolge sie in der Edda auftreten. Ebenso ist Thjalfi (vgl.
72) vielleicht älter als Thor, als dessen Diener ihn die Edda
kennt. Hat es auch eine tiefere religionsgeschichtliche Bedeutung,
wenn Loki in dem alten Hammerlied den Thor als Magd begleitet?
Wie neben dem Byggwi die Beyla steht neben dem Thjalfi
die Röskwa als seine Schwester. Dem Ehepaar entspricht das Geschwisterpaar;
Röskwa heißt die Rasche und Thjalfis Geschwindigkeit
weicht nur der Schnelle des Gedankens.
Das tiefe Dunkel, das über der Vorgeschichte der germanischen
Religion liegt, hat sich uns nun wieder an einigen Stellen gelichtet.
Die Verehrung der Ahnen, die Verehrung der Natur und
ihrer schöpferischen Kräfte wurden uns in einer frühen Zeit mit
neuen Merkmalen sichtbar.
7. Die Göttinnen
Von Göttinnen sind uns bisher entgegengetreten: Beda, Fimilena
, Haewa, Nerthus, die Göttinnen der Erde, Nehalennia, Frija,
Bolla, Sunna, Sinthgunt, die Idise, Beyla, Röskwa, also eine
stattliche Anzahl, nun schon stattlicher als die Zahl der Götter.
Von ihnen bleibt die deutsche Frija die höchste. Sie ist auch
die einzige Göttin, nach der ein Wochentag, der Freitag heißt,
wie eine Reihe altenglischer Gewährsmänner übereinstimmend bekunden
Der Name Freitag findet sich bei allen germanischen
Stämmen (althochdeutsch frîadag, frîjetag, frîgetag, frîtach; altenglisch
frîgedaeg; altfriesisch frîgendei; altniederländisch vrîdach;
altnordisch aus dem Deutschen entlehnt frjädagr), während den
Tiestag und Donarstag die Bayern, den Wodanstag die Oberdeutschen
nicht kannten. Bei den Römern heißt der Freitag dies
Veneris und *frijo, idg prija, bedeutet die Geliebte, die Liebreiche.
Wie Venus war also Frija eine Göttin der Liebe. Gleich
ihr war sie auch eine Göttin des Himmels und des himmlischen
Glanzes, wir haben schon vermutet, daß die Germanen sie ursprünglich
als Göttin des Himmels verehrten (S. 49f.). 9
Die longobardische Sage gibt uns von Frija das hübscheste
Bild. Anmut und Schalkheit, der Mutterwitz der Frau und die
liebevolle Sorge für ihre Schützlinge sind die Kennzeichen dieser
Frau der Frauen. Bei den Longobarden tritt uns Frija als Gattin
Wodans entgegen, das ist sie im Altenglischen und Altnordischen
geblieben. Sie gebührt dem Wodan aber, wie wir erfuhren, nicht
als dem Zauber- und Ahnengott, sondern sie gebührt ihm als dem
Nachfolger des Himmelsgottes. Der zweite Merseburger Zauberspruch
zeigt sie denn auch in der Umgebung anderer himmlischen
Gottheiten und lebhaft besorgt um das Los des Himmelsgottes
Balder, aber nicht als Wodans Gemahlin. Die Zauberkraft
Wodans bleibt in dem Spruch der ihren ebenso überlegen wie der
der anderen Göttinnen; wie jene muß sie von ihm lernen.
Wir zitieren nun, damit sich uns die Namen der auftretenden
Göttinnen noch einmal fest einprägen, die Eingangsverse des
zweiten Merseburger Zauberspruches: "Vol und Wodan fuhren
ins Holz. Da wurde dem Fohlen des Balder der Fuß verrenkt.
Da besprach ihn Sinthgunt und Sunna, ihre Schwester, da besprach
ihn Frija und Bolla, ihre Schwester." — Die Bolla entspricht
der nordischen Göttin Fulla. Der Name fulla bedeutet
Fülle, Reichtum. Snorri nennt Fulla die Vertraute Friggs, sie
hat leuchtendes Haar, sagt er (wir verweisen auch hier auf die
magische Bedeutung des Haares) und ein goldenes Band um das
Haupt, sie trägt die Truhe Friggs und hat ihre Schuhe in Obhut
und sie weiß auch ihre Heimlichkeiten. Aus der Hel (der Unterwelt
weit) schickt Nanna, Balders Gemahlin, der Frigg und der Fulla
ein Kopftuch und einen goldenen Ring und als Vertraute Friggs
wird Fulla in den Grimnismal zu König Geirrödh gesandt.
So nahe stehen sich noch im Nordischen beide Göttinnen. Bolla
war gewiß eine Göttin der Fruchtbarkeit und des Himmels. Wir
halten den Vol für den männlichen ihr entsprechenden Gott und
für einen Beinamen Balders. Es mögen Vol und Bolla sich ähnlich
entsprochen haben wie Frey und Freyja im Nordischen, und
ihr Wesen ist ja im Grunde das gleiche. Frey und Freyja gelten
im Nordischen als Gatten und zugleich als Geschwister, und Snorri
fügt hinzu, daß die Sitte der Geschwisterehe nicht bei den Asen,
sondern bei den Wanen, bei Nerthus und den ihr verwandten
Gottheiten, bekannt war. Tiu und Frija, Balder als Vol und
Bolla, Frey und Freyja, diese Paare der Himmelsgötter stehen
nun, sei es als Geschwister, sei es als Gatten verbunden vor uns.
Sunna ist die Sonne, hier als Göttin gedacht, früher war sie
von den Germanen, wie uns der Fund von Thrundholm zeigt und
wie wir noch aus dem Zeugnis des Caesar schließen dürfen, einfach
als Sonne verehrt, ihr Bild wurde als eine goldene runde Scheibe
durch die Länder gefahren. Noch Tacitus sagt: die Suionen (die
Schweden) glaubten bei der aufgehenden Sonne Pferde und Räder
zu sehen und einen Ton zu hören, eben solche Pferde und Räder
bildete der Wagen von Thrundholn ja nach.
Sinthgunt, die Schwester der Sonne, kann wohl nur der Mond
sein. Die Wöluspa nennt die Sonne die Gefährtin des Mondes.
Der Name sinthgunt heißt die den Weg sich Erkämpfende. Nach
altem Glauben irrten die Gestirne am Anfang der Dinge ziellos
am Himmel hin und her, erst der Schöpfer wies ihnen gewaltsam
ihre Bahn, die sie heute noch ziehen. Sie fanden ihren Weg also
erst nach Unruhe und Kampf. Diesen Glauben dürfen wir auch
bei den Germanen voraussetzen und er erklärt uns den Namen
Des Mondes in .unsrem Spruch. Der Dichter der nordischen Wöluspa
sagt wieder; Am Anfang der Dinge wußte Sonne nicht,
wo sie Sitz hatte, Mond nicht, welche Macht er hatte, Sterne
nicht, wo sie Stätte hatten.
Wie im zweiten Merseburger Spruch, so umgibt auch im Nordischen
die Frigg ein großes weibliches Gefolge. Die Fulla gehört
dazu und Eir, die Ärztin, also eine zauberkräftige Göttin, außerdem
Göttinnen, die Liebe und Ehe beschützen. Die Germanen haben
ein Wort für Ehe und Gesetz, ihnen gilt die Ehe als das Gesetz
. — Die Göttinnen des Rechtes sind War: sie bewacht die Eide
und hütet die Ehe, schon in dem alten Lied von Thrym; Syn:
sie schützt alle, die etwas leugnen müssen; Hlin: sie warnt im
Auftrag Friggs alle, denen eine Gefahr bevorsteht; Snotra: sie
ist klug; Gna: sie ist eine Botin der Frigg. — Die Göttinnen der
Ehe und Liebe sind Sjöfn: sie entflammt gern die Menschen zur
Liebe; Lofn: wenn einer Ehe sich Hinderungen entgegenstellen,
so gewährt sie ihre Hilfe, die Erlaubnis dazu geben ihr Odhin
und Frigg.
Auch die der Frigg verwandte Menglöd (die Halsbandfrohe),
umgeben in einem späten Eddalied eine Reihe von Göttinnen,
ganz ähnlich wie Frigg und als eine Nachbildung ihres Götterstaates.
Huf und Hlifthrasa (Beschützerin), Thjodwara (Volksbewahrerin
Bjart (Glänzende), Bleik (Blinkende), Bild (Holde),
Frid (Schöne), Aurboda (Goldspenderin), Eir (Ärztin).
Frigg ist im Nordischen also eine Himmelsgöttin, die über
Gesetz und Ehe wacht und die nordischen Göttinnen können sich
aus ihren Beinamen entwickelt haben. Zug für Zug entspricht das
Wesen der nordischen Himmelsgöttin dem Wesen des germanischen
Himmelsgottes, das sich vor uns entfaltete. Auch er leuchtet über
die Welten, auch er bewacht das Recht, auch ihn umgeben die Göttinnen
des Rechts, auch er ist als Schöpfer der natürliche Hüter
der Ehe; schließlich offenbart auch er sich in vielen Kräften und
trägt den reichen Schmuck der Beinamen. Nur das Kriegerische
des Himmelsgottes fehlt der Himmelsgöttin, das bleibt dem Mann
vorbehalten. Und diesem fehlt die Anmut der Frau.
Unser Recht, neben dem germanischen Himmelsgott eine selbständige
und wohl ältere Himmelsgöttin anzunehmen, bestätigt sich
durch die weitgreifenden und überraschenden Übereinstimmungen
von nordischer Himmelsgöttin und germanischem Himmelsgott von
neuem. Die Übereinstimmung ist uns auch eine Gewähr, daß wir
seinerzeit das Bild des germanischen Himmelsgottes richtig zeichneten.
Endlich zeigt uns ein Vergleich der altdeutschen Frija und
ihrer Umgebung im Merseburger Zauberspruch mit der altnordischen
Frigg und ihrer Umgebung in Snorris Edda noch einmal,
daß die Gottheiten jenes Merseburger Zauberspruchs alle Kennzeichen
germanischer Gottheiten tragen; welche seltsame gelehrte
Torheit bleit es doch, den germanischen Charakter dieses Spruches
zu bestreiten!
In den Annalen teilt uns Tacitus mit, daß Germanicus zu
den Marsen, die zwischen Sieg und Ruhr wohnen, gekommen sei,
zur Zeit des Herbstes, als sie nach dem Opfer berauscht dalagen und
unbewaffnet waren. Er überfiel und vernichtete sie und machte ihr
Heiligtum, das der Tamfana galt, dem Erdboden gleich.
In Tamf-ana findet sich das Formans -ana, das wir bei
Wodan in seiner männlichen Form feststellten. Tamf bringt man
am besten mit isländisch thömb, Fülle, zusammen, daß Tamfana
Herrin der Fülle, Herrin des Reichtums bedeuten würde. Das
wäre ein ähnlicher Name wie althochdeutsch Bolla, nordisch Fulla.
Wir halten demgemäß die Tamfana wieder für eine Göttin des
Fruchtbarkeit und Fülle verleihenden Himmels. Sie spendete den
Trank, und die Germanen, die von dem Trank genossen, wollten
wohl die Kraft der Göttin in sich aufnehmen; dieser Gottesdienst
wurde ihr Verderben. Wir erinnern an das Trankopfer, das die
Sueben dem Wodan darbrachten (oben S. 46).
Am Rhein, in Geldern und in Friesland wurden einer dea
Hludana Steine gesetzt. Sie stammen aus der ersten Hälfte des
3. Jahrhunderts, vier von Soldaten, einer von frisischen Fischereipächtern
. karl Helm deutete sehr verlockend die Hludana als
Huldana. Die Hulden (nordisch die huldre, althochdeutsch die
holden) sind die Geister der Verstorbenen, die Huldana sei ihre
Führerin. Huldana sei der weibliche Wodan und wie Wodan zu
Wode verhalte sich Huldana zu Holle, zu der Frau Holle, die
unser Märchen noch rennt, und die unsre deutsche Sage als Führerin
der Verstorbenen und namentlich der verstorbenen Kinder,
als gütige und auch als strenge Frau noch immer liebt und fürchtet.
Wir hätten dann nicht nur neben dem Himmelsgott eine eigene
und ältere Himmelsgöttin, wir hätten neben dem Seelen- und
Ahnengott der Germanen eine eigene und ältere Seelen- und
Ahnengöttin.
Leider darf das philologische Gewissen dieser Deutung, die so
viel innere überzeugungskraft hat, nicht ohne weiteres folgen. Denn
diese Hludana ist kaum eine andere als die Latona, die uns jene
altenglische Glosse als die Mutter Donars nannte (oben S .27),
und als die Hlodhyn, die uns die Wöluspa wieder als Mutter
Thors nennt, Donar aber ist nie Seelenführer gewesen. Die Behauptung,
Hlodhyn, Hludana seien eine Mutter Erde — man erinnert
an isländisch hlodh: Erdhaufen — muß als Möglichkeit
bestehen bleiben.
Neckarsweben im britannischen Heer setzten in Lancaster zur Zeit
des Gordian (238-244) der dea Garmangabis einen Weihstein.
Gabis heißt die Spendende, die Gebende, garman ist noch nicht
zweifelsfrei erklärt, wird aber die Bedeutung des Gebens verstärken,
so daß wir Garmangabis als die reichlich, die gütig Spendende deuten
und als eine Göttin der Fruchtbarkeit wieder erklären wollen. Ähnliche
Namen sind gabiae, alagabiae (S. 83) und die nordische Gefjon.
Ursprünglich mag die Garmangabis ein Beiname einer höheren
der Nerthus verwandten Gottheit gewesen sein.
Im Gebiet der Nemeter (bei Zweibrücken und Bertrich) sind
zwei Steine der Vercana Vere-ana) gesetzt, d. h. wohl: der werkfrohen
(beachte wieder das Formans -ana). Man hat an die Athena
ergane erinnert. Die gallische Minerva heißt nun Idennica, der Name
ist vielleicht verwandt mit der nordischen Idhern (Idhun), der späte
Mythus über diese zeigt manche keltische Züge. So mag die Vercana
der Idhun entsprochen haben, als eine rührige Göttin der
Künste und Fertigkeiten, der Verjüngung und des Wachstums.
Im friesischen Gebiet, bei dem Hain, den sie den der Baduhenna
nennen, sind, sagt Tacitus, neunhundert Römer gefallen.
Baduhenna ist eine Kampfgöttin, Badu heißt Kampf. Ob henna
ein Suffixe ist oder ein Wort mit eigener Bedeutung, und welche
Bedeutung es besaß, das ist noch ungeklärt.
Auf sechs Inschriften aus niederrheinischem Gebiet aus dem
2. und 3. Jahrhundert wird eine Göttin Vagdavercustis genannt
und abgebildet. Die letzte dieser Inschriften wurde 1909 in Köln
gefunden, auf einem Altar, den ein höherer römischer Offizier der
germanischen Göttin widmete und 1908 wurde außerdem in
Plumpton Wall bei Old Penrith ein Altar ausgeackert, auf dem
ein Schatzmeister der Vagdavercustis verzeichnet war. Vercustis
— wir beziehen uns auf einen schönen Aufsatz von Rudolf
Much — heißt Vortrefflichkeit, Tugend, Vagda wahrscheinlich Bewegung,
Kampf. Vagdavercustis wäre demnach eine Gottheit der
kriegerischen Tugend, wie auch die Römer sie verehren. Wir fügen
noch hinzu, daß auf altsächsischen Stammtafeln als Söhne Wodans
, des Kriegsgottes, Wegda und Wegdeg genannt werden.
In Nordbrabant erscheint die Göttin Sandraudiga. Wir übersetzen
Sandraudiga als die wahrhaft (san, Partizipium von sein:
seiend, wahrhaft) Furchtbare (draudiga, vgl. englisch dread) und
deuten den Namen als Schlachtgöttin, die den furchtbaren Schrecken
der Schlacht in die Feinde jagt, von dem uns longobardische und
viele nordische Sagen voller Grauen berichten. Wir erinnern auch
an die Namen Fosite und Yggr (der Schreckliche, nordischer Beiname
Odhins). Wiederum Schlachtgöttinnen sind drei Gottheiten,
die auf niederrheinischem Gebiet im 2. und 3. Jahrhundert um
Schutz angerufen werden: die Vihansa, die Kampfgöttin, die
Hariansa, die Heergöttin, die Harimella die im Heer Wirkende.
Wenn bei diesen Deutungen auch manche ungelösten Reste
bleiben, die Verehrung kriegerischer, zaubermächtiger Göttinnen,
die an die nordischen Walküren erinnern, bezeugen sie, und zwar
gerade am Niederrhein auf dem engeren Gebiet des Kriegszauberers
Wodan. Den Ursprung des nordischen Glaubens an die Walküren
dürfen wir daher im Germanischen suchen. Wir denken dabei
auch an die Berichte der römischen Schriftsteller. Wie bei andern
kriegerischen Völkern spornten bei den Germanen die Frauen die
Krieger durch wilde Worte an, stürzten sich auch selbst in die feindlichen
Reihen und entschieden bisweilen den guten Ausgang der
Schlacht. Neben und unter diesen Heldenfrauen werden Kriegszauberinnen
gewirkt haben, die über die Waffen der Ihren
schützende Zaubersprüche murmelten oder heilkräftige Runenzeichen
in sie einritzten und die gegen die Gegner lähmende und verwirrende
Sprüche und Künste wußten. Die Verehrung dieser Kriegerinnen
und Zauberinnen steigerte sich nach unsrer Auffassung durch
den Ahnenkult zum Walkürenglauben. Wuchs doch die Macht des
Zauberers, sobald er das Leben verlassen hatte!
Der Walkürenglauben tritt uns im Altdeutschen noch einmal
lebhaft und dramatisch entgegen im ersten Merseburger Zauberspruch
. Die in ihm genannten Gottheiten heißen die idise, im
Nordischen heißen die Walküren disir. Sachlich decken sich beide
Worte, lautlich ist das überschießende, im Althochdeutsche anlautende
i noch nicht erklärt. Die Jdisen kennt schon Tacitus, eine
berühmte Schlacht zwischen Römern und Germanen wurde auf
Jdisjawiso geliefert. Wahrscheinlich war das eine Kultstätte der
Idise, der Name idisiaviso entspricht dem nordischen disin und
bedeutet Wiese der Ideen.
Der erste Merseburger Zauberspruch lautet: Einst setzten sich
die Idise, setzten sich hierhin und dorthin, die einen hefteten die
Hafte, die einen lähmten das Heer der Feinde, die einen klaubten
(loderten) an den heiligen Todesfesseln, entspringe den Haftbanden
, entfahre den Feinden! Wir stellen uns die Hergänge so
vor: Die Idise kommen angeflogen in drei Haufen, der eine setzt
sich über die Gefangenen, die das Heer der Freunde erbeutete, ihnen
knüpft es die Fesseln fester. Die andern lähmen und verwirren
das Heer der Feinde durch ihren Zauber, die dritten lockern die
heiligen, aus Eichenzweigen geflochtenen Fesseln der Gefangenen,
die das Heer der Freunde an die Feinde verlor und die dem
Kriegsgott als Opfer bestimmt waren. Die Erinnerung an diese
kriegerischen Hergänge wird heraufbeschworen, um einem Gefangenen
die Fesseln zu lösen.
Das Lockern und Anziehen der Fesseln ist ein auch bei den alten
Engländern und bei den Nordleuten bezeugter germanischer Kriegszauber
, ebenso das Lähmen des feindlichen Ansturms. Der Spruch
führt uns mitten in Krieg und Kriegszauber hinein, mitten in das
Walten der Walküren.
Sagenb. I. 6
Wir wollen auch hier auf die große künstlerische Vollendung
des Werkchens hinweisen, auf den reichen Wechsel der scharfen
und dumpfen, der hellen und dunklen Laute, auf den Wechsel
zwischen lebhafter Bewegung und ängstlich anhaltender Spannung,
auf die ausgezeichnete dramatische Anlage, die zu dem Spruch
selber, zu der Lösung der Fesseln gewaltsam hindrängt.
Die Walküren als Kampf- und Zaubergöttinnen kennt auch
das Altenglische und im Altenglischen erscheint zum erstenmal der
Name waelkyrge, d. h. die Frau, die aus den Kämpfern die zum
Tode bestimmten Helden wählt (wal, nordisch valr, vgl. unser Wahlstatt,
, Schlachtfeld, ist die Gesamtheit der Gefallenen). Die Walküren
weben das Kampfglück, sagt ein alter englischer Dichter. Das
grausame, blutgierige, unersättliche und heimtückische Walten der
Walküren betonen altenglische und altnordische Berichte. Es entspricht
der Auffassung des Krieges und auch der Auffassung des
Kriegsgottes bei den Germanen und Nordleuten. Noch im Altnordischen
erscheinen die Walküren wie in unserm Zauberspruch,
in drei Haufen fliegend, und als selbständige Gottheiten, sonst hat
Odhin sie in sein Gefolge aufgenommen, im Germanischen wirkten
sie bereits in seiner Nachbarschaft. —
Die Kelten verehrten weibliche Gottheiten, die sie Matres oder
Matronae: die Mütter nannten. In den von den Römern besetzten
Gebieten wurden diesen keltischen Gottheiten Weihsteine errichtet,
von denen bisher über vierhundert gefunden sind. Sie stammen
aus der Zeit von 100 bis 240 n. Chr. Auf den meisten sind drei
Göttinnen sitzend oder stehend dargestellt. Die Stifter sind Kaufleute,
Händler, Freigelassene, Soldaten der unteren Rangklassen.
Der Kult der Matres war auf die niederen Schichten beschränkt, wie
auch heute noch die Weihgaben und Votivtafeln des katholischen Volkes
namentlich von einfachen Bauern und ihren Familien gestiftet werden.
Als die germanischen Völker ihre Massen gegen das Rheinufer vorschoben
, erlosch langsam auch die keltische Mütterverehrung.
In den keltischen von Römern besetzten Gebieten übernahmen
die Germanen, die im römischen Solde standen, den Mütterkult.
Und von da aus verbreitete es sich zu den Germanen, die mit
der keltisch-romanischen Bevölkerung in Berührung kamen, zu den
Ubiern, Nemetern, Batawern, über diese hinaus drang er nicht.
Man wird sich denken können, daß viele Namen der Matres
der Deutung bisher widerstrebten und daß es bei vielen unsicher
bleibt, ob sie keltisch oder germanisch sind. Wir reihen nur die Namen
aneinander, die wahrscheinlich als germanische gelten können.
Die Ananeptiae (vgl. altdeutsch niftel, Nichte, und unser neffe)
beschützen die Sippe, die Blutsverwandtschaft, wir erinnern an die
Haewa. Die Afliae verleihen Kraft und Macht (gotisch afls, die Kraft),
die Arvagastiae spenden Reichtum, die bereits erwähnten Gabiae,
Alagabiae gleichen der griechischen Pandora, der Allgeberin und
ebenso die besonders verbreiteten Aufaniae, die Überflußspendenden
(vgl. ûf, auf und das Formans -ana), ihrer aller Kult vollzog sich
in römischer Form, in römischen Heiligtümern. Die Alaterviae
deuten wir als die Allkrästigenden (*terwaz, fest), die Vafthiae (verwandt
mit wachen) als die Behütenden, die Suleviae als die gute
Gelegenheit Schaffenden, die Hilfreichen (gotisch lêws, Gelegenheit,
su, gut, vgl. Sugambri), die Seitchamiae als die Zauberhüllen
Annehmenden, die Zauberkräftigen (nordisch seidh, Zauber, nordisch
hamr, Zauberhülle), die alaferhviae (gotisch ferhwus, Leben) als die
Allbelebenden, die alateiviae als die Allgöttlichen.
Die Suebae, Marsacae, Hamavae, Frisacae sind Gottheiten, die
einen bestimmten Stamm beschützen. Die Nersitenae wurden an der
Ners, einem Nebenfluß der Maas, verehrt. Dann sind den Matrones
vatvins oder vatviabus und den gawadiae Steine gesetzt, d. h. denen,
die im Wasser oder in den Furten hausen (wadan, waten, vgl. den
Wate der Gudrun). An Brücken und Furten denkt sich das Volk noch
heute die Geister wachend und drohend und der Kult der Quellen
und Gewässer durch die Germanen, der Glaube an ihre wahrsagende
Kraft, die Furcht vor ihrer grausamen Unersättlichkeit ist uns seit
langem bezeugt, als Kult der Salzquellen bei den Chatten und
Hermunduren durch Tacitus, und dann vom s. Jahrhundert bis
ins tiefe Mittelalter und durch unsre Volkssagen bis in die Gegenwart
. Das Rauschen und Gurgeln, das Brausen und Fließen
des Wassers hörte sich an wie geheimnisvolle Stimmen, der Versuch
, die räuberischen Götter durch Menschenopfer zu versöhnen,
wurde immer von neuem unternommen.
Nach Procop töteten die Franken, als sie unter Theudebert in
Oberitalien eindrangen, die zurückgebliebenen Goten, Weiber und
Kinder und warfen, obgleich sie bereits Christen waren, ihre
Körper als Opfer in den Po, um die Zukunft zu erfahren. Nach
Agathias verehrten die Alemannen die Wirbel der Flüsse; Eligius,
Burchart von Worms und viele andere erließen immer neue Verbote
gegen den Kult der Quellen und Gewässer. Mimi, ein alter
germanischer Wassergeist, dessen Kult noch deutsche Ortsnamen beweisen
(Memleben, Mimigerdaford, alter Name für Münster),
in der Edda der klügste der nordischen Geister. Seine Weisheit
und prophetische Kraft ist die stärkste, er verlangt von Odhin, der
selbst die tiefste Weisheit wollte, das größte Opfer, sein Auge,
wie die nordischen Wassergeister noch immer schwere und blutende
Opfer fordern von den wenigen Berufenen, die sie die Kunst der
Musik und des Gesanges lehren.
Aus dem Ahnenkult scheinen die Mütter erwachsen, der Schutz
des Geschlechtes ist ihre erste Aufgabe. Im Märchen gibt noch
immer die abgeschiedene Mutter den braven Kindern Hilfe und
Segen, der Hausgeist, die Seele des im Haus verstorbenen, der
Kobold, schafft den Bauern Wohlstand und Gedeihen. Die Verstorbenen
glaubt man überall in der Natur wirksam, die Sippe
erweitert sich zum Stamm, so mag es sich erklären, daß die Matres
zu Wasser- und Stammgottheiten wurden.
Die Göttinnen der Germanen, die wir nun kennen lernten.
gleiten in ihrem Wesen die einen immer in das der andern über,
ja sie treten oft nicht als einzelne Göttinnen auf, sondern in Gruppen
zu dreien und so wurden sie auch abgebildet. Sie müssen einer
recht alten Schicht des religiösen Glaubens angehören. Dreiteilung
war für die Walküren des Merseburger Zauberspruchs bezeichnend
und noch für die nordischen Walküren. Ob aber die Dreiheit der
Göttinnen germanischen oder ob sie keltischen Ursprungs ist, bleibt
ungewiß. Die germanische Götterdreiheit Tiu, Donar, Wodan erscheint
als Dreiheit nur in der bekannten altsächsischen Abschwörungsformel
und man bedenke, daß die Götter als Dreiheit eigentlich
nicht gelten dürfen, weil sie ja nicht als Dreiheit und nicht bei
allen germanischen Stämmen gleichmäßig verehrt wurden, weil sogar
in der germanischen Zeit Wodan den Tiu verdrängte. Auch
die nordische Trias Odhin, Loki, Hoeni wurde erst spät gebildet,
ebensowenig haben Thor, Odhin und Frey, deren Bilder im
Tempel von Upsala nebeneinander standen, den Zusammenhang
der Dreiheit.
Die Himmelsgöttin und ihre Begleitung, Göttinnen der Fülle
und Fruchtbarkeit und der Erde, Göttinnen des Krieges und des
kriegerischen Zaubers, Göttinnen wahrscheinlich dem Ahnenkult
entwachsen, zum Teil den Kelten entnommen und mit germanischen
Göttinnen verschmolzen, germanischen Göttinnen auch vielfach
gleichend, das sind die Gruppen, in die sich unsre germanischen
Göttinnen gliederten oder aus denen sie erwuchsen. überall standen
diese Göttinnen noch im Anfang des Glaubens und das gab ihnen
ihre Kraft und ihre Dauer. Für die Germanen — wenigstens weiß
ich aus der Religion anderer Völker kein Analogon — ist es
charakteristisch, wie sich aus dieser ungestalteten erdennahen Welt
langsam und immer festere Formen gewinnend die männlichen
Götter erheben. Zwischen den weiblichen und männlichen Gottheiten
scheint die mannweibliche Welt der Wanen das religionsgeschichtliche
Bindeglied.
8. Weltanfang und Weltende
Unsere mythischen Aussagen schrumpften immer mehr auf
Namen zusammen. Einer Göttersage begegneten wir nicht mehr.
Bei Donar vor allem klopften wir an die Türen, hinter denen
das Reich der Göttersage lag und wir hörten von dem großen
Kampf der Riesen und Götter. Noch lange Jahrhunderte galten
die Riesen der deutschen Volkssage als die ältesten Schöpfer der
Welt. Auch die Edda bewahrt uns Spuren dieses alten, gewiß
germanischen Glaubens. Riesen türmten die Berge und die ältesten
kyklopischen Mauern und Burgen auf, Riesen schleuderten die Felsen
, die nun als ungeheure Blöcke auf den Bergfeldern liegen,
Vertiefungen im Felsgebirg sind die Spuren riesischer Füße, der
zermalmende Blitz ist die riesische Waffe. Aus des Urriesen Fleisch,
sagen Berichte der Edda, ist die Erde geschaffen, aus seinem Blut
das Meer, aus den Haaren die Bäume, aus dem Schädel der
Himmel, aus dem Hirn die Wolken. Eben über diese Niesen hat
Donar sich emporgeschwungen — der Ase ist dem Riesen überlegen,
wiederholen wir aus der alten Runenreihe — von ihrem
blinden ungefügen Walten hat er die Menschen befreit; das bleibt
Seine große Tat. Um so größer, als der Gott nicht etwa einmal
für alle die Riesen bezwang, sondern als die Riesen bis zu seinem
Ende als seine stärksten und gefährlichsten, ja als seine einzigen
Feinde gegen ihn andrängten. In unablässigem Kampf mit ihnen
entfaltete er seine schützende Kraft und seine schöpferische Freude.
In einer Handschrift des Klosters Wessobrunn steht ein altdeutsches
Gebet aus dem 8. Jahrhundert. Seine ersten Verse lauten:
Das erfuhr ich unter den Menschen als der Wunder größtes, daß
Erde nicht war noch Aufhimmel, noch irgendein Baum, noch ein
Berg war, noch Sonne schien, noch Mond leuchtete, noch die herrliche
See. Da dort nirgends nichts war an Enden und Wenden,
da war doch der eine allmächtige Gott.
Man hielt dies Gebet früher für den Anfang eines germanischen
Gedichtes von der Schöpfung der Welt. Das war ein Irrtum
. Sein Inhalt war christlich, eine Variation des Themas vom
89. Psalm mit besonderer Beziehung auf den kirchlichen Unterricht
. Aber der Vers ist der Vers der germanischen stabreimenden
Dichtung, die Wortpaare: Erde und Aufhimmel, Baum und Berg
gehören dem Formelschatz der alten germanischen Poesie, die Komposition
, die künstlerische, absichtlich unlogische Ordnung der gewaltigen
Gesichte, der Vergleich vom Leuchten des Mondes mit
dem Leuchten des Meeres und die Auszeichnung des Meeres
durch Artikel und Beiwort, das ist deutsche Kunst und vielleicht
doch ein Nachhall eines alten deutschen kosmogonischen Gedichts.
über die Entstehung des Menschen liefen in germanischer Zeit
verschiedene sagenhafte überlieferungen nebeneinander. Einige
haben sich ja vor unsren Augen zusammengestellt. Der Vater
der Menschen war der Himmel. Er schuf die lange Kette der Geschlechter
. Ihre Mutter war die Erde, diese Mutter galt manchen
Germanen als zweigeschlechtige Gottheit. Dagegen schien Tuisto
als ein zweigeschlechtiger Riese und ebensowohl Ymi. Diesem
wuchsen, wie Snorri erzählt, während er schlief unter dem Arm
und in dessen zeugender Wärme Frau und Mann. Die folgenden
Sagen über die ersten Menschen verdanken wir wieder Snorri
und den eddischen Liedern, ihre ganze ungefüge Art und ihre Verbundenheit
mit den Riesen weist sie wohl in die germanischen Jahrhunderte.
Da hieß es: Der Riese habe die Füße aneinander gerieben
und ein Fuß habe mit dem andern einen Sohn gezeugt.
Der Fuß besitzt im Glauben und Brauch vieler Völker eine zauberische
, geschlechtlich erregende Kraft. — Oder auch man erzählte:
den ersten Menschen habe eine Kuh aus dem salzigen Gestein der
Urzeit langsam herausgeleckt. Die mütterlich besorgte Liebe der
Kuh, die ihrem Kalbe durch das zärtliche Lecken erst das rechte
Leben zu geben scheint und die durch das kräftige Salz angelockt
wird, wird von dieser unbeholfenen und zugleich rührenden Sage
auf die Zeit übertragen, in der die Menschen wurden; Salzquellen
hatten ja die Germanen des Tacitus schon verehrt.
Die Häuptlinge der Wandalen hießen, wie uns bekannt ist, Ambri
und Assi (Ulme und Esche) oder auch Raus und Rafts (Rohr und
Balken). Die Edda erzählt, daß drei Götter —bei den Germanen war
es wohl nur einer —das erste Menschenpaar Ask und Embla (Esche
und Ulme) aus Bäumen schufen und beseelten. Am Strande lagen
sie, sagt der nordische Dichter, kraftlos und jenseits noch vom
Schicksal. Da gab Odhin ihnen den Atem, Hoeni die Vernunft,
Lodhur Lebenswärme und blühende Farben. Die Götter hoben
die Bäume auf und schufen aus ihnen die Menschen. So rüdt
denn auch der Völkerglaube in die germanische Vorzeit, daß die
Menschen aus Bäumen wachsen, aus Bäumen, unter deren Schutz
sie leben, aus deren Holz sie Waffen, Geräte, Werkzeuge sich
schnitzen.
Wenn die nordischen Berserker sich in Bären oder Stiere verwandelt
glaubten, so entfalteten sie in diesen Zuständen eine das
Menschenmaß weit übersteigende Stärke, ebenso die Menschen, die
in Wölfe verwünscht wurden, die Werwölfe. Und wie viele Kräfte
und Gaben verpflanzte das Fleisch, das Blut, das Gift vieler
Tiere in Blut und Seele des Menschen. Die Batawer nahmen
aus ihren heiligen Hainen die Bilder von wilden Tieren ins Feld
mit. Die Helme der Cimbern waren nach der Aussage des Plutarch
den Rachen wilder Tiere oder den Köpfen von Ungeheuern
gleich gestaltet, sie erhöhten den Wuchs der Helden durch Federbüsche,
die sich oben in der Gestalt von Flügeln erhoben. Man
glaubt darum, daß germanische Helden wie die Helden andrer
Völker ihre Herkunft auf starke Tiere zurückleiteten und ihre Kraft
aus tierischem Ursprung erklärten. Das meldet uns denn auch
manche Heldensage. Aber von diesen Zeugnissen gibt es alles in
allem nicht viele. Erinnert sei an die Namen Ybor (Eber), Yrsa
(Bärin), Hengist, Horsa. Siegfried nennt sich, als der sterbende
Fafni seinen Namen erfragt, der stolze Hirsch. Von dem Namen
der germanischen Stämme läßt sich eigentlich nur einer als Tiername
deuten und auch bei diesem ist die Deutung nicht sicher. Das
sind die Cherusker, die Hirsche.
Den nordischen Göttern sind bestimmte Tiere heilig, dem Odhin
der Wolf, dem Thor die Böcke, dem Frey der Eber. Von diesen
hat für den Kultus der Germanen nur der Eber eine Bedeutung;
als Tier der Fruchtbarkeit und der Zeugung. Bis ins späte Mittelalter
hinein war den Germanen auch das Pferd ein heiliges Tier,
wie wir wissen aus doppeltem Grund: einmal als Tier des Himmelsgottes
und dann wieder als Tier der Fruchtbarkeit (vgl.
S. 69). Aber die überlieferten Nachrichten machen es doch nicht
sicher, daß dem Kultus der Götter bei den Germanen ein Kultus
der Tiere vorausging. Wäre das der Fall, so müßte der Tierkult
verbreiteter sein. Wir erwarteten eigentlich anderes Ergebnis;
war doch auch z. B. oon allen germanischen bildenden Künsten
die Tierornamentik die am reichsten entfaltete.
Der Glaube an die Entstehung des Menschen aus der Erde, aus
Tieren und aus Bäumen hat sich anscheinend vermischt. Neben
und mit diesem Glauben ging der Glaube an die Entstehung der
Menschen aus einem Urahn, einem als Herrn oder Gott verehrten
Stammvater.
Die Frage, wer das Feuer und das Wasser, wer Waffen und
Gerät, wer Nahrung und Kleidung den Menschen brachte, hat
auch die Germanen seit ihren Anfängen beschäftigt.
Das Feuer brennt auf, wenn man zwei Hölzer aneinanderreibt
und im Blitze schießt es vom Himmel zur Erde. Die Steigerung
dieser beiden Beobachtungen ins Dichterische ist die griechische
Sage, daß Prometheus das Feuer dem Himmel entwandte
und in einem Baum versteckte. Eine germanische Sage, deren Ausläufer
uns das Finnische und das Nordische erhielten, berichtet,
daß der Feuergott oder der himmlische Feuerfunke sich im Wasser
barg — weil die Sonne sich im Wasser spiegelt? — und endlich
gefangen wurde.
Das Wasser strömt auch vom Himmel, es sprengt die Felsen
oder es ist im Besitz der Tiere, die heute noch darin leben, in
Flüssen und Seen. Sie wollen es nicht gern hergeben und verschlucken
es oder sie verbergen es in Töpfen und Kästen und man
muß es ihnen mit Gewalt oder List entlocken.
In einer nordischen Sage, auf die zum erstenmal eine Dichtung
des 10. Jahrhunderts anspielt und deren Urform in das
Germanische hinabreichen wird, verwandelt sich Odhin in einen
Vogel, sprengt einen Felsen, trinkt den Göttertrank, den ein Riese
in Kesseln verborgen, bringt ihn den Göttern und speit ihn in
ein Gefäß hinein, das sie bereitstellten. Die Elemente dieser Sage
sind wieder die aneinandergereihten primitiven Vorstellungen vom
geraubten, den Menschen zugetragenen Wasser (das Wasser sprengt
die Felsen, das Wasser ist in Töpfen verborgen, das Wasser ist
verschluckt, das Wasser wird wieder hergegeben), und entsprechen
der alten griechischen Feuersage.
Die Mondgottheit bei den Germanen bezeugte uns Cäsar und
der zweite Merseburger Zauberspruch. Die Bilder, die andere
Völker kennen, die den Mond mit einem Nachen oder einer Sichel
vergleichen, finde ich bei den Germanen nirgends. Nur eine Mondfrage
in der Edda darf man als alt und volkstümlich gelten lagen:
daß der Mond zwei Kinder, die vom Brunnen kamen, zu sich
gehoben habe, und daß sie ihn nun immer begleiten müssen. Die
Flecken im Mond erschienen den alten Nordleuten als Kinder;
wir glauben ja, einen Mann im Mond zu erkennen und andere
Völker glauben einen Hasen darin zu sehen.
Semitische Völker im Altertum und seltsamerweise auch die
Litauer nennen den Regenbogen den Bogen des Himmelsgottes.
Ist der Gott zornig, so schießt er seine Blitze nach den
Menschen, ist er versöhnt, so stellt er zum Zeichen des Friedens
seinen Bogen auf, der vorher unsichtbar blieb. Den Germanen
und anderen Völkern erschien der Bogen als Weg oder, Brücke,
der von der Erde zum Himmel führt, in nordischer Zeit wurde
er zur Brücke der Götter, die auch brechen wird am Ende der
Tage, wenn der dunkle Surt und seine unheimlichen Begleiter
darüber reiten.
Den Glauben, daß die Blitze die Pfeile oder die Geschosse-
des Himmelsgottes seien und der Donner das Rollen seines
Wagens, haben die Germanen auch nicht allein, die Griechen und
noch andere Völker kannten ihn.
Wenn der Mond und besonders wenn die Sonne sich verfinstert,
so kommt über die primitiven Menschen, es kam über
die Germanen und es kommt noch über unsre Bauern ein namenloser
Schreck, sie glauben, daß Unholde oder Wölfe oder Hunde
Sonne und Mond verschlingen wollen, und sie suchen die Unholde
zu verscheuchen, indem sie selbst ein großes Geschrei erheben,
oder indem sie andern greulichen Lärm veranstalten, oder indem
sie Pfeile nach der Sonne schießen.
Da diese Finsternisse sich selten ereignen und da mit dem Ende
des Sonnenscheins auch das Ende der Welt kommen würde, verwandelt
sich dieser Glaube in die Prophezeiung, daß am Ende
der Tage ein Unhold, ein Wolf oder ein Hund, die Welt verschlingen
wird. Und da der Unhold erst zu dieser Zeit hinter der
Sonne herstürzt, bildet sich weiter die Meinung aus, er habe bis
dahin gefesselt oder eingesperrt gelegen. Bei den östlichen Völkern,
, bei den Persern und namentlich im Kaukasus, treffen wir
Sagen von solchen gefesselten Unholden (sie reißen zornig an ihren
Ketten oder lecken sie dünn, worauf dann an einem bestimmten
Tage durch einen Schlag der Schmiede die Ketten ihre alte Kraft
zurückbekommen) etwa im Anfang unserer Zeitrechnung; sie sind
von dort, vielleicht durch Vermittlung der Alanen, zu den Germanen
gewandert, erhielten sich in Bayern, Tirol und der Schweiz
bis heute und wurden auf den Teufel übertragen, außerdem
drängen sie in die Edda ein, vervielfältigten sich, verblaßten und
verbanden sich mit anderen sehr alten Vorstellungen.
Die Grimnismal sagen aus, zwei Wölfe, Stoll und Hati, begleiten
die Sonne, der eine vor ihr, der andere hinter ihr. Das
ist noch ein ganz nordisches Bild: die Brechung der Sonnenstrahlen
in den Wolken erzeugt bunte Lichtflecken bei der Sonne,
die nennt die Wissenschaft Nebensonnen, das Volk Sonnenwölfe.
Aber, fährt der Dichter fort, die Wölfe verlassen die Sonne nicht,
bis der Wald sie schützt (bis sie untergeht); sie verfolgen sie also,
und sie muß sich jeden Tag vor ihnen retten. Diese Auffassung
kann nur durch die Einwirkung der alten Vorstellung von der
Sonnenfinsternis entstanden sein.
In der Höhle Gnipahelli liegt nach dem Zeugnis der Wöluspa
und anderer Dichtungen der Hund Garm. Beim Untergang der
Welt heult er laut auf, zerreißt seine Fesseln und stürzt sich auf
die Götter. Die ältere Sage war, daß er sich auf die Sonne stürzt,
denn dieser Garm war eigentlich ein Sonnenhund.
Auch der Fenriswolf, von dessen Fesselung wir schon zweimal
hörten, hatte bei der Götterdämmerung ursprünglich den Beruf,
die Sonne zu verschlingen, was aber nur ein Eddalied (die
Wafthrudnismal) behielt.
Als der Wolf bei der Fesselung nach den Göttern schnappen
wollte. stießen sie ihm ein Schwert in den Gaumen, dessen Griff
stand im Unterkiefer, die Spitze im Oberkiefer. Nun berührte,
sagt Snorri an einer anderen Stelle, der Unterkiefer die Erde, der
Oberkiefer den Himmel. Das gleiche Motiv bringen serbische und
sibirische Märchen, ihr Wolf ist ein Ungeheuer, das eine Fülle
von Volk und Vieh verschlang, das jedoch aus seinem weitgeöffneten
Rachen, der sich nicht schließen konnte, heil herauskam. Das
Märchen von diesem Ungetüm ist aber der primitiven Vorstellung
von der Nacht entsprungen, die damals als Ungeheuer galt, das
abends die ganze Welt verschlingt und sie morgens unversehrt
aus sich herausläßt. In der Eddasage vom Fenriswolf sind mithin
alte Sagen von einem Sonnenunhold und einem Nachtunhold
verschmolzen.
Das Erdbeben erschien den Völkern auch als das Wert
eines Dämons oder eines Tieres. Wenn das Tier, das die Welt
trägt, sich bewegt oder sich schüttelt, oder wenn ein Riese im
Schmerz aufzuckt, dann erbebt die Erde. Diese Sage übertrugen
die nordischen Dichter auf Loki: wenn ihm das Gift einer über
ihn befestigten Schlange in das Gesicht tropft, so windet er sich
in seinen Schmerzen gewaltsam, daß die ganze Erde zittert.
Diese Erdbeben- und Finsternissagen sind — das lag ja in
ihrem Wesen — Sagen vom Untergang der Welt geworden;
sie blieben nicht die einzigen. Die Befürchtung, daß die
Welt und daß alle Menschen bald untergehen werden, hat die
Völker schon in ihrer Kindheit gepeinigt, und manche unheimliche
Sage geschaffen. Wir wissen, daß die biblische Sage von der
großen Flut, die alle Welt verschlingt, in der überlieferung des
Altertums nicht allein stand, daß sie aus einer älteren babylonischen
entstanden ist, und daß auch die Griechen und Inder ähnliche
Berichte besaßen.
Die germanischen Stämme hatten je nach ihrem Wohnsitz verschiedene
überlieferungen, die ihnen das Ende der Welt kündeten,
einige von diesen Sagen sind wohl auch von andern Völkern zu
ihnen gewandert. Sehr alt scheint der Glaube, daß die Welt erfrieren
würde, ihr Gegenstück war die Furcht, daß Hitze und Feuer
die Erde einmal zerstören müßten, und manche Völker ängstigte
die Besorgnis, eine Flut würde alles wegreißen, oder der Himmel
würde einstürzen, oder die Erde im Meer versinken.
Wir erwähnten vorher Teile der gotisch-germanischen Runenreihe.
Die ganze Reihe — in einer freilich nicht vollständigen
Form — hebt an mit der Nennung des Besitzes, den der Ur und
der Riese bedrohen, den der Gott beschützt, der blitzeschleudernd auf
seinem Wagen fährt, in Hagel, Not, Eis und Sonne waltend. Die
Reihe wendet sich zum hellen Himmel, zur weißen Birke, zum
Menschen und dem leuchtenden Meer und verklingt, indem sie die
Eibe nennt, den Baum, der alles bedeckt und der über das Grab
der Toten seine Zweige hängt. Das menschliche Leben, seine
ewigen Feinde und seine guten Götter, sein Leben im Licht und
sein Versinken ins Dunkel ist in die Verse dieser Reihe gebannt,
auch sie war ein Gedicht von Anfang und Ende der Menschen.
Riesen, Unholde haben die Erde geschaffen, der Kampf gegen
Riesen ist der Sinn des göttlichen Lebens, Unholde und Riesen
werden einmal die Welt vernichten. Sagen über Anfang und
Ende, über Ordnung und Auflösung von Welt und Menschen
haben die Germanen wie andere Völker auch erzählt, in jenem
Beieinander von naivem Zugreifen und großem Empfinden, das
uns schon öfter auffiel und reicher und bunter als wir es wissen.
Wieviele dieser Schätze sind versunken! Bei den Germanen wandelte
sich, das beobachten wir nur bei ihnen, die Welt in ein
Werk der Riesen, die ihre eigene Schöpfung bedrohen und gegen
die alle Götter ihre Kraft aufbieten müssen, denen die Götter dann
aber doch erliegen. Der Kampf der Götter und Riesen ist der Beginn
und bleibt der Kern der germanischen Göttersage.
9. Der Gottesdienst
Der älteste Tempel der Germanen war der Wald. Die Götter
des Himmels und des Gewitters, des Kampfes und der Fruchtbarkeit,
sie alle wurden im heiligen Hain verehrt, wahrscheinlich
seit Jahrtausenden. Bei den Sachsen und Friesen dauerte die Verehrung
der Götter im heiligen Wald bis tief in die christliche Zeit.
Namen wie Heiligenforst und andere bewahren das Andenken an
heidnische Götterwälder. Nach einem Kampf zwischen Franken und
Sachsen ließ sich ein schwerverwundeter Sachse heimlich aus
seiner Burg in einen dem höchsten Gott geweihten Hain tragen
(779 n. Chr.).
Undurchdringliche endlose Wälder bedeckten in den germanischen
Jahrhunderten die deutschen Länder und erhöhten ihr dunkles
Geheimnis, und welcher Eindruck, wenn der Sturm die Wipfel
packte, die Äste brach, wenn die Sonne die ewige Dämmerung
zu erhellen suchte, wenn ihre Lichter und Flecken über den Boden
glitten oder wenn im Frühling die tausend Stimmen der Vögel
übermächtig durcheinanderschallten! Aus dem Dunkel des Urwaldes
trat dem Drusus jene germanische Frau entgegen; den Arm gegen
ihn aufreckend, rief sie ihm die feierlichen, schicksalsschweren Worte
entgegen, die ihn zur Umkehr zwangen und die er nicht lange
überlebte.
Tiefe zauberische Einsicht und wilde Kraft, naives gutmütiges
Zutrauen und seltsame Unberührtheit, das blieb durch alle Jahrhunderte
das Wesen der germanischen Geister, die im Walde hausten.
Unter dem gewaltigen Blätterdach und in den Höhlen urweltlicher
Bäume lebten Mensch und Tier und der Baum überlebte
die lange Reihe der Geschlechter. An einem mächtigen Baum hing
nach dem Glauben unsrer Vorfahren Schicksal und Leben einer
Sippe. Die Gemeinde verehrte alte stolze Bäume als Heiligtümer,
hielt unter ihren Zweigen ihre Beratungen und waltete dort auch
des Rechtes. Die stolzesten Bäume scheinen in den Himmel zu
wachsen; ihre breiten Wipfel scheinen das Himmelsdach zu tragen
und zu stützen. Ein solcher Baum war vielleicht die irminsul, das
Heiligtum der Sachsen, die große Säule, die alles stützte, wie ein
mittelalterlicher Geschichtsschreiber sagt. Die wundervolle Vorstellung
des germanischen Nordens von der Weltesche, die der Schutz
und zugleich das Sinnbild der Welt war, die ihr Schicksal teilt
und die sich am heiligen Quell des Lebens erhebt, die zum Himmel
aufragt und die ihr Gezweig über die ganze Erde breitet, diese Vorstellung
ist eine grandiose Steigerung alten germanischen Glaubens.
Tacitus behauptet an der berühmten Stelle der Germania, daß
die Germanen keine Tempel und keine Götterbilder kannten. Er
sagt: sie glauben nicht, daß man die Götter in Häuser einschränken
und daß man ihnen eine menschenähnliche Gestalt geben dürfe,
weil sie zu erhaben seien. Aber derselbe Tacitus erzählt an anderer
Stelle vom zerstörten Tempel der Tamfana und die weißen Rosse
im heiligen Hain und den Wagen und die Zugtiere der Nerthus
muß doch ein, wenn auch primitiver heiliger Bau beschützt haben,
ein Tempel also. Ebenso haben die Germanen, wie uns die Bedeutung
des Wortes ans (Gott aus Götterbild S. 70) und wie uns
das Sonnenbild von Thrundholm lehrten, freilich noch unbeholfene
Götterbilder besessen. Die Bilder und Zeichen des Kriegsgottes,
die im heiligen Hain hingen, und die unsre Vorfahren in die
Schlacht trugen, waren wohl die Waffen des Gottes (Speer,
Schwert, Hammer usw.) und die Bilder der dem Gott geweihten
Tiere. In späterer Zeit weiß Gregor von Tours (s. Jahrhundert
) bei den Franken von Tempeln mit Götterbildern, in
denen man wie heute noch in den Kirchen, kranke Glieder in
hölzernen Nachbildungen aufhing und der hl. Willibrord brach
auf der Insel Walcheren in ein Heiligtum ein und zerstörte es,
wahrscheinlich war es eines der Nehalennia. Die christlichen Bekehrer
in England, in Friesland und in Deutschland eiferten dann
oft genug gegen die heidnischen Götterbilder und haben sie auch
verbrannt, oder sie versuchten, wie ein berühmter Brief des Papstes
Gregor verrät, den heidnischen Gottesdienst ins Christliche umzudeuten
. Die Bilder werden noch immer nicht sehr kunstvoll gewesen
sein und meist aus Holz geschnitzt. Und das wird den Irrtum des
Tacitus erklären. Kostbare und kunstreiche Tempel und Götterbilder
waren den Germanen fremd, diese vor allem wird der
Römer als Tempel und Götterbilder haben gelten lassen. In
tieferem Sinne behält er also recht. Den echten Schauer des Heiligen
empfanden unsere Ahnen in der dunklen und großen Natur;
die Tempel und Bilder waren ihnen Werkzeug und Hilfsmittel,
keine Offenbarung und Gestaltung des Göttlichen. Auch die Wörter
in den germanischen Sprachen für Tempel und Heiligtum bedeuten
ursprünglich nur: heiliger, schützender Ort, Steinhaufen als Altar,
Opferstätte, Hain.
Wie uns die Ortsnamen zeigen, wurde den germanischen Göttern
auch auf Bergen gehuldigt, besonders dem Wodan — es
waren wohl waldige Anhöhen — ebenso auf Wiesen und an Gewässern.
Namentlich die dem Ahnenkult entwachsenen Gottheiten
wirkten und webten an solchen Stätten.
Auf einem Gebiete finden wir im Deutschen, im Altenglischen
und im Norden bisweilen nicht nur einen, sondern mehrere Götter
verehrt, wie in späterer Zeit der heilige Tempel zu Upsala die
Bildsäulen dreier Götter, die des Odhin, des Thor und des Frey
zeigte. Sollte die Heiligkeit der geweihten Orte sich dadurch erhöhen
, daß man in ihnen mehr als einen Gott wirksam glaubte
oder suchte der Kult eines Gottes mit dem des andern zu wetteiferns
Im Wald und in der großen Natur hatte der germanische
Gottesdienst seine Heimat. Die Votivtafeln, die Totenbretter, die
Marterln, die Bildstöcke, die Sühnekreuze, die wir heute in katholischen
Ländern überall sehen, besonders im katholischen Deutschland,
führen das religiöse Fühlen des Volkes wieder in den Schatten
der Bäume, zu Wind und Wetter und Sonne zurück.
Die Zeit der Götteropfer war vor allem Frühjahr und Herbst,
wie im wesentlichen noch heute, die Zeit der Saat und der Ernte.
Im Frühjahr war die Zeit der Bittopfer, im Herbst war die Zeit
der Dankopfer und im Frühjahr sollten viele magische Bräuche
die Fruchtbarkeit von Feld und Mensch entwickeln und ausbreiten.
Dem Donar war der fünfte Wochentag, der Donnerstag, heilig,
wohl auch nicht jeder Donnerstag, sondern vor allem die Donnerstage
des Frühjahres. Donnerstag und Dienstag, die Tage des
Donar und des Tiu, waren Tage des Gerichtes. Außerdem war
Sagenb. I. 7
und ist noch immer die Zeit der Jahreswende eine heilige Zeit
und Opferzeit, jene langen, dunklen, stürmischen Nächte, die den
Abgeschiedenen gehören, als trauriger Ersatz für das Leben des
ganzen Jahres, das früher ihr eigen war. Bei vielen Völkern
herrscht die unverbrüchliche Sitte, daß man einen oder einige Tage
des Jahres den Toten weiht.
Die Götter empfangen als Opfer Speise und Trank, auch
Tiere. Zum Dank für ihre Hilfe errichteten ihnen germanische
Bürger nach römischem Vorbild Weihsteine. Einige Götter fordern
Menschenopfer: die Flußgottheiten, Nerthus, der Himmelsgott,
der Kriegsgott, der Gott der Zauberei. Bei Mißwachs opferten
Schweden und Burgunden sogar ihre Häuptlinge. Auch der Gott
des Himmels verlangte vielleicht zu bestimmter Zeit einen Freien
als Opfer, sonst mußten Sklaven und Kriegsgefangene für die
germanischen Götter bluten und wurden oft unter grausamen Martern
einem schrecklichen Tode ausgeliefert, erhängt oder ertränkt
oder lebendig begraben oder gerädert oder man brach ihnen den
Rücken. Nach der Aussage des Tacitus versenkten die Germanen
Feige, Schwache und Unzüchtige in die Sümpfe oder bedeckten sie
mit Dornen. Nicht nur Tacitus, auch die Schriftsteller des s. Jahrhunderts
und die nordischen Berichte bezeugen uns das Menschenopfer.
Donar, der deutscheste der Götter, hat es allerdings nie
verlangt. Die Todesstrafe war aber keine leichtfertige Grausamkeit
, sie hatte eine religiöse Bedeutung, sie sollte die Götter gnädig
stimmen oder ihren Zorn versöhnen. Wie lange hat man noch, um
der Geister Huld zu gewinnen, lebende Menschen in Häuser eingemauert
! Auch die Schiffe ließ man beim Stapellauf über Rollen
gleiten und dabei den Leib eines Menschen zerquetschen.
Auf dem Schlachtfeld blieben die Leichen der Feinde unbestattet.
Die Schädel wurden an Bäume geheftet, die Beute zerstört und
zerschlagen, die Anführer auf Opfersteinen hingerichtet. So verfuhren
die Germanen auch mit den Römern, die nach der Schlacht
im Teutoburger Walde in ihre Hand gerieten und so verfuhren
schon die Cimbern. Welch einen Anblick muß solch ein Schlachtfeld
geboten haben!
Von Tieropfern sind besonders die Pferdeopfer erwähnt, auch
Opfer von Ebern und Ferkeln; bei den Longobarden Opfer von
Ziegen. Alles waren Tiere der Fruchtbarkeit. Gesang und Tanz,
Trunk und Mahl hat diese Opfer oft begleitet. Frühzeitig ersetzte
man das Tier durch das Tierbild, das man gern aus Backwerk
herstellte.
Die Ehrfurcht der Germanen vor den Göttern war unbedingt.
Sie warfen sich vor ihnen auf den Boden und wagten nichts in
ihrem Heiligtume zu berühren, das Unnahbare und Unsichtbare
war ihnen das Göttliche. Auch beim Gebet warfen sie sich nieder
und bedeckten mit ihren Händen das Gesicht oder sie blickten auf
nach Norden und in den hohen Himmel.
Neben den Göttern wurden die Ahnen verehrt. Wir haben
ihren Kult in manchen Ausgestaltungen und bei verschiedenen
germanischen Stämmen beobachtet und verfolgten ihn bis in die
Bronzezeit. Am Rhein vermischte sich der Ahnenkult mit dem Glauben
an die keltischen Mütter. In Westen und in Niederdeutschland
scharten sich die Toten zu einem Totenheer zusammen, das
durch die Lüfte braust und dem ein gespenstischer Führer voranstürmt.
Bei den Ost- und Nordgermanen des Tacitus und bei den
Goten verschmelzen sich Ahnenkult und Heldenverehrung, endlich trat
auch der Himmels- oder Kriegsgott als Vater der Helden vor uns.
Die Abgeschiedenen bleiben bald bei ihrer Sippe und ihren
Nachfahren, Glück und Untergang der Enkel hängt dann von der
Verehrung der Ahnen ab oder sie erheben sich in die Lüfte und
fahren im Wind und ziehen mit ihm in die Berge und brechen
mit ihm aus den Bergen hervor oder sie ruhen mit ihren Gebeinen
im Grab. Welche dieser Anschauungen die älteste ist oder
ob und wie sie sich ablösen, läßt sich nicht sagen. Vielleicht de
standen sie überhaupt gar nicht nacheinander, sondern gingen
nebeneinander her, wie eigentlich noch heute. In den Bergen
hausen nach dem Glauben des Volkes noch karl der Große und
Friedrich Barbarossa, manchmal steigen aus ihnen die Abgeschiedenen
hervor. Meeranwohnende germanische Völker meinten, das
Reich der Abgeschiedenen sei jenseits des Meeres, die Toten müßten
das Meer erst überfahren.
Der Geschichtschreiber der Goten, Prokop, schildert im s. Jahrhundert
, wie die Toten geheimnisvoll und still nach der Insel
Brittia übergesetzt werden. Die schwermütigen Verse, mit denen
das altenglische Heldengedicht Beowulf anhebt, erzählen, wie die
trauernden Männer den verschiedenen König Skyld mit seinen
leuchtenden Waffen in ein Schiff legen und dies der dunklen Flut
anvertrauen, er verschwindet in dieselbe wunderschwere Ferne, aus
der er vor Jahrzehnten auch kam. Den gestorbenen Sinfjötli trägt
der Vater ans Meer, da kommt auf einem kleinen Nachen ein
Ferge und nimmt den Helden, ihn allein, zu sich, den Sigmund
schickt er fort. Der Ferge war Odhin. Diese Episode in der nordischen
Nibelungensage ist deutschen, vielleicht sogar keltischen Ursprungs.
In einem nordischen Grab der älteren Bronzezeit fand man,
und solche Funde sind nicht vereinzelt, als Grabbeigaben für den
Verstorbenen den Vorderzahn eines Pferdes, die Knochen eines
Wiesels, das Stück eines Klauengliedes, wahrscheinlich eines
Luchses, ein Stückchen von der Luftröhre eines Vogels, den Wirbelknochen
einer Schlange. Diese Beigaben sollten dem Verstorbenen
die Kraft von Pferd, Wiesel, Luchs, Vogel und Schlange auch
im Jenseits sichern. Die in dem Gräberfeld von Nordendorf gefundene
Spange rief den Schutz von Wodan und Donar auf den
Abgeschiedenen herab; eine Frau Ava gab sie dem Freunde mit
ihren letzten Segenswünschen. Wie oft soll Donar auch auf späteren
Grabsteinen die beschützende Kraft der Runen weihen! Die Germanen
bestatteten die Helden in der Pracht ihrer Rüstung auf
ihren Rossen und gaben ihnen alles mit, woran sie im Leben ihr
Herz gehängt. Wir denken an Alarich, den Gotenkönig, und an
sein Grab im Busento. Und welche Schätze nahmen Attila und
welche Beowulf ins Jenseits herüber!
Die uralte Sitte der Grabbeigaben ist also auch bei den Germanen
bezeugt, in Zeiten, bis zu denen keine geschichtliche Überlieferung
dringt. Wir könnten ihre Steigerung in das Heroische
namentlich bei den Goten beobachten. Grabbeigaben und anderer
Zauber, der gewalttätiger ist, haben den Sinn, den Toten ins
Grab zu bannen und seine Wiederkehr zu verhindern. Die Leichen
der Toten aber, die im Leben zaubermächtig waren, besonders
Frauen, suchte man durch Lieder aus dem Grab zu wecken, damit
sie die Zukunft enthüllten. Lieder dieser Art von gespenstischer und
gewaltiger Phantasie erhielt uns das späte nordische Heidentum.
Daß sie den Germanen nicht fremd war, schließt man wohl mit
Recht aus dem Namen haijurunnas. So heißen nach Jordanes die
Zauberweiber der Goten. Ursprünglich hießen wohl die Lieder
die diese Weiber aus dem Tode weckten. Das Wort blieb noch im
Altenglischen und im Althochdeutschen in der Bedeutung necromantia
erhalten. Die Sitte der Leichenverbrennung gelangt in
der zweiten Hälfte der Bronzezeit bei unsern Vorfahren zur Herrschaft
, um die Wende unsrer Zeitrechnung tritt sie zurück. Von
der Verbrennung erzählt noch Tacitus, auch von der Beigabe
von Waffen und Pferd und von der Beisetzung der Reste in
einem Hügel.
Den Zauber lernten wir als Heilzauber, als Kriegszauber, als
Wetterzauber und als Fruchtbarkeitszauber kennen. Die Göttinnen
der Erde und des Himmels walteten über Segen und Wachstum
der Flur und der Menschen; damit sie deren Fruchtbarkeit erhöhten,
zeigte man ihnen verstärkte geschlechtliche Kraft. Sonnen-
und Himmelsgott empfingen als Gaben ihre Bilder, Donar
empfing seine Hämmer. Tiu und Wodan und die Kriegsgöttinnen
waren des Kriegs- und Heilzaubers mächtig. Wodan entfachte und
beschwor auch die Flammen. Die nachdrücklichsten germanischen
Zauberformeln, zugleich die dramatisch am wirksamsten vorbereiteten
, erhielten uns die Merseburger Zaubersprüche: entspring
den Haftbanden, entfahr den Feinden! und: Bein zu Bein, Blut
zu Blut, Glied zu Glied, als ob sie geleimt seien. —
Wahrsagung als eine bei den Germanen besonders geübte
religiöse Sitte schildert uns Tacitus. Wir wissen schon von der
Beobachtung und Deutung der Stimmen der heiligen Pferde. Auch
Flug und Stimme der Vögel wurde, wie wieder Tacitus meldet,
ausgelegt. Fogalrarta, Vogelstimme, übersetzt im Althochdeutschen
(ähnlich auch im Altenglischen) das Lateinische auspicium und
augurium. Der König der Warnen Hermigisel erblickt reitend
einen Vogel auf einem Baum, hört ihn singen und sagt dem
Gefolge, nun sei ihm der Tod geweissagt; in vierzig Tagen werde
er sterben. Wer von uns denkt hier nicht an die Weissagungen
der Meisen an Sigurd, nachdem er den Fafni getötet? Weise
Vögel, die das Schicksal der Könige und erlauchter Helden wissen,
heben auch manche andere nordische Heldenlieder in den Schauer
des überirdischen. Gute und böse Vorzeichen, von denen der Aberglaube
unsrer Tage noch voll ist und die uns die nordische überlieferung
ins Heroische steigert, werden die Germanen auch gekannt
haben.
Von einer Art der Wahrsagung erhielten sich Reste bei den
Finnen, sie wird noch im 8. Jahrhundert bei den Friesen erwähnt.
Zweige eines Baumes (der Buche?) wurden in Stückchen gebrochen,
Zeichen auf sie eingeritzt und auf ein weißes Gewand
geworfen. Der Wahrsagende betete nun zu den Göttern, nahm
dreimal je ein Stückchen auf und erklärte das eingeschnittene
Zeichen. Der Wille des Gottes, der sich so offenbarte, wurde bedingungslos
befolgt. Die eingeritzten Zahlen werden eine Art
Bilderzeichen gewesen sein, mit einem bestimmten heiligen oder
orakelhaften Sinn, und Vorläufer der Runen, der Priester oder der
Hausvater erschlossen ihre Bedeutung. Das alles setzt einen ausgebildeten
und entwickelten Opferdienst bei den Germanen voraus.
Die Wirkung des Zaubers erhöhten später die Runen. Ebenso
wie das antike Alphabet hatte die germanische Runenreihe eine
zusammenfassende magische Bedeutung. Auch einzelnen Runen, z. B.
denen von Ty und Thor, traute man später besonders starken
Zauber zu, ebenso den Reihen von acht oder zehn Zeichen. Später
ritzte man die Runen in zauberkräftige Amulette, um deren Kraft
zu steigern. Die erweckte Walküre Sigrdrifa erzählt dem Sigurd
von zauberkräftigen Runen, die Mimi kannte und die geritzt waren
auf die Tatzen des Bären, die Pfoten des Wolfes und den Schnabel
des Fischadlers, den Nagel der Norne und den Schnabel der Nachteule
. Runen auf Grabsteinen waren oft Abwehrzauber, sie bedrohten
die Störer der Grabruhe und erbaten die Hilfe der
mächtigen Götter.
Der Glaube an die magische Kraft des Haares begegnete
uns in mancher germanischen überlieferung. — Sigurd verbirgt
dem sterbenden Fafni, der ihn darnach fragt, den Namen, denn
es war, bemerkt der Aufzeichner des Liedes, ein Glaube aus alter
Zeit, daß das Wort eines dem Tode verfallenen Mannes viel
vermöge, wenn er seinen Feind verwünsche, indem er dessen Namen
nannte. Wie mit dem Haar lieferte der Mensch eben mit seinem
Namen seine Zauberkraft dem zauberkundigen Feinde aus. Eine
Menge von Formen hat dieser Wahn bei allen Völkern angenommen
. Uns überrascht es fast, daß wir ihn im Germanischen
nur einmal finden. Doch sei an die germanische Sitte erinnert,
daß ein Held mit seinem Namen zugleich ein Geschenk empfing
und daß Geber und Empfänger des Namens dadurch in einen
engen Bund treten. Auch den Schutz der Götter suchte man sich
dadurch zu sichern, daß man ihren Namen in den eigenen Namen
aufnahm. — Das gemeinsame Blut war das stärkste Band der
Sippen, die Blutsbrüderschaft die stärkste Verbrüderung der Helden
, Loki und Odhin waren in alten Zeiten Blutsbruder. — Als
im Norden die Asen und Wanen Frieden schlossen, gingen sie alle
um ein Gefäß herum und spieen ihren Speichel hinein. Zum
Zeichen der Freundschaft spucken sich noch heute manche Völker
ins Gesicht. — Nach einer Aussage einer späten lombardischen
Chronik bannt das zauberkräftige Haupt eines Erschlagenen die
Flammen, im Nordischen raunt das Haupt des weisen Mimi dem
Odhin tiefe Weisheit zu. Fertigte man darum Becher aus dem
Schädel der erschlagenen Feinde und trank aus ihnen, daß sich
ihre Tapferkeit auf den Sieger übertrage? — Paulus Diaconus
erzählt von einem Mann, der sich in eine Fliege verwandelte,
um das Gespräch zweier Verschwörer zu belauschen. Der eine hieb
der Fliege einen Fuß ab und der Mann war nachher am Fuße
verstümmelt. Deutsche Sagen melden Entsprechendes von Heren,
die sich in Katzen verwandeln und denen der Fuß abgeschlagen
wird. Der böse Kobold in der nordischen Göttersage, Loki, wählt
auch die Gestalt einer Fliege, um einen Diebstahl auszuführen.
Wie voll von seltsamem Zauber war doch die Welt unsrer
Vorfahren und wie anders als unsre ist ihre Welt, in der ein
Baum den Blitz anzieht, in der die Wassertiere das Wasser besitzen
, in der die Riesen dem Gott seinen Blitzhammer stehlen und
in der die Gestirne unsicher schwanken! Wir wundern uns nicht,
wenn die alten Deutschen den Zauberer und die Zauberei auch
nach ihrem Tode fürchteten, wenn sie ihn lieber noch einmal erschlugen
, ihn köpften, ihm einen Pfahl durch die Brust stießen
oder seine Asche in die Winde streuten.
Bei den Cimbern führten Priesterinnen, ehrwürdig und grauhaarig
und weiß gekleidet, mit ehernem Gürtel umgürtet und mit
bloßen Füßen die gefangenen Feinde zu einem geräumigen ehernen
Kessel. Sie stiegen auf einer Leiter hinauf und durchschnitten die
Kehle des Opfers. Aus dem Blut, das in den Kessel rann, wahrsagten
sie. Das ist das älteste Zeugnis über germanische Wahrsagerinnen.
Im Heer des Ariowist mahnten wahrsagende Frauen,
den Kampf nicht vor Neumond zu beginnen. Tacitus nennt unter
den germanischen Wahrsagerinnen die Albruna und die Brukterin
Weleda. Ihr galt eine besondere Verehrung, sie verhandelte nur
durch einen Getreuen mit ihren Bittstellern, für die Menge unsichtbar,
weilte sie in einem Turm. Dio Cassius erzählte von der
Seherin, die dem Drusus aus dem Walde entgegentrat, er weiß
noch von der semnonischen Seherin Ganna (zu gand, Zauberstab).
Eine semnonische Seherin Waluburg nannte ja auch das neu entdeckte
Ostrakon (S. 17). Der fränkische König Guntram befragte
ebenfalls eine Wahrsagerin, wenn er die Zukunft erfahren wollte.
Sueton kennt eine hessische Wahrsagerin, die Winniler wurden,
wie wir wissen, von der Gambare geführt (S. 49f.), und einer
Wahrsagerin Thiota gedenken die Fuldischen Annalen oon 847,
sie war von Schwaben nach Mainz gekommen. Diese Zeugnisse,
aus einem Jahrtausend von der Wissenschaft aufgelesen, bestätigen
die schöne Angabe des Tacitus oon dem Schauer der Heiligkeit
und des Sehertums (des sanctum und providum), der die germanischen
Frauen umweht. Sie bestätigen auch unsre Feststellung
vom Alter und von der Bedeutung der germanischen Göttinnen,
denn ursprünglich werden die Wahrsagerinnen im Dienst der Göttinnen
gewaltet haben. An die Göttin wendet sich noch die Gambara
und überwindet mit ihrer Hilfe den Gott. Im Norden bewahrten
sich die Zauberfrauen, die Wölwur, bis in das letzte
Heidentum ihr hohes Ansehen. Das tiefste nordische Götterlied,
die Wöluspa, heißt Weissagung der Seherin. Wir finden bei
vielen alten Kulturvölkern und auch bei primitiven eine besondere
Verehrung der Frauen, diese steigert sich bisweilen zu dem sogenannten
Mutterrecht. Religiöser und schöner hat sich diese Verehrung
nirgends gestaltet als bei unsren Vorfahren.
Von unsren Darlegungen aus gewinnt der Bericht eine neue
religionsgeschichtliche Bedeutung, daß die Priester der Alcis weibliche
Tracht trugen; aus der Priesterin wurde der Priester in weiblicher
Tracht und aus diesem der Priester. Das Widerspiel sind die
Winnilerfrauen, die der Art der Männer sich dem männlichen
Gotte zeigen, und die das Zeichen der Männlichkeit, die langen
Haare, gewissermaßen überbieten.
Dem germanischen Priester lagen die höheren Aufgaben des
Gottesdienstes ob. Sie waren die Bürgen, daß der Wille und das
Gebot der Götter richtig erfüllt werde. Die Frau besaß das ihr
eingeborene Ahnungsvermögen und die weibliche Erfassungsgabe
— wir dürfen ruhig sagen den Mutterwitz —, vom Manne wurde
schöpferische Einsicht, genaue Kenntnis des Rituals und kombinatorisches
Vermögen gefordert. Das geht schon aus den Angaben
des Tacitus über das Wahrsagen, über den Dienst bei der Nerthus
und bei den Alcis und bei den heiligen Pferden hervor. Die
Burgunden nannten ihren Opferpriester sinista, d. h. den Ältesten,
den Erfahrensten und Vornehmsten, die Priester gehörten dem
Adel an. Man nannte sie auch Gesetzeskünder. Sie waren dem
König ebenbürtig, vielleicht versahen auch die Könige das priesterliche
Amt. Im Kriege besaßen die Priester als die von Gott Beauftragten
die Strafgewalt, bei den heiligen Versammlungen geboten
sie Schweigen. Wüßten wir nun nicht durch unsre Zeugnisse
von dieser Bedeutung der Priester, so müßten wir sie erschließen
aus der Form des germanischen Gottesdienstes. Die Fülle der
Namen und Beinamen, die der priesterliche Gottesdienst den
Himmelsgottheiten und dem Wodan gab, waren uns Beweise für
die hohe Stufe, die der germanische Gottesdienst erreichte. Auch
die von uns absichtlich betonte künstlerisch hohe Vollendung der
germanischen Gebete, Hymnen und Zaubersprüche bezeugen in
den Jahrhunderten der Völkerwanderung bei vielen germanischen
Stämmen, namentlich bei den Goten, eine hohe priesterliche Kunst,
der Kunst der germanischen Heldendichtung ebenbürtig. Wir rufen
uns noch einmal die altenglischen Segen und Gebete, das Wessobrunner
Gebet, die gotisch-germanische Runenreihe, die Nordendorfer
Runenspange, die Beschwörungen Donars ins Gedächtnis.
Die Lieder, die bei dem Opfer erklangen unter dem Tanz der
Gläubigen, die feierlichen Wahrsagungen und die dunklen und die
tiefen Antworten auf dunkle und tiefe Rätselfragen, die Lieder, die
die Toten zum Leben weckten, und die andern, die ihm zur Ehre
und Freude angestimmt wurden, diese ganze großartige religiöse
Dichtung der Germanen ist uns wohl für immer verloren.
Neben der priesterlichen bestand eine volkstümliche und allgemeine
Verehrung der Götter. Das Haupt der Familie leitete
den häuslichen Gottesdienst. Votivsteine und der Mütterkult beweisen
, daß einzelne und gerade Angehörige der niederen Schichten
den Göttern ihren Dank und ihre Opfer darbrachten. Die ganzen
Stämme und Stammverbände kamen zu den heiligen Zeiten zum
Fest und zum Opfer, wie wir das oon den Semnonen, von der
Nerthus, von den Verehrern der Tamfana, von den Alemannen
erfuhren. Ebenso übten ganze Völker ihren Zauber, wenn etwa
die Franken die kriegsgefangenen Goten in den Fluß warfen, um
das Schicksal zu erfahren. Eine priesterliche Kaste und eine priesterliche
Herrschaft, wie bei den Kelten die Kaste der Druiden, hat
sich bei den Germanen kaum entwickelt. Manche germanische religiöse
Dichtungen tragen auch volkstümliche Merkmale, die Sagen z. B.
über die Schöpfung der Welt, über den einarmigen Himmelsgott,
über die Kämpfe oon Donar mit Ungeheuern. Jenes Durcheinander
von hoch und niedrig, von heilig und irdisch in Zaubersprüchen
und Göttersagen haben wir ebenfalls als volkstümliche
Kunst gedeutet. Besonders Donar erweist sich auch von dieser Seite
als der volkstümlichste deutsche Gott.
Der Gottesdienst der Germanen steigt schon in früher Zeit von
grausamen und unbeholfenen Übungen empor zu jenem Schauder,
den Goethe der Menschheit bestes Teil nennt, und erhebt sich zu
einer seltsamen großartigen Kunst. Die Zauberei und die niederen
religiösen Formen der Verehrung entwickeln sich am Fuße der
hohen Religion weiter und folgen ihren eigenen Gesetzen. Oft mag
ein Herüber und Hinüber der Wirkung stattgefunden haben.
10. Rückblicke
Wir sind bei unsern Studien auf manche Wurzel des Götterglaubens
gestoßen. Die eine war der Ahnenkult. Denkt man sich
ihn räumlich ausgebreitet, so führt er zu Gottheiten, die bestimmte
Ortschaften, Wässer und Wälder beschützen. Diese Ausbreitung
konnten wir bei dem keltisch-germanischen Mütterkultus beobachten.
Eine weitere Ausdehnung führt zur Verehrung der Mutter Erde,
die alle Völker und Felder schützt und ihnen Wachstum und Frucht
bringt. Der Sohn der Mutter Erde, der starke Donar, wachte bis
in die letzten Zeiten des Heidentums über Ehe und Sippe und
ihrer Wohlfahrt. — Der Ahnenkult kann sich auch zeitlich verlängern,
die Verehrung der Ahnen verwandelt sich dann in die Verehrung
der Ahnenreihe und steigert sich zum Kultus des großen
Ahnherrn und seiner Söhne und Sohnessöhne. Dieser Kultus war,
wie wir wissen, ein Anfang der germanischen Heldendichtung und
ein Anfang der isländischen Saga. Diese Steigerung ist kaum älter
als die Anfänge der Heldendichtung selbst. — Außerdem kann der
Ahnenkult von der Verehrung der Abgeschiedenen eines Geschlechtes
zur Verehrung aller Abgeschiedenen führen. Sie sammeln sich zum
Totenheer und verlangen gebieterisch bestimmte Zeichen und Nächte
des Jahres für sich und verlangen dann auch einen Führer. So
geschah es bei der wilden Jagd und Wode, und schon in der indogermanischen
Vorzeit unsres Volkes.
Außer den Ahnen verehrten die Germanen seit alter Zeit die
Gestirne und ihren Segen, vor allem die Sonne. Zur Anbetung
der Erde führte nicht allein der lange Weg über den Ahnenkult,
ihrer mütterlichen fruchtspendenden Kraft wurden unsre Vorfahren
ohnedies gewahr und suchten sie durch ihre Gebete für sich zu gewinnen
. Die Gottheiten des Himmels, die Gottheiten der Erde und
die Gottheiten der Fruchtbarkeit verfließen ineinander. Mythische
und künstlerische Gebilde bedürfen langer Zeit, bis sie feste und
klare Gestalt gewinnen. Der Kultus der Erde, der Fruchtbarkeit,
der Sonne gehört noch in die Kindheit und in die frühe Jugend
der Völker.
Bald erscheint der Vater Himmel als der Gemahl der Mutter
Erde, bald erscheint neben dem Vater Himmel eine gütige mütterliche
Himmelsgöttin, bald erscheint die Erde als doppelgeschlechtiges
Wesen: ruhen hier verschiedene Schichten des Glaubens nebeneinander
oder verschiedene religiöse Gestaltungen der verschiedenen
germanischen Stämme?
Neben Himmel und Erde galt die Furcht und die Hoffnung
dem Wetter und dem Gewitter. Aus ihnen erwuchs der Glaube
an die Riesen und der an Donar. Aus den Geistern der Bäume
sind im Germanischen keine großen Götter geworden. Ob sich die
Verehrung der Tiere zur Verehrung von Tiergottheiten und dann
zur Verehrung von Göttern steigerte, bleibt ungewiß, wir hielten
es für unwahrscheinlich.
Die große Zahl der Göttinnen hat uns mehr als einmal überrascht
. Diese Göttinnen erschienen in Mengen wie die Mütter und
die Idisi oder sie fügten sich von selbst zu Gruppen zusammen wie
die Göttinnen des Himmels, des Rechtes, des Krieges, der Fruchtbarkeit.
Herausgehoben hat sich aus diesen Scharen eine Göttin,
die Himmelsgöttin. Wir behalten sie gern in unsrem Gedächtnis,
wie die longobardische Sage sie schildert, in ihrer frauenhaften
Güte, ihrem Witz und ihrer Anmut. Soweit wir urteilen können,
ging der Kult der Ahnengottheiten und der Göttinnen dem Kult
der großen Götter voran. Er ist weniger entfaltet und differenziert,
dafür aber dauerhafter.
Bei den Göttern erscheinen die Elben, die Asen und andere dem
Ahnenkult entwachsene Wesen auch noch in der Vielzahl. Die Elben
als kleine zierliche Gottheiten haben ihre besondere Gestaltung vielleicht
in der Bronzezeit erhalten, ebenso wie einige Korngeister,
die Idise und auch die Zwerge, Wichte und Kobolde. Die Entstehung
der ungefügen Riesen möchten wir nicht, wie es zuerst verlockend
scheint, in die noch ältere Steinzeit versetzen. Ihre Verbindung
mit Wetter und Gewitter, ihre steten Kämpfe mit Göttern
und Menschen, ihre Feindschaft gegen Ackerbau und Kultur weisen
sie unsres Erachtens in eine spätere Epoche. In der Religion sind
die Riesen, in der Erdgeschichte ist das gewaltige Hochgebirge nicht
das Älteste. Den Riesen gebührt so gut wie gar kein Kultus, sie
bilden keine Gemeinschaft. Jeder kämpft seinen Kampf für sich
gegen die Götter und jeder trägt auch seinen eigenen Namen. Auch
aus diesen Gründen können die Riesen keine Götter der ältesten
Zeit sein. Die großartigsten Bilder ihres Wesens entwerfen die
Goten zur Zeit der Völkerwanderung.
Das Wesen der Fruchtbarkeitsgötter bleibt, um es wieder zu
sagen, noch unbestimmt. Tiu, Donar, Wodan dagegen sind jeder
ein Gott für sich. Die Besonderheiten ihrer göttlichen Macht und
ihres Umgangs mit den Menschen werden uns in klarer und großer
Zeichnung sichtbar. Das Thronen im Himmel, die Herrschaft über
Recht, Krieg, Schicksal bei Tiu, die schöpferische elementare Kraft
und die unermüdliche Freude des Helfens bei Donar, das ruhelose,
zauberstarke, aus Tod und Jenseits geborene Wesen des Wodan.
Donar und Tiu sind die eigentlich Großen, die Himmelsgötter,
beide in ihrer Art mit Jupiter verwandt. Wodan ist und bleibt
im Wesen dämonischer. Donar waltet immer in seiner Sphäre, den
Tiu schob Wodan in den Hintergrund. Doch jener zeigt uns im
Germanischen und noch im Nordischen in seiner unbeirrbaren Rechtlichkeit
und in seinem unerschütterlichen Mut Eigenschaften, die wir
bei Wodan nie finden. Ein höchster Gott hat sich bei den Germanen
nicht gebildet. Wären Tiu und Donar zu einem Gott verschmolzen,
so stände ein solcher allgewaltiger Schöpfer vor uns.
Dafür bahnt sich eine andere Entwicklung an. Der Gott, der das
Schicksal bestimmt, rückt in immer weitere Fernen und löst sich
schließlich in eine unpersönliche, alles beherrschende und durchdringende
Macht auf. Man denke auch daran, wie sich der Weltenbaum
immer mächtiger ausdehnt, wie seine Wurzeln mit der Erde,
sein-' Wipfel mit dem Himmel zu verschmelzen scheinen und wie
er zum Schicksalsbaum sich ausweitet. Über dem nordischen Odhin
und über allen nordischen Göttern waltet als stärkere Macht das
Schicksal. Und wenn der alte Hildebrand im Hildebrandslied ausruft:
Weh nun, waltender Gott, Wehgeschick wird, so besagt das
doch auch, daß sich ein Wehgeschick erfüllt, das sogar der mächtigste
Gott nicht beschwören kann. Am Ende wird das Schicksal der einzige
Gott der Germanen. Daß im deutschen Nibelungenlied die Grundgesinnung
ganz heidnisch sei, daß aber im Unterschied von Homer
nicht die Götter, sondern nur das Schicksal die Menschen lenkt,
hat schon Goethe nicht ohne die Mißbilligung des Künstlers und
fast erschrocken festgestellt.
Aus den Beinamen und Eigentümlichkeiten von Tiu und
Wodan haben sich dann neue Gottheiten abgesondert. Diese erreichten
jedoch nie die Bedeutung des Hauptgottes und blieben
schattenhafter. Das religiöse Vollblut fließt nicht in ihren Adern,
sogar nicht in denen Balders. Wir müssen in der germanischen
Mythologie wie in denen der andern Völker diese Entwicklung annehmen:
zuerst eine Fülle der Götter, die neben- und ineinandergleiten
. Aus ihnen ballen und gestalten sich langsam die großen
Götter. Der Reichtum ihres Wesens wird dann wieder zum überfluß,
aus denen ein neuer Gott nach dem andern gerinnt. Ein
solches Zusammenziehen und Ausbreiten läßt sich in Dichtung und
Religion der Völker immer von neuem beobachten. Man denke
etwa an den Heiligenglauben, seine Entstehung und sein Aus- und
Ineinanderwogen. Eigentliche Sondergötter, wie es die Heiligen
des katholischen Volkes noch heute sind, und wie es ja viele römische
und litauische Götter waren, finden wir im Germanischen sehr
selten. Besonders die Geschichte von Frija, Tiu und Wodan zeigte
uns, wie die großen Gottheiten die andern aufsaugen und verdrängen
und wie sich aus ihnen wieder andere ablösen. Viel einfacher
ist die Geschichte des Donar.
Als Gesamtheit fühlen sich die Götter, wenn einem von ihnen
ein Unheil begegnet, dann eilen sie alle diesem zu Hilfe: wir
wissen, das ist ein altes Gesetz der Geisterwelt. Sonst entdecken
wir im Germanischen keinen Götterstaat. Wenige Götter wurden
im ganzen Deutschland verehrt, die meisten von Stämmen und
Stammverbänden. Die Götternamen auf den Weihsteinen stammen
vom Rhein, von der Pfalz bis hinab nach Holland, Friesland
und den friesischen Inseln, und aus England, also aus den von
den Römern besetzten Gebieten. Die meeranwohnenden Völker der
Ostsee verehrten die Nerthus, wandalische und ostgermanische
Stämme die Alcis. Das Hauptgebiet des Donar war Mitteldeutschland,
das Hauptgebiet des Tiu West- und Mitteldeutschland
und Schwaben, das des Wodan der Rhein und Niederdeutschland.
Aus Bayern haben wir die wenigsten alten mythischen Zeugnisse
. Man kannte dort weder den Donarstag, noch den Wodanstag
und statt Ziestag sagte man Ertag. Der stärkste religiöse
Kampf im Germanischen muß der Kampf von Wodan und Tiu um
die Herrschaft gewesen sein. Bei den Longobarden und Angelsachsen
war seit dem s. und 7. Jahrhundert Tiu bereits verdrängt.
Aber von diesem Kämpfen haben wir keine Nachricht, auch keinen
Niederschlag in Mythen.
Daß bestimmte Stände bestimmten Göttern huldigten, daß also
die germanischen Götter nicht nur örtliche, sondern auch soziale
Grenzen hatten, müssen wir annehmen. An den Göttinnen und
Müttern hängen die Soldaten, die Fischer, die Kaufleute. Donar
muß vor allem der Gott des Landmanns gewesen sein, Tiu und
Wodan erhoben sich früh ins Heroische, sie blieben in der Welt
der Könige und Helden.
In der germanischen Religion trafen wir an: den Ahnenkult,
kleine und rasche Götter, den Kult der Göttinnen, den Kult der
Erde, des Wachstums, des Himmels, die Riesen, die Götter von
Wetter und Gewitter, die Zauberer, große schöpferische Götter,
Zusammenballen und Auseinanderströmen mächtiger Gottheiten.
Lange und reiche Zeiten religiösen Lebens schließt diese Fülle in
sich, vor allem, wenn man sich erinnert, daß die verschiedenen
germanischen Stämme oft besondere Götter verehrten. Nach dem
Ausweis unsrer überlieferung sind die kleinen und raschen Götter,
der Kultus der Sonne als Gestirn, nicht als persönliche Gottheit
das Älteste. Die vielgeschäftigen, überall gegenwärtigen Göttinnen
werden in die Nachbarschaft dieser kleinen Kulturheroen, dieser
Elben, dieser Korngötter gehören. Wie stark heben sich von dieser
rastlosen kleinen Schar ab die große Mutter Erde, der große Vater
Himmel, der über Krieg und Schicksal waltende Gott, der Herr
von Wetter und Gewitter, die Jünglinge und Brüder, die vom
Himmel leuchtend den Menschen beschützen, der mächtige Führer
der Seelen, der große Meister des Zaubers, alles Wesen, wie es
scheint, einer ganz anderen Art und Herkunft!
Die starken Abweichungen der germanischen Sprache von den
urverwandten indogermanischen hat man dadurch erklärt, daß die
eindringenden Indogermanen die ganz andere Artikulation der
eingeborenen germanischen Völker annahmen. übertragen wir diese
Erklärung auf die Religionsgeschichte, so wären die kleinen Götter
die alten Gottheiten der eingeborenen Völker. Tiu, Nerthus,
Fjörgyn, Frija, Donar, Wodan, die Alcis wären die Götter der
eingewanderten Indogermanen. Diese gleichen den römischen,
griechischen, indischen Göttern, dem Jupiter, dem Merkur, dem
Mars, der Venus, dem Zeus, dem Hermes, dem Ares, den
Dioskuren, der Demeter, dem indischen Wetter- und Blitzgott
Sagenb. I. 8
Indra und den Aschwins in vielen Zügen, wurden aber auf germanischem
Boden germanisch artikuliert und zwar bei den verschiedenen
germanischen Stämmen die verschiedenen Götter in verschiedenem
Grade, wie ja auch die germanische Sprache bei den
verschiedenen germanischen Stämmen sich verschieden ausprägte.
Die bewußte und starke Umformung der indogermanischen Götter
in die germanischen geht sozusagen noch vor unsern Augen vor
sich. Die Anfänge der Entwicklung sind uns verborgen, aber ihre
Höhe, ihr intensives immer sich umgestaltendes Leben und später
auch ihr Ende, davon sind wir Zeugen. Uns scheint überhaupt,
daß man die Einwanderung der indogermanischen Götter nicht
in allzufrühe, altersgraue Zeiten zurückverlegen soll, uralte Götter
verändern ihr Antlitz nicht so stark, wie die germanischen es verändern.
Am wenigsten haben die Mutter Erde und die ihr verwandten
Gottheiten ihr Wesen verschoben. Die Alcis blieben nicht
ganz die alten himmlischen Gottheiten, sie neigten sich schon der
Erde und ihrer Fruchtbarkeit entgegen, ebenso wurde Frija mütterlicher
und frauenhafter. Tiu ist aus einem Gott des Himmels und
des Rechtes zu einem Gott des Krieges und des Schicksals geworden
und ist dann verdämmert. Die Kraft des Donar hat sich immer mächtiger
und lebendiger ausgeprägt — welche Frische zeigt gerade der
ihm geltende Glaube, die ihm geltende Dichtung! Wodan schwang sich
zum höchsten Gott erst in den Jahrhunderten der Völkerwanderung
auf. Er ist der Gott der wandernden und erobernden Stämme, daher
auch der Gott der Wikinger. In ihm reckten sich die dunklen Mächte
des Zauberwesens und die finstere Tragik des Heldentums neben
der elementaren Gewalt und der derben Siegesfreude des Donar
auf. Er gewann über das ungerührte Walten des Tiu die Herrschaft.
Wenn ein ewiges, ruheloses, nie sich vollendendes Werden
das Wesen der Deutschen bleibt, so erfüllt sich dies Wesen in der
Entwicklung von Wodan am klarsten und die Entwicklung Wodans
bleibt die deutscheste Entwicklung eines deutschen Gottes.
Von Einflüssen anderer Völker auf die Götter und Mythen
der Germanen konnten wir alles in allem nicht sehr viel beobachten.
Von den Kelten übernahmen einige benachbarte germanische
Stämme den Kult der Matres, wahrscheinlich, weil sie ja auch seit
langer Zeit viele Göttinnen kannten und verehrten. Doch dieser
Kult zog sich mit den Kelten zurück. Die Vorstellung vom Himmelsgott
als von einem einarmigen Gott, die Wandlung des
Himmelsgotts in den Kriegsgott mag durch ähnliche religiöse
Sagen und Vorstellungen bei den Kelten begünstigt sein, ebenso
die Eigenschaft des Odhin als rastloser Wanderer und andere
gelegentliche, in Schleswig-Holstein wahrnehmbare, örtlich begrenzte
Entlehnungen. Die römischen Götter, die den germanischen
entsprechen, vermischten ihr Wesen mit ihnen nicht. Wie verschieden
ist doch bei aller Verwandtschaft Tiu von Jupiter, Donar von
Herkules und Jupiter, Wodan von Merkur, Frija von Venus!
Die Götter der meeranwohnenden Stämme, Nerthus und ihre
Sippe, auch Balder haben in ihrer weichen Art, ihrer Fruchtbarkeit
und in einzelnen orgiastischen Zügen ihres Kultus, vielleicht
auch in ihrem doppelgeschlechtigen Wesen und in ihrer Geschwisterehe
manche Berührungen mit orientalischen Gottheiten. Berufenere
mögen entscheiden, ob die vielzitierten Phönizier oder andere
orientalische Handelsvölker neben ihren Waren auch ihre Götter
und Götterkulte zu den Germanen trugen oder ob diese übereinstimmung
sich aus verwandten Grundbedingungen erklärt. — Wie
es nicht anders sein kann, auf Schritt und Tritt finden wir noch
Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten mit dem Glauben primitiver
Völker alter und neuer Zeit, in der Verehrung von Vater Himmel,
Mutter Erde, von den Ahnen, von den Gottheiten des Wachstums,
in dem Glauben an die Magie, an die Erscheinungen und das Fortleben
des Menschen, in den Vorstellungen von Anfang und Ende
der Welt.
Aber die Welt der germanischen Götter bleibt immer eine Welt
für sich. Die Verehrung der Frau, die Stellung der Priesterin,
die Anbetung der Götter im heiligen Hain hat schon Tacitus als
eine Beziehung zum übersinnlichen empfunden, die nur die Germanen
fühlten. Welch anderes Volk kennt denn auch einen Gott
wie Donar, eine solche Mischung von Kraft und Güte, von
schöpferischer Freude und Sorge für das Leben der Sippe? Der
Indra der Inder, in seiner derben, polternden Kraft, seiner Siegesfreude,
seiner Herrschaft über Blitz und Donner ist dem germanischen
Donar gewiß ähnlich und die stolzen, unermüdlichen Kämpfer
und Halbgötter der Griechen, Herakles und Theseus, sind ihm bisweilen
ebenbürtig, aber allen fehlt das Treuherzige und das
schöpferische Vermögen des germanischen Volkes. Welches andere
Volk schmolz sein Gefühl oon Recht, Krieg, Schicksal und Herrschaft
und himmlischer Größe zu einer Schöpfung wie Tiu zusammen
, welches erhob den Führer der Seelen und mächtigen
Zauberer zu dem niebefriedigten Gott der Helden? Auch unsere
spärlichen Zeugnisse öffnen uns den Blick in eine Welt rastlosen
mächtigen Gestaltens und schöpferischer Fülle. Alle Stämme und
alle Stände wollen, wie es scheint, ihren besonderen Gott. Der
Kampf, viel weniger die Bitte um Segen und Gedeihen, ist das
Losungswort der großen germanischen Götter und ihrer Dichtung.
Schon die Schilderungen des Tacitus von den Göttern und
dem Gottesdienste unserer Vorfahren erfüllt eine tiefreligiöse und
künstlerische Weihe. Die wenigen uns erhaltenen Götterdichtungen,
die Sprüche und Sagen sind alle in ihrer Gestaltung stark und
original. Einige bleiben altertümlich, grotesk und großartig, wie
die Geschichte vom Himmelsgott, dem der Wolf den Arm abbeißt-
die Geschichte von den Wölfen, die hinter der Sonne herstürmen,
um sie zu verschlingen, die von den herumirrenden Gestirnen, denen
ein Gott den Weg weist, oder die Berichte von dem Gott, der
Augen und Zehen von Riesen als Sterne an den Himmel schleudert
, Ungeheuer aus dem Meer fischt und durchbläut und dem Riesen
seinen Hammer ablistet, den dieser gestohlen hat. Andere Dichtungen
erheben sich zu einer außerordentlichen künstlerischen Höhe in Klang
und Aufbau, in Kontrastierung und im dramatischen Leben, jene
oon uns charakterisierten Hymnen, Gebete und Zaubersprüche.
Die germanische Runenreihe, die auf das Gotische zurückführt,
und einige Sagen von Donar, die gotischer Herkunft scheinen,
machen es wahrscheinlich, daß die Goten wie die germanische
Heldendichtung, so auch die germanische Götterdichtung großen
Stiles schufen. Der Umgang mit antiken Völkern am Schwarzen
Meer und im Kaukasus wird nicht allein ihre bildende Kunst und
ihre Schrift befruchtet haben. Germanische Sagen vom gefesselten
Unhold haben ihre erste Heimat wohl im Kaukasus. Die großartige
Vision vom Kampf des Riesen und Gewittergottes, die Kontraste
vom bewegten und vom heiteren Himmel, von hellem und von dunklem
Sein, die mächtige, klare Schau über das irdische und überirdische
Leben und sein dumpfes Verklingen wurden uns Kennzeichen gotischer
Dichtung. Und ist nicht das Bild von den Göttern des Himmels
und des Lichtes, die im dunkeln Wald jäh das Unheil überfällt,
sind nicht die Spannungen, die lebhafte Charakteristik der beiden
Merseburger Sprüche wesensverwandte Schöpfungen?
Aber auch die alten Engländer hinterließen uns vor allem in ihren
Gebeten an die Mutter Erde großartige und innige Gedichte. Endlich
drang auch die Kunst und der Vortrag des antiken Mimus in die
Götterdichtung der Germanen. Wie erfreute und belustigte uns sein
Vortrag in dem Gedicht vom Hammer und der falschen Hochzeit
des Donar und in der Sage vom Namen der Longobarden!
Der Besitz, den wir aus der germanischen Götterwelt mühsam
uns retteten, bleibt von außen gesehen gering. Doch auch in seinen
wenigen Denkmälern erkennen wir eine Kunst und einen Glauben,
den in seinem unermüdlichen Ringen nur unsre Vorfahren gestalten
konnten. Einige Gipfel tauchen vor uns auf, mit weiten,
ahnungsschweren Blicken in das alte heilige Land unsrer Götter.
Zweiter Abschnitt
Der germanische Norden
(Vom 8. zum 13. Jahrhundert)
1. Die Überlieferung
Ein Vergleich der germanischen und der nordischen Aussagen
und Dichtungen von unsren alten Göttern kann uns fast
traurig stimmen, so viel reicher und großartiger ist der nordische
Besitz. Nicht nur die Zeugnisse der Geschichtschreiber und der
Missionare sind im Norden viel lebendiger und eingehender; welche
Schätze bergen für uns z. B. die Geschichtsbücher des Sato Grammaticus
, jenes dänischen Mönches aus dem 13. Jahrhundert, oder
die große Weltbeschreibung, die Heimskringla, des Isländer Snorri
aus der gleichen Zeit! Auch die isländische Saga, die älteste künstlerische
Prosa der Germanen, jene einzigen Schilderungen germanischen
Bauern- und Heldenlebens, führen uns von allen
Seiten, weniger in die hohe Götterwelt als in den Glauben, der
das ganze und tägliche Sein durchwaltet. Umgekehrt geben uns
die überkünstlichen Gedichte der Skalden einen Einblick in die
Götterverehrung am Hofe der Könige und sind Zeugnisse einer in
sich fest abgeschlossenen adeligen und priesterlichen Welt. Die
späteren Sagen, Bräuche, Märchen und die Berichte gelehrter Gewährsmänner
hängen mit der Vergangenheit des Landes organischer
zusammen als in Deutschland; Die Verbindung von alter
und neuer Zeit wurde im Norden nie so oft und so grausam durchschnitten
wie in Deutschland. Dazu ein überquellender Reichtum
von Ortsnamen, die auf die Verehrung der alten Götter weisen,
und die Edda! Mit Recht steht sie seit langer Zeit im Brennpunkt
der Forschung über unsere und über die nordische alte Götterwelt.
Edda heißt Poetik, Lehrbuch für Dichter. Der Name gebührt
eigentlich nur dem Buch des berühmten isländischen Gelehrten, Geschichtsforschers
und Dichters Snorri Sturluson (1178 bis
1241). Seine Edda war für den werdenden Kunstdichter, den
Skalden bestimmt. Die Poesie der Skalden kann nicht leben ohne
gelehrte Anspielungen und künstliche Vergleiche. Diese waren schon
im 13. Jahrhundert nicht leicht verständlich; weil sie vor allem
eine sehr genaue Kenntnis der alten Götter- und Heldensagen
voraussetzten, erzählte Snorri diese Sagen und erklärte gleichzeitig
die aus ihnen stammenden Vergleiche. Dabei nannte er die Namen
der Zwerge, der Riesen, der Götter, ihrer kostbaren Besitztümer usw.
Es gab z. B. eine Fülle von Benennungen für das Gold, es hieß
Sifs Haar, Otterbusse, erzwungene Gabe der Götter, das streitbringende
Erz, Fafnis Lager, Granis Bürde usw.; diese Benennungen
stammten teils aus der Göttersage (Sif war Thors Gattin)
, teils aus der Nibelungensage, das setzte Snorri im einzelnen,
indem er die Ereignisse der entsprechenden Sagen mitteilte, auseinander
.
Die Edda Snorris fügt sich aus verschiedenen Teilen zusammen;
sie heißen: die Skaldskaparmal (die Lehre von der Skaldenschaft);
der Name bedeutet also ungefähr dasselbe wie Edda), die Bragaroedhur
(die Erzählungen, die dem berühmten Dichter Bragi in den
Mund gelegt werden) und die Gylfaginning (die Geschichte von der
Verblendung des Königs Gylfi, der zu den Göttern kommt und
von ihnen die Geschichte vom Anfang und vom Ende der Welt und
von den einzelnen Göttern, ihrem Wesen und ihren Taten hört).
Snorri setzt in seine Darstellung oft Strophen ein, die er aus
einer Sammlung von Götterliedern nahm. Diese Sammlung war
lange verloren und wurde im Südwesten Islands im 17. Jahrhundert
(1643) von Bryniolf Sveinsson, einem Bischof,
entdeckt. Sie stammte aus dem 13. Jahrhundert und enthielt außer
den Götterliedern Heldenlieder. Der Bischof nannte sie, weil ihr
ein Name fehlte, wieder Edda, er hielt irrtümlich für ihren Verfasser
den Priester Saemund, weil dieser der berühmteste Gelehrte
des alten Island war. Unter Edda versteht man eigentlich
heute nur noch die zuletzt entdeckte Sammlung. Zum Unterschied
von der Edda Snorris (auch die jüngere Edda oder die prosaische
Edda genannt) heißt sie die ältere oder die Lieder Edda.
Den früheren Gelehrten bis tief in die Mitte des vorigen
Jahrhunderts galt jede Aussage aus dem Norden, ob sie nun aus
später oder früher Zeit stammt, eigentlich als gleich wertvoll.
Widersprach eine der anderen, so suchte man diese Widersprüche mit
allen Künsten fortzuerklären. Ziemlich unbekümmert setzte man auch,
einige Ausnahmen abgerechnet, das Nordische auf der ganzen Linie
dem Germanischen gleich und glaubte, daß es in völliger Abgeschiedenheit
von den Einwirkungen anderer Literaturen und Völker
sich gehalten habe, eine Blüte rein germanischen Wesens. Heute
sehen wir in dem nordischen Besitz ein Vermächtnis, zu dem die
verschiedensten Zeiten, Stände und Länder, vor allem aber der
Norden und seine Geistesgeschichte beitrugen. Wir betonen vielleicht
zu ausschließlich die bunte, zusammengesetzte und schillernde,
auch die literarische und unvolkstümliche Art mancher Aussagen.
Doch gerade die strenge Scheidung und die kritische Sichtung unsrer
Nachrichten, das Aufmerken auch auf leise Abweichungen und Varianten
, auf Einflüsse aus anderen Kulturströmungen hat uns den
nordischen Reichtum erstaunlich vermehrt und hat in die nordische
Geistesgeschichte eine Mannigfaltigkeit und eine Tiefe gebracht, die
frühere Generationen gar nicht ahnten und die sie in helles Entzücken
versetzt hätte. Die Grundlagen der Edda tauchen tief in
das germanische Altertum, ihre letzten Aufbauten ragen in den
Himmel des hohen Mittelalters. Ein halbes Jahrtausend hat an
diesen Liedern und Sagen geschaffen. In einem und dem gleichen
Gedichte, in einer und derselben Sage liegen oft Schichten verschiedener
Zeiten und verschiedener Kunst über- und nebeneinander.
Dieselbe Edda führt von der verkünstelten und geheimnisstolzen
Dichtung und von der Gelehrsamkeit der Skalden zu der großen
und klassischen Dichtung der Wikinger Zeit und zu der Menge
volkstümlichen Glaubens. Neben den germanischen werden in der
späteren Zeit antike und irische Elemente sichtbar, die jüngere Edda
verliert sich in die Fabelwelt, die seit dem 12. Jahrhundert das
ganze Mittelalter bedeckte, und mönchische und weltliche Gelehrsamkeit
mischen sich auch hinein. Eine ganz neue und besondere Verbindung
schließen im Norden die weltlichen und geistlichen Mächte,
die im Abendland vom 8. bis zum 13. Jahrhundert die Erde beherrschen
. Ortsnamen, archäologische Zeugnisse, verklingende überlieferungen
aus der Gegenwart ergänzen und berichtigen die Behauptungen
der Eddischen Gedichte und der Eddischen Sagen über
den Wert und die Geltung der Götter. Schließlich erkennen wir,
daß Dänemark, Schweden, Norwegen und Island, jedes Land
nach seiner Begabung, die alten Götter gehütet und gestaltet und
von ihnen Abschied genommen hat.
Wir müssen also bei jedem Zeugnis sorgsam prüfen, aus
welcher Zeit und aus welchem Land es wohl stammt, welchen
geistigen Einwirkungen es ausgesetzt war, unter dem Zeichen
welchen Stiles und welcher Auffassung es steht, ob es dem Volke
oder ob es den höheren Ständen gehörte. Wirklich können wir
die höchsten Götter, z. B. Odhin, durch einen seltsamen Reichtum
religiösen Glaubens und künstlerischer Gestaltung aller nordischen
Länder und Zeiten führen und gewinnen immer neue Einblicke in
eine unablässig bewegte, bunte tiefe, heroische und gelehrte
Welt. Natürlich geraten wir auch auf dem nordischen Wege an
manche dunkle und leere Strecke, sei es, daß unsre Kunde versagt
—denn nicht alle Länder und Zeiten und Stände haben reiche oder
auch nur leidlich gute überlieferungen —, sei es, daß den starken
Ungleichmäßigkeiten unserer überlieferung starke Ungleichmäßigkeiten
der Forschung entsprechen. Oft haben wir auch mit Widersprüchen,
Dunkelheiten und irreführenden Angaben unsrer überlieferung
zu kämpfen. Die Wissenschaft von der nordischen Mythologie
steht aber in einem blühenden und gerade in den letzten
Jahrzehnten reich und hoffnungsvoll entwickelten Leben und ist
noch lange nicht an ihrem Ende.
In unsrem Sinne liegt es nun nicht, die nordischen Ausformungen
in alle ihre Einzelheiten zu verfolgen. Selbst wenn
wir das wollten, wären wir dazu kaum imstande. An solche Unternehmung
dürfen sich nur nordische Gelehrte wagen. Eine fortlaufende
Gegenüberstellung von nordischen und germanischen Aussagen
und Dichtungen, damit die einen die andern beleuchten und
erklären, damit aber auch jede ihren besonderen Wert und ihre
besondere Form zeige, das bleibt unser Ziel, an das wir an dieser
Stelle noch einmal erinnern wollen. Die Methode, die Goethe
die Methode der wechselseitigen Spiegelung nannte, versuchen wir
auf unsere germanische und nordische Welt zu übertragen.
2. Der Himmelsgott
Der alte Himmelsgott Tiu erschien bei den Sachsen und Friesen
vor allem als ein Gott des Krieges und des Rechts. Mars Thingsus
nannte ihn die alte Inschrift am Hadrianswall, Sahsnot das altsächsische
Taufgelöbnis. Als Gott des Krieges und des Rechtes verehrten
ihn auch die alten Engländer und dann die Nordleute, er
hieß bei ihnen Ty (Tyr). Der Glaube an ihn und sein Ansehen
hatte im Volk und im Leben der Krieger noch viele Wurzeln, besonders
in Dänemark: dort hieß Ty der Gott des Thingfriedens
und die Namen oon Seen und Wäldern waren mit dem Namen
von Ty zusammengesetzt. In Island trugen viele Blumen den
Namen von Ty, in Norwegen erscheinen die Namen mit Ty selten.
Die Iren nannten die Heerfahrten der Wikinger diberc, das ist
wohl tyverk, Werke des Ty. Im 16. Jahrhundert hieß in England
der Kehrreim eines Liedes, das man zur Erinnerung an die
Schlacht von Flodden sang, in der die Engländer über die Schotten
siegten: Teer yebus (das ist Tyr haeb, habe) us (uns), ye Teer ye Odhin.
Alle Aussagen der Edda über Ty zeigen, daß er der alte
Kriegsgott war. Keiner kann sich mit seiner Tapferkeit messen,
wer siegen wollte, ritzte Runen auf das Heft, die Blutrinne und
die blanke Spitze des Speeres und rief den Namen des Ty zweimal
an. Snorri gibt ihm die Entscheidung über die Schlachten,
Loki wirft ihm inder Lokasenna nicht wie den andern Göttern
Feigheit, er wirft ihm nur Streitsucht vor, denn weil sein Wesen
der Krieg war, mußte er den Krieg immer von neuem entfachen.
Als alle Götter verzagen, legt Ty seine Hand in den Rachen des
Fenriswolfes. Tys Weisheit — das ist wohl seine Rechtskunde —
wird von Snorri lebhaft gepriesen.
Im Norden wurde die alte von uns behandelte Sage von
dem Himmelsgott, dem der Sonnenwolf den Arm abbiß, das
Thema eines Liedes (etwa im 11. Jahrhundert n. Chr. ?). Dies
ist uns verloren, Snorri aber hat es gekannt und in Prosa aufgelöst
; er erzählt:
Den Wolf zogen die Asen bei sich auf und Ty allein hatte den Mut,
hinzugehen und ihm Speise zu geben. Aber als die Götter sahen, wie
sehr er wuchs jeden Tag, und als alle Prophezeiungen sagten, daß er
ihnen zum Verderben bestimmt war, da faßten sie einen Entschluß: sie
machten eine recht starke Fessel, die sie Laedhing nannten, und sie trugen
sie zum Wolf und baten ihn, seine Kraft an der Fessel zu erproben.
Aber der Wolf dachte bei sich, das sei keine überkraft (was sie ihm zumuteten
muteten), und ließ sie mit sich tun, was sie wollten, und das erste Mal,
daß er sich dagegen stemmte, brach diese Fessel, und so löste er sich von
Laedhing. Danach machten die Asen eine andere doppelt so starke Fessel,
die nannten sie Dromi und baten den Wolf, sich auch an dieser Fessel
zu erproben, und erzählten ihm, er werde von seiner Kraft sehr berühmt
werden, wenn ein so fest geschmiedetes Band ihn nicht halten könnte.
Aber der Wolf überlegte, daß diese Fessel sehr stark war, und überlegte
dabei, daß ihm die Kraft gewachsen war, seit er zerriß Laedhing,
es kam ihm auch in den Sinn, daß er sich schon in eine Gefahr begeben
müßte, wenn er berühmt werden wollte, und er ließ an sich legen die
Fessel. Als nun die Asen sagten, sie seien fertig, da schüttelte sich der
Wolf, warf die Fessel auf die Erde, schlug um sich, stemmte sich dagegen:
da riß sie derart, daß die Stücke weit davonflogen. So befreite er sich
von Dromi. Davon hat sich die Redeweise gebildet, daß Lösung aus
Laedhing oder Befreiung von Dromi ein Unternehmen heißt, das man
nur mit gewaltiger Anstrengung durchsetzt. — Nun schickt Odhin den
Sendboten Freys, den Skirni, zu den Zwergen, die eine Fessel verfertigen,
die Gleipni heißt. " Sie war gemacht aus sechs Dingen, aus
dem Lärm der Katze, dem Bart der Frau, den Wurzeln des Berges,
den Sehnen des Bären, dem Atem des Fisches und dem Speichel des
Vogels. Und obwohl du von dieser Kunde vorher nichts wußtest, kannst
du doch untrügliche Beweise finden, daß du nicht angelogen wirst. Du
hast wohl gesehen, daß eine Frau keinen Bart hat und dah kein Lärm
entsteht vom Lauf der Katze und daß es keine Wurzeln gibt unter
einem Berge, aber bei meiner Treu, alles was ich dir sagte, ist eines
ebenso wahr wie das andere, wenn es auch manche Dinge sind, die du
nicht entscheiden kannst." . . . . Die Fessel sah glatt und weich wie ein
Seidenfaden aus. Die Götter dankten ihrem Boten und nun gingen
sie zu dem Wasser, das Amswartni und auf die Insel darin, die Lyngwi
genannt wird, und sie riefen den Wolf zu sich, zeigten ihm das
Seidenband und baten ihn, es zu zerreißen, und sagten ihm, es sei etwas
fester, als man es dem Anscheine nach, wegen seiner Dickheit, denken
müßte, und es gab jeder dem andern, und sie versuchten es mit der Kraft
ihrer Hände, doch es zerriß nicht. Aber der Wolf, sagten sie, würde es
zerreißen. Der Wolf antwortete: " So scheint es mir mit dieser Schnur,
als ob ich keinen Ruhm davon gewinnen werde, wenn ich ein so schmales
Band zerreiße, doch wenn es mit List und Trug gemacht ist, obgleich es
schmal scheint, dann kommt das Band nicht an meine Füße." Die Asen
sagten, daß er doch rasch zerreißen werde ein so schmales Seidenband,
nachdem er vorher zerriß dicke Eisenfesseln —
" aber wenn du das Band
nicht in Stücke bekommst, so kannst du die Götter doch nicht in Furcht
setzen, wir werden dich dann lösen" . Der Wolf sagt: " Wenn ihr mich so
bindet, daß ich mich nicht los bekomme, dann werdet ihr denken, daß
ich lange warten kann, bis ich von euch Hilfe erhalte. Ich habe gar keine
Lust, dies Band an mich legen zu lassen. Doch bevor ihr mir Feigheit
vorwerft, da lege doch einer von euch seine Hand mir in den Rachen,
zum Pfande, daß ihr ohne Falsch handelt." Nun sah jeder der Asen
den andern an, und sie glaubten, hier gebe es zwei übel, und keiner
wollte seine Hand ausliefern, bis Ty vorstreckte seine rechte Hand und er
legte sie in des Wolfes Rachen. Da nahmen sie den Teil der Fessel, der
Gelgja heißt, und zogen ihn durch einen großen Stein, der heißt Gjöll,
und warfen den Stein tief in die Erde, dann nahmen sie einen großen
Stein, der Thwiti heißt, und schleuderten ihn noch tiefer in die Erde
und benutzten den Stein als Pflock. Als nun die Asen sahen, daß der
Wolf ganz gebunden war — als er sich dagegen stemmte, härtete sich
das Band, und je heftiger er sich herumwarf, um so tiefer schnitt das
Band ein — da lachten alle außer Ty, der ließ da seine Hand. Der
Wolf riß gewaltig seinen Rachen auf und schnappte wild um sich und
wollte sie Beißen. Da stießen sie ihm ein Schwert in den Rachen, so
daß der Griff am unteren Gaumen, die Spitze am oberen Gaumen
feststand, das ist seine Gaumensperre. Er heult unheilverkündend, und
Geister strömt aus seinem Rachen, das ist der Fluß, der Wamm heißt.
Dort liegt er bis zur Götterdämmerung.
Das Motiv von dem abgebissenen Arm tritt in diesem Bericht
ganz in den Hintergrund. Den Erzähler interessiert vor allem
die Fesselung des Wolfes. Dies ist eine Geschichte für sich: der
Unhold wird gefesselt, damit er am Ende der Welt nicht die
Sonne verschlinge oder die Erde zerstöre, — sie ist aber der Geschichte
von dem Unhold, der die Sonne verfolgt und dem
Himmelsgott den Arm raubt, verwandt und gliedert sich ihr
leicht an.
Im Kaukasus und in Rußland blieb uns nun ein Märchen
von einem Unhold erhalten, den ein Gott mit einer Schnur bindet,
die dünn und schmal aussieht und die sich in ein unzerreißbares
Band verwandelt. Bei den Litauern, Slawen und Deutschen erzählt
ferner ein Märchen, dem biblischen von Simson gleichend,
von einem Burschen, der zuerst die stärksten Fesseln zerreißt und
von einer verräterischen Mutter oder Schwester schließlich mit einer
Seidenschnur, einem zarten dünnen Faden oder einem Frauenhaar
für immer gebunden wird. Diese beiden Märchen haben
Snorris Geschichte von der Fesselung des Wolfes ausgeschmückt.
Das fesselnde Band selbst war eigentlich wohl ein Haar. Die
magische Kraft des Haares haben die Germanen, wie wir schon
öfter erfuhren, gleich manchen andern Völkern gefürchtet. Bei
Snorri besteht die Fessel aus vielen unmöglichen Dingen und
das Starke und Zarte ist darin geistreich verbunden. In solchem
Spiel der Gedanken ergehen sich der volkstümliche Zauberspruch
und der volkstümliche Rätselwitz seit alten Zeiten gern. Vielleicht
erfand der Geist und Witz der Antike diese Spiele zuerst. Es kann
sein, daß Snorri mit diesem Märchenunsinn auch den Aberglauben
und den Talismankult seiner Zeit verspotten wollte. Diese hatten
sich im Island des Mittelalters recht lebhaft entwickelt.
Die Gaumensperre des Wolfes endlich ist aus der Vorstellung
gewachsen, die uns namentlich in den Erzählungen serbischer und
sibirischer Völker begegnete und die wir als die alte Vorstellung
oon der alles verschlingenden Nacht auffaßten, die aus dem weitgeöffneten
Rachen alle verschlungenen Wesen heil herausläßt (S. 92).
Uns fällt auf, daß die Erweiterungen und Bereicherungen der
Fesselungsgeschichte vor allem in den Märchenschätzen des Ostens
und des europäischen Südostens ihre Parallele haben. Geriet die
Fenriswolfgeschichte schon in den Jahrhunderten in das Durcheinander
und in die Fülle, in denen die Goten am Gestade des
Schwarzen Meeres saßen? Oder, und das ist uns wahrscheinlicher,
sind diese übereinstimmungen ein Echo der Fahrten und Taten, die
im 10. und in folgenden Jahrhunderten die Wikinger tief in das
weite Rußland führten?
Im Nordischen haben sich alle diese Elemente zu einem neuen
kunstvollen Gebilde zusammengeschlossen. In dem Bericht Snorris
sind die alten mythischen Grundlagen der Fesselung des Unholds
und der Verstümmelung des Gottes allerdings ganz vergessen.
Dafür bilden die bange Furcht der Götter vor dem letzten Ende,
der Wettkampf der List mit der Überlistung, lustige, geistreiche
Ironie, Freude am Erzählen und mythische Belehrung ein sehr
lebendig vorgetragenes Ganze. Die Geschichte ist ein Meisterstück
aus der jüngeren Edda. Ihr Aufbau ist, wie wir noch sehen
werden, dem Aufbau der Geschichte von Balder verwandt. Die
Fesselung Fenris und der Tod Balders geschehen im Beisein aller,
zuerst in übermütiger Sicherheit sich wiegender, dann furchtsam
verlegener Götter, die stärkste Waffe verletzt den Balder nicht,
und der Wolf zerreißt leicht auch die stärkste Fessel, bis der schmale
Zauberfäden, den die Zwerge für die Götter schufen, den Wolf
bindet bis ans Ende der Tage, und bis ein schmaler Mistelzweig,
den Frigg übersah und den Loki durch eine List erfragte, den
strahlenden Gott niederstreckt.
Aus dem Anfang der germanischen Götterwelt werden wir
durch diese Erzählungen plötzlich an ihr Ende versetzt. Die nordischen
Götter stehen dicht vor ihrer Entthronung. unheilkündende
Vorzeichen drohen den alten Gewalten, durch List und Betrug
suchen sie ihrer Feinde Herr zu werden, aber gerade durch ihre
unrechten Taten verstricken sie sich nur unlösbarer in ihre Schuld.
Wohl gewinnen sie noch einmal eine kurze Frist, doch der Wolf
öffnet riesenweit seinen Rachen und alle Feinde, nun noch gebunden
, werden bald über die Götter stürzen und sie vernichten.
Eine neue mächtige Religion steht vor der Tür: das Christentum
Balder, der Leuchtende, war nach unsrer Auffassung eigentlich
ein Name des Himmelsgottes. Schon den Germanen erschien
der "Leuchtende" als ein eigener Gott und sie feierten den Glanz,
die Güte und den strengen rechtlichen Sinn des Himmelsherrn.
Balder blieb wie im Merseburger Zauberspruch in der Gemeinschaft
der Götter des Lichts und der Fülle. Sie alle wandten ihm
ihre Liebe zu, ihnen voran Frija, die Himmelsgöttin. Als Wodan
der Erste der germanischen Götter wurde, zog er auch den Liebling
aller Götter in seine Nähe, er ließ seine Zauberkunst walten,
um ihn vor Schaden zu bewahren. Im Altenglischen erscheint
Balder als Wodans Sohn, das ist er auch im Nordischen geblieben.
Auf diesen germanischen Voraussetzungen beruhen die nordischen
Aussagen über Balder, sie sind ihre organische Weiterbildung.
Dem Balder gebührte, wie die mit ihm zusammengesetzten Ortsnamen
zeigen, ein reicher und gleichmäßiger Kult. Snorri charakterisiert
den Gott so: " von ihm ist Gutes zu sagen, er ist der Beste
und ihn loben alle; er ist so schön von Antlitz und strahlend, daß
es leuchtet oon ihm und keine Blume ist so weiß, daß sie gleicht
Balders Braue, die ist aller Blume weißeste und darnach kannst
du ermessen seine Schönheit an Haar und an Leib. Er ist der
weißeste der Asen und der am schönsten Redende und der Gütigste.
Aber die Eigenschaft folgt ihm, daß kein Urteil von ihm fehlbar
sein kann. Er wohnt dort, wo es heißt Breidablik, das ist
im Himmel, an der Stätte darf nichts Unreines weilen."
Die Blume, die den schönen Namen Balders brä, Balders Braue
trägt, ist die Hundskamille. Der Name ist eine Übertragung des
lateinischen oculus solis, man vergleiche auch noch das englische
daisy aus days eye, Tages Auge. Die gelbe Blütenscheibe ist
die Sonne, die weißen Blütenblättchen die Sonnenstrahlen. Durch
diesen Blumennamen gewinnen wir also ein neues Zeugnis, daß
Balder den Germanen als Himmelsgott galt.
Alle Sorge und Liebe der Götter für Balder kann nicht verhüten,
daß er ihnen getötet wird. Die Geschichte seines Todes erzählt
Snorri nider jüngeren Edda.
Das ist der Anfang dieser Sage, daß Balder, der Gute, träumte
schwere und unheilverkündende Träume von seinem Tod. Aber als er
erzählte den Asen die Träume, da trugen sie zusammen ihre Ratschläge,
und es geschah nun, daß sie für Balder Schutz verlangten vor jeder
Nachstellung und Frigg nahm Eide an, derart, daß den Balder schonen
sollte Feuer und Wasser, Eisen und alles Erz, Steine, Erde, Hölzer,
Krankheiten, Tiere, Bögel, Giftschlangen. Und als das geschehen und bekannt
war, da war das eine Kurzweil Balders und der Asen, daß er
aufrecht stehen mußte am Thing, und von den andern Asen sollten die
nach ihm schießen, die nach ihm schlagen, die ihn mit Steinen werfen;
aber was auch geschah, ihm schadete nichts, und das schien allen ein
großer Vorzug. Doch als das sah Loki, der Sohn der Laufey, gefiel es
ihm schlecht. Er ging nach Fensalir zu Frigg und verbarg sich in eines
Weibes Gestalt. Da fragte Frigg diese Frau, ob sie auch wisse, was die
Asen vorhätten am Thing? Sie sagte, daß alle schössen nach Balder,
und dazu das, daß ihm nichts etwas schade. Da sprach Frigg: "Nicht
werden Waffen oder Hölzer schaden dem Balder, Eide habe ich empfangen
von ihnen allen." Da fragt die Frau: "Haben alle Dinge dir
Eide geschworen, den Balder zu schonen?" Da antwortet Frigg: "Es
wächst ein Baumzweig im Westen Walhalls, der wird Mistelzweig genannt
, der schien mir zu jung, um den Eid zu fordern." Da ging die
Frau gleich fort, aber Loki nahm den Mistelzweig und brach ihn und
eilte zum Thing. Aber Hödh stand abseits vom Kreis der Männer, denn
er war blind. Da sprach Loki mit ihm: "Warum schießt du nicht nach
Balder?" Er antwortet: "Weil ich nicht sehe, wo Balder ist, und außerdem
, weil ich waffenlos bin." Da sprach Loki: "Mache es doch wie die
andern und erweise dem Balder Ehre wie die andern. Ich will es dir
dahin lenken, wo er steht, schieße nach ihm mit dieser Gerte." Hödh
nahm den Mistelzweig und schoß nach Balder, wie Loki lenkte, da flog
das Geschoß durch ihn, und es fiel Balder tot zur Erde, und das ist der
größte Unheilschuß gewesen unter Göttern und Menschen. Als nun
Balder gefallen war, da entsank allen Asen die Sprache und auch die
Hände sanken, die ihn halten wollten, jeder sah den andern an, und es
waren alle eines Sinnes gegen den, der diese Tat ausgeführt. Aber
keiner durfte sie rächen, es war dort eine so große Friedensstätte. Und
als da die Asen versuchten zu sprechen, da ging das vor, daß die Tränen
entstanden, denn keiner konnte dem andern sagen mit Worten etwas
von seinem Leid. Doch Odhin trug darum am schwersten an diesem
Schaden, weil er die tiefste Einsicht besaß, welcher Verlust und Einbuße
den Asen geschah mit Balders Fall. Doch als die Götter wieder zu sich
kamen, da sprach Frigg und fragte, wer unter den Asen der wäre, der
gewinnen wollte ihre ganze Huld und Liebe, und ob er auf den Weg
zur Hölle reiten und versuchen wollte, eine Begegnung mit Balder zu
erlangen und der Hel Lösegeld zu bieten, ob sie Balder wieder heimfahren
ließe nach Asgard. Aber der heißt Hermodh, der Kühne, der
Sohn Odhins, der zu dieser Fahrt bereit war. Da ward genommen
Sleipni, der Hengst Odhins, und vorgeführt und es stieg Hermodh auf
den Hengst und sprengte davon.Aber die Asen nahmen Balders Leiche und brachten sie ans Meer.
Hringhorni hieß das Schiff Balders, es war aller Schiffe größtes, dies
wollten die Götter ins Meer stoßen und darauf die Brandfahrt Balders
bereiten. Doch das Schiff rührte sich nicht. Da wurde nach dem Riesenheim
l. 9
gesandt, nach der Riesin, die Hyrrokkin heißt. Als sie nun kam und
sie ritt auf einem Wolf und hatte Schlangen als Zaume, da sprang
sie von ihrem Reittier, aber Odhin rief nach vier Berserkern, damit sie
dies Tier festhielten, doch sie bekamen keine Gewalt darüber, bis sie
auf den Boden warfen. Da ging Hyrrokkin an den Vordersteven des
Schiffes und stieß es beim ersten Anstemmen voran, so daß aus den
Rollen das Feuer sprang und alle Länder erbebten. Da geriet Thor in
seinen Zorn und ergriff den Hammer und hätte ihr am liebsten das
Haupt zerschlagen, doch alle Götter erbaten für sie Schutz. Nun wurde
auf das Schiff herausgetragen die Leiche Balders, aber als das sah sein
Weib, Nanna, die Tochter Reps, da zersprang sie vor Schmerz und
starb. Sie wurde auf den Scheiterhaufen getragen, und das Feuer lohte
um sie. Da stand Thor dabei und weihte den Scheiterhaufen mit Mjöllni,
und ihm vor die Füße rannte ein Zwerg, der Lit genannt wird,
aber Thor trat mit seinem Fuß nach ihm und stieß ihn ins Feuer, und
er verbrannte. Diese Verbrennung besuchten mancherlei Leute, zuerst
ist zu erzählen von Odhin, daß mit ihm Frigg fuhr und die Walküren
und seine Raben, aber Frey fuhr in einem Wagen mit dem Eber, der
Gullinbursti heißt oder Slidhrugtanni, aber Heimdall ritt auf dem
Hengst, der Gulltopp heißt, aber Freyja kam mit ihren Katzen. Dahin
kam auch eine große Menge Reifriesen und Bergriesen. Odhin legte auf
den Scheiterhaufen den Goldring, der Draupni heißt. Er besaß die Eigenschaft,
daß jede neunte Nacht abtropften von ihm acht ebenso schwere
Ringe. Der Hengst Balders wurde auf den Scheiterhaufen geführt mit
Sattel und Zaumzeug.
Aber das ist zu sagen von Hermodh, daß er ritt neun Nächte durch
dunkle Täler und tiefe, so daß er nichts sah, bis er an den Fluß Ejan
kam und über die Gjallbrücke ritt, die ist bedeckt mit leuchtendem Golde.
Modhgudh heißt die Jungfrau, die an der Brücke wacht, sie fragte ihn
nach Namen und Herkunft und sagte, daß den Tag vorher fünfhundert
gestorbene Männer ritten über die Brücke: " aber nicht dröhnt die Brücke
weniger unter dir allein und du hast nicht die bleiche Farbe toter Männer,
warum reitest du nun hin, auf den Weg zur Hölle?" Er antwortet:
Ich soll reiten zur Hölle und suchen Balder, oder hast du vielleicht gesehen
Balder auf dem Weg zur Hölle?" Sie sagt, daß Balder geritten
wäre über die Gjallbrücke, aber da unten und nach Norden liegt der
Weg zur Hölle. Hermodh ritt dorthin, bis er ans Höllentor kam. Da
stieg er vom Hengst und zog den Sattelgurt fester, stieg hinauf und
gab ihm die Sporen. Aber der Hengst setzte über das Tor weg,
daß er es nirgends mit den Hufen streifte. Da ritt Hermodh bis zur
Halle und stieg vom Pferd, ging hinein in die Halle, sah sitzen auf dem
Hochsitz Balder, seinen Bruder, und es blieb Hermodh die Nacht dort.
Am Morgen bat er die Hel, daß Balder heimreiten dürfe mit ihm,
und er sagte, wie groß die Klage war bei den Asen. Doch Hel sagte,
daß sie das erproben wollte, ob den Balder alle liebten so sehnsüchtig,
wie sie es sagten, und wenn alle Dinge der Welt, lebende und tote,
nach ihm weinen, dann soll er zurückkehren zu den Asen, aber bleiben
bei der Hel, wenn jemand dagegen spricht oder nicht weinen will. Da
stand Hermodh auf, und Balder führte ihn hinaus aus der Halle und
nahm den Ring Draupni und sandte ihn dem Odhin zur Minne, aber
Nanna sandte der Frigg ein Kopftuch und andere Gaben, der Fulla
einen Goldring. Da ritt Hermodh seinen Weg zurück und kam nach
Asgard und sagte von allen Dingen, die er gesehen hatte oder gehört.
Nun schickten die Asen über alle Welt gleich Botschaft, um zu bitten,
daß Balder aus der Hölle geweint würde, und alle taten das, Menschen
und die Tiere und Erde und Steine und Bäume und alles Erz, wie
du gesehen haben wirst, daß diese Dinge weinen, wenn sie aus dem
Frost kommen und in die Hitze. Als die Boten heimführen und gut
ausgerichtet hatten ihren Auftrag, da kamen sie an eine Höhle, in der
eine Riesin satz, die hieß Thökk. Sie bitten sie, Balder aus der Hölle
zu weinen, sie antwortet: "Thökk wird beweinen mit trockenen Tränen
Balders Verbrennung. Nicht lebend noch tot freute mich des Alten (des
Odhin) Sohn, behalte Hel, was sie hat." Aber das vermuten die Menschen
, daß dies Loki, der Sohn der Laufey, gewesen ist, der die schlechtesten
Taten getan hat unter den Asen.
Snorri erzählt nacheinander, indem er den Inhalt von Liedern
wiedergibt, die uns verloren sind, von Balders Tod, Balders Bestattung
, Balders versuchter Erlösung. Die Geschichte von Balders
versuchter Erlösung hat keine mythische Bedeutung. Der Glaube
an Balders Wiederkehr war wohl alt, aber das Lied von der
versuchten Erlösung ist erst im 12. Jahrhundert von andern Dichtern
erwähnt. Das Ganze ist eine bewußte Wiederholung der
Hauptmotive des Liedes von Balders Tod. Alle Dinge wollen
Balder schonen, ebenso wollen alle Dinge ihn aus der Hölle losweinen,
Loki holt den Mistelzweig, der Balder tötet, ebenso will
Loki an dem Weinen aller nicht teilnehmen. Er bringt den Balder
zur Hölle, und er sorgt dafür, daß er dort bleibt. Das Weinen
um Balder ist vielleicht ein altes kultisches Gebot. — Außerdem
erkennen wir in unserem Liede Einflüsse anderer Höllenfahrtslieder.
Die isländische Dichtung des 11. und 12. Jahrhunderts gefiel sich
ja darin, solche Höllenfahrten auszumalen. Das Bild von Hermodh,
dessen Pferd, als es hinübersetzt, mit seinen Hufen nirgends das
Höllengitter streift, vergißt sich so leicht nicht, ebensowenig der
Eindruck von Balder und seinen fünfhundert Begleitern, die nicht
lauter über die Brücke reiten als Hermodh allein.
Hermodh, der im Heer Mutige, war eigentlich ein Beiname
Odhins. Später ist ein eigener Gott, Odhins Sohn, daraus geworden
, den wegen seines Heldensinns alle rühmen. Der Ritt nach
der Hölle gebührt ursprünglich dem Vater der Götter selbst, der in
einem späten Eddaliede, auch als den Balder böse Träume quälen,
zu einer Seherin reitet und sich von ihr das Schicksal des geliebten
Sohnes künden läßt: sie war lange tot, vom Schnee beschneit,
vom Tau benetzt, vom Regen gepeitscht, ohne daß sie es fühlte, der
Gott erweckt sie, indem er den Leichenzauber singt, bis den Lippen
noch einmal Weissagungen entströmen.
Die Wöluspa und andere Gedichte der Edda kennen noch nicht
den Ritt zur Hölle und die Bitte um Balders Erlösung, sie
sprechen nach Balders Tod sofort von Balders Rache: Wali,
Balders Bruder, ward früh geboren, eine Nacht alt begann er zu
kämpfen, und er kämmte nicht das Haar, er wusch nicht die Hände
— das ist ein uraltes Gelübde des Rächers — bis er Balders
Mörder auf den Scheiterhaufen brachte. Erst nach langer Zeit,
nach dem Ende der Götter, und in eine neue bessere Welt kommt
Balder zurück. Das war die ältere Ansicht, die Wikinger verlangten
nach dem Tod Balders vor allem die Rache. Das 12. Jahrhundert
verwandelte diesen heroischen Hergang in Romantik und Melancholie.
Balders Bestattung im Beisein aller Götter war auch, neben
andern mythischen Szenen, an den getäfelten Wänden und Dach-Brettern
eines Festhauses dargestellt und darnach von einem
Skalden gegen Ende des 10. Jahrhunderts geschildert (von Ulf
Uggason in der Husdrapa). Diese Schilderung hat Snorri gekannt,
und er hat sich genau an sie angeschlossen. Ihr Stil unterscheidet
sich deutlich von dem Stil des Berichts von Balders Tod
und oon Balders Wiederkehr und sie ist ja auch etwas gewaltsam
zwischen beide Berichte geschoben. Keine Rede und Gegenrede, dafür
die prunkvolle Ausmalung einer Leichenfeier mit viel Sinn
für das Dekorative. Die Bestattung Balders gleicht der Bestattung
eines Wikingerkönigs, alle Götter mit ihren Tieren, und
Riesen und Zwerge und Berserker und Riesinnen auf seltsamen
Reittieren geben dem geliebten Gotte das letzte Geleit. Man glaubt
sich in die groteske und phantastische Pracht irischer Schildereien
versetzt. Der Wolf der Riesin, von Berserkern niedergeworfen, das
Schiff, vom Fuß der Riesin in die Fluten gestoßen, daß aus den
Rollen das Feuer lodert, der bleiche Zwerg, den Thor in die helle
Flamme des Scheiterhaufens schleudert — welche Bilder!
Das Entfachen der Flammen, ursprünglich wohl durch Wodan,
die Weihung der Flammen durch Donar (S. 44), die Beisetzung
eines Fürsten mit seiner kostbaren Habe, das sind wohl die germanischen
Keime dieser Szene.
Balder wird durch einen Mistelzweig getötet. Den Mistelzweig
nennt die Wöluspa einen B aum, der schmächtig aussah, das ist
eine etwas seltsame, kaum aus eigener Wahrnehmung stammende
Benennung für diesen schlanken schmalen Zweig. Und daß er zur
Todeswaffe wird, konnte auch nur ein Dichter sich ersinnen, der
die Mistel nicht gesehen, ein isländischer Dichter; denn in Norwegen
und überall, wo man die Mistel kennt, ist sie, die grünt
und blüht, wenn die ganze Natur erstarb, ein Symbol des Lebens
und gilt als fruchtbringend und heilkräftig.
In einer isländischen Sage, die verdunkelte Erinnerungen von
Balders Tod und Rache weiterträgt, heißt das verhängnisvolle
schlanke und leuchtende Schwert Mistiltein (Mistelzweig), Vergleiche
derart liebte die alte nordische Dichtung. Nun erklären sich
die Seltsamkeiten vom Mistelzweig in der Edda: er ist nichts als
ein Mißverständnis der Dichter, die den Beinamen Mistelzweig für
einen wirklichen Mistelzweig hielten. In einer älteren Fassung der
Sage von Balders Tod wurde Balder also durch ein Schwert
getötet und dieser Tod wurde gerächt. Diese ältere Fassung wollen
wir später noch genauer zu bestimmen suchen.
Aus dem Motiv von Mistelzweig als Todeswaffe gebar
sich dann eine Poesie ohnegleichen. Durch dies Mißverständnis kam
der Kontrast —; wir sahen einen ähnlichen in der Sage vom
Fenriswolf — in die Baldersage: ein unscheinbares, schmächtiges
Ding verwandelt sich plötzlich in eine furchtbare Todeswaffe. Die
isländische Dichtung malt sich derlei noch öfter aus. Loki, Balders
tückischer Feind, wurde zum Beispiel mit Wolfsdärmen gebunden,
und diese wurden auf einmal schneidendes Eisen. — Als Odhin
ferner den König Wikar als Opfer verlangt, steigt Starkadh auf
einen hohen Block, biegt den schmalen Zweig einer Föhre herab
und knüpft Kalbsdärme daran; der Galgen könne doch nicht gefährlich
sein. Dem König ahnt Böses, er steigt aber auf den Block
und legt den Hals in die Schlinge. Starkadh nimmt einen Rohrstengel
, den ihm sein Pflegevater Odhin in der Nacht gegeben,
stößt ihn nach dem König und spricht: "Nun weihe ich dich dem
Odhin." Dann läßt er den Föhrenzweig los. Da wurde der Rohrstengel
zum Speer und durchstieß den König, aber die Kalbsdärme
zur starken Weide, und der Zweig schnellte in die Höhe und hob
den König ins Geäst, und dort starb er.
Sehr nahe steht nun dem Bericht des Snorri über Balders
Tod eine mittelalterliche jüdische Geschichte aus der Toldoth Jeshu
über den Tod Christi und dann noch manche spätere dänische und
finnische volkstümliche Sagen vom Tod des Heilands. In der
jüdischen Sage nimmt der Heiland alles Holz in Eid, daß es ihn
nicht aufnehmen soll, nur einen Kohlstengel, der kein Baum ist,
hat er nicht vereidigt. Auf den Rat des Judas hängt man ihn
an diesem auf und bewirft ihn mit Steinen. In den dänischen
und finnischen Berichten reizt dann noch der Teufel den blinden
Longinus, mit der Lanze nach dem Heiland zu stechen. Der
jüdische Bericht geht nach unsrer Auffassung ebenso wie der nordische
auf ein weitverbreitetes Märchenmotiv zurück, das Motiv
vom übersehenen Ding, das auch etwa in Dornröschen (übersehene
Spindel) begegnet. Die finnisch-dänischen überlieferungen
mögen das Motiv von der Blindheit des Höd verursacht haben.
Aber selbst wenn eine Entlehnung aus jüdischen und christlichen
Motiven vorliegen sollte, wie tief hat der nordische Dichter alles
in seiner Dichtung ausgestaltet! Bei ihm ist Balder der Götter
Liebling und gerade in Frigg, der mütterlichen und liebreichen
Frau, verkörpert sich diese Liebe, und doch muß gerade sie die
Pflanze verraten, die den Balder treffen kann. Höd aber ist der
blinde Zufall und das tückische Schicksal lenkt ihm den Arm, so
daß er, ein willenloses Werkzeug in der Hand finsterer Mächte,
ahnungslos den leuchtenden Gott duchsticht.
Bei der Dichtung von Balders Tod ist auch nicht das Entscheidende,
ob dies oder jenes einzelne Motiv aus jüdisch-christlichen
Geschichten in sie eindrang. Man richte wieder den Blick
auf die Kunst und den Geist, der in der ganzen Dichtung waltet.
Der heilige Eid, den alle Wesen der Himmelsgöttin leisten
müssen, gebührt noch der germanischen Göttin des Rechtes und
der Eide. Die Asen erproben lachend, wieder in der kindlichen
Heiterkeit des Heidentums, ob Balder nun wirklich unverletzlich
geworden, indem sie nach ihm werfen und schießen. Das finstere
Schicksal, das dann doch den Eid zerbricht, ist auch das Schicksal
der Germanen.
Aber wie tief ist sonst die Milde des Christentums in diese
Dichtung eingedrungen! Balder verwandelt sich aus einem leuchtenden
germanischen Gott in den unschuldig leidenden Heiland,
Loki aus einem beweglichen Geist in den christlichen Teufel, in
den verworfenen Anstifter des Unheils, der das Böse um des
Bösen willen tut, und in die anderen Götter kehrt eine Milde, eine
Einfalt und eine Weichheit ein, die sie früher nicht besaßen. Wie
sehr sind diese Götter, die um Balder trauern, schon von denen
unterschieden, die den Fenriswolf betrügen! Kaum ist Balder gestorben,
da fleht Frigg die Götter an, es möge doch einer den
dunklen Weg zur Hölle hinabreiten und ihren Liebling wieder
zum freundlichen Licht heraufholen; die Gattin des Gottes aber
überlebt den Gemahl nicht, ihr springt das Herz. Wie die Kinder
sind diese Götter; als der Tod in die Mitte der Lachenden tritt,
sieht einer den andern an, sie können es nicht begreifen, und sie
weinen, weil ihnen die Worte entsinken. Und diese Götter vergessen
die heiligste Pflicht der germanischen Götter und Helden, sie vergessen
die Rache!
Das Heidentum selbst konnte nicht mehr leben, es bedurfte der
Veredelung und gerade seine wehmütige Schönheit hat das Christentum
in dieser Sage freigemacht. Was wir in der Baldersage als
das Rührendste und Unvergleichlichste empfinden, haben die Poeten
des christlich gewordenen Island geschaffen.
Aus der gleichen Zeit wie Snorris Erzählung stammt nun
ein anderer Bericht über Balders Tod. Wir verdanken ihn dem
dänischen Geschichtschreiber Saro Grammaticus. Kehrten in ihm
nicht die Namen Balder, Hother, Nanna und die Namen nordischer
Götter wieder, wir würden zuerst nicht glauben, daß die
Geschichten Snorris und Saxos miteinander verwandt sind, soweit
sind sie auseinandergeraten. Nicht nur, daß der dänische Mönch
aus seiner tiefen Abneigung gegen die heidnischen Götter nirgends
ein Hehl macht und eine Freude zu empfinden scheint, wenn er
ihnen Häßliches anhängen kann, auch abgesehen davon, ist das
Wesen dieser Götter ganz in das Heroische und nicht in das
Religiöse, geschweige denn wie bei Snorri in das Christliche gebettet
. Und doch weist sehr viel von den uns wesentlichen Elementen
der Geschichte wieder nach Island, nach dem Island des
12. Jahrhunderts. So vielfältig blühte und wucherte dort in jener
Zeit die religiöse und die heroische Dichtung.
Saxo preist den schwedischen Königssohn Hother — das ist der Hödh
(aus Hadhus) der Edda —, der die Nanna liebte, und von ihr geliebt
wurde. Zu dieser Nanna fühlte auch Balder, Odhins Sohn, eine heftige
Liebe, er hatte sie im Bade gesehen und war nun von unwiderstehlichem
Verlangen erfüllt nach der leuchtenden Schönheit ihres Leibes. — Balder
wollte den Hother töten. Dieser traf im Waldesdunkel die Jungfrauen,
die über das Schicksal der Schlachten entscheiden, sie warnten ihn vor
Balder, der ein Halbgott wäre, gaben ihm eine hiebfeste Brünne und
verschwanden. Gevar, Nannas Vater, hörte nun die Werbung des Hother
gern, teilte ihm aber mit, daß auch Balder um seine Tochter sich beworben,
daß dessen Leib gefeit sei gegen Eisen und Waffen, nur ein
Schwert könnte ihn töten und das halte ein Waldgeist Miming in festem
Gewahrsam, der auch einen wunderbaren Ring besitze, der den Reichtum
des Besitzers geheimnisvoll vermehre. Seine Höhle sei schwer zugänglich,
der Weg führe in den hohen Norden über kalte Berge, und die Kostbarkeiten
seien dem tückischen Besitzer nur abzulichten, wenn man vor seiner
Höhle das Zelt so aufschlage, daß es den Schatten dieser Höhle auffange,
aber selbst keinen Schatten auf sie werfe. Hother scheute nicht
die Mühe, er holte sich Schwert und Ring, besiegte den Sachsenkönig
Gelder, dessen Leiche er auf einem Schiffe feierlich verbrannte, und dessen
Asche er in einem Hügel beisetzte; dann unternahm er den Krieg mit
Balder, den die Nanna abgewiesen, und auf dessen Seite alle Götter
standen, so daß Menschen gegen Götter kämpften. Hother drang, von
seiner hiebfesten Brünne beschützt, in die dichtesten Reihen der Götter,
die unbezwinglich waren, weil Thor mit seinem Hammer alle Schilder
zerschlug, bis Hother den Griff des Hammers abtrennte und dadurch
diese furchtbare Waffe unschädlich machte; als die Götter sie nicht mehr
besaßen, flohen sie, so schnell sie konnten.
Aber das Glück des Hother wandte sich; zweimal wurde er von
Balder besiegt und von Dänemark nach Schweden gedrängt. Er verzichtete
auf den Thron und suchte in der Einsamkeit sein Mißgeschick zu
vergessen. Das Volk, das sonst die Ratschläge hörte, die er vom Gipfel
des Berges erteilte, fragte vergebens nach ihm. In einem Walde fand
er die Zauberfrauen wieder, die ihm seine Brünne gegeben, und beschuldigte
sie in bitteren Worten der Treulosigkeit, sie aber verhießen
ihm den Sieg, wenn er von einer Speise genösse, die auch Balders
Kraft vermehre. Hother schöpfte neuen Mut, er kehrte auf den Thron
zurück, sammelte sein Heer gegen die Dänen und kämpfte gegen sie, bis
die Nacht die Streitenden trennte. In dieser Nacht sah Hother die
Jungfrauen, die dem Balder die Speise zutrugen, folgte ihren Spuren
im Tau, betörte sie durch seinen Gesang, und zwei von ihnen gaben
ihm von der mit Schlangengift vermischten Speise, der Warnung der
dritten zum Trotz, die ihn als Hother erkannte. Dazu gaben sie ihm
einen siegverleihenden Gürtel. Als er zurückkehrte, traf er den Balder
allein und durchbohrte seine Seite, so daß er halbtot zur Erde fiel. Die
Kunde von dieser Tat verbreitete sich, und sie wurde von den Dänen
beklagt, von den Schweden bejubelt. Balder erneuerte am Morgen die
Schlacht, und in ihrem heißesten Gewühl ließ er sich auf einer Sänfte
in die Reihen der Kämpfer tragen, denn er wollte nicht im Zelt eines
unrühmlichen Todes sterben. In der Nacht erschien ihm Hel, die Todesgöttin
, und verkündete ihm, er werde am nächsten Tage in ihren Armen
ruhen, und diese Weissagung des Traumes erfüllte sich.
Odhin erzeugte mit Rind einen Rächer für Balder, Bous, der den
Hother besiegte und tötete, aber selbst schwer verwundet auf dem Schild
aus der Schlacht getragen wurde und am folgenden Tage starb.
Unübersichtlicher und verworrener kann ein Bericht — und wir
haben ihn noch etwas gekürzt und geklärt — kaum vorgetragen
werden als dieser. Axel Olriks genialer Blick hat die Hauptursache
des Durcheinanders erkannt. Es kreuzen sich in Saws Erzählung
dänische und isländische Sagen. Die dänischen haften noch immer
am dänischen Boden und erzählen von dem wechselnden Kampfglück
zweier dänischer Kleinkönige, Balder und Hother, die von
den Göttern vielleicht nur den Namen hatten. Sato erwähnt, daß
der Name eines Hafens an Balders Flucht erinnere, daß Balder
tief in die Erde grub, eine Quelle öffnete und sein durstendes
Heer an dem hervorbrechenden Strudel erquickte. Dieser Ort hieß
Balders Brunnen und trägt den Namen noch heute (Baldersbrönd,
östlich von Roeskilde). Weiter sagt er, daß ein Ort in
Jütland nach Hother hieß, der auf seiner Flucht dort weilte (es
ist Hoyer im Kreis Tondern).
Die isländische Sage aber häuft, wie es ihre Art in späterer
Zeit oft ist und namentlich der Sagas, die nach Dänemark wanderten,
z. B. der späteren Wieland- und Wölsungasaga, Personen,
Ereignisse, Kämpfe und Wunderbares; so auch Saro. Viermal
kämpfen Balder und Hother gegeneinander, zwischen diese Kämpfe
ist noch der Kampf mit Gelder eingeschoben. Am ersten Kampf
nehmen alle Götter teil, die Art seines Verlaufes entspricht bis
in die Einzelheiten den in Island beliebten Kampfschilderungen.
Drei Zauberjungfrauen, die bald den Nornen, bald den Walküren
gleichen, treten dreimal auf, eine wunderbare Speise, ein
siegoerleihender Gürtel, ein Hammer, der alle Schilder zerschlägt,
ein Zauberschwert, ein aus sich selbst sich vermehrender Ring, eine
hiebfeste Brünne, nicht weniger Kostbarkeiten und Kleinode drängen
sich in die Sage; so viel, daß Saro nicht mehr weiß, was sie bedeuten
. Er sagt nicht, wozu Hother sich den Ring holt, das so
mühsam gewonnene Schwert nützt ihm im ersten Kampf gegen
Balder nichts, zu dem letzten muß er sich noch durch die wunderbare
Speise und den siegverleihenden Gürtel stärken; es befremdet
uns, daß Gevar und nicht die Walküren dem Hother erzählen,
wo das Schwert liegt usw.
Außerdem mischt Sato an seinen Bericht Erinnerungen an
andere Sagen und Lieder. Die überwältigung des Zwerges und
das Schwert im Hügel kehren in der nordischen Hervararsaga
wieder; die Sage vom Verschwinden des Hother klingt an eine
Sage von Odhins Verbannung an. Die Liebe Balders zu Nanna
— Sato schildert sie in entstellten Zügen und mönchisch übertreibend
, er sagt, man habe den Balder in einem Wagen herumfahren
müssen, da er vor Liebe so schwach gewesen sei, daß er
nicht mehr gehen konnte — ist der Liebe, die Frey für Gerd hegt
und die ein weiches, schwärmerisches Eddalied besingt, recht ähnlich.
Der auf dem Wagen fahrende Gott war auch eigentlich Frey,
der den Schatz mehrende Ring gehört eigentlich Odhin. Die Szene
mit den Waldjungfrauen ist das Thema mancher Ballade, wir
denken auch an Horand und die betörende Macht seines Gesanges,
der Kampf zweier Männer um eine Frau ist das Thema mancher
isländischen Saga.
Vor allem erinnert Saxos Baldersaga an die Wölsungasaga:
im Stil, in der Darstellungsart — die übereinstimmungen sind
da und dort wörtlich —, im Durcheinander und der unbesonnenen
Häufung der Motive, und auch in einzelnen Motiven: der giftigen
Schlangenspeise, der Bedeutung des Schwertes, der Beschützung
der Helden durch die Götter, besonders durch Odhin.
Was ist aber nun in Saxos Bericht die alte und echte Dichtung
und was ist späterer Anwuchs? Die Züge der dänischen Ortssagen
und die Anklänge an andere nordische Dichtungen scheiden
gleich aus, wenn wir die Ursprünge der heroischen Form der
Balderdichtung ermitteln wollen.
Hotherus hört von Nannas Vater im Anfang der Geschichte,
nur ein Schwert könne den Balder töten, und am Schluß der
Geschichte durchbohrt Hotherus den Balder, doch wohl mit diesem
selben Schwerte, das er dem Mimingus abgelistet. Diese Handlung
blickt noch durch alle Nebel der späteren Saxosaga groß und mächtig
hindurch. Snorris Bericht von Balders Tod führt auf dieselbe
Urdichtung zurück. Höd tötet den Balder mit dem einen Schwert,
das ihn fällen kann. Andeutungen der Wöluspa weisen auf eine
germanische, vielleicht gotische Dichtung, die wieder einem Himmelsgott
, dem Frey, galt: ihm wird sein Schwert entwendet und mit
diesem Schwert tritt ihm am Ende der Tage sein Feind entgegen.
Endlich kreisen auch die Erinnerungen der späten isländischen Saga
an Balder und seinen Rächer (S. 134) alle um die Geschichte des
unheilvollen Schwertes. Treten wir dann aus dem Bezirk der isländischen
und germanischen Göttersage in den Bezirk der germanischen
heroischen Dichtung, wie ähnlich ist die altdeutsche Dichtung von
Siegfried der isländischen von Balder! Diesen konnte nur ein Schwert
treffen, jener war nur an einer Stelle seines Leibes zu verletzen.
Wir müssen noch weiter fragen: wer trug die Schuld, daß
Balders Feind sich des todbringenden Schwertes bemächtigen
konnte? Bei Snorri beschützt Frigg den Balder und sie verrät
dem Loki doch das Geheimnis, das zu seinem Tode führt. Bei
Saro verraten und beschützen die Zauberfrauen ebenso den Gott.
Die Schuld der unschuldigen Frau muß also zum Organismus
der Ardichtung gehört haben. Wir denken wieder an die deutsche
Kriemhild, die den Siegfried schützen möchte und ihn unwissend
verrät. Auch die uralten semitischen Sagen von Simson und von
Gilgamesch wissen ja, wie der Held das Opfer der Frau wird, der
sein Herz gehört und die ihn vielleicht liebte. Die Balderdichtung
erweist sich nunmehr als eine germanische. Geben wir dies zu, so
gewinnen die vorher berührten Zusammenhänge von der isländischen
Baldersage mit der isländischen Wölsungasaga, der Dichtung
von Sigurds Ahnen, für uns eine neue Bedeutung.
Was bedeutet aber im germanischen die Schuld gerade der
Frau, die den göttlichen Helden liebt, wie erklärt sich das?
Vielleicht war das Motiv nichts als der Ausdruck einer tiefen
dichterischen Erkenntnis von der leidenschaftlichen und unbedachten
Liebe einer Frau. Man hat es nun aber auch mythisch, sagen wir
genauer kultisch, erklären wollen. Jedes Jahr verlangt bei vielen
Völkern der Sonnengott Opfer sein Abbild, den erlesensten
Mann in der Fülle seiner Kraft, den König eines Stammes, einen
für alle. Dies Opfer wird zuerst sorgfältig gepflegt und vor jedem
Unfall behütet, dann zum Sterben erwählt und im heiligen Hain
geopfert, getötet von dem Mann, der als nächstes Jahresopfer
fällt, getötet mit einer heiligen Waffe.
War solch ein Opfer Balder? Mußte die Göttin, die Priesterin,
zuerst ihn behüten und dann das Schwert dem ausliefern, dessen
tragisches Amt es war, das Opfer zu fällen? Verlockend wäre
eine solche Erklärung. Sie würde noch einmal den Blick in jene
dunklen und werdenden Zeiten lenken, die der Frau die Sorge für
das tiefste Wohl und Wehe der Menschen in die Hand legen. Wir
erinnern uns auch wieder an das Opfer, das im Hain der Semnonen
dem Himmelsgott fiel (S. 18), wir denken an die zärtliche
Sorge der Götter, die gerade den Balder umgibt. Noch bei Sato
ist sein Schicksal das ihre, für ihn ziehen sie alle in die Schlacht.
Außerdem erkennt man heute noch aus deutschen Pfingstbräuchen
die alte Sitte, den in Laub gehüllten Pfingstkönig, das Abbild
der fruchtspendenden Gottheit zuerst jubelnd herumzuführen und
dann zu töten. Auch bei germanischen Stämmen gilt der König
als Abbild der Gottheit, als Herr und Priester und zugleich als
Zauberer. Er trägt die Verantwortung für alles Gute und Böse,
das dem Stamm geschieht. Wir wissen ja, daß die Schweden und
Burgunder dem König die Schuld an Mißwachs und schlechter
Ernte zuschoben. Der schwedische Odhin, der König der Götter,
zeichnete sich selbst mit der Schwertspitze, gab sich den Tod und
verhieß seine Wiederkehr.
Aber treffen diese Hinweise wirklich den Kern? Gehören sie
nicht vielleicht in ganz andere Zusammenhänge und gar nicht in
unsere Kultsage? Und haben wir diese nicht auch etwas zu rasch
und zu einfach aus verschiedenen Elementen bei verschiedenen Völkern
hergestellt? Jedenfalls dürfen wir nicht zürnen, wenn die
Wissenschaft die Möglichkeit der Zusammenhänge zwischen der
Baldersage und der alten Sage vom goldenen Zweig — so hat
sie Frazer, ihr Entdecker, genannt, denn auch ein goldener Zweig
war die Todeswaffe — ablehnt und wenn sie meint, daß hier
das ignorabimus die einzige Erkenntnis bleibt.
Die alte Balderdichtung hat eine vielfältige, nicht leicht zu entwirrende,
aber tief in das Wesen der germanischen Religion und
ihre Entwicklung führende Geschichte. Im Isländischen zeigt sie
ein doppeltes Gesicht, ein mythisches und ein heroisches. Die heroische
Rachedichtung verwilderte, schwoll ungesund auf und geriet
durcheinander, die mythische Dichtung ging durch den läuternden
Einfluß des Christentums, erlebte manche dichterische Verwandlung
und erscheint am Ende vor uns als eines der rührendsten Denkmäler
von der Vermählung germanischen und christlichen Geistes.
Wir betrachten nun noch einige andere Ausstrahlungen des
Himmelsgottes im Norden.
Den friesischen Fosite, den Schrecklichen, einen Gott des Himmels
und des Rechtes, Herr eines heiligen unberührbaren Hains
(S. 15f.) — er war der germanische Himmelsgott, der bei den Friesen
Fosite hieß — lernten die nordischen Wikinger wohl im 8. und
9. Jahrhundert in Friesland kennen. Sie nannten ihn wegen seiner
Herrschaft über das Recht und weil sie den alten Namen nicht verstanden
, Forseti, den Vorsitzer. Er schien ihrem Balder besonders
zu gleichen. Wie dieser thronte er im Himmel, wie dieser waltete
er über das Recht, wie dieser wußte er schwierige Streitfälle so
zu entscheiden, daß beide, Kläger und Beklagter, zufrieden fortgingen.
Uns überrascht daher nicht, daß Snorri in der jüngeren
Edda den Forseti einen Sohn Balders und der Nanna nennt.
Wie es scheint, wurde dem Forseti im Norden ein besonderer Kult
zuteil, Ortsnamen, in denen sein Name erscheint, sind uns noch
erhalten.
Auch Ull als der leuchtende Himmelsgott, der tapfere Krieger
und der Behüter der Eide, hat sich vor uns entwickelt (S. 25 f.).
Einige Anspielungen der Edda zeigten uns, daß er einmal ein sehr
hoher Gott war. Dies bestätigen uns viele Ortsnamen, die in
Norwegen und Schweden seinen Namen tragen: Hügel und Hain,
Acker und Hof, Insel und Vorgebirge und Gewässer. In Dänemark
stehen an ihrer Stelle Namen mit Ty. Die Waffe Ulls war
wohl der Bogen, aus dem heiligen Holz der Eibe geschnitzt. Im
Eibental, heißt es, hat Ull seine hohe Halle sich gebaut — war
ein Eibenhain die Stätte seiner Verehrung?
Nach Saro Grammaticus entthronten die Götter einmal den
Odhin und setzen an seine Stelle den Ull. Nach einigen Jahren
aber, so erzählt der Mönch, riefen sie aus Mitleid den alten Gott
zurück. Er vertauschte wieder sein niedriges und schmachbedecktes
Ansehen mit dem früheren Glanz. Ull flüchtete nach Schweden,
dort wurde er von den Dänen erschlagen, bei dem Bestreben, im
neuen Land ein neues Denkmal seines guten Rufes wieder zu
errichten. Aus diesem Bericht glaubt die Forschung einen Nachklang
des alten Kampfes von Wodan und Tiu herauszuhören. Das
ist nicht ganz ausgeschlossen, wir ziehen aber eine andere Erklärung
von Saws Meldung vor. Ull veränderte nämlich in Schweden
und dem östlichen Norwegen sein altes Antlitz. Dort hausen Götter,
die der Natur dieses Landes entsprechen, seinen langen Wintern,
seinen weiten Schneefeldern. Der Schneeschuh ist ihr Fahrzeug, als
kühne Jäger und Bogenschützen werden sie gefeiert. Eine Gottheit
dieser Art ist Skadhi. Sie ist wohl keine germanische, sie scheint
ursprünglich eine finnisch-lappische Göttin, denn der Sohn, den
sie nach späterer Dichtung mit Odhin zeugte, heißt Saeming, und
die Lappen nannten sich Sabme. Züge dieser Skadhi hat nun Ull
übernommen. Wie Skadhi eilt er auf mächtigen Schneeschuhen
zauberhaft schnell über die weiten, weißen Flächen, gleich ihr ist
er berühmt als Jäger und Bogenschütze. Wie die Finnen zeichnet
er sich auch durch Zauberkünste aus. Er beschrieb einen Knochen,
sagt Sato, mit kräftigen Zaubersprüchen und fuhr auf ihm wie
auf einem Schiff über das Meer. Ist das ein Mißverständnis eines
stubenhockerischen Mönches, dem man von Schneeschuhen erzählte?
Finnen und Lappen hausten in Schweden und Norwegen, als die
Germanen dort eindrangen. Wir wissen schon, wieviel von ihrer
Kultur, ihrer Sprache, ihren Göttern die Germanen den Finnen,
Lappen und Esthen gaben (S. 35f.). Nun erfahren wir, daß sich
zum Entgelt auch Besonderheiten der lappischen und finnischen Götter
einem germanischen Gotte, dem Ull, mitteilten. Als ein aus
finnischen und germanischen Elementen grmischter, in seiner schwedischen
Heimat besonders lebhaft verehrter Gott mußte er allerdings
in einen Gegensatz zu Odhin geraten, dadurch wird uns Saxos
Aussage leichter verständlich.
Der gleiche Saro erzählt auch von der Nebenbuhlerschaft des
Odhin und des Metodhin: aus Schmerz über die Untreue seiner
Gattin habe sich Odhin freiwillig eine Zeitlang in die Verbannung
begeben, dann sei er zurückgekehrt, habe den Metodhin zur
Flucht gezwungen, nach Fünen, wo ihn das Volk dann erschlug.
Der Name Metodhin, Schicksalsgott, hat, wie wir wissen, manche
Forscher zu der Meinung gebracht, der eigentliche Sinn dieser Sage
sei wieder der Kampf Odhins gegen den alten Himmels- und
Schicksalsgott (S. 25). Wir weisen hier nur darauf hin, daß Saro
die Priester des Metodhin Zauberer nennt, die Odhin mit einem
Blick wie Schatten vernichtete. Metodhin aber, sagte er, schickte aus
seinem Grab die Pest, man mußte seine Leiche nochmals ausgraben,
ihr den Kopf abtrennen und einen spitzen Pfahl ihr durch den
Rumpf treiben: dann endlich hatte man vor diesem Unhold Ruhe.
Solche religiösen Gewaltmaßregeln richten sich, wie wir wissen,
vor allem gegen Zauberer, deren Tod man verdoppelt und verdreifacht,
damit ihre Macht nach dem Tode nicht wächst (S. 104). Demnach
halten wir den Kampf zwischen Odhin und Metodhin für den
Kampf zweier Götterkulte, deren Kraft auf dem Zauberwesen beruht
und in dem der stärkere Zauberer, hier Odhin, siegt. Die
Zauberei, nur ein Zug in Ulls Wesen, durchdringt den Metodhin
ganz, er ist nichts als Zauberer, sein Gottesdienst nichts als
Zauberei. Einen ähnlichen Gehalt wie der Kampf zwischen Odhin
und Metodhin haben die Kämpfe der Asen gegen die Wanen.
Sagenb. I. 10
Die Dichtung vom Fenriswolf und die Dichtung von Balders
Tod führten uns in einen großen Reichtum mythischer Vorstellungen
und Dichtungen, zeigten ihre vielfältigen Verschlingungen
und Steigerungen und hoben uns auf eine künstlerische, heroische
und religiöse Höhe, wie wir sie vorher nicht erreichten. Das
Christentum hat die Welt der germanischen Götter beflügelt und
verklärt und aufgelöst. Wo sie sich selber gehörte, da verlor sie,
bei dem alten Himmelsgott, die germanische Größe — der alte
Tiu verblaßt, er läßt sich zu Gottheiten niederer Kulturen herabziehen,
er taucht sogar in die Welt des Zaubers zurück. Wir gewinnen
fast den Eindruck, als erleide die religiöse eingeborne Kraft
des alten germanischen Heidentums im Norden schwere Einbuße.
3. Thor
An schöpferischer Kraft und Freude, an zermalmender Stärke
und an elementarer Gewalt kam kein andrer germanischer Gott
dem Donar gleich, er blieb außerdem des Menschen treuester
und gütigster Freund, jäh aufflammend in blitzeschleuderndem Zorn,
doch der stärkste Beschützer und von Geschlecht zu Geschlecht als
Behüter von Ehe und Zeugung immer von neuem offenbar.
Im Nordischen verwandelte sich der Name Donar über altsächsische
Formen wie Thunres, Thunre in Thorr (Thor). Der Gott
blieb der im Volk geliebteste Gott: vor allem in Norwegen und
Island. Unzählige Tempel, Haine, Gehöfte, Wiesen, Wälder
trugen seinen Namen, unzählige Geschichten erzählen von dem Vertrauen,
der Liebe, der Verehrung, die man ihm entgegenbrachte.
Der Gott beschützte seine Anhänger von der Geburt bis zum
Tod und beschützte alles, was sie erwarben, unternahmen und
besaßen; ob sie nun zur See fuhren, oder zum Fischfang, oder
neues Land sich aneigneten, oder Recht sprachen, oder ihre Ehe
schlossen. Den Hammer Thors trugen die Nordleute als Amulett
bei sich und gaben ihn dem Toten ins Grab; dieser Hammer
weihte das ganze Leben, er segnete das Kind bei der Geburt,
heiligte die Ehe, das Haus und die Herden und bei Festen den
ersten Trank, er wurde auch über dem Scheiterhaufen geschwungen,
auf dem der Körper des Toten verbrannte. Noch ein anderes
Zeichen erscheint auf Thorbildern, das Hakenkreuz. Thor mußte
sogar das Grab vor bösen Geistern und anderer Unbill schützen
und die zauberische Kraft der Runen auf dem Grabstein erhalten.
Das ganze Sein des norwegischen Volkes schien unlöslich an diesem
Gott zu hängen, bei jeder Gefahr und jeder Schwierigkeit flog der
erste Gedanke zu ihm; noch Helgi der Magere, der zum Christentum
bekehrt war, hielt im gewöhnlichen Lauf der Dinge zu dem
neuen Gott, wenn er aber in Bedrängnis geriet oder auf der See
fuhr, rief er nach Thor. — Von kostbaren Bildern Thors in
Tempeln melden uns bewundernd viele Berichte. In Möre bei
Drontheim saß eine kunstvoll aus Gold und Silber gearbeitete
Bildsäule des Gottes auf einem Wagen, unter dessen Füßen Räder
angebracht und an den zwei aus Holz geschnitzte Böcke gespannt
waren, um die Hörner der Böcke wanden sich silberne Ketten.
Auch im Tempel zu Upsala stand Thor, den Hammer in der Hand.
Die Kostbarkeiten und der Reichtum dieser goldenen und silbernen
Bilde- wird immer hervorgehoben, bald war Thor im Tempel
allein, bald mit anderen Göttern zusammen, in Upsala stand er
z. B. zwischen Odhin und Frey. — Das Bildnis des Thor war
auch auf dem Hochsitz selbst oder auf seinen Lehnen oder auf den
Vordersteven des Schiffes angebracht, man traute ihm prophetische
Kraft zu. Die isländischen Ansiedler warfen Pfeiler mit einem
Ttzorsbild ins Meer, wo diese ans Land trieben, bauten sie sich
selbst an.
Die Missionare und Könige, die den Norwegern und Isländern
diesen Gott nehmen wollten, mühten sich an einer schweren Aufgabe
ab. Sie versuchten bald Christus als den mächtigeren
Helfer zu erweisen, bald die heidnische Verehrung, die dem Thor
galt, einfach auf den neuen Gott überzuleiten. Sie griffen auch
zu häßlichen Mitteln, nach den Sagen zerschlugen sie die Bildsäulen
Thors, aus denen angeblich Mäuse, Nattern, Würmer und
anderes Gezücht herauskroch, oder sie machten den alten Verehrern
ihren Gott so verhaßt, daß sie in einem Taumel der Bekehrung
sein Bild mißhandelten, durch den Kot schleiften, zerschlugen,
verbrannten und die Asche, mit Fett vermischt, den
Hunden zu fressen gaben.
Die Nordleute empfanden es als schweren Treubruch, daß sie
ihren Gott verließen, der sie niemals verlassen hatte, der ihnen
gerade in der Stunde der Not als bester Helfer beistand. Traurig
und finster erscheint Thor vor einem von ihnen im Traum und
tut dem Abtrünnigen Schaden auf Schaden an, er vernichtet ein
Stück seines Besitztums nach dem andern. Einige hielten ihm die
Treue, wie Raud, trotzdem er darum Martern ertragen mußte,
und der König Olaf den "Götzen" besiegte. Es heißt darüber:
Raud (der Rote) auf Raudsey in Norwegen war einer der eifrigsten
Verehrer Thors. Gelegentlich eines Zuges nach Halogaland suchte König
Olaf Tryggwason auch den Raud auf seiner Insel auf. Diesem hatte
sein Abgott Thor die Ankunft des Königs mit vielem Ärger vorausgesagt
; umsonst hatte er versucht, durch seinen Bartruf dessen Schiffe
zurückzutreiben. Olaf landet und verkündet den neuen Glauben. Raud
antwortet: "Ich habe wenig Lust, den Glauben zu verlassen, den ich
gehabt habe, und den mich mein Pflegevater gelehrt hat; man kann
auch nicht sagen, daß unser Gott Thor, der hier im Tempel wohnt,
wenig vermöge; denn er verkündigt noch ungeschehene Dinge und ist mir
in aller Not von erprobter Verläfsigkeit, und darum mag ich unsre
Freundschaft nicht brechen, solange er mir die Treue hält.
Doch die Verehrung Thors hatte sich im Laufe der Zeit eingeschränkt
und bei vielen die werbende Kraft verloren; denn sie
wiederholte gedankenlos Hergebrachtes, die alten Formeln des
Gottesdienstes büßten ihren früheren tiefen Sinn ein und verloren
damit ihr Recht; sie hatten auch nicht das Vermögen, sich mit
neuen Erlebnissen zu bereichern und den tiefen Inhalt der Wikingerzeit
in sich aufzunehmen. Die Sehnsucht nach Neuem, das Gefühl,
daß eine andere Zeit kam und jeden gewaltsam von der Vergangenheit
fortriß, ihn von der Heimat zur Eroberung der Welt
trieb, die sieghafte überzeugung der Bekehrer, denen sich gleich
die Besten, die Könige, anschlossen, schließlich viele äußere Erfolge
verschafften dem Christentum einen raschen Sieg.
Aber ein ungelöstes, bitteres Gefühl, eine zwiespältige Zerrissenheit
blieb zurück, die das Alte lassen mußte und nicht lassen
wollte, und diese klingt in vielen Sagen nach. Das Heidentum
nimmt darin Abschied, es weicht, bewußt seiner Taten, seines
Ruhmes, seines Besitzes und seiner Rechte, stolz und still vor dem
Christentum, das, obwohl von ihm nicht verletzt und herausgefordert
, es doch grausam und rücksichtslos vertrieb. Als ergreifendsten
von allen diesen Berichten empfunden Ludwig Uhland und Thomas
Carlyle die Sage oon Thor und Olaf, die auch wir unsrer Darstellung
einfügen.
Eines Tages segelte König Olaf südwärts die Küste entlang mit
gelindem Fahrwasser. Da stand ein Mann auf einem Felsvorsprünge
und rief um Aufnahme in das Schiff, die ihm auch gewährt ward. Er
war von stattlichem Wuchse, schön von Aussehen und rotbärtig. Mit
dem Gefolge des Königs begann er allerlei Kurzweil und scherzhaftes
Wettspiel, wobei die andern schlecht gegen ihn bestanden. Sie führten
ihn hierauf, als einen vielkundigen Mann, vor Olaf. Dieser hieß ihn
irgendeine alte Kunde sagen. Der Mann antwortete: "Damit heb ' ich
an, Herr, daß dieses Land, an dem wir vorbeisegeln, ehemals von Riesen
bewohnt war. Diese kamen jedoch zufällig schnellen Todes um bis auf
zwei Weiber. Hernach begannen Leute aus östlichen Landen sich hier
anzubauen, aber jene großen Weiber taten ihnen viel Gewalt und Bedrängnis
an, bis die Landbewohner beschlossen, diesen Rotbart um Hilfe
anzuflehen. Alsbald ergriff ich meinen Hammer und erschlug die beiden
Weiber. Das Volk des Landes blieb auch dabei, mich in seinen Nöten
um Beistand anzurufen, bis du, o König! fast alle meine Freunde vertilgt
hast, was wohl der Rache wert wäre." Hierbei blickte er bitter
lächelnd nach dem König zurück; indem er sich so schnell über Bord warf,
wie wenn ein Pfeil in das Meer schöße, und niemals sahen sie ihn
fortan wieder.
Von den Taten und Kämpfen Donars wollten die Germanen
immer von neuem hören, aus ihm erwuchs schon in alter Zeit
ein Reichtum starker und froher Sagen. Die Nordleute haben
diesen in ihrer Art gepflegt, um keinen Gott stellten sich so viel
Geschichten wie um Thor.
Gleich ein altes Eddalied, dessen Ursprung und erst e Formen
wir schon verfolgten (S. 36), die Thrymskwidha, gilt dem
Thor.
Das Lied schildert, wie der Gott, als er aufwacht, seinen Hammer
vermißt. Loki, dem er den schrecklichen Verlust mitteilt, entleiht der
Freyja ihr Federhemd, fliegt zum Riesen Thrym und hört von diesem,
daß er den Hammer gestohlen und acht Meilen tief unter der Erde
verborgen habe. Gebe man ihm Freyja zur Frau, so solle Thor den
Hammer zurückerhalten. Freyja weist dies Ansinnen entrüstet von sich,
die Götter versammeln sich zum Rat, und der kluge Heimdall schlägt
vor, daß Thor sich in Weibergewänder hüllen und dem Riesen als Freyja
nahen solle. Der gibt nach kurzem Sträuben, weil sonst die Riesen die
Götter vertreiben würden, nach, und als Magd begleitet ihn Loki.
Jubelnd empfängt der Riese die Braut, doch entsetzt er sich bald über
ihre ungeheure Ess- und Trinkkraft beim Brautmahl, und springt, als
er sie begehrlich küssen will, erschrocken zurück vor dem funkelnden Blick
ihrer Augen. Loki beschwichtigt ihn noch: Freyja habe aus Sehnsucht acht
Nächte weder gegessen noch geschlafen. Da läßt der Riese den Hammer
bringen, die Braut zu weihen, und wie Thor den sieht, lacht ihm das
Herz in der Brust, er erschlägt den Riesen und seine ganze Sippe.
Was uns die Thrymskwidha so lieb macht, ist die Art ihrer
Darstellung. Kein anderes Eddalied ist so frisch, so jung, so kräftig
und anschaulich und wieder so großartig, so überlegen und bezwingend
in seinem Humor. Der erwachende Gott; sein erstes Gefühl
der Zorn; er fährt sich durch die Haare, schüttelt den Bart,
entschließt sich, halbverschlafen, endlich, um sich zu greifen, sein
Hammer bleibt fort. Und er, Thor, der Sohn der Erde, muß
Frauenröcke sich übers Knie fallen lassen, den Ring mit klirrenden
Schlüsseln und leuchtenden Brautschmuck und kunstvollen Kopfputz
tragen! Und ißt — als Braut — einen Ochsen, acht Lachse,
alle Süßigkeiten, dazu trinkt er drei Tonnen Met! — Dann wieder
der Riese, der seinen Hunden die Goldbänder umlegt, seinen Rossen
die Mähne glättet, seiner tiefschwarzen Ochsen und seiner goldgehörnten
Kühe sich freut, und der für seinen Reichtum nur noch
die schönste Frau will, und in der weiblichen Hülle der wirkliche
Thor, bei dessen Fahrt die Erde bebt und die Berge zittern, dessen
funkelnder Blick auch den Stärksten erbeben macht, und der, hat
er einmal den Hammer, alles zerschlägt.
Der Dichter, und das ist bei einem halb lustigen, halb großartigen
Thema von besonderer Wirkung, verwertet gern alte und
schöne Formeln, wiederholt feierliche und ausmalende Verse und
überrascht durch unerwartete Einfälle. Seine ganze Kunst ist für
den lebendigen, mimischen Vortrag bestimmt. Diesem gilt auch die
Lautmalerei, die in wenigen Liedern der Edda so frisch und derb
in unser Ohr klingt. Das björg brutnuthu (die Berge dröhnten)
bringt das Dröhnen und dumpfe Brummen des Donners prächtig
zur Geltung. Wie breit und gefräßig klingt das einn at oxa atta
laxa (er ass einen Ochsen und acht Lachse), man beachte ät gegen
ätta, und wie hört man bei kräsir allar die Süßigkeiten in Thors
Mund krachen. Der unbändige Zorn Freyjas kommt uns durch
den Klang ihrer Worte unvergeßlich ins Gehör. Mik veiztu vertha
vergiarnasta (du weißt, ich müßte werden die Männertollste),
schnaubt sie den Loki an, man sieht sie bei dem breiten werth und
vergjar das göttliche Maul weit aufreißen. Und et ek ek meth
ther (wenn ich fahre mit dir), fährt sie fort, in einem Vers mit einsilbigen
, ganz kurzen, nur mit e anlautenden oder inlautenden,
vor Wut stotternden Worten, die höchst wirkungsvoll die fauchenden
und zischenden f, k, th unterbrechen.
Dieser Kunst und Kraft der Darstellung, ihren dramatischen
und novellistischen Werten verdankt die Thrymskwidha ihren Ruhm
und ihr Ansehen: sie lebte noch lange im Norden als Volkslied.
Es ist eine hübsche Fügung, daß die beiden ältesten von den uns
erhaltenen Göttersagen, die von Wodan und den Langobarden,
und die von Thor und seinem Hammer, gerade die Frische und
den Humor, die überlegene Heiterkeit der Darstellung gemein haben,
daß sie beide in die Kunst des Mimus, des Spielmanns, mündeten.
Sie ähneln sich sogar in den Motiven, eins ist das Widerspiel
des andern, dort erscheinen Frauen als Männer, hier die Götter
als Göttinnen (S. 47 f.).
Eine Variante der Sage von Thor und Thrym war die von
Thor und Hrungni, ein Kampf des blitzeschleudernden Gottes
gegen das steinerne Wurfgeschoß des Riesen (S. 39). Snorri erzählt:
Thor war gefahren nach Osten, um Trolle zu erschlagen, aber Odhin
ritt den Sleipni nach Riesenheim und kam zu dem Riesen, der Hrungni
hieß. Da fragt Hrungni, welch ein Mann das ist, mit dem Goldhelm,
der reitet durch Wind und Wogen und sagt, er habe einen wunderschönen
Hengst. Odhin sagt, er wolle wetten um seinen Kopf, daß kein
ebenso guter Hengst sei im Riesenheim. Hrungni sagt, das sei ein guter
Hengst, aber, sagt er, er besitze einen Hengst, der mache weitere Sprünge
und heiße Gullfax, und Hrungni ward zornig und springt auf seinen
Hengst und sprengt dem Odhin nach und will ihm seine großen Sprüche
vergelten. Odhin sprengt so rasch, daß er immer voran war um einen
Gipfel, doch Hrungni hatte einen so starken Riesenzorn, daß er sich nicht
wiederfand, bevor er hineinstürmte in das Tor zu den Asen. Und als
er zur Saaltür kam, entboten die Asen ihn zum Trunk. Er ging in die
Halle und bat, man möge ihm den Trunk reichen. Es wurden da genommen
die Schalen, aus denen Thor gewohnt war zu trinken und er
stürzte rasch herunter den Trank einer jeden. Aber als er trunken wurde,
sparte er gerade nicht die großen Worte: er, sagte er, wolle Walhall
aufpacken und nach Riesenheim schleppen und Asgard. versenken und alle
Asen, und Freyja und Sif will er bei sich behalten — und Freyja allein
wagt, ihm einzuschenken — und austrinken wolle er das ganze Bier
der Asen. Doch als den Asen seine großen Spruche leid wurden, da
nennen sie Thor. Sofort kam Thor in die Halle und reckte hoch in die
Lust den Hammer und war sehr zornig und fragt, wer dafür die Verantwortung
trägt, daß die Riesen, die Spürhunde, dort trinken dürfen
oder wer dem Hrungni den Burgfrieden in Walhall verschaffte oder
woher Freyja ihm einschenkt wie bei einem Fest der Asen. Da antwortet
Hrungni und sieht nicht mit Freundesaugen auf Thor, und sagt,
daß Odhin ihm den Trunk entboten und daß er sei in seinem Schutz.
Thor sagt, Hrungni werde diese Entbietung bereuen, bevor er herauskomme.
Hrungni antwortet, Thor, dem großen Asen, sei es geringer
Gewinn, ihn, den Waffenlosen zu erschlagen, das ist eine stärkere Mutprobe
, wenn er wagt, mit ihm sich zu messen bei der Landesgrenze auf
der Grjotunargard. Und es ist das eine große Torheit gewesen, bemerkte
er, daß ich daheim ließ meinen Schild und meinen Wetzstein. Wenn ich
nur hier hätte meine Waffe, da sollten wir gleich den Holmgang erproben.
Sonst aber lege ich auf dich eine Schurkengesinnung, wenn du
mich Waffenlosen erschlagen willst.
Thor will um keinen Preis versäumen, zum Zweikampf zu kommen,
für den ihm der Holm bestimmt war (Platz zum Zweikampf auf einer
Insel), weil kein Riese ihm das früher bewilligt hatte. Da fuhr Hrungni
sofort seine Straße und sprengte schnell dahin, bis er kam zum Riesenheim
und es ward seine Fahrt unter den Riesen sehr berühmt und auch
dies, daß ein Kampftag bestimmt war zwischen ihm und Thor. Die
Riesen sorgten sich schwer darum, wer den Sieg erringe, sie vermuteten
sich Böses von Thor, wenn Hrungni vor ihm nachließe, weil er ihr
stärkster war. Da machten die Riesen einen Mann auf Grjotunargard
aus Lehm und er war neun Meilen hoch und drei breit unter
Armen und nicht fanden sie ein Herz groß genug, daß es ihm paßte,
bis sie es nahmen aus einem Pferd, und es war ihm dies nicht standhaft,
als Thor kam. Hrungni hatte ein Herz, das berühmt ist, von hartem
Stein und zahnspitz an drei Ecken, so wie später geritzt wird das
Runenzeichen, das Hrungnis Herz heißt. Von Stein war auch sein Haupt,
sein Schild war auch Stein, weit und dick, und er hielt den Schild vor
sich, als er auf Thor wartete. Aber den Stein hielt er als Waffe und
schwang ihn über die Achsel und er war nicht gut aufgelegt. Auf der
andern Seite vor ihm stand der Lehmriese, der genannt ist Mökkurkalfi,
und er war ganz furchtsam; es verlautet, daß er seichte, als er sah den
Thor. Thor fuhr zum Holmplatz und mit ihm Thjalfi, da rannte
Thalfi voran dorthin wo Hrungni stand und sagte zu ihm: Du stehst
unachtsam, Riese, hältst den Schild vor dich, aber Thor hat dich gesehen
und er fährt auf dich los von unten her aus der Erde, und er
wird von unten dich erreichen. Da warf Hrungni den Schild zwischen
seine Füße und stellte sich darauf, aber mit zwei Händen schwang er den
Wetzstein. Danach sah er Feuerbündel und hörte Donnerlärmen, da sah
er den Thor im Asenzorn, er fuhr stürmisch dahin und schwang den Hammer
und schleuderte ihn einen weiten Weg nach Hrungni. Hrungni hebt nach
oben den Wetzstein mit beiden Händen, schleudert ihn entgegen und er
trifft sich mit dem Hammer im Fluge, und es bricht entzwei der Stein,
es fällt ein Teil auf die Erde und es sind davon geworden alle Wetzsteinfelsen
, der andere Teil zerbrach im Haupte Thors, so daß dieser
vornüber auf die Erde fiel. Aber der Hammer Mjölni kam mitten ins
Haupt Hrungnis und zerschlug den Schädel in kleine Stücke. Hrungni
fiel vorn über Thor, so daß sein Fuß lag auf dem Halse Thors. Aber
Thjalfi kämpfte bei Mökkurkalfi und der fiel mit geringem Nachruhm.
Da ging Thjalfi zu Thor und wollte den Fuß Hrungnis von ihm nehmen
und brachte es nicht fertig. Da liefen herbei die Asen alle, als sie
erfuhren, daß Thor gefallen war und wollten den Fuß von seinem Halse
nehmen und bekamen es nicht fertig. Da kam dazu Magni, der Sohn
Thors, und der Jarnsaxa, er war damals drei Nächte alt, der warf die
Füße Hrungnis von Thor und sprach: "Sieh da, wie jammerschade,
Vater, daß ich so spät kam! ich traue mir zu, daß ich diesen Riesen entzwei
geschlagen hätte mit meiner Faust, wäre ich ihm nur früher begegnet
." Da stand Thor auf und begrüßte seinen Sohn freundlich und
sprach, daß ein rechter Mann aus ihm werden müßte und "ich will",
sagte er, "dir geben den Hengst Gullfaxi, den Hrungni gehabt hat" . Da
antwortete Odhin und sagte, daß Thor falsch handelte, wenn er diesen
guten Hengst dem Sohn einer Riesin gäbe und nicht seinem Vater.
Thor fuhr heim nach Thrudwang und es lugte noch der Wetzstein
aus seinem Haupt. Da kam dazu die Zauberin, die Groa hieß, die Frau
Aurwandils, des Kühnen, sie sang ihre Zaubersprüche über Thor, damit
der Wetzstein sich lockere. Aber als Thor das empfand und ihm die Aussicht
da erschien, es würde der Stein fortgehen, da wollte er der Groa
die Heilung lohnen und sie froh machen. Er sagte ihr die Botschaft, daß
er nach Norden gewatet sei durch die Eisströme (eliwägar) und getragen
habe, im Eisenkorb auf seinem Rücken, den Aurwandil von Norden fort
aus dem Riesenheim, und das sei für ihn das Wahrzeichen, daß eine
seiner Zehen aus dem Eisenkorb gelugt habe, und sie war erfroren, so
daß Thor sie abbrach und nach oben warf an den Himmel und den
Stern davon machte, der nun heißt Aurwandils Zehe. Thor sagte, daß
es nicht lange dauern würde, daß Aurwandil heim käme. Aber Groa
wurde so froh, daß sie an keine Zaubersprüche mehr dachte und es wurde
der Wetzstein nicht lockerer und er liegt noch im Haupte Thors. Und es
ist das geboten als Vorschrift, die Wetzsteine quer über den Boden zu
werfen, weil sich dann lockert der Wetzstein im Haupte Thors.
Dieser Bericht besteht wie der Bericht von Balders Tod aus
drei Geschichten, die aber auf den ersten Blick noch loser zusammenhängen
. Das Kernstück ist die Mitte, der Kampf Thors mit
Hrungni. Snorri gab ihn, wie er selbst sagt, in Anlehnung an ein
großartiges, etwas überladenes Gedicht eines Skalden aus dem
10. Jahrhundert, Thjodolf von Hwin, wieder. Dies schildert den
Aufruhr der Elemente, das Erbeben der Erde und die im Feuer
auflodernde Welt: so braust Thor heran, um den Riesen zu treffen.
— Ganz in der Art der Kunst des 10. Jahrhunderts schildert
Snorri auch die steinerne Natur des Bergriesen; man vergleiche
etwa die Schilderung des "Eisernen karl" im dritten Teil unseres
Sagenbuchs.
Die Kunst des 10. Jahrhunderts steigert also und verdichtet in
ihrer Art die großartige Vision eines gotischen Poeten vom Kampf
des blitzeschleudernden Wettergottes gegen den steineschleudernden
Felsriesen, die wir als die älteste Form des Kampfes von Thor
und Hrungni erschlossen.
Man sollte nun meinen, diese auch im Norden hochberühmte
Tat hätte den Snorri auch zu anderem und neuem Preise des
Donnergottes begeistert. Das Umgekehrte geschieht: Thor und sein
Sieg werden in allen drei Teilen des Hrungniberichtes offen und
versteckt, geistreich und boshaft verspottet und verkleinert. Das ist
das Leitmotiv und ein Band, das die drei Teile zusammenhält.
Gleich im Eingang erscheint Odhin und nicht Thor. Wohl prahlt
der Riese in seiner Trunkenheit in Walhall, bis es den Göttern
auf die Nerven fällt, aber, wie er Thor sich gegenüber sieht, wird
er besonnen. Thor jedoch wirft sich als Herr auf, wo er gar nicht
Herr ist, überprahlt den Riesen, will das Gebot von Gastfreundschaft
und Burgfrieden brechen, und der Riese ist der ritterliche,
er entbietet den Gott zum Zweikampf, Held gegen Held. — Das
ungefüge und feige Gebilde, Mökkurkalfi, den Thjalfi so leicht besiegt
, scheint eigens erfunden, um auch auf den Kampf von Thor
und Hrungni etwas Lächerlichkeit herüberzuspritzen. Thor erringt
seinen Sieg außerdem nur durch die Hinterlist Thjalfis, hätte
dieser den Riesen nicht bewogen, auf den Schild zu treten, statt
ihn schützend vor sich zu halten, so hätte Hrungni sich auch gegen
den Hammer geschützt. Der Skalde Thjodolf weiß von dieser
Hinterlist noch nichts: der Riese verzagte, sagt er, als er den
kampfkühnen Gott erblickte, den goldenen Schild warf er unter
seine Fußsohlen, so wollte es das Schicksal. Diese Darstellung des
Skalden entspricht der älteren germanischen Auffassung. — Als
der Riese aber gefallen, kann der stärkste der Götter sich von dem
auf ihm liegenden Riesen nicht befreien und muß sich durch seinen
drei Nächte alten Sohn beschämen lassen: beschämen in Tat und
in Prahlerei, durch einen kaum Geborenen! Die Bilder von dem
Gott dem ein Stück Stein in der Stirn bleibt, und oon dem
Gott, der in seinem Korb auf dem Rücken einen anderen Gott
mühsam übers Eis schleppt und dessen Zehe abbricht und in den
Himmel wirft, sind ebenfalls nicht gerade Verherrlichungen.
Schon durch die Thrymskwidha tönt ein Unterton des Spottes.
Wie ratlos ist Thor, wenn es gilt, Klugheit und Geistesgegenwart
zu zeigen; wäre Loki nicht da und rettete er nicht die Lage, Thor
würfe durch sein wildes Dreinfahren den ganzen schönen Plan
der Götter über den Haufen. Welch seltsame Rolle spielt Thor auch
bei Balders Bestattung; nicht er, eine Riesin bringt das Totenschiff
ins Gleiten, und er muß gewaltsam zurückgehalten werden,
sonst bräche er wieder den Frieden und erschlüge die Riesin, dann
läßt er seinen Zorn an einem kleinen schwachen Zwerg aus. Die
Dichter der Edda gaben Thors Kraft und Macht anscheinend
immer widerwilliger zu, ihre Liebe gehört nicht ihm, sondern dem
adligen Odhin, den sie auch in die Hrungnidichtung bringen, und
sie setzen gerade den deutschen und volkstümlichen Gott herab.
Er ist ihnen wohl zu bäurisch; wir stoßen in der Edda auf die Unduldsamkeit
des Aristokraten und wohl auch auf die des Artisten.
Unter der Darstellung des Snorri von den Kämpfen Odhins,
Hrungnis und Thors liegen nun verschiedene Märchen- und
Mythengeschichten. Der Sinn vom Kampf Hrungnis und Odhins
war früher wohl der, daß Odhin dem Riesen sein Pferd entwendete
und es trotz stürmischer Verfolgung zu den Göttern rettete,
wie er einem anderen Riesen den Göttertrank entführt und, hart
verfolgt, bei den Göttern birgt. In unsrer Geschichte wird ja
das Roß des Riesen einem Gott geschenkt. Loki entwendet, ähnlich
dem Odhin, einem Riesen die Idhun und ihre Äpfel und bringt
sie, auch er hart verfolgt, den Göttern zurück. Die Riesen sind ja
reich: goldgehörnte Kühe, tiefschwarze Ochsen, langmähnige Rosse
erfreuen den Thrym, ein zauberstarker Hengst hilft dem Riesenbaumeister.
Man darf hier an ein verbreitetes Märchen erinnern: von einem
jungen Helden, der den Auftrag erhält oder der sich vermißt,
einem Riesen sein schönstes Roß zu entwenden, und dem diese Tat,
meist durch die Hilfe höherer Mächte, auch gelingt: dem Davoneilenden
jagt der Riese auf einem sturmschnellen Pferde nach. Ein
Märchen dieser Art scheint auf Odhin übertragen, kaum vor dem
11. Jahrhundert, da beginnt die Märchenzeit der Edda. Unser
Märchen wanderte vielleicht aus dem märchenliebenden Irland
nach dem Norden.
Man beachte noch folgendes: Der Riese bestaunt den Odhin,
der durch Wind und Wogen reitet, dessen goldener Helm im Sturm
auffunkelt, nachher jagt er über die Berggipfel ihm nach. Als
Hermod braust Odhin auf seinem Rosse in die dunkle Hölle, und
setzt hart über den Höllenzaun. In einer schwedischen Sage erscheint
er einem Schmied, der seinem Rosse zauberische Hufe
schmiedet, setzt mit dem Pferd über einen sieben Ellen hohen Zaun,
ohne ihn zu berühren und durchmißt eine sieben Tage lange Strecke
in wenigen Abendstunden. Diese Angaben sind doch wohl mehr
als großartige phantastische Dichtung; wir halten sie für eine
mythische Vision aus germanischer Zeit. Der gewaltige Reiter erinnert
uns an den germanischen Wode, den Schimmelreiter, der
auf seinem gespenstischen Roß durch Wind und Wolken stürmt;
einem germanischen Dichter erschienen die Wolken und der Gewittersturm,
der sie vor sich herfegt, als riesische Wesen oder als
ein vom Wettergott verfolgter Wolkenriese. Ist diese Auffassung
richtig, so muß freilich der Hrungni, der den Odhin erstürmen
will, ein anderer sein als der Hrungni, der mit Thor kämpft.
Auch das Beiwerk im Kampf von Thor und Hrungni entwickelte
sich aus alten sagenhaften Zügen und mythischen Vorstellungen.
Das Motiv vom Riesenbein über Thor erscheint merkwürdigerweise
in kaukasischen Geschichten vom gefesselten Unhold
und es ist aus ganz anderen Umgebungen in unsere Geschichte geflossen:
auch dort sollte es ein überstarkes Wesen demütigen. Thors
Sohn, Magni, der Starke ist ebenso wie sein anderer Sohn Modi
der Zornige, eigentlich ein Beiname des Gottes. —Mökkurkalfi,
Nebelwade, deuten wir wohl richtig als eine Verkörperung des
riesenhaften, zerfließenden, formlosen Nebels; dadurch wird Mökkurkalfi
mit dem Hrungni, dem Gegner Odhins, verwandt, es
ist also kein Zufall, daß er bei Snorri in Hrungnis Nachbarschaft
auftritt. Diesen größten und formlosesten Riesen besiegt — das
ist eine geistreiche, skaldische Ironie — einer der zierlichsten und
kleinsten Götter, Thjalfi, nach unsrer Auffassung ein elbisches
Wesen (S. 72), blitzschnell, wie der Riese langsam und ungefüg.
Thjalfis Wesen ist das Behende und Helle, auf eine Insel, die
Tags immer ins Meer sank und bei Nachts auftauchte, brachte er
Feuer und schenkte sie für immer dem Tag und dem Licht. Die
Besiegung des Mökkurkalfi durch Thjalfi enthüllt sich uns nun
auch als mythische Dichtung: der rasche Sonnenstrahl löst den
Nebel auf, daß er in Luft und Licht zerrinnt. Dies mythische Gebilde
erlebte manche Wandlungen, bei Snorri ist es eine boshafte,
Thorfeindliche Episode geworden.
Die sonderbaren Fabeleien von Thor, Groa, Aurwandil führen
uns noch einmal in eine reiche, durcheinanderwogende, mythische
und kultische Welt. Den Namen Groa tragen im Norden manche
Wahrsagerinnen, des Zauberspruchs kundig singt sie in unsrer
Sage ihre heilenden Weisen über Thor, damit der Stein in seiner
Stirn sich lockere. Man meint in diesen Worten noch den Nachhall
eines alten Bittgesanges an die winterlich erstarrte Mutter
Erde zu hören, daß sie sich lockere und Blumen und Frucht wieder
aus sich sprießen lasse. Groa ist im Dienst der Mutter Erde und
war früher wohl die Erde selbst; der Name Groa, "die Wachsende,
die Keimende" (vgl. englisch to grow wachsen), deutet darauf hin. Groa
ist mütterlich besorgt um Thor, der, wie Thjalfi sagt, von unten
her aus der Erde hervorbricht, und der, wie wir wissen, der Erde
Sohn ist. Und Aurwandil, der in Feuchtigkeit wandelnde, scheint
ein Gott des Frühlings und der Stern: Aurwandils Zehe sein
Wahrzeichen. " Sei du (Erde) wachsend in Gottes Umarmung"
hieß es im altenglischen Erdsegen (S. 55), einen die Erde umarmenden
Gott nennt uns nun die Edda. — Den Aurwandil, den
ihr der Winter raubte, entreißt Thor, der Herr über Wetter und
Wachstum, den Winterriesen und trägt ihn zur sehnsüchtigen Erde
zurück; eine alte, schöne, mythische Dichtung wird dies erzählt
haben. Snorri trägt sie leider in recht skurriler Form vor, die
Geschichte des für seinen Vorwitz bestraften Gottes klingt fast
wieder wie ein übermütiges Märchen.
Unsre anderen, sehr merkwürdigen Berichte über Aurwandil
widersprechen wenigstens unsrer Deutung nicht. Saro kannte ihn
auch, ihm war er ein irdischer Held, strahlend in Schönheit und
Jugendkraft, ein Liebling der Götter, ein Mensch gewordener
Frühlingsgott. Sein Bruder tötet ihn und nimmt sein Weib zur
Gemahlin, den schändlichen Mord rächt der Sohn des Erschlagenen,
das ist kein anderer als Hamlet. Was Sato erzählt, ist eine
Wikinger Dichtung und wäre — wir erinnern an die Baldersage
— ein neues Beispiel dafür, wie die Wikinger alte Mythen
in Helden- und Rachesagen umwandeln.
Das deutsche Mittelalter überliefert uns ein Spielmannsgedicht
Orendel. Dies entwickelte sich aus dem Hergang, daß Orendel
lange von der Heimat fern war, bei seiner Rückkehr die Frau
in den Armen eines andern fand und sie durch Kampf zurückgewinnen
mußte.
Schließlich ist eine dem Orendel ähnliche Sage voll nordischen
Tiefsinns auf einen dänischen Helden und Riesen Starkad übertragen
. Während er in den eisigen Strömen war, raubte ihm ein
überstarker Held, ein Zauberer und Berserker, ein Bürger zweier
Welten, der Menschen- und der Riesenwelt, seine geliebte jugendliche
Frau. Beide Gewaltigen kämpfen, als Starkad wieder kam,
um ihren Besitz, der Gatte siegte, aber die Frau, durch die Künste
des Nebenbuhlers betört und verführt, verschmähte den plumpen
Riesen und durchstach sich mit dem Schwert. —
Gemeinsam ist den Berichten außerhalb der Edda der Kampf
um die Frau, ein Motiv, das wir aus den Rückkehrsagen kennen,
das hier aber doch wohl mythische Bedeutung hatte. Freilich ist
schwer zusagen, welche. Die hergebrachte Erklärung ist, daß die
Frau, die Erde, während der Abwesenheit ihres Gemahls, des
Frühlings, dem Werben des Winters endlich erliegt, und daß
diesen der rückkehrende, rechtmäßige Gatte vertreibt.
Es kann aber auch sein, daß Orendel ursprünglich ein Himmelsgott
war, und daß seine Eigenschaft als Gott des Frühlings und
der Fruchtbarkeit sich erst spät vordrängte. Im Altenglischen heißt
nämlich der Morgenstern earendel. Die Berichte über den Gott
gäben dann verschwimmende Erinnerungen an jene Mythen vom
Opfer und vom Nachfolger des Himmelsgottes wieder, von denen
auch Sagen von Odhin und Balder vielleicht Spuren zeigen.
Starkad war einer der Feinde Thors und wurde von ihm
besiegt; er hatte acht Hände, und der Gott schleuderte ihn, wie
Uhland sagt, " vom schroffen Fels herab; rücklings, mit gespreizten
acht Händen, stürzte der brüllende Wasserriese nieder, und noch
eeden Augenblick sieht man ihn in grauenvollem Sturze begriffen
."
Nicht alle Sagen der Edda bergen eine so reiche Ernte wie die
um Thor und Hrungni gestellten. Wir erkennen nun auch, daß sie
nicht nur literarisch, durch die in allem gegen Thor waltende Bosheit
, zusammengeschmiedet sind, sondern auch mythisch: Hrungni
(der Gegner Odhins), Mökkurkalfi, Aurwandil sind verwandte
Wesen, mit Wetter und Wolke zusammenhängend, und auch Odhin,
Thor, Hrungni, Magni, Groa, Thjalfi, besonders der Odhin in
der alten Auffassung als Sturmreiter, gehören zueinander. Der
Mythologe hat vielen Grund zur Dankbarkeit, daß er unter der
Decke der skaldischen Dichtung so viele Mythen hervorholen kann:
von Hrungni, von Thjalfi, von Groa und Aurwandil, von Thor.
Doch zugleich erstaunt ihn die Wahrnehmung, wie bar jedes
mythischen Gefühls und jeder religiösen Ehrfurcht die isländischen
späteren Erzähler sein können, wie rücksichtslos sie gelegentlich mit
ihren alten Göttern umspringen, um ihrer Laune und ihrem Geist
die Zügel schießen zu lassen.
Wir wenden uns nun zu der Geschichte von Thor und Geirrödh
, deren Verwandtschaft mit dem Kampf von Thor und
Hrungni und von Thor und Thrym wir schon hervorhoben
(S. 33 f.). Snorri erzählt:
Einer besonderen Erwähnung wert ist die Geschichte, wie Thor fuhr
zum Haus des Geirrödh. Da hatte er weder den Hammer Mjölni noch
den Kraftgürtel noch die Eisenhandschuh und das verschuldete Loki — er
Sagenb. I. 11
begleitete ihn-—, weil ihm das begegnet war, als er einmal zur Kurzweil
flog im Faltenhemd der Frigg, daß er aus Vorwitz auch flog zur
Behausung des Geirrödh und dort eine große Halle sah und sich setzte
und hineinsah von der Dachluke. Aber Geirrödh wurde ihn gewahr und
befahl, man solle den Vogel holen und ihm bringen. Doch der Diener
kam nur mit Mühe die Wand des Saales herauf, so hoch war sie. Das
schien denn Loki gut, daß jener sich so anstrengen mußte, ihn zu fassen,
und er nahm sich vor, es sei nicht früher Zeit aufzufliegen, bis jener
den ganzen zuwideren Weg zurückgelegt hätte. Aber als der Mann
suchte, ihn zu packen, da schickt er sich an zum Flug und stößt sich kräftig
ab, und da sind die Füße fest. Loki wurde mit der Hand ergriffen und
zu Geirrödh, dem Riesen gebracht. Und als er sah in seine Augen, da
ahnte er, daß es ein Mann wäre und gebot ihm zu reden, doch Loki
schwieg. Da schloß Geirrödh den Loki in eine Kiste, und da hungerte
er drei Monate, und als Geirrödh ihn herausnahm und Rede verlangte,
sagte er, wer er war und zur Lebenslösung schwor er dem Geirrödh
den Eid, daß er mit Thor kommen würde in Geirrödhs Behausung, so
daß Thor hätte weder den Hammer noch den Kraftgürtel.
Thor kam zur Gastung zu der Riesin, die Grid genannt ist, sie war
die Mutter Widars, des Schweigsamen. Sie sagte dem Thor die Wahrheit
von Geirrödh, daß er ein Spürhund von Riese war und schlecht
mit ihm umzugehen. Sie lieh ihm den Kraftgürtel und die Eisenhand-schuh,
die sie hatte, und ihren Stab, der Gridstab heißt. Da fuhr Thor
zu dem Fluß, der Wimur heißt, aller Flüsse größtem. Dort legte er
nun den Kraftgürtel an und stützte sich stromabwärts auf den Gridstab,
aber Loki hielt sich unter dem Kraftgürtel fest. Und als nun Thor kam
mitten in den Strom, wuchs der Strom so stark, daß er ihm oben an
die Achseln brauste. Da sprach Thor dies: "Wachs nicht, du, Wimur! /
wenn zu waten mich lüstet / zum Haus des Niesen! / Wisse, wenn du
wächst / so wächst auch mir Asenkraft / hoch hinauf wie der Himmel
— Da sieht Thor oben auf einer Klippe, daß Gjalp, die Tochter
Geirrödhs, stand auf beiden Seiten des Flusses und sie machte den Fluß
wachsen. Thor nimmt da aus dem Fluß einen großen Stein auf und
warf nach ihr und sagte so: "am Ausfluß soll der Strom sich stauen" .
Nicht verfehlte er das Ziel, das er anwarf. Und in diesem Augenblick
trug er sich ans Land und bekam zu fassen einen Ebereschenbusch und
stieg so aus dem Wasser. Daher stammt die Redeweise, daß der Schutz
Thors die Eberesche ist.
Aber als Thor kam zu Geirrödh, da wurde den beiden Gefährten
zuerst ein Gasthaus angewiesen zur Herberge, und es war da ein Stuhl
zum Sitz und es saß Thor da. Da wurde er dessen gewahr, daß der
Stuhl unter ihm aufwärts fuhr zum Dach, er stemmte den Gridstab an
den Dachbalken und ließ sich fallen stark auf den Stuhl, da gab es ein
großes Gekrach und es folgte ein Geschrei und da waren unter dem
Stuhl die Töchter des Geirrödh gewesen, Gjalp und Greip, und er hatte
beiden den Rücken gebrochen. Da sprach Thor: "Ein einzig Mal /
braucht ' ich Asenkraft / im Haus der Riesen. / Da, als Gjalp und
Greip / des Geirrödh Töchter / mich heben wollten zum Himmel." Da
läßt Geirrödh den Thor rufen in die Halle zum Wettkampf mit sich.
Da waren große Feuer entlang an der Halle, aber als Thor kommt
gegen den Geirrödh, da packte Geirrödh mit einer Zange ein glühendes
Eisenstück und wirft es nach Thor, aber Thor fing es auf mit dem
Eisenhandschuh und schwingt das Eisen in der Luft. Doch Geirrödh lief
hinter eine Eisensäule, sich zu schützen. Thor warf das Stück, und es fuhr
durch die Säule und durch den Geirrödh und durch die Wand und noch
weiter in die Erde.
***Das letzte in diesem Bericht, den der Erzähler etwas abgerissen
und lückenhaft vorträgt, ist, wie wir wissen, das Älteste und seine
germanische Seele: der Kampf von Geirrödh und Thor. Die Waffe
des Riesen ist der Blitz und der Gott weiß den Blitz wirksamer
und wuchtiger zu schleudern.
Nun wartet Thor niemals, bis die Riesen zu ihm kommen, er
sucht sie in ihren eigenen Reichen auf und seine Fahrten dahin
sind Fahrten in eine andere Welt, den Fahrten ins Jenseits
gleichend, die bei allen alten und jungen Völkern die stärksten
Heroen unternehmen, und die in langen Jahrhunderten Furcht und
Phantasie der Menschheit immer oon neuem erregen und beflügeln.
Die Abenteuer von Thor auf der Fahrt zu Geirrödh gleichen
namentlich den Abenteuern, die gerade in mittelalterlichen Epen
Helden auf Fahrten ins Jenseits und zu verwunschenen Schlössern
bestehen und die vor allem keltische Phantasie sich ausmalte: das
Waten durch einen reißenden Strom, ein verhexter Stuhl oder ein
verhextes Bett im Haus des Riesen, Wettkämpfe von Wirt und
Gast sind hier wie dort typische Motive.
Märchenhelden, die sich wie Thor zu Unholden begeben, treffen
meist, bevor dieser heimkehrt, eine mitleidige Alte, die sich ihrer
erbarmt und die ihnen hilft, den Unhold zu überlisten oder zu
besiegen. Die Rolle dieser mitleidigen Helferin spielt in unsrer
Sage Grid, sie gibt dem Thor Kraftgürtel, Eisenhandschuh und
Stab. In der späteren Form einer anderen Thorsage treffen wir
eine solche mitleidige Alte noch einmal (S. 171).
Durch diese märchenhaften und abenteuerlichen Ausschmückungen
wird aus dem männlichen Thor ein knabenhafter Märchenheld.
Der eigentliche Anlaß für diese Umgestaltung war wohl der Zug,
daß der Gott den Riesen nicht mit seinem Hammer, sondern
mit dessen Waffe bezwang, er entriß dem Riesen den Blitz und
streckte ihn damit nieder. Den archaischen Wert dieses Motivs
verkannten die späteren isländischen Erzähler, ihnen war der Gott
ohne Hammer der Gott ohne Macht. Das war der Anlaß zu der
weiteren Erfindung, daß Loki den Gott ohne Hammer dem Riesen
ausliefern wollte, wie im Märchen den Märchenhelden seine Feinde
ins Verderben schicken, daß der Gott aber, wiederum dem Märchenhelden
gleich, gütige Helfer findet und am Ende doch triumphiert.
In der Geirrödhsage büßt also in einem Sinn Thor seine alte
germanische Kraft ein, freilich durch eine liebenswürdigere Kunst
als die Kunst der Hrungnisage, durch die Kunst des Märchens.
Im anderen Sinn aber steigert unsre Sage eine alte Kraft des
Gottes: nämlich seine Zauberkraft, gerade die Kraft, nicht die
L i st des Zauberers: Thor zerstört in Geirrödhs Halle den Zauber
der Riesentochter, Thor beschwört den reißenden Strom, Thor
gibt der Eberesche ihre Kraft, mit Thor verbindet sich die wahrsagende,
zauberische Frau, wie sich Groa mit ihm verband — denn
Grid ist eine Wölva und ihr Stab ist ein Zauberstab.
In früherer Zeit mag die Episode der Gjalp und Greip und
Grid — man beachte den Stabreim — ein Lied für sich gewesen
sein, in dem eine Mölva das Wüten zweier riesischer Wasserunholdinnen
beschwor. Gjalp und Greip, die Brausende und die
Packende, sind die Namen von Wasserriesinnen, zwei von Heimdalls
neun Müttern heißen ebenso. Zwei Wasserriesinnen mit
zauberischen Kräften treten noch in einem anderen Eddaliede auf,
dem Mühlenlied, ihre Zaubersprüche versenken einen habgierigen
König und die Seinen ins Meer.
Der Wettkampf von riesischem und göttlichem Zauber, das beherrschende
Merkmal der Geirrödhsage, wird nun in der Einleitung
variiert, in der sich Loki ohne rechte Begründung vordrängt: Loki
will den Riesen besiegen oder ihm wenigstens einen Schabernack
antun, aber die Zauberkraft des Riesen ist stärker, er hext den
nichtsnutzigen Gott fest und demütigt ihn. Die Einleitung erinnert
an andere Lokisagen und ist im Ton des Märchens gehalten;
wir erinnern etwa an die Kinder, die sich wie Hänsel und Gretel
in die Behausung einer Hexe wagen und von der Hexe gefangen
und beinah gefressen werden.
Außerdem ist uns die Einleitung ein neues Beispiel, daß in
den eddischen Geschichten drei Mächte gegen- und für- und durch-
einander wirken: die kleinen Wesen elbischer Herkunft, wie Loki
und Thjalfi, die großen Riesen wie Thrym, Hrungni, Mökkurkalfi,
Geirrödh und die Götter wie Thor und Odhin. Bald hilft der
Kleine dem Gott gegen den Riesen, wie Loki in ber Thrymskwidha
, Thjalfi in der Hrungnisage, bald sucht der Kleine den
Gott dem Riesen auszuliefern und wird selbst vom Riesen bezwungen
, wie Loki in der Geirrödhsage, bald bezwingt der Gott
aus eigner Kraft den gleichen Riesen, der des Elben so leicht Herr
wurde, wie wiederum in der Geirrödhsage. Wir erkennen auch
von dieser Seite her Thor als den mächtigen alten Gott. Andere
Variationen des gleichen Themas werden wir noch beobachten,
die Skalden und die isländischen Erzähler hatten offenbar an
diesen Variationen ihre Freude und sie übten an ihnen gern ihre
virtuosen Künste.
Die beiden Strophen in unsrer Geirrödhsage entstammen einem
eigenen Lied: seine anderen Verse sind uns verloren, es war die
zweite Gestalt der Dichtung. Eine dritte gab im 10. Jahrhundert
der Skalde Eilif Gudrunarson, Erinnerungen an eine vierte sind
bei Saro Grammaticus erhalten. Der Mönch weiß nichts von
der Loki-Einleitung, und nichts von Gjalp und Greip und Grid,
Geruths Land ist für ihn die grause Unterwelt, in die Thorkill:
das ist Thor karl, Mann des Thor — auf Geheiß des Königs
Gorm sich wagt. Die Abenteuer, die er auf seiner Reise zu bestehen
hat, gleichen auffallend den Abenteuern des Odysseus und
denen mancher mittelalterlichen Odyssee. Die Stadt Geruths wird
durch einen breiten Strom vom Diesseits getrennt und eine goldne
Brücke führt hinüber: uns kommt die Brücke des altdeutschen
Segens ins Gedächtnis. In einer Höhle dieser schrecklichen Stadt
sitzt auf einem Hochsitz ein alter Mann, sein Leib ist durchbohrt
und an einem Felsen befestigt. Bei ihm sitzen drei Weiber mit
zerbrochenem Rücken. Thorkill erzählt, der starke Gott Thor sei
durch Geruths Hochmut erzürnt worden und habe ihn mit einem
glühenden Eisenkeil an den welfen befestigt, zugleich traf Thor
mit dem Blitz die drei Weiber.
Grade das grausig Phantastische an Thors Fahrt zu Geirrödh
steigerten also die späteren Erzähler, freilich verschwand diese Fahrt,
im 14. Jahrhundert, in einer späten isländischen Saga ganz ins
Märchenreich. Welchen Gefallen mußten alte Zeiten an dieser Fabel
gefunden haben, wenn sie in den germanischen Zeiten, im 10., 12., 13.,
14. Jahrhundert im Norden, in Prosa und Vers, volkstümlich und
skaldisch, mythisch und märchenhaft, immer von neuem vor uns auftaucht.
Auch das esthnische Epos, der Kalewipoeg, enthält noch eine
ihrer Episoden und führt sie in unappetitlicher Breite aus, die Episode
nämlich von dem Strom, den die Tochter des Riesen wachsen macht.
Endlich trägt in einem Eddaliede, in den Grimnismal, ein
irdischer König den Namen Geirrödh. Ein langer Weg führt zu
ihm, Odhin besucht ihn, unerkannt, in Bettlertracht, und der König
mißhandelt den Gott, er setzt ihn mitten ins brennende Feuer.
Doch Odhin löscht die Flammen und bewirkt, daß der König ins
eigene Schwert stürzt. Die weite Fahrt, der Versuch, den Gott zu
mißhandeln, der Feuerzauber, die Strafe, die den Frevler trifft:
diese Motive erinnern an unsre Geirrödhsage, vielleicht sind sie
in Anlehnung an sie erfunden.
Saxo erzählt uns:
Halfdan gebraucht eine ungeheure, mit eisernen Knoten versehene
Keule auf seinen Kampffahrten oder eine Eiche, die er im Vorbeigehen
aus dem Boden reißt und durch Abstreifen der Äste als Keule zurichtet,
mit einem Hammer von erstaunlicher Stärke zermalmt er einen Riesen,
der Königstöchter zu rauben pflegt. Er nahm den Thoro, einen geschickten
und angesehenen Kämpen zu sich und kündigte Erik den Krieg
an. Sie bestiegen einen steinreichen Felsen, rissen die Felsmassen los
und ließen sie auf den Feind herabrollen, der unten im Talkessel aus
abschüssigem Boden stand. So gewann Halfdan mit Felsblöcken den
Sieg. Wegen dieser tüchtigen Tat galt er den Schweden als ein Sohn
des großen Thor, wurde vom Volke mit göttlichen Ehren begabt und
eines öffentlichen Opfers für würdig erachtet.
Diese Sage überträgt die Taten des Thor auf einen irdischen
König und seinen Begleiter. Hinter ihr ragt ein Bild auf, in
großen Umrissen, wie wir es nun kennen: die verheerende Macht
des Gewitters, das Bäume entwurzelt und Felsmassen ins Tal
schleudert, ist dargestellt als das ungeheure Wirken des Wettergottes
. Ein Auftakt aus den Märchen leitet auch diese Geschichte
ein: der Bursche mit der ungeheuren Keule, der Bursche, der eine
Eiche ausreißt und sie als Waffe führt, der Bursche, der Königstöchter
aus der Hand von Riesen befreit. Das alles ist der "Starke
Hans" oder der"Bärensohn" des Märchens, der seit dem 10. Jahrhundert
in der germanischen Märchenwelt sein übermütiges Kraftwesen
treibt, besonders in späteren Thor- und Siegfriedsagen.
In den Dichtungen, die wir bisher aufsuchten, war die Grundlage
der Kampf eines Riesen mit Thor, dem blitzeschleudernden
Gott. Nun wenden wir uns zu anderen Taten dieses tatenreichsten
Gottes. In die germanischen Zeiten führt der Kampf Thors mit
der Midgardschlange zurück. Snorri erzählt:
Thor blieb nicht lange daheim. Er rüstete sich so rasch zur Fahrt,
daß er weder Wagen noch Böcke noch Fahrtgenossen hatte, wie ein
junger Bursche ging er aus Asgard und kam eines Abends zur Dämmerzeit
zu einem Riesen, der hieß Hymi. Er blieb da zur Gastung die Nacht.
In der Frühe stand Hymi auf und kleidete sich an und wollte auf See
rudern zum Fischfang. Aber Thor sprang auf und war schnell fertig und
bat, daß Hymi ihn mit sich rudern lasse. Doch Hymi meinte, daß er
wenig Hilfe von ihm haben werde, da er klein und ein Jungbursch
war, "und es wird dich frieren, wenn ich so lange und so weit draußen
sitze bei den Untiefen, wie ich es gewohnt bin" . Aber Thor sagte, daß
er deswegen weit vom Land rudern könne und daß es gar nicht gewiß
sei, ob er nicht verlangen würde, noch weiter herauszurudern, und Thor
erzürnte sich so über den Riesen, daß er so weit war, gleich den Hammer
auf ihn sausen zu lassen. Aber er ließ es dabei bewenden, weil er gedachte,
seine Kraft zu erproben bei einer anderen Gelegenheit. Erfragte
den Hymi, was sie als Köder haben würden, doch Hymi bat ihn, sich
selbst einen Köder zu besorgen. Da ging Thor sofort zurück, bis er sah
eine Herde Ochsen, die Hymi besaß. Er nahm den größten Ochsen, der
Himinhrjod heißt, und rib ihm das Haupt ab und ging damit ans Ufer.
Da hatte Hymi das Schiff herausgestoßen, Thor sprang aufs Schiff und
setzte sich in den Schöpfraum (ans steuer), ergriff zwei Ruder und
ruderte und es schien dem Hymi das Schiff rasch dahinzuschießen von
seinen Ruderschlägen. Hymi ruderte vorn am Bootshals und suchte eilig
zu rudern, es sagte Hymi, daß sie nun gekommen seien an die Sandbänke,
wo er gewohnt sei zu sitzen und Plattfische zu angeln. Aber
Thor rief, viel weiter wollten sie rudern, und sie begannen nun ein
Schnellrudern. Hymi sagte nun, daß sie so weit herausgekommen seien,
daß es gefährlich wird, dort zu verweilen wegen der Midgardschlange,
doch Thor rief, noch eine Zeitlang würde er rudern, und so tat er.
Aber Hymi war da ganz mißvergnügt. Wie nun Thor eingezogen hatte
die Ruder, brachte er eine Angelschnur heraus, eine recht starke, und
nicht war die Angel kleiner oder minder stark. Da ließ Thor auf die
Angel das Ochsenhaupt kommen und warf es über Bord und es fuhr
die Angel auf den Grund. Die Midgardschlange schnappte gewaltig
nach dem Ochsenhaupt, doch die Angel fuhr dem Wurm inden Gaumen.
Aber als der Wurm das merkte, da zog er so heftig an, daß die beiden
Fäuste Thors an den Rand des Schiffes aufschlugen. Da wurde Thor
zornig und die Asenkraft fuhr in ihn und er stemmte sich so fest auf,
daß er mit beiden Füßen durch das Schiff trat und auf dem Meergrund
feststand. Er zog da den Wurm an Bord. Aber das kann man
sagen, daß der noch nicht die schrecklichsten Gesichte sah, der nicht sehen
konnte, wie Thor mit den Augen durchbohrte die Schlange, und wie
diese ihm entgegenstarrte von unten her und ihr Gift blies. Da heißt
es, daß der Riese Hymi die Farbe wechselte, fahl wurde und zitterte,
als er die Schlange erblickte, und sah wie die See in das Schiff hineinstürzte
und hinaus. Und in dem Augenblick, wo Thor nach dem Hammer
griff und ihn in die Luft schwang, da fuhr der Riese nach seinem Messer
und zerschnitt die Schnur Thors am Schiffsrand und die Schlange senkte
sich in die See. Doch Thor warf den Hammer nach ihr und die Leute
sagen, daß er ihr Haupt abschlug in den Wogen, doch ich glaube, ich
muß dir das als wahr erzählen, daß die Midgardschlange lebt und im
Weltmeer liegt. Doch Thor schwang die Fäuste und setzt sie an die
Ohren Hymis, so daß der über Bord stürzt und man sieht seine Fußsohlen,
aber Thor watete an Land.
Wucht und Pracht in der Schilderung dieses Zusammentreffens
von Thor und seiner Erzfeindin laffen sich kaum übertreffen.
Mancher Skalde hat sich an dem gleichen Thema versucht und
auch alte Bildwerke stellen den Kampf Thors mit der Midgardschlange
dar.
Germanische Darstellungen von Ungeheuern, wie das Meer
sie birgt, und von einem Unhold, dessen Zucken die Welt erbeben
macht, sind in der Midgardschlange verschmolzen. — Beowulf,
der als Mann den Meerunhold Grendel besiegt, fällt als Greis
im Kampf mit einem ähnlichen Tiere, das er sterbend vernichtet
und von dem er sein Land befreit. Dies heroische Schicksal übertrug
die nordische Dichtung auf Thor und gestaltet es größer
und tragischer: im letzten Kampf der Riesen und Götter tritt die
Midgardschlange, die ihm noch immer entrann, dem Thor entgegen
, der so viele Riesen erschlug. Sie öffnet den Schlund bis
zum Himmel, der Gott erschlägt sie, aber sie haucht ihn noch einmal
an, er weicht neun Schritte zurück und fällt tot hin. So erzählt
es im 10. Jahrhundert die Wöluspa.
Spätere Jahrhunderte machen aus der Midgardschlange ein
gelehrtes Fabelwesen, das sich, wie der Okeanos der Griechen,
um alle Länder windet und sich selbst in den Schwanz beißt.
Der Kampf Thors mit der Midgardschlange geriet ebenfalls aus
der Welt germanischer Kraft und Tragik, die noch das 10. Jahrhundert
so wundervoll steigerte, allmählich in das Groteske und
Märchenhafte, wir kennen ja das Schicksal der Thorsagen. In
dem Bericht Snorris ist der Kampf mit dem Besuch bei einem
Riesen verbunden, dadurch erhält er den Anstrich der Riesengeschichten
. Das Bild bei Snorri ist z. B. von gewollter Komik,
daß der Riese, von der Ohrfeige des Gottes getroffen, kopfüber so
ins Meer stürzt, daß nur noch seine Fußsohlen herausragen: ähnliche
Ohrfeigen pflegt wieder der starke Hans auszuteilen. — Ferner
hatte der Norden an alten Schwankmärchen von der überlistung
der Riesen durch Menschl eine lebhafte Freude. Der Riese
fordert darin von den Menschen Kraftleistungen, etwa Essen. Der
Mensch bindet sich einen Sack vor, in den er die Speisen heimlich
schüttet, und als der Riese satt ist, behauptet er, nun finge er
gerade an. Oder: der Mensch soll Wasser holen, er fragt, ob er
nicht gleich den ganzen brunnen mitbringen dürfe. Oder: der
Mensch soll ein Boot ins Wasser schieben, weigert sich aber, weil
das in Stücke gehen würde, wenn er es nur berühre. Diese scheinbaren
Kraftleistungen des Menschen verwandelten aber die Dichter
der Edda, im Unterschied vom Märchen, in wirkliche des Gottes.
Zwei von diesen Leistungen, daß Thor als Köder ein Stierhaupt
nimmt, und daß er den Riesen gerade dahin rudert, wohin
dieser nicht mag, kennt Snorri. Zwei andere erzählt ein ganz
spätes Eddalied, die Hymiskwidha — eine märchenhafte und
skaldenhafte übersteigerung von Snorris Bericht —, nämlich die
Eßkraft des Gottes: er verzehrt allein zwei Ochsen, und seine
Tragkraft: er nimmt allein ein großes Boot auf die Schulter.
Dies Lied schiebt außerdem die bezeichnenden Motive des
Märchens von der Fahrt zu einem menschenfressenden Unhold in
die alte Sage. Thor wird zum Hymi geschickt, um dessen Kessel
zu holen, wie ein Märchenheld zu einem Riesen, dessen Bestes
er rauben soll. Den Gott und seinen Begleiter verbirgt wieder
eine mitleidige Alte. Thor bricht die Kraft des Riesen, indem er
seinen Becher zerschlägt, er raubt ihm den Kessel und wird von
der ganzen Menge der Unholde verfolgt, die er jedoch überwindet.
Ein Motiv in der Hymiskwidha erweckt unser besonderes Interesse:
Thor soll dem Riesen Hymi seine Stärke beweisen. Trotzdem
der Gott den Riesen durch verschiedene ungeheure Taten in
Schrecken versetzte, verlangt dieser als letzte, daß er seinen Becher
zerschellt. Der Gott wirft den an einen steinernen Pfeiler; umsonst,
der Pfeiler zerbricht, der Becher bleibt heil. Da rät die Frau des
Riesen dem Thor, er möge den Kelch an den Kopf des Unholds
schleudern, Thor befolgt den Rat: und nun bleibt der Kopf heil,
der Becher zerspringt. Der sonst recht wortkarge Riese trauert
erschüttert seinem kostbaren Schatze nach, läßt den Gott ziehen
und duldet sogar, daß er auch noch seinen großen Kessel mitnimmt:
mit dem Becher hat der Unhold seine Macht über den
Gott verloren.
Es bietet sich nun die Vermutung an, daß in der Quelle, aus
welcher der Dichter der Hymiskwidha schöpfte, die Seele des Riesen
im Becher war, und daß der Held den Becher zerbrach, um den
Riesen zu vernichten. Dann wäre das Bechermotiv die Umformung
des alten Märchens vom ¶Riefen ohne Seele: der Riese hat seine
Seele nicht in sich, sondern außer sich, versteckt in irgendeinem
Gegenstand, eine mitleidige Frau verrät das Geheimnis einem
tapferen Burschen, der den Riesen bezwingen soll, dieser zerstört
den Gegenstand, in dem sich die Seele birgt, und damit den
Riesen selbst.
Die Hymiskwidha bewegt sich in starren ungelenken Vergleichen
skaldischer Art. Es ist seltsam zu sehen, wie das warme und kindliche
Märchen in ihrer Umarmung erfriert. Daneben erfreut sie
durch eine kräftige Komik: Thor, der an einer dünnen Angelschnur
das schwerste Ungetüm, die Midgardschlange, heraufzieht,
und der, den erbeuteten Kessel über den Kopf gestülpt, so schnell
als möglich sich davontrollt, das sind Bilder des ergötzlichsten
Kontrastes. Am besten aber geriet die Schilderung des Riesen:
schwer von Kälte, mit ungefügen Schritten, tappt er in das Zimmer,
um das Kinn steht ihm der Bart wie ein Eiswald, und vor
seinem Blick zerbersten die Balken.
In den Geschichten von Thor und Hymi wuchert neue Komik
um den Gott auf. Außerdem stellt sich zwischen den germanischen
Donar und zwischen den Märchenhelden und Prahlhans Thor
ein heroischer Gott des 10. Jahrhunderts. Ihn und seine Tragik
erkennen wir auch in der Sage vom Riesenbaumeister.
Snorri erzählt:
Es war da in frühen Zeiten in der Götterwelt, nachdem die Götter
Midgard eingerichtet und Walhall gebaut, daß ein Baumeister kam und
anbot, ihnen eine Burg zu bauen in drei halben Jahren, so fest, daß
sie nicht in Furcht zu sein brauchten vor Bergriesen und vor Reifriesen,
wenn diese auch in Midgard eindrängen. Aber er beanspruchte das als
Kaufpreis, daß er sich Freyja aneignen dürfe und auch Sonne und
Mond wollte er haben. Da gingen die Asen zur Besprechung und tauschten
ihre Ratschläge und es wurde dieser Kaufpreis mit dem Riesen ausgemacht
, daß er sich aneignen dürfe, was er beanspruche, wenn er vollendete
die Burg in einem Winter. Doch am ersten Sommertag, wenn
irgend etwas unfertig wäre an der Burg, dann sollte er vom Kaufpreis
abstehen, er sollte auch von keinem Menschen Hilfe haben beim Bau.
Aber als sie ihm diese Bedingung ansagten, da verlangte er, daß sie
ihm Hilfe von seinem Hengst erlauben möchten, der Swadilfari heißt,
und Loki riet, daß ihm dies zugestanden würde. Er nahm in Angriff
den Bau der Burg am ersten Wintertag und nachts schleppte er Steine
auf dem Hengst herbei. Aber das schien den Asen ein großes Wunder,
welche großen Lasten dieser Hengst schleppte, und die Hälfte mehr Arbeit
verrichtete der Hengst als der Baumeister. Bei dem Baupreis waren
nun starke Bekräftigungen und viele Eide, denn der Riese traute den
Asen nicht und hielt sich für schutzlos, wenn Thor zurückkäme, der war
gerade nach Osten gefahren, Trolle zu erschlagen. Als der Winter vorschritt,
strengte sich der Baumeister sehr an, und es wurde der Bau so
hoch und stark, daß niemand heraufsehen konnte. Als es noch drei Tage
waren bis zum Sommer, da war er fast bis zum Burgtor gekommen.
Da setzten sich die Götter auf ihre Ratstühle und suchten Ratschläge und
jeder fragte den anderen, wer dazu geraten hätte, die Freyja in die
Welt der Riesen auszuliefern oder Luft und Himmel so zu vergiften
und ihnen Sonne und Sterne zu nehmen und sie dem Riesen zu geben.
Und sie kamen alle darin überein, daß ihnen der das geraten hätte,
der das meiste Böse riet, Loki, Laufeys Sohn, und sie nannten ihn wert
eines bösen Todes, wenn ihm nicht ein guter Rat einfiele, daß der Baumeister
vom Kaufpreis abstehe, und sie gingen auf Loki los. In seinem
Schrecken schwur er Eide, er werde es so einrichten, daß der Baumeister
vom Kaufpreis abstehe, was es ihm auch kosten möge. Am selben Abend
nun, als der Baumeister hinausfuhr zu den Steinen mit dem Hengst
Swadilfari, lief aus dem Walde eine Stute und zum Hengst und
wieherte dabei. Aber als der Hengst merkte, was für ein Roß das war,
da geriet er in Brunst und zerriß seine Stricke und lief zur Stute,
aber sie in den Wald hinein und der Baumeister hinterher und er will
den Hengst fangen und die Pferde laufen die ganze Nacht, und der
Riese blieb da die Nacht, und da am Tage wurde nicht so gebaut wie
vorher. Als der Baumeister nun sieht, daß er nicht mit dem Werke
fertig wird, da gerät er in Riesenzorn. Aber als die Asen nun sicher
wußten, daß ein Bergriese unter ihnen war, da wurden die Eide nicht
geschont, und sie riefen nach Thor, und im gleichen Augenblick kam er,
und dann sauste der Hammer Mjölni durch die Luft: er vergalt dem
Baumeister seinen Kaufpreis, und nicht Sonne und Gestirne bekam er,
sondern er nahm ihm die Wohnung in der Riesenwelt und schlug den
ersten Hieb, daß der Schädel zerbrach in kleine Stücke und schickte ihn
unten in die dunkle Hölle. Aber Loki hatte solchen Umgang mit Swadilfari
gehabt, daß er nach einiger Zeit ein Füllen gebar, und es war
grau von Farbe und hatte acht Füße und es ist der beste Hengst unter
Göttern und Menschen.
Diese Sage war früher eine von den Göttern unabhängige
Volkssage. Ihresgleichen leben heute in Deutschland noch manche:
ein Riese oder ein Unhold, jetzt ist es meist der Teufel, verspricht
einem Menschen in kurzer Zeit, in einer Nacht, eine Burg zu
bauen, wenn dieser ihm sein Bestes gäbe. Der Mensch nimmt
in dem Wahn, daß es sogar übermenschlicher Kraft unmöglich
sei, ein Werk so rasch zu vollenden, die Bedingung an, aber der
Bau steigt mit entsetzlicher Geschwindigkeit empor, und nun hilft
sich der Mensch durch List, er bringt einen Hahn zum Krähen
oder weiß sonst den Anschein zu wecken, der Tag sei angebrochen.
Der Unhold aber gibt sich mit einem Fluch verloren und zertrümmert
das Werk der Nacht.
Die List der Göttersage weicht von der List der Volkssage ab:
Loki lockt das Pferd des Riesen fort, indem er sich in eine Stute
verwandelt. Diese nicht eben schöne, aber mit Humor vorgetragene
groteske Erfindung wanderte vielleicht aus dem Irischen ins Nordische
und aus dem Irischen scheint auch der Hengst des Riesen
selbst zu stammen. Alt und germanisch an diesem Teil der Sage
ist die Verwandlungsfähigkeit von Loki, seine Beziehung zum Tier
der geschlechtlichen Kraft, dem Pferd, und seine Gabe, das Geschlecht
zu tauschen oder, sagen wir besser, zu verdoppeln.
Befreien wir unsre Dichtung oon ihrer irischen Verschnörkelung
, so gewinnt sie etwa diese Form: Die Götter gehen, damit
ihnen eine Burg gebaut werde, einen leichtsinnigen Vertrag mit
einem Riesen ein, rufen, als sie ihren Leichtsinn erkennen und
sich keinen Rat wissen, den Thor und dieser befreit sie von dem
Riesen und zerbricht zugleich die heiligen Eide. So überliefern
uns wirklich die schwermütigen und tragischen Verse der Wöluspa
die Sage: die Götter beraten bestürzt, wer die Luft vergiftet und
wer die Freyja dem Riesen gegeben, Thor, von seinem Zorn bezwungen,
schlägt zu, und die Eide und Schwüre sind zerstört, die
sie stark und bindend aufgerichtet. — Diese Form ist gewiß eine
Vertiefung der alten volkstümlichen Geschichte. Thor rettet die
Götter, nicht durch List und Betrug, sondern durch seine ehrliche
Kraft. Aber was in der Urzeit natürliche Notwehr war und die
Tat des Starken, verwandelt sich in Treubruch und rohe Gewalt
in einer Zeit, die Recht und Eid über sich setzte. Auch diese höhere
Zeit kann ohne Gewalt nicht leben, aber, indem sie den Gott der
Gewalt ruft, überliefert sie sich zugleich der Schuld und dem
Untergang.
So faßt der Dichter der Wöluspa den Thor auf: als den Beschützer
der Welt (midgards veorr), der die Menschen von den
Riesen befreit und auch die Götter vor ihnen bewahrt, der zugleich
die Eide zerschlägt und das Ende der Götter dadurch beschleunigt
, der am Ende seines Daseins, seinen stärksten Kampf
mit dem stärksten Unhold kämpfend, zum letztenmal seine zermalmende
und hilfreiche Macht zum Schutz der Götter und Menschen
aufbietet und der nicht der Kraft, sondern dem Gifthauch
des Wurms erliegt.
Das ist wieder, unter der Einwirkung des Christentums, eine
großartige Erhöhung des alten germanischen Gottes. Von ihr aber
ist der Schritt nicht allzuweit zu der Gegenüberstellung von roher
Kraft gegen besonnene List, die wir als Merkmal der späteren
Thorsagen erkannten, und in deren Licht der Gott immer lächerlicher
wird. Am ausgelassensten und geistreichsten verhöhnt den
Thor die Sage vom Utgardaloki.
Gangleri fragt in der Gylfaginning: "Ist es Thor niemals so ergangen
, daß er auf etwas so Mächtiges und Kräftiges traf, daß es für
ihn übergewaltig war, für seine Stärke und für sein Wissen." Da sagte
Ha: "Wenige, glaube ich, können davon erzählen, doch manches schien
ihm schwer auszuführen. Wenn es sich nun aber auch begeben haben
sollte, daß irgend etwas so kräftig und stark war, daß Thor nicht den
Sieg erlangte, so ziemt es sich doch nicht davon zu reden, deswegen,
weil viele Beweise dafür da sind, daß Thor der stärkste bleibt, und weil
wir sie alle glauben müssen." Da sprach Gangleri: " So scheint es mir,
als hätte ich gerade nach etwas gefragt, worüber es nicht schicklich ist,
zu reden." Jafnha antwortete: " Wir haben sagen hören von Vorfällen,
die uns zu unglaublich scheinen, als daß sie wahr sein könnten, aber
hier in der Nähe sitzt einer, der Zuverlässiges davon berichten kann,
und du wirst kaum glauben, daß er nun das erste Mal lügt, der vorher
nie log." Da sprach Gangleri: "Hier will ich stehen bleiben und hören,
ob diese Sache sich auflöst; wenn ihr aber schweigt, so habt ihr das
Spiel verloren; wenn ihr nicht beantworten könnt, was ich euch frage."
Da sprach Thridi: " Nun ist es offenbar, daß er diese Geschichten wissen
will, trotzdem es uns nicht schön scheint, davon zu reden."
So hebt diese Geschichte an, daß Wagen Thor ausfuhr mit seinen
Böcken und reiste mit ihm der Gott, der Loki heißt. Sie kommen
am Abend zu einem Bauern und besorgen sich das Nachtquartier. Thor
nahm seine Böcke und schlachtete beide. Danach wurden sie enthäutet
und zum Kessel getragen, und als sie gekocht waren, setzte sich Thor zum
Nachtmahl und die Gefährten. Thor entbot zum Mahle mit sich den
Bauern und seine Frau und ihre Kinder, der Sohn des Bauern hieß
Thjalfi, aber Röskwa die Tochter. Da legte Thor die Bocksfelle an;;
dem Feuer und sagte, daß der Bauer und seine Familie die Knochen
werfen sollten auf die Bocksfelle. Thjalfi, der Sohn des Bauern, hielt
sich an den Schenkelknochen des Bockes und öffnete ihn mit dem Messer
und brach ihn auf bis zum Mark. Thor verweilte dort die Nacht, aber
in der Dämmerung vor Tag stand er auf und kleidete sich an und nahm
den Hammer Mjölni, schwang ihn darüber und weihte die Bocksfelle.
Da standen auf die Böcke und es war der eine lahm am Fuße. Das sah
Thor und sagte, daß der Hausherr oder einer der Seinen nicht vorsichtig
umgegangen sei mit den Bocksknochen, er sieht, daß gebrochen
war der Schenkel. Nicht braucht man lange davon zu erzählen, vorstellen
werden sich das alle, wie erschrocken der Bauer sein mußte, als er sah,
daß Thor sinken ließ seine Brauen über die Augen und als er zu den
Augen aufsah, da meinte er vor dem Anblick allein zusammenzubrechen.
Thor packte mit den Händen den Hammerschaft, so daß die Knöchel
weiß wurden. Der Bauer tat, was zu erwarten war, und alle die Seinen,
sie riefen ihn flehentlich an und baten um Schonung und boten als
Ersatz alles an, was sie hatten. Aber als er ihren Schreck sah, verging
ihm der Zorn und er besänftigte sich und nahm von ihnen als Buße
ihre Kinder Thjalfi und Röskwa, und sie waren ihm da als Dienstboten
verpflichtet und folgen ihm immer von da an.
Thor ließ dort zurück die Böcke und rüstete die Fahrt östlich nach
Jötunheim und ganz zum Meer. Er fuhr über das tiefe Meer und
als er an das Land kam, ging er hinauf, und mit ihm Loki und Thjalfi
und Röskwa. Als sie nun eine kleine Weile gegangen waren, stand vor
ihnen ein großer Wald, und sie wanderten darin den ganzen Tag bis
zur Dunkelheit. Thjalfi war unter allen Männern der fußschnellste, er
trug den Speisesaal Thors, denn an Speise war hier nichts Gutes. Als
es nun ganz dunkel geworden war, suchten sie sich einen Ruheplatz für
die Nacht und fanden vor ihrer Nase ein Haus, ein recht großes,
die Türen waren an einem Ende und sie waren ebenso breit wie die
ganze Wohnung. Dort richteten sie sich ein für die Nacht. Um Mitternacht
aber entstand ein gewaltiges Erdbeben, die Erde ging hin und
her wie ein Schiff auf den Wellen und das Haus erzitterte. Da stand
Thor auf und rief nach seinen Genossen, und sie suchten umher und
fanden ein Nebenhaus zur rechten Seite in der Mitte und gingen hinein.
Thor setzte sich in die Tür, aber die andern waren innen, hinter ihm
versteckt, und sie waren recht furchtsam. Thor dagegen hielt die Hand
am Hammerschaft und gedachte, sich zu wehren. Da hörten sie ein mächtiges
Brausen und Schnauben. Als der Tag anbrach, kam Thor heraus
und sieht einen Mann dicht vor sich im Walde liegen und der war
nicht klein und schnarchte stark. Da glaubte Thor zu erkennen, was für
Geräusche das gewesen seien in der Nacht. Er tat den Kraftgürtel an,
und die Götterkraft wuchs ihm. Aber in diesem Augenblick erwachte der
Mann und stand schnell auf, und da heißt es, daß dem Thor dies eine
Mal der Mut entfiel, mit dem Hammer zuzuschlagen. Er fragte nun
jenen nach seinem Namen, er hieß Skrymi. "Dich aber brauche ich
nicht nach dem Namen zu fragen," sagte er, " du bist Asathor; aber
hast du meinen Handschuh fortgenommen?" Da bückte er sich und hob
seinen Handschuh auf: Thor sieht nun, was er für eine Behausung in
der Nacht gehalten hat, und das Nebenhaus war der Däumling des
Handschuhes. Skrymi fragte, ob Thor seine Begleitung haben wollte,
und Thor bejahte das. Da nahm der Riese seinen Speisesack, löste die
Bänder und begann, sein Tagmahl zu essen; Thor und seine Begleiter
aßen daneben. Skrymi schlug nun vor, sie sollten die Speisen zusammenlegen,
und Thor stimmte zu. Da tat der Riese das ganze Essen in
einen Ranzen, band ihn zusammen und warf ihn auf seinen Rücken. Er
Sagenb. I. 12
ging den ganzen Tag voran und machte recht große Schritte, aber spät
am Abend suchte er für sie das Nachtlager unter einer großen Eiche.
Skrymi sagte zu Thor, er wolle sich niederlegen und schlafen, " aber ihr
nehmt den Speisesaal und rüstet euch das Nachtmahl" . Dann schlief er
gleich ein und schnarchte stark. Thor nahm nun den Sack und wollte ihn
öffnen, aber das ist zu melden, so unglaublich das auch klingen mag,
daß er keinen Knoten lösen konnte, und daß kein Riemenende sich rührte,
so daß es loser war als vorher; doch als er sieht, daß sein Werk nicht
gelingen will, da wird er zornig und griff nach dem Hammer mit beiden
Händen, stieg mit einem Fuß dahin, wohin Skrymi lag und schlägt
ihn auf den Kopf. Der Riese erwacht und fragt, ob ein Laubblatt ihm
auf den Kopf gefallen wäre, und ob sie schon gegessen hätten und nun
bereit seien zum Schlaf. Thor sagte, daß sie jetzt schlafen wollen. Sie
gehen da unter eine andere Eiche, aber ich muß dir in Wahrheit sagen,
daß es nicht gefahrlos war zu schlafen. Um Mitternacht hört Thor, daß
Skrymi wieder schnarcht, so daß es im Walde dröhnt. Er steht auf,
geht zu ihm, schwingt den Hammer, rasch und fest, und schlägt ihn mitten
auf den Scheitel, er sieht, daß des Hammers Spitze tief einsinkt
ins Haupt. In dem Augenblick erwacht Skrymi und sprach: " Was ist
nun? Fiel mir eine Eichel auf den Kopf? Oder warum bist du so aufgeregt,
Thor?" Aber Thor ging rasch zurück und sagte, daß er wieder
aufgewacht sei — und es war Mitternacht geworden —, und es wäre
doch Zeit zu schlafen. Nun beschloß Thor bei sich, wenn die Gelegenheit
wiederkäme, dem Riesen den dritten Hieb so zu schlagen, daß jener dann
niemals sich wieder besehen sollte; er liegt nun und lauert, ob Skrymi
noch einmal einschläft. Und kurz vor Tag hört er, daß der Riese eingeschlafen
sein muß. Da steht er auf und läuft zu ihm, schwingt den
Hammer mit seiner ganzen Kraft und schlägt auf seine Schläfe, die er
nach oben gekehrt wußte, der Hammer sinkt bis zum Schaft. Skrymi
aber setzte sich auf, strich sich über die Wangen und sagte: " Sollten
wohl in dem Baum über mir Bögel sitzen? Mir war so, als ich aufwachte,
daß ein Stückchen eines Zweiges mir auf den Kopf fiele.
Wachst du Thor? Es wird Zeit sein, aufzustehen und sich anzukleiden!
Ihr habt nun keinen langen Weg bis zu der Burg, die Utgard heißt.
Ich habe gehört, daß ihr unter euch flüstertet, daß ich ein Mann sei,
nicht klein von Wuchs, dort aber, wenn ihr hinkommt, werdet ihr größere
Männer sehen können. Ich will euch einen guten Rat geben: Spielt da
nicht die großen Leute, nicht werden die Gefolgsleute von Utgardaloki
sich prahlende Worte von solchen Knirpsen bieten lassen. Oder kehrt um
und das wäre der beste Entschluß, den ihr fassen könntet; aber wenn
ihr weiter wollt, so geht nach Osten. Ich werde mich gen Norden wenden
zu den Bergen, die ihr nun sehen könnt." Skrymi nimmt das Bündel
, wirft sich's auf den Rücken und schlägt sich in den Wald, und es
wird nichts davon erzählt, daß die Götter ihm eine gute Reise gewünscht
hätten.
Thor geht weiter auf seinem Weg und seine Gefährten und geht
bis Mittag. Da sahen sie eine Burg sich erheben auf dem Gefilde, und
sie mußten den Nacken ganz auf den Rücken legen, bevor sie zu den
Zinnen hinaufsehen konnten. Sie gehen zur Burg, und es war ein
Gitter vor dem Burgtor, und es war verschlossen. Thor ging an das
Gitter, konnte das Schloß aber nicht öffnen, und als sie sich umsonst
bemüht hatten, in die Burg zu kommen, schmiegten sie sich zwischen die
Gitterstäbe und schlüpften so hinein. Sie sahen eine große Halle und
gingen darauf zu, die Tür war offen. Da traten sie ein und sahen da
viel Leute auf den beiden Bänken, und die meisten waren groß genug.
Darauf kamen sie vor den König Utgardaloki und begrüßten ihn. Der
sah ganz langsam zu ihnen hin und bleckte die Zähne und sprach: "Schwer
ist es, von weither wahre Nachrichten zu erfahren oder ist es anders,
als ich denke, ist dies Bürschlein wirklich Wagen Thor? Aber du kannst
ja stärker sein, als du mir aussiehst, oder welche Künste sind es, die du
kannst oder die deine Gefährten zu beherrschen glauben? denn bei uns
darf niemand sein, der sich nicht durch irgendeine Kunst oder Begabung
vor anderen Männern auszeichnet." Da erwiderte der, der ganz zuletzt
ging, und der Loki heißt, "ich kann die Kunst und bin bereit, sie zu
zeigen, daß niemand hier innen ist, der schneller seine Speise essen wird
als ich" . "Das ist eine Kunst," antwortete Utgardaloki, " wenn du sie wirklich
kannst, und die Kunst soll sich gleich erweisen." Er rief herbei von
der Bank den Mann, der Logi heißt, und er solle in die Halle gehen
und sich messen mit Loki. Ein großer Trog ward hereingebracht, auf
den Boden gesetzt und gefüllt mit Fleisch, es setzte sich Loki an das eine
Ende und Logi an das andere, und jeder ass, so rasch er konnte. Und
in der Mitte des Troges trafen sie sich. Da hatte Loki alles Fleisch von
den Knochen gefressen, ogi aber hatte auch gefressen alles Fleisch und
die Knochen und den Trog dazu, und es schien nun allen, als hätte
Loki das Spiel verloren. Da fragt Utgardaloki, was denn der junge
Mann für Spiele könne. Thjalfi erwidert, daß er es versuchen wolle
und mit jedem um die Wette laufen, den Utgardaloki ihm brächte. Der
spricht: "das ist eine gute Kunst", und er hält es für wahrscheinlich, daß
er in schnellem Lauf sehr geübt sei, wenn er diese Kunst hier vorführen
wolle, " aber das wird sich ja gleich erweisen" . Er steht auf und geht
hinaus, und es war da eine gute Rennbahn auf ebenem Felde. Utgarda-Loki
ruft einen Burschen herbei, der Hugi (der Gedanke) heißt, und er
befahl ihm, mit Thjalfi um die Wette zu laufen. Sie laufen den ersten
Lauf, und Hugi ist so weit voran, daß er am Ende der Bahn umkehrt
und dem anderen entgegenläuft. Da sprach Utgardaloki: "Es wird nötig
sein, Thjalfi, daß du dich mehr ins Ieug legst, wenn du das Spiel gewinnen
willst, aber das bleibt wahr, daß hierher noch keine Männer
gekommen sind, die mir fußschneller scheinen." Nun laufen sie den
zweiten Lauf, und als Hugi ans Ende der Bahn kommt und umkehrt,
da war es noch ein weiter Pfeilschuß bis zu Thjalfi. Utgardaloki sagte:
Gut scheint mir Thjalfi zu laufen, doch ich glaube nicht, daß er das
Spiel nun noch gewinnt, aber nun wird es sich entscheiden, wenn sie
das dritte Mal laufen." Da beginnen sie noch einen Lauf. Hugi rennt
an das Ende der Bahn und kehrt um, und Thjalfi ist noch nicht gekommen
bis zur Mitte der Bahn; da sagen alle, daß dies Spiel entschieden
ist. Nun fragt Utgardaloki den Thor, welche Kunst es wohl
werden würde, mit der er vor ihnen glänzen wolle, die Menschen hätten
doch so viele Sagen gedichtet von seinen Großtaten. Thor antwortet,
daß er am liebsten versuchen wollte, es mit jemand im Trinken aufzunehmen
. Das kann geschehen, sagt Utgardaloki, und er geht in die
Halle zurück und befiehlt seinem Mundschenk, das Strafhorn zu bringen,
aus dem die Gefolgsleute gewohnt waren zu trinken. Darauf kommt
der Mundschenk mit dem Horn und gibt es Thor in die Hand. Da
sagt Utgardaloki: " Von diesem Horn scheint dann gut getrunken, wenn
es sich in einem Zug leert; manche aber trinken es in zwei Zügen
leer, doch kein Trinker ist so erbärmlich, der es nicht in dreien leerte."
Thor sieht auf das Horn, und es schien ihm nicht groß, doch ist es ziemlich
lang, er aber ist sehr durstig, nimmt es und trinkt und schluckt gewaltig
und meint, es sei nicht nötig, noch einmal in das Horn zu
schauen. Als ihm jedoch der Atem ausging, und er aus dem Horn blickte
und dann zusah, was vom Trunk davon ging, da schien ihm, als sei der
Unterschied ganz gering und als sei es im Horn kaum leerer als vorher.
Utgardaloki sprach: " Das ist ein guter Schluck, wenn auch nicht allzu
groß. Ich hätte es nicht geglaubt, wenn jemand mir gesagt hätte, daß
Asathor keinen größeren Trunk trinken könne. Aber ich weiß, du wirst
es mit dem zweiten Schluck austrinken wollen." Thor antwortet nichts,
er setzt das Horn an den Mund und gedenkt nun, daß er einen größeren
Trunk tun will. Und er hält den Atem an beim Trinken, solange wie es
gehen will und wieder sieht er, daß die Spitze des Horns nicht so hoch
kommen will, wie es ihm lieb ist, und als er das Horn sich vom Mund
nahm und hineinsieht, scheint es ihm, als sei noch weniger verschwunden
als das erste Mal. Doch ist ein Rand am Horn, und man kann es nun
gut tragen. Da sprach Utgardaloki: " Wie steht es nun, Thor? Sparst
du nicht deine Kraft für einen Trunk, größer als dir bekömmlich ist?
Das scheint mir, wenn du es mit dem dritten Zug noch austrinken
willst, so muß der als der größte gelten. Wir aber können dich hier
nicht einen so großen Mann heißen, wie die Asen dich nennen, wenn
du nicht mehr aus dir machst bei den anderen Proben, als es bei dieser
wird, wie es mir scheint." Da wurde Thor zornig, er setzt das Horn
an den Mund und trinkt so übermächtig, wie es nur geht, und spannt
alle seine Kräfte an; und als er nun in das Horn sah, war doch ein
Unterschied gegen vorher, da gibt er das Horn zurück und will nicht
mehr trinken. Utgardaloki sprach: "Leicht kann man erkennen, daß deine
Stärke nicht so groß ist, wie wir dachten. Oder willst du sie noch in anderen
Spielen erweisen? Man sieht ja, daß du von diesem keinen Vorteil
hattest." Thor antwortet: "Erproben will ich es noch in anderen Spielen,
aber wunderlich würde es mir scheinen, wenn ich daheim bei den Asen
wäre, und solche Trünke klein genannt würden. Welche Spiele wollt
ihr mir nun anbieten?" Utgardaloki antwortete: "Das tun hier die
jungen Burschen, und es scheint ihnen ein kleines Stück, aufzuheben
von der Erde meine Katze, und ich würde nicht mit Asathor davon reden,
wenn ich nicht gesehen hätte, daß du viel weniger vor dich bringst, als
ich dachte." Da lief eine graue Katze über den Boden der Halle, und
sie war ziemlich groß. Aber Thor ging zu ihr, faßte ihr mit der Hand
mitten unter den Bauch und hob die Hand. Doch die Katze machte
einen Buckel und um so mehr, je höher Thor die Hand ausstreckte, und
als Thor die Hand reckte, so hoch er nur konnte, da hob die Katze nur
einen Fuß, und weiter brachte es Thor in diesem Spiel nicht. Utgardaloki
sprach: "Dies Spiel ging so aus, wie ich vermutete. Die Katze ist
ziemlich groß, aber Thor ist klein und kurz im Vergleich mit den Riesen,
die hier sitzen." Thor erwiderte: " Wenn ihr mich auch klein nennt, es
trete nur einer von euch vor und ringe mit mir, nun bin ich zornig."
Utgardaloki sah zu den Bänken und spricht: "Ich sehe hier unter den
Männern niemand, der es nicht für eine Kleinigkeit hielte, mit dir zu
ringen." Und dann sprach er: "Wir wollen erst sehen, ruft mir das alte
Weib Elli (das Alter) her, meine Pflegemutter, mit der mag Thor
ringen, wenn er will; sie hat schon Männer gefällt, die mir nicht schwächer
schienen, als Thor ist. Da kam in die Halle eine alte Frau, und Utgardaloki
sagte ihr, sie solle mit Thor ringen. Nicht lange braucht man davon
zu erzählen, das Ringen ging so aus: je mehr Thor sich anstrengte im
Kämpfen, um so fester stand sie. Dann versuchte sie es mit Kniffen, und
nun blieb Thor nicht mehr fest auf den Füßen, und es waren da starke
Schwünge, und es dauerte kurze Zeit, da fiel er mit einem Bein auf
das Knie. Utgardaloki trat hinzu, bat sie, mit dem Ringkampf aufzuhören
, und sagte, es sei nicht mehr nötig, daß Thor anderen Männern
im Gefolge das Ringen anbiete. Es war da auch Nacht geworden.
Er wies ihm und den Gefährten Sitze an, und sie blieben die Nacht
und waren in guter Pflege.
Aber am Morgen, sowie es Tag wurde, stehen Thor auf und die
Gefährten und kleiden sich an und sind fertig fortzugehen. Da kam
Utgardaloki an, und er ließ ihnen auftragen, er sparte nicht an guter
Kost, an Speise und Trank, und als sie gegessen hatten, machten sie
sich auf die Fahrt. Utgardaloki begleitet sie, er geht mit ihnen fort aus
der Burg, und als sie Abschied nehmen, sprach er Thor an und fragt
ihn, wie denn nun nach seiner Meinung ihm diese Fahrt geraten sei?
Und ob er je einen mächtigeren Mann getroffen hätte als ihn? Thor
sagt, daß er das nicht leugnen könne, daß er keine große Ehre eingelegt
habe bei diesem Zusammensein, "und ich weiß, daß ihr mich einen kleinen
Mann nennen werdet, der nichts vor sich brachte und damit bin ich
schlecht zufrieden" . Da antwortete Utgardaloki: "Nun will ich dir die
Wahrheit sagen, wo du aus der Burg heraus bist, und wenn ich lebe
und etwas zu bestimmen habe, so sollst du nie wieder hineinkommen.
Meiner Treu, das weiß ich, du wärst schon jetzt nie hineingekommen,
wenn ich vorher gewußt hätte, daß du so viel Kraft mit dir brachtest.
Und du hättest uns beinah in große Not gebracht, aber mit Blendwerken
habe ich dich getäuscht. Das erste Mal im Wald begegnete ich euch;
und als du den Speisesack öffnen solltest, hatte ich ihn mit Eisendraht
zugebunden und du fandest die Stelle nicht, wo er zu öffnen war. Und
danach schlugst du nach mir mit dem Hammer drei Schläge, und der
erste war der schwächste und war doch so stark, daß es mit mir aus gewesen
wäre, wenn er mich getroffen hätte. Aber du sahst ja bei meiner
Halle eine Anhöhe, und darin sahst du oben drei viereckige Täler, und
eins war das tiefste; das waren deine Hammerspuren, die Anhöhe zog
ich vor mich wegen deiner Schläge, aber das sahst du nicht. So war
es auch mit den Spielen, mit denen ihr meinen Leuten zusetztet. Das
erste unternahm Loki, er war sehr hungrig und ass rasch, aber der ogi
heißt, das war das Wildfeuer, und es verbrannte den Trog ebenso
rasch wie die Speise. Als denn Thjalfi den Wettlauf versuchte mit dem,
der Hugi heißt, da war das mein Gedanke, und es war für den Thjalfi
keine Aussicht, dessen Schnelligkeit zu bezwingen. Als du aus dem Horn
trankst und es dir schien, daß es sich langsam leere, meiner Treu, da
geschah ein Wunder, wovon ich nicht glaubte, daß es geschehen könnte,
das eine Ende des Horns war draußen im Meer und das sahst du
nicht; aber wenn du nun zum Meer kommst, kannst du sehen, welchen
Schwund du in das Meer getrunken hast: der heißt nun Ebbe." Und er
fuhr fort: "Nicht weniger bewundernswert schien mir, daß du die Katze
aufhobst, und, um dir die Wahrheit zu sagen, alle erschraken, die es
sahen, als du ihren einen Fuß von der Erde brachtest. Die Katze war
nicht, was sie schien, sie war die Midgardschlange, die um alle Länder
liegt, und ihre Länge half ihr kaum, und auch das nicht, daß sie mit
Haupt und Schwanz sich an die Erde klammerte, solange recktest du sie
empor, bis sie dicht am Himmel war. Auch das war ein großes Wunder
beim Ringkampf, daß du solange stehen bliebst und nicht tiefer fielst
als mit einem Bein auf das Knie, als du mit Elli rangst. Denn noch
keiner wurde geboren, und keiner wird geboren werden; wenn sie alt
werden, fällt das Alter alle. Nun will ich dir die Wahrheit sagen:
nämlich, daß wir uns trennen wollen, und es wird für beide Teile besser
sein, daß ihr nicht wiederkommt, um mich zu besuchen. Ein andermal
will ich meine Burg schützen mit diesen Künsten oder anderen, so daß
ihr keine Macht über mich erlangt." Aber als Thor diese Rede hörte,
griff er nach dem Hammer und schwingt ihn in der Luft. Doch als er
zuschlagen will, sieht er nirgends einen Utgardaloki, und er kehrt. um
zur Burg und will sie zerstören, da sah er weite und schöne Täler, aber
keine Burg. Nun kehrte er wieder um und ging seine Straße so lange,
bis er zurückkam, nach Thrudwang.
Der Anfang dieser Abenteuer führt uns gleich in die Welt
von Märchen und Sage. Die Geschichte von den verspeisten und
belebten Böcken, auf alten Glauben zurückweisend, wird von alten
und neuen Völkern gern erzählt. Der Form der Edda (daß der
Gott die eigenen Böcke tötet und zu neuem Leben erweckt, daß
er seinen Wirt damit speist und daß ein Bock lahmt) stehen, wie
karl von Sydow zeigte, irische Berichte am nächsten, ihnen ist
sie wohl auch entlehnt. Aus dem Irischen stammt, wie der gleiche
Forscher zeigte, auch der zugebundene Speisesack des Skrymi. Sonst
gleichen die Erlebnisse von Thor und den Seinen mit Skrymi
wieder denen, die in Märchen und Schwänken Menschen bei
Riesen überstehen. In einer Tiroler Geschichte z. B. fährt ein
Bauer mit seinen von zwei Ochsen gezogenen Wagen in einen
mit Gestrüpp bewachsenen Hohlweg und wird plötzlich in großem
Bogen herausgeschleudert: er war in die Naslöcher eines Riesen
geraten und der hatte ihn in die weite Welt geniest. Riesenhandschuhe
kennt namentlich die dänische überlieferung. — Skrymi,
den auch der stärkste Hammerschlag nicht verletzt, ist wieder dem
starken Hans des Märchens an Unempfindlichkeit ebenbürtig: die
Menschen, die sich von diesem befreien wollen, werfen einen Mühlstein
auf ihn, und er beschwert sich, daß die Hühner im Sand
kratzen und die Körner auf ihn fallen. Der Thor aber, der so
tückisch nach Skrymi schlägt, benimmt sich wie der Riese des Märchens,
in dessen Haus nachts ein Mensch einkehrt. Er schlägt mit
Keulen oder Eisenstangen nach ihm, der Mensch verkriecht sich
und behauptet am folgenden Morgen, eine Fliege hätte ihn gestochen.
Die Vertiefung in den Felsen, als Schlag eines Riesenhammers
gedeutet, ist ein allgemein sagenhafter Zug; in Telemarken
scheinen Sagen derart besonders verbreitet.
Die Fahrt zu Utgardaloki ist dann wieder eine Fahrt zur
Hölle, das versichert uns ausdrücklich, wie schon bei Geirröd, Saxo.
Dessen Thorkillus, der dem Thor entspricht, wird von Verleumdern
zum Ugarthilocus in die Unterwelt geschickt, begegnet unterwegs
scheußlichen Riesen, die ihn erst auf den rechten Weg weisen,
nachdem er ihnen zweimal drei Wahrheiten gesagt und findet in
einer Höhle den gefesselten Ugarthilocus, dem er eines seiner
stinkenden Haare ausreißt.
Was Utgardaloki von Thor und den Seinen verlangt, wie
er sie betrügt, auch sein Kunststück am Schluß: daß er und seine
ganze Behausung verschwindet, das vollzieht sich ebenfalls wie
Blendwerk und Gaukelspiel der Hölle. Wir erinnern auch hier
an die keltischen Fabeleien vom Jenseits. Ganz ähnlich spielen sich
übrigens die Vorgänge in der Rahmenerzählung der Gylfaginning
ab. König Gylfi wünscht die Macht und Weisheit der Asen
kennen zu lernen und verkleidet sich als alter Mann, die Asen
täuschen ihm eine Halle vor, er erblickt auf ihren drei Hochsitzen
drei mächtige Männer, Ha (der Hohe), Jafnha (der Gleichhohe)
und Thridi (der Dritte), denen fragt er alle Geschichten über das
Wesen und die Sagen der Götter, über Weltanfang und Weltende
ab. Als er zum Schluß von der neuen Welt gehört, erhebt
sich ein gewaltiges Geräusch, er steht auf freiem Feld und sieht
weder Halle noch Götter.
Die einzelnen Taten des Thor, Thjalfi und Loki entsprechen
aber einer alten Volkssage, die man noch heute in deutschen und
osteuropäischen Landschaften erzählt und die in den Sagenkreis
vom geprellten Teufel gehört. Der christliche Teufel übernahm
darin die Rolle des dummen Riesen, die in der Edda Thor und
die Seinen spielen müssen. Der Teufel der Sage will mit dem
Menschen um die Wette laufen, der Mensch scheucht einen Hasen,
angeblich seinen Enkel, aus dem Busch, und der ist schneller. Danach
erbietet sich der Teufel zum Ringen: der Mensch verweist
ihn an seinen Großvater, das ist aber ein Bär, und der richtet
den Ringer übel zu. Zum Schluß rühmt sich der Teufel, er könne
Lasten tragen, und trägt ein Pferd davon, der Mensch trägt es
zwischen den Beinen, d. h. er reitet darauf. Das Laufen, Ringen
und Tragen hat der Dichter der Edda beibehalten, es um Essen
und Trinken vermehrt und einzelne Proben verdreifacht. Statt
des Pferdes der Sage setzte er außerdem die Midgardschlange
ein: Thor kämpfte nun auch hier, ohne es zu wissen, mit seiner
Hauptfeindin. Das Essen und Trinken verwandelte er dann in
grotesk-komische Leistungen. Der wirkliche Wettlauf mit dem Hasen
schien ihm auch zu einfach, er erzählte den Wettlauf mit den Gedanken:
es ist eine alte tiefe, von Homer schon gekannte, Vorstellung
, daß der Gedanke des Menschen die schnellste aller Schnelligkeiten
besitze. An Stelle des einmaligen und wirklichen Ringens
mit den Bären trat schließlich der verzweifelte, halb lächerliche,
halb tragische Kampf des Menschen mit dem Alter, der sich immer
wiederholt, und in dem wir immer unterliegen.
Unser Komplex von Geschichten erhält also, bei Skrymi und
bei Utgardaloki, sein Gepräge durch die Sagen aus dem Kreis
von Wettkampf von Mensch und Riesen, Mensch und Teufel. Die
kleinen und die großen Götter werden hier, und nur hier, von
den Riesen gedemütigt. Mit diesen Fabeleien vermischen sich Geschichten
irischer Herkunft: die belebten Böcke, der zugebundene
Speisesack, die Höllenfahrt und ihr Blendwerk. Außerdem erscheint
uns irisch der Kampf des Gottes mit der Katze und das Prahlen
mit Essen und Trinken beim fröhlichen Mahl. Die grotesken und
wenig würdigen aber komischen Situationen, in denen Thor sich
uns vorführt, gleichen denen in den Sagen von Hrungni, Aurwandil,
Hymi auf ein Haar: dort lag der Gott unter einem
Riesenbein, schleppte einen anderen Gott im Korb mühselig übers
Eis, wurde von einer mitleidigen Alten versteckt und lief, den
Kessel über den Kopf gestülpt, davon, so rasch ihn die Beine
trugen. Hier übernachtet er im Handschuh des Riesen, schlägt mit
der ganzen Kraft und mit immer lächerlicherem Erfolg auf den
Riesen ein, läuft hungrig hinter dem zugebundenen Speisesack her,
kriecht zwischen den Gitterstäben einer Burg hindurch, trinkt, daß
ihm der Atem ausgeht und trinkt doch nichts, kann eine sich
buckelnde Katze nicht aufheben und sinkt beim Ringkampf mit einer
alten Frau in die Knie. Endlich scheint der Eddadichter auch die
Anregung zu seiner tiefen symbolischen Auffassung aus irischen
Geschichten geholt zu haben. In Irland laufen manche Geschichten
um, die der unsern gleichen und die aus ähnlichen Anfängen
kommen werden. Hier nennen wir davon: Vier Helden sollen
einen Widder binden und können es nicht, aber eine Katze kann
es. Der alte Mann, in dessen Haus sie diese Schmach erleben,
tröstet sie: der Widder sei die ganze Welt, die Katze aber, die ihn
bezwungen, der Tod. Und in der Nacht, als die Helden schlafen,
besucht sie die Tochter des Alten, die Jugend, und keiner van
ihnen kann sie festhalten; sie läßt nur für einen ein Korn der
Schönheit zurück, und seitdem widersteht diesem keine Frau.
Die verwegene Gewichte der Edda erscheint bei den Iren als
wehmütiges Märchen: in der Hütte des Alten ziehen in einer
Nacht Heldentum und Schönheit, Jugend und Alter, Tod und
Welt vorüber, und das Heldentum unterliegt, und der Tod bleibt
stärker als die Welt, und die Jugend entflieht uns zu früh und
die Schönheit wird nur einem Erlesenen zuteil, damit Frauen
sich daran betören.
Weitverbreitete Märchen, keltische Phantasie, keltischer übermut
und keltischer Tiefsinn — welch eine reiche Welt! — sind also in
die Märchen von Thor und Utgardaloki gezogen. Das Verdienst
des nordischen Erzählers ist der lebendige Vortrag und die geistreiche
Auffassung. Besonders im letzten Teil verwandelt sich eine
hübsche und derbe Volkssage in eine in überlegenem Humor,
spielender Ironie, dramatischer Anschaulichkeit und geistreichen
Einfällen immer neu aufblitzende Erzählung. Doch den alten
Gott Thor zeigt sie uns nicht mehr, sie gefällt sich dann, einen
dummen, heimtückischen Riesen zu verspotten, der des Gottes
Namen trägt.
Die nordischen Aussagen über Thors Erscheinung, Umgebung
und Verwandtschaft entsprechen genau den Sagen
von Thor und haben sich ebenso entwickelt. Die germanische Vorstellung
des Gottes blieb, die Dichter prägten ihre Gewalt den
nordischen Hörern immer von neuem ein, auf seinem Wagen
— er heißt Wagen-Thor — fährt der Gott über den Himmel,
den Hammer Mjölni, den Zermalmer, hält er in der Faust, Böcke
ziehen den Wagen — als Tiere der Fruchtbarkeit, oder als Tiere.
die dem Blitz gleich springen? In den Sagen und jüngeren Eddaliedern
fährt Thor nicht, sondern wandert unermüdlich zu Fuß,
und erscheint plötzlich, wenn man ihn ruft. Die sagen schildern
ihn einstimmig als schönen, stolzen Mann in seiner besten Kraft
mit rötlichem Haar und Bart, im Unterschied von Odhin zeigt
er sich frei und unverhüllt. Kraftgürtel und Eisenhandschuh verleihen
erst späte Sagen und Lieder dem Gott, es sind Orden, wie sie
das Märchen gern austeilt, und keine Mehrung, sondern eine
Minderung der alten großen Kraft. — Die Erde ist, wie im
Germanischen, Thors Mutter, und hieß Jördh und Fjörgyn. Ob
Hlodhyn auch eine Mutter Erde war, können wir nicht entscheiden:
möglich scheint uns, daß sie als Gemahlin Odhins die Mutter
Thors wurde; die skaldischen und eddischen Dichter machten, kaum
vor dem 9. Jahrhundert, Odhin zum Vater Thors. Eine recht
künstliche Genealogie, denn wie feindselig treten in den späteren
Dichtungen Odhin und Thor gegenüber! — Der Glaube an
einen innigen Zusammenhang von Thor und der Erde beherrscht
vor allen Dingen die Sagen von Thor, Hrungni, Aurwandil,
Groa; alte, mütterliche, kluge und wahrsagende Frauen nehmen
den Thor gern in Schutz. Wie eine groteske, geistreiche aber freche
Umkehrung dieses religiösen Zusammenhanges erscheint uns nun
der Zug, daß Thor bei Utgardaloki einen unrühmlichen Ringkampf
mit einem alten Weibchen besteht. — Thors Gattin, Haewa
oder Sif ist eine Göttin der Ehe und Sippe, wie wir schon wissen,
Loki sucht der Sif ihre Kraft, ihr Haar zu rauben und läßt ihr
von geschickten Zwergen ein neues, goldenes, schöneres herstellen;
auch hier spielt das Märchen mit einer alten kultischen Vorstellung.
— Thors Söhne, Modi und Magni, aus den Beinamen
des Vaters erwachsen, herrschen im neuen Reich der Götter an
des Vaters Stelle; den Magni haben die Skalden ja ebensowenig
mit ihrem Spott verschont wie den Vater. Der Pflegesohn Wingni
und eine Pflegetochter Hlora sind skaldische Personifikationen des
geschwungenen Hammers und des zuckenden Blitzes. Thors Bruder
ist Meili.
Als Tochter von Thor und Sif wird Thrud, die Kraft, erwähnt,
mit ihr haben auch erst die Skalden den Gott beschenkt. Ein sehr
spätes Eddalied, die Alwismal, meldet, daß ein Zwerg um diese
Tochter freit, und daß Thor, den Märchenvätern gleich, die ihr
Kind um keinen Preis hergeben wollen, dem Freier die schwersten
Aufgaben stellt. Er verlangt von dem Zwerg Auskunft über die
Namen, die alle Dinge tragen, Erde und Himmel, Mond und
Sonne, Wolke und Wind, Luft und Meer, Feuer, Wald und
Nacht, Saat und Trank, bei den Menschen, ben Asen, den Wanen,
den Riesen, den Elben und in der Hölle. Alwis, der Allwissende,
weiß überall Bescheid, doch der Gott hat ihn trotzdem überlistet,
er hielt ihn durch Fragen hin, bis die Sonne aufgeht, und das
Tageslicht. ihn tötet. Das ist wieder ein besonders von nördlichen
und östlichen Völkern gern erzähltes, dem Traum entsprungenes
Märchenmotiv, es führt uns auch in die Welt des Rätsels. Antworten
der Götter durch den Mund der Zauberer und Priester auf
bange Fragen der Menschen, das scheinen die ältesten Rätsel, der
Glaube an die prophetische Macht des Traumes hat ihre Macht
verstärkt. Im Norden spielen sich die uns erhaltenen Rätseldichtungen
zwischen Gott und Zwerg, Gott und Riese, Gott und
König ab, sie sind eine neue Form des Themas vom Wettkampf
der Riesen und Zwerge mit den Göttern.
Die Alwismal sind außerdem ein Erzeugnis virtuoser Skalden
kunst, eine echt isländische Verbindung oon Märchen, Rätsel und
dichterischer Gelehrsamkeit. Sie verspotten, und das ist das Hübscheste
an ihnen, ihre eigene Überkunst und prahlen mit ihrer Namenkenntnis
und ihrer verwickelten Anlage. Diese ist den Wafthrudnismal
nachgebildet, und der Rahmen, daß nämlich zwei kluge Wesen
ihre Klugheit messen, und eins dem andern die Weisheit abfragt,
scheint eine Erfindung irischer Poeten.
Edwin Jessen sagt über die Alwismal:
Machen wir zum Verständnis des Liedes ein Gedankenexperimnent.
Lassen wir eine Anzahl altertums- und skaldendichtungskundiger Isländer
beisammen sein, die sich auch mit literarischen Exerzitien die Zeit vertreiben.
Es wird die Aufgabe gestellt, in katechisierender Form nach Muster
der Wafthrudnismal eine Sammlung von 6x13 Vergleichen und anderen
Umschreibungen für Erde, Himmel, Mond, Sonne usw. zu liefern. Derjenige,
dem dies zufällt, löst die Aufgabe genau, kann sich aber nicht
enthalten, über diese Art der Gelehrsamkeit und Poesie ein wenig zu
ironisieren. Den Gelehrten macht er zum allweisen Zwerg, der den
Riesen Wafthrudni noch übertrifft, indem er auch die dreizehnte Frage
beantwortet. Und der dennoch in seinem Eifer nicht bemerkt, daß sogar
der ungelehrte und unweise Thor doch mehr Klugheit hat, und daß
seine Gelehrsamkeit beim ersten Strahl des Tageslichts unnütz wird und
in Nichtigkeit vergeht. Noch deutlicher wird die Ironie, wenn man sich
erinnert, daß dieser geistige Zwerg sich einer näheren Verbindung mit
den größten himmlischen Mächten fähig glaubt.
Den alten echten Thor zeigen die Alwismal natürlich nicht.
Aber der Gott, den die Riesen foppen, besiegt wenigstens die
Zwerge, und diesmal nicht durch rohe Kraft wie bei Balders Bestattung
, sondern durch seinen Geist.
Als Gott des Bauern und des Landmanns unterschied sich der
Thor der Nordleute sehr bald von Odhin, dem Gott der Fürsten
und ihrer Dichter. Da beide Götter jeder ihr Gebiet für sich hatten,
konnte ihre Verehrung friedlich nebeneinander bestehen, wir hören
daher von manchen Männern, die den Thor und den Odhin anriefen.
Auch gab es unter den Edlen und Fürsten viele, die nicht
in den Krieg und zu Beutezügen fuhren, sondern die in der Heimat
die Werke des Friedens pflegten; für sie blieb Thor der mächtigste
Gott, sie legten in seinen Tempeln und vor seinen Bildsäulen ihre
Opfergaben nieder.
In der Edda aber geraten Thor und Odhin in einen sehr wahrnehmbaren
Gegensatz. Das Leben des Bauern ist seßhaft und still.
Es spielt sich ab in einem kleinen Kreis regelmäßig wiederkehrender
Pflichten und bringt immer die gleichen Eindrücke. Die nordischen
Helden dagegen trieb ihre Lust an Abenteuern immer in neue Fernen,
sie erfüllten sich mit immer neuen Erlebnissen, ihr Dasein
wurde überreich und unstet, ihre unaufhörlichen Kämpfe zeigten
ihnen den jähen und grausamen Wechsel des Geschicks. Odhin hat
den ganzen Reichtum jenes Heldentums und die Tücke seines Schicksals
in sich aufgenommen. Was wir von Thor hören, sind Kämpfe,
und immer wieder Kämpfe, gegen Riesen und immer wieder gegen
Riesen, Kämpfe, deren Ausgang man immer schon vorher wußte;
die Riesen wurden jedesmal bezwungen und jedesmal ungefähr in
derselben Weise, Thor war stärker und zerschlug ihnen Kopf und
Knochen.
Den Dichtern der Edda und der Skalden, die in immer wechselnden
Geschehnissen, in der tragischen Verkettung der Dinge, in
der ewigen Ungewißheit des Daseins, in überlistung und ränkevollem,
, klugem Spiel, im Glanz fürstlicher Hofhaltung lebten,
konnte dieser einfache Gott nicht genügen. Sie bewunderten wohl
sein Heldentum, seine überkraft, seine nie umsonst angerufene,
immer gern und schnell gewährte Hilfe, und sie besangen seine
Kämpfe in mächtigen Liedern, denen sie die Kraft und Pracht ihrer
Vergleiche und Schilderungskunst gaben. Zugleich aber fiel es ihnen
auf, daß der Gott immer durch seine Stärke allein siegte und ratlos
dasaß, wenn nur Geistesgegenwart, Witz und List helfen
konnten. Sie fingen früh an, ihn zu verspotten. Späteren Dichtern
erschien Thor als ein unausstehlicher Prahler, und sein ewiges
Fressen, Saufen und Raufen wurde ihnen langweilig; sie machten
sich ein Vergnügen daraus, den Gott in Lagen zu bringen, aus
denen er, trotz aller seiner Kraft, gedemütigt und gefoppt herauskam,
oder sie behaupteten geradezu, wie bei der Szene von Balders
Bestattung, daß die anderen Götter den Thor gewaltsam zurückhalten
mußten, damit er durch seinen plumpen Jähzorn und sein
unüberlegtes Dreinschlagen nicht unabsehbaren Schaden stifte.
Ein ganz spätes Eddalied, das Harbardslied, schildert den
Gegensatz zwischen Odhin und Thor mit derbem und geistreichem,
manchmal etwas verletzendem Humor. Odhin, der sich Harbard
nennt, und sich als Ferge verkleidet nicht zu erkennen gibt, weigert
dem von Osten kommenden Thor die überfahrt und zwingt ihn
endlich, sich den Weg über Land zu suchen. Mit der zornig ausgestoßenen
Behauptung, er werde sich ein andermal rächen, zieht
Thor ab.
Beide Götter rühmen sich ihrer Taten, Thor weiß nur von vernichteten
und erschlagenen Riesen, Riesenweibern, erwürgten Berserkern
, Odhin schafft Krieg auf Krieg, erhebt die Sturmfahne,
rötet den Stahl, betrügt die Riesen und betört die Frauen. Er
weiß seine Erfolge so lockend zu erzählen, daß sogar den Thor darnach
gelüstet, und er schmunzelnd behauptet, er beiße nicht immer
wie ein alter Lederhandschuh im Frühjahr. Zugleich verhöhnt
Odhin den armen Thor als Landstreicher, weil er ohne Hosen und
barfuß herumlaufe, als erbärmlichen Schlucker, weil er mit Stolz
erzählt, er habe sich den Leib mit Hering und Hafergrütze vollgeschlagen,
dann als einen Wicht, Feigling und Prahler, dabei
bleibt er immer gewandt und schlagfertig, durch keine Beschimpfung
aus seiner Ruhe zu bringen, während Thor keine Antwort
hat als Drohungen, Wutanfälle oder ruhmredige Worte.
Viel tiefer und ernsthafter faßt die ältere Sage von Starkad
den Gegensatz oon Thor und Odhin auf.
Odhin hatte unter dem Namen Hroßharsgrani den Starkad erzogen.
Einst träumte diesem, daß sein Pflegevater ihn an eine einsame Stelle
im Walde führte, wo elf Asen saßen, die Hroßharsgani als Odhin
grüßten. Sie sollten Starkads Schicksal bestimmen. Thor, der ihm als
einem Riesensohn ungünstig war,, verweigerte ihm Nachkommenschaft.
Odhin gab ihm drei Menschenalter, Thor sagte, er solle in jedem ein
Neidingswerk tun; Odhin bestimmte ihm die besten Waffen, Thor versagte
ihm Landbesitz; Odhin schenkte ihm fahrend Gut im überfluß, Thor
legte hinzu, daß er niemals genug haben solle. Odhin gab ihm Sieg
in jedem Streit, Thor fügte bei, daß er aus jedem eine tiefe Wunde
davontragen solle; Odhin gab ihm Skaldenkunst, Thor ließ ihn seine
Lieder vergessen; Odhin machte ihn beliebt bei den Mächtigen, Thor
verhaßt beim Volk.
***Odhin gibt dem Starkard alles, was der Wikinger Held sich
ersehnt; langes Leben, die besten Waffen, Sieg, Reichtum, Poesie
und die Gunst der Könige. Thor, erfüllt von Sorgen und Kummer
um sein Volk, sieht mit feindlichen Blicken auf dies Leben der
Mächtigen, dessen Fluch die Unfruchtbarkeit bleibt und die Untreue
, heimatloses Umherziehen, unstillbare Gier nach Schätzen,
tiefe Wunden und trotz allen Ruhmes ewige Vergessenheit. Die
eigenen Kräfte verzehren sich in dieser Sucht nach Krieg und Abenteuern,
die den Wikinger durch die ganze Welt treibt; er vernichtet
sich selbst und entzieht seine Kraft seinem Volk und seinem Land,
in dem sie so viel segensreicher gedeihen können.
Ist es möglich, das Wesen vom Gott des Volkes und vom
Gott der Helden klarer zu scheiden, den Ruhm und die Tragik
des Wikinger Lebens erschütternder zu schildern, als diese Geschichte
es scheidet und schildert, die doch nur nach alter Märchenart einen
Traum zu erzählen vorgibt?
Dem Odhin hat die Dichtung der Edda Alles gegeben, ihr
verklärtes Heldentum und ihre letzte Weisheit, ja sie hat ihn geschaffen
. Dem Thor hat sie am Ende Alles genommen, der starke,
freundliche Gott der Germanen war ihr zu gering. Sie hat ihn
zu einem Kinderschreck erniedrigt, erzählte von ihm die schönsten
Sagenb .1 13
Geschichten, machte über ihn vergnügte Späße und die letzten
Worte, die wir von ihm hören, sind die des Harbardliedes: er
war ein ohnmächtiger Prahlhans.
Die Abneigung vom Adel gegen das Volk, vom Gelehrten
gegen den Ungelehrten, vom abenteuernden Wikinger gegen den
seßhaften Bauern erklärte aber die Geschichte Thors im Nordischen
nicht ganz, auch nicht, wenn wir noch an die Spottsucht der Isländer
erinnern. Wir müssen noch eines beherzigen: Thor als der
eigentliche germanische Gott war der Hauptgott des nordischen
Heidentums, er vor allen mußte darum dem Christentum zum
Opfer fallen, dem sich die Könige, die Skalden, die Gelehrten zuerst
anschlossen. Deshalb durfte man ihn so ungestraft verhöhnen:
die späten isländischen Fabeleien erhalten nun einen tieferen religionsgeschichtlichen
Sinn. Spielerisch in der Form, vernichtend in
der Wirkung kämpften sie gegen den Gott, der den heidnischen Germanen
der liebste war, und trafen ihn mitten ins Herz. Stolzer
und gefaßter ist kaum eine Religion von ihren alten Anhängern
geschieden als die nordische Religion von Thor. Wir denken noch
einmal an jene Sage, in der Thor schöner und ritterlicher, als alle
christlichen Herren, dem christlichen König entgegentritt, ihm von
Seinen Taten erzählt, von der Vertilgung aller seiner Freunde
durch den neuen Glauben, ihn bitter lächelnd ansieht, und, der
Rache entsagend, für immer im brausenden Meere verschwindet.
4. Odhin
Wodan war unter den alten germanischen Göttern der ruhelose
und herrschsüchtige. Er hat seine Herrschaft in fortdauerndem
Kampf gegen andere Götter erweitert. Vom Kampf um die Herrschaft
hallen auch die nordischen Berichte über Odhin — der Name
Wodan wurde über Woden im Nordischen zu Odhin — wider;
von ihnen aus, indem wir ihn dem Wesen der bekämpften Götter
gegenüberstellen, wollen wir sein Wesen zu erfassen suchen.
Bei den Germanen hatte Wodan den Tiu verdrängt, so daß
dieser für immer im Hintergrund blieb, die bewegten Mächte des
Heldentums siegten über die ruhenden. Im Nordischen verblaßte
Thor neben dem Glanz und der unentrinnbaren Gewalt, die von
Odhin ausströmte; in dieser Entwicklung erkannten wir soziale,
künstlerische und religiöse Mächte. Bei den Kämpfen mit Ull und
Metodhin erwies Odhin sich als der stärkere Zauberer. Um die
Zauberkraft drehen sich auch die Berichte von den Kämpfen der
Asen unter Führung Odhins mit den Wanen. Der Name Wanir
ist wohl verwandt mit wini Freund und bedeutet "die Holden,
die Gütigen", zu ihnen gehören vor allem Nerthus, Njördh, Frey,
Freyja, Gottheiten der Fruchtbarkeit und des Reichtums.
Uns liegen die Aussagen über die Kämpfe von Wanen und
Asen in verschiedener Fassung vor. Die älteste erhält in einigen
Strophen die Wöluspa, heroisch und geheimnistief vorgetragen,
entsprechend der großen Art des Gedichtes:
Sie (die Seherin) gedenkt des Volkskriegs, des Ersten der Welten,
als sie mit Geren die Gullweig stießen, und in des Hohen (Odhins);
Halle sie brannten, dreimal brannten, die dreimal geborne, oft, unselten
und immer doch lebt sie. Heidhe hießen sie jene, wenn zum Hause sie
kam, die weissagende Mölwa, des Wahrsagens mächtig zauberte sie, wo
sie konnte, zauberte frohlockend, immer war sie böser Weiber Wonne.
Da gingen die Richtenden alle zu ihren Ratstühlen, die grundheiligen
Götter, um dies zu besprechen, ob die Asen sollten Einbuße leiden und
ob alle Götter Opfer empfangen. Es schleuderte Odhin und schoß in die
Scharen, das blieb der Weltkrieg, der Erste der Welt, zerbrochen war der
Burgwall der Burg der Asen, kampfgrimme Wanen gewannen das Feld.
Gullweig (die Goldreiche) und Heidhe sind dieselben göttlichen
Frauen und beides Beinamen für Freyja. Besinnen wir uns nun
darauf, daß man den Zauber des Metodhin brach, indem man
ihn köpfle und pfählte (S. 145), so enthüllt sich uns auch der Sinn
der Gullweigstrophen: die Götter suchen den Zauber, den die
Wanen üben, zu bewältigen, indem sie ihre mächtigste und betörendste
Zauberin verbrennen und mit Speeren mißhandeln. Doch
es ist umsonst, sie lebt wieder auf und ihr Zauber wird begehrter.
Da greift Odhin ein und entfesselt den Zauber des Krieges, indem
er seinen Speer über die feindlichen Reihen schleudert — das
scheint die sakrale Handlung, die den Kampf eröffnet. Aber auch
im Krieg bleiben die Wanen standhaft. Nun werden sie und mit
ihnen ihr Zauber — so müssen wir fortfahren — in die Gemeinschaft
der Götter aufgenommen. Der Dichter der Wöluspa faßt
diesen Vorgang auf als die erste Befleckung der Götter durch
Künste, die sie vorher verschmähten, die zweite Befleckung war der
Eidbruch gegen den Riesenbaumeister. —
Von Zauberwettkämpfen und Blendwerken der Asen mit dem
König Gylfi — er ist den Wanen verwandt, Gylfi, Gefjon, Gullweig
gehören eng zusammen — in denen aber die Asen die Oberhand
behalten, erzählt später Snorri in der jüngeren Edda und
in der Ynglingasaga. An einer Stelle ergänzt er den Bericht der
Wöluspa in uns recht willkommenen Sätzen.
Odhin fuhr mit einem Heer gegen die Wanen, aber sie wehrten sich
gut und verteidigten ihr Land und hatten mehrmals den Sieg. Jeder
verheerte das Land des andern und richtete Schaden an. Doch als das
leid wurde ihnen beiden, da setzten sie untereinander die Vergleichsbedingungen
fest und schlossen Frieden und tauschten Geiseln: es gaben
die Wanen ihren stattlichsten Mann Njördh, den Reichen, und seinen
Sohn Frey und die Asen den als Entgelt, der Höni hieß. Den Njördh
und Frey setzte Odhin als Opferpriester ein und sie waren Priester bei
den Asen. Die Tochter des Njördh war Freyja, sie war Opferpriesterin
und sie zeigte zuerst den Asen den Zauber, der bei den Wanen gebräuchlich
war.
Wenn nun im Berichte vom Kampf der Asen und Wanen
neben der Tapferkeit die Zauberkraft der beiden Gegner nachdrücklich
hervorgehoben wird und Odhin als der Häuptling der
Asenzauberer gilt, so müssen die Nordleute, wie die alten Germanen,
die Zauberkraft für ein entscheidendes Merkmal in Odhins
Wesen gehalten haben. Wir erwarten demgemäß, noch andere
Berichte über seine Zauberei zu finden: und so ist es. In den
Hawamal, einer Sammlung von Strophen und Liedfragmenten,
meist aus dem 10. Jahrhundert, die dem Odhin in den Mund
gelegt werden, rühmt sich der Gott seiner Zauberkünste.
Lieder kann er (1) gegen Sorgen und Schmerzen (2), gegen Krankheiten,
er kann (3) des Feindes Schwert abstumpfen, daß seine Waffen
nicht beißen, seine Stöcke nicht schlagen, er kann (4), wenn man ihm die
Glieder fesselt, die Sprüche, daß er wieder zu gehen vermag und von den
Füßen die Fessel springt, von den Händen der Strick, er kann (5) einen
fliegenden Pfeil im Lauf anhalten, wenn er ihn nur erblickt, er kann (6)
einen andern, der ihn verwunden will, indem er zauberische Runen auf
Baumwurzeln ritzt, eher verderben, als dieser ihn, er kann (7) die im
Saal um die Bankgenossen auflodernden Flammen durch Beschwörungen
dämpfen, er kann (8) aufwachsenden Haß zwischen Helden rasch beschwichtigen,
er kann (9) den Wind auf den Wogen beruhigen und
das ganze Meer einschläfern, er kann (10) die luftfahrenden Heten verwirren,
, daß sie den Heimweg nicht finden und nicht finden die alte Gestalt
(die sie mit einer angenommenen vertauschten), er kann (11) alte
Freunde, die in den Kampf fahren, durch seinen Schildgesang vor jedem
Unheil beschützen, er kann (12) durch Runenzauber den Gehängten von
Bäumen lösen und ihm die Sprache zurückgeben, er kann (13) den
jungen Helden so ins Wasser werfen, daß kein Schwert ihn fällt: die
höchste Weisheit ist sein, der Zwerg gab den Asen Kraft, den Elben
Tüchtigkeit, dem Hroptaty (das ist Odhin) Einsicht.
Als Beschwörer der Flammen (7) erschien Odhin vor uns in
der Inschrift der Nordendorfer Spange und in dem Grimnismal.
Diese teilen auch die Worte mit, die das Feuer bannen sollen:
heiß bist du, Hurtige, und loderst zu hoch, geh fort, Flamme" .
Der Kunst des Fessellösens (4) waren die dem Odhin verwandten
idisi mächtig (S. 81), Wodan den Arzt (1, 2) zeigt uns der zweite
Merseburger Zauberspruch und ihn schildert, nicht ohne Schaudern,
Saxo. Der Zauber des Schildgesanges ist gleichfalls germanisch,
er geschieht aber vor allem im Dienste Donars. Wind und
Wogen (9) besänftigt eigentlich Njördh, Odhin übt in der Edda
diesen Zauber zugunsten der Wölsungen. Die Meisterschaft über
die Runen, die Macht über die Heren, das Dunkelste und Stärkste
in Odhins Walten, fällt dem großen Zauberer von selbst zu.
Besonders merkwürdig scheint uns die Mitteilung, daß Odhin
Gehängte beleben und von ihrem Baum herabholen konnte (12).
In anderen geheimnisvollen Strophen der Hawamal sagt der Gott
nämlich:
Er habe neun Nächte am windigen Baum gehangen, vom Speer
verwundet, sich selbst geweiht, an dem Baum, von dem niemand weiß,
aus welchen Wurzeln er wächst, weder mit Speise noch mit Trank habe
man ihn gelabt, er habe niedergeschaut, die Runen aufgehoben und sei
heruntergefallen. Neue gewaltige Lieder habe er von dem berühmten
Sohn Bolthorns, dem Bruder der Vestia gelernt, und einen Trunk bekommen
von dem kostbaren Met, aus Odhreri geschöpft, da begann er zu
gedeihen und klug zu werden, zu wachsen und wohl sich zu gehaben, das
Wort fand vom Worte zum Wort, das Werk fand vom Werke zum Werk.
Wir deuten diese Strophen noch immer so, daß Odhins eigentliche
Tat war die Lösung eines am Baum hängenden, ihm geweihten
Toten, durch die Macht der Runen. Das galt als sein
Meisterstück. Durch Fasten und durch Dürsten und durch ein Leben
in der Einsamkeit erwarb er die erforderlichen Kräfte — viele
Zauberer, auch die nordischen, rüsten sich so zu ihren Taten —,
und als das Werk gelang, war er berühmt und fühlte selbst, wie
er wuchs. — Der Gehängte, in den der Gott des Zaubers fuhr,
erschien späteren Dichtern als der Gott selbst. Sie schilderten, daß
der Gott nicht nur gefastet, daß er sich selbst erhängt, und selbst
belebt habe. Diese dunkle, geheimnisvolle Sage erhöhten dann die
Skalden durch ihren Tiefsinn und durch ihre Gelehrsamkeit: aus
dem Baum machten sie den Weltenbaum, sie ließen Odhin die
Lehren des weisen Mimi —das ist Bolthorns Sohn —empfangen,
dieser aber labte ihn nicht durch einen irdischen Trank, sondern
durch den himmlischen Trank Odhreri.
Die Aufzählung der alten und dunklen Zauberkünste Odhins
unterbricht der Dichter der Hawamal immer von neuem (I, 5,
8, 11, 13) durch die Schilderung des Zaubers, der im Krieg und
für den Helden wirkt, und der den Gott zum Gott der Helden
emporgehoben hat: die Grundmelodie seiner Zauberstrophen ist
eine heroische. Odhin macht die Waffen des Feindes stumpf, hält
den fliegenden Pfeil im Lauf an, beschwichtigt den Haß der Helden
und schützt den jungen Degen durch heiliges Wasser.
Wir vergleichen nun mit den Strophen der Hawamal die
berühmte Schilderung des Zauberers Odhin in Snorris Ynglingasaga:
Odhin war der stattlichste von allen (Göttern) und von ihm lernten
sie zuerst alle Künste (1), weil er zuerst alle kannte und die besten. Und
das ist zu sagen, warum er so ausgezeichnet wurde, das kam von diesen
Gründen: er war so schön und stattlich von Antlitz, wenn er saß mit
seinen Freunden, daß allen das Herz lachte. Aber wenn er im Heere
war, so schien er grimmig seinen Feinden, und das kam daher, daß er
die Künste kannte, daß er Leib und Farbe wechselte, jederzeit (2), wenn
er wollte . . ., Odhin konnte bewirken, daß im Kampf seine Feinde
blind oder taub oder furchterfüllt wurden und ihre Waffen schnitten nicht
mehr als bloße Gerten (3), aber seine Männer fuhren ohne Brünnen
und waren wild wie Hunde oder Wölfe, bissen in ihre Schilde und
waren stark wie Bären oder Stiere (4), sie erschlugen die Scharen, aber
weder Feuer noch Eisen hatte ihnen etwas an, das heißt der Berserkergang
(5). Odhin wechselte die Gestalt, es lag da sein Leib wie schlafend
oder tot, er aber war Vogel oder Tier, Fisch oder Schlange und fuhr
in einem Augenblick in entlegene Länder in seinen Angelegenheiten oder
in denen anderer Männer (6). Das konnte er auch allein mit Worten
bewirken, Feuer zu löschen (7), die See zu beruhigen (8), Winde zu
wenden (9). . . . Odhin hatte auch mit sich das Haupt Mimis und es
sagte ihm viele Nachrichten aus anderen Welten (10) und zu Zeiten
weckte er tote Männer aus der Erde (11) oder setzte sich unter die Gehängten
(12), deswegen hieß er der Herr der Gehängten oder der Herr
der Toten. Er besaß zwei Raben, die er zum Sprechen gezähmt hatte
(13), sie flogen mit in die Lande und sagten ihm viele Nachrichten. Von
diesen Dingen wurde er sehr klug. Alle diese Künste lehrte er mit Runen
und den Liedern, die Zaubersprüche (galdrar) hießen, deswegen sind die
Asen genannt Zauberschmiede. Odhin kannte die Kunst, von der die
Macht ausgeht, und er übte sie selbst, sie heißt seidh (Zauberei), deswegen
vermochte er das Schicksal der Männer und ungeschehene Dinge
zu wissen (14) und den Männern zu bringen Tod oder Unglück oder
Krankheit und so auch den einen Klugheit und Kraft zu nehmen und
den andern zu geben (15) und den Göttinnen wurde diese Kunst gelehrt
(16). Odhin wußte um alle Erdschätze, wo sie verborgen waren
und kannte die Lieder, daß sich aufschloß vor ihm Erde und Felsen und
Steine und Hügel und er band allein die mit Worten, die davor hausten,
und ging hinein und nahm alles, was er wollte (17). Von diesen Kräften
ward er sehr berühmt, seine Feinde fürchteten ihn, aber seine Freunde
trauten ihm und vertrauten seiner Kraft und ihm selbst.
Die Macht über Waffen (3), über Wind und Wogen (8, 9),
über Feuer (7), über Gehängte (12), über Krankheit und Gesundheit
(15) haben der Odhin der Hawamal und der Odhin der
Ynglingasaga gemeinsam. Tote beschwört Odhin (11), als er die
Wölwa durch seine Zauberworte aus starrem Todesschlaf weckt.
Die "Einsicht" Snorris betont Odhin sinnfälliger als die Hawamal
und steigert sie in das Wissen von verborgenen und künftigen
Dingen (14), bringt sie auch in das volkstümlich Schaurige, in
die Kunst, versunkene Schätze zu heben und die Schatzwächter zu
bannen (17). Dagegen ist das Kriegerische und das Heroische in
Odhins Wesen in den Hawamal stolzer und stärker ausgemalt
und ebenso Odhins Macht über die Heren und über böse Runen.
Snorri fügt eine Charakeristik der berserkir hinzu (d. h. der Bärenhüllen
tragenden). Was er von ihnen mitteilt, die übermenschliche
und unbändige Stärke, die Unverwundbarkeit, wenn ihre Anfälle
über sie kamen, entspricht genau den Erscheinungen, die uns durch
die Werwolfkrankheit und verwandte Krankheiten bei alten und
neuen Völkern bezeugt sind, und die jetzt noch bei Primitiven und
im Orient beobachtet werden. Weiter hebt Snorri hervor, Odhin
hätte den Zauber den Göttinnen gelehrt und sei selbst der Meister
alles Zaubers gewesen (1, 16 ): den Meister und Lehrer Wodan
führte uns schon der zweite Merseburger Spruch vor (S. 46), und
die Hawamal betonten, wie Odhins Zauber dem Zauber anderer
Gottheiten überlegen sei. Der Zauber mit Mimis Haupt (10) ist
uns auch nicht ganz fremd, nicht nur eine longobardische überlieferung
meldete Ähnliches (S. 104), auch die isländische Saga kennt
Häupter, in denen die Kraft des Verstorbenen bleibt und die
Königen die Zukunft enthüllten. An einer anderen Stelle berichtet
Snorri ausführlich, wie Odhin Mimis Haupt salbte und befragte.
Mimi, den klugen und prophetischen Wassergeist, verehrten
schon die Germanen: war Metodhin, Schicksalsgott, sein Beiname?
Der Beiname würde aus Mimis Wesen hervorgehen und die überlieferungen
von Odhin und Mimi und Odhin und Metodhin
würden sich dann so ergänzen, daß der Zaubergott Odhin und
der prophetische, weisheitstiefe Mimi um die Herrschaft kämpften,
daß Odhin wohl Sieger blieb, daß er aber die Weisheit des
anderen nicht entbehren konnte. Bald hieß es, er gab ihm sein
Auge, bald, er behielt und befragte feinen abgeschlagenen Kopf.
Wenn Metodhins Kopf abgeschlagen wird, damit sein Träger endlich
ganz dem Tod verfalle, und wenn die Wanen den Mimi enthaupten
, aus Zorn, daß die Asen sie beim Geiseltausch betrogen,
so sind das spätere Deutungen und Verwirrungen. Die kultische
Sage von Odhin und Mimi Metodhin, die wir erschlossen, liefe,
wie wir schon andeuteten, der Sage vom Kampf der Asen und
Wanen ganz parallel (S. 145).
Neu ist uns, daß Snorri so lange bei den Verwandlungskünsten
Odhins verweilt und sie offenbar als das Zauberhafteste
in Odhins Zauberwesen empfindet (2, 6). In der Sage von Odhin
und Odreri verwandelt sich Odhin von einem Menschen in eine
Schlange und in einen Vogel. Einer Jungfrau erscheint er als
Heerführer, als Goldschmied und als Frau, in der Sage von der
Brawallaschlacht schickt er seine Seele in den Wagenlenker des
Königs, und er fährt ja auch in die Gehängten, um sie zu beleben
. Wirklich darf die Verwandlungskunst als die Kunst des
Zauberers, als sein Befähigungsnachweis, gelten: unzählige Zeugnisse,
von den alten Griechen und Indern bis zu den gegenwärtigen
amerikanischen und australischen Völkern rühmen sie ihren Zauberern
nach. Sie ist, wie auch Snorri weiß, eine bewußte Steigerung der
Erlebnisse des Traums: der Zauberer versetzt sich in einen traumähnlichen
Zustand, durch mancherlei Künste, und vollbringt bewußt,
was der Traum unbewußt vollbringt. Im Traum wandert
die Seele und kehrt beim Erwachen in den Leib des Menschen zurück,
der Zauberer trennt die Seele vom Leibe, wann er will, und
schickt sie, wohin er will. Nun entdeckt sich uns auch die Bedeutung
und der Ursprung von Odhins Raben (13). Die zwei Raben sind
spätere Verdoppelung, der eine Rabe war Odhins Seele in
Rabengestalt — wie oft erscheint die Seele als Vogel — und
Odhin schickt sie durch die Welt. Früher trennte sich die Seele vielleicht
von dem schlafenden Gott und flog morgens in den Erwachenden
wieder hinein. Noch die Gylfaginning erzählt, daß der
Gott die Raben morgens aussendet und daß sie vor dem Frühstück
wiederkehren. Die Raben heißen hugin: Gedanke und munin:
Erinnerung, das sind Namen von seelischen Kräften, für uns
Deutsche von teuerster Bedeutung. —
Das Bild von Odhin als Zauberer, das uns die nordischen
Berichte ausmalen, ist erstaunlich reich und ungemein lebendig; es
führt wieder mitten in primitive, alte und ewig junge Vorstellungen
. Wären die Zauberkräfte nicht Urkräfte des Gottes gewesen,
sie hätten sich nicht so vielfältig entwickelt, Odhin hätte auch
nicht gerade sie an der Kraft der Gegner und Nebenbuhler gemessen.
Auch die Entwicklung von Odhin als Zauberer zeichnet sich
vor uns noch klar erkennbar ab. Im 10. Jahrhundert treten die
dunklen und dämonischen Züge vor den heldenhaften und kriegerischen
zurück, sie breiten sich dann wieder aus und werden sinnfällig
betont. Snorri faßt die einzelnen Aussagen in seiner Art
systematisch zusammen. Man vergleiche mit seinen Ausführungen
die Schilderung, die ein berufener Kenner von den finnischen
Zauberern entwirft.
Sie beherrschen Menschen und Dinge, Tiere und Geister, sie heilen
Krankheiten und wenden sie ab, aber sie können sie auch hervorrufen,
sie sind imstande, höhere Wesen günstig zu stimmen und sich Hab und
Gut zu verschaffen, sie verstehen der Jagd, dem Fischfang, der Reise
einen günstigen Ausgang zu sichern, sie erzeugen, aber sie beschwichtigen
und verjagen auch Wind und Wolken, Nebel und Stürme, sie wissen
sich selbst und andere zu verwandeln, ja sie besitzen sogar die Macht, sich
als Geister in die Luftregion zu erheben oder in die Welt der Toten
herniederzusteigen, um ihr die Geheimnisse zu entreißen.
Wir wenden uns nunmehr zu der Sage von Odhin und
Odhreri. Snorri erzählt:
Das war der Anfang, daß die Götter Unfrieden mit dem Geschlecht
hatten, das die Wanen heißt, aber sie setzten mit ihnen Friedensbedingungen
fest und schlossen die Versöhnung derart, daß sie jeder von
einer Seite zu einem Gefäß gingen und hineinspien ihren Speichel.
Aber als sie sich trennten, nahmen die Götter das Gefäß und wollten
das Versöhnungswerk nicht verderben lassen und schufen daraus einen
Mann, der heißt Kwasi. Es ist so klug, daß niemand ihn nach Dingen
fragt, für die er nicht Antwort weiß, und er fuhr weit in die Welt, um
von den Menschen Weisheit zu lernen. Als er zum Besuch zu zwei Zwergen
kam, zu Fjalar und Galar, da riefen sie ihn zu sich zur Zwiesprache und
erschlugen ihn. Sie ließen sein Blut rinnen in zwei Gefäße und einen
Kessel und das heißt Odröri, aber die Gefäße heißen Son und Bodn,
aber sie vermischten Honig mit dem Blut und es ward daraus ein Trank,
daß jeder, der davon trinkt, ein Skalde wird oder ein Weiser. Die Zwerge
sagten den Asen, daß Kwasi erstickt sei an seiner Weisheit. Denn keiner
wäre so klug gewesen, ihm seine Klugheit abzufragen. Da entboten
die Zwerge zu sich den Riesen, der Gilling heißt, und seine Frau. Dann
boten die Zwerge dem Gilling an, mit ihnen aufs Meer zu rudern.
Aber als sie am Land vorbeifuhren, ruderten die Zwerge zu einer Untiefe
und kippten das Schiff. Gilling konnte nicht schwimmen und versank
, doch die Zwerge richteten das Schiff auf und ruderten an Land.
Sie sagten seiner Frau den Vorfall, aber sie hörte es mit Schmerzen
und weinte laut. Da fragte Fjalar sie, ob ihr der Sinn nicht leichter
würde, wenn sie hinausführe auf die See, wo ihr Mann versunken war,
und sie wollte das. Nun sprach er mit Gjalar, seinem Bruder, daß er
über die Tür laufen sollte, wenn sie hinausging, und ihr einen Mühlstein
aufs Haupt fallen lassen, und sagte, ihm sei leid ihr Weinen, und
so tat jener. — Als das Suttung erfuhr, der Sohn Gillings, fährt er
herbei und nahm die Zwerge und bringt sie auf die See heraus und
setzt sie auf eine Flutklippe (von der Flut überspielte Klippe). Da bitten
sie den Suttung, er möge ihr Leben schonen, und bieten ihm als Buße
für den Vater den kostbaren Met. Der Vergleich wurde angenommen,
es bringt Suttung den Met heim und hütet ihn da, wo es heißt Hnitbjörg,
und setzt da zur Bewachung seine Tochter Gunnlöd.
Nun kommt die Sage dazu, daß Odhin in die Welt fuhr und er
kam dorthin, wo neun Knechte Heu mähten, und fragt, ob sie wollten,
daß er ihre Sensen wehe. Sie bejahen das, da nimmt er einen Schleifstein
aus seinem Gürtel und wetzt ihre Sensen. Doch ihnen schien es,
als schnitten die Sensen viel besser und sie feilschten um den Wetzstein.
Er bestimmte es nun so, daß der, der es kaufen wollte, einen angemessenen
Preis zu zahlen hätte, aber alle sagten: sie wollten und sie baten, es ihnen
zu verkaufen. Doch er warf den Schleifstein in die Luft hinauf und alle
wollten ihn greifen und sie vermengten sich so dabei, daß jeder mit der
Sense den Hals des anderen durchschnitt. Odhin suchte Nachtrast bei dem
Riesen, der Baugi heißt, dem Bruder Suttungs. Baugi meinte, es sei
sein Besitzstand wenig zufriedenstellend und sagte, daß seine neun Knechte
sich erschlagen hätten, und meinte, er habe keine Aussicht auf Arbeiter.
Odhin nannte sich bei ihm Bölwerk, er erbot sich, die Arbeit von
neun Männern bei Baugi auf sich zu nehmen, und wollte einen Trunk
aus Suttungs Met. Baugi sagte, er habe nicht die Entscheidung über
den Met, er betonte, die werde Suttung allein haben, aber gehen wolle
er wohl mit Bölwerk und versuchen, ob sie den Met bekämen. Bölwerk
tat im Sommer die Arbeit von neun Männern, aber im Herbst bat er
den Baugi um seinen Lohn. Da fuhren sie beide zu Suttung, es sagt
Baugi seinem Bruder den Vertrag von ihm und Bölwerk. Aber Suttung
verweigert schroff jeden Tropfen Met. Da rät Bölwerk dem Baugi, sie
sollen eine List versuchen, wenn sie an den Met kommen wollen, und
Baugi heißt das gut. Nun zieht Bölwerk hervor den Bohrer, der Rati
heißt, und fordert, daß Baugi den Fels durchbohren soll, wenn der
Bohrer faßt, er tut das. Da sagt Baugi, daß der Fels durchbohrt ist,
doch Bölwerk bläst in das Bohrloch und der Felsstaub wirbelt ihm entgegen.
Nun sah er, daß Baugi ihn betrüben will, und befahl, den Fels
zu durchbohren. Baugi bohrte noch einmal, Bölwerk blies das zweite
Mal, da flog der Staub hinein. Da nahm Bölwerk die Gestalt einer
Schlange an und schlüpfte in den Gang des Bohrers. Doch Baugi
stach nach ihm mit dem Bohrer und verfehlte ihn. Bölwerk schlüpfte
dahin, wo Gunnlöd war, und lag bei ihr drei Nächte und sie erlaubte
ihm, vom Met drei Trunke zu trinken. Im ersten Trunk trank er alles
aus Odhreri, im zweiten alles aus Bodn, im dritten alles aus Son, und
er hatte da allen Met. Da nahm er ein Adlerkleid an und flog davon,
so gewaltig er konnte. Aber als Suttung den Flug des Adlers sah,
nahm auch er sein Adlerkleid und flog ihm nach, und als die Asen sahen,
wohin Odhin flog, da setzten sie vor das Haus ihre Gefäße. Und als
Odhin nach Asgard kam, da spie er den Trunk mitten in das Gefäß,
aber es war so nah daran, daß Suttung ihn erreichte, daß er etwas
Met hinten herausließ und der wurde nicht berechnet, es nahm den,
der wollte, und wir nennen das der Dichtertröpfe Anteil. Aber Suttungs
Met gab Odhin den Asen und den Männern, die schöpfen und
arbeiten können. Deshalb nennen wir die Skaldenschaft den Fang und
Fund Odhins und seine Gabe und den Trank der Asen.
Der Kern unsrer Sage ist uns noch im Gedächtnis: sie schildert
die Gewinnung des Wassers und kombiniert die Vorstellungen, daß
es in Töpfen verborgen war, von Tieren verschluckt wurde und
aus den Bergen hervorbricht (S. 90). In den Hawamal, die ja
auch von dieser Dichtung wissen, erbohrt Odhin selbst den Felsen,
schlüpft auf dunkeln Wegen zwischen den Riesen hindurch und seht
sein Leben aufs Spiel. Nach dem Weg durch Gefahr und Finsternis
erquickt ihn Gunnlöd, auf goldenem Stuhl sitzend, mit dem
kostbaren Trank, aus dem einfachen Wasser wurde das Wasser des
Lebens und aus diesem der Trank der Götter. Odhin verläßt sie
zum Lohn für ihre Liebe und schwört auch ihrem Vater und den
andern Riesen, die ihn nach Bölwerk fragen, falsche Eide, weinend
läßt er Gunnlöd, betrogen den Riesen zurück, der Trank ist bei den
Göttern, aber um welchen Preis! Heilige Eide sind gebrochen,
gütiges Vertrauen und hingebende Liebe betrogen.
Diese Darstellung des 10. Jahrhunderts ist geschlossen, großartig
in ihren Kontrasten, bitter in ihrer Tragik, ein Denkmal
jener Anschauung, die auch die Verse der Wöluspa vom Wortbruch
der Götter am Riesenbaumeister durchklingt (S. 175). Auch
an das Motiv vom Nibelungenring müssen wir denken, der so
viel List, Mord, Gewalt und Betrug in alle Welten gesät hat.
Eben in Anlehnung an die Nibelungendichtung ist die Geschichte
vom Göttertrank, wie wir sie bei Snorri finden, erweitert. Hier
wie dort Zwerge, Riesen, Götter im Kampf um einen Schatz, hier
wie dort zwei Riesenbrüder, die sich einen Schatz abjagen wollen,
den ein Dritter dann erlangt, hier wie dort der ohnmächtige und
heimtückische Zorn des Riesen, der sich um seinen Lohn betrogen
sieht. Ferner erscheinen Motive aus dem Märchen vom starken
Hans, die gerade die späteren Dichtungen von Sigurd schmücken,
in unserer Dichtung: wie der starke Hans tut Odhin um geringen
Lohn Dienst, verrichtet die Arbeit von vielen Knechten und bringt
die Knechte dazu, daß sie sich die Hälse abschneiden. Zu diesen Erweiterungen
gesellen sich andere. Die Fahrt zum Wasser gleicht
der Fahrt zum Wasser des Lebens und diese gleicht der Fahrt
ins Jenseits; in Jenseitsmärchen gehören die zusammenschlagenden
Berge, hnitbjörg, die Symplegaden, es gehört in sie die Beschenkung
der Knechte mit guten Werkzeugen und der Weg von einem Riesen
zu dessen Bruder. Weiterhin erinnert die Verfolgung des als Vogel
flüchtenden Gottes durch den Riesen, der sich in einen Vogel verwandelte
, an die Verfolgung des Odhin durch Hrungni, des Loki
durch Thiazi und wird gleich ihnen auf ein irisches Märchen zurückgehen,
das dem Kreis der Jenseitsmärchen nahe steht. Der Mühlstein
, den die bösen Zwerge auf die Riesen werfen, ist aus einer
anderen Märchenfamilie zugewandert, aus Geschichten, die uns vom
Besuch der Menschen bei Unterirdischen, Zwergen usw. erzählen.
Diese ängstigen ihre Gäste gern durch Mühlsteine, die sie an dünnen
Fäden über ihre Köpfe hängen, und durch ähnliche Qualen. Endlich
ist, wie wir wissen, der sonderbare Brauch, zum Zeichen des Friedens
in ein Gefäß zu spuken, der Brauch primitiver Völker (S. 104).
Die Dichtung vom Göttertrank wurde von den späteren Skalden
in ein überreiches und zu verwickeltes Gewebe oon Motiven verwandelt
. Der Dichter des 10. Jahrhunderts streifte das Element
des Jenseitigen und Wunderbaren, das die alte Geschichte vom
Wasser und vom Lebenswasser sicherlich enthielt, vielleicht zu weit
ab, um die Fabel zu vertiefen. Im 12. Jahrhundert, zu Snorris
Zeit, warf der Dichter zu viel von diesem Reichtum darüber. Damit
verstärkte er ihr mythisches Interesse: die Dichtung führt uns
wieder in den Kampf der Riesen, der Zwerge und der Götter.
Die Riesen sind im Besitz oder setzen sich in den Besitz erlesener
Kostbarkeiten, die Zwerge erschlagen einen Riesen, werden aber
von dem andern so leicht außer Kampf gesetzt wie Loki oon
Geirrödh, den Riesen besiegt wieder ein Gott. Odhin besteht Abenteuer
wie Thor, übt Listen wie Loki; vielleicht gehörte diese ganze
Raubsage eigentlich gar nicht ihm. Wir können aber vermuten,
warum sie ihm zufiel: weil er seit langem der Herr des berauschenden
Trankes, des Göttertrankes, war.
Den Göttertrank machen nun die späteren Skalden zum Dichtertrank
, durch ihre Kunst wird die ganze Sage dann zu einem echt
skaldischen Preis der Dichtung. Kwasi ist die Dichtung, von allen
Göttern geschaffen, von Zwergen und Riesen umkämpft, von einer
gütigen Frau beschützt, und endlich vom höchsten Gott noch einmal erobert
und von den Göttern für immer geborgen: von den Göttern
geht die Dichtung aus und zu den Göttern kehrt sie wieder zurück.
Das schillernde Gewebe der Erfindung, das in später Zeit über die
Fabel geworfen wurde, erscheint uns nun wie das üppige und endlose
Spiel der Phantasie. Die Zwerge verhöhnen, boshaft und geistreich,
Dichtung und Weisheit: Kwasi, sagen sie, erstickte, weil ihm niemand
sein Wissen abfragen konnte. Unter den Menschen versuchen sich viele
Tröpfe an der Gottesgabe und bringen sie in Verruf, natürliche
Angst ist ihr nicht fremd. Aber die echte Dichtkunst bleibt das Geschenk
der Götter und der Lohn für die strenge Arbeit der Berufenen.
Seltsame und verschlungene Schicksale waren dieser Geschichte
aus der Urzeit beschieden! Das Wasser verwandelte sich in das
Wasser des Lebens, in den Göttertrank, in den Dichtertrank, die
Dichtung ins Märchen, ins Heroische und Tragische, wieder in
buntes, wirres Märchentreiben, und endlich in Poetik, in eine tiefsinnige
Fabel über Wesen, Werden und Wirkung der Poesie. Daß
sie in den Geist und die Spottsucht der mittelalterlichen Isländer
mündete, war kein unrühmliches Ende. Wieviel Kunst allein liegt
in der Abtönung der Namen! Man beachte nur den Wechsel von
hell und dunkel, schwer und leicht, hart und weich in den Klanggruppen:
Kwasi, Fjalar, Galar; Gilling; Hnitbjörg, Bölwerk,
Odhreri; Son, Bodn; Gunnlödh, Suttung, Odhin. —
Wir betonen nun noch einmal, daß Odhin als Gott des Zaubers
und als Gott des Krieges, als göttlicher Ahnherr der Heldengeschlechter
und als Führer der Seelen von Deutschland nach dem
Norden zog. Saro und Snorri erzählen beide von seiner Einwanderung
. Wenn sie melden, daß Odhin von Byzanz oder von
Kleinasien über Rußland nach dem Norden kam, so ist das vielleicht
nicht nur gelehrte Fabelei. Denn wir wissen, daß ein Kulturstrom
vom 2. Jahrhundert n. Chr. vom Schwarzen Meer und dem Südosten
Europas nach dem Norden floß (S. 20), mit ihm wanderte
manche Kunst, wanderten die Runen und wanderte wohl auch
manche Göttersage. Wodansagen waren unter diesen Sagen allerdings
kaum, denn Wodan war, wie es scheint, den Goten unbekannt.
Die Wanderungen von Wodan nach dem Norden gehen
andere Wege, vom Rhein und Niedersachsen zum alten England
und nach Dänemark und nach Schweden und Norwegen: in Fünen
(Odense aus Odinsey), in Seeland (Onsved), in Schweden erinnern
Namen an Odhins Kult. Namen dieser Art sind in
Schweden sehr häufig, in Norwegen weniger verbreitet.
Dänische Heldenlieder des 10. und der folgenden Jahrhunderte
entwerfen uns von Odhin ein heroisches, hinreißendes und schreckenstiefes
Bild. In seiner künstlerischen Wirkung ist es reiner als das
anderer germanischer Dichter. Im Bjarkilied entfesselt Odhin den
Angriff der übermacht auf den geliebten König und Helden Hrolf
und mäht ihn und sein Gefolge dahin, zuletzt seinen jüngsten und
seinen ältesten Getreuen, zugleich schenkt er ihnen einen Tod des
Ruhmes und der Treue, wie ihn noch kein Held fand. Denselben
Hrolf und die Seinen prüft Odhin unerkannt, ob sie allen Forderungen
an den Helden gewachsen sind. Was Odhin dem Starkad
gab und nahm, haben wir bereits erfahren: den Starkad, der wie
Bjarki ein Repräsentant des alten Heldentums war, rauh, kriegerisch
und in seiner Treue unerschütterlich, verleitet Odhin zum
Verrat an seinem geliebten Herrn, dem Frotho rät Odhin, wie
er einen Drachen töten solle. Von Harald Kampfzahn erzählt
uns Saro:
Der König hatte die Seelen aller von ihm Erschlagenen dem Odhin
versprochen. Der Gott lehrte ihm die keilförmige Schlachtordnung und
verlieh ihm auch, daß ihn kein Eisen verletzen konnte. Als aber Haralds
Vertrauter, Bruni, gestorben war, fuhr Odhin in seinen Leib und säte
solange Zwietracht zwischen Dänen und Schweden, wo Haralds Neffe
Ring herrschte, bis beide Könige sich den Krieg ansagten. Sie rüsteten
sieben Jahre zur Entscheidungsschlacht auf dem Brawallafeld in Schweden.
Der altersblinde Harald stand auf einem Wagen und erhob seine Stimme,
so laut er konnte, seine Scharen anzufeuern. An seiner Statt hatte Bruni
die Schlachtreihen in Keilform geordnet. Nun begann die ungeheure
Schlacht, an der viele gewaltige Helden und Walküren teilnahmen. Das
Glück wandte sich gegen die Dänen. Der blinde Harald entnahm es dem
traurigen Gemurmel der Seinigen. Er hieß Bruni seinen Wagenlenker,
beobachten, wie Ring sein Heer geordnet habe. Lachend erwiderte Bruni,
der Feind kämpfe in Keilordnung. Bestürzt und erstaunt hierüber fragte
der König, von wem Ring diese Weise der Heerscharung erlernt habe,
da doch Odhin deren Erfinder und Meister sei und von ihm niemand,
als er, Harald selbst, in dieser neuen Kriegskunst unterrichtet worden.
Als Bruni hierauf schwieg, ahnte der König, jener sei Odhin, und der
ihm einst befreundete Gott habe, sei es, um ihm zu helfen oder die
Hilfe zu entziehen, solche Gestalt angenommen. Da begann er, ihn anzuflehen,
daß er den Dänen, welchen er sonst gnädig sich erzeigt, auch
diesmal den Sieg verleihen möge; auch versprach er wieder, die Seelen
der Gefallenen dem Gotte zu weihen. Bruni aber, ungerührt durch
diese Bitten, warf plötzlich den König aus dem Wagen, stieß ihn zu
Boden, entriß dem Fallenden die Keule und zerschmetterte ihm damit
das Haupt. Da wollte Ring nicht länger kämpfen. Dem gefallenen
Harald veranstaltete er eine königliche Leichenfeier.
Nach unsrer Auffassung entwickelt sich diese Dichtung aus einem
heroischen Lied der Völkerwanderungszeit, dessen Anfänge wir im
s. Jahrhundert erkennen, in einem Berichte Procops über den
Kampf der Heruler und Longobarden, und von dem uns im
8. Jahrhundert Paulus Diaconus eine großartige Anschauung verschafft:
Blend- und Zauberwerk kehren sich auch in seiner Darstellung
feindselig und unerbittlich gegen die gerechte Sache. Bei
Sato ist Odhin zugleich Meister des Krieges, der Kriegskunst uno
der Zauberei, und Odhin ist wankelmütig und tückisch und unersättlich
wie der Krieg. Wieviel Opfer verlangten schon der Wodan
und der Tiu des Tacitus! Odhin ist nicht genügsamer geworden.
Gegen keinen Gott wurden so viel Vorwürfe gerichtet, er ist und
bleibt der Treulose, aber der Tod, dem der Gott die Seinen ausliefert,
ist doch der Tod der Helden.
Den Odhin der Schweden schildert uns vor allem der eben
besprochene Bericht der Ynglingasaga. Vom Tode dieses Odhins
meldet uns Snorri außerdem, daß der Gott sich mit der Schwert-spitze
zeichnen ließ und sich alle Waffentoten nochmals zueignete.
Schwedische Sagen wissen ebenfalls von Königen, die sich dem
Odhin weihen und denen er dann den Sieg gibt, dem König
Erich erscheint er als großer Mann mit einem Schlapphut, und
gibt ihm einen Rohrstengel, den soll er über das feindliche Kriegsvolk
werfen mit den Worten: Odhin hat euch alle. Nach diesen
Worten kam Blindheit über .Styrbjorn und die Seinen und ein
Bergsturz erschlug sie. — Odhin, fährt Snorri fort, ging nach
dem Götterheim, um dort seine Freunde zu begrüßen, man legte
ihn auf einen Holzstoß und verbrannte ihn unter großem Prunk.
Die Schweden glaubten, daß er vor großen Schlachten sich zeige
(wie manche mit dem wilden Jäger verwandten Helden der deut-wen
Volkssage) und dem einen den Sieg gebe, den anderen zu sich
entbiete: beide Lose dünkten ihnen gut. Dem König Aun in
Schweden schenkte Odhin zehn Jahre für jeden Sohn, den er ihm
opferte, er brachte neun Söhne als Opfer und wurde uralt. Das
Volk opferte, wenn alle anderen Opfer versagten, sogar seinen
König dem Gott.
Andere Könige sind dem Odhin seit ihrer Geburt verlobt. Von
den nordisch germanischen Geschlechtern hing keines so innig mit
Odhin zusammen, wie die Wölsungen. Späte Erzähler haben den
Schutz, den Odhin diesen Helden gibt, gesteigert und ins Abgeschmackte
übertrieben. Andere Szenen der Wölsungasaga, in denen
Odhin mächtig und geheimnisvoll lockend eingreift, sind durch
keltische Phantasie in ihrer unvergeßlichen Wirkung gesteigert
worden, so jene Szene, in der Odhin erscheint, und das Schwert
in den Baum stößt, das nur der herrlichste Held lockern kann, und
jene andere, in der er als Ferge den Sinfjötli auf schmälern
Nachen ins Jenseits führt. Dem alten Sigmund tritt im heißesten
Kampf ein einäugiger Mann mit blauem Mantel und breitem Hut
entgegen, an seinem Speer zerbricht Sigmunds Schwert, Sigmund
erkennt, daß seine Stunde geschlagen und geht gern in Walhall
ein. Er fügt sich gern, fast freudig, dem höheren Willen: wie
anders, wie trotzig ist Bjarki in seiner Todesstunde, er schmäht
den Odhin mit wilden Worten und seine Frau besänftigt ihn
mit Mühe.
Trotz aller Untreue und Tücke wollten die nordischen Könige,
die schon das Christentum bekannten, von Odhin nicht lassen: seine
Welt war auch ihre Welt. Das Volk weinte dem Odhin wohl keine
Träne nach, aber Schicksal, Heldenschaft und Ruhm der Großen
waren für immer mit Odhin verkettet.
Viele Sagen ergehen sich in den Berichten, daß Odhin unerkannt
in das Gefolge eines Königs sich mischt, ihm abends von
den alten Helden und ihren Taten erzählt und ihn durch seine
Worte ganz bezaubert. Schließlich gibt der Gott sich halb und
halb zu erkennen, worauf die Könige, die noch eben ganz im
Bann des alten Heidentums standen, sich auf einmal auf ihren
christlichen Glauben besinnen und, um sich selbst zu betäuben, den
heidnischen Verführer verjagen. Einer dieser Berichte sei hier mitgeteilt
; wie Uhland sich ausdrückt, spielt das Heidentum hier besonders
feindselig und verlockend in das Christentum hinein.
Olaf der Heilige befand sich beim Gastmahl in Wik, da trat vor ihn
grüßend ein unbekannter Mann, der um seinen Namen befragt sich Gest
nannte und bat, beim Hofgefolge verweilen zu dürfen. Er trug kurzen
Rock und über das Antlitz hängenden Hut, war blödsichtig und gebartet.
Der König machte nicht viel aus dem Ankömmling, wies ihm den Sitz
abseits der Gäste an und hieß die Leute wenig mit ihm verkehren.
Abends aber berief er ihn vor sein Bett und fragte, was er von Kurzweil
verstehe. Da ward unter ihnen vieles von den Königen der Vorzeit
und ihren Taten gesprochen. Auf Gests Frage, welcher von den
alten Königen Olaf am liebsten gewesen sein möchte, gab dieser zur
Antwort, ein Heide möchte er überall nicht sein, doch am liebsten noch
Hrolf Krakis fürstliche Milde haben, unbeschadet des Festhaltens am
Christenglauben. Gest sprach weiter: " Warum wolltest du nicht sein wie
der König, der Sieg hatte wider jeden, mit dem er Streit führte, dem
an Schönheit und Fertigkeit keiner in Nordlanden gleich kam, der ebenso
anderen wie sich selbst in Kämpfen den Sieg zu geben vermochte, und
dem die Dichtkunst zu Gebot stand wie anderen Männern die bloße
Rede?" Der König erhob sich da, griff nach dem Meßbuch und wollte
damit nach Gests Haupt schlagen. "Du," sprach er, " der schlimme Odhin
möchte ich zuletzt sein." Gest aber fuhr wieder dahin, woher er gekommen
war, und der König lobte Gott, daß dieser unreine Geist, der in Gestalt
des schlimmen Odhin erschienen war, keine Trugrede vorzubringen vermochte,
die irgendeinen Schatten auf die glänzende Blume seines heiligen
Glaubens geworfen hätte.
Odhin als Gott der Helden und der Könige wurde in Norwegen
und Island zugleich der Gott der Skalden, d. h. der Gott
der Dichter und der Weisheit, er gewann dadurch einen neuen,
tiefen Glanz und eine neue, tiefe Verklärung. Wir haben diesen
Weg da und dort schon vor uns gesehen. Der Odhin der Saga
und wohl auch der des Volkes wandert durch die Welt: der skaldische
Odhin sprengt auf seinem Roß durch die Lüfte. Dieser
skaldische Odhin bringt den Göttern den Dichtertrank, verpfändet
dem Mimi ein Auge, um die Schicksale der Welt zu erfahren,
weckt, von der Sorge um Balder gepeinigt, die schlafende Wölwa
aus ihrer Todesstarre, mißt seine Weisheit mit Riesen und irdischen
Königen. Unerkannt tritt der Gott bei dem weisen Riesen
Wafthrudni ein, beantwortet dessen Fragen über Tag und Nacht,
Götter und Riesen und fragt dann jenen nach der Schöpfung der
Welt und nach der Herkunft aller Dinge, nach Sommer und Winter
, nach Asen und Wanen. Zum Schluß fragt er ihn nach den
Worten, die der Vater der Götter seinem toten Sohn Balder ins
Ohr raunte, bevor man ihn auf den Scheiterhaufen hob. Den
König Heidrek versucht der Gott ähnlich, er fliegt, als dieser ihn
erahnt, davon. Mit Saga sitzt Odhin an einem seine Wasser herabstürzenden
Bach, beide trinken aus goldenen Schalen. Der Gott,
der über dem Schicksal waltet, die Göttin, der die Geschicke des
Volkes ihren verborgenen Sinn enthüllen, lauschen der ewigen
Melodie und der wahrsagenden Macht des Wassers und schöpfen
aus der verjüngenden Flut neues Leben. Der Odhin der Skalden
rafft die Helden nicht unersättlich und tückisch dahin: er holt sich
die Erlesenen nach Walhall, damit sie im letzten Kampf gegen die
Riesen und gegen die Dämonen der Finsternis ihm Beistand leisten.
Der schwedische Odhin eignete sich vor seinem Tod noch alle
waffentoten Männer zu, der skaldische, der sich zum letzten Kampf
anschickt, setzt seinen goldenen Helm auf, nimmt den Speer in die
Hand und reitet, still und groß, verklärter noch als die von ihm
beschützten Helden, dem Tod entgegen. Dieser Odhin breitet die
unerschöpfliche Fülle seiner Namen in einen gewaltigen, immer
neu auffunkelnden Strahlenkranz um sich, er bezeichnet sich als
den Gott der Siege, der Heere, der Helden, als den brausenden
Gott des Sturmes, als den großen Erschrecker, als den Wanderer,
als den Gott verdeckter und tiefer Weisheit, als den Empfänger
der Opfer, als den Verhüllten, als den Geheimnisvollen —schließlich
auch, unter dem Einfluß des Christentums, als den Erhabenen,
den allmächtigen Vater, den Gott der Götter.
Den Empfang eines Königs bei Odhin in Walhall besingt
ein Skalde des 10. Jahrhunderts in dem Eiriksmal. Diese sind auf
Geheiß der Witwe zu Ehren des Königs Eirik gedichtet, der in
blutiger Schlacht gegen den englischen König Eadmund gefallen
war. Ich teile die Umdichtung des Liedes mit, die Wilhelm Hertz
versuchte.
| Welche Träume!" sprach Odhin, "mich trieb es vor Tag,
gefallenem Volk den Empfang zu rüsten.
Walhalls Helden weckt ' ich und rief:
Überspreitet die Bänke und spület die Becher!
Ihr Schildesjungfrauen, schaffet uns Wein,
Wie es Brauch in der Halle, wenn ein Herrscher kommt.
Gewärtig bin ich gewaltiger Gäste
aus der Lebenden Land; drum lacht mir das Herz." |
| Es dröhnt," sprach Bragi, " als drängten sich tausend,
eine mächtige Menge, heran.
Alle Bankdielen bersten, als ob Balder käme
wieder vor Wallhalls Tor." —
"Nicht weise fürwahr, und weißt du auch vieles,
redest du, ratkluger Bragi! |
| Vor Eirik donnert's, der eintritt hier,
der Held in die Halle der Helden.
Sigmund und Sinfiötli, sitzet nicht länger!
Auf, gehet entgegen dem Gaste!
Weist ihn ein bei mir, wenn es Eirik ist!
Sein Barr ' ich und hoff ' ihn zu schauen. |
| Was harrst du," sprach Sigmund, " des Helden nur
vor den anderen Königen allen?"
Weil er rings in den Reichen gerötet den Stahl
und ein triefendes Schwert getragen."
"Und du nahmst ihm den Sieg, wo sein Sinn so kühn?" —
"Weil ungewiß ist, was wir ahnen.
Der würgende Wolf schaut mit wildem Blick
nach den goldenen Sitzen der Götter." — |
| Heil, Eirik!" sprach Sigmund, "geh zur Halle ein!
Willkommen, du Kühner, hier!
Eins will ich dich fragen: wer folgt dir nach
der Tapfern vom Schwertergetös?" — |
| Fünf Könige sind's. Ich künde die Namen.
Und sieh, ich selbst bin der sechste.
Ein fürstlich Gefolg bring ' zum Fest ich mit,
wo die Tüchtigen tafeln mit Odhin." —
Er stand, wie er kam vom Kampfgewühl;
aus der Rüstung rieselte rotes Blut,
und Odhin freut sich des Anblicks. |
| "Bringt Wein zum Willkomm!" rief Walvater froh,
"in der Stunde des Sturms brauch' ich Starke wie du.
Mein Hort sind Heldenhände.
Nicht bebte dein Herz, als der Helm dir barst;
nicht Graun, nicht Gram kennt dein grimmiger Sinn.
Hoch halt' ich die harten Herzen!
Drum sollst du zur Seite mir sitzen beim Mahl
und mit mir schlichten der Schlachten Los,
bis die Nacht, die unnennbare, naht." — |
Die große Sammlung von Sprüchen und Liedfragmenten der
Edda heißt ja "die Sprüche des Hohen" und dieser "Hohe" ist
Odhin. Die beste und nützlichste Weisheit, die sie in den Erfahrungen
und Abenteuern ihres wilden Lebens sich erworben, verkündete
den Wikingern also ihr liebster Gott, seinen Unterweisungen
vertrauen sie gern und ganz.
Von den Hawamal verbreitet sich auch heute noch eine lebendige
, unmittelbar packende Wirkung. Sie geben keine abstrakten
Vorschriften, jede Lehre tritt vor uns als ein überzeugendes Bild
oder als eine, sei es tröstende, sei es warnende Erfahrung aus
dem Leben.
über die Liebe zu treulosen Frauen äußert sich unser Dichter so:
| Vertrauen auf falscher Frauen Liebe,
der Eisfahrt gleicht's mit unbeschlag'nem Roß,
zweijährigem, wildem, wenig gezähmtem
oder steuerlosem Segeln im stürmischen Meer,
des Hinkenden Jagd, der zu haschen versucht
das scheue Renntier auf schlüpfrigem Fels. |
Der Dichter sagt auch nicht: der Mensch soll nicht allein bleiben,
sondern er erzählt:
| Einst war ich jung, ging einsame Wege,
da verfehlt' ich den Pfad;
ich wähnte mich reich, als ein Wanderer kam,
des Mannes Lust ist der Mann. |
Und es heißt nicht, das Leben ist der Güter höchstes, sondern,
| Leben ist besser, als Leiche zu sein,
wer lebt, der kommt noch zur Kuh;
für den Reichen bestimmt sah ich rauchen die Scheite,
er selbst lag tot vor der Tür. |
| Wer handlos, wird Hirt, der Hinkende reitet,
der Taube taugt noch zum Kampf;
der Blinde ist mehr wert als der Verbrannte,
ein Toter ist niemand zu Nutz. |
Aus diesen Versen kann man wohl eine Art elementarer Lebensfreude
herauslesen. Daneben steht eine klare, manchmal fast erschreckende
Einsicht in die Gefahren, die überall auf uns lauern
und deren schlimmste vom Menschen selbst kommt. Ein sehr feiner
Kenner der alten Nordleute, Rosenberg, bemerkt darüber:
Es liegt eine schwermütige, ja fast wilde Grundstimmung hinter
der scheinbar ruhigen Rede. Die Welt ist nun einmal, wie sie ist: voll
von Unfrieden, Trug und Gewalt, ein Kampf aller gegen alle. Man
muss sie nehmen, wie sie ist, mit den Wölfen heulen, unter denen man
lebt, und sich selbst schützen, so gut man kann. Niemand tut etwas außer
um seiner selbst willen; so gehe denn hin und tu dasselbe und sei auf
deiner Hut; überall und allezeit! Es scheint uns in jeder Zeile etwas
aus dem Innersten des Dichters entgegenzutönen. Es gibt nur einen
Rat für den Menschen, daß er so viel als möglich sich bemüht, sein
eigener Herr zu sein, den Kopf oben zu halten, die Augen offen und
die Hand bereit zum Schlag — daß er auch dann nicht allzusehr am
Leben hänge, sondern sich damit tröste, daß es ein Ding gibt, das
mehr wert ist als das Leben und darüber hinaus währt, — der Nachruhm
nach dem Tode.
Die Berichte über Odhins Verwandtschaft sind ohne
stärkeres mythisches Interesse und meist das gelehrte Wert späterer
Skalden. Im Norden bleibt Frigg Odhins Gemahlin: die alte
Göttin des Himmels, die Gemahlin des Himmelsgottes hatte
Wodan dem Tiu entrissen. — Der wilde Jäger, der Führer der
Abgeschiedenen, ist gierig nach Leben wie alle Schatten der Verstorbenen
, und, den Riesen gleich, sehnt er sich nach Frauen und
verfolgt die Frauen, die der Welt in der langen Reihe der Geschlechter
immer neues Leben schenken. Der Wodan des zweiten
Merseburger Zauberspruches reitet, umringt von lichten Göttinnen;
den Odhin des Nordens umgeben außer Frigg die Walküren und
Saga, die Göttinnen, die das Schicksal der Helden in ihren Händen
halten. — Die Kunst der Wikingerzeit zeichnet die Macht des
Gottes über die Frauen in das Ritterliche um, sie verwandelt
Odhin in den großen und bezaubernden Verführer. Wie er uns
selbst erzählt, betrog er, einem tragischen Zwang gehorchend, die
Gunnlöd, er betrog und überwältigte auch die Rind.
Saxo weiß darüber, daß der Gott, infolge der Weissagung eines
finnischen Zauberers, er werde mit der Rind den Rächer Balders erzeugen,
als Heerführer bei dem Vater der Jungfrau erschien und diesen
von seinen Feinden befreite. Die Tochter aber, um die er auf Grund
dieses Erfolges warb, gab ihm statt des Kusses eine Ohrfeige. Im nächsten
Jahr kam er als Goldschmied wieder und erntete trotz seines schönen
Geschmeides wieder keinen Kuß, sondern eine Maulschelle. Nun versuchte
er sein Glück als kühner Reiter, wurde aber von der Jungfrau durch
einen Stoß zu Boden geschlagen. Darauf brachte er durch seine Zauberkünste
die Rind in Wahnsinn, führte sich als heilkundige Frau bei ihr
ein und überwältigte sie.
In diesem Bericht liegen verschiedene Schichten übereinander.
Die älteste war die Erzählung, daß der Gott durch seinen Zauber
die Kraft einer Frau, wohl einer Zauberin oder Göttin brach,
wie er den Zauber der Gullweig zu brechen suchte und wie Frey
den Widerstand der Gerd bricht, indem er sie mit dem stärksten
Zauber bedroht. Diese Erzählung wurde ins Heroische gesteigert:
Der Gott bezwang die Jungfrau, damit sie ihm den Rächer für
Balder gebäre. Und die heroische Erzählung glitt wieder auf das
bunte Lager des Märchens. Ein im Norden seit alter Zeit gern
gehörtes Märchen, unsrem Märchen vom König Drosselbart entsprechend,
gesellte sich zu den Sagen von, Odhin und Rind: eine
spröde Jungfrau weist alle Bewerber zurück, und endlich demütigt
sie doch der stärkere Mann. Noch andere Märchenmotive schwebten
heran: wir wissen aus der Dichtung von Hetel und Hilde, wie
oft Helden versuchen, durch goldene Kostbarkeiten das Herz streng
behüteter Jungfrauen zu gewinnen, und wir wissen auch, wie sich
gerade unscheinbare Burschen — man denke an das Goldener Märchen
— auszeichnen durch unerwartete Heldentaten, die ihnen die
begehrte Jungfrau doch gewinnen. — Wie die Geschichte von
Balder selbst, führt die von der Rache für Balder von Mythus
über die heroische in die Märchenwelt.
Auch sonst wurde, wie in der Geschichte vom Dichtertrank, das
goldene Märchennetz über den dunklen Gott des Schicksals geworfen.
Seine Wölfe, Tiere des Schlachtfeldes oder Gestalten,
die verwünschte Helden annehmen, behalten freilich ihr wildes
Heldentum. Aber die Raben, seine ruhelos die Welt durchfliegende
Seele, schmiegen sich in späteren Zeiten zutraulich wie Märchenvögel
an ihn und sind bei jedem Frühstück zur Stelle. Das Sturmroß
Sleipni wird ein achtfüßiges Pferd, das sich auf die zweiten
vier Füße wirft, wenn die ersten erlahmten. Der Speer, dessen
Wurf den heiligen Krieg eröffnet und den Gegner dem Gott unterwirft,
verwandelt sich in einen fabelhaften Speer, der nie im Stoß
innehält und nie sein Ziel verfehlt. Auch der goldene Ring Draupni,
von dem acht ebenso schwere Ringe in jeder neunten Nacht abtropfen,
war eigentlich mehr als ein Märchenring: er hat im
Mythus von Balder noch eine besondere Bedeutung. Odhin gibt
ihm bei Snorri den Balder auf den Holzstoß mit und Balder
schickt ihn dem Odhin zurück, und bei Saro hielt ihn Miming in
seinem Besitz, er vermehrt den Reichtum des Besitzers geheimnisvoll,
und nur, wer ihn besitzt, vermag den Balder zu besiegen.
War dieser Ring ursprünglich ein Sinnbild des immer wechselnden
und sich erneuenden Mondes? Wenn Odhin endlich einäugig, das
Haupt mit einem breiten Hut bedeckt, in weitem blauen Mantel
fast unsichtbar durch die Welt schreitet, einem Geist des Märchens
und der Sage gleich, so müssen wir daran erinnern, daß gerade
die Geister der Abgeschiedenen, die durch die Lüfte fahren, und die
Geister des Sturms in volkstümlichen Berichten einäugig, verhüllt
und in nachflatterndem Mantel erscheinen.
Zum Schluß suchen wir die Götter zu erfassen, die sich von
Odhin abzweigten. Hoeni, der sich von Odhin fast nie trennt, bedeutet
"der Seelenführer, der Seelengewaltige" . Nach der Wöluspa
geben Odhin, Hoeni und Lodhur, wie wir wissen, dem ersten
Menschenpaar Geist, Seele, Wärme und blühende Farben. Wir
vermuteten bereits (S. 45), daß Lodhur eigentlich ein Beiname
von Wodan ist, und daß von Hoeni dasselbe gilt: dann hätte
Odhin allein in der ursprünglichen Sage das erste Menschenpaar
geschaffen. Ihm, dem Herrn über Geist und Seele, dem Zauberer,
dem Vater der Helden gebührt freilich die schöpferische Tat, die
Schaffung der Menschen. Wie er den Helden das Wesen des
Kriegs, den Göttinnen das Wesen des Zaubers, den Göttern das
Wesen der Dichtung offenbart, so zeigt er dem ersten hölzernen
Menschenpaar das Wesen des Daseins: Geist, Seele, blühende
Schönheit, Wärme. Hoeni hat sich nie recht entwickelt, er blieb
— ohne daß spätere Zeiten wußten, warum gerade ihm diese
Ehre widerfuhr — in nächster Nachbarschaft von Odhin, aber auch
in unfreier Abhängigkeit von seinem Vatergott. Man nennt ihn
den schnellsten Gott, den Nässekönig, den Langfüßigen. Das sind
alles treffende Beinamen für einen Gott, der die Seelen durch
Wind und Wolken führt. Auch der Fürst der Pfeile wird er genannt
, das sind nach unsrer Meinung die Zauberpfeile, wie sie
Odhin und die Walküre lenken und schießen. In der neuen Welt
soll er statt Odhin den Loszweig kiesen, d. h. er wird des Zaubers
walten, dessen Odhin vordem gewaltet hat.
In einem färöischen Lied hat ein Bauer im Brettspiel seinen Sohn
an einen Riesen verloren und soll ihn nur dann zurückerhalten, wenn
er ihn vor dem alles erspähenden Unhold verstecken kann. Er ruft in
seiner Not Odhin, Höni und Loki. Odhin versteckt den Knaben in das
Gerstenkorn einer Ähre, das dem Riesen entschlüpft, als er sich den Arm
voll Ähren rafft. Höni verbirgt ihn in die Flaumfeder eines Schwans,
die auch davonfliegt, als der Riese den Schwan fängt und ihm den
Hals abschneidet. Loki verwandelt den Knaben in das Korn im Rogen
eines Flunders, der Riese angelt den Fisch, zählt die Körner, das letzte
weht davon, spurlos über den weißen Dünensand, der Riese eilt ihm
nach, verrennt sich in einem Bootschuppen, und dort schlägt ihn Loki tot.
Dies Lied ist nicht alt, seine Motive sind Zauberkünste des
Märchens, diese übertrug der Dichter auf die Götter; nicht um
ihres Wesens, sondern ihres Ansehens willen. Mythologische
Schlüsse dürfen wir aus den hier geschilderten, spannend und anschaulich
vorgetragenen Hergängen also nicht ziehen. Aber es
widerspricht wenigstens dem Wesen des Höni als Seelen- und
Wolkengott nicht, daß der Schwan, der Seelen- und Wolkenoogel,
hier als das ihm anvertraute Tier erscheint. —In der Edda bleibt
Höni bei allen Vorgängen immer ein stummer Zuschauer. Diese
Stummheit, daß er immer da war, ohne daß man je von seinen
Taten hörte oder erfuhr, warum er in die interessanteste Göttergesellschaft
aufgenommen war, befremdete allmählich auch die Isländer
. Sie war für sie ein Grund, den Gott zu verspotten als
einen Dummkopf: nachdem er mit Mimi zu den Wanen als
Geisel gekommen war, erzählten sie, wurde er dort Häuptling.
Aber Mimi mußte ihm allen Rat eingeben, und wenn dieser abwesend
war und ein schwieriger Fall zur Verhandlung kam, lautete
Hönis einzige Antwort: "Mögen andere raten!" — Einen mythischen
Hintergrund hat diese Geschichte nicht; sie ist eine recht boshafte
Erfindung isländischer Gelehrter; gerade den Gott, der nach
der Sage den Menschen einst den Geist gab, stellten sie dar als
einen unbrauchbaren und geistlosen Gesellen.
Wenn dann weiter berichtet wird, daß die Wanen voller Zorn
dem Mimi das Haupt abschlugen und den Höni zurückschickten,
so ist das eine neue geistreiche Niedertracht. Den klügsten Gott
der Asen töten die dummen Wanen, die Asen haben aber nicht
nur die Wanengeiseln, sie erlangen auch ihre Götter zurück, zudem
übertrifft die Zauberkraft des toten Mimi die Kraft des
lebenden Gottes.
Hermod, der im Heer Mutige, steht in altenglischen Stammtafeln
unter Wodans Ahnen: er ist ein dem Wodan nahestehender
Held, wie etwa Sigmund. Neben diesem erwähnen ihn die Hyndluljodh:
Odhin habe dem Sigmund ein schneidendes Schwert,
Hermod Helm und Panzer geschenkt. Auf Odhins Roß ritt Hermod
in die Hölle, den Balder loszubitten. — Das altenglische Epos
Beowulf kennt einen König, in der Jugend ein durch die Gunst
der Götter erhobener Fürst, im Alter blutgierig und unmild, so
daß ihn das Gefolge verläßt. Dabei kommt uns unwillkürlich
Odhin selbst inden Sinn, in dessen Wesen Heldentum und Blutgier
sich auch so dämonisch vermischen. Uns erscheint der Held wie
ein heroischer Abglanz des Gottes, er hat sich wohl schon im Altenglischen
von Wodan abgelöst.
Ein Sohn Odhins im Nordischen ist Wali (S .132). Der Gott
hat ihn mit der Rind gezeugt, eine Nacht alt, vollstreckt er an
Hödh die Rache für Balder; er wäscht sich nicht die Hand und
kämmt nicht das Haar, bevor er Balders Feind auf den Holzstoß
bringt — so singt die Wöluspa. Poeten der Wikingerzeit
haben den Wali erfunden und charakterisiert. Sein Wesen geht
auf in der großen Aufgabe des Helden, in der Rache. Die Götter
entwickeln schon in zartester Jugend ihre stärkste Kraft, wie Magni,
der Sohn Thors, auch; der Held darf vor einer heiligen Tat
die Kraft nicht durch Schneiden der Haare, durch Waschen oder
durch geschlechtlichen Genuß schwächen. Diese heroischen Pflichten
und mythischen Züge überträgt die Wikingerdichtung auf Wali:
kaum geboren, wild und ungeschwächt, wie er dem Leben geschenkt
wurde, stürzt er sich auf den Feind des Bruders, um ihn
zu vernichten.
Widar rächt den Tod von Odhin selbst und gilt auch als
sein Sohn. Nach Odhins Tod, erzählt wieder die Wöluspa, tritt
Widar hervor und stößt dem Fenriswolf die Klinge durch den
weitgeöffneten Rachen ins Herz. Man nennt Widar den Schweigsamen,
sein Heldentum ist so untadelig, daß selbst Loki davor verstummt
. Im Gestrüpp und im dichten Gras der Heide ist Widars
Heimat. Er wartet still, bis die Zeit an ihm ist, und vollbringt
dann, gemessen und ruhig, seine Tat. Ein germanischer Gott rächt
wie ein germanischer Held den ersten der germanischen Götter,
der selbst den Tod des Helden starb. Die Verse von Widar scheinen
uns in die Welt des Hrolf Kraki und des Dietrich von Bern zu
versetzen, in die Welt des erlauchtesten germanischen Heldentums
Spätere Zeiten haben Widar in ihrer Art volkstümlich und anschaulich
ausgedeutet. Den Fuß beschützt durch einen gewaltigen
Schuh, erzählten sie, trat Widar in den Unterkiefer des Wolfes,
mit einer Hand faßte er den Oberkiefer des Unholds und riß
seinen Rachen entzwei. Zu diesem Fuß ist das Leder aus aller
Zeit gesammelt worden, aus den Flicken, welche die Menschen
vor den Zehen und an der Ferse aus ihren Schuhen schneiden. —
In der neuen Welt herrschen Widar und Wali an Balders Stelle.
Verschiedene nordische Götter, wie Ty, Thor, Frey, sind von
der Götterdämmerung gar nicht berührt, sie leben ein von ihrem
letzten Ende ganz unabhängiges Dasein. Andere gewinnen durch
ihre Beziehung zum letzten Kampf ihre höchste Läuterung: deren
erster ist Odhin. Auch er kann den Gang der Dinge nicht ändern,
aber er besitzt eine tiefere Einsicht in das Schicksal als die andern.
Sein Ende und das Ende aller Götter sieht er voraus; er fühlt,
wie es sich, den andern unmerkbar, Schritt für Schritt, unaufhaltsam
nähert, und er weiß die Bedeutung jedes einzelnen Geschehnisses
für die große Auflösung der Welt. Aber wir hören
von ihm keine Klage, kein Murren, auch keine Prahlerei und
keine trotzigen Worte. Er waltet still, liebevoll und sorgend, hierin
schon dem Christengott ähnlich, über allem, und er tut, was sein
hohes Amt will, wandert durch die Welt, prüft und wählt die
Helden und forscht, wo er forschen muß, unverdrossen, bis auch
seine Stunde schlägt und er sterben darf, wie er lebte, als der
Held unter den Göttern. Odhin, das ist das Unsterbliche an ihm,
nahm in sein Wesen auf das Unvergänglichste und Beste vom
Heldentum der Germanen. Wir fügen hier die schöne Charakteristik
ein, die Ludwig Uhland oon Odhins Wesen gab.
Bon allen Asen und von allen Wesen der Götterwelt äußert Odhin
weit die mächtigste und allgemeinste Wirkung in der Heldensage. Wie
er die Wölsungensage vom Anfang bis zum Ende durchschreitet, so können
wir durch viele andere Sagenreihen seine Spur verfolgen. Seine Erscheinung
ist von der Art, daß er auch dort, wo sein rechter Name verschwiegen
bleibt, doch immer leicht zu erkennen ist. Einäugig, alt und
bärtig, in Hut und Mantel gehüllt, tritt er unerwartet und ungekannt
in die Königshalle, oder steht plötzlich an der Seite des einsamen Heldensohnes
, oder verlangt vom Vorgebirge aus in das vorübersegelnde Schiff
aufgenommen zu werden. Auch diese irdische Erscheinung steht in übereinstimmung
mit seinem göttlichen Wesen. Einäugig ist er, weil er sein
anderes Auge um einen Trunk aus Mimis Weisheitsbrunnen zum Pfand
gesetzt; alt erscheint er als der Vater der Götter und Menschen; verhüllt
und unter anderen Namen geht er auch in der Götterwelt aus,
die Weisheit der Riesen und der unterirdischen Wölwen zu erkunden.
So wie wir Odhin in der Göttersage von zweierlei Seiten betrachtet,
als den Forschenden und Kundigen und als den Wirkenden und Kämpfenden,
so stellt er sich auch in seiner irdischen Tätigkeit nach beiderlei Beziehungen
dar. In der ersteren tritt er als Gest auf, legt dem König
Heidrek Rätsel vor oder versucht noch als Nornagest die christlichen Könige,
singt und sagt die Kunden aus der alten Heldenzeit. Er, der in Asgard
mit Saga aus goldenen Schalen trinkt, ist auf Erden selbst ein Sagenerzähler
, und wie er selbst zu singen versteht, wie andere reden, so verleiht
er auch Starkad die Gabe der Dichtkunst. Noch viel mannigfacher
ist seine irdische Wirksamkeit in der andern Beziehung, als Kampf- und
Heldengott. Er wird selbst Stammvater kriegerischer Geschlechter und
unermüdlich geht er darauf aus, Helden zu erwecken und auszurüsten,
Zwietracht und Kampf anzustiften. Er stößt das herrliche, aber streiterregende
Schwert in den Baumstamm des Wölsungenhauses, teilt Starkad
gute Waffen zu, hilft Sigurd das beste Roß auswählen, berät ihn
und Frotho beim Drachenkampf, bringt den flüchtigen Hadding auf dem
Rohe Sleipni hoch über dem Meer nach seiner Heimat und stärkt ihn
mit Speise, lehrt Hadding, Sigurd, Harald Hildetand und dessen Gegner
Hring die keilförmige Schlachtordnung, prüft als Bauer Hrani die
Kämpfer Hrolfs, die auf seinem Hofe eingekehrt, durch Frost, Feuer und
Durst, er hat Utstein, dem Recken Halfs in der Jugend das harte Herz
in der Brust gebildet. Er trägt als Bruni zwischen verwandten Königen
zwisterregende Botschaft. Er waltet der Blutrache und leiht dazu dem
Dag seinen Speer. In der Schlacht erscheint er bald hilfreich, bald
Seinen eigenen Günstlingen verderblich. So schwingt er dem greisen
Sigmund den Speer entgegen und erschlägt den König Harald mit der
Keule. Er läßt sich von denen, die er begabt und auszeichnet, wie von
Harald und von Sigurd, König Ragnars Sohne, für dessen Heilung die
Seelen aller von ihnen Erschlagenen verheißen, er weckt eine Welt von
Kämpfern und rafft sie heerweise dahin. Er entsendet die Walküren zu
Jünglingen, um den schlummernden Heldengeist anzufachen; er beruft
die Todwunden durch ihre Botschaft zu sich. Es ist überall derselbe Grund,
warum Odhin Helden und Heldenstämme pflegt, waffnet, wunderbar
begabt, warum er sie anfeindet, aufreizt, verderbt. Nicht leere Lust am
Tode der Tapfern treibt ihn, er bedarf ihrer, der Kampferprobten zu
jenem größten und ungeheuren Kampfe, welcher der Welt und den
Göttern selbst Untergang droht.
An dieser Schilderung fällt uns die intuitive Kraft, der echte
Poetenblick und die schlichte und bescheidene Kunst auf; wie richtig
hat dieser deutsche Forscher und Dichter gesehen und wie fein
und wahr hat er das Gesehene gestaltet. Doch wir dürfen auch
nicht ohne Stolz betonen, um wie viel reicher, bewegter und tiefer
das Bild ist, das wir nun von Odhin zeichnen können. Sein Wesen
taucht aus den dunkelsten Gründen der Seele auf, die Kraft des
Zauberers und die Kraft des Helden verschmelzen sich in ihm
unwiderstehlich, seine Kriegsgier und sein ruheloser Drang, seine
Härte und sein Heldentum, seine Weisheit und sein Schicksal
werden fortschreitend geläutert. Die ganze dämonische und hinreißende,
tragische und strahlende Entwicklung im Norden hat sich
aus germanischen Anfängen gebildet, aber mit welcher Kunst und
welcher Fülle wurde sie entfaltet!
I. 15
5. Die Wanen
Art und Bedeutung der Wanen hat uns zuerst die Betrachtung
von Nerthus und der ihr verwandten Gottheiten erschlossen. Im
Vergleich mit Tiu, Donar, Wodan erschienen uns die Wanen
weniger ausgeprägt in ihren Umrissen, ihr Wesen wies uns in
ältere mythische und religiöse Schichten. Ihrem Kult aber war
ein längeres Leben beschieden: er wird, freilich mit vielfachen Verschiebungen
und da und dort etwas unkenntlich geworden, in
Frühlings- und Herbstfesten immer noch gefeiert. Eine Beobachtung
bestätigt die andere, es ist ein mythisches und religiöses Gesetz, daß
im Volk die niederen Formen des Glaubens und des Kultus länger
haften und widerstandsfähiger bleiben, als die höheren. Sie sind
der Mutterboden, aus dem die großen Götter aufsteigen und in
den sie oft wieder zurücksinken. Abweichend von den großen Göttern
waren ferner Nerthus und die ihren Gottheiten der Freude
und der Fülle, reicher und freundlicher als die härteren Götter
des Krieges, des Wetters, der Ahnen und des Zaubers, sie waren
auch ungebändigter: der Wunsch nach Fruchtbarkeit äußert sich in
ihrer Verehrung unverhüllter, auch die Lust am Geschlechtlichen
kommt derber und natürlicher zum Vorschein.
Im Norden stoßen der Kult der Wanen und der Kult der Asen,
der großen Götter, aufeinander: die Auseinandersetzung zwischen
beiden ist, wie wir bei Odhin erfuhren (S. 195 f.), nicht immer
friedlich verlaufen. Dabei treten die Asen hinter Odhin zurück,
und Odhin mißt vor allem seine Zauberkraft mit der Zauberkraft
der Wanen. Die germanischen Berichte hatten die Zauberei der
Wanen nicht so in den Vordergrund gestellt, freilich darf das
Walten über die Fruchtbarkeit der Felder und Menschen als ein
hohes Amt der Zauberei gelten.
Snorri in der Edda sagt über Njördh:
Er wohnt da, wo es Noatun (Schiffzaun) heißt, und waltet dort
über des Windes Lauf und beruhigt Meer und Feuer; ihn soll man bei
Seefahrt und Jagd anrufen. Er ist so reich und begütert, daß er jedem
Land und fahrende Habe geben kann, wenn er will und darum soll
man ihn anrufen. Nicht aus dem Asengeschlecht stammt Njördh, er
wuchs im Wanaheim auf; die Wanen sandten ihn als Geisel zu den
Göttern. Njördh hatte die Frau, die Skadi heißt, die Tochter des Riesen
Thiazi, sie wollte die Wohnstätte behalten, welche ihr Vater hatte, die
auf einem Gebirge ist, das Thrymheim heißt, Njördh aber wollte der
See nahe sein. Sie setzten das fest, daß sie neun Nächte in Thrymheim
weilen wollten und dann drei Nächte in Noatun. Als Njördh aber vom
Gebirge nach Noatun zurückkam, da sprach er so:
| "Nicht lieb ' ich die Berge, nicht lange dort weilt ich,
neun Nächte nur;
süßer schien mir der Sang des Schwanes
als der wilden Wölfe Geheul." |
Skadi aber erwiderte:
| "Mir stört den Schlaf am Strande des Meeres
der krächzenden Vögel Gekreisch;
am Morgen weckt mich die Möwe täglich,
die wiederkehrt vom Wald." |
Als Gott des Reichtums und der Fruchtbarkeit, der Schiffahrt
und der Jagd haben auch die Schweden den Njördh verehrt und
als solchen den Lappen übergeben. Ein isländischer Vergleich hieß
"reich wie Njördh" .
Nerthus war Göttin der Fruchtbarkeit und des Reichtums,
wurde von meeranwohnenden Stämmen verehrt und war wie
die Nehalennia wohl auch eine Göttin der Schiffahrt. Njördh ist
das gleiche; er wurde dann ganz zum Gott von Wind, Wetter
und Woge. Orte, die seinen Namen tragen, es sind auch im
Norden nicht wenige, liegen alle am Meer, nach dem Zeugnis
dieser Namen war seine Verehrung viel lebhafter, seine Bedeutung
viel größer als nach dem Zeugnis der Edda. Wenn Njördh außer
dem Wind und dem Meer auch die Flamme beherrscht, so nähert
er sich dem Wesen Odhins und dessen Zauberkünsten. — Diese
Rivalität war wohl auch ein Grund für die Sagen vom Kampf
der Asen und Wanen.
Die Geschichte von Njördh und Skadi erzählt Snorri noch
einmal so:
Es hob an die Erzählung, daß drei Asen von Hause gingen, Odhin
und Loki und Höni, und sie gingen über Berge und Waldblößen und
es war dort schlecht zu verweilen. Aber als sie von oben in ein Tal
kamen und eine Ochsenherde sahen, nahmen sie einen Ochsen und schickten
sich an zum Braten. Wie sie glauben, er sei gar, stören sie die Kohlen
auf und er war nicht gar. Und ein zweites Mal, als sie die Kohlen
aufstören, als eine Zeit vergangen war, und er noch nicht gar geworden,
da fragten sie sich, wie das zugehen könne. Da hören sie eine Stimme
in einer Eiche oben über ihnen, und der oben saß sagte, er sei schuld
daran, wenn das Gebratene nicht gar würde. Sie sahen hin und es
saß da ein Adler und kein kleiner. Da sprach der Adler: wenn ihr mir
meinen vollen Anteil am Ochsen geben wollt, dann wird das Gebratene
gar werden. Sie bewilligten ihm seinen vollen Anteil am Ochsen, da
läßt er sich aus dem Baum herab und setzt sich an das Gebratene und legt
sich vor als erstes beide Schinken des Ochsen und beide Bugstücke. Da
wurde Loki zornig und griff auf eine große Stange und schwingt sie
mit aller Kraft und stößt sie dem Adler in den Bauch. Der Adler schwingt
sich auf bei dem Stoß und fliegt in die Höhe: da waren fest die Hände
an der Stange, aber das andere Ende am Leib des Adlers. Der Adler
fliegt nun so hoch, daß die Füße Lokis schleifen über die Steine und
das Geröll und die Baumwurzeln, und von seinen Händen glaubt er,
daß sie reihen sollen aus den Achseln. Er schreit und bittet flehentlich
den Adler um Schonung, aber der sagt, daß Loki niemals loskommen
solle, wenn er ihm nicht den Eid leiste, mit Idhun herauszukommen aus
Asgard und mit ihren Äpfeln. Loki verspricht das, er kommt los und
fährt zu seinen Begleitern, und es wird nun nichts weiter berichtet über
ihre Fahrt, bis sie heimkommen.
Zur bestimmten Stunde lockt Loki die Idhun aus Asgard heraus in
einen Wald und sagt, daß er Äpfel gefunden hat, die ihr kostbar dünken
werden und bat, daß sie mitbringen sollte ihre Äpfel und sie mit jenen
vergleichen. Da kommt dorthin Thiazi, der Riese, im Adlerhemd und
nimmt die Idhun und fliegt fort mit ihr und nach Thrymheim bis zu
seinem Haus. Aber die Asen vertrugen schlecht das Verschwinden der
Idhun und sie wurden bald grau und alt. Da hatten sie ihre Versammlung,
es fragte jeder den anderen, was er zuletzt erfuhr von Idhun.
Doch das war als das letzte gesehen, daß sie aus Asgard ging mit Loki.
Da wurde Loki ergriffen und geführt auf die Versammlung und es
wurde ihm Tod oder Folter verheißen. Aber als er in Schrecken geriet,
sagte er, er würde die Idhun im Riesenheim suchen, wenn Freyja ihm
leihen wollte das Faltenhemd, das sie hat. Und als er das Faltenhemd
empfing, fliegt er nördlich nach dem Riesenheim und kommt einen Tag
zu Thiazi, dem Siegen: er war aufs Meer gerudert und Idhun war
allein zu Hause. Loki verwandelte sie in eine Nuß und nahm sie in die
Klauen und flog so rasch wie möglich. Aber als Thiazi heimkam und
Idhun vermißte, nimmt er sein Adlerhemd und fliegt dem Loki nach und
das Rauschen großer Adlerflügel schwang in den Lüften. Wie nun die
Asen sahen, daß ein Falke flog mit der Nuß und wohin der Adler flog,
da gehen sie heraus unten nach Asgard und trugen dorthin Haufen
von Hobelspänen. Der Adler, wie er hinflog zur Burg, ließ sich niedergleiten
an der Burgmauer. Da schlugen die Asen das Feuer aus den
Hobelspänen. Doch der Adler konnte sich nicht anhalten, als er den
Falken vermißte, das Feuer schlug ins Gefieder des Adlers und brannte
ihm fort die Flugkraft. Da waren die Asen nah und erschlugen den
Adler — das war Thiazi der Riese — in den Gittertüren und es ist
dieser Kampf weit berühmt.
Doch Skadi, die Tochter von Thiazi dem Riesen, nahm Helm und
Brünne und alle Heerwaffen und fährt nach Asgard, ihren Vater zu
rächen. Doch die Asen boten ihr Vergleich und Buße und als erstes,
daß sie sich wählen soll einen Mann aus den Asen und wählen nach
den Füßen und nichts weiter sehen. Da sah sie eines Mannes Füße,
selten schöne, und sagte: den wähle ich, weniges wird häßlich sein bei
Balder. Doch das war Njördh aus Noatun. Das hatte sie auch als Vergleichsbedingung
, daß die Asen tun sollten, wovon sie glaubte, daß sie
es nicht können würden, sie zum Lachen bringen. Da tat Loki das, daß
er band um den Bart einer Ziege ein Band und das andere Ende um
seine Hoden, und dann gaben sie einander nach und es schrie jeder
laut, da ließ Loki sich gleiten in den Schoß der Skadi und da lachte sie:
da war der Vergleich von der Hand der Asen mit ihr erfüllt. So heißt
es, daß Odhin ihr auch das zur Buße tat, daß er nahm die Augen des
Thiazi und sie warf hinauf in den Himmel und machte daraus zwei
Sterne.
Diese Geschichte ist in ihren verschiedenen Teilen so lose aneinander
gelegt wie etwa die von Odhin und Odhreri, Thor und
Geirröd, Thor und Hrungni. Sie erinnert uns auch oft an diese
und an andere Erzählungen. Der Eingang, der übermut Lokis,
seine Strafe, die Bedingung seines Loskommens ist dem Eingang
der Sage oon Thor und Geirröd ähnlich. Das Unheil, das Loki
anrichtet durch Entführung der Idhun, der Zorn der Götter über
ihn und die von ihm geleistete Buße, dieser Teil der Geschichte
gleicht der vom Riesenbaumeister. Wie in der Thrymskwidha fliegt
Loki in Freyjas Federhemd zum Riesen und dieser wohnt sogar
wie Thrym in Thrymheim. Die Verfolgung des Falken Loki
durch den Adler Thiazi scheint ein Widerspiel von der Verfolgung
des Adlers Odhin durch den Adler Suttung, endlich stürzt
Thiazi blind wie Hrungni in das Heim der Götter.
Diese Menge der Anklänge, als loser Schmuck über das Ganze
gestreut, nicht organisch mit ihm verschmolzen, ist ein Zeichen, daß
unsre Geschichte ihre letzte Form erst in späterer Zeit — sagen
wir spät im 12. Jahrhundert — erhielt. Zum gleichen Ergebnis
führt eine andere Beobachtung: kaum eine andere Sage der Edda
ist so reich an Erinnerungen aus dem Märchen. Gleich der Eingang
, die Geschichte des unbescheidenen Riesen, ist ein noch heute
in Südosteuropa lebendes Märchen. Der Raub der Prinzessin durch
den Riesen, ihre Wiedergewinnung durch einen kühnen Helden,
ihre Verwandlung in eine Nuß, derlei berichten die Märchen noch
immer gern. Das Märchen von der Prinzessin, die nicht lachen
wollte, kennen wir ebenfalls alle. Wie oft wird sie zum Lachen
gebracht durch die possierlichen Bewegungen von Menschen, die
voneinander und die oon einem Tiere nicht loskommen können,
z. B. in dem Märchen von der "Goldenen Gans" . Und wie gern
versetzt das Märchen am Ende einen oder seine Helden, als Trost
oder als Entschädigung unter die Sterne! — Das interessanteste
von den Märchen, die wir in der Geschichte von Idhun und Thiazi
entdecken, ist aber das vom Raub der Idhun und ihrer Äpfel. In
älterer Zeit war sein Hergang wohl so, daß ein Gott die Idhun
und ihre Äpfel dem Riesen raubte, wie Odhin den Göttertrank
dem Riesen entwendete. Anscheinend stammt das Märchen aus
Irland. Dort bemächtigen sich drei Brüder, in Habichte verwandelt
, der Äpfel und eine Zauberin verfolgt die Räuber als Greif.
Die Nordleute kannten nur schlechte, bittere Äpfel. Die Vorstellung
von Äpfeln, die ewige Jugend geben, wird darum kaum bei ihnen
entstanden sein. Eindrucksvoll, mit wenigen Worten, stellt unser
Erzähler sie hin: kaum, daß ihnen Idhun entrissen, werden die
Götter alt und grau.
Man täte nun auch unsrer Geschichte unrecht, sähe man in
ihr nur eine Häufung von Märchenerinnerungen und von Anklängen
an andere Göttersagen. Betrachtet man sie mit den Augen
der Volkskunde, so zeigen ihre Züge ein neues Gesicht. Die Forderung,
daß jemand seine Füße zeigen soll und daß man nur seine
Füße sehen darf, müssen sich, wie wir schon wissen (S. 65), Wesen
gefallen lassen, deren Geschlecht nicht zu erkennen ist. Fuß und
Schuh erregen, wie wir auch erfuhren, die Begierde und sind
Symbole der Liebe, uns bezeugen das schon sehr alte Märchen
von dem König, der das Mädchen zur Frau haben will, dessen
Schuh er kennt. — Bei der Hochzeit treffen wir noch heute den
Brauch, daß dem Bräutigam nur die Füße der Braut gezeigt
werben und .daß er dann die nicht erhält, die er sich wünscht. In
der nordischen Sage ist der Bräutigam sozusagen versteckt: wiederum
ist das Verstecken von Braut und Bräutigam bei vielen volkstümlichen
Hochzeiten noch heute unerläßlich. Wenn dann Loki ein
Schnurende um seine Hoden und das andere um ben Bart eines
Bockes windet, wenn beide voneinander nicht loskommen können
und wenn er sich dann in den Schoß der Skadi wirft, so will er
die eigene geschlechtliche Kraft mit der des Bockes verbinden und
dadurch steigern, die gesteigerte Kraft senkt er in den Schoß
der Frau.
Diese Szenen begeben sich im Beisein aller Götter: was können
sie anderes bezwecken als eine wiederholte Steigerung der Fruchtbarkeit
und der geschlechtlichen Kraft? Das Suchen und Finden,
die Erhöhung des geschlechtlichen Vermögens und die Vereinigung
wurden mimisch vorgeführt, durch eine oder mehrere Paare. Das
Wesen des Angeschauten sollte sich den Zuschauern mitteilen. Die
Reste eines alten kultischen Fruchtbarkeitsdienstes werden uns nun
in der Geschichte von Njördh und Skadi sichtbar. Bei vielen Völkern
waren solche Szenen ein Anfang des Dramas, bei den Germanen
schoß gerade um sie und gerade aus ihnen spielerische, übermütige
und überreiche Erzählung auf. —
Ähnliche Beobachtungen legten uns auch andere Geschichten nah.
Wir erinnern an die Spielmannsfabel vom Sieg und dem Namen
der Longobarden: wie war schon hier der alte kultische und geschlechtliche
Boden oon froher Fabelei überwuchert (S. 50). Und
wir erinnern an die Geschichte von Thor und Thrym, die sich nun
in neuem, früher verheißenem Licht vor uns stellt (S. 38): auch
hier eine Hochzeitfeier, auch hier Verkleidung, auch hier ein lebhafter,
mimisch dargestellter Vorgang im Beisein vieler Gäste.
War das Ziel von Thors ungeheuren Ess- und Trinkleistungen,
kultisch gesehen, eigentlich die Erhöhung seiner Kraft? Was wäre
die Bauernhochzeit der Gegenwart ohne das viele und lange Essen?
Und war der Hammer, den der Riese in den Schoß der Braut
legte, eigentlich ein Abbild der Fruchtbarkeit, ein Abbild eines
Phallus?
Vereinzelt steht also die Geschichte von Njördh und Skadi im
Nordischen und Germanischen nicht da. Nun ist der Hinweis am
Platz, daß in der Ehe des Mannweibes Njördh und des Weibmannes
Skadi die Geschlechter und ihre Kraft sich sozusagen verdoppelten,
und daß der Gott, nach dem Skadis Sinn eigentlich
stand, Balder, auch ein weicher Gott und ein Gott der Fruchtbarkeit
war. Wir denken an die ähnlichen Ehen bei den Wanen.
Auch Lokis Wesen deutet nicht nur in unsrer Geschichte und nicht
nur in der Fabel von Thor und Thrym, es deutet auch in der
Fabel vom Riesenbaumeister und in den Scheltszenen der Lokasenna
auf Zeugung und auf geschlechtliche Kraft.
Wie ist es nun gekommen, daß gerade die Märchen, die wir
vorher nannten, sich an die Geschichte von Njördh und Skadi
hängten? Das Märchen von der goldenen Gans hatte, wie wir
glauben, den gleichen Ursprung. Es entstand aus einer mimisch
vorgeführten Begattungsszene. Die Äpfel der Idhun waren einmal
nicht nur Früchte der Jugend, sondern auch Früchte der Fruchtbarkeit,
wie der Apfel seit alten Zeiten und überall. Sie gehören
einer liebreizenden Göttin des Wachstums, gerade diese begehren
ja die Riesen; ihre plumpe Gier im Kontrast zu der Anmut
der Frau sollte das Einleitungsmärchen zur Geltung bringen.
Der Märchenschmuck verhüllt also in unsrer Geschichte nicht den
alten Sinn der Vorgänge, sondern er legt sich wie ein schmiegsames
Gewand, gefällig und leuchtend, um ihre Glieder. Der letzte
Erzähler hat dann noch seinen Geist hinzugetan: am Anfang wird
Loki festgehert, am Ende heit er sich selbst fest; das kriegerische
Auftreten der Skadi, die blinde Wut und die plumpe Anmaßung
der Riesen stehen in wirkungsvollem Gegensatz zu der überlegenen
Staatskunst, dem lachenden übermut der Götter, der Schönheit
und der Jugend der Göttinnen. Wie es scheint, wird Skadi überreich
entschädigt, im Grund ist sie doch die Betrogene, auch der
den Göttern als Wane nicht ganz bequeme Njördh wird mit
seiner Frau hinters Licht geführt. Mit echt isländischem geistreichen
Spott ist besonders die Ehe von Skadi und Njördh geschildert
. Hier der reiche Njördh, der sich nicht anstrengen mag
und sich höchstens einmal zum beschaulichen Fischfang aufrafft,
der Wolf und Wald nicht ausstehen kann, dort Skadi, die auf
ihren Schneeschuhen in den rauhen Bergen unablässig jagt, die
das Meer langweilt und die das Gekreisch der Seevögel gräßlich
findet. Die Verse, die diese Gegensätze so frisch, mit solchem
anschaulichen Witz vortragen, hat Sato sogar ins Lateinische übersetzt:
sie müssen doch dem Norden sehr gefallen haben.
Welche merkwürdigen, religiösen und kultischen Fundamente,
und welchen reichen, phantastischen und geistvollen Aufbau zeigen
doch manche Göttersagen der Edda, wenn man sie bis in ihre
Anfänge verfolgt! - Wohin Nerthus zu kommen würdigt, sagte
Tacitus, ist froher Tag und Hochzeit, nur Friede und Ruhe ist dann
bekannt und gewünscht. Frey, sagt Adam von Bremen, schenkt den
Menschen Friede und Freude. Der Umzug des Frey, den eine spätere
nordische Sage uns schildert, und der Umzug der Nerthus, den wir
durch Tacitus kennen, gleichen sich in allen wesentlichen Zügen (S. 60).
Nach Snorri ist Frey der berühmteste der Asen, er waltet über Regen,
Sonnenschein und das Wachstum der Erde, man soll ihn um Ernte
und Frieden anrufen und er ist auch der Mehrer des Besitzes.
Nerthus, Njördh und Frey sind sich, wie wir wieder sehen,
zum Verwechseln ähnlich, wir möchten sogar behaupten, Frey, im
Norden Njördhs Sohn, ist eigentlich Njördh selbst. Im Norden
hob man vor allem die Macht des Gottes über Zeugung und
Fruchtbarkeit hervor. Sein Bild trug ein ungeheures Geschlechtsglied,
man rief den Gott bei der Hochzeit an; als seine Diener
nannte die Lokasenna ja Byggwi und Beyla, Gottheiten des Feldbaues
, auch der Gott Fjölnir, ein Gott des Feldbaues, war ihm
verwandt (S. 73). Wo immer wir von Frey etwas vernehmen,
überall wird sofort auch gesagt, daß unter seiner Herrschaft der
Friede blühte, daß gutes Wetter und gesegnete Ernten, Wohlstand
und Gedeihen die Menschen erquickten. Man brachte ihm gern
und dankbar Opfer auf Opfer, denn man vertraute fest darauf,
daß er alles vergelten werde. Eine große Anzahl Geschichten, die
den entsprechenden Sagen von Thor gleichen, bezeugen uns die
Liebe, die man auf diesen Gott gehäuft hat, man trennte sich von
ihm so widerstrebend und so schweren Herzens, wie man sich von
Thor trennte; besonders gilt das für Schweden.
Als Opfer empfing Frey Pferde und Ochsen und auch den
stattlichsten und stärksten Eber der Herde, also wieder das Tier der
Fruchtbarkeit. Beim Julfest wurden, bevor man ihn opferte, auf
seine Borsten die Hände gelegt und Gelübde beschworen.
In der Edda gilt ein Lied dem Frey; ein Liebeslied. Die
schöne Gerd hat es dem Gott angetan, er schickt zu ihr seinen
Boten Skirni. Die Schätze, die dieser verheißt, verschmäht die
Jungfrau, seine Drohungen weist sie zurück, da spricht er über sie
Zauberworte und Verwünschungen, nun fleht sie, er möge einhalten,
, in neun Nächten wolle sie dem Gott ihre Gunst gewähren.
Das Lied haben wir mit der Geschichte von Odhins Werbung
um Rind schon verglichen (S. 218), eigentlich besingt es die Macht
und den Zauber der männlichen, befruchtenden Liebe über die
spröde Jungfrau, es ist ein Thema gerade für einen manischen
Gott. Uns wird es auch dadurch bemerkenswert, daß es die Motive
der Zeugung, der Fruchtbarkeit und der Zauberei zugleich anschlägt.
Einige Strophen der Skirnismal haben einen seltsam weichen,
träumerischen Klang. Frey klagt dem Vertrauten seine Sehnsucht,
noch nie habe ein Mann ein Mädchen so geliebt wie er die Gerd,
sie sei so schön, daß vom Glanze ihrer Arme Himmel und Erde
aufleuchteten. Und als die Jungfrau sich ihm verspricht, klagt er
wieder "Lang ist eine Nacht, lang sind zwei, wie durchsehne ich
dreimaldrei"?
Die schwärmerische Liebe des Frey zur Gerd erinnert uns nun
auch noch an die Liebe des Balder zur Nanna, die Saro so verspottet
(S. 139). Wenn man genauer hinsieht, erkennt man in
dem Bild, das die Edda von Frey entwirft —nicht in den schwedischen
und volkstümlichen überlieferungen —, auch andere Züge,
die eigentlich dem Balder gehören. Frey ist ein kühner Reiter wie
Balder, er besitzt ein kostbares Schwert wie Balder, um einer
Jungfrau willen büßt der Gott das Schwert ein — es heißt, daß
er es dem Skirni gab, als dieser um Gerd warb —, am Ende
der Tage steht der leuchtende Gott waffenlos seinem Feinde gegenüber
, dem dunklen Surt, der die Dämonen der Finsternis gegen
die Götter führt und gegen Frey dessen Schwert schwingt. Das
ist doch (S. 140) nur eine, und wohl eine alte Variante des vor
uns erschlossenen Baldermythus. Der Frey der Edda ist also in
vielen Zügen ein alter Himmelsgott und im Ursprung wohl der
gleiche wie Balder; er mag sich im Altenglischen, wo Balder und
Frey (Frea) das gleiche bedeuten: Herr, vom Himmelsgott abgelöst
haben. Im Nordischen verdrängte er den Njördh und nahm dessen
Wesen in sich auf. Sein Bild schillert dort bald mehr nach dem
alten Himmelsgott, bald mehr nach dem alten Fruchtbarkeitsgott
hinüber. Auch die Pferde, die Frey außer dem Eber, gern als
Opfer annimmt, kennen wir als Tiere der zeugenden, geschlechtlichen
Kraft und als Tiere des Himmelsgottes (S. 69).
Die Geschichte von der Werbung des Gottes um eine spröde
Jungfrau ist fast ein Märchen, das Märchen hat den Frey ähnlich
wie andere Götter am Ende seiner Geschichte eingesponnen.
In einem späten den Skirnismal nachgebildeten Liede wirbt der
junge Swipdag — er ist dem Frey ähnlich — um die Menglöd,
die Halsbandfrohe, abenteuerlicher und wunderbarer als der alte
Gott. Wie in den keltisch französischen Ritterromanen dreht sich
ihre Burg auf der Spitze eines Speeres und ist oon lodernden
Flammen umgeben. Den Eber Freys, hieß es nun, schmiedeten
Zwerge, seine Borsten erhellen die dunkelste Nacht und er kann
schneller als ein Pferd durch Luft und Wasser laufen. Schließlich
nahm Frey noch das Schiff Skidbladni, eigentlich ein Eigentum
des Meergottes, des Njördh, in seinen Besitz: das hat einen guten
Fahrwind und immer gerade in der Richtung, in der man fahren
will, sobald man nur das Segel hißt. Man kann es auch zusammenfalten
und in die Tasche stecken.
Nach unsrer Auffassung ist Frey also nicht ein Gott, sondern
die Verschmelzung zweier Götter. Das gleiche glauben wir von
Freyja. Denn während sonst die Wanen, z. B. auch Frey, sich
mit den Asen wohl verbündeten, ihnen aber doch fremd bleiben,
betrachten die Asen Freyja als ihren köstlichen Besitz. Daß die Riesen
gerade sie ihnen rauben wollen, empört sie, und als es scheint, daß
sie die Göttin doch an den riesischen Baumeister verlieren werden,
scheint ihnen die Luft, in der sie atmen, auf einmal vergiftet,
Freyja macht ihnen das Leben hell und rein. Sollte eine Wanin
diese Kraft haben? Wir glauben vielmehr, diese geliebteste Freyja
ist die Himmelsgöttin und im Wesen kaum eine andere als Frigg:
immer hilfsbereit, sie gibt ihr Faltenhemd dem Gott, der dessen
bedarf, sie trägt das Brisingamene, den leuchtenden Halsschmuck
— war das der Vergleich eines Dichters, der die Sonne den
leuchtenden Halsschmuck der Himmelsgöttin nannte? —, sie steht,
wie die Frigg, den Frauen gerne bei, besonders in ihren schweren
Stunden.
Die andere Freyja ist die manische Göttin, die Göttin der
Fruchtbarkeit und Liebe. Diese Göttin begehren die Riesen,
diese wird in der späten Zeit des Heidentums gern geschmäht:
ihr Mann sei ihr Bruder, sie schütze die niedere, sich preisgebende
Minne. Loki schalt sie als Buhlerin und warf ihr vor, es gäbe
keinen Gott, den sie nicht mit ihren weisen Armen umschlungen
hätte, und die häßliche Sage entstand, daß sie sich von Zwergen
entehren ließ, um ihren kostbaren Schmuck zu erhalten; — dieselbe
Freyja, die in fassungslose. Wut geriet, als sie nur hörte,
daß ein Riese sie zur Frau haben will: ob sie denn ganz männertoll
sei, daß man ihr eine Brautfahrt ins Riesenland zumute?
Diese Freyja galt auch als Zauberin, sie war dieselbe wie
Gullweig, die im ganzen Land ihre Umfahrt hielt, der die Liebe
der Frauen folgte, deren Macht die Asen nicht brechen konnten,
nicht einmal Odhin. — Die gleiche Göttin wie Gullweig war
Gefjon, eine Göttin der Fruchtbarkeit wie Nerthus, und wie jene
verbunden mit Erde und Meer, die unvermählten Frauen dienen ihr.
Von Gefjon ging die Sage, der König Gylfi habe an ihren
Künsten Gefallen gefunden und ihr so viel Land zugestanden, als
vier Ochsen in einem Tag und in einer Nacht umpflügen könnten.
Sie aber spannte ihre Söhne, die sie von einem Riesen geboren
hatte, als Ochsen vor den Pflug und der ging so breit und tief,
daß er das ganze Land herausriß, und die Tiere schleppten es
ins Meer, und es wurde die Insel Seeland. Wo früher aber
Land gewesen, entstand nun ein See, der Mälarsee: dessen Buchten
liegen ebenso wie die Vorsprünge in Seeland.
Gefjon, hieß es außerdem, war mit einem Riesen vermählt.
Das ist ein Gegenstück zu der Ehe von Skadi und Njördh. Die
ihr geltende Sage zeigt sie als Herrin des Pflugs: und die alten
Engländer rufen ja, wenn sie im Frühjahr den Pflug das erste
Mal in die Erde setzten, die Mutter Erde an. Der Umzug, von
dem die Gefjonsage spricht, in Anlehnung an alte Sagen wie an
die von der Dido, in Anlehnung zu gleicher Zeit an Sagen wie
die vom Riesenbaumeister, mag früher einmal von feierlicher Bedeutung
gewesen sein, ein altes Frühlingsfest.
Die Asin und die Wanin werden sich bei Freyja verschmolzen
haben etwa wie bei Frey. Freyja nahm vom Wesen der Frigg
viel in sich auf, und ihre wanischen Züge lebten außerdem in den
Mythen von Gullweig und Gefjon weiter, die ihrerseits eigentlich
wohl nichts anderes waren als Beinamen der Nerthus.
Die letzte Nachricht über Freyja finden wir bei Snorri: sie
vermählte sich mit dem Mann, der Odh hieß, aber der ging auf
lange Reisen, und sie ging weinend hinterher, und ihre Tränen
sind rotes Gold, und sie suchte ihn bei vielen Völkern. — Das ist
ein weiches und rührendes Märchen, denen von der vergessenen
Braut ähnlich, die sich noch heute die Niederdeutschen und Dänen
erzählen, ergreifender und hübscher als alle anderen Völker. Das
Motiv, daß sie gern von Land zu Land wanderte, hat der Göttin
diese Geschichte eingetragen; sie verschwand wie Frey schließlich im
Zauberkreis des Märchens, und wir sehen es gern, daß sie dorthin
schwebt und sich wieder verklärt.
Die Wanen haben sich also im Norden aus ihren germanischen
Anfängen entwickelt. Man merkt ihnen noch immer an, besonders
aus dem Gegensatz, in dem sie zu den Asen stehen, daß eine ältere
Periode des Glaubens und der mythischen Anschauung sie geschaffen
hat. Außerdem sehen wir aus den nordischen Berichten,
daß ihre mythische und religiöse Basis breiter war, als wir auf
Grund der germanischen Aussagen annehmen durften. Denn Njördh-
Frey, Freyja, Gullweig, Gefjon werden, wie wir wiederholt er;
erfuhren, als zauberkräftige Wesen gerühmt und gefürchtet und
treten als solche den Men gegenüber, die Zauberei muß von Anfang
an in ihr Wesen eingeschlossen gewesen sein. Die Wanen als
Götter der Zeugung und Fruchtbarkeit zeigten im Norden auch
neue Züge und ebenso war es für uns eine neue Einsicht, daß
die Riesen gerade auf die wanischen Götter und Göttinnen so erpicht
sind. Der Bund zwischen Asen und Wanen zeigte sich uns
einmal in der Verschmelzung wanischer und asischer Elemente, die
wir bei Frey und Freyja beobachteten, dann in den Geschichten
über den Friedensschluß und die Vorträge beider Götterdynastien:
die Wanen werden dabei durch die List der Asen, die die Macht
der Gegner nicht brechen konnten, mehr als einmal, ohne daß
sie es zu merken scheinen, benachteiligt. Endlich entführt das Märchen
auch diese Wesen — es ist ihnen holder gesinnt als dem
Thor — in das Reich seines Spiels und seiner Phantasie. Das
Christentum hat ihnen alles in allem wenig angehabt. Wohl griff
der neue Glaube besonders Frey und Freyja heftig an und hat
sie geschmäht und verdächtigt, doch sie wirkten in der alten Weise
weiter. Denn sie stammen aus Schichten des Glaubens, in die
das Christentum nie eingedrungen ist.
6. Elben und Riesen
Als wir die germanischen Elben zu bestimmen suchten, wagten
wir die Vermutung, daß auch Heimdall, Loki und Thjalfi elbischen
Ursprungs seien (S. 72).
Von Heimdall sagt Snorri das Folgende:
Heimdall heißt einer, der wird der weise Ase genannt, er ist groß
und heilig, den gebaren sich zum Sohn neun Mädchen, und es waren
alle Schwestern. Er heißt auch Hallinskidhi (der mit gebogenen Schneeschuhen
Schuhen) und Gullintanni (Goldzahn), seine Zähne waren nämlich aus
Gold, sein Hengst heißt Gulltopp (Goldmähne). Er wohnt da, wo es
Himinbjörg (Himmelsberg) heißt, bei Bifröst (schwankender Weg, das
ist der Regenbogen). Er ist der Wächter der Götter, und sitzt da am
Ende des Himmels, um die Brücke zu bewachen vor den Bergriesen.
Er bedarf weniger Schlaf als ein Vogel, er sieht bei Nacht ebenso wie
bei Tag, hundert Meilen weit, er hört auch, daß das Gras wächst auf der
Erde und die Wolle auf den Schafen und alles, was nur hörbar ist.
Er hat das Horn, das Gjallarhorn heißt, und dessen Ton dringt durch
alle Welten, das Schwert Heimdalls heißt Haupt und dies wird gesagt:
| "Himinbjörg nenn' ich, Heimdall, sagt man,
Walte der Wohnstätte dort; |
| In behaglichem Hause trinkt dort der Hüter der Götter
Vergnügt den guten Met." |
Wer diese Worte liest, wird den Heimdall für einen Himmelsgott
halten, der alles leise Werden erlauscht, jede Gefahr ahnt,
und darum wie kein zweiter sich zum Wächter eignet; für einen
strahlenden Gott der Morgenröte, des frühen Tages, weise und
geheimnisvollen Ursprungs. Andere Nachrichten scheinen diese
Meinung zu bestätigen: die neun Mütter sind nach dem Zeugnis
eines späten Eddaliedes, des Hyndlaliedes, die Meereswogen, aus
denen der junge Tag aufsteigt, aus dem Meer hebt in einer
Skaldendichtung Heimdall in der Frühe den Schmuck der Freyja
empor, ihr Halsband, die Sonne. Er entringt es, in eine Robbe
verwandelt, dem auch zur Robbe gewordenen Loki, der es der
Göttin gestohlen und abends im Westen hinter einer Klippe (d. h.
wo die Sonne untergeht) verborgen hatte. — Als Gott des Werdens
schuf dieser Heimdall auch die Menschen und Stände, so wie
es uns die Rigsmal der Edda schildern: er sei als Rig eingekehrt
bei drei Ehepaaren, bei Urgroßvater und Urgroßmutter, Großvater
und Großmutter, Vater und Mutter, und habe der Frau
des Einen den Stammvater der Knechte, der Frau des Zweiten
den Stammvater der Bauern, der Frau des Dritten den Stammvater
der Edlen gezeugt und jedem die Beschäftigung angewiesen,
die ihm gebührte. Der Knecht war mißfarben, hatte schwarzes
Haar, runzelige Hände, knotige Knöchel, dicke Finger, krummen
Rücken, große Füße, blöde Augen und ein garstiges Antlitz; der
Bauer besaß blitzende Augen, er war blond, und seine Haut rötlich;
die Wangen des Edlen strahlten, sein Haar war hell, und
seine Augen schienen Blitze zu schleudern. — Ein uns verlorenes
Lied der Wikinger Zeit, auf das noch gekünstelte Vergleiche anspielen,
, besang auch Heimdalls Tod; die Forschung hat seinen
Inhalt erschlossen: der Gott fiel durch das eigene Schwert, das
Haupt der Schwerter, das Loki dem sonst immer Wachsamen entwand;
auch er fand ein heldenhaftes und tragisches Ende.
Der alte persische Mithra, unzweifelhaft ein Himmelsgott, wird
so charakterisiert: " er ist immer umsichtig, immer wachsam. — Er
ist weder die Sonne noch der Mond noch das Sternenheer, sondern
mit Hilfe dieser tausend Ohren und zehntausend Augen überwacht
er die Welt. Mithra hört alles, sieht alles, er ist allwissend,
er ist der Gott der Wahrheit und Rechtschaffenheit, gibt Fruchtbarkeit
und Nachkommenschaft und bekämpft wachend, ohne Schlaf
die Bösen." — Von diesen Eigenschaften decken sich sehr viele mit
denen Heimdalls; eine Stimme aus dem fernen und alten Osten
scheint uns ihren Beifall kundzutun, daß wir Heimdalls Wesen
als das eines Himmelsgottes, genauer als das eines Gottes der
Morgenröte bestimmten.
Von unsren Zeugnissen ist jedoch die Geschichte vom Halsband
Freyjas die feine, wohlerwogene Schöpfung eines Dichters
der Wikinger Zeit, kein alter Mythus, ebensowenig wie der Bericht
von Odhins Auge, das er Mimi verpfändete. Dasselbe gilt
von dem Lied über Heimdalls Tod. Wir fassen es auf als eine
Variation des Balder- und des Frey-Themas. Es scheint künstlerische
. I. 16
Absicht, daß die Skalden ebenso wie das Ende, so auch
den Anfang, die Geburt des Gottes, in Geheimnis hüllten. Das
Motiv von den neun Müttern, nur in jenem einen, ganz späten
Lied erwähnt - das übrigens auch alle Namen der Mütter herzählt
— ist eine der Erfindungen des späten Island, in der sich
Gelehrsamkeit und Phantasie so seltsam mischen. Die Rigsmal aber,
die frühere Gelehrte für ein altes, vielleicht uraltes Eddalied ansahen,
ist vielleicht in ihren Grundlagen alt, in der Auffassung
des Heimdall als des Vaters der Menschen, in der Ausführung
aber ein "geistig raffiniertes" isländisches Werk des 13. Jahrhunderts
. Der Gott, der die Stände schafft, und sie die ihnen zukommenden
Tätigkeiten lehrt, entspricht dem irischen Großkönig
Rig Mor, kommt also aus Irland. Heimdall als Gott des frühen
Tages ist somit nur eine Schöpfung der Wikinger Poeten, die Island
aufnahm und erweiterte; der alte Gott selbst ist es noch nicht.
Island hat am Ende auch diesen Wächtergott mit seinem Spott
nicht verschont. Die einen sagten ihm nach, daß er als Wächter
in seiner schönen Wohnung behaglich seinen Met trinke, Loki verhöhnte
ihn umgekehrt, weil er mit immer feuchtem Rücken die
Götter bewache und um ihretwillen alle Unbilden der Witterung
auf sich nehme. Wieder andere zogen seine Klugheit ins Lächerliche:
er höre ja wohl das Gras auf der Erde die Wolle auf den
Schafen wachsen. Diese ironische Übertreibung ist wie sein Gesicht
bei Tag und Nacht, wie sein hundert Meilen weiter Blick, wie
sein Vogelschlaf eine Entlehnung aus übermütig übertreibenden
Märchen.
Trennen wir nun Spott, Geist, Gelehrsamkeit und Märchenfreude
des späteren Island, trennen wir auch die schönen und reichen
Steigerungen der Wikinger Dichter von Heimdall ab, was bleibt?
Ein schöner und kluger, wachsamer und hilfsbereiter Gott: so
schildert den Heimdall in wenigen Worten die Thrymskwidha.
Heimdall bedeutet wohl auch der "hellstrahlende" . Eben diese
Eigenschaften Heimdalls sind Eigenschaften der Elben. Als einem
Elben gebühren dem Heimdall das Roß mit goldenen Stirnhaaren
, die goldenen Zähne, das leuchtende Antlitz. Elben sind
Ahnherren der Helden, Heimdall der Urvater der Menschen. Der
König der Elben und Beschützer der Helden in altfranzösischer
Heldendichtung Oberon ist klein, zierlich, schön wie die Sonne,
wachsam, hilfsbereit, sehr klug und hört die Engel im Himmel
singen. Oberon ist germanischer Herkunft, sein Name eine Umsetzung
und Weiterbildung des germanischen Alberîch ins Französische, er
scheint dem Heimdall nah verwandt. Er hat ein Horn, in das
die von ihm beschützten Helden in dringendster Not blasen dürfen,
Heimdall besitzt auch ein Horn und bläst es in der Stunde der
höchsten Gefahr, bei der Götterdämmerung, um das Nahen der
Feinde zu verkünden. Diese Vermerke genügen wohl als Nachweis,
daß Heimdall in seinem Ursprung ein Elbe war. Durch
seine Schönheit, sein kluges Vorherwissen, seine Hilfsbereitschaft
schien er zum weltüberschauenden, alles Werden erspähend Gott
der Morgenröte berufen.
Als Ergänzung und in Erinnerung an früher Gesagtes bemerken
wir noch, daß Heimdall der getreueste Wächter und
Diener der Götter ist und sich auch dadurch als Elbe charakterisiert:
Thjalfi, Röskwa, Byggwi, Beyla, die Idise traten ja alle
in den Dienst der Asen, Loki verkleidet sich als Thors Magd, und
wieviel Dienste muß er den Göttern leisten!
Für die Forschung ist es keine Schande, daß sie sich lange umsonst
bemühte, Loki zu erfassen, denn er bleibt unter den nordischen
Göttern der vielfältigste und widerspruchvollste. Die einen
sagen, er sei schön und zierlich von Gestalt, die andern, er sei
häßlich, ein Riese und der Vater böser Riesenbrut, er selbst ist den
Göttern bald Freund und Diener, bald neckt und narrt er sie, bald
wendet er sich gegen sie in unverhüllter Feindseligkeit, weiß ihre
verwundbarste Stelle zu treffen und schmäht sie beleidigender als
irgendein anderer. Er gibt ihnen die Kostbarkeiten, an denen sie
ihre Freude haben, und er nimmt ihnen Balder. Und derselbe Gott,
der klüger, geschickter ist als alle und die unheilvollsten Ränke
spinnt, wird wieder von plumpen Riesen genarrt und mißhandelt.
Wir gehen oon der Sage aus, die berichtet, wie Loki, zur
Strafe für seinen Frevel an Balder, gefesselt wurde. Snorri erzählt:
Als die Götter so zornig geworden waren, wie zu erwarten stand,
lief Loki fort und verbarg sich im Gebirge, er baute da ein Haus mit
vier Türen, so daß er aus dem Haus nach allen vier Richtungen sehen
konnte. Aber oft am Tage nahm er die Gestalt eines Lachses an und
verbarg sich da, wo es heißt Franangfall. Er bedachte bei sich, welche
List die Asen erfinden würden, ihn im Wasserfall zu ergreifen. Und
als er im Hause saß, nahm er Leingarn und flocht ein Geflecht, so wie
das Netz seitdem gemacht wird, und ein Feuer brannte vor ihm. Da
sah er, daß die Asen nur noch ernen kurzen Weg hatten zu ihm, uns
es hatte Odhin gesehen aus Hlidskjalf, wo er war. Loki stürzte sofort
heraus in das Wasser und warf das Netz hinein in das Feuer. Doch
als die Asen dahin kommen, da ging der als erster hinein, der von allen
war der Klügste, der Kwasi genannt wird, und als er beim Feuer die
Asche sah, in die das Netz verbrannt war, meinte er, daß dies eine List
sein möchte, Fische zu fangen, und sagte es den Asen. Danach nahmen
sie Flachs und machten sich ein Netz nach dem Muster, das sie sahen in
der Asche, das Loki gemacht hatte. Und als fertig war das Retz, gehen
die Asen zum Fluß und werfen das Netz in den Wasserfall. Thor hielt
es an einem Netzhals, aber am andern hielten es alle Asen und sie
zogen das Netz. Doch Loki sprang voran und legte sich hin zwischen zwei
Steine. Sie zogen das Netz über ihn und erkannten, daß etwas Lebendiges
zurückblieb, und sie gehen ein zweites Mal hinauf zum Wasserfall
und werfen aus das Netz und binden es so fest, daß nichts daraus
schlüpfen kann. Loki geriet da in das Netz hinein, aber als er sieht,
daß es nur noch eine kurze Strecke bis zum Meer ist, da springt er
über die Leine und stürzt sich zurück in den Wasserfall. Nun sehen die
Asen, wohin er entkam, sie gehen zurück zum Wasserfall und teilen ihre
Schar in zwei Abteilungen und Thor watet da mitten im Fluß und
so gehen sie voran bis zum Meer. Aber als Loki sieht nur noch zwei
Möglichkeiten — es war da eine Lebensgefahr, in das Meer zu springen,
und die andere war, es nochmals mit dem Netz zu versuchen —, da tat
er das letzte, er sprang so schnell wie möglich über die Netzleine. Thor
griff nach ihm und fing ihn und er glitt ihm durch die Hände, daß
in der Hand haftete der Schwanz, und es ist aus diesem Grunde seitdem
der Lachs hinten schmal.
Nun wurde Loki ohne Schonung gepackt und man ging mit ihm
zu einer Höhle. Da nahmen sie drei Steine und setzten sie auf die
Spitze und schlugen ein Loch in jeden Stein. Dann wurden gepackt die
Söhne Lokis Wali und Nari, es gaben die Asen dem Wali Wolfsgestalt
und er riß entzwei Nari, seinen Bruder. Da nahmen die Asen seine
Därme und banden den Loki damit über den drei spitzigen Steinen.
Einer steht unter seinen Schultern, einer unter den Lenden, einer unter
den Kniekehlen und es wurden die Fesseln zu Eisen. Da nahm Skadi
eine Giftschlange und befestigte sie über ihm, so daß das Gift triefen
sollte aus der Schlange ihm ins Antlitz. Aber Sigyn, seine Frau, sitzt
bei ihm und hält eine Mundschüssel unter die Gifttropfen. Doch wenn
voll ist die Mundschüssel, geht sie und schüttet aus das Gift. Doch unterdessen
tropft das Gift ihm ins Antlitz. Da reißt es ihn so gewaltsam
auf, daß die ganze Erde bebt, das nennt ihr das Erdbeben. Da liegt
er in Fesseln bis zur Götterdämmerung.
Wenn die Strafe Lokis eine Vergeltung ist für seine Tat an
Balder, so setzt sie einen Loki voraus, der nicht mehr der alte,
germanische Loki sein kann. Unter dem Einfluß des Christentums
verwandelte sich Balder in den christlichen Heiland, den unschuldig
leidenden Gott. Der nordischen Götterwelt, die den Heiland aufnahm
, konnte der Teufel nicht fernbleiben, die Sage von Balder
zeichnete darum teuflische Züge in Lokis Antlitz. Loki tut dann
das Schlechte um des Schlechten willen, er tötet den Liebling der
Götter und er sorgt in hämischer Schadenfreude, daß er nicht
wiederkehrt. Die Feinde der Götter, durch die sie beim Weltuntergang
fallen, sind die Riesen: für die Dichter, die in Loki den
schlimmsten Götterfeind sehen, mußte er also ein riesischer Unhold
werden. So fassen ihn auch die Wikinger Poeten auf, und schon im
10. Jahrhundert. In ihren schöpferischen Händen erscheint Loki
als der unerbittliche, rachsüchtige Gegner der Götter, er steuert beim
Weltende das Schiff, auf dem ihre schlimmsten Feinde sitzen. Als
man dann Göttergenealogien zusammenstellte, hieß es, sein Vater
sei ein Riese gewesen, mit einer Riesin habe er die Hel gezeugt,
und die Midgardschlange und den Fenriswolf. Die Midgardschlange
warf Odhin ins Meer, wo es am tiefsten ist, die Hel in
die Welt des ewigen Dunkels, in das Niflheim, dem Fenriswolf
legten die Götter die unzerreißbaren Fesseln an: welche Welt des
Grauens, des Heldentums, der frevelnden List ist in diesen Vorstellungen
beschlossen! — Den Vater der Unholde mußten Fesseln
binden, wie den Wolf, das Kind, auch ihn banden die Götter
an feste und spitze Felsen, mit den Därmen des eigenen Sohnes.
Eine alte Vorstellung wurde dann auf Loki übertragen: uns ist sie
nicht mehr fremd, sie trat vielleicht schon den Goten entgegen, die
am Schwarzen Meere hausten, und wanderte von dort nach Norden
, auch primitive Völker malen sich ähnliche Schrecken aus: die
Vorstellung, daß ein gefesselter Unhold, wenn er sich aufbäumt,
die Erde erbeben macht. Die Art der Fesselung, das Motiv von
der Frau, die den Unhold zu beschützen sucht, erzählen kaukasische
Sagen sehr ähnlich. Die Geschichte oon der Schüssel, in die das
Gift tropft, kehrt ebenfalls in östlichen Märchen wieder. — Damit
sind Loki als Riese und Loki als Teufel charakterisiert, als Gestaltung
nordischer Poeten, sie bildeten einen älteren heidnischen
Gott ins Heroische und Christliche um, mit jener Kunst, die auch
anderen germanischen Göttern das Gepräge der Wikingerwelt gab.
Am Ende der Fesselungssage ist Loki Riese. Der Loki, der in
der gleichen Sage seinen Verfolgern so hurtig entschlüpft und sich
ihnen immer von neuem entwindet, gleicht einem listenreichen, vielgewandten
Kobold und gehört in die Schar elbischer Wesen. Das
ist natürlich in unsrer Geschichte ein atiologisches Einsprengsel,
wie es vor allem die Märchen lieben, daß der Schwanz des
Lachses schmal bleibt, weil Loki als Lachs dem Thor durch die
Hände gleitet und erst am Schwanz festgehalten wird. Sonst kann
es uns, auch in dieser Sage, nur von neuem frappieren, wie unbekümmert
die nordischen Erzähler ihre Gebilde aus verwandten
und doch so verschiedenen Gebilden zusammensetzen, hier aus einer
Niesen- und einer Elbensage.
Im finnischen Epos Kalewala findet sich ein Bericht, der einem
älteren germanischen entstammt und der dem Bericht von Lokis
Gefangennahme verwandt ist. Der himmlische Feuerfunke flog in
das Wasser, dort verschlang ihn ein Barsch, diesen verschlang ein
Lachs, diesen ein Hecht: das Feuer fuhr, seine Träger wütend
peinigend, umher, bis die verfolgenden Helden es endlich fingen,
in Netzen, die sie zu diesem Zwecke kunstreich herstellten.
Die Urform, aus der sich nordischer und finnischer Bericht entwickelten
, war wohl die Sage von einem kühnen Burschen, der
das Feuer am Himmel holt, es nicht hergeben will, darum verfolgt
wird, der es im Wasser verbirgt, weil die Sonne sich ja im
Wasser spiegelt — und der sich seinen Verfolgern durch viele Verwandlungen
entzieht, bis sie ihn doch fangen und ihm seinen
Schatz gewaltsam entwenden. Diese Sage und die Sagen von
Odhin und Odhreri und von Loki und Idhun wuchsen auf dem
gleichen Baum. Und das Motiv von einem zaubermächtigen
Wesen, das sich seinen Verfolgern durch immer neue Verwandlungen
zu entziehen sucht, ist ein altes Lieblingsmotiv in Zaubersagen,
zuerst begegnet es uns in Homer, in der Geschichte von
Proteus in der Odyssee.
Der Loki der Feuersage ist ein "Kulturheros", ein "Heilbringer
"
, und als solcher ein Ahnengeist und Elbe; kühn, rasch,
gewandt, verschlagen. Besonders erinnert Loki, der Feuerholende
und der Gefesselte an Promotheus, auch dieser war ja ein belebender
und schöpferischer Gott. Beinahe möchte man glauben,
schon die Goten im Kaukasus hätten den Loki dem Prometheus
angeglichen.
Als "Kulturheros" baut Loki auch das Haus mit den vier
Türen und schafft das Netz und lehrt die Götter das Netz flechten.
In der nordischen Volksüberlieferung heißt das Spinngewebe noch
heute locka nät oder dverga nät, gilt also als Netz und als kunstreiche
Erfindung Lokis oder der Zwerge. Sollte nicht auch der
Name Loki mit luka, schließen, zusammenhängen und der "Einschließer"
bedeuten? Sollte er ursprünglich der Spinne gebührt
haben, die sich ja in ihr Netz einschließt, und später auf den Gott
übertragen sein, der das einschließende Netz erfand? Die Spinne
verehren manche Völker als kunstreiches Tier, in afrikanischen überlieferungen
hat sie sogar Zusammenhänge mit der Welt des Himmels
und mit Schöpfungsgeschichten. Und den Sprachforschern ist es
bisher nicht gelungen, den Namen Loki, der dem Namen für das
Feuer, logi, so ähnlich klingt, nun auch sprachlich einwandfrei mit
den Stämmen *Joga oder *loha in Zusammenhang zu bringen.
Auch andere dänische und schwedische Volksüberlieferungen der
Gegenwart kennen den Loki als elbisches Wesen, als Schutz- und
Hausgeist, der im Feuer des Herdes waltet, als Wicht, der im
flimmernden Sonnenschein des Mittags seine Herden austreibt,
als Kobold, dem man gern opfert, der den Vögeln die Federn
verwirrt und der wie jeder echte Kobold zu allem Schabernack
geneigt ist.
Die den meisten Lokisagen der Edda gemeinsamen Züge sind
wieder List, Durchtriebenheit, Diebskunst, erfinderischer Sinn,
Eigenschaften der Elben, der Wichte, der Kobolde; alle diese Wesen
sind ja eng miteinander verwandt und kaum zu unterscheiden.
Loki raubt dem Riesen die Idhun, verwandelt sie in eine Nuß,
bringt sie den Göttern. Loki ermittelt, wer Thors Hammer gestohlen
; seinen schlagfertigen, klugen Worten verdanken es die
Götter, wenn Thor seinen Hammer zurückgewinnt. Loki entwendet
der Freyja ihr Halsband, entlistet dem Andwari sein Gold und
den Ring dazu und bringt es dem Odhin und dem Höni; in
einem anderen späten Bericht, märchenhaft ausgeschmückt, aber alten
Kerns, wacht er darüber, daß Odhin und Frey und Thor und
die anderen Götter jeder ihr kostbares Besitztum erhalten, nachdem
er zuerst der Sif ihr Haar abgeschnitten. Loki bewahrt durch seine
Verwandlung in eine Stute die Götter vor dem Riesenbaumeister,
versöhnt durch seine Späße die erzürnte Skadi, beredet den Thor,
sich ohne Kraftgürtel auf die Reise zu Geirrödh zu begeben, beredet
die Idhun, die Götter zu verlassen, Loki ermittelt, was kein
anderer Gott ermittelt hätte, die Pflanze, die Balder den Tod
bringt, Loki kennt in der Lokasenna alle Heimlichkeiten der
Götter. —
Als Erfinder des Netzes wohnt Loki gern am Wasser. Wer
sich blitzschnell in einen Fisch verwandelt, kann auch nach dem
Gold und nach dem Feuer tauchen, das in den Wellen funkelt: so
dürfen wir es uns wohl erklären, wenn Loki da und dort Fischgestalt
annimmt.
Im Wesen der Elben und Kobolde liegt es, den Menschen zu
helfen und die Menschen zu necken, darum treibt es auch den Loki
unwiderstehlich, die Götter zu foppen. Wenn diese in der Edda sich
zum Rat versammeln, bei irgendeiner Not oder einer Gefahr, so
kommt über sie leicht etwas Ungelenkes, Feierliches und Ratloses;
sie sehen sich an, wissen entweder nicht, was sie beginnen sollen,
oder sie tun etwas Verkehrtes. So geschieht es, als Thor seinen
Hammer vermißt, als Hrungni unter ihnen prahlt, als der Riesenbaumeister
trotz allem mit der Burg fertig zu werden droht, als
die Idhun ihnen entschwindet — und fast immer bleibt Loki der
einzige, der sie herausreißen kann, der sich immer neue Listen
und Verwandlungen ersinnt und der blitzschnell davonfliegt, um
Hilfe zu holen. — In diesem Kontrast schwelgten die Dichter der
Edda, ihr Loki hatte etwas ungemein Bewegliches, Anmutiges,
geistreich überlegenes. Er war noch immer hilfreich und geschickt,
doch er mißbrauchte gern seine Überlegenheit, brachte die Götter
absichtlich in schwierige Lagen — man gedenke wieder der Geschichte
von der Idhun und der vom Riesenbaumeister — und er weidete
sich dann an der Ohnmacht und dem komisch verzweifelten Gebaren
der himmlischen Herrschaften. Ohne ihn können sie nicht
weiter, und sie wissen nichts, als ihn zu bedrohen, er aber gleitet
noch zwischen ihren Fingern durch, wenn sie ihn schon in den
Händen haben. Erst muß Loki sie ärgern und necken; wenn er sie
eine Weile hat zappeln lassen, so befreit er die Asen aus ihrer
Not. Er wurde, weil zum Schluß immer alles gut ausging, dann
gar zu frech und übermütig. Nun verstehen wir es als hübsche
Erfindung der isländischen Dichter, daß Loki auch die Riesen, den
Geirrödh und den Thiazi, reizte, daß diese aber nicht glimpflich
mit ihm umgingen wie die Götter. Sie lassen die Kraft des
Stärkeren walten und gerade das ist das Gescheite: sie straften ihn
gehörig, sperrten ihn ein und mißhandelten ihn, bevor sie ihn
freigaben.
Namentlich den großen Göttern, dem Odhin und dem Thor,
steht Loki nah: das ist uns wieder ein Zeichen für sein hohes, religionsgeschichtliches
Alter. Von Odhin sind wohl einige Namen
auf Loki übergegangen, und Loki nennt den Odhin ja seinen Blutsbruder
. Beide sind zauberkräftig, verwandlungsfähig, Menschenbeleber,
Kulturheroen, dem Ahnenkult entwachsen: sollte Odhin auch
diesen älteren Gott verdrängt haben? —Geistreicher führt die Edda
das Neben- und Gegeneinander von Loki und Thor aus: beide Götter
der Ehe, der Zeugung, der schöpferischen Kraft. Der eine Herr
über Blitz und Donner, der andere Feuerbringer und dem Feuer
immer nah. Thors Bäume sind Eiche und Eberesche, Lokis Mutter
heißt Laufey; was der Name auch bedeuten möge, sein Zusammenhang
mit "Laub, Baum" ist sicher. Aber Thor ist groß, überstark,
ungefüg, derb und ehrlich, Loki klein, verschlagen, listenreich
am Ende packt und überwältigt der Große doch den Behenden,
Kleinen, mit dem er viel Abenteuer bestand. — Seine
List, seine Verführungskünste machten den Loki dem Teufel ähnlich.
Nachdem er sozusagen der Teufel selbst geworden, schien es, als
könne inder Götterwelt sich kein Unheil begeben, an dem Loki
nicht die Schuld habe, als ob er wie das lauernde, immer wache
Verderben tückisch unter ihnen wandle.
Man höre nun die Charakteristik von Snorri:
Loki ist gefällig und schön von Angesicht, böse von Gemüt und sehr
wetterwendisch in seiner Art. Er hatte die Klugheit anderen Männern
voraus, die Verschlagenheit heißt und Listen in allen Dingen, er brachte
die Asen immer in große Schwierigkeiten und löste sich oft daraus mit
listigen Ratschlägen.
Aus dieser Schilderung läßt sich Lokis Entwicklung ablesen,
die vom klugen und kleinen elbischen Wesen zum vielgewandten
und gefährlichen Diener und dann zum Feind der Götter und
zum Riesen führte. Eine Entwicklung, überraschender als bei irgendeinem
anderen Gott, und vom Christentum, wie wir glauben,
zurückführend durch die germanischen Schichten bis in das Bronzezeitalter
und seinen primitiven und beweglichen Glauben.
Thjalfi läuft im Gefolge oon Thor und Loki sozusagen mit:
als kleiner schneller Gott und als Feuerbringer. Ein Skalde des
10. Jahrhunderts nennt ihn Thors Schwurbruder, wir erinnern
nochmals daran, wie er den Hrungni betrügt, den Mökkurkalfi besiegt
, mit dem Gedanken um die Wette läuft, und, nach der schwedischen
Sage, das Feuer auf die Insel bringt, die bei Tag ins Meer
sank und bei Nacht auftauchte, und die er dadurch für immer dem
Tag und dem Licht schenkte (S. 158).
Bei den elbischen Göttern muß man genauer zusehen, bis man
sie als Elben erkennt, und als Gnneinschaft treten die Elben in
der Edda nicht mehr auf. Anders die Zwerge: einzelne Zwerge
und die Gesamtheit der Zwerge treiben in der Edda ihr Wesen,
und das Tückische, Schadenfrohe und Koboldhafte drängt sich in
ihnen vor. Wie gemein sind Fjalar und Galar gegen Kwasi und
seine Frau; heimlich will Alwis dem Thor die Tochter stehlen, in
der Erde hausen die Zwerge, bleich und fahl, häßlich und verwachsen,
im Besitz unermeßlicher Schätze, die geschicktesten Schmiede
von Waffen und Kleinodien. Auf ihre Diebskunst, ihre fingerfertigen
Hände, ihre Verschlagenheit, ihre Verwandtschaft mit den
Elben und ihre unschöne Gestalt deuten auch die Namen, die ihnen
ein eigenes Gedicht beilegt, das Zwergnamen in langer Reihe
aufzählt und von dem Strophen auch in die Wöluspa eingeschoben
wurden. Was es von der Entstehung der Zwerge berichtet, ist
skaldische Erfindung. Die Elben sind Diener der Götter, aber freiwillig:
die Zwerge werden in den Dienst der Götter gezwungen
und verächtlich behandelt. Zu schwach, ihre Knechtschaft abzuschütteln
, suchen sie ihren Herrn Schaden zu tun, wo sie können: Andwari
legt den Fluch auf den Ring, den man ihm raubt, andere
Zwerge verfluchen das Schwert, das sie schmieden mußten. Man
wird doch den Gedanken nicht los, daß wie die Elben die Götter
so die Zwerge die Menschen der eingeborenen Bevölkerung waren,
die die einwandernden Indogermanen vorfanden und verdrängten.
Auch die Riesen stehen als geschlossene Gemeinschaft den Göttern
feindlich gegenüber und einzelne von ihnen traten außerdem
mit einzelnen Göttern zum Kampf an. Im Germanischen waren
die Riesen die Repräsentanten der ungebändigten Naturmächte,
dem Anfang der Schöpfung nah, und die ersten kyklopischen Baumeister.
Im Norden scheinen sich ihre Gebiete deutlicher zu scheiden,
und ihnen gesellt sich eine Schar von Unholden bei, die uralte
Furcht vor dem Ende aller Dinge gebar. Thrym, Hrungni, Geirrödh
und vielleicht der inder Wöluspa genannte Hrym kämpfen
um den Blitz oder mit der Waffe des Blitzes, alle ihre Namen sind
laut- und schallmalend. Suttung, Thiazi und der Sturmriese
Hrungni fliegen als Adler rauschend durch die Lüfte, Hraesvelg
— das ist wieder eine sehr alte Vorstellung — schafft den Wind,
indem er mit seinen Flügeln hin und her schlägt. — Die Meer-
und Wassergottheiten sind meist Riesinnen, gierig, grausam und
räuberisch; so war die Ran, deren Taten zuerst skaldische Dichter
schildern, so die Hrimgerd, die vergeblich dem Helgi nach Leben
und Liebe trachtete, so Gjalp und Greip, die jene Fluten entfesseln,
die den Thor fortreißen sollen. Gjalp und Greip heißen ja auch
(S. 165) zwei oon den neun Müttern Heimdalls: und die anderen
Eistla (die Stürmende), Eyrgjafa (die Sandgeberin), Ulfrün (die
Wölfische), Angeyja (die Bedrängerin), Irnd (die Dunstige), Atla
(die Schreckliche), Jarnsaxa (die mit dem Eisenschwerte, das ist die
schneidende kälte).
Hymi ist ein Riese des Meeres und der eisigen Kälte, desgleichen
wohl Gymi, Gylfi war eigentlich ein Riese der brausenden Wogen.
Im Altenglischen erscheinen Grendel und seine Mutter als blutgierige,
vampyrische Unholde, als Riesen aus jenen tückischen Mooren, die
das Meer vom Lande trennen. Mimi, als Wassergeist den Riesen nah,
ist uns bekannt, die freundlichste der Meergottheiten war der Gemahl
der Ran, Aegi (das ist der Wassergott, der Name gehört zu gotisch
ahva, Wasser): ihn umschmeichelt wieder das Märchen, in seiner
feuerfunkelnden Halle trugen die Speisen sich von selbst auf.
Der Besitz uralter Weisheit und die Schätze der Urwelt kommen
den Riesen in den alten Dichtungen der Edda zu: diesen Schätzen,
dem Göttertrank, den Früchten, den Rossen stellen die Götter nach.
Die gewaltigen Mauern der Berge gelten — wie noch in unsren
Volkssagen — als ihr Werk, die ungeheuren Steine und Felsen
als ihre Waffen; und aus ihrem Gefühl von Alter, Vereinzelung
und unfruchtbarer Starrheit erklärt sich wohl ihre Sehnsucht nach
den Göttinnen der fruchtenden Fülle. Und doch scheinen die Riesen,
von jeher der Schöpfung geheimnisvoll nah, bestimmt, die Sache
der Urwelt gegen die Sache der Götter zu führen: sie alle scheinen
auf den Tag zu warten, an dem sie diese unruhigen Eindringlinge,
vor denen sie weichen mußten, wieder vernichten, an dem sie diese
ewig schöpferischen, nie befriedigten, von Tat zu Schuld stürzenden
Wesen wieder zerstören können, damit die Welt im alten Urschlaf
des Chaos wieder ruhe und träume.
Wir kennen die alte germanische Idee und ihren ewigen Gehalt
— sie war ja die beseelende Macht der Göttersage —, daß
Held und Gott berufen sind, Unholde zu überwinden und ihnen
am Ende doch zu erliegen. Sie setzen ihr Leben ein, um die feindlichen
Gewalten niederzuwerfen, die gegen Volk und Menschheit
anstürmen. So siegt und fällt Beowulf, so siegt und fällt Donar-Thor.
Die germanische Idee haben die Poeten der Wikingerzeit
in ihrer Art gesteigert: aus dem Gott wurde die Gemeinschaft der
Götter, aus dem Riesen die Gemeinschaft der Riesen, mit den
Riesen verbündeten sich eben jene Wesen, die der Schrecken der
Nacht, der Finsternis, der Sonnenverdunklung, des Erdbebens,
der empörten See schuf, Fenri, Garm, Surt, Hel, die Midgardschlange
und ihrer aller Meister, Loki. Die Welt des Grauens und
der entfesselten Elemente zog gegen die Welt der Götter, gegen die
Welt des Lichts, der Kraft, der Fruchtbarkeit, des Heldentums,
aber auch gegen die Welt der List, des verruchten Zaubers, des
unerbittlichen Krieges. Wir haben durch die Göttersagen von allen
wechselnden Gestalten des Kampfes von Riesen und Göttern erfahren
, seine Verklärung gab ihm das Ende der alten Götter, von
denen jeder fiel wie der erlauchtetste germanische Held und die den
Weg bahnten für neue und reinere Welten.
7. Die Göttinnen
Von den Göttinnen haben wir Freyja, Gullweig und Gefjon
schon charakterisiert. Die nordische Frigg unterscheidet sich in ihrem
Wesen kaum von der germanischen Frija, das Frauenhafte, der
Mutterwitz, Anmut und Liebe bleibt ihr Teil. In den Grimnismal
weiß sie ja ebenso wie in der alten Longobardengeschichte ihren
Günstling zu beschützen. Im Merseburger Zauberspruch will sie
das Pferd des Balder heilen, im Nordischen nimmt sie allen Dingen
den Eid ab, dem Balder nicht zu schaden, und fleht die Götter
an, sie möchten doch den Entschwundenen aus der Hölle zurück
bringen. Sie gibt dem Odhin, der sich zur Fahrt zum Riesen
Wafthrudni rüstet, ihren Segenswunsch, als seine Vertraute ist sie
in sein ganzes Wissen eingeweiht. Keine andere Göttin begleitet ein
so reiches und stolzes Gefolge. Die Vorwürfe, die der Loki der
Lokasenna und die Saxo gegen Frigg schleudern, gelten zum Teil
der Freyja, zum Teil mag die dunkle Erinnerung nachwirken, daß
Frigg vor Odhin einem anderen Gott, dem Himmelsgott, gehörte.
Wie die Frigg, so umgibt den Odhin eine Schar leuchtender
Göttinnen, die Walküren. Deren Entwicklung ist der Odhins sehr
ähnlich. Wie jener sind sie zaubermächtig, herrschen über den Krieg
und die Toten und fahren durch die Lüfte. Weil sie dort hausen,
nahmen sie, stärker noch als Odhin, Eigenschaften von Wind- und
Wolkenfrauen an. Sie brachten über die Felder Fruchtbarkeit, man
stellte sie sich als leuchtende Schwäne vor. Die Germanen und die
Esthen verglichen zuweilen die Wolke mit dem Schwan. In einigen
Eddaliedern sind die Walküren ja noch Gottheiten für sich. Ihrer
drei oder ihrer neun fliegen sie über den nächtlichen Himmel oder
durch die schwarzen Wälder. In einem dem Helgi geltenden Lied
sehen die Helden sie im Schmuck des Helms, in blutgeröteter
Rüstung: die Speere, denen Funken entsprühen, in der Hand,
reiten sie über den flammenden Himmel. — Odhin, den sein Herz
ja immer zu den Göttinnen zog, wurde von den Wikingern mit
d en Walküren beschenkt, die uns als die eigentlichen Walküren erscheinen:
in Odhins Auftrag walten sie über den Schlachten, bestimmen
die Helden, die fallen sollen, und begrüßen die Verklärten,
strahlend und in mädchenhafter Schönheit, oben in Wallhall.
Die Seele, die tags im Leibe wohnt, sich nachts von ihm
trennt, faßten die alten Nordleute auf als eine Art Gefolgsgeist
des Menschen, sie nannten sie Fylgja (die Folgerin). Diese Fylgjen
sind vom Menschen unzertrennlich, begleiten und beschützen ihn
wie ein guter Engel und bleiben unsichtbar. Nur im Traum zeigen
sie sich manchmal, meist in Tiergestalt, sie erscheinen dem Menschen
auch, kurz bevor er stirbt. Eine wunderschöne Variation ist der
Glaube, daß der sterbende Held die Walküre erblickt, die ihn beschützt
und zum Tode wählt. Der Glaube an die Fylgja war während
der ganzen Heidenzeit sehr lebendig und wird uns oft drastisch
beschriebe. Das Volk dachte sich die Fylgjen als Frauen, vervielfältigte
sie und gab einem Menschen eine ganze Anzahl, dem Vornehmen
zum Beispiel mehr und stärkere als dem Geringen. Man
brachte ihnen Opfer dar und hütete sich, sie zu erzürnen, man
glaubte auch, daß sie bestimmte Geschlechter aufsuchten und von
einer Generation in die andere übergingen. Unter dem Einfluß
des Christentums spalteten sich die Fylgjen in gute und böse Geister.
Neben den vielen Fylgjen oder Disen, wie man sie auch nannte
— sie erinnern uns zuweilen an die alten matres der seiten und
Germanen, bleiben jedoch viel schattenhafter —, verehrten die
Nordleute stärkere Schicksalsgöttinnen, in denen sich der Fylgjenglaube
verdichtete. Eine parallele Erscheinung wäre etwa die vielen
Gottheiten der Fruchtbarkeit neben der einen Mutter Erde. Diese
höheren Gottheiten hießen Nornen. Die Gottheit war weiblich,
weil die Germanen, wie wir wissen, die Frauen als Weissagerinnen
verehrten, als Zauberinnen fürchteten und an sie glaubten als an
die Vertrauten der Gottheit, zum Unterschied von anderen Völkern,
wie etwa den Juden, bei denen Propheten, Weissager,
Heilige und Engel Gottes Gebote ausrichten.
Die Nornen walteten nach der Meinung der Nordleute über
jede Tat des Menschen. Die älteste und ehrwürdigste unter ihnen
hieß Urd (altdeutsch wurt), das Schicksal. Was er Rühmliches
und was er Böses vollbrachte, war des Schicksals Werk, nicht
das des Menschen, der trug dafür keine Verantwortung, ihn traf
nur das ihm Veschiedene Los. Dieser Fatalismus war wohl die
Weltanschauung der Germanen, er verleitete sie aber nicht wie
orientalische Völker zur stummen und tatenlosen Ergebenheit in
die Dinge, die doch niemand abwenden kann. Die Helden unter
den Germanen trugen stolz und aufrecht, was ihnen auferlegt
wurde, und lebten und handelten, als gäbe es keine Vorherbestimmung.
Da ihre Tätigkeit eine dreifache war, da sie das Leben gaben,
darüber walteten und es nahmen, setzte sich der Glaube an drei
Nornen durch. Die Wöluspa sagt von ihnen: "sie schnitzten am
Losstab, legten fest das Leben den Menschenkindern und das Schicksal
der Männer" . Die Nornen gehören zum Geschlecht der Riesen,
sie sind älter als die Götter und sind nach der Meinung der Edda
auch mächtiger, denn sie führen den Willen des Schicksals aus,
das über Göttern ebenso thront wie über Menschen.
Daß eine der Nornen, wieder die Urd (man faßte Urd falsch
auf als "das Gewordene"), über die Vergangenheit waltete, die
andere Werdandi über die Gegenwart, dritte Skuld über die
Zukunft, ist eine nordische, unter gelehrten Einwirkungen entstandene
Deutung, kein uralter Glaube, und unter dem Einfluß
des Christentums hat der Nornenglaube sich weiter vervielfältigt
und zersetzt.
Von den Sagen über die Nornen sei hier die von Nornagest
erzählt.
Als er in der Wiege lag, über der zwei Kerzen brannten, traten
die drei Nornen zu ihm. Zwei verhießen ihm Gutes, die dritte war im
Gedränge der Gäste zu Boden geworfen und rief: "Ich schaffe, daß das
Kind nicht länger lebt als die Kerze neben ihm brennt." Die älteste
Norne löschte rasch die Kerze und mahnte die Mutter, sie nicht anzuzünden
, und diese gab sie dem Kind erst und erzählte ihm, welche
Bewandtnis es mit ihr habe, als es herangewachsen war. Nornagest
behielt sie bei sich und lebte dreihundert Jahr, die ganze Zeit, in der
das nordische Heldentum blühte und verwelkte. Als das Christentum
kam, schloß Nornagest mit ihm seinen Frieden, mochte aber nicht länger
leben, er begab sich in das Gefolge des Königs Olaf und erzählte ihm
die Sage vom Sigurd, danach seine eigene Gewichte. Dann zündete er die
Kerze an und legte sich nieder. Als er die letzte ölung empfing, verlosch
das Licht, und in dem gleichen Augenblick war auch der Held verschieden.
Sagenb. l. 17
Diese Sage ist der alten griechischen vom Meleager sehr ähnlich.
Auch zu dessen Mutter traten, als das Kind in der Wiege lag,
drei Schicksalsgöttinnen: die Moiren. Die erste gab ihm Tapferkeit,
die zweite Großmut, die dritte prophezeite, er werde nur so
lange leben, wie der auf dem Herd liegende Brand vom Feuer
nicht verzehrt sei. Die Mutter löschte den Brand und hob ihn
auf. Meleager aber, herangewachsen, erschlug die Brüder seiner
Mutter, sie wollte es rächen, warf den Brand in die Flammen
und Meleager mußte sterben.
Viele Forscher glauben, die Sage von Nornagest sei in Anlehnung
an die von Meleager entstanden. Da sie spät ist, und
da die Dichter jener Zeit manche literarischen Kenntnisse besaßen,
darf man diese Möglichkeit nicht abstreiten. Hervorheben aber muß
man, daß die zwei Hauptmotive, auf denen die Sage beruht —
die neidische Norne und das in eine Kerze oder in einen Brand
gebannte Leben — damals jedes für sich weitverbreitet, im Norden
auch außerhalb der Meleagersage bekannt waren und daher nicht
notwendig von dort entlehnt sind.
Wichtiger scheint das Folgende: die Sage von Nornagest hat
einen ganz anderen Sinn als die von Meleager. Diese zeigt, daß
der Mensch nicht klüger sein soll als das Schicksal. Verhütet er
ein gegenwärtiges Unheil, so beschwört er ein viel schlimmeres, zukünftiges
herauf. Hätte die Mutter den Brand gleich ausbrennen
lassen, sie hätte nur den Sohn verloren, als er noch klein war
und für sie noch nicht viel bedeutete. So verlor sie die Brüder,
erfuhr vom Sohn den schmerzlichsten Kummer und muße ihn selbst
töten. — Nornagest dagegen triumphiert über das Schicksal. Er
stirbt keines vorzeitigen Todes, sondern lebt das Leben des ganzen
nordischen Heldentums. Als er genossen, was nur jene übermenschlichen
Helden genießen können, brauchen ihn die Götter nicht zu
rufen; mit einem Dank- und Lobgesang auf sein Dasein, versöhnt
mit dem neuen Glauben, geht er gern in den Tod.
Die Zahl der Göttinnen ist auch im Norden ansehnlich. Aber
sie sind weniger reich gestaltet und haben, wenigstens in den uns
zugänglichen Aussagen, nicht mehr die Bedeutung, die sie in den
germanischen Berichten besitzen, sie treten weit hinter ben Göttern
zurück. Dafür hob auch sie die Kunst der Wikinger in jene Sphäre
von Schicksal und Heldentum, in der das beste Leben der nordischen
Götter sich leuchtend vor uns ausbreitet.
8. Weltanfang und Weltende
Die germanischen Vorstellungen über Weltanfang und Weltende
hängen für immer zusammen mit der Wöluspa, dem berühmten
nordischen Gedicht vom Ende des 10. Jahrhunderts, dessen
erhabene Kunst einige Proben uns anschaulich machten.
Wir vergegenwärtigen uns kurz den Ablauf der Dichtung.
Aus der großen endlosen Leere am Anfang der Zeiten heben die
Götter die Erde empor. Die Sonne lockt das Grüne aus dem Boden,
den Gestirnen weisen die Schöpfer ihre Bahn und grenzen die Zeiten
des Tages und des Jahres ab. Ein heiteres Leben der Arbeit und der
Kunst hebt an, bis die Nornen, die Töchter der Riesen, die Berkörperinnen
des Schicksals, in die Welt der Götter treten. Odhin, Loki
und Höni schaffen die Menschen, leblosen Baumstümpfen geben sie Seele,
Geist und bewegte Schönheit. Am Brunnen des Schicksals erhebt sich
die Weltesche, immergrün, vom heiligen Nah benetzt, bei ihr hausen die
Nornen. Sie bringen den ersten Krieg in die Welt, den Krieg der
Wanen und Asen. Die Götter betrügen den Riesenbaumeister um seinen
Lohn. Odhin gibt sein Auge dem weisen Mimi, um das Schicksal
erfahren. Die Götter verlieren den Balder, den Wali rächt, und sie
fesseln und bestrafen Loki, Balders Mörder. In weitem Umkreis umgeben
Behausungen des Schreckens die Wohnsitze der Götter, hier warten
die Unholde auf das Ende der Tage. Das Krähen der Hähne in den
Welten der Asen und Riesen und das Bellen des Höllenhundes verkünden
das Unheil. Finstere Wetter ziehen auf, die Bande der Sitte
reißen, die Sippen wüten gegeneinander, der Bruder tötet den Bruder,
die Unzucht wächst, Heimdall bläst in sein Horn, die Zwerge stöhnen
vor ihren Steintüren, Odhin spricht mit Mimis Haupt, die Weltesche
erbebt, die Midgardschlange peitscht zornig die Wogen, die Feinde der
Götter reißen sich los, das Schiff, auf dem sie sitzen, beginnt seine Fahrt.
Surt fährt von Süden, mit seinem blitzenden Schwert das Dunkel zerreißend,
Odhin und Fenri, Frey und Surt, Thor und die Midgardschlange,
Ty und Garm kämpfen gegeneinander. Die Götter unterliegen,
Thor fährt neun Schritte vor dem giftigen Anhauch des Wurms zurück
und stürzt zu Boden, die Sonne verfinstert sich, die Erde sinkt ins Meer,
die hellen Sterne stürzen vom Himmel, Rauch und Feuer lodern zum
Firmament empor. Zum anderen Mal taucht eine immergrüne Erde
aus den Fluten, unter der Herrschaft Balders beginnt ein neues Reich,
die Asen finden die goldenen Tafeln und die Kleinodien ihrer schuldlosen
glücklichen Zeit, über den schäumenden Wassern schwebt der Adler
und fängt an der Felsenwand den Fisch, die Äcker wachsen ohne Saat,
die Drachen des Unheils versinken.
Snorri in seiner Gylfaginning erzählt uns noch einmal in
großem Zusammenhang die Schicksale vom Werden und Vergehen
der nordischen Götter und ihrer Welten, im Anschluß besonders
an die Wöluspa, die Jahrhunderte hindurch in der nordischen
Dichtung ein Ansehen genoß wie kein anderes Werk. Seine Mitteilungen,
über zwei Jahrhunderte jünger, tragen freilich den
Stempel einer anderen Zeit und einer anderen Bestimmung, sie
sind eben ein Handbuch für den Dichter und ein echt mittelalterliches
Gemisch von Gelehrsamkeit und Phantasie, von System und
Dichtung. Das Grübeln und die Visionen der Zeit, die in der
Wöluspa Gestalt annahmen, die Sehnsucht, die bangende Erkenntnis,
die tragische Einsicht und die aufdämmernde Hoffnung kehren
auch in anderen eddischen Dichtungen, z. B. in den Wafthrudnismal,
in den Hyndluljodh und in den Grimnismal, wieder.
Nach den alten und volkstümlichen Vorstellungen war die
Welt aus dem Leib eines Riesen gebildet, oder die Riesen richteten
mit ungefüger Hand die gewaltigen Massen der Berge, Felsen
und Länder auf, oder sie rissen mit ihrem Pflug die Seen in die
Länder und setzten die herausgepflügten Stücke als Inseln ins
Meer. Wohl die Goten erzählten dann von dem starken schöpferischen
Gott, der Himmel und Sterne und Welten und Tiere und
Menschen bildete. Nach der Wöluspa hoben alle Götter die Erde
aus dem Nichts empor:
"Die Herrschaft der Gottheit über die tote Masse", sagt Axel Olrik,
"verkündet der Dichter der Wöluspa mit einer Bestimmtheit wie kein
anderer. Aber nicht bloß religiös ist dies neu, auch ästhetisch. Es ruht
eine Schönheit über diesen jungen Göttersöhnen, welche die Länder an
ihren Platz stellen, die sich unterscheidet von dem Trollenhaften, das sich
über das Meiste der nordischen Mythenwelt ausbreitet. Auch die Natur
ist eine andere. Für die gewöhnliche Mythe existiert das nicht, was wir
Natur nennen, es wird übersetzt in Personifikation. Hier steht plötzlich
die sichtbare Natur vor uns, Sonne und Meer, Strand und Gras; der
Erdball als solcher erlebt das ganze Weltdrama mit, das Meer braust
und die Erde erbebt, es ist ein Gedröhn an Felsen, die zerschmettert
werden."
Bei Snorri wird diese schönste der nordischen Vorstellungen
vom Anfang der Welt um eine andere gelehrte vermehrt, die dem
Geist späterer Zeiten entsprach: der Urriese entstand danach durch
eine Verbindung von Norden und Süden, von Kälte und Hitze,
Funken flogen von Muspell, der heißen Hölle, in die Zone von
Nebel und Frost, von Reif und Eis. Auch sonst weiß Snorri noch
mancherlei, halb Gelehrtes, halb Märchenhaftes über die Namen
und die Verwandtschaft von Nacht und Tag und über ihre Pferde
und über die Pferde und den Wagen von Sonne und Mond, und
über die Fahrten und Aufgaben und das Gefolge der großen
himmlischen Gestirne. —
Die ersten Menschen gingen nach den alten volkstümlichen
Glauben in traumhafter Zeugung aus dem Urriesen hervor,
oder sie verdankten der Umarmung von Himmel und Erde ihr
Dasein, oder sie wuchsen aus der zweigeschlechtigen Erde selbst,
oder sie entsprangen alle einem göttlichen Ahnherrn, oder eine
Kuh leckte den Urmenschen aus dem Eis. Wie schön und klar sind
im Vergleich mit diesen dumpfen, tiefen Ahnungen die Verse der
Wöluspa über die drei liebreichen Götter, die sich der leblosen
Bäume erbarmen und aus ihnen die schönen, warmen, beseelten
Menschen schaffen! Und wie seltsam differenzieren wieder die späten
Rigsmal den Bericht von der Menschenerzeugung, in dem sie nicht
die Zeugung der Menschen, sondern die Zeugung der Stände,
man möchte fast sagen, den Aufbau der Kasten schildern, vom
niedrigen und häßlichen Knecht bis zum unbändigen Helden und
zum geborenen Herrscher.
Mit der Welt und ihrem Ende hing im Norden der Weith
aum, die Esche Yggdrasil geheimnisvoll zusammen. Wie die
Vorstellung von diesem Baum sich entwickelte, haben wir verfolgt:
in ihm verdichteten sich die Sagen von den vielen Bäumen, die
eine Gemeinde beschützen, und unter denen sich alle versammeln,
um Rats zu pflegen.
In der Dichtung der Wikingerzeit erhebt sich der Baum an
heiliger Quelle, seine Wurzeln streckt er durch die drei Welten,
und die Nornen begießen ihn. Götter und Nornen halten an
Seinem Fuß Gericht, er steigt an zum Himmel, ein Adler wiegt
sich ii seinen Wipfeln, und in seinem Gezweig weidet ein Hirsch
und eine Ziege. Die Ewe ist von schlankem und hohem Wuchs,
wächst gern an feuchten Stellen, die Blätterknospen keines Baumes
sind von Tieren so begehrt, Vögel sitzen auf ihren Zweigen, und
die Erdratte nagt an ihren Wurzeln, der Baum ist auch von
mancher Krankheit bedroht. Diese Beobachtungen aus der Wirklichkeit
kehren in dem Bild wieder, das norwegische Dichter von
der Weltesche zeichnen: denn nur in Norwegen, besonders im südlichen,
waren Esche und Hirsch bekannt.
Als das Christentum in den Norden eindrang, griff die Meinung,
die Welt sei dem Untergang verfallen, immer weiter um
sich. Den Generationen, die dies erlebten, erschien auch der Weltenbaum
von unheimlichen Wesen bedroht, die unmerkbar und unablässig
ihn zernagten und zerstörten, damit die Welt selbst schneller
zugrunde ginge. Aber diese Auffassung entartete rasch, wohl
auch, weil der Baum den Isländern fremd war. Der Hirsch und
die Ziege galten nun als die Feinde des Baums, die ihm seine
knospenden Triebe abbissen, aus dem einen Hirsch wurden vier,
unten an der Wurzel der Esche nagte ein Drache, Nidhögg (der
haßerfüllt Hauende), der sich später ebenfalls vervielfachte, ein
Eichhörnchen, Ratatösk (Rattenzahn), lief stammauf, stammab, um
Zwietracht zwischen dem Adler in den Wipfeln und dem Drachen
an der Wurzel zu säen, und zwischen den Augen des Adlers saß
noch ein Habicht. Es wiederholt sich vor unsren Augen hier noch
einmal ein Schauspiel, wie wir es oft erlebten: groteske Phantasien
überwuchern eine großartige, in sich vollendete und tiefdurchdachte
Schöpfung der Wikingerzeit. Sie mögen alten Vorstellungen
von der Feindschaft zwischen Schlangen und Vögeln und einem
von vielen Völkern gern gehörten Märchen von einem Baum
entlehnt sein, der verdorrt, weil ein Tier seine Wurzel schädigt.
Maii kann auch den Verdacht nicht abwehren, als bemühten sich
diese Ausmalungen, Eindrücke von Monumenten wiederzugeben,
die den Wikingern in Irland aufgefallen sein mochten, Monumenten
mit Rankenwerk, in denen sich seltsame Tiere und Vögel
über- und durcheinander bewegen.
Fast glaubt man, die Isländer hätten sich später selbst verspottet,
weil sie gar so viel Gefahren und Tiere an diesem Weltenbaum
versammelten. "Mehr Würmer nagen an den Wurzeln der
Esche, als ein unkluger Affe meint," sagen die Grimnismal.
Ins Jenseits, in dem die Abgeschiedenen hausen, in dem
Unholde und Riesen Schrecken verbreiten, dringt der kühnste germanische
Gott, Donar, vor. Das Wirken und Weben der Toten
glaubten unsre Vorfahren, wie die meisten Völker, überall zu spüren,
in den Häusern, in den Gräbern, im Wind und in den Bergen. In
der Edda nehmen die Berichte über die Reiche der Verstorbenen
bestimmte Umrisse an und entwickeln sich mit der heroischen Welt.
Das älteste der Totenreiche ist die Hel. Jur Hel begaben sich
noch manche Helden der Wikingerzeit, darunter die erlauchtesten
wie Sigurd; auch den Balder nahm ja die Hel auf.
Es geschah wohl unter dem Einflusse christlicher Berichte im
10. Jahrhundert, daß aus der Hel ein Saal des Schreckens und
der Strafe wurde. Die Wöluspa beschreibt ihn: an den Wänden
winden sich Schlangenleiber, durch das Rauchloch tropft Schlangengift
herunter. Die Verbrecher, die Meineidigen und die Mordgesellen
mußten wilde Ströme durchwaten, bis sie endlich die
finstere Behausung erreichten, ein scheußlicher Drache und ein Wolf
mißhandelten die Leichen. Nach altem Glauben gibt es Dämonen,
die, vampirähnlich, nach dem Fleisch und Blut der Verstorbenen
gierig sind und es verzehren. Diese grausige Vorstellung hat die
Wöluspa gesteigert und erhöht.
Noch spätere Dichter erzählten von der Hel wieder anderes:
sie verwandelten sie in eine persönliche Göttin, in das Kind Lokis,
das Odhin, wie wir wissen, nach Niflheim, der Welt des Dunkels,
schleuderte, dem er die Kranken und Schwachen zuwies. Ihre
Wohnstätte ist nun wieder groß, sie hat hohe Wände und breite
Tore; der Kopf der Hel hängt herab, sie selbst sieht grimmig aus
und ist zur Hälfte schwarz, zur Hälfte fleischfarben: wir erkennen
den Stil des Märchens. Plage heißt ihr Saal, Hunger ihre
Schüssel, Mangel ihr Messer, der Träge ihr Knecht, die Faule ihre
Magd, fallendes Unheil ihr Tor, Geduldermüder ihre Schwelle,
Krankenbett ihr Bett, bleiches Unglück ihr Bettuch oder ihr Vorhang
. Das sind Namen, wie sie die geistreich-allegorisierenden
späten isländischen Poeten in der Art des christlich gelehrten Mittelalters
gern ersannen, sie stehen alle in schauerlichem Zusammenhang
mit der Müdigkeit und Unlust, der erschöpften Geduld, der
Trägheit und der Verzweiflung der Krankheit, des Alters, der
Armut, die noch immer leiden müssen und so gern erlöst wären.
Eine Art Hölle war auch Utgard, eigentlich die Wohnung der
Riesen, dann auch der Aufenthalt aller Trolle und unheimlichen
Geister. Wem man etwas Böses antun wollte, den wünschte man
in der Trolle Gewalt. Die Edda und Saxo schilderten uns Utgard
als Ort höllischen Spuks, es war der Ort, in dem Thor seine
Kämpfe mit Geirrödh und Utgardaloki bestand.
Bei den Germanen mag auch ein Glaube an ein Jenseits bestanden
haben, in dem immer das Feuer wütete. Vielleicht war das
Reich Muspells, das Snorri als ein Reich des Südens auffaßte,
eine flammende Unterwelt, aus der am Ende der Tage der dunkle
Surt stürzte und sein Schwert gegen den leuchtenden Frey schwang.
Die Vorstellungen von Utgard und Muspellsheim wären dann in
den Sagen von Geirrödh und Utgardaloki verschmolzen. In
Utgard kämpft Loki mit dem Feuerdämon Logi, zu Geirrödh fliegt
der feuerholende Loki, Geirrödh schwingt gegen Thor die feurige
Waffe, und der irdische Geirrödh setzt den Odhin zwischen zwei
Feuer, Odhin aber weiß die Flamme zu bannen. — Ausgemalt
ist die Vorstellung oon Utgard, wie wir betonten, mit phantastischen
Zügen keltischer Herkunft.
Recht verwickelt ist die Geschichte des Glaubens an Walhall.
Viele alte Vorstellungen sind darin eingegangen. Nach altem und
immer noch lebendigem Wahn sterben die auf dem Schlachtfeld
Gefallenen nicht, sondern kämpfen in den Lüsten über der Walstatt
weiter, oder brausen mit den Abgeschiedenen durch die Lüfte,
oder ziehen mit dem Sturm in die Berge und brechen mit ihm
aus den Bergen hervor, geführt von einem gespenstischen Führer.
Oft ist dieser mit Wodan verwandt, oder ist Wodan selbst. In
den Bergen hausen die gestorbenen Könige mit ihrem Gefolge:
auch an diesen Glauben erinnern die nordischen Aussagen über
Walhall in manchem Zug. Schließlich hat Walhall mit Hel
manches gemein, gleich ihr ist sie durch reißende Ströme vom Diesseits
getrennt und nur durch lange Wanderungen zu erreichen.
Die alten Vorstellungen von den Kämpfen und Behausungen
der gefallenen Helden mußten sich wandeln, als aus dem ruhelosen
Seelenführer Wodan der Heldengott Odhin wurde, der im
Himmel thronte, und als die christlichen Vorstellungen vom Himmel
ihren Einzug in die nordische Dichtung hielten. Nun wurde aus
dem Heldenreiche das himmlische Walhall, und die Helden, die
Odhin auszeichnen wollte, .gingen in Walhall ein. In dem hohen
Saal, in dem Odhin herrscht, bilden Speere das Sparrengerüst,
Schilde decken als Schindeln das Dach, auf den Bänken liegen
Brünnen. Im Westen des Tores hängt ein Wolf, darüber schwebt
ein Adler, fünfhundertundvierzig Tore hat die Halle, aus jedem
können achthundert Einherjer schreiten, wenn sie am Ende der
Tage mit Odhin gegen den Wolf ausziehen. Die Einherjer bekämpfen
sich täglich, einer fällt den anderen, dann versöhnen sie
sich, lieben die Walküren, essen die köstlichste Speise und trinken
den Trank, der Helden gebührt. Das alte Grauen des Schlachtfeldes
, die Schrecken von Krieg und Blut und von endlosem Kampf
sind aber in den nordischen Gedichten über Walhall ebensowenig
verklungen wie in den Schilderungen von Odhin und den Walküren
, ja sie sind, namentlich in der Wikingerzeit, da und dort
gesteigert. Die Welt der alten Götter und Heroen wurde eben
auch hier von den Wikingern in eine Welt der Unerbittlichkeit
verwandelt, in einer Fülle tragischen Glanzes gebadet, und dann
einer fessellosen und doch bisweilen pedantischen Phantasie ausgeliefert
.
Den germanischen und nordischen Berichten über den Ansang
der Welt und der Menschen und über die Reiche des Jenseits
entsprechen verwandte Vorstellungen vieler Völker. Nur in seltenen
Fällen gelang es, die besonderen Quellen zu ahnen, aus
denen unsre Vorfahren und aus denen die Nordleute schöpften.
Den verschiedenen Berichten über den Untergang der Welt hat
vor allem Axel Olrik bis in ihre feinsten Verästelungen nachgespürt,
dadurch hat sich manches Dunkel gelichtet, was über ihrer
Heimat und ihren Wanderungen lag. Die Sagen vom gefesselten
Unhold hörten die Germanen zuerst im Kaukasus. Die Vorstellungen
von der Kälte, in der die Welt erfriert, vom Feuer, in
dem sie verbrennt, scheinen auch von Osten eingewandert, ihre
älteste Heimat scheint das persische Bergland und das heiße Asien.
In der Furcht, daß eine große Flut die Welt begrabe, zitterten
viele Völker, besonders alle, die das Meer und die Gewalt reißender
Ströme kannten. Wenn sie Sterne vom Himmel fallen
sehen, so wird in Tausenden die Angst entstanden sein, es möchten
einmal alle Sterne stürzen und in ihrem Fall die Welt mit sich
reißen. Und welcher lähmende Schreck eine Sonnenfinsternis für
primitive Völker ist, bestätigen uns viele Beobachtungen der Gegenwart
. Die Prophezeiung aber, daß am Ende der Tage die Welt
verrucht werden müsse und daß die Schlechten über die Guten
herrschen, ist christlicher Herkunft und tief in das Bewußtsein des
Mittelalters gedrungen, in seinen sozialen Umwälzungen fanden
sie oft neue Nahrung.
Sogar unser kurzer Auszug aus der Wöluspa macht deutlich,
mit welcher Kunst der Dichter auch beim Weltuntergang aus den
alten Vorstellungen wählt, wie er ordnet und steigert, wie er die
Schrecken des Endes anwachsen läßt, wie endlich aus ihnen der
große letzte Kampf von Riesen und Göttern aufsteigt. Das war
ein Werk dieses Poeten, daß er die alten Mären vom Anfang
und Ende der Dinge mit den Sagen vom Kampf der Götter und
Riesen verschmolz, und daß er in diesem Kampf das Heldentum
der germanischen Götter auf seine Höhe führte. Die Germanen
Schreckten nicht vor dem letzten zurück. Sie stellten es sich in seiner
ganzen finsteren Grausamkeit vor, damit sie ihm begegnen konnten,
wenn es wirklich über sie kam, sie bestanden, still und groß, das
ihnen auferlegte Schicksal. Sie kämpften ihren Kampf gegen alle
Aussicht auf Erfolg und beschützten die Welt bis zum letzten Hauch
ihrer Kräfte. Axel Olrik sagt:
Während andere Skalden nach der Götternacht sehen und nach einem
Hintergrund für die Götterdämmerung, sieht der Dichter der Wöluspa
den Untergang an als das handgreiflich Nächste und blickt schon hinüber
nach einer kommenden Herrlichkeit. Damit sind die Asen unter das
Niveau der Götter heruntergedrückt, sie sind Helden, und die Einzelheiten
sind in ein bestimmtes Verhältnis gebracht zum ganzen Hergang.
Thor erscheint nur ein einziges Mal im Vorbeigehen, bevor wir ihn im
letzten Kampf fallen sehen. Balder tritt in den Vordergrund, sein wehrloser
Tod und die Sehnsucht nach ihm leitet das neue Zeitalter ein.
Hinter dem blutigen Gott, den der Speer der Bosheit trifft, erahnen
wir den leidenden Erlöser.
Die Götterdämmerung, ihre Vorbereitung und ihre Ausführung,
bleibt des Dichters Hauptthema; hier bewegt die mächtige Dichterkraft
sich frei unter den herandringenden Riesen, der Unruhe der Götter und
der Welt, der Größe und dem Schmerz des Kampfes, bis die Erde,
endlich zerstört, vom Feuer verschlungen wird und in das Meer sinkt.
Die Bilder sind so mächtig und strömen so gewaltig vorüber, daß der
Zuhörer kaum unterscheiden kann, daß zwischen die heidnischen Mythen
christliche Züge eingewebt sind. Die sittliche Verderbnis, die Posaunen
des Gerichts, die Sonne und die Sterne, die stürzen, und der Brand
der Erde, und ebenso bei der Wiedergeburt die Erde, die aus dem Meer
emportaucht und grün wird, der Adler und der Fisch, die goldenen Tafeln
und die unbesäten Äcker, Balders Wiederkehr und die Herrschaft der
jungen Götter, alles das erscheint uns vertraut, sogar Gimles (der neuen
Welt) goldenes Dach entspricht Walhall. Und die Ankunft des Mächtigen
ist natürlich als Offenbarung des Schicksals über den Asen, das
schon lang geherrscht hat. Erst eine genauere Untersuchung zeigt, daß
dieser Abschnitt, ähnlich wie andere auf heimischem Grund, sich zu entfalten
beginnt in christlicher oder doch jedenfalls in monotheistischer Richtung
. Der eigentlich heidnische Unsterblichkeitsglaube, die Wiedergeburt
in dem jungen, nächsten Geschlecht, dämmert flüchtig auf, während die
Seligkeit und die Gerechtigkeit die tragenden Gedanken sind und Gimle
seinen Glanz erhalten hat von dem neuen Jerusalem. Am allermeisten
gilt das von der Ankunft des Mächtigen, der das Reich aufrichtet, diese
Auffassung sprengt die Heidenschaft und schafft die Lehre von einem Gott.
Der Dichter der Wöluspa war eine grübelnde und suchende Seele,
erzeugt von der gärenden Wikingerzeit. Er hat das Problem zu lösen
versucht, wie die überlieferte Mythenwelt sich vereinen ließe mit den
neuen Gedanken und er schuf ein Werk, erfüllt von Schönheit, Beseelung
und Tiefsinn. Es ist kein Versuch, die Lehre von den Göttern zu verteidigen
, und noch weniger ein Versuch, christliche Wahrheiten in heidnische
Tracht zu kleiden. Es ist die unmittelbare Arbeit einer ernsten
Natur, den innersten Zusammenhang der Welt zu verstehen.
Andere eschatologische Weissagungen und Gedichte, besonders
die der Bibel und Werke orientalischer Herkunft, hatten weltweite
Wirkung, die Autorität der ihnen künstlerisch nicht unebenbürtigen
Wöluspa blieb auf den Norden beschränkt. Denn ihre Welt ist
die Welt des germanischen Nordens, die spröde Gelehrsamkeit und
die dunklen Anspielungen der nordischen Poeten umkleiden ihre
Visionen, sie gilt einem versinkenden Glauben, der nur im germanischen
Norden aufrecht geblieben war. Gerade das aber, daß
sie Geist ist vom edelsten Geist der Wikinger, bleibt für uns ihr
höchster Wert. Die feierliche und prophetische Kraft, die einst die
germanischen Frauen durchdrang, ihr tiefstes Wissen um Heldentum
und Untergang entströmt in einer vorher nie gekannten Macht
und Verklärung in der Wöluspa zum letzten Mal den Lippen
einer germanischen Seherin.
9. Gottesdienst
Die feierlichste Bestätigung für das Ansehen, das die Wahrsagerinnen
der alten germanischen Art, die Wölwur, die Stabträgerinnen
, im Norden genossen, bleibt die Wöluspa. Und das
Gedicht schildert ja auch eine göttliche Wölwa — denn so faßt
sie die Gullweig auf — die, von Volk zu Volk fahrend, ihren
Zauber übt und überall jubelnd begrüßt wird. Von einer Wölwa,
die er aus ihrem Totenschlafe weckt, sucht Odhin zu erfahren,
was er selbst nicht weiß, das Schicksal Balders. Späte isländische
Sagas berichten oft von solchen Wölwur, die zu Gastmahlen ziehen,
mit großen Ehren empfangen werden, die Geister beschwören oder
durch Zauberlieder die Geister rufen lassen, und dann den Fragen
den offenbaren, was ihnen die Geister enthüllten. Die Tracht dieser
Wölwur ist kostbar.
Eine Saga berichtet, daß eine besonders angesehene einen dunkelblauen
Mantel trug, der am Rand und von oben bis unten mit Steinen besetzt
war, um den Hals hatte sie Glasperlen, auf dem Kopf eine Mütze
oon schwarzem Lammsfell mit weißem Katzenfell gefüttert, in der Hand
trug sie einen Stab mit einem messingbeschlagenen, steinverzierten Knopf.
An ihrem Gürtel hing ein Beutel mit dem ihr notwendigen Zauberzeug,
sie trug Schuhe aus rauhem Kalbsfell mit langen, starken Riemen,
an denen große Messingknöpfe saßen, und Handschuhe aus Katzenpelz,
innen weiß und zottig.
Eine der Wahrsagung verwandte Art des Zaubers — wie die
oben genannte, übrigens bei manchen Völkern belegt und auch
bei den alten Engländern bezeugt — war das üti seta, das Sitzen
in der Einsamkeit, nachts, unter freiem Himmel, um durch Lieder
Tote zu beschwören oder zu wecken, oder um durch die Kraft der
Sammlung und Versenkung die Geister zu rufen und oon ihnen
verborgene Dinge zu erfragen. Eines solchen Zaubers war Odhin
mächtig, wenn er Gehängte belebte. Erweckungen oon Toten aus
ihrem starren Schlummer, in dunkler nacht, schildern uns in ihrer
eindringlichen gespenstischen Kraft späte isländische Lieder von der
Art der Edda, auch die isländische Saga.
Die germanische Wahrsagung mit Stäbchen (auf die Zeichen
eingeritzt wurden, die man alsdann durcheinanderrüttelte, und aus
denen man das Los zog) setzte sich im Nordischen fort. Die eingeritzten
Zeichen waren im Nordischen die alten Runen, deren
zauberische Kraft die Goten verdichteten, man ritzte die Runen
auch auf Schwerter, Trinkhörner, auf Fingernägel, auf die innere
Fläche und den Rücken der Hand, auf Schiffsteven, Steuer und
Ruder, auf die Rinde und das Holz eines gen Osten die Zweige
ausbreitenden Baumes, auf Walfischknochen, besonders auf die
Grabsteine, um die Toten vor bösen Geistern zu beschützen. Die
Runenkunde war im Norden eine eigene Wissenschaft: die erweckte
Walküre Brünhild lehrt den Sigurd die Bedeutung der Runenzeichen
. Durch falsche und böse Runen konnte man schweres Unheil
stiften. Der zauberkundige Egil mußte von einem Walfischknochen
falsche Runen abschaben und die rechten darauf einzeichnen,
dann legte er ihn einer Kranken unter das Kopfkissen und sie
genas. Odhin und Skirni rühmen sich ihrer Runenkunde, wie rasch
fügt sich Gerd dem Willen des Frey, als Skirni sie mit dem
Runenfluche bedroht!
Auch andere Verwünschungen sind uns in der nordischen Dichtung
erhalten, von leidenschaftlicher und wilder Kraft, wie die der
Sigrun, als der Bruder ihr die Eide gebrochen und den Gatten
erschlagen, oder die der Busla über den König Hring, als er den
Böst und seinen Freund töten will.
Sein Herz sollen Würmer zernagen, sein Ohr nicht mehr hören, sein
Auge aus dem Kopf springen, bei der Segelfahrt soll ihm das Tauwerk
zerreißen, die Segel in Fetzen gehn, das Steuer zerbrechen, beim Ritt
der Zaum zerfallen, das Pferd lahmen, Pfade und Wege in Unholds
Gewalt geraten, auf dem Lager soll ihm wie ein Feuer, auf dem Hochsitz
wie auf Wogen zumute sein, alle Riesen und bösen Mächte sollen ihm
sein Hans verbrennen und ihn verderben, Stroh ihn stechen, Stürme
ihn betäuben, Hengste ihn treten, wenn er ihr nicht zu Willen ist.
Böse und gute Vorzeichen zu deuten, war wie die Wahrsagung
das Amt der Priester. Im Nordischen waltet seiner, in einem
Heldenliede, Odhin. In diesem Lied ist, nach Wikinger Art, der
alte Aberglaube in die Höhe des Heldentums gehoben:
Wenn der dunkle Rabe den Helden umfliegt, wenn er den grauen
Wolf unter Eschen heulen hört, wenn er den Gegner zuerst erspäht,
und wenn er gerüstet zur Tür hinaustritt und zwei ruhmgierige Recken
sieht, so sind es gute Zeichen. Aber er soll sich fürchten, wenn auf dem
Wege sein Fuß strauchelt, dann stehen böse Schicksalsfrauen zu beiden
Seiten unb wünschen ihm Wunden an.
Auch die Wahrsagung aus dem Blut, die schon die. Cimbern
übten, hat sich während der ganzen Zeit des nordischen Heidentums
erhalten: man weissagte besonders aus dem Blut der geopferten
Tiere. Viel grausamer waren die Normannen. Sie zerschmetterten
dem Opfer den Schädel, legten das Gehirn bloß und
weissagten aus den Herzfasern des zu Boden gestreckten.
Der Hergang beim nordischen Opfer wird uns so geschildert:
Die Opfer wurden im Tempel vor den Götterbildern geschlachtet,
ihr Blut sammelte man in dem hierfür bestimmten Opferkessel,
sprengte es mit Sprengwedeln über das versammelte Volk und
bestrich damit die Götterbilder, Altäre, Opfersteine und die Wände
des Tempels. Die geschlachteten Menschen wurden an Bäumen
aufgehängt oder in den Opfersumpf versenkt, die Tiere dienten
zum Opferschmaus, ihr Fleisch wurde gekocht und gesotten, nie
gebraten, in Kesseln, über Feuern, die in der Halle des Tempels
zwischen den Bankreihen der beiden Langseiten am Boden brannten.
Der Leiter des Mahles reichte Speise und Trank und man brachte
feierliche Trinksprüche aus. Odhins Becher wurde um Sieg und
Macht, Freys Becher um gutes Jahr und Friede geleert. Bisweilen
ging das Opfer der großen Thingversammlung voran.
Dann fielen Schmaus und Trank fort, vielleicht erklangen bei
Schmaus und Opfer auch Lieder und geschahen Tänze.
Von großen Opferfesten in Seeland und Schweden, die alle
neun Jahre stattfanden, und von denen sich keiner ausschließen
durfte, erzählen uns die Geschichtschreiber. Thietmar von Merseburg
berichtet über das Opfer auf Hleidra, zu Beginn des Jahres
mit vielen Opfern von Menschen, Hunden und Vögeln gefeiert.
Thietmar spricht von neunundneunzig Menschen, das ist wohl übertrieben.
Die Darbringung geschah, wie Thietmar wohl zutreffend
meint, zu Ehren der Abgeschiedenen, um sie zu versöhnen und um
ihre Gier nach allem Lebendigen zu stillen. Adam von Bremen
berichtet von dem großen Opfer in Schweden, in Upsala, zur Zeit
des Frühlings, von dem sich die Christen loskauften, und bei dem
je neun Wesen männlichen Geschlechts — Adam erwähnt später
Menschen, Pferde, Hunde — geopfert und im Hain neben dem
Tempel an die Bäume gehängt wurden, diese wurden durch die
toten und verwesenden Opfer heilig. Das Opfer begleiteten unzählige
Lieder und große Schmause, ein König, der nicht daran
teilnehmen wollte, wurde vertrieben.
Das Menschenopfer hat also der heidnische Norden nicht beseitigt
und seine Grausamkeit nicht gemildert. Wir hörten ja schon
aus vielen Geschichten, wie unersättlich Odhin blieb und wie fein
Speer das Heer der Feinde oder einzelne Fürsten dem Tod weihte.
Auch die nordischen Tieropfer scheinen von den germanischen nicht
unterschieden. Das Pferd blieb auch im Norden das vornehmste
der geopferten Tiere, sein Schädel wehrte Unheil ab. Man denke
nochmals an die Verse, unter denen das Geschlechtsglied eines
Hengstes herumgegeben wurde, das eine Bäuerin durch Kräuter
frisch hält, und an dessen Kraft jeder teilhaben wollte, der es
berührte (S. 69).
Die Zeit der nordischen Opfer war wohl ebenfalls der Frühling,
der Herbst und der Winter, der Winter war eigentlich die
Zeit für die Opfer an die Toten. Doch haben sich die Opfer
der verschiedenen Zeiten oft vermischt, gerade auf diesem Gebiet
gleitet ja alles durcheinander (S. 97 f.).
Wir erstaunen, wie heidnisch bis tief in das Christentum hinein
der Opferbrauch und der Gottesdienst im germanischen Norden
blieben; erstaunen zumal, da wir wissen, daß die nordischen Tempel
— und es gab viele — in allen Einzelheiten die Merkmale der
christlichen Kirchen zeigen, die auf ihren Fahrten in Irland und
England von den Wikingern gesehen wurden. Ein neues Zeugnis,
daß von sich selbst aus die Germanen zur Erbauung von
Tempeln nicht getrieben wurden. Im Norden blieb dann auch
neben dem Tempel der Hain das ältere und ehrwürdigere Heiligtum
und auch die waldige Anhöhe. Hier errichtete man Einfriedigungen
aus Holz und Steinen, auch große und hohe Säulen,
Sagenb. I. 18
Baumstämme von gewaltiger Länge stellte man als Wahrzeichen
der Götter auf die Höhen.
Bei den Germanen war die Stätte der Götterverehrung zugleich
die Stätte der Rechtsprechung, Gottesdienst und Rechtspflege
verschmolzen in Eines. Da nun im Norden die Rechtspflege reicher
und vielfältiger wurde, wuchsen auch der Gottesdienst und der
Tempel in ihrer Bedeutung — nach den Ausweisen der Ortsnamen
breitete sich eine Menge heiliger Stätten und Tempel
durch das ganze Land.
Dienstag und Donnerstag, der Tag des Ty und des Thor,
blieben die Tage des Gerichts. Die Gerichtstätte wurde geheiligt
und gegen die andere Welt abgegrenzt. Menschenopfer mußten
bisweilen die Heiligung steigern. Vor der Verhandlung gebot der
Leiter des Things tiefes Schweigen, die Formen des Rechts waren
heilige, althergebrachte Formen.
Götterbilder gab es im Norden vielerlei. Auf Pfählen oder
auf Stämmen waren die Gesichtszüge der Götter mit einfacher
Kunst eingeschnitten. Die Lehnen des Hochsitzstuhls, die Steven
des Schiffes verzierten Götterbilder, diese nahmen die norwegischen
Ansiedler nach Island mit, warfen sie in die Wogen und siedelten
sich, nach altem Brauch, an, wo die Bilder angetrieben wurden.
Kleine Götterbilder aus Bein, aus Silber, auf Brakteaten trug
man als Amulette, Metallblättchen mit einem Götterbild schob sich
der Krieger in den Helm, auch aus Ton knetete man und aus
Teig buk man Götterbilder.
In den berühmten Tempeln standen kostbare, schmuckbeladene
Götterbilder, die bekanntesten waren wohl die in Upsala, die
Adam von Bremen sah und schilderte. Die Bildsäulen von Thor,
Odhin und Frey wurden dort verehrt. Thor thronte in Drontheim
auf seinem bockbespannten Wagen. Im 10. Jahrhundert bildete
man auf Friesen und Schilden ganze Szenen der Göttersage ab,
diese wurden dann in skaldischen Dichtungen verherrlicht. Die
Götterbilder weisen auf einen familiären und privaten neben einem
öffentlichen und staatlichen, einen einfachen und kunstloseren neben
einem kunstreichen und aristokratischen Gottesdienst. Beide Arten
von Gottverehrung sonderten sich schon im Germanischen voneinander,
im Nordischen wurden, wie es scheint, die Grenzen noch sichtbarer
. Die gleichen Abstufungen zeigen unsre Nachrichten über die
nordischen Priester. Wie im Germanischen leitete der Hausvater
den Gottesdienst der Familie, der Priester den Dienst bei den
großen Feiern, und Priester und König und Adel und Dichter
gehörten zusammen, bald übernahm der König die priesterlichen
Obliegenheiten, z. B. in Norwegen, bald kam, z. B. in Island, die
Staatsgewalt in priesterliche Hände.
Das Amt des Priesters war auch wie das Amt der Wölwa
das Götterlied. Aus alten Götterliedern beim Gottesdienste sind
wahrscheinlich solche Rätseldichtungen wie die Wafthrudnismal,
solche Preislieder auf die göttliche Macht wie die Grimnismal
entstanden. Nordische Rätsellieder und altindische großartige Rätsellieder
des Weda klingen einander noch ähnlich. — Beim Gottesdienst
erklangen dann auch die inständigen Bitten um Fruchtbarkeit
der Felder und Menschen, sie verbanden sich mit jenen derben
und kräftigen Zeremonien, jenen mimischen Vorführungen, die wir
auf dem Grunde des Lieds von Thors Hochzeit und von Skadis
Vermählung erkannten. Außer den hohen Göttern galt den Abgeschiedenen,
den Geistern der Felder und der Gewässer, den Elben,
den Zwergen, den Landwichten, den Hausgeistern, den Trollen
ein lebhafter, von Geschlecht zu Geschlecht getragener Kult, von
dem die Rechtsbücher und die Sagas viel wissen — er war älter
als der Kult der Götter und hat diesen überdauert. Wir dürfen
diese Welt, wenn sie uns auch sehr verlockt, nicht betreten, sie
würde uns aus den germanischen Gefilden ganz und gar in den
Spuk und die Wirklichkeit der nordischen Geister führen.
Form und Gehalt des nordischen Gottesdienstes blieb viel
heidnischer als Form und Gehalt der nordischen Göttersagen. Die
Dichter mochten den Gottesdienst nicht schildern, Priester und
Könige mochten den Volksbrauch nicht stören, den jahrhundertelange
Pflege heiligte. Eben weil er allen vertraut und weil er
oft auch heiliges Geheimnis war, hören wir über diesen Gottesdienst
nur wenig. Die meisten Nachrichten stammen natürlich aus
später Zeit oder aus dem Munde christlicher Bekehrer. Eine religiöse
Entwicklung spüren wir kaum. Die alten Formen werden vielfältiger,
lebendiger, bestimmter, entarten wohl auch am Ende des
Heidentums, doch ihr Wesen bleibt das gleiche. Eben die Erhaltung
des Alten ist für uns unschätzbar: beim Gottesdienst weilen
wir auf altem germanischen Boden.
10. Rückblicke
Als wir uns den nordischen Göttern näherten, verhießen wir
einen großen Reichtum von Sagen und Aussagen. Während
unsrer Wanderungen entfuhr uns noch mancher Ausruf der Bewunderung
und des Entzückens, über die weiten und einzigen Aussichten
in die Gebiete des Mythus und der Dichtung, die sich vor
unsren Augen immer wieder auftaten. Die nordische überlieferung
bereicherte unser Wissen und unsre Erkenntnis überall. Die
Bedeutung der Zauberei für den Glauben unsrer Vorfahren zeigte
sich lebendiger und umfassender als in irgendeinem germanischen
Bericht: der Zauber des Krieges, der Wahrsagung, der Herrschaft
über die Geister, über die Krankheit und über die Elemente,
der Zauber der Fruchtbarkeit und der Verwandlungen, bei Odhin,
bei Metodhin, bei Ull, bei Thor, bei den Wanen, bei Loki —
Die schöpferische Macht Thors, die dunklen Opferbräuche der Urzeit,
die derbe Förderung der geschlechtlichen Kraft, das behende
und verschlagene Treiben der Elben, die entfesselten Gewalten der
Riesen: in wie vielen eindrucksvollen Beispielen zog das alles an
uns vorüber! Wie überströmend in ihren Lebensfluten ist diese
Welt, und welcher Mühe bedurfte es vorher, bis die germanischen
Schatten Blut und Leben gewannen! Dann noch die Fülle der
Göttersagen: über Ty und den Fenriswolf, über Balder, über
Thrym, Hrungni, Aurwandil, Groa, Gjalp, Greip, Geirrödh,
Halfdan, den Riesenbaumeister, die Midgardschlange, Hymi, Utgardaloki,
Odhreri, Gunnlöd, Mimi, Odhin, Metodhin, Ull, Rind,
Gerd, Menglöd, Thiazi, Idhun, Skadi, Freyja, Gullweig, Gefjon,
Höni, Widar, Wali, Loki. Und kaum eine dieser Sagen war uns
nur einmal bezeugt, meist besitzen wir sie in mehreren Fassungen,
oder wir besitzen doch verschiedene Zeugnisse über sie aus verschiedenen
Jahrhunderten und besitzen manchmal auch bildliche Darstellungen.
Ty verblaßte in der Edda, Thor wurde von den Edlen und
Dichtern und unter dem Einfluß des Christentums immer zügelloser
verhöhnt, beide Dichter behielten im Volk ihre alte Macht.
Odhin drängte den Ty, den Ull, den Mimi, den Metodhin, vielleicht
den Loki und endlich auch Thor zurück und durchlebte das
Grauen und die heroische Tragik des Krieges, die Gefaßtheit des
germanischen Helden, die harte und erprobte Weisheit der Wikinger
und die Verklärung des sterbenden Heidentums. Die Abzweigungen
des Himmelsgottes: Balder, Fosete, Ull bleiben eigene Götter und
verwandelten sich unter dem Einfluß hier des finnischen Zauberwesens,
dort des christlichen Glaubens. Thors Söhne gewannen
keine große Bedeutung. Von Odhin hat sich schon in früher Zeit
Höni abgelöst, in der Wikingerzeit fing sich das heroische Wesen
des Vaters in seinen Söhnen Wali und Widar. Wodans Gefolge
gewann neuen Glanz, an Stelle des Heeres der Abgeschiedenen
und der Göttinnen traten die Helden, die Einherjer und die nordischen
Walküren. Njördhs Herrschaft siedelte sich am Meere an,
in Frey und Freyja wurden manische und asische Elemente, Elemente
der himmlischen und der zauberhaften und fruchtbringenden
Gottheiten, zu neuen, göttlichen Gebilden. Heimdall und Loki wanderten
von den Elben in die Reihen der Asen, Heimdall verklärte
sich inden Gott der leuchtenden, meerentstiegenen Morgenfrühe
und in den nimmermüden Wächter der Götter, Loki sank herab
zum verräterischen Unhold. Frigg blieb die gütige und anmutige
Himmelsgöttin. Die Zahl der Riesen wuchs, und sie nahmen die
Unholde auf, in denen die Furcht vor dem Untergang aller .Dinge
schreckenerregende Gestalt gewann. In dem halben Jahrtausend vom
8. zum 13. Jahrhundert sind die germanischen Götter niemals erstarrt,
unaufhörlich strebten sie neuen Formen zu: man möchte
manchmal wünschen, sie hätten die stolze Ruhe gefunden, die eine
dauernde Herrschaft verbürgt. Aber den, der in der alten Kraft
trotziger als die anderen verharrte, den Donar, machten die Aristokraten
des nordischen Geistes lächerlich. — In der Sage von
und dem Fenriswolf und in der von Lokis Fesselung waren alte
Vorstellungen von Sonnenfinsternis und Erdbeben die schöpferischen
Elemente, in den Sagen von Balder und Frey vielleicht uralter
Glaube und Brauch, der dem König galt und das tragische Schicksal
eines heiligen Schwertes. Die Sage von der Weltesche rief die
Verehrung heiliger Bäume, ihrer schützenden und tragenden Macht,
ins Leben. Von den Kämpfen von Gott und Riese um die Waffe
des Blitzes sind die Sagen von Thrym, Geirrödh, Hrungni, Halfdan
erfüllt, mit ihnen verschmolz sich bei Thrym alter Hochzeitsbrauch
, bei Hrungni alte Visionen von Wind und Wolte und Frühling,
bei Geirrödh alte Fabeln vom Gang ins Jenseits und von
Beschwörungen reißender Flüsse. Kämpfe von Gott und Unhold
waren ursprünglich Thors Ringen mit der Midgardschlange und
Hymi und dem Riesenbaumeister und mit den zweideutigen Spukgestalten
in Utgardalokis Reich, bisweilen wieder verbunden mit
Erlebnissen aus Unterweltsfahrten. Ebenfalls aus einer Fahrt ins
Jenseits, und dazu aus der Geschichte vom Raub des Wassers, erwuchs
die Geschichte von Odhin und Odhreri, aus der Fabel vom
Raub der fruchtbringenden Äpfel und aus Hochzeitsbräuchen gestaltete
sich die Geschichte von Skadi und Thiazi, die Fabel vom
Raub des Feuers ist auch ein altes Element in der Geschichte von
Lokis Fesselung.
Die Sagen vom gefesselten Unhold, vom Untergang der Welt
und von Riesen, die ihre Fesseln zerreißen, vielleicht auch andere
Sagen, die denen von Prometheus glichen, hörten, wie wir
glaubten, zuerst die Goten am Gestade des Schwarzen Meeres,
und sie sind von dort nach dem Norden gezogen. Bei den Goten
entwickelten sich auch nach unsrer Auffassung die dichterischen Gebilde
, die indem Jagen der Wolken verfolgende Riesen, in dem
herabfahrenden Blitz die Waffe des Donnergottes sehen. Den alten
Stamm der Sage und der mythischen Dichtung umrankte und
überwucherte das Märchen. Das von der verräterischen Schwester,
von der fadendünnen, unzerreißbaren Fessel (Ty und Fenri), von
der um den gebundenen Mann besorgten Frau und der gifterfüllten
Schale (Loki und Sigyn), vom unbescheidenen Riesen (Thiazi),
von den Überlistungen des Riesen oder des Teufels durch den
Menschen (Thor und Utgardaloki) traten vor allem im östlichen
und südöstlichen Europa auf, in ihren Kreis gehören auch die überall
verbreiteten Schwänke vom starken Hans (Halfdan, Hymi, Odhin
bei Baugi) und andere Überlistungen der dummen Großen durch
die klugen Kleinen (Skrymi, Hymi, Riesenbaumeister). Die Fahrten
ins Jenseits und die Raubmärchen haben vor allem keltische, genauer
gesagt irische Dichter ausgemalt, ihre Farben geben den
nordischen Geschichten einen neuen, phantastischen Glanz und auch
eine neue Tiefe. Dazwischen blicken uns noch andere, überall auftauchende
Märchen und Märchenstücke an: Märchen von der widerspenstigen
Jungfrau (Rind und Gerd), von der Fahrt nach dem
entschwundenen Geliebten (Freyja), von Werbungen, von Goldener,
von der goldenen Gans und vom Riesen ohne Seele, vom bestraften
Vorwitz (Loki, Aurwandil, Idhun), von kostbaren Ringen,
Panzern, Schwertern usw. (Balder), von der übersehenen Pflanze
(Balder), von der Unverletzbarkeit der Helden (Balder), von geschlechtlichen
Possen und Verkleidungen (Thrym, Skadi), von boshaften
Zwergen, ätiologische Geschichten von Tieren, Felsen, Sternen
(Aurwandil, Thiazi, Loki, Skrymi, Hrungni), scherzende Verspottungen
(Fenris Fessel) usw. Auch von einer Göttersage zur
anderen oder von der Heldensage, namentlich von den Wölsungen
und den Nibelungensagen zur Göttersage schossen Einwirkungen
herüber.
Die Dichtungen, die aus diesen Elementen sich entwickelten,
scheinen zuerst lose und übermütig zusammengefügt, doch ein genaueres
Zusehen zeigt oft, wie organisch ihre einzelnen Teile ursprünglich
sich aneinander schließen. Meisterhaft ist manchmal der
Aufbau, und wie viele Register beherrschen die Erzähler, von geistreichem
Humor, funkelnder Ironie, großartigem Ausmalen der
Götterkraft bis zu rührender, tragischer Einfalt und heroischer und
gefaßter Größe. Wie überraschend und tief variiert die Geschichte
von Odhin und Odhreri das Wesen der Dichtung, wie geschickt
gleiten die Fabeln von Thor und Odhin und Hrungni und Mökkurkalfi
und Aurwandil durch die Bereiche von Wolke, Nebel,
Gewitter und Frühling, die Geschichte von Thor und Geirrödh
durch den Bereich des Zaubers, die von Njördh und Skadi und
Idhun und Loki durch den Bereich der geschlechtlichen Kräfte!
Übennütig und spannend erzählt die Fabel von Utgardaloki von
Thors und seiner Begleiter vergeblichem Kraftaufwand. Die Geschichte
von Geirrödh schwelgt in Schrecken und Spuk der Unterwelt
, und welche Kämpfe wurden mächtiger geschildert als die
zwischen Thor und Hrungni, Thor und Halfdan, Thor und der
Midgardschlange! Bei der Fesselung von Loki und vom Fenriswolf
verwandelt sich das Spiel in furchtbaren Ernst, die düstere Ahnung
vom Untergang der Welten steht am Horizont; die rührendste aller
Götterfabeln bleibt die von Balder. Wenn die nordischen Dichter
auch gern mit beiden Händen in die Schätze anderer Völker griffen,
sie haben aus ihnen neue Kleinodien geschaffen, mit leichter und
sicherer Hand, erstaunlicher Phantasie, selten reichem Können und
tiefem eigenen Empfinden.
Wir erkannten in den Göttersagen und Göttervorstellungen
verschiedene Stufen der Entwicklung. Die alte derbe und frohe,
große und starke Kraft der Germanen bewahrten trotz allem die
Sagen von Thor, sie lag auch auf dem Grund der Sagen vom
Fenriswolf, von Njördh und Skadi, von Odhin und Odhreri.
Im 10. Jahrhundert erhob sich diese Kraft ins Heroische und
Tragische. Das Wikingertum, jene unerbittliche Steigerung des
germanischen Heldentums, erreichte damals seine Höhe, zugleich
ließ sich das Christentum auf den nordischen Geist nieder. Die
harte Anschauung der Wikingerzeit prägte sich am klarsten in den
Strophen der Havamal aus: auf Schritt und Tritt, aus dem Diesseits
und Jenseits bedrohen den Helden feindliche Mächte und
mahnen ihn zu Mißtrauen und Gegenwehr, alles Irdische ist wesenlos,
die einzige Dauer verheißt der Heldenruhm. Nach dem Untergang
der alten Welt steigt eine neue, leuchtende und reine Welt
aus den gluten: diesen Glauben hat das Christentum geschaffen,
dieser Glaube hat auch die Härten der Wikingerwelt gemildert.
Ins unselig Heroische hob die Dichtung im 10. Jahrhundert
den Thor, die Kraft, die den Erdball beschützte, zerschlug zugleich
Eid und Recht. Frey und Heimdall legten die Rüstung des
Wikingerhelden an, Widar und Wali gürteten sich mit seiner gefaßten
Stärke. Odhin spiegelte die ganze heroische Welt: für die
Götter betrog er die Gunnlöd und die Rind, für den letzten Kampf
der Riesen und Götter im Jenseits sammelte er die Helden und
raffte sie in den Schlachten des Diesseits dahin, seine Einsicht rückte
ihn hoch über die anderen Götter und er trug größer als sie das
Wissen um das Ende. Die Götterfeinde, die Mächte des Chaos
und des Dunkels, verdüsterten in der Wikingerzeit das Antlitz der
Götter, und sie vertieften ihre Kraft. Der alte Kampf von Gott
und Held gegen Riese und Unhold wurde zu einem Kampf oon
Riesen und Göttern auf der ganzen Breite, zu einem Kampf des
Chaos gegen einen Kosmos, den die Götter nicht groß und rein
zu erhalten vermochten. Auch die Kraft der Zauberei, der Glaube
an die Vorzeichen, die Vorstellungen von Walhall und den Walküren,
der Glaube an den Weltenbaum erhielten damals den
heroischen Zug. Die Dichtung gewann, namentlich in Strophen
der Wöluspa und der Hawamal, eine klare und strenge, reine und
bildhafte Schönheit und den Schauer der ewigen Geheimnisse, sie
streifte alle dumpfen und spielerischen Phantasien ab und verachtete
den Märchenspuk.
Das heranziehende Christentum gab dem Odhin seine verklärte
Ruhe, verwandelte den Balder in den nordischen Christus, den
Loki in den nordischen Teufel, tauchte die Dichtung der Edda in
himmlischen Glanz und entwürdigte zugleich den Thor, den stärksten
der heidnischen Götter.
Für die abendländische Welt seit dem 10. Jahrhundert sind bezeichnend:
ein unersättlicher Drang nach Wundern und Abenteuern,
die Sehnsucht, immer tiefer in das Geheimnis der göttlichen Weltordnung
einzudringen, und wachsende geistliche Gelehrsamkeit, die
im 13. Jahrhundert die großen Bauten ihrer Systeme aufrichtet.
Von dieser abendländischen Welt wurde der Norden durch das
Christentum ein Teil. Wie stark die Märchen im 11. und 12. Jahrhundert
die alten Mythen überfluten, hat uns jede Göttersage und
haben uns auch die Wandlungen der göttlichen Gestalten gezeigt,
ihrer Abzeichen und ihrer Schätze, ihrer Speere, Schwerter, Ringe,
Pferde, Eber, Schiffe usw. Die nordischen Märchen kommen freilich
nicht aus so weiten morgenländischen Fernen wie viele der deutschen
und romanischen, die Ritter des Nordens sind noch die Wikinger,
auch die religiöse Sehnsucht des Nordens behielt ihre besondere
Färbung, in keinem anderen Lande mußte sich noch um das
Jahr 1000 herum das Christentum mit dem germanischen Heidentum
auf Tod und Leben messen. Die Gelehrsamkeit bemächtigt sich
namentlich der hohen Kreise, ein System des nordischen Jenseits
hat Snorri in seinen geschichtlichen und religiösen Schriften errichtet,
auch Saxos Geschichte und auch die Lieder der Edda dürfen
als Kompendien gelten. Das echt mittelalterliche Beisammen von
froher und bunter Fabelei, tiefem Glauben und ehrwürdiger Gelehrsamkeit
hat im Norden auch sein eigenes Gesicht, die heidnische
Individualität und ihre Willkür und der heroische Ernst sind stärker
als im Süden.
Landschaftliche Verschiedenheiten in der Entwicklung der nordischen
Götter zeigten uns Ull und Skadi; diese zwei sind nur in
finnisch-schwedischer Umgebung denkbar. Der schwedische Frey war
natürlicher, der Frey der Edda mehr auf das Ritterliche gestimmt,
die Wanen behielten die Anmut und die Fruchtbarkeit der Länder
um die Ostsee, Odhin blieb in Dänemark dem dämonischen und unersättlichen
wilden Jäger verwandt, blieb in Schweden am stärksten
beherrscht vom alten Hang zur Zauberei und verklärte sich am
schönsten in Norwegen. Auch soziale Unterschiede der nordischen
Götter zeichnen sich deutlich ab. Wem das Volk seine Opfer zutrug
und welche Vorstellungen sich das Volk von den großen Göttern
machte, darüber sind wir nicht ausreichend unterrichtet. Das aber
dürfen wir annehmen, daß es den Verstorbenen ehrfürchtig opferte,
ihr Wirken in Feld und Flur, in Haus und Luft, in den Bergen
und in den Gräbern spürte, daß es sie beschwören ließ, um von
ihnen die Zukunft zu erfragen. Auch die Geister der Wälder und
Gewässer behielten ihre Macht, viele schöne nordische Sagen und
Märchen künden von ihnen noch heute. Frey als Gott der Fruchtbarkeit
und der Herden, Thor als Beschützer des Landbaues, als
Gott der Familie, Ty, Forsete, Balder als Götter des Rechts, Ty
als Gott des Krieges galten dem Volk mehr als Odhin, der Gott
der Könige und der Dichter. Im Gottesdienst blieb im Lauf der
Jahrhunderte alles eigentlich beim Alten. Die Umwandlungen der
nordischen Götter, die wir vorher charakterisierten, waren das Werk
der Dichter und geschahen in der Umgebung der Großen, unter
dem Zeichen des heranschwebenden Christentums. Aus sich selbst,
aus seinen eigenen religiösen Impulsen hat sich der alte germanische
Götterglaube nicht verändert. Bragi, der Skalde, der Dichter des
neunten Jahrhunderts, wurde in die Gemeinschaft der Götter aufgenommen
und mit Idhun, der Göttin der ewigen Jugend, vermählt:
diese Sage ist uns der schöne Ausdruck der Tatsache, daß
eben die Dichtung die nordischen Götter verjüngte. Darum auch,
weil ihre religiöse Macht überaltert war, hat das Christentum die
alten Götter eigentlich rasch überwinden können.
Wohl treten die Götter als Gemeinschaft vor uns auf, aber
nur die Furcht vor ihrem Ende und die Furcht vor Schaden bringt
sie zusammen, sie ziehen vereint in den Tod, nicht in das Leben.
Wie rasch läßt die Wöluspa auf das Glück der Urzeit den ersten
Kampf von Gott gegen Gott folgen! Und wie ist diese Götterwelt
zerklüftet! Riesen, Elben, Zwerge, Götter in unaufhörlichem Kampf,
in dem die Stellung der Parteien immer wechselt, Asen und Wanen
notdürftig versöhnt, Thor und Odhin in wachsendem Gegensatz,
Loki ihrer aller Feind! Mit welch zügelloser Bosheit sind auch die
Skalden über die Götter hergefallen und haben sie höhnisch miteinander
verglichen oder alle verlästert! Thor ein lächerlicher
Gernegroß, Höni ein dummer Tropf, die Göttinnen brechen die
Ehe und sind käuflich in ihrer Liebe, Wanen und Riesen und Unholde
werden von den Asen betrogen — freilich solche Gesellschaft
ist reif zum Untergang. Und doch wie groß sind sie alle gestorben,
wie fliegt unser Herz dem scheidenden Thor und dem scheidenden
Odhin entgegen!
Religiös betrachtet ist die nordische Götterwelt ärmer als die
germanische. Donar und Tiu waren als Götter vielfältiger und
großartiger als Thor und Ty, die Bedeutung der Göttinnen hat
sich verringert, Odhin, Balder, Loki, Heimdall geraten aus ihrer
germanischen Bahn. Der Kampf zwischen den eingeborenen und
einwandernden Göttern, die Umbildung der indogermanischen
Götter ins Germanische, diese merkwürdige, durch lange Jahrhunderte
sich hindurchziehende Entwicklung hat im Nordischen kein
Seitenstück. An Stelle der religiösen Werte traten allerdings
heroische, christliche, mittelalterliche und künstlerische, im Heroischen
fanden die germanischen Götter eine grandiose Erfüllung ihres
Wesens, und das Christentum entstellte einige ihrer Götter, bei
anderen machte es das Edelste ihres Wesens frei.
Wer also, wie manche ehrliche Schwärmer noch heute, die Religion
der Gegenwart aus der germanischen verjüngen und läutern
will, traut unsren Vorfahren Kräfte zu, die sie niemals besaßen.
Die germanische Religion hätte sich im Norden jahrhundertelang
festigen und vom Norden aus die südliche germanische Welt erobern
können — statt dessen zersetzte sie sich und gewann erst neuen
Glanz durch das Christentum und erlag nach kurzem, heroischem
Kampf.
Aber in der germanischen und nordischen Religion liegen
Schätze unsres Wesens und Mahnungen und Warnungen, viel
reicher und uns viel notwendiger, als uns heute noch bewußt ist.
Die Blicke, die uns in ihren, Jahrhunderte hindurch nicht versiegenden
Reichtum gegönnt waren, können uns mit neuem Vertrauen
auf die ewige Sendung der Germanen erfüllen. Auch in
der Geschichte des germanischen Götterglaubens erweist sich das
Heroische in seiner Tod und Leben überwindenden Zuversicht, seiner
unbewußten Freude an sich selbst und seiner gefaßten Geduld als
eine Unvergänglichkeit und als eine in den dunkelsten Zeiten aufblitzende
Gewähr für kommende Jahrhunderte. Wer von uns, der
deutsch fühlt, wird nicht vom Schauer des Heldentums gepackt,
der die Geschichten von Odhin und Thor, der die Strophen der
Wöluspa und der Hawamal durchweht! Das Vermögen, fremde
Welten in ihrem Besten zu erkennen und das eigene Wesen daran
aufzurichten und zu bereichern, zeigt uns die Geschichte der germanischen
Religion in ihren entscheidenden Epochen mehr denn
einmal: sie ist für uns einer der tiefsten Beiträge zum ewig deutschen
Problem von echter und falscher Aneignung. Die Zwietracht,
der verderbliche Kampf Aller gegen Alle, der zügellose, nur sich
selbst setzende Geist, die immer neuen Zielen zusagende Ruhelosigkeit
das nie sich vollendende Werden haben uns zu mehr als
einem Untergang getrieben. Und doch gerade die unersättliche Vielfältigkeit
unserer Kraft, das von keinem Ideal befriedigte Streben
sind die Segen jener verhängnisvollen Mitgift, und sie reißen uns
wieder aus dem Abgrund. Dem ruhelosen, heroischen Odhin verklärte
sich dies Dasein, er krönte sein Leben mit dem Tod des
Helden, damit eine neue reine Welt aus den vernichteten Gefilden
der alten aufsteigen könne!
Die zweite Bearbeitung der Götter und Göttersagen der Germanen
unterscheidet sich, besonders in der Anlage und Anordnung, stark von der
ersten, sie erscheint fast als ein neues Buch. Wer als Dozent über das
gleiche Gebiet öfter vorträgt und Freude am Dozieren hat, wird, um sich
eine immer freiere Herrschaft über sein Reich zu sichern, die Teile des
Ganzen gern in wechselnder Ordnung vorführen, damit sie in wechselnden
Ansichten und Beleuchtungen sich gegenübertreten und dadurch neue Zusammenhänge
und Erkenntnisse aufdecken. Der Gewinn aus solchen Versuchen
ist in diese neue Auflage geleitet worden. Auch aus anderen
Gründen empfahlen sich Änderungen. Vor einem Jahrzehnt gehörte noch
ein gewisses Aufgebot von Kräften dazu, Widerstrebende und Gleichgültige
für die Welt unsrer alten Götter zu erwärmen. Diesen vor
allen wurde damals die Geschichte der Wissenschaft von der deutschen
Mythologie vorgetragen. Ihre Teilnahme sollte durch den Bericht geweckt
werden, wie viel Mühe, Intuition, Begeisterung und Scharfsinn
eine erlesene Schar deutscher und nordischer Gelehrter dieser Vergangenheit
germanischen Geistes gewidmet. Heute ist die Anziehungskraft
der alten Götter unbedingt stärker, deshalb wurde das Kapitel "Wege
und Ziele der deutschen Mythologie" gestrichen. — Ferner schien es
damals ratsam, die Bedeutung der sogenannten primitiven Völker und
ihrer geistigen Welt für den Glauben und die Sagen auch unsrer Vorfahren
recht eindringlich hervorzuheben. Seitdem ging man in dem Bestreben,
die deutsche Götterwelt aus der Religion der Primitiven zu
erklären und sie auf gar zu allgemeinen, oft gar nicht beweisbaren
Voraussetzungen aufzubauen, manchmal viel zu weit. Es war doch zuerst
zu versuchen, was man von den Germanen selbst über die Germanen
erfahren konnte, von dort aus war zum dunklen und schöpferischen Urgrund
aller Religionen vorzudringen, wenn sich der Weg dorthin überhaupt
finden ließ. Darum wurde auch das zweite Kapitel des alten
Buches, der Ursprung der deutschen Mythologie, aufgelöst, statt dessen
die germanischen Nachrichten eingehender und vollständiger besprochen.
Neue Arbeiten der wissenschaftlichen germanischen Mythologie — sie ist
auch im letzten Jahrzehnt in Deutschland und im Norden an vielen
Stellen eifrig am Werk gewesen — bedingten ebenfalls manche Umstellung
im einzelnen und wurden für den Verfasser der Anstoß zu
erneutem Nachdenken und Forschen. Dem ersten Ziel seiner Göttersagen
Anmerkungen und Nachweise
glaubte er dann dadurch näher zu kommen, daß er eine größere Anzahl
von Göttersagen als in der ersten Auflage übertrug und aus ihrer Interpretation
ihre Bedeutung und ihre Geschichte ableitete. Kurze Berichte
über den Gottesdienst unsrer Vorfahren, absichtlich knapper gehalten als
die anderen Kapitel, wurden angefügt. Diese Änderungen ergaben sich
fast alle aus der Geschichte unsrer Wissenschaft von selbst. Viel stärker
verlangte den Umbau des alten Buches eine Überzeugung des Verfassers,
die sich ihm bei seinen deutschen Heldensagen gebildet, deren Bedeutung
ihn immer tiefer durchdrang, und die er auch bei anderen zu wecken
und zu festigen sich verpflichtet fühlt. Bei den Heldensagen ist die heroische
Dichtung der germanischen Völkerwanderungszeit, die viele Forscher noch
immer vernachlässigen oder nicht sehen wollen, der Keim, aus dem sich
die ganze spätere germanische Heldendichtung entwickelt. Bei den Göttersagen
ist es ähnlich. Die Jahrhunderte der germanischen Völkerwanderung,
in weitem Sinn genommen, von der Zeit der Cimbern und Teutonen
bis zu karl dem Großen, und manchmal noch frühere Zeiten, haben die
germanischen Götter geschaffen. Man darf diese Leistung nicht verkennen
und unsre Nachrichten und Zeugnisse nicht gering schätzen, weil sie so
spärlich sind. Nicht etwa errichteten die nordischen Völker und Dichter auf
dem germanischen Nichts ihre nordische Götterwelt, sondern sie entfalteten
sie aus den germanischen Schöpfungen, gaben ihnen ein neues
künstlerisches Leben und führten sie in das Christentum. Nur eine Gegenüberstellung
von germanischer und nordischer Zeit auf der ganzen Linie,
eine Gegenüberstellung zuerst der germanischen und nordischen großen
Götter, dann der Reihen der anderen Götter, der Göttinnen, der gemeinsamen
Sagen, des Gottesdienstes, konnte das Verhältnis der germanischen
und nordischen Götterwelt, wie der Verfasser es sieht, von Fan
zu Fall zeigen. Deshalb also wurden die Göttersagen diesmal in zwei
Abschnitte gegliedert: jedes Kapitel des ersten entspricht dem des zweiten
Es ist nur zu hoffen, daß der Leser diese Symmetrie als organische
Notwendigkeit und nicht als pedantische Langeweile empfindet.
Die Anmerkungen und Nachweise sind diesmal erweitert. Das ganze
Hin und Her der wissenschaftlichen Diskussion sollte jedoch nicht noch
einmal ausgebreitet werden, das ist in anderen Büchern zur Genüge
geschehen. Unsre Hinweise sollen knapp bleiben und an möglichst ergiebige
Stellen führen. Der Leser, der ihnen nachgeht, soll die wichtigen
Aufschlüsse und Arbeiten finden, er soll auch die Gründe erkennen, die
den Verfasser zu seiner Entscheidung drängten. Endlich hat sich der Verfasser
diesmal zu einem Namen- und Sachenverzeichnis entschlossen, nicht
eben gern, da sein Buch zum Lesen und nicht zum Nachschlagen bestimmt
ist. Doch macht das Register, ebenso wie die Anmerkungen, vielleicht
manchen Forscher auf Einzelheiten aufmerksam, die er sonst leicht übersehen
hätte, und beides kommt auch den Gelehrten entgegen, für die eine
Wissenschaft ohne Anmerkungen und Register eben keine Wissenschaft ist.
So will es der Verfasser denn in den Kauf nehmen, daß durch diese
Zutaten der Schein äußerer Gelehrsamkeit erweckt wird, dem er sonst,
so weit er kann, aus dem Wege geht. — Die erste Auflage des Buches
hat den germanischen Göttern manchen neuen Freund gewonnen, und
eine Minderheit von Gelehrten, darunter allerdings einige an führender
Stelle, haben sie berücksichtigt und dankbar verwertet. Vielen galt
das Buch als verdächtig oder sie glaubten sich der Mühe überhoben hineinzusehen
, weil es zugleich an Gelehrte und Ungelehrte sich wendet.
Wäre die Zeit doch wieder nah, in der, wie in den Tagen Jakob
Grimms und Ludwig Uhlands, der Gelehrte als Künder des besten
deutschen Geistes seines Amtes walten darf, für alle, die jenes Geistes
reinen Hauch spüren!
Wichtige Werke und Untersuchungen zur germanischen Mythologie:
Jakob Grimm, Deutsche Mythologie ('Göttingen 1835, '1844, 11875
—78 mit Nachträgen von E. H. Meyer). —Ludwig Uhland, Der Mythus .
von Thor (Stuttgart 1836), ders., Schriften, Bd. s u .7 (Stuttgart 1865). —
karl Müllenhoff, Die Germania des Tacitus (Berlin 1900). —Wilhelm
Mannhardt, Wald- und Feldkulte ('Berlin 1904). — Sophus Bugge,
Studien über die Entstehung der nordischen Götter- und Heldensagen
(München 1881 —89). — Edward Tylor, Primitive Culture (4 London
1903). — J. G. Frazer, The golden Bough or Balder the Beautiful
(2 London 1900, 'London 1911 ff.). — Axel Olrik, 0m Ragnarök, I, II
(Kopenhagen 1903, 1914) (jetzt übersetzt von Wilhelm Ranisch, Berlin
1923). — Ders., Danske Studier (ebda., seit 1904). — Ders., Nordisk
Aandsliv i Vikingetid (ebda. 1907). — Wolfgang Golther, Handbuch der
germanischen Mythologie (Leipzig 1895). — Eugen Mogk, Mythologie
(in Pauls Grundriß der germanischen Philologie, III, 320ff., Straßburg
1898), ders., Mythologische Artikel in Hoops Reallexikon der germanischen
Altertumskunde (Straßburg 1911-1919). — Paul Herrmann,
Nordische Mythologie (Leipzig 1903). — Ders., Deutsche Mythologie
(ebda. 1906). — Richard M. Meyer, Altgermanische Religionsgeschichte
(Leipzig 1910). —karl Helm, Altgermanische Religionsgeschichte I (Heidelberg
. I. 19
1913), vgl. Vf. Deutsche Literaturzeitung 1913, 2180ff. — Gudmund
Schütte, Dänisches Heidentum, Heidelberg 1923. —
Erster Abschnitt
1. Kapitel
S. 11 ff. Beste Übersicht über die germanische Überlieferung bei Helm
S. 63—125; Helm behandelt auch zum erstenmal mit großer Umsicht und
Zurückhaltung die vorgeschichtlichen Zeiten der germanischen Religion
(S. 126—245).
2. Kapitel
S. 13. Über den Namen tiuz (ein Stern vor dem Namen bedeutet,
daß die Form nicht überliefert, sondern von den Sprachforschern aus den
Lautgesetzen erschlossen ist) Helm 270 und Anm. 73. Schütte, Dänisches
Heidentum (Heidelberg 1923) 74. — über Nuada, R. Much, Der germanische
Himmelsgott (Festgabe für Richard Heinzel, Leipzig 1898) 217.
— Stellen bei Tacitus: Hist. 4, 64, Ann. 13, 5f., dazu auch Helm 269
u. Anm. 69. — S. 15. Cyuari usw. Much a. a .O. 192f. — Die Lesung
Ziesburc für Augsburg ist eine Verlesung, es muß heißen Aesburc, das
ist Augsburg, J. Miedel, Archiv für die Geschichte des Hochstiftes Augsburg,
Bd. 5. — Semnonen, Tacitus, Germ. c. 39, Helm 306f., bes. 307 u.
Anm. 35, u. 334, Müllenhof 457ff. — S. 15. Heilige Haine, Helm 287 u.
Anm. 119, Müllenhoff 200 ff., Golther 592. — Fosite, Golther 387 u.
Anm. 2. — Balder, Name, Golther 366 Anm. 3. — Gott als Herr,
Friedrich Heiler, Das Gebet (München 1918) 127, Schütte 114. Gustav
Neckel, Die Überlieferungen vom Gotte Balder 133. — Sahsnot, Golther
213 Anm. 3. — S. 16. Vater Himmel, Heiler 105, 124f. — Fesselung
in der Schlacht, Plutarch, Marius c. 27. —Walburg, E. Schröder, Archiv
für Religionswissenschaft (A. Rel.) 19, 196 f. — S. 16. Menschenopfer,
Eugen Mogk, Abhandlungen Sächs. Gesellsch. der Wissenschaften 27, 603 ff.,
A. Rel. 15, 422f. —Opfer an Sonnengott, Frazer 21, 142f., 233f, 278f.,
2, 1f., 3, 134f., Preuß, Globus 86, 108, Friedrich Kauffmann, Balder
(Straßburg 1902). — S. 19. Mars Thingsus, Helm 366 u. Anm. 80, Much
S. 194. — Jupiter als Verleiher des Sieges und als Schützer des Rechts,
Wissowa, Religion der Römer (2 München 1911) 118. — Sondergötter,
Hermann Usener, Götternamen (Bonn 1895), Axel Olrik, Nordisk Aandsliv
29, Heiler 97f. — Mars Halamardus, Helm 365. — S. 20. Zeugnisse
des Procop und des Jordanes, Golther 202 Anm. 4, 203 Anm. 5. —
Runenreihe, v. Friesen, bei Hoops s.v. Runen, v. der Leyen und Wolfskehl,
Älteste deutsche Dichtungen ( Leipzig 1924) 190f., Magnus Olsen,
Edda (Christiania 1916) 5, 225 f. F. R. Schröder, German Roman. Monatsschrift
10, 7i 4. — S .21. Er, Erch, Friedrich Kluge, Etymologisches
Wörterbuch (Straßburg 1911) '119, Andreas Schmeller, Bayrisches
Wörterbuch l, 127. Sahsnot, Müllenhoff, Schmidts Allgem. Zeitschr. f.
Geschichte 8, 249, Much 225f., Golther 213. — S. 22. Eid auf Schwert,
Golther 548, Frazer 1, 164. — Silberner Arm des Nuada, Much 217,
Indischer Spruch: Der Sonnengott stützt bei seinem Untergang sich auf
feine Strahlen wie auf Hände, Quel Olrik, Ragnarök 2, 162 führt ohne
Zitat an, daß bei den Indern ein Wolf dem Sonnengotte Surja die
Hand abbeißt, F. R. Schröder (Paul Braune), Beitr. 43 (Halle 1918), 219f.
— S. 23. Sage vom Sonnenwolf, Vf., Der gefesselte Unhold (Prag 1908),
Axel Olrik a. a. O. 91f. — S. 24. Zweiter Merseburger Spruch, E. v. Steinmeyer
, Kleinere althochdeutsche Sprachdenkmäler (Berlin 1917) 365f.,
Ehrismann, Gew. d. althochdeutschen Literatur, München 1918, 96 f., Vf.,
Bayrischer Heimatschutz (München 1912) 51, 105f. — R. Christiansen,
Die finnischen und nordischen Varianten des zweiten Merseburger Zauberspruchs
(Helsingfors 1915), dazu Vf., Bayrische Hefte für Volkskunde 6
(München 1920), 243. — Wenn die viel umstrittenen Verse des Hildebrandsliedes
wirklich gelautet haben: Wet Tiu irmingot obana af hevane dat
du neo dana halt mit sus sippan man dinc ni gileitos, d h. das weiß
der große Gott Tiu oben vom Himmel herab, daß du trotzdem mit
einem so nah versippten Mann eine Verhandlung nicht führtest, so
würde in dieser, ursprünglich gotischen Dichtung, Tiu angerufen als der
große Gott, als der Gott des Himmels, in einer Rechtsfrage, unter versippten
Leuten, und wir hätten dann eines der wertvollsten Zeugnisse
für Tiu aus der gotischen Zeit. Leider ist die Lesung wet Tiu sehr unsicher.
Baeldaeg, Golther 366 Anm. 3. — Ull, Axel Olrik a. a. O. 2 ,235, Magnus
Olsen, Hedenske kultminder I Nordiske stedsnavne (Christiania 1915) 66,
151, 188, 197, 201, 283, Schütte 76. - S. 26. Namen und Beinamen
der germanischen Götter, die Geschichte, die Triebkräfte und die Gesetze
ihrer Bildung sind bisher im Zusammenhang noch nicht erforscht, eine
besonders schmerzliche Lücke in der Wissenschaft der germanischen Mythologie
, die hier noch viel von Hermann Useners Götternamen lernen
könnte. Interessante Vorarbeiten bei Schütte 36 f., 67 f., 119, Arkiv 37, 277 f.
3. Kapitel
S. 27. Latona usw., Bugge a a. O. 24. Adam von Bremen 4,
26, Golther 255 Anm. 2. — Jupiters Wagen, Golther 248. — Opfer
von ?liten in der Bronzezeit, Helm 187 f. — S. 28. Ring von Pietroassa,
Ferdinand Loewe, Indogermanische Forschungen 26 (Straßburg 1910),
203 f. — Thor, der Ase, F. R. Schröder a .a. O .243. — S 29. Deutsche
Zeugnisse über Donar, Golther 243 Anm. 4, ebda. die Stelle aus der vita
Bonifatii, kultische Ortsnamen bei Geismar, Wilh. Arnold, Ansiedelungen
und Wanderungen usw. (Marburg 1875) 63. — Blitz und Eiche, Franz,
Die kirchlichen Benediktionen im Mittelalter (Freiburg 1909)2, 38: Die
Griechen sahen in allen Dingen Schutz gegen Blitzgefahr, in welchen sie
sich den Feuer- oder Blitzdämon lebend und wirkend dachten, so im
Lorbeerbaum, in der Eiche, in der Linde oder im Holz eines vom Blitz
getroffenen Baumes. —Frazer a. a. O. ' 2, 349 f. stellt fest, daß nach der
Meinung vieler indogermanischer Völker der Blitz- oder Himmelsgott
in der Eiche hauste, sah aber den Grund nicht, den Vf. im deutschen
Sagenbuch ' 1, 163 zuerst mitteilte. Warde Fowler, A. Rel. 16 (1913),
317 f., fand dann selbständig den Grund, vgl. auch Oldenberg, Veda 111 a.
5. — S. 30. Herkules, Tacitus Germ. 3. 9, Ann. 2, 12, Golther 224,
Anm. 1, Helm 274. Schütte 76 setzt den Herkules dem keltischen Herkules,
dem preußischen Perkunos, dem indischen Pardschanja (Oldenberg, Veda,
228), dem nordischen Fjörgyn gleich. Die Verwandtschaft bezieht sich aber
nur auf den Namen, nicht auf Wesen und Taten, und die sind das Entscheidende.
— Barditus, Müllenhoff 134ff. E. Norden, Die germanische
Urgeschichte in Tacitus Germania, Leipzig 1920 u. 22, S. 117 bespricht
den Bericht des Tacitus über den Barditus in seinem Zusammenhang
mit der antiken Ethnographie, besonders mit Poseidonios. — S. 32.
Hercules barbatus, Helm 363. Glaube an Haar, Vf., Register zum Märchen
' (Leipzig 1917). — Hercules magusanus, Helm 363 f., Vf., Deutsche
Lit .-Ztg. 1913, 2188. Norden 173ff., bes. 175 hält den Hercules
magusanus für Siegfried, doch daß damals schon Siegfried am Niederrhein
bekannt war und in Liedern gefeiert wurde, ist gegen jede Wahrscheinlichkeit.
Zu Haewa: im Grabe des Westgotenkönigs Theoderich
fand man einen Ring mit der Inschrift heva. (Albr. Haupt, Die älteste
Kunst der Germanen, 2. Aufl., Berlin 1923, 41.) —Nordendorfer Spange
s. Lit. zu (3.44. — S 33. Donarsegen, Steinmeyer a a. O. 380, G. Ehrismann
Geschichte der althochdeutschen Literatur (München 1918) 108.
S. 35. Brücke. Edw. Schröder, bei Hoops s. v. Brücke. — Krankheiten als
Geschoße, Golther 124, 132, Grimm ' 1192. S. 36. Literatur über Germanen
, Lappen usw., Magnus Olsen a. a. O., Edgar Reuterskjöld, De
nordiska Lapparnes Religion (Stockholm 1912), Quigstad in den k. norske
Videnskabens Selskaps Skrifter (Christiania 1910), W. v. Unwerth, Germanistische
Abhandlungen 37 (Breslau 1911). Axel Olrik, Danske Studier
1905 —07 S. 38. Midgardschlange, Axel Olrik, Ragnarök 2, 130.
S. 39. Runze, O. Jirizek, Deutsche Heldensagen (Straßburg 1898)1, 185f.
— Andere Deutung der Hrungnisdichtung bei Helm S. 198, dagegen
Vf., Deutsche Lit .-Ztg. 1913, 2188, Altertümliches in Hrungnisaga, Axel
Olrik, Danske Studier 1905, 129. —
4. Kapitel
S. 41. Zeugnisse Wodan-Merkur, Helm 259 Anm. 42, 359 (Kultstätten)
, J. Kemble, The Saxons in England (London 1876) 1, 335f.
(3.42. Deutung von Wode, Helm 262 f., ebda. über Wilde Jagd, dazu
noch F. Ranke im 4. Band des Deutschen Sagenbuchs, Axel Olrik, Dania
(Kopenhagen 1903) 8, 139ff., vgl. ferner die grandiose Schilderung im
1. Bd. von Selma Lagerlöfs Jerusalem. S. 43. Daß Wodan und
Merkur als Handelsgötter sich gleichen, ist sehr zweifelhaft (gegen Helm
264 f. Norden, S. 53, über die Angabe des Tacitus: deorum maxime
M. colunt, N hält sie für entlehnt aus anderen Autoren. Mercuri
Channini, Th. Siebs, Zeitschr. f. deutsche Philologie 24, 145 f., Helm 357.
—Requalivahanus, Helm 375. — S. 44. Esus und Wodan, Helm 361. —
Mercurius Cimbrianus, Helm 318. —Nordendorfer Spange, Vf., Zeitschr.
f. Volkskunde 25 (Berlin 1915), 136 f., Unwerth ebda. 26, 81 f., S. Feist,
Zeitschr. f. deutsche Phil. 47 (1916), 5f., will logathore umkehren und
ero tha gol (Erde sang da) lesen. Aber warum sollen die Zeichen gerade
in dieser Reihe rückwärts zu lesen sein, wie kann es im 7. Jahrhundert
Wan ero und im 8. noch eru heißen? Außerdem wird die Erde bezaubert,
sie bezaubert aber selbst nicht, und wen und was sollen denn Donar und
Wodan weihen? — Die Achillesferse bei des Vf.s Deutung bleibt das
thore, es muß etwas wie "Verursacher, Bewirker" bedeuten, ob es aber
das Suffixe -tor ist, oder verwandt mit dem Stamm in thuris: Riese,
oder in thora: wagen, stark sein, oder mit einem anderen, bleibe dahingestellt
*
. — Die Herleitung luhthurar, Lodurr wird jetzt von F. R.
Schröder, Germanisch-Romanische Monatsschrift, 10, 8, il bestritten.
Die Bedeutung des Suffix-tor für die Bildung von Götternamen im
Indischen und Römischen hebt Oldenberg, Religion des Veda, 61, 63
hervor. — Magnus Olsen, Arkiv 37, 201, 225 ., 232, in einer für
die Erkenntnis des Runenzaubers wichtigen Abhandlung, vermutet, daß
eine Hauptabteilung der Inschrift auf dem Rökstein eine Potenzierung
der Formel wigi Thonar sei. — Zu Wodan als Flammengott vgl. die
Anmerkung zu S. 265. — S. 45. Jonas von Bobbio, Golther 298
Anm. 1. — S. 47. Ofni und Swafni, Herrmann, Nord. Mythol. 402. —
Origo gentis Longobardorum, Monumenta Germaniae, Leges IV, 641,
Golther 299 Anm. 2, dazu W. Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen
im Mittelalter 1, '178 Anm. 1, vgl. ferner Edw. Schröder, Kaiserchronik
14877, J. Bédier, Legendes épiques 3, 327. — Albrecht Haupt,.
Baukunst 167, (Haartracht). — S. 48. O. Dähnhardt, Natursagen Bd. 3,
4 (Leipzig 1910, 12). -S. 50. Gambara, E. Schröder, A.-Rel. 19, 198. —
Zuerst ausstehen, Dähnhardt a. a. O. 3, 146, 489, Mannhardt a. a. O.,
passim z. B. 341f. —Deutung der Longobardensage, vgl. auch das zu
S. 140 in den Anmerkungen über Wölsi Angedeutete. —Pekko, Olsen 111,
Helm 324 Anm. 85. —Neckel 201ff. vergleichet die Longobardenfabel mit
jener Szene aus der Ilias Buch 14, in der die Himmelsgöttin den
schlafenden Himmelsgott überlistet und ihrer Partei den Sieg gibt. Diese
Übereinstimmung erstreckt sich aber nur auf den Rahmen und nicht auf
den Inhalt und den Aufbau (aetiologischer Schluß!) des Liedes, und
wenn wirklich ein Zusammenhang beider Einleitungen besteht, so kann
der lombardische Spielmann auf italienischem Boden leicht die antike
Götterfabel gehört haben. Ein uraltes thrakisches Lied als Quelle für
Homer und für die germanische Szene würde ich nicht annehmen. — S. 51.
Spielmannsdichtung, v. der Leyen u. Wolfskehl 203. — Wodan in England
, J. Kemble, The Saxons in England (London 1876) i, 338 f., M.
Chadwick, The cult of Othin (Cambridge 1899) 29f. — S. 53. Wodan,
Gott gewordener Zauberer, Heiler a. a. O. 102 zitiert Codrington, The
Melanesians 125 f.: Der Totengeist, den man allgemein verehrt, ist der
Geist eines Mannes, der zu seinen Lebzeiten Mana besaß, die Seelen
der gewöhnlichen Menschen dagegen sind die gewöhnlichen Herden von
Geistern, Hüllen vor wie nach dem Tod.
5. Kapitel
S .54. Nerthus Tacitus, Germ. c. 40, Übersetzung von J. u. W. Grimm in
ihren deutschen Sagen, Helm 311 f., Mannhardt 1, 562 f., Seeland und
Nerthus, Helm 319. — Gebete an die Erde, Grein-Wülker, Bibliothek der
angelsächsischen Poesie (1883)1, 312 f., Golther 577 Anm. 1, 455 Anm. 1. —
S. 55. Mutter Erde und Vater Himmel, A. Dieterich. Mutter Erde
(Leipzig 1905) 13f. — S. 57. Name Nerthus: Erich Berneker schreibt
dem Vf., "die Zusammenstellung von germanischem Nerthus, altisländisch
Niördhr mit der keltischen Sippe, irisch nert: Kraft, Macht, kymrisch nerth,
gallisch Nertobriga, die Fick 1, ' 193 bietet, halte ich für unrichtig. Die
keltischen Wörter sind eine Ableitung des indogermanischen Wortes für
Mann (griechisch greg usw.), vgl. Curtius Grundzüge der griechischen
Etymologie 306f., Pedersen, vgl. Grammatik der keltischen Sprachen 1,
136. Die germanischen Wörter weisen auf ein Formans -tu, das seit
urindogermanischer Zeit Verbalabstrakta bildet. Diese konnten durch
Personifikation auch zur Bezeichnung des Handelnden werden, so z. B.
altisländisch vördhr Wacht und Wächter, gotisch hliftus, ursprünglich Diebstahl,
dann Dieb, vgl. Brugmann, Grundriß 2, 1, 440 f., ner von grec
und Verwandten ist als Verbalwurzel jedoch nicht zu belegen. —Wohl
bietet sich aber eine Verbalwurzel *ner im Baltisch-Slawischen dar, von
der Nerthus mit dem Formans -tu abgeleitet sein könnte, sie weist auf
die Grundanschauung "untertauchen, in der Erde verschwinden" Zu
dieser Wurzel *ner gehören litauisch neriu, nérti untertauchen, einschlüpfen,
naras Taucherente, lettisch flirt, nirtës untertauchen, nun Taucherente,
altkirchenslawisch niro, nréti ingredi, russisch nora, Erdhöhle, Loch usw. (die
slavische Sippe bei Miklosich, Etymologisches Wörterbuch 212). Germanisch
ner-thu-s bedeutete dann "Untertauchen, das in die Erde schlüpfen" und
"das in der Erde hausende Wesen" . Noreen, Lautlehre 209, zieht die
germanischen Götternamen zu griechisch grec die Unteren, grec (v),
unterhalb usw., zu denen auch umbrisch nertru ,sinistro ', altisländisch
nordhr, Norden gestellt wird. Diesen liegt, wie auch Brugmann, Grundriß
2, 1, 323f., annimmt, ein Adverb lokaler Bedeutung, etwa *(e)ner,
zugrunde. Ob dies mit der Verbalwurzel *ner ,tauchen, schlüpfen ' zusammenhängt,
ist schwer zu sagen, mir aber unwahrscheinlich." — Auch
J. Löwenthal Arkiv 32, 299, verwies zur Etymologie von Nerthus
u. a. auf litauisch neriu, nerti. — Sonnenwagen usw., Helm 176f.,
296 Anm. 133. Schütte, 70f. — S. 58. Rinder als Zugtiere, Müllenhoff
472, wenige und unsichere Belege, Axel Olrik, Gefjon, Danske Studier
1910, 1f. Schütte 89. — Magna mater, Dieterich a. a. O. 83. — Regenzauber,
Helm 315 Anm. 48 glaubt nicht an Regenzauber, trennt aber
nicht die Waschung von dem Stürzen der Knechte in die See, vgl. auch
Löwenthal, Arkiv a. a. O. S. 50. — Umzug des Frey, Golther 229.
Andere Deutung, mich nicht überzeugend, bei Schütte, 104f. — S. so.
Niederländische Feier, Golther 457, Grimm '748, Nachträge 1225.
Umzüge im Pinzgau, Vf., Bayr. beste f. Volkskunde 3 (München 1916),
16. — S. 62. Verlegung von Festen, Eugen Fehrle, Deutsche Feste und
Volksbräuche (Leipzig 1916), viele Beispiele. — Altenglisches Runenlied
, Axel Olrik, Danmarks Heltedigtning (Kopenhagen 1903) 1, 258 f.
— S. 63. Isis, Helm 309, 383f., F. Kauffmann, Beiträge 16, 217f.
Nehalennia, H. Güntert, Kalypso (Halle 1919) 58f., schlägt eine neue
Etymologie vor, *neh-halennia, die Totenbergende, und erklärt Nehalennia
für eine Göttin des Jenseits und der Toten, der Hel verwandt.
Aber die Herrscherinnen im Reich der Toten sind im Germanischen nie
Göttinnen der Fruchtbarkeit; Gottheiten der Erde und Gottheiten der
Unterwelt werden stets geschieden. Auch deutet die Verhülltheit der
Nehalennia auf ihren Bildern nicht auf eine Unterweltsgöttin, auch
Nerthus ist verhüllt und Verhülltheit ist oft nichts als ein Symbol der Unsichtbarkeit.
Ebensowenig braucht der Hund auf dem Schiff der Nehalennia
ein "Höllenhund" zu sein oder ein "Leichenhund", er bewacht nur
die Schätze der Göttin. — S. 64. Schiffsumzug in Inden, Golther 467
Anm. 1, R. Eisler, Bayr. Hefte f. Volkskunde (1914 .) i, 209 f. 2, 73f.
S. 65. Androgyne Gottheiten, magna mater androgyn, Dieterich a. a. O.
82, andere androgyne Gottheiten Wilhelm Hertz, Gesammelte Abhandlungen
(Berlin 1905) 413, 421, Heiler a. a. O. 117, 434. — Edw. Lehmann,
Maal og Minne (Kopenhagen 1919) 1f., verweist auf Götterbilder
auf uralten nordischen Felsenzeichnungen (helleristningar), die Fruchtbarkeitsgötter
darstellen und Wesen sind mit starkem Phallus und gleichzeitig
mit stark ausgebildeten weiblichen Brüsten und Brustwarzen. —
Fjörgyn, Much, Himmelsgott 205. Tuisto, Norden, 48 a 3; Tuisto müsse
nicht androgyn sein; vielleicht sei er ein mit sich selbst gedoppelter Gott (?)
— S. 66. Altenglischer Priester auf Stute, Golther 618. Frauen im Kult
der Götter Neckel, Balder 166. —Zeus als Sohn der Erde, Dietrich 38,
Heiler 123f. — S. 67. Lachs, Dähnhardt 2, 252. 3, 54. — Thor wirft
Thiazis Augen als Sterne in den Himmel, so in den Harbardsljodh, Str. 19.
6. Kapitel
S. 68. Alcis Tacitus, Germ. c. 43, Helm 321 f., Bethe in Pauly Wissowa
Realencyklopädie ' 5, 1, 1087 f., Magnus Olsen 255 f, Löwenthal, Arkiv
32, 286, Johannson ebda. 35, 1f. Oldenberg, Veda, 207, 212f. — um
das Problem der Alcis hat sich die Forschung seit Helms Ausführungen
wieder lebhaft bemüht. Vf. hat das ihm Einleuchtende aus ihren Arbeiten
dargestellt und mit den Ergebnissen eigenen Nachdenkens verbunden.
Er steht den meisten der neuen Vermutungen skeptisch gegenüber.
Daß das mit alcis verwandte lettische Wort elks, "Götze, Gott", holzgewnitzter
Gott bedeutet (vielleicht ist lettisch elks abgeleitet, litauisch
elkas, alkas: heiliger Hain, Hain das Ursprüngliche, Erich Berneker), daß
man sich demgemäß unter den Alcis holzgeschnitzte Götter zu denken
habe und daß ihre Namen Raus und Rafts waren, scheint ihm ein
Schreiten von unbeweisbaren Voraussetzungen zu unbeweisbaren Folgerungen
. Das wandilische Königsgeschlecht der Hazdinge ferner, das seit
Müllenhoffs kühnen Kombinationen immer wieder mit den Alcis in Verbindung
gebracht wird, braucht mit den germanischen Dioskuren nicht zusammenzuhängen
. Noch weniger braucht hazdingos, "die mit Frauenhaar
geschmückten" zu bedeuten, wahrscheinlicher ist der Sinn, "die mit langem,
starkem männlichen Haar geschmückten", man vgl. unsere Ausführungen
zu Thors Bart (S .32) und zu der Longobardenfabel (S. 48). Am
wenigsten aber darf man die weibliche Haartracht der Hazdinge
als den muliebris ornatus des Alcis Priesters erklären, vgl. auch Vf.,
Deutsche Lit.-Ztg. 1913, 2187. S. 69. Pferd als Tier der Fruchtbarkeit.
Strophen vom Wölsi, A. Heusler, Zeitschr. f. Volkskunde 13, 24 f.,
R. Much, Himmelsgott 258, 276, E. Mogk bei Hoops 2, 29. — F. R.
Schröder, Germ.-Rom. Monatsschrift 10, 9f. — S. 70. Asen, Helm 226
Anm. 133. — Hengist und Horsa, Haupt, Baukunst, 281 a 1: es ist von
eigenartiger Beziehung, daß die beiden gekreuzten Pferdeköpfe auf den
Giebeln niederdeutscher Häuser noch vor einem Menschenalter in Holstein
(Gegend von Rendsburg) bei den Bauern Hengist und Hors genannt
wurden. —Ingäwonen Helm 329 S. 7 2. Heimdall, Vf., Sagenbuch
2, 311 f. — Dadsisas, G. Graber, Zeitschr. f. österr. Gymnasien 63
(Wien 1912), 493 f. — Elben, Golther 125, v. Unwerth, Germanist.
Abhandlungen 37, 30, 51 ff. — S. 73. Pekko etc., Olsen 106ff., Axel
Olrik, Danmarks garnle Heltedigning 1, 223. 2, 254. v. unwerth, Arkiv
33, 320, stellt auch Fjölni in diesen Zusammenhang.
7. Kapitel
S. 74. Überwiegen der Göttinnen, vgl. auch Schütte 92. — Frija,
(holther 429 Anm. 1. — S. 75. Fulla, ebda. 435, Vf. liest Gylfaginning c. 35
ferr Ijös har. Göttin der Fülle schon indoiranisch Oldenberg, Veda, 63.
— S. 75. Sunna, Helm 173f., 256f. Schütte 70f. — S. 76. Friggs und
Menglöds Gefolge, Golther 434 Anm. 1, Schütte 95. — S. 77. Tamfana,
Helm 299f. —S. 78. Hludana, Helm 380, anders Güntert a. a. O. 60, dieser
begeht aber wieder den mythologischen Fehler, die Totengöttin mit der
fruchtbringenden Erdgöttin zu vermischen. — S. 79. Garmangabis,
Helm 373, Much, Himmelsgott 263. — Vercana, Helm 374. Idhun Idennica
Schütte 96. —Baduhenna, Helm 304, Güntert 58 Anm. 4 —Vag-
davercustis, Helm 377, Much, Zeitschr. f. deutsches Altertum 55 (Berlin
1914), 284f. — Bacta, Vegdeg, Kemble a .a .D 1, 335 Anm. 1. — S .80.
Sandraudiga, Helm 383. — Vihansa usw., Helm 376. — Idise, Helm
305 Anm. 28, Günterts Deutung 245 Anm. 3, als tiefftufige jo Weiterbildung
zu etah, schimmernd, schillernd, bunt ist mythisch unmöglich, die
Idise sind "dunkle" Gottheiten. — S. 81. idisiaviso -disin, Olsen 90. —
Merseburger Zauberspruch, R. Meißner, cuoniowidi in Festgabe für Bezold,
Bonn 1920, 126 f., bes. 138. — Lockern und Anziehen der Fesseln, Kemble
a. a. O. 1, 333, Heinzel Detter, Edda (Leipzig 1901) 2, 146. — Blutgier
und Grauen in der Vorstellung von den Walküren, Gustav Neckel, Walhall
(Dortmund 1914) 74f. — S. 82. Matronen, Helm 391 f., Lit. 391
Anm. 5, W. Schulze, Zeitschr. f. deutsches Altertum 54, 172. Schütte 37 f.
— S. 84. Verehrung der Wassergeister, Helm 306, Golther 179, 561.
8. Kapitel
S. 86. Riesen als Weltschöpfer, Riesensagen im Deutschen Sagenbuch,
Bd. 4, 216f. — Schöpfung der Welt aus Urriesen, R. M. Meyer,
Zeitschr. f. deutsches Altertum 37, 1f., Heiler 143f., A. Rel. 18, 378f.,
Goethe, Jubiläumsausgabe 40, 36 f. — Wessobrunner Gebet, Steinmeyer
16f., Ehrismann 131, Wolfskehl u. v. d. Leyen 186. — S. 87. Entstehung
der Menschen, Snorri Gylfaginning, c. 5 f. — Ask und Embla,
Frazer 1, 188, Helm 163 Anm. 45, die Bedeutung von Embla ist nicht
ganz sicher. — S. 88. Batawer Tacitus Hist. 4, 22. — Helme der Cimbern,
Plutarch Marius c. 25. — Tierverehrung bei Germanen, Frazer
22, 263 f., 3, 416 f., Heim 157 f. u. Anm. 29. Stierverehrung bei Cimbern,
von Plutarch (Poseidonios) erwähnt, durch den Fund des Kessels von
Gundestrup bestätigt, ist gallischen Ursprungs. Schütte 87; ebenso der
hirschhörnige Gott auf dem Horn von Gallehus ebda. 88. — S. 89.
Tierornamentik bei Germanen, Bernhard Salin, Die altgermanische Tierornamentik
(Stockholm 1904), bes. 177. — Feuersagen, L. v. Schröder,
Germanische Götter und Elben beim Esthenvolk (Wien 1906, Sitzungsberichte
der Akademie) 1f. — Wassersagen, Vf., Germanist. Abhanglungen
für Paul (Straßburg 1902) 143 f., Dähnhardt 3, 92f., 222. —
S. 90. Regenbogen, Hermann Gunkel, Genesis (Göttingen 1901) 138,
Axel Olrik, Danske Studier (1905) 47, Goethe, Jud. -Ausg. 40, 124. —
Furcht vor Mondfinsternis bei Germanen, Zeugnis des Hrabanus Maurus,
Ehrismann S. 52. — S. 91. Gefesselter Unhold, oben zu S. 23. — S. 93.
Erdbebensagen, Much, Himmelsgott 221, sonst vgl. bes. Axel Olrik, 0m
Ragnarök 2, namentlich 137f., Olrik geht aber zu weit, wenn er alle
Sagen vom gefesselten Unhold aus Erdbebensagen ableitet. — Runenreihe
vgl. oben zu S. 20.
9. Kapitel
S. 94. Wald als Tempel, Golther 592 f., Helm 235, 287. — Erlebnis
des Drusus, Helm 285 Anm. 114. — S. 95. Weltenbaum und Irminsul
Axel Olrik, Ragnarök 2, 231 f., Greßmann, Gilgamesch (Göttingen 1910)
100f., 114f., Marx-Hausrat, Griechische Märchen (Jena 1912) p. X. —
S .96. Tacitus über Tempel bei Germanen, Germania c. 9, dazu Müllenhoff
200, Kemble 1, 333, Golther 595, Helm 287 Anm. 20, Kauffmann,
A.-Rel. 15, 600 f., sehr schön O. Spengler, Untergang des Abendlandes
(1 München 1919), S. 555 über das Wälderhafte der gotischen Dome. —
Götterbilder, Mogk, bei Hoops 2, 312. Die Bilderreihen auf den großen
goldenen nordischen Trinkhörnern, die in Gallehus gefunden wurden und
aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. stammen, hat die Forschung wiederholt
als Reihen von Götterbildern gedeutet, zuletzt am beachtenswertesten
Axel Olrik, Danske Studier 1918, —34, dort auch Abbildungen; dazu vgl.
Schütte 131. Vf. kann sich durch diese Versuche nicht überzeugen lassen:
sie setzen ein System der germanischen Religion voraus, das im 4. Jahrhundert
n. Chr. nicht bestand, widersprechen unsren Nachrichten, lassen
manche Szenen ohne Erklärung, müssen zu der Annahme sich entschließen,
daß dieselben Götter bald mit diesen, bald mit jenen Attributen abgebildet
werden, daß es dreiköpfige Götter gab; sogar Thor soll mit drei
Köpfen abgebildet sein usw. Wahrscheinlicher ist es, daß ein Künstler auf
einem Trinkhorn, wie wir es oft auf Bildwerken des späteren Mittelalters
beobachten können, phantastische Szenen aus Jagd und Krieg
darstellte. — S .97. Verehrung mehrerer Götter auf einem Gebiet: Arnold
64, Kemble 1, 351 Anm. 1, Olsen 157. —Zeit der Götteropfer, Golther
583. — S. 98. Allerseelentage, Helm 295, Golther 586, Erwin Rohde,
Psyche (2 Tübingen 1898) 1, 235f. Opfer, vgl. oben zu S. 18, Müllenhoff
244, Golther 563, Helm 293, R. Andrée, Votive und Weihgaben
147 f. und jetzt vor allem die wundervollen überreichen Sammlungen
und Untersuchungen von karl von Amira, Die germanischen Todesstrafen,
Abhandlungen der Bayrischen Akademie der Wissenschaften, philos. Klasse
XXI, 3. München 1922. — Schlachtfelder, Müllenhoff 215, Golther 553.
Schütte 149, auf dem Kessel von Gundel ist ein Opfer abgebildet.
— S. 99. Tierbilder als Opfer, Golther 565 f. — Gebet, Golther 559.
— S. 100. Prokop, Grimm '2, 692, Beowulf, Deutsches Sagenbuch 2,
37 f. —Grabbeigaben, Sophus Müller, Nordische Altertumskunde (Straßburg
1897), 1, 363, 471, Helm 165f., Richard Andrée 5f., Marie Andree-Eysn
142 f. — S. 101. haljurunnas, Müllenhoff 45, Golther 645 Anm. 1,
Ehrismann 40 Anm. J. — Sehr ähnliche Beschwörungen bei den Herero,
Heiler 120. — Leichenverbrennung, Helm 148f., 251, Schütte, 23f. —
Wahrsagende Vögel, Golther 639 Anm. 2, 640, Müllenhoff 229, Otto
Waser, A. Rel. 13, 244 f. — S. 102. Wahrsagung aus Stäbchen, Müllenhoff
209f., Golther 631, 636, 387 Anm. 3, Helm 280 S. 103. Zauberwirkung
der Runenreihe, Magnus Olsen, Edda 5, 225 f. Sigrdrifa, Detter
Heinzel 2, 433, Heusler bei Genzmer, Edda 2, 165. Name, Fafnismal,
Prosa zwischen Strophen 1 u. 2, Helm 39 Anm. 71, 102 f. — (3.104. Speichel,
Paul Herrmann 197, Sidney Hartland, Legend of Perseus (London
1894) 2, 258f. — Haupt, Chronicon Novaliciense 2, 12, R. M. Meyer,
Altgerm. Religionsgeschichte 73. Schädelkult, 91. Andrée, Zeitschr. f.
Volkskunde 22, 1f. —Fliege, Otto Waser, A. Rel. 13, 353, Güntert 226.
— S. 105. Wahrsagerinnen, Golther 567, 620 f., Helm 284 f., Schütte 38,
144. E. Schröder, A. Rel. 19, 199. Priesterinnen im Dienst der
Göttinnen, so schon R. M. Meyer 437, dagegen ohne die ganze Bedeutung
der germanischen Göttinnen erkennen, Helm 291. — S. 106.
Stellung der Priester, Golther 612, Helm 290, Schütte 146. — Fülle
der Namen, Heiler 143.
10. Kapitel
(3.111. Schicksalsglaube, Schütte 40f. — (3.113. Germanische und indogermanische
Sprachen, A. Meillet, Caracteres généraux des langues germaniques
(Paris 1917) 19f., 36f., 74. — Der Verfasser hält also die
hohen germanischen Gottheiten: Tiu, Wodan, Donar, Frija, Nerthus,
die Alcis usw. für Umbildungen aus indogermanischen Gottheiten, die
mit den Indogermanen zu den Germanen wanderten. Dadurch setzt
er sich in Widerspruch mit einer Meinung, die heute wieder viele Anhänger
besitzt, namentlich unter den Rasseforschern, die Heimat der Indogermanen
sei das nördliche Deutschland und die nordischen Länder. —
Die Götter, die in diesem Buch für vorindogermanisch erklärt werden, die
kleinen und behenden Wesen, machen allerdings, in ihrer Anmut und
in ihrer Beweglichkeit eher einen keltischen und romanischen als einen
germanischen Eindruck. In Wodan, Tiu, Donar, Nerthus fanden wir
dagegen unnachahmlich germanische und deutsche Eigenschaften. Aber
das Problem der Urheimat der Indogermanen ist heute so unlösbar wie
je, der einzelne Forscher kann aus seiner Wissenschaft nur die Möglichkeiten
zeigen, die er bei seiner Arbeit und seinen Überlegungen fand. —
Wie stark die Verwandtschaft des Donar und des indischen Indra ist,
das zeigt die Charakterisierung des Indra bei Oldenberg, Religion des
Veda (132ff., bes. auch 168), überraschend deutlich und vielfältig. Beide
die stärksten Helden unter den Göttern; die große Tat des Donar die
Eroberung des Blitzes, die große Tat des Indra die Besiegung des
Vrtra und die Befreiung der Wasser; beide Götter sind schöpferisch,
Indra hat die Sonne am Himmel befestigt, hat sie leuchten lassen, er
hat den Himmel mit seinen Stützen festgestellt, die Weiten der Erde
ausgebreitet," wie Thor hat Indra eine ungeheure Trinkkraft und er
ist wie dieser "der Größte der Großen, der Stärkste der Starken, heftig
und gutmütig, Trinker und Dreinschläger, lärmend, alles kurz und klemschlagend"
. —S. 114. Wodan als Gott der erobernden Stämme, Schütte 122.
Werden, nicht Sein das Wesen der Deutschen; darüber sehr schön Ernst
Bertram in seinem Werk über Nietzsche (Berlin 1918) 64ff. — Keltische
Einflüsse Schütte 87 f. — S 115. Orientalische Einfüsse auf Germanisches,
Much, Himmelsgott 264f., S. Singer, Anz. f. deutsches Altertum 26, 101
Anm. 1, vgl. auch zu S. 279.
Zweiter Abschnitt
1. Kapitel
S. 118. Siehe wieder die zusammenfassenden Übersichten von Helm,
bes. S. 77 —119. — Saxo Grammaticus, Ausgabe von Müller Velschow
(Kopenhagen 1838-55), von A. Holder (Straßburg 1885), Übersetzung
von Hermann Jantzen (Berlin 1900), von P. Herrmann (Leipzig 1901
und 1922), Axel Olrik, Kilderne til Sakses Oldhistorie (Kopenhagen
1892, 94), K.S.O. — Edda, Ausgaben von S. Bugge (Christiania 1867),
B. Symons u. H. Gering (Halle 1888 ), F. Detter u. R. Heinzel (Leipzig
1903), G. Neckel (Heidelberg 1914), Übersetzung von H. Gering (Leipzig
u. Wien, v. J.), der Vf. einige Versreihen entnommen hat, meisterhafte
Übertragung von F. Genzmer, mit Einleitungen und Anmerkungen von
A. Heusler (Thule, 2. Jena 1920). — Jüngere Edda, Ausgabe von E.
Wilken (2 Paderborn 1912), die Übersetzungen aus ihr sind vom Verfasser.
Der Anteil an Götterglauben und Göttersagen, den die verschiedenen
Länder (Dänemark, Schweden, Norwegen, Island) und den die verschiedenen
Zeiten (germanisches Zeitalter, Wikingerzeit, spätes Mittelalter
alter) haben ist nur zum Teil systematisch dargestellt und abgegrenzt. Axel
Olrik plante eine Eddische Mythologie; sehr beachtenswert ist Gudmund
Schütte, Dänisches Heidentum.
2. Kapitel
S. 122. Ty, Namen: Olsen, S. 197f. — Namen mit Ty in Dänemark
Schütte 75; vgl. das Dorf Ti-birke mit der Folge in der Runenreihe: Tiu
brica. — Diberc usw., Golther 212. — Sage vom Fenriswolf Gylfaginning
, c .34. — S. 125. Motive in Fenriswolfsage, Vf., Märchen in
Edda (Berlin 1899) 28f. u. gefesselter Unhold, Axel Olrik, Ragnarök 2,
157, 161 f. — S. 126. Haar und Fessel, Vf., Märchen in Edda a .a O.
u. Laßberg, Liedersaal 3, 122, 42, R. Petsch, Das deutsche Volksrätsel
(Straßburg 1918) 17 f. — Gaumenspere, Axel Olrik a. a. O. 2, 163, Cos-
E., Les Mongols (Njord 1914) 45f. —Verwandlung des Bandes
in Eisen und andere Einzelheiten, Aret Olrik 2, 49, 66, 91 f., 104 f. —
S. 127. Snorri über Balder, Gylfaginning, c. 22 (Charakteristik), c. 49
(Sage) Ortsnamen mit Balder, Neckel 97ff. — S. 131. Balders Rache, z.B.
in Baldrs Draumar, Edda, Ausg. v. Neckel 273. Balder wird nicht, wie
Vf. früher glaubte, des Menschen Sohn genannt. — S. 133. Husdrapa,
Carmina Norroena, ed Wisén (Lund 1886) 1, 29. — Schiff, das sich nicht
rührt, Sagenbuch 4, 51, 90, 197, 251, H. Günther, Legenden (Heidelberg
1911) 81, Martin zu Parzival 477, 16. (S. 365). — S. 134. Isländische
Baldersage, E. Mogk 97, Golther 379 Anm. 1, Herrmann, Nord.
Mythologie 401, Sydow, Danske Studier 1914, 18 Anm. 2. — Toldoth
Jeschu, Dähnhardt 2, 209 f., E. Mâle, l'art religieux du moyen âge (Paris
1908 243. —S. 135. Motiv vom übersehenen Ding, Vf., Märchen in Edda 22.
— S. 137. Sato, Axel Olrik, Kilderne til Sakses Oldhistorie 2, 13f. —
Nanna Name einer kleinasiatischen Göttin, Neckel 166. — (3.140. Baldersaga
und Wölsungasaga: Balder ist ein Gott der Fruchtbarkeit, des
Himmels und ein Held, von anderen Göttern beschützt. Wölsungr ist,
wie der Name Wölsi, s. oben S. 69, 70, zeigt, ein Wesen starker Geschlechtskraft
und ein Held — vgl. auch unsere Deutung der Longobardensage
— dessen Geschlecht die Götter beschützen. — Freys Schwert: G. Neckel,
Studien zu den germanischen Dichtungen vom Weltuntergang (Heidelberger
Akademie, Sitzungsberichte 1918 Heft 7). — S. 142. Frazer über
Baldersaga, s. Nachweise zu S. 18, Opfer an Sonnengott. — Die wichtigste
Untersuchung über Balder aus letzter Zeit ist die schon genannte
von Gustav Neckel, Die Überlieferungen vom Gotte Balder. Mit der
Baldersage geht es wie mit andern schweren Problemen, je genauer,
scharfsinniger und umsichtiger die Forschung vorgeht, um so dunkler, verschlungener
und unzugänglicher werden die erforschten Gebilde. Die von
mir gegebene Erklärung der Baldersage wird manchem als Notbau erscheinen
, den Verlegenheitslösungen nicht gerade verschönen, sie ist nichts
weniger als endgültig. Aber die kühnen und spannenden Kombinationen
Neckels haben meine Ansicht selten erschüttert. Ich gehe trotzdem genauer
darauf ein, weil sie von der späteren Forschung gestützt und bestätigt
werden können und meinem Bau die Stützen entziehen, vor
allem, weil sie, wie man sich auch zu ihnen stelle, ernsteste Würdigung
verlangen. Auf Neckels ausgezeichnete philologische, stilgeschichtliche und
literarische Beobachtungen sei ebenfalls verwiesen. — Daß neben
Balder als dem Gott der Fruchtbarkeit und des Wachstums auch andere
den Wanen verwandte Götter des Wachstums und der Fruchtbarkeit
standen, die dann in seine Dichtung gerieten und in der Wikingerzeit ins
Heroische umgebildet wurden, das ist einleuchtend: solche Gottheiten
waren Bous (Spuren seines Kultes, der orgiastisch war, Neckel 202),
vielleicht Vati wenn Vati eigentlich "der kleine Wane" (aus 'Wanila)
heißt und ein Sohn des Frey war (Neckel 207. Schütte 96. 110), und
Rindr (aus Vrindr, Neckel 212). Die Mistel, die Pflanze des Wachstums
und der Verjüngung, kann ursprünglich Balders Pfl-inze gewesen sein
und ihm geheiligt. (Neckel 175ff.) Mistel als Mißverständnis eines
Schwertnamens zu deuten, Weint freilich äußerlich und rationalistisch.
Aber wie die Mistel, die Spenderin der Jugend und des Lebens, zur
Todeswaffe wurde, das hat Neckel m. E. nicht erklärt. Wenn er sagt, die
Mistel als Schmarotzerpflanze hatte tötende Kraft, so bringt er für diesen
Glauben keine ausreichenden Belege, vor allem keine volkstümlichen
(S. 181), wenn er ferner sagt (S. 172 f.), das Werfen der Götter mit
Steinen nach Balder sei eigentlich ein Werfen mit der Mistel, das Werfen
sei eigentlich ein Schlag mit der Lebensrute und das habe man nicht
mehr verstanden, so Weint mir das wieder eine erkünstelte Annahme
und ersetzt ein wahrscheinliches Mißverständnis durch ein wenig wahrscheinliches:
im Volkstümlichen bleibt das Schlagen und Peitschen mit
der Lebensrute doch immer ein Schlagen und Peitschen in der Nähe
und verwandelt sich nicht in ein Werfen aus der Entfernung mit allen
möglichen beliebigen Dingen. — Wenn N. (S. 85ff.) schließlich an uralte
Sagen erinnert, in denen ein Held einen wunderbaren Zweig oder
ein Lebenskraut aus dem Jenseits holt, und wenn er behauptet, diese
Pflanzen galten, wie die Mistel, als tödlich, weil sie aus der Unterwelt
stammten, so kann ich das wieder nicht glauben: in diesen Jenseitsgeschichten
ist doch das Jenseits die Heimat des ewigen Lebens. — Einflüsse
kleinasiatischer und orientalischer Vorstellungen auf die Dichtung
von Balder und auf seine Gottheit scheinen mir sehr ungewiß. Die Bezeichnung:
Gott als Herr (Neckel 133) ist nicht so orientalisch, wie N.
glaubt (siehe zu S. 16 und siehe auch Oldenberg, 61 und 63, Götternamen
mit pati: Herr), auch Tiu und Wodan-Odhin gelten als Herren
und unbedingte Herrscher, die von ihren Anhängern die schwersten Opfer
fordern, Herren freilich in germanischem Sinn. — Balders Schönheit
scheint mir ebensowenig orientalisch (Neckel 138), sondern als die männliche
, blühende Schönheit des jungen Heros und des jungen Gottes, die
gerade indogermanische, jugendfrohe und jugendstarke Völker preisen, als
die Schönheit Achills, Siegfrieds, der Dioskuren, der Aschwins, der Alcis,
des Donar. Man vergleiche auch die Ausführungen von Gundolf in seinem
Buch über Stefan George. — Die Schilderung von Balders Bestattung
zeigt für mich noch immer die Merkmale irischer Phantasie (siehe oben
zu S. 262, Yggdrasil); stammen auch die Katzen Freyjas aus dem Irischen
(siehe oben S. 186)? An die Einwirkung kleinasiatischer Bildwerke, die
durch gotische Vermittlung nach dem Norden kamen (Neckel 47), kann ich
auch nicht glauben. Der Kessel von Gundestrup und die Goldhörner von
Gallehus zeigen ebenfalls Einwirkungen keltischer Kunst auf das Germanische.
— Das Weinen um Balder, der tiefe rührende Schmerz um
seinen Tod scheint mir durch den Einfluß des Christentums und, wenn
man den nicht für stark genug hält, durch den Einfluß der altenglischen
Elegie hinreichend erklärt: dieser wird ja noch im Wielandlied sichtbar
und verdankt manches dem Vergil und Ovid und damit dem Hellenismus
. Die Annahme der Nachwirkung orientalischer Kulte und Klagen
um den verstorbenen geliebten Gott ist ja zu erwägen; könnte diese Nachwirkung
aber das Heidentum der Balderdichtung so geläutert und so
mild und weich gemacht haben? Die sehr interessante, von Neckel gefundene
Parallele: Loki als Thökk will nicht weinen, die Höllengöttin
Ereschkigal will um einen vorzeitig gestorbenen Götterjüngling nicht
weinen, scheint mir nur durch eine etwas gewaltsame Interpretation
erreicht (Neckel 163. 170. Schütte 20. ioo. 108). — Das mag zutreffen,
daß der Bericht über Balders Bestattung zurückführt auf einen Bericht
über seine Umfahrt im Frühling (Neckel 120), und daß in einer Form
dieser reich entfalteten Dichtung die Riesin Hyrrokin den Balder tötete
und daß Thor diese Tat rächte (Neckel 117). — Die Geschichten von
Hädhcyn und Herebeald, die von Athys und Adrastus würde ich von der
von Balder abrücken, weil sie nur von dem Unglücksschuß, nicht von dem
Anstifter des Schusses und nichts von der mythischen Besonderheit der
Waffe wissen (anders Neckel 141). Dagegen ist die von Neckel besprochene
persische Parallele zu der Geschichte von Balders Tod von großem Interesse
((3.184ff.). — S. 143. Forseti, Snorri, Gylfaginning c. 32, Golther
387 Anm. 1, Olsen 66, 104, 126, 151f. — Ull. Die Angabe, daß Ull
der Sohn der Sif und der Stiefsohn Thors gewesen, scheint dem Vf.,
ohne jede mythische Bedeutung und nur ein Ausdruck für Ulls Beliebtheit.
Er kann den Ausführungen von Offen 202 nicht folgen. —
Ortsnamen mit Ull, Olsen 197, Schütte 76. — Ulls Vertreibung Saxo,
Buch 3, 130, Golther 392 f. — (3.144. Ull und Skadhi, Golther 481 und
Anm. 2. Saeming, Neckel 91ff. — (3.145. Metodhin, Saxo, Buch 1, 42,
Golther 308, F. Vogt Salman, und Morolf (Leipzig 1880) p.ILf. —
Pfählen des Zauberers, Helm 133 Anm. 24, 152 Anm. 19, Vf., Zeitschr. f.
deutsche Phil. 1912, 481.
3.Kapitel
S. 146. Thor hat wenig Beinamen, erscheint aber sehr oft in Menschennamen,
Schütte 129, in Ortsnamen 137. Thor im norwegischen Volk,
Golther 247 f. — S. 147. Hakenkreuz, Schütte 130. — S. 148. Thor u.
Olaf, Golther 261, nach Uhlands Übertragung. — Thrymskwidha, Edda,
Ausg. v. Neckel, 107, Übersetzung v. Genzmer ,Schütte 132. Vestlund, inder
Zeitschrift Edda 11, 95 f. macht aufmerksam auf mimische Motive in der
Thrymskwidha und in der Hrungnissage (der Riese Mökkurkalfi und
ähnliches) und sucht einen Götterritus und ein Götterdrama zu erkennen,
deren Mittelpunkt die Geschichte des gestohlenen Hammers gewesen sei;
diese verfolgt er auf kühnen Wegen durch die nordischen Göttersagen.
In ähnlichen Richtungen dringt sehr waghalsig vor Berta Phillpotts,
The eider Edda and ancient Scandinavian Drama, Cambridge 1920, dazu
Heusler, Arkiv 38, 347. Bei der Longobardenfabel und bei der Gewichte
Sagenb. l. 20
von Njördh hat der Vf. ja seine Ansichten über die Möglichkeit mimischer
Darstellungen geäußert. — S. 152. Hrungni, Snorri, Skaldskaparmal,
c. 17. — S. 155. Thjodolf von Hwin, Haustlöng, Ausgabe von Wisen, 9.
Eiserner karl, Sagenbuch 3, l 11, 181. Der eiserne karl, bedeckt
mit eisernem Helm und eisernen Beinschienen umkleidet, den eisernen
Panzer um die eherne Brust und die beiden Schultern. In der Linken
hielt er eine eiserne, hochragende Lanze und die Schenkel waren mit
eisernen Schuppen geschützt, an seinem Schild sah man nichts wie Eisen
und auch sein Roß war mit Eisen gepanzert. Was voranzog und folgte,
trug die gleiche Rüstung. Eisen erfüllte die Straßen und Felder, daß die
Strahlen der Sonne sich in dem Glanze des Eisens widerspiegelten. —
S. 157. Hrungni, vgl. Nachweise zu S. 38. Schütte 134. — Schwedische
Odhinsage, Golther 287 u. Anm. 1, Neckel, Walhall 16, v. Unwerth,
Germanist. Abhandlungen 37, 74. — S. 158. Hrungnis Bein, Axel Olrik,
0m Ragnarök 2, 29, 36, 39, 41, 66, 70, 74, 77. —Magni, Bolte Polioka,
Anm. zu den Märchen der Brüder Grimm (Leipzig 1915) 2, 296. —
S. 160. Starkad, Uhland, Schriften 6, 101 f., 7, 242 f. — (3.161. Geirrödh,
Snorri, Skaldskaparmal, c. 18. — S. 163. Sage von Geirrödh, vgl. oben
zu S. 33, Golther 274 f. — S. 166. Eilif Gudrunarson, Thorsdrapa,
Wisen 30. — Saro über Geirrödh, Buch 8, 426 f., Golther 279 u. 280
Anm. 3, vgl. ferner Sydow, Danske Studier 1910, 150, 152, 173, Panzer,
Beowulf (München 1910) 347, 350. — S. 167. Halfdan, Panzer a. a .O.
44, Vf., Märchen ' 154, 156. — S. 168. Hymi, Midgardschlange, Snorri,
Gylfaginning c. 48. — S. 169. Midgardschlange bei Skalden, Golther 271
Anm. 1, vgl. Axel Olrik, Ragnarök 2, 130. —S. 171. Hymiskwidha, Edda,
ed. Neckel 85f. — Märchen in Hymiskwidha, Vf., Märchen in Edda 46,
Panzer, Beowulf 38, 152, 330 f. — S. 171 f. Riese ohne Seele, L. Laistner,
Rätsel der Sphinx 2, 159, St. W. v. Sydow, Danske Studier 1914, 113f.,
Hartland, Legend of Perseus 3, s, Dähnhardt a. a. O 3, 8, Haltrich,
Siebenbürgische Valksmärchen, Nr. 10, Gunkel, Märchen im alt. Testament,
89 Anm. 4, 5. — Laistner, Sydow und der Vf. (in der ersten Fassung
der Göttersagen) haben unabhängig voneinander in der Hymiskwidha
das Märchen vom Riesen ohne Seele erkannt. — S. 172f. Riesenbaumeister
, Gylfaginning, c. 42, Wöluspa 25, 26. — S. 174. Sage vom
Riesenbaumeister Bugge a. a. O. 269 ff., Golther 274 Anm. 1, 166 Anm. 1.
— Helfender Hengst, Sydow, Danske Studier 1910, 97 Anm. 1. —
(3.175 f. Utgardaloki, Gylfaginning c. 44 —47. Schütte 135 f. unwahrschein!
. — S. 183f. Märchenhaftes bei Utgardaloki, SI. W. v. Sydow,
Danske Studier 1910, 66 f., 145 f., Vf., Märchen in Edda 40 f., Beitr. 33,
372 f. — Sydow führt in seiner ausgezeichneten und sorgfältigen Arbeit
auch die Wettkämpfe von Thor, Thjalfi und Loki auf irische Vorbilder
zurück. Vf. kann ihm hier nicht folgen, die von ihm gezeigten Parallelen
mit den Schwänken aus dem Sagenkreis vom geprellten Teufel stehen
der Edda viel näher als Sydows Nachweise, derselbe Sagenkreis spielt
in die Thorsagen oft hinein, auch ist es kein Bedenken, daß Vertreter
des Schwankes sich diesmal nur in Ostdeutschland und nicht in größerer
räumlicher Nähe zur Edda finden. Wir kennen nicht die verlorenen Stücke,
und der Zusammenhang der Edda mit östlichem Sagengut ist beim Komplex
der Geschichten vom Fenriswolf, vom gefesselten Unhold und von
Loki zweifellos, s. oben S. 2 79. — Zu den Wettspielen und zum Kampf
mit der Katze vgl. noch Dähnhardt 3, 141f., Panzer a .a. O. 73, 83, 165,
346, 352, 354. — S. 188. Thors Böcke, Riegler, Wörter und Sachen
3, 220. — Ziegenbock in der Mythologie der Veda: dem Agni verwandt,
, Oldenberg 75, 78 als Stütze von Himmel und Erde, ebda. 70.
— S. 188. Haewa und Sif, s. zu S. 32f. — S. 189. Alwismal, Jessen,
Zeitschr. f. deutsche Philologie 3, 76, Vf., Märchen in Edda 49, R. Petsch,
Das Volksrätsel (Straßburg 1917). — S. 192. Harbardslied, Edda, ed.
Neckel 75, Genzmer-Heusler 2, 61 f. Thor, Odhin, Starkad, Golther
257 u. Anm. 2.
4.Kapitel
S. 195. Wanen, Name: Much, Himmelsgott, 260; andre Herleitung,
aus phrygisch vanakt; altgriechisch grec , Herr, bei Schütte 114. — S. 195 f.
Wanenkrieg, Wöluspa 2l —24, Golther 220 f. u. 307 f. —Schleudern des
Speeres, Neckel, Walhall, 162, Wissowa, Religion der Römer '152, F. R.
Schröder, Beiträge 43, 248. — S. 196. Hawamal Str. 146 —63, Edda,
Neckel 41f., Genzmer-Heusler 2, 173 f. — S. 197. Odhin als Arzt, Saro,
Buch 9, 446, Golther 327. —Odhin am Galgen, Hawamal Str. 138 —41,
Edda, cd. Neckel 39, Genzmer-Heusler 2, 170f. mit Bedenken gegen die
vom Vf., Germanist. Abhandlungen für Paul (Straßburg 1902) 143f.,
vorgetragene Anschauung. — S. 199. Odhin als Zauberer, Ynglingasaga,
c s, vgl. auch Golther 309 f., Vf. a a. O. 151 f., Zeitschr. f. deutsche Phil. 1912,
481, Zeitschr. f. deutsche Volksk. 25, 136 f. — S. 200. Schatzhebungen, Golther
335 u. Anm. 2. —Wahrsagende Häupter, Mogk, Germ. Mythol. 306. —
S. 202. Rabe, vgl. auch Schütte über Nachtraben, 46f. — S. 203. Finnische
Zauberer, Hugo Gering, Über Weissagung und Zauber im nordischen Altertum
(Kiel 1902)10f. — S. 203f. Odhin und Odhreri, Bragaroedhur, c. 57,
58, Hawamal 104—110, Edda. ed. Neckel 32, Genzmer-Heusler 2, 148f.,
Vf., Germanist. Abhandlungen für Paul 143f. — S. 208. Odhins Wanderungen,
Golther 304/05. Schütte i 18, 126 f. Nach Dänemark gelangte
der Kult Odhins oft erst von Schweden her. — S. 208 f. Odhin in
Dänemark, darüber grundlegend Axel Olrik in Danmarks garnle Heltedigtning
1, 2, vgl. auch Vf. im 2. Bd. des Sagenbuchs S. 180, Brawallawlacht,
Uhland 7, 234f., Golther 331 u. Anm. 1. — S. 210f. Opfer an
Odhin, Golther 325. — (3.211. Odhin in Wölsungasaga, Deutsches
Sagenbuch 2. —Odhin und Olaf, Uhland 6, 308, Golther 342. — S. 213.
Wafthrudni und Heidrek, Genzmer-Heusler 2, 86, 154, Petsch, Rätsel
128, 172, Bonus, Rätsel 79f. — (3.214. Eiriksmal, Wilhelm Hertz, Gesammelte
Dichtungen (Stuttgart 1900) 478; jetzt auch schöne Übertragung
bei Genzmer-Heusler 2, 195 f. — Odhins Beinamen, Golther
355f., Schütte 119. — S. 215. Hawamal, Edda, cd. Neckel 16f., Genzmer-Heusler
2, 12i f., 142f., Rosenberg bei Nanisch, Eddalieder (Sammlung
Göschen 171) 47. — S. 218. Odhin und Rind, Sato 3, 126f., Golther
306 u. Anm. 1. — S. 219. Hoeni F. R. Schröder, Beitr. 43, 219f., dieser
führt den Namen hoenir auf germ. hauhinijaz, Ableitung von *hauhaz,
zurück, dies sei lit. kaükas, altpreuss. cawx, Seele des Verstorbenen;
*hauhinijaz sei aus *hauhinaz entstanden, und dies verhalte sich zu
hauhaz wie hugin zu hugr, munin zu munr; beides, hugin und munin,
sind ja die Namen von Odhins Raben, ursprünglich vielleicht Odhins
Beinamen. — S. 220 f. Färöisches Lied von Hoeni, Golther 397 u. 398
Anm. 1. — S. 221. Hermod, Golther 357 Anm. 1. Neckel, Balder 59, 60.
— S. 222. Widar, Axel Olrik, Ragnarök 2, 272, 280. — (3.223. Uhland
über Odhin, Schriften 7, 345, Golther 357.
5. Kapitel
S. 226. Snorri über Njördh, Gylfaginning, c. 23, Ortsnamen mit
Njördh, Olsen a. a. O. 50ff., 66. Schütte 100. — S. 227. Geschichten von
Njördh und Skadi, Bragaroedhur, c. 56. Skadi vgl. Schütte 37. — S. 230.
Unbescheidener Riese, Märchen, Panzer, Beowulf 56, 82, unabhängig
davon F. 91. Schröder. Beitr. 43, 220. — Andere Märchen in Skadis
Geschichte, Vf., Märchen in Edda 22, Grimm. St. H. M. 64. — Versetzen ,
in (Sterne, Vf., Herrigs Archiv 114, 17, Anm. 3. — Irisches Märchen
von Äpfeln, Bugge, Arkiv 5, 1. — S. 231. Märchen vom König, der
Mädchen begehrt, dessen Schuh er kennt: Aschenbrödel, Grimm, St. H.
M. 21, mit Anmerkungen von Bolte-Polivka. Ganz anders, meines Erachtens
verfehlt, über Skadi und Loki Neckel 138. — Hochzeitsbräuche
mit Schuh usw., Sartori, Sitte und Brauch, 1, 74, Samter, Geburt,
Hochzeit und Tod, 99. 101. 106. — S. 232. Idhun als Göttin des
Wachstums, Schütte 96. — S. 233. Geschlechtsglied bei Göttern, Mogk,
bei Hoops s. y. Phallus, Andrée, Votive 109 Anm. 1. — Fjölnir s. oben
zu S. 73. Gehört hierher auch die Flachsgöttin Haern, über die Olsen
198 spricht? —- S. 234. Ortsnamen mit Frey, Schütte 108. —Geschichten
über Frey, die denen über Thor gleichen, Golther 227 f. — S. 235.
Skirnismal, Edda, Neckel 67, Genzmer-Heusler 2, 27 f. — Dreimaldrei,
in der Handschrift steht drei, in der vorangehenden Strophe aber neun.
— S. 236. Swipdagmal, Heusler, Herrigs Archiv 116, 226, Edda, Neckel
298, Genzmer-Heusler 2, 105, 177. — Ein ähnliches Schiff wie Skidbladni
auch im Märchen von der Goldenen Gans, SI. H. M. 64, s. oben zu
S. 230, dies Märchen hat also verschiedene Beziehungen zu wanischen
Gottheiten. — Zu Swipdag interessant, aber kaum überzeugend
Schütte 79. — S. 237. Frigg und Freyja, Schütte 94. Katzen der Freyja als
nordische Umdeutung der Löwen der Kybele aufgefaßt (?) Neckel, Balder
50f., Schütte 115. Gefjon, Axel Olrik, Danske Studier 1910, 1ff. —
S. 238. Pflugumzuge, E. Fehrle, Deutsche Feste und Volksbräuche (Leipzig
1916), 45. —Freyja und Odh, Vf., Märchen in Edda, 8, Bolte Polivka,
Anmerkungen zu Grimm 2, 247 u. Anm. 1, Schütte 98.
6. Kapitel
S. 239 f. Heimdall, Snorri, Gylfaginning, c. 27, Golther 359 ff. —
S. 242. Rigsmal, Heusler, Herrigs Archiv 116, 270, Axel Olrik, Aandsliv
57. Much, Prager deutsche Studien 8 (1908), 225f., Edda, Neckel
276, Genzmer-Heusler 2, 112. —Mithra, Franz Cumont, Die Mysterien
des Mithra (Leipzig 1903), Einleitung, Oldenberg, Veda, 188. —
Gras wachsen hören, Panzer, Beowulf 69. Die neun Mütter des Heimdall
werden von Schütte als matres matronae gedeutet (37). — S. 243.
Heimdall, Etymologie, G. Kögel, Idg. Forschungen 4, 313, Golther 360
Anm. 2. — Heimdall als Elbe, Vf., Prager deutsche Studien 26 Anm. 1.
— S. 243 f. Loki. Die Auffassung von Loki wurde zum erstenmal vom Vf.
in der ersten Fassung der Göttersagen entwickelt, von anderer Seite her,
von den neuen nordischen und dänischen Volkssagen, stieß Axel Olrik auf
das gleiche Ergebnis, er hat es ausführlich begründet und auch gegen
die Auffassung von Selander verteidigt. Auch Vf. hält Loki für kein
chthonisches Wesen und für keinen Dunkelelben, er möchte aber die sorgfältigen
Sammlungen und Hinweise von Celander besonders anerkennen.
— Axel Olrik, Danske Studier 1908, 193, 1909, 69, 1912, 87 if., 1914,
Hilding Celander, Lokes mytiska Ursprung, Upsala 1911 und Danske
Studier 1914, Dähnhardt 3, 92, 503, 505/6. Von den indischen Göttern
ist Agni dem Loki am nächsten verwandt; auch Agni ist ein Feuergott,
er hat unter den indischen Göttern eine Sonderstellung (Oldenberg 105),
ist nie eine Heldennatur gewesen (ebda 120); wie Loki, der Sohn der
Laufey, so ist Agni in Bäumen und Blumen verborgen; wie Loki haust
Agni auch im Wasser; denn aus dem Wasser erheben sich die Bäume
und Blumen, und aus dem Holz der Bäume flammt das Feuer auf
und aus der regenspendenden Wolke fährt der feurige Blitz (ebda 107,
113, 114, 119) .- Wenn Agni der Sohn von sieben Jungfrauen, das
sind die Flüsse, genannt wird, so denkt man an Heimdall und seine
neun Mütter. Als Vater des Agni gilt im Indischen Twaschtar, der
Gott der Kunstfertigkeit, im Nordischen ist Loki selbst der kunstfertigste
Gott (ebda 238). (3.244. Lokis Fesselung, Gylfaginning, c. 50, Axel
Olrik, Ragnarök 2, 121 f. — (3.247. Feuersage, Leopold v. Schröder,
Wiener Sitzungsberichte 1906, 1f., Dähnhardt 3, 92 f., 222 f., Vf., Germanist
. Abhandlungen, Paul 143 f. — S. 248. Spinnensagen, karl
Meinhof, Afrikanische Märchen (Jena 1917) Nr. 34, 48, 60, S. 328, 330,
332, Dähnhardt 3, 492. — S. 251. Loki, Charakteristik von Snorri,
Gylfaginning, c. 33. — Thjalfi, Axel Olrik, Danske Studier 1905, 129. —
S. 251f. Dwergatal, Wöluspa, Strophe 10ff., Edda, Neckel 3. — S. 252.
Hraeswelg, Wafthrudnismal 37, 1, Edda, Neckel 49, Preuß, Globus (Braunschweig
1904) 86, 117. Andere Deutungen der Riesen bei Schütte 55 f.;
ebda 61f. Riesensagen. S. 253. Heimdalls Mütter, Hyndluljodh, Str. 37
Edda, Neckel 290.
7. Kapitel
S. 255. Walküren, vgl. auch die Ausführungen in G. Neckels Walhall.
S. 255 f. Fylgjen und Disen und ihr Kult, Schütte ilf., 38f., 44.
Olsen 184 f., 202; sie scheinen den Ull und den Thor ähnlich umringt zu
haben wie die Walküren den Odhin. — H. Gunkel, Märchen im Alten
Testament (Tübingen 1917), 110 u. Anm. 7. S. 257 f. Nornagest, seine
Sage in der jüngeren Edda, Wilken 235 f.
8. Kapitel
S. 259. Wöluspa, Edda, Neckel 1 ff., Genzmer-Heusler 2, 34 f.,
Trümmer einer späteren Nachahmung in den Hyndluljodh, Edda, Neckel
Mf., Edda, Genzmer-Heusler 2, 45f., Axel Olrik, Aandsliv 64f. — S. 261.
Sagen von Nacht und Tag, Gylfaginning, c. 10, 11. — S. 262. Yggdrasil
, Axel Olrik, Danske Studier 1917, 49 ff. Die Schilderung der Tiere,
die an der Weltesche nagen, und die Schilderung der Götter und Tiere,
die Balders Leiche begleiten, erinnern unverkennbar an Werke der bildenden
Kunst. Vf. glaubt hier noch immer an irische Vorbilder. Er verschließt
sich aber der Möglichkeit nicht, daß germanische Bilder die Anregung
zu diesen phantastischen Beschreibungen gaben. Denn nach Salins
und Albrecht Haupts Ausführungen (vgl. dessen Baukunst, bes. 168, 172,
177, 282, 297) erscheint es ihm gewiß, daß die Darstellung von Tieren,
Schlangen, Drachen, Vögeln, in lebhaftem und bewegtem Flecht- und
Schlingwerk, in überreicher Phantasie entworfen, ein Kennzeichen der
bildenden Kunst aller germanischen Stämme ist und daß die Iren diese
Motive übernahmen und in ihrer Art grotesk und fröhlich und endlos
steigerten. — 263 f. Reiche des Jenseits, vgl. vor allem Gustav Neckel,
Walhall, namentlich 26 f. Das Grausige in den Vorstellungen ist von N.
besonders eindrucksvoll betont und unsere Erkenntnis durch sorgfältige
Kritik der Quellen verfeinert, vgl. zu S. 81. Doch scheint dem Vf., daß
Vorstellungen der Wikinger zu oft für germanisch erklärt werden. Auch
glaubt er nach wie vor, daß der alte Glaube vom Aufenthalt der Abgeschiedenen
in den Bergen (Mogk, Germ. Mythologie '108, 110) ein
Ursprung der Walhallavorstellung war. — Ferner vgl. Neckel, Studien
zu den germanischen Dichtungen vom Weltuntergang, Sitzungsberichte,
Heidelberger Akademie 1918 Heft 7, besonders über Muspell und Surt.
Schütte 64 f. leitet die Vorstellung von Muspell von der vulkanischen,
feuerspeienden Natur der Rheinprovinz her, erinnert ferner an die fränkische
Herkunft der Sage von Wieland, dem Feuerbezwinger. Auch
Wodan, der Herr des Feuerzaubers, ist ein rheinischer Gott. — S. 266 f.
Weltuntergang, Axel Olrik, Ragnarök 2, 248 ff.
9. Kapitel
S. 269. Wölwur, Golther 649 ff. — S. 270. uti seta, Golther 664
u. Anm. 1. — Zauberei, Genzmer-Heusler, Edda 2, 165 ff., 180 auch die
Buslubön, dazu Feist, Arkiv 35, 243 ff. und Golther 653. Runen auf
Grabsteinen; vergleiche jetzt die großartigste Beschwörung auf dem 1917
in Eggjum gefundenen Stein (um 700 Magnus Olsen, Norges Indskrifter,
, III, 77 Christiania 1919. R. Meißner, Nachrichten der St. Gesellschaft
der Wissenschaften zu Göttingen Phil. Hist. Klasse 1921, 89 ff. —
S 271. Sigruns Verwünschung, Sagenbuch 2, 197. — S 272. Opfer,
Golther 567 ff., 549, 587, Schütte 89 f. — S. 273. Wölsistrophen, vgl. zu
S. 69 u. Genzmer-Heusler 2, 184. Der isländische Erzähler, der uns die
Strophen mitteilt, schildert sehr derb und lustig die verschiedenen Empfindungen
der Personen, die den Wölsi halten. — Tempel im Germanischen,
Dietrichsen bei Hoops 3, 313 ff. — Opfertage, Golther 547.
— S. 274. Ansiedelung, wo Götterbild antreibt. Andrée, Votive 58. —
Formen des Gottesdienstes, Golther 616. — Rätsellieder, Golther 627 f.
10. Kapitel
S. 279. Ob wirklich auf dem Wege vom Schwarzen Meer zum
Norden der Kult römischer Gottheiten und der Kultus und Mythus
von Balder in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten zu den Germanen
wanderte, wie Neckel (siehe oben 304) und Schütte 113
meinen, das bedarf noch sehr eingehender Nachprüfung. Bisher erscheint
uns der Kult der Wanen als viel älter (oben 239, auch Schütte 117);
nachgewiesen scheinen uns Wanderungen wohl für Götterfabeln und bei
Motiven von Göttersagen, aber, so weit wir sehen, noch nicht für den Kultus.
Die erste Fassung der Götter und Göttersagen wurde unter dem
Druck von schweren persönlichen Erlebnissen niedergeschrieben, und man
mem ihr das wohl an, es ist keine rechte Freiheit in ihrer Darstellung.
Diese zweite Fassung entstand in der dunkelsten und ratlosesten Zeit
Deutschlands, das meiste angesichts von Watzmann und Untersberg,
unter dem Schutz eines deutschen Landes. das durch alte Sage und
ewige Schönheit gleich wenigen verklärt ist. Wenn doch etwas von dem
Trost, den die alten Götter und Sagen dem Verfasser brachten, sich
Seinen Lesern mitteilen würde! Wenn sie doch auch aus dieser ahnungsschweren
, derben und tiefen, heroischen und göttlichen und ganz germanischen
Welt mit neuer Zuversicht in die Gegenwarl zurückkehrten!
Freilich, die Propheten, die uns die baldige Wiederaufrichtung Deutschlands
wahrsagen, scheinen etwas voreilig und leichtfertig. Sie sehen das
Maß der sittlichen Verwilderung in Deutschland nicht und auch nicht die
Kraft der Selbstzerstörung, in der die Germanen seit dem Anfang ihrer
Geschichte Meister blieben. Wie wurde doch das Volk der Goten zerschlagen
und zerstäubt, und es war schöpferischer, vielfältiger und genialer
als die anderen germanischen und herrschte Jahrhunderte hindurch am
Kaukasus, auf dem Balkan, in Italien und Spanien! Und wie wenige
dunkle und verwehte Spuren sind die einzigen Zeugen der alten Größe!
Die gleichen Propheten unterschätzen auch die Gaben der Knechtung, die
angelsächsische Völker entwickelten und im Lauf der Zeit verstärkten, jene
Gabe, die schon manchen Völkern das Mark aus den Knochen sog. Aber
die Frage nach Leben und Sterben ist ja gar nicht mehr die Frage, die
Deutschland an seine Zukunft stellen darf. Uns bleibt nichts übrig, als
unbekümmert um alles, was uns bedroht, ja, gegen jede Aussicht auf
Erfolg, unsre besten Kräfte zu stählen und zu steigern und wie die germanischen
Götter uns zu dem Tode zu rüsten, der den Menschen auf der
Höhe seines inneren Daseins trifft, dann sind wir gegen Vergängliches
gefeit. Hunderttausende sind im Weltkrieg diesen Tod gestorben, unsre
germanischen Götter und Helden hat er verklärt, und die Toten sind
unsre Führer in die Zukunft, nicht die Lebenden, die das Werk der
Toten besudeln. "In unsrer Brust sind unsres Schicksals Sterne."
Berchtesgaden, März 1920
Die zweite Fassung der Göttersagen war bald vergriffen.
Die dritte Auflage mußte rasch hergestellt werden. Der Teit blieb
dabei unangetastet, bis auf wenige notwendige Änderungen. Die Anmerkungen
nehmen zu den seit 1920 erschienenen Arbeiten Stellung,
namentlich zu Neckels Balder und zu Gudmund Schüttes dänischem Heidentum
. Wenn von der Literatur, besonders von der nordischen, manches
übersehen ist, bitte ich das mit den Zeitumständen gütigst zu entschuldigen,
eine spätere Auflage soll das Versäumte nach Möglichkeit gutmachen. —
Die neue Auflage kommt in eine Zeit, vielleicht noch würdeloser und
verworrener als die Zeit von 1920, aber auch in eine Zeit, in der die
guten deutschen Kräfte sich wieder ernsthafter und umsichtiger als früher
festigen wollen. Zu dieser größten vaterländischen Aufgabe einen, wenn
auch noch so bescheidenen Beitrag zu liefern, ist das schönste Ziel dieses
Buches.
Berchtesgaden, September 1923
Friedrich v. der Leyen
Namen. und Sachverzeichnis