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Inhalt
Einleitung zum deutschen Sagenbuch. . 1-7
Erster Abschnitt Bon den Anfängen bis zum Schluß der Völkerwanderung
1. Die Überlieferung . 11
2. Der Himmelsgott . 13
3. Donar . 27
1. Wodan . 41
5. Mutter Erde . 54
6. Alcis, Asen, Elben . 68
7. Die Göttinnen . 74
8. Weltanfang und Weltende . 86
9. Der Gottesdienst . 94
10. Rückblicke . 108
Zweiter Abschnitt Der germanische Norden
1. Die Überlieferung . 118
2. Der Himmelsgott . 122
3. Thor . 146
1. Odhin . 194
5. Die Wanen . 225
6. Elben und Riesen . 239
7. Die Göttinnen .. 254
8. Weltanfang und Weltende . 259
9. Gottesdienst . 269
10. Rückblicke . 276
Anmerkungen und Nachweise . 287
Namen und Sachverzeichnis . 314


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Die Götter und Göttersagen der Germanen


von Friedrich von der Leyen

Dritte Auflage München 1924

C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung Oskar Beck



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Der hohe Baum steht immergrün

An des Schicksals Quell

Wöluspa



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Frau Frida von Kaulbach

in aufrichtiger Verehrung



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Einleitung zum Deutschen Sagenbuch

Die deutsche Sage begleitet das deutsche Volk von seinen dunklen Anfängen die Jahrtausende hindurch bis in unsere Gegenwart. Durch grauenvolle Kriege, durch inneren Hader und durch andere unselige Verhältnisse ist die deutsche Entwicklung immer aufs neue zurückgeworfen oder zerstört worden. Die Geschichte selbst scheint den Zusammenhang mit unserer eigenen Vergangenheit zerrissen zu haben, das Leben und die Kunst unserer Vorfahren sind uns oft fremder, entrückter als die ganz unverwandter Völker. Die Sage blieb in aller dieser Unbeständigkeit dem Volke treu und blieb dieselbe deutsche Sage. Jakob Grimm sagt, sie sei neben dem Menschen wie sein guter Engel schützend hergegangen. Treu und einfältig bewahrt sie uralten, ehrwürdigen und unheimlichen, segnenden und vernichtenden Glauben, sie breitet ihren Zauber um den See und den Wald, die Berge und die Burgen der Heimat, und ihre einfachen Worte scheinen zugleich deren tiefstes Wesen zu enthüllen. Von den ersten unbeholfenen Regungen des Glaubens, des Rechtes, der Sitte führt sie uns langsam zu einer bestimmteren, lebendigeren Anschauung von Natur und Geist, gibt uns ihre Hexen und Zauberer, Kobolde und Wichte, Elfen und Nixen, Feld, und Waldgeister, Zwerge und Riesen. Die aus Furcht und Ehrfurcht gemischte Verehrung der Ahnen, der Glaube an die zauberischen Kräfte des Geistes, der demütige und hoffende Aufblick zum Vater Himmel, zur Mutter Erde, der Wunsch nach Fruchtbarkeit und Glück schaffen im Lauf der Jahrhunderte die erhabenen, völkerbeschattenden Gebilde der Götter. Die Sage folgt verklärend auch den Helden des Volkes und wirft über sie ein schimmerndes, aus Wunder und Wirklichkeit naiv und seltsam gewebtes Gewand. Manche Kunde aus fernen Ländern und oon ihren Abenteuern dringt in sie ein, aber



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langsam streift sie das Fremdartige darin, auch manches Bunte und Schöne ab, bis nur das bleibt, was sie wirklich mit sich verschmelzen kann. Auch von den wandelbaren Schicksalen des Landes, von seinen Fürsten und Herren, behält sie nur, was in der Seele des Volkes wiederklingt.

Von den Werken, die deutsche Sagen aus allen deutschen Ländern und aus allen Jahrhunderten zusammenstellten, bleibt das unvergänglichste die deutschen Sagen der Brüder Jakob und Wilhelm Grimm. Von diesem Buche ging auch eine tiefe und stille Wirkung aus auf deutsche Kunst und Dichtung. Hellseherische, ungewöhnliche Gelehrsamkeit hat sich in ihm, wie in anderen Büchern der Brüder, verbunden mit schwärmerischer Liebe und natürlichem Verständnis für alles, was zum Volk gehört, und mit einfachem Kindersinn: solches Beieinander von Gaben wird dem Gelehrten sehr selten gegeben.

Das Werk der Brüder Grimm, die Schätze, die nach ihnen fleißige Hände zusammentrugen, und die Erkenntnisse der Sagenforschung sind in unserm deutschen Sagenbuch gesichtet und verwertet; außerdem bringen wir, was seinerzeit die Brüder Grimm ausschlossen, die Göttersagen.

Das deutsche Sagenbuch zerfällt in vier Bände. Der erste Band enthält die Göttersagen (die Götter und Göttersagen der Germanen), der zweite die deutschen Heldensagen, der dritte die deutschen Sagen im Mittelalter, der vierte Band endlich die deutschen Volkssagen. Jeder der Bände ist eine Einheit für sich, aber von dem einen Band fällt neues Licht und neue Aufklärung auf den anderen, und erst das ganze Werk umschließt die ganze Welt der deutschen Sage.

Der erste Band sucht zuerst das Wesen und die Entwicklung der germanischen Götter zu schildern, im engen Anschluß an die uns erhaltenen Zeugnisse, etwa von Beginn unsrer Zeitrechnung bis ins 8. und 9. nachchristliche Jahrhundert. Dann wendet er sich



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in den Norden und erzählt und erklärt nach bestem Vermögen die Göttersagen, die uns vor allem die Edda aufbewahrt. Damit wird der Bereich der deutschen Göttersagen wohl überschritten. Aber die Grundlagen der nordischen Göttersagen sind germanisch. Und die Erkenntnis der Entfaltung der Sagen erleuchtet nicht allein Geist und Glauben, Gestaltungskraft und Götterverehrung des germanischen Nordens. Auch die germanischen Götter und Göttersagen zeigen ihr ganzes Antlitz erst dem Forscher, der gelernt hat, mit den nordischen Augen zu sehen; ohne das nordische Licht bleiben sie gar zu oft im Dunkel, gewaltige, doch unverstandene Denkmäler.

überwältigender, erschütternder noch in seiner Tragik als in den Göttersagen, offenbart sich das Germanentum in seinen Heldensagen: den Sagen, die aus der Zeit der großen Völkerwanderung stammen. Fast alle Lieder, die das Heldentum der Germanen besangen, sind uns für immer verloren: was wir noch besitzen, sind einige Fragmente. Aber dies Erhaltene ist köstlich genug, und anstatt dem Verlorenen vergeblich nachzuklagen, sollten wir uns des Geretteten freuen. Wenige ahnen, wie reich und wie groß dies immer noch ist.

Der zweite Band unsres Sagenbuches gibt, wiederum in genauem Anschluß an das Erhaltene, zuerst eine umfassende übersicht der aus der germanischen Zeit der Heldendichtung geretteten Schätze. Hier ist das A und das O, der ewige Kern der germanischen Heldenlieder, Heldenepen, Heldensagen. Nur wer ihn kennt, der gewinnt den rechten Blick für das Werk der späteren Geschlechter , das in allen germanischen Ländern so viel reicher und mächtiger blühte, als die Göttersagen. In unsrer Darstellung folgt der germanischen Heldendichtung die Heldendichtung Englands und Dänemarks, Norwegens und Islands, dann vor allem die deutsche Heldendichtung bis zum Ausgang des Mittelalters. Die Spiegelung der Heldenwelt eines germanischen Landes in der Welt des andern



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wird das wahre Gesicht dieser Schöpfungen in allen Ländern, ihre Besonderheiten und ihre Größe klar und ganz zeigen.

Die beiden ersten Bände des Werkes tauchen in die älteste deutsche Vergangenheit; sie dringen noch hinter die Geschichte in das Dunkel des Mythus und eine ihrer schönsten Aufgaben bleibt der Nachweis, daß in den ersten Schöpfungen deutscher Einbildungskraft Geist vom edelsten deutschen Geiste lebt und daß die Keime des deutschen Wesens und seiner Entwicklung in jener Zeit wuchsen, deren Dunkel dem Licht der Forschung ein wenig weicht und deren heroischer Umriß vor uns großartig auftaucht.

Der dritte Band, der die Sagen des Mittelalters umfaßt, schließt sich an die deutschen Heldensagen dicht an. Er reiht die Sagen, die vom Jahrhundert Karls des Großen bis zum Jahrhundert Kaiser Maximilians, des letzten Ritters, in die Dichtung herüberwanderten, aneinander. Dieser Band schildert ein Leben, das schon im hellen Sonnenschein der Geschichte vor uns liegt. Die Sagen geben wir wieder nach ihren besten Aufzeichnungen, die Verwandlung der Geschichte in Sage wird sich uns in tausend lebendigen Einzelheiten zeigen. Die ersten Bände müssen aus leisen und verwehten Spuren vergangne Größe erschließen, sie bewegen sich allzuoft auf trügerischem Boden, und wie viele der entscheidenden, wichtigen Fragen bleiben für immer ohne Antwort! Die deutsche Sage des Mittelalters breitet sich in verwirrender Fülle vor uns aus, wir können nur wenig von der überreichen Ernte bergen. Gerade dieser Band kann nicht als Abschluß, er muß als Anfang der Forschung gelten. Die Sagenforscher haben den Reichtum den Geschichtschreibern, diese ihn wiederum den Sagenforschern überlassen, so daß, rühmliche Ausnahmen abgerechnet, keiner der beiden Berufenen ihn wirklich gepflegt hat. Wir hoffen, den Anstoß zu geben zur Sühnung dieser alten Schuld. Die Aufgabe des Erzählers ist hier, das Leben gewähren zu lassen und es doch mit klarer Ordnung zu durchdringen.



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Der letzte, den deutschen Volkssagen gehörende Band bewegt sich zugleich in den ältesten und jüngsten Zeiten der Sage; er gibt die ersten, heute noch lebendigen Vorstellungen wieder über Traum, Schlaf und Tod, über Zauberei und Verdammnis, über die Beseeltheit der Natur, so, wie sich dies alles in der Sage spiegelt. Zugleich verfolgt er, wie die heidnischen und elementaren Motive mit dem Christentum und der inneren Geschichte unsres Volkes sich verschmolzen und wie diese Gebilde heute noch die Gewässer, Wald, Feld und Wiesen, Berg und Tal beleben und auch die Behausungen der Menschen mit ihrem seltsamen Wirken erfüllen.

Die deutschen Sagen der Brüder Grimm stehen wie ein unsichtbarer Schutzgeist hinter diesem Bande. Die Brüder haben die Sagen aus ihrer Vergessenheit erlöst und den Deutschen ihren schlichten und tiefen Zauber gezeigt. Von den folgenden Sammlungen offenbarte jede, wie erstaunlich reich in allen deutschen Landschaften der Besitz an deutscher Sage ist. Eine Auswahl aus diesem Reichtum ist eben unsre Aufgabe, jede Landschaft bringt ihre eigenen Sagen. Namentlich die noch lebendigen Sagen und Vorstellungen sollen in diesen Band fließen.

Wir versuchen aus der Fülle der Volkssagen, die zuerst jeder Bändigung zu widerstreben scheint, ein klar gegliedertes, organisch sich aufbauendes Ganzes zu schaffen, so daß jeder, der sieht, wie die Sagen nun beieinanderstehen und sich ergänzen, ihre Wurzeln erkennen, sie in ihrem Wachsen begleiten und ihre Verzweigungen überblicken kann. Dieser aus dem Wesen der Dinge sich ergebende Aufbau ersetzt manche Erklärung, alle freilich nicht. Denn die Vorstellungen und der Glaube, aus denen die Sage entstand, sind nicht jedem klar, sogar der Forscher muß sie manchmal mühsam erspähen, sie haben sich, während die Sage von Mund zu Mund ging, verdunkelt und verwirrt. Außerdem sind alte und junge, heidnische und christliche, deutsche und fremde Bestandteile in der Sage oft fast unlöslich verschlungen. Diese scheinbare Unklarheit



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vieler Stücke hat manchen von der Sammlung der Brüder Grimm ferngehalten. Werden aber die Wurzeln der Sage freigelegt und der Grund ihrer Zusammensetzungen, Wandlungen, Entstellungen aufgedeckt, so kehrt das echte, immer junge und sich umbildende Leben in diese Gebilde zurück. Ihr eigentlicher und vielfältiger Zusammenhang mit uns ist wieder gefunden, und damit enthüllt sich auch der Sinn, den sie für unsere Gegenwart haben.

Unser deutsches Sagenbuch bietet seine Schätze allen an, die erfüllt sind von treuer und stiller Liebe zur deutschen Heimat, besonders jenen, die in deutscher Vergangenheit und deutscher Dichtung das Wesen des eigenen Wesens suchen und wiederkennen und sich an dieser Erkenntnis erfreuen und stählen wollen. Jeder Band läßt, soweit wir das erreichen konnten, die Sagen selbst reden und das Ziel der Erklärungen bleibt, die Sagen zum Tönen und Reden bringen, deren Mund für immer geschlossen schien.

Wir stellen in unserm Buch die Sagen nicht aus und wir zeigen und erläutern sie nicht, wie Schätze eines Museums, sondern wir wünschen ihnen ein neues Leben, eine neue volkstümliche Wirkung . Die Anmerkungen stehen jedesmal für sich und unter sich; sie können den, der nur die Sagen liest, niemals stören und sie Sorgen, daß alle, die darnach verlangen, sich über die hier behandelten Fragen und Aufgaben der Wissenschaft selbst unterrichten oder unsre Vermutungen und Ergebnisse nachprüfen können. Auch der Forscher und Gelehrte soll von diesem Buche seinen Gewinn haben, dessen Ehrgeiz ist, zugleich ein gutes Volksbuch zu sein und die Anforderungen der Wissenschaft redlich zu erfüllen. Wir möchten, daß es die Liebe zur Heimat in den heranwachsenden Geschlechtern weckt und stärkt, daß es den unterrichtenden Lehrer auf die Vorstellungen und Wünsche führt, die in jungen Seelen lebendig wirken, daß es auch dem Gelehrten die unlösliche Verbindung von deutscher Sage, deutschem Wesen und deutscher Geschichte zeigt.



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Niemand, der von den deutschen Sagen etwas weiß, darf bestreiten, daß in ihnen Werte liegen, die uns Sagen anderer Völker nie ersetzen können. Ihre schöpferische Kraft und ihr überquellender Reichtum sind den Wundern der deutschen Sprache ebenbürtig. Die erhabenen Denkmäler unsrer mythischen und heroischen Vorzeit, unzählige echte und lebendige Erinnerungen aus unsrer ganzen Geschichte, das alte und immer junge, ahnungsreiche, einfältige Wähnen und Grübeln unsres Volkes, seine unermüdlichen Versuche, den ewigen Rätseln von Natur und Geist, Leben und Tod ihr Geheimnis abzuringen: das steht in der deutschen Sage alles nebeneinander, ein Beisammen von Vergangenheit und Gegenwart, Jenseits und Diesseits, Alter und Jugend, das kaum ein anderes Volk kennt und nun schon seit zwei Jahrtausenden am Werk. Die deutschen Sagen zeigen klar und einfach die Kräfte und die Grenzen deutschen Wesens, die wir kennen müssen, wenn wir für unsere Zukunft arbeiten wollen, und von ihnen strahlt ein starkes, unbeirrbares Heimatgefühl in unsere ruhelose, verworrene Gegenwart.

Das berühmte Gedicht der Edda vom Anfang und vom Ende der Welt, die Wöluspa, sagt von der Weltesche: "Der hohe Baum steht immer grün an des Schicksals Quell." Dies Wort haben wir als Geleitwort für das deutsche Sagenbuch gewählt: auch die Sage führt ihre Wurzeln in die tiefsten und dunkelsten Gründe, auch sie erhebt sich am Quell des Schicksals, sie belebt sich und wächst durch sein heiliges Naß und sie verbreitet, dem Baume gleich, durch die Jahrtausende hindurch immer grün, ihr mächtiges Geäst schützend und erfrischend über die ganze deutsche Welt.



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Erster Teil

Die Götter und Göttersagen der Germanen



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Von den Anfängen bis zum Schluß der Völkerwanderung


1. Die Überlieferung

Wer die Berichte aus dem ersten christlichen Jahrtausend mustert, die uns von dem Glauben und von den Göttern unserer Vorfahren erzählen, der wird eine lange Zeit eine schwere Enttäuschung nicht verwinden können, so klein sieht der Ertrag zuerst aus. Einige Zaubersprüche und Runeninschriften, eine Reihe von Götternamen, einige, bisweilen nur gelegentliche Angaben bei griechischen, römischen und germanischen Schriftstellern und in den Lebensbeschreibungen der Missionare, das ist eigentlich alles. Dazu sind diese Zeugnisse oft gar nicht oder kaum verständlich oder sie lassen viele Deutungen zu und haben dann auch viele und sehr widersprechende Deutungen hervorgerufen. Besonders wichtige Zeugnisse sind auch in ihrem germanischen Wert und ihrem germanischen Charakter angezweifelt worden.

Vor dreißig Jahren etwa — und dieser Anschauung huldigen noch heute manche Gelehrte — galt als Losung der Wissenschaft der germanischen Mythologie gegenüber Resignation, das Eingeständnis , daß wir so gut wie nichts wüßten. Die Ehrlichkeit verlange diesen schweren Verzicht. Es sei die Kunde aus unsrer mythischen Vorzeit gar zu unzuverlässig und gar zu gering.

Im letzten Menschenalter ist diese Auffassung umgeschlagen. Immer zuversichtlicher und entschiedener betonen wir heute, daß die vielgeschmähten und verdächtigten germanischen Zeugnisse so arm nicht sind, wie sie unsern Lehrern und früher auch uns erschienen. Gerade ihre oft nur andeutenden, geheimnisvollen und lückenhaften Worte reizen immer von neuem, jede auch noch so



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leise Spur zu erkennen und zu verfolgen. Die Arbeit der letzten Jahre hat außerdem manche neue Kunde und Hilfe entdeckt, hat auch die Augen der Forscher oft geschärft. Die erste Aufgabe bleibt die Deutung der Namen mit Hilfe der Sprachwissenschaft: diese Hilfe nimmt an Kenntnis, Einsicht und Umblick stetig zu. Die Interpretation und Erklärung der Denkmäler aus sich selbst, ihre genaue Abgrenzung nach Zeit und Ort und Geltungsbereich, mit sorgfältigem Aufmerken auf jede Einzelheit ist das nächste Erfordernis. Soweit es geht, soll man auch die Zeugnisse in ihrer zeitlichen Folge aneinanderreihen. Ferner wirkt ein Vergleich verschiedener Aussagen erhellend auf beide Seiten, und wenn Zeugen aus getrennten Jahrhunderten fast wörtlich das Gleiche sagen oder einer den anderen willkommen ergänzt, so gewinnen wir da und dort festen Boden. In den östlichen und südöstlichen europäischen Ländern wurden drittens manche, bis heute noch nicht verwischte alte Spuren germanischen Glaubens und germanischen Geistes sichtbar. Germanische Berichte werden alsdann durch nordische und nordische durch germanische bestätigt und berichtigt, wie wir in unserer Einleitung schon andeuteten. Durch viele Jahrhunderte oft und lebhaft bezeugter Brauch, ebenso Sage und Glaube der germanischen und deutschen Völker enträtseln und beleben uns gleichfalls mehr als einmal die fragmentarische Kunde der Vorzeit. Die Erfassung und Umgrenzung der römischen Gottheiten, mit denen römische Schriftsteller die germanischen vergleichen, kann uns das Wesen der germanischen bisweilen erklären. Endlich kann ein Vergleich der deutschen Zeugnisse mit dem Glauben und dem Kultus der sogenannten primitiven Völker in alter und neuer Zeit überraschende Aufklärungen bringen, wenn man die Verwandtschaften und Ähnlichkeiten, die hier so oft und unvermutet auftauchen, , behutsam prüft und nicht in ihrer Tragweite überschätzt. Jedenfalls haben die Berichte über diese primitiven Völker und ebenso die vielen Sammlungen von deutschem Brauch und Glau


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ben und von deutschen Sagen der Gegenwart unser mythisches Material unendlich bereichert und damit neue Möglichkeiten methodischer Einsicht geschaffen. Freilich, das dürfen wir uns nicht verschweigen, daß wir unsere Bauten auf schwankem Boden mit brüchigen Steinen und trügerischem Kitt noch allzuoft errichten müssen. Und diese schmerzliche Gewißheit wird uns noch oft den Mut beengen . Aber die Wissenschaft darf auf dem Gebiet der germanischen Mythologie wieder hoffen und wagen und das frische Leben, das wieder in sie einkehrte, trug uns bereits manchen schönen und festen Gewinn ein.


2. Der Himmelsgott

Die Römer nannten ihre Wochentage nach dem Namen ihrer Götter. Um den Ausgang des I. Jahrhunderts n. Chr. wurde die römische Woche von sieben Tagen in Germanien eingeführt und die römischen Götternamen ins Germanische übertragen. Der dies Martis, der Tag des Mars, hieß bei den alten Deutschen der ziestag (schwäbisch noch heute zisteg, zeisteg), bei den alten Engländern tiwesdaeg oder tigesdaeg, bei den alten Friesen tiesdi oder tisdei, bei den alten Nordleuten tysdagr. Die germanischen Namen, auf die alle diese Namen der germanischen Einzelsprachen zurückführen, dürfen wir als *tiuz (oder *tiwaz) erschließen . Diese Namen sind mit dem griechischen Zeus (Genitiv diwos), lateinischen Jupiter (aus *diu-piter), indischen Dyaus verwandt . Da indogermanisch *diw leuchten bedeutet, war dem Namen nach der germanische *Tiuz ein Himmelsgott, wie auch der griechische Zeus, der lateinische Jupiter, der indische Dyaus. Die Germanen selbst erkannten in ihrem Tiuz (Tiu, hochdeutsch später Ziu) den römischen Kriegsgott wieder. Die Forschung nimmt an, der alte Himmelsgott, den sie aus ihrer indogermanischen Heimat mitbrachten (Inder, Griechen, Römer, Germanen und noch andere Völker, z. B. Perser, Selten, Slawen entstammen einem Urvolk,



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die Wissenschaft nennt es die Indogermanen), hätte bei den Germanen sein Wesen erweitert und sei bei ihnen auch der Gott des Krieges geworden. Denn der Himmelsgott, der alles sieht und alles hört, ist der Gott des Schicksals. Den Germanen aber war der Krieg das Schicksal, das Leben des Lebens, wie uns das ja Tacitus in seiner Germania so oft schildert. Auch der keltische Gott Nuada war zugleich der Gott des Himmels und der Gott des Krieges.

Was die Schriftsteller des klassischen Altertums also vom Mars der Germanen aussagen, dürfen wir auf den Tiu beziehen. In seinen Historien berichtet nun Tacitus, daß Gesandte der Tencterer, eines am Rhein wohnenden Stammes, voller Stolz den Mars den Höchsten der gemeinsam von den Germanen verehrten Götter genannt hätten, in leinen Annalen fügte er hinzu, daß die Hermunduren (die Ahnen der Thüringer) im Kriege, den Chatten (den Ahnen der Hessen) obgesiegt hätten: denn die Sieger bestimmten die feindliche Streitmacht dem Mercur und dem Mars als Opfer und deshalb wurden Pferde, Männer, alles Lebende rücksichtslos erschlagen. In diesen beiden Aussagen erscheint der Kriegsgott als der höchste Gott aller germanischen Stämme, namentlich westdeutscher und mitteldeutscher, und verlangt grausam und unersättlich die höchsten Opfer. Wenn Tacitus an einer anderen Stelle, in der Germania, behauptet, Mercur sei der von den Germanen am meisten verehrte Gott gewesen und den Mars und Herkules habe man durch Tieropfer zufrieden gestellt, so setzt er sich mit sich selber in Widerspruch und auch, wie wir noch sehen werden, mit anderen guten Zeugnissen. Die Behauptung der Germania ist wohl ein Irrtum, für den es verschiedene Erklärungen gibt, die unsere werden wir später vortragen.

Wir wissen nun aus einer späteren Zeit, aus dem Ende des 8. Jahrhunderts, daß besonders die Schwaben, die zur Zeit des Tacitus noch in Mitteldeutschland lebten, den Tiu (Ziu) verehrten. Eine Glosse des 8. Jahrhunderts nennt die Schwaben die



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Cyuari, die Verehrer des Ziu. Von dem Kult der Ältesten und Vornehmsten der Schwaben, der Semnonen, erzählt wiederum Tacitus Folgendes: "Zu einer bestimmten Zeit des Jahres schickten alle Stämme gleichen Blutes Vertreter in einen Wald, der geheiligt war durch alten Schrecken und durch den Gottesdienst der Väter. Dann erschlugen sie im Angesicht aller einen Menschen und es begannen die fürchterlichen Weihen eines barbarischen Gottesdienstes. Auch ein anderer ehrfürchtiger Brauch galt dem Hain. Jeder betrat ihn gefesselt, und wenn er strauchelte oder fiel, durfte er nicht aufstehen und nicht aufgehoben werden. Am Boden wälzten sie sich heraus. Das scheint der Sinn des ganzen Aberglaubens, daß hier gleichsam die Anfänge des Stammes sichtbar werden, Herr über alle ist Gott, die andern unterworfen und gehorchend."

Diese Erzählung befremdet, ja erschreckt uns zuerst. Unsere Vorfahren unterscheiden sich hier kaum von barbarischen Wilden. Nicht nur, daß sie mitten im Frieden Menschen opfern, sie beten in Fesseln oder platt am Boden liegend ihren Gott an und huldigen ihm in knechtischern Gehorsam.

Wir wissen aus manchen Berichten, daß die Germanen ihre Götter in heiligen Hainen und Wäldern verehrten. Ein Hain war der Baduhenna geweiht, einer dem Dioskurenpaar der Alcis. Auf einer abgelegenen Insel in einem keuschen unbetretenen Walde stand der Wagen der Nerthus, in einer heiligen Eiche mitten unter mächtigen Eichen hauste der starke Donar. In Helgoland hieß der Gott des Himmels und der Gott des Gerichtes Fosite, in seinem Hain wagte niemand weder von den dort weidenden Tieren noch von anderen Dingen irgendetwas anzutasten. Auch von der im Hain entspringenden Quelle schöpfte man nur schweigend . Die übertreter dieser Gebote traf ein grausamer Tod.

Gerade dieser Bericht aus dem 9. Jahrhundert n. Chr. ist in seiner Stimmung und in seiner Strenge dem Bericht des Tacitus nahe verwandt. Fosite heißt vielleicht der Furchtbare (schwedisch



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fasa, altenglisch fêsean schaudern). Da er ein Himmelsgott war, wird auch der Gott, den die Semnonen so fürchteten, der Himmelsgott, es wird eben Tiu gewesen sein. Wir durften das ja, da die Semnonen Schwaben waren, sogleich vermuten.

Andere überlegungen führen zu demselben Schluß. Tacitus nennt den Gott regnator omnium: den Herrn. Der Name — ursprünglich war es wohl ein Beiname — eines nordischen Gottes des Himmels und der Fruchtbarkeit ist nun Frey, d. h. wieder der Herr. Und der Name Balder, auch der Name eines Himmelsgottes — er bedeutet eigentlich: der Glanzbringer — nahm bei den alten Engländern wieder die Bedeutung: Herr, Fürst an. Vielen primitiven Völkern ist der höchste Gott der Herr, namentlich die alten Orientalen fühlten sich als Knechte vor dem Angesicht des göttlichen Herrschers.

Nicht allein Herr, auch Vater ist der Gott der Semnonen. Die Anfänge des Stammes werden sichtbar, so chrakterisiert ja Tacitus unsere Feier, und nur Geschlechtsverbände desselben Blutes entsenden ihre Boten zu dem grausamen Gottesdienst. Wir erinnern nun: Jupiter heißt so viel wie Diu Vater (diu piter), Zeus wird als Vater angerufen und auch der indische Dyaus Vater Dyaus genannt (dyaus pita). Danach bezeugt uns auch Tacitus, daß der germanische Tiu der Vater Himmel ist, den schon die Indogermanen verehrten. Noch in altenglischen Stammtafeln ist Sahsnot — das ist ein Name, eigentlich wohl wieder ein Beiname des Himmelsgottes — neben Wodan der Urvater der Helden. Nicht allein die Indogermanen, auch viele primitive Völker verehrten zutraulich und demütig den Vater Himmel, er ist ihnen Vater und Herr zugleich. Das christliche Gebet der Gebete, Vater unser der Du bist im Himmel, hat seine Wurzeln in der ältesten religiösen Verehrung der Menschen, es mußte auch unseren Vorfahren wie eine lang vertraute, heilige Anrufung klingen.

Weil die blutsverwandten Geschlechter sich alle ihm als dem



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ältesten Ahnherrn nahen, ihm die Gesamtheit seiner Nachfahren zeigen und ihm die schuldige Ehrfurcht erweisen wollen, schicken sie alle ihre Vertreter in den heiligen Hain des Tiu. Die Geschlechtsverbände betreten den Hain in Fesseln. Wir dürfen aus den allerdings nicht ganz klaren Worten des Tacitus schließen, daß nicht der Einzelne, sondern daß die Vertreter des Geschlechtsverbandes gefesselt waren, wie ja auch die germanischen Geschlechtsverbände gefesselt in die Schlacht gingen. Die Zusammengehörigkeit, die durch Blutsverwandtschaft bedingt wird, empfinden nach dem Zeugnis manchen alten Brauches primitive Völker stärker als unsre Gegenwart. Goten, Longobarden, Angelsachsen feierten in ihren Liedern immer von neuem die Folge und Verwandtschaft ihrer Geschlechter. Dieser Ahnenkult ist ein Anfang der germanischen Heldendichtung. Seine Ausläufer erstrecken sich bis in die isländische Saga. Fülle und Gliederung der Geschlechter also sollte durch die Fesselung dem göttlichen Ahnherrn recht sichtbar werden. Außerdem wird die Auslegung des Tacitus zutreffen; indem sie sich fesselten, erschienen die Germanen wehrlos, als Gefangene gleichsam sich ihm ergebend, vor ihrem Gott, vor dem Schicksal, gegen das jeder Kampf ja vergebens ist.

Vielleicht heißt Semnonen sogar die Gefesselten. Ihr Gottesdienst muß lange Zeit hindurch in besonderem feierlichen Ansehen gestanden haben, Wahrsager und Seherinnen zeichnete man mit dem Beinamen: die Semnonischen aus. Das bestätigt uns ein merkwürdiger Fund der letzten Jahre. Auf einem Ostrakon des 2. Jahrhunderts n. Chr. von der Insel Elefantine (an der alten Südgrenze Ägyptens) erscheint unter dem Namen der Dienerschaft des kaiserlich-römischen Statthalters eine Waluburg, eine semnonische Sibylle grec grec grec. Germanische Truppen hatten unter der römischen Herrschaft in Ägypten jahrhundertelang einen festen Standort. Diese Seherin mag sich der Statthalter als eine besondere Seltenheit aus den dunklen Wäldern Sagenb. l 2



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Germaniens nach Ägypten gebracht haben. Denn gerade in der römischen Kaiserzeit strömten in das alte Pharaonenland die Wunder , der Zauber, die Religion und der Aberglaube der ganzen Welt zusammen.

Was bedeutet nun, daß bei der Feier der Semnonen im Angesicht aller ein Mann getötet und als Opfer gebracht wurde, ein Mann, wie Tacitus sagt, also wohl ein Freier, kein Sklave und kein Kriegsgefangener? Opfer dieser Art sollen in der Regel menschengierigen Gottheiten die Gier stillen. Damit er das ganze Volk verschont, bringt man dem Gott jedes Jahr einen aus dem Volk als Opfer. Namentlich den Flußgottheiten entrichten viele Völker alljährlich diesen schrecklichen Tribut. Warum soll aber der Vater Himmel das Opfer fordern, das die Semnonen ihm bringen? Hier stellt sich ein Rätsel vor uns hin. Es sei denn, daß nicht ein gewöhnlicher, sondern ein auserlesener, ein starker und ein herrlicher Mann in der Blüte seiner Jugend dem Himmelsgott zum Opfer fiel, daß der Sonne gewissermaßen ihr Abbild geopfert wurde, bestimmt, ihrem Licht und ihrem Segen neue Kraft zu geben.

Gedankengänge dieser Art sind manchen alten und neuen Völkern und auch den Germanen vertraut. Dürfen wir sie aber in den Bericht des Tacitus hineindeuten?

Gleich im Anfang unsrer Fahrt geraten wir an verlockende Geheimnisse und auf trügerischen, gleitenden Boden. Doch wie tief führen uns, wenn wir sie uns genauer betrachten, die unschätzbaren Sätze des Römers über den Gottesdienst unsrer Vorfahren und ihre religiöse Scheu, und wie beleben sie uns das Bild des Tiuz. Als Vater und Herr, von der langen Reihe der Geschlechter alljährlich in den Schauern des Waldes unterwürfig verehrt, erscheint uns nun dieser Gott vom Himmel, Krieg und Schicksal.

Im J. Jahrhundert n. Chr. setzten Bürger aus Twente, aus der friesischen Legion, dem Mars Thingsus und den beiden Alaiiagis, , der Beda und Fimilena einen Weihstein, der 1883 in Eng



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land in Housesteads am Hadrianswall gefunden wurde. Da es Germanen sind, die nach römischer Sitte einen Weihstein errichteten als Dank für die Hilfe der Götter, wie wir es im 2. und 3. nachchristlichen Jahrhundert noch öfter beobachten werden, nehmen wir an, daß sie auch germanischen Göttern huldigten. Wer diese waren, das ist eine von der Forschung noch lebhaft umstrittene Frage. Wir folgen der Auffassung, daß Mars wieder Tiu, der Gott des Himmels und des Krieges ist. Thingsus hängt thing, das Gericht, zusammen, der Gott des Himmels wird also zugleich als Gott des Gerichtes angerufen. Fosite, wie wir bereits wissen, und der mit ihm wiederum eng verwandte Balder waren ebenfalls Götter des Himmels und der Rechtsprechung. Einige Gelehrte leiten übrigens unser Wort Dienstag aus Thingsestag, Tag des Things ab. Alaisiagis halten auch wir für eine Verschreibung aus ala-isagiis und übersetzen es: den großen Rechtssprecherinnen . Beda heißt die Entbietende, man hat an das friesische bodthing, fimilena heißt die Gewaltige, man hat erinnert an das wieder friesische fimeithing, Friesen waren es ja, die den Stein setzten; man vergleiche auch das altnordische fimbulvetr, das große, gewaltige Wetter. Wir übersetzen also: dem Tiuz, der über das Recht waltet, und den beiden großen Gesetzkünderinnen, der Entbietenden und der Gewaltigen, sagen Dank die Bürger aus Twente. Göttinnen, die das Recht bewachen und den Angeklagten helfen, War und Syn, nennen auch nordische Berichte im Gefolge der Himmelsgöttin Frigg.

Auf unserm Weihstein ist der eine Himmelsgott von zwei Göttinnen umgeben. Deren Tätigkeit scheint enger und bleibt in bestimmten Grenzen; um einen Ausdruck der gelehrten Forschung zu gebrauchen, sie erscheinen als Sondergöttinnen. Im Germanischen sind die Göttinnen nun überhaupt zahlreicher als die Götter — in einem Merseburger Zauberspruch treten nur Göttinnen, in dem andern neben zwei Göttern vier Göttinnen auf, — und das



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Gebiet der Göttinnen ist nicht so weit. Sie heben sich auch nicht so klar voneinander ab, die Individualität der Götter tritt mächtiger und entschiedener hervor. Nicht nur eine willkommene Bereicherung unsres Wissens von Tiuz, auch eine ebenfalls willkommene Bereicherung unsres Wissens von der germanischen Götterwelt im allgemeinen ist also die Inschrift unsres Weihsteines. — In der Provinz Limburg wurde ein Weihstein gefunden , dessen Alter unbekannt bleibt und der dem Mars Halamardus gilt, d. h. dem männermordenden Tiuz.

Erst aus dem s. Jahrhundert erscheinen wieder zwei Zeugnisse über den Mars: bei Jordanes und Procop, den Geschichtsschreibern der Goten. Dieser sagt aus, der Mars sei der Hauptgott der Goten gewesen und man habe ihm das höchste Opfer, den Menschen, und zwar die ersten Kriegsgefangenen dargebracht, indem man sie schlachtete oder an die Bäume wie an einen Galgen hing oder indem man sie in die Dornen warf oder sie sonst einem jämmerlichen Tode auslieferte. Jordanes bestätigt, daß der Kriegsgott die Kriegsgefangenen als Opfer empfing, den Anstifter des Krieges habe man durch Vergießen menschlichen Blutes am ehesten zu versöhnen geglaubt und ihm habe immer der härteste Kult gegolten. Auch das Schönste der Beute habe man ihm gelobt und mit den erbeuteten Waffen die Bäume (wohl seines heiligen Haines) geschmückt. Diese Angaben lesen sich wie eine Wiederholung und Ergänzung der Berichte des Tacitus und erhöhen dadurch die eigene Glaubwürdigkeit und die des alten Römers. Wie er berichten sie von strengem Kult, von Menschenopfern und von der Darbringung der Trophäen.

Noch ein anderes Zeugnis über Tiu führen wir auf die Goten zurück, das der germanischen Runenreihe. Die germanischen Runenzeichen sind nämlich von den Goten vielleicht im 2. Jahrhundert n. Chr. am Schwarzen Meer erfunden und den griechischen und lateinischen Lautzeichen nachgebildet worden. Von den Goten über



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nahmen sie die andern germanischen Stämme, Runeninschriften finden wir vom 4. bis zum 16. Jahrhundert fast in allen Ländern, die der Fuß eines Germanen betrat, namentlich in den nordischen. Dort blieb die Runenschrift im ganzen Mittelalter die sakrale Schrift.

Jedes einzelne Runenzeichen trägt bei den Germanen seinen eigenen Namen, dieser Name charakterisiert und erhöht seine zauberische Kraft. Aus der Gesamtheit dieser Zeichen wurde die Runenreihe , der große Runenzauber gebildet und durch stabreimende Verse, von einem ähnlichen Bau wie die germanischen Gesetzesverse , eingeprägt. Von diesen Runengedichten kamen einige, freilich nicht ganz unversehrt, auf uns, u. a. in einer altsächsischen Aufzeichnung des 9. Jahrhunderts, die Namen der Runenzeichen bewahrt uns noch ein gotisches Zeugnis.

In der altsächsischen Aufzeichnung ist der Name für T Tiu; dem T folgt B, Brica (Birke); M, Man (Mann); L, Lagu (see), mit dem Beinamen the leohto (der lichte).

Also der weiße Baum, die Birke, der Mensch und das leuchtende Meer umgeben den Tiu, als heller Himmelsgott erscheint er und als Schöpfer der Menschen, strahlend und ruhevoll; Bilder aus Sturm, Wetter und Not gehen in der Runenreihe dem T voran.

Auch die Goten verehren in Tiu außer dem strengen Kriegsgott den Gott des heiteren Himmels und sie betonten vielleicht stärker als ihre germanischen Vorfahren das Leuchtende seines Wesens.

Neben dem Namen tiu, altenglisch tir, für das Runenzeichen ae erscheint althochdeutsch aer, altenglisch ear und der Dienstag wird im bayerischen Ertac, Erchtac, später Irtac genannt. Danach muß der Himmelsgott neben dem Namen Tiu auch den Namen Er, Erch getragen haben. Friedrich Kluge meint, Erch, Erich habe mit Erin gewechselt, wie etwa kumich mit kumin und Erinta



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sei griechisch Areintac, d. i. Tag des Ares, Tag des Mars. Das ist eine kühne und geistreiche Kombination, die beste, die wir zur Erklärung des schwierigen Namens wissen. Behielte sie recht, so wäre durch Vermittlung der Goten ihr höchster Gott Ares-mars zu den Bayern gekommen, wie gotische Christen den Bayern den Namen für Pfingsten und Pfaffe brachten. Der gotische Ares, der germanische Tiu würde dann als Er und Ir im Namen des Wochentags bis auf unsre Gegenwart in Bayern leben, leider nur als Name; seine Bedeutung ist längst vergessen.

Die Sachsen nannten ihren Kriegsgott, den alten Tiuz, Sahsnot, den Freund der Sachsen. In einem sächsischen Taufgelöbnis des 8. Jahrhunderts muß der Täufling dem Thuner und dem Wodan und dem Sahsnot abschwören. Und in einer ostsächsischen Stammtafel erscheint Sahsneat und seine ganze Nachkommenschaft, Gesecg, der Freund, Andsecg, der Gegner, Sweppa, das Getümmel, Sigefugl, der Siegvogel, Hedhca, das Erschlagen, Bedheca, die Gefallenen.

Diese Stammtafel faßt die einzelnen Vorgänge in der Schlacht als Götter auf: die Sondergötter begegnen uns im Gefolge des Himmelsgottes das zweite Mal. Andere Völker, etwa die Römer und die Litauer kannten viel mehr Sondergötter. Zugleich gibt die Stammtafel ein sehr anschauliches Bild vom Verlauf der Schlacht. Der Schlachtgott erscheint, die beiden Heere treten kampfgerüstet gegenüber, Getümmel erhebt sich, auf die eine Seite neigt sich der Sieg, die Feinde werden niedergehauen, ihre Leichen bedecken das Schlachtfeld.

Bei dem kriegerischen Stamm der Sachsen scheint sich das Wesen des Himmelsgottes wieder in das Kriegerische zu verengen.

Den Eid leisteten die Germanen auf das Schwert. Das ist ein neuer Ausdruck für das uns bekannte germanische Gesetz, daß der Gott des Krieges und des Himmels auch Eid und Recht bewacht. Bei einem germanischen Stamm, den Suaden, genoß das



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Schwert eine Verehrung wie ein Gott, wahrscheinlich als Waffe des Kriegs- und Himmelsgottes. Mythen, die im Nordischen den Himmelsgöttern und verwandten Göttern gelten, führen alle auf eine gemeinsame Form zurück, daß nämlich den Göttern ein heiliges Schwert geraubt wurde. Manche Forscher deuten den Namen Sahsnot auch als Schwertgenoß.

Wir betonten vorher, daß auch der keltische Gott Nuada zugleich ein Himmelsgott und Kriegsgott war. Dieser Nuada hat nur einen, und zwar einen silbernen Arm. Ebenso erzählt der nordische Mythus von der Einarmigkeit des Ty (-Tiu). Eine Vorstellung, die Kelten und Nordleute kennen, wird in das germanische Altertum zurückreichen. Der silberne Arm des keltischen Gottes bringt uns zu der Vermutung, daß Kelten und Germanen die Sonnenstrahlen als einen leuchtenden Arm des Sonnengottes auffaßten, und da man ähnliche Vorstellungen bei den Indern und auch bei primitiven Völkern nachgewiesen hat, brachten die Germanen den einarmigen Himmelsgott wohl aus ihrer indogermanischen Heimat mit. Im 10. Jahrhundert erzählt noch das großartige nordische Gedicht, das die Edda eröffnet, die Wöluspa, die Sonne hätte am Anfang der Dinge ihre rechte Hand an den Rand des Himmels gelegt.

Diese Vorstellung, der Sonnengott hat nur einen Arm, muß natürlich die Phantasie lebhafter Völker anregen. Im Nordischen erzählt uns denn auch eine meisterhaft vorgetragene Geschichte, dem Ty habe ein Wolf, der unhold Fenri, die Hand abgebissen. Möglich, daß auch dieser Mythus von den Germanen oder wenigstens von den Goten erfunden wurde, denn der Glaube, der ursprünglich die Sonnenfinsternis hervorrief, daß nämlich ein Wolf oder Unhold die Sonne verfolgt und bekämpft, war auch den Goten bekannt (vgl. S. 70 f.). So mögen in alter Zeit ein germanischer oder gotischer Dichter aus den beiden Motiven, dem von der Einarmigkeit des Sonnengottes und dem von der Verfolgung



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des Sonnengottes durch den Wolf, die Sage geschaffen haben, daß ein Wolf dem Sonnengott den Arm abbiß, eine Sage, unbeholfen, und doch nicht ohne großartige Anschauung, sowie man sie einem begabten und kindlichen Volke gern zutraut. Das wäre dann eine germanische Göttersage, die dem alten Himmelsgott galt.

Im Laufe unsrer Studien sind uns eine Reihe Namen für den Himmelsgott begegnet, wenn wir von Erch absehen: Thingsus, Fosete, Frey (- germ. *Fraujaz), Sahsnot, Balder. Wir glauben nicht, daß diese Namen besonderen Himmelsgöttern gehörten, wir halten sie für Beinamen eines und desselben Gottes, denn dem Himmelsgott gebührte der größte Reichtum der Namen und Kräfte. Bald hoben die Namen seine Eigenschaft als Gott des Gerichts und Rechts hervor, bald die als Gott der höchsten Macht, bald die als Gott des Krieges, bald die als Gott des Glanzes; im ganzen entfalteten und erhöhten sie die Majestät dieses Herrn der Herren. Unverkennbar weisen sie darauf hin, daß dem Himmelsgott ein reicher und ausgebildeter Kultus gebührte. Die Priester prägten die Fülle der Gewalten des Gottes und den Schauder vor seiner Allmacht den Gläubigen am wirkungsvollsten ein, indem sie den Tiu unter immer wechselnden Namen anriefen und immer andere seiner Kräfte aufleuchten ließen. Es ist noch in einem nordischen Gedicht der Edda, in dem Grimnismal, ein großer, nicht leicht zu vergessender Eindruck, wenn dort Odhin die nicht enden wollende Reihe seiner Namen aufzählt, die ihm Menschen und Götter gegeben haben.

Den Gott Balder nennt uns ein unschätzbares deutsches Zeugnis aus dem 8. Jahrhundert, der sogenannte zweite Merseburger Zauberspruch. Darin fährt der Gott mit Wodan in den Wald; sein Pferd verrenkt sich den Fuß. Die Göttinnen bemühen sich eifrig, aber vergebens, den Schaden zu heilen. Wodan heilt ihn erfolgreich. Auf seinem Roß erscheint hier der Himmelsgott, umringt von einer Schar mächtiger Gottheiten, deren Wesen Sonne,



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Mond, Fülle, Glanz und Güte ist (Sunna, Sinthgunt, Fulla, Frija), und sorgsam behütet von ihrer Liebe und Kraft. Im Altenglischen wird Baeldaeg, der helle Tag, der Sohn Wodans genannt und dasselbe weiß noch in der jüngeren Edda der Isländer Snorri; Bäldäg und Balder sind dieselben Götter. Im Merseburger Zauberspruch erscheint Balder ebenso wie im Nordischen als das Sorgenkind und der Liebling der Götter und er ist der Verzug der Göttinnen. Sein weiches, von Liebe verklärtes Wesen wird sogar durch alle Entstellung sichtbar, die Saro Grammaticus , ein dänischer Mönch des 13. Jahrhunderts, in das Bild des Gottes brachte, auch er muß berichten, daß alle Götter für Balder kämpften.

Ein altes Gesetz für Götter und Geister verlangt, daß sie alle herbeilaufen und helfen müssen, wenn einem von ihnen ein unglück zustößt. So versammeln sich alle Götter um das Pferd des Balder und so auch später um Thor, als er seinen Hammer verloren hat oder als er unter dem Fuß eines mächtigen Riesen liegt. Schon bei Homer kommen dem schreienden Polyphem alle andern Riesen zu Hilfe, ebenso laufen noch in der deutschen Sage alle Waldmännchen und Wichte und Zwerge zu ihren verletzten und klagenden Genossen.

Wenn der christliche Gott im alten Hildebrandslied als Irmingot angerufen wird, d. h. als großer Gott, so darf man immerhin vermuten, daß irmingot ursprünglich ein Beiname des Tiuz gewesen ist. Auch der bei Saro erscheinende Gott Metodhin kann aus einem Beinamen des Tius sich entwickelt haben, denn der Name heißt Schicksalsgott (metod das Schicksal, das Zugemessene, nordisch mjötudhr, Saro nennt den Namen in der germanischen, nicht in der nordischen Form) und Odhin kämpst mit ihm. Wir freilich möchten das Wesen des Metodhin aus anderen Ursprüngen erklären.

Noch ein anderer Gott der Nordleute heißt Ull, und Ull entstand aus gotisch wulthus, Glanz, Macht, Herrlichkeit. Das ist noch



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einmal ein Beiname des Himmelsgottes, vielleicht von den Goten geschaffen, die ja im Himmelsgott gerade den glänzenden Lichtgott verehrten. Die ältesten Nachrichten über den nordischen Ull bestätigen, daß er ein alter Himmelsgott war und wohl derselbe Gott wie Ty; denn er ist unerschrocken wie jener, ein unermüdlicher Krieger und ein Herr über die Erde. Ein Held des 6. Jahrhunderts nennt sich Owluthewar, Diener des Ull, bei Ulls Ring wird in einem Eddalied ein Schwur geleistet. Ein alter feierlicher Heilwunsch lautet: Die Huld Ulls und aller Götter. Hier ist Ull noch der erste Gott.

Setzen wir nun die Beinamen Meister des Rechts, Großer, Leuchtender, Strahlender, Gewaltiger, Schrecklicher, Vater, Freund der Krieger nebeneinander, klingt solche Namenreihe nicht wie ein feierlicher Hymnus an den erhabenen Himmelsgott? Wir meinen aus ihr einen Nachhall der Gebete zu vernehmen, die germanische Priester im Angesicht des gläubigen Volkes zum höchsten Gott emporsandten, bevor sie in den heiligen Krieg zogen.

Aus dem großen Meere der Vergessenheit tauchen die Erinnerungen an Tiuz nur selten auf, an weit auseinanderliegenden Stellen und verschwindend, kaum daß sie sich dem Auge boten. Sobald wir sie uns aber einprägen und verdichten, ersteht vor uns doch in großen Umrissen ein mächtiger, und wie wir behaupten dürfen, ein echt germanischer Gott. Tencterer, Hermunduren , Chatten, Schwaben, Friesen, Sachsen und Bayern erscheinen in unsren Zeugnissen als seine Verehrer. Auch die Goten haben seinen Kult entwickelt, dieser muß früh nach dem Norden gezogen sein. Der Gott war dem Schicksal gleich. Jeder Widerstand brach vor ihm in sich zusammen und er forderte unbedingte Unterwerfung. Er war ein grausamer Gott des Krieges und der höchste Gott des Rechtes, der Gott des leuchtenden Himmels und unser aller Vater und Schöpfer.



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3. Donar

Eine altenglische Glosse sagt: Latona Jovis mater, Thunres moder, sie setzt also den Donar dem römischen Jupiter gleich. Dasselbe sagt später der ausgezeichnet unterrichtete und charakterisierende Geschichtsschreiber Adam von Bremen: Thor cum sceptro Jovem simulara videtur (Thor mit seinem Szepter scheint dem Jupiter zu gleichen). Dementsprechend heißt der römische Dies Jovis donarestac, im niederdeutschen donresdach, friesisch thuneresdag, , altenglisch thunaresdaeg, altnordisch thorsdagr. Im Bayrischen heißt es pfinztac, das ist der fünfte Tag, bis zu den Bayern ist der Kult des Donar wohl nicht gedrungen?

Wir sahen, daß Tiuz im Namen dem alten indogermanischen Himmelsgott entsprach und damit auch etwas vom Wesen des römischen Jupiter in sich schloß. Ein anderes Gebiet im Herrschaftsbereich des Jupiter besetzt Donar. Der Name klärt uns darüber auf, welches: Donar heißt der Donnerer und Donar ist der Gott des Wetters und Gewitters. Thor, der stärkste der Götter, sagt wieder Adam von Bremen, herrscht in der Luft und waltet über Donner und Blitz, Wind und Regen, Sonnenschein und Fruchtbarkeit. Ebenso ist Jupiter der Herr über Blitz und Donner, der Donner ist das Rollen seines Wagens, und wie Jupiters, so ist auch Donars Waffe, die Art oder der Hammer, das Abbild des Blitzes. Site wurden dem germanischen Donnergott schon in der Bronzezeit (1500 bis 500 v. Chr.) geopfert. Donar schlägt zu mit seiner feurigen Art" , sagt das altenglische Gedicht von Salomo und Saturn. Jupiter scheint reicher als Donar, insofern er zugleich der Gott des ruhigen und des bewegten , des heiteren und des dunklen Himmels ist, während bei den Germanen Donar als Gott des bewegten und dunklen Himmels , Tiu als Gott des ruhigen und heiteren Himmels verehrt wird. Aber Donar hat, wie wir noch sehen werden, Kräfte, die Jupiter nicht besitzt.



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Wir müssen uns zunächst den Zeugnissen zuwenden, die vom germanischen Jupiter sprechen. Das älteste stammt aus dem s. Jahrhundert ; es ist eine gotische Runenschrift auf einem in Pietroassa in Rumänien gefundenen Ring, und sie lautet: Gutaniowihailag, das ist Gutane Jowi hailag, dem Jupiter der Goten geweiht. Sie bezeugt den Donar als den Jupiter; wir dürfen vielleicht sagen, als den Gott der Goten. Denn im Norden, sogar in der Edda, ist Thor der Ase, der Gott schlechthin. In unsrer gotisch-germanischen Runenreihe wird auch für A As (der Ase) genannt. Wir übersetzen As mit Donar und die umliegenden Stäbe verstärken uns den Mut zu unsrer Interpretation. Voran geht nämlich für Th Thuris (der Riese). Dem ist, sagt die Runenreihe, der Ase überlegen . Die nordischen Sagen über Thor erwachsen nun alle aus den Siegen des Gottes über die Niesen. — Es folgen in der Reihe dem Asen die Stäbe für R Rat (das Wagenrad) und für R cen, chaon (die Fackel): also auf dem Wagen, Blitze schleudernd, fährt Donar. Dann schließen sich an für H Hagal (Hagel), für N Naut (Not), für J Is (Eis), für A Ar (Jahr), für S Sol (Sonne). Über das Unwetter, erklären wir, über Kälte, über den Jahreslauf und über den Sonnenschein waltet wieder der Wettergott. Diese Erklärung gleicht fast wörtlich der Aussage des Adam von Bremen über Thor. Sie wird also das Rechte treffen. Zuerst den Gott von Sturm und Blitz, dann den Gott des heiteren Himmels führt die alte Runenreihe an uns vorüber, ihr danken wir das erste, mächtige, in wenigen großen Eindrücken festgehaltene Bild des germanischen Jupiter tonans.

Im 7. Jahrhundert warnt der hl. Eligius, man solle weder im Mai noch zu anderen Zeiten den Tag des Donar müßig verbringen, fern von den heiligen Festen der Kirche. Das berühmte Verzeichnis der Aberglauben des Burchard von Worms aus dem 9. Jahrhundert warnt vor den Opfern und heiligen Tagen, die dem Jupiter und Merkur bestimmt sind. In einem Lobgesang



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auf den hl. Gallus im 10. Jahrhundert werden die Bekehrer gepriesen, sie hätten den Heiden das Wort Gottes gelehrt und den Donar brennend verlassen, d. h. wahrscheinlich sein aus Holz geschnitztes Bild. Bonifatius, der Apostel der Deutschen, erwähnt in seinen Briefen einen Priester, der dem Jupiter opfert. Spärlich genug sind diese deutschen Angaben, immerhin bezeugen sie einen Gott, dem ein lebhafter, von der Kirche besonders eifrig bekämpfter Kult gehörte.

Sehr eindrucksvoll verstärkt wird diese Kunde durch den berühmten Bericht über die Fällung der Donareiche im Hain von Geismar, die dem Bonifatius gelang. "Auf ihr eifriges Zureden", heißt es in seiner Lebensbeschreibung, "versuchte er einen Baum von erstaunlicher Größe, der die alte heidnische Bezeichnung die Eiche des Donar trug, im Ort, der Geismar heißt, zu fällen. Während er, gestärkt durck) die Beharrlichkeit seines Vorsatzes, den Baum fällen wollte, versammelte sich eine große Menge der Heiden, die unter sich den Feind ihrer Götter heftig verwünschten. Aber sehr bald, nachdem die ersten Hiebe ihn trafen, stürzte die ungeheure Masse des Baumes, von einem durch Gott gesandten Wind außerdem geschüttelt, vom Wipfel an sich spaltend und brach wie durch tröstliche Hilfe der himmlischen Macht in vier Teile. Vier Stämme von ungeheurer Größe und von gleicher Länge lagen nun, fern von den Mönchen, die der Arbeit beigewohnt, am Boden. Als die Heiden das sahen, die den Bonifatius zuerst verwünscht, schworen sie den alten Göttern ab, tauschten gegen den Fluch den Segen und wurden gläubig."

Diese lebhafte Erzählung führt uns mitten in das Werk der Bekehrung unserer Vorfahren. Natürlich sammelt sie alles Licht auf den Apostel der Deutschen, dessen kühne Entschlossenheit Gott durch Wunder und Zeichen und durch einen von ihm selbst kaum erwarteten Erfolg belohnt. In Wirklichkeit wird der Vorgang sich kaum so spannend und so wunderreich abgespielt haben. Der Bio



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graph deutet das hohe Alter der Donareiche ja an. Der überalte Baum wäre wohl auch ohne Zutun eines christlichen Eiferers über kurz oder lang in sich zusammengebrochen. Hätte Bonifatius, ein kluger Angelsachse, sich auch an einem Baum versucht, der, in voller Kraft vor ihm grünend, jeder An trotzte? Doch gerade, weil sie Jahrhunderte überdauerte, hielten die alten Deutschen die Eiche für unzerstörbar und sahen nun mit seinem heiligen Baum den Gott stürzen. — Es war ein besonderer Mut von Bonifatius, daß er gerade nach Geismar ins Hessische drang. Nach dem Zeugnis von heute noch bestehenden Ortsnamen hatten die heidnischen Götter dort mehr als ein Heiligtum. Das Heidentum war, wie es scheint, dort noch fester verwurzelt, als in anderen deutschen Ländern.

Die Germanen verehrten, wie wir schon wissen, ihre Götter im heiligen Hain. Durch die Tat des Bonifatius erfahren wir nun, daß ein bestimmter Baum einem bestimmten germanischen Gott, dem Gott des Blitzes und Donners, heilig war. Ein uralter Baum mußte das freilich sein. Warum aber gerade die Eiche: Darauf gibt uns die Meinung primitiver Völker die Antwort: weil die Eiche den Blitz anzieht und weil deshalb sich der Glaube entwickelt, daß sie in geheimnisvollem Zusammenhang mit dem Blitz steht und mit dem Gott, der dem Blitz gebietet. Im Norden ist dem Thor die Eberesche heilig, auch ein Blitzbaum.

Die Nachrichten über Donar, die wir bisher auflasen, zeigen uns einen übermächtigen Wetter- und Himmelsgott. Als Herrn über das Wetter gebührt ihm eine besondere Verehrung und ihm galt namentlich die gläubige Ehrfurcht der Goten. Alte mächtige Eichenhaine verstärkten die Andacht vor seiner Majestät, die in Wipfeln und Zweigen, in Stamm und Wurzel der Eiche geheimnisvoll verborgen und offenbar schien.

Nach der Angabe der Germania des Tacitus ist auch Herkules bei den Germanen gewesen, und wenn sie in den Kampf gingen,



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priesen sie ihn als den ersten aller tapferen Männer. Ihm galt der Barditus; wahrscheinlich Zauberlieder und Beschwörungen, die von den Trägern in die vorgehaltenen Schilde gemurmelt wurden, und die, um ihn selbst und seine Gewalt herbeizurufen, die Stimme des Gottes nachahmten und sie durch den Widerhall aus den Schilden verstärkten. An einem andern, von uns schon angeführten Ort, sagt Tacitus: dem Herkules hätte man Tiere geopfert. In den Annalen teilt er die Meldung eines überläufers mit, das Schlachtfeld sei von Arminius ausgewählt und auch andere Stämme seien in einem dem Herkules heiligen Wald zusammengekommen .

Dieser Herkules, den Tacitus an der einen Stelle neben Mars und Merkur, d. h. neben Tiu und Wodan nennt, neben den beiden großen germanischen Göttern, kann kaum ein anderer als Donar sein, nach dem uns schon bekannten altsächsischen Zeugnis des 8. Jahrhunderts und nach anderen Zeugnissen der dritte große germanische Gott. Als den Stärksten, d. h. wohl auch als den Tapfersten aller Menschen und Götter charakterisiert noch Snorri in seiner jüngeren Edda den Thor, und seinen Bartruf, den Barditus, erwähnt eine späte isländische Saga. Das Gemeinsame von Donar und Herkules ist die Kraft. Herkules trägt eine Keule, Donar schwingt seinen Hammer. Schließlich war kein Gott und kein Heros der Griechen an kühnen Fahrten und Taten so reich wie Herkules, er bezwang die Unholde und drang in das Jenseits. Dasselbe gilt vom nordischen Thor. Ob die Germanen auch solche Sagen von Donar erzählten, der die Riesen bezwang, das müssen wir noch zu erkunden suchen, die gotische Runenreihe nennt den Donar ja als den Gott, der stärker ist als die Riesen.

Auf römischen in Deutschland gefundenen Inschriften des 2. und 3. Jahrhunderts taucht öfter der Name Herkules auf. Trägt dieser Beinamen, die weniger ihn selbst als den germanischen Donar zu charakterisieren scheinen, so dürfen wir vermuten, daß



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die römischen Germanen, die diese Weihsteine setzten, sie ihrem Douai weihen wollten. Im 2. Jahrhundert nach Christus wird Herkules auf einer solchen Inschrift barbatus genannt; das übersetzen wir: Donar mit dem starken Bart, und wir weisen darauf hin, daß im Norden und gerade wieder in seinen alten und schönen Sagen Thor einen wallenden, rötlich-blonden Bart trägt als Zeichen seiner männlichen Schönheit und Kraft. Seine Gattin Sif schmückt leuchtendes langes Haar; darin ruht ihre Macht. Loki schneidet es ihr ab, um ihr die Macht zu rauben. Das ist ein Glaube alt und weit wie die Welt und uns aus der Bibel aus der Geschichte von Simson seit unsrer Kindheit vertraut, daß der Mensch im Haar seine Kraft trägt.

Aus dem Gebiet der Batawer am Niederrhein nennen uns acht Inschriften aus der ersten und zweiten Hälfte des J. Jahrhunderts n. Chr. und eine Münze den Hercules magusanus, sechsmal allein, einmal mit andern Göttern, einmal mit einer germanischen Göttin, immer ihn an erster Stelle. Im Norden heißt ein besonders starker Sohn des Thor Magni; magusanus deutet man wohl darum mit Recht als der Starke, der Kräftige.

Die neben Herkules auf einigen Inschriften genannte germanische Göttin heißt Haewa, das ist die Ehefrau (vgl. althochdeutsch hîwiski, die Familie, und hîrât, die Heirat). Die Gattin Thors im Norden heißt Sif, das ist die Sippe, sie waltet eben über der Sippe, den Eltern und ihren Kindern.

Die Batawer riefen also den starken Donar und seine Ehefrau für sich und ihre Kinder an. Damit stellten sie ihre Sippe unter den Schutz des göttlichen Ehepaares. Der nordische Thor weiht die ganze Zeit des nordischen Heidentums hindurch von Geburt zum Tod das ganze Leben des nordischen Bauern und beschützt Ehe, Zeugung und Nachkommenschaft. Aus unsren Inschriften schließen wir, daß er Wiege, Bett und Grab auch unsrer deutschen Vorfahren weihte. Er war zugleich der starke Gewittergott und



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von Geschlecht zu Geschlecht der treueste und mächtigste Beschützer des Hauses und der Familie. Allmählich wird er vor unsern Augen ein Gott, in dem sich in echt deutscher Art Kraft, Treue und Güte verschmelzen.

Im Gräberfeld von Nordendorf, zwischen Donauwörth und Augsburg, wurde in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, 1843, eine Spange aus dem 7. Jahrhundert gefunden, die eine Frau dem gestorbenen Freund ins Grab gab, mit einer Runeninschrift, deren letzter Sah lautet: wigi Thonar: es möge weihen Donar. Dieselben Worte (Thor weihe diese Runen) beschließen viele dänische Runeninschriften auf Grabsteinen aus manchem Jahrhundert . Noch über den Tod hinaus behütet Donar die Seinen. Die Macht der bösen Geister, die dem Toten die Ruhe stören, soll durch die Macht des stärksten und treuesten Gottes gebrochen werden.

Die Nordendorfer Spange ist zugleich das älteste Zeugnis, das den deutschen Namen des Gottes nennt. Ein zweites aus dem 8. Jahrhundert ist jenes sächsische Taufgelöbnis, in dem der Täufling dem Wodan, dem Donar und dem Sahsnot abschwören soll. Ein drittes findet sich in einem Segen gegen die Fallsucht, den zwei Handschriften des 10. Jahrhunderts überliefern und durch dessen verworrene, verstümmelte, christlich gefärbte Worte und Sätze noch eine mächtige heidnische Dichtung, ein Zauberspruch, hindurchzubrechen scheint. Wir deuten uns den Tert folgendermaßen: Donar, der im Volk Mächtige oder, wie es in der anderen Handschrift heißt, der im Volk Ewige — beides sind für unseren volkstümlichen Gott sehr bezeichnende Beinamen — wird zuerst angerufen. Nun verwirrt sich die Überlieferung und es taucht ein riesisches Wesen auf, das einen Stein zu Holz scheitet. Da die folgenden Sätze eine Brücke nennen, ist damit wohl gemeint, daß es durch seinen Blitz eine steinerne Brücke zersplittert, als sei sie von Holz. Da kam, fährt der Segen fort, des Adams Sohn zur Brücke und schlug des Teufels Sohn in eine Staude, d. h. er



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warf den Blitz in die Staude zurück, in der er verborgen gelegen hatte. Denn ebenso wie Eiche und Eberesche ist die Staude ein Baum des Blitzes. Setzt man nun an Stelle von Adams Sohn, dem Heiland, den Donar, an Stelle von des Teufels Sohn einen Riesen, so erkennen wir den folgenden Vorgang: Ein Riese zer-schleudert mit seinem Blitz eine Brücke, über die der mächtige Donar in sein Reich dringen will. Der Gott packt den Blitz, wirft ihn in die Staude zurück und beraubt den Riesen seiner Waffe. Nun wird er weiterschreiten und den Riesen ganz überwältigen.

Zu den großen Taten Thors in der Edda gehört sein Kampf mit dem Riesen Geirrödh. Dieser haust in der Unterwelt und Thor muß durch reißende Ströme zu ihm waten. Als er in die Halle vor Geirrödh trat, so berichtet nach einer Dichtung des 10. Jahrhunderts Snorri, packt dieser ein glühendes Eisenstück und wirft es nach dem Gott. Der aber fängt es mit den Eisenhandschuhen auf und schwingt es in der Luft. Geirrödh läuft hinter eine Eisensäule , um sich zu schützen. Da wirft Thor das Eisen und schleudert es durch die Säule und durch den Riesen und durch die Wand hindurch und noch weiter in die Erde.

Das glühende Eisen kann nur der Blitz sein, die Verwandtschaft des nordischen und des von uns erschlossenen germanischen Berichtes ist kaum abzustreiten. Eine Fahrt des stärksten Gottes in die Welt der zerstörerischen Riefen, der Triumph der blitzeschleudernden göttlichen über die blitzeschleudernde riesische Kraft, das scheint der Gehalt der heidnischen Dichtung, die das Christentum verwirrte und abriß, deren packende und pittoreske Gewalt der nordische Skalde in seiner Art noch steigerte.

Bis in die germanische Urzeit führt unsere Dichtung kaum zurück . Sie ist kein Mythus und keine alte, ungefüge Schöpfung, wie die Geschichte vom Himmelsgott, dem der Wolf den Arm abbeißt sie ist die Anschauung eines Poeten, wie die Bilder der germanischen Runenreihe. Im dunklen Gewitter und im grellen Hin und



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Her der Blitze sieht der Dichter den Kampf vom Gewittergott und Gewitterriesen. Vielleicht war dieser Dichter ein Gote. Gehört die steinerne Brücke der Urform der Dichtung an, so muß eine Römerbrücke vor seinen Augen gestanden haben, die Germanen kannte, bis in die Karolingerzeit hinein, keine Steinbrücken.

Unsre Dichtung steht nun im Deutschen nicht für sich selbst da. Ihre Sätze sind nur der Auftakt zur Beschwörung einer Krankheit , der Fallsucht. Krankheiten halten viele Völker für das böse Geschoß eines Gottes. Bei Homer schießt Apollo seine Pestpfeile auf die Griechen. In einem altenglischen Segen schießen die Walküren ihre gellenden Gere als Krankheiten auf die Menschen. Man denke noch an die Bezeichnung der Krankheit Hexenschuß. Der Beschwörer in unserem Spruch wird versucht haben, indem er sich, wie es in der Anweisung heißt, mit gespreizten Beinen über den Kranken stellte und ihn so unter seinen Schutz nahm, das Geschoß, das ein tückischer Unhold in den Kranken schoß, wieder auf den Absender zurückzuschießen. Als ein Beispiel für den zurückgesandten Schuß, das hier vor allem helfen sollte und helfen konnte, sagte er in feierlichen Versen unsere Geschichte vom Gott und vom Riesen auf. Daran schloß sich wahrscheinlich die beschwörende uns verlorene Zauberformel. Im zweiten Merseburger Zauberspruch, der die Verrenkung. eines Fußes heilen soll, wird als Auftakt ebenfalls eine Götterfabel erzählt: dem Fohlen des Himmelsgottes Balder verrenkt ein tückischer Waldgeist den Fuß, erst der Gott, der des stärksten Zaubers waltet, heilt durch seine Kunst und seinen Spruch die Verrenkung.

Noch der nordische Bericht über Thors Fahrt zu Geirrödh betont Thors zauberische und beschwörende Kraft öfter als irgendeine andere Thorsage. Das bestärkt unsren Glauben an die Urverwandtschaft der Geirrödhgeschichte mit dem altdeutschen Segen.

Von den Nordgermanen und Ostgermanen gingen vielleicht schon in der Bronzezeit, sicherlich aber in den ersten Jahrhunderten unsrer Zeitrechnung und dann das ganze Mittelalter hindurch



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Kultureinflüsse nach dem Osten und Nordosten, zu den Lappen, Finnen und Esthen, vielleicht sogar zu den Littauern. Auch religiöse Vorstellungen und Bräuche, Sagen und Götter wanderten hinüber, stellten sich neben die einheimischen und einige davon blieben durch die Jahrhunderte ziemlich unverändert. In diesen östlichen Literaturen finden wir darum Märchen und Mythen, älter als die ältesten der Edda, Gold aus dem Schatz der Germanen. Die merkwürdigsten gelten dem Donar, dem nordischen Thor und seinem Kreise.

Der Thor der Lappen Hora Galles, das ist Thor karl, empfängt als Opfer lange und große Hämmer und besitzt selbst zwei Hämmer. Der eine soll den Donner von ihren Renntieren zurückhalten , der andere mit dem Blitz ihre Feinde erschlagen. Vor langer Zeit, erzählen die Lappen weiter, habe einer von ihren in Berghöhlen wohnenden Riesen den Donnergott gefangen und versteckt , ein verwegener Bursche habe ihn endlich befreit. Da fiel. unter Blitz und Donner wieder Regen auf die Erde, die lange in Trockenheit schmachten mußte.

In dem Märchen der Esthen entwendet der unbedachte Sohn des Donnergottes, vom Teufel beschwatzt, dem schlafenden Vater den Dudelsack, das Donnerwerkzeug. Der Teufel verbirgt es tief im Meer. Als der Gott den Diebstahl bemerkt und der Sohn ihm seine unbesonnene Tat gebeichtet, verkleidet er sich als Fischer, fischt den Teufel, der Fische stiehlt, aus dem Meer, zerbläut ihn, läßt sich von ihm zur Hochzeit einladen und während des Festes den Dudelsack zurückgeben. Er bläst ihn, die ganze Hochzeitsgesellschaft fällt vor Schrecken in Ohnmacht und es regnet wieder.

Mit diesen Berichten vergleichen wir den Inhalt eines berühmten und wohl auch sehr alten Eddaliedes, den Inhalt der Thrymskvidha.

Thrym, der Lärmer, ein Riese — man beachte den lautmalenden namen — hat dem schlafenden Thor den Hammer gestohlen und ihn tief unter der Erde versteckt. Das gesteht er dem Loki und



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fügt hinzu, gebe man ihm Freyja zur Frau, so solle Thor seinen Hammer zurückhaben. Thor als Freyja und Loki als Magd verkleidet fahren nun beide zum Riesen. Dieser rüstet das Brautmahl, bringt den Hammer, die Ehe zu weihen, da werden er und die Seinen vom Gott erschlagen und dieser reißt seine Waffe rasch an sich.

Die drei Berichte, der lappische, der esthnische, der nordische, zeigen uns sehr anschaulich die Verwandlung einer mythischen Vorstellung in eine mythische Dichtung, die Vermischung der Motive dieser Dichtung mit Motiven anderer Herkunft und endlich den übergang aus dem Göttermythus in den Götterschwank. Eine lange trockene Zeit mit nachfolgendem Gewitter und Regen schafft die Vorstellung, zuerst — das berichten die Lappen — der Donnergott selbst ist gefangen und wird wieder befreit, alsdann der Hammer des Donnergottes oder sein Donnerwerkzeug ist gestohlen und wird wieder zurückgebracht. Diese alte Fabel kommt nun in Bewegung, das Spiel der Motive treibt sie hin und her. Der Räuber ist bald ein verwegener Bursche, bald ein Riese — der esthnische Teufel war früher gewiß ein Riese — und bald holt der listige Gott sich seinen Hammer selbst zurück, bald holt ihn der verwegene Bursche, bald ein listenreicher und gewandter, kleiner Gott. Wir glauben, daß ein Riese, nach dem Blitz des Gottes lüstern, in der ältesten Form der Sage der Dieb war, er raubte dem Schlafenden die Waffe. Wir glauben ferner, daß der Gott selbst, sei es durch Klugheit, sei es durch Kraft, seine Waffe zurückgewann und den Riesen empfindlich strafte. Dann stoßen wir auf eine Dichtung verwandten Gehaltes mit dem altdeutschen Segen, den wir eben aus dem Durcheinander der überlieferung herausholten. Unsre Dichtung wäre dann eine Variation des gleichen Themas, des Kampfes von Riese und Gott um den Blitz.

Der Räuber oder der Zurückbringer des gestohlenen Schatzes ist eine mythische Gestalt für sich, ein Wesen, mit dem Donnergott nicht unverwandt, wir werden später versuchen, ihn zu enträtseln.



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Dieser verwegene Bursche ist aber nicht die einzige Bereicherung unserer Fabel, sowohl die nordische wie die esthnische Version steigern die List. In beiden verkleidet sich der Donnergott, erscheint verkleidet und enthüllt seine Majestät auf der Hochzeit. Das ist nach unsrer Auffassung ein Motiv nicht aus dem Mythus, sondern aus dem Kultus, der Nachklang einer alten, mimisch dargestellten Begattungsszene, eins der ganz wenigen, uns erhaltenen Fragmente des ältesten germanischen Dramas. Gerade die Herübernahme dieses Motivs verwandelt unsre Dichtung in einen derben und mächtigen Götterschwank. — Da der esthnische und der nordische Bericht die Verkleidung kennen und da auch viele primitive Völker, wie die indogermanischen, im Anfang ihres Daseins mimische Ehedramen gern darstellen, dürfen wir annehmen, daß die Zusammensetzung von Verkleidungsszene und Gewitterfabel das Wert eines germanischen Poeten war. Vom dichterischen Standpunkt aus betrachtet, ist die Fabel vom gestohlenen und zurückgeholten Hammer unbeholfener und primitiver und darum wohl auch älter a die Dichtung vom Kampf des blitzeschleudernden Riesen mit dem blitzeschleudernden Gott.

Der Reichtum von. Motiven in unsrer Fabel ist aber noch immer nicht erschöpft. Im Esthnischen fischt der Gott den Teufel aus dem Meer, diese Tat gehört wieder in Donars germanische Zeit. Denn das gleiche unternimmt Thor im Nordischen — keine seiner Taten war berühmter —: seine Erzfeindin, die Midgardschlange , holt er aus den Wogen und will sie zerschlagen. Die Schlange aber ist ein alter Unhold des Meeres, wie die Phantasie der Germanen sie nicht nur im Norden sich erfabelte. Der Unhold Grendel und seine grause Mutter, die der altenglische Heros Beowulf bewältigt und die auf dem Grunde des Meeres hausen, sind der Midgardschlange verwandt.

Von der germanischen Luft der lappischen und esthnischen Berichte wenden wir uns nun mit einem etwas jähen Ruck in das



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Fabelwesen des ausgehenden Mittelalters und zwar in das südliche Tirol, dessen Dichter allerlei ritterliches Zierwerk mit dem berühmten König der Goten, mit Dietrich von Bern verflochten, mit dem Theoderich der Geschichte. Die Kämpfe Dietrichs waren recht nach dem Geschmack der höfischen Epigonenzeit, bunt, abwechselnd, abenteuerlich, einige anmutend und reizvoll vorgetragen nach den besten Mustern der höfischen Kunst, andere voll frischen und derben Humors, wieder andere stellten jugendlichen übermut und gefaßte Männlichkeit in ihrem Kontrast echt und ergreifend dar, alle schwelgten in der seltsamen und erhabenen Welt dieser Felsen und Berge.

Unter dem Gewirr dieser Taten verbirgt sich nun, wie wir glauben, eine germanische Dichtung, die Geschichte vom Kampf Dietrichs gegen eine böse Riesin der Berge, die den Namen Runze trägt, Lawinen schleudert, Zerstörung und Unheil anrichtet und von dem unbesiegbaren Recken bezwungen wird. Der Name ist wieder lautmalend wie der Name von Donar und Thrym und der Stamm der gleiche wie der des nordischen Riesennamen Hrungni. Das ist ein von Thor besiegter Riese, felsenwerfend und ein gewaltiger Verheerer. Wir vermuten demgemäß, die Geschichte von Dietrich von Bern und Runze und die von Thor und Hrungni entwickelten sich aus der gleichen Dichtung und diese Dichtung war gotisch, blieb sie doch im deutschen Süden unter dem Schutz des gotischen Dietrich. Der Kampf Thors wurde in vielen Dichtungen gefeiert, die nordischen Berichte über ihn tragen noch manches Zeichen hohen Alters. In seinem Wagen braust der Donnergott heran, während er sonst zu Fuß bei seinen nordischen Kämpfen schreitet. Er schleudert von weitem dem Riesen seinen Hammer entgegen , während dieser sonst Waffe im Nahkampf ist. Das schwedische Smaland bewahrt uns noch eine Reihe echter alter mythischer Überlieferungen. Dort erzählt man noch immer von dem Riesen Hrungni. Er wollte den Gott mit einem Steinblock erschlagen, aber



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der Gott zerschlug ihn, und von ihm stammen die Steinhaufen, die im Land liegen.

Ein Gewitter, dessen Blitz in die Felsen fährt und dort Steinmassen absprengt, erschien der schöpferischen Phantasie eines Dichters als der Hammerwurf des Blitzgottes, der über den Steinwurf des Felsriesen triumphiert. Wir erkennen eine neue, nun die dritte Variation des Themas vom Kampf der Riesen gegen die Waffe des Blitzgottes. Dasselbe Thema wirkt noch in deutschen Riesensagen nach, die sich in das 19. Jahrhundert erhielten. Die Goten und nach ihnen die Nordleute haben es besonders eindrucksvoll und großartig ausgeführt. —

Wie anders steht der germanische Donar vor uns als der germanische Tiu! Dieser thront im hohen Himmel und hält die oberste Entscheidung über Krieg, Schicksal, Recht in seinen Händen. Donar wirkt stärker, den Menschen viel näher; er ist viel tätiger und wird oft und plötzlich mit jäher Gewalt sichtbar. Tiu verlangt grausame Opfer, Donar nicht. Er waltet über die Fruchtbarkeit der Felder. Immer wollen die Riesen, die Erbfeinde menschlicher Arbeit, die verheerende Macht der Elemente, den Gott besiegen, seine Waffe ihm entwinden, immer bleibt er der Überlegene. Sein Donner und Blitz schafft nicht Zerstörung, sondern beschützt den Menschen, unüberwindlich und immer wachsam ist dieser Gott des Menschen stärkster Freund. Von seiner Macht und seiner Treue konnten die Germanen nicht genug erzählen. Nun, nachdem wir immerhin einige Sagen über den germanischen Donar erschlossen, dürfen wir behaupten, auch in seinen Taten war der germanische Donar dem römischen Herkules gleich. In das Reich der Riesen hat er sich gewagt , aus dem Meer hat er die Unholde geholt, ihre Waffen hat er stumpf und ohnmächtig gemacht. Durch List und Stärke hat er seine Gewalt gegen sie behauptet. Er war der Tatenfroheste und der am liebsten Besungene der germanischen Götter. In seinem Wirken ist etwas Zuversichtliches und Stolzes, der Jubel des



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Überwinders klingt uns immer noch daraus entgegen, aus seinen Sagen erblühten reiche und frohe Dichtungen. Den alten, ungefügen Fabeln über ihn gaben zuerst die Goten ein mächtiges künstlerisches Gesicht. Derselbe Gott des Donners und der Macht wachte über Geburt und Ehe und Tod, über die Sippe und die lange Reihe der Geschlecher ebenso stark und ebenso treu wie über Feld und Flur. Wir werden noch ein reicheres und mächtigeres Bild von Donar gewinnen; doch schon die von uns zusammengestellten und erklärten Zeugnisse zeigen ihn als den volkstümlichsten germanischen Gott. Lieber haben unsre Vorfahren keinen verehrt, treuer haben sie keinem die Treue vergolten.


4. Wodan

Der Geschichtschreiber der Longobarden, Paulus Diaconus, sagt im 8. Jahrhundert: Wodan ist derselbe, der bei den Römern Mercurius heißt. Diese Entsprechung Wodan-Merkur wird noch oft bestätigt, z. B. von Jonas von Bobbio im 7. Jahrhundert und besonders häufig noch bei den Angelsachsen. Dort nennen in der Geschichte des Galfrid von Monmouth Hengist und Horsa den Merkur den englischen Wodan und betonen, daß er ihr Hauptgott sei und daß nach ihm der vierte Wochentag wodenes dei heiße. Dieser Name hat sich im englischen wednesday bis heute erhalten, ebenso im friesischen wonsdeg, im niederländischen woensdach, , im niederrheinischen gudestac, gudenstach, im nordischen odhinsdagr. Wenn wir heute statt wodanstag Mittwoch sagen, so bedeutet es, daß der Kult des Wodan vor allen Dingen auf mitteldeutsche und niederdeutsche Stämme beschränkt war, wie noch die mit ihm zusammengesetzten Ortsnamen bezeugen.

Wodan id est furor, Wodan heißt Wut, sagt Adam von Bremen. Das ist wieder zutreffend. Freilich dürfen wir Wut nicht abstrakt erklären. Das Heer der Seelen, die sich vom Leibe gelöst hatten und nun im Sturm durch die Lüfte brausten, hieß die wilde



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Jagd. Heftiger und wilder als sonst brauste sie in den Nächten der Winterwende, den stürmischsten des Jahres. Diese wilde Jagd nannten unsere Vorfahren Wod (Wut), das ist die wütende Schar. Die Vorstellung von ihr ist immer noch in vielfältigster Variation und reichster Fülle über Deutschland, Dänemark und Schweden ausgeschüttet, nur einige Ausläufer erstrecken sich nach Norwegen. In Deutschland ist die wilde Jagd schon im frühen Mittelalter bezeugt und reicht in das germanische, wohl auch in das indogermanische Altertum zurück. Denn der Glaube ist wieder uralt, daß die Seele, die den Leib verläßt, in die Luft eingeht und in der Luft bleibt; Wolken und Wind, auch Atem und Seele sind Geschwister. Der Führer der Wod hieß wode und so heißt er im Niederdeutschen noch heute, er hieß auch *wodanaz. Wode ist die ältere Form und Wode der primitivere Gott. Er blieb durch alle Jahrhunderte bei seinen wilden, unerlösten Seelen. Wodanaz, später Wodan, ist der mächtigere — das Formandi -anaz werden wir in der Bildung germanischer Götternamen noch öfter finden, namentlich in der Bildung der Namen von Seelengottheiten —, er löste sich vom Seelenheer ab und eroberte ein weiteres Reich. In der Vorstellung der wilden Jagd und in dem Namen Wode wirkt der Glaube und die Götterwelt unserer Vorfahren lebendig bis in unsre Gegenwart hinein, vor allem auf niederdeutschem Gebiet. Das ist ein recht seltener Fall. Der Glaube, auf den frühere Generationen der Mythologen ihre stärkste Hoffnung setzten, daß wir den Spuren der alten germanischen Götter in unsren Sagen, unsrem Brauch, unsren Märchen noch auf Schritt und Tritt begegnen, hat sich sonst leider recht oft als ein Irrglaube gezeigt.

Nun wird uns auch klar, warum die Römer in Wodan ihren Merkur wieder fanden: beide waren Führer des Seelenheeres. Sie hatten auch noch andere Eigenschaften gemeinsam. Darüber später, sobald uns die Zeugnisse das Bild des Wodan deutlicher gezeichnet haben.



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Tacitus nennt in der von uns schon angeführten Stelle den Merkur neben dem Mars und betont, daß die Hermunduren und Chatten beiden Göttern im Falle ihres Sieges Opfer gelobt hätten. Daß Merkur Menschen als Opfer empfing an bestimmten feierlichen Tagen, sagt Tacitus noch einmal in der Germania. Wenn er dort den Merkur über den Mars stellt, so ist das, wie wir wissen, nicht richtig. Merkur war nicht der von den Germanen am meisten verehrte Gott. Eine Reihe von germanischen Stämmen kannten ihn gar nicht, namentlich nicht die Goten. Die Stämme, die den Wodan verehrten, scheinen ihn freilich unbedingt als ihren höchsten Gott gefeiert zu haben und daraus wird vielleicht der Irrtum des Römers verständlich. Deorum maxime Mercurium colunt, heißt es bei Tacitus, und colimus maxime Mercurium läßt Galfrid von Monmouth fast ebenso seinen Hengist und Horsa sagen. Auch der Kult des Wodan erhielt sich lange Zeit. Wir teilten ja schon mit, daß Burchard von Worms vor den heiligen Tagen warnt, die dem Jupiter und dem Merkur gelten und daß der Täufling im 8. Jahrhundert neben dem Donar und Sahsnot dem Wodan abzuschwören hat und allen unreinen Geistern, die ihre Genossen sind.

Ein Weihstein des 4. Jahrhunderts, im oberen Ahrtal bei Blankenheim gefunden, gilt dem Mercuri Channini, d. h. wahrscheinlich Merkur dem Totengott, dem Führer der Seelen.

Aus dem Anfang des 3. Jahrhunderts, aus Blatzheim, zwischen Düren und Köln, stammt ein Stein, dessen Inschrift einen deus requalivahanus nennt, dem Quintus Aprianus tructus ex imperio pro se et suis weiht. Früchte, die hier der Stifter für sich und seine Sippe darbringt, werden gewöhnlich Göttern der Fruchtbarkeit und den Ahnengöttern geopfert. Da *rekwa das gleiche Wort ist wie gotisch riquis, nordisch rökkr Dunkelheit, und da die Ahnengötter im Dunkeln und Verborgenen wirken, halten wir den deus requalivahanus für einen Ahnengott und für verwandt mit Wodan, in dessen engerem Kultgebiet er ja austritt. Vielleicht war sogar requalivahanus



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ein Beiname von Wodan. Die Deutung von livahanus ist noch unsicher. Darf man an gotisch leihwan, althochdeutsch lîhan: leihen, verleihen denken und requalivahanus mit: der im Dunkel Spendende übersetzen?

Der dem römischen Merkur entsprechende keltische Gott Efus war ein rüstigerer Wanderer, als Wanderer zieht Odhin in vielen nordischen Sagen durch die Welt. Zu Wodans Wesen als Seelenführer gehörte das ruhelose Stürmen durch die Lüfte, unter dem Einfluß des keltischen verwandten Gottes mag er auch ein irdischer Wanderer geworden sein.

Dem Mercurius Cimbrianus gehören einige Steine aus der Wende des 2. und J. Jahrhunderts, aus den fränkischen Ländern, auf Bergen gefunden, wo nach Ausweis von Ortsnamen und von späten englischen Zeugnissen Wodan oft verehrt wurde.

Die nächsten Zeugnisse über Wodan entstammen dem 7. Jahrhundert. Das wichtigste ist die bereits erwähnte Nordendorfer Spange, deren Inschrift vollständig lautet: loga thore Wôdan wigi Thonar. Der kunstvoll verschlungene Stabreim (tho-wo-witho), der reiche Wechsel der Vokale (o a, Ô a, o a, dazwischen o e, i i), die reiche Modulation des Klanges (loga, wigi; thore thonar; wôdan thonar; wôdan wigi) weisen darauf hin, daß die Inschrift eine alte feierliche Formel war, von einem religiösen Dichter geschaffen . Strittig ist allein die Bedeutung des logathore. Wir übertragen: Flammenbringer sei Wodan. Es weihe Donar; und stellen uns vor, daß Wodan die Flamme des Scheiterhaufens entzünden sollte, auf den der Tote gelegt wurde, und daß Donar den Scheiterhaufen alsdann weihte. Wodan als Herrn über die Flamme nennen noch einige nordische Zeugnisse. Den Hergang bei Balders Verbrennung, wie Snorri in der jüngeren Edda ihn schildert, stellen wir uns so vor, daß Wodan die Flamme des Holzstoßes entfachte, auf dem der tote Gott lag, und daß Donar den Holzstoß mit seinem Hammer weihte. Damit erscheint Wodan



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zum erstenmal als Gott des Zaubers vor uns; das ist eine neue Ähnlichkeit mit Merkur, der ebenfalls als Meister des Zaubers gilt.

Nach unserer Deutung ist logathore ein Beiname von Wodan, vielleicht auch verwandt mit nordisch Lôdhurr (wenn dies auf *Iuh-thurar zurückführt). Lôdhurr ist ein Gott, den eine berühmte Stelle der Wöluspa zusammen mit Hoeni und Odhin nennt, als Beseeler des ersten Menschenpaares, und der seinerseits wieder dem Loki sehr nahe steht. Denn mit Odhin und Hoeni wandert nach den eddischen Zeugnissen sonst immer Loki durch die Welt. Noch in der Lokasenna, einem späten, aber gut unterrichteten Gedicht der Edda, erzählt Loki, er sei in alten Zeiten der Blutsbruder Odhins gewesen.

Noch von einer anderen Seite her läßt sich unsere Vermutung stützen. Auch Hoeni, der dritte Gott in dieser Dreiheit, war, wie es scheint, ursprünglich nichts als ein Beiname von Wodan, der Name bedeutet der Beseelende.

Es würden sich dann in germanischer Urzeit Wodan und Tiu durch die Fülle der Beinamen charakterisieren, die ihnen die Priester verliehen. Für Wodan bestätigt uns das ein altenglisches Zeugnis (S. 52).

Jonas von Bobbio erzählt in seiner Lebensbeschreibung des hl. Columban ca. 620, daß der Heilige, als er bei den Sueben weilte, die Bewohner einer Ortschaft fand, wie sie gerade ein heidnisches Opfer darbringen wollten. Sie hatten ein großes Gefäß, das sie in ihrer Sprache cupa (das ist unser Stufe) nennen, in der Mitte, das etwa 26 Scheffel faßte und voll Bieres war. Als er sie nun fragte, was damit geschehen solle, erhielt er die Antwort, sie wollten ihrem Gott Wodan opfern.

Bei diesen Sätzen muß man zuerst unwillkürlich lächeln. Sie berühren uns fast wie ein Scherz auf einem studentischen Kommers und nicht wie die Schilderung eines Gottesdienstes unsrer Vorfahren. Vielleicht hat schon Jonas von Bobbio seine Angabe ab



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sichtlich auf das Ironische gestimmt. Wir möchten zum Verständnis bemerken, daß man dem Gott den Trank wohl opfert, damit er die Felder ertragreich macht, die den Trank spenden. Speise- und Trankopfer empfangen wie gesagt vor allem die Ahnen, die Geister der Verstorbenen, die Hinterbliebenen wollen sich durch ihr Opfer die gütige Hilfe der Väter sichern. Wodan, dem mächtigsten der Ahnen, gebührt dann allerdings ein besonders reicher Trank.

Ein nordisches Gedicht und eine nordische Sage erzählen im 10. und 12. Jahrhundert außerdem, wie Odhin den Göttertrank den andern Göttern brachte. Eigentlich war dieser berauschende Trank wohl ein Zaubertrank, wie ihn der Zauberer bei vielen Völkern schlürft, damit er in die Ekstase gerät, die ihm die Kraft des Zaubers gibt. Dann hätte an unsrer Stelle das Trankopfer an Wodan noch einen besonderen tiefen Sinn. Man weiht dem Gott seinen Trank auch darum, daß seine Zauberkraft sich erhöht, zum Gewinn aller, die an ihn glauben. Wenn die Gläubigen den Trank genießen, so setzen sie sich mit dem großen Gott in eine heilige Gemeinschaft. —

Im 8. Jahrhundert feiert der von uns schon öfter genannte zweite Merseburger Zauberspruch den Wodan als den mächtigsten Zauberer. Ihm gelingt die Heilung, die den zauberkundigen Göttinnen nicht gelang; er kennt den heilenden Spruch: Bein zu Bein, Blut zu Blut, Glied zu Glied, als ob sie geleimt seien. Gewissermaßen lehrt Wodan den Göttinnen den Zauber. Noch Snorri im 13. Jahrhundert erwähnt, daß Odhin, der mächtigste Zauberer, den Göttinnen seine Kunst lehrte.

Die Longobarden stellten sich den Wodan als goldene Schlange vor und der Schlangenkult ist bei ihnen noch einmal bezeugt. Die Schlange kriecht aus der Erde und in der Erde liegen die Toten. Dadurch wird begreiflich, dah der Gott der Toten sich in Schlangengestalt zeigt. Unter Odhins Beinamen erscheinen im Nordischen



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noch zwei Schlangennamen: Ofni, der Webende, Swafni, der Schläfernde, Namen, die auch auf das geheimnisvolle, schicksalsschwere Raunen und Sinnen des Zaubergottes deuten. Als Schlange schlüpft Odhin zu Gunnlöd, der Jungfrau, die den Göttertrank behütet.

Auch die älteste uns überlieferte Sage von Wodan ist longobardisch. Sie steht in der Chronik vom Ursprung der Longobarden (ca. 670), Paulus Diaconus, der Geschichtschreiber der Longobarden , hat sie wiederholt, im 8. Jahrhundert; das ganze Mittelalter hat sich an ihr gefreut.

Ein Stamm hieß die Winniler; unter ihnen war ein Weib Gambara, die hatte zwei Söhne Ybor und Aio. Mit denen zusammen herrschte sie über die Winniler. Nun bewegten sich die Führer der Wandalen Ambri und Assi mit ihren Heeren und sagten zu den Winnilern: entweder zahlt uns Zins oder bereitet euch zum Kampf und kämpft mit uns. Da antworteten Ybor und Aio mit ihrer Mutter: besser ist es, den Kampf zu rüsten als den Wandalen Zins zu zahlen. Nun baten Ambri und Assi, eben die Führer der Wandalen, den Wodan, daß er ihnen verhielte den Sieg über die Winniler. Wodan antwortete verheißend: die ich beim Aufgang der Sonne zuerst sehen werde, denen werde ich den Sieg geben. Zu derselben Zeit bat Gambara mit ihren beiden Söhnen, eben dem Ybor und Aio, den Fürsten über die Winniler, die Frea, die Gattin des Wodan, daß sie den Winnilern günstig sei. Da gab Frea den Rat, daß beim Aufgang der Sonne die Winniler kommen sollten und ihre Frauen sollten die Haare auflösen um das Antlitz nach Bartes Weise und mit ihren Männern kommen. Da, als es Licht wurde, während die Sonne aufging, drehte Frea, die Gattin des Wodan, das Bett, in dem ihr Gemahl lag und wandte sein Antlitz nach Osten und weckte ihn. Und jener, umblickend, sah die Winniler und ihre Frauen, die Haare tragend aufgelöst um das Antlitz und sagte: wer sind jene Langbärte? Und es sagte Frea zu Wodan: wie du ihnen den Namen gegeben hast, so gib ihnen auch den Sieg (das war eine alte germanische Sitte). Und er gab ihnen den Sieg, so daß sie, nachdem dies sichtbar geworden, sich auch bewährten und den Sieg davontrugen. Aber seit jener Zeit hießen die Winniler Longobarden.

Unsre übersetzung sucht, so gut es geht, die frische und naive



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Unbeholfenheit des lateinischen Originals zu bewahren. Dies selbst scheint auf ein altes alliterierendes Lied zurückzuführen, mit lebhaftem Dialog und dramatischer, wenn nicht mimischer Darstellung. Den Stil dürfen wir uns etwa denken wie den des nordischen Liedes vom gestohlenen Hammer. Hier eine Überlistung, dort eine Beraubung des schlafenden Gottes. Hier verkleiden sich Frauen als Männer, dort trägt ein Gott das Gewand einer Frau und beide Lieder durchklingt eine derbe Heiterkeit und die Freude an dem wohlgelungenen Streich.

Im Anfang erzählt uns der Bericht, wie die Winniler den höchsten Gott mit Hilfe einer zauberkundigen Frau und einer Göttin überlisten, damit er ihnen den Sieg gebe. Am Ende scheint der Sinn der ganzen Fabel die Erklärung, warum die Winniler Longobarden heißen: auch hier kreisen die Berge und ein kleines Mäuslein kommt zum Vorschein. Doch solche Kontraste sind bezeichnend für die volkstümlichen, ätiologischen Geschichten bei allen Völkern, man blättere nur einmal, wenn man Beispiele in Hülle und Fülle finden will, die Natursagen von Dähnhardt durch. Bald ist wie in unsrem Fall die ätiologische Erklärung als Schluß lose angehängt , bald ist sie der eigentliche Anfang der Geschichte. Auch wir haben einen Verlauf, der so seltsam und jäh abwärts führt, schon beobachtet: bei den Zaubersprüchen. Die Lichtgötter erscheinen, der höchste Gott zeigt seine überragende Kraft und am Ende wird die Verrenkung eines Fußes geheilt, der Donnergott entreißt dem Wetterriesen den Blitz und am Ende wird ein Kranker von der Fallsucht befreit.

Wodan wird bei uns um Sieg angerufen, wie schon bei Tacitus und wie noch in vielen späten nordischen Geschichten. Aber während er sonst als der unsteteste Gott durch die Lüfte braust und als unermüdlicher Wanderer die Welt durchstreift, thront er hier in heiterer Ruhe im Himmel und betrachtet sich von seinem hohen Sitz die Welt. Die Völker aber nahen ihm ehrerbietig und tragen



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ihm ihre Bitten vor. So wird sonst dem Tiu, dem Himmelsgott, und nicht dem Führer der Seelen und dem Zauberer gehuldigt. Wir vermuten deshalb, daß bei den Longobarden Wodan den alten Himmelsgott verdrängte und die Ehre des höchsten Gottes an sich riß. Das geschah auch bei anderen germanischen Stämmen, wir werden noch davon hören. Beide Götter haben in ihrem Wesen Verwandtes. Der eine war ein Führer der Seelen und ein Gott der Ahnen, der andere der Vater der Menschen; beide verleihen den Sieg, beide prunken in der Fülle ihrer Namen. Die Zauberkraft und der stürmische Drang seines Wesens führten den Wodan wohl an die höchste Stelle.

Nun überrascht uns weiter, daß in unsrer Fabel im Unterschied vom Merseburger Zauberspruch Wodan nicht der Mächtigste bleibt, sondern der List und Kunst seiner himmlischen Ehefrau unterliegt. Im Eingang eines Eddaliedes aus dem 10. Jahrhundert wiederholt sich diese Demütigung, da siegt der Schützling der Frigg und nicht der des Odhin. Dieser Eingang ist wohl ein Nachhall unsrer Geschichte.

Noch im Nordischen ist der Frigg die eigentliche Sorge für den Himmelsgott Balder anvertraut. Sie nimmt allen Wesen den Eid ab, dem Liebling der Götter nicht zu schaden. In der Frühzeit der germanischen Religion waren, wie wir wissen, die Göttinnen zahlreicher als die Götter und ihnen ebenbürtig. Auch die Erde stellte man sich als Göttin vor. Uns scheint, neben dem Himmelsgott haben die Germanen in alter Zeit eine Himmelsgöttin verehrt und sie mit einem Kranz von Himmelsgöttinnen umgeben. Wir nennen hier aus dem Merseburger Zauberspruch die Namen Sunna, Sinthgunt, Bolla, ihr Wesen werden wir später, so gut es geht, deuten. Die Himmelsgöttin besaß wohl einen eigenen Kult und Frauen wie die Gambara waren ihre Priesterinnen; als Priesterin, als phitonissa bezeichnet sie an anderer Stelle unser Chronik nachdrücklich. Der Name, mag man ihn nun als die Kluge (althochdeutsch . 1. 4



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gambrî, Scharfsinn) oder als die Trägerin des Zauberstabes (*gandbera) deuten, bestätigt diese Angaben. Himmelsgöttin und Himmelsgott werden also in der longobardischen Fabel in ihrer Macht erprobt, noch ist die Himmelsgöttin die Mächtigere, nicht aber Wodan, sondern der Himmelsgott ist ihr unterlegen.

Noch zwei Forderungen in unserem Bericht heben wir hervor. Der Sieg soll denen gehören, die der Gott beim Sonnenaufgang zuerst sieht, und die Frauen der Longobarden sollen sich ihre wallenden Haare wie einen Bart ums Antlitz hängen. In sehr vielen Frühlingsfeiern wird der zuletzt Aufstehende verspottet, der zuerst Aufstehende gefeiert, wer zuerst aufstand, den segneten die warmen und befruchtenden Strahlen der Sonne am ehesten und längsten. Die Herrichtung aber des Mannes als Frau und der Frau als Mann oder die Vereinigung der Kraft beider Geschlechter in einem Wesen und dadurch die Steigerung seiner Fruchtbarkeit erscheint, wie wir noch erfahren werden, bei Festen, die der Ehe gelten, oder bei Festen, die über Menschen und Felder Fruchtbarkeit verbreiten sollen. Nun wird, wie wir glauben, der älteste Sinn unseres Berichtes sichtbar. Die Winnilerfrauen zeigten der zweigeschlechtigen Gottheit des Himmels, dem Himmelsgott und seiner Gattin, ihre Männer und außerdem ihre Frauen mit den Zeichen beider Geschlechter, dem Antlitz der Frau und dem langen wallenden Haar, dem Zeichen der männlichen Kraft. Darum wurde ihre Fruchtbarkeit von Gott begünstigt, die Wandalen sah der Gott später und er sah von ihnen nur die Männer. Der Name des Winnilerfürsten Ybor (Eber) ist der Name eines Tieres stärkster Fruchtbarkeit und Zeugungskraft, der Eber war später dem Gott der Fruchtbarkeit, dem Frey, heilig.

Beim Kultus eines finnischen Gottes Pekko, den sein Name aber als germanischen Gott ausweist, nehmen Frauen teil, doch als Männer verkleidet. Umgekehrt schmücken lappische Priester bei ihrem Kult Haupt und Haar in der Art der Frauen.



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Als Kern aus dem heiteren und derben longobardischen Lied haben wir nun die Bitte zweier germanischen Stämme um Fruchtbarkeit herausgeschält, die Bitte, die sie dem Vater Himmel und der hohen Himmelsfrau vortrugen und die dem von ihnen gewährt wurde, der dem Gott die stärkere geschlechtliche Kraft zeigte. Die Bitte um stärkere Fruchtbarkeit verwandelte sich dann in die Bitte um Sieg über den Feind, dieser Bitte gab ein germanischer Dichter, der durch die Schule der Spielleute gegangen war, ein fröhliches Gewand. Im Umgang von Mensch und Gott zeigt die longobardische Erzählung eine Vertraulichkeit, die wir in der germanischen Götterdichtung sonst nicht treffen, wohl aber in späteren Zaubersprüchen und Erzählungen, die den Einfluß der Spielleute erfahren haben.

Sowohl die Führer der Wandalen wie die Führer der Winniler sind nun ein Brüderpaar und unter einem Brüderpaar, Hengist und Horsa, dringen die Sachsen nach England. In diesen brüderlichen Führern soll die männliche Kraft des Stammes sich verdoppeln und bei den Winnilern steht den Männern noch eine männliche Frau, die Gambara, zur Seite. Sie weist den Weg zum Sieg, sie gibt ihrem Stamm die überlegenheit, sie vermehrt und ergänzt die männliche Kraft. Man erkennt, wie sinnreich die Anlage der ganzen Erzählung ist. Von hier aus fällt nun ein überraschend helles Licht auf eine Aussage des Tacitus, die bisher allen Erklärungsversuchen siegreich widerstand. Der Römer berichtet in seiner Germania von einem göttlichen Brüderpaar, den Alcis, denen besondere Verehrung zuteil wurde: als Brüder, als Männer in ihrer Jugendkraft wurden sie verehrt, eben wie Ambri und Assi, Ybor und Aio, Hengist und Horsa. Ihren Kult verwaltete ein Priester in weiblicher Tracht. Hier zeigt sich eine neue Spielart unsres Themas, die Ergänzung und Vermehrung der Kraft des männlichen Geschlechtes durch einen mannweiblichen Priester.

Wie man sich auch zu unsren Vermutungen stellen möge, daß



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die leichte Hülle der longobardischen Dichtung über einen tiefen mythischen und kultischen Gehalt geworfen wurde, ist wohl gewiß, wenn wir auch für die Erkenntnis von Wodan nicht gerade das lernten was wir vermuteten. —

Den alten Engländern galt Wodan als der höchste Gott. Auf Bergen, in Wäldern, an Gewässern, an Kreuzwegen hat man ihm gehuldigt und geopfert, eine unverstandene Erinnerung daran behielten Ortsnamen bis in unsre Gegenwart. Viele Zeugnisse bis in das 10. Jahrhundert bestätigen uns, daß Wodan der Stammvater aller Helden war, daß er früher ein Mensch gewesen, deo man zum Gott erhoben, daß er dem Merkur entspricht und daß der vierte Wochentag seinen Namen trägt.

Neben dem Heldentum Wodans, durch das er vor allem die siegreich vordringenden Hengist und Horsa beschützte, wird seine Zauberkraft verehrt und gefürchtet. Die Denksprüche des Eieterbuches nennen den Wodan den Stifter des Bösen, der allwaltende Herr aber heißt es, schuf den Himmel, das ist der mächtige Gott. Ein Neunkräutersegen zählt neun gegen Gift wirksame Kräuter auf, die ein Wurm zerreißen will: da ergriff Wodan neun Zauberzweige und schlug die Natter, daß sie in neun Stücke zerfiel und floh. In dem Gedicht von Salomo und Saturn wird gefragt: wer erfand die Runen?" Die Antwort lautet: "Merkurius, der Unhold. Das ist Wodan, der Gott." Eine sehr ausführliche Schilderung ebendort sagt: "Ein Mann war geheißen Merkurius im Leben, er war sehr betrügerisch und unstet in seinen Taten und er liebte den Diebstahl und den Wortbruch. Den machten sich die Heiden zu ihrem berühmtesten Gott, bei der Kreuzung der Wege tanzten sie zu seinen Ehren und auf hohen Hügeln brachten sie ihm Opfer. Dieser Gott war verehrt unter allen Heiden und mit verschiedenen Namen, im Dänischen heißt er Othon. Zu seinen Ehren nannten sie den vierten Tag den Tag des Merkur."

Von dieser Charakteristik trifft auf Merkur allein der Diebstahl



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und die Betrügereien; das Unstete, der Kult auf Bergen und an Kreuzwegen und der Namenreichtum treffen außerdem auf Wodan und sind bei ihm auch sonst bezeugt. Uns interessiert besonders, wie ein dem Wodan nicht eben wohlgesinnter Mönch die alte Interpretation: Merkur ist Wodan, auffaßt und darstellt.

Der englische Wodan als der Vater der Helden, der Mächtigste der Ahnen, der Verleiher des Sieges und der größte Gott, verbindet wieder Eigenschaften des alten Kriegs- und Himmelsgottes Tiu mit den Eigenschaften des germanischen Wodan. Ganz ähnlich wie bei den Longobarden wird er bei den Angelsachsen den Tiu aus seiner Herrschaft geworfen haben, dabei war wieder seine Zauberkraft der stärkste Helfer.

Als Führer der Seelen, als Spender des Sieges und als mächtigen Zauberer, in dieser dreifachen Macht zeigen uns die wesentlichen Zeugnisse aus römischer Zeit und aus den späteren germanischen Jahrhunderten unsern Gott. Bedenken wir nun, daß bei einem kriegerischen Volk wie den Germanen der Kriegszauber der stärkste Zauber sein mußte, bedenken wir weiter, daß die Verstorbenen als zauberkräftig gelten — bei sehr vielen Völkern alter und neuer Zeit ist die stärkste Kunst des Zauberers der Umgang mit den Toten, die ihm verborgene Weisheit künden —, so möchten wir meinen, der Glaube an Wodan sei aus der Verehrung eines besonders mächtigen, zauberkundigen Häuptlings erwachsen, der sich auch im Jenseits an die Spitze der Abgeschiedenen stellte und auch dort der stärkste Zauberer blieb. Alsdann gewönnen die altenglischen und altnordischen Behauptungen, die in dieser Bestimmtheit bei keinem andern germanischen Gotte auftreten, eine neue Bedeutung: Wodan sei eigentlich ein Mensch und König. Noch die Sagen vom wilden Jäger berichten gern, daß der wilde Jäger eigentlich ein Mensch war, der zur Strafe für seine Sünden ruhelos durch die Lüfte stürmt. Ein solcher Ahnengott, im Heulen des Sturms sich immer von neuem offenbarend, mußte unmittelbarer



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wirken und überwältigender als der weitentrückte Tiu. Auf die Dauer blieb er der nähere, der stärkere Gott, der wilde Jäger und Wode leben ja noch heute.

Auch dieser Gott hebt sich in bestimmten Umrissen vor uns ab, trotz einzelner Ähnlichkeiten ist er von Tiu und noch stärker von Donar unterschieden. Das Finstere, Ruhelose, Zauberstarke ist sein Wesen Als der unwiderstehlichste Gott zieht er die Helden zu sich und er scheint die dunkle Tragik von Krieg und Sieg in sich zu bergen.

Ob wir den Wodan recht deuteten, werden wir erkennen, wenn der nordische Odhin uns die Fülle seines Wesens zeigt. Einige wenige Züge des nordischen Gottes, die auf das Germanische zurückführen , haben wir erwähnt. Viele andere berührten wir noch nicht, denn sie sind so fest in seinen andern nordischen Eigenschaften eingekapselt, daß man sie aus ihnen nicht herausnehmen mag. Schon jetzt aber erscheint uns Wodan tiefer und geheimnisvoller und mit Krieg und Schicksal und Heldentum fester verflochten als ein anderer germanischer Gott.


5. Mutter Erde

Von dem Kult einer germanischen Göttin erzählt Tacitus sehr eingehend, von dem Kult der Nerthus.

Die Reudigner, Avionen, Angeln, Wariner, Eudosen, Suarthonen und Nuithonen, deutsche Völker, zwischen Flüssen und Wäldern wohnend , verehren insgesamt die Nerthus, das ist Mutter Erde, und glauben, daß sie sich in die menschlichen Dinge mischt und zu den Völkern gefahren kommt. Auf einem Eiland des Meeres liegt ein unentweihter , ihr geheiligter Wald, da stehet ihr Wagen mit Decken umhüllt , nur ein einziger Priester darf ihm nahen. Dieser weiß es, wann die Göttin im heiligen Wagen erscheint; zwei weibliche Rinder ziehen sie fort und jener folgt ehrerbietig nach. Wohin sie zu kommen und zu beherbergen würdigt, da ist froher Tag und Hochzeit; da wird kein Krieg gestritten, keine Waffe ergriffen, das Eisen verschlossen.

Nur Friede und Ruhe ist dann bekannt und gewünscht; das währt



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so lange, bis die Göttin genug unter den Menschen gewohnt hat, und der Priester sie wieder ins Heiligtum zurückführt. In einem abgelegenen See wird Wagen, Decke und Göttin selbst gewaschen: die Knechte aber, die dabei dienen, verschlingt der See alsbald.

Ein heimlicher Schrecken und eine heilige Unwissenheit sind daher stets über das gebreitet, was nur diejenigen anschauen, die gleich darauf sterben.

Auf welcher Insel die Göttin gefeiert wurde, wissen wir nicht, manche Anzeichen deuten auf Seeland. Tacitus erklärt die Nerthus als Mutter Erde. Dabei denkt er gewiß daran, daß ihr Kult mit dem Kult einer phrygischen, in Rom bekannten Gottheit, einer Mutter Erde, viele Ähnlichkeiten hatte. Aber auch germanische Zeugnisse machen es wahrscheinlich, daß die Nerthus wirklich eine Mutter Erde war.

Wenn die alten Engländer den Pflug ansetzten und die erste Furche zogen, so sprachen sie das feierliche alte Gebet: "Gesegnet seist du, Erde, der Menschen Mutter. Sei du wachsend in Gottes Umarmung, erfüllt von Frucht, den Menschen zum Nutzen." Einen wunderschönen Nachklang dieses Gebetes hören wir in der Edda. Die aus langem Schlaf erwachende Brünhild ruft: "Heil euch Göttern, Heil euch Göttinnen, Heil dir, fruchtschwere Flur!" Die Vorstellung von einer Mutter Erde war also den Germanen bis tief in das Mittelalter hinein vertraut.

Es scheint nun, als hätten unsere Vorfahren an den Wortstamm , der Erde bedeutete, verschiedene Suffixe angehängt, gewissermaßen , um ihre überall aufquillende Fruchtbarkeit anzudeuten . In der gleichen Bedeutung stehen eru (althochdeutsch), erce (altenglisch), ertha (gotisch) nebeneinander. Ein langer altenglischer Segen aus der christlichen Zeit, der Heidnisches und Christliches seltsam durcheinandermengt, zeigt unter christlichen Beschwörungen und Vorschriften die folgende großartige Anrufung: Erce, Erce, Erce, der Erde Mutter, es vergönne der allwaltende, ewige Herrscher, daß die Äcker sprießen und gedeihen im Wettstreit



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der Fruchtbarkeit. Er vergönne dem Korne Wachstum, der breiten Gerste, dem weißen Weizen, der ganzen Flur. — Wir vermuten, in einer reineren Fassung dieses Segens wurden Erce und Erde als Mutter angerufen (Erce, Erce, Erce, du Mutter Erde), die, von Gott umarmt, Fruchtbarkeit der Felder den Menschen spendete.

Aus unsern Zeugnissen geht weiter hervor, daß die Germanen ihre Mutter Erde als Göttin im Frühjahr anriefen. Den Glauben an die Mutter Erde teilen sie mit vielen Völkern, er mag ein Erbe sein aus der indogermanischen Urzeit. Die Jungfrau Maria empfanden unsre Vorfahren als ihre Göttin, weil sie, wie die alte Erde, eine mütterliche Göttin, weil sie die Mutter war. Weiter noch, die Erde wächst in Gottes Umarmung. Wer aber kann dieser befruchtende Gott anders sein als der Vater Himmel? Auch den Vater Himmel haben wir bei den Germanen entdeckt, außerdem ist die Ehe zwischen Vater Himmel und Mutter Erde eine uralte und weitverbreitete Vorstellung. Bei den Indern der wedischen Zeit war sie schon verblaßt, die nordamerikanischen Indianer reden von Mutter Erde und Vater Sonne, die Lappen von Akko, dem Großvater, dem Himmelsgott, oon Akku, der Großmutter, der Erdgöttin. Einige Völker glauben auch, am Anfang der Welt seien Himmel und Erde eng verbunden gewesen und man habe sie gewaltsam trennen müssen, damit ihre Kinder in freiem Licht hätten atmen können.

Bei Tacitus bringt der Priester die Nerthus nach ihrer Umfahrt in das Heiligtum zurück. Nehmen wir nun an, die Nerthus war die Mutter Erde, und wir dürfen es nunmehr, sie wurde wie die altenglische Mutter Erde im Frühjahr gefeiert, so wäre der Priester, ihr Begleiter, der Vertreter des Vaters Himmel und vollzöge am Schluß der Feier mit ihr die heilige Ehe. Auch diese Vermutung wird richtig sein. Denn ein nordischer Bericht aus dem späten Heidentum, der uns noch öfter fesseln wird und der beinahe klingt wie eine Wiederholung der Aussagen des Tacitus,



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teilt uns mit, daß der Himmelsgott Frey und seine Priesterin, die Gottheit der fruchtbaren Erde, durch eine heilige Ehe verbunden waren.

Auch der Name Nerthus weist in dieselbe Richtung, er ist jetzt endlich zuverlässig gedeutet worden, von Erich Berneker. Nerthus (ner+thus) heißt das eintauchende oder ' das in die Erde verschwindende Wesen. Die Mutter Erde könnte keinen treffenderen Namen tragen. Im Herbst und Winter scheint sie im dunkeln Schoß der Fluren und Felder zu versinken. Im Frühjahr taucht sie blühend und grünend tausendfach ans helle Licht. Noch mehr aber, die Göttin taucht tief in das heilige Naß des Himmels und geht aus diesem Bade in neuer, prangender, segensschwerer Fülle hervor . Die geweihte Verbindung von Wasser und Land, von Meer und Erde erklärt uns, daß Nerthus eine Göttin der Erde ist und zugleich von meeranwohnenden Völkern verehrt wird.

Der unentweihts Wald auf einem abgelegenen Eiland, das Heiligtum der Nerthus, ist ein echt germanisches Heiligtum. Auch die Umfahrt der Göttin auf einem Wagen ist ein sehr alter germanischer Brauch. 1902 wurden in Thrundholm auf Seeland (vgl. oben S. 55) eine runde mit dünnem Gold belegte Scheibe gefunden, dazu Räder, offenbar von einem Wagen, auf den die Scheibe gelegt war, und schließlich hübsche Bronzepferdchen, diese hatten die Bestimmung, den Wagen zu ziehen. Erfahrene Archäologen setzen das Werk in die Zeit zirka 1000 v. Chr. und preisen seine vorzügliche Arbeit. Die Scheibe war das Abbild der Sonne und eine Votivgabe, der Sonne wurde ihr Abbild dargebracht, damit sie selbst scheine und zu allen Völkern gefahren käme. — Im heiligen Hain der Germanen wurden weiße Rosse gehalten, kein Sterblicher durfte sie berühren, sagt wieder Tacitus an einer berühmten Stelle der Germania, nur der Priester schirrte sie an den heiligen Wagen, König und Fürsten gingen neben ihnen und alle beobachteten ihr Wiehern und ihr Schnauben als das höchste Orakel,



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an das Hoch und Niedrig, Priester und Laie glaubten. — Die Umfahrt eines Götterbildes, wohl auf einem Wagen, bezeugt uns für die Goten im 5. Jahrhundert Sozomenos. — Donar fährt auf einem Wagen über den Himmel, wir wissen von einem Bilde Thors, im Tempel zu Drontheim, das auf einen Wagen gesetzt war, den Böcke zogen. 'Dies Bild entspricht also dem alten germanischen Bild der Sonne. Der Himmelsgott Balder stieg wie Frey auf einen Wagen und hielt auf ihm seine heilige Umfahrt. — Der Wagen der Göttin, d .h . wohl das Bild der Göttin auf ihrem Wagen, ist verhüllt. Das Volk verhüllt noch immer einen Gott, wenn es seine Unsichtbarkeit andeuten will. So laufen die Burschen, die das Heer der Seelen darstellen, vermummt über die Wege. Der Frühlingsgott, der Pfingstl oder der Wassermann, wird in der grünenden Blätterhülle ganz verborgen. — Das Zeichen, daß die Göttin sich nahte, war etwa das Erblühen einer ihr heiligen Blume oder das Ergrünen eines ihr heiligen Baumes. — Weibliche Rinder als Zugtiere sind Symbole der Fruchtbarkeit. Sie begegnen im Germanischen recht selten, da und dort bei dem ersten Umziehen des Pfluges über die Felder. Die Vermutung läßt sich nicht ganz abweisen, daß Tacitus hier den Kult der germanischen Göttin mit dem der phrygischen magna mater verwechselte, diese führte man auf rinderbespannten Wagen durch die Stadt Rom und ihr Bild und ihr Wagen wurden im Tiber gebadet, d. h. vom Umgang mit den Menschen gereinigt. Vom Bad der Nerthus berichtet wieder Tacitus, sollte er auch diese feierliche Lustration von der orientalischen auf die germanische Göttin übertragen haben? Uns wenigstens ist kein sicheres germanisches Beispiel der Lustration bekannt. — Wie damals Priester und Sklaven den Wagen begleiteten, so umdrängte bis in die Gegenwart hinein bei Frühlingsfesten den Frühlingsgott oder den Träger des Pfingstbaums die jubelnde Menge. Heute ebenso wie vor Jahrtausenden herrschl Freude, wenn er naht, die Felder und Fluren umschreitet,


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die Häuser betritt. Jeder gibt ihm gern eine Gabe, Symbole der Fruchtbarkeit, von denen wieder Fruchtbarkeit ausgehen soll. Auch der Priester wird bei dem feierlichen Umzug der Nerthus kaum versäumt haben, Opfer und Geschenke zu sammeln. — Die Knechte, die bei dem feierlichen Umzug dienten, stürzte man ins Wasser, das war ein Opfer für die Göttin, damit sie andere Menschen verschone und, wie wir noch immer glauben, zugleich ein Regenzauber . Wie die Knechte ganz mit Wasser bedeckt wurden, so sollten die Fluren später im heiligen Regen ertrinken. Als derber Spaß wurde dieser Regenzauber noch bis in unsre Zeit geübt, als Beschluß mancher Frühlingsfeier.

In der Feier der Nerthus schließen froher Jubel, helle Hoffnung , zitternde Scheu vor dem Heiligen und ein grausamer Opfertod einen geheimnisvollen und tragischen Bund. Ein religiöses Drama rauscht an uns vorüber, in dem die Stimmen der Freude in dumpfem Schreck und in banger Furcht vor dem dunkeln Geheimnis der Gottheit verklingen. Aus den Berichten über die Feier des Tiu, über den Hain des Foseti weht uns ein ähnlicher Schauder entgegen; wie fein und tief hat Tacitus diese Stimmung empfunden und gedeutet.

Gerade diese Kontraste, diese Tiefe, der erhabene, religiöse Gehalt fehlt den Frühlingsfeiern, die sonst der Feier der Nerthus auffallend gleichen, die sie erhellen und die wieder oon ihr erhellt werden und die in seltenem Reichtum in vielen Jahrhunderten bei den Germanen und ihren Nachbarvölkern lebten. Die Feier der Nerthus war eben ein germanisches Frühlingsfest, Mutter Erde zog zu ihren Völkern, verlangte ihre Opfer und verhieß ihnen ihre Fruchtbarkeit. Der Bericht des Tacitus, wenn er vielleicht auch in weniger bedeutenden Einzelheiten irrt, führt uns in Altertum und Gegenwart zugleich, mitten in das religiöse Leben der Germanen, das Jahrtausende hindurch trotz allen Christentums lebendig blieb. Eine seltene Fügung, daß uns dieser Bericht erhalten



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ist, wir empfinden sie doppelt dankbar bei der Armut unsrer andern Zeugnisse über die germanischen Götter!

Einige besonders interessante Meldungen über Feste, die denen der Nerthus ähnlich sind, führen wir aus verschiedenen Jahrhunderten und Ländern an, damit der Chor dieser Stimmen die Bedeutung des römischen Berichts noch verstärke. Viel reicher sind die Zusammenstellungen, die Wilhelm Mannhardt in seinen Wald- und Feldkulten machte.

Der nordische, genauer schwedische Bericht, den wir schon erwähnten und den der christliche Berichterstatter allerdings bös zugerichtet hat, sagt aus, Frey sei, von einer Priesterin begleitet und mit ihr vermählt, auf einem Wagen den Winter hindurch zu den Menschen gefahren, überall mit Jubel begrüßt, mit kostbaren Opfern gern bedacht, und er habe den Fluren Fruchtbarkeit gespendet . Das ist wohl nichts anderes als das Nachleben des Nerthuskults im Nordischen. Die Schwangerschaft der Frau, sagt der Bericht, habe den Bauern als ein gutes Zeichen gegolten.

Eine im 13. Jahrhundert verfaßte niederländische Schrift erzählt , daß im 12. Jahrhundert die Priester und Kleriker unter der Teilnahme des ganzen Volkes bei den Feiern des Oster- und Pfingstfestes aus ihren Frauen eine gewählt, sie mit Purpur und Krone geschmückt, auf den Thron erhoben, mit Decken verhüllt und zur Königin erkoren hätten. Dann stimmten sie zu ihrer Ehre Lieder an, unter Begleitung von Musik, und feierten sie, vom Götzendienst berauscht, wie ein Götzenbild.

Hier haben wir das Frühlingsfest, die von den Priestern verehrte und verhüllte Göttin, auf einem Thron, wie früher auf einen Wagen gesetzt und im Angesicht des ganzen Volkes gefeiert.

Marie Andrée Eysn berichtet in ihrem Buch, Volkskundliches aus dem bayerisch-österreichischen Alpengebiet:

"In jedem Weiler, in jedem Dorfe im Pinzgau ist eine Familie, die eine Frautafel ' besitzt, ein Madonnenbild, Mariä Heimsuchung



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darstellend, meist ein Ölgemälde des 17. und 18. Jahrhunderts. Solch ein Bild, welches das ganze Jahr über in der besten Kammer, obern Geschoß des Hauses aufbewahrt war, wird in die Stube herabgebracht und in einer mit Fichtenzweigen und künstlichen Blumen geschmückten Ecke aufgestellt. Spät abends versammeln sich davor die Dorfbewohner, es werden Psalter gebetet und ,Fraulieder' gesungen, dann das Bild auf einer Kraxe (Traggestell) befestigt und spät in der Nacht, begleitet von fackeltragenden Burschen und Mädchen, Männern und Frauen unter Gesang frommer Lieder nach dem Gehöft eines wohlhabenden Bauern getragen, zuweilen weit entfernt oder hoch gelegen, wo es freudig erwartet wird. Nachdem es auf seinen vorgerichteten, gezierten Platz gebracht, wiederholen sich Gebet und Lieber; dann werden alle Ankommenden mit Brot und Käse, Schnaps und gedörrtem Obst, ,Kucheln' und Krapfen, je nach den Vermögensverhältnissen des Bauern, bewirtet, und fröhliche, zuweilen aber auch mehr als übermütige Tänze schließen die Feier.

Das Bild bleibt bis zur nächsten Nacht, in welcher es in ebensolcher Weise wieder abgeholt und in ein anderes Gehöft gebracht wird, das sich glücklich schätzt, es zu beherbergen, denn wohin es kommt, bringt es Segen, Gedeihen und Fruchtbarkeit.

Die Umzüge des Bildes dauern bis zur Christnacht, in welcher diese ,Frautafeln' in ebenso feierlicher Weise zur Pfarrkirche getragen und auf den Seitenaltären aufgestellt, nach der Christmette aber wieder an ihren Ort in dem ursprünglichen Hause zurückgebracht werden."

Diese Maria, die Maria Gravida, wird auch im Bayrischen Wald verehrt. Wie die Priesterin des Frey ist die Mutter Gottes bei diesen Feiern in gesegneten Umständen, ein Symbol der Fruchtbarkeit. Nur an einer feierlichen Zeit des Jahres erscheint die Nerthus ihren Verehrern, wird das Bild der Maria herumgetragen. Sonst bleibt sie das ganze Jahr am geweihten Plag.



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Die Nerthus fährt auf ihrem Wagen, begleitet vom Priester, unser Bild wird auf einem Traggestell befestigt und bei seinem Umzug von Burschen und Mädchen, Männern und Frauen begleitet. Helle Freude war bei der Nerthus und ist bei der Maria das Kennzeichen der Feier, und zu beiden Feiern gesellten sich Opfer, reiche Bewirtung, Tanz und Gesang, man vergleiche wieder den Bericht über Frey und den niederländischen des 12. Jahrhunderts. Die Feier in Bayern wurde so ausgelassen, eine solche Gaudi, daß die Geistlichkeit endlich einschritt und das Fest überhaupt verbot. Mit Fichtenzweigen und künstlichen Blumen wurde das Bild, vordem es die Fahrt antrat, geschmückt. Ursprünglich verhüllten es wohl Bäume und Blumen des Frühlings. Das Fest wurde in Bayern in die Zeit der Jahreswende verlegt, wie manche andere Frühlingsfeste auch. In die Nacht mag es sich in alter Zeit geflüchtet haben, weil die Geistlichkeit eine heidnische Feier am hellen Tage nicht duldete.

Die Verwandtschaften im ganzen und im einzelnen zwischen der germanischen, der schwedischen, der niederländischen, der bayerischen Feier, zwischen dem 1., dem 12. und dem 19. Jahrhundert werden jedem auffallen. Unsere Beispiele zeigen unwiderleglich, mit welcher Treue germanische Völker an uralten Bräuchen festhalten können.

Die Völker, bei denen die Nerthus umzog, gehörten zu den Ingaewonen, zu den am Meere hausenden, und ihr Gott hieß Ing. Sein Namen erscheint noch im Beinamen des Frey, der im schwedischen Yngwifrey oder Yngunarfrey heißt (die Bedeutung des wi und des unar sind noch nicht zweifelsfrei aufgehellt), und in dem Namen des schwedischen Königsgeschlechts, der Ynglinge. Den Ing selbst nennt ein altenglisches Runenlied, das in stabreimenden Versen die Bedeutung der germanischen Runennamen uns erklärt und in geheimnisschweren Versen aussagt, er sei zuerst bei den ostdänischen Männern gesehen worden, dann ging er nach



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Osten, über die Wogen schritt er und sein Wagen rollte ihm nach. Ein Gott, am Meere hausend, über Land und Meer, zu verschiedenen Völkern ziehend, ein Wagen sein Gefährt oder auch ein Wagen ihm folgend, das sind immerhin Merkmale, die den Ing in nächste Nähe der Nerthus stellen. Sonst regen die Verse wohl die nachschaffende Phantasie an, geben aber der Wissenschaft keinen festen Halt.

Ein Teil der Germanen, sagt Tacitus, opfert der Isis. Ihr Wahrzeichen sei wie ein Schiff gestaltet und ihr Kult stamme daher aus der Fremde, wenn man auch nicht wisse, was sein Grund und Ursprung sei. Die Isis war demnach eine die Schiffahrt begünstigende Göttin. Der Annahme des Tacitus, sie sei aus der Fremde eingewandert, brauchen wir nicht zu folgen, wenn wir bei den Germanen Götter finden, die gerade die Schiffahrt beschützen. Ein solcher ist anscheinend der eben genannte Ing und war sicher der nordische Njördh, von dem Snorri uns mitteilt, daß er da wohne, wo es Schiffszaun (Noatun) heißt und daß er dort walte über des Windes Lauf und das Meer und das Feuer beruhige. Man solle ihn bei der Seefahrt anrufen. Der Name Njördh (Njördhr) entspricht nach den im Nordischen waltenden Lautgesetzen Laut für Laut der germanischen Nerthus und ist ihr auch im Wesen recht verwandt. Doch ist seine Herrschaft gewissermaßen weiter aufs Meer hinausgerückt.

Die Isis kommt dadurch der Nerthus nah, sie gewinnt ein germanisches Antlitz. Seinen Zügen können wir eine noch lebendigere Zeichnung geben, denn die Isis des Tacitus ist wahrscheinlich dieselbe Göttin wie die Nehalennia, von der uns Votivsteine manche Kunde geben. Nehalennia heißt nämlich Schiffsherrin (nea in neal-ennia lautet ab zu noa in noatun und beide sind urverwandt mit lateinisch navis, navalis). Die Votivsteine zeigen das Bild der Göttin, wie sie entweder den linken Fuß auf den Steven eines Schiffes stellt oder wie sie auf ein Ruder zu ihrer Rechten sich



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stützt. Neben ihr stehen Neptun und Herkules in römischer Auffassung , und Früchte, Fruchtkörbe, Füllhörner als Symbole des Reichtums, man erkennt die Verwandtschaft mit Njördh. Die Steine sind von Kaufleuten wohl als Dank für glücklich und erfolgreich überstandene Fahrten oder für andere Wohltaten der Göttin gewidmet. Zwei wurden in Dentz gefunden, vierundzwanzig in Dornburg auf der Insel Walcheren im 17. Jahrhundert vom Dünensand befreit und 1845 sorgfältig beschrieben und abgebildet. 1848 wurde über die Hälfte bei einem Brande schwer beschädigt oder zerstört.

Vom Jahre 1133 wird berichtet, daß ein Bauer aus Inden (im Gebiet von Jülich) im nahen Wald ein Schiff zimmern ließ, das auf Rädern lief und durch vorgespannte Menschen an Stricken zuerst nach Maastricht gebracht wurde, wo Mastbaum und Segel hinzukamen. Dann wurde es hinauf nach Tungern, Lonz usw. im Lande umhergezogen, überall unter großem Zulauf und Geleit des Volkes. Wo es anhielt, war Freudengeschrei, Jubel und Tanz, namentlich der mit ausgelassener Lust erfüllten Frauen. Das ging um das Schiff herum bis in die späte Nacht. Die Ankunft des Schiffes sagte man den Städten an, die ihre Tore öffneten und es feierlich einholten. Die Weber wurden zum Schiffsumzug gezwungen , dafür durften sie dem übrigen Volk den Zuzug wahren und Pfänder erheben. Der Zorn der Geistlichen bewog endlich den Grafen von Löwen, den Umzug mit Gewalt zu verbieten.

Solche Schiffsumzüge sind alte Frühlingsfeste, von vielen Völkern . gern begangen und bis in die Gegenwart lebendig. Die Schifffahrt auf den enteisten Flüssen wurde in frohem, feierlichem Bild dargestellt, damit sie auch in Wirklichkeit bald beginnen könne. Die Göttin, der diese Feier galt, wird der alten Nehalennia geglichen haben, als Göttin der Schiffahrt und des Frühlings war sie auch der Nerthus recht ähnlich. Wie die Nerthus wurde sie von der jubelnden Menge umdrängt, wie jene schuf sie, wohin sie kam,



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Freude und fuhr von einem Volk zum andern. Die Verwandtschaft dieser Feier mit den niederländischen des 12., mit der bayrisch-österreichischen des 19. Jahrhunderts, wieder im ganzen und in den Einzelheiten, wird uns alle wieder überraschen.

Der Bericht von 1133 trägt als besonderes Merkmal die Züge einer ausgelassenen und überschäumenden, echt rheinischen Fröhlichkeit , er versetzt uns in die Stimmung des rheinischen Karneval. Wir glauben sogar, daß wir in ihm den ältesten deutschen Karnevalsbericht besitzen, leitet man doch wohl mit Recht Karneval von carrus navalis ab, von dem Wagenschiff, d. h. von dem wie hier auf Räder gestellten Schiff, das als Symbol des Frühlings die vom Winter befreiten Völker aufjauchzen macht. Das Fest der Nerthus verwandelt sich nun vor uns in einen Ahnherrn der deutschen Karnevalsfeste.

Jetzt weisen wir darauf hin, daß Nerthus eine Göttin, Njördh ein Gott ist. Dieser Njördh ist aber ein weichlicher, fast weibischer Gott und im Norden vermählt mit einer starken männlichen Frau, der Skadhi. In ihrer Ehe verdoppeln sich gewissermaßen beide Geschlechter, das Mannweib verbindet sich mit dem Weibmann. Auch Skadhi erscheint seltsamerweise in einer nordischen überlieferung als Mann. In der nordischen Sage darf Skadhi nur die Füße des Gottes sehen, der ihr Gemahl werden soll. Dies Gebot treffen wir vor allem in orientalischen Gewichten, bei Wesen, deren Geschlecht zweifelhaft ist. Vielleicht stellten sich einige germanische Stämme die Nerthus, die Mutter Erde, die Männer und Frauen hervorbringt, als ein doppelgeschlechtiges Wesen vor. Die magna mater, die wir schon nannten, die besonders in Kreta, Kleinasien, Phrygien und Lydien verehrt wurde und deren Fest dem Fest der Nerthus glich, galt auch als mannweibliche Göttin. Andere orientalische und einige Götter der Primitiven sind ebenfalls androgyn. Eine nordische Gottheit Fjörgyn erscheint außerdem als männlich und als weiblich. Von dieser Gottheit behaupten alte Sagenb. l. 5



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nordische Gewährsmänner, sie sei die Erde. Fjörgyn war den Germanen, und wohl schon den Indogermanen bekannt. Der Name ist verwandt mit gotisch ferguni, Gebirge, mittelhochdeutsch virgunt, Name eines Gebirgszugs, lateinisch quercus, Eiche, litauisch Perkunos, , der Donnergott, indisch Pardschanja, der Regengott; die Gottheit haust im Eichenwald, der aus der Erde sprießt. War ihr der mächtige Eichenwald, die silva Hercynia, heilig? Wenn uns nun Tacitus sagt, die Germanen hätten den Tuisto, den Sohn der Erde gefeiert, so vermuten wir, daß der Römer sich hier geirrt hat und daß tuisto das ist das Zwitterwesen, das Mannweib, eben die Erde selbst war, wie noch im Nordischen der Riese Ymi, aus dem die Menschen sich erzeugten, ein doppelgeschlechtiger Riese scheint.

Zwei Vorstellungen von der Mutter Erde, die eine, daß aus ihrer Umarmung mit dem Vater Himmel alle Frucht wachse, die andere, daß sie selbst als doppelgeschlechtiges Wesen Männer und Frauen hervorbringe, liefen, wie es scheint, bei den Germanen nebeneinander.

Man beachte noch das Folgende: die Göttin Nerthus begleitet ein Priester, den Gott Frey eine Priesterin, den Gott Balder behütet eine Frau, Göttinnen wachen über sein Schicksal. Die niederländischen Priester erheben und krönen eine ihrer Geliebten. Männer ziehen das Schiff der Nehalennia, Frauen umtanzen es. Der altenglische Priester reitet, ohne Schwert, auf einer Stute.

Und: der Sohn des Zwitterwesens Tuisto ist mannus, der Mann; der Sohn des zweigeschlechtigen Ymi ist bur, der Geborene, der erste Mann, der Sohn der zweigeschlechtigen Fjörgyn ist Donar-Thor, der stärkste, der männlichste Gott.

Wir denken nun an unsere Analyse der longobardischen Fabel zurück (S. 50). Was wir dort ermittelten, wird durch unsere neuen Beobachtungen überraschend bestätigt. Bei Gottheiten der Fruchtbarkeit und der Zeugung stellen die Germanen, Niederdeutsche,



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Niederländer, Schweden, Longobarden in wechselnden Variationen die Vertreter beider Geschlechter neben- und gegeneinander. Sie suchen die Gewalt der geschlechtlichen Kraft auch dadurch zu verstärken , daß sie einem Wesen die Kraft beider Geschlechter geben, eine zugleich primitive und großartige Anschauung.

Durch diese Genealogien wird ein Zug im Wesen Donars noch stärker betont: der männliche und schöpferische. Er, der über Ehe und Zeugung wacht, wie bei den Römern die Mutter Erde selbst, erscheint uns nun als der starke Sohn der Mutter Erde und scheint aus ihren unerschöpflichen Tiefen immer neue Kräfte zu heben. Vielleicht feierten die Germanen ihn als den großen Demiurgos, den Schöpfer und Ordner der Welt, der Bereich seiner übereinstimmung mit Zeus und Jupiter würde sich dann mächtig erweitern. In einem sehr alten griechischen Gebet wird Zeus als Sohn der Erde angerufen. Noch die Edda sagt uns, Thor habe die Zehe eines Gottes an den Himmel geworfen, wo sie nun als Stern leuchte, er habe die Wetzsteinfelsen abgesprengt, die nun überall auf der Erde liegen, er habe mit seinem Hammer Vertiefungen ins Felsgebirg geschlagen, er habe die Ebbe hervorgerufen, ihm danke der Lachs seinen schmalen Schwanz. Es war wohl auch Thor, nicht Odhin, der die Augen des Riesen Thiazi als Sterne an den Himmel setzte.

Unser Kapitel über die Mutter Erde hat uns in ein neues Zeitalter der Mythologie getragen. In diesem herrschten die weiblichen und mannweiblichen Gottheiten und alter Glaube von Fruchtbarkeit und Zeugung schwoll vor uns auf, alte Wünsche junger unverbrauchter Völker nach dem Segen der Flur und der Fülle der Kinder. Die Vorstellungen haben noch nicht die klare Bestimmtheit und die festen Umrisse wie die von Tiu, Donar und Wodan und stammen aus einer Zeit, die vor jenen Göttern lag. Dafür sind sie viel länger lebendig geblieben, weil sie älter und kindlicher waren und erhielten sich bis in die Gegenwart hinein



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in allen germanischen Ländern. Schon in ihren Anfängen aber, und das war ein neues Ergebnis unserer Studien, steigerten unsere Vorfahren ihren ältesten Glauben zu starken Kontrasten und zu dunkler Tragik oder zu großartiger Naivität. Und sie ließen aus ihm ihren stärksten volkstümlichen Gott in seiner weltenbildenden Kraft aufsteigen.


6. Alcis, Asen, Elben.

"Bei den Naharnavalen" , sagt Tacitus in jener Stelle, die uns schon mehr als einmal interessierte, "gibt es einen Hain und dieser ist seit alter Zeit bestimmt für einen religiösen Dienst. Den leitet ein Priester in weiblichem Gewand. Aber die Götter entsprechen dem römischen Castor und Pollux (das sind die Dioskuren). Das ist das Wesen dieser Gottheit, der Name ist Alcis. Keine Bilder, keine Spur fremden Glaubens, als Männer in ihrer Jugendkraft werden sie verehrt."

Den Schlüssel, der das Geheimnis auch dieses germanischen Kultus öffnet, glauben wir, wie gesagt, in Händen zu halten, die Alcis galten nach unsrer Deutung als Sinnbild männlicher, durch das Brüdertum verdoppelter Kraft. In ihrem Priester, der weibliche Tracht trug, vereinte sich männliches und weibliches Geschlecht. Kraft und Fruchtbarkeit sollte von den Göttern auf ihre Verehrer überströmen.

Die Naharnavalen sind ein ostgermanisches Volk. Auch die Ostgermanen also prägten in ihrer Weise den Glauben an Zeugung und Fruchtbarkeit aus, dessen besondere Kennzeichen wir bei den Longobarden, den Niederdeutschen und den nordischen Völkern gewannen.

Ein Brüderpaar, das die den Naharnavalen eng verwandten Wandalen beherrschte, hieß nun, wie wir wissen, Ambri und Assi, ein anderes hieß Raus und Rafts. Das sind alles Baumnamen: Ulme, Esche, Rohr und Stamm (Balken). Daraus schliessen wir,



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dah die Alcis selber gleich Donar in den Bäumen ihres heiligen Hains hausten, Wachstum und Kraft der Bäume war die ihre.

Der Glanz männlicher Jugend, das unlösbare Band, das den Bruder an den Bruder bindet, das hatten die Alcis mit den Dioskuren gemeinsam. — Die griechischen und indischen Dioskuren galten ferner als Schützer und Retter in jeder Gefahr und. der Name Alcis heißt: die Beschützer, die Schutzgottheiten (gotisch alhs, der Tempel, altenglisch ealgian, schützen). — Außerdem waren die indischen und griechischen Dioskuren Götter des leuchtenden Himmels. Da bei den Germanen die Götter des Himmels, wie Frey und Balder, Götter der Fruchtbarkeit sind, vermuten wir, daß umgekehrt die Alcis, Götter der Fruchtbarkeit, zugleich als Götter des Himmels verehrt wurden. — Das Wahrzeichen des nordischen Aurwandil, eines Gottes der Fruchtbarkeit, des Gemahls der Erde, ist ein im Frühling sichtbar werdender Stern; Sterne gelte ; ebenso als Wahrzeichen von Castor und Pollux und waren wohl auch Wahrzeichen der Alcis. — Die indogermanischen Dioskuren beschützten vor allem die Schiffahrt. Vielleicht hatten die germanischen Dioskuren das gleiche Amt. Wir erinnern daran, daß Njördh ein Gott der Fruchtbarkeit und zugleich ein Gott der Schiffahrt war. — Schließlich haben die indischen und griechischen Dioskuren die Gestalt von Pferden oder sie sind himmlische Reiter. Bei den Germanen ist das Pferd das heilige Tier des Himmelsgottes und das Tier der starken geschlechtlichen männlichen Kraft. Das letzte geht besonders deutlich aus einem nordischen Zauberspruch hervor, dessen wichtigste Worte schon eine Runeninschrift des vierten Jahrhunderts, auf einem Schabmesser aus Knochen, überliefert: während der Spruch hergesagt wird, reicht einer dem andern das in Leinen gehüllte, mit Lauch geschützte Geschlechtsglied eines Pferdes. Lauch besitzt nach alten Glauben eine geschlechtlich erregende Kraft. Die Alcis, Götter des Himmels und der Fruchtbarkeit, mögen sich daher ihre



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Verehrer als blühende, Rosse tummelnde Jünglinge vorgestellt haben; ein germanisches Brüderpaar, Hengist und Horsa, trägt ja Pferdenamen.

Der Glaube an die Dioskuren gehört wohl in die indogermanische Urzeit. Die griechischen Dioskuren und die indischen Aschwins sind in allen wesentlichen Zügen die gleichen Gottheiten, auch die Letten und Kelten kannten ähnliche Brüderpaare. Die germanischen Alcis würden dann auch aus der indogermanischen Heimat unsrer Vorfahren stammen. Es scheint, daß die Germanen das alte indogermanische Bild nicht änderten, nur die Fruchtbarkeit der göttlichen Zwillinge, ihre Zeugungskraft, haben sie stärker betont. —

Jordanes in seiner Gotengeschichte berichtet von den Goten, sie hätten ihre Vorfahren, durch deren Schutz sie gleichsam siegten, nicht nur Menschen, sondern Halbgötter, das ist Ansis, Ansen, nordisch Asen, genannt. Das ist unser ältestes Zeugnis über die Asen und wohl auch die authentische Erklärung über ihren Ursprung und ihr Wesen. Jordanes leitet die gotische Heldenverehrung aus dem Ahnenkult ab. Uns ist als Gott der Ahnen und zugleich als Gott der Helden Wodan bekannt. Nun erfahren wir, daß auch die Goten den Ahnenkult zum Heroenkult steigerten, daß ihnen aber nicht Wodan als der höchste Ahne galt.

Den Namen Ansen (germanisch *ansuz und «ansiz, in vielen Personennamen erhalten, vgl. Answald, Ansgar usw.) stellen auch wir mit gotisch ans: der Balken zusammen und erklären ihn als der holzgewnitzte Gott und dann als Gott überhaupt. Holzgeschnitzte Götterbilder, meist Säulen, die im Kopf eines Gottes enden, sind schon in früher germanischer Zeit bezeugt und wurden noch von den Isländern verehrt, die meisten Bilder von Thor scheinen solche Bilder gewesen zu sein. Es ist sehr möglich, daß die Germanen von ihren Heroen und Ahnen ähnliche Bilder herstellten. Auf den germanischen Ahnenkult weist auch, wie wir



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schon wissen, die Verehrung des Tiu bei den Semnonen und die Angabe des Tacitus, daß die Germanen in alten Liedern gefeiert hätten: den Tuisto, seinen Sohn Mannus und dessen drei Söhne, nach denen sich die germanischen Stämme Ingaewonen, Irminonen, Istaewonen nannten. Der Stabreim und die Dreiheit dieser Namen zeigen, daß ein altes germanisches Lied wirklich die Urform dieser Angabe war. Die hier genannten germanischen Stämme waren westgermanische und nordgermanische. Man deutet sie wohl am besten als die eng verwandten (ingaevonen), als die großen (irminonen) und als die echten (istaewonen) Völker.

Ein anderes Wort für Ahnen, vielfach variiert und in mancherlei Zusammensetzung, wieder in Personen- und Völkernamen wiederkehrend, war das Wort dado. Da und dort werden dadsîsas erwähnt und verboten. Das sind wohl Lieder, die den Ahnen gelten, sei es, daß sie ihre Hilfe erflehten, sei es, daß sie den bösen Zauber abwehren wollten, dessen jene auch mächtig waren.

Weiterhin sind die Elb en (Alben, Elfen) den Asen eng verwandt und wie diese aus dem Ahnenkult hervorgegangen. Die Elben wurden bei allen germanischen Völkern verehrt. Die altenglische Wendung in einem Segen: sei es der Asen Geschoß, sei es der Elben Geschoß, und der nordische Vers: was gibt es bei den Asen, was gibt es bei den Elben? zeigen, daß sie einmal den Asen ebenbürtig waren. Eine Menge Personennamen bei den germanischen Völkern ist wie mit dad und as auch mit alb, alf zusammengesetzt (Albwin, Alfhild, Aibrûn, Alfrâd usw.). Der Kult der Alben scheint den der Asen und Daven an Verbreitung noch übertroffen zu haben. Im Unterschied von jenen leben sie in den Sagen der germanischen Völker noch bis in unsre Gegenwart hinein. Ihr Wesen ist freilich nicht leicht zu umgrenzen, sie vermischen sich oft mit verwandten Geschöpfen, mit Zwergen, Wichten und Kobolden, entwickelten sich in den verschiedenen germanischen Ländern sehr verschieden; auch teilten sich ihnen im Mittelalter



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die Eigenschaften keltischer ähnlicher Geister mit. Von der Bedeutung des Namens wissen wir sicher nur, daß die Alben die Wesen sind, die sich vom Leib des Schlafenden lösen, in der Welt schweben und gleiten und Menschen und Tiere mit bösen Träumen quälen. Überall gelten die Elben, und das ist das besondere und das für uns Neue an ihnen, als klein und zierlich, als wohlgebildet und als tiefer Einsicht und mancher Künste mächtig, sie treten gern auf als Beschützer der Helden und leben und weben später am liebsten in Nebel und Nacht auf den weiten Wiesen.

Von den nordischen Göttern, den Asen, sind wohl manche ursprünglich eibisch gewesen und erst später in die Gemeinschaft der Asen aufgenommen. Das möchten wir z. B. von dem raschen, kleinen und schönen Loki glauben, von seinen und Thors Gefährten Thjalfi und von dem glänzenden und klugen Heimdal. Später werden wir die Gründe für unsere Annahmen ausbreiten.

Wenn wir ferner aus dem Klang des ersten Merseburger Zauberspruchs Schlüsse ziehen dürfen (eins sâzun idisi l sâzun hera duoder sumâ bapt heptidun l sumâ heri lezidun l sumâ clûbô dun l umbi cuniowidi l inspninc haptbandum l invar vigandum ), aus seinem Summen, Zischen und Sitzen und aus dem blitzschnellen und geschickten, hilfreichen und verderblichen Tun seiner Idise, die alle Fesseln, ehe man es denkt, lösen und binden, sind diese den Walküren verwandten Göttinnen ursprünglich auch kleine und biegsame Elbinnen gewesen.

Vergleichen wir Asen und Elben, so erscheinen die Elben als die älteren Gottheiten. Ihre Züge sind weniger bestimmt und ihre Lebensdauer war eine viel längere. Der Elbenkult hat sich auch nicht in diesem Maße in den Heroenkult gesteigert.

In welches Altertum mag nun das anmutige und rasche, bewegte und geschickte Treiben gerade dieser kleinen Geister und Götter zurückreichen? Die Sonnenweibe, die etwa 1000 v. Chr. unsre Vorfahren so kunstreich nachbildeten, die sie auf einen zierlichen



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Wagen stellten und von wohlgebildeten kleinen Pferden ziehen ließen, gehört sie vielleicht in die Zeit dieser Elben? Diese. Zeit währt bei primitiven Völkern lange, die Lappen opferten noch spät dem Meergott zierliche kleine Boote, dem Donnergott ebensolche Arte oder ein Äxtepaar.

In den Kreis dieser kleinen Götter möchten wir noch zwei Korngottheiten stellen, die in der Lokasenna, jenem nordischen Gedicht , als geschickte und hurtige Diener des Frey auftreten und von Loki verhöhnt werden: Byggwi und Beyla. Die Etymologie des weiblichen Namens Beyla ist noch nicht aufgeklärt. Der Name Byggwi führt auf urnordisch *beggwar, Gerste, zurück und erscheint im Finnischen als der Gott Pekko (vgl. oben S. 50). Die Finnen müssen diesen Gott schon in germanischer Zeit den Nordleuten entlehnt haben, das geht aus seiner Namensform hervor. Bei ihnen ist er ein Gott aus Wachs, in der Größe eines Kindes gebildet, den man im Getreidekasten aufbewahrt, auf die Kornfelder führt, damit er sie segne und den man im Frühjahr und Herbst feiert. Byggwi und Beyla stellen wieder die männliche und weibliche Fruchtbarkeit vereinigt dar. Sie sind wohl älter als Frey, in dessen Gefolge sie in der Edda auftreten. Ebenso ist Thjalfi (vgl. 72) vielleicht älter als Thor, als dessen Diener ihn die Edda kennt. Hat es auch eine tiefere religionsgeschichtliche Bedeutung, wenn Loki in dem alten Hammerlied den Thor als Magd begleitet? Wie neben dem Byggwi die Beyla steht neben dem Thjalfi die Röskwa als seine Schwester. Dem Ehepaar entspricht das Geschwisterpaar; Röskwa heißt die Rasche und Thjalfis Geschwindigkeit weicht nur der Schnelle des Gedankens.

Das tiefe Dunkel, das über der Vorgeschichte der germanischen Religion liegt, hat sich uns nun wieder an einigen Stellen gelichtet. Die Verehrung der Ahnen, die Verehrung der Natur und ihrer schöpferischen Kräfte wurden uns in einer frühen Zeit mit neuen Merkmalen sichtbar.



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7. Die Göttinnen

Von Göttinnen sind uns bisher entgegengetreten: Beda, Fimilena , Haewa, Nerthus, die Göttinnen der Erde, Nehalennia, Frija, Bolla, Sunna, Sinthgunt, die Idise, Beyla, Röskwa, also eine stattliche Anzahl, nun schon stattlicher als die Zahl der Götter.

Von ihnen bleibt die deutsche Frija die höchste. Sie ist auch die einzige Göttin, nach der ein Wochentag, der Freitag heißt, wie eine Reihe altenglischer Gewährsmänner übereinstimmend bekunden Der Name Freitag findet sich bei allen germanischen Stämmen (althochdeutsch frîadag, frîjetag, frîgetag, frîtach; altenglisch frîgedaeg; altfriesisch frîgendei; altniederländisch vrîdach; altnordisch aus dem Deutschen entlehnt frjädagr), während den Tiestag und Donarstag die Bayern, den Wodanstag die Oberdeutschen nicht kannten. Bei den Römern heißt der Freitag dies Veneris und *frijo, idg prija, bedeutet die Geliebte, die Liebreiche. Wie Venus war also Frija eine Göttin der Liebe. Gleich ihr war sie auch eine Göttin des Himmels und des himmlischen Glanzes, wir haben schon vermutet, daß die Germanen sie ursprünglich als Göttin des Himmels verehrten (S. 49f.). 9

Die longobardische Sage gibt uns von Frija das hübscheste Bild. Anmut und Schalkheit, der Mutterwitz der Frau und die liebevolle Sorge für ihre Schützlinge sind die Kennzeichen dieser Frau der Frauen. Bei den Longobarden tritt uns Frija als Gattin Wodans entgegen, das ist sie im Altenglischen und Altnordischen geblieben. Sie gebührt dem Wodan aber, wie wir erfuhren, nicht als dem Zauber- und Ahnengott, sondern sie gebührt ihm als dem Nachfolger des Himmelsgottes. Der zweite Merseburger Zauberspruch zeigt sie denn auch in der Umgebung anderer himmlischen Gottheiten und lebhaft besorgt um das Los des Himmelsgottes Balder, aber nicht als Wodans Gemahlin. Die Zauberkraft Wodans bleibt in dem Spruch der ihren ebenso überlegen wie der der anderen Göttinnen; wie jene muß sie von ihm lernen.



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Wir zitieren nun, damit sich uns die Namen der auftretenden Göttinnen noch einmal fest einprägen, die Eingangsverse des zweiten Merseburger Zauberspruches: "Vol und Wodan fuhren ins Holz. Da wurde dem Fohlen des Balder der Fuß verrenkt. Da besprach ihn Sinthgunt und Sunna, ihre Schwester, da besprach ihn Frija und Bolla, ihre Schwester." — Die Bolla entspricht der nordischen Göttin Fulla. Der Name fulla bedeutet Fülle, Reichtum. Snorri nennt Fulla die Vertraute Friggs, sie hat leuchtendes Haar, sagt er (wir verweisen auch hier auf die magische Bedeutung des Haares) und ein goldenes Band um das Haupt, sie trägt die Truhe Friggs und hat ihre Schuhe in Obhut und sie weiß auch ihre Heimlichkeiten. Aus der Hel (der Unterwelt weit) schickt Nanna, Balders Gemahlin, der Frigg und der Fulla ein Kopftuch und einen goldenen Ring und als Vertraute Friggs wird Fulla in den Grimnismal zu König Geirrödh gesandt. So nahe stehen sich noch im Nordischen beide Göttinnen. Bolla war gewiß eine Göttin der Fruchtbarkeit und des Himmels. Wir halten den Vol für den männlichen ihr entsprechenden Gott und für einen Beinamen Balders. Es mögen Vol und Bolla sich ähnlich entsprochen haben wie Frey und Freyja im Nordischen, und ihr Wesen ist ja im Grunde das gleiche. Frey und Freyja gelten im Nordischen als Gatten und zugleich als Geschwister, und Snorri fügt hinzu, daß die Sitte der Geschwisterehe nicht bei den Asen, sondern bei den Wanen, bei Nerthus und den ihr verwandten Gottheiten, bekannt war. Tiu und Frija, Balder als Vol und Bolla, Frey und Freyja, diese Paare der Himmelsgötter stehen nun, sei es als Geschwister, sei es als Gatten verbunden vor uns.

Sunna ist die Sonne, hier als Göttin gedacht, früher war sie von den Germanen, wie uns der Fund von Thrundholm zeigt und wie wir noch aus dem Zeugnis des Caesar schließen dürfen, einfach als Sonne verehrt, ihr Bild wurde als eine goldene runde Scheibe durch die Länder gefahren. Noch Tacitus sagt: die Suionen (die



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Schweden) glaubten bei der aufgehenden Sonne Pferde und Räder zu sehen und einen Ton zu hören, eben solche Pferde und Räder bildete der Wagen von Thrundholn ja nach.

Sinthgunt, die Schwester der Sonne, kann wohl nur der Mond sein. Die Wöluspa nennt die Sonne die Gefährtin des Mondes. Der Name sinthgunt heißt die den Weg sich Erkämpfende. Nach altem Glauben irrten die Gestirne am Anfang der Dinge ziellos am Himmel hin und her, erst der Schöpfer wies ihnen gewaltsam ihre Bahn, die sie heute noch ziehen. Sie fanden ihren Weg also erst nach Unruhe und Kampf. Diesen Glauben dürfen wir auch bei den Germanen voraussetzen und er erklärt uns den Namen Des Mondes in .unsrem Spruch. Der Dichter der nordischen Wöluspa sagt wieder; Am Anfang der Dinge wußte Sonne nicht, wo sie Sitz hatte, Mond nicht, welche Macht er hatte, Sterne nicht, wo sie Stätte hatten.

Wie im zweiten Merseburger Spruch, so umgibt auch im Nordischen die Frigg ein großes weibliches Gefolge. Die Fulla gehört dazu und Eir, die Ärztin, also eine zauberkräftige Göttin, außerdem Göttinnen, die Liebe und Ehe beschützen. Die Germanen haben ein Wort für Ehe und Gesetz, ihnen gilt die Ehe als das Gesetz . — Die Göttinnen des Rechtes sind War: sie bewacht die Eide und hütet die Ehe, schon in dem alten Lied von Thrym; Syn: sie schützt alle, die etwas leugnen müssen; Hlin: sie warnt im Auftrag Friggs alle, denen eine Gefahr bevorsteht; Snotra: sie ist klug; Gna: sie ist eine Botin der Frigg. — Die Göttinnen der Ehe und Liebe sind Sjöfn: sie entflammt gern die Menschen zur Liebe; Lofn: wenn einer Ehe sich Hinderungen entgegenstellen, so gewährt sie ihre Hilfe, die Erlaubnis dazu geben ihr Odhin und Frigg.

Auch die der Frigg verwandte Menglöd (die Halsbandfrohe), umgeben in einem späten Eddalied eine Reihe von Göttinnen, ganz ähnlich wie Frigg und als eine Nachbildung ihres Götterstaates.



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Huf und Hlifthrasa (Beschützerin), Thjodwara (Volksbewahrerin Bjart (Glänzende), Bleik (Blinkende), Bild (Holde), Frid (Schöne), Aurboda (Goldspenderin), Eir (Ärztin).

Frigg ist im Nordischen also eine Himmelsgöttin, die über Gesetz und Ehe wacht und die nordischen Göttinnen können sich aus ihren Beinamen entwickelt haben. Zug für Zug entspricht das Wesen der nordischen Himmelsgöttin dem Wesen des germanischen Himmelsgottes, das sich vor uns entfaltete. Auch er leuchtet über die Welten, auch er bewacht das Recht, auch ihn umgeben die Göttinnen des Rechts, auch er ist als Schöpfer der natürliche Hüter der Ehe; schließlich offenbart auch er sich in vielen Kräften und trägt den reichen Schmuck der Beinamen. Nur das Kriegerische des Himmelsgottes fehlt der Himmelsgöttin, das bleibt dem Mann vorbehalten. Und diesem fehlt die Anmut der Frau.

Unser Recht, neben dem germanischen Himmelsgott eine selbständige und wohl ältere Himmelsgöttin anzunehmen, bestätigt sich durch die weitgreifenden und überraschenden Übereinstimmungen von nordischer Himmelsgöttin und germanischem Himmelsgott von neuem. Die Übereinstimmung ist uns auch eine Gewähr, daß wir seinerzeit das Bild des germanischen Himmelsgottes richtig zeichneten. Endlich zeigt uns ein Vergleich der altdeutschen Frija und ihrer Umgebung im Merseburger Zauberspruch mit der altnordischen Frigg und ihrer Umgebung in Snorris Edda noch einmal, daß die Gottheiten jenes Merseburger Zauberspruchs alle Kennzeichen germanischer Gottheiten tragen; welche seltsame gelehrte Torheit bleit es doch, den germanischen Charakter dieses Spruches zu bestreiten!

In den Annalen teilt uns Tacitus mit, daß Germanicus zu den Marsen, die zwischen Sieg und Ruhr wohnen, gekommen sei, zur Zeit des Herbstes, als sie nach dem Opfer berauscht dalagen und unbewaffnet waren. Er überfiel und vernichtete sie und machte ihr Heiligtum, das der Tamfana galt, dem Erdboden gleich.



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In Tamf-ana findet sich das Formans -ana, das wir bei Wodan in seiner männlichen Form feststellten. Tamf bringt man am besten mit isländisch thömb, Fülle, zusammen, daß Tamfana Herrin der Fülle, Herrin des Reichtums bedeuten würde. Das wäre ein ähnlicher Name wie althochdeutsch Bolla, nordisch Fulla. Wir halten demgemäß die Tamfana wieder für eine Göttin des Fruchtbarkeit und Fülle verleihenden Himmels. Sie spendete den Trank, und die Germanen, die von dem Trank genossen, wollten wohl die Kraft der Göttin in sich aufnehmen; dieser Gottesdienst wurde ihr Verderben. Wir erinnern an das Trankopfer, das die Sueben dem Wodan darbrachten (oben S. 46).

Am Rhein, in Geldern und in Friesland wurden einer dea Hludana Steine gesetzt. Sie stammen aus der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts, vier von Soldaten, einer von frisischen Fischereipächtern . karl Helm deutete sehr verlockend die Hludana als Huldana. Die Hulden (nordisch die huldre, althochdeutsch die holden) sind die Geister der Verstorbenen, die Huldana sei ihre Führerin. Huldana sei der weibliche Wodan und wie Wodan zu Wode verhalte sich Huldana zu Holle, zu der Frau Holle, die unser Märchen noch rennt, und die unsre deutsche Sage als Führerin der Verstorbenen und namentlich der verstorbenen Kinder, als gütige und auch als strenge Frau noch immer liebt und fürchtet. Wir hätten dann nicht nur neben dem Himmelsgott eine eigene und ältere Himmelsgöttin, wir hätten neben dem Seelen- und Ahnengott der Germanen eine eigene und ältere Seelen- und Ahnengöttin.

Leider darf das philologische Gewissen dieser Deutung, die so viel innere überzeugungskraft hat, nicht ohne weiteres folgen. Denn diese Hludana ist kaum eine andere als die Latona, die uns jene altenglische Glosse als die Mutter Donars nannte (oben S .27), und als die Hlodhyn, die uns die Wöluspa wieder als Mutter Thors nennt, Donar aber ist nie Seelenführer gewesen. Die Behauptung,



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Hlodhyn, Hludana seien eine Mutter Erde — man erinnert an isländisch hlodh: Erdhaufen — muß als Möglichkeit bestehen bleiben.

Neckarsweben im britannischen Heer setzten in Lancaster zur Zeit des Gordian (238-244) der dea Garmangabis einen Weihstein. Gabis heißt die Spendende, die Gebende, garman ist noch nicht zweifelsfrei erklärt, wird aber die Bedeutung des Gebens verstärken, so daß wir Garmangabis als die reichlich, die gütig Spendende deuten und als eine Göttin der Fruchtbarkeit wieder erklären wollen. Ähnliche Namen sind gabiae, alagabiae (S. 83) und die nordische Gefjon. Ursprünglich mag die Garmangabis ein Beiname einer höheren der Nerthus verwandten Gottheit gewesen sein.

Im Gebiet der Nemeter (bei Zweibrücken und Bertrich) sind zwei Steine der Vercana Vere-ana) gesetzt, d. h. wohl: der werkfrohen (beachte wieder das Formans -ana). Man hat an die Athena ergane erinnert. Die gallische Minerva heißt nun Idennica, der Name ist vielleicht verwandt mit der nordischen Idhern (Idhun), der späte Mythus über diese zeigt manche keltische Züge. So mag die Vercana der Idhun entsprochen haben, als eine rührige Göttin der Künste und Fertigkeiten, der Verjüngung und des Wachstums.

Im friesischen Gebiet, bei dem Hain, den sie den der Baduhenna nennen, sind, sagt Tacitus, neunhundert Römer gefallen. Baduhenna ist eine Kampfgöttin, Badu heißt Kampf. Ob henna ein Suffixe ist oder ein Wort mit eigener Bedeutung, und welche Bedeutung es besaß, das ist noch ungeklärt.

Auf sechs Inschriften aus niederrheinischem Gebiet aus dem 2. und 3. Jahrhundert wird eine Göttin Vagdavercustis genannt und abgebildet. Die letzte dieser Inschriften wurde 1909 in Köln gefunden, auf einem Altar, den ein höherer römischer Offizier der germanischen Göttin widmete und 1908 wurde außerdem in Plumpton Wall bei Old Penrith ein Altar ausgeackert, auf dem ein Schatzmeister der Vagdavercustis verzeichnet war. Vercustis



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— wir beziehen uns auf einen schönen Aufsatz von Rudolf Much — heißt Vortrefflichkeit, Tugend, Vagda wahrscheinlich Bewegung, Kampf. Vagdavercustis wäre demnach eine Gottheit der kriegerischen Tugend, wie auch die Römer sie verehren. Wir fügen noch hinzu, daß auf altsächsischen Stammtafeln als Söhne Wodans , des Kriegsgottes, Wegda und Wegdeg genannt werden.

In Nordbrabant erscheint die Göttin Sandraudiga. Wir übersetzen Sandraudiga als die wahrhaft (san, Partizipium von sein: seiend, wahrhaft) Furchtbare (draudiga, vgl. englisch dread) und deuten den Namen als Schlachtgöttin, die den furchtbaren Schrecken der Schlacht in die Feinde jagt, von dem uns longobardische und viele nordische Sagen voller Grauen berichten. Wir erinnern auch an die Namen Fosite und Yggr (der Schreckliche, nordischer Beiname Odhins). Wiederum Schlachtgöttinnen sind drei Gottheiten, die auf niederrheinischem Gebiet im 2. und 3. Jahrhundert um Schutz angerufen werden: die Vihansa, die Kampfgöttin, die Hariansa, die Heergöttin, die Harimella die im Heer Wirkende.

Wenn bei diesen Deutungen auch manche ungelösten Reste bleiben, die Verehrung kriegerischer, zaubermächtiger Göttinnen, die an die nordischen Walküren erinnern, bezeugen sie, und zwar gerade am Niederrhein auf dem engeren Gebiet des Kriegszauberers Wodan. Den Ursprung des nordischen Glaubens an die Walküren dürfen wir daher im Germanischen suchen. Wir denken dabei auch an die Berichte der römischen Schriftsteller. Wie bei andern kriegerischen Völkern spornten bei den Germanen die Frauen die Krieger durch wilde Worte an, stürzten sich auch selbst in die feindlichen Reihen und entschieden bisweilen den guten Ausgang der Schlacht. Neben und unter diesen Heldenfrauen werden Kriegszauberinnen gewirkt haben, die über die Waffen der Ihren schützende Zaubersprüche murmelten oder heilkräftige Runenzeichen in sie einritzten und die gegen die Gegner lähmende und verwirrende Sprüche und Künste wußten. Die Verehrung dieser Kriegerinnen



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und Zauberinnen steigerte sich nach unsrer Auffassung durch den Ahnenkult zum Walkürenglauben. Wuchs doch die Macht des Zauberers, sobald er das Leben verlassen hatte!

Der Walkürenglauben tritt uns im Altdeutschen noch einmal lebhaft und dramatisch entgegen im ersten Merseburger Zauberspruch . Die in ihm genannten Gottheiten heißen die idise, im Nordischen heißen die Walküren disir. Sachlich decken sich beide Worte, lautlich ist das überschießende, im Althochdeutsche anlautende i noch nicht erklärt. Die Jdisen kennt schon Tacitus, eine berühmte Schlacht zwischen Römern und Germanen wurde auf Jdisjawiso geliefert. Wahrscheinlich war das eine Kultstätte der Idise, der Name idisiaviso entspricht dem nordischen disin und bedeutet Wiese der Ideen.

Der erste Merseburger Zauberspruch lautet: Einst setzten sich die Idise, setzten sich hierhin und dorthin, die einen hefteten die Hafte, die einen lähmten das Heer der Feinde, die einen klaubten (loderten) an den heiligen Todesfesseln, entspringe den Haftbanden , entfahre den Feinden! Wir stellen uns die Hergänge so vor: Die Idise kommen angeflogen in drei Haufen, der eine setzt sich über die Gefangenen, die das Heer der Freunde erbeutete, ihnen knüpft es die Fesseln fester. Die andern lähmen und verwirren das Heer der Feinde durch ihren Zauber, die dritten lockern die heiligen, aus Eichenzweigen geflochtenen Fesseln der Gefangenen, die das Heer der Freunde an die Feinde verlor und die dem Kriegsgott als Opfer bestimmt waren. Die Erinnerung an diese kriegerischen Hergänge wird heraufbeschworen, um einem Gefangenen die Fesseln zu lösen.

Das Lockern und Anziehen der Fesseln ist ein auch bei den alten Engländern und bei den Nordleuten bezeugter germanischer Kriegszauber , ebenso das Lähmen des feindlichen Ansturms. Der Spruch führt uns mitten in Krieg und Kriegszauber hinein, mitten in das Walten der Walküren. Sagenb. I. 6



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Wir wollen auch hier auf die große künstlerische Vollendung des Werkchens hinweisen, auf den reichen Wechsel der scharfen und dumpfen, der hellen und dunklen Laute, auf den Wechsel zwischen lebhafter Bewegung und ängstlich anhaltender Spannung, auf die ausgezeichnete dramatische Anlage, die zu dem Spruch selber, zu der Lösung der Fesseln gewaltsam hindrängt.

Die Walküren als Kampf- und Zaubergöttinnen kennt auch das Altenglische und im Altenglischen erscheint zum erstenmal der Name waelkyrge, d. h. die Frau, die aus den Kämpfern die zum Tode bestimmten Helden wählt (wal, nordisch valr, vgl. unser Wahlstatt, , Schlachtfeld, ist die Gesamtheit der Gefallenen). Die Walküren weben das Kampfglück, sagt ein alter englischer Dichter. Das grausame, blutgierige, unersättliche und heimtückische Walten der Walküren betonen altenglische und altnordische Berichte. Es entspricht der Auffassung des Krieges und auch der Auffassung des Kriegsgottes bei den Germanen und Nordleuten. Noch im Altnordischen erscheinen die Walküren wie in unserm Zauberspruch, in drei Haufen fliegend, und als selbständige Gottheiten, sonst hat Odhin sie in sein Gefolge aufgenommen, im Germanischen wirkten sie bereits in seiner Nachbarschaft. —

Die Kelten verehrten weibliche Gottheiten, die sie Matres oder Matronae: die Mütter nannten. In den von den Römern besetzten Gebieten wurden diesen keltischen Gottheiten Weihsteine errichtet, von denen bisher über vierhundert gefunden sind. Sie stammen aus der Zeit von 100 bis 240 n. Chr. Auf den meisten sind drei Göttinnen sitzend oder stehend dargestellt. Die Stifter sind Kaufleute, Händler, Freigelassene, Soldaten der unteren Rangklassen. Der Kult der Matres war auf die niederen Schichten beschränkt, wie auch heute noch die Weihgaben und Votivtafeln des katholischen Volkes namentlich von einfachen Bauern und ihren Familien gestiftet werden. Als die germanischen Völker ihre Massen gegen das Rheinufer vorschoben , erlosch langsam auch die keltische Mütterverehrung.



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In den keltischen von Römern besetzten Gebieten übernahmen die Germanen, die im römischen Solde standen, den Mütterkult. Und von da aus verbreitete es sich zu den Germanen, die mit der keltisch-romanischen Bevölkerung in Berührung kamen, zu den Ubiern, Nemetern, Batawern, über diese hinaus drang er nicht.

Man wird sich denken können, daß viele Namen der Matres der Deutung bisher widerstrebten und daß es bei vielen unsicher bleibt, ob sie keltisch oder germanisch sind. Wir reihen nur die Namen aneinander, die wahrscheinlich als germanische gelten können.

Die Ananeptiae (vgl. altdeutsch niftel, Nichte, und unser neffe) beschützen die Sippe, die Blutsverwandtschaft, wir erinnern an die Haewa. Die Afliae verleihen Kraft und Macht (gotisch afls, die Kraft), die Arvagastiae spenden Reichtum, die bereits erwähnten Gabiae, Alagabiae gleichen der griechischen Pandora, der Allgeberin und ebenso die besonders verbreiteten Aufaniae, die Überflußspendenden (vgl. ûf, auf und das Formans -ana), ihrer aller Kult vollzog sich in römischer Form, in römischen Heiligtümern. Die Alaterviae deuten wir als die Allkrästigenden (*terwaz, fest), die Vafthiae (verwandt mit wachen) als die Behütenden, die Suleviae als die gute Gelegenheit Schaffenden, die Hilfreichen (gotisch lêws, Gelegenheit, su, gut, vgl. Sugambri), die Seitchamiae als die Zauberhüllen Annehmenden, die Zauberkräftigen (nordisch seidh, Zauber, nordisch hamr, Zauberhülle), die alaferhviae (gotisch ferhwus, Leben) als die Allbelebenden, die alateiviae als die Allgöttlichen.

Die Suebae, Marsacae, Hamavae, Frisacae sind Gottheiten, die einen bestimmten Stamm beschützen. Die Nersitenae wurden an der Ners, einem Nebenfluß der Maas, verehrt. Dann sind den Matrones vatvins oder vatviabus und den gawadiae Steine gesetzt, d. h. denen, die im Wasser oder in den Furten hausen (wadan, waten, vgl. den Wate der Gudrun). An Brücken und Furten denkt sich das Volk noch heute die Geister wachend und drohend und der Kult der Quellen und Gewässer durch die Germanen, der Glaube an ihre wahrsagende



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Kraft, die Furcht vor ihrer grausamen Unersättlichkeit ist uns seit langem bezeugt, als Kult der Salzquellen bei den Chatten und Hermunduren durch Tacitus, und dann vom s. Jahrhundert bis ins tiefe Mittelalter und durch unsre Volkssagen bis in die Gegenwart . Das Rauschen und Gurgeln, das Brausen und Fließen des Wassers hörte sich an wie geheimnisvolle Stimmen, der Versuch , die räuberischen Götter durch Menschenopfer zu versöhnen, wurde immer von neuem unternommen.

Nach Procop töteten die Franken, als sie unter Theudebert in Oberitalien eindrangen, die zurückgebliebenen Goten, Weiber und Kinder und warfen, obgleich sie bereits Christen waren, ihre Körper als Opfer in den Po, um die Zukunft zu erfahren. Nach Agathias verehrten die Alemannen die Wirbel der Flüsse; Eligius, Burchart von Worms und viele andere erließen immer neue Verbote gegen den Kult der Quellen und Gewässer. Mimi, ein alter germanischer Wassergeist, dessen Kult noch deutsche Ortsnamen beweisen (Memleben, Mimigerdaford, alter Name für Münster), in der Edda der klügste der nordischen Geister. Seine Weisheit und prophetische Kraft ist die stärkste, er verlangt von Odhin, der selbst die tiefste Weisheit wollte, das größte Opfer, sein Auge, wie die nordischen Wassergeister noch immer schwere und blutende Opfer fordern von den wenigen Berufenen, die sie die Kunst der Musik und des Gesanges lehren.

Aus dem Ahnenkult scheinen die Mütter erwachsen, der Schutz des Geschlechtes ist ihre erste Aufgabe. Im Märchen gibt noch immer die abgeschiedene Mutter den braven Kindern Hilfe und Segen, der Hausgeist, die Seele des im Haus verstorbenen, der Kobold, schafft den Bauern Wohlstand und Gedeihen. Die Verstorbenen glaubt man überall in der Natur wirksam, die Sippe erweitert sich zum Stamm, so mag es sich erklären, daß die Matres zu Wasser- und Stammgottheiten wurden.

Die Göttinnen der Germanen, die wir nun kennen lernten.



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gleiten in ihrem Wesen die einen immer in das der andern über, ja sie treten oft nicht als einzelne Göttinnen auf, sondern in Gruppen zu dreien und so wurden sie auch abgebildet. Sie müssen einer recht alten Schicht des religiösen Glaubens angehören. Dreiteilung war für die Walküren des Merseburger Zauberspruchs bezeichnend und noch für die nordischen Walküren. Ob aber die Dreiheit der Göttinnen germanischen oder ob sie keltischen Ursprungs ist, bleibt ungewiß. Die germanische Götterdreiheit Tiu, Donar, Wodan erscheint als Dreiheit nur in der bekannten altsächsischen Abschwörungsformel und man bedenke, daß die Götter als Dreiheit eigentlich nicht gelten dürfen, weil sie ja nicht als Dreiheit und nicht bei allen germanischen Stämmen gleichmäßig verehrt wurden, weil sogar in der germanischen Zeit Wodan den Tiu verdrängte. Auch die nordische Trias Odhin, Loki, Hoeni wurde erst spät gebildet, ebensowenig haben Thor, Odhin und Frey, deren Bilder im Tempel von Upsala nebeneinander standen, den Zusammenhang der Dreiheit.

Die Himmelsgöttin und ihre Begleitung, Göttinnen der Fülle und Fruchtbarkeit und der Erde, Göttinnen des Krieges und des kriegerischen Zaubers, Göttinnen wahrscheinlich dem Ahnenkult entwachsen, zum Teil den Kelten entnommen und mit germanischen Göttinnen verschmolzen, germanischen Göttinnen auch vielfach gleichend, das sind die Gruppen, in die sich unsre germanischen Göttinnen gliederten oder aus denen sie erwuchsen. überall standen diese Göttinnen noch im Anfang des Glaubens und das gab ihnen ihre Kraft und ihre Dauer. Für die Germanen — wenigstens weiß ich aus der Religion anderer Völker kein Analogon — ist es charakteristisch, wie sich aus dieser ungestalteten erdennahen Welt langsam und immer festere Formen gewinnend die männlichen Götter erheben. Zwischen den weiblichen und männlichen Gottheiten scheint die mannweibliche Welt der Wanen das religionsgeschichtliche Bindeglied.



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8. Weltanfang und Weltende

Unsere mythischen Aussagen schrumpften immer mehr auf Namen zusammen. Einer Göttersage begegneten wir nicht mehr. Bei Donar vor allem klopften wir an die Türen, hinter denen das Reich der Göttersage lag und wir hörten von dem großen Kampf der Riesen und Götter. Noch lange Jahrhunderte galten die Riesen der deutschen Volkssage als die ältesten Schöpfer der Welt. Auch die Edda bewahrt uns Spuren dieses alten, gewiß germanischen Glaubens. Riesen türmten die Berge und die ältesten kyklopischen Mauern und Burgen auf, Riesen schleuderten die Felsen , die nun als ungeheure Blöcke auf den Bergfeldern liegen, Vertiefungen im Felsgebirg sind die Spuren riesischer Füße, der zermalmende Blitz ist die riesische Waffe. Aus des Urriesen Fleisch, sagen Berichte der Edda, ist die Erde geschaffen, aus seinem Blut das Meer, aus den Haaren die Bäume, aus dem Schädel der Himmel, aus dem Hirn die Wolken. Eben über diese Niesen hat Donar sich emporgeschwungen — der Ase ist dem Riesen überlegen, wiederholen wir aus der alten Runenreihe — von ihrem blinden ungefügen Walten hat er die Menschen befreit; das bleibt Seine große Tat. Um so größer, als der Gott nicht etwa einmal für alle die Riesen bezwang, sondern als die Riesen bis zu seinem Ende als seine stärksten und gefährlichsten, ja als seine einzigen Feinde gegen ihn andrängten. In unablässigem Kampf mit ihnen entfaltete er seine schützende Kraft und seine schöpferische Freude.

In einer Handschrift des Klosters Wessobrunn steht ein altdeutsches Gebet aus dem 8. Jahrhundert. Seine ersten Verse lauten: Das erfuhr ich unter den Menschen als der Wunder größtes, daß Erde nicht war noch Aufhimmel, noch irgendein Baum, noch ein Berg war, noch Sonne schien, noch Mond leuchtete, noch die herrliche See. Da dort nirgends nichts war an Enden und Wenden, da war doch der eine allmächtige Gott.

Man hielt dies Gebet früher für den Anfang eines germanischen



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Gedichtes von der Schöpfung der Welt. Das war ein Irrtum . Sein Inhalt war christlich, eine Variation des Themas vom 89. Psalm mit besonderer Beziehung auf den kirchlichen Unterricht . Aber der Vers ist der Vers der germanischen stabreimenden Dichtung, die Wortpaare: Erde und Aufhimmel, Baum und Berg gehören dem Formelschatz der alten germanischen Poesie, die Komposition , die künstlerische, absichtlich unlogische Ordnung der gewaltigen Gesichte, der Vergleich vom Leuchten des Mondes mit dem Leuchten des Meeres und die Auszeichnung des Meeres durch Artikel und Beiwort, das ist deutsche Kunst und vielleicht doch ein Nachhall eines alten deutschen kosmogonischen Gedichts.

über die Entstehung des Menschen liefen in germanischer Zeit verschiedene sagenhafte überlieferungen nebeneinander. Einige haben sich ja vor unsren Augen zusammengestellt. Der Vater der Menschen war der Himmel. Er schuf die lange Kette der Geschlechter . Ihre Mutter war die Erde, diese Mutter galt manchen Germanen als zweigeschlechtige Gottheit. Dagegen schien Tuisto als ein zweigeschlechtiger Riese und ebensowohl Ymi. Diesem wuchsen, wie Snorri erzählt, während er schlief unter dem Arm und in dessen zeugender Wärme Frau und Mann. Die folgenden Sagen über die ersten Menschen verdanken wir wieder Snorri und den eddischen Liedern, ihre ganze ungefüge Art und ihre Verbundenheit mit den Riesen weist sie wohl in die germanischen Jahrhunderte. Da hieß es: Der Riese habe die Füße aneinander gerieben und ein Fuß habe mit dem andern einen Sohn gezeugt. Der Fuß besitzt im Glauben und Brauch vieler Völker eine zauberische , geschlechtlich erregende Kraft. — Oder auch man erzählte: den ersten Menschen habe eine Kuh aus dem salzigen Gestein der Urzeit langsam herausgeleckt. Die mütterlich besorgte Liebe der Kuh, die ihrem Kalbe durch das zärtliche Lecken erst das rechte Leben zu geben scheint und die durch das kräftige Salz angelockt wird, wird von dieser unbeholfenen und zugleich rührenden Sage



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auf die Zeit übertragen, in der die Menschen wurden; Salzquellen hatten ja die Germanen des Tacitus schon verehrt.

Die Häuptlinge der Wandalen hießen, wie uns bekannt ist, Ambri und Assi (Ulme und Esche) oder auch Raus und Rafts (Rohr und Balken). Die Edda erzählt, daß drei Götter —bei den Germanen war es wohl nur einer —das erste Menschenpaar Ask und Embla (Esche und Ulme) aus Bäumen schufen und beseelten. Am Strande lagen sie, sagt der nordische Dichter, kraftlos und jenseits noch vom Schicksal. Da gab Odhin ihnen den Atem, Hoeni die Vernunft, Lodhur Lebenswärme und blühende Farben. Die Götter hoben die Bäume auf und schufen aus ihnen die Menschen. So rüdt denn auch der Völkerglaube in die germanische Vorzeit, daß die Menschen aus Bäumen wachsen, aus Bäumen, unter deren Schutz sie leben, aus deren Holz sie Waffen, Geräte, Werkzeuge sich schnitzen.

Wenn die nordischen Berserker sich in Bären oder Stiere verwandelt glaubten, so entfalteten sie in diesen Zuständen eine das Menschenmaß weit übersteigende Stärke, ebenso die Menschen, die in Wölfe verwünscht wurden, die Werwölfe. Und wie viele Kräfte und Gaben verpflanzte das Fleisch, das Blut, das Gift vieler Tiere in Blut und Seele des Menschen. Die Batawer nahmen aus ihren heiligen Hainen die Bilder von wilden Tieren ins Feld mit. Die Helme der Cimbern waren nach der Aussage des Plutarch den Rachen wilder Tiere oder den Köpfen von Ungeheuern gleich gestaltet, sie erhöhten den Wuchs der Helden durch Federbüsche, die sich oben in der Gestalt von Flügeln erhoben. Man glaubt darum, daß germanische Helden wie die Helden andrer Völker ihre Herkunft auf starke Tiere zurückleiteten und ihre Kraft aus tierischem Ursprung erklärten. Das meldet uns denn auch manche Heldensage. Aber von diesen Zeugnissen gibt es alles in allem nicht viele. Erinnert sei an die Namen Ybor (Eber), Yrsa (Bärin), Hengist, Horsa. Siegfried nennt sich, als der sterbende



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Fafni seinen Namen erfragt, der stolze Hirsch. Von dem Namen der germanischen Stämme läßt sich eigentlich nur einer als Tiername deuten und auch bei diesem ist die Deutung nicht sicher. Das sind die Cherusker, die Hirsche.

Den nordischen Göttern sind bestimmte Tiere heilig, dem Odhin der Wolf, dem Thor die Böcke, dem Frey der Eber. Von diesen hat für den Kultus der Germanen nur der Eber eine Bedeutung; als Tier der Fruchtbarkeit und der Zeugung. Bis ins späte Mittelalter hinein war den Germanen auch das Pferd ein heiliges Tier, wie wir wissen aus doppeltem Grund: einmal als Tier des Himmelsgottes und dann wieder als Tier der Fruchtbarkeit (vgl. S. 69). Aber die überlieferten Nachrichten machen es doch nicht sicher, daß dem Kultus der Götter bei den Germanen ein Kultus der Tiere vorausging. Wäre das der Fall, so müßte der Tierkult verbreiteter sein. Wir erwarteten eigentlich anderes Ergebnis; war doch auch z. B. oon allen germanischen bildenden Künsten die Tierornamentik die am reichsten entfaltete.

Der Glaube an die Entstehung des Menschen aus der Erde, aus Tieren und aus Bäumen hat sich anscheinend vermischt. Neben und mit diesem Glauben ging der Glaube an die Entstehung der Menschen aus einem Urahn, einem als Herrn oder Gott verehrten Stammvater.

Die Frage, wer das Feuer und das Wasser, wer Waffen und Gerät, wer Nahrung und Kleidung den Menschen brachte, hat auch die Germanen seit ihren Anfängen beschäftigt.

Das Feuer brennt auf, wenn man zwei Hölzer aneinanderreibt und im Blitze schießt es vom Himmel zur Erde. Die Steigerung dieser beiden Beobachtungen ins Dichterische ist die griechische Sage, daß Prometheus das Feuer dem Himmel entwandte und in einem Baum versteckte. Eine germanische Sage, deren Ausläufer uns das Finnische und das Nordische erhielten, berichtet, daß der Feuergott oder der himmlische Feuerfunke sich im Wasser



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barg — weil die Sonne sich im Wasser spiegelt? — und endlich gefangen wurde.

Das Wasser strömt auch vom Himmel, es sprengt die Felsen oder es ist im Besitz der Tiere, die heute noch darin leben, in Flüssen und Seen. Sie wollen es nicht gern hergeben und verschlucken es oder sie verbergen es in Töpfen und Kästen und man muß es ihnen mit Gewalt oder List entlocken.

In einer nordischen Sage, auf die zum erstenmal eine Dichtung des 10. Jahrhunderts anspielt und deren Urform in das Germanische hinabreichen wird, verwandelt sich Odhin in einen Vogel, sprengt einen Felsen, trinkt den Göttertrank, den ein Riese in Kesseln verborgen, bringt ihn den Göttern und speit ihn in ein Gefäß hinein, das sie bereitstellten. Die Elemente dieser Sage sind wieder die aneinandergereihten primitiven Vorstellungen vom geraubten, den Menschen zugetragenen Wasser (das Wasser sprengt die Felsen, das Wasser ist in Töpfen verborgen, das Wasser ist verschluckt, das Wasser wird wieder hergegeben), und entsprechen der alten griechischen Feuersage.

Die Mondgottheit bei den Germanen bezeugte uns Cäsar und der zweite Merseburger Zauberspruch. Die Bilder, die andere Völker kennen, die den Mond mit einem Nachen oder einer Sichel vergleichen, finde ich bei den Germanen nirgends. Nur eine Mondfrage in der Edda darf man als alt und volkstümlich gelten lagen: daß der Mond zwei Kinder, die vom Brunnen kamen, zu sich gehoben habe, und daß sie ihn nun immer begleiten müssen. Die Flecken im Mond erschienen den alten Nordleuten als Kinder; wir glauben ja, einen Mann im Mond zu erkennen und andere Völker glauben einen Hasen darin zu sehen.

Semitische Völker im Altertum und seltsamerweise auch die Litauer nennen den Regenbogen den Bogen des Himmelsgottes. Ist der Gott zornig, so schießt er seine Blitze nach den Menschen, ist er versöhnt, so stellt er zum Zeichen des Friedens



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seinen Bogen auf, der vorher unsichtbar blieb. Den Germanen und anderen Völkern erschien der Bogen als Weg oder, Brücke, der von der Erde zum Himmel führt, in nordischer Zeit wurde er zur Brücke der Götter, die auch brechen wird am Ende der Tage, wenn der dunkle Surt und seine unheimlichen Begleiter darüber reiten.

Den Glauben, daß die Blitze die Pfeile oder die Geschosse- des Himmelsgottes seien und der Donner das Rollen seines Wagens, haben die Germanen auch nicht allein, die Griechen und noch andere Völker kannten ihn.

Wenn der Mond und besonders wenn die Sonne sich verfinstert, so kommt über die primitiven Menschen, es kam über die Germanen und es kommt noch über unsre Bauern ein namenloser Schreck, sie glauben, daß Unholde oder Wölfe oder Hunde Sonne und Mond verschlingen wollen, und sie suchen die Unholde zu verscheuchen, indem sie selbst ein großes Geschrei erheben, oder indem sie andern greulichen Lärm veranstalten, oder indem sie Pfeile nach der Sonne schießen.

Da diese Finsternisse sich selten ereignen und da mit dem Ende des Sonnenscheins auch das Ende der Welt kommen würde, verwandelt sich dieser Glaube in die Prophezeiung, daß am Ende der Tage ein Unhold, ein Wolf oder ein Hund, die Welt verschlingen wird. Und da der Unhold erst zu dieser Zeit hinter der Sonne herstürzt, bildet sich weiter die Meinung aus, er habe bis dahin gefesselt oder eingesperrt gelegen. Bei den östlichen Völkern, , bei den Persern und namentlich im Kaukasus, treffen wir Sagen von solchen gefesselten Unholden (sie reißen zornig an ihren Ketten oder lecken sie dünn, worauf dann an einem bestimmten Tage durch einen Schlag der Schmiede die Ketten ihre alte Kraft zurückbekommen) etwa im Anfang unserer Zeitrechnung; sie sind von dort, vielleicht durch Vermittlung der Alanen, zu den Germanen gewandert, erhielten sich in Bayern, Tirol und der Schweiz



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bis heute und wurden auf den Teufel übertragen, außerdem drängen sie in die Edda ein, vervielfältigten sich, verblaßten und verbanden sich mit anderen sehr alten Vorstellungen.

Die Grimnismal sagen aus, zwei Wölfe, Stoll und Hati, begleiten die Sonne, der eine vor ihr, der andere hinter ihr. Das ist noch ein ganz nordisches Bild: die Brechung der Sonnenstrahlen in den Wolken erzeugt bunte Lichtflecken bei der Sonne, die nennt die Wissenschaft Nebensonnen, das Volk Sonnenwölfe. Aber, fährt der Dichter fort, die Wölfe verlassen die Sonne nicht, bis der Wald sie schützt (bis sie untergeht); sie verfolgen sie also, und sie muß sich jeden Tag vor ihnen retten. Diese Auffassung kann nur durch die Einwirkung der alten Vorstellung von der Sonnenfinsternis entstanden sein.

In der Höhle Gnipahelli liegt nach dem Zeugnis der Wöluspa und anderer Dichtungen der Hund Garm. Beim Untergang der Welt heult er laut auf, zerreißt seine Fesseln und stürzt sich auf die Götter. Die ältere Sage war, daß er sich auf die Sonne stürzt, denn dieser Garm war eigentlich ein Sonnenhund.

Auch der Fenriswolf, von dessen Fesselung wir schon zweimal hörten, hatte bei der Götterdämmerung ursprünglich den Beruf, die Sonne zu verschlingen, was aber nur ein Eddalied (die Wafthrudnismal) behielt.

Als der Wolf bei der Fesselung nach den Göttern schnappen wollte. stießen sie ihm ein Schwert in den Gaumen, dessen Griff stand im Unterkiefer, die Spitze im Oberkiefer. Nun berührte, sagt Snorri an einer anderen Stelle, der Unterkiefer die Erde, der Oberkiefer den Himmel. Das gleiche Motiv bringen serbische und sibirische Märchen, ihr Wolf ist ein Ungeheuer, das eine Fülle von Volk und Vieh verschlang, das jedoch aus seinem weitgeöffneten Rachen, der sich nicht schließen konnte, heil herauskam. Das Märchen von diesem Ungetüm ist aber der primitiven Vorstellung von der Nacht entsprungen, die damals als Ungeheuer galt, das



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abends die ganze Welt verschlingt und sie morgens unversehrt aus sich herausläßt. In der Eddasage vom Fenriswolf sind mithin alte Sagen von einem Sonnenunhold und einem Nachtunhold verschmolzen.

Das Erdbeben erschien den Völkern auch als das Wert eines Dämons oder eines Tieres. Wenn das Tier, das die Welt trägt, sich bewegt oder sich schüttelt, oder wenn ein Riese im Schmerz aufzuckt, dann erbebt die Erde. Diese Sage übertrugen die nordischen Dichter auf Loki: wenn ihm das Gift einer über ihn befestigten Schlange in das Gesicht tropft, so windet er sich in seinen Schmerzen gewaltsam, daß die ganze Erde zittert.

Diese Erdbeben- und Finsternissagen sind — das lag ja in ihrem Wesen — Sagen vom Untergang der Welt geworden; sie blieben nicht die einzigen. Die Befürchtung, daß die Welt und daß alle Menschen bald untergehen werden, hat die Völker schon in ihrer Kindheit gepeinigt, und manche unheimliche Sage geschaffen. Wir wissen, daß die biblische Sage von der großen Flut, die alle Welt verschlingt, in der überlieferung des Altertums nicht allein stand, daß sie aus einer älteren babylonischen entstanden ist, und daß auch die Griechen und Inder ähnliche Berichte besaßen.

Die germanischen Stämme hatten je nach ihrem Wohnsitz verschiedene überlieferungen, die ihnen das Ende der Welt kündeten, einige von diesen Sagen sind wohl auch von andern Völkern zu ihnen gewandert. Sehr alt scheint der Glaube, daß die Welt erfrieren würde, ihr Gegenstück war die Furcht, daß Hitze und Feuer die Erde einmal zerstören müßten, und manche Völker ängstigte die Besorgnis, eine Flut würde alles wegreißen, oder der Himmel würde einstürzen, oder die Erde im Meer versinken.

Wir erwähnten vorher Teile der gotisch-germanischen Runenreihe. Die ganze Reihe — in einer freilich nicht vollständigen Form — hebt an mit der Nennung des Besitzes, den der Ur und



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der Riese bedrohen, den der Gott beschützt, der blitzeschleudernd auf seinem Wagen fährt, in Hagel, Not, Eis und Sonne waltend. Die Reihe wendet sich zum hellen Himmel, zur weißen Birke, zum Menschen und dem leuchtenden Meer und verklingt, indem sie die Eibe nennt, den Baum, der alles bedeckt und der über das Grab der Toten seine Zweige hängt. Das menschliche Leben, seine ewigen Feinde und seine guten Götter, sein Leben im Licht und sein Versinken ins Dunkel ist in die Verse dieser Reihe gebannt, auch sie war ein Gedicht von Anfang und Ende der Menschen.

Riesen, Unholde haben die Erde geschaffen, der Kampf gegen Riesen ist der Sinn des göttlichen Lebens, Unholde und Riesen werden einmal die Welt vernichten. Sagen über Anfang und Ende, über Ordnung und Auflösung von Welt und Menschen haben die Germanen wie andere Völker auch erzählt, in jenem Beieinander von naivem Zugreifen und großem Empfinden, das uns schon öfter auffiel und reicher und bunter als wir es wissen. Wieviele dieser Schätze sind versunken! Bei den Germanen wandelte sich, das beobachten wir nur bei ihnen, die Welt in ein Werk der Riesen, die ihre eigene Schöpfung bedrohen und gegen die alle Götter ihre Kraft aufbieten müssen, denen die Götter dann aber doch erliegen. Der Kampf der Götter und Riesen ist der Beginn und bleibt der Kern der germanischen Göttersage.


9. Der Gottesdienst

Der älteste Tempel der Germanen war der Wald. Die Götter des Himmels und des Gewitters, des Kampfes und der Fruchtbarkeit, sie alle wurden im heiligen Hain verehrt, wahrscheinlich seit Jahrtausenden. Bei den Sachsen und Friesen dauerte die Verehrung der Götter im heiligen Wald bis tief in die christliche Zeit. Namen wie Heiligenforst und andere bewahren das Andenken an heidnische Götterwälder. Nach einem Kampf zwischen Franken und Sachsen ließ sich ein schwerverwundeter Sachse heimlich aus



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seiner Burg in einen dem höchsten Gott geweihten Hain tragen (779 n. Chr.).

Undurchdringliche endlose Wälder bedeckten in den germanischen Jahrhunderten die deutschen Länder und erhöhten ihr dunkles Geheimnis, und welcher Eindruck, wenn der Sturm die Wipfel packte, die Äste brach, wenn die Sonne die ewige Dämmerung zu erhellen suchte, wenn ihre Lichter und Flecken über den Boden glitten oder wenn im Frühling die tausend Stimmen der Vögel übermächtig durcheinanderschallten! Aus dem Dunkel des Urwaldes trat dem Drusus jene germanische Frau entgegen; den Arm gegen ihn aufreckend, rief sie ihm die feierlichen, schicksalsschweren Worte entgegen, die ihn zur Umkehr zwangen und die er nicht lange überlebte.

Tiefe zauberische Einsicht und wilde Kraft, naives gutmütiges Zutrauen und seltsame Unberührtheit, das blieb durch alle Jahrhunderte das Wesen der germanischen Geister, die im Walde hausten.

Unter dem gewaltigen Blätterdach und in den Höhlen urweltlicher Bäume lebten Mensch und Tier und der Baum überlebte die lange Reihe der Geschlechter. An einem mächtigen Baum hing nach dem Glauben unsrer Vorfahren Schicksal und Leben einer Sippe. Die Gemeinde verehrte alte stolze Bäume als Heiligtümer, hielt unter ihren Zweigen ihre Beratungen und waltete dort auch des Rechtes. Die stolzesten Bäume scheinen in den Himmel zu wachsen; ihre breiten Wipfel scheinen das Himmelsdach zu tragen und zu stützen. Ein solcher Baum war vielleicht die irminsul, das Heiligtum der Sachsen, die große Säule, die alles stützte, wie ein mittelalterlicher Geschichtsschreiber sagt. Die wundervolle Vorstellung des germanischen Nordens von der Weltesche, die der Schutz und zugleich das Sinnbild der Welt war, die ihr Schicksal teilt und die sich am heiligen Quell des Lebens erhebt, die zum Himmel aufragt und die ihr Gezweig über die ganze Erde breitet, diese Vorstellung ist eine grandiose Steigerung alten germanischen Glaubens.



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Tacitus behauptet an der berühmten Stelle der Germania, daß die Germanen keine Tempel und keine Götterbilder kannten. Er sagt: sie glauben nicht, daß man die Götter in Häuser einschränken und daß man ihnen eine menschenähnliche Gestalt geben dürfe, weil sie zu erhaben seien. Aber derselbe Tacitus erzählt an anderer Stelle vom zerstörten Tempel der Tamfana und die weißen Rosse im heiligen Hain und den Wagen und die Zugtiere der Nerthus muß doch ein, wenn auch primitiver heiliger Bau beschützt haben, ein Tempel also. Ebenso haben die Germanen, wie uns die Bedeutung des Wortes ans (Gott aus Götterbild S. 70) und wie uns das Sonnenbild von Thrundholm lehrten, freilich noch unbeholfene Götterbilder besessen. Die Bilder und Zeichen des Kriegsgottes, die im heiligen Hain hingen, und die unsre Vorfahren in die Schlacht trugen, waren wohl die Waffen des Gottes (Speer, Schwert, Hammer usw.) und die Bilder der dem Gott geweihten Tiere. In späterer Zeit weiß Gregor von Tours (s. Jahrhundert ) bei den Franken von Tempeln mit Götterbildern, in denen man wie heute noch in den Kirchen, kranke Glieder in hölzernen Nachbildungen aufhing und der hl. Willibrord brach auf der Insel Walcheren in ein Heiligtum ein und zerstörte es, wahrscheinlich war es eines der Nehalennia. Die christlichen Bekehrer in England, in Friesland und in Deutschland eiferten dann oft genug gegen die heidnischen Götterbilder und haben sie auch verbrannt, oder sie versuchten, wie ein berühmter Brief des Papstes Gregor verrät, den heidnischen Gottesdienst ins Christliche umzudeuten . Die Bilder werden noch immer nicht sehr kunstvoll gewesen sein und meist aus Holz geschnitzt. Und das wird den Irrtum des Tacitus erklären. Kostbare und kunstreiche Tempel und Götterbilder waren den Germanen fremd, diese vor allem wird der Römer als Tempel und Götterbilder haben gelten lassen. In tieferem Sinne behält er also recht. Den echten Schauer des Heiligen empfanden unsere Ahnen in der dunklen und großen Natur;



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die Tempel und Bilder waren ihnen Werkzeug und Hilfsmittel, keine Offenbarung und Gestaltung des Göttlichen. Auch die Wörter in den germanischen Sprachen für Tempel und Heiligtum bedeuten ursprünglich nur: heiliger, schützender Ort, Steinhaufen als Altar, Opferstätte, Hain.

Wie uns die Ortsnamen zeigen, wurde den germanischen Göttern auch auf Bergen gehuldigt, besonders dem Wodan — es waren wohl waldige Anhöhen — ebenso auf Wiesen und an Gewässern. Namentlich die dem Ahnenkult entwachsenen Gottheiten wirkten und webten an solchen Stätten.

Auf einem Gebiete finden wir im Deutschen, im Altenglischen und im Norden bisweilen nicht nur einen, sondern mehrere Götter verehrt, wie in späterer Zeit der heilige Tempel zu Upsala die Bildsäulen dreier Götter, die des Odhin, des Thor und des Frey zeigte. Sollte die Heiligkeit der geweihten Orte sich dadurch erhöhen , daß man in ihnen mehr als einen Gott wirksam glaubte oder suchte der Kult eines Gottes mit dem des andern zu wetteiferns

Im Wald und in der großen Natur hatte der germanische Gottesdienst seine Heimat. Die Votivtafeln, die Totenbretter, die Marterln, die Bildstöcke, die Sühnekreuze, die wir heute in katholischen Ländern überall sehen, besonders im katholischen Deutschland, führen das religiöse Fühlen des Volkes wieder in den Schatten der Bäume, zu Wind und Wetter und Sonne zurück.

Die Zeit der Götteropfer war vor allem Frühjahr und Herbst, wie im wesentlichen noch heute, die Zeit der Saat und der Ernte. Im Frühjahr war die Zeit der Bittopfer, im Herbst war die Zeit der Dankopfer und im Frühjahr sollten viele magische Bräuche die Fruchtbarkeit von Feld und Mensch entwickeln und ausbreiten. Dem Donar war der fünfte Wochentag, der Donnerstag, heilig, wohl auch nicht jeder Donnerstag, sondern vor allem die Donnerstage des Frühjahres. Donnerstag und Dienstag, die Tage des Donar und des Tiu, waren Tage des Gerichtes. Außerdem war Sagenb. I. 7



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und ist noch immer die Zeit der Jahreswende eine heilige Zeit und Opferzeit, jene langen, dunklen, stürmischen Nächte, die den Abgeschiedenen gehören, als trauriger Ersatz für das Leben des ganzen Jahres, das früher ihr eigen war. Bei vielen Völkern herrscht die unverbrüchliche Sitte, daß man einen oder einige Tage des Jahres den Toten weiht.

Die Götter empfangen als Opfer Speise und Trank, auch Tiere. Zum Dank für ihre Hilfe errichteten ihnen germanische Bürger nach römischem Vorbild Weihsteine. Einige Götter fordern Menschenopfer: die Flußgottheiten, Nerthus, der Himmelsgott, der Kriegsgott, der Gott der Zauberei. Bei Mißwachs opferten Schweden und Burgunden sogar ihre Häuptlinge. Auch der Gott des Himmels verlangte vielleicht zu bestimmter Zeit einen Freien als Opfer, sonst mußten Sklaven und Kriegsgefangene für die germanischen Götter bluten und wurden oft unter grausamen Martern einem schrecklichen Tode ausgeliefert, erhängt oder ertränkt oder lebendig begraben oder gerädert oder man brach ihnen den Rücken. Nach der Aussage des Tacitus versenkten die Germanen Feige, Schwache und Unzüchtige in die Sümpfe oder bedeckten sie mit Dornen. Nicht nur Tacitus, auch die Schriftsteller des s. Jahrhunderts und die nordischen Berichte bezeugen uns das Menschenopfer. Donar, der deutscheste der Götter, hat es allerdings nie verlangt. Die Todesstrafe war aber keine leichtfertige Grausamkeit , sie hatte eine religiöse Bedeutung, sie sollte die Götter gnädig stimmen oder ihren Zorn versöhnen. Wie lange hat man noch, um der Geister Huld zu gewinnen, lebende Menschen in Häuser eingemauert ! Auch die Schiffe ließ man beim Stapellauf über Rollen gleiten und dabei den Leib eines Menschen zerquetschen.

Auf dem Schlachtfeld blieben die Leichen der Feinde unbestattet. Die Schädel wurden an Bäume geheftet, die Beute zerstört und zerschlagen, die Anführer auf Opfersteinen hingerichtet. So verfuhren die Germanen auch mit den Römern, die nach der Schlacht



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im Teutoburger Walde in ihre Hand gerieten und so verfuhren schon die Cimbern. Welch einen Anblick muß solch ein Schlachtfeld geboten haben!

Von Tieropfern sind besonders die Pferdeopfer erwähnt, auch Opfer von Ebern und Ferkeln; bei den Longobarden Opfer von Ziegen. Alles waren Tiere der Fruchtbarkeit. Gesang und Tanz, Trunk und Mahl hat diese Opfer oft begleitet. Frühzeitig ersetzte man das Tier durch das Tierbild, das man gern aus Backwerk herstellte.

Die Ehrfurcht der Germanen vor den Göttern war unbedingt. Sie warfen sich vor ihnen auf den Boden und wagten nichts in ihrem Heiligtume zu berühren, das Unnahbare und Unsichtbare war ihnen das Göttliche. Auch beim Gebet warfen sie sich nieder und bedeckten mit ihren Händen das Gesicht oder sie blickten auf nach Norden und in den hohen Himmel.

Neben den Göttern wurden die Ahnen verehrt. Wir haben ihren Kult in manchen Ausgestaltungen und bei verschiedenen germanischen Stämmen beobachtet und verfolgten ihn bis in die Bronzezeit. Am Rhein vermischte sich der Ahnenkult mit dem Glauben an die keltischen Mütter. In Westen und in Niederdeutschland scharten sich die Toten zu einem Totenheer zusammen, das durch die Lüfte braust und dem ein gespenstischer Führer voranstürmt. Bei den Ost- und Nordgermanen des Tacitus und bei den Goten verschmelzen sich Ahnenkult und Heldenverehrung, endlich trat auch der Himmels- oder Kriegsgott als Vater der Helden vor uns.

Die Abgeschiedenen bleiben bald bei ihrer Sippe und ihren Nachfahren, Glück und Untergang der Enkel hängt dann von der Verehrung der Ahnen ab oder sie erheben sich in die Lüfte und fahren im Wind und ziehen mit ihm in die Berge und brechen mit ihm aus den Bergen hervor oder sie ruhen mit ihren Gebeinen im Grab. Welche dieser Anschauungen die älteste ist oder ob und wie sie sich ablösen, läßt sich nicht sagen. Vielleicht de



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standen sie überhaupt gar nicht nacheinander, sondern gingen nebeneinander her, wie eigentlich noch heute. In den Bergen hausen nach dem Glauben des Volkes noch karl der Große und Friedrich Barbarossa, manchmal steigen aus ihnen die Abgeschiedenen hervor. Meeranwohnende germanische Völker meinten, das Reich der Abgeschiedenen sei jenseits des Meeres, die Toten müßten das Meer erst überfahren.

Der Geschichtschreiber der Goten, Prokop, schildert im s. Jahrhundert , wie die Toten geheimnisvoll und still nach der Insel Brittia übergesetzt werden. Die schwermütigen Verse, mit denen das altenglische Heldengedicht Beowulf anhebt, erzählen, wie die trauernden Männer den verschiedenen König Skyld mit seinen leuchtenden Waffen in ein Schiff legen und dies der dunklen Flut anvertrauen, er verschwindet in dieselbe wunderschwere Ferne, aus der er vor Jahrzehnten auch kam. Den gestorbenen Sinfjötli trägt der Vater ans Meer, da kommt auf einem kleinen Nachen ein Ferge und nimmt den Helden, ihn allein, zu sich, den Sigmund schickt er fort. Der Ferge war Odhin. Diese Episode in der nordischen Nibelungensage ist deutschen, vielleicht sogar keltischen Ursprungs.

In einem nordischen Grab der älteren Bronzezeit fand man, und solche Funde sind nicht vereinzelt, als Grabbeigaben für den Verstorbenen den Vorderzahn eines Pferdes, die Knochen eines Wiesels, das Stück eines Klauengliedes, wahrscheinlich eines Luchses, ein Stückchen von der Luftröhre eines Vogels, den Wirbelknochen einer Schlange. Diese Beigaben sollten dem Verstorbenen die Kraft von Pferd, Wiesel, Luchs, Vogel und Schlange auch im Jenseits sichern. Die in dem Gräberfeld von Nordendorf gefundene Spange rief den Schutz von Wodan und Donar auf den Abgeschiedenen herab; eine Frau Ava gab sie dem Freunde mit ihren letzten Segenswünschen. Wie oft soll Donar auch auf späteren Grabsteinen die beschützende Kraft der Runen weihen! Die Germanen bestatteten die Helden in der Pracht ihrer Rüstung auf



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ihren Rossen und gaben ihnen alles mit, woran sie im Leben ihr Herz gehängt. Wir denken an Alarich, den Gotenkönig, und an sein Grab im Busento. Und welche Schätze nahmen Attila und welche Beowulf ins Jenseits herüber!

Die uralte Sitte der Grabbeigaben ist also auch bei den Germanen bezeugt, in Zeiten, bis zu denen keine geschichtliche Überlieferung dringt. Wir könnten ihre Steigerung in das Heroische namentlich bei den Goten beobachten. Grabbeigaben und anderer Zauber, der gewalttätiger ist, haben den Sinn, den Toten ins Grab zu bannen und seine Wiederkehr zu verhindern. Die Leichen der Toten aber, die im Leben zaubermächtig waren, besonders Frauen, suchte man durch Lieder aus dem Grab zu wecken, damit sie die Zukunft enthüllten. Lieder dieser Art von gespenstischer und gewaltiger Phantasie erhielt uns das späte nordische Heidentum. Daß sie den Germanen nicht fremd war, schließt man wohl mit Recht aus dem Namen haijurunnas. So heißen nach Jordanes die Zauberweiber der Goten. Ursprünglich hießen wohl die Lieder die diese Weiber aus dem Tode weckten. Das Wort blieb noch im Altenglischen und im Althochdeutschen in der Bedeutung necromantia erhalten. Die Sitte der Leichenverbrennung gelangt in der zweiten Hälfte der Bronzezeit bei unsern Vorfahren zur Herrschaft , um die Wende unsrer Zeitrechnung tritt sie zurück. Von der Verbrennung erzählt noch Tacitus, auch von der Beigabe von Waffen und Pferd und von der Beisetzung der Reste in einem Hügel.

Den Zauber lernten wir als Heilzauber, als Kriegszauber, als Wetterzauber und als Fruchtbarkeitszauber kennen. Die Göttinnen der Erde und des Himmels walteten über Segen und Wachstum der Flur und der Menschen; damit sie deren Fruchtbarkeit erhöhten, zeigte man ihnen verstärkte geschlechtliche Kraft. Sonnen- und Himmelsgott empfingen als Gaben ihre Bilder, Donar empfing seine Hämmer. Tiu und Wodan und die Kriegsgöttinnen



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waren des Kriegs- und Heilzaubers mächtig. Wodan entfachte und beschwor auch die Flammen. Die nachdrücklichsten germanischen Zauberformeln, zugleich die dramatisch am wirksamsten vorbereiteten , erhielten uns die Merseburger Zaubersprüche: entspring den Haftbanden, entfahr den Feinden! und: Bein zu Bein, Blut zu Blut, Glied zu Glied, als ob sie geleimt seien. —

Wahrsagung als eine bei den Germanen besonders geübte religiöse Sitte schildert uns Tacitus. Wir wissen schon von der Beobachtung und Deutung der Stimmen der heiligen Pferde. Auch Flug und Stimme der Vögel wurde, wie wieder Tacitus meldet, ausgelegt. Fogalrarta, Vogelstimme, übersetzt im Althochdeutschen (ähnlich auch im Altenglischen) das Lateinische auspicium und augurium. Der König der Warnen Hermigisel erblickt reitend einen Vogel auf einem Baum, hört ihn singen und sagt dem Gefolge, nun sei ihm der Tod geweissagt; in vierzig Tagen werde er sterben. Wer von uns denkt hier nicht an die Weissagungen der Meisen an Sigurd, nachdem er den Fafni getötet? Weise Vögel, die das Schicksal der Könige und erlauchter Helden wissen, heben auch manche andere nordische Heldenlieder in den Schauer des überirdischen. Gute und böse Vorzeichen, von denen der Aberglaube unsrer Tage noch voll ist und die uns die nordische überlieferung ins Heroische steigert, werden die Germanen auch gekannt haben.

Von einer Art der Wahrsagung erhielten sich Reste bei den Finnen, sie wird noch im 8. Jahrhundert bei den Friesen erwähnt. Zweige eines Baumes (der Buche?) wurden in Stückchen gebrochen, Zeichen auf sie eingeritzt und auf ein weißes Gewand geworfen. Der Wahrsagende betete nun zu den Göttern, nahm dreimal je ein Stückchen auf und erklärte das eingeschnittene Zeichen. Der Wille des Gottes, der sich so offenbarte, wurde bedingungslos befolgt. Die eingeritzten Zahlen werden eine Art Bilderzeichen gewesen sein, mit einem bestimmten heiligen oder



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orakelhaften Sinn, und Vorläufer der Runen, der Priester oder der Hausvater erschlossen ihre Bedeutung. Das alles setzt einen ausgebildeten und entwickelten Opferdienst bei den Germanen voraus.

Die Wirkung des Zaubers erhöhten später die Runen. Ebenso wie das antike Alphabet hatte die germanische Runenreihe eine zusammenfassende magische Bedeutung. Auch einzelnen Runen, z. B. denen von Ty und Thor, traute man später besonders starken Zauber zu, ebenso den Reihen von acht oder zehn Zeichen. Später ritzte man die Runen in zauberkräftige Amulette, um deren Kraft zu steigern. Die erweckte Walküre Sigrdrifa erzählt dem Sigurd von zauberkräftigen Runen, die Mimi kannte und die geritzt waren auf die Tatzen des Bären, die Pfoten des Wolfes und den Schnabel des Fischadlers, den Nagel der Norne und den Schnabel der Nachteule . Runen auf Grabsteinen waren oft Abwehrzauber, sie bedrohten die Störer der Grabruhe und erbaten die Hilfe der mächtigen Götter.

Der Glaube an die magische Kraft des Haares begegnete uns in mancher germanischen überlieferung. — Sigurd verbirgt dem sterbenden Fafni, der ihn darnach fragt, den Namen, denn es war, bemerkt der Aufzeichner des Liedes, ein Glaube aus alter Zeit, daß das Wort eines dem Tode verfallenen Mannes viel vermöge, wenn er seinen Feind verwünsche, indem er dessen Namen nannte. Wie mit dem Haar lieferte der Mensch eben mit seinem Namen seine Zauberkraft dem zauberkundigen Feinde aus. Eine Menge von Formen hat dieser Wahn bei allen Völkern angenommen . Uns überrascht es fast, daß wir ihn im Germanischen nur einmal finden. Doch sei an die germanische Sitte erinnert, daß ein Held mit seinem Namen zugleich ein Geschenk empfing und daß Geber und Empfänger des Namens dadurch in einen engen Bund treten. Auch den Schutz der Götter suchte man sich dadurch zu sichern, daß man ihren Namen in den eigenen Namen aufnahm. — Das gemeinsame Blut war das stärkste Band der



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Sippen, die Blutsbrüderschaft die stärkste Verbrüderung der Helden , Loki und Odhin waren in alten Zeiten Blutsbruder. — Als im Norden die Asen und Wanen Frieden schlossen, gingen sie alle um ein Gefäß herum und spieen ihren Speichel hinein. Zum Zeichen der Freundschaft spucken sich noch heute manche Völker ins Gesicht. — Nach einer Aussage einer späten lombardischen Chronik bannt das zauberkräftige Haupt eines Erschlagenen die Flammen, im Nordischen raunt das Haupt des weisen Mimi dem Odhin tiefe Weisheit zu. Fertigte man darum Becher aus dem Schädel der erschlagenen Feinde und trank aus ihnen, daß sich ihre Tapferkeit auf den Sieger übertrage? — Paulus Diaconus erzählt von einem Mann, der sich in eine Fliege verwandelte, um das Gespräch zweier Verschwörer zu belauschen. Der eine hieb der Fliege einen Fuß ab und der Mann war nachher am Fuße verstümmelt. Deutsche Sagen melden Entsprechendes von Heren, die sich in Katzen verwandeln und denen der Fuß abgeschlagen wird. Der böse Kobold in der nordischen Göttersage, Loki, wählt auch die Gestalt einer Fliege, um einen Diebstahl auszuführen.

Wie voll von seltsamem Zauber war doch die Welt unsrer Vorfahren und wie anders als unsre ist ihre Welt, in der ein Baum den Blitz anzieht, in der die Wassertiere das Wasser besitzen , in der die Riesen dem Gott seinen Blitzhammer stehlen und in der die Gestirne unsicher schwanken! Wir wundern uns nicht, wenn die alten Deutschen den Zauberer und die Zauberei auch nach ihrem Tode fürchteten, wenn sie ihn lieber noch einmal erschlugen , ihn köpften, ihm einen Pfahl durch die Brust stießen oder seine Asche in die Winde streuten.

Bei den Cimbern führten Priesterinnen, ehrwürdig und grauhaarig und weiß gekleidet, mit ehernem Gürtel umgürtet und mit bloßen Füßen die gefangenen Feinde zu einem geräumigen ehernen Kessel. Sie stiegen auf einer Leiter hinauf und durchschnitten die Kehle des Opfers. Aus dem Blut, das in den Kessel rann, wahrsagten



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sie. Das ist das älteste Zeugnis über germanische Wahrsagerinnen. Im Heer des Ariowist mahnten wahrsagende Frauen, den Kampf nicht vor Neumond zu beginnen. Tacitus nennt unter den germanischen Wahrsagerinnen die Albruna und die Brukterin Weleda. Ihr galt eine besondere Verehrung, sie verhandelte nur durch einen Getreuen mit ihren Bittstellern, für die Menge unsichtbar, weilte sie in einem Turm. Dio Cassius erzählte von der Seherin, die dem Drusus aus dem Walde entgegentrat, er weiß noch von der semnonischen Seherin Ganna (zu gand, Zauberstab). Eine semnonische Seherin Waluburg nannte ja auch das neu entdeckte Ostrakon (S. 17). Der fränkische König Guntram befragte ebenfalls eine Wahrsagerin, wenn er die Zukunft erfahren wollte. Sueton kennt eine hessische Wahrsagerin, die Winniler wurden, wie wir wissen, von der Gambare geführt (S. 49f.), und einer Wahrsagerin Thiota gedenken die Fuldischen Annalen oon 847, sie war von Schwaben nach Mainz gekommen. Diese Zeugnisse, aus einem Jahrtausend von der Wissenschaft aufgelesen, bestätigen die schöne Angabe des Tacitus oon dem Schauer der Heiligkeit und des Sehertums (des sanctum und providum), der die germanischen Frauen umweht. Sie bestätigen auch unsre Feststellung vom Alter und von der Bedeutung der germanischen Göttinnen, denn ursprünglich werden die Wahrsagerinnen im Dienst der Göttinnen gewaltet haben. An die Göttin wendet sich noch die Gambara und überwindet mit ihrer Hilfe den Gott. Im Norden bewahrten sich die Zauberfrauen, die Wölwur, bis in das letzte Heidentum ihr hohes Ansehen. Das tiefste nordische Götterlied, die Wöluspa, heißt Weissagung der Seherin. Wir finden bei vielen alten Kulturvölkern und auch bei primitiven eine besondere Verehrung der Frauen, diese steigert sich bisweilen zu dem sogenannten Mutterrecht. Religiöser und schöner hat sich diese Verehrung nirgends gestaltet als bei unsren Vorfahren.

Von unsren Darlegungen aus gewinnt der Bericht eine neue



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religionsgeschichtliche Bedeutung, daß die Priester der Alcis weibliche Tracht trugen; aus der Priesterin wurde der Priester in weiblicher Tracht und aus diesem der Priester. Das Widerspiel sind die Winnilerfrauen, die der Art der Männer sich dem männlichen Gotte zeigen, und die das Zeichen der Männlichkeit, die langen Haare, gewissermaßen überbieten.

Dem germanischen Priester lagen die höheren Aufgaben des Gottesdienstes ob. Sie waren die Bürgen, daß der Wille und das Gebot der Götter richtig erfüllt werde. Die Frau besaß das ihr eingeborene Ahnungsvermögen und die weibliche Erfassungsgabe — wir dürfen ruhig sagen den Mutterwitz —, vom Manne wurde schöpferische Einsicht, genaue Kenntnis des Rituals und kombinatorisches Vermögen gefordert. Das geht schon aus den Angaben des Tacitus über das Wahrsagen, über den Dienst bei der Nerthus und bei den Alcis und bei den heiligen Pferden hervor. Die Burgunden nannten ihren Opferpriester sinista, d. h. den Ältesten, den Erfahrensten und Vornehmsten, die Priester gehörten dem Adel an. Man nannte sie auch Gesetzeskünder. Sie waren dem König ebenbürtig, vielleicht versahen auch die Könige das priesterliche Amt. Im Kriege besaßen die Priester als die von Gott Beauftragten die Strafgewalt, bei den heiligen Versammlungen geboten sie Schweigen. Wüßten wir nun nicht durch unsre Zeugnisse von dieser Bedeutung der Priester, so müßten wir sie erschließen aus der Form des germanischen Gottesdienstes. Die Fülle der Namen und Beinamen, die der priesterliche Gottesdienst den Himmelsgottheiten und dem Wodan gab, waren uns Beweise für die hohe Stufe, die der germanische Gottesdienst erreichte. Auch die von uns absichtlich betonte künstlerisch hohe Vollendung der germanischen Gebete, Hymnen und Zaubersprüche bezeugen in den Jahrhunderten der Völkerwanderung bei vielen germanischen Stämmen, namentlich bei den Goten, eine hohe priesterliche Kunst, der Kunst der germanischen Heldendichtung ebenbürtig. Wir rufen



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uns noch einmal die altenglischen Segen und Gebete, das Wessobrunner Gebet, die gotisch-germanische Runenreihe, die Nordendorfer Runenspange, die Beschwörungen Donars ins Gedächtnis. Die Lieder, die bei dem Opfer erklangen unter dem Tanz der Gläubigen, die feierlichen Wahrsagungen und die dunklen und die tiefen Antworten auf dunkle und tiefe Rätselfragen, die Lieder, die die Toten zum Leben weckten, und die andern, die ihm zur Ehre und Freude angestimmt wurden, diese ganze großartige religiöse Dichtung der Germanen ist uns wohl für immer verloren.

Neben der priesterlichen bestand eine volkstümliche und allgemeine Verehrung der Götter. Das Haupt der Familie leitete den häuslichen Gottesdienst. Votivsteine und der Mütterkult beweisen , daß einzelne und gerade Angehörige der niederen Schichten den Göttern ihren Dank und ihre Opfer darbrachten. Die ganzen Stämme und Stammverbände kamen zu den heiligen Zeiten zum Fest und zum Opfer, wie wir das oon den Semnonen, von der Nerthus, von den Verehrern der Tamfana, von den Alemannen erfuhren. Ebenso übten ganze Völker ihren Zauber, wenn etwa die Franken die kriegsgefangenen Goten in den Fluß warfen, um das Schicksal zu erfahren. Eine priesterliche Kaste und eine priesterliche Herrschaft, wie bei den Kelten die Kaste der Druiden, hat sich bei den Germanen kaum entwickelt. Manche germanische religiöse Dichtungen tragen auch volkstümliche Merkmale, die Sagen z. B. über die Schöpfung der Welt, über den einarmigen Himmelsgott, über die Kämpfe oon Donar mit Ungeheuern. Jenes Durcheinander von hoch und niedrig, von heilig und irdisch in Zaubersprüchen und Göttersagen haben wir ebenfalls als volkstümliche Kunst gedeutet. Besonders Donar erweist sich auch von dieser Seite als der volkstümlichste deutsche Gott.

Der Gottesdienst der Germanen steigt schon in früher Zeit von grausamen und unbeholfenen Übungen empor zu jenem Schauder, den Goethe der Menschheit bestes Teil nennt, und erhebt sich zu



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einer seltsamen großartigen Kunst. Die Zauberei und die niederen religiösen Formen der Verehrung entwickeln sich am Fuße der hohen Religion weiter und folgen ihren eigenen Gesetzen. Oft mag ein Herüber und Hinüber der Wirkung stattgefunden haben.


10. Rückblicke

Wir sind bei unsern Studien auf manche Wurzel des Götterglaubens gestoßen. Die eine war der Ahnenkult. Denkt man sich ihn räumlich ausgebreitet, so führt er zu Gottheiten, die bestimmte Ortschaften, Wässer und Wälder beschützen. Diese Ausbreitung konnten wir bei dem keltisch-germanischen Mütterkultus beobachten. Eine weitere Ausdehnung führt zur Verehrung der Mutter Erde, die alle Völker und Felder schützt und ihnen Wachstum und Frucht bringt. Der Sohn der Mutter Erde, der starke Donar, wachte bis in die letzten Zeiten des Heidentums über Ehe und Sippe und ihrer Wohlfahrt. — Der Ahnenkult kann sich auch zeitlich verlängern, die Verehrung der Ahnen verwandelt sich dann in die Verehrung der Ahnenreihe und steigert sich zum Kultus des großen Ahnherrn und seiner Söhne und Sohnessöhne. Dieser Kultus war, wie wir wissen, ein Anfang der germanischen Heldendichtung und ein Anfang der isländischen Saga. Diese Steigerung ist kaum älter als die Anfänge der Heldendichtung selbst. — Außerdem kann der Ahnenkult von der Verehrung der Abgeschiedenen eines Geschlechtes zur Verehrung aller Abgeschiedenen führen. Sie sammeln sich zum Totenheer und verlangen gebieterisch bestimmte Zeichen und Nächte des Jahres für sich und verlangen dann auch einen Führer. So geschah es bei der wilden Jagd und Wode, und schon in der indogermanischen Vorzeit unsres Volkes.

Außer den Ahnen verehrten die Germanen seit alter Zeit die Gestirne und ihren Segen, vor allem die Sonne. Zur Anbetung der Erde führte nicht allein der lange Weg über den Ahnenkult, ihrer mütterlichen fruchtspendenden Kraft wurden unsre Vorfahren



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ohnedies gewahr und suchten sie durch ihre Gebete für sich zu gewinnen . Die Gottheiten des Himmels, die Gottheiten der Erde und die Gottheiten der Fruchtbarkeit verfließen ineinander. Mythische und künstlerische Gebilde bedürfen langer Zeit, bis sie feste und klare Gestalt gewinnen. Der Kultus der Erde, der Fruchtbarkeit, der Sonne gehört noch in die Kindheit und in die frühe Jugend der Völker.

Bald erscheint der Vater Himmel als der Gemahl der Mutter Erde, bald erscheint neben dem Vater Himmel eine gütige mütterliche Himmelsgöttin, bald erscheint die Erde als doppelgeschlechtiges Wesen: ruhen hier verschiedene Schichten des Glaubens nebeneinander oder verschiedene religiöse Gestaltungen der verschiedenen germanischen Stämme?

Neben Himmel und Erde galt die Furcht und die Hoffnung dem Wetter und dem Gewitter. Aus ihnen erwuchs der Glaube an die Riesen und der an Donar. Aus den Geistern der Bäume sind im Germanischen keine großen Götter geworden. Ob sich die Verehrung der Tiere zur Verehrung von Tiergottheiten und dann zur Verehrung von Göttern steigerte, bleibt ungewiß, wir hielten es für unwahrscheinlich.

Die große Zahl der Göttinnen hat uns mehr als einmal überrascht . Diese Göttinnen erschienen in Mengen wie die Mütter und die Idisi oder sie fügten sich von selbst zu Gruppen zusammen wie die Göttinnen des Himmels, des Rechtes, des Krieges, der Fruchtbarkeit. Herausgehoben hat sich aus diesen Scharen eine Göttin, die Himmelsgöttin. Wir behalten sie gern in unsrem Gedächtnis, wie die longobardische Sage sie schildert, in ihrer frauenhaften Güte, ihrem Witz und ihrer Anmut. Soweit wir urteilen können, ging der Kult der Ahnengottheiten und der Göttinnen dem Kult der großen Götter voran. Er ist weniger entfaltet und differenziert, dafür aber dauerhafter.

Bei den Göttern erscheinen die Elben, die Asen und andere dem



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Ahnenkult entwachsene Wesen auch noch in der Vielzahl. Die Elben als kleine zierliche Gottheiten haben ihre besondere Gestaltung vielleicht in der Bronzezeit erhalten, ebenso wie einige Korngeister, die Idise und auch die Zwerge, Wichte und Kobolde. Die Entstehung der ungefügen Riesen möchten wir nicht, wie es zuerst verlockend scheint, in die noch ältere Steinzeit versetzen. Ihre Verbindung mit Wetter und Gewitter, ihre steten Kämpfe mit Göttern und Menschen, ihre Feindschaft gegen Ackerbau und Kultur weisen sie unsres Erachtens in eine spätere Epoche. In der Religion sind die Riesen, in der Erdgeschichte ist das gewaltige Hochgebirge nicht das Älteste. Den Riesen gebührt so gut wie gar kein Kultus, sie bilden keine Gemeinschaft. Jeder kämpft seinen Kampf für sich gegen die Götter und jeder trägt auch seinen eigenen Namen. Auch aus diesen Gründen können die Riesen keine Götter der ältesten Zeit sein. Die großartigsten Bilder ihres Wesens entwerfen die Goten zur Zeit der Völkerwanderung.

Das Wesen der Fruchtbarkeitsgötter bleibt, um es wieder zu sagen, noch unbestimmt. Tiu, Donar, Wodan dagegen sind jeder ein Gott für sich. Die Besonderheiten ihrer göttlichen Macht und ihres Umgangs mit den Menschen werden uns in klarer und großer Zeichnung sichtbar. Das Thronen im Himmel, die Herrschaft über Recht, Krieg, Schicksal bei Tiu, die schöpferische elementare Kraft und die unermüdliche Freude des Helfens bei Donar, das ruhelose, zauberstarke, aus Tod und Jenseits geborene Wesen des Wodan. Donar und Tiu sind die eigentlich Großen, die Himmelsgötter, beide in ihrer Art mit Jupiter verwandt. Wodan ist und bleibt im Wesen dämonischer. Donar waltet immer in seiner Sphäre, den Tiu schob Wodan in den Hintergrund. Doch jener zeigt uns im Germanischen und noch im Nordischen in seiner unbeirrbaren Rechtlichkeit und in seinem unerschütterlichen Mut Eigenschaften, die wir bei Wodan nie finden. Ein höchster Gott hat sich bei den Germanen nicht gebildet. Wären Tiu und Donar zu einem Gott verschmolzen,



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so stände ein solcher allgewaltiger Schöpfer vor uns. Dafür bahnt sich eine andere Entwicklung an. Der Gott, der das Schicksal bestimmt, rückt in immer weitere Fernen und löst sich schließlich in eine unpersönliche, alles beherrschende und durchdringende Macht auf. Man denke auch daran, wie sich der Weltenbaum immer mächtiger ausdehnt, wie seine Wurzeln mit der Erde, sein-' Wipfel mit dem Himmel zu verschmelzen scheinen und wie er zum Schicksalsbaum sich ausweitet. Über dem nordischen Odhin und über allen nordischen Göttern waltet als stärkere Macht das Schicksal. Und wenn der alte Hildebrand im Hildebrandslied ausruft: Weh nun, waltender Gott, Wehgeschick wird, so besagt das doch auch, daß sich ein Wehgeschick erfüllt, das sogar der mächtigste Gott nicht beschwören kann. Am Ende wird das Schicksal der einzige Gott der Germanen. Daß im deutschen Nibelungenlied die Grundgesinnung ganz heidnisch sei, daß aber im Unterschied von Homer nicht die Götter, sondern nur das Schicksal die Menschen lenkt, hat schon Goethe nicht ohne die Mißbilligung des Künstlers und fast erschrocken festgestellt.

Aus den Beinamen und Eigentümlichkeiten von Tiu und Wodan haben sich dann neue Gottheiten abgesondert. Diese erreichten jedoch nie die Bedeutung des Hauptgottes und blieben schattenhafter. Das religiöse Vollblut fließt nicht in ihren Adern, sogar nicht in denen Balders. Wir müssen in der germanischen Mythologie wie in denen der andern Völker diese Entwicklung annehmen: zuerst eine Fülle der Götter, die neben- und ineinandergleiten . Aus ihnen ballen und gestalten sich langsam die großen Götter. Der Reichtum ihres Wesens wird dann wieder zum überfluß, aus denen ein neuer Gott nach dem andern gerinnt. Ein solches Zusammenziehen und Ausbreiten läßt sich in Dichtung und Religion der Völker immer von neuem beobachten. Man denke etwa an den Heiligenglauben, seine Entstehung und sein Aus- und Ineinanderwogen. Eigentliche Sondergötter, wie es die Heiligen



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des katholischen Volkes noch heute sind, und wie es ja viele römische und litauische Götter waren, finden wir im Germanischen sehr selten. Besonders die Geschichte von Frija, Tiu und Wodan zeigte uns, wie die großen Gottheiten die andern aufsaugen und verdrängen und wie sich aus ihnen wieder andere ablösen. Viel einfacher ist die Geschichte des Donar.

Als Gesamtheit fühlen sich die Götter, wenn einem von ihnen ein Unheil begegnet, dann eilen sie alle diesem zu Hilfe: wir wissen, das ist ein altes Gesetz der Geisterwelt. Sonst entdecken wir im Germanischen keinen Götterstaat. Wenige Götter wurden im ganzen Deutschland verehrt, die meisten von Stämmen und Stammverbänden. Die Götternamen auf den Weihsteinen stammen vom Rhein, von der Pfalz bis hinab nach Holland, Friesland und den friesischen Inseln, und aus England, also aus den von den Römern besetzten Gebieten. Die meeranwohnenden Völker der Ostsee verehrten die Nerthus, wandalische und ostgermanische Stämme die Alcis. Das Hauptgebiet des Donar war Mitteldeutschland, das Hauptgebiet des Tiu West- und Mitteldeutschland und Schwaben, das des Wodan der Rhein und Niederdeutschland. Aus Bayern haben wir die wenigsten alten mythischen Zeugnisse . Man kannte dort weder den Donarstag, noch den Wodanstag und statt Ziestag sagte man Ertag. Der stärkste religiöse Kampf im Germanischen muß der Kampf von Wodan und Tiu um die Herrschaft gewesen sein. Bei den Longobarden und Angelsachsen war seit dem s. und 7. Jahrhundert Tiu bereits verdrängt. Aber von diesem Kämpfen haben wir keine Nachricht, auch keinen Niederschlag in Mythen.

Daß bestimmte Stände bestimmten Göttern huldigten, daß also die germanischen Götter nicht nur örtliche, sondern auch soziale Grenzen hatten, müssen wir annehmen. An den Göttinnen und Müttern hängen die Soldaten, die Fischer, die Kaufleute. Donar muß vor allem der Gott des Landmanns gewesen sein, Tiu und



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Wodan erhoben sich früh ins Heroische, sie blieben in der Welt der Könige und Helden.

In der germanischen Religion trafen wir an: den Ahnenkult, kleine und rasche Götter, den Kult der Göttinnen, den Kult der Erde, des Wachstums, des Himmels, die Riesen, die Götter von Wetter und Gewitter, die Zauberer, große schöpferische Götter, Zusammenballen und Auseinanderströmen mächtiger Gottheiten. Lange und reiche Zeiten religiösen Lebens schließt diese Fülle in sich, vor allem, wenn man sich erinnert, daß die verschiedenen germanischen Stämme oft besondere Götter verehrten. Nach dem Ausweis unsrer überlieferung sind die kleinen und raschen Götter, der Kultus der Sonne als Gestirn, nicht als persönliche Gottheit das Älteste. Die vielgeschäftigen, überall gegenwärtigen Göttinnen werden in die Nachbarschaft dieser kleinen Kulturheroen, dieser Elben, dieser Korngötter gehören. Wie stark heben sich von dieser rastlosen kleinen Schar ab die große Mutter Erde, der große Vater Himmel, der über Krieg und Schicksal waltende Gott, der Herr von Wetter und Gewitter, die Jünglinge und Brüder, die vom Himmel leuchtend den Menschen beschützen, der mächtige Führer der Seelen, der große Meister des Zaubers, alles Wesen, wie es scheint, einer ganz anderen Art und Herkunft!

Die starken Abweichungen der germanischen Sprache von den urverwandten indogermanischen hat man dadurch erklärt, daß die eindringenden Indogermanen die ganz andere Artikulation der eingeborenen germanischen Völker annahmen. übertragen wir diese Erklärung auf die Religionsgeschichte, so wären die kleinen Götter die alten Gottheiten der eingeborenen Völker. Tiu, Nerthus, Fjörgyn, Frija, Donar, Wodan, die Alcis wären die Götter der eingewanderten Indogermanen. Diese gleichen den römischen, griechischen, indischen Göttern, dem Jupiter, dem Merkur, dem Mars, der Venus, dem Zeus, dem Hermes, dem Ares, den Dioskuren, der Demeter, dem indischen Wetter- und Blitzgott Sagenb. I. 8



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Indra und den Aschwins in vielen Zügen, wurden aber auf germanischem Boden germanisch artikuliert und zwar bei den verschiedenen germanischen Stämmen die verschiedenen Götter in verschiedenem Grade, wie ja auch die germanische Sprache bei den verschiedenen germanischen Stämmen sich verschieden ausprägte. Die bewußte und starke Umformung der indogermanischen Götter in die germanischen geht sozusagen noch vor unsern Augen vor sich. Die Anfänge der Entwicklung sind uns verborgen, aber ihre Höhe, ihr intensives immer sich umgestaltendes Leben und später auch ihr Ende, davon sind wir Zeugen. Uns scheint überhaupt, daß man die Einwanderung der indogermanischen Götter nicht in allzufrühe, altersgraue Zeiten zurückverlegen soll, uralte Götter verändern ihr Antlitz nicht so stark, wie die germanischen es verändern. Am wenigsten haben die Mutter Erde und die ihr verwandten Gottheiten ihr Wesen verschoben. Die Alcis blieben nicht ganz die alten himmlischen Gottheiten, sie neigten sich schon der Erde und ihrer Fruchtbarkeit entgegen, ebenso wurde Frija mütterlicher und frauenhafter. Tiu ist aus einem Gott des Himmels und des Rechtes zu einem Gott des Krieges und des Schicksals geworden und ist dann verdämmert. Die Kraft des Donar hat sich immer mächtiger und lebendiger ausgeprägt — welche Frische zeigt gerade der ihm geltende Glaube, die ihm geltende Dichtung! Wodan schwang sich zum höchsten Gott erst in den Jahrhunderten der Völkerwanderung auf. Er ist der Gott der wandernden und erobernden Stämme, daher auch der Gott der Wikinger. In ihm reckten sich die dunklen Mächte des Zauberwesens und die finstere Tragik des Heldentums neben der elementaren Gewalt und der derben Siegesfreude des Donar auf. Er gewann über das ungerührte Walten des Tiu die Herrschaft. Wenn ein ewiges, ruheloses, nie sich vollendendes Werden das Wesen der Deutschen bleibt, so erfüllt sich dies Wesen in der Entwicklung von Wodan am klarsten und die Entwicklung Wodans bleibt die deutscheste Entwicklung eines deutschen Gottes.


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Von Einflüssen anderer Völker auf die Götter und Mythen der Germanen konnten wir alles in allem nicht sehr viel beobachten. Von den Kelten übernahmen einige benachbarte germanische Stämme den Kult der Matres, wahrscheinlich, weil sie ja auch seit langer Zeit viele Göttinnen kannten und verehrten. Doch dieser Kult zog sich mit den Kelten zurück. Die Vorstellung vom Himmelsgott als von einem einarmigen Gott, die Wandlung des Himmelsgotts in den Kriegsgott mag durch ähnliche religiöse Sagen und Vorstellungen bei den Kelten begünstigt sein, ebenso die Eigenschaft des Odhin als rastloser Wanderer und andere gelegentliche, in Schleswig-Holstein wahrnehmbare, örtlich begrenzte Entlehnungen. Die römischen Götter, die den germanischen entsprechen, vermischten ihr Wesen mit ihnen nicht. Wie verschieden ist doch bei aller Verwandtschaft Tiu von Jupiter, Donar von Herkules und Jupiter, Wodan von Merkur, Frija von Venus! Die Götter der meeranwohnenden Stämme, Nerthus und ihre Sippe, auch Balder haben in ihrer weichen Art, ihrer Fruchtbarkeit und in einzelnen orgiastischen Zügen ihres Kultus, vielleicht auch in ihrem doppelgeschlechtigen Wesen und in ihrer Geschwisterehe manche Berührungen mit orientalischen Gottheiten. Berufenere mögen entscheiden, ob die vielzitierten Phönizier oder andere orientalische Handelsvölker neben ihren Waren auch ihre Götter und Götterkulte zu den Germanen trugen oder ob diese übereinstimmung sich aus verwandten Grundbedingungen erklärt. — Wie es nicht anders sein kann, auf Schritt und Tritt finden wir noch Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten mit dem Glauben primitiver Völker alter und neuer Zeit, in der Verehrung von Vater Himmel, Mutter Erde, von den Ahnen, von den Gottheiten des Wachstums, in dem Glauben an die Magie, an die Erscheinungen und das Fortleben des Menschen, in den Vorstellungen von Anfang und Ende der Welt.

Aber die Welt der germanischen Götter bleibt immer eine Welt



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für sich. Die Verehrung der Frau, die Stellung der Priesterin, die Anbetung der Götter im heiligen Hain hat schon Tacitus als eine Beziehung zum übersinnlichen empfunden, die nur die Germanen fühlten. Welch anderes Volk kennt denn auch einen Gott wie Donar, eine solche Mischung von Kraft und Güte, von schöpferischer Freude und Sorge für das Leben der Sippe? Der Indra der Inder, in seiner derben, polternden Kraft, seiner Siegesfreude, seiner Herrschaft über Blitz und Donner ist dem germanischen Donar gewiß ähnlich und die stolzen, unermüdlichen Kämpfer und Halbgötter der Griechen, Herakles und Theseus, sind ihm bisweilen ebenbürtig, aber allen fehlt das Treuherzige und das schöpferische Vermögen des germanischen Volkes. Welches andere Volk schmolz sein Gefühl oon Recht, Krieg, Schicksal und Herrschaft und himmlischer Größe zu einer Schöpfung wie Tiu zusammen , welches erhob den Führer der Seelen und mächtigen Zauberer zu dem niebefriedigten Gott der Helden? Auch unsere spärlichen Zeugnisse öffnen uns den Blick in eine Welt rastlosen mächtigen Gestaltens und schöpferischer Fülle. Alle Stämme und alle Stände wollen, wie es scheint, ihren besonderen Gott. Der Kampf, viel weniger die Bitte um Segen und Gedeihen, ist das Losungswort der großen germanischen Götter und ihrer Dichtung.

Schon die Schilderungen des Tacitus von den Göttern und dem Gottesdienste unserer Vorfahren erfüllt eine tiefreligiöse und künstlerische Weihe. Die wenigen uns erhaltenen Götterdichtungen, die Sprüche und Sagen sind alle in ihrer Gestaltung stark und original. Einige bleiben altertümlich, grotesk und großartig, wie die Geschichte vom Himmelsgott, dem der Wolf den Arm abbeißt- die Geschichte von den Wölfen, die hinter der Sonne herstürmen, um sie zu verschlingen, die von den herumirrenden Gestirnen, denen ein Gott den Weg weist, oder die Berichte von dem Gott, der Augen und Zehen von Riesen als Sterne an den Himmel schleudert , Ungeheuer aus dem Meer fischt und durchbläut und dem Riesen



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seinen Hammer ablistet, den dieser gestohlen hat. Andere Dichtungen erheben sich zu einer außerordentlichen künstlerischen Höhe in Klang und Aufbau, in Kontrastierung und im dramatischen Leben, jene oon uns charakterisierten Hymnen, Gebete und Zaubersprüche.

Die germanische Runenreihe, die auf das Gotische zurückführt, und einige Sagen von Donar, die gotischer Herkunft scheinen, machen es wahrscheinlich, daß die Goten wie die germanische Heldendichtung, so auch die germanische Götterdichtung großen Stiles schufen. Der Umgang mit antiken Völkern am Schwarzen Meer und im Kaukasus wird nicht allein ihre bildende Kunst und ihre Schrift befruchtet haben. Germanische Sagen vom gefesselten Unhold haben ihre erste Heimat wohl im Kaukasus. Die großartige Vision vom Kampf des Riesen und Gewittergottes, die Kontraste vom bewegten und vom heiteren Himmel, von hellem und von dunklem Sein, die mächtige, klare Schau über das irdische und überirdische Leben und sein dumpfes Verklingen wurden uns Kennzeichen gotischer Dichtung. Und ist nicht das Bild von den Göttern des Himmels und des Lichtes, die im dunkeln Wald jäh das Unheil überfällt, sind nicht die Spannungen, die lebhafte Charakteristik der beiden Merseburger Sprüche wesensverwandte Schöpfungen?

Aber auch die alten Engländer hinterließen uns vor allem in ihren Gebeten an die Mutter Erde großartige und innige Gedichte. Endlich drang auch die Kunst und der Vortrag des antiken Mimus in die Götterdichtung der Germanen. Wie erfreute und belustigte uns sein Vortrag in dem Gedicht vom Hammer und der falschen Hochzeit des Donar und in der Sage vom Namen der Longobarden!

Der Besitz, den wir aus der germanischen Götterwelt mühsam uns retteten, bleibt von außen gesehen gering. Doch auch in seinen wenigen Denkmälern erkennen wir eine Kunst und einen Glauben, den in seinem unermüdlichen Ringen nur unsre Vorfahren gestalten konnten. Einige Gipfel tauchen vor uns auf, mit weiten, ahnungsschweren Blicken in das alte heilige Land unsrer Götter.



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Zweiter Abschnitt

Der germanische Norden

(Vom 8. zum 13. Jahrhundert)


1. Die Überlieferung

Ein Vergleich der germanischen und der nordischen Aussagen und Dichtungen von unsren alten Göttern kann uns fast traurig stimmen, so viel reicher und großartiger ist der nordische Besitz. Nicht nur die Zeugnisse der Geschichtschreiber und der Missionare sind im Norden viel lebendiger und eingehender; welche Schätze bergen für uns z. B. die Geschichtsbücher des Sato Grammaticus , jenes dänischen Mönches aus dem 13. Jahrhundert, oder die große Weltbeschreibung, die Heimskringla, des Isländer Snorri aus der gleichen Zeit! Auch die isländische Saga, die älteste künstlerische Prosa der Germanen, jene einzigen Schilderungen germanischen Bauern- und Heldenlebens, führen uns von allen Seiten, weniger in die hohe Götterwelt als in den Glauben, der das ganze und tägliche Sein durchwaltet. Umgekehrt geben uns die überkünstlichen Gedichte der Skalden einen Einblick in die Götterverehrung am Hofe der Könige und sind Zeugnisse einer in sich fest abgeschlossenen adeligen und priesterlichen Welt. Die späteren Sagen, Bräuche, Märchen und die Berichte gelehrter Gewährsmänner hängen mit der Vergangenheit des Landes organischer zusammen als in Deutschland; Die Verbindung von alter und neuer Zeit wurde im Norden nie so oft und so grausam durchschnitten wie in Deutschland. Dazu ein überquellender Reichtum von Ortsnamen, die auf die Verehrung der alten Götter weisen, und die Edda! Mit Recht steht sie seit langer Zeit im Brennpunkt der Forschung über unsere und über die nordische alte Götterwelt.

Edda heißt Poetik, Lehrbuch für Dichter. Der Name gebührt eigentlich nur dem Buch des berühmten isländischen Gelehrten, Geschichtsforschers



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und Dichters Snorri Sturluson (1178 bis 1241). Seine Edda war für den werdenden Kunstdichter, den Skalden bestimmt. Die Poesie der Skalden kann nicht leben ohne gelehrte Anspielungen und künstliche Vergleiche. Diese waren schon im 13. Jahrhundert nicht leicht verständlich; weil sie vor allem eine sehr genaue Kenntnis der alten Götter- und Heldensagen voraussetzten, erzählte Snorri diese Sagen und erklärte gleichzeitig die aus ihnen stammenden Vergleiche. Dabei nannte er die Namen der Zwerge, der Riesen, der Götter, ihrer kostbaren Besitztümer usw. Es gab z. B. eine Fülle von Benennungen für das Gold, es hieß Sifs Haar, Otterbusse, erzwungene Gabe der Götter, das streitbringende Erz, Fafnis Lager, Granis Bürde usw.; diese Benennungen stammten teils aus der Göttersage (Sif war Thors Gattin) , teils aus der Nibelungensage, das setzte Snorri im einzelnen, indem er die Ereignisse der entsprechenden Sagen mitteilte, auseinander .

Die Edda Snorris fügt sich aus verschiedenen Teilen zusammen; sie heißen: die Skaldskaparmal (die Lehre von der Skaldenschaft); der Name bedeutet also ungefähr dasselbe wie Edda), die Bragaroedhur (die Erzählungen, die dem berühmten Dichter Bragi in den Mund gelegt werden) und die Gylfaginning (die Geschichte von der Verblendung des Königs Gylfi, der zu den Göttern kommt und von ihnen die Geschichte vom Anfang und vom Ende der Welt und von den einzelnen Göttern, ihrem Wesen und ihren Taten hört).

Snorri setzt in seine Darstellung oft Strophen ein, die er aus einer Sammlung von Götterliedern nahm. Diese Sammlung war lange verloren und wurde im Südwesten Islands im 17. Jahrhundert (1643) von Bryniolf Sveinsson, einem Bischof, entdeckt. Sie stammte aus dem 13. Jahrhundert und enthielt außer den Götterliedern Heldenlieder. Der Bischof nannte sie, weil ihr ein Name fehlte, wieder Edda, er hielt irrtümlich für ihren Verfasser den Priester Saemund, weil dieser der berühmteste Gelehrte



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des alten Island war. Unter Edda versteht man eigentlich heute nur noch die zuletzt entdeckte Sammlung. Zum Unterschied von der Edda Snorris (auch die jüngere Edda oder die prosaische Edda genannt) heißt sie die ältere oder die Lieder Edda.

Den früheren Gelehrten bis tief in die Mitte des vorigen Jahrhunderts galt jede Aussage aus dem Norden, ob sie nun aus später oder früher Zeit stammt, eigentlich als gleich wertvoll. Widersprach eine der anderen, so suchte man diese Widersprüche mit allen Künsten fortzuerklären. Ziemlich unbekümmert setzte man auch, einige Ausnahmen abgerechnet, das Nordische auf der ganzen Linie dem Germanischen gleich und glaubte, daß es in völliger Abgeschiedenheit von den Einwirkungen anderer Literaturen und Völker sich gehalten habe, eine Blüte rein germanischen Wesens. Heute sehen wir in dem nordischen Besitz ein Vermächtnis, zu dem die verschiedensten Zeiten, Stände und Länder, vor allem aber der Norden und seine Geistesgeschichte beitrugen. Wir betonen vielleicht zu ausschließlich die bunte, zusammengesetzte und schillernde, auch die literarische und unvolkstümliche Art mancher Aussagen. Doch gerade die strenge Scheidung und die kritische Sichtung unsrer Nachrichten, das Aufmerken auch auf leise Abweichungen und Varianten , auf Einflüsse aus anderen Kulturströmungen hat uns den nordischen Reichtum erstaunlich vermehrt und hat in die nordische Geistesgeschichte eine Mannigfaltigkeit und eine Tiefe gebracht, die frühere Generationen gar nicht ahnten und die sie in helles Entzücken versetzt hätte. Die Grundlagen der Edda tauchen tief in das germanische Altertum, ihre letzten Aufbauten ragen in den Himmel des hohen Mittelalters. Ein halbes Jahrtausend hat an diesen Liedern und Sagen geschaffen. In einem und dem gleichen Gedichte, in einer und derselben Sage liegen oft Schichten verschiedener Zeiten und verschiedener Kunst über- und nebeneinander. Dieselbe Edda führt von der verkünstelten und geheimnisstolzen Dichtung und von der Gelehrsamkeit der Skalden zu der großen



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und klassischen Dichtung der Wikinger Zeit und zu der Menge volkstümlichen Glaubens. Neben den germanischen werden in der späteren Zeit antike und irische Elemente sichtbar, die jüngere Edda verliert sich in die Fabelwelt, die seit dem 12. Jahrhundert das ganze Mittelalter bedeckte, und mönchische und weltliche Gelehrsamkeit mischen sich auch hinein. Eine ganz neue und besondere Verbindung schließen im Norden die weltlichen und geistlichen Mächte, die im Abendland vom 8. bis zum 13. Jahrhundert die Erde beherrschen . Ortsnamen, archäologische Zeugnisse, verklingende überlieferungen aus der Gegenwart ergänzen und berichtigen die Behauptungen der Eddischen Gedichte und der Eddischen Sagen über den Wert und die Geltung der Götter. Schließlich erkennen wir, daß Dänemark, Schweden, Norwegen und Island, jedes Land nach seiner Begabung, die alten Götter gehütet und gestaltet und von ihnen Abschied genommen hat.

Wir müssen also bei jedem Zeugnis sorgsam prüfen, aus welcher Zeit und aus welchem Land es wohl stammt, welchen geistigen Einwirkungen es ausgesetzt war, unter dem Zeichen welchen Stiles und welcher Auffassung es steht, ob es dem Volke oder ob es den höheren Ständen gehörte. Wirklich können wir die höchsten Götter, z. B. Odhin, durch einen seltsamen Reichtum religiösen Glaubens und künstlerischer Gestaltung aller nordischen Länder und Zeiten führen und gewinnen immer neue Einblicke in eine unablässig bewegte, bunte tiefe, heroische und gelehrte Welt. Natürlich geraten wir auch auf dem nordischen Wege an manche dunkle und leere Strecke, sei es, daß unsre Kunde versagt —denn nicht alle Länder und Zeiten und Stände haben reiche oder auch nur leidlich gute überlieferungen —, sei es, daß den starken Ungleichmäßigkeiten unserer überlieferung starke Ungleichmäßigkeiten der Forschung entsprechen. Oft haben wir auch mit Widersprüchen, Dunkelheiten und irreführenden Angaben unsrer überlieferung zu kämpfen. Die Wissenschaft von der nordischen Mythologie



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steht aber in einem blühenden und gerade in den letzten Jahrzehnten reich und hoffnungsvoll entwickelten Leben und ist noch lange nicht an ihrem Ende.

In unsrem Sinne liegt es nun nicht, die nordischen Ausformungen in alle ihre Einzelheiten zu verfolgen. Selbst wenn wir das wollten, wären wir dazu kaum imstande. An solche Unternehmung dürfen sich nur nordische Gelehrte wagen. Eine fortlaufende Gegenüberstellung von nordischen und germanischen Aussagen und Dichtungen, damit die einen die andern beleuchten und erklären, damit aber auch jede ihren besonderen Wert und ihre besondere Form zeige, das bleibt unser Ziel, an das wir an dieser Stelle noch einmal erinnern wollen. Die Methode, die Goethe die Methode der wechselseitigen Spiegelung nannte, versuchen wir auf unsere germanische und nordische Welt zu übertragen.


2. Der Himmelsgott

Der alte Himmelsgott Tiu erschien bei den Sachsen und Friesen vor allem als ein Gott des Krieges und des Rechts. Mars Thingsus nannte ihn die alte Inschrift am Hadrianswall, Sahsnot das altsächsische Taufgelöbnis. Als Gott des Krieges und des Rechtes verehrten ihn auch die alten Engländer und dann die Nordleute, er hieß bei ihnen Ty (Tyr). Der Glaube an ihn und sein Ansehen hatte im Volk und im Leben der Krieger noch viele Wurzeln, besonders in Dänemark: dort hieß Ty der Gott des Thingfriedens und die Namen oon Seen und Wäldern waren mit dem Namen von Ty zusammengesetzt. In Island trugen viele Blumen den Namen von Ty, in Norwegen erscheinen die Namen mit Ty selten. Die Iren nannten die Heerfahrten der Wikinger diberc, das ist wohl tyverk, Werke des Ty. Im 16. Jahrhundert hieß in England der Kehrreim eines Liedes, das man zur Erinnerung an die Schlacht von Flodden sang, in der die Engländer über die Schotten siegten: Teer yebus (das ist Tyr haeb, habe) us (uns), ye Teer ye Odhin.



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Alle Aussagen der Edda über Ty zeigen, daß er der alte Kriegsgott war. Keiner kann sich mit seiner Tapferkeit messen, wer siegen wollte, ritzte Runen auf das Heft, die Blutrinne und die blanke Spitze des Speeres und rief den Namen des Ty zweimal an. Snorri gibt ihm die Entscheidung über die Schlachten, Loki wirft ihm inder Lokasenna nicht wie den andern Göttern Feigheit, er wirft ihm nur Streitsucht vor, denn weil sein Wesen der Krieg war, mußte er den Krieg immer von neuem entfachen. Als alle Götter verzagen, legt Ty seine Hand in den Rachen des Fenriswolfes. Tys Weisheit — das ist wohl seine Rechtskunde — wird von Snorri lebhaft gepriesen.

Im Norden wurde die alte von uns behandelte Sage von dem Himmelsgott, dem der Sonnenwolf den Arm abbiß, das Thema eines Liedes (etwa im 11. Jahrhundert n. Chr. ?). Dies ist uns verloren, Snorri aber hat es gekannt und in Prosa aufgelöst ; er erzählt:

Den Wolf zogen die Asen bei sich auf und Ty allein hatte den Mut, hinzugehen und ihm Speise zu geben. Aber als die Götter sahen, wie sehr er wuchs jeden Tag, und als alle Prophezeiungen sagten, daß er ihnen zum Verderben bestimmt war, da faßten sie einen Entschluß: sie machten eine recht starke Fessel, die sie Laedhing nannten, und sie trugen sie zum Wolf und baten ihn, seine Kraft an der Fessel zu erproben. Aber der Wolf dachte bei sich, das sei keine überkraft (was sie ihm zumuteten muteten), und ließ sie mit sich tun, was sie wollten, und das erste Mal, daß er sich dagegen stemmte, brach diese Fessel, und so löste er sich von Laedhing. Danach machten die Asen eine andere doppelt so starke Fessel, die nannten sie Dromi und baten den Wolf, sich auch an dieser Fessel zu erproben, und erzählten ihm, er werde von seiner Kraft sehr berühmt werden, wenn ein so fest geschmiedetes Band ihn nicht halten könnte. Aber der Wolf überlegte, daß diese Fessel sehr stark war, und überlegte dabei, daß ihm die Kraft gewachsen war, seit er zerriß Laedhing, es kam ihm auch in den Sinn, daß er sich schon in eine Gefahr begeben müßte, wenn er berühmt werden wollte, und er ließ an sich legen die Fessel. Als nun die Asen sagten, sie seien fertig, da schüttelte sich der Wolf, warf die Fessel auf die Erde, schlug um sich, stemmte sich dagegen:



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da riß sie derart, daß die Stücke weit davonflogen. So befreite er sich von Dromi. Davon hat sich die Redeweise gebildet, daß Lösung aus Laedhing oder Befreiung von Dromi ein Unternehmen heißt, das man nur mit gewaltiger Anstrengung durchsetzt. — Nun schickt Odhin den Sendboten Freys, den Skirni, zu den Zwergen, die eine Fessel verfertigen, die Gleipni heißt. " Sie war gemacht aus sechs Dingen, aus dem Lärm der Katze, dem Bart der Frau, den Wurzeln des Berges, den Sehnen des Bären, dem Atem des Fisches und dem Speichel des Vogels. Und obwohl du von dieser Kunde vorher nichts wußtest, kannst du doch untrügliche Beweise finden, daß du nicht angelogen wirst. Du hast wohl gesehen, daß eine Frau keinen Bart hat und dah kein Lärm entsteht vom Lauf der Katze und daß es keine Wurzeln gibt unter einem Berge, aber bei meiner Treu, alles was ich dir sagte, ist eines ebenso wahr wie das andere, wenn es auch manche Dinge sind, die du nicht entscheiden kannst." . . . . Die Fessel sah glatt und weich wie ein Seidenfaden aus. Die Götter dankten ihrem Boten und nun gingen sie zu dem Wasser, das Amswartni und auf die Insel darin, die Lyngwi genannt wird, und sie riefen den Wolf zu sich, zeigten ihm das Seidenband und baten ihn, es zu zerreißen, und sagten ihm, es sei etwas fester, als man es dem Anscheine nach, wegen seiner Dickheit, denken müßte, und es gab jeder dem andern, und sie versuchten es mit der Kraft ihrer Hände, doch es zerriß nicht. Aber der Wolf, sagten sie, würde es zerreißen. Der Wolf antwortete: " So scheint es mir mit dieser Schnur, als ob ich keinen Ruhm davon gewinnen werde, wenn ich ein so schmales Band zerreiße, doch wenn es mit List und Trug gemacht ist, obgleich es schmal scheint, dann kommt das Band nicht an meine Füße." Die Asen sagten, daß er doch rasch zerreißen werde ein so schmales Seidenband, nachdem er vorher zerriß dicke Eisenfesseln — " aber wenn du das Band nicht in Stücke bekommst, so kannst du die Götter doch nicht in Furcht setzen, wir werden dich dann lösen" . Der Wolf sagt: " Wenn ihr mich so bindet, daß ich mich nicht los bekomme, dann werdet ihr denken, daß ich lange warten kann, bis ich von euch Hilfe erhalte. Ich habe gar keine Lust, dies Band an mich legen zu lassen. Doch bevor ihr mir Feigheit vorwerft, da lege doch einer von euch seine Hand mir in den Rachen, zum Pfande, daß ihr ohne Falsch handelt." Nun sah jeder der Asen den andern an, und sie glaubten, hier gebe es zwei übel, und keiner wollte seine Hand ausliefern, bis Ty vorstreckte seine rechte Hand und er legte sie in des Wolfes Rachen. Da nahmen sie den Teil der Fessel, der


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Gelgja heißt, und zogen ihn durch einen großen Stein, der heißt Gjöll, und warfen den Stein tief in die Erde, dann nahmen sie einen großen Stein, der Thwiti heißt, und schleuderten ihn noch tiefer in die Erde und benutzten den Stein als Pflock. Als nun die Asen sahen, daß der Wolf ganz gebunden war — als er sich dagegen stemmte, härtete sich das Band, und je heftiger er sich herumwarf, um so tiefer schnitt das Band ein — da lachten alle außer Ty, der ließ da seine Hand. Der Wolf riß gewaltig seinen Rachen auf und schnappte wild um sich und wollte sie Beißen. Da stießen sie ihm ein Schwert in den Rachen, so daß der Griff am unteren Gaumen, die Spitze am oberen Gaumen feststand, das ist seine Gaumensperre. Er heult unheilverkündend, und Geister strömt aus seinem Rachen, das ist der Fluß, der Wamm heißt. Dort liegt er bis zur Götterdämmerung.

Das Motiv von dem abgebissenen Arm tritt in diesem Bericht ganz in den Hintergrund. Den Erzähler interessiert vor allem die Fesselung des Wolfes. Dies ist eine Geschichte für sich: der Unhold wird gefesselt, damit er am Ende der Welt nicht die Sonne verschlinge oder die Erde zerstöre, — sie ist aber der Geschichte von dem Unhold, der die Sonne verfolgt und dem Himmelsgott den Arm raubt, verwandt und gliedert sich ihr leicht an.

Im Kaukasus und in Rußland blieb uns nun ein Märchen von einem Unhold erhalten, den ein Gott mit einer Schnur bindet, die dünn und schmal aussieht und die sich in ein unzerreißbares Band verwandelt. Bei den Litauern, Slawen und Deutschen erzählt ferner ein Märchen, dem biblischen von Simson gleichend, von einem Burschen, der zuerst die stärksten Fesseln zerreißt und von einer verräterischen Mutter oder Schwester schließlich mit einer Seidenschnur, einem zarten dünnen Faden oder einem Frauenhaar für immer gebunden wird. Diese beiden Märchen haben Snorris Geschichte von der Fesselung des Wolfes ausgeschmückt. Das fesselnde Band selbst war eigentlich wohl ein Haar. Die magische Kraft des Haares haben die Germanen, wie wir schon öfter erfuhren, gleich manchen andern Völkern gefürchtet. Bei



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Snorri besteht die Fessel aus vielen unmöglichen Dingen und das Starke und Zarte ist darin geistreich verbunden. In solchem Spiel der Gedanken ergehen sich der volkstümliche Zauberspruch und der volkstümliche Rätselwitz seit alten Zeiten gern. Vielleicht erfand der Geist und Witz der Antike diese Spiele zuerst. Es kann sein, daß Snorri mit diesem Märchenunsinn auch den Aberglauben und den Talismankult seiner Zeit verspotten wollte. Diese hatten sich im Island des Mittelalters recht lebhaft entwickelt.

Die Gaumensperre des Wolfes endlich ist aus der Vorstellung gewachsen, die uns namentlich in den Erzählungen serbischer und sibirischer Völker begegnete und die wir als die alte Vorstellung oon der alles verschlingenden Nacht auffaßten, die aus dem weitgeöffneten Rachen alle verschlungenen Wesen heil herausläßt (S. 92).

Uns fällt auf, daß die Erweiterungen und Bereicherungen der Fesselungsgeschichte vor allem in den Märchenschätzen des Ostens und des europäischen Südostens ihre Parallele haben. Geriet die Fenriswolfgeschichte schon in den Jahrhunderten in das Durcheinander und in die Fülle, in denen die Goten am Gestade des Schwarzen Meeres saßen? Oder, und das ist uns wahrscheinlicher, sind diese übereinstimmungen ein Echo der Fahrten und Taten, die im 10. und in folgenden Jahrhunderten die Wikinger tief in das weite Rußland führten?

Im Nordischen haben sich alle diese Elemente zu einem neuen kunstvollen Gebilde zusammengeschlossen. In dem Bericht Snorris sind die alten mythischen Grundlagen der Fesselung des Unholds und der Verstümmelung des Gottes allerdings ganz vergessen. Dafür bilden die bange Furcht der Götter vor dem letzten Ende, der Wettkampf der List mit der Überlistung, lustige, geistreiche Ironie, Freude am Erzählen und mythische Belehrung ein sehr lebendig vorgetragenes Ganze. Die Geschichte ist ein Meisterstück aus der jüngeren Edda. Ihr Aufbau ist, wie wir noch sehen werden, dem Aufbau der Geschichte von Balder verwandt. Die



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Fesselung Fenris und der Tod Balders geschehen im Beisein aller, zuerst in übermütiger Sicherheit sich wiegender, dann furchtsam verlegener Götter, die stärkste Waffe verletzt den Balder nicht, und der Wolf zerreißt leicht auch die stärkste Fessel, bis der schmale Zauberfäden, den die Zwerge für die Götter schufen, den Wolf bindet bis ans Ende der Tage, und bis ein schmaler Mistelzweig, den Frigg übersah und den Loki durch eine List erfragte, den strahlenden Gott niederstreckt.

Aus dem Anfang der germanischen Götterwelt werden wir durch diese Erzählungen plötzlich an ihr Ende versetzt. Die nordischen Götter stehen dicht vor ihrer Entthronung. unheilkündende Vorzeichen drohen den alten Gewalten, durch List und Betrug suchen sie ihrer Feinde Herr zu werden, aber gerade durch ihre unrechten Taten verstricken sie sich nur unlösbarer in ihre Schuld. Wohl gewinnen sie noch einmal eine kurze Frist, doch der Wolf öffnet riesenweit seinen Rachen und alle Feinde, nun noch gebunden , werden bald über die Götter stürzen und sie vernichten. Eine neue mächtige Religion steht vor der Tür: das Christentum

Balder, der Leuchtende, war nach unsrer Auffassung eigentlich ein Name des Himmelsgottes. Schon den Germanen erschien der "Leuchtende" als ein eigener Gott und sie feierten den Glanz, die Güte und den strengen rechtlichen Sinn des Himmelsherrn. Balder blieb wie im Merseburger Zauberspruch in der Gemeinschaft der Götter des Lichts und der Fülle. Sie alle wandten ihm ihre Liebe zu, ihnen voran Frija, die Himmelsgöttin. Als Wodan der Erste der germanischen Götter wurde, zog er auch den Liebling aller Götter in seine Nähe, er ließ seine Zauberkunst walten, um ihn vor Schaden zu bewahren. Im Altenglischen erscheint Balder als Wodans Sohn, das ist er auch im Nordischen geblieben.

Auf diesen germanischen Voraussetzungen beruhen die nordischen Aussagen über Balder, sie sind ihre organische Weiterbildung. Dem Balder gebührte, wie die mit ihm zusammengesetzten Ortsnamen



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zeigen, ein reicher und gleichmäßiger Kult. Snorri charakterisiert den Gott so: " von ihm ist Gutes zu sagen, er ist der Beste und ihn loben alle; er ist so schön von Antlitz und strahlend, daß es leuchtet oon ihm und keine Blume ist so weiß, daß sie gleicht Balders Braue, die ist aller Blume weißeste und darnach kannst du ermessen seine Schönheit an Haar und an Leib. Er ist der weißeste der Asen und der am schönsten Redende und der Gütigste. Aber die Eigenschaft folgt ihm, daß kein Urteil von ihm fehlbar sein kann. Er wohnt dort, wo es heißt Breidablik, das ist im Himmel, an der Stätte darf nichts Unreines weilen."

Die Blume, die den schönen Namen Balders brä, Balders Braue trägt, ist die Hundskamille. Der Name ist eine Übertragung des lateinischen oculus solis, man vergleiche auch noch das englische daisy aus days eye, Tages Auge. Die gelbe Blütenscheibe ist die Sonne, die weißen Blütenblättchen die Sonnenstrahlen. Durch diesen Blumennamen gewinnen wir also ein neues Zeugnis, daß Balder den Germanen als Himmelsgott galt.

Alle Sorge und Liebe der Götter für Balder kann nicht verhüten, daß er ihnen getötet wird. Die Geschichte seines Todes erzählt Snorri nider jüngeren Edda.

Das ist der Anfang dieser Sage, daß Balder, der Gute, träumte schwere und unheilverkündende Träume von seinem Tod. Aber als er erzählte den Asen die Träume, da trugen sie zusammen ihre Ratschläge, und es geschah nun, daß sie für Balder Schutz verlangten vor jeder Nachstellung und Frigg nahm Eide an, derart, daß den Balder schonen sollte Feuer und Wasser, Eisen und alles Erz, Steine, Erde, Hölzer, Krankheiten, Tiere, Bögel, Giftschlangen. Und als das geschehen und bekannt war, da war das eine Kurzweil Balders und der Asen, daß er aufrecht stehen mußte am Thing, und von den andern Asen sollten die nach ihm schießen, die nach ihm schlagen, die ihn mit Steinen werfen; aber was auch geschah, ihm schadete nichts, und das schien allen ein großer Vorzug. Doch als das sah Loki, der Sohn der Laufey, gefiel es ihm schlecht. Er ging nach Fensalir zu Frigg und verbarg sich in eines Weibes Gestalt. Da fragte Frigg diese Frau, ob sie auch wisse, was die



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Asen vorhätten am Thing? Sie sagte, daß alle schössen nach Balder, und dazu das, daß ihm nichts etwas schade. Da sprach Frigg: "Nicht werden Waffen oder Hölzer schaden dem Balder, Eide habe ich empfangen von ihnen allen." Da fragt die Frau: "Haben alle Dinge dir Eide geschworen, den Balder zu schonen?" Da antwortet Frigg: "Es wächst ein Baumzweig im Westen Walhalls, der wird Mistelzweig genannt , der schien mir zu jung, um den Eid zu fordern." Da ging die Frau gleich fort, aber Loki nahm den Mistelzweig und brach ihn und eilte zum Thing. Aber Hödh stand abseits vom Kreis der Männer, denn er war blind. Da sprach Loki mit ihm: "Warum schießt du nicht nach Balder?" Er antwortet: "Weil ich nicht sehe, wo Balder ist, und außerdem , weil ich waffenlos bin." Da sprach Loki: "Mache es doch wie die andern und erweise dem Balder Ehre wie die andern. Ich will es dir dahin lenken, wo er steht, schieße nach ihm mit dieser Gerte." Hödh nahm den Mistelzweig und schoß nach Balder, wie Loki lenkte, da flog das Geschoß durch ihn, und es fiel Balder tot zur Erde, und das ist der größte Unheilschuß gewesen unter Göttern und Menschen. Als nun Balder gefallen war, da entsank allen Asen die Sprache und auch die Hände sanken, die ihn halten wollten, jeder sah den andern an, und es waren alle eines Sinnes gegen den, der diese Tat ausgeführt. Aber keiner durfte sie rächen, es war dort eine so große Friedensstätte. Und als da die Asen versuchten zu sprechen, da ging das vor, daß die Tränen entstanden, denn keiner konnte dem andern sagen mit Worten etwas von seinem Leid. Doch Odhin trug darum am schwersten an diesem Schaden, weil er die tiefste Einsicht besaß, welcher Verlust und Einbuße den Asen geschah mit Balders Fall. Doch als die Götter wieder zu sich kamen, da sprach Frigg und fragte, wer unter den Asen der wäre, der gewinnen wollte ihre ganze Huld und Liebe, und ob er auf den Weg zur Hölle reiten und versuchen wollte, eine Begegnung mit Balder zu erlangen und der Hel Lösegeld zu bieten, ob sie Balder wieder heimfahren ließe nach Asgard. Aber der heißt Hermodh, der Kühne, der Sohn Odhins, der zu dieser Fahrt bereit war. Da ward genommen Sleipni, der Hengst Odhins, und vorgeführt und es stieg Hermodh auf den Hengst und sprengte davon.Aber die Asen nahmen Balders Leiche und brachten sie ans Meer. Hringhorni hieß das Schiff Balders, es war aller Schiffe größtes, dies wollten die Götter ins Meer stoßen und darauf die Brandfahrt Balders bereiten. Doch das Schiff rührte sich nicht. Da wurde nach dem Riesenheim l. 9


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gesandt, nach der Riesin, die Hyrrokkin heißt. Als sie nun kam und sie ritt auf einem Wolf und hatte Schlangen als Zaume, da sprang sie von ihrem Reittier, aber Odhin rief nach vier Berserkern, damit sie dies Tier festhielten, doch sie bekamen keine Gewalt darüber, bis sie auf den Boden warfen. Da ging Hyrrokkin an den Vordersteven des Schiffes und stieß es beim ersten Anstemmen voran, so daß aus den Rollen das Feuer sprang und alle Länder erbebten. Da geriet Thor in seinen Zorn und ergriff den Hammer und hätte ihr am liebsten das Haupt zerschlagen, doch alle Götter erbaten für sie Schutz. Nun wurde auf das Schiff herausgetragen die Leiche Balders, aber als das sah sein Weib, Nanna, die Tochter Reps, da zersprang sie vor Schmerz und starb. Sie wurde auf den Scheiterhaufen getragen, und das Feuer lohte um sie. Da stand Thor dabei und weihte den Scheiterhaufen mit Mjöllni, und ihm vor die Füße rannte ein Zwerg, der Lit genannt wird, aber Thor trat mit seinem Fuß nach ihm und stieß ihn ins Feuer, und er verbrannte. Diese Verbrennung besuchten mancherlei Leute, zuerst ist zu erzählen von Odhin, daß mit ihm Frigg fuhr und die Walküren und seine Raben, aber Frey fuhr in einem Wagen mit dem Eber, der Gullinbursti heißt oder Slidhrugtanni, aber Heimdall ritt auf dem Hengst, der Gulltopp heißt, aber Freyja kam mit ihren Katzen. Dahin kam auch eine große Menge Reifriesen und Bergriesen. Odhin legte auf den Scheiterhaufen den Goldring, der Draupni heißt. Er besaß die Eigenschaft, daß jede neunte Nacht abtropften von ihm acht ebenso schwere Ringe. Der Hengst Balders wurde auf den Scheiterhaufen geführt mit Sattel und Zaumzeug.

Aber das ist zu sagen von Hermodh, daß er ritt neun Nächte durch dunkle Täler und tiefe, so daß er nichts sah, bis er an den Fluß Ejan kam und über die Gjallbrücke ritt, die ist bedeckt mit leuchtendem Golde. Modhgudh heißt die Jungfrau, die an der Brücke wacht, sie fragte ihn nach Namen und Herkunft und sagte, daß den Tag vorher fünfhundert gestorbene Männer ritten über die Brücke: " aber nicht dröhnt die Brücke weniger unter dir allein und du hast nicht die bleiche Farbe toter Männer, warum reitest du nun hin, auf den Weg zur Hölle?" Er antwortet: Ich soll reiten zur Hölle und suchen Balder, oder hast du vielleicht gesehen Balder auf dem Weg zur Hölle?" Sie sagt, daß Balder geritten wäre über die Gjallbrücke, aber da unten und nach Norden liegt der Weg zur Hölle. Hermodh ritt dorthin, bis er ans Höllentor kam. Da stieg er vom Hengst und zog den Sattelgurt fester, stieg hinauf und



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gab ihm die Sporen. Aber der Hengst setzte über das Tor weg, daß er es nirgends mit den Hufen streifte. Da ritt Hermodh bis zur Halle und stieg vom Pferd, ging hinein in die Halle, sah sitzen auf dem Hochsitz Balder, seinen Bruder, und es blieb Hermodh die Nacht dort.

Am Morgen bat er die Hel, daß Balder heimreiten dürfe mit ihm, und er sagte, wie groß die Klage war bei den Asen. Doch Hel sagte, daß sie das erproben wollte, ob den Balder alle liebten so sehnsüchtig, wie sie es sagten, und wenn alle Dinge der Welt, lebende und tote, nach ihm weinen, dann soll er zurückkehren zu den Asen, aber bleiben bei der Hel, wenn jemand dagegen spricht oder nicht weinen will. Da stand Hermodh auf, und Balder führte ihn hinaus aus der Halle und nahm den Ring Draupni und sandte ihn dem Odhin zur Minne, aber Nanna sandte der Frigg ein Kopftuch und andere Gaben, der Fulla einen Goldring. Da ritt Hermodh seinen Weg zurück und kam nach Asgard und sagte von allen Dingen, die er gesehen hatte oder gehört.

Nun schickten die Asen über alle Welt gleich Botschaft, um zu bitten, daß Balder aus der Hölle geweint würde, und alle taten das, Menschen und die Tiere und Erde und Steine und Bäume und alles Erz, wie du gesehen haben wirst, daß diese Dinge weinen, wenn sie aus dem Frost kommen und in die Hitze. Als die Boten heimführen und gut ausgerichtet hatten ihren Auftrag, da kamen sie an eine Höhle, in der eine Riesin satz, die hieß Thökk. Sie bitten sie, Balder aus der Hölle zu weinen, sie antwortet: "Thökk wird beweinen mit trockenen Tränen Balders Verbrennung. Nicht lebend noch tot freute mich des Alten (des Odhin) Sohn, behalte Hel, was sie hat." Aber das vermuten die Menschen , daß dies Loki, der Sohn der Laufey, gewesen ist, der die schlechtesten Taten getan hat unter den Asen.

Snorri erzählt nacheinander, indem er den Inhalt von Liedern wiedergibt, die uns verloren sind, von Balders Tod, Balders Bestattung , Balders versuchter Erlösung. Die Geschichte von Balders versuchter Erlösung hat keine mythische Bedeutung. Der Glaube an Balders Wiederkehr war wohl alt, aber das Lied von der versuchten Erlösung ist erst im 12. Jahrhundert von andern Dichtern erwähnt. Das Ganze ist eine bewußte Wiederholung der Hauptmotive des Liedes von Balders Tod. Alle Dinge wollen Balder schonen, ebenso wollen alle Dinge ihn aus der Hölle losweinen,



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Loki holt den Mistelzweig, der Balder tötet, ebenso will Loki an dem Weinen aller nicht teilnehmen. Er bringt den Balder zur Hölle, und er sorgt dafür, daß er dort bleibt. Das Weinen um Balder ist vielleicht ein altes kultisches Gebot. — Außerdem erkennen wir in unserem Liede Einflüsse anderer Höllenfahrtslieder. Die isländische Dichtung des 11. und 12. Jahrhunderts gefiel sich ja darin, solche Höllenfahrten auszumalen. Das Bild von Hermodh, dessen Pferd, als es hinübersetzt, mit seinen Hufen nirgends das Höllengitter streift, vergißt sich so leicht nicht, ebensowenig der Eindruck von Balder und seinen fünfhundert Begleitern, die nicht lauter über die Brücke reiten als Hermodh allein.

Hermodh, der im Heer Mutige, war eigentlich ein Beiname Odhins. Später ist ein eigener Gott, Odhins Sohn, daraus geworden , den wegen seines Heldensinns alle rühmen. Der Ritt nach der Hölle gebührt ursprünglich dem Vater der Götter selbst, der in einem späten Eddaliede, auch als den Balder böse Träume quälen, zu einer Seherin reitet und sich von ihr das Schicksal des geliebten Sohnes künden läßt: sie war lange tot, vom Schnee beschneit, vom Tau benetzt, vom Regen gepeitscht, ohne daß sie es fühlte, der Gott erweckt sie, indem er den Leichenzauber singt, bis den Lippen noch einmal Weissagungen entströmen.

Die Wöluspa und andere Gedichte der Edda kennen noch nicht den Ritt zur Hölle und die Bitte um Balders Erlösung, sie sprechen nach Balders Tod sofort von Balders Rache: Wali, Balders Bruder, ward früh geboren, eine Nacht alt begann er zu kämpfen, und er kämmte nicht das Haar, er wusch nicht die Hände — das ist ein uraltes Gelübde des Rächers — bis er Balders Mörder auf den Scheiterhaufen brachte. Erst nach langer Zeit, nach dem Ende der Götter, und in eine neue bessere Welt kommt Balder zurück. Das war die ältere Ansicht, die Wikinger verlangten nach dem Tod Balders vor allem die Rache. Das 12. Jahrhundert verwandelte diesen heroischen Hergang in Romantik und Melancholie.



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Balders Bestattung im Beisein aller Götter war auch, neben andern mythischen Szenen, an den getäfelten Wänden und Dach-Brettern eines Festhauses dargestellt und darnach von einem Skalden gegen Ende des 10. Jahrhunderts geschildert (von Ulf Uggason in der Husdrapa). Diese Schilderung hat Snorri gekannt, und er hat sich genau an sie angeschlossen. Ihr Stil unterscheidet sich deutlich von dem Stil des Berichts von Balders Tod und oon Balders Wiederkehr und sie ist ja auch etwas gewaltsam zwischen beide Berichte geschoben. Keine Rede und Gegenrede, dafür die prunkvolle Ausmalung einer Leichenfeier mit viel Sinn für das Dekorative. Die Bestattung Balders gleicht der Bestattung eines Wikingerkönigs, alle Götter mit ihren Tieren, und Riesen und Zwerge und Berserker und Riesinnen auf seltsamen Reittieren geben dem geliebten Gotte das letzte Geleit. Man glaubt sich in die groteske und phantastische Pracht irischer Schildereien versetzt. Der Wolf der Riesin, von Berserkern niedergeworfen, das Schiff, vom Fuß der Riesin in die Fluten gestoßen, daß aus den Rollen das Feuer lodert, der bleiche Zwerg, den Thor in die helle Flamme des Scheiterhaufens schleudert — welche Bilder!

Das Entfachen der Flammen, ursprünglich wohl durch Wodan, die Weihung der Flammen durch Donar (S. 44), die Beisetzung eines Fürsten mit seiner kostbaren Habe, das sind wohl die germanischen Keime dieser Szene.

Balder wird durch einen Mistelzweig getötet. Den Mistelzweig nennt die Wöluspa einen B aum, der schmächtig aussah, das ist eine etwas seltsame, kaum aus eigener Wahrnehmung stammende Benennung für diesen schlanken schmalen Zweig. Und daß er zur Todeswaffe wird, konnte auch nur ein Dichter sich ersinnen, der die Mistel nicht gesehen, ein isländischer Dichter; denn in Norwegen und überall, wo man die Mistel kennt, ist sie, die grünt und blüht, wenn die ganze Natur erstarb, ein Symbol des Lebens und gilt als fruchtbringend und heilkräftig.



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In einer isländischen Sage, die verdunkelte Erinnerungen von Balders Tod und Rache weiterträgt, heißt das verhängnisvolle schlanke und leuchtende Schwert Mistiltein (Mistelzweig), Vergleiche derart liebte die alte nordische Dichtung. Nun erklären sich die Seltsamkeiten vom Mistelzweig in der Edda: er ist nichts als ein Mißverständnis der Dichter, die den Beinamen Mistelzweig für einen wirklichen Mistelzweig hielten. In einer älteren Fassung der Sage von Balders Tod wurde Balder also durch ein Schwert getötet und dieser Tod wurde gerächt. Diese ältere Fassung wollen wir später noch genauer zu bestimmen suchen.

Aus dem Motiv von Mistelzweig als Todeswaffe gebar sich dann eine Poesie ohnegleichen. Durch dies Mißverständnis kam der Kontrast —; wir sahen einen ähnlichen in der Sage vom Fenriswolf — in die Baldersage: ein unscheinbares, schmächtiges Ding verwandelt sich plötzlich in eine furchtbare Todeswaffe. Die isländische Dichtung malt sich derlei noch öfter aus. Loki, Balders tückischer Feind, wurde zum Beispiel mit Wolfsdärmen gebunden, und diese wurden auf einmal schneidendes Eisen. — Als Odhin ferner den König Wikar als Opfer verlangt, steigt Starkadh auf einen hohen Block, biegt den schmalen Zweig einer Föhre herab und knüpft Kalbsdärme daran; der Galgen könne doch nicht gefährlich sein. Dem König ahnt Böses, er steigt aber auf den Block und legt den Hals in die Schlinge. Starkadh nimmt einen Rohrstengel , den ihm sein Pflegevater Odhin in der Nacht gegeben, stößt ihn nach dem König und spricht: "Nun weihe ich dich dem Odhin." Dann läßt er den Föhrenzweig los. Da wurde der Rohrstengel zum Speer und durchstieß den König, aber die Kalbsdärme zur starken Weide, und der Zweig schnellte in die Höhe und hob den König ins Geäst, und dort starb er.

Sehr nahe steht nun dem Bericht des Snorri über Balders Tod eine mittelalterliche jüdische Geschichte aus der Toldoth Jeshu über den Tod Christi und dann noch manche spätere dänische und



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finnische volkstümliche Sagen vom Tod des Heilands. In der jüdischen Sage nimmt der Heiland alles Holz in Eid, daß es ihn nicht aufnehmen soll, nur einen Kohlstengel, der kein Baum ist, hat er nicht vereidigt. Auf den Rat des Judas hängt man ihn an diesem auf und bewirft ihn mit Steinen. In den dänischen und finnischen Berichten reizt dann noch der Teufel den blinden Longinus, mit der Lanze nach dem Heiland zu stechen. Der jüdische Bericht geht nach unsrer Auffassung ebenso wie der nordische auf ein weitverbreitetes Märchenmotiv zurück, das Motiv vom übersehenen Ding, das auch etwa in Dornröschen (übersehene Spindel) begegnet. Die finnisch-dänischen überlieferungen mögen das Motiv von der Blindheit des Höd verursacht haben. Aber selbst wenn eine Entlehnung aus jüdischen und christlichen Motiven vorliegen sollte, wie tief hat der nordische Dichter alles in seiner Dichtung ausgestaltet! Bei ihm ist Balder der Götter Liebling und gerade in Frigg, der mütterlichen und liebreichen Frau, verkörpert sich diese Liebe, und doch muß gerade sie die Pflanze verraten, die den Balder treffen kann. Höd aber ist der blinde Zufall und das tückische Schicksal lenkt ihm den Arm, so daß er, ein willenloses Werkzeug in der Hand finsterer Mächte, ahnungslos den leuchtenden Gott duchsticht.

Bei der Dichtung von Balders Tod ist auch nicht das Entscheidende, ob dies oder jenes einzelne Motiv aus jüdisch-christlichen Geschichten in sie eindrang. Man richte wieder den Blick auf die Kunst und den Geist, der in der ganzen Dichtung waltet.

Der heilige Eid, den alle Wesen der Himmelsgöttin leisten müssen, gebührt noch der germanischen Göttin des Rechtes und der Eide. Die Asen erproben lachend, wieder in der kindlichen Heiterkeit des Heidentums, ob Balder nun wirklich unverletzlich geworden, indem sie nach ihm werfen und schießen. Das finstere Schicksal, das dann doch den Eid zerbricht, ist auch das Schicksal der Germanen.



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Aber wie tief ist sonst die Milde des Christentums in diese Dichtung eingedrungen! Balder verwandelt sich aus einem leuchtenden germanischen Gott in den unschuldig leidenden Heiland, Loki aus einem beweglichen Geist in den christlichen Teufel, in den verworfenen Anstifter des Unheils, der das Böse um des Bösen willen tut, und in die anderen Götter kehrt eine Milde, eine Einfalt und eine Weichheit ein, die sie früher nicht besaßen. Wie sehr sind diese Götter, die um Balder trauern, schon von denen unterschieden, die den Fenriswolf betrügen! Kaum ist Balder gestorben, da fleht Frigg die Götter an, es möge doch einer den dunklen Weg zur Hölle hinabreiten und ihren Liebling wieder zum freundlichen Licht heraufholen; die Gattin des Gottes aber überlebt den Gemahl nicht, ihr springt das Herz. Wie die Kinder sind diese Götter; als der Tod in die Mitte der Lachenden tritt, sieht einer den andern an, sie können es nicht begreifen, und sie weinen, weil ihnen die Worte entsinken. Und diese Götter vergessen die heiligste Pflicht der germanischen Götter und Helden, sie vergessen die Rache!

Das Heidentum selbst konnte nicht mehr leben, es bedurfte der Veredelung und gerade seine wehmütige Schönheit hat das Christentum in dieser Sage freigemacht. Was wir in der Baldersage als das Rührendste und Unvergleichlichste empfinden, haben die Poeten des christlich gewordenen Island geschaffen.

Aus der gleichen Zeit wie Snorris Erzählung stammt nun ein anderer Bericht über Balders Tod. Wir verdanken ihn dem dänischen Geschichtschreiber Saro Grammaticus. Kehrten in ihm nicht die Namen Balder, Hother, Nanna und die Namen nordischer Götter wieder, wir würden zuerst nicht glauben, daß die Geschichten Snorris und Saxos miteinander verwandt sind, soweit sind sie auseinandergeraten. Nicht nur, daß der dänische Mönch aus seiner tiefen Abneigung gegen die heidnischen Götter nirgends ein Hehl macht und eine Freude zu empfinden scheint, wenn er



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ihnen Häßliches anhängen kann, auch abgesehen davon, ist das Wesen dieser Götter ganz in das Heroische und nicht in das Religiöse, geschweige denn wie bei Snorri in das Christliche gebettet . Und doch weist sehr viel von den uns wesentlichen Elementen der Geschichte wieder nach Island, nach dem Island des 12. Jahrhunderts. So vielfältig blühte und wucherte dort in jener Zeit die religiöse und die heroische Dichtung.

Saxo preist den schwedischen Königssohn Hother — das ist der Hödh (aus Hadhus) der Edda —, der die Nanna liebte, und von ihr geliebt wurde. Zu dieser Nanna fühlte auch Balder, Odhins Sohn, eine heftige Liebe, er hatte sie im Bade gesehen und war nun von unwiderstehlichem Verlangen erfüllt nach der leuchtenden Schönheit ihres Leibes. — Balder wollte den Hother töten. Dieser traf im Waldesdunkel die Jungfrauen, die über das Schicksal der Schlachten entscheiden, sie warnten ihn vor Balder, der ein Halbgott wäre, gaben ihm eine hiebfeste Brünne und verschwanden. Gevar, Nannas Vater, hörte nun die Werbung des Hother gern, teilte ihm aber mit, daß auch Balder um seine Tochter sich beworben, daß dessen Leib gefeit sei gegen Eisen und Waffen, nur ein Schwert könnte ihn töten und das halte ein Waldgeist Miming in festem Gewahrsam, der auch einen wunderbaren Ring besitze, der den Reichtum des Besitzers geheimnisvoll vermehre. Seine Höhle sei schwer zugänglich, der Weg führe in den hohen Norden über kalte Berge, und die Kostbarkeiten seien dem tückischen Besitzer nur abzulichten, wenn man vor seiner Höhle das Zelt so aufschlage, daß es den Schatten dieser Höhle auffange, aber selbst keinen Schatten auf sie werfe. Hother scheute nicht die Mühe, er holte sich Schwert und Ring, besiegte den Sachsenkönig Gelder, dessen Leiche er auf einem Schiffe feierlich verbrannte, und dessen Asche er in einem Hügel beisetzte; dann unternahm er den Krieg mit Balder, den die Nanna abgewiesen, und auf dessen Seite alle Götter standen, so daß Menschen gegen Götter kämpften. Hother drang, von seiner hiebfesten Brünne beschützt, in die dichtesten Reihen der Götter, die unbezwinglich waren, weil Thor mit seinem Hammer alle Schilder zerschlug, bis Hother den Griff des Hammers abtrennte und dadurch diese furchtbare Waffe unschädlich machte; als die Götter sie nicht mehr besaßen, flohen sie, so schnell sie konnten.

Aber das Glück des Hother wandte sich; zweimal wurde er von Balder besiegt und von Dänemark nach Schweden gedrängt. Er verzichtete



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auf den Thron und suchte in der Einsamkeit sein Mißgeschick zu vergessen. Das Volk, das sonst die Ratschläge hörte, die er vom Gipfel des Berges erteilte, fragte vergebens nach ihm. In einem Walde fand er die Zauberfrauen wieder, die ihm seine Brünne gegeben, und beschuldigte sie in bitteren Worten der Treulosigkeit, sie aber verhießen ihm den Sieg, wenn er von einer Speise genösse, die auch Balders Kraft vermehre. Hother schöpfte neuen Mut, er kehrte auf den Thron zurück, sammelte sein Heer gegen die Dänen und kämpfte gegen sie, bis die Nacht die Streitenden trennte. In dieser Nacht sah Hother die Jungfrauen, die dem Balder die Speise zutrugen, folgte ihren Spuren im Tau, betörte sie durch seinen Gesang, und zwei von ihnen gaben ihm von der mit Schlangengift vermischten Speise, der Warnung der dritten zum Trotz, die ihn als Hother erkannte. Dazu gaben sie ihm einen siegverleihenden Gürtel. Als er zurückkehrte, traf er den Balder allein und durchbohrte seine Seite, so daß er halbtot zur Erde fiel. Die Kunde von dieser Tat verbreitete sich, und sie wurde von den Dänen beklagt, von den Schweden bejubelt. Balder erneuerte am Morgen die Schlacht, und in ihrem heißesten Gewühl ließ er sich auf einer Sänfte in die Reihen der Kämpfer tragen, denn er wollte nicht im Zelt eines unrühmlichen Todes sterben. In der Nacht erschien ihm Hel, die Todesgöttin , und verkündete ihm, er werde am nächsten Tage in ihren Armen ruhen, und diese Weissagung des Traumes erfüllte sich.

Odhin erzeugte mit Rind einen Rächer für Balder, Bous, der den Hother besiegte und tötete, aber selbst schwer verwundet auf dem Schild aus der Schlacht getragen wurde und am folgenden Tage starb.

Unübersichtlicher und verworrener kann ein Bericht — und wir haben ihn noch etwas gekürzt und geklärt — kaum vorgetragen werden als dieser. Axel Olriks genialer Blick hat die Hauptursache des Durcheinanders erkannt. Es kreuzen sich in Saws Erzählung dänische und isländische Sagen. Die dänischen haften noch immer am dänischen Boden und erzählen von dem wechselnden Kampfglück zweier dänischer Kleinkönige, Balder und Hother, die von den Göttern vielleicht nur den Namen hatten. Sato erwähnt, daß der Name eines Hafens an Balders Flucht erinnere, daß Balder tief in die Erde grub, eine Quelle öffnete und sein durstendes Heer an dem hervorbrechenden Strudel erquickte. Dieser Ort hieß



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Balders Brunnen und trägt den Namen noch heute (Baldersbrönd, östlich von Roeskilde). Weiter sagt er, daß ein Ort in Jütland nach Hother hieß, der auf seiner Flucht dort weilte (es ist Hoyer im Kreis Tondern).

Die isländische Sage aber häuft, wie es ihre Art in späterer Zeit oft ist und namentlich der Sagas, die nach Dänemark wanderten, z. B. der späteren Wieland- und Wölsungasaga, Personen, Ereignisse, Kämpfe und Wunderbares; so auch Saro. Viermal kämpfen Balder und Hother gegeneinander, zwischen diese Kämpfe ist noch der Kampf mit Gelder eingeschoben. Am ersten Kampf nehmen alle Götter teil, die Art seines Verlaufes entspricht bis in die Einzelheiten den in Island beliebten Kampfschilderungen. Drei Zauberjungfrauen, die bald den Nornen, bald den Walküren gleichen, treten dreimal auf, eine wunderbare Speise, ein siegoerleihender Gürtel, ein Hammer, der alle Schilder zerschlägt, ein Zauberschwert, ein aus sich selbst sich vermehrender Ring, eine hiebfeste Brünne, nicht weniger Kostbarkeiten und Kleinode drängen sich in die Sage; so viel, daß Saro nicht mehr weiß, was sie bedeuten . Er sagt nicht, wozu Hother sich den Ring holt, das so mühsam gewonnene Schwert nützt ihm im ersten Kampf gegen Balder nichts, zu dem letzten muß er sich noch durch die wunderbare Speise und den siegverleihenden Gürtel stärken; es befremdet uns, daß Gevar und nicht die Walküren dem Hother erzählen, wo das Schwert liegt usw.

Außerdem mischt Sato an seinen Bericht Erinnerungen an andere Sagen und Lieder. Die überwältigung des Zwerges und das Schwert im Hügel kehren in der nordischen Hervararsaga wieder; die Sage vom Verschwinden des Hother klingt an eine Sage von Odhins Verbannung an. Die Liebe Balders zu Nanna — Sato schildert sie in entstellten Zügen und mönchisch übertreibend , er sagt, man habe den Balder in einem Wagen herumfahren müssen, da er vor Liebe so schwach gewesen sei, daß er



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nicht mehr gehen konnte — ist der Liebe, die Frey für Gerd hegt und die ein weiches, schwärmerisches Eddalied besingt, recht ähnlich. Der auf dem Wagen fahrende Gott war auch eigentlich Frey, der den Schatz mehrende Ring gehört eigentlich Odhin. Die Szene mit den Waldjungfrauen ist das Thema mancher Ballade, wir denken auch an Horand und die betörende Macht seines Gesanges, der Kampf zweier Männer um eine Frau ist das Thema mancher isländischen Saga.

Vor allem erinnert Saxos Baldersaga an die Wölsungasaga: im Stil, in der Darstellungsart — die übereinstimmungen sind da und dort wörtlich —, im Durcheinander und der unbesonnenen Häufung der Motive, und auch in einzelnen Motiven: der giftigen Schlangenspeise, der Bedeutung des Schwertes, der Beschützung der Helden durch die Götter, besonders durch Odhin.

Was ist aber nun in Saxos Bericht die alte und echte Dichtung und was ist späterer Anwuchs? Die Züge der dänischen Ortssagen und die Anklänge an andere nordische Dichtungen scheiden gleich aus, wenn wir die Ursprünge der heroischen Form der Balderdichtung ermitteln wollen.

Hotherus hört von Nannas Vater im Anfang der Geschichte, nur ein Schwert könne den Balder töten, und am Schluß der Geschichte durchbohrt Hotherus den Balder, doch wohl mit diesem selben Schwerte, das er dem Mimingus abgelistet. Diese Handlung blickt noch durch alle Nebel der späteren Saxosaga groß und mächtig hindurch. Snorris Bericht von Balders Tod führt auf dieselbe Urdichtung zurück. Höd tötet den Balder mit dem einen Schwert, das ihn fällen kann. Andeutungen der Wöluspa weisen auf eine germanische, vielleicht gotische Dichtung, die wieder einem Himmelsgott , dem Frey, galt: ihm wird sein Schwert entwendet und mit diesem Schwert tritt ihm am Ende der Tage sein Feind entgegen. Endlich kreisen auch die Erinnerungen der späten isländischen Saga an Balder und seinen Rächer (S. 134) alle um die Geschichte des



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unheilvollen Schwertes. Treten wir dann aus dem Bezirk der isländischen und germanischen Göttersage in den Bezirk der germanischen heroischen Dichtung, wie ähnlich ist die altdeutsche Dichtung von Siegfried der isländischen von Balder! Diesen konnte nur ein Schwert treffen, jener war nur an einer Stelle seines Leibes zu verletzen.

Wir müssen noch weiter fragen: wer trug die Schuld, daß Balders Feind sich des todbringenden Schwertes bemächtigen konnte? Bei Snorri beschützt Frigg den Balder und sie verrät dem Loki doch das Geheimnis, das zu seinem Tode führt. Bei Saro verraten und beschützen die Zauberfrauen ebenso den Gott. Die Schuld der unschuldigen Frau muß also zum Organismus der Ardichtung gehört haben. Wir denken wieder an die deutsche Kriemhild, die den Siegfried schützen möchte und ihn unwissend verrät. Auch die uralten semitischen Sagen von Simson und von Gilgamesch wissen ja, wie der Held das Opfer der Frau wird, der sein Herz gehört und die ihn vielleicht liebte. Die Balderdichtung erweist sich nunmehr als eine germanische. Geben wir dies zu, so gewinnen die vorher berührten Zusammenhänge von der isländischen Baldersage mit der isländischen Wölsungasaga, der Dichtung von Sigurds Ahnen, für uns eine neue Bedeutung.

Was bedeutet aber im germanischen die Schuld gerade der Frau, die den göttlichen Helden liebt, wie erklärt sich das?

Vielleicht war das Motiv nichts als der Ausdruck einer tiefen dichterischen Erkenntnis von der leidenschaftlichen und unbedachten Liebe einer Frau. Man hat es nun aber auch mythisch, sagen wir genauer kultisch, erklären wollen. Jedes Jahr verlangt bei vielen Völkern der Sonnengott Opfer sein Abbild, den erlesensten Mann in der Fülle seiner Kraft, den König eines Stammes, einen für alle. Dies Opfer wird zuerst sorgfältig gepflegt und vor jedem Unfall behütet, dann zum Sterben erwählt und im heiligen Hain geopfert, getötet von dem Mann, der als nächstes Jahresopfer fällt, getötet mit einer heiligen Waffe.



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War solch ein Opfer Balder? Mußte die Göttin, die Priesterin, zuerst ihn behüten und dann das Schwert dem ausliefern, dessen tragisches Amt es war, das Opfer zu fällen? Verlockend wäre eine solche Erklärung. Sie würde noch einmal den Blick in jene dunklen und werdenden Zeiten lenken, die der Frau die Sorge für das tiefste Wohl und Wehe der Menschen in die Hand legen. Wir erinnern uns auch wieder an das Opfer, das im Hain der Semnonen dem Himmelsgott fiel (S. 18), wir denken an die zärtliche Sorge der Götter, die gerade den Balder umgibt. Noch bei Sato ist sein Schicksal das ihre, für ihn ziehen sie alle in die Schlacht. Außerdem erkennt man heute noch aus deutschen Pfingstbräuchen die alte Sitte, den in Laub gehüllten Pfingstkönig, das Abbild der fruchtspendenden Gottheit zuerst jubelnd herumzuführen und dann zu töten. Auch bei germanischen Stämmen gilt der König als Abbild der Gottheit, als Herr und Priester und zugleich als Zauberer. Er trägt die Verantwortung für alles Gute und Böse, das dem Stamm geschieht. Wir wissen ja, daß die Schweden und Burgunder dem König die Schuld an Mißwachs und schlechter Ernte zuschoben. Der schwedische Odhin, der König der Götter, zeichnete sich selbst mit der Schwertspitze, gab sich den Tod und verhieß seine Wiederkehr.

Aber treffen diese Hinweise wirklich den Kern? Gehören sie nicht vielleicht in ganz andere Zusammenhänge und gar nicht in unsere Kultsage? Und haben wir diese nicht auch etwas zu rasch und zu einfach aus verschiedenen Elementen bei verschiedenen Völkern hergestellt? Jedenfalls dürfen wir nicht zürnen, wenn die Wissenschaft die Möglichkeit der Zusammenhänge zwischen der Baldersage und der alten Sage vom goldenen Zweig — so hat sie Frazer, ihr Entdecker, genannt, denn auch ein goldener Zweig war die Todeswaffe — ablehnt und wenn sie meint, daß hier das ignorabimus die einzige Erkenntnis bleibt.

Die alte Balderdichtung hat eine vielfältige, nicht leicht zu entwirrende,



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aber tief in das Wesen der germanischen Religion und ihre Entwicklung führende Geschichte. Im Isländischen zeigt sie ein doppeltes Gesicht, ein mythisches und ein heroisches. Die heroische Rachedichtung verwilderte, schwoll ungesund auf und geriet durcheinander, die mythische Dichtung ging durch den läuternden Einfluß des Christentums, erlebte manche dichterische Verwandlung und erscheint am Ende vor uns als eines der rührendsten Denkmäler von der Vermählung germanischen und christlichen Geistes.

Wir betrachten nun noch einige andere Ausstrahlungen des Himmelsgottes im Norden.

Den friesischen Fosite, den Schrecklichen, einen Gott des Himmels und des Rechtes, Herr eines heiligen unberührbaren Hains (S. 15f.) — er war der germanische Himmelsgott, der bei den Friesen Fosite hieß — lernten die nordischen Wikinger wohl im 8. und 9. Jahrhundert in Friesland kennen. Sie nannten ihn wegen seiner Herrschaft über das Recht und weil sie den alten Namen nicht verstanden , Forseti, den Vorsitzer. Er schien ihrem Balder besonders zu gleichen. Wie dieser thronte er im Himmel, wie dieser waltete er über das Recht, wie dieser wußte er schwierige Streitfälle so zu entscheiden, daß beide, Kläger und Beklagter, zufrieden fortgingen. Uns überrascht daher nicht, daß Snorri in der jüngeren Edda den Forseti einen Sohn Balders und der Nanna nennt. Wie es scheint, wurde dem Forseti im Norden ein besonderer Kult zuteil, Ortsnamen, in denen sein Name erscheint, sind uns noch erhalten.

Auch Ull als der leuchtende Himmelsgott, der tapfere Krieger und der Behüter der Eide, hat sich vor uns entwickelt (S. 25 f.). Einige Anspielungen der Edda zeigten uns, daß er einmal ein sehr hoher Gott war. Dies bestätigen uns viele Ortsnamen, die in Norwegen und Schweden seinen Namen tragen: Hügel und Hain, Acker und Hof, Insel und Vorgebirge und Gewässer. In Dänemark



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stehen an ihrer Stelle Namen mit Ty. Die Waffe Ulls war wohl der Bogen, aus dem heiligen Holz der Eibe geschnitzt. Im Eibental, heißt es, hat Ull seine hohe Halle sich gebaut — war ein Eibenhain die Stätte seiner Verehrung?

Nach Saro Grammaticus entthronten die Götter einmal den Odhin und setzen an seine Stelle den Ull. Nach einigen Jahren aber, so erzählt der Mönch, riefen sie aus Mitleid den alten Gott zurück. Er vertauschte wieder sein niedriges und schmachbedecktes Ansehen mit dem früheren Glanz. Ull flüchtete nach Schweden, dort wurde er von den Dänen erschlagen, bei dem Bestreben, im neuen Land ein neues Denkmal seines guten Rufes wieder zu errichten. Aus diesem Bericht glaubt die Forschung einen Nachklang des alten Kampfes von Wodan und Tiu herauszuhören. Das ist nicht ganz ausgeschlossen, wir ziehen aber eine andere Erklärung von Saws Meldung vor. Ull veränderte nämlich in Schweden und dem östlichen Norwegen sein altes Antlitz. Dort hausen Götter, die der Natur dieses Landes entsprechen, seinen langen Wintern, seinen weiten Schneefeldern. Der Schneeschuh ist ihr Fahrzeug, als kühne Jäger und Bogenschützen werden sie gefeiert. Eine Gottheit dieser Art ist Skadhi. Sie ist wohl keine germanische, sie scheint ursprünglich eine finnisch-lappische Göttin, denn der Sohn, den sie nach späterer Dichtung mit Odhin zeugte, heißt Saeming, und die Lappen nannten sich Sabme. Züge dieser Skadhi hat nun Ull übernommen. Wie Skadhi eilt er auf mächtigen Schneeschuhen zauberhaft schnell über die weiten, weißen Flächen, gleich ihr ist er berühmt als Jäger und Bogenschütze. Wie die Finnen zeichnet er sich auch durch Zauberkünste aus. Er beschrieb einen Knochen, sagt Sato, mit kräftigen Zaubersprüchen und fuhr auf ihm wie auf einem Schiff über das Meer. Ist das ein Mißverständnis eines stubenhockerischen Mönches, dem man von Schneeschuhen erzählte? Finnen und Lappen hausten in Schweden und Norwegen, als die Germanen dort eindrangen. Wir wissen schon, wieviel von ihrer



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Kultur, ihrer Sprache, ihren Göttern die Germanen den Finnen, Lappen und Esthen gaben (S. 35f.). Nun erfahren wir, daß sich zum Entgelt auch Besonderheiten der lappischen und finnischen Götter einem germanischen Gotte, dem Ull, mitteilten. Als ein aus finnischen und germanischen Elementen grmischter, in seiner schwedischen Heimat besonders lebhaft verehrter Gott mußte er allerdings in einen Gegensatz zu Odhin geraten, dadurch wird uns Saxos Aussage leichter verständlich.

Der gleiche Saro erzählt auch von der Nebenbuhlerschaft des Odhin und des Metodhin: aus Schmerz über die Untreue seiner Gattin habe sich Odhin freiwillig eine Zeitlang in die Verbannung begeben, dann sei er zurückgekehrt, habe den Metodhin zur Flucht gezwungen, nach Fünen, wo ihn das Volk dann erschlug.

Der Name Metodhin, Schicksalsgott, hat, wie wir wissen, manche Forscher zu der Meinung gebracht, der eigentliche Sinn dieser Sage sei wieder der Kampf Odhins gegen den alten Himmels- und Schicksalsgott (S. 25). Wir weisen hier nur darauf hin, daß Saro die Priester des Metodhin Zauberer nennt, die Odhin mit einem Blick wie Schatten vernichtete. Metodhin aber, sagte er, schickte aus seinem Grab die Pest, man mußte seine Leiche nochmals ausgraben, ihr den Kopf abtrennen und einen spitzen Pfahl ihr durch den Rumpf treiben: dann endlich hatte man vor diesem Unhold Ruhe. Solche religiösen Gewaltmaßregeln richten sich, wie wir wissen, vor allem gegen Zauberer, deren Tod man verdoppelt und verdreifacht, damit ihre Macht nach dem Tode nicht wächst (S. 104). Demnach halten wir den Kampf zwischen Odhin und Metodhin für den Kampf zweier Götterkulte, deren Kraft auf dem Zauberwesen beruht und in dem der stärkere Zauberer, hier Odhin, siegt. Die Zauberei, nur ein Zug in Ulls Wesen, durchdringt den Metodhin ganz, er ist nichts als Zauberer, sein Gottesdienst nichts als Zauberei. Einen ähnlichen Gehalt wie der Kampf zwischen Odhin und Metodhin haben die Kämpfe der Asen gegen die Wanen. Sagenb. I. 10



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Die Dichtung vom Fenriswolf und die Dichtung von Balders Tod führten uns in einen großen Reichtum mythischer Vorstellungen und Dichtungen, zeigten ihre vielfältigen Verschlingungen und Steigerungen und hoben uns auf eine künstlerische, heroische und religiöse Höhe, wie wir sie vorher nicht erreichten. Das Christentum hat die Welt der germanischen Götter beflügelt und verklärt und aufgelöst. Wo sie sich selber gehörte, da verlor sie, bei dem alten Himmelsgott, die germanische Größe — der alte Tiu verblaßt, er läßt sich zu Gottheiten niederer Kulturen herabziehen, er taucht sogar in die Welt des Zaubers zurück. Wir gewinnen fast den Eindruck, als erleide die religiöse eingeborne Kraft des alten germanischen Heidentums im Norden schwere Einbuße.


3. Thor

An schöpferischer Kraft und Freude, an zermalmender Stärke und an elementarer Gewalt kam kein andrer germanischer Gott dem Donar gleich, er blieb außerdem des Menschen treuester und gütigster Freund, jäh aufflammend in blitzeschleuderndem Zorn, doch der stärkste Beschützer und von Geschlecht zu Geschlecht als Behüter von Ehe und Zeugung immer von neuem offenbar.

Im Nordischen verwandelte sich der Name Donar über altsächsische Formen wie Thunres, Thunre in Thorr (Thor). Der Gott blieb der im Volk geliebteste Gott: vor allem in Norwegen und Island. Unzählige Tempel, Haine, Gehöfte, Wiesen, Wälder trugen seinen Namen, unzählige Geschichten erzählen von dem Vertrauen, der Liebe, der Verehrung, die man ihm entgegenbrachte.

Der Gott beschützte seine Anhänger von der Geburt bis zum Tod und beschützte alles, was sie erwarben, unternahmen und besaßen; ob sie nun zur See fuhren, oder zum Fischfang, oder neues Land sich aneigneten, oder Recht sprachen, oder ihre Ehe schlossen. Den Hammer Thors trugen die Nordleute als Amulett bei sich und gaben ihn dem Toten ins Grab; dieser Hammer



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weihte das ganze Leben, er segnete das Kind bei der Geburt, heiligte die Ehe, das Haus und die Herden und bei Festen den ersten Trank, er wurde auch über dem Scheiterhaufen geschwungen, auf dem der Körper des Toten verbrannte. Noch ein anderes Zeichen erscheint auf Thorbildern, das Hakenkreuz. Thor mußte sogar das Grab vor bösen Geistern und anderer Unbill schützen und die zauberische Kraft der Runen auf dem Grabstein erhalten. Das ganze Sein des norwegischen Volkes schien unlöslich an diesem Gott zu hängen, bei jeder Gefahr und jeder Schwierigkeit flog der erste Gedanke zu ihm; noch Helgi der Magere, der zum Christentum bekehrt war, hielt im gewöhnlichen Lauf der Dinge zu dem neuen Gott, wenn er aber in Bedrängnis geriet oder auf der See fuhr, rief er nach Thor. — Von kostbaren Bildern Thors in Tempeln melden uns bewundernd viele Berichte. In Möre bei Drontheim saß eine kunstvoll aus Gold und Silber gearbeitete Bildsäule des Gottes auf einem Wagen, unter dessen Füßen Räder angebracht und an den zwei aus Holz geschnitzte Böcke gespannt waren, um die Hörner der Böcke wanden sich silberne Ketten. Auch im Tempel zu Upsala stand Thor, den Hammer in der Hand. Die Kostbarkeiten und der Reichtum dieser goldenen und silbernen Bilde- wird immer hervorgehoben, bald war Thor im Tempel allein, bald mit anderen Göttern zusammen, in Upsala stand er z. B. zwischen Odhin und Frey. — Das Bildnis des Thor war auch auf dem Hochsitz selbst oder auf seinen Lehnen oder auf den Vordersteven des Schiffes angebracht, man traute ihm prophetische Kraft zu. Die isländischen Ansiedler warfen Pfeiler mit einem Ttzorsbild ins Meer, wo diese ans Land trieben, bauten sie sich selbst an.

Die Missionare und Könige, die den Norwegern und Isländern diesen Gott nehmen wollten, mühten sich an einer schweren Aufgabe ab. Sie versuchten bald Christus als den mächtigeren Helfer zu erweisen, bald die heidnische Verehrung, die dem Thor



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galt, einfach auf den neuen Gott überzuleiten. Sie griffen auch zu häßlichen Mitteln, nach den Sagen zerschlugen sie die Bildsäulen Thors, aus denen angeblich Mäuse, Nattern, Würmer und anderes Gezücht herauskroch, oder sie machten den alten Verehrern ihren Gott so verhaßt, daß sie in einem Taumel der Bekehrung sein Bild mißhandelten, durch den Kot schleiften, zerschlugen, verbrannten und die Asche, mit Fett vermischt, den Hunden zu fressen gaben.

Die Nordleute empfanden es als schweren Treubruch, daß sie ihren Gott verließen, der sie niemals verlassen hatte, der ihnen gerade in der Stunde der Not als bester Helfer beistand. Traurig und finster erscheint Thor vor einem von ihnen im Traum und tut dem Abtrünnigen Schaden auf Schaden an, er vernichtet ein Stück seines Besitztums nach dem andern. Einige hielten ihm die Treue, wie Raud, trotzdem er darum Martern ertragen mußte, und der König Olaf den "Götzen" besiegte. Es heißt darüber:

Raud (der Rote) auf Raudsey in Norwegen war einer der eifrigsten Verehrer Thors. Gelegentlich eines Zuges nach Halogaland suchte König Olaf Tryggwason auch den Raud auf seiner Insel auf. Diesem hatte sein Abgott Thor die Ankunft des Königs mit vielem Ärger vorausgesagt ; umsonst hatte er versucht, durch seinen Bartruf dessen Schiffe zurückzutreiben. Olaf landet und verkündet den neuen Glauben. Raud antwortet: "Ich habe wenig Lust, den Glauben zu verlassen, den ich gehabt habe, und den mich mein Pflegevater gelehrt hat; man kann auch nicht sagen, daß unser Gott Thor, der hier im Tempel wohnt, wenig vermöge; denn er verkündigt noch ungeschehene Dinge und ist mir in aller Not von erprobter Verläfsigkeit, und darum mag ich unsre Freundschaft nicht brechen, solange er mir die Treue hält.

Doch die Verehrung Thors hatte sich im Laufe der Zeit eingeschränkt und bei vielen die werbende Kraft verloren; denn sie wiederholte gedankenlos Hergebrachtes, die alten Formeln des Gottesdienstes büßten ihren früheren tiefen Sinn ein und verloren damit ihr Recht; sie hatten auch nicht das Vermögen, sich mit



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neuen Erlebnissen zu bereichern und den tiefen Inhalt der Wikingerzeit in sich aufzunehmen. Die Sehnsucht nach Neuem, das Gefühl, daß eine andere Zeit kam und jeden gewaltsam von der Vergangenheit fortriß, ihn von der Heimat zur Eroberung der Welt trieb, die sieghafte überzeugung der Bekehrer, denen sich gleich die Besten, die Könige, anschlossen, schließlich viele äußere Erfolge verschafften dem Christentum einen raschen Sieg.

Aber ein ungelöstes, bitteres Gefühl, eine zwiespältige Zerrissenheit blieb zurück, die das Alte lassen mußte und nicht lassen wollte, und diese klingt in vielen Sagen nach. Das Heidentum nimmt darin Abschied, es weicht, bewußt seiner Taten, seines Ruhmes, seines Besitzes und seiner Rechte, stolz und still vor dem Christentum, das, obwohl von ihm nicht verletzt und herausgefordert , es doch grausam und rücksichtslos vertrieb. Als ergreifendsten von allen diesen Berichten empfunden Ludwig Uhland und Thomas Carlyle die Sage oon Thor und Olaf, die auch wir unsrer Darstellung einfügen.

Eines Tages segelte König Olaf südwärts die Küste entlang mit gelindem Fahrwasser. Da stand ein Mann auf einem Felsvorsprünge und rief um Aufnahme in das Schiff, die ihm auch gewährt ward. Er war von stattlichem Wuchse, schön von Aussehen und rotbärtig. Mit dem Gefolge des Königs begann er allerlei Kurzweil und scherzhaftes Wettspiel, wobei die andern schlecht gegen ihn bestanden. Sie führten ihn hierauf, als einen vielkundigen Mann, vor Olaf. Dieser hieß ihn irgendeine alte Kunde sagen. Der Mann antwortete: "Damit heb ' ich an, Herr, daß dieses Land, an dem wir vorbeisegeln, ehemals von Riesen bewohnt war. Diese kamen jedoch zufällig schnellen Todes um bis auf zwei Weiber. Hernach begannen Leute aus östlichen Landen sich hier anzubauen, aber jene großen Weiber taten ihnen viel Gewalt und Bedrängnis an, bis die Landbewohner beschlossen, diesen Rotbart um Hilfe anzuflehen. Alsbald ergriff ich meinen Hammer und erschlug die beiden Weiber. Das Volk des Landes blieb auch dabei, mich in seinen Nöten um Beistand anzurufen, bis du, o König! fast alle meine Freunde vertilgt hast, was wohl der Rache wert wäre." Hierbei blickte er bitter



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lächelnd nach dem König zurück; indem er sich so schnell über Bord warf, wie wenn ein Pfeil in das Meer schöße, und niemals sahen sie ihn fortan wieder.

Von den Taten und Kämpfen Donars wollten die Germanen immer von neuem hören, aus ihm erwuchs schon in alter Zeit ein Reichtum starker und froher Sagen. Die Nordleute haben diesen in ihrer Art gepflegt, um keinen Gott stellten sich so viel Geschichten wie um Thor.

Gleich ein altes Eddalied, dessen Ursprung und erst e Formen wir schon verfolgten (S. 36), die Thrymskwidha, gilt dem Thor.

Das Lied schildert, wie der Gott, als er aufwacht, seinen Hammer vermißt. Loki, dem er den schrecklichen Verlust mitteilt, entleiht der Freyja ihr Federhemd, fliegt zum Riesen Thrym und hört von diesem, daß er den Hammer gestohlen und acht Meilen tief unter der Erde verborgen habe. Gebe man ihm Freyja zur Frau, so solle Thor den Hammer zurückerhalten. Freyja weist dies Ansinnen entrüstet von sich, die Götter versammeln sich zum Rat, und der kluge Heimdall schlägt vor, daß Thor sich in Weibergewänder hüllen und dem Riesen als Freyja nahen solle. Der gibt nach kurzem Sträuben, weil sonst die Riesen die Götter vertreiben würden, nach, und als Magd begleitet ihn Loki. Jubelnd empfängt der Riese die Braut, doch entsetzt er sich bald über ihre ungeheure Ess- und Trinkkraft beim Brautmahl, und springt, als er sie begehrlich küssen will, erschrocken zurück vor dem funkelnden Blick ihrer Augen. Loki beschwichtigt ihn noch: Freyja habe aus Sehnsucht acht Nächte weder gegessen noch geschlafen. Da läßt der Riese den Hammer bringen, die Braut zu weihen, und wie Thor den sieht, lacht ihm das Herz in der Brust, er erschlägt den Riesen und seine ganze Sippe.

Was uns die Thrymskwidha so lieb macht, ist die Art ihrer Darstellung. Kein anderes Eddalied ist so frisch, so jung, so kräftig und anschaulich und wieder so großartig, so überlegen und bezwingend in seinem Humor. Der erwachende Gott; sein erstes Gefühl der Zorn; er fährt sich durch die Haare, schüttelt den Bart, entschließt sich, halbverschlafen, endlich, um sich zu greifen, sein Hammer bleibt fort. Und er, Thor, der Sohn der Erde, muß



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Frauenröcke sich übers Knie fallen lassen, den Ring mit klirrenden Schlüsseln und leuchtenden Brautschmuck und kunstvollen Kopfputz tragen! Und ißt — als Braut — einen Ochsen, acht Lachse, alle Süßigkeiten, dazu trinkt er drei Tonnen Met! — Dann wieder der Riese, der seinen Hunden die Goldbänder umlegt, seinen Rossen die Mähne glättet, seiner tiefschwarzen Ochsen und seiner goldgehörnten Kühe sich freut, und der für seinen Reichtum nur noch die schönste Frau will, und in der weiblichen Hülle der wirkliche Thor, bei dessen Fahrt die Erde bebt und die Berge zittern, dessen funkelnder Blick auch den Stärksten erbeben macht, und der, hat er einmal den Hammer, alles zerschlägt.

Der Dichter, und das ist bei einem halb lustigen, halb großartigen Thema von besonderer Wirkung, verwertet gern alte und schöne Formeln, wiederholt feierliche und ausmalende Verse und überrascht durch unerwartete Einfälle. Seine ganze Kunst ist für den lebendigen, mimischen Vortrag bestimmt. Diesem gilt auch die Lautmalerei, die in wenigen Liedern der Edda so frisch und derb in unser Ohr klingt. Das björg brutnuthu (die Berge dröhnten) bringt das Dröhnen und dumpfe Brummen des Donners prächtig zur Geltung. Wie breit und gefräßig klingt das einn at oxa atta laxa (er ass einen Ochsen und acht Lachse), man beachte ät gegen ätta, und wie hört man bei kräsir allar die Süßigkeiten in Thors Mund krachen. Der unbändige Zorn Freyjas kommt uns durch den Klang ihrer Worte unvergeßlich ins Gehör. Mik veiztu vertha vergiarnasta (du weißt, ich müßte werden die Männertollste), schnaubt sie den Loki an, man sieht sie bei dem breiten werth und vergjar das göttliche Maul weit aufreißen. Und et ek ek meth ther (wenn ich fahre mit dir), fährt sie fort, in einem Vers mit einsilbigen , ganz kurzen, nur mit e anlautenden oder inlautenden, vor Wut stotternden Worten, die höchst wirkungsvoll die fauchenden und zischenden f, k, th unterbrechen.

Dieser Kunst und Kraft der Darstellung, ihren dramatischen



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und novellistischen Werten verdankt die Thrymskwidha ihren Ruhm und ihr Ansehen: sie lebte noch lange im Norden als Volkslied. Es ist eine hübsche Fügung, daß die beiden ältesten von den uns erhaltenen Göttersagen, die von Wodan und den Langobarden, und die von Thor und seinem Hammer, gerade die Frische und den Humor, die überlegene Heiterkeit der Darstellung gemein haben, daß sie beide in die Kunst des Mimus, des Spielmanns, mündeten. Sie ähneln sich sogar in den Motiven, eins ist das Widerspiel des andern, dort erscheinen Frauen als Männer, hier die Götter als Göttinnen (S. 47 f.).

Eine Variante der Sage von Thor und Thrym war die von Thor und Hrungni, ein Kampf des blitzeschleudernden Gottes gegen das steinerne Wurfgeschoß des Riesen (S. 39). Snorri erzählt:

Thor war gefahren nach Osten, um Trolle zu erschlagen, aber Odhin ritt den Sleipni nach Riesenheim und kam zu dem Riesen, der Hrungni hieß. Da fragt Hrungni, welch ein Mann das ist, mit dem Goldhelm, der reitet durch Wind und Wogen und sagt, er habe einen wunderschönen Hengst. Odhin sagt, er wolle wetten um seinen Kopf, daß kein ebenso guter Hengst sei im Riesenheim. Hrungni sagt, das sei ein guter Hengst, aber, sagt er, er besitze einen Hengst, der mache weitere Sprünge und heiße Gullfax, und Hrungni ward zornig und springt auf seinen Hengst und sprengt dem Odhin nach und will ihm seine großen Sprüche vergelten. Odhin sprengt so rasch, daß er immer voran war um einen Gipfel, doch Hrungni hatte einen so starken Riesenzorn, daß er sich nicht wiederfand, bevor er hineinstürmte in das Tor zu den Asen. Und als er zur Saaltür kam, entboten die Asen ihn zum Trunk. Er ging in die Halle und bat, man möge ihm den Trunk reichen. Es wurden da genommen die Schalen, aus denen Thor gewohnt war zu trinken und er stürzte rasch herunter den Trank einer jeden. Aber als er trunken wurde, sparte er gerade nicht die großen Worte: er, sagte er, wolle Walhall aufpacken und nach Riesenheim schleppen und Asgard. versenken und alle Asen, und Freyja und Sif will er bei sich behalten — und Freyja allein wagt, ihm einzuschenken — und austrinken wolle er das ganze Bier der Asen. Doch als den Asen seine großen Spruche leid wurden, da nennen sie Thor. Sofort kam Thor in die Halle und reckte hoch in die



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Lust den Hammer und war sehr zornig und fragt, wer dafür die Verantwortung trägt, daß die Riesen, die Spürhunde, dort trinken dürfen oder wer dem Hrungni den Burgfrieden in Walhall verschaffte oder woher Freyja ihm einschenkt wie bei einem Fest der Asen. Da antwortet Hrungni und sieht nicht mit Freundesaugen auf Thor, und sagt, daß Odhin ihm den Trunk entboten und daß er sei in seinem Schutz. Thor sagt, Hrungni werde diese Entbietung bereuen, bevor er herauskomme. Hrungni antwortet, Thor, dem großen Asen, sei es geringer Gewinn, ihn, den Waffenlosen zu erschlagen, das ist eine stärkere Mutprobe , wenn er wagt, mit ihm sich zu messen bei der Landesgrenze auf der Grjotunargard. Und es ist das eine große Torheit gewesen, bemerkte er, daß ich daheim ließ meinen Schild und meinen Wetzstein. Wenn ich nur hier hätte meine Waffe, da sollten wir gleich den Holmgang erproben. Sonst aber lege ich auf dich eine Schurkengesinnung, wenn du mich Waffenlosen erschlagen willst.

Thor will um keinen Preis versäumen, zum Zweikampf zu kommen, für den ihm der Holm bestimmt war (Platz zum Zweikampf auf einer Insel), weil kein Riese ihm das früher bewilligt hatte. Da fuhr Hrungni sofort seine Straße und sprengte schnell dahin, bis er kam zum Riesenheim und es ward seine Fahrt unter den Riesen sehr berühmt und auch dies, daß ein Kampftag bestimmt war zwischen ihm und Thor. Die Riesen sorgten sich schwer darum, wer den Sieg erringe, sie vermuteten sich Böses von Thor, wenn Hrungni vor ihm nachließe, weil er ihr stärkster war. Da machten die Riesen einen Mann auf Grjotunargard aus Lehm und er war neun Meilen hoch und drei breit unter Armen und nicht fanden sie ein Herz groß genug, daß es ihm paßte, bis sie es nahmen aus einem Pferd, und es war ihm dies nicht standhaft, als Thor kam. Hrungni hatte ein Herz, das berühmt ist, von hartem Stein und zahnspitz an drei Ecken, so wie später geritzt wird das Runenzeichen, das Hrungnis Herz heißt. Von Stein war auch sein Haupt, sein Schild war auch Stein, weit und dick, und er hielt den Schild vor sich, als er auf Thor wartete. Aber den Stein hielt er als Waffe und schwang ihn über die Achsel und er war nicht gut aufgelegt. Auf der andern Seite vor ihm stand der Lehmriese, der genannt ist Mökkurkalfi, und er war ganz furchtsam; es verlautet, daß er seichte, als er sah den Thor. Thor fuhr zum Holmplatz und mit ihm Thjalfi, da rannte Thalfi voran dorthin wo Hrungni stand und sagte zu ihm: Du stehst unachtsam, Riese, hältst den Schild vor dich, aber Thor hat dich gesehen



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und er fährt auf dich los von unten her aus der Erde, und er wird von unten dich erreichen. Da warf Hrungni den Schild zwischen seine Füße und stellte sich darauf, aber mit zwei Händen schwang er den Wetzstein. Danach sah er Feuerbündel und hörte Donnerlärmen, da sah er den Thor im Asenzorn, er fuhr stürmisch dahin und schwang den Hammer und schleuderte ihn einen weiten Weg nach Hrungni. Hrungni hebt nach oben den Wetzstein mit beiden Händen, schleudert ihn entgegen und er trifft sich mit dem Hammer im Fluge, und es bricht entzwei der Stein, es fällt ein Teil auf die Erde und es sind davon geworden alle Wetzsteinfelsen , der andere Teil zerbrach im Haupte Thors, so daß dieser vornüber auf die Erde fiel. Aber der Hammer Mjölni kam mitten ins Haupt Hrungnis und zerschlug den Schädel in kleine Stücke. Hrungni fiel vorn über Thor, so daß sein Fuß lag auf dem Halse Thors. Aber Thjalfi kämpfte bei Mökkurkalfi und der fiel mit geringem Nachruhm. Da ging Thjalfi zu Thor und wollte den Fuß Hrungnis von ihm nehmen und brachte es nicht fertig. Da liefen herbei die Asen alle, als sie erfuhren, daß Thor gefallen war und wollten den Fuß von seinem Halse nehmen und bekamen es nicht fertig. Da kam dazu Magni, der Sohn Thors, und der Jarnsaxa, er war damals drei Nächte alt, der warf die Füße Hrungnis von Thor und sprach: "Sieh da, wie jammerschade, Vater, daß ich so spät kam! ich traue mir zu, daß ich diesen Riesen entzwei geschlagen hätte mit meiner Faust, wäre ich ihm nur früher begegnet ." Da stand Thor auf und begrüßte seinen Sohn freundlich und sprach, daß ein rechter Mann aus ihm werden müßte und "ich will", sagte er, "dir geben den Hengst Gullfaxi, den Hrungni gehabt hat" . Da antwortete Odhin und sagte, daß Thor falsch handelte, wenn er diesen guten Hengst dem Sohn einer Riesin gäbe und nicht seinem Vater.

Thor fuhr heim nach Thrudwang und es lugte noch der Wetzstein aus seinem Haupt. Da kam dazu die Zauberin, die Groa hieß, die Frau Aurwandils, des Kühnen, sie sang ihre Zaubersprüche über Thor, damit der Wetzstein sich lockere. Aber als Thor das empfand und ihm die Aussicht da erschien, es würde der Stein fortgehen, da wollte er der Groa die Heilung lohnen und sie froh machen. Er sagte ihr die Botschaft, daß er nach Norden gewatet sei durch die Eisströme (eliwägar) und getragen habe, im Eisenkorb auf seinem Rücken, den Aurwandil von Norden fort aus dem Riesenheim, und das sei für ihn das Wahrzeichen, daß eine seiner Zehen aus dem Eisenkorb gelugt habe, und sie war erfroren, so daß Thor sie abbrach und nach oben warf an den Himmel und den



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Stern davon machte, der nun heißt Aurwandils Zehe. Thor sagte, daß es nicht lange dauern würde, daß Aurwandil heim käme. Aber Groa wurde so froh, daß sie an keine Zaubersprüche mehr dachte und es wurde der Wetzstein nicht lockerer und er liegt noch im Haupte Thors. Und es ist das geboten als Vorschrift, die Wetzsteine quer über den Boden zu werfen, weil sich dann lockert der Wetzstein im Haupte Thors.

Dieser Bericht besteht wie der Bericht von Balders Tod aus drei Geschichten, die aber auf den ersten Blick noch loser zusammenhängen . Das Kernstück ist die Mitte, der Kampf Thors mit Hrungni. Snorri gab ihn, wie er selbst sagt, in Anlehnung an ein großartiges, etwas überladenes Gedicht eines Skalden aus dem 10. Jahrhundert, Thjodolf von Hwin, wieder. Dies schildert den Aufruhr der Elemente, das Erbeben der Erde und die im Feuer auflodernde Welt: so braust Thor heran, um den Riesen zu treffen. — Ganz in der Art der Kunst des 10. Jahrhunderts schildert Snorri auch die steinerne Natur des Bergriesen; man vergleiche etwa die Schilderung des "Eisernen karl" im dritten Teil unseres Sagenbuchs.

Die Kunst des 10. Jahrhunderts steigert also und verdichtet in ihrer Art die großartige Vision eines gotischen Poeten vom Kampf des blitzeschleudernden Wettergottes gegen den steineschleudernden Felsriesen, die wir als die älteste Form des Kampfes von Thor und Hrungni erschlossen.

Man sollte nun meinen, diese auch im Norden hochberühmte Tat hätte den Snorri auch zu anderem und neuem Preise des Donnergottes begeistert. Das Umgekehrte geschieht: Thor und sein Sieg werden in allen drei Teilen des Hrungniberichtes offen und versteckt, geistreich und boshaft verspottet und verkleinert. Das ist das Leitmotiv und ein Band, das die drei Teile zusammenhält. Gleich im Eingang erscheint Odhin und nicht Thor. Wohl prahlt der Riese in seiner Trunkenheit in Walhall, bis es den Göttern auf die Nerven fällt, aber, wie er Thor sich gegenüber sieht, wird er besonnen. Thor jedoch wirft sich als Herr auf, wo er gar nicht



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Herr ist, überprahlt den Riesen, will das Gebot von Gastfreundschaft und Burgfrieden brechen, und der Riese ist der ritterliche, er entbietet den Gott zum Zweikampf, Held gegen Held. — Das ungefüge und feige Gebilde, Mökkurkalfi, den Thjalfi so leicht besiegt , scheint eigens erfunden, um auch auf den Kampf von Thor und Hrungni etwas Lächerlichkeit herüberzuspritzen. Thor erringt seinen Sieg außerdem nur durch die Hinterlist Thjalfis, hätte dieser den Riesen nicht bewogen, auf den Schild zu treten, statt ihn schützend vor sich zu halten, so hätte Hrungni sich auch gegen den Hammer geschützt. Der Skalde Thjodolf weiß von dieser Hinterlist noch nichts: der Riese verzagte, sagt er, als er den kampfkühnen Gott erblickte, den goldenen Schild warf er unter seine Fußsohlen, so wollte es das Schicksal. Diese Darstellung des Skalden entspricht der älteren germanischen Auffassung. — Als der Riese aber gefallen, kann der stärkste der Götter sich von dem auf ihm liegenden Riesen nicht befreien und muß sich durch seinen drei Nächte alten Sohn beschämen lassen: beschämen in Tat und in Prahlerei, durch einen kaum Geborenen! Die Bilder von dem Gott dem ein Stück Stein in der Stirn bleibt, und oon dem Gott, der in seinem Korb auf dem Rücken einen anderen Gott mühsam übers Eis schleppt und dessen Zehe abbricht und in den Himmel wirft, sind ebenfalls nicht gerade Verherrlichungen.

Schon durch die Thrymskwidha tönt ein Unterton des Spottes. Wie ratlos ist Thor, wenn es gilt, Klugheit und Geistesgegenwart zu zeigen; wäre Loki nicht da und rettete er nicht die Lage, Thor würfe durch sein wildes Dreinfahren den ganzen schönen Plan der Götter über den Haufen. Welch seltsame Rolle spielt Thor auch bei Balders Bestattung; nicht er, eine Riesin bringt das Totenschiff ins Gleiten, und er muß gewaltsam zurückgehalten werden, sonst bräche er wieder den Frieden und erschlüge die Riesin, dann läßt er seinen Zorn an einem kleinen schwachen Zwerg aus. Die Dichter der Edda gaben Thors Kraft und Macht anscheinend



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immer widerwilliger zu, ihre Liebe gehört nicht ihm, sondern dem adligen Odhin, den sie auch in die Hrungnidichtung bringen, und sie setzen gerade den deutschen und volkstümlichen Gott herab. Er ist ihnen wohl zu bäurisch; wir stoßen in der Edda auf die Unduldsamkeit des Aristokraten und wohl auch auf die des Artisten.

Unter der Darstellung des Snorri von den Kämpfen Odhins, Hrungnis und Thors liegen nun verschiedene Märchen- und Mythengeschichten. Der Sinn vom Kampf Hrungnis und Odhins war früher wohl der, daß Odhin dem Riesen sein Pferd entwendete und es trotz stürmischer Verfolgung zu den Göttern rettete, wie er einem anderen Riesen den Göttertrank entführt und, hart verfolgt, bei den Göttern birgt. In unsrer Geschichte wird ja das Roß des Riesen einem Gott geschenkt. Loki entwendet, ähnlich dem Odhin, einem Riesen die Idhun und ihre Äpfel und bringt sie, auch er hart verfolgt, den Göttern zurück. Die Riesen sind ja reich: goldgehörnte Kühe, tiefschwarze Ochsen, langmähnige Rosse erfreuen den Thrym, ein zauberstarker Hengst hilft dem Riesenbaumeister.

Man darf hier an ein verbreitetes Märchen erinnern: von einem jungen Helden, der den Auftrag erhält oder der sich vermißt, einem Riesen sein schönstes Roß zu entwenden, und dem diese Tat, meist durch die Hilfe höherer Mächte, auch gelingt: dem Davoneilenden jagt der Riese auf einem sturmschnellen Pferde nach. Ein Märchen dieser Art scheint auf Odhin übertragen, kaum vor dem 11. Jahrhundert, da beginnt die Märchenzeit der Edda. Unser Märchen wanderte vielleicht aus dem märchenliebenden Irland nach dem Norden.

Man beachte noch folgendes: Der Riese bestaunt den Odhin, der durch Wind und Wogen reitet, dessen goldener Helm im Sturm auffunkelt, nachher jagt er über die Berggipfel ihm nach. Als Hermod braust Odhin auf seinem Rosse in die dunkle Hölle, und setzt hart über den Höllenzaun. In einer schwedischen Sage erscheint



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er einem Schmied, der seinem Rosse zauberische Hufe schmiedet, setzt mit dem Pferd über einen sieben Ellen hohen Zaun, ohne ihn zu berühren und durchmißt eine sieben Tage lange Strecke in wenigen Abendstunden. Diese Angaben sind doch wohl mehr als großartige phantastische Dichtung; wir halten sie für eine mythische Vision aus germanischer Zeit. Der gewaltige Reiter erinnert uns an den germanischen Wode, den Schimmelreiter, der auf seinem gespenstischen Roß durch Wind und Wolken stürmt; einem germanischen Dichter erschienen die Wolken und der Gewittersturm, der sie vor sich herfegt, als riesische Wesen oder als ein vom Wettergott verfolgter Wolkenriese. Ist diese Auffassung richtig, so muß freilich der Hrungni, der den Odhin erstürmen will, ein anderer sein als der Hrungni, der mit Thor kämpft.

Auch das Beiwerk im Kampf von Thor und Hrungni entwickelte sich aus alten sagenhaften Zügen und mythischen Vorstellungen. Das Motiv vom Riesenbein über Thor erscheint merkwürdigerweise in kaukasischen Geschichten vom gefesselten Unhold und es ist aus ganz anderen Umgebungen in unsere Geschichte geflossen: auch dort sollte es ein überstarkes Wesen demütigen. Thors Sohn, Magni, der Starke ist ebenso wie sein anderer Sohn Modi der Zornige, eigentlich ein Beiname des Gottes. —Mökkurkalfi, Nebelwade, deuten wir wohl richtig als eine Verkörperung des riesenhaften, zerfließenden, formlosen Nebels; dadurch wird Mökkurkalfi mit dem Hrungni, dem Gegner Odhins, verwandt, es ist also kein Zufall, daß er bei Snorri in Hrungnis Nachbarschaft auftritt. Diesen größten und formlosesten Riesen besiegt — das ist eine geistreiche, skaldische Ironie — einer der zierlichsten und kleinsten Götter, Thjalfi, nach unsrer Auffassung ein elbisches Wesen (S. 72), blitzschnell, wie der Riese langsam und ungefüg. Thjalfis Wesen ist das Behende und Helle, auf eine Insel, die Tags immer ins Meer sank und bei Nachts auftauchte, brachte er Feuer und schenkte sie für immer dem Tag und dem Licht. Die



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Besiegung des Mökkurkalfi durch Thjalfi enthüllt sich uns nun auch als mythische Dichtung: der rasche Sonnenstrahl löst den Nebel auf, daß er in Luft und Licht zerrinnt. Dies mythische Gebilde erlebte manche Wandlungen, bei Snorri ist es eine boshafte, Thorfeindliche Episode geworden.

Die sonderbaren Fabeleien von Thor, Groa, Aurwandil führen uns noch einmal in eine reiche, durcheinanderwogende, mythische und kultische Welt. Den Namen Groa tragen im Norden manche Wahrsagerinnen, des Zauberspruchs kundig singt sie in unsrer Sage ihre heilenden Weisen über Thor, damit der Stein in seiner Stirn sich lockere. Man meint in diesen Worten noch den Nachhall eines alten Bittgesanges an die winterlich erstarrte Mutter Erde zu hören, daß sie sich lockere und Blumen und Frucht wieder aus sich sprießen lasse. Groa ist im Dienst der Mutter Erde und war früher wohl die Erde selbst; der Name Groa, "die Wachsende, die Keimende" (vgl. englisch to grow wachsen), deutet darauf hin. Groa ist mütterlich besorgt um Thor, der, wie Thjalfi sagt, von unten her aus der Erde hervorbricht, und der, wie wir wissen, der Erde Sohn ist. Und Aurwandil, der in Feuchtigkeit wandelnde, scheint ein Gott des Frühlings und der Stern: Aurwandils Zehe sein Wahrzeichen. " Sei du (Erde) wachsend in Gottes Umarmung" hieß es im altenglischen Erdsegen (S. 55), einen die Erde umarmenden Gott nennt uns nun die Edda. — Den Aurwandil, den ihr der Winter raubte, entreißt Thor, der Herr über Wetter und Wachstum, den Winterriesen und trägt ihn zur sehnsüchtigen Erde zurück; eine alte, schöne, mythische Dichtung wird dies erzählt haben. Snorri trägt sie leider in recht skurriler Form vor, die Geschichte des für seinen Vorwitz bestraften Gottes klingt fast wieder wie ein übermütiges Märchen.

Unsre anderen, sehr merkwürdigen Berichte über Aurwandil widersprechen wenigstens unsrer Deutung nicht. Saro kannte ihn auch, ihm war er ein irdischer Held, strahlend in Schönheit und



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Jugendkraft, ein Liebling der Götter, ein Mensch gewordener Frühlingsgott. Sein Bruder tötet ihn und nimmt sein Weib zur Gemahlin, den schändlichen Mord rächt der Sohn des Erschlagenen, das ist kein anderer als Hamlet. Was Sato erzählt, ist eine Wikinger Dichtung und wäre — wir erinnern an die Baldersage — ein neues Beispiel dafür, wie die Wikinger alte Mythen in Helden- und Rachesagen umwandeln.

Das deutsche Mittelalter überliefert uns ein Spielmannsgedicht Orendel. Dies entwickelte sich aus dem Hergang, daß Orendel lange von der Heimat fern war, bei seiner Rückkehr die Frau in den Armen eines andern fand und sie durch Kampf zurückgewinnen mußte.

Schließlich ist eine dem Orendel ähnliche Sage voll nordischen Tiefsinns auf einen dänischen Helden und Riesen Starkad übertragen . Während er in den eisigen Strömen war, raubte ihm ein überstarker Held, ein Zauberer und Berserker, ein Bürger zweier Welten, der Menschen- und der Riesenwelt, seine geliebte jugendliche Frau. Beide Gewaltigen kämpfen, als Starkad wieder kam, um ihren Besitz, der Gatte siegte, aber die Frau, durch die Künste des Nebenbuhlers betört und verführt, verschmähte den plumpen Riesen und durchstach sich mit dem Schwert. —

Gemeinsam ist den Berichten außerhalb der Edda der Kampf um die Frau, ein Motiv, das wir aus den Rückkehrsagen kennen, das hier aber doch wohl mythische Bedeutung hatte. Freilich ist schwer zusagen, welche. Die hergebrachte Erklärung ist, daß die Frau, die Erde, während der Abwesenheit ihres Gemahls, des Frühlings, dem Werben des Winters endlich erliegt, und daß diesen der rückkehrende, rechtmäßige Gatte vertreibt.

Es kann aber auch sein, daß Orendel ursprünglich ein Himmelsgott war, und daß seine Eigenschaft als Gott des Frühlings und der Fruchtbarkeit sich erst spät vordrängte. Im Altenglischen heißt nämlich der Morgenstern earendel. Die Berichte über den Gott



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gäben dann verschwimmende Erinnerungen an jene Mythen vom Opfer und vom Nachfolger des Himmelsgottes wieder, von denen auch Sagen von Odhin und Balder vielleicht Spuren zeigen.

Starkad war einer der Feinde Thors und wurde von ihm besiegt; er hatte acht Hände, und der Gott schleuderte ihn, wie Uhland sagt, " vom schroffen Fels herab; rücklings, mit gespreizten acht Händen, stürzte der brüllende Wasserriese nieder, und noch eeden Augenblick sieht man ihn in grauenvollem Sturze begriffen ."

Nicht alle Sagen der Edda bergen eine so reiche Ernte wie die um Thor und Hrungni gestellten. Wir erkennen nun auch, daß sie nicht nur literarisch, durch die in allem gegen Thor waltende Bosheit , zusammengeschmiedet sind, sondern auch mythisch: Hrungni (der Gegner Odhins), Mökkurkalfi, Aurwandil sind verwandte Wesen, mit Wetter und Wolke zusammenhängend, und auch Odhin, Thor, Hrungni, Magni, Groa, Thjalfi, besonders der Odhin in der alten Auffassung als Sturmreiter, gehören zueinander. Der Mythologe hat vielen Grund zur Dankbarkeit, daß er unter der Decke der skaldischen Dichtung so viele Mythen hervorholen kann: von Hrungni, von Thjalfi, von Groa und Aurwandil, von Thor. Doch zugleich erstaunt ihn die Wahrnehmung, wie bar jedes mythischen Gefühls und jeder religiösen Ehrfurcht die isländischen späteren Erzähler sein können, wie rücksichtslos sie gelegentlich mit ihren alten Göttern umspringen, um ihrer Laune und ihrem Geist die Zügel schießen zu lassen.

Wir wenden uns nun zu der Geschichte von Thor und Geirrödh , deren Verwandtschaft mit dem Kampf von Thor und Hrungni und von Thor und Thrym wir schon hervorhoben (S. 33 f.). Snorri erzählt:

Einer besonderen Erwähnung wert ist die Geschichte, wie Thor fuhr zum Haus des Geirrödh. Da hatte er weder den Hammer Mjölni noch den Kraftgürtel noch die Eisenhandschuh und das verschuldete Loki — er Sagenb. I. 11



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begleitete ihn-—, weil ihm das begegnet war, als er einmal zur Kurzweil flog im Faltenhemd der Frigg, daß er aus Vorwitz auch flog zur Behausung des Geirrödh und dort eine große Halle sah und sich setzte und hineinsah von der Dachluke. Aber Geirrödh wurde ihn gewahr und befahl, man solle den Vogel holen und ihm bringen. Doch der Diener kam nur mit Mühe die Wand des Saales herauf, so hoch war sie. Das schien denn Loki gut, daß jener sich so anstrengen mußte, ihn zu fassen, und er nahm sich vor, es sei nicht früher Zeit aufzufliegen, bis jener den ganzen zuwideren Weg zurückgelegt hätte. Aber als der Mann suchte, ihn zu packen, da schickt er sich an zum Flug und stößt sich kräftig ab, und da sind die Füße fest. Loki wurde mit der Hand ergriffen und zu Geirrödh, dem Riesen gebracht. Und als er sah in seine Augen, da ahnte er, daß es ein Mann wäre und gebot ihm zu reden, doch Loki schwieg. Da schloß Geirrödh den Loki in eine Kiste, und da hungerte er drei Monate, und als Geirrödh ihn herausnahm und Rede verlangte, sagte er, wer er war und zur Lebenslösung schwor er dem Geirrödh den Eid, daß er mit Thor kommen würde in Geirrödhs Behausung, so daß Thor hätte weder den Hammer noch den Kraftgürtel.

Thor kam zur Gastung zu der Riesin, die Grid genannt ist, sie war die Mutter Widars, des Schweigsamen. Sie sagte dem Thor die Wahrheit von Geirrödh, daß er ein Spürhund von Riese war und schlecht mit ihm umzugehen. Sie lieh ihm den Kraftgürtel und die Eisenhand-schuh, die sie hatte, und ihren Stab, der Gridstab heißt. Da fuhr Thor zu dem Fluß, der Wimur heißt, aller Flüsse größtem. Dort legte er nun den Kraftgürtel an und stützte sich stromabwärts auf den Gridstab, aber Loki hielt sich unter dem Kraftgürtel fest. Und als nun Thor kam mitten in den Strom, wuchs der Strom so stark, daß er ihm oben an die Achseln brauste. Da sprach Thor dies: "Wachs nicht, du, Wimur! / wenn zu waten mich lüstet / zum Haus des Niesen! / Wisse, wenn du wächst / so wächst auch mir Asenkraft / hoch hinauf wie der Himmel — Da sieht Thor oben auf einer Klippe, daß Gjalp, die Tochter Geirrödhs, stand auf beiden Seiten des Flusses und sie machte den Fluß wachsen. Thor nimmt da aus dem Fluß einen großen Stein auf und warf nach ihr und sagte so: "am Ausfluß soll der Strom sich stauen" . Nicht verfehlte er das Ziel, das er anwarf. Und in diesem Augenblick trug er sich ans Land und bekam zu fassen einen Ebereschenbusch und stieg so aus dem Wasser. Daher stammt die Redeweise, daß der Schutz Thors die Eberesche ist.



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Aber als Thor kam zu Geirrödh, da wurde den beiden Gefährten zuerst ein Gasthaus angewiesen zur Herberge, und es war da ein Stuhl zum Sitz und es saß Thor da. Da wurde er dessen gewahr, daß der Stuhl unter ihm aufwärts fuhr zum Dach, er stemmte den Gridstab an den Dachbalken und ließ sich fallen stark auf den Stuhl, da gab es ein großes Gekrach und es folgte ein Geschrei und da waren unter dem Stuhl die Töchter des Geirrödh gewesen, Gjalp und Greip, und er hatte beiden den Rücken gebrochen. Da sprach Thor: "Ein einzig Mal / braucht ' ich Asenkraft / im Haus der Riesen. / Da, als Gjalp und Greip / des Geirrödh Töchter / mich heben wollten zum Himmel." Da läßt Geirrödh den Thor rufen in die Halle zum Wettkampf mit sich. Da waren große Feuer entlang an der Halle, aber als Thor kommt gegen den Geirrödh, da packte Geirrödh mit einer Zange ein glühendes Eisenstück und wirft es nach Thor, aber Thor fing es auf mit dem Eisenhandschuh und schwingt das Eisen in der Luft. Doch Geirrödh lief hinter eine Eisensäule, sich zu schützen. Thor warf das Stück, und es fuhr durch die Säule und durch den Geirrödh und durch die Wand und noch weiter in die Erde.

***
Das letzte in diesem Bericht, den der Erzähler etwas abgerissen und lückenhaft vorträgt, ist, wie wir wissen, das Älteste und seine germanische Seele: der Kampf von Geirrödh und Thor. Die Waffe des Riesen ist der Blitz und der Gott weiß den Blitz wirksamer und wuchtiger zu schleudern.

Nun wartet Thor niemals, bis die Riesen zu ihm kommen, er sucht sie in ihren eigenen Reichen auf und seine Fahrten dahin sind Fahrten in eine andere Welt, den Fahrten ins Jenseits gleichend, die bei allen alten und jungen Völkern die stärksten Heroen unternehmen, und die in langen Jahrhunderten Furcht und Phantasie der Menschheit immer oon neuem erregen und beflügeln.

Die Abenteuer von Thor auf der Fahrt zu Geirrödh gleichen namentlich den Abenteuern, die gerade in mittelalterlichen Epen Helden auf Fahrten ins Jenseits und zu verwunschenen Schlössern bestehen und die vor allem keltische Phantasie sich ausmalte: das Waten durch einen reißenden Strom, ein verhexter Stuhl oder ein



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verhextes Bett im Haus des Riesen, Wettkämpfe von Wirt und Gast sind hier wie dort typische Motive.

Märchenhelden, die sich wie Thor zu Unholden begeben, treffen meist, bevor dieser heimkehrt, eine mitleidige Alte, die sich ihrer erbarmt und die ihnen hilft, den Unhold zu überlisten oder zu besiegen. Die Rolle dieser mitleidigen Helferin spielt in unsrer Sage Grid, sie gibt dem Thor Kraftgürtel, Eisenhandschuh und Stab. In der späteren Form einer anderen Thorsage treffen wir eine solche mitleidige Alte noch einmal (S. 171).

Durch diese märchenhaften und abenteuerlichen Ausschmückungen wird aus dem männlichen Thor ein knabenhafter Märchenheld. Der eigentliche Anlaß für diese Umgestaltung war wohl der Zug, daß der Gott den Riesen nicht mit seinem Hammer, sondern mit dessen Waffe bezwang, er entriß dem Riesen den Blitz und streckte ihn damit nieder. Den archaischen Wert dieses Motivs verkannten die späteren isländischen Erzähler, ihnen war der Gott ohne Hammer der Gott ohne Macht. Das war der Anlaß zu der weiteren Erfindung, daß Loki den Gott ohne Hammer dem Riesen ausliefern wollte, wie im Märchen den Märchenhelden seine Feinde ins Verderben schicken, daß der Gott aber, wiederum dem Märchenhelden gleich, gütige Helfer findet und am Ende doch triumphiert. In der Geirrödhsage büßt also in einem Sinn Thor seine alte germanische Kraft ein, freilich durch eine liebenswürdigere Kunst als die Kunst der Hrungnisage, durch die Kunst des Märchens. Im anderen Sinn aber steigert unsre Sage eine alte Kraft des Gottes: nämlich seine Zauberkraft, gerade die Kraft, nicht die L i st des Zauberers: Thor zerstört in Geirrödhs Halle den Zauber der Riesentochter, Thor beschwört den reißenden Strom, Thor gibt der Eberesche ihre Kraft, mit Thor verbindet sich die wahrsagende, zauberische Frau, wie sich Groa mit ihm verband — denn Grid ist eine Wölva und ihr Stab ist ein Zauberstab.

In früherer Zeit mag die Episode der Gjalp und Greip und



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Grid — man beachte den Stabreim — ein Lied für sich gewesen sein, in dem eine Mölva das Wüten zweier riesischer Wasserunholdinnen beschwor. Gjalp und Greip, die Brausende und die Packende, sind die Namen von Wasserriesinnen, zwei von Heimdalls neun Müttern heißen ebenso. Zwei Wasserriesinnen mit zauberischen Kräften treten noch in einem anderen Eddaliede auf, dem Mühlenlied, ihre Zaubersprüche versenken einen habgierigen König und die Seinen ins Meer.

Der Wettkampf von riesischem und göttlichem Zauber, das beherrschende Merkmal der Geirrödhsage, wird nun in der Einleitung variiert, in der sich Loki ohne rechte Begründung vordrängt: Loki will den Riesen besiegen oder ihm wenigstens einen Schabernack antun, aber die Zauberkraft des Riesen ist stärker, er hext den nichtsnutzigen Gott fest und demütigt ihn. Die Einleitung erinnert an andere Lokisagen und ist im Ton des Märchens gehalten; wir erinnern etwa an die Kinder, die sich wie Hänsel und Gretel in die Behausung einer Hexe wagen und von der Hexe gefangen und beinah gefressen werden.

Außerdem ist uns die Einleitung ein neues Beispiel, daß in den eddischen Geschichten drei Mächte gegen- und für- und durch- einander wirken: die kleinen Wesen elbischer Herkunft, wie Loki und Thjalfi, die großen Riesen wie Thrym, Hrungni, Mökkurkalfi, Geirrödh und die Götter wie Thor und Odhin. Bald hilft der Kleine dem Gott gegen den Riesen, wie Loki in ber Thrymskwidha , Thjalfi in der Hrungnisage, bald sucht der Kleine den Gott dem Riesen auszuliefern und wird selbst vom Riesen bezwungen , wie Loki in der Geirrödhsage, bald bezwingt der Gott aus eigner Kraft den gleichen Riesen, der des Elben so leicht Herr wurde, wie wiederum in der Geirrödhsage. Wir erkennen auch von dieser Seite her Thor als den mächtigen alten Gott. Andere Variationen des gleichen Themas werden wir noch beobachten, die Skalden und die isländischen Erzähler hatten offenbar an



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diesen Variationen ihre Freude und sie übten an ihnen gern ihre virtuosen Künste.

Die beiden Strophen in unsrer Geirrödhsage entstammen einem eigenen Lied: seine anderen Verse sind uns verloren, es war die zweite Gestalt der Dichtung. Eine dritte gab im 10. Jahrhundert der Skalde Eilif Gudrunarson, Erinnerungen an eine vierte sind bei Saro Grammaticus erhalten. Der Mönch weiß nichts von der Loki-Einleitung, und nichts von Gjalp und Greip und Grid, Geruths Land ist für ihn die grause Unterwelt, in die Thorkill: das ist Thor karl, Mann des Thor — auf Geheiß des Königs Gorm sich wagt. Die Abenteuer, die er auf seiner Reise zu bestehen hat, gleichen auffallend den Abenteuern des Odysseus und denen mancher mittelalterlichen Odyssee. Die Stadt Geruths wird durch einen breiten Strom vom Diesseits getrennt und eine goldne Brücke führt hinüber: uns kommt die Brücke des altdeutschen Segens ins Gedächtnis. In einer Höhle dieser schrecklichen Stadt sitzt auf einem Hochsitz ein alter Mann, sein Leib ist durchbohrt und an einem Felsen befestigt. Bei ihm sitzen drei Weiber mit zerbrochenem Rücken. Thorkill erzählt, der starke Gott Thor sei durch Geruths Hochmut erzürnt worden und habe ihn mit einem glühenden Eisenkeil an den welfen befestigt, zugleich traf Thor mit dem Blitz die drei Weiber.

Grade das grausig Phantastische an Thors Fahrt zu Geirrödh steigerten also die späteren Erzähler, freilich verschwand diese Fahrt, im 14. Jahrhundert, in einer späten isländischen Saga ganz ins Märchenreich. Welchen Gefallen mußten alte Zeiten an dieser Fabel gefunden haben, wenn sie in den germanischen Zeiten, im 10., 12., 13., 14. Jahrhundert im Norden, in Prosa und Vers, volkstümlich und skaldisch, mythisch und märchenhaft, immer von neuem vor uns auftaucht. Auch das esthnische Epos, der Kalewipoeg, enthält noch eine ihrer Episoden und führt sie in unappetitlicher Breite aus, die Episode nämlich von dem Strom, den die Tochter des Riesen wachsen macht.



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Endlich trägt in einem Eddaliede, in den Grimnismal, ein irdischer König den Namen Geirrödh. Ein langer Weg führt zu ihm, Odhin besucht ihn, unerkannt, in Bettlertracht, und der König mißhandelt den Gott, er setzt ihn mitten ins brennende Feuer. Doch Odhin löscht die Flammen und bewirkt, daß der König ins eigene Schwert stürzt. Die weite Fahrt, der Versuch, den Gott zu mißhandeln, der Feuerzauber, die Strafe, die den Frevler trifft: diese Motive erinnern an unsre Geirrödhsage, vielleicht sind sie in Anlehnung an sie erfunden.

Saxo erzählt uns:

Halfdan gebraucht eine ungeheure, mit eisernen Knoten versehene Keule auf seinen Kampffahrten oder eine Eiche, die er im Vorbeigehen aus dem Boden reißt und durch Abstreifen der Äste als Keule zurichtet, mit einem Hammer von erstaunlicher Stärke zermalmt er einen Riesen, der Königstöchter zu rauben pflegt. Er nahm den Thoro, einen geschickten und angesehenen Kämpen zu sich und kündigte Erik den Krieg an. Sie bestiegen einen steinreichen Felsen, rissen die Felsmassen los und ließen sie auf den Feind herabrollen, der unten im Talkessel aus abschüssigem Boden stand. So gewann Halfdan mit Felsblöcken den Sieg. Wegen dieser tüchtigen Tat galt er den Schweden als ein Sohn des großen Thor, wurde vom Volke mit göttlichen Ehren begabt und eines öffentlichen Opfers für würdig erachtet.

Diese Sage überträgt die Taten des Thor auf einen irdischen König und seinen Begleiter. Hinter ihr ragt ein Bild auf, in großen Umrissen, wie wir es nun kennen: die verheerende Macht des Gewitters, das Bäume entwurzelt und Felsmassen ins Tal schleudert, ist dargestellt als das ungeheure Wirken des Wettergottes . Ein Auftakt aus den Märchen leitet auch diese Geschichte ein: der Bursche mit der ungeheuren Keule, der Bursche, der eine Eiche ausreißt und sie als Waffe führt, der Bursche, der Königstöchter aus der Hand von Riesen befreit. Das alles ist der "Starke Hans" oder der"Bärensohn" des Märchens, der seit dem 10. Jahrhundert in der germanischen Märchenwelt sein übermütiges Kraftwesen treibt, besonders in späteren Thor- und Siegfriedsagen.



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In den Dichtungen, die wir bisher aufsuchten, war die Grundlage der Kampf eines Riesen mit Thor, dem blitzeschleudernden Gott. Nun wenden wir uns zu anderen Taten dieses tatenreichsten Gottes. In die germanischen Zeiten führt der Kampf Thors mit der Midgardschlange zurück. Snorri erzählt:

Thor blieb nicht lange daheim. Er rüstete sich so rasch zur Fahrt, daß er weder Wagen noch Böcke noch Fahrtgenossen hatte, wie ein junger Bursche ging er aus Asgard und kam eines Abends zur Dämmerzeit zu einem Riesen, der hieß Hymi. Er blieb da zur Gastung die Nacht. In der Frühe stand Hymi auf und kleidete sich an und wollte auf See rudern zum Fischfang. Aber Thor sprang auf und war schnell fertig und bat, daß Hymi ihn mit sich rudern lasse. Doch Hymi meinte, daß er wenig Hilfe von ihm haben werde, da er klein und ein Jungbursch war, "und es wird dich frieren, wenn ich so lange und so weit draußen sitze bei den Untiefen, wie ich es gewohnt bin" . Aber Thor sagte, daß er deswegen weit vom Land rudern könne und daß es gar nicht gewiß sei, ob er nicht verlangen würde, noch weiter herauszurudern, und Thor erzürnte sich so über den Riesen, daß er so weit war, gleich den Hammer auf ihn sausen zu lassen. Aber er ließ es dabei bewenden, weil er gedachte, seine Kraft zu erproben bei einer anderen Gelegenheit. Erfragte den Hymi, was sie als Köder haben würden, doch Hymi bat ihn, sich selbst einen Köder zu besorgen. Da ging Thor sofort zurück, bis er sah eine Herde Ochsen, die Hymi besaß. Er nahm den größten Ochsen, der Himinhrjod heißt, und rib ihm das Haupt ab und ging damit ans Ufer. Da hatte Hymi das Schiff herausgestoßen, Thor sprang aufs Schiff und setzte sich in den Schöpfraum (ans steuer), ergriff zwei Ruder und ruderte und es schien dem Hymi das Schiff rasch dahinzuschießen von seinen Ruderschlägen. Hymi ruderte vorn am Bootshals und suchte eilig zu rudern, es sagte Hymi, daß sie nun gekommen seien an die Sandbänke, wo er gewohnt sei zu sitzen und Plattfische zu angeln. Aber Thor rief, viel weiter wollten sie rudern, und sie begannen nun ein Schnellrudern. Hymi sagte nun, daß sie so weit herausgekommen seien, daß es gefährlich wird, dort zu verweilen wegen der Midgardschlange, doch Thor rief, noch eine Zeitlang würde er rudern, und so tat er. Aber Hymi war da ganz mißvergnügt. Wie nun Thor eingezogen hatte die Ruder, brachte er eine Angelschnur heraus, eine recht starke, und nicht war die Angel kleiner oder minder stark. Da ließ Thor auf die



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Angel das Ochsenhaupt kommen und warf es über Bord und es fuhr die Angel auf den Grund. Die Midgardschlange schnappte gewaltig nach dem Ochsenhaupt, doch die Angel fuhr dem Wurm inden Gaumen. Aber als der Wurm das merkte, da zog er so heftig an, daß die beiden Fäuste Thors an den Rand des Schiffes aufschlugen. Da wurde Thor zornig und die Asenkraft fuhr in ihn und er stemmte sich so fest auf, daß er mit beiden Füßen durch das Schiff trat und auf dem Meergrund feststand. Er zog da den Wurm an Bord. Aber das kann man sagen, daß der noch nicht die schrecklichsten Gesichte sah, der nicht sehen konnte, wie Thor mit den Augen durchbohrte die Schlange, und wie diese ihm entgegenstarrte von unten her und ihr Gift blies. Da heißt es, daß der Riese Hymi die Farbe wechselte, fahl wurde und zitterte, als er die Schlange erblickte, und sah wie die See in das Schiff hineinstürzte und hinaus. Und in dem Augenblick, wo Thor nach dem Hammer griff und ihn in die Luft schwang, da fuhr der Riese nach seinem Messer und zerschnitt die Schnur Thors am Schiffsrand und die Schlange senkte sich in die See. Doch Thor warf den Hammer nach ihr und die Leute sagen, daß er ihr Haupt abschlug in den Wogen, doch ich glaube, ich muß dir das als wahr erzählen, daß die Midgardschlange lebt und im Weltmeer liegt. Doch Thor schwang die Fäuste und setzt sie an die Ohren Hymis, so daß der über Bord stürzt und man sieht seine Fußsohlen, aber Thor watete an Land.

Wucht und Pracht in der Schilderung dieses Zusammentreffens von Thor und seiner Erzfeindin laffen sich kaum übertreffen. Mancher Skalde hat sich an dem gleichen Thema versucht und auch alte Bildwerke stellen den Kampf Thors mit der Midgardschlange dar.

Germanische Darstellungen von Ungeheuern, wie das Meer sie birgt, und von einem Unhold, dessen Zucken die Welt erbeben macht, sind in der Midgardschlange verschmolzen. — Beowulf, der als Mann den Meerunhold Grendel besiegt, fällt als Greis im Kampf mit einem ähnlichen Tiere, das er sterbend vernichtet und von dem er sein Land befreit. Dies heroische Schicksal übertrug die nordische Dichtung auf Thor und gestaltet es größer und tragischer: im letzten Kampf der Riesen und Götter tritt die



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Midgardschlange, die ihm noch immer entrann, dem Thor entgegen , der so viele Riesen erschlug. Sie öffnet den Schlund bis zum Himmel, der Gott erschlägt sie, aber sie haucht ihn noch einmal an, er weicht neun Schritte zurück und fällt tot hin. So erzählt es im 10. Jahrhundert die Wöluspa.

Spätere Jahrhunderte machen aus der Midgardschlange ein gelehrtes Fabelwesen, das sich, wie der Okeanos der Griechen, um alle Länder windet und sich selbst in den Schwanz beißt. Der Kampf Thors mit der Midgardschlange geriet ebenfalls aus der Welt germanischer Kraft und Tragik, die noch das 10. Jahrhundert so wundervoll steigerte, allmählich in das Groteske und Märchenhafte, wir kennen ja das Schicksal der Thorsagen. In dem Bericht Snorris ist der Kampf mit dem Besuch bei einem Riesen verbunden, dadurch erhält er den Anstrich der Riesengeschichten . Das Bild bei Snorri ist z. B. von gewollter Komik, daß der Riese, von der Ohrfeige des Gottes getroffen, kopfüber so ins Meer stürzt, daß nur noch seine Fußsohlen herausragen: ähnliche Ohrfeigen pflegt wieder der starke Hans auszuteilen. — Ferner hatte der Norden an alten Schwankmärchen von der überlistung der Riesen durch Menschl eine lebhafte Freude. Der Riese fordert darin von den Menschen Kraftleistungen, etwa Essen. Der Mensch bindet sich einen Sack vor, in den er die Speisen heimlich schüttet, und als der Riese satt ist, behauptet er, nun finge er gerade an. Oder: der Mensch soll Wasser holen, er fragt, ob er nicht gleich den ganzen brunnen mitbringen dürfe. Oder: der Mensch soll ein Boot ins Wasser schieben, weigert sich aber, weil das in Stücke gehen würde, wenn er es nur berühre. Diese scheinbaren Kraftleistungen des Menschen verwandelten aber die Dichter der Edda, im Unterschied vom Märchen, in wirkliche des Gottes.

Zwei von diesen Leistungen, daß Thor als Köder ein Stierhaupt nimmt, und daß er den Riesen gerade dahin rudert, wohin dieser nicht mag, kennt Snorri. Zwei andere erzählt ein ganz



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spätes Eddalied, die Hymiskwidha — eine märchenhafte und skaldenhafte übersteigerung von Snorris Bericht —, nämlich die Eßkraft des Gottes: er verzehrt allein zwei Ochsen, und seine Tragkraft: er nimmt allein ein großes Boot auf die Schulter.

Dies Lied schiebt außerdem die bezeichnenden Motive des Märchens von der Fahrt zu einem menschenfressenden Unhold in die alte Sage. Thor wird zum Hymi geschickt, um dessen Kessel zu holen, wie ein Märchenheld zu einem Riesen, dessen Bestes er rauben soll. Den Gott und seinen Begleiter verbirgt wieder eine mitleidige Alte. Thor bricht die Kraft des Riesen, indem er seinen Becher zerschlägt, er raubt ihm den Kessel und wird von der ganzen Menge der Unholde verfolgt, die er jedoch überwindet.

Ein Motiv in der Hymiskwidha erweckt unser besonderes Interesse: Thor soll dem Riesen Hymi seine Stärke beweisen. Trotzdem der Gott den Riesen durch verschiedene ungeheure Taten in Schrecken versetzte, verlangt dieser als letzte, daß er seinen Becher zerschellt. Der Gott wirft den an einen steinernen Pfeiler; umsonst, der Pfeiler zerbricht, der Becher bleibt heil. Da rät die Frau des Riesen dem Thor, er möge den Kelch an den Kopf des Unholds schleudern, Thor befolgt den Rat: und nun bleibt der Kopf heil, der Becher zerspringt. Der sonst recht wortkarge Riese trauert erschüttert seinem kostbaren Schatze nach, läßt den Gott ziehen und duldet sogar, daß er auch noch seinen großen Kessel mitnimmt: mit dem Becher hat der Unhold seine Macht über den Gott verloren.

Es bietet sich nun die Vermutung an, daß in der Quelle, aus welcher der Dichter der Hymiskwidha schöpfte, die Seele des Riesen im Becher war, und daß der Held den Becher zerbrach, um den Riesen zu vernichten. Dann wäre das Bechermotiv die Umformung des alten Märchens vom ¶Riefen ohne Seele: der Riese hat seine Seele nicht in sich, sondern außer sich, versteckt in irgendeinem Gegenstand, eine mitleidige Frau verrät das Geheimnis einem



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tapferen Burschen, der den Riesen bezwingen soll, dieser zerstört den Gegenstand, in dem sich die Seele birgt, und damit den Riesen selbst.

Die Hymiskwidha bewegt sich in starren ungelenken Vergleichen skaldischer Art. Es ist seltsam zu sehen, wie das warme und kindliche Märchen in ihrer Umarmung erfriert. Daneben erfreut sie durch eine kräftige Komik: Thor, der an einer dünnen Angelschnur das schwerste Ungetüm, die Midgardschlange, heraufzieht, und der, den erbeuteten Kessel über den Kopf gestülpt, so schnell als möglich sich davontrollt, das sind Bilder des ergötzlichsten Kontrastes. Am besten aber geriet die Schilderung des Riesen: schwer von Kälte, mit ungefügen Schritten, tappt er in das Zimmer, um das Kinn steht ihm der Bart wie ein Eiswald, und vor seinem Blick zerbersten die Balken.

In den Geschichten von Thor und Hymi wuchert neue Komik um den Gott auf. Außerdem stellt sich zwischen den germanischen Donar und zwischen den Märchenhelden und Prahlhans Thor ein heroischer Gott des 10. Jahrhunderts. Ihn und seine Tragik erkennen wir auch in der Sage vom Riesenbaumeister. Snorri erzählt:

Es war da in frühen Zeiten in der Götterwelt, nachdem die Götter Midgard eingerichtet und Walhall gebaut, daß ein Baumeister kam und anbot, ihnen eine Burg zu bauen in drei halben Jahren, so fest, daß sie nicht in Furcht zu sein brauchten vor Bergriesen und vor Reifriesen, wenn diese auch in Midgard eindrängen. Aber er beanspruchte das als Kaufpreis, daß er sich Freyja aneignen dürfe und auch Sonne und Mond wollte er haben. Da gingen die Asen zur Besprechung und tauschten ihre Ratschläge und es wurde dieser Kaufpreis mit dem Riesen ausgemacht , daß er sich aneignen dürfe, was er beanspruche, wenn er vollendete die Burg in einem Winter. Doch am ersten Sommertag, wenn irgend etwas unfertig wäre an der Burg, dann sollte er vom Kaufpreis abstehen, er sollte auch von keinem Menschen Hilfe haben beim Bau. Aber als sie ihm diese Bedingung ansagten, da verlangte er, daß sie ihm Hilfe von seinem Hengst erlauben möchten, der Swadilfari heißt,



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und Loki riet, daß ihm dies zugestanden würde. Er nahm in Angriff den Bau der Burg am ersten Wintertag und nachts schleppte er Steine auf dem Hengst herbei. Aber das schien den Asen ein großes Wunder, welche großen Lasten dieser Hengst schleppte, und die Hälfte mehr Arbeit verrichtete der Hengst als der Baumeister. Bei dem Baupreis waren nun starke Bekräftigungen und viele Eide, denn der Riese traute den Asen nicht und hielt sich für schutzlos, wenn Thor zurückkäme, der war gerade nach Osten gefahren, Trolle zu erschlagen. Als der Winter vorschritt, strengte sich der Baumeister sehr an, und es wurde der Bau so hoch und stark, daß niemand heraufsehen konnte. Als es noch drei Tage waren bis zum Sommer, da war er fast bis zum Burgtor gekommen. Da setzten sich die Götter auf ihre Ratstühle und suchten Ratschläge und jeder fragte den anderen, wer dazu geraten hätte, die Freyja in die Welt der Riesen auszuliefern oder Luft und Himmel so zu vergiften und ihnen Sonne und Sterne zu nehmen und sie dem Riesen zu geben. Und sie kamen alle darin überein, daß ihnen der das geraten hätte, der das meiste Böse riet, Loki, Laufeys Sohn, und sie nannten ihn wert eines bösen Todes, wenn ihm nicht ein guter Rat einfiele, daß der Baumeister vom Kaufpreis abstehe, und sie gingen auf Loki los. In seinem Schrecken schwur er Eide, er werde es so einrichten, daß der Baumeister vom Kaufpreis abstehe, was es ihm auch kosten möge. Am selben Abend nun, als der Baumeister hinausfuhr zu den Steinen mit dem Hengst Swadilfari, lief aus dem Walde eine Stute und zum Hengst und wieherte dabei. Aber als der Hengst merkte, was für ein Roß das war, da geriet er in Brunst und zerriß seine Stricke und lief zur Stute, aber sie in den Wald hinein und der Baumeister hinterher und er will den Hengst fangen und die Pferde laufen die ganze Nacht, und der Riese blieb da die Nacht, und da am Tage wurde nicht so gebaut wie vorher. Als der Baumeister nun sieht, daß er nicht mit dem Werke fertig wird, da gerät er in Riesenzorn. Aber als die Asen nun sicher wußten, daß ein Bergriese unter ihnen war, da wurden die Eide nicht geschont, und sie riefen nach Thor, und im gleichen Augenblick kam er, und dann sauste der Hammer Mjölni durch die Luft: er vergalt dem Baumeister seinen Kaufpreis, und nicht Sonne und Gestirne bekam er, sondern er nahm ihm die Wohnung in der Riesenwelt und schlug den ersten Hieb, daß der Schädel zerbrach in kleine Stücke und schickte ihn unten in die dunkle Hölle. Aber Loki hatte solchen Umgang mit Swadilfari gehabt, daß er nach einiger Zeit ein Füllen gebar, und es war


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grau von Farbe und hatte acht Füße und es ist der beste Hengst unter Göttern und Menschen.

Diese Sage war früher eine von den Göttern unabhängige Volkssage. Ihresgleichen leben heute in Deutschland noch manche: ein Riese oder ein Unhold, jetzt ist es meist der Teufel, verspricht einem Menschen in kurzer Zeit, in einer Nacht, eine Burg zu bauen, wenn dieser ihm sein Bestes gäbe. Der Mensch nimmt in dem Wahn, daß es sogar übermenschlicher Kraft unmöglich sei, ein Werk so rasch zu vollenden, die Bedingung an, aber der Bau steigt mit entsetzlicher Geschwindigkeit empor, und nun hilft sich der Mensch durch List, er bringt einen Hahn zum Krähen oder weiß sonst den Anschein zu wecken, der Tag sei angebrochen. Der Unhold aber gibt sich mit einem Fluch verloren und zertrümmert das Werk der Nacht.

Die List der Göttersage weicht von der List der Volkssage ab: Loki lockt das Pferd des Riesen fort, indem er sich in eine Stute verwandelt. Diese nicht eben schöne, aber mit Humor vorgetragene groteske Erfindung wanderte vielleicht aus dem Irischen ins Nordische und aus dem Irischen scheint auch der Hengst des Riesen selbst zu stammen. Alt und germanisch an diesem Teil der Sage ist die Verwandlungsfähigkeit von Loki, seine Beziehung zum Tier der geschlechtlichen Kraft, dem Pferd, und seine Gabe, das Geschlecht zu tauschen oder, sagen wir besser, zu verdoppeln.

Befreien wir unsre Dichtung oon ihrer irischen Verschnörkelung , so gewinnt sie etwa diese Form: Die Götter gehen, damit ihnen eine Burg gebaut werde, einen leichtsinnigen Vertrag mit einem Riesen ein, rufen, als sie ihren Leichtsinn erkennen und sich keinen Rat wissen, den Thor und dieser befreit sie von dem Riesen und zerbricht zugleich die heiligen Eide. So überliefern uns wirklich die schwermütigen und tragischen Verse der Wöluspa die Sage: die Götter beraten bestürzt, wer die Luft vergiftet und wer die Freyja dem Riesen gegeben, Thor, von seinem Zorn bezwungen,



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schlägt zu, und die Eide und Schwüre sind zerstört, die sie stark und bindend aufgerichtet. — Diese Form ist gewiß eine Vertiefung der alten volkstümlichen Geschichte. Thor rettet die Götter, nicht durch List und Betrug, sondern durch seine ehrliche Kraft. Aber was in der Urzeit natürliche Notwehr war und die Tat des Starken, verwandelt sich in Treubruch und rohe Gewalt in einer Zeit, die Recht und Eid über sich setzte. Auch diese höhere Zeit kann ohne Gewalt nicht leben, aber, indem sie den Gott der Gewalt ruft, überliefert sie sich zugleich der Schuld und dem Untergang.

So faßt der Dichter der Wöluspa den Thor auf: als den Beschützer der Welt (midgards veorr), der die Menschen von den Riesen befreit und auch die Götter vor ihnen bewahrt, der zugleich die Eide zerschlägt und das Ende der Götter dadurch beschleunigt , der am Ende seines Daseins, seinen stärksten Kampf mit dem stärksten Unhold kämpfend, zum letztenmal seine zermalmende und hilfreiche Macht zum Schutz der Götter und Menschen aufbietet und der nicht der Kraft, sondern dem Gifthauch des Wurms erliegt.

Das ist wieder, unter der Einwirkung des Christentums, eine großartige Erhöhung des alten germanischen Gottes. Von ihr aber ist der Schritt nicht allzuweit zu der Gegenüberstellung von roher Kraft gegen besonnene List, die wir als Merkmal der späteren Thorsagen erkannten, und in deren Licht der Gott immer lächerlicher wird. Am ausgelassensten und geistreichsten verhöhnt den Thor die Sage vom Utgardaloki.

Gangleri fragt in der Gylfaginning: "Ist es Thor niemals so ergangen , daß er auf etwas so Mächtiges und Kräftiges traf, daß es für ihn übergewaltig war, für seine Stärke und für sein Wissen." Da sagte Ha: "Wenige, glaube ich, können davon erzählen, doch manches schien ihm schwer auszuführen. Wenn es sich nun aber auch begeben haben sollte, daß irgend etwas so kräftig und stark war, daß Thor nicht den Sieg erlangte, so ziemt es sich doch nicht davon zu reden, deswegen,



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weil viele Beweise dafür da sind, daß Thor der stärkste bleibt, und weil wir sie alle glauben müssen." Da sprach Gangleri: " So scheint es mir, als hätte ich gerade nach etwas gefragt, worüber es nicht schicklich ist, zu reden." Jafnha antwortete: " Wir haben sagen hören von Vorfällen, die uns zu unglaublich scheinen, als daß sie wahr sein könnten, aber hier in der Nähe sitzt einer, der Zuverlässiges davon berichten kann, und du wirst kaum glauben, daß er nun das erste Mal lügt, der vorher nie log." Da sprach Gangleri: "Hier will ich stehen bleiben und hören, ob diese Sache sich auflöst; wenn ihr aber schweigt, so habt ihr das Spiel verloren; wenn ihr nicht beantworten könnt, was ich euch frage." Da sprach Thridi: " Nun ist es offenbar, daß er diese Geschichten wissen will, trotzdem es uns nicht schön scheint, davon zu reden."

So hebt diese Geschichte an, daß Wagen Thor ausfuhr mit seinen Böcken und reiste mit ihm der Gott, der Loki heißt. Sie kommen am Abend zu einem Bauern und besorgen sich das Nachtquartier. Thor nahm seine Böcke und schlachtete beide. Danach wurden sie enthäutet und zum Kessel getragen, und als sie gekocht waren, setzte sich Thor zum Nachtmahl und die Gefährten. Thor entbot zum Mahle mit sich den Bauern und seine Frau und ihre Kinder, der Sohn des Bauern hieß Thjalfi, aber Röskwa die Tochter. Da legte Thor die Bocksfelle an;; dem Feuer und sagte, daß der Bauer und seine Familie die Knochen werfen sollten auf die Bocksfelle. Thjalfi, der Sohn des Bauern, hielt sich an den Schenkelknochen des Bockes und öffnete ihn mit dem Messer und brach ihn auf bis zum Mark. Thor verweilte dort die Nacht, aber in der Dämmerung vor Tag stand er auf und kleidete sich an und nahm den Hammer Mjölni, schwang ihn darüber und weihte die Bocksfelle. Da standen auf die Böcke und es war der eine lahm am Fuße. Das sah Thor und sagte, daß der Hausherr oder einer der Seinen nicht vorsichtig umgegangen sei mit den Bocksknochen, er sieht, daß gebrochen war der Schenkel. Nicht braucht man lange davon zu erzählen, vorstellen werden sich das alle, wie erschrocken der Bauer sein mußte, als er sah, daß Thor sinken ließ seine Brauen über die Augen und als er zu den Augen aufsah, da meinte er vor dem Anblick allein zusammenzubrechen. Thor packte mit den Händen den Hammerschaft, so daß die Knöchel weiß wurden. Der Bauer tat, was zu erwarten war, und alle die Seinen, sie riefen ihn flehentlich an und baten um Schonung und boten als Ersatz alles an, was sie hatten. Aber als er ihren Schreck sah, verging ihm der Zorn und er besänftigte sich und nahm von ihnen als Buße



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ihre Kinder Thjalfi und Röskwa, und sie waren ihm da als Dienstboten verpflichtet und folgen ihm immer von da an.

Thor ließ dort zurück die Böcke und rüstete die Fahrt östlich nach Jötunheim und ganz zum Meer. Er fuhr über das tiefe Meer und als er an das Land kam, ging er hinauf, und mit ihm Loki und Thjalfi und Röskwa. Als sie nun eine kleine Weile gegangen waren, stand vor ihnen ein großer Wald, und sie wanderten darin den ganzen Tag bis zur Dunkelheit. Thjalfi war unter allen Männern der fußschnellste, er trug den Speisesaal Thors, denn an Speise war hier nichts Gutes. Als es nun ganz dunkel geworden war, suchten sie sich einen Ruheplatz für die Nacht und fanden vor ihrer Nase ein Haus, ein recht großes, die Türen waren an einem Ende und sie waren ebenso breit wie die ganze Wohnung. Dort richteten sie sich ein für die Nacht. Um Mitternacht aber entstand ein gewaltiges Erdbeben, die Erde ging hin und her wie ein Schiff auf den Wellen und das Haus erzitterte. Da stand Thor auf und rief nach seinen Genossen, und sie suchten umher und fanden ein Nebenhaus zur rechten Seite in der Mitte und gingen hinein. Thor setzte sich in die Tür, aber die andern waren innen, hinter ihm versteckt, und sie waren recht furchtsam. Thor dagegen hielt die Hand am Hammerschaft und gedachte, sich zu wehren. Da hörten sie ein mächtiges Brausen und Schnauben. Als der Tag anbrach, kam Thor heraus und sieht einen Mann dicht vor sich im Walde liegen und der war nicht klein und schnarchte stark. Da glaubte Thor zu erkennen, was für Geräusche das gewesen seien in der Nacht. Er tat den Kraftgürtel an, und die Götterkraft wuchs ihm. Aber in diesem Augenblick erwachte der Mann und stand schnell auf, und da heißt es, daß dem Thor dies eine Mal der Mut entfiel, mit dem Hammer zuzuschlagen. Er fragte nun jenen nach seinem Namen, er hieß Skrymi. "Dich aber brauche ich nicht nach dem Namen zu fragen," sagte er, " du bist Asathor; aber hast du meinen Handschuh fortgenommen?" Da bückte er sich und hob seinen Handschuh auf: Thor sieht nun, was er für eine Behausung in der Nacht gehalten hat, und das Nebenhaus war der Däumling des Handschuhes. Skrymi fragte, ob Thor seine Begleitung haben wollte, und Thor bejahte das. Da nahm der Riese seinen Speisesack, löste die Bänder und begann, sein Tagmahl zu essen; Thor und seine Begleiter aßen daneben. Skrymi schlug nun vor, sie sollten die Speisen zusammenlegen, und Thor stimmte zu. Da tat der Riese das ganze Essen in einen Ranzen, band ihn zusammen und warf ihn auf seinen Rücken. Er Sagenb. I. 12



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ging den ganzen Tag voran und machte recht große Schritte, aber spät am Abend suchte er für sie das Nachtlager unter einer großen Eiche. Skrymi sagte zu Thor, er wolle sich niederlegen und schlafen, " aber ihr nehmt den Speisesaal und rüstet euch das Nachtmahl" . Dann schlief er gleich ein und schnarchte stark. Thor nahm nun den Sack und wollte ihn öffnen, aber das ist zu melden, so unglaublich das auch klingen mag, daß er keinen Knoten lösen konnte, und daß kein Riemenende sich rührte, so daß es loser war als vorher; doch als er sieht, daß sein Werk nicht gelingen will, da wird er zornig und griff nach dem Hammer mit beiden Händen, stieg mit einem Fuß dahin, wohin Skrymi lag und schlägt ihn auf den Kopf. Der Riese erwacht und fragt, ob ein Laubblatt ihm auf den Kopf gefallen wäre, und ob sie schon gegessen hätten und nun bereit seien zum Schlaf. Thor sagte, daß sie jetzt schlafen wollen. Sie gehen da unter eine andere Eiche, aber ich muß dir in Wahrheit sagen, daß es nicht gefahrlos war zu schlafen. Um Mitternacht hört Thor, daß Skrymi wieder schnarcht, so daß es im Walde dröhnt. Er steht auf, geht zu ihm, schwingt den Hammer, rasch und fest, und schlägt ihn mitten auf den Scheitel, er sieht, daß des Hammers Spitze tief einsinkt ins Haupt. In dem Augenblick erwacht Skrymi und sprach: " Was ist nun? Fiel mir eine Eichel auf den Kopf? Oder warum bist du so aufgeregt, Thor?" Aber Thor ging rasch zurück und sagte, daß er wieder aufgewacht sei — und es war Mitternacht geworden —, und es wäre doch Zeit zu schlafen. Nun beschloß Thor bei sich, wenn die Gelegenheit wiederkäme, dem Riesen den dritten Hieb so zu schlagen, daß jener dann niemals sich wieder besehen sollte; er liegt nun und lauert, ob Skrymi noch einmal einschläft. Und kurz vor Tag hört er, daß der Riese eingeschlafen sein muß. Da steht er auf und läuft zu ihm, schwingt den Hammer mit seiner ganzen Kraft und schlägt auf seine Schläfe, die er nach oben gekehrt wußte, der Hammer sinkt bis zum Schaft. Skrymi aber setzte sich auf, strich sich über die Wangen und sagte: " Sollten wohl in dem Baum über mir Bögel sitzen? Mir war so, als ich aufwachte, daß ein Stückchen eines Zweiges mir auf den Kopf fiele. Wachst du Thor? Es wird Zeit sein, aufzustehen und sich anzukleiden! Ihr habt nun keinen langen Weg bis zu der Burg, die Utgard heißt. Ich habe gehört, daß ihr unter euch flüstertet, daß ich ein Mann sei, nicht klein von Wuchs, dort aber, wenn ihr hinkommt, werdet ihr größere Männer sehen können. Ich will euch einen guten Rat geben: Spielt da nicht die großen Leute, nicht werden die Gefolgsleute von Utgardaloki


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sich prahlende Worte von solchen Knirpsen bieten lassen. Oder kehrt um und das wäre der beste Entschluß, den ihr fassen könntet; aber wenn ihr weiter wollt, so geht nach Osten. Ich werde mich gen Norden wenden zu den Bergen, die ihr nun sehen könnt." Skrymi nimmt das Bündel , wirft sich's auf den Rücken und schlägt sich in den Wald, und es wird nichts davon erzählt, daß die Götter ihm eine gute Reise gewünscht hätten.

Thor geht weiter auf seinem Weg und seine Gefährten und geht bis Mittag. Da sahen sie eine Burg sich erheben auf dem Gefilde, und sie mußten den Nacken ganz auf den Rücken legen, bevor sie zu den Zinnen hinaufsehen konnten. Sie gehen zur Burg, und es war ein Gitter vor dem Burgtor, und es war verschlossen. Thor ging an das Gitter, konnte das Schloß aber nicht öffnen, und als sie sich umsonst bemüht hatten, in die Burg zu kommen, schmiegten sie sich zwischen die Gitterstäbe und schlüpften so hinein. Sie sahen eine große Halle und gingen darauf zu, die Tür war offen. Da traten sie ein und sahen da viel Leute auf den beiden Bänken, und die meisten waren groß genug. Darauf kamen sie vor den König Utgardaloki und begrüßten ihn. Der sah ganz langsam zu ihnen hin und bleckte die Zähne und sprach: "Schwer ist es, von weither wahre Nachrichten zu erfahren oder ist es anders, als ich denke, ist dies Bürschlein wirklich Wagen Thor? Aber du kannst ja stärker sein, als du mir aussiehst, oder welche Künste sind es, die du kannst oder die deine Gefährten zu beherrschen glauben? denn bei uns darf niemand sein, der sich nicht durch irgendeine Kunst oder Begabung vor anderen Männern auszeichnet." Da erwiderte der, der ganz zuletzt ging, und der Loki heißt, "ich kann die Kunst und bin bereit, sie zu zeigen, daß niemand hier innen ist, der schneller seine Speise essen wird als ich" . "Das ist eine Kunst," antwortete Utgardaloki, " wenn du sie wirklich kannst, und die Kunst soll sich gleich erweisen." Er rief herbei von der Bank den Mann, der Logi heißt, und er solle in die Halle gehen und sich messen mit Loki. Ein großer Trog ward hereingebracht, auf den Boden gesetzt und gefüllt mit Fleisch, es setzte sich Loki an das eine Ende und Logi an das andere, und jeder ass, so rasch er konnte. Und in der Mitte des Troges trafen sie sich. Da hatte Loki alles Fleisch von den Knochen gefressen, ogi aber hatte auch gefressen alles Fleisch und die Knochen und den Trog dazu, und es schien nun allen, als hätte Loki das Spiel verloren. Da fragt Utgardaloki, was denn der junge Mann für Spiele könne. Thjalfi erwidert, daß er es versuchen wolle



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und mit jedem um die Wette laufen, den Utgardaloki ihm brächte. Der spricht: "das ist eine gute Kunst", und er hält es für wahrscheinlich, daß er in schnellem Lauf sehr geübt sei, wenn er diese Kunst hier vorführen wolle, " aber das wird sich ja gleich erweisen" . Er steht auf und geht hinaus, und es war da eine gute Rennbahn auf ebenem Felde. Utgarda-Loki ruft einen Burschen herbei, der Hugi (der Gedanke) heißt, und er befahl ihm, mit Thjalfi um die Wette zu laufen. Sie laufen den ersten Lauf, und Hugi ist so weit voran, daß er am Ende der Bahn umkehrt und dem anderen entgegenläuft. Da sprach Utgardaloki: "Es wird nötig sein, Thjalfi, daß du dich mehr ins Ieug legst, wenn du das Spiel gewinnen willst, aber das bleibt wahr, daß hierher noch keine Männer gekommen sind, die mir fußschneller scheinen." Nun laufen sie den zweiten Lauf, und als Hugi ans Ende der Bahn kommt und umkehrt, da war es noch ein weiter Pfeilschuß bis zu Thjalfi. Utgardaloki sagte: Gut scheint mir Thjalfi zu laufen, doch ich glaube nicht, daß er das Spiel nun noch gewinnt, aber nun wird es sich entscheiden, wenn sie das dritte Mal laufen." Da beginnen sie noch einen Lauf. Hugi rennt an das Ende der Bahn und kehrt um, und Thjalfi ist noch nicht gekommen bis zur Mitte der Bahn; da sagen alle, daß dies Spiel entschieden ist. Nun fragt Utgardaloki den Thor, welche Kunst es wohl werden würde, mit der er vor ihnen glänzen wolle, die Menschen hätten doch so viele Sagen gedichtet von seinen Großtaten. Thor antwortet, daß er am liebsten versuchen wollte, es mit jemand im Trinken aufzunehmen . Das kann geschehen, sagt Utgardaloki, und er geht in die Halle zurück und befiehlt seinem Mundschenk, das Strafhorn zu bringen, aus dem die Gefolgsleute gewohnt waren zu trinken. Darauf kommt der Mundschenk mit dem Horn und gibt es Thor in die Hand. Da sagt Utgardaloki: " Von diesem Horn scheint dann gut getrunken, wenn es sich in einem Zug leert; manche aber trinken es in zwei Zügen leer, doch kein Trinker ist so erbärmlich, der es nicht in dreien leerte." Thor sieht auf das Horn, und es schien ihm nicht groß, doch ist es ziemlich lang, er aber ist sehr durstig, nimmt es und trinkt und schluckt gewaltig und meint, es sei nicht nötig, noch einmal in das Horn zu schauen. Als ihm jedoch der Atem ausging, und er aus dem Horn blickte und dann zusah, was vom Trunk davon ging, da schien ihm, als sei der Unterschied ganz gering und als sei es im Horn kaum leerer als vorher. Utgardaloki sprach: " Das ist ein guter Schluck, wenn auch nicht allzu groß. Ich hätte es nicht geglaubt, wenn jemand mir gesagt hätte, daß


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Asathor keinen größeren Trunk trinken könne. Aber ich weiß, du wirst es mit dem zweiten Schluck austrinken wollen." Thor antwortet nichts, er setzt das Horn an den Mund und gedenkt nun, daß er einen größeren Trunk tun will. Und er hält den Atem an beim Trinken, solange wie es gehen will und wieder sieht er, daß die Spitze des Horns nicht so hoch kommen will, wie es ihm lieb ist, und als er das Horn sich vom Mund nahm und hineinsieht, scheint es ihm, als sei noch weniger verschwunden als das erste Mal. Doch ist ein Rand am Horn, und man kann es nun gut tragen. Da sprach Utgardaloki: " Wie steht es nun, Thor? Sparst du nicht deine Kraft für einen Trunk, größer als dir bekömmlich ist? Das scheint mir, wenn du es mit dem dritten Zug noch austrinken willst, so muß der als der größte gelten. Wir aber können dich hier nicht einen so großen Mann heißen, wie die Asen dich nennen, wenn du nicht mehr aus dir machst bei den anderen Proben, als es bei dieser wird, wie es mir scheint." Da wurde Thor zornig, er setzt das Horn an den Mund und trinkt so übermächtig, wie es nur geht, und spannt alle seine Kräfte an; und als er nun in das Horn sah, war doch ein Unterschied gegen vorher, da gibt er das Horn zurück und will nicht mehr trinken. Utgardaloki sprach: "Leicht kann man erkennen, daß deine Stärke nicht so groß ist, wie wir dachten. Oder willst du sie noch in anderen Spielen erweisen? Man sieht ja, daß du von diesem keinen Vorteil hattest." Thor antwortet: "Erproben will ich es noch in anderen Spielen, aber wunderlich würde es mir scheinen, wenn ich daheim bei den Asen wäre, und solche Trünke klein genannt würden. Welche Spiele wollt ihr mir nun anbieten?" Utgardaloki antwortete: "Das tun hier die jungen Burschen, und es scheint ihnen ein kleines Stück, aufzuheben von der Erde meine Katze, und ich würde nicht mit Asathor davon reden, wenn ich nicht gesehen hätte, daß du viel weniger vor dich bringst, als ich dachte." Da lief eine graue Katze über den Boden der Halle, und sie war ziemlich groß. Aber Thor ging zu ihr, faßte ihr mit der Hand mitten unter den Bauch und hob die Hand. Doch die Katze machte einen Buckel und um so mehr, je höher Thor die Hand ausstreckte, und als Thor die Hand reckte, so hoch er nur konnte, da hob die Katze nur einen Fuß, und weiter brachte es Thor in diesem Spiel nicht. Utgardaloki sprach: "Dies Spiel ging so aus, wie ich vermutete. Die Katze ist ziemlich groß, aber Thor ist klein und kurz im Vergleich mit den Riesen, die hier sitzen." Thor erwiderte: " Wenn ihr mich auch klein nennt, es trete nur einer von euch vor und ringe mit mir, nun bin ich zornig."


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Utgardaloki sah zu den Bänken und spricht: "Ich sehe hier unter den Männern niemand, der es nicht für eine Kleinigkeit hielte, mit dir zu ringen." Und dann sprach er: "Wir wollen erst sehen, ruft mir das alte Weib Elli (das Alter) her, meine Pflegemutter, mit der mag Thor ringen, wenn er will; sie hat schon Männer gefällt, die mir nicht schwächer schienen, als Thor ist. Da kam in die Halle eine alte Frau, und Utgardaloki sagte ihr, sie solle mit Thor ringen. Nicht lange braucht man davon zu erzählen, das Ringen ging so aus: je mehr Thor sich anstrengte im Kämpfen, um so fester stand sie. Dann versuchte sie es mit Kniffen, und nun blieb Thor nicht mehr fest auf den Füßen, und es waren da starke Schwünge, und es dauerte kurze Zeit, da fiel er mit einem Bein auf das Knie. Utgardaloki trat hinzu, bat sie, mit dem Ringkampf aufzuhören , und sagte, es sei nicht mehr nötig, daß Thor anderen Männern im Gefolge das Ringen anbiete. Es war da auch Nacht geworden. Er wies ihm und den Gefährten Sitze an, und sie blieben die Nacht und waren in guter Pflege.

Aber am Morgen, sowie es Tag wurde, stehen Thor auf und die Gefährten und kleiden sich an und sind fertig fortzugehen. Da kam Utgardaloki an, und er ließ ihnen auftragen, er sparte nicht an guter Kost, an Speise und Trank, und als sie gegessen hatten, machten sie sich auf die Fahrt. Utgardaloki begleitet sie, er geht mit ihnen fort aus der Burg, und als sie Abschied nehmen, sprach er Thor an und fragt ihn, wie denn nun nach seiner Meinung ihm diese Fahrt geraten sei? Und ob er je einen mächtigeren Mann getroffen hätte als ihn? Thor sagt, daß er das nicht leugnen könne, daß er keine große Ehre eingelegt habe bei diesem Zusammensein, "und ich weiß, daß ihr mich einen kleinen Mann nennen werdet, der nichts vor sich brachte und damit bin ich schlecht zufrieden" . Da antwortete Utgardaloki: "Nun will ich dir die Wahrheit sagen, wo du aus der Burg heraus bist, und wenn ich lebe und etwas zu bestimmen habe, so sollst du nie wieder hineinkommen. Meiner Treu, das weiß ich, du wärst schon jetzt nie hineingekommen, wenn ich vorher gewußt hätte, daß du so viel Kraft mit dir brachtest. Und du hättest uns beinah in große Not gebracht, aber mit Blendwerken habe ich dich getäuscht. Das erste Mal im Wald begegnete ich euch; und als du den Speisesack öffnen solltest, hatte ich ihn mit Eisendraht zugebunden und du fandest die Stelle nicht, wo er zu öffnen war. Und danach schlugst du nach mir mit dem Hammer drei Schläge, und der erste war der schwächste und war doch so stark, daß es mit mir aus gewesen



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wäre, wenn er mich getroffen hätte. Aber du sahst ja bei meiner Halle eine Anhöhe, und darin sahst du oben drei viereckige Täler, und eins war das tiefste; das waren deine Hammerspuren, die Anhöhe zog ich vor mich wegen deiner Schläge, aber das sahst du nicht. So war es auch mit den Spielen, mit denen ihr meinen Leuten zusetztet. Das erste unternahm Loki, er war sehr hungrig und ass rasch, aber der ogi heißt, das war das Wildfeuer, und es verbrannte den Trog ebenso rasch wie die Speise. Als denn Thjalfi den Wettlauf versuchte mit dem, der Hugi heißt, da war das mein Gedanke, und es war für den Thjalfi keine Aussicht, dessen Schnelligkeit zu bezwingen. Als du aus dem Horn trankst und es dir schien, daß es sich langsam leere, meiner Treu, da geschah ein Wunder, wovon ich nicht glaubte, daß es geschehen könnte, das eine Ende des Horns war draußen im Meer und das sahst du nicht; aber wenn du nun zum Meer kommst, kannst du sehen, welchen Schwund du in das Meer getrunken hast: der heißt nun Ebbe." Und er fuhr fort: "Nicht weniger bewundernswert schien mir, daß du die Katze aufhobst, und, um dir die Wahrheit zu sagen, alle erschraken, die es sahen, als du ihren einen Fuß von der Erde brachtest. Die Katze war nicht, was sie schien, sie war die Midgardschlange, die um alle Länder liegt, und ihre Länge half ihr kaum, und auch das nicht, daß sie mit Haupt und Schwanz sich an die Erde klammerte, solange recktest du sie empor, bis sie dicht am Himmel war. Auch das war ein großes Wunder beim Ringkampf, daß du solange stehen bliebst und nicht tiefer fielst als mit einem Bein auf das Knie, als du mit Elli rangst. Denn noch keiner wurde geboren, und keiner wird geboren werden; wenn sie alt werden, fällt das Alter alle. Nun will ich dir die Wahrheit sagen: nämlich, daß wir uns trennen wollen, und es wird für beide Teile besser sein, daß ihr nicht wiederkommt, um mich zu besuchen. Ein andermal will ich meine Burg schützen mit diesen Künsten oder anderen, so daß ihr keine Macht über mich erlangt." Aber als Thor diese Rede hörte, griff er nach dem Hammer und schwingt ihn in der Luft. Doch als er zuschlagen will, sieht er nirgends einen Utgardaloki, und er kehrt. um zur Burg und will sie zerstören, da sah er weite und schöne Täler, aber keine Burg. Nun kehrte er wieder um und ging seine Straße so lange, bis er zurückkam, nach Thrudwang.

Der Anfang dieser Abenteuer führt uns gleich in die Welt von Märchen und Sage. Die Geschichte von den verspeisten und



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belebten Böcken, auf alten Glauben zurückweisend, wird von alten und neuen Völkern gern erzählt. Der Form der Edda (daß der Gott die eigenen Böcke tötet und zu neuem Leben erweckt, daß er seinen Wirt damit speist und daß ein Bock lahmt) stehen, wie karl von Sydow zeigte, irische Berichte am nächsten, ihnen ist sie wohl auch entlehnt. Aus dem Irischen stammt, wie der gleiche Forscher zeigte, auch der zugebundene Speisesack des Skrymi. Sonst gleichen die Erlebnisse von Thor und den Seinen mit Skrymi wieder denen, die in Märchen und Schwänken Menschen bei Riesen überstehen. In einer Tiroler Geschichte z. B. fährt ein Bauer mit seinen von zwei Ochsen gezogenen Wagen in einen mit Gestrüpp bewachsenen Hohlweg und wird plötzlich in großem Bogen herausgeschleudert: er war in die Naslöcher eines Riesen geraten und der hatte ihn in die weite Welt geniest. Riesenhandschuhe kennt namentlich die dänische überlieferung. — Skrymi, den auch der stärkste Hammerschlag nicht verletzt, ist wieder dem starken Hans des Märchens an Unempfindlichkeit ebenbürtig: die Menschen, die sich von diesem befreien wollen, werfen einen Mühlstein auf ihn, und er beschwert sich, daß die Hühner im Sand kratzen und die Körner auf ihn fallen. Der Thor aber, der so tückisch nach Skrymi schlägt, benimmt sich wie der Riese des Märchens, in dessen Haus nachts ein Mensch einkehrt. Er schlägt mit Keulen oder Eisenstangen nach ihm, der Mensch verkriecht sich und behauptet am folgenden Morgen, eine Fliege hätte ihn gestochen. Die Vertiefung in den Felsen, als Schlag eines Riesenhammers gedeutet, ist ein allgemein sagenhafter Zug; in Telemarken scheinen Sagen derart besonders verbreitet.

Die Fahrt zu Utgardaloki ist dann wieder eine Fahrt zur Hölle, das versichert uns ausdrücklich, wie schon bei Geirröd, Saxo. Dessen Thorkillus, der dem Thor entspricht, wird von Verleumdern zum Ugarthilocus in die Unterwelt geschickt, begegnet unterwegs scheußlichen Riesen, die ihn erst auf den rechten Weg weisen,



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nachdem er ihnen zweimal drei Wahrheiten gesagt und findet in einer Höhle den gefesselten Ugarthilocus, dem er eines seiner stinkenden Haare ausreißt.

Was Utgardaloki von Thor und den Seinen verlangt, wie er sie betrügt, auch sein Kunststück am Schluß: daß er und seine ganze Behausung verschwindet, das vollzieht sich ebenfalls wie Blendwerk und Gaukelspiel der Hölle. Wir erinnern auch hier an die keltischen Fabeleien vom Jenseits. Ganz ähnlich spielen sich übrigens die Vorgänge in der Rahmenerzählung der Gylfaginning ab. König Gylfi wünscht die Macht und Weisheit der Asen kennen zu lernen und verkleidet sich als alter Mann, die Asen täuschen ihm eine Halle vor, er erblickt auf ihren drei Hochsitzen drei mächtige Männer, Ha (der Hohe), Jafnha (der Gleichhohe) und Thridi (der Dritte), denen fragt er alle Geschichten über das Wesen und die Sagen der Götter, über Weltanfang und Weltende ab. Als er zum Schluß von der neuen Welt gehört, erhebt sich ein gewaltiges Geräusch, er steht auf freiem Feld und sieht weder Halle noch Götter.

Die einzelnen Taten des Thor, Thjalfi und Loki entsprechen aber einer alten Volkssage, die man noch heute in deutschen und osteuropäischen Landschaften erzählt und die in den Sagenkreis vom geprellten Teufel gehört. Der christliche Teufel übernahm darin die Rolle des dummen Riesen, die in der Edda Thor und die Seinen spielen müssen. Der Teufel der Sage will mit dem Menschen um die Wette laufen, der Mensch scheucht einen Hasen, angeblich seinen Enkel, aus dem Busch, und der ist schneller. Danach erbietet sich der Teufel zum Ringen: der Mensch verweist ihn an seinen Großvater, das ist aber ein Bär, und der richtet den Ringer übel zu. Zum Schluß rühmt sich der Teufel, er könne Lasten tragen, und trägt ein Pferd davon, der Mensch trägt es zwischen den Beinen, d. h. er reitet darauf. Das Laufen, Ringen und Tragen hat der Dichter der Edda beibehalten, es um Essen



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und Trinken vermehrt und einzelne Proben verdreifacht. Statt des Pferdes der Sage setzte er außerdem die Midgardschlange ein: Thor kämpfte nun auch hier, ohne es zu wissen, mit seiner Hauptfeindin. Das Essen und Trinken verwandelte er dann in grotesk-komische Leistungen. Der wirkliche Wettlauf mit dem Hasen schien ihm auch zu einfach, er erzählte den Wettlauf mit den Gedanken: es ist eine alte tiefe, von Homer schon gekannte, Vorstellung , daß der Gedanke des Menschen die schnellste aller Schnelligkeiten besitze. An Stelle des einmaligen und wirklichen Ringens mit den Bären trat schließlich der verzweifelte, halb lächerliche, halb tragische Kampf des Menschen mit dem Alter, der sich immer wiederholt, und in dem wir immer unterliegen.

Unser Komplex von Geschichten erhält also, bei Skrymi und bei Utgardaloki, sein Gepräge durch die Sagen aus dem Kreis von Wettkampf von Mensch und Riesen, Mensch und Teufel. Die kleinen und die großen Götter werden hier, und nur hier, von den Riesen gedemütigt. Mit diesen Fabeleien vermischen sich Geschichten irischer Herkunft: die belebten Böcke, der zugebundene Speisesack, die Höllenfahrt und ihr Blendwerk. Außerdem erscheint uns irisch der Kampf des Gottes mit der Katze und das Prahlen mit Essen und Trinken beim fröhlichen Mahl. Die grotesken und wenig würdigen aber komischen Situationen, in denen Thor sich uns vorführt, gleichen denen in den Sagen von Hrungni, Aurwandil, Hymi auf ein Haar: dort lag der Gott unter einem Riesenbein, schleppte einen anderen Gott im Korb mühselig übers Eis, wurde von einer mitleidigen Alten versteckt und lief, den Kessel über den Kopf gestülpt, davon, so rasch ihn die Beine trugen. Hier übernachtet er im Handschuh des Riesen, schlägt mit der ganzen Kraft und mit immer lächerlicherem Erfolg auf den Riesen ein, läuft hungrig hinter dem zugebundenen Speisesack her, kriecht zwischen den Gitterstäben einer Burg hindurch, trinkt, daß ihm der Atem ausgeht und trinkt doch nichts, kann eine sich



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buckelnde Katze nicht aufheben und sinkt beim Ringkampf mit einer alten Frau in die Knie. Endlich scheint der Eddadichter auch die Anregung zu seiner tiefen symbolischen Auffassung aus irischen Geschichten geholt zu haben. In Irland laufen manche Geschichten um, die der unsern gleichen und die aus ähnlichen Anfängen kommen werden. Hier nennen wir davon: Vier Helden sollen einen Widder binden und können es nicht, aber eine Katze kann es. Der alte Mann, in dessen Haus sie diese Schmach erleben, tröstet sie: der Widder sei die ganze Welt, die Katze aber, die ihn bezwungen, der Tod. Und in der Nacht, als die Helden schlafen, besucht sie die Tochter des Alten, die Jugend, und keiner van ihnen kann sie festhalten; sie läßt nur für einen ein Korn der Schönheit zurück, und seitdem widersteht diesem keine Frau.

Die verwegene Gewichte der Edda erscheint bei den Iren als wehmütiges Märchen: in der Hütte des Alten ziehen in einer Nacht Heldentum und Schönheit, Jugend und Alter, Tod und Welt vorüber, und das Heldentum unterliegt, und der Tod bleibt stärker als die Welt, und die Jugend entflieht uns zu früh und die Schönheit wird nur einem Erlesenen zuteil, damit Frauen sich daran betören.

Weitverbreitete Märchen, keltische Phantasie, keltischer übermut und keltischer Tiefsinn — welch eine reiche Welt! — sind also in die Märchen von Thor und Utgardaloki gezogen. Das Verdienst des nordischen Erzählers ist der lebendige Vortrag und die geistreiche Auffassung. Besonders im letzten Teil verwandelt sich eine hübsche und derbe Volkssage in eine in überlegenem Humor, spielender Ironie, dramatischer Anschaulichkeit und geistreichen Einfällen immer neu aufblitzende Erzählung. Doch den alten Gott Thor zeigt sie uns nicht mehr, sie gefällt sich dann, einen dummen, heimtückischen Riesen zu verspotten, der des Gottes Namen trägt.

Die nordischen Aussagen über Thors Erscheinung, Umgebung



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und Verwandtschaft entsprechen genau den Sagen von Thor und haben sich ebenso entwickelt. Die germanische Vorstellung des Gottes blieb, die Dichter prägten ihre Gewalt den nordischen Hörern immer von neuem ein, auf seinem Wagen — er heißt Wagen-Thor — fährt der Gott über den Himmel, den Hammer Mjölni, den Zermalmer, hält er in der Faust, Böcke ziehen den Wagen — als Tiere der Fruchtbarkeit, oder als Tiere. die dem Blitz gleich springen? In den Sagen und jüngeren Eddaliedern fährt Thor nicht, sondern wandert unermüdlich zu Fuß, und erscheint plötzlich, wenn man ihn ruft. Die sagen schildern ihn einstimmig als schönen, stolzen Mann in seiner besten Kraft mit rötlichem Haar und Bart, im Unterschied von Odhin zeigt er sich frei und unverhüllt. Kraftgürtel und Eisenhandschuh verleihen erst späte Sagen und Lieder dem Gott, es sind Orden, wie sie das Märchen gern austeilt, und keine Mehrung, sondern eine Minderung der alten großen Kraft. — Die Erde ist, wie im Germanischen, Thors Mutter, und hieß Jördh und Fjörgyn. Ob Hlodhyn auch eine Mutter Erde war, können wir nicht entscheiden: möglich scheint uns, daß sie als Gemahlin Odhins die Mutter Thors wurde; die skaldischen und eddischen Dichter machten, kaum vor dem 9. Jahrhundert, Odhin zum Vater Thors. Eine recht künstliche Genealogie, denn wie feindselig treten in den späteren Dichtungen Odhin und Thor gegenüber! — Der Glaube an einen innigen Zusammenhang von Thor und der Erde beherrscht vor allen Dingen die Sagen von Thor, Hrungni, Aurwandil, Groa; alte, mütterliche, kluge und wahrsagende Frauen nehmen den Thor gern in Schutz. Wie eine groteske, geistreiche aber freche Umkehrung dieses religiösen Zusammenhanges erscheint uns nun der Zug, daß Thor bei Utgardaloki einen unrühmlichen Ringkampf mit einem alten Weibchen besteht. — Thors Gattin, Haewa oder Sif ist eine Göttin der Ehe und Sippe, wie wir schon wissen, Loki sucht der Sif ihre Kraft, ihr Haar zu rauben und läßt ihr


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von geschickten Zwergen ein neues, goldenes, schöneres herstellen; auch hier spielt das Märchen mit einer alten kultischen Vorstellung. — Thors Söhne, Modi und Magni, aus den Beinamen des Vaters erwachsen, herrschen im neuen Reich der Götter an des Vaters Stelle; den Magni haben die Skalden ja ebensowenig mit ihrem Spott verschont wie den Vater. Der Pflegesohn Wingni und eine Pflegetochter Hlora sind skaldische Personifikationen des geschwungenen Hammers und des zuckenden Blitzes. Thors Bruder ist Meili.

Als Tochter von Thor und Sif wird Thrud, die Kraft, erwähnt, mit ihr haben auch erst die Skalden den Gott beschenkt. Ein sehr spätes Eddalied, die Alwismal, meldet, daß ein Zwerg um diese Tochter freit, und daß Thor, den Märchenvätern gleich, die ihr Kind um keinen Preis hergeben wollen, dem Freier die schwersten Aufgaben stellt. Er verlangt von dem Zwerg Auskunft über die Namen, die alle Dinge tragen, Erde und Himmel, Mond und Sonne, Wolke und Wind, Luft und Meer, Feuer, Wald und Nacht, Saat und Trank, bei den Menschen, ben Asen, den Wanen, den Riesen, den Elben und in der Hölle. Alwis, der Allwissende, weiß überall Bescheid, doch der Gott hat ihn trotzdem überlistet, er hielt ihn durch Fragen hin, bis die Sonne aufgeht, und das Tageslicht. ihn tötet. Das ist wieder ein besonders von nördlichen und östlichen Völkern gern erzähltes, dem Traum entsprungenes Märchenmotiv, es führt uns auch in die Welt des Rätsels. Antworten der Götter durch den Mund der Zauberer und Priester auf bange Fragen der Menschen, das scheinen die ältesten Rätsel, der Glaube an die prophetische Macht des Traumes hat ihre Macht verstärkt. Im Norden spielen sich die uns erhaltenen Rätseldichtungen zwischen Gott und Zwerg, Gott und Riese, Gott und König ab, sie sind eine neue Form des Themas vom Wettkampf der Riesen und Zwerge mit den Göttern.

Die Alwismal sind außerdem ein Erzeugnis virtuoser Skalden



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kunst, eine echt isländische Verbindung oon Märchen, Rätsel und dichterischer Gelehrsamkeit. Sie verspotten, und das ist das Hübscheste an ihnen, ihre eigene Überkunst und prahlen mit ihrer Namenkenntnis und ihrer verwickelten Anlage. Diese ist den Wafthrudnismal nachgebildet, und der Rahmen, daß nämlich zwei kluge Wesen ihre Klugheit messen, und eins dem andern die Weisheit abfragt, scheint eine Erfindung irischer Poeten. Edwin Jessen sagt über die Alwismal:

Machen wir zum Verständnis des Liedes ein Gedankenexperimnent. Lassen wir eine Anzahl altertums- und skaldendichtungskundiger Isländer beisammen sein, die sich auch mit literarischen Exerzitien die Zeit vertreiben. Es wird die Aufgabe gestellt, in katechisierender Form nach Muster der Wafthrudnismal eine Sammlung von 6x13 Vergleichen und anderen Umschreibungen für Erde, Himmel, Mond, Sonne usw. zu liefern. Derjenige, dem dies zufällt, löst die Aufgabe genau, kann sich aber nicht enthalten, über diese Art der Gelehrsamkeit und Poesie ein wenig zu ironisieren. Den Gelehrten macht er zum allweisen Zwerg, der den Riesen Wafthrudni noch übertrifft, indem er auch die dreizehnte Frage beantwortet. Und der dennoch in seinem Eifer nicht bemerkt, daß sogar der ungelehrte und unweise Thor doch mehr Klugheit hat, und daß seine Gelehrsamkeit beim ersten Strahl des Tageslichts unnütz wird und in Nichtigkeit vergeht. Noch deutlicher wird die Ironie, wenn man sich erinnert, daß dieser geistige Zwerg sich einer näheren Verbindung mit den größten himmlischen Mächten fähig glaubt.

Den alten echten Thor zeigen die Alwismal natürlich nicht. Aber der Gott, den die Riesen foppen, besiegt wenigstens die Zwerge, und diesmal nicht durch rohe Kraft wie bei Balders Bestattung , sondern durch seinen Geist.

Als Gott des Bauern und des Landmanns unterschied sich der Thor der Nordleute sehr bald von Odhin, dem Gott der Fürsten und ihrer Dichter. Da beide Götter jeder ihr Gebiet für sich hatten, konnte ihre Verehrung friedlich nebeneinander bestehen, wir hören daher von manchen Männern, die den Thor und den Odhin anriefen. Auch gab es unter den Edlen und Fürsten viele, die nicht



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in den Krieg und zu Beutezügen fuhren, sondern die in der Heimat die Werke des Friedens pflegten; für sie blieb Thor der mächtigste Gott, sie legten in seinen Tempeln und vor seinen Bildsäulen ihre Opfergaben nieder.

In der Edda aber geraten Thor und Odhin in einen sehr wahrnehmbaren Gegensatz. Das Leben des Bauern ist seßhaft und still. Es spielt sich ab in einem kleinen Kreis regelmäßig wiederkehrender Pflichten und bringt immer die gleichen Eindrücke. Die nordischen Helden dagegen trieb ihre Lust an Abenteuern immer in neue Fernen, sie erfüllten sich mit immer neuen Erlebnissen, ihr Dasein wurde überreich und unstet, ihre unaufhörlichen Kämpfe zeigten ihnen den jähen und grausamen Wechsel des Geschicks. Odhin hat den ganzen Reichtum jenes Heldentums und die Tücke seines Schicksals in sich aufgenommen. Was wir von Thor hören, sind Kämpfe, und immer wieder Kämpfe, gegen Riesen und immer wieder gegen Riesen, Kämpfe, deren Ausgang man immer schon vorher wußte; die Riesen wurden jedesmal bezwungen und jedesmal ungefähr in derselben Weise, Thor war stärker und zerschlug ihnen Kopf und Knochen.

Den Dichtern der Edda und der Skalden, die in immer wechselnden Geschehnissen, in der tragischen Verkettung der Dinge, in der ewigen Ungewißheit des Daseins, in überlistung und ränkevollem, , klugem Spiel, im Glanz fürstlicher Hofhaltung lebten, konnte dieser einfache Gott nicht genügen. Sie bewunderten wohl sein Heldentum, seine überkraft, seine nie umsonst angerufene, immer gern und schnell gewährte Hilfe, und sie besangen seine Kämpfe in mächtigen Liedern, denen sie die Kraft und Pracht ihrer Vergleiche und Schilderungskunst gaben. Zugleich aber fiel es ihnen auf, daß der Gott immer durch seine Stärke allein siegte und ratlos dasaß, wenn nur Geistesgegenwart, Witz und List helfen konnten. Sie fingen früh an, ihn zu verspotten. Späteren Dichtern erschien Thor als ein unausstehlicher Prahler, und sein ewiges



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Fressen, Saufen und Raufen wurde ihnen langweilig; sie machten sich ein Vergnügen daraus, den Gott in Lagen zu bringen, aus denen er, trotz aller seiner Kraft, gedemütigt und gefoppt herauskam, oder sie behaupteten geradezu, wie bei der Szene von Balders Bestattung, daß die anderen Götter den Thor gewaltsam zurückhalten mußten, damit er durch seinen plumpen Jähzorn und sein unüberlegtes Dreinschlagen nicht unabsehbaren Schaden stifte.

Ein ganz spätes Eddalied, das Harbardslied, schildert den Gegensatz zwischen Odhin und Thor mit derbem und geistreichem, manchmal etwas verletzendem Humor. Odhin, der sich Harbard nennt, und sich als Ferge verkleidet nicht zu erkennen gibt, weigert dem von Osten kommenden Thor die überfahrt und zwingt ihn endlich, sich den Weg über Land zu suchen. Mit der zornig ausgestoßenen Behauptung, er werde sich ein andermal rächen, zieht Thor ab.

Beide Götter rühmen sich ihrer Taten, Thor weiß nur von vernichteten und erschlagenen Riesen, Riesenweibern, erwürgten Berserkern , Odhin schafft Krieg auf Krieg, erhebt die Sturmfahne, rötet den Stahl, betrügt die Riesen und betört die Frauen. Er weiß seine Erfolge so lockend zu erzählen, daß sogar den Thor darnach gelüstet, und er schmunzelnd behauptet, er beiße nicht immer wie ein alter Lederhandschuh im Frühjahr. Zugleich verhöhnt Odhin den armen Thor als Landstreicher, weil er ohne Hosen und barfuß herumlaufe, als erbärmlichen Schlucker, weil er mit Stolz erzählt, er habe sich den Leib mit Hering und Hafergrütze vollgeschlagen, dann als einen Wicht, Feigling und Prahler, dabei bleibt er immer gewandt und schlagfertig, durch keine Beschimpfung aus seiner Ruhe zu bringen, während Thor keine Antwort hat als Drohungen, Wutanfälle oder ruhmredige Worte.

Viel tiefer und ernsthafter faßt die ältere Sage von Starkad den Gegensatz oon Thor und Odhin auf.

Odhin hatte unter dem Namen Hroßharsgrani den Starkad erzogen.



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Einst träumte diesem, daß sein Pflegevater ihn an eine einsame Stelle im Walde führte, wo elf Asen saßen, die Hroßharsgani als Odhin grüßten. Sie sollten Starkads Schicksal bestimmen. Thor, der ihm als einem Riesensohn ungünstig war,, verweigerte ihm Nachkommenschaft. Odhin gab ihm drei Menschenalter, Thor sagte, er solle in jedem ein Neidingswerk tun; Odhin bestimmte ihm die besten Waffen, Thor versagte ihm Landbesitz; Odhin schenkte ihm fahrend Gut im überfluß, Thor legte hinzu, daß er niemals genug haben solle. Odhin gab ihm Sieg in jedem Streit, Thor fügte bei, daß er aus jedem eine tiefe Wunde davontragen solle; Odhin gab ihm Skaldenkunst, Thor ließ ihn seine Lieder vergessen; Odhin machte ihn beliebt bei den Mächtigen, Thor verhaßt beim Volk.

***
Odhin gibt dem Starkard alles, was der Wikinger Held sich ersehnt; langes Leben, die besten Waffen, Sieg, Reichtum, Poesie und die Gunst der Könige. Thor, erfüllt von Sorgen und Kummer um sein Volk, sieht mit feindlichen Blicken auf dies Leben der Mächtigen, dessen Fluch die Unfruchtbarkeit bleibt und die Untreue , heimatloses Umherziehen, unstillbare Gier nach Schätzen, tiefe Wunden und trotz allen Ruhmes ewige Vergessenheit. Die eigenen Kräfte verzehren sich in dieser Sucht nach Krieg und Abenteuern, die den Wikinger durch die ganze Welt treibt; er vernichtet sich selbst und entzieht seine Kraft seinem Volk und seinem Land, in dem sie so viel segensreicher gedeihen können.

Ist es möglich, das Wesen vom Gott des Volkes und vom Gott der Helden klarer zu scheiden, den Ruhm und die Tragik des Wikinger Lebens erschütternder zu schildern, als diese Geschichte es scheidet und schildert, die doch nur nach alter Märchenart einen Traum zu erzählen vorgibt?

Dem Odhin hat die Dichtung der Edda Alles gegeben, ihr verklärtes Heldentum und ihre letzte Weisheit, ja sie hat ihn geschaffen . Dem Thor hat sie am Ende Alles genommen, der starke, freundliche Gott der Germanen war ihr zu gering. Sie hat ihn zu einem Kinderschreck erniedrigt, erzählte von ihm die schönsten Sagenb .1 13



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Geschichten, machte über ihn vergnügte Späße und die letzten Worte, die wir von ihm hören, sind die des Harbardliedes: er war ein ohnmächtiger Prahlhans.

Die Abneigung vom Adel gegen das Volk, vom Gelehrten gegen den Ungelehrten, vom abenteuernden Wikinger gegen den seßhaften Bauern erklärte aber die Geschichte Thors im Nordischen nicht ganz, auch nicht, wenn wir noch an die Spottsucht der Isländer erinnern. Wir müssen noch eines beherzigen: Thor als der eigentliche germanische Gott war der Hauptgott des nordischen Heidentums, er vor allen mußte darum dem Christentum zum Opfer fallen, dem sich die Könige, die Skalden, die Gelehrten zuerst anschlossen. Deshalb durfte man ihn so ungestraft verhöhnen: die späten isländischen Fabeleien erhalten nun einen tieferen religionsgeschichtlichen Sinn. Spielerisch in der Form, vernichtend in der Wirkung kämpften sie gegen den Gott, der den heidnischen Germanen der liebste war, und trafen ihn mitten ins Herz. Stolzer und gefaßter ist kaum eine Religion von ihren alten Anhängern geschieden als die nordische Religion von Thor. Wir denken noch einmal an jene Sage, in der Thor schöner und ritterlicher, als alle christlichen Herren, dem christlichen König entgegentritt, ihm von Seinen Taten erzählt, von der Vertilgung aller seiner Freunde durch den neuen Glauben, ihn bitter lächelnd ansieht, und, der Rache entsagend, für immer im brausenden Meere verschwindet.


4. Odhin

Wodan war unter den alten germanischen Göttern der ruhelose und herrschsüchtige. Er hat seine Herrschaft in fortdauerndem Kampf gegen andere Götter erweitert. Vom Kampf um die Herrschaft hallen auch die nordischen Berichte über Odhin — der Name Wodan wurde über Woden im Nordischen zu Odhin — wider; von ihnen aus, indem wir ihn dem Wesen der bekämpften Götter gegenüberstellen, wollen wir sein Wesen zu erfassen suchen.



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Bei den Germanen hatte Wodan den Tiu verdrängt, so daß dieser für immer im Hintergrund blieb, die bewegten Mächte des Heldentums siegten über die ruhenden. Im Nordischen verblaßte Thor neben dem Glanz und der unentrinnbaren Gewalt, die von Odhin ausströmte; in dieser Entwicklung erkannten wir soziale, künstlerische und religiöse Mächte. Bei den Kämpfen mit Ull und Metodhin erwies Odhin sich als der stärkere Zauberer. Um die Zauberkraft drehen sich auch die Berichte von den Kämpfen der Asen unter Führung Odhins mit den Wanen. Der Name Wanir ist wohl verwandt mit wini Freund und bedeutet "die Holden, die Gütigen", zu ihnen gehören vor allem Nerthus, Njördh, Frey, Freyja, Gottheiten der Fruchtbarkeit und des Reichtums.

Uns liegen die Aussagen über die Kämpfe von Wanen und Asen in verschiedener Fassung vor. Die älteste erhält in einigen Strophen die Wöluspa, heroisch und geheimnistief vorgetragen, entsprechend der großen Art des Gedichtes:

Sie (die Seherin) gedenkt des Volkskriegs, des Ersten der Welten, als sie mit Geren die Gullweig stießen, und in des Hohen (Odhins); Halle sie brannten, dreimal brannten, die dreimal geborne, oft, unselten und immer doch lebt sie. Heidhe hießen sie jene, wenn zum Hause sie kam, die weissagende Mölwa, des Wahrsagens mächtig zauberte sie, wo sie konnte, zauberte frohlockend, immer war sie böser Weiber Wonne. Da gingen die Richtenden alle zu ihren Ratstühlen, die grundheiligen Götter, um dies zu besprechen, ob die Asen sollten Einbuße leiden und ob alle Götter Opfer empfangen. Es schleuderte Odhin und schoß in die Scharen, das blieb der Weltkrieg, der Erste der Welt, zerbrochen war der Burgwall der Burg der Asen, kampfgrimme Wanen gewannen das Feld.

Gullweig (die Goldreiche) und Heidhe sind dieselben göttlichen Frauen und beides Beinamen für Freyja. Besinnen wir uns nun darauf, daß man den Zauber des Metodhin brach, indem man ihn köpfle und pfählte (S. 145), so enthüllt sich uns auch der Sinn der Gullweigstrophen: die Götter suchen den Zauber, den die Wanen üben, zu bewältigen, indem sie ihre mächtigste und betörendste



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Zauberin verbrennen und mit Speeren mißhandeln. Doch es ist umsonst, sie lebt wieder auf und ihr Zauber wird begehrter. Da greift Odhin ein und entfesselt den Zauber des Krieges, indem er seinen Speer über die feindlichen Reihen schleudert — das scheint die sakrale Handlung, die den Kampf eröffnet. Aber auch im Krieg bleiben die Wanen standhaft. Nun werden sie und mit ihnen ihr Zauber — so müssen wir fortfahren — in die Gemeinschaft der Götter aufgenommen. Der Dichter der Wöluspa faßt diesen Vorgang auf als die erste Befleckung der Götter durch Künste, die sie vorher verschmähten, die zweite Befleckung war der Eidbruch gegen den Riesenbaumeister. —

Von Zauberwettkämpfen und Blendwerken der Asen mit dem König Gylfi — er ist den Wanen verwandt, Gylfi, Gefjon, Gullweig gehören eng zusammen — in denen aber die Asen die Oberhand behalten, erzählt später Snorri in der jüngeren Edda und in der Ynglingasaga. An einer Stelle ergänzt er den Bericht der Wöluspa in uns recht willkommenen Sätzen.

Odhin fuhr mit einem Heer gegen die Wanen, aber sie wehrten sich gut und verteidigten ihr Land und hatten mehrmals den Sieg. Jeder verheerte das Land des andern und richtete Schaden an. Doch als das leid wurde ihnen beiden, da setzten sie untereinander die Vergleichsbedingungen fest und schlossen Frieden und tauschten Geiseln: es gaben die Wanen ihren stattlichsten Mann Njördh, den Reichen, und seinen Sohn Frey und die Asen den als Entgelt, der Höni hieß. Den Njördh und Frey setzte Odhin als Opferpriester ein und sie waren Priester bei den Asen. Die Tochter des Njördh war Freyja, sie war Opferpriesterin und sie zeigte zuerst den Asen den Zauber, der bei den Wanen gebräuchlich war.

Wenn nun im Berichte vom Kampf der Asen und Wanen neben der Tapferkeit die Zauberkraft der beiden Gegner nachdrücklich hervorgehoben wird und Odhin als der Häuptling der Asenzauberer gilt, so müssen die Nordleute, wie die alten Germanen, die Zauberkraft für ein entscheidendes Merkmal in Odhins



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Wesen gehalten haben. Wir erwarten demgemäß, noch andere Berichte über seine Zauberei zu finden: und so ist es. In den Hawamal, einer Sammlung von Strophen und Liedfragmenten, meist aus dem 10. Jahrhundert, die dem Odhin in den Mund gelegt werden, rühmt sich der Gott seiner Zauberkünste.

Lieder kann er (1) gegen Sorgen und Schmerzen (2), gegen Krankheiten, er kann (3) des Feindes Schwert abstumpfen, daß seine Waffen nicht beißen, seine Stöcke nicht schlagen, er kann (4), wenn man ihm die Glieder fesselt, die Sprüche, daß er wieder zu gehen vermag und von den Füßen die Fessel springt, von den Händen der Strick, er kann (5) einen fliegenden Pfeil im Lauf anhalten, wenn er ihn nur erblickt, er kann (6) einen andern, der ihn verwunden will, indem er zauberische Runen auf Baumwurzeln ritzt, eher verderben, als dieser ihn, er kann (7) die im Saal um die Bankgenossen auflodernden Flammen durch Beschwörungen dämpfen, er kann (8) aufwachsenden Haß zwischen Helden rasch beschwichtigen, er kann (9) den Wind auf den Wogen beruhigen und das ganze Meer einschläfern, er kann (10) die luftfahrenden Heten verwirren, , daß sie den Heimweg nicht finden und nicht finden die alte Gestalt (die sie mit einer angenommenen vertauschten), er kann (11) alte Freunde, die in den Kampf fahren, durch seinen Schildgesang vor jedem Unheil beschützen, er kann (12) durch Runenzauber den Gehängten von Bäumen lösen und ihm die Sprache zurückgeben, er kann (13) den jungen Helden so ins Wasser werfen, daß kein Schwert ihn fällt: die höchste Weisheit ist sein, der Zwerg gab den Asen Kraft, den Elben Tüchtigkeit, dem Hroptaty (das ist Odhin) Einsicht.

Als Beschwörer der Flammen (7) erschien Odhin vor uns in der Inschrift der Nordendorfer Spange und in dem Grimnismal. Diese teilen auch die Worte mit, die das Feuer bannen sollen: heiß bist du, Hurtige, und loderst zu hoch, geh fort, Flamme" . Der Kunst des Fessellösens (4) waren die dem Odhin verwandten idisi mächtig (S. 81), Wodan den Arzt (1, 2) zeigt uns der zweite Merseburger Zauberspruch und ihn schildert, nicht ohne Schaudern, Saxo. Der Zauber des Schildgesanges ist gleichfalls germanisch, er geschieht aber vor allem im Dienste Donars. Wind und Wogen (9) besänftigt eigentlich Njördh, Odhin übt in der Edda



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diesen Zauber zugunsten der Wölsungen. Die Meisterschaft über die Runen, die Macht über die Heren, das Dunkelste und Stärkste in Odhins Walten, fällt dem großen Zauberer von selbst zu.

Besonders merkwürdig scheint uns die Mitteilung, daß Odhin Gehängte beleben und von ihrem Baum herabholen konnte (12). In anderen geheimnisvollen Strophen der Hawamal sagt der Gott nämlich:

Er habe neun Nächte am windigen Baum gehangen, vom Speer verwundet, sich selbst geweiht, an dem Baum, von dem niemand weiß, aus welchen Wurzeln er wächst, weder mit Speise noch mit Trank habe man ihn gelabt, er habe niedergeschaut, die Runen aufgehoben und sei heruntergefallen. Neue gewaltige Lieder habe er von dem berühmten Sohn Bolthorns, dem Bruder der Vestia gelernt, und einen Trunk bekommen von dem kostbaren Met, aus Odhreri geschöpft, da begann er zu gedeihen und klug zu werden, zu wachsen und wohl sich zu gehaben, das Wort fand vom Worte zum Wort, das Werk fand vom Werke zum Werk.

Wir deuten diese Strophen noch immer so, daß Odhins eigentliche Tat war die Lösung eines am Baum hängenden, ihm geweihten Toten, durch die Macht der Runen. Das galt als sein Meisterstück. Durch Fasten und durch Dürsten und durch ein Leben in der Einsamkeit erwarb er die erforderlichen Kräfte — viele Zauberer, auch die nordischen, rüsten sich so zu ihren Taten —, und als das Werk gelang, war er berühmt und fühlte selbst, wie er wuchs. — Der Gehängte, in den der Gott des Zaubers fuhr, erschien späteren Dichtern als der Gott selbst. Sie schilderten, daß der Gott nicht nur gefastet, daß er sich selbst erhängt, und selbst belebt habe. Diese dunkle, geheimnisvolle Sage erhöhten dann die Skalden durch ihren Tiefsinn und durch ihre Gelehrsamkeit: aus dem Baum machten sie den Weltenbaum, sie ließen Odhin die Lehren des weisen Mimi —das ist Bolthorns Sohn —empfangen, dieser aber labte ihn nicht durch einen irdischen Trank, sondern durch den himmlischen Trank Odhreri.

Die Aufzählung der alten und dunklen Zauberkünste Odhins



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unterbricht der Dichter der Hawamal immer von neuem (I, 5, 8, 11, 13) durch die Schilderung des Zaubers, der im Krieg und für den Helden wirkt, und der den Gott zum Gott der Helden emporgehoben hat: die Grundmelodie seiner Zauberstrophen ist eine heroische. Odhin macht die Waffen des Feindes stumpf, hält den fliegenden Pfeil im Lauf an, beschwichtigt den Haß der Helden und schützt den jungen Degen durch heiliges Wasser.

Wir vergleichen nun mit den Strophen der Hawamal die berühmte Schilderung des Zauberers Odhin in Snorris Ynglingasaga:

Odhin war der stattlichste von allen (Göttern) und von ihm lernten sie zuerst alle Künste (1), weil er zuerst alle kannte und die besten. Und das ist zu sagen, warum er so ausgezeichnet wurde, das kam von diesen Gründen: er war so schön und stattlich von Antlitz, wenn er saß mit seinen Freunden, daß allen das Herz lachte. Aber wenn er im Heere war, so schien er grimmig seinen Feinden, und das kam daher, daß er die Künste kannte, daß er Leib und Farbe wechselte, jederzeit (2), wenn er wollte . . ., Odhin konnte bewirken, daß im Kampf seine Feinde blind oder taub oder furchterfüllt wurden und ihre Waffen schnitten nicht mehr als bloße Gerten (3), aber seine Männer fuhren ohne Brünnen und waren wild wie Hunde oder Wölfe, bissen in ihre Schilde und waren stark wie Bären oder Stiere (4), sie erschlugen die Scharen, aber weder Feuer noch Eisen hatte ihnen etwas an, das heißt der Berserkergang (5). Odhin wechselte die Gestalt, es lag da sein Leib wie schlafend oder tot, er aber war Vogel oder Tier, Fisch oder Schlange und fuhr in einem Augenblick in entlegene Länder in seinen Angelegenheiten oder in denen anderer Männer (6). Das konnte er auch allein mit Worten bewirken, Feuer zu löschen (7), die See zu beruhigen (8), Winde zu wenden (9). . . . Odhin hatte auch mit sich das Haupt Mimis und es sagte ihm viele Nachrichten aus anderen Welten (10) und zu Zeiten weckte er tote Männer aus der Erde (11) oder setzte sich unter die Gehängten (12), deswegen hieß er der Herr der Gehängten oder der Herr der Toten. Er besaß zwei Raben, die er zum Sprechen gezähmt hatte (13), sie flogen mit in die Lande und sagten ihm viele Nachrichten. Von diesen Dingen wurde er sehr klug. Alle diese Künste lehrte er mit Runen und den Liedern, die Zaubersprüche (galdrar) hießen, deswegen sind die



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Asen genannt Zauberschmiede. Odhin kannte die Kunst, von der die Macht ausgeht, und er übte sie selbst, sie heißt seidh (Zauberei), deswegen vermochte er das Schicksal der Männer und ungeschehene Dinge zu wissen (14) und den Männern zu bringen Tod oder Unglück oder Krankheit und so auch den einen Klugheit und Kraft zu nehmen und den andern zu geben (15) und den Göttinnen wurde diese Kunst gelehrt (16). Odhin wußte um alle Erdschätze, wo sie verborgen waren und kannte die Lieder, daß sich aufschloß vor ihm Erde und Felsen und Steine und Hügel und er band allein die mit Worten, die davor hausten, und ging hinein und nahm alles, was er wollte (17). Von diesen Kräften ward er sehr berühmt, seine Feinde fürchteten ihn, aber seine Freunde trauten ihm und vertrauten seiner Kraft und ihm selbst.

Die Macht über Waffen (3), über Wind und Wogen (8, 9), über Feuer (7), über Gehängte (12), über Krankheit und Gesundheit (15) haben der Odhin der Hawamal und der Odhin der Ynglingasaga gemeinsam. Tote beschwört Odhin (11), als er die Wölwa durch seine Zauberworte aus starrem Todesschlaf weckt. Die "Einsicht" Snorris betont Odhin sinnfälliger als die Hawamal und steigert sie in das Wissen von verborgenen und künftigen Dingen (14), bringt sie auch in das volkstümlich Schaurige, in die Kunst, versunkene Schätze zu heben und die Schatzwächter zu bannen (17). Dagegen ist das Kriegerische und das Heroische in Odhins Wesen in den Hawamal stolzer und stärker ausgemalt und ebenso Odhins Macht über die Heren und über böse Runen. Snorri fügt eine Charakeristik der berserkir hinzu (d. h. der Bärenhüllen tragenden). Was er von ihnen mitteilt, die übermenschliche und unbändige Stärke, die Unverwundbarkeit, wenn ihre Anfälle über sie kamen, entspricht genau den Erscheinungen, die uns durch die Werwolfkrankheit und verwandte Krankheiten bei alten und neuen Völkern bezeugt sind, und die jetzt noch bei Primitiven und im Orient beobachtet werden. Weiter hebt Snorri hervor, Odhin hätte den Zauber den Göttinnen gelehrt und sei selbst der Meister alles Zaubers gewesen (1, 16 ): den Meister und Lehrer Wodan führte uns schon der zweite Merseburger Spruch vor (S. 46), und



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die Hawamal betonten, wie Odhins Zauber dem Zauber anderer Gottheiten überlegen sei. Der Zauber mit Mimis Haupt (10) ist uns auch nicht ganz fremd, nicht nur eine longobardische überlieferung meldete Ähnliches (S. 104), auch die isländische Saga kennt Häupter, in denen die Kraft des Verstorbenen bleibt und die Königen die Zukunft enthüllten. An einer anderen Stelle berichtet Snorri ausführlich, wie Odhin Mimis Haupt salbte und befragte.

Mimi, den klugen und prophetischen Wassergeist, verehrten schon die Germanen: war Metodhin, Schicksalsgott, sein Beiname? Der Beiname würde aus Mimis Wesen hervorgehen und die überlieferungen von Odhin und Mimi und Odhin und Metodhin würden sich dann so ergänzen, daß der Zaubergott Odhin und der prophetische, weisheitstiefe Mimi um die Herrschaft kämpften, daß Odhin wohl Sieger blieb, daß er aber die Weisheit des anderen nicht entbehren konnte. Bald hieß es, er gab ihm sein Auge, bald, er behielt und befragte feinen abgeschlagenen Kopf. Wenn Metodhins Kopf abgeschlagen wird, damit sein Träger endlich ganz dem Tod verfalle, und wenn die Wanen den Mimi enthaupten , aus Zorn, daß die Asen sie beim Geiseltausch betrogen, so sind das spätere Deutungen und Verwirrungen. Die kultische Sage von Odhin und Mimi Metodhin, die wir erschlossen, liefe, wie wir schon andeuteten, der Sage vom Kampf der Asen und Wanen ganz parallel (S. 145).

Neu ist uns, daß Snorri so lange bei den Verwandlungskünsten Odhins verweilt und sie offenbar als das Zauberhafteste in Odhins Zauberwesen empfindet (2, 6). In der Sage von Odhin und Odreri verwandelt sich Odhin von einem Menschen in eine Schlange und in einen Vogel. Einer Jungfrau erscheint er als Heerführer, als Goldschmied und als Frau, in der Sage von der Brawallaschlacht schickt er seine Seele in den Wagenlenker des Königs, und er fährt ja auch in die Gehängten, um sie zu beleben . Wirklich darf die Verwandlungskunst als die Kunst des



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Zauberers, als sein Befähigungsnachweis, gelten: unzählige Zeugnisse, von den alten Griechen und Indern bis zu den gegenwärtigen amerikanischen und australischen Völkern rühmen sie ihren Zauberern nach. Sie ist, wie auch Snorri weiß, eine bewußte Steigerung der Erlebnisse des Traums: der Zauberer versetzt sich in einen traumähnlichen Zustand, durch mancherlei Künste, und vollbringt bewußt, was der Traum unbewußt vollbringt. Im Traum wandert die Seele und kehrt beim Erwachen in den Leib des Menschen zurück, der Zauberer trennt die Seele vom Leibe, wann er will, und schickt sie, wohin er will. Nun entdeckt sich uns auch die Bedeutung und der Ursprung von Odhins Raben (13). Die zwei Raben sind spätere Verdoppelung, der eine Rabe war Odhins Seele in Rabengestalt — wie oft erscheint die Seele als Vogel — und Odhin schickt sie durch die Welt. Früher trennte sich die Seele vielleicht von dem schlafenden Gott und flog morgens in den Erwachenden wieder hinein. Noch die Gylfaginning erzählt, daß der Gott die Raben morgens aussendet und daß sie vor dem Frühstück wiederkehren. Die Raben heißen hugin: Gedanke und munin: Erinnerung, das sind Namen von seelischen Kräften, für uns Deutsche von teuerster Bedeutung. —

Das Bild von Odhin als Zauberer, das uns die nordischen Berichte ausmalen, ist erstaunlich reich und ungemein lebendig; es führt wieder mitten in primitive, alte und ewig junge Vorstellungen . Wären die Zauberkräfte nicht Urkräfte des Gottes gewesen, sie hätten sich nicht so vielfältig entwickelt, Odhin hätte auch nicht gerade sie an der Kraft der Gegner und Nebenbuhler gemessen. Auch die Entwicklung von Odhin als Zauberer zeichnet sich vor uns noch klar erkennbar ab. Im 10. Jahrhundert treten die dunklen und dämonischen Züge vor den heldenhaften und kriegerischen zurück, sie breiten sich dann wieder aus und werden sinnfällig betont. Snorri faßt die einzelnen Aussagen in seiner Art systematisch zusammen. Man vergleiche mit seinen Ausführungen



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die Schilderung, die ein berufener Kenner von den finnischen Zauberern entwirft.

Sie beherrschen Menschen und Dinge, Tiere und Geister, sie heilen Krankheiten und wenden sie ab, aber sie können sie auch hervorrufen, sie sind imstande, höhere Wesen günstig zu stimmen und sich Hab und Gut zu verschaffen, sie verstehen der Jagd, dem Fischfang, der Reise einen günstigen Ausgang zu sichern, sie erzeugen, aber sie beschwichtigen und verjagen auch Wind und Wolken, Nebel und Stürme, sie wissen sich selbst und andere zu verwandeln, ja sie besitzen sogar die Macht, sich als Geister in die Luftregion zu erheben oder in die Welt der Toten herniederzusteigen, um ihr die Geheimnisse zu entreißen.

Wir wenden uns nunmehr zu der Sage von Odhin und Odhreri. Snorri erzählt:

Das war der Anfang, daß die Götter Unfrieden mit dem Geschlecht hatten, das die Wanen heißt, aber sie setzten mit ihnen Friedensbedingungen fest und schlossen die Versöhnung derart, daß sie jeder von einer Seite zu einem Gefäß gingen und hineinspien ihren Speichel. Aber als sie sich trennten, nahmen die Götter das Gefäß und wollten das Versöhnungswerk nicht verderben lassen und schufen daraus einen Mann, der heißt Kwasi. Es ist so klug, daß niemand ihn nach Dingen fragt, für die er nicht Antwort weiß, und er fuhr weit in die Welt, um von den Menschen Weisheit zu lernen. Als er zum Besuch zu zwei Zwergen kam, zu Fjalar und Galar, da riefen sie ihn zu sich zur Zwiesprache und erschlugen ihn. Sie ließen sein Blut rinnen in zwei Gefäße und einen Kessel und das heißt Odröri, aber die Gefäße heißen Son und Bodn, aber sie vermischten Honig mit dem Blut und es ward daraus ein Trank, daß jeder, der davon trinkt, ein Skalde wird oder ein Weiser. Die Zwerge sagten den Asen, daß Kwasi erstickt sei an seiner Weisheit. Denn keiner wäre so klug gewesen, ihm seine Klugheit abzufragen. Da entboten die Zwerge zu sich den Riesen, der Gilling heißt, und seine Frau. Dann boten die Zwerge dem Gilling an, mit ihnen aufs Meer zu rudern. Aber als sie am Land vorbeifuhren, ruderten die Zwerge zu einer Untiefe und kippten das Schiff. Gilling konnte nicht schwimmen und versank , doch die Zwerge richteten das Schiff auf und ruderten an Land. Sie sagten seiner Frau den Vorfall, aber sie hörte es mit Schmerzen und weinte laut. Da fragte Fjalar sie, ob ihr der Sinn nicht leichter würde, wenn sie hinausführe auf die See, wo ihr Mann versunken war,



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und sie wollte das. Nun sprach er mit Gjalar, seinem Bruder, daß er über die Tür laufen sollte, wenn sie hinausging, und ihr einen Mühlstein aufs Haupt fallen lassen, und sagte, ihm sei leid ihr Weinen, und so tat jener. — Als das Suttung erfuhr, der Sohn Gillings, fährt er herbei und nahm die Zwerge und bringt sie auf die See heraus und setzt sie auf eine Flutklippe (von der Flut überspielte Klippe). Da bitten sie den Suttung, er möge ihr Leben schonen, und bieten ihm als Buße für den Vater den kostbaren Met. Der Vergleich wurde angenommen, es bringt Suttung den Met heim und hütet ihn da, wo es heißt Hnitbjörg, und setzt da zur Bewachung seine Tochter Gunnlöd.

Nun kommt die Sage dazu, daß Odhin in die Welt fuhr und er kam dorthin, wo neun Knechte Heu mähten, und fragt, ob sie wollten, daß er ihre Sensen wehe. Sie bejahen das, da nimmt er einen Schleifstein aus seinem Gürtel und wetzt ihre Sensen. Doch ihnen schien es, als schnitten die Sensen viel besser und sie feilschten um den Wetzstein. Er bestimmte es nun so, daß der, der es kaufen wollte, einen angemessenen Preis zu zahlen hätte, aber alle sagten: sie wollten und sie baten, es ihnen zu verkaufen. Doch er warf den Schleifstein in die Luft hinauf und alle wollten ihn greifen und sie vermengten sich so dabei, daß jeder mit der Sense den Hals des anderen durchschnitt. Odhin suchte Nachtrast bei dem Riesen, der Baugi heißt, dem Bruder Suttungs. Baugi meinte, es sei sein Besitzstand wenig zufriedenstellend und sagte, daß seine neun Knechte sich erschlagen hätten, und meinte, er habe keine Aussicht auf Arbeiter. Odhin nannte sich bei ihm Bölwerk, er erbot sich, die Arbeit von neun Männern bei Baugi auf sich zu nehmen, und wollte einen Trunk aus Suttungs Met. Baugi sagte, er habe nicht die Entscheidung über den Met, er betonte, die werde Suttung allein haben, aber gehen wolle er wohl mit Bölwerk und versuchen, ob sie den Met bekämen. Bölwerk tat im Sommer die Arbeit von neun Männern, aber im Herbst bat er den Baugi um seinen Lohn. Da fuhren sie beide zu Suttung, es sagt Baugi seinem Bruder den Vertrag von ihm und Bölwerk. Aber Suttung verweigert schroff jeden Tropfen Met. Da rät Bölwerk dem Baugi, sie sollen eine List versuchen, wenn sie an den Met kommen wollen, und Baugi heißt das gut. Nun zieht Bölwerk hervor den Bohrer, der Rati heißt, und fordert, daß Baugi den Fels durchbohren soll, wenn der Bohrer faßt, er tut das. Da sagt Baugi, daß der Fels durchbohrt ist, doch Bölwerk bläst in das Bohrloch und der Felsstaub wirbelt ihm entgegen. Nun sah er, daß Baugi ihn betrüben will, und befahl, den Fels



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zu durchbohren. Baugi bohrte noch einmal, Bölwerk blies das zweite Mal, da flog der Staub hinein. Da nahm Bölwerk die Gestalt einer Schlange an und schlüpfte in den Gang des Bohrers. Doch Baugi stach nach ihm mit dem Bohrer und verfehlte ihn. Bölwerk schlüpfte dahin, wo Gunnlöd war, und lag bei ihr drei Nächte und sie erlaubte ihm, vom Met drei Trunke zu trinken. Im ersten Trunk trank er alles aus Odhreri, im zweiten alles aus Bodn, im dritten alles aus Son, und er hatte da allen Met. Da nahm er ein Adlerkleid an und flog davon, so gewaltig er konnte. Aber als Suttung den Flug des Adlers sah, nahm auch er sein Adlerkleid und flog ihm nach, und als die Asen sahen, wohin Odhin flog, da setzten sie vor das Haus ihre Gefäße. Und als Odhin nach Asgard kam, da spie er den Trunk mitten in das Gefäß, aber es war so nah daran, daß Suttung ihn erreichte, daß er etwas Met hinten herausließ und der wurde nicht berechnet, es nahm den, der wollte, und wir nennen das der Dichtertröpfe Anteil. Aber Suttungs Met gab Odhin den Asen und den Männern, die schöpfen und arbeiten können. Deshalb nennen wir die Skaldenschaft den Fang und Fund Odhins und seine Gabe und den Trank der Asen.

Der Kern unsrer Sage ist uns noch im Gedächtnis: sie schildert die Gewinnung des Wassers und kombiniert die Vorstellungen, daß es in Töpfen verborgen war, von Tieren verschluckt wurde und aus den Bergen hervorbricht (S. 90). In den Hawamal, die ja auch von dieser Dichtung wissen, erbohrt Odhin selbst den Felsen, schlüpft auf dunkeln Wegen zwischen den Riesen hindurch und seht sein Leben aufs Spiel. Nach dem Weg durch Gefahr und Finsternis erquickt ihn Gunnlöd, auf goldenem Stuhl sitzend, mit dem kostbaren Trank, aus dem einfachen Wasser wurde das Wasser des Lebens und aus diesem der Trank der Götter. Odhin verläßt sie zum Lohn für ihre Liebe und schwört auch ihrem Vater und den andern Riesen, die ihn nach Bölwerk fragen, falsche Eide, weinend läßt er Gunnlöd, betrogen den Riesen zurück, der Trank ist bei den Göttern, aber um welchen Preis! Heilige Eide sind gebrochen, gütiges Vertrauen und hingebende Liebe betrogen.

Diese Darstellung des 10. Jahrhunderts ist geschlossen, großartig in ihren Kontrasten, bitter in ihrer Tragik, ein Denkmal



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jener Anschauung, die auch die Verse der Wöluspa vom Wortbruch der Götter am Riesenbaumeister durchklingt (S. 175). Auch an das Motiv vom Nibelungenring müssen wir denken, der so viel List, Mord, Gewalt und Betrug in alle Welten gesät hat. Eben in Anlehnung an die Nibelungendichtung ist die Geschichte vom Göttertrank, wie wir sie bei Snorri finden, erweitert. Hier wie dort Zwerge, Riesen, Götter im Kampf um einen Schatz, hier wie dort zwei Riesenbrüder, die sich einen Schatz abjagen wollen, den ein Dritter dann erlangt, hier wie dort der ohnmächtige und heimtückische Zorn des Riesen, der sich um seinen Lohn betrogen sieht. Ferner erscheinen Motive aus dem Märchen vom starken Hans, die gerade die späteren Dichtungen von Sigurd schmücken, in unserer Dichtung: wie der starke Hans tut Odhin um geringen Lohn Dienst, verrichtet die Arbeit von vielen Knechten und bringt die Knechte dazu, daß sie sich die Hälse abschneiden. Zu diesen Erweiterungen gesellen sich andere. Die Fahrt zum Wasser gleicht der Fahrt zum Wasser des Lebens und diese gleicht der Fahrt ins Jenseits; in Jenseitsmärchen gehören die zusammenschlagenden Berge, hnitbjörg, die Symplegaden, es gehört in sie die Beschenkung der Knechte mit guten Werkzeugen und der Weg von einem Riesen zu dessen Bruder. Weiterhin erinnert die Verfolgung des als Vogel flüchtenden Gottes durch den Riesen, der sich in einen Vogel verwandelte , an die Verfolgung des Odhin durch Hrungni, des Loki durch Thiazi und wird gleich ihnen auf ein irisches Märchen zurückgehen, das dem Kreis der Jenseitsmärchen nahe steht. Der Mühlstein , den die bösen Zwerge auf die Riesen werfen, ist aus einer anderen Märchenfamilie zugewandert, aus Geschichten, die uns vom Besuch der Menschen bei Unterirdischen, Zwergen usw. erzählen. Diese ängstigen ihre Gäste gern durch Mühlsteine, die sie an dünnen Fäden über ihre Köpfe hängen, und durch ähnliche Qualen. Endlich ist, wie wir wissen, der sonderbare Brauch, zum Zeichen des Friedens in ein Gefäß zu spuken, der Brauch primitiver Völker (S. 104).


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Die Dichtung vom Göttertrank wurde von den späteren Skalden in ein überreiches und zu verwickeltes Gewebe oon Motiven verwandelt . Der Dichter des 10. Jahrhunderts streifte das Element des Jenseitigen und Wunderbaren, das die alte Geschichte vom Wasser und vom Lebenswasser sicherlich enthielt, vielleicht zu weit ab, um die Fabel zu vertiefen. Im 12. Jahrhundert, zu Snorris Zeit, warf der Dichter zu viel von diesem Reichtum darüber. Damit verstärkte er ihr mythisches Interesse: die Dichtung führt uns wieder in den Kampf der Riesen, der Zwerge und der Götter. Die Riesen sind im Besitz oder setzen sich in den Besitz erlesener Kostbarkeiten, die Zwerge erschlagen einen Riesen, werden aber von dem andern so leicht außer Kampf gesetzt wie Loki oon Geirrödh, den Riesen besiegt wieder ein Gott. Odhin besteht Abenteuer wie Thor, übt Listen wie Loki; vielleicht gehörte diese ganze Raubsage eigentlich gar nicht ihm. Wir können aber vermuten, warum sie ihm zufiel: weil er seit langem der Herr des berauschenden Trankes, des Göttertrankes, war.

Den Göttertrank machen nun die späteren Skalden zum Dichtertrank , durch ihre Kunst wird die ganze Sage dann zu einem echt skaldischen Preis der Dichtung. Kwasi ist die Dichtung, von allen Göttern geschaffen, von Zwergen und Riesen umkämpft, von einer gütigen Frau beschützt, und endlich vom höchsten Gott noch einmal erobert und von den Göttern für immer geborgen: von den Göttern geht die Dichtung aus und zu den Göttern kehrt sie wieder zurück. Das schillernde Gewebe der Erfindung, das in später Zeit über die Fabel geworfen wurde, erscheint uns nun wie das üppige und endlose Spiel der Phantasie. Die Zwerge verhöhnen, boshaft und geistreich, Dichtung und Weisheit: Kwasi, sagen sie, erstickte, weil ihm niemand sein Wissen abfragen konnte. Unter den Menschen versuchen sich viele Tröpfe an der Gottesgabe und bringen sie in Verruf, natürliche Angst ist ihr nicht fremd. Aber die echte Dichtkunst bleibt das Geschenk der Götter und der Lohn für die strenge Arbeit der Berufenen.



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Seltsame und verschlungene Schicksale waren dieser Geschichte aus der Urzeit beschieden! Das Wasser verwandelte sich in das Wasser des Lebens, in den Göttertrank, in den Dichtertrank, die Dichtung ins Märchen, ins Heroische und Tragische, wieder in buntes, wirres Märchentreiben, und endlich in Poetik, in eine tiefsinnige Fabel über Wesen, Werden und Wirkung der Poesie. Daß sie in den Geist und die Spottsucht der mittelalterlichen Isländer mündete, war kein unrühmliches Ende. Wieviel Kunst allein liegt in der Abtönung der Namen! Man beachte nur den Wechsel von hell und dunkel, schwer und leicht, hart und weich in den Klanggruppen: Kwasi, Fjalar, Galar; Gilling; Hnitbjörg, Bölwerk, Odhreri; Son, Bodn; Gunnlödh, Suttung, Odhin. —

Wir betonen nun noch einmal, daß Odhin als Gott des Zaubers und als Gott des Krieges, als göttlicher Ahnherr der Heldengeschlechter und als Führer der Seelen von Deutschland nach dem Norden zog. Saro und Snorri erzählen beide von seiner Einwanderung . Wenn sie melden, daß Odhin von Byzanz oder von Kleinasien über Rußland nach dem Norden kam, so ist das vielleicht nicht nur gelehrte Fabelei. Denn wir wissen, daß ein Kulturstrom vom 2. Jahrhundert n. Chr. vom Schwarzen Meer und dem Südosten Europas nach dem Norden floß (S. 20), mit ihm wanderte manche Kunst, wanderten die Runen und wanderte wohl auch manche Göttersage. Wodansagen waren unter diesen Sagen allerdings kaum, denn Wodan war, wie es scheint, den Goten unbekannt. Die Wanderungen von Wodan nach dem Norden gehen andere Wege, vom Rhein und Niedersachsen zum alten England und nach Dänemark und nach Schweden und Norwegen: in Fünen (Odense aus Odinsey), in Seeland (Onsved), in Schweden erinnern Namen an Odhins Kult. Namen dieser Art sind in Schweden sehr häufig, in Norwegen weniger verbreitet.

Dänische Heldenlieder des 10. und der folgenden Jahrhunderte entwerfen uns von Odhin ein heroisches, hinreißendes und schreckenstiefes



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Bild. In seiner künstlerischen Wirkung ist es reiner als das anderer germanischer Dichter. Im Bjarkilied entfesselt Odhin den Angriff der übermacht auf den geliebten König und Helden Hrolf und mäht ihn und sein Gefolge dahin, zuletzt seinen jüngsten und seinen ältesten Getreuen, zugleich schenkt er ihnen einen Tod des Ruhmes und der Treue, wie ihn noch kein Held fand. Denselben Hrolf und die Seinen prüft Odhin unerkannt, ob sie allen Forderungen an den Helden gewachsen sind. Was Odhin dem Starkad gab und nahm, haben wir bereits erfahren: den Starkad, der wie Bjarki ein Repräsentant des alten Heldentums war, rauh, kriegerisch und in seiner Treue unerschütterlich, verleitet Odhin zum Verrat an seinem geliebten Herrn, dem Frotho rät Odhin, wie er einen Drachen töten solle. Von Harald Kampfzahn erzählt uns Saro:

Der König hatte die Seelen aller von ihm Erschlagenen dem Odhin versprochen. Der Gott lehrte ihm die keilförmige Schlachtordnung und verlieh ihm auch, daß ihn kein Eisen verletzen konnte. Als aber Haralds Vertrauter, Bruni, gestorben war, fuhr Odhin in seinen Leib und säte solange Zwietracht zwischen Dänen und Schweden, wo Haralds Neffe Ring herrschte, bis beide Könige sich den Krieg ansagten. Sie rüsteten sieben Jahre zur Entscheidungsschlacht auf dem Brawallafeld in Schweden. Der altersblinde Harald stand auf einem Wagen und erhob seine Stimme, so laut er konnte, seine Scharen anzufeuern. An seiner Statt hatte Bruni die Schlachtreihen in Keilform geordnet. Nun begann die ungeheure Schlacht, an der viele gewaltige Helden und Walküren teilnahmen. Das Glück wandte sich gegen die Dänen. Der blinde Harald entnahm es dem traurigen Gemurmel der Seinigen. Er hieß Bruni seinen Wagenlenker, beobachten, wie Ring sein Heer geordnet habe. Lachend erwiderte Bruni, der Feind kämpfe in Keilordnung. Bestürzt und erstaunt hierüber fragte der König, von wem Ring diese Weise der Heerscharung erlernt habe, da doch Odhin deren Erfinder und Meister sei und von ihm niemand, als er, Harald selbst, in dieser neuen Kriegskunst unterrichtet worden. Als Bruni hierauf schwieg, ahnte der König, jener sei Odhin, und der ihm einst befreundete Gott habe, sei es, um ihm zu helfen oder die Hilfe zu entziehen, solche Gestalt angenommen. Da begann er, ihn anzuflehen,



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daß er den Dänen, welchen er sonst gnädig sich erzeigt, auch diesmal den Sieg verleihen möge; auch versprach er wieder, die Seelen der Gefallenen dem Gotte zu weihen. Bruni aber, ungerührt durch diese Bitten, warf plötzlich den König aus dem Wagen, stieß ihn zu Boden, entriß dem Fallenden die Keule und zerschmetterte ihm damit das Haupt. Da wollte Ring nicht länger kämpfen. Dem gefallenen Harald veranstaltete er eine königliche Leichenfeier.

Nach unsrer Auffassung entwickelt sich diese Dichtung aus einem heroischen Lied der Völkerwanderungszeit, dessen Anfänge wir im s. Jahrhundert erkennen, in einem Berichte Procops über den Kampf der Heruler und Longobarden, und von dem uns im 8. Jahrhundert Paulus Diaconus eine großartige Anschauung verschafft: Blend- und Zauberwerk kehren sich auch in seiner Darstellung feindselig und unerbittlich gegen die gerechte Sache. Bei Sato ist Odhin zugleich Meister des Krieges, der Kriegskunst uno der Zauberei, und Odhin ist wankelmütig und tückisch und unersättlich wie der Krieg. Wieviel Opfer verlangten schon der Wodan und der Tiu des Tacitus! Odhin ist nicht genügsamer geworden. Gegen keinen Gott wurden so viel Vorwürfe gerichtet, er ist und bleibt der Treulose, aber der Tod, dem der Gott die Seinen ausliefert, ist doch der Tod der Helden.

Den Odhin der Schweden schildert uns vor allem der eben besprochene Bericht der Ynglingasaga. Vom Tode dieses Odhins meldet uns Snorri außerdem, daß der Gott sich mit der Schwert-spitze zeichnen ließ und sich alle Waffentoten nochmals zueignete. Schwedische Sagen wissen ebenfalls von Königen, die sich dem Odhin weihen und denen er dann den Sieg gibt, dem König Erich erscheint er als großer Mann mit einem Schlapphut, und gibt ihm einen Rohrstengel, den soll er über das feindliche Kriegsvolk werfen mit den Worten: Odhin hat euch alle. Nach diesen Worten kam Blindheit über .Styrbjorn und die Seinen und ein Bergsturz erschlug sie. — Odhin, fährt Snorri fort, ging nach dem Götterheim, um dort seine Freunde zu begrüßen, man legte



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ihn auf einen Holzstoß und verbrannte ihn unter großem Prunk. Die Schweden glaubten, daß er vor großen Schlachten sich zeige (wie manche mit dem wilden Jäger verwandten Helden der deut-wen Volkssage) und dem einen den Sieg gebe, den anderen zu sich entbiete: beide Lose dünkten ihnen gut. Dem König Aun in Schweden schenkte Odhin zehn Jahre für jeden Sohn, den er ihm opferte, er brachte neun Söhne als Opfer und wurde uralt. Das Volk opferte, wenn alle anderen Opfer versagten, sogar seinen König dem Gott.

Andere Könige sind dem Odhin seit ihrer Geburt verlobt. Von den nordisch germanischen Geschlechtern hing keines so innig mit Odhin zusammen, wie die Wölsungen. Späte Erzähler haben den Schutz, den Odhin diesen Helden gibt, gesteigert und ins Abgeschmackte übertrieben. Andere Szenen der Wölsungasaga, in denen Odhin mächtig und geheimnisvoll lockend eingreift, sind durch keltische Phantasie in ihrer unvergeßlichen Wirkung gesteigert worden, so jene Szene, in der Odhin erscheint, und das Schwert in den Baum stößt, das nur der herrlichste Held lockern kann, und jene andere, in der er als Ferge den Sinfjötli auf schmälern Nachen ins Jenseits führt. Dem alten Sigmund tritt im heißesten Kampf ein einäugiger Mann mit blauem Mantel und breitem Hut entgegen, an seinem Speer zerbricht Sigmunds Schwert, Sigmund erkennt, daß seine Stunde geschlagen und geht gern in Walhall ein. Er fügt sich gern, fast freudig, dem höheren Willen: wie anders, wie trotzig ist Bjarki in seiner Todesstunde, er schmäht den Odhin mit wilden Worten und seine Frau besänftigt ihn mit Mühe.

Trotz aller Untreue und Tücke wollten die nordischen Könige, die schon das Christentum bekannten, von Odhin nicht lassen: seine Welt war auch ihre Welt. Das Volk weinte dem Odhin wohl keine Träne nach, aber Schicksal, Heldenschaft und Ruhm der Großen waren für immer mit Odhin verkettet.



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Viele Sagen ergehen sich in den Berichten, daß Odhin unerkannt in das Gefolge eines Königs sich mischt, ihm abends von den alten Helden und ihren Taten erzählt und ihn durch seine Worte ganz bezaubert. Schließlich gibt der Gott sich halb und halb zu erkennen, worauf die Könige, die noch eben ganz im Bann des alten Heidentums standen, sich auf einmal auf ihren christlichen Glauben besinnen und, um sich selbst zu betäuben, den heidnischen Verführer verjagen. Einer dieser Berichte sei hier mitgeteilt ; wie Uhland sich ausdrückt, spielt das Heidentum hier besonders feindselig und verlockend in das Christentum hinein.

Olaf der Heilige befand sich beim Gastmahl in Wik, da trat vor ihn grüßend ein unbekannter Mann, der um seinen Namen befragt sich Gest nannte und bat, beim Hofgefolge verweilen zu dürfen. Er trug kurzen Rock und über das Antlitz hängenden Hut, war blödsichtig und gebartet. Der König machte nicht viel aus dem Ankömmling, wies ihm den Sitz abseits der Gäste an und hieß die Leute wenig mit ihm verkehren. Abends aber berief er ihn vor sein Bett und fragte, was er von Kurzweil verstehe. Da ward unter ihnen vieles von den Königen der Vorzeit und ihren Taten gesprochen. Auf Gests Frage, welcher von den alten Königen Olaf am liebsten gewesen sein möchte, gab dieser zur Antwort, ein Heide möchte er überall nicht sein, doch am liebsten noch Hrolf Krakis fürstliche Milde haben, unbeschadet des Festhaltens am Christenglauben. Gest sprach weiter: " Warum wolltest du nicht sein wie der König, der Sieg hatte wider jeden, mit dem er Streit führte, dem an Schönheit und Fertigkeit keiner in Nordlanden gleich kam, der ebenso anderen wie sich selbst in Kämpfen den Sieg zu geben vermochte, und dem die Dichtkunst zu Gebot stand wie anderen Männern die bloße Rede?" Der König erhob sich da, griff nach dem Meßbuch und wollte damit nach Gests Haupt schlagen. "Du," sprach er, " der schlimme Odhin möchte ich zuletzt sein." Gest aber fuhr wieder dahin, woher er gekommen war, und der König lobte Gott, daß dieser unreine Geist, der in Gestalt des schlimmen Odhin erschienen war, keine Trugrede vorzubringen vermochte, die irgendeinen Schatten auf die glänzende Blume seines heiligen Glaubens geworfen hätte.

Odhin als Gott der Helden und der Könige wurde in Norwegen und Island zugleich der Gott der Skalden, d. h. der Gott



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der Dichter und der Weisheit, er gewann dadurch einen neuen, tiefen Glanz und eine neue, tiefe Verklärung. Wir haben diesen Weg da und dort schon vor uns gesehen. Der Odhin der Saga und wohl auch der des Volkes wandert durch die Welt: der skaldische Odhin sprengt auf seinem Roß durch die Lüfte. Dieser skaldische Odhin bringt den Göttern den Dichtertrank, verpfändet dem Mimi ein Auge, um die Schicksale der Welt zu erfahren, weckt, von der Sorge um Balder gepeinigt, die schlafende Wölwa aus ihrer Todesstarre, mißt seine Weisheit mit Riesen und irdischen Königen. Unerkannt tritt der Gott bei dem weisen Riesen Wafthrudni ein, beantwortet dessen Fragen über Tag und Nacht, Götter und Riesen und fragt dann jenen nach der Schöpfung der Welt und nach der Herkunft aller Dinge, nach Sommer und Winter , nach Asen und Wanen. Zum Schluß fragt er ihn nach den Worten, die der Vater der Götter seinem toten Sohn Balder ins Ohr raunte, bevor man ihn auf den Scheiterhaufen hob. Den König Heidrek versucht der Gott ähnlich, er fliegt, als dieser ihn erahnt, davon. Mit Saga sitzt Odhin an einem seine Wasser herabstürzenden Bach, beide trinken aus goldenen Schalen. Der Gott, der über dem Schicksal waltet, die Göttin, der die Geschicke des Volkes ihren verborgenen Sinn enthüllen, lauschen der ewigen Melodie und der wahrsagenden Macht des Wassers und schöpfen aus der verjüngenden Flut neues Leben. Der Odhin der Skalden rafft die Helden nicht unersättlich und tückisch dahin: er holt sich die Erlesenen nach Walhall, damit sie im letzten Kampf gegen die Riesen und gegen die Dämonen der Finsternis ihm Beistand leisten. Der schwedische Odhin eignete sich vor seinem Tod noch alle waffentoten Männer zu, der skaldische, der sich zum letzten Kampf anschickt, setzt seinen goldenen Helm auf, nimmt den Speer in die Hand und reitet, still und groß, verklärter noch als die von ihm beschützten Helden, dem Tod entgegen. Dieser Odhin breitet die unerschöpfliche Fülle seiner Namen in einen gewaltigen, immer


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neu auffunkelnden Strahlenkranz um sich, er bezeichnet sich als den Gott der Siege, der Heere, der Helden, als den brausenden Gott des Sturmes, als den großen Erschrecker, als den Wanderer, als den Gott verdeckter und tiefer Weisheit, als den Empfänger der Opfer, als den Verhüllten, als den Geheimnisvollen —schließlich auch, unter dem Einfluß des Christentums, als den Erhabenen, den allmächtigen Vater, den Gott der Götter.

Den Empfang eines Königs bei Odhin in Walhall besingt ein Skalde des 10. Jahrhunderts in dem Eiriksmal. Diese sind auf Geheiß der Witwe zu Ehren des Königs Eirik gedichtet, der in blutiger Schlacht gegen den englischen König Eadmund gefallen war. Ich teile die Umdichtung des Liedes mit, die Wilhelm Hertz versuchte.

Welche Träume!" sprach Odhin, "mich trieb es vor Tag,
gefallenem Volk den Empfang zu rüsten.
Walhalls Helden weckt ' ich und rief:
Überspreitet die Bänke und spület die Becher!
Ihr Schildesjungfrauen, schaffet uns Wein,
Wie es Brauch in der Halle, wenn ein Herrscher kommt.
Gewärtig bin ich gewaltiger Gäste
aus der Lebenden Land; drum lacht mir das Herz."
Es dröhnt," sprach Bragi, " als drängten sich tausend,
eine mächtige Menge, heran.
Alle Bankdielen bersten, als ob Balder käme
wieder vor Wallhalls Tor." —
"Nicht weise fürwahr, und weißt du auch vieles,
redest du, ratkluger Bragi!
Vor Eirik donnert's, der eintritt hier,
der Held in die Halle der Helden.
Sigmund und Sinfiötli, sitzet nicht länger!
Auf, gehet entgegen dem Gaste!
Weist ihn ein bei mir, wenn es Eirik ist!
Sein Barr ' ich und hoff ' ihn zu schauen.


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Was harrst du," sprach Sigmund, " des Helden nur
vor den anderen Königen allen?"
Weil er rings in den Reichen gerötet den Stahl
und ein triefendes Schwert getragen."
"Und du nahmst ihm den Sieg, wo sein Sinn so kühn?" —
"Weil ungewiß ist, was wir ahnen.
Der würgende Wolf schaut mit wildem Blick
nach den goldenen Sitzen der Götter." —
Heil, Eirik!" sprach Sigmund, "geh zur Halle ein!
Willkommen, du Kühner, hier!
Eins will ich dich fragen: wer folgt dir nach
der Tapfern vom Schwertergetös?" —
Fünf Könige sind's. Ich künde die Namen.
Und sieh, ich selbst bin der sechste.
Ein fürstlich Gefolg bring ' zum Fest ich mit,
wo die Tüchtigen tafeln mit Odhin." —
Er stand, wie er kam vom Kampfgewühl;
aus der Rüstung rieselte rotes Blut,
und Odhin freut sich des Anblicks.
"Bringt Wein zum Willkomm!" rief Walvater froh,
"in der Stunde des Sturms brauch' ich Starke wie du.
Mein Hort sind Heldenhände.
Nicht bebte dein Herz, als der Helm dir barst;
nicht Graun, nicht Gram kennt dein grimmiger Sinn.
Hoch halt' ich die harten Herzen!
Drum sollst du zur Seite mir sitzen beim Mahl
und mit mir schlichten der Schlachten Los,
bis die Nacht, die unnennbare, naht." —

Die große Sammlung von Sprüchen und Liedfragmenten der Edda heißt ja "die Sprüche des Hohen" und dieser "Hohe" ist Odhin. Die beste und nützlichste Weisheit, die sie in den Erfahrungen und Abenteuern ihres wilden Lebens sich erworben, verkündete den Wikingern also ihr liebster Gott, seinen Unterweisungen vertrauen sie gern und ganz.



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Von den Hawamal verbreitet sich auch heute noch eine lebendige , unmittelbar packende Wirkung. Sie geben keine abstrakten Vorschriften, jede Lehre tritt vor uns als ein überzeugendes Bild oder als eine, sei es tröstende, sei es warnende Erfahrung aus dem Leben. über die Liebe zu treulosen Frauen äußert sich unser Dichter so:

Vertrauen auf falscher Frauen Liebe,
der Eisfahrt gleicht's mit unbeschlag'nem Roß,
zweijährigem, wildem, wenig gezähmtem
oder steuerlosem Segeln im stürmischen Meer,
des Hinkenden Jagd, der zu haschen versucht
das scheue Renntier auf schlüpfrigem Fels.

Der Dichter sagt auch nicht: der Mensch soll nicht allein bleiben, sondern er erzählt:

Einst war ich jung, ging einsame Wege,
   da verfehlt' ich den Pfad;
ich wähnte mich reich, als ein Wanderer kam,
   des Mannes Lust ist der Mann.

Und es heißt nicht, das Leben ist der Güter höchstes, sondern,

Leben ist besser, als Leiche zu sein,
         wer lebt, der kommt noch zur Kuh;
für den Reichen bestimmt sah ich rauchen die Scheite,
         er selbst lag tot vor der Tür.
Wer handlos, wird Hirt, der Hinkende reitet,
      der Taube taugt noch zum Kampf;
der Blinde ist mehr wert als der Verbrannte,
         ein Toter ist niemand zu Nutz.

Aus diesen Versen kann man wohl eine Art elementarer Lebensfreude herauslesen. Daneben steht eine klare, manchmal fast erschreckende Einsicht in die Gefahren, die überall auf uns lauern



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und deren schlimmste vom Menschen selbst kommt. Ein sehr feiner Kenner der alten Nordleute, Rosenberg, bemerkt darüber:

Es liegt eine schwermütige, ja fast wilde Grundstimmung hinter der scheinbar ruhigen Rede. Die Welt ist nun einmal, wie sie ist: voll von Unfrieden, Trug und Gewalt, ein Kampf aller gegen alle. Man muss sie nehmen, wie sie ist, mit den Wölfen heulen, unter denen man lebt, und sich selbst schützen, so gut man kann. Niemand tut etwas außer um seiner selbst willen; so gehe denn hin und tu dasselbe und sei auf deiner Hut; überall und allezeit! Es scheint uns in jeder Zeile etwas aus dem Innersten des Dichters entgegenzutönen. Es gibt nur einen Rat für den Menschen, daß er so viel als möglich sich bemüht, sein eigener Herr zu sein, den Kopf oben zu halten, die Augen offen und die Hand bereit zum Schlag — daß er auch dann nicht allzusehr am Leben hänge, sondern sich damit tröste, daß es ein Ding gibt, das mehr wert ist als das Leben und darüber hinaus währt, — der Nachruhm nach dem Tode.

Die Berichte über Odhins Verwandtschaft sind ohne stärkeres mythisches Interesse und meist das gelehrte Wert späterer Skalden. Im Norden bleibt Frigg Odhins Gemahlin: die alte Göttin des Himmels, die Gemahlin des Himmelsgottes hatte Wodan dem Tiu entrissen. — Der wilde Jäger, der Führer der Abgeschiedenen, ist gierig nach Leben wie alle Schatten der Verstorbenen , und, den Riesen gleich, sehnt er sich nach Frauen und verfolgt die Frauen, die der Welt in der langen Reihe der Geschlechter immer neues Leben schenken. Der Wodan des zweiten Merseburger Zauberspruches reitet, umringt von lichten Göttinnen; den Odhin des Nordens umgeben außer Frigg die Walküren und Saga, die Göttinnen, die das Schicksal der Helden in ihren Händen halten. — Die Kunst der Wikingerzeit zeichnet die Macht des Gottes über die Frauen in das Ritterliche um, sie verwandelt Odhin in den großen und bezaubernden Verführer. Wie er uns selbst erzählt, betrog er, einem tragischen Zwang gehorchend, die Gunnlöd, er betrog und überwältigte auch die Rind.

Saxo weiß darüber, daß der Gott, infolge der Weissagung eines


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finnischen Zauberers, er werde mit der Rind den Rächer Balders erzeugen, als Heerführer bei dem Vater der Jungfrau erschien und diesen von seinen Feinden befreite. Die Tochter aber, um die er auf Grund dieses Erfolges warb, gab ihm statt des Kusses eine Ohrfeige. Im nächsten Jahr kam er als Goldschmied wieder und erntete trotz seines schönen Geschmeides wieder keinen Kuß, sondern eine Maulschelle. Nun versuchte er sein Glück als kühner Reiter, wurde aber von der Jungfrau durch einen Stoß zu Boden geschlagen. Darauf brachte er durch seine Zauberkünste die Rind in Wahnsinn, führte sich als heilkundige Frau bei ihr ein und überwältigte sie.

In diesem Bericht liegen verschiedene Schichten übereinander. Die älteste war die Erzählung, daß der Gott durch seinen Zauber die Kraft einer Frau, wohl einer Zauberin oder Göttin brach, wie er den Zauber der Gullweig zu brechen suchte und wie Frey den Widerstand der Gerd bricht, indem er sie mit dem stärksten Zauber bedroht. Diese Erzählung wurde ins Heroische gesteigert: Der Gott bezwang die Jungfrau, damit sie ihm den Rächer für Balder gebäre. Und die heroische Erzählung glitt wieder auf das bunte Lager des Märchens. Ein im Norden seit alter Zeit gern gehörtes Märchen, unsrem Märchen vom König Drosselbart entsprechend, gesellte sich zu den Sagen von, Odhin und Rind: eine spröde Jungfrau weist alle Bewerber zurück, und endlich demütigt sie doch der stärkere Mann. Noch andere Märchenmotive schwebten heran: wir wissen aus der Dichtung von Hetel und Hilde, wie oft Helden versuchen, durch goldene Kostbarkeiten das Herz streng behüteter Jungfrauen zu gewinnen, und wir wissen auch, wie sich gerade unscheinbare Burschen — man denke an das Goldener Märchen — auszeichnen durch unerwartete Heldentaten, die ihnen die begehrte Jungfrau doch gewinnen. — Wie die Geschichte von Balder selbst, führt die von der Rache für Balder von Mythus über die heroische in die Märchenwelt.

Auch sonst wurde, wie in der Geschichte vom Dichtertrank, das goldene Märchennetz über den dunklen Gott des Schicksals geworfen.



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Seine Wölfe, Tiere des Schlachtfeldes oder Gestalten, die verwünschte Helden annehmen, behalten freilich ihr wildes Heldentum. Aber die Raben, seine ruhelos die Welt durchfliegende Seele, schmiegen sich in späteren Zeiten zutraulich wie Märchenvögel an ihn und sind bei jedem Frühstück zur Stelle. Das Sturmroß Sleipni wird ein achtfüßiges Pferd, das sich auf die zweiten vier Füße wirft, wenn die ersten erlahmten. Der Speer, dessen Wurf den heiligen Krieg eröffnet und den Gegner dem Gott unterwirft, verwandelt sich in einen fabelhaften Speer, der nie im Stoß innehält und nie sein Ziel verfehlt. Auch der goldene Ring Draupni, von dem acht ebenso schwere Ringe in jeder neunten Nacht abtropfen, war eigentlich mehr als ein Märchenring: er hat im Mythus von Balder noch eine besondere Bedeutung. Odhin gibt ihm bei Snorri den Balder auf den Holzstoß mit und Balder schickt ihn dem Odhin zurück, und bei Saro hielt ihn Miming in seinem Besitz, er vermehrt den Reichtum des Besitzers geheimnisvoll, und nur, wer ihn besitzt, vermag den Balder zu besiegen. War dieser Ring ursprünglich ein Sinnbild des immer wechselnden und sich erneuenden Mondes? Wenn Odhin endlich einäugig, das Haupt mit einem breiten Hut bedeckt, in weitem blauen Mantel fast unsichtbar durch die Welt schreitet, einem Geist des Märchens und der Sage gleich, so müssen wir daran erinnern, daß gerade die Geister der Abgeschiedenen, die durch die Lüfte fahren, und die Geister des Sturms in volkstümlichen Berichten einäugig, verhüllt und in nachflatterndem Mantel erscheinen.

Zum Schluß suchen wir die Götter zu erfassen, die sich von Odhin abzweigten. Hoeni, der sich von Odhin fast nie trennt, bedeutet "der Seelenführer, der Seelengewaltige" . Nach der Wöluspa geben Odhin, Hoeni und Lodhur, wie wir wissen, dem ersten Menschenpaar Geist, Seele, Wärme und blühende Farben. Wir vermuteten bereits (S. 45), daß Lodhur eigentlich ein Beiname von Wodan ist, und daß von Hoeni dasselbe gilt: dann hätte



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Odhin allein in der ursprünglichen Sage das erste Menschenpaar geschaffen. Ihm, dem Herrn über Geist und Seele, dem Zauberer, dem Vater der Helden gebührt freilich die schöpferische Tat, die Schaffung der Menschen. Wie er den Helden das Wesen des Kriegs, den Göttinnen das Wesen des Zaubers, den Göttern das Wesen der Dichtung offenbart, so zeigt er dem ersten hölzernen Menschenpaar das Wesen des Daseins: Geist, Seele, blühende Schönheit, Wärme. Hoeni hat sich nie recht entwickelt, er blieb — ohne daß spätere Zeiten wußten, warum gerade ihm diese Ehre widerfuhr — in nächster Nachbarschaft von Odhin, aber auch in unfreier Abhängigkeit von seinem Vatergott. Man nennt ihn den schnellsten Gott, den Nässekönig, den Langfüßigen. Das sind alles treffende Beinamen für einen Gott, der die Seelen durch Wind und Wolken führt. Auch der Fürst der Pfeile wird er genannt , das sind nach unsrer Meinung die Zauberpfeile, wie sie Odhin und die Walküre lenken und schießen. In der neuen Welt soll er statt Odhin den Loszweig kiesen, d. h. er wird des Zaubers walten, dessen Odhin vordem gewaltet hat.

In einem färöischen Lied hat ein Bauer im Brettspiel seinen Sohn an einen Riesen verloren und soll ihn nur dann zurückerhalten, wenn er ihn vor dem alles erspähenden Unhold verstecken kann. Er ruft in seiner Not Odhin, Höni und Loki. Odhin versteckt den Knaben in das Gerstenkorn einer Ähre, das dem Riesen entschlüpft, als er sich den Arm voll Ähren rafft. Höni verbirgt ihn in die Flaumfeder eines Schwans, die auch davonfliegt, als der Riese den Schwan fängt und ihm den Hals abschneidet. Loki verwandelt den Knaben in das Korn im Rogen eines Flunders, der Riese angelt den Fisch, zählt die Körner, das letzte weht davon, spurlos über den weißen Dünensand, der Riese eilt ihm nach, verrennt sich in einem Bootschuppen, und dort schlägt ihn Loki tot.

Dies Lied ist nicht alt, seine Motive sind Zauberkünste des Märchens, diese übertrug der Dichter auf die Götter; nicht um ihres Wesens, sondern ihres Ansehens willen. Mythologische Schlüsse dürfen wir aus den hier geschilderten, spannend und anschaulich



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vorgetragenen Hergängen also nicht ziehen. Aber es widerspricht wenigstens dem Wesen des Höni als Seelen- und Wolkengott nicht, daß der Schwan, der Seelen- und Wolkenoogel, hier als das ihm anvertraute Tier erscheint. —In der Edda bleibt Höni bei allen Vorgängen immer ein stummer Zuschauer. Diese Stummheit, daß er immer da war, ohne daß man je von seinen Taten hörte oder erfuhr, warum er in die interessanteste Göttergesellschaft aufgenommen war, befremdete allmählich auch die Isländer . Sie war für sie ein Grund, den Gott zu verspotten als einen Dummkopf: nachdem er mit Mimi zu den Wanen als Geisel gekommen war, erzählten sie, wurde er dort Häuptling. Aber Mimi mußte ihm allen Rat eingeben, und wenn dieser abwesend war und ein schwieriger Fall zur Verhandlung kam, lautete Hönis einzige Antwort: "Mögen andere raten!" — Einen mythischen Hintergrund hat diese Geschichte nicht; sie ist eine recht boshafte Erfindung isländischer Gelehrter; gerade den Gott, der nach der Sage den Menschen einst den Geist gab, stellten sie dar als einen unbrauchbaren und geistlosen Gesellen.

Wenn dann weiter berichtet wird, daß die Wanen voller Zorn dem Mimi das Haupt abschlugen und den Höni zurückschickten, so ist das eine neue geistreiche Niedertracht. Den klügsten Gott der Asen töten die dummen Wanen, die Asen haben aber nicht nur die Wanengeiseln, sie erlangen auch ihre Götter zurück, zudem übertrifft die Zauberkraft des toten Mimi die Kraft des lebenden Gottes.

Hermod, der im Heer Mutige, steht in altenglischen Stammtafeln unter Wodans Ahnen: er ist ein dem Wodan nahestehender Held, wie etwa Sigmund. Neben diesem erwähnen ihn die Hyndluljodh: Odhin habe dem Sigmund ein schneidendes Schwert, Hermod Helm und Panzer geschenkt. Auf Odhins Roß ritt Hermod in die Hölle, den Balder loszubitten. — Das altenglische Epos Beowulf kennt einen König, in der Jugend ein durch die Gunst



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der Götter erhobener Fürst, im Alter blutgierig und unmild, so daß ihn das Gefolge verläßt. Dabei kommt uns unwillkürlich Odhin selbst inden Sinn, in dessen Wesen Heldentum und Blutgier sich auch so dämonisch vermischen. Uns erscheint der Held wie ein heroischer Abglanz des Gottes, er hat sich wohl schon im Altenglischen von Wodan abgelöst.

Ein Sohn Odhins im Nordischen ist Wali (S .132). Der Gott hat ihn mit der Rind gezeugt, eine Nacht alt, vollstreckt er an Hödh die Rache für Balder; er wäscht sich nicht die Hand und kämmt nicht das Haar, bevor er Balders Feind auf den Holzstoß bringt — so singt die Wöluspa. Poeten der Wikingerzeit haben den Wali erfunden und charakterisiert. Sein Wesen geht auf in der großen Aufgabe des Helden, in der Rache. Die Götter entwickeln schon in zartester Jugend ihre stärkste Kraft, wie Magni, der Sohn Thors, auch; der Held darf vor einer heiligen Tat die Kraft nicht durch Schneiden der Haare, durch Waschen oder durch geschlechtlichen Genuß schwächen. Diese heroischen Pflichten und mythischen Züge überträgt die Wikingerdichtung auf Wali: kaum geboren, wild und ungeschwächt, wie er dem Leben geschenkt wurde, stürzt er sich auf den Feind des Bruders, um ihn zu vernichten.

Widar rächt den Tod von Odhin selbst und gilt auch als sein Sohn. Nach Odhins Tod, erzählt wieder die Wöluspa, tritt Widar hervor und stößt dem Fenriswolf die Klinge durch den weitgeöffneten Rachen ins Herz. Man nennt Widar den Schweigsamen, sein Heldentum ist so untadelig, daß selbst Loki davor verstummt . Im Gestrüpp und im dichten Gras der Heide ist Widars Heimat. Er wartet still, bis die Zeit an ihm ist, und vollbringt dann, gemessen und ruhig, seine Tat. Ein germanischer Gott rächt wie ein germanischer Held den ersten der germanischen Götter, der selbst den Tod des Helden starb. Die Verse von Widar scheinen uns in die Welt des Hrolf Kraki und des Dietrich von Bern zu



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versetzen, in die Welt des erlauchtesten germanischen Heldentums Spätere Zeiten haben Widar in ihrer Art volkstümlich und anschaulich ausgedeutet. Den Fuß beschützt durch einen gewaltigen Schuh, erzählten sie, trat Widar in den Unterkiefer des Wolfes, mit einer Hand faßte er den Oberkiefer des Unholds und riß seinen Rachen entzwei. Zu diesem Fuß ist das Leder aus aller Zeit gesammelt worden, aus den Flicken, welche die Menschen vor den Zehen und an der Ferse aus ihren Schuhen schneiden. — In der neuen Welt herrschen Widar und Wali an Balders Stelle.

Verschiedene nordische Götter, wie Ty, Thor, Frey, sind von der Götterdämmerung gar nicht berührt, sie leben ein von ihrem letzten Ende ganz unabhängiges Dasein. Andere gewinnen durch ihre Beziehung zum letzten Kampf ihre höchste Läuterung: deren erster ist Odhin. Auch er kann den Gang der Dinge nicht ändern, aber er besitzt eine tiefere Einsicht in das Schicksal als die andern. Sein Ende und das Ende aller Götter sieht er voraus; er fühlt, wie es sich, den andern unmerkbar, Schritt für Schritt, unaufhaltsam nähert, und er weiß die Bedeutung jedes einzelnen Geschehnisses für die große Auflösung der Welt. Aber wir hören von ihm keine Klage, kein Murren, auch keine Prahlerei und keine trotzigen Worte. Er waltet still, liebevoll und sorgend, hierin schon dem Christengott ähnlich, über allem, und er tut, was sein hohes Amt will, wandert durch die Welt, prüft und wählt die Helden und forscht, wo er forschen muß, unverdrossen, bis auch seine Stunde schlägt und er sterben darf, wie er lebte, als der Held unter den Göttern. Odhin, das ist das Unsterbliche an ihm, nahm in sein Wesen auf das Unvergänglichste und Beste vom Heldentum der Germanen. Wir fügen hier die schöne Charakteristik ein, die Ludwig Uhland oon Odhins Wesen gab.

Bon allen Asen und von allen Wesen der Götterwelt äußert Odhin weit die mächtigste und allgemeinste Wirkung in der Heldensage. Wie er die Wölsungensage vom Anfang bis zum Ende durchschreitet, so können



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wir durch viele andere Sagenreihen seine Spur verfolgen. Seine Erscheinung ist von der Art, daß er auch dort, wo sein rechter Name verschwiegen bleibt, doch immer leicht zu erkennen ist. Einäugig, alt und bärtig, in Hut und Mantel gehüllt, tritt er unerwartet und ungekannt in die Königshalle, oder steht plötzlich an der Seite des einsamen Heldensohnes , oder verlangt vom Vorgebirge aus in das vorübersegelnde Schiff aufgenommen zu werden. Auch diese irdische Erscheinung steht in übereinstimmung mit seinem göttlichen Wesen. Einäugig ist er, weil er sein anderes Auge um einen Trunk aus Mimis Weisheitsbrunnen zum Pfand gesetzt; alt erscheint er als der Vater der Götter und Menschen; verhüllt und unter anderen Namen geht er auch in der Götterwelt aus, die Weisheit der Riesen und der unterirdischen Wölwen zu erkunden.

So wie wir Odhin in der Göttersage von zweierlei Seiten betrachtet, als den Forschenden und Kundigen und als den Wirkenden und Kämpfenden, so stellt er sich auch in seiner irdischen Tätigkeit nach beiderlei Beziehungen dar. In der ersteren tritt er als Gest auf, legt dem König Heidrek Rätsel vor oder versucht noch als Nornagest die christlichen Könige, singt und sagt die Kunden aus der alten Heldenzeit. Er, der in Asgard mit Saga aus goldenen Schalen trinkt, ist auf Erden selbst ein Sagenerzähler , und wie er selbst zu singen versteht, wie andere reden, so verleiht er auch Starkad die Gabe der Dichtkunst. Noch viel mannigfacher ist seine irdische Wirksamkeit in der andern Beziehung, als Kampf- und Heldengott. Er wird selbst Stammvater kriegerischer Geschlechter und unermüdlich geht er darauf aus, Helden zu erwecken und auszurüsten, Zwietracht und Kampf anzustiften. Er stößt das herrliche, aber streiterregende Schwert in den Baumstamm des Wölsungenhauses, teilt Starkad gute Waffen zu, hilft Sigurd das beste Roß auswählen, berät ihn und Frotho beim Drachenkampf, bringt den flüchtigen Hadding auf dem Rohe Sleipni hoch über dem Meer nach seiner Heimat und stärkt ihn mit Speise, lehrt Hadding, Sigurd, Harald Hildetand und dessen Gegner Hring die keilförmige Schlachtordnung, prüft als Bauer Hrani die Kämpfer Hrolfs, die auf seinem Hofe eingekehrt, durch Frost, Feuer und Durst, er hat Utstein, dem Recken Halfs in der Jugend das harte Herz in der Brust gebildet. Er trägt als Bruni zwischen verwandten Königen zwisterregende Botschaft. Er waltet der Blutrache und leiht dazu dem Dag seinen Speer. In der Schlacht erscheint er bald hilfreich, bald Seinen eigenen Günstlingen verderblich. So schwingt er dem greisen Sigmund den Speer entgegen und erschlägt den König Harald mit der



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Keule. Er läßt sich von denen, die er begabt und auszeichnet, wie von Harald und von Sigurd, König Ragnars Sohne, für dessen Heilung die Seelen aller von ihnen Erschlagenen verheißen, er weckt eine Welt von Kämpfern und rafft sie heerweise dahin. Er entsendet die Walküren zu Jünglingen, um den schlummernden Heldengeist anzufachen; er beruft die Todwunden durch ihre Botschaft zu sich. Es ist überall derselbe Grund, warum Odhin Helden und Heldenstämme pflegt, waffnet, wunderbar begabt, warum er sie anfeindet, aufreizt, verderbt. Nicht leere Lust am Tode der Tapfern treibt ihn, er bedarf ihrer, der Kampferprobten zu jenem größten und ungeheuren Kampfe, welcher der Welt und den Göttern selbst Untergang droht.

An dieser Schilderung fällt uns die intuitive Kraft, der echte Poetenblick und die schlichte und bescheidene Kunst auf; wie richtig hat dieser deutsche Forscher und Dichter gesehen und wie fein und wahr hat er das Gesehene gestaltet. Doch wir dürfen auch nicht ohne Stolz betonen, um wie viel reicher, bewegter und tiefer das Bild ist, das wir nun von Odhin zeichnen können. Sein Wesen taucht aus den dunkelsten Gründen der Seele auf, die Kraft des Zauberers und die Kraft des Helden verschmelzen sich in ihm unwiderstehlich, seine Kriegsgier und sein ruheloser Drang, seine Härte und sein Heldentum, seine Weisheit und sein Schicksal werden fortschreitend geläutert. Die ganze dämonische und hinreißende, tragische und strahlende Entwicklung im Norden hat sich aus germanischen Anfängen gebildet, aber mit welcher Kunst und welcher Fülle wurde sie entfaltet! I. 15


5. Die Wanen

Art und Bedeutung der Wanen hat uns zuerst die Betrachtung von Nerthus und der ihr verwandten Gottheiten erschlossen. Im Vergleich mit Tiu, Donar, Wodan erschienen uns die Wanen weniger ausgeprägt in ihren Umrissen, ihr Wesen wies uns in ältere mythische und religiöse Schichten. Ihrem Kult aber war ein längeres Leben beschieden: er wird, freilich mit vielfachen Verschiebungen



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und da und dort etwas unkenntlich geworden, in Frühlings- und Herbstfesten immer noch gefeiert. Eine Beobachtung bestätigt die andere, es ist ein mythisches und religiöses Gesetz, daß im Volk die niederen Formen des Glaubens und des Kultus länger haften und widerstandsfähiger bleiben, als die höheren. Sie sind der Mutterboden, aus dem die großen Götter aufsteigen und in den sie oft wieder zurücksinken. Abweichend von den großen Göttern waren ferner Nerthus und die ihren Gottheiten der Freude und der Fülle, reicher und freundlicher als die härteren Götter des Krieges, des Wetters, der Ahnen und des Zaubers, sie waren auch ungebändigter: der Wunsch nach Fruchtbarkeit äußert sich in ihrer Verehrung unverhüllter, auch die Lust am Geschlechtlichen kommt derber und natürlicher zum Vorschein.

Im Norden stoßen der Kult der Wanen und der Kult der Asen, der großen Götter, aufeinander: die Auseinandersetzung zwischen beiden ist, wie wir bei Odhin erfuhren (S. 195 f.), nicht immer friedlich verlaufen. Dabei treten die Asen hinter Odhin zurück, und Odhin mißt vor allem seine Zauberkraft mit der Zauberkraft der Wanen. Die germanischen Berichte hatten die Zauberei der Wanen nicht so in den Vordergrund gestellt, freilich darf das Walten über die Fruchtbarkeit der Felder und Menschen als ein hohes Amt der Zauberei gelten.

Snorri in der Edda sagt über Njördh:

Er wohnt da, wo es Noatun (Schiffzaun) heißt, und waltet dort über des Windes Lauf und beruhigt Meer und Feuer; ihn soll man bei Seefahrt und Jagd anrufen. Er ist so reich und begütert, daß er jedem Land und fahrende Habe geben kann, wenn er will und darum soll man ihn anrufen. Nicht aus dem Asengeschlecht stammt Njördh, er wuchs im Wanaheim auf; die Wanen sandten ihn als Geisel zu den Göttern. Njördh hatte die Frau, die Skadi heißt, die Tochter des Riesen Thiazi, sie wollte die Wohnstätte behalten, welche ihr Vater hatte, die auf einem Gebirge ist, das Thrymheim heißt, Njördh aber wollte der See nahe sein. Sie setzten das fest, daß sie neun Nächte in Thrymheim


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weilen wollten und dann drei Nächte in Noatun. Als Njördh aber vom Gebirge nach Noatun zurückkam, da sprach er so:
"Nicht lieb ' ich die Berge, nicht lange dort weilt ich,
       neun Nächte nur;
süßer schien mir der Sang des Schwanes
      als der wilden Wölfe Geheul."

Skadi aber erwiderte:

"Mir stört den Schlaf am Strande des Meeres
     der krächzenden Vögel Gekreisch;
am Morgen weckt mich die Möwe täglich,
      die wiederkehrt vom Wald."

Als Gott des Reichtums und der Fruchtbarkeit, der Schiffahrt und der Jagd haben auch die Schweden den Njördh verehrt und als solchen den Lappen übergeben. Ein isländischer Vergleich hieß "reich wie Njördh" .

Nerthus war Göttin der Fruchtbarkeit und des Reichtums, wurde von meeranwohnenden Stämmen verehrt und war wie die Nehalennia wohl auch eine Göttin der Schiffahrt. Njördh ist das gleiche; er wurde dann ganz zum Gott von Wind, Wetter und Woge. Orte, die seinen Namen tragen, es sind auch im Norden nicht wenige, liegen alle am Meer, nach dem Zeugnis dieser Namen war seine Verehrung viel lebhafter, seine Bedeutung viel größer als nach dem Zeugnis der Edda. Wenn Njördh außer dem Wind und dem Meer auch die Flamme beherrscht, so nähert er sich dem Wesen Odhins und dessen Zauberkünsten. — Diese Rivalität war wohl auch ein Grund für die Sagen vom Kampf der Asen und Wanen.

Die Geschichte von Njördh und Skadi erzählt Snorri noch einmal so:

Es hob an die Erzählung, daß drei Asen von Hause gingen, Odhin und Loki und Höni, und sie gingen über Berge und Waldblößen und es war dort schlecht zu verweilen. Aber als sie von oben in ein Tal



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kamen und eine Ochsenherde sahen, nahmen sie einen Ochsen und schickten sich an zum Braten. Wie sie glauben, er sei gar, stören sie die Kohlen auf und er war nicht gar. Und ein zweites Mal, als sie die Kohlen aufstören, als eine Zeit vergangen war, und er noch nicht gar geworden, da fragten sie sich, wie das zugehen könne. Da hören sie eine Stimme in einer Eiche oben über ihnen, und der oben saß sagte, er sei schuld daran, wenn das Gebratene nicht gar würde. Sie sahen hin und es saß da ein Adler und kein kleiner. Da sprach der Adler: wenn ihr mir meinen vollen Anteil am Ochsen geben wollt, dann wird das Gebratene gar werden. Sie bewilligten ihm seinen vollen Anteil am Ochsen, da läßt er sich aus dem Baum herab und setzt sich an das Gebratene und legt sich vor als erstes beide Schinken des Ochsen und beide Bugstücke. Da wurde Loki zornig und griff auf eine große Stange und schwingt sie mit aller Kraft und stößt sie dem Adler in den Bauch. Der Adler schwingt sich auf bei dem Stoß und fliegt in die Höhe: da waren fest die Hände an der Stange, aber das andere Ende am Leib des Adlers. Der Adler fliegt nun so hoch, daß die Füße Lokis schleifen über die Steine und das Geröll und die Baumwurzeln, und von seinen Händen glaubt er, daß sie reihen sollen aus den Achseln. Er schreit und bittet flehentlich den Adler um Schonung, aber der sagt, daß Loki niemals loskommen solle, wenn er ihm nicht den Eid leiste, mit Idhun herauszukommen aus Asgard und mit ihren Äpfeln. Loki verspricht das, er kommt los und fährt zu seinen Begleitern, und es wird nun nichts weiter berichtet über ihre Fahrt, bis sie heimkommen.

Zur bestimmten Stunde lockt Loki die Idhun aus Asgard heraus in einen Wald und sagt, daß er Äpfel gefunden hat, die ihr kostbar dünken werden und bat, daß sie mitbringen sollte ihre Äpfel und sie mit jenen vergleichen. Da kommt dorthin Thiazi, der Riese, im Adlerhemd und nimmt die Idhun und fliegt fort mit ihr und nach Thrymheim bis zu seinem Haus. Aber die Asen vertrugen schlecht das Verschwinden der Idhun und sie wurden bald grau und alt. Da hatten sie ihre Versammlung, es fragte jeder den anderen, was er zuletzt erfuhr von Idhun. Doch das war als das letzte gesehen, daß sie aus Asgard ging mit Loki. Da wurde Loki ergriffen und geführt auf die Versammlung und es wurde ihm Tod oder Folter verheißen. Aber als er in Schrecken geriet, sagte er, er würde die Idhun im Riesenheim suchen, wenn Freyja ihm leihen wollte das Faltenhemd, das sie hat. Und als er das Faltenhemd empfing, fliegt er nördlich nach dem Riesenheim und kommt einen Tag



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zu Thiazi, dem Siegen: er war aufs Meer gerudert und Idhun war allein zu Hause. Loki verwandelte sie in eine Nuß und nahm sie in die Klauen und flog so rasch wie möglich. Aber als Thiazi heimkam und Idhun vermißte, nimmt er sein Adlerhemd und fliegt dem Loki nach und das Rauschen großer Adlerflügel schwang in den Lüften. Wie nun die Asen sahen, daß ein Falke flog mit der Nuß und wohin der Adler flog, da gehen sie heraus unten nach Asgard und trugen dorthin Haufen von Hobelspänen. Der Adler, wie er hinflog zur Burg, ließ sich niedergleiten an der Burgmauer. Da schlugen die Asen das Feuer aus den Hobelspänen. Doch der Adler konnte sich nicht anhalten, als er den Falken vermißte, das Feuer schlug ins Gefieder des Adlers und brannte ihm fort die Flugkraft. Da waren die Asen nah und erschlugen den Adler — das war Thiazi der Riese — in den Gittertüren und es ist dieser Kampf weit berühmt.

Doch Skadi, die Tochter von Thiazi dem Riesen, nahm Helm und Brünne und alle Heerwaffen und fährt nach Asgard, ihren Vater zu rächen. Doch die Asen boten ihr Vergleich und Buße und als erstes, daß sie sich wählen soll einen Mann aus den Asen und wählen nach den Füßen und nichts weiter sehen. Da sah sie eines Mannes Füße, selten schöne, und sagte: den wähle ich, weniges wird häßlich sein bei Balder. Doch das war Njördh aus Noatun. Das hatte sie auch als Vergleichsbedingung , daß die Asen tun sollten, wovon sie glaubte, daß sie es nicht können würden, sie zum Lachen bringen. Da tat Loki das, daß er band um den Bart einer Ziege ein Band und das andere Ende um seine Hoden, und dann gaben sie einander nach und es schrie jeder laut, da ließ Loki sich gleiten in den Schoß der Skadi und da lachte sie: da war der Vergleich von der Hand der Asen mit ihr erfüllt. So heißt es, daß Odhin ihr auch das zur Buße tat, daß er nahm die Augen des Thiazi und sie warf hinauf in den Himmel und machte daraus zwei Sterne.

Diese Geschichte ist in ihren verschiedenen Teilen so lose aneinander gelegt wie etwa die von Odhin und Odhreri, Thor und Geirröd, Thor und Hrungni. Sie erinnert uns auch oft an diese und an andere Erzählungen. Der Eingang, der übermut Lokis, seine Strafe, die Bedingung seines Loskommens ist dem Eingang der Sage oon Thor und Geirröd ähnlich. Das Unheil, das Loki



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anrichtet durch Entführung der Idhun, der Zorn der Götter über ihn und die von ihm geleistete Buße, dieser Teil der Geschichte gleicht der vom Riesenbaumeister. Wie in der Thrymskwidha fliegt Loki in Freyjas Federhemd zum Riesen und dieser wohnt sogar wie Thrym in Thrymheim. Die Verfolgung des Falken Loki durch den Adler Thiazi scheint ein Widerspiel von der Verfolgung des Adlers Odhin durch den Adler Suttung, endlich stürzt Thiazi blind wie Hrungni in das Heim der Götter.

Diese Menge der Anklänge, als loser Schmuck über das Ganze gestreut, nicht organisch mit ihm verschmolzen, ist ein Zeichen, daß unsre Geschichte ihre letzte Form erst in späterer Zeit — sagen wir spät im 12. Jahrhundert — erhielt. Zum gleichen Ergebnis führt eine andere Beobachtung: kaum eine andere Sage der Edda ist so reich an Erinnerungen aus dem Märchen. Gleich der Eingang , die Geschichte des unbescheidenen Riesen, ist ein noch heute in Südosteuropa lebendes Märchen. Der Raub der Prinzessin durch den Riesen, ihre Wiedergewinnung durch einen kühnen Helden, ihre Verwandlung in eine Nuß, derlei berichten die Märchen noch immer gern. Das Märchen von der Prinzessin, die nicht lachen wollte, kennen wir ebenfalls alle. Wie oft wird sie zum Lachen gebracht durch die possierlichen Bewegungen von Menschen, die voneinander und die oon einem Tiere nicht loskommen können, z. B. in dem Märchen von der "Goldenen Gans" . Und wie gern versetzt das Märchen am Ende einen oder seine Helden, als Trost oder als Entschädigung unter die Sterne! — Das interessanteste von den Märchen, die wir in der Geschichte von Idhun und Thiazi entdecken, ist aber das vom Raub der Idhun und ihrer Äpfel. In älterer Zeit war sein Hergang wohl so, daß ein Gott die Idhun und ihre Äpfel dem Riesen raubte, wie Odhin den Göttertrank dem Riesen entwendete. Anscheinend stammt das Märchen aus Irland. Dort bemächtigen sich drei Brüder, in Habichte verwandelt , der Äpfel und eine Zauberin verfolgt die Räuber als Greif.



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Die Nordleute kannten nur schlechte, bittere Äpfel. Die Vorstellung von Äpfeln, die ewige Jugend geben, wird darum kaum bei ihnen entstanden sein. Eindrucksvoll, mit wenigen Worten, stellt unser Erzähler sie hin: kaum, daß ihnen Idhun entrissen, werden die Götter alt und grau.

Man täte nun auch unsrer Geschichte unrecht, sähe man in ihr nur eine Häufung von Märchenerinnerungen und von Anklängen an andere Göttersagen. Betrachtet man sie mit den Augen der Volkskunde, so zeigen ihre Züge ein neues Gesicht. Die Forderung, daß jemand seine Füße zeigen soll und daß man nur seine Füße sehen darf, müssen sich, wie wir schon wissen (S. 65), Wesen gefallen lassen, deren Geschlecht nicht zu erkennen ist. Fuß und Schuh erregen, wie wir auch erfuhren, die Begierde und sind Symbole der Liebe, uns bezeugen das schon sehr alte Märchen von dem König, der das Mädchen zur Frau haben will, dessen Schuh er kennt. — Bei der Hochzeit treffen wir noch heute den Brauch, daß dem Bräutigam nur die Füße der Braut gezeigt werben und .daß er dann die nicht erhält, die er sich wünscht. In der nordischen Sage ist der Bräutigam sozusagen versteckt: wiederum ist das Verstecken von Braut und Bräutigam bei vielen volkstümlichen Hochzeiten noch heute unerläßlich. Wenn dann Loki ein Schnurende um seine Hoden und das andere um ben Bart eines Bockes windet, wenn beide voneinander nicht loskommen können und wenn er sich dann in den Schoß der Skadi wirft, so will er die eigene geschlechtliche Kraft mit der des Bockes verbinden und dadurch steigern, die gesteigerte Kraft senkt er in den Schoß der Frau.

Diese Szenen begeben sich im Beisein aller Götter: was können sie anderes bezwecken als eine wiederholte Steigerung der Fruchtbarkeit und der geschlechtlichen Kraft? Das Suchen und Finden, die Erhöhung des geschlechtlichen Vermögens und die Vereinigung wurden mimisch vorgeführt, durch eine oder mehrere Paare. Das



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Wesen des Angeschauten sollte sich den Zuschauern mitteilen. Die Reste eines alten kultischen Fruchtbarkeitsdienstes werden uns nun in der Geschichte von Njördh und Skadi sichtbar. Bei vielen Völkern waren solche Szenen ein Anfang des Dramas, bei den Germanen schoß gerade um sie und gerade aus ihnen spielerische, übermütige und überreiche Erzählung auf. —

Ähnliche Beobachtungen legten uns auch andere Geschichten nah. Wir erinnern an die Spielmannsfabel vom Sieg und dem Namen der Longobarden: wie war schon hier der alte kultische und geschlechtliche Boden oon froher Fabelei überwuchert (S. 50). Und wir erinnern an die Geschichte von Thor und Thrym, die sich nun in neuem, früher verheißenem Licht vor uns stellt (S. 38): auch hier eine Hochzeitfeier, auch hier Verkleidung, auch hier ein lebhafter, mimisch dargestellter Vorgang im Beisein vieler Gäste. War das Ziel von Thors ungeheuren Ess- und Trinkleistungen, kultisch gesehen, eigentlich die Erhöhung seiner Kraft? Was wäre die Bauernhochzeit der Gegenwart ohne das viele und lange Essen? Und war der Hammer, den der Riese in den Schoß der Braut legte, eigentlich ein Abbild der Fruchtbarkeit, ein Abbild eines Phallus?

Vereinzelt steht also die Geschichte von Njördh und Skadi im Nordischen und Germanischen nicht da. Nun ist der Hinweis am Platz, daß in der Ehe des Mannweibes Njördh und des Weibmannes Skadi die Geschlechter und ihre Kraft sich sozusagen verdoppelten, und daß der Gott, nach dem Skadis Sinn eigentlich stand, Balder, auch ein weicher Gott und ein Gott der Fruchtbarkeit war. Wir denken an die ähnlichen Ehen bei den Wanen. Auch Lokis Wesen deutet nicht nur in unsrer Geschichte und nicht nur in der Fabel von Thor und Thrym, es deutet auch in der Fabel vom Riesenbaumeister und in den Scheltszenen der Lokasenna auf Zeugung und auf geschlechtliche Kraft.

Wie ist es nun gekommen, daß gerade die Märchen, die wir



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vorher nannten, sich an die Geschichte von Njördh und Skadi hängten? Das Märchen von der goldenen Gans hatte, wie wir glauben, den gleichen Ursprung. Es entstand aus einer mimisch vorgeführten Begattungsszene. Die Äpfel der Idhun waren einmal nicht nur Früchte der Jugend, sondern auch Früchte der Fruchtbarkeit, wie der Apfel seit alten Zeiten und überall. Sie gehören einer liebreizenden Göttin des Wachstums, gerade diese begehren ja die Riesen; ihre plumpe Gier im Kontrast zu der Anmut der Frau sollte das Einleitungsmärchen zur Geltung bringen. Der Märchenschmuck verhüllt also in unsrer Geschichte nicht den alten Sinn der Vorgänge, sondern er legt sich wie ein schmiegsames Gewand, gefällig und leuchtend, um ihre Glieder. Der letzte Erzähler hat dann noch seinen Geist hinzugetan: am Anfang wird Loki festgehert, am Ende heit er sich selbst fest; das kriegerische Auftreten der Skadi, die blinde Wut und die plumpe Anmaßung der Riesen stehen in wirkungsvollem Gegensatz zu der überlegenen Staatskunst, dem lachenden übermut der Götter, der Schönheit und der Jugend der Göttinnen. Wie es scheint, wird Skadi überreich entschädigt, im Grund ist sie doch die Betrogene, auch der den Göttern als Wane nicht ganz bequeme Njördh wird mit seiner Frau hinters Licht geführt. Mit echt isländischem geistreichen Spott ist besonders die Ehe von Skadi und Njördh geschildert . Hier der reiche Njördh, der sich nicht anstrengen mag und sich höchstens einmal zum beschaulichen Fischfang aufrafft, der Wolf und Wald nicht ausstehen kann, dort Skadi, die auf ihren Schneeschuhen in den rauhen Bergen unablässig jagt, die das Meer langweilt und die das Gekreisch der Seevögel gräßlich findet. Die Verse, die diese Gegensätze so frisch, mit solchem anschaulichen Witz vortragen, hat Sato sogar ins Lateinische übersetzt: sie müssen doch dem Norden sehr gefallen haben.

Welche merkwürdigen, religiösen und kultischen Fundamente, und welchen reichen, phantastischen und geistvollen Aufbau zeigen



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doch manche Göttersagen der Edda, wenn man sie bis in ihre Anfänge verfolgt! - Wohin Nerthus zu kommen würdigt, sagte Tacitus, ist froher Tag und Hochzeit, nur Friede und Ruhe ist dann bekannt und gewünscht. Frey, sagt Adam von Bremen, schenkt den Menschen Friede und Freude. Der Umzug des Frey, den eine spätere nordische Sage uns schildert, und der Umzug der Nerthus, den wir durch Tacitus kennen, gleichen sich in allen wesentlichen Zügen (S. 60). Nach Snorri ist Frey der berühmteste der Asen, er waltet über Regen, Sonnenschein und das Wachstum der Erde, man soll ihn um Ernte und Frieden anrufen und er ist auch der Mehrer des Besitzes.

Nerthus, Njördh und Frey sind sich, wie wir wieder sehen, zum Verwechseln ähnlich, wir möchten sogar behaupten, Frey, im Norden Njördhs Sohn, ist eigentlich Njördh selbst. Im Norden hob man vor allem die Macht des Gottes über Zeugung und Fruchtbarkeit hervor. Sein Bild trug ein ungeheures Geschlechtsglied, man rief den Gott bei der Hochzeit an; als seine Diener nannte die Lokasenna ja Byggwi und Beyla, Gottheiten des Feldbaues , auch der Gott Fjölnir, ein Gott des Feldbaues, war ihm verwandt (S. 73). Wo immer wir von Frey etwas vernehmen, überall wird sofort auch gesagt, daß unter seiner Herrschaft der Friede blühte, daß gutes Wetter und gesegnete Ernten, Wohlstand und Gedeihen die Menschen erquickten. Man brachte ihm gern und dankbar Opfer auf Opfer, denn man vertraute fest darauf, daß er alles vergelten werde. Eine große Anzahl Geschichten, die den entsprechenden Sagen von Thor gleichen, bezeugen uns die Liebe, die man auf diesen Gott gehäuft hat, man trennte sich von ihm so widerstrebend und so schweren Herzens, wie man sich von Thor trennte; besonders gilt das für Schweden.

Als Opfer empfing Frey Pferde und Ochsen und auch den stattlichsten und stärksten Eber der Herde, also wieder das Tier der Fruchtbarkeit. Beim Julfest wurden, bevor man ihn opferte, auf seine Borsten die Hände gelegt und Gelübde beschworen.



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In der Edda gilt ein Lied dem Frey; ein Liebeslied. Die schöne Gerd hat es dem Gott angetan, er schickt zu ihr seinen Boten Skirni. Die Schätze, die dieser verheißt, verschmäht die Jungfrau, seine Drohungen weist sie zurück, da spricht er über sie Zauberworte und Verwünschungen, nun fleht sie, er möge einhalten, , in neun Nächten wolle sie dem Gott ihre Gunst gewähren. Das Lied haben wir mit der Geschichte von Odhins Werbung um Rind schon verglichen (S. 218), eigentlich besingt es die Macht und den Zauber der männlichen, befruchtenden Liebe über die spröde Jungfrau, es ist ein Thema gerade für einen manischen Gott. Uns wird es auch dadurch bemerkenswert, daß es die Motive der Zeugung, der Fruchtbarkeit und der Zauberei zugleich anschlägt.

Einige Strophen der Skirnismal haben einen seltsam weichen, träumerischen Klang. Frey klagt dem Vertrauten seine Sehnsucht, noch nie habe ein Mann ein Mädchen so geliebt wie er die Gerd, sie sei so schön, daß vom Glanze ihrer Arme Himmel und Erde aufleuchteten. Und als die Jungfrau sich ihm verspricht, klagt er wieder "Lang ist eine Nacht, lang sind zwei, wie durchsehne ich dreimaldrei"?

Die schwärmerische Liebe des Frey zur Gerd erinnert uns nun auch noch an die Liebe des Balder zur Nanna, die Saro so verspottet (S. 139). Wenn man genauer hinsieht, erkennt man in dem Bild, das die Edda von Frey entwirft —nicht in den schwedischen und volkstümlichen überlieferungen —, auch andere Züge, die eigentlich dem Balder gehören. Frey ist ein kühner Reiter wie Balder, er besitzt ein kostbares Schwert wie Balder, um einer Jungfrau willen büßt der Gott das Schwert ein — es heißt, daß er es dem Skirni gab, als dieser um Gerd warb —, am Ende der Tage steht der leuchtende Gott waffenlos seinem Feinde gegenüber , dem dunklen Surt, der die Dämonen der Finsternis gegen die Götter führt und gegen Frey dessen Schwert schwingt. Das ist doch (S. 140) nur eine, und wohl eine alte Variante des vor



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uns erschlossenen Baldermythus. Der Frey der Edda ist also in vielen Zügen ein alter Himmelsgott und im Ursprung wohl der gleiche wie Balder; er mag sich im Altenglischen, wo Balder und Frey (Frea) das gleiche bedeuten: Herr, vom Himmelsgott abgelöst haben. Im Nordischen verdrängte er den Njördh und nahm dessen Wesen in sich auf. Sein Bild schillert dort bald mehr nach dem alten Himmelsgott, bald mehr nach dem alten Fruchtbarkeitsgott hinüber. Auch die Pferde, die Frey außer dem Eber, gern als Opfer annimmt, kennen wir als Tiere der zeugenden, geschlechtlichen Kraft und als Tiere des Himmelsgottes (S. 69).

Die Geschichte von der Werbung des Gottes um eine spröde Jungfrau ist fast ein Märchen, das Märchen hat den Frey ähnlich wie andere Götter am Ende seiner Geschichte eingesponnen. In einem späten den Skirnismal nachgebildeten Liede wirbt der junge Swipdag — er ist dem Frey ähnlich — um die Menglöd, die Halsbandfrohe, abenteuerlicher und wunderbarer als der alte Gott. Wie in den keltisch französischen Ritterromanen dreht sich ihre Burg auf der Spitze eines Speeres und ist oon lodernden Flammen umgeben. Den Eber Freys, hieß es nun, schmiedeten Zwerge, seine Borsten erhellen die dunkelste Nacht und er kann schneller als ein Pferd durch Luft und Wasser laufen. Schließlich nahm Frey noch das Schiff Skidbladni, eigentlich ein Eigentum des Meergottes, des Njördh, in seinen Besitz: das hat einen guten Fahrwind und immer gerade in der Richtung, in der man fahren will, sobald man nur das Segel hißt. Man kann es auch zusammenfalten und in die Tasche stecken.

Nach unsrer Auffassung ist Frey also nicht ein Gott, sondern die Verschmelzung zweier Götter. Das gleiche glauben wir von Freyja. Denn während sonst die Wanen, z. B. auch Frey, sich mit den Asen wohl verbündeten, ihnen aber doch fremd bleiben, betrachten die Asen Freyja als ihren köstlichen Besitz. Daß die Riesen gerade sie ihnen rauben wollen, empört sie, und als es scheint, daß



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sie die Göttin doch an den riesischen Baumeister verlieren werden, scheint ihnen die Luft, in der sie atmen, auf einmal vergiftet, Freyja macht ihnen das Leben hell und rein. Sollte eine Wanin diese Kraft haben? Wir glauben vielmehr, diese geliebteste Freyja ist die Himmelsgöttin und im Wesen kaum eine andere als Frigg: immer hilfsbereit, sie gibt ihr Faltenhemd dem Gott, der dessen bedarf, sie trägt das Brisingamene, den leuchtenden Halsschmuck — war das der Vergleich eines Dichters, der die Sonne den leuchtenden Halsschmuck der Himmelsgöttin nannte? —, sie steht, wie die Frigg, den Frauen gerne bei, besonders in ihren schweren Stunden.

Die andere Freyja ist die manische Göttin, die Göttin der Fruchtbarkeit und Liebe. Diese Göttin begehren die Riesen, diese wird in der späten Zeit des Heidentums gern geschmäht: ihr Mann sei ihr Bruder, sie schütze die niedere, sich preisgebende Minne. Loki schalt sie als Buhlerin und warf ihr vor, es gäbe keinen Gott, den sie nicht mit ihren weisen Armen umschlungen hätte, und die häßliche Sage entstand, daß sie sich von Zwergen entehren ließ, um ihren kostbaren Schmuck zu erhalten; — dieselbe Freyja, die in fassungslose. Wut geriet, als sie nur hörte, daß ein Riese sie zur Frau haben will: ob sie denn ganz männertoll sei, daß man ihr eine Brautfahrt ins Riesenland zumute?

Diese Freyja galt auch als Zauberin, sie war dieselbe wie Gullweig, die im ganzen Land ihre Umfahrt hielt, der die Liebe der Frauen folgte, deren Macht die Asen nicht brechen konnten, nicht einmal Odhin. — Die gleiche Göttin wie Gullweig war Gefjon, eine Göttin der Fruchtbarkeit wie Nerthus, und wie jene verbunden mit Erde und Meer, die unvermählten Frauen dienen ihr.

Von Gefjon ging die Sage, der König Gylfi habe an ihren Künsten Gefallen gefunden und ihr so viel Land zugestanden, als vier Ochsen in einem Tag und in einer Nacht umpflügen könnten. Sie aber spannte ihre Söhne, die sie von einem Riesen geboren



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hatte, als Ochsen vor den Pflug und der ging so breit und tief, daß er das ganze Land herausriß, und die Tiere schleppten es ins Meer, und es wurde die Insel Seeland. Wo früher aber Land gewesen, entstand nun ein See, der Mälarsee: dessen Buchten liegen ebenso wie die Vorsprünge in Seeland.

Gefjon, hieß es außerdem, war mit einem Riesen vermählt. Das ist ein Gegenstück zu der Ehe von Skadi und Njördh. Die ihr geltende Sage zeigt sie als Herrin des Pflugs: und die alten Engländer rufen ja, wenn sie im Frühjahr den Pflug das erste Mal in die Erde setzten, die Mutter Erde an. Der Umzug, von dem die Gefjonsage spricht, in Anlehnung an alte Sagen wie an die von der Dido, in Anlehnung zu gleicher Zeit an Sagen wie die vom Riesenbaumeister, mag früher einmal von feierlicher Bedeutung gewesen sein, ein altes Frühlingsfest.

Die Asin und die Wanin werden sich bei Freyja verschmolzen haben etwa wie bei Frey. Freyja nahm vom Wesen der Frigg viel in sich auf, und ihre wanischen Züge lebten außerdem in den Mythen von Gullweig und Gefjon weiter, die ihrerseits eigentlich wohl nichts anderes waren als Beinamen der Nerthus.

Die letzte Nachricht über Freyja finden wir bei Snorri: sie vermählte sich mit dem Mann, der Odh hieß, aber der ging auf lange Reisen, und sie ging weinend hinterher, und ihre Tränen sind rotes Gold, und sie suchte ihn bei vielen Völkern. — Das ist ein weiches und rührendes Märchen, denen von der vergessenen Braut ähnlich, die sich noch heute die Niederdeutschen und Dänen erzählen, ergreifender und hübscher als alle anderen Völker. Das Motiv, daß sie gern von Land zu Land wanderte, hat der Göttin diese Geschichte eingetragen; sie verschwand wie Frey schließlich im Zauberkreis des Märchens, und wir sehen es gern, daß sie dorthin schwebt und sich wieder verklärt.

Die Wanen haben sich also im Norden aus ihren germanischen Anfängen entwickelt. Man merkt ihnen noch immer an, besonders



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aus dem Gegensatz, in dem sie zu den Asen stehen, daß eine ältere Periode des Glaubens und der mythischen Anschauung sie geschaffen hat. Außerdem sehen wir aus den nordischen Berichten, daß ihre mythische und religiöse Basis breiter war, als wir auf Grund der germanischen Aussagen annehmen durften. Denn Njördh- Frey, Freyja, Gullweig, Gefjon werden, wie wir wiederholt er; erfuhren, als zauberkräftige Wesen gerühmt und gefürchtet und treten als solche den Men gegenüber, die Zauberei muß von Anfang an in ihr Wesen eingeschlossen gewesen sein. Die Wanen als Götter der Zeugung und Fruchtbarkeit zeigten im Norden auch neue Züge und ebenso war es für uns eine neue Einsicht, daß die Riesen gerade auf die wanischen Götter und Göttinnen so erpicht sind. Der Bund zwischen Asen und Wanen zeigte sich uns einmal in der Verschmelzung wanischer und asischer Elemente, die wir bei Frey und Freyja beobachteten, dann in den Geschichten über den Friedensschluß und die Vorträge beider Götterdynastien: die Wanen werden dabei durch die List der Asen, die die Macht der Gegner nicht brechen konnten, mehr als einmal, ohne daß sie es zu merken scheinen, benachteiligt. Endlich entführt das Märchen auch diese Wesen — es ist ihnen holder gesinnt als dem Thor — in das Reich seines Spiels und seiner Phantasie. Das Christentum hat ihnen alles in allem wenig angehabt. Wohl griff der neue Glaube besonders Frey und Freyja heftig an und hat sie geschmäht und verdächtigt, doch sie wirkten in der alten Weise weiter. Denn sie stammen aus Schichten des Glaubens, in die das Christentum nie eingedrungen ist.


6. Elben und Riesen

Als wir die germanischen Elben zu bestimmen suchten, wagten wir die Vermutung, daß auch Heimdall, Loki und Thjalfi elbischen Ursprungs seien (S. 72).

Von Heimdall sagt Snorri das Folgende:



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Heimdall heißt einer, der wird der weise Ase genannt, er ist groß und heilig, den gebaren sich zum Sohn neun Mädchen, und es waren alle Schwestern. Er heißt auch Hallinskidhi (der mit gebogenen Schneeschuhen Schuhen) und Gullintanni (Goldzahn), seine Zähne waren nämlich aus Gold, sein Hengst heißt Gulltopp (Goldmähne). Er wohnt da, wo es Himinbjörg (Himmelsberg) heißt, bei Bifröst (schwankender Weg, das ist der Regenbogen). Er ist der Wächter der Götter, und sitzt da am Ende des Himmels, um die Brücke zu bewachen vor den Bergriesen. Er bedarf weniger Schlaf als ein Vogel, er sieht bei Nacht ebenso wie bei Tag, hundert Meilen weit, er hört auch, daß das Gras wächst auf der Erde und die Wolle auf den Schafen und alles, was nur hörbar ist. Er hat das Horn, das Gjallarhorn heißt, und dessen Ton dringt durch alle Welten, das Schwert Heimdalls heißt Haupt und dies wird gesagt:
"Himinbjörg nenn' ich, Heimdall, sagt man,
   Walte der Wohnstätte dort;
In behaglichem Hause trinkt dort der Hüter der Götter
  Vergnügt den guten Met."

Wer diese Worte liest, wird den Heimdall für einen Himmelsgott halten, der alles leise Werden erlauscht, jede Gefahr ahnt, und darum wie kein zweiter sich zum Wächter eignet; für einen strahlenden Gott der Morgenröte, des frühen Tages, weise und geheimnisvollen Ursprungs. Andere Nachrichten scheinen diese Meinung zu bestätigen: die neun Mütter sind nach dem Zeugnis eines späten Eddaliedes, des Hyndlaliedes, die Meereswogen, aus denen der junge Tag aufsteigt, aus dem Meer hebt in einer Skaldendichtung Heimdall in der Frühe den Schmuck der Freyja empor, ihr Halsband, die Sonne. Er entringt es, in eine Robbe verwandelt, dem auch zur Robbe gewordenen Loki, der es der Göttin gestohlen und abends im Westen hinter einer Klippe (d. h. wo die Sonne untergeht) verborgen hatte. — Als Gott des Werdens schuf dieser Heimdall auch die Menschen und Stände, so wie es uns die Rigsmal der Edda schildern: er sei als Rig eingekehrt bei drei Ehepaaren, bei Urgroßvater und Urgroßmutter, Großvater und Großmutter, Vater und Mutter, und habe der Frau



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des Einen den Stammvater der Knechte, der Frau des Zweiten den Stammvater der Bauern, der Frau des Dritten den Stammvater der Edlen gezeugt und jedem die Beschäftigung angewiesen, die ihm gebührte. Der Knecht war mißfarben, hatte schwarzes Haar, runzelige Hände, knotige Knöchel, dicke Finger, krummen Rücken, große Füße, blöde Augen und ein garstiges Antlitz; der Bauer besaß blitzende Augen, er war blond, und seine Haut rötlich; die Wangen des Edlen strahlten, sein Haar war hell, und seine Augen schienen Blitze zu schleudern. — Ein uns verlorenes Lied der Wikinger Zeit, auf das noch gekünstelte Vergleiche anspielen, , besang auch Heimdalls Tod; die Forschung hat seinen Inhalt erschlossen: der Gott fiel durch das eigene Schwert, das Haupt der Schwerter, das Loki dem sonst immer Wachsamen entwand; auch er fand ein heldenhaftes und tragisches Ende.

Der alte persische Mithra, unzweifelhaft ein Himmelsgott, wird so charakterisiert: " er ist immer umsichtig, immer wachsam. — Er ist weder die Sonne noch der Mond noch das Sternenheer, sondern mit Hilfe dieser tausend Ohren und zehntausend Augen überwacht er die Welt. Mithra hört alles, sieht alles, er ist allwissend, er ist der Gott der Wahrheit und Rechtschaffenheit, gibt Fruchtbarkeit und Nachkommenschaft und bekämpft wachend, ohne Schlaf die Bösen." — Von diesen Eigenschaften decken sich sehr viele mit denen Heimdalls; eine Stimme aus dem fernen und alten Osten scheint uns ihren Beifall kundzutun, daß wir Heimdalls Wesen als das eines Himmelsgottes, genauer als das eines Gottes der Morgenröte bestimmten.

Von unsren Zeugnissen ist jedoch die Geschichte vom Halsband Freyjas die feine, wohlerwogene Schöpfung eines Dichters der Wikinger Zeit, kein alter Mythus, ebensowenig wie der Bericht von Odhins Auge, das er Mimi verpfändete. Dasselbe gilt von dem Lied über Heimdalls Tod. Wir fassen es auf als eine Variation des Balder- und des Frey-Themas. Es scheint künstlerische . I. 16



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Absicht, daß die Skalden ebenso wie das Ende, so auch den Anfang, die Geburt des Gottes, in Geheimnis hüllten. Das Motiv von den neun Müttern, nur in jenem einen, ganz späten Lied erwähnt - das übrigens auch alle Namen der Mütter herzählt — ist eine der Erfindungen des späten Island, in der sich Gelehrsamkeit und Phantasie so seltsam mischen. Die Rigsmal aber, die frühere Gelehrte für ein altes, vielleicht uraltes Eddalied ansahen, ist vielleicht in ihren Grundlagen alt, in der Auffassung des Heimdall als des Vaters der Menschen, in der Ausführung aber ein "geistig raffiniertes" isländisches Werk des 13. Jahrhunderts . Der Gott, der die Stände schafft, und sie die ihnen zukommenden Tätigkeiten lehrt, entspricht dem irischen Großkönig Rig Mor, kommt also aus Irland. Heimdall als Gott des frühen Tages ist somit nur eine Schöpfung der Wikinger Poeten, die Island aufnahm und erweiterte; der alte Gott selbst ist es noch nicht.

Island hat am Ende auch diesen Wächtergott mit seinem Spott nicht verschont. Die einen sagten ihm nach, daß er als Wächter in seiner schönen Wohnung behaglich seinen Met trinke, Loki verhöhnte ihn umgekehrt, weil er mit immer feuchtem Rücken die Götter bewache und um ihretwillen alle Unbilden der Witterung auf sich nehme. Wieder andere zogen seine Klugheit ins Lächerliche: er höre ja wohl das Gras auf der Erde die Wolle auf den Schafen wachsen. Diese ironische Übertreibung ist wie sein Gesicht bei Tag und Nacht, wie sein hundert Meilen weiter Blick, wie sein Vogelschlaf eine Entlehnung aus übermütig übertreibenden Märchen.

Trennen wir nun Spott, Geist, Gelehrsamkeit und Märchenfreude des späteren Island, trennen wir auch die schönen und reichen Steigerungen der Wikinger Dichter von Heimdall ab, was bleibt? Ein schöner und kluger, wachsamer und hilfsbereiter Gott: so schildert den Heimdall in wenigen Worten die Thrymskwidha. Heimdall bedeutet wohl auch der "hellstrahlende" . Eben diese



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Eigenschaften Heimdalls sind Eigenschaften der Elben. Als einem Elben gebühren dem Heimdall das Roß mit goldenen Stirnhaaren , die goldenen Zähne, das leuchtende Antlitz. Elben sind Ahnherren der Helden, Heimdall der Urvater der Menschen. Der König der Elben und Beschützer der Helden in altfranzösischer Heldendichtung Oberon ist klein, zierlich, schön wie die Sonne, wachsam, hilfsbereit, sehr klug und hört die Engel im Himmel singen. Oberon ist germanischer Herkunft, sein Name eine Umsetzung und Weiterbildung des germanischen Alberîch ins Französische, er scheint dem Heimdall nah verwandt. Er hat ein Horn, in das die von ihm beschützten Helden in dringendster Not blasen dürfen, Heimdall besitzt auch ein Horn und bläst es in der Stunde der höchsten Gefahr, bei der Götterdämmerung, um das Nahen der Feinde zu verkünden. Diese Vermerke genügen wohl als Nachweis, daß Heimdall in seinem Ursprung ein Elbe war. Durch seine Schönheit, sein kluges Vorherwissen, seine Hilfsbereitschaft schien er zum weltüberschauenden, alles Werden erspähend Gott der Morgenröte berufen.

Als Ergänzung und in Erinnerung an früher Gesagtes bemerken wir noch, daß Heimdall der getreueste Wächter und Diener der Götter ist und sich auch dadurch als Elbe charakterisiert: Thjalfi, Röskwa, Byggwi, Beyla, die Idise traten ja alle in den Dienst der Asen, Loki verkleidet sich als Thors Magd, und wieviel Dienste muß er den Göttern leisten!

Für die Forschung ist es keine Schande, daß sie sich lange umsonst bemühte, Loki zu erfassen, denn er bleibt unter den nordischen Göttern der vielfältigste und widerspruchvollste. Die einen sagen, er sei schön und zierlich von Gestalt, die andern, er sei häßlich, ein Riese und der Vater böser Riesenbrut, er selbst ist den Göttern bald Freund und Diener, bald neckt und narrt er sie, bald wendet er sich gegen sie in unverhüllter Feindseligkeit, weiß ihre verwundbarste Stelle zu treffen und schmäht sie beleidigender als



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irgendein anderer. Er gibt ihnen die Kostbarkeiten, an denen sie ihre Freude haben, und er nimmt ihnen Balder. Und derselbe Gott, der klüger, geschickter ist als alle und die unheilvollsten Ränke spinnt, wird wieder von plumpen Riesen genarrt und mißhandelt.

Wir gehen oon der Sage aus, die berichtet, wie Loki, zur Strafe für seinen Frevel an Balder, gefesselt wurde. Snorri erzählt:

Als die Götter so zornig geworden waren, wie zu erwarten stand, lief Loki fort und verbarg sich im Gebirge, er baute da ein Haus mit vier Türen, so daß er aus dem Haus nach allen vier Richtungen sehen konnte. Aber oft am Tage nahm er die Gestalt eines Lachses an und verbarg sich da, wo es heißt Franangfall. Er bedachte bei sich, welche List die Asen erfinden würden, ihn im Wasserfall zu ergreifen. Und als er im Hause saß, nahm er Leingarn und flocht ein Geflecht, so wie das Netz seitdem gemacht wird, und ein Feuer brannte vor ihm. Da sah er, daß die Asen nur noch ernen kurzen Weg hatten zu ihm, uns es hatte Odhin gesehen aus Hlidskjalf, wo er war. Loki stürzte sofort heraus in das Wasser und warf das Netz hinein in das Feuer. Doch als die Asen dahin kommen, da ging der als erster hinein, der von allen war der Klügste, der Kwasi genannt wird, und als er beim Feuer die Asche sah, in die das Netz verbrannt war, meinte er, daß dies eine List sein möchte, Fische zu fangen, und sagte es den Asen. Danach nahmen sie Flachs und machten sich ein Netz nach dem Muster, das sie sahen in der Asche, das Loki gemacht hatte. Und als fertig war das Retz, gehen die Asen zum Fluß und werfen das Netz in den Wasserfall. Thor hielt es an einem Netzhals, aber am andern hielten es alle Asen und sie zogen das Netz. Doch Loki sprang voran und legte sich hin zwischen zwei Steine. Sie zogen das Netz über ihn und erkannten, daß etwas Lebendiges zurückblieb, und sie gehen ein zweites Mal hinauf zum Wasserfall und werfen aus das Netz und binden es so fest, daß nichts daraus schlüpfen kann. Loki geriet da in das Netz hinein, aber als er sieht, daß es nur noch eine kurze Strecke bis zum Meer ist, da springt er über die Leine und stürzt sich zurück in den Wasserfall. Nun sehen die Asen, wohin er entkam, sie gehen zurück zum Wasserfall und teilen ihre Schar in zwei Abteilungen und Thor watet da mitten im Fluß und so gehen sie voran bis zum Meer. Aber als Loki sieht nur noch zwei Möglichkeiten — es war da eine Lebensgefahr, in das Meer zu springen, und die andere war, es nochmals mit dem Netz zu versuchen —, da tat



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er das letzte, er sprang so schnell wie möglich über die Netzleine. Thor griff nach ihm und fing ihn und er glitt ihm durch die Hände, daß in der Hand haftete der Schwanz, und es ist aus diesem Grunde seitdem der Lachs hinten schmal.

Nun wurde Loki ohne Schonung gepackt und man ging mit ihm zu einer Höhle. Da nahmen sie drei Steine und setzten sie auf die Spitze und schlugen ein Loch in jeden Stein. Dann wurden gepackt die Söhne Lokis Wali und Nari, es gaben die Asen dem Wali Wolfsgestalt und er riß entzwei Nari, seinen Bruder. Da nahmen die Asen seine Därme und banden den Loki damit über den drei spitzigen Steinen. Einer steht unter seinen Schultern, einer unter den Lenden, einer unter den Kniekehlen und es wurden die Fesseln zu Eisen. Da nahm Skadi eine Giftschlange und befestigte sie über ihm, so daß das Gift triefen sollte aus der Schlange ihm ins Antlitz. Aber Sigyn, seine Frau, sitzt bei ihm und hält eine Mundschüssel unter die Gifttropfen. Doch wenn voll ist die Mundschüssel, geht sie und schüttet aus das Gift. Doch unterdessen tropft das Gift ihm ins Antlitz. Da reißt es ihn so gewaltsam auf, daß die ganze Erde bebt, das nennt ihr das Erdbeben. Da liegt er in Fesseln bis zur Götterdämmerung.

Wenn die Strafe Lokis eine Vergeltung ist für seine Tat an Balder, so setzt sie einen Loki voraus, der nicht mehr der alte, germanische Loki sein kann. Unter dem Einfluß des Christentums verwandelte sich Balder in den christlichen Heiland, den unschuldig leidenden Gott. Der nordischen Götterwelt, die den Heiland aufnahm , konnte der Teufel nicht fernbleiben, die Sage von Balder zeichnete darum teuflische Züge in Lokis Antlitz. Loki tut dann das Schlechte um des Schlechten willen, er tötet den Liebling der Götter und er sorgt in hämischer Schadenfreude, daß er nicht wiederkehrt. Die Feinde der Götter, durch die sie beim Weltuntergang fallen, sind die Riesen: für die Dichter, die in Loki den schlimmsten Götterfeind sehen, mußte er also ein riesischer Unhold werden. So fassen ihn auch die Wikinger Poeten auf, und schon im 10. Jahrhundert. In ihren schöpferischen Händen erscheint Loki als der unerbittliche, rachsüchtige Gegner der Götter, er steuert beim Weltende das Schiff, auf dem ihre schlimmsten Feinde sitzen. Als



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man dann Göttergenealogien zusammenstellte, hieß es, sein Vater sei ein Riese gewesen, mit einer Riesin habe er die Hel gezeugt, und die Midgardschlange und den Fenriswolf. Die Midgardschlange warf Odhin ins Meer, wo es am tiefsten ist, die Hel in die Welt des ewigen Dunkels, in das Niflheim, dem Fenriswolf legten die Götter die unzerreißbaren Fesseln an: welche Welt des Grauens, des Heldentums, der frevelnden List ist in diesen Vorstellungen beschlossen! — Den Vater der Unholde mußten Fesseln binden, wie den Wolf, das Kind, auch ihn banden die Götter an feste und spitze Felsen, mit den Därmen des eigenen Sohnes. Eine alte Vorstellung wurde dann auf Loki übertragen: uns ist sie nicht mehr fremd, sie trat vielleicht schon den Goten entgegen, die am Schwarzen Meere hausten, und wanderte von dort nach Norden , auch primitive Völker malen sich ähnliche Schrecken aus: die Vorstellung, daß ein gefesselter Unhold, wenn er sich aufbäumt, die Erde erbeben macht. Die Art der Fesselung, das Motiv von der Frau, die den Unhold zu beschützen sucht, erzählen kaukasische Sagen sehr ähnlich. Die Geschichte oon der Schüssel, in die das Gift tropft, kehrt ebenfalls in östlichen Märchen wieder. — Damit sind Loki als Riese und Loki als Teufel charakterisiert, als Gestaltung nordischer Poeten, sie bildeten einen älteren heidnischen Gott ins Heroische und Christliche um, mit jener Kunst, die auch anderen germanischen Göttern das Gepräge der Wikingerwelt gab.

Am Ende der Fesselungssage ist Loki Riese. Der Loki, der in der gleichen Sage seinen Verfolgern so hurtig entschlüpft und sich ihnen immer von neuem entwindet, gleicht einem listenreichen, vielgewandten Kobold und gehört in die Schar elbischer Wesen. Das ist natürlich in unsrer Geschichte ein atiologisches Einsprengsel, wie es vor allem die Märchen lieben, daß der Schwanz des Lachses schmal bleibt, weil Loki als Lachs dem Thor durch die Hände gleitet und erst am Schwanz festgehalten wird. Sonst kann es uns, auch in dieser Sage, nur von neuem frappieren, wie unbekümmert



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die nordischen Erzähler ihre Gebilde aus verwandten und doch so verschiedenen Gebilden zusammensetzen, hier aus einer Niesen- und einer Elbensage.

Im finnischen Epos Kalewala findet sich ein Bericht, der einem älteren germanischen entstammt und der dem Bericht von Lokis Gefangennahme verwandt ist. Der himmlische Feuerfunke flog in das Wasser, dort verschlang ihn ein Barsch, diesen verschlang ein Lachs, diesen ein Hecht: das Feuer fuhr, seine Träger wütend peinigend, umher, bis die verfolgenden Helden es endlich fingen, in Netzen, die sie zu diesem Zwecke kunstreich herstellten.

Die Urform, aus der sich nordischer und finnischer Bericht entwickelten , war wohl die Sage von einem kühnen Burschen, der das Feuer am Himmel holt, es nicht hergeben will, darum verfolgt wird, der es im Wasser verbirgt, weil die Sonne sich ja im Wasser spiegelt — und der sich seinen Verfolgern durch viele Verwandlungen entzieht, bis sie ihn doch fangen und ihm seinen Schatz gewaltsam entwenden. Diese Sage und die Sagen von Odhin und Odhreri und von Loki und Idhun wuchsen auf dem gleichen Baum. Und das Motiv von einem zaubermächtigen Wesen, das sich seinen Verfolgern durch immer neue Verwandlungen zu entziehen sucht, ist ein altes Lieblingsmotiv in Zaubersagen, zuerst begegnet es uns in Homer, in der Geschichte von Proteus in der Odyssee.

Der Loki der Feuersage ist ein "Kulturheros", ein "Heilbringer " , und als solcher ein Ahnengeist und Elbe; kühn, rasch, gewandt, verschlagen. Besonders erinnert Loki, der Feuerholende und der Gefesselte an Promotheus, auch dieser war ja ein belebender und schöpferischer Gott. Beinahe möchte man glauben, schon die Goten im Kaukasus hätten den Loki dem Prometheus angeglichen.

Als "Kulturheros" baut Loki auch das Haus mit den vier Türen und schafft das Netz und lehrt die Götter das Netz flechten.



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In der nordischen Volksüberlieferung heißt das Spinngewebe noch heute locka nät oder dverga nät, gilt also als Netz und als kunstreiche Erfindung Lokis oder der Zwerge. Sollte nicht auch der Name Loki mit luka, schließen, zusammenhängen und der "Einschließer" bedeuten? Sollte er ursprünglich der Spinne gebührt haben, die sich ja in ihr Netz einschließt, und später auf den Gott übertragen sein, der das einschließende Netz erfand? Die Spinne verehren manche Völker als kunstreiches Tier, in afrikanischen überlieferungen hat sie sogar Zusammenhänge mit der Welt des Himmels und mit Schöpfungsgeschichten. Und den Sprachforschern ist es bisher nicht gelungen, den Namen Loki, der dem Namen für das Feuer, logi, so ähnlich klingt, nun auch sprachlich einwandfrei mit den Stämmen *Joga oder *loha in Zusammenhang zu bringen.

Auch andere dänische und schwedische Volksüberlieferungen der Gegenwart kennen den Loki als elbisches Wesen, als Schutz- und Hausgeist, der im Feuer des Herdes waltet, als Wicht, der im flimmernden Sonnenschein des Mittags seine Herden austreibt, als Kobold, dem man gern opfert, der den Vögeln die Federn verwirrt und der wie jeder echte Kobold zu allem Schabernack geneigt ist.

Die den meisten Lokisagen der Edda gemeinsamen Züge sind wieder List, Durchtriebenheit, Diebskunst, erfinderischer Sinn, Eigenschaften der Elben, der Wichte, der Kobolde; alle diese Wesen sind ja eng miteinander verwandt und kaum zu unterscheiden. Loki raubt dem Riesen die Idhun, verwandelt sie in eine Nuß, bringt sie den Göttern. Loki ermittelt, wer Thors Hammer gestohlen ; seinen schlagfertigen, klugen Worten verdanken es die Götter, wenn Thor seinen Hammer zurückgewinnt. Loki entwendet der Freyja ihr Halsband, entlistet dem Andwari sein Gold und den Ring dazu und bringt es dem Odhin und dem Höni; in einem anderen späten Bericht, märchenhaft ausgeschmückt, aber alten Kerns, wacht er darüber, daß Odhin und Frey und Thor und



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die anderen Götter jeder ihr kostbares Besitztum erhalten, nachdem er zuerst der Sif ihr Haar abgeschnitten. Loki bewahrt durch seine Verwandlung in eine Stute die Götter vor dem Riesenbaumeister, versöhnt durch seine Späße die erzürnte Skadi, beredet den Thor, sich ohne Kraftgürtel auf die Reise zu Geirrödh zu begeben, beredet die Idhun, die Götter zu verlassen, Loki ermittelt, was kein anderer Gott ermittelt hätte, die Pflanze, die Balder den Tod bringt, Loki kennt in der Lokasenna alle Heimlichkeiten der Götter. —

Als Erfinder des Netzes wohnt Loki gern am Wasser. Wer sich blitzschnell in einen Fisch verwandelt, kann auch nach dem Gold und nach dem Feuer tauchen, das in den Wellen funkelt: so dürfen wir es uns wohl erklären, wenn Loki da und dort Fischgestalt annimmt.

Im Wesen der Elben und Kobolde liegt es, den Menschen zu helfen und die Menschen zu necken, darum treibt es auch den Loki unwiderstehlich, die Götter zu foppen. Wenn diese in der Edda sich zum Rat versammeln, bei irgendeiner Not oder einer Gefahr, so kommt über sie leicht etwas Ungelenkes, Feierliches und Ratloses; sie sehen sich an, wissen entweder nicht, was sie beginnen sollen, oder sie tun etwas Verkehrtes. So geschieht es, als Thor seinen Hammer vermißt, als Hrungni unter ihnen prahlt, als der Riesenbaumeister trotz allem mit der Burg fertig zu werden droht, als die Idhun ihnen entschwindet — und fast immer bleibt Loki der einzige, der sie herausreißen kann, der sich immer neue Listen und Verwandlungen ersinnt und der blitzschnell davonfliegt, um Hilfe zu holen. — In diesem Kontrast schwelgten die Dichter der Edda, ihr Loki hatte etwas ungemein Bewegliches, Anmutiges, geistreich überlegenes. Er war noch immer hilfreich und geschickt, doch er mißbrauchte gern seine Überlegenheit, brachte die Götter absichtlich in schwierige Lagen — man gedenke wieder der Geschichte von der Idhun und der vom Riesenbaumeister — und er weidete



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sich dann an der Ohnmacht und dem komisch verzweifelten Gebaren der himmlischen Herrschaften. Ohne ihn können sie nicht weiter, und sie wissen nichts, als ihn zu bedrohen, er aber gleitet noch zwischen ihren Fingern durch, wenn sie ihn schon in den Händen haben. Erst muß Loki sie ärgern und necken; wenn er sie eine Weile hat zappeln lassen, so befreit er die Asen aus ihrer Not. Er wurde, weil zum Schluß immer alles gut ausging, dann gar zu frech und übermütig. Nun verstehen wir es als hübsche Erfindung der isländischen Dichter, daß Loki auch die Riesen, den Geirrödh und den Thiazi, reizte, daß diese aber nicht glimpflich mit ihm umgingen wie die Götter. Sie lassen die Kraft des Stärkeren walten und gerade das ist das Gescheite: sie straften ihn gehörig, sperrten ihn ein und mißhandelten ihn, bevor sie ihn freigaben.

Namentlich den großen Göttern, dem Odhin und dem Thor, steht Loki nah: das ist uns wieder ein Zeichen für sein hohes, religionsgeschichtliches Alter. Von Odhin sind wohl einige Namen auf Loki übergegangen, und Loki nennt den Odhin ja seinen Blutsbruder . Beide sind zauberkräftig, verwandlungsfähig, Menschenbeleber, Kulturheroen, dem Ahnenkult entwachsen: sollte Odhin auch diesen älteren Gott verdrängt haben? —Geistreicher führt die Edda das Neben- und Gegeneinander von Loki und Thor aus: beide Götter der Ehe, der Zeugung, der schöpferischen Kraft. Der eine Herr über Blitz und Donner, der andere Feuerbringer und dem Feuer immer nah. Thors Bäume sind Eiche und Eberesche, Lokis Mutter heißt Laufey; was der Name auch bedeuten möge, sein Zusammenhang mit "Laub, Baum" ist sicher. Aber Thor ist groß, überstark, ungefüg, derb und ehrlich, Loki klein, verschlagen, listenreich am Ende packt und überwältigt der Große doch den Behenden, Kleinen, mit dem er viel Abenteuer bestand. — Seine List, seine Verführungskünste machten den Loki dem Teufel ähnlich. Nachdem er sozusagen der Teufel selbst geworden, schien es, als



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könne inder Götterwelt sich kein Unheil begeben, an dem Loki nicht die Schuld habe, als ob er wie das lauernde, immer wache Verderben tückisch unter ihnen wandle. Man höre nun die Charakteristik von Snorri:

Loki ist gefällig und schön von Angesicht, böse von Gemüt und sehr wetterwendisch in seiner Art. Er hatte die Klugheit anderen Männern voraus, die Verschlagenheit heißt und Listen in allen Dingen, er brachte die Asen immer in große Schwierigkeiten und löste sich oft daraus mit listigen Ratschlägen.

Aus dieser Schilderung läßt sich Lokis Entwicklung ablesen, die vom klugen und kleinen elbischen Wesen zum vielgewandten und gefährlichen Diener und dann zum Feind der Götter und zum Riesen führte. Eine Entwicklung, überraschender als bei irgendeinem anderen Gott, und vom Christentum, wie wir glauben, zurückführend durch die germanischen Schichten bis in das Bronzezeitalter und seinen primitiven und beweglichen Glauben.

Thjalfi läuft im Gefolge oon Thor und Loki sozusagen mit: als kleiner schneller Gott und als Feuerbringer. Ein Skalde des 10. Jahrhunderts nennt ihn Thors Schwurbruder, wir erinnern nochmals daran, wie er den Hrungni betrügt, den Mökkurkalfi besiegt , mit dem Gedanken um die Wette läuft, und, nach der schwedischen Sage, das Feuer auf die Insel bringt, die bei Tag ins Meer sank und bei Nacht auftauchte, und die er dadurch für immer dem Tag und dem Licht schenkte (S. 158).

Bei den elbischen Göttern muß man genauer zusehen, bis man sie als Elben erkennt, und als Gnneinschaft treten die Elben in der Edda nicht mehr auf. Anders die Zwerge: einzelne Zwerge und die Gesamtheit der Zwerge treiben in der Edda ihr Wesen, und das Tückische, Schadenfrohe und Koboldhafte drängt sich in ihnen vor. Wie gemein sind Fjalar und Galar gegen Kwasi und seine Frau; heimlich will Alwis dem Thor die Tochter stehlen, in der Erde hausen die Zwerge, bleich und fahl, häßlich und verwachsen,



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im Besitz unermeßlicher Schätze, die geschicktesten Schmiede von Waffen und Kleinodien. Auf ihre Diebskunst, ihre fingerfertigen Hände, ihre Verschlagenheit, ihre Verwandtschaft mit den Elben und ihre unschöne Gestalt deuten auch die Namen, die ihnen ein eigenes Gedicht beilegt, das Zwergnamen in langer Reihe aufzählt und von dem Strophen auch in die Wöluspa eingeschoben wurden. Was es von der Entstehung der Zwerge berichtet, ist skaldische Erfindung. Die Elben sind Diener der Götter, aber freiwillig: die Zwerge werden in den Dienst der Götter gezwungen und verächtlich behandelt. Zu schwach, ihre Knechtschaft abzuschütteln , suchen sie ihren Herrn Schaden zu tun, wo sie können: Andwari legt den Fluch auf den Ring, den man ihm raubt, andere Zwerge verfluchen das Schwert, das sie schmieden mußten. Man wird doch den Gedanken nicht los, daß wie die Elben die Götter so die Zwerge die Menschen der eingeborenen Bevölkerung waren, die die einwandernden Indogermanen vorfanden und verdrängten.

Auch die Riesen stehen als geschlossene Gemeinschaft den Göttern feindlich gegenüber und einzelne von ihnen traten außerdem mit einzelnen Göttern zum Kampf an. Im Germanischen waren die Riesen die Repräsentanten der ungebändigten Naturmächte, dem Anfang der Schöpfung nah, und die ersten kyklopischen Baumeister. Im Norden scheinen sich ihre Gebiete deutlicher zu scheiden, und ihnen gesellt sich eine Schar von Unholden bei, die uralte Furcht vor dem Ende aller Dinge gebar. Thrym, Hrungni, Geirrödh und vielleicht der inder Wöluspa genannte Hrym kämpfen um den Blitz oder mit der Waffe des Blitzes, alle ihre Namen sind laut- und schallmalend. Suttung, Thiazi und der Sturmriese Hrungni fliegen als Adler rauschend durch die Lüfte, Hraesvelg — das ist wieder eine sehr alte Vorstellung — schafft den Wind, indem er mit seinen Flügeln hin und her schlägt. — Die Meer- und Wassergottheiten sind meist Riesinnen, gierig, grausam und räuberisch; so war die Ran, deren Taten zuerst skaldische Dichter



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schildern, so die Hrimgerd, die vergeblich dem Helgi nach Leben und Liebe trachtete, so Gjalp und Greip, die jene Fluten entfesseln, die den Thor fortreißen sollen. Gjalp und Greip heißen ja auch (S. 165) zwei oon den neun Müttern Heimdalls: und die anderen Eistla (die Stürmende), Eyrgjafa (die Sandgeberin), Ulfrün (die Wölfische), Angeyja (die Bedrängerin), Irnd (die Dunstige), Atla (die Schreckliche), Jarnsaxa (die mit dem Eisenschwerte, das ist die schneidende kälte).

Hymi ist ein Riese des Meeres und der eisigen Kälte, desgleichen wohl Gymi, Gylfi war eigentlich ein Riese der brausenden Wogen. Im Altenglischen erscheinen Grendel und seine Mutter als blutgierige, vampyrische Unholde, als Riesen aus jenen tückischen Mooren, die das Meer vom Lande trennen. Mimi, als Wassergeist den Riesen nah, ist uns bekannt, die freundlichste der Meergottheiten war der Gemahl der Ran, Aegi (das ist der Wassergott, der Name gehört zu gotisch ahva, Wasser): ihn umschmeichelt wieder das Märchen, in seiner feuerfunkelnden Halle trugen die Speisen sich von selbst auf.

Der Besitz uralter Weisheit und die Schätze der Urwelt kommen den Riesen in den alten Dichtungen der Edda zu: diesen Schätzen, dem Göttertrank, den Früchten, den Rossen stellen die Götter nach. Die gewaltigen Mauern der Berge gelten — wie noch in unsren Volkssagen — als ihr Werk, die ungeheuren Steine und Felsen als ihre Waffen; und aus ihrem Gefühl von Alter, Vereinzelung und unfruchtbarer Starrheit erklärt sich wohl ihre Sehnsucht nach den Göttinnen der fruchtenden Fülle. Und doch scheinen die Riesen, von jeher der Schöpfung geheimnisvoll nah, bestimmt, die Sache der Urwelt gegen die Sache der Götter zu führen: sie alle scheinen auf den Tag zu warten, an dem sie diese unruhigen Eindringlinge, vor denen sie weichen mußten, wieder vernichten, an dem sie diese ewig schöpferischen, nie befriedigten, von Tat zu Schuld stürzenden Wesen wieder zerstören können, damit die Welt im alten Urschlaf des Chaos wieder ruhe und träume.



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Wir kennen die alte germanische Idee und ihren ewigen Gehalt — sie war ja die beseelende Macht der Göttersage —, daß Held und Gott berufen sind, Unholde zu überwinden und ihnen am Ende doch zu erliegen. Sie setzen ihr Leben ein, um die feindlichen Gewalten niederzuwerfen, die gegen Volk und Menschheit anstürmen. So siegt und fällt Beowulf, so siegt und fällt Donar-Thor. Die germanische Idee haben die Poeten der Wikingerzeit in ihrer Art gesteigert: aus dem Gott wurde die Gemeinschaft der Götter, aus dem Riesen die Gemeinschaft der Riesen, mit den Riesen verbündeten sich eben jene Wesen, die der Schrecken der Nacht, der Finsternis, der Sonnenverdunklung, des Erdbebens, der empörten See schuf, Fenri, Garm, Surt, Hel, die Midgardschlange und ihrer aller Meister, Loki. Die Welt des Grauens und der entfesselten Elemente zog gegen die Welt der Götter, gegen die Welt des Lichts, der Kraft, der Fruchtbarkeit, des Heldentums, aber auch gegen die Welt der List, des verruchten Zaubers, des unerbittlichen Krieges. Wir haben durch die Göttersagen von allen wechselnden Gestalten des Kampfes von Riesen und Göttern erfahren , seine Verklärung gab ihm das Ende der alten Götter, von denen jeder fiel wie der erlauchtetste germanische Held und die den Weg bahnten für neue und reinere Welten.


7. Die Göttinnen

Von den Göttinnen haben wir Freyja, Gullweig und Gefjon schon charakterisiert. Die nordische Frigg unterscheidet sich in ihrem Wesen kaum von der germanischen Frija, das Frauenhafte, der Mutterwitz, Anmut und Liebe bleibt ihr Teil. In den Grimnismal weiß sie ja ebenso wie in der alten Longobardengeschichte ihren Günstling zu beschützen. Im Merseburger Zauberspruch will sie das Pferd des Balder heilen, im Nordischen nimmt sie allen Dingen den Eid ab, dem Balder nicht zu schaden, und fleht die Götter an, sie möchten doch den Entschwundenen aus der Hölle zurück



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bringen. Sie gibt dem Odhin, der sich zur Fahrt zum Riesen Wafthrudni rüstet, ihren Segenswunsch, als seine Vertraute ist sie in sein ganzes Wissen eingeweiht. Keine andere Göttin begleitet ein so reiches und stolzes Gefolge. Die Vorwürfe, die der Loki der Lokasenna und die Saxo gegen Frigg schleudern, gelten zum Teil der Freyja, zum Teil mag die dunkle Erinnerung nachwirken, daß Frigg vor Odhin einem anderen Gott, dem Himmelsgott, gehörte.

Wie die Frigg, so umgibt den Odhin eine Schar leuchtender Göttinnen, die Walküren. Deren Entwicklung ist der Odhins sehr ähnlich. Wie jener sind sie zaubermächtig, herrschen über den Krieg und die Toten und fahren durch die Lüfte. Weil sie dort hausen, nahmen sie, stärker noch als Odhin, Eigenschaften von Wind- und Wolkenfrauen an. Sie brachten über die Felder Fruchtbarkeit, man stellte sie sich als leuchtende Schwäne vor. Die Germanen und die Esthen verglichen zuweilen die Wolke mit dem Schwan. In einigen Eddaliedern sind die Walküren ja noch Gottheiten für sich. Ihrer drei oder ihrer neun fliegen sie über den nächtlichen Himmel oder durch die schwarzen Wälder. In einem dem Helgi geltenden Lied sehen die Helden sie im Schmuck des Helms, in blutgeröteter Rüstung: die Speere, denen Funken entsprühen, in der Hand, reiten sie über den flammenden Himmel. — Odhin, den sein Herz ja immer zu den Göttinnen zog, wurde von den Wikingern mit d en Walküren beschenkt, die uns als die eigentlichen Walküren erscheinen: in Odhins Auftrag walten sie über den Schlachten, bestimmen die Helden, die fallen sollen, und begrüßen die Verklärten, strahlend und in mädchenhafter Schönheit, oben in Wallhall.

Die Seele, die tags im Leibe wohnt, sich nachts von ihm trennt, faßten die alten Nordleute auf als eine Art Gefolgsgeist des Menschen, sie nannten sie Fylgja (die Folgerin). Diese Fylgjen sind vom Menschen unzertrennlich, begleiten und beschützen ihn wie ein guter Engel und bleiben unsichtbar. Nur im Traum zeigen sie sich manchmal, meist in Tiergestalt, sie erscheinen dem Menschen



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auch, kurz bevor er stirbt. Eine wunderschöne Variation ist der Glaube, daß der sterbende Held die Walküre erblickt, die ihn beschützt und zum Tode wählt. Der Glaube an die Fylgja war während der ganzen Heidenzeit sehr lebendig und wird uns oft drastisch beschriebe. Das Volk dachte sich die Fylgjen als Frauen, vervielfältigte sie und gab einem Menschen eine ganze Anzahl, dem Vornehmen zum Beispiel mehr und stärkere als dem Geringen. Man brachte ihnen Opfer dar und hütete sich, sie zu erzürnen, man glaubte auch, daß sie bestimmte Geschlechter aufsuchten und von einer Generation in die andere übergingen. Unter dem Einfluß des Christentums spalteten sich die Fylgjen in gute und böse Geister. Neben den vielen Fylgjen oder Disen, wie man sie auch nannte — sie erinnern uns zuweilen an die alten matres der seiten und Germanen, bleiben jedoch viel schattenhafter —, verehrten die Nordleute stärkere Schicksalsgöttinnen, in denen sich der Fylgjenglaube verdichtete. Eine parallele Erscheinung wäre etwa die vielen Gottheiten der Fruchtbarkeit neben der einen Mutter Erde. Diese höheren Gottheiten hießen Nornen. Die Gottheit war weiblich, weil die Germanen, wie wir wissen, die Frauen als Weissagerinnen verehrten, als Zauberinnen fürchteten und an sie glaubten als an die Vertrauten der Gottheit, zum Unterschied von anderen Völkern, wie etwa den Juden, bei denen Propheten, Weissager, Heilige und Engel Gottes Gebote ausrichten.

Die Nornen walteten nach der Meinung der Nordleute über jede Tat des Menschen. Die älteste und ehrwürdigste unter ihnen hieß Urd (altdeutsch wurt), das Schicksal. Was er Rühmliches und was er Böses vollbrachte, war des Schicksals Werk, nicht das des Menschen, der trug dafür keine Verantwortung, ihn traf nur das ihm Veschiedene Los. Dieser Fatalismus war wohl die Weltanschauung der Germanen, er verleitete sie aber nicht wie orientalische Völker zur stummen und tatenlosen Ergebenheit in die Dinge, die doch niemand abwenden kann. Die Helden unter



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den Germanen trugen stolz und aufrecht, was ihnen auferlegt wurde, und lebten und handelten, als gäbe es keine Vorherbestimmung.

Da ihre Tätigkeit eine dreifache war, da sie das Leben gaben, darüber walteten und es nahmen, setzte sich der Glaube an drei Nornen durch. Die Wöluspa sagt von ihnen: "sie schnitzten am Losstab, legten fest das Leben den Menschenkindern und das Schicksal der Männer" . Die Nornen gehören zum Geschlecht der Riesen, sie sind älter als die Götter und sind nach der Meinung der Edda auch mächtiger, denn sie führen den Willen des Schicksals aus, das über Göttern ebenso thront wie über Menschen.

Daß eine der Nornen, wieder die Urd (man faßte Urd falsch auf als "das Gewordene"), über die Vergangenheit waltete, die andere Werdandi über die Gegenwart, dritte Skuld über die Zukunft, ist eine nordische, unter gelehrten Einwirkungen entstandene Deutung, kein uralter Glaube, und unter dem Einfluß des Christentums hat der Nornenglaube sich weiter vervielfältigt und zersetzt.

Von den Sagen über die Nornen sei hier die von Nornagest erzählt.

Als er in der Wiege lag, über der zwei Kerzen brannten, traten die drei Nornen zu ihm. Zwei verhießen ihm Gutes, die dritte war im Gedränge der Gäste zu Boden geworfen und rief: "Ich schaffe, daß das Kind nicht länger lebt als die Kerze neben ihm brennt." Die älteste Norne löschte rasch die Kerze und mahnte die Mutter, sie nicht anzuzünden , und diese gab sie dem Kind erst und erzählte ihm, welche Bewandtnis es mit ihr habe, als es herangewachsen war. Nornagest behielt sie bei sich und lebte dreihundert Jahr, die ganze Zeit, in der das nordische Heldentum blühte und verwelkte. Als das Christentum kam, schloß Nornagest mit ihm seinen Frieden, mochte aber nicht länger leben, er begab sich in das Gefolge des Königs Olaf und erzählte ihm die Sage vom Sigurd, danach seine eigene Gewichte. Dann zündete er die Kerze an und legte sich nieder. Als er die letzte ölung empfing, verlosch das Licht, und in dem gleichen Augenblick war auch der Held verschieden. Sagenb. l. 17



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Diese Sage ist der alten griechischen vom Meleager sehr ähnlich. Auch zu dessen Mutter traten, als das Kind in der Wiege lag, drei Schicksalsgöttinnen: die Moiren. Die erste gab ihm Tapferkeit, die zweite Großmut, die dritte prophezeite, er werde nur so lange leben, wie der auf dem Herd liegende Brand vom Feuer nicht verzehrt sei. Die Mutter löschte den Brand und hob ihn auf. Meleager aber, herangewachsen, erschlug die Brüder seiner Mutter, sie wollte es rächen, warf den Brand in die Flammen und Meleager mußte sterben.

Viele Forscher glauben, die Sage von Nornagest sei in Anlehnung an die von Meleager entstanden. Da sie spät ist, und da die Dichter jener Zeit manche literarischen Kenntnisse besaßen, darf man diese Möglichkeit nicht abstreiten. Hervorheben aber muß man, daß die zwei Hauptmotive, auf denen die Sage beruht — die neidische Norne und das in eine Kerze oder in einen Brand gebannte Leben — damals jedes für sich weitverbreitet, im Norden auch außerhalb der Meleagersage bekannt waren und daher nicht notwendig von dort entlehnt sind.

Wichtiger scheint das Folgende: die Sage von Nornagest hat einen ganz anderen Sinn als die von Meleager. Diese zeigt, daß der Mensch nicht klüger sein soll als das Schicksal. Verhütet er ein gegenwärtiges Unheil, so beschwört er ein viel schlimmeres, zukünftiges herauf. Hätte die Mutter den Brand gleich ausbrennen lassen, sie hätte nur den Sohn verloren, als er noch klein war und für sie noch nicht viel bedeutete. So verlor sie die Brüder, erfuhr vom Sohn den schmerzlichsten Kummer und muße ihn selbst töten. — Nornagest dagegen triumphiert über das Schicksal. Er stirbt keines vorzeitigen Todes, sondern lebt das Leben des ganzen nordischen Heldentums. Als er genossen, was nur jene übermenschlichen Helden genießen können, brauchen ihn die Götter nicht zu rufen; mit einem Dank- und Lobgesang auf sein Dasein, versöhnt mit dem neuen Glauben, geht er gern in den Tod.



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Die Zahl der Göttinnen ist auch im Norden ansehnlich. Aber sie sind weniger reich gestaltet und haben, wenigstens in den uns zugänglichen Aussagen, nicht mehr die Bedeutung, die sie in den germanischen Berichten besitzen, sie treten weit hinter ben Göttern zurück. Dafür hob auch sie die Kunst der Wikinger in jene Sphäre von Schicksal und Heldentum, in der das beste Leben der nordischen Götter sich leuchtend vor uns ausbreitet.


8. Weltanfang und Weltende

Die germanischen Vorstellungen über Weltanfang und Weltende hängen für immer zusammen mit der Wöluspa, dem berühmten nordischen Gedicht vom Ende des 10. Jahrhunderts, dessen erhabene Kunst einige Proben uns anschaulich machten.

Wir vergegenwärtigen uns kurz den Ablauf der Dichtung.

Aus der großen endlosen Leere am Anfang der Zeiten heben die Götter die Erde empor. Die Sonne lockt das Grüne aus dem Boden, den Gestirnen weisen die Schöpfer ihre Bahn und grenzen die Zeiten des Tages und des Jahres ab. Ein heiteres Leben der Arbeit und der Kunst hebt an, bis die Nornen, die Töchter der Riesen, die Berkörperinnen des Schicksals, in die Welt der Götter treten. Odhin, Loki und Höni schaffen die Menschen, leblosen Baumstümpfen geben sie Seele, Geist und bewegte Schönheit. Am Brunnen des Schicksals erhebt sich die Weltesche, immergrün, vom heiligen Nah benetzt, bei ihr hausen die Nornen. Sie bringen den ersten Krieg in die Welt, den Krieg der Wanen und Asen. Die Götter betrügen den Riesenbaumeister um seinen Lohn. Odhin gibt sein Auge dem weisen Mimi, um das Schicksal erfahren. Die Götter verlieren den Balder, den Wali rächt, und sie fesseln und bestrafen Loki, Balders Mörder. In weitem Umkreis umgeben Behausungen des Schreckens die Wohnsitze der Götter, hier warten die Unholde auf das Ende der Tage. Das Krähen der Hähne in den Welten der Asen und Riesen und das Bellen des Höllenhundes verkünden das Unheil. Finstere Wetter ziehen auf, die Bande der Sitte reißen, die Sippen wüten gegeneinander, der Bruder tötet den Bruder, die Unzucht wächst, Heimdall bläst in sein Horn, die Zwerge stöhnen vor ihren Steintüren, Odhin spricht mit Mimis Haupt, die Weltesche



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erbebt, die Midgardschlange peitscht zornig die Wogen, die Feinde der Götter reißen sich los, das Schiff, auf dem sie sitzen, beginnt seine Fahrt. Surt fährt von Süden, mit seinem blitzenden Schwert das Dunkel zerreißend, Odhin und Fenri, Frey und Surt, Thor und die Midgardschlange, Ty und Garm kämpfen gegeneinander. Die Götter unterliegen, Thor fährt neun Schritte vor dem giftigen Anhauch des Wurms zurück und stürzt zu Boden, die Sonne verfinstert sich, die Erde sinkt ins Meer, die hellen Sterne stürzen vom Himmel, Rauch und Feuer lodern zum Firmament empor. Zum anderen Mal taucht eine immergrüne Erde aus den Fluten, unter der Herrschaft Balders beginnt ein neues Reich, die Asen finden die goldenen Tafeln und die Kleinodien ihrer schuldlosen glücklichen Zeit, über den schäumenden Wassern schwebt der Adler und fängt an der Felsenwand den Fisch, die Äcker wachsen ohne Saat, die Drachen des Unheils versinken.

Snorri in seiner Gylfaginning erzählt uns noch einmal in großem Zusammenhang die Schicksale vom Werden und Vergehen der nordischen Götter und ihrer Welten, im Anschluß besonders an die Wöluspa, die Jahrhunderte hindurch in der nordischen Dichtung ein Ansehen genoß wie kein anderes Werk. Seine Mitteilungen, über zwei Jahrhunderte jünger, tragen freilich den Stempel einer anderen Zeit und einer anderen Bestimmung, sie sind eben ein Handbuch für den Dichter und ein echt mittelalterliches Gemisch von Gelehrsamkeit und Phantasie, von System und Dichtung. Das Grübeln und die Visionen der Zeit, die in der Wöluspa Gestalt annahmen, die Sehnsucht, die bangende Erkenntnis, die tragische Einsicht und die aufdämmernde Hoffnung kehren auch in anderen eddischen Dichtungen, z. B. in den Wafthrudnismal, in den Hyndluljodh und in den Grimnismal, wieder.

Nach den alten und volkstümlichen Vorstellungen war die Welt aus dem Leib eines Riesen gebildet, oder die Riesen richteten mit ungefüger Hand die gewaltigen Massen der Berge, Felsen und Länder auf, oder sie rissen mit ihrem Pflug die Seen in die Länder und setzten die herausgepflügten Stücke als Inseln ins Meer. Wohl die Goten erzählten dann von dem starken schöpferischen



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Gott, der Himmel und Sterne und Welten und Tiere und Menschen bildete. Nach der Wöluspa hoben alle Götter die Erde aus dem Nichts empor:

"Die Herrschaft der Gottheit über die tote Masse", sagt Axel Olrik, "verkündet der Dichter der Wöluspa mit einer Bestimmtheit wie kein anderer. Aber nicht bloß religiös ist dies neu, auch ästhetisch. Es ruht eine Schönheit über diesen jungen Göttersöhnen, welche die Länder an ihren Platz stellen, die sich unterscheidet von dem Trollenhaften, das sich über das Meiste der nordischen Mythenwelt ausbreitet. Auch die Natur ist eine andere. Für die gewöhnliche Mythe existiert das nicht, was wir Natur nennen, es wird übersetzt in Personifikation. Hier steht plötzlich die sichtbare Natur vor uns, Sonne und Meer, Strand und Gras; der Erdball als solcher erlebt das ganze Weltdrama mit, das Meer braust und die Erde erbebt, es ist ein Gedröhn an Felsen, die zerschmettert werden."

Bei Snorri wird diese schönste der nordischen Vorstellungen vom Anfang der Welt um eine andere gelehrte vermehrt, die dem Geist späterer Zeiten entsprach: der Urriese entstand danach durch eine Verbindung von Norden und Süden, von Kälte und Hitze, Funken flogen von Muspell, der heißen Hölle, in die Zone von Nebel und Frost, von Reif und Eis. Auch sonst weiß Snorri noch mancherlei, halb Gelehrtes, halb Märchenhaftes über die Namen und die Verwandtschaft von Nacht und Tag und über ihre Pferde und über die Pferde und den Wagen von Sonne und Mond, und über die Fahrten und Aufgaben und das Gefolge der großen himmlischen Gestirne. —

Die ersten Menschen gingen nach den alten volkstümlichen Glauben in traumhafter Zeugung aus dem Urriesen hervor, oder sie verdankten der Umarmung von Himmel und Erde ihr Dasein, oder sie wuchsen aus der zweigeschlechtigen Erde selbst, oder sie entsprangen alle einem göttlichen Ahnherrn, oder eine Kuh leckte den Urmenschen aus dem Eis. Wie schön und klar sind im Vergleich mit diesen dumpfen, tiefen Ahnungen die Verse der



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Wöluspa über die drei liebreichen Götter, die sich der leblosen Bäume erbarmen und aus ihnen die schönen, warmen, beseelten Menschen schaffen! Und wie seltsam differenzieren wieder die späten Rigsmal den Bericht von der Menschenerzeugung, in dem sie nicht die Zeugung der Menschen, sondern die Zeugung der Stände, man möchte fast sagen, den Aufbau der Kasten schildern, vom niedrigen und häßlichen Knecht bis zum unbändigen Helden und zum geborenen Herrscher.

Mit der Welt und ihrem Ende hing im Norden der Weith aum, die Esche Yggdrasil geheimnisvoll zusammen. Wie die Vorstellung von diesem Baum sich entwickelte, haben wir verfolgt: in ihm verdichteten sich die Sagen von den vielen Bäumen, die eine Gemeinde beschützen, und unter denen sich alle versammeln, um Rats zu pflegen.

In der Dichtung der Wikingerzeit erhebt sich der Baum an heiliger Quelle, seine Wurzeln streckt er durch die drei Welten, und die Nornen begießen ihn. Götter und Nornen halten an Seinem Fuß Gericht, er steigt an zum Himmel, ein Adler wiegt sich ii seinen Wipfeln, und in seinem Gezweig weidet ein Hirsch und eine Ziege. Die Ewe ist von schlankem und hohem Wuchs, wächst gern an feuchten Stellen, die Blätterknospen keines Baumes sind von Tieren so begehrt, Vögel sitzen auf ihren Zweigen, und die Erdratte nagt an ihren Wurzeln, der Baum ist auch von mancher Krankheit bedroht. Diese Beobachtungen aus der Wirklichkeit kehren in dem Bild wieder, das norwegische Dichter von der Weltesche zeichnen: denn nur in Norwegen, besonders im südlichen, waren Esche und Hirsch bekannt.

Als das Christentum in den Norden eindrang, griff die Meinung, die Welt sei dem Untergang verfallen, immer weiter um sich. Den Generationen, die dies erlebten, erschien auch der Weltenbaum von unheimlichen Wesen bedroht, die unmerkbar und unablässig ihn zernagten und zerstörten, damit die Welt selbst schneller



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zugrunde ginge. Aber diese Auffassung entartete rasch, wohl auch, weil der Baum den Isländern fremd war. Der Hirsch und die Ziege galten nun als die Feinde des Baums, die ihm seine knospenden Triebe abbissen, aus dem einen Hirsch wurden vier, unten an der Wurzel der Esche nagte ein Drache, Nidhögg (der haßerfüllt Hauende), der sich später ebenfalls vervielfachte, ein Eichhörnchen, Ratatösk (Rattenzahn), lief stammauf, stammab, um Zwietracht zwischen dem Adler in den Wipfeln und dem Drachen an der Wurzel zu säen, und zwischen den Augen des Adlers saß noch ein Habicht. Es wiederholt sich vor unsren Augen hier noch einmal ein Schauspiel, wie wir es oft erlebten: groteske Phantasien überwuchern eine großartige, in sich vollendete und tiefdurchdachte Schöpfung der Wikingerzeit. Sie mögen alten Vorstellungen von der Feindschaft zwischen Schlangen und Vögeln und einem von vielen Völkern gern gehörten Märchen von einem Baum entlehnt sein, der verdorrt, weil ein Tier seine Wurzel schädigt. Maii kann auch den Verdacht nicht abwehren, als bemühten sich diese Ausmalungen, Eindrücke von Monumenten wiederzugeben, die den Wikingern in Irland aufgefallen sein mochten, Monumenten mit Rankenwerk, in denen sich seltsame Tiere und Vögel über- und durcheinander bewegen.

Fast glaubt man, die Isländer hätten sich später selbst verspottet, weil sie gar so viel Gefahren und Tiere an diesem Weltenbaum versammelten. "Mehr Würmer nagen an den Wurzeln der Esche, als ein unkluger Affe meint," sagen die Grimnismal.

Ins Jenseits, in dem die Abgeschiedenen hausen, in dem Unholde und Riesen Schrecken verbreiten, dringt der kühnste germanische Gott, Donar, vor. Das Wirken und Weben der Toten glaubten unsre Vorfahren, wie die meisten Völker, überall zu spüren, in den Häusern, in den Gräbern, im Wind und in den Bergen. In der Edda nehmen die Berichte über die Reiche der Verstorbenen bestimmte Umrisse an und entwickeln sich mit der heroischen Welt.



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Das älteste der Totenreiche ist die Hel. Jur Hel begaben sich noch manche Helden der Wikingerzeit, darunter die erlauchtesten wie Sigurd; auch den Balder nahm ja die Hel auf.

Es geschah wohl unter dem Einflusse christlicher Berichte im 10. Jahrhundert, daß aus der Hel ein Saal des Schreckens und der Strafe wurde. Die Wöluspa beschreibt ihn: an den Wänden winden sich Schlangenleiber, durch das Rauchloch tropft Schlangengift herunter. Die Verbrecher, die Meineidigen und die Mordgesellen mußten wilde Ströme durchwaten, bis sie endlich die finstere Behausung erreichten, ein scheußlicher Drache und ein Wolf mißhandelten die Leichen. Nach altem Glauben gibt es Dämonen, die, vampirähnlich, nach dem Fleisch und Blut der Verstorbenen gierig sind und es verzehren. Diese grausige Vorstellung hat die Wöluspa gesteigert und erhöht.

Noch spätere Dichter erzählten von der Hel wieder anderes: sie verwandelten sie in eine persönliche Göttin, in das Kind Lokis, das Odhin, wie wir wissen, nach Niflheim, der Welt des Dunkels, schleuderte, dem er die Kranken und Schwachen zuwies. Ihre Wohnstätte ist nun wieder groß, sie hat hohe Wände und breite Tore; der Kopf der Hel hängt herab, sie selbst sieht grimmig aus und ist zur Hälfte schwarz, zur Hälfte fleischfarben: wir erkennen den Stil des Märchens. Plage heißt ihr Saal, Hunger ihre Schüssel, Mangel ihr Messer, der Träge ihr Knecht, die Faule ihre Magd, fallendes Unheil ihr Tor, Geduldermüder ihre Schwelle, Krankenbett ihr Bett, bleiches Unglück ihr Bettuch oder ihr Vorhang . Das sind Namen, wie sie die geistreich-allegorisierenden späten isländischen Poeten in der Art des christlich gelehrten Mittelalters gern ersannen, sie stehen alle in schauerlichem Zusammenhang mit der Müdigkeit und Unlust, der erschöpften Geduld, der Trägheit und der Verzweiflung der Krankheit, des Alters, der Armut, die noch immer leiden müssen und so gern erlöst wären.

Eine Art Hölle war auch Utgard, eigentlich die Wohnung der



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Riesen, dann auch der Aufenthalt aller Trolle und unheimlichen Geister. Wem man etwas Böses antun wollte, den wünschte man in der Trolle Gewalt. Die Edda und Saxo schilderten uns Utgard als Ort höllischen Spuks, es war der Ort, in dem Thor seine Kämpfe mit Geirrödh und Utgardaloki bestand.

Bei den Germanen mag auch ein Glaube an ein Jenseits bestanden haben, in dem immer das Feuer wütete. Vielleicht war das Reich Muspells, das Snorri als ein Reich des Südens auffaßte, eine flammende Unterwelt, aus der am Ende der Tage der dunkle Surt stürzte und sein Schwert gegen den leuchtenden Frey schwang. Die Vorstellungen von Utgard und Muspellsheim wären dann in den Sagen von Geirrödh und Utgardaloki verschmolzen. In Utgard kämpft Loki mit dem Feuerdämon Logi, zu Geirrödh fliegt der feuerholende Loki, Geirrödh schwingt gegen Thor die feurige Waffe, und der irdische Geirrödh setzt den Odhin zwischen zwei Feuer, Odhin aber weiß die Flamme zu bannen. — Ausgemalt ist die Vorstellung oon Utgard, wie wir betonten, mit phantastischen Zügen keltischer Herkunft.

Recht verwickelt ist die Geschichte des Glaubens an Walhall. Viele alte Vorstellungen sind darin eingegangen. Nach altem und immer noch lebendigem Wahn sterben die auf dem Schlachtfeld Gefallenen nicht, sondern kämpfen in den Lüsten über der Walstatt weiter, oder brausen mit den Abgeschiedenen durch die Lüfte, oder ziehen mit dem Sturm in die Berge und brechen mit ihm aus den Bergen hervor, geführt von einem gespenstischen Führer. Oft ist dieser mit Wodan verwandt, oder ist Wodan selbst. In den Bergen hausen die gestorbenen Könige mit ihrem Gefolge: auch an diesen Glauben erinnern die nordischen Aussagen über Walhall in manchem Zug. Schließlich hat Walhall mit Hel manches gemein, gleich ihr ist sie durch reißende Ströme vom Diesseits getrennt und nur durch lange Wanderungen zu erreichen.

Die alten Vorstellungen von den Kämpfen und Behausungen



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der gefallenen Helden mußten sich wandeln, als aus dem ruhelosen Seelenführer Wodan der Heldengott Odhin wurde, der im Himmel thronte, und als die christlichen Vorstellungen vom Himmel ihren Einzug in die nordische Dichtung hielten. Nun wurde aus dem Heldenreiche das himmlische Walhall, und die Helden, die Odhin auszeichnen wollte, .gingen in Walhall ein. In dem hohen Saal, in dem Odhin herrscht, bilden Speere das Sparrengerüst, Schilde decken als Schindeln das Dach, auf den Bänken liegen Brünnen. Im Westen des Tores hängt ein Wolf, darüber schwebt ein Adler, fünfhundertundvierzig Tore hat die Halle, aus jedem können achthundert Einherjer schreiten, wenn sie am Ende der Tage mit Odhin gegen den Wolf ausziehen. Die Einherjer bekämpfen sich täglich, einer fällt den anderen, dann versöhnen sie sich, lieben die Walküren, essen die köstlichste Speise und trinken den Trank, der Helden gebührt. Das alte Grauen des Schlachtfeldes , die Schrecken von Krieg und Blut und von endlosem Kampf sind aber in den nordischen Gedichten über Walhall ebensowenig verklungen wie in den Schilderungen von Odhin und den Walküren , ja sie sind, namentlich in der Wikingerzeit, da und dort gesteigert. Die Welt der alten Götter und Heroen wurde eben auch hier von den Wikingern in eine Welt der Unerbittlichkeit verwandelt, in einer Fülle tragischen Glanzes gebadet, und dann einer fessellosen und doch bisweilen pedantischen Phantasie ausgeliefert .

Den germanischen und nordischen Berichten über den Ansang der Welt und der Menschen und über die Reiche des Jenseits entsprechen verwandte Vorstellungen vieler Völker. Nur in seltenen Fällen gelang es, die besonderen Quellen zu ahnen, aus denen unsre Vorfahren und aus denen die Nordleute schöpften. Den verschiedenen Berichten über den Untergang der Welt hat vor allem Axel Olrik bis in ihre feinsten Verästelungen nachgespürt, dadurch hat sich manches Dunkel gelichtet, was über ihrer



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Heimat und ihren Wanderungen lag. Die Sagen vom gefesselten Unhold hörten die Germanen zuerst im Kaukasus. Die Vorstellungen von der Kälte, in der die Welt erfriert, vom Feuer, in dem sie verbrennt, scheinen auch von Osten eingewandert, ihre älteste Heimat scheint das persische Bergland und das heiße Asien. In der Furcht, daß eine große Flut die Welt begrabe, zitterten viele Völker, besonders alle, die das Meer und die Gewalt reißender Ströme kannten. Wenn sie Sterne vom Himmel fallen sehen, so wird in Tausenden die Angst entstanden sein, es möchten einmal alle Sterne stürzen und in ihrem Fall die Welt mit sich reißen. Und welcher lähmende Schreck eine Sonnenfinsternis für primitive Völker ist, bestätigen uns viele Beobachtungen der Gegenwart . Die Prophezeiung aber, daß am Ende der Tage die Welt verrucht werden müsse und daß die Schlechten über die Guten herrschen, ist christlicher Herkunft und tief in das Bewußtsein des Mittelalters gedrungen, in seinen sozialen Umwälzungen fanden sie oft neue Nahrung.

Sogar unser kurzer Auszug aus der Wöluspa macht deutlich, mit welcher Kunst der Dichter auch beim Weltuntergang aus den alten Vorstellungen wählt, wie er ordnet und steigert, wie er die Schrecken des Endes anwachsen läßt, wie endlich aus ihnen der große letzte Kampf von Riesen und Göttern aufsteigt. Das war ein Werk dieses Poeten, daß er die alten Mären vom Anfang und Ende der Dinge mit den Sagen vom Kampf der Götter und Riesen verschmolz, und daß er in diesem Kampf das Heldentum der germanischen Götter auf seine Höhe führte. Die Germanen Schreckten nicht vor dem letzten zurück. Sie stellten es sich in seiner ganzen finsteren Grausamkeit vor, damit sie ihm begegnen konnten, wenn es wirklich über sie kam, sie bestanden, still und groß, das ihnen auferlegte Schicksal. Sie kämpften ihren Kampf gegen alle Aussicht auf Erfolg und beschützten die Welt bis zum letzten Hauch ihrer Kräfte. Axel Olrik sagt:



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Während andere Skalden nach der Götternacht sehen und nach einem Hintergrund für die Götterdämmerung, sieht der Dichter der Wöluspa den Untergang an als das handgreiflich Nächste und blickt schon hinüber nach einer kommenden Herrlichkeit. Damit sind die Asen unter das Niveau der Götter heruntergedrückt, sie sind Helden, und die Einzelheiten sind in ein bestimmtes Verhältnis gebracht zum ganzen Hergang. Thor erscheint nur ein einziges Mal im Vorbeigehen, bevor wir ihn im letzten Kampf fallen sehen. Balder tritt in den Vordergrund, sein wehrloser Tod und die Sehnsucht nach ihm leitet das neue Zeitalter ein. Hinter dem blutigen Gott, den der Speer der Bosheit trifft, erahnen wir den leidenden Erlöser.

Die Götterdämmerung, ihre Vorbereitung und ihre Ausführung, bleibt des Dichters Hauptthema; hier bewegt die mächtige Dichterkraft sich frei unter den herandringenden Riesen, der Unruhe der Götter und der Welt, der Größe und dem Schmerz des Kampfes, bis die Erde, endlich zerstört, vom Feuer verschlungen wird und in das Meer sinkt. Die Bilder sind so mächtig und strömen so gewaltig vorüber, daß der Zuhörer kaum unterscheiden kann, daß zwischen die heidnischen Mythen christliche Züge eingewebt sind. Die sittliche Verderbnis, die Posaunen des Gerichts, die Sonne und die Sterne, die stürzen, und der Brand der Erde, und ebenso bei der Wiedergeburt die Erde, die aus dem Meer emportaucht und grün wird, der Adler und der Fisch, die goldenen Tafeln und die unbesäten Äcker, Balders Wiederkehr und die Herrschaft der jungen Götter, alles das erscheint uns vertraut, sogar Gimles (der neuen Welt) goldenes Dach entspricht Walhall. Und die Ankunft des Mächtigen ist natürlich als Offenbarung des Schicksals über den Asen, das schon lang geherrscht hat. Erst eine genauere Untersuchung zeigt, daß dieser Abschnitt, ähnlich wie andere auf heimischem Grund, sich zu entfalten beginnt in christlicher oder doch jedenfalls in monotheistischer Richtung . Der eigentlich heidnische Unsterblichkeitsglaube, die Wiedergeburt in dem jungen, nächsten Geschlecht, dämmert flüchtig auf, während die Seligkeit und die Gerechtigkeit die tragenden Gedanken sind und Gimle seinen Glanz erhalten hat von dem neuen Jerusalem. Am allermeisten gilt das von der Ankunft des Mächtigen, der das Reich aufrichtet, diese Auffassung sprengt die Heidenschaft und schafft die Lehre von einem Gott.

Der Dichter der Wöluspa war eine grübelnde und suchende Seele, erzeugt von der gärenden Wikingerzeit. Er hat das Problem zu lösen versucht, wie die überlieferte Mythenwelt sich vereinen ließe mit den



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neuen Gedanken und er schuf ein Werk, erfüllt von Schönheit, Beseelung und Tiefsinn. Es ist kein Versuch, die Lehre von den Göttern zu verteidigen , und noch weniger ein Versuch, christliche Wahrheiten in heidnische Tracht zu kleiden. Es ist die unmittelbare Arbeit einer ernsten Natur, den innersten Zusammenhang der Welt zu verstehen.

Andere eschatologische Weissagungen und Gedichte, besonders die der Bibel und Werke orientalischer Herkunft, hatten weltweite Wirkung, die Autorität der ihnen künstlerisch nicht unebenbürtigen Wöluspa blieb auf den Norden beschränkt. Denn ihre Welt ist die Welt des germanischen Nordens, die spröde Gelehrsamkeit und die dunklen Anspielungen der nordischen Poeten umkleiden ihre Visionen, sie gilt einem versinkenden Glauben, der nur im germanischen Norden aufrecht geblieben war. Gerade das aber, daß sie Geist ist vom edelsten Geist der Wikinger, bleibt für uns ihr höchster Wert. Die feierliche und prophetische Kraft, die einst die germanischen Frauen durchdrang, ihr tiefstes Wissen um Heldentum und Untergang entströmt in einer vorher nie gekannten Macht und Verklärung in der Wöluspa zum letzten Mal den Lippen einer germanischen Seherin.


9. Gottesdienst

Die feierlichste Bestätigung für das Ansehen, das die Wahrsagerinnen der alten germanischen Art, die Wölwur, die Stabträgerinnen , im Norden genossen, bleibt die Wöluspa. Und das Gedicht schildert ja auch eine göttliche Wölwa — denn so faßt sie die Gullweig auf — die, von Volk zu Volk fahrend, ihren Zauber übt und überall jubelnd begrüßt wird. Von einer Wölwa, die er aus ihrem Totenschlafe weckt, sucht Odhin zu erfahren, was er selbst nicht weiß, das Schicksal Balders. Späte isländische Sagas berichten oft von solchen Wölwur, die zu Gastmahlen ziehen, mit großen Ehren empfangen werden, die Geister beschwören oder durch Zauberlieder die Geister rufen lassen, und dann den Fragen



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den offenbaren, was ihnen die Geister enthüllten. Die Tracht dieser Wölwur ist kostbar.

Eine Saga berichtet, daß eine besonders angesehene einen dunkelblauen Mantel trug, der am Rand und von oben bis unten mit Steinen besetzt war, um den Hals hatte sie Glasperlen, auf dem Kopf eine Mütze oon schwarzem Lammsfell mit weißem Katzenfell gefüttert, in der Hand trug sie einen Stab mit einem messingbeschlagenen, steinverzierten Knopf. An ihrem Gürtel hing ein Beutel mit dem ihr notwendigen Zauberzeug, sie trug Schuhe aus rauhem Kalbsfell mit langen, starken Riemen, an denen große Messingknöpfe saßen, und Handschuhe aus Katzenpelz, innen weiß und zottig.

Eine der Wahrsagung verwandte Art des Zaubers — wie die oben genannte, übrigens bei manchen Völkern belegt und auch bei den alten Engländern bezeugt — war das üti seta, das Sitzen in der Einsamkeit, nachts, unter freiem Himmel, um durch Lieder Tote zu beschwören oder zu wecken, oder um durch die Kraft der Sammlung und Versenkung die Geister zu rufen und oon ihnen verborgene Dinge zu erfragen. Eines solchen Zaubers war Odhin mächtig, wenn er Gehängte belebte. Erweckungen oon Toten aus ihrem starren Schlummer, in dunkler nacht, schildern uns in ihrer eindringlichen gespenstischen Kraft späte isländische Lieder von der Art der Edda, auch die isländische Saga.

Die germanische Wahrsagung mit Stäbchen (auf die Zeichen eingeritzt wurden, die man alsdann durcheinanderrüttelte, und aus denen man das Los zog) setzte sich im Nordischen fort. Die eingeritzten Zeichen waren im Nordischen die alten Runen, deren zauberische Kraft die Goten verdichteten, man ritzte die Runen auch auf Schwerter, Trinkhörner, auf Fingernägel, auf die innere Fläche und den Rücken der Hand, auf Schiffsteven, Steuer und Ruder, auf die Rinde und das Holz eines gen Osten die Zweige ausbreitenden Baumes, auf Walfischknochen, besonders auf die Grabsteine, um die Toten vor bösen Geistern zu beschützen. Die Runenkunde war im Norden eine eigene Wissenschaft: die erweckte



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Walküre Brünhild lehrt den Sigurd die Bedeutung der Runenzeichen . Durch falsche und böse Runen konnte man schweres Unheil stiften. Der zauberkundige Egil mußte von einem Walfischknochen falsche Runen abschaben und die rechten darauf einzeichnen, dann legte er ihn einer Kranken unter das Kopfkissen und sie genas. Odhin und Skirni rühmen sich ihrer Runenkunde, wie rasch fügt sich Gerd dem Willen des Frey, als Skirni sie mit dem Runenfluche bedroht!

Auch andere Verwünschungen sind uns in der nordischen Dichtung erhalten, von leidenschaftlicher und wilder Kraft, wie die der Sigrun, als der Bruder ihr die Eide gebrochen und den Gatten erschlagen, oder die der Busla über den König Hring, als er den Böst und seinen Freund töten will.

Sein Herz sollen Würmer zernagen, sein Ohr nicht mehr hören, sein Auge aus dem Kopf springen, bei der Segelfahrt soll ihm das Tauwerk zerreißen, die Segel in Fetzen gehn, das Steuer zerbrechen, beim Ritt der Zaum zerfallen, das Pferd lahmen, Pfade und Wege in Unholds Gewalt geraten, auf dem Lager soll ihm wie ein Feuer, auf dem Hochsitz wie auf Wogen zumute sein, alle Riesen und bösen Mächte sollen ihm sein Hans verbrennen und ihn verderben, Stroh ihn stechen, Stürme ihn betäuben, Hengste ihn treten, wenn er ihr nicht zu Willen ist.

Böse und gute Vorzeichen zu deuten, war wie die Wahrsagung das Amt der Priester. Im Nordischen waltet seiner, in einem Heldenliede, Odhin. In diesem Lied ist, nach Wikinger Art, der alte Aberglaube in die Höhe des Heldentums gehoben:

Wenn der dunkle Rabe den Helden umfliegt, wenn er den grauen Wolf unter Eschen heulen hört, wenn er den Gegner zuerst erspäht, und wenn er gerüstet zur Tür hinaustritt und zwei ruhmgierige Recken sieht, so sind es gute Zeichen. Aber er soll sich fürchten, wenn auf dem Wege sein Fuß strauchelt, dann stehen böse Schicksalsfrauen zu beiden Seiten unb wünschen ihm Wunden an.

Auch die Wahrsagung aus dem Blut, die schon die. Cimbern übten, hat sich während der ganzen Zeit des nordischen Heidentums



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erhalten: man weissagte besonders aus dem Blut der geopferten Tiere. Viel grausamer waren die Normannen. Sie zerschmetterten dem Opfer den Schädel, legten das Gehirn bloß und weissagten aus den Herzfasern des zu Boden gestreckten.

Der Hergang beim nordischen Opfer wird uns so geschildert: Die Opfer wurden im Tempel vor den Götterbildern geschlachtet, ihr Blut sammelte man in dem hierfür bestimmten Opferkessel, sprengte es mit Sprengwedeln über das versammelte Volk und bestrich damit die Götterbilder, Altäre, Opfersteine und die Wände des Tempels. Die geschlachteten Menschen wurden an Bäumen aufgehängt oder in den Opfersumpf versenkt, die Tiere dienten zum Opferschmaus, ihr Fleisch wurde gekocht und gesotten, nie gebraten, in Kesseln, über Feuern, die in der Halle des Tempels zwischen den Bankreihen der beiden Langseiten am Boden brannten. Der Leiter des Mahles reichte Speise und Trank und man brachte feierliche Trinksprüche aus. Odhins Becher wurde um Sieg und Macht, Freys Becher um gutes Jahr und Friede geleert. Bisweilen ging das Opfer der großen Thingversammlung voran. Dann fielen Schmaus und Trank fort, vielleicht erklangen bei Schmaus und Opfer auch Lieder und geschahen Tänze.

Von großen Opferfesten in Seeland und Schweden, die alle neun Jahre stattfanden, und von denen sich keiner ausschließen durfte, erzählen uns die Geschichtschreiber. Thietmar von Merseburg berichtet über das Opfer auf Hleidra, zu Beginn des Jahres mit vielen Opfern von Menschen, Hunden und Vögeln gefeiert. Thietmar spricht von neunundneunzig Menschen, das ist wohl übertrieben. Die Darbringung geschah, wie Thietmar wohl zutreffend meint, zu Ehren der Abgeschiedenen, um sie zu versöhnen und um ihre Gier nach allem Lebendigen zu stillen. Adam von Bremen berichtet von dem großen Opfer in Schweden, in Upsala, zur Zeit des Frühlings, von dem sich die Christen loskauften, und bei dem je neun Wesen männlichen Geschlechts — Adam erwähnt später



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Menschen, Pferde, Hunde — geopfert und im Hain neben dem Tempel an die Bäume gehängt wurden, diese wurden durch die toten und verwesenden Opfer heilig. Das Opfer begleiteten unzählige Lieder und große Schmause, ein König, der nicht daran teilnehmen wollte, wurde vertrieben.

Das Menschenopfer hat also der heidnische Norden nicht beseitigt und seine Grausamkeit nicht gemildert. Wir hörten ja schon aus vielen Geschichten, wie unersättlich Odhin blieb und wie fein Speer das Heer der Feinde oder einzelne Fürsten dem Tod weihte. Auch die nordischen Tieropfer scheinen von den germanischen nicht unterschieden. Das Pferd blieb auch im Norden das vornehmste der geopferten Tiere, sein Schädel wehrte Unheil ab. Man denke nochmals an die Verse, unter denen das Geschlechtsglied eines Hengstes herumgegeben wurde, das eine Bäuerin durch Kräuter frisch hält, und an dessen Kraft jeder teilhaben wollte, der es berührte (S. 69).

Die Zeit der nordischen Opfer war wohl ebenfalls der Frühling, der Herbst und der Winter, der Winter war eigentlich die Zeit für die Opfer an die Toten. Doch haben sich die Opfer der verschiedenen Zeiten oft vermischt, gerade auf diesem Gebiet gleitet ja alles durcheinander (S. 97 f.).

Wir erstaunen, wie heidnisch bis tief in das Christentum hinein der Opferbrauch und der Gottesdienst im germanischen Norden blieben; erstaunen zumal, da wir wissen, daß die nordischen Tempel — und es gab viele — in allen Einzelheiten die Merkmale der christlichen Kirchen zeigen, die auf ihren Fahrten in Irland und England von den Wikingern gesehen wurden. Ein neues Zeugnis, daß von sich selbst aus die Germanen zur Erbauung von Tempeln nicht getrieben wurden. Im Norden blieb dann auch neben dem Tempel der Hain das ältere und ehrwürdigere Heiligtum und auch die waldige Anhöhe. Hier errichtete man Einfriedigungen aus Holz und Steinen, auch große und hohe Säulen, Sagenb. I. 18



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Baumstämme von gewaltiger Länge stellte man als Wahrzeichen der Götter auf die Höhen.

Bei den Germanen war die Stätte der Götterverehrung zugleich die Stätte der Rechtsprechung, Gottesdienst und Rechtspflege verschmolzen in Eines. Da nun im Norden die Rechtspflege reicher und vielfältiger wurde, wuchsen auch der Gottesdienst und der Tempel in ihrer Bedeutung — nach den Ausweisen der Ortsnamen breitete sich eine Menge heiliger Stätten und Tempel durch das ganze Land.

Dienstag und Donnerstag, der Tag des Ty und des Thor, blieben die Tage des Gerichts. Die Gerichtstätte wurde geheiligt und gegen die andere Welt abgegrenzt. Menschenopfer mußten bisweilen die Heiligung steigern. Vor der Verhandlung gebot der Leiter des Things tiefes Schweigen, die Formen des Rechts waren heilige, althergebrachte Formen.

Götterbilder gab es im Norden vielerlei. Auf Pfählen oder auf Stämmen waren die Gesichtszüge der Götter mit einfacher Kunst eingeschnitten. Die Lehnen des Hochsitzstuhls, die Steven des Schiffes verzierten Götterbilder, diese nahmen die norwegischen Ansiedler nach Island mit, warfen sie in die Wogen und siedelten sich, nach altem Brauch, an, wo die Bilder angetrieben wurden. Kleine Götterbilder aus Bein, aus Silber, auf Brakteaten trug man als Amulette, Metallblättchen mit einem Götterbild schob sich der Krieger in den Helm, auch aus Ton knetete man und aus Teig buk man Götterbilder.

In den berühmten Tempeln standen kostbare, schmuckbeladene Götterbilder, die bekanntesten waren wohl die in Upsala, die Adam von Bremen sah und schilderte. Die Bildsäulen von Thor, Odhin und Frey wurden dort verehrt. Thor thronte in Drontheim auf seinem bockbespannten Wagen. Im 10. Jahrhundert bildete man auf Friesen und Schilden ganze Szenen der Göttersage ab, diese wurden dann in skaldischen Dichtungen verherrlicht. Die



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Götterbilder weisen auf einen familiären und privaten neben einem öffentlichen und staatlichen, einen einfachen und kunstloseren neben einem kunstreichen und aristokratischen Gottesdienst. Beide Arten von Gottverehrung sonderten sich schon im Germanischen voneinander, im Nordischen wurden, wie es scheint, die Grenzen noch sichtbarer . Die gleichen Abstufungen zeigen unsre Nachrichten über die nordischen Priester. Wie im Germanischen leitete der Hausvater den Gottesdienst der Familie, der Priester den Dienst bei den großen Feiern, und Priester und König und Adel und Dichter gehörten zusammen, bald übernahm der König die priesterlichen Obliegenheiten, z. B. in Norwegen, bald kam, z. B. in Island, die Staatsgewalt in priesterliche Hände.

Das Amt des Priesters war auch wie das Amt der Wölwa das Götterlied. Aus alten Götterliedern beim Gottesdienste sind wahrscheinlich solche Rätseldichtungen wie die Wafthrudnismal, solche Preislieder auf die göttliche Macht wie die Grimnismal entstanden. Nordische Rätsellieder und altindische großartige Rätsellieder des Weda klingen einander noch ähnlich. — Beim Gottesdienst erklangen dann auch die inständigen Bitten um Fruchtbarkeit der Felder und Menschen, sie verbanden sich mit jenen derben und kräftigen Zeremonien, jenen mimischen Vorführungen, die wir auf dem Grunde des Lieds von Thors Hochzeit und von Skadis Vermählung erkannten. Außer den hohen Göttern galt den Abgeschiedenen, den Geistern der Felder und der Gewässer, den Elben, den Zwergen, den Landwichten, den Hausgeistern, den Trollen ein lebhafter, von Geschlecht zu Geschlecht getragener Kult, von dem die Rechtsbücher und die Sagas viel wissen — er war älter als der Kult der Götter und hat diesen überdauert. Wir dürfen diese Welt, wenn sie uns auch sehr verlockt, nicht betreten, sie würde uns aus den germanischen Gefilden ganz und gar in den Spuk und die Wirklichkeit der nordischen Geister führen.

Form und Gehalt des nordischen Gottesdienstes blieb viel



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heidnischer als Form und Gehalt der nordischen Göttersagen. Die Dichter mochten den Gottesdienst nicht schildern, Priester und Könige mochten den Volksbrauch nicht stören, den jahrhundertelange Pflege heiligte. Eben weil er allen vertraut und weil er oft auch heiliges Geheimnis war, hören wir über diesen Gottesdienst nur wenig. Die meisten Nachrichten stammen natürlich aus später Zeit oder aus dem Munde christlicher Bekehrer. Eine religiöse Entwicklung spüren wir kaum. Die alten Formen werden vielfältiger, lebendiger, bestimmter, entarten wohl auch am Ende des Heidentums, doch ihr Wesen bleibt das gleiche. Eben die Erhaltung des Alten ist für uns unschätzbar: beim Gottesdienst weilen wir auf altem germanischen Boden.


10. Rückblicke

Als wir uns den nordischen Göttern näherten, verhießen wir einen großen Reichtum von Sagen und Aussagen. Während unsrer Wanderungen entfuhr uns noch mancher Ausruf der Bewunderung und des Entzückens, über die weiten und einzigen Aussichten in die Gebiete des Mythus und der Dichtung, die sich vor unsren Augen immer wieder auftaten. Die nordische überlieferung bereicherte unser Wissen und unsre Erkenntnis überall. Die Bedeutung der Zauberei für den Glauben unsrer Vorfahren zeigte sich lebendiger und umfassender als in irgendeinem germanischen Bericht: der Zauber des Krieges, der Wahrsagung, der Herrschaft über die Geister, über die Krankheit und über die Elemente, der Zauber der Fruchtbarkeit und der Verwandlungen, bei Odhin, bei Metodhin, bei Ull, bei Thor, bei den Wanen, bei Loki — Die schöpferische Macht Thors, die dunklen Opferbräuche der Urzeit, die derbe Förderung der geschlechtlichen Kraft, das behende und verschlagene Treiben der Elben, die entfesselten Gewalten der Riesen: in wie vielen eindrucksvollen Beispielen zog das alles an uns vorüber! Wie überströmend in ihren Lebensfluten ist diese



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Welt, und welcher Mühe bedurfte es vorher, bis die germanischen Schatten Blut und Leben gewannen! Dann noch die Fülle der Göttersagen: über Ty und den Fenriswolf, über Balder, über Thrym, Hrungni, Aurwandil, Groa, Gjalp, Greip, Geirrödh, Halfdan, den Riesenbaumeister, die Midgardschlange, Hymi, Utgardaloki, Odhreri, Gunnlöd, Mimi, Odhin, Metodhin, Ull, Rind, Gerd, Menglöd, Thiazi, Idhun, Skadi, Freyja, Gullweig, Gefjon, Höni, Widar, Wali, Loki. Und kaum eine dieser Sagen war uns nur einmal bezeugt, meist besitzen wir sie in mehreren Fassungen, oder wir besitzen doch verschiedene Zeugnisse über sie aus verschiedenen Jahrhunderten und besitzen manchmal auch bildliche Darstellungen.

Ty verblaßte in der Edda, Thor wurde von den Edlen und Dichtern und unter dem Einfluß des Christentums immer zügelloser verhöhnt, beide Dichter behielten im Volk ihre alte Macht. Odhin drängte den Ty, den Ull, den Mimi, den Metodhin, vielleicht den Loki und endlich auch Thor zurück und durchlebte das Grauen und die heroische Tragik des Krieges, die Gefaßtheit des germanischen Helden, die harte und erprobte Weisheit der Wikinger und die Verklärung des sterbenden Heidentums. Die Abzweigungen des Himmelsgottes: Balder, Fosete, Ull bleiben eigene Götter und verwandelten sich unter dem Einfluß hier des finnischen Zauberwesens, dort des christlichen Glaubens. Thors Söhne gewannen keine große Bedeutung. Von Odhin hat sich schon in früher Zeit Höni abgelöst, in der Wikingerzeit fing sich das heroische Wesen des Vaters in seinen Söhnen Wali und Widar. Wodans Gefolge gewann neuen Glanz, an Stelle des Heeres der Abgeschiedenen und der Göttinnen traten die Helden, die Einherjer und die nordischen Walküren. Njördhs Herrschaft siedelte sich am Meere an, in Frey und Freyja wurden manische und asische Elemente, Elemente der himmlischen und der zauberhaften und fruchtbringenden Gottheiten, zu neuen, göttlichen Gebilden. Heimdall und Loki wanderten



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von den Elben in die Reihen der Asen, Heimdall verklärte sich inden Gott der leuchtenden, meerentstiegenen Morgenfrühe und in den nimmermüden Wächter der Götter, Loki sank herab zum verräterischen Unhold. Frigg blieb die gütige und anmutige Himmelsgöttin. Die Zahl der Riesen wuchs, und sie nahmen die Unholde auf, in denen die Furcht vor dem Untergang aller .Dinge schreckenerregende Gestalt gewann. In dem halben Jahrtausend vom 8. zum 13. Jahrhundert sind die germanischen Götter niemals erstarrt, unaufhörlich strebten sie neuen Formen zu: man möchte manchmal wünschen, sie hätten die stolze Ruhe gefunden, die eine dauernde Herrschaft verbürgt. Aber den, der in der alten Kraft trotziger als die anderen verharrte, den Donar, machten die Aristokraten des nordischen Geistes lächerlich. — In der Sage von und dem Fenriswolf und in der von Lokis Fesselung waren alte Vorstellungen von Sonnenfinsternis und Erdbeben die schöpferischen Elemente, in den Sagen von Balder und Frey vielleicht uralter Glaube und Brauch, der dem König galt und das tragische Schicksal eines heiligen Schwertes. Die Sage von der Weltesche rief die Verehrung heiliger Bäume, ihrer schützenden und tragenden Macht, ins Leben. Von den Kämpfen von Gott und Riese um die Waffe des Blitzes sind die Sagen von Thrym, Geirrödh, Hrungni, Halfdan erfüllt, mit ihnen verschmolz sich bei Thrym alter Hochzeitsbrauch , bei Hrungni alte Visionen von Wind und Wolte und Frühling, bei Geirrödh alte Fabeln vom Gang ins Jenseits und von Beschwörungen reißender Flüsse. Kämpfe von Gott und Unhold waren ursprünglich Thors Ringen mit der Midgardschlange und Hymi und dem Riesenbaumeister und mit den zweideutigen Spukgestalten in Utgardalokis Reich, bisweilen wieder verbunden mit Erlebnissen aus Unterweltsfahrten. Ebenfalls aus einer Fahrt ins Jenseits, und dazu aus der Geschichte vom Raub des Wassers, erwuchs die Geschichte von Odhin und Odhreri, aus der Fabel vom Raub der fruchtbringenden Äpfel und aus Hochzeitsbräuchen gestaltete


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sich die Geschichte von Skadi und Thiazi, die Fabel vom Raub des Feuers ist auch ein altes Element in der Geschichte von Lokis Fesselung.

Die Sagen vom gefesselten Unhold, vom Untergang der Welt und von Riesen, die ihre Fesseln zerreißen, vielleicht auch andere Sagen, die denen von Prometheus glichen, hörten, wie wir glaubten, zuerst die Goten am Gestade des Schwarzen Meeres, und sie sind von dort nach dem Norden gezogen. Bei den Goten entwickelten sich auch nach unsrer Auffassung die dichterischen Gebilde , die indem Jagen der Wolken verfolgende Riesen, in dem herabfahrenden Blitz die Waffe des Donnergottes sehen. Den alten Stamm der Sage und der mythischen Dichtung umrankte und überwucherte das Märchen. Das von der verräterischen Schwester, von der fadendünnen, unzerreißbaren Fessel (Ty und Fenri), von der um den gebundenen Mann besorgten Frau und der gifterfüllten Schale (Loki und Sigyn), vom unbescheidenen Riesen (Thiazi), von den Überlistungen des Riesen oder des Teufels durch den Menschen (Thor und Utgardaloki) traten vor allem im östlichen und südöstlichen Europa auf, in ihren Kreis gehören auch die überall verbreiteten Schwänke vom starken Hans (Halfdan, Hymi, Odhin bei Baugi) und andere Überlistungen der dummen Großen durch die klugen Kleinen (Skrymi, Hymi, Riesenbaumeister). Die Fahrten ins Jenseits und die Raubmärchen haben vor allem keltische, genauer gesagt irische Dichter ausgemalt, ihre Farben geben den nordischen Geschichten einen neuen, phantastischen Glanz und auch eine neue Tiefe. Dazwischen blicken uns noch andere, überall auftauchende Märchen und Märchenstücke an: Märchen von der widerspenstigen Jungfrau (Rind und Gerd), von der Fahrt nach dem entschwundenen Geliebten (Freyja), von Werbungen, von Goldener, von der goldenen Gans und vom Riesen ohne Seele, vom bestraften Vorwitz (Loki, Aurwandil, Idhun), von kostbaren Ringen, Panzern, Schwertern usw. (Balder), von der übersehenen Pflanze



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(Balder), von der Unverletzbarkeit der Helden (Balder), von geschlechtlichen Possen und Verkleidungen (Thrym, Skadi), von boshaften Zwergen, ätiologische Geschichten von Tieren, Felsen, Sternen (Aurwandil, Thiazi, Loki, Skrymi, Hrungni), scherzende Verspottungen (Fenris Fessel) usw. Auch von einer Göttersage zur anderen oder von der Heldensage, namentlich von den Wölsungen und den Nibelungensagen zur Göttersage schossen Einwirkungen herüber.

Die Dichtungen, die aus diesen Elementen sich entwickelten, scheinen zuerst lose und übermütig zusammengefügt, doch ein genaueres Zusehen zeigt oft, wie organisch ihre einzelnen Teile ursprünglich sich aneinander schließen. Meisterhaft ist manchmal der Aufbau, und wie viele Register beherrschen die Erzähler, von geistreichem Humor, funkelnder Ironie, großartigem Ausmalen der Götterkraft bis zu rührender, tragischer Einfalt und heroischer und gefaßter Größe. Wie überraschend und tief variiert die Geschichte von Odhin und Odhreri das Wesen der Dichtung, wie geschickt gleiten die Fabeln von Thor und Odhin und Hrungni und Mökkurkalfi und Aurwandil durch die Bereiche von Wolke, Nebel, Gewitter und Frühling, die Geschichte von Thor und Geirrödh durch den Bereich des Zaubers, die von Njördh und Skadi und Idhun und Loki durch den Bereich der geschlechtlichen Kräfte! Übennütig und spannend erzählt die Fabel von Utgardaloki von Thors und seiner Begleiter vergeblichem Kraftaufwand. Die Geschichte von Geirrödh schwelgt in Schrecken und Spuk der Unterwelt , und welche Kämpfe wurden mächtiger geschildert als die zwischen Thor und Hrungni, Thor und Halfdan, Thor und der Midgardschlange! Bei der Fesselung von Loki und vom Fenriswolf verwandelt sich das Spiel in furchtbaren Ernst, die düstere Ahnung vom Untergang der Welten steht am Horizont; die rührendste aller Götterfabeln bleibt die von Balder. Wenn die nordischen Dichter auch gern mit beiden Händen in die Schätze anderer Völker griffen,



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sie haben aus ihnen neue Kleinodien geschaffen, mit leichter und sicherer Hand, erstaunlicher Phantasie, selten reichem Können und tiefem eigenen Empfinden.

Wir erkannten in den Göttersagen und Göttervorstellungen verschiedene Stufen der Entwicklung. Die alte derbe und frohe, große und starke Kraft der Germanen bewahrten trotz allem die Sagen von Thor, sie lag auch auf dem Grund der Sagen vom Fenriswolf, von Njördh und Skadi, von Odhin und Odhreri. Im 10. Jahrhundert erhob sich diese Kraft ins Heroische und Tragische. Das Wikingertum, jene unerbittliche Steigerung des germanischen Heldentums, erreichte damals seine Höhe, zugleich ließ sich das Christentum auf den nordischen Geist nieder. Die harte Anschauung der Wikingerzeit prägte sich am klarsten in den Strophen der Havamal aus: auf Schritt und Tritt, aus dem Diesseits und Jenseits bedrohen den Helden feindliche Mächte und mahnen ihn zu Mißtrauen und Gegenwehr, alles Irdische ist wesenlos, die einzige Dauer verheißt der Heldenruhm. Nach dem Untergang der alten Welt steigt eine neue, leuchtende und reine Welt aus den gluten: diesen Glauben hat das Christentum geschaffen, dieser Glaube hat auch die Härten der Wikingerwelt gemildert.

Ins unselig Heroische hob die Dichtung im 10. Jahrhundert den Thor, die Kraft, die den Erdball beschützte, zerschlug zugleich Eid und Recht. Frey und Heimdall legten die Rüstung des Wikingerhelden an, Widar und Wali gürteten sich mit seiner gefaßten Stärke. Odhin spiegelte die ganze heroische Welt: für die Götter betrog er die Gunnlöd und die Rind, für den letzten Kampf der Riesen und Götter im Jenseits sammelte er die Helden und raffte sie in den Schlachten des Diesseits dahin, seine Einsicht rückte ihn hoch über die anderen Götter und er trug größer als sie das Wissen um das Ende. Die Götterfeinde, die Mächte des Chaos und des Dunkels, verdüsterten in der Wikingerzeit das Antlitz der Götter, und sie vertieften ihre Kraft. Der alte Kampf von Gott



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und Held gegen Riese und Unhold wurde zu einem Kampf oon Riesen und Göttern auf der ganzen Breite, zu einem Kampf des Chaos gegen einen Kosmos, den die Götter nicht groß und rein zu erhalten vermochten. Auch die Kraft der Zauberei, der Glaube an die Vorzeichen, die Vorstellungen von Walhall und den Walküren, der Glaube an den Weltenbaum erhielten damals den heroischen Zug. Die Dichtung gewann, namentlich in Strophen der Wöluspa und der Hawamal, eine klare und strenge, reine und bildhafte Schönheit und den Schauer der ewigen Geheimnisse, sie streifte alle dumpfen und spielerischen Phantasien ab und verachtete den Märchenspuk.

Das heranziehende Christentum gab dem Odhin seine verklärte Ruhe, verwandelte den Balder in den nordischen Christus, den Loki in den nordischen Teufel, tauchte die Dichtung der Edda in himmlischen Glanz und entwürdigte zugleich den Thor, den stärksten der heidnischen Götter.

Für die abendländische Welt seit dem 10. Jahrhundert sind bezeichnend: ein unersättlicher Drang nach Wundern und Abenteuern, die Sehnsucht, immer tiefer in das Geheimnis der göttlichen Weltordnung einzudringen, und wachsende geistliche Gelehrsamkeit, die im 13. Jahrhundert die großen Bauten ihrer Systeme aufrichtet. Von dieser abendländischen Welt wurde der Norden durch das Christentum ein Teil. Wie stark die Märchen im 11. und 12. Jahrhundert die alten Mythen überfluten, hat uns jede Göttersage und haben uns auch die Wandlungen der göttlichen Gestalten gezeigt, ihrer Abzeichen und ihrer Schätze, ihrer Speere, Schwerter, Ringe, Pferde, Eber, Schiffe usw. Die nordischen Märchen kommen freilich nicht aus so weiten morgenländischen Fernen wie viele der deutschen und romanischen, die Ritter des Nordens sind noch die Wikinger, auch die religiöse Sehnsucht des Nordens behielt ihre besondere Färbung, in keinem anderen Lande mußte sich noch um das Jahr 1000 herum das Christentum mit dem germanischen Heidentum



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auf Tod und Leben messen. Die Gelehrsamkeit bemächtigt sich namentlich der hohen Kreise, ein System des nordischen Jenseits hat Snorri in seinen geschichtlichen und religiösen Schriften errichtet, auch Saxos Geschichte und auch die Lieder der Edda dürfen als Kompendien gelten. Das echt mittelalterliche Beisammen von froher und bunter Fabelei, tiefem Glauben und ehrwürdiger Gelehrsamkeit hat im Norden auch sein eigenes Gesicht, die heidnische Individualität und ihre Willkür und der heroische Ernst sind stärker als im Süden.

Landschaftliche Verschiedenheiten in der Entwicklung der nordischen Götter zeigten uns Ull und Skadi; diese zwei sind nur in finnisch-schwedischer Umgebung denkbar. Der schwedische Frey war natürlicher, der Frey der Edda mehr auf das Ritterliche gestimmt, die Wanen behielten die Anmut und die Fruchtbarkeit der Länder um die Ostsee, Odhin blieb in Dänemark dem dämonischen und unersättlichen wilden Jäger verwandt, blieb in Schweden am stärksten beherrscht vom alten Hang zur Zauberei und verklärte sich am schönsten in Norwegen. Auch soziale Unterschiede der nordischen Götter zeichnen sich deutlich ab. Wem das Volk seine Opfer zutrug und welche Vorstellungen sich das Volk von den großen Göttern machte, darüber sind wir nicht ausreichend unterrichtet. Das aber dürfen wir annehmen, daß es den Verstorbenen ehrfürchtig opferte, ihr Wirken in Feld und Flur, in Haus und Luft, in den Bergen und in den Gräbern spürte, daß es sie beschwören ließ, um von ihnen die Zukunft zu erfragen. Auch die Geister der Wälder und Gewässer behielten ihre Macht, viele schöne nordische Sagen und Märchen künden von ihnen noch heute. Frey als Gott der Fruchtbarkeit und der Herden, Thor als Beschützer des Landbaues, als Gott der Familie, Ty, Forsete, Balder als Götter des Rechts, Ty als Gott des Krieges galten dem Volk mehr als Odhin, der Gott der Könige und der Dichter. Im Gottesdienst blieb im Lauf der Jahrhunderte alles eigentlich beim Alten. Die Umwandlungen der



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nordischen Götter, die wir vorher charakterisierten, waren das Werk der Dichter und geschahen in der Umgebung der Großen, unter dem Zeichen des heranschwebenden Christentums. Aus sich selbst, aus seinen eigenen religiösen Impulsen hat sich der alte germanische Götterglaube nicht verändert. Bragi, der Skalde, der Dichter des neunten Jahrhunderts, wurde in die Gemeinschaft der Götter aufgenommen und mit Idhun, der Göttin der ewigen Jugend, vermählt: diese Sage ist uns der schöne Ausdruck der Tatsache, daß eben die Dichtung die nordischen Götter verjüngte. Darum auch, weil ihre religiöse Macht überaltert war, hat das Christentum die alten Götter eigentlich rasch überwinden können.

Wohl treten die Götter als Gemeinschaft vor uns auf, aber nur die Furcht vor ihrem Ende und die Furcht vor Schaden bringt sie zusammen, sie ziehen vereint in den Tod, nicht in das Leben. Wie rasch läßt die Wöluspa auf das Glück der Urzeit den ersten Kampf von Gott gegen Gott folgen! Und wie ist diese Götterwelt zerklüftet! Riesen, Elben, Zwerge, Götter in unaufhörlichem Kampf, in dem die Stellung der Parteien immer wechselt, Asen und Wanen notdürftig versöhnt, Thor und Odhin in wachsendem Gegensatz, Loki ihrer aller Feind! Mit welch zügelloser Bosheit sind auch die Skalden über die Götter hergefallen und haben sie höhnisch miteinander verglichen oder alle verlästert! Thor ein lächerlicher Gernegroß, Höni ein dummer Tropf, die Göttinnen brechen die Ehe und sind käuflich in ihrer Liebe, Wanen und Riesen und Unholde werden von den Asen betrogen — freilich solche Gesellschaft ist reif zum Untergang. Und doch wie groß sind sie alle gestorben, wie fliegt unser Herz dem scheidenden Thor und dem scheidenden Odhin entgegen!

Religiös betrachtet ist die nordische Götterwelt ärmer als die germanische. Donar und Tiu waren als Götter vielfältiger und großartiger als Thor und Ty, die Bedeutung der Göttinnen hat sich verringert, Odhin, Balder, Loki, Heimdall geraten aus ihrer



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germanischen Bahn. Der Kampf zwischen den eingeborenen und einwandernden Göttern, die Umbildung der indogermanischen Götter ins Germanische, diese merkwürdige, durch lange Jahrhunderte sich hindurchziehende Entwicklung hat im Nordischen kein Seitenstück. An Stelle der religiösen Werte traten allerdings heroische, christliche, mittelalterliche und künstlerische, im Heroischen fanden die germanischen Götter eine grandiose Erfüllung ihres Wesens, und das Christentum entstellte einige ihrer Götter, bei anderen machte es das Edelste ihres Wesens frei.

Wer also, wie manche ehrliche Schwärmer noch heute, die Religion der Gegenwart aus der germanischen verjüngen und läutern will, traut unsren Vorfahren Kräfte zu, die sie niemals besaßen. Die germanische Religion hätte sich im Norden jahrhundertelang festigen und vom Norden aus die südliche germanische Welt erobern können — statt dessen zersetzte sie sich und gewann erst neuen Glanz durch das Christentum und erlag nach kurzem, heroischem Kampf.

Aber in der germanischen und nordischen Religion liegen Schätze unsres Wesens und Mahnungen und Warnungen, viel reicher und uns viel notwendiger, als uns heute noch bewußt ist. Die Blicke, die uns in ihren, Jahrhunderte hindurch nicht versiegenden Reichtum gegönnt waren, können uns mit neuem Vertrauen auf die ewige Sendung der Germanen erfüllen. Auch in der Geschichte des germanischen Götterglaubens erweist sich das Heroische in seiner Tod und Leben überwindenden Zuversicht, seiner unbewußten Freude an sich selbst und seiner gefaßten Geduld als eine Unvergänglichkeit und als eine in den dunkelsten Zeiten aufblitzende Gewähr für kommende Jahrhunderte. Wer von uns, der deutsch fühlt, wird nicht vom Schauer des Heldentums gepackt, der die Geschichten von Odhin und Thor, der die Strophen der Wöluspa und der Hawamal durchweht! Das Vermögen, fremde Welten in ihrem Besten zu erkennen und das eigene Wesen daran



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aufzurichten und zu bereichern, zeigt uns die Geschichte der germanischen Religion in ihren entscheidenden Epochen mehr denn einmal: sie ist für uns einer der tiefsten Beiträge zum ewig deutschen Problem von echter und falscher Aneignung. Die Zwietracht, der verderbliche Kampf Aller gegen Alle, der zügellose, nur sich selbst setzende Geist, die immer neuen Zielen zusagende Ruhelosigkeit das nie sich vollendende Werden haben uns zu mehr als einem Untergang getrieben. Und doch gerade die unersättliche Vielfältigkeit unserer Kraft, das von keinem Ideal befriedigte Streben sind die Segen jener verhängnisvollen Mitgift, und sie reißen uns wieder aus dem Abgrund. Dem ruhelosen, heroischen Odhin verklärte sich dies Dasein, er krönte sein Leben mit dem Tod des Helden, damit eine neue reine Welt aus den vernichteten Gefilden der alten aufsteigen könne!


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Die zweite Bearbeitung der Götter und Göttersagen der Germanen unterscheidet sich, besonders in der Anlage und Anordnung, stark von der ersten, sie erscheint fast als ein neues Buch. Wer als Dozent über das gleiche Gebiet öfter vorträgt und Freude am Dozieren hat, wird, um sich eine immer freiere Herrschaft über sein Reich zu sichern, die Teile des Ganzen gern in wechselnder Ordnung vorführen, damit sie in wechselnden Ansichten und Beleuchtungen sich gegenübertreten und dadurch neue Zusammenhänge und Erkenntnisse aufdecken. Der Gewinn aus solchen Versuchen ist in diese neue Auflage geleitet worden. Auch aus anderen Gründen empfahlen sich Änderungen. Vor einem Jahrzehnt gehörte noch ein gewisses Aufgebot von Kräften dazu, Widerstrebende und Gleichgültige für die Welt unsrer alten Götter zu erwärmen. Diesen vor allen wurde damals die Geschichte der Wissenschaft von der deutschen Mythologie vorgetragen. Ihre Teilnahme sollte durch den Bericht geweckt werden, wie viel Mühe, Intuition, Begeisterung und Scharfsinn eine erlesene Schar deutscher und nordischer Gelehrter dieser Vergangenheit germanischen Geistes gewidmet. Heute ist die Anziehungskraft der alten Götter unbedingt stärker, deshalb wurde das Kapitel "Wege und Ziele der deutschen Mythologie" gestrichen. — Ferner schien es damals ratsam, die Bedeutung der sogenannten primitiven Völker und ihrer geistigen Welt für den Glauben und die Sagen auch unsrer Vorfahren recht eindringlich hervorzuheben. Seitdem ging man in dem Bestreben, die deutsche Götterwelt aus der Religion der Primitiven zu erklären und sie auf gar zu allgemeinen, oft gar nicht beweisbaren Voraussetzungen aufzubauen, manchmal viel zu weit. Es war doch zuerst zu versuchen, was man von den Germanen selbst über die Germanen erfahren konnte, von dort aus war zum dunklen und schöpferischen Urgrund aller Religionen vorzudringen, wenn sich der Weg dorthin überhaupt finden ließ. Darum wurde auch das zweite Kapitel des alten Buches, der Ursprung der deutschen Mythologie, aufgelöst, statt dessen die germanischen Nachrichten eingehender und vollständiger besprochen. Neue Arbeiten der wissenschaftlichen germanischen Mythologie — sie ist auch im letzten Jahrzehnt in Deutschland und im Norden an vielen Stellen eifrig am Werk gewesen — bedingten ebenfalls manche Umstellung im einzelnen und wurden für den Verfasser der Anstoß zu erneutem Nachdenken und Forschen. Dem ersten Ziel seiner Göttersagen


Anmerkungen und Nachweise



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glaubte er dann dadurch näher zu kommen, daß er eine größere Anzahl von Göttersagen als in der ersten Auflage übertrug und aus ihrer Interpretation ihre Bedeutung und ihre Geschichte ableitete. Kurze Berichte über den Gottesdienst unsrer Vorfahren, absichtlich knapper gehalten als die anderen Kapitel, wurden angefügt. Diese Änderungen ergaben sich fast alle aus der Geschichte unsrer Wissenschaft von selbst. Viel stärker verlangte den Umbau des alten Buches eine Überzeugung des Verfassers, die sich ihm bei seinen deutschen Heldensagen gebildet, deren Bedeutung ihn immer tiefer durchdrang, und die er auch bei anderen zu wecken und zu festigen sich verpflichtet fühlt. Bei den Heldensagen ist die heroische Dichtung der germanischen Völkerwanderungszeit, die viele Forscher noch immer vernachlässigen oder nicht sehen wollen, der Keim, aus dem sich die ganze spätere germanische Heldendichtung entwickelt. Bei den Göttersagen ist es ähnlich. Die Jahrhunderte der germanischen Völkerwanderung, in weitem Sinn genommen, von der Zeit der Cimbern und Teutonen bis zu karl dem Großen, und manchmal noch frühere Zeiten, haben die germanischen Götter geschaffen. Man darf diese Leistung nicht verkennen und unsre Nachrichten und Zeugnisse nicht gering schätzen, weil sie so spärlich sind. Nicht etwa errichteten die nordischen Völker und Dichter auf dem germanischen Nichts ihre nordische Götterwelt, sondern sie entfalteten sie aus den germanischen Schöpfungen, gaben ihnen ein neues künstlerisches Leben und führten sie in das Christentum. Nur eine Gegenüberstellung von germanischer und nordischer Zeit auf der ganzen Linie, eine Gegenüberstellung zuerst der germanischen und nordischen großen Götter, dann der Reihen der anderen Götter, der Göttinnen, der gemeinsamen Sagen, des Gottesdienstes, konnte das Verhältnis der germanischen und nordischen Götterwelt, wie der Verfasser es sieht, von Fan zu Fall zeigen. Deshalb also wurden die Göttersagen diesmal in zwei Abschnitte gegliedert: jedes Kapitel des ersten entspricht dem des zweiten Es ist nur zu hoffen, daß der Leser diese Symmetrie als organische Notwendigkeit und nicht als pedantische Langeweile empfindet.

Die Anmerkungen und Nachweise sind diesmal erweitert. Das ganze Hin und Her der wissenschaftlichen Diskussion sollte jedoch nicht noch einmal ausgebreitet werden, das ist in anderen Büchern zur Genüge geschehen. Unsre Hinweise sollen knapp bleiben und an möglichst ergiebige Stellen führen. Der Leser, der ihnen nachgeht, soll die wichtigen Aufschlüsse und Arbeiten finden, er soll auch die Gründe erkennen, die den Verfasser zu seiner Entscheidung drängten. Endlich hat sich der Verfasser



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diesmal zu einem Namen- und Sachenverzeichnis entschlossen, nicht eben gern, da sein Buch zum Lesen und nicht zum Nachschlagen bestimmt ist. Doch macht das Register, ebenso wie die Anmerkungen, vielleicht manchen Forscher auf Einzelheiten aufmerksam, die er sonst leicht übersehen hätte, und beides kommt auch den Gelehrten entgegen, für die eine Wissenschaft ohne Anmerkungen und Register eben keine Wissenschaft ist. So will es der Verfasser denn in den Kauf nehmen, daß durch diese Zutaten der Schein äußerer Gelehrsamkeit erweckt wird, dem er sonst, so weit er kann, aus dem Wege geht. — Die erste Auflage des Buches hat den germanischen Göttern manchen neuen Freund gewonnen, und eine Minderheit von Gelehrten, darunter allerdings einige an führender Stelle, haben sie berücksichtigt und dankbar verwertet. Vielen galt das Buch als verdächtig oder sie glaubten sich der Mühe überhoben hineinzusehen , weil es zugleich an Gelehrte und Ungelehrte sich wendet. Wäre die Zeit doch wieder nah, in der, wie in den Tagen Jakob Grimms und Ludwig Uhlands, der Gelehrte als Künder des besten deutschen Geistes seines Amtes walten darf, für alle, die jenes Geistes reinen Hauch spüren!

Wichtige Werke und Untersuchungen zur germanischen Mythologie: Jakob Grimm, Deutsche Mythologie ('Göttingen 1835, '1844, 11875 —78 mit Nachträgen von E. H. Meyer). —Ludwig Uhland, Der Mythus . von Thor (Stuttgart 1836), ders., Schriften, Bd. s u .7 (Stuttgart 1865). — karl Müllenhoff, Die Germania des Tacitus (Berlin 1900). —Wilhelm Mannhardt, Wald- und Feldkulte ('Berlin 1904). — Sophus Bugge, Studien über die Entstehung der nordischen Götter- und Heldensagen (München 1881 —89). — Edward Tylor, Primitive Culture (4 London 1903). — J. G. Frazer, The golden Bough or Balder the Beautiful (2 London 1900, 'London 1911 ff.). — Axel Olrik, 0m Ragnarök, I, II (Kopenhagen 1903, 1914) (jetzt übersetzt von Wilhelm Ranisch, Berlin 1923). — Ders., Danske Studier (ebda., seit 1904). — Ders., Nordisk Aandsliv i Vikingetid (ebda. 1907). — Wolfgang Golther, Handbuch der germanischen Mythologie (Leipzig 1895). — Eugen Mogk, Mythologie (in Pauls Grundriß der germanischen Philologie, III, 320ff., Straßburg 1898), ders., Mythologische Artikel in Hoops Reallexikon der germanischen Altertumskunde (Straßburg 1911-1919). — Paul Herrmann, Nordische Mythologie (Leipzig 1903). — Ders., Deutsche Mythologie (ebda. 1906). — Richard M. Meyer, Altgermanische Religionsgeschichte (Leipzig 1910). —karl Helm, Altgermanische Religionsgeschichte I (Heidelberg . I. 19



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1913), vgl. Vf. Deutsche Literaturzeitung 1913, 2180ff. — Gudmund Schütte, Dänisches Heidentum, Heidelberg 1923. —


Erster Abschnitt


1. Kapitel

S. 11 ff. Beste Übersicht über die germanische Überlieferung bei Helm S. 63—125; Helm behandelt auch zum erstenmal mit großer Umsicht und Zurückhaltung die vorgeschichtlichen Zeiten der germanischen Religion (S. 126—245).


2. Kapitel

S. 13. Über den Namen tiuz (ein Stern vor dem Namen bedeutet, daß die Form nicht überliefert, sondern von den Sprachforschern aus den Lautgesetzen erschlossen ist) Helm 270 und Anm. 73. Schütte, Dänisches Heidentum (Heidelberg 1923) 74. — über Nuada, R. Much, Der germanische Himmelsgott (Festgabe für Richard Heinzel, Leipzig 1898) 217. — Stellen bei Tacitus: Hist. 4, 64, Ann. 13, 5f., dazu auch Helm 269 u. Anm. 69. — S. 15. Cyuari usw. Much a. a .O. 192f. — Die Lesung Ziesburc für Augsburg ist eine Verlesung, es muß heißen Aesburc, das ist Augsburg, J. Miedel, Archiv für die Geschichte des Hochstiftes Augsburg, Bd. 5. — Semnonen, Tacitus, Germ. c. 39, Helm 306f., bes. 307 u. Anm. 35, u. 334, Müllenhof 457ff. — S. 15. Heilige Haine, Helm 287 u. Anm. 119, Müllenhoff 200 ff., Golther 592. — Fosite, Golther 387 u. Anm. 2. — Balder, Name, Golther 366 Anm. 3. — Gott als Herr, Friedrich Heiler, Das Gebet (München 1918) 127, Schütte 114. Gustav Neckel, Die Überlieferungen vom Gotte Balder 133. — Sahsnot, Golther 213 Anm. 3. — S. 16. Vater Himmel, Heiler 105, 124f. — Fesselung in der Schlacht, Plutarch, Marius c. 27. —Walburg, E. Schröder, Archiv für Religionswissenschaft (A. Rel.) 19, 196 f. — S. 16. Menschenopfer, Eugen Mogk, Abhandlungen Sächs. Gesellsch. der Wissenschaften 27, 603 ff., A. Rel. 15, 422f. —Opfer an Sonnengott, Frazer 21, 142f., 233f, 278f., 2, 1f., 3, 134f., Preuß, Globus 86, 108, Friedrich Kauffmann, Balder (Straßburg 1902). — S. 19. Mars Thingsus, Helm 366 u. Anm. 80, Much S. 194. — Jupiter als Verleiher des Sieges und als Schützer des Rechts, Wissowa, Religion der Römer (2 München 1911) 118. — Sondergötter, Hermann Usener, Götternamen (Bonn 1895), Axel Olrik, Nordisk Aandsliv



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29, Heiler 97f. — Mars Halamardus, Helm 365. — S. 20. Zeugnisse des Procop und des Jordanes, Golther 202 Anm. 4, 203 Anm. 5. — Runenreihe, v. Friesen, bei Hoops s.v. Runen, v. der Leyen und Wolfskehl, Älteste deutsche Dichtungen ( Leipzig 1924) 190f., Magnus Olsen, Edda (Christiania 1916) 5, 225 f. F. R. Schröder, German Roman. Monatsschrift 10, 7i 4. — S .21. Er, Erch, Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch (Straßburg 1911) '119, Andreas Schmeller, Bayrisches Wörterbuch l, 127. Sahsnot, Müllenhoff, Schmidts Allgem. Zeitschr. f. Geschichte 8, 249, Much 225f., Golther 213. — S. 22. Eid auf Schwert, Golther 548, Frazer 1, 164. — Silberner Arm des Nuada, Much 217, Indischer Spruch: Der Sonnengott stützt bei seinem Untergang sich auf feine Strahlen wie auf Hände, Quel Olrik, Ragnarök 2, 162 führt ohne Zitat an, daß bei den Indern ein Wolf dem Sonnengotte Surja die Hand abbeißt, F. R. Schröder (Paul Braune), Beitr. 43 (Halle 1918), 219f. — S. 23. Sage vom Sonnenwolf, Vf., Der gefesselte Unhold (Prag 1908), Axel Olrik a. a. O. 91f. — S. 24. Zweiter Merseburger Spruch, E. v. Steinmeyer , Kleinere althochdeutsche Sprachdenkmäler (Berlin 1917) 365f., Ehrismann, Gew. d. althochdeutschen Literatur, München 1918, 96 f., Vf., Bayrischer Heimatschutz (München 1912) 51, 105f. — R. Christiansen, Die finnischen und nordischen Varianten des zweiten Merseburger Zauberspruchs (Helsingfors 1915), dazu Vf., Bayrische Hefte für Volkskunde 6 (München 1920), 243. — Wenn die viel umstrittenen Verse des Hildebrandsliedes wirklich gelautet haben: Wet Tiu irmingot obana af hevane dat du neo dana halt mit sus sippan man dinc ni gileitos, d h. das weiß der große Gott Tiu oben vom Himmel herab, daß du trotzdem mit einem so nah versippten Mann eine Verhandlung nicht führtest, so würde in dieser, ursprünglich gotischen Dichtung, Tiu angerufen als der große Gott, als der Gott des Himmels, in einer Rechtsfrage, unter versippten Leuten, und wir hätten dann eines der wertvollsten Zeugnisse für Tiu aus der gotischen Zeit. Leider ist die Lesung wet Tiu sehr unsicher. Baeldaeg, Golther 366 Anm. 3. — Ull, Axel Olrik a. a. O. 2 ,235, Magnus Olsen, Hedenske kultminder I Nordiske stedsnavne (Christiania 1915) 66, 151, 188, 197, 201, 283, Schütte 76. - S. 26. Namen und Beinamen der germanischen Götter, die Geschichte, die Triebkräfte und die Gesetze ihrer Bildung sind bisher im Zusammenhang noch nicht erforscht, eine besonders schmerzliche Lücke in der Wissenschaft der germanischen Mythologie , die hier noch viel von Hermann Useners Götternamen lernen könnte. Interessante Vorarbeiten bei Schütte 36 f., 67 f., 119, Arkiv 37, 277 f.


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3. Kapitel

S. 27. Latona usw., Bugge a a. O. 24. Adam von Bremen 4, 26, Golther 255 Anm. 2. — Jupiters Wagen, Golther 248. — Opfer von ?liten in der Bronzezeit, Helm 187 f. — S. 28. Ring von Pietroassa, Ferdinand Loewe, Indogermanische Forschungen 26 (Straßburg 1910), 203 f. — Thor, der Ase, F. R. Schröder a .a. O .243. — S 29. Deutsche Zeugnisse über Donar, Golther 243 Anm. 4, ebda. die Stelle aus der vita Bonifatii, kultische Ortsnamen bei Geismar, Wilh. Arnold, Ansiedelungen und Wanderungen usw. (Marburg 1875) 63. — Blitz und Eiche, Franz, Die kirchlichen Benediktionen im Mittelalter (Freiburg 1909)2, 38: Die Griechen sahen in allen Dingen Schutz gegen Blitzgefahr, in welchen sie sich den Feuer- oder Blitzdämon lebend und wirkend dachten, so im Lorbeerbaum, in der Eiche, in der Linde oder im Holz eines vom Blitz getroffenen Baumes. —Frazer a. a. O. ' 2, 349 f. stellt fest, daß nach der Meinung vieler indogermanischer Völker der Blitz- oder Himmelsgott in der Eiche hauste, sah aber den Grund nicht, den Vf. im deutschen Sagenbuch ' 1, 163 zuerst mitteilte. Warde Fowler, A. Rel. 16 (1913), 317 f., fand dann selbständig den Grund, vgl. auch Oldenberg, Veda 111 a. 5. — S. 30. Herkules, Tacitus Germ. 3. 9, Ann. 2, 12, Golther 224, Anm. 1, Helm 274. Schütte 76 setzt den Herkules dem keltischen Herkules, dem preußischen Perkunos, dem indischen Pardschanja (Oldenberg, Veda, 228), dem nordischen Fjörgyn gleich. Die Verwandtschaft bezieht sich aber nur auf den Namen, nicht auf Wesen und Taten, und die sind das Entscheidende. — Barditus, Müllenhoff 134ff. E. Norden, Die germanische Urgeschichte in Tacitus Germania, Leipzig 1920 u. 22, S. 117 bespricht den Bericht des Tacitus über den Barditus in seinem Zusammenhang mit der antiken Ethnographie, besonders mit Poseidonios. — S. 32. Hercules barbatus, Helm 363. Glaube an Haar, Vf., Register zum Märchen ' (Leipzig 1917). — Hercules magusanus, Helm 363 f., Vf., Deutsche Lit .-Ztg. 1913, 2188. Norden 173ff., bes. 175 hält den Hercules magusanus für Siegfried, doch daß damals schon Siegfried am Niederrhein bekannt war und in Liedern gefeiert wurde, ist gegen jede Wahrscheinlichkeit. Zu Haewa: im Grabe des Westgotenkönigs Theoderich fand man einen Ring mit der Inschrift heva. (Albr. Haupt, Die älteste Kunst der Germanen, 2. Aufl., Berlin 1923, 41.) —Nordendorfer Spange s. Lit. zu (3.44. — S 33. Donarsegen, Steinmeyer a a. O. 380, G. Ehrismann Geschichte der althochdeutschen Literatur (München 1918) 108.



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S. 35. Brücke. Edw. Schröder, bei Hoops s. v. Brücke. — Krankheiten als Geschoße, Golther 124, 132, Grimm ' 1192. S. 36. Literatur über Germanen , Lappen usw., Magnus Olsen a. a. O., Edgar Reuterskjöld, De nordiska Lapparnes Religion (Stockholm 1912), Quigstad in den k. norske Videnskabens Selskaps Skrifter (Christiania 1910), W. v. Unwerth, Germanistische Abhandlungen 37 (Breslau 1911). Axel Olrik, Danske Studier 1905 —07 S. 38. Midgardschlange, Axel Olrik, Ragnarök 2, 130. S. 39. Runze, O. Jirizek, Deutsche Heldensagen (Straßburg 1898)1, 185f. — Andere Deutung der Hrungnisdichtung bei Helm S. 198, dagegen Vf., Deutsche Lit .-Ztg. 1913, 2188, Altertümliches in Hrungnisaga, Axel Olrik, Danske Studier 1905, 129. —


4. Kapitel

S. 41. Zeugnisse Wodan-Merkur, Helm 259 Anm. 42, 359 (Kultstätten) , J. Kemble, The Saxons in England (London 1876) 1, 335f. (3.42. Deutung von Wode, Helm 262 f., ebda. über Wilde Jagd, dazu noch F. Ranke im 4. Band des Deutschen Sagenbuchs, Axel Olrik, Dania (Kopenhagen 1903) 8, 139ff., vgl. ferner die grandiose Schilderung im 1. Bd. von Selma Lagerlöfs Jerusalem. S. 43. Daß Wodan und Merkur als Handelsgötter sich gleichen, ist sehr zweifelhaft (gegen Helm 264 f. Norden, S. 53, über die Angabe des Tacitus: deorum maxime M. colunt, N hält sie für entlehnt aus anderen Autoren. Mercuri Channini, Th. Siebs, Zeitschr. f. deutsche Philologie 24, 145 f., Helm 357. —Requalivahanus, Helm 375. — S. 44. Esus und Wodan, Helm 361. — Mercurius Cimbrianus, Helm 318. —Nordendorfer Spange, Vf., Zeitschr. f. Volkskunde 25 (Berlin 1915), 136 f., Unwerth ebda. 26, 81 f., S. Feist, Zeitschr. f. deutsche Phil. 47 (1916), 5f., will logathore umkehren und ero tha gol (Erde sang da) lesen. Aber warum sollen die Zeichen gerade in dieser Reihe rückwärts zu lesen sein, wie kann es im 7. Jahrhundert Wan ero und im 8. noch eru heißen? Außerdem wird die Erde bezaubert, sie bezaubert aber selbst nicht, und wen und was sollen denn Donar und Wodan weihen? — Die Achillesferse bei des Vf.s Deutung bleibt das thore, es muß etwas wie "Verursacher, Bewirker" bedeuten, ob es aber das Suffixe -tor ist, oder verwandt mit dem Stamm in thuris: Riese, oder in thora: wagen, stark sein, oder mit einem anderen, bleibe dahingestellt * . — Die Herleitung luhthurar, Lodurr wird jetzt von F. R. Schröder, Germanisch-Romanische Monatsschrift, 10, 8, il bestritten. Die Bedeutung des Suffix-tor für die Bildung von Götternamen im



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Indischen und Römischen hebt Oldenberg, Religion des Veda, 61, 63 hervor. — Magnus Olsen, Arkiv 37, 201, 225 ., 232, in einer für die Erkenntnis des Runenzaubers wichtigen Abhandlung, vermutet, daß eine Hauptabteilung der Inschrift auf dem Rökstein eine Potenzierung der Formel wigi Thonar sei. — Zu Wodan als Flammengott vgl. die Anmerkung zu S. 265. — S. 45. Jonas von Bobbio, Golther 298 Anm. 1. — S. 47. Ofni und Swafni, Herrmann, Nord. Mythol. 402. — Origo gentis Longobardorum, Monumenta Germaniae, Leges IV, 641, Golther 299 Anm. 2, dazu W. Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter 1, '178 Anm. 1, vgl. ferner Edw. Schröder, Kaiserchronik 14877, J. Bédier, Legendes épiques 3, 327. — Albrecht Haupt,. Baukunst 167, (Haartracht). — S. 48. O. Dähnhardt, Natursagen Bd. 3, 4 (Leipzig 1910, 12). -S. 50. Gambara, E. Schröder, A.-Rel. 19, 198. — Zuerst ausstehen, Dähnhardt a. a. O. 3, 146, 489, Mannhardt a. a. O., passim z. B. 341f. —Deutung der Longobardensage, vgl. auch das zu S. 140 in den Anmerkungen über Wölsi Angedeutete. —Pekko, Olsen 111, Helm 324 Anm. 85. —Neckel 201ff. vergleichet die Longobardenfabel mit jener Szene aus der Ilias Buch 14, in der die Himmelsgöttin den schlafenden Himmelsgott überlistet und ihrer Partei den Sieg gibt. Diese Übereinstimmung erstreckt sich aber nur auf den Rahmen und nicht auf den Inhalt und den Aufbau (aetiologischer Schluß!) des Liedes, und wenn wirklich ein Zusammenhang beider Einleitungen besteht, so kann der lombardische Spielmann auf italienischem Boden leicht die antike Götterfabel gehört haben. Ein uraltes thrakisches Lied als Quelle für Homer und für die germanische Szene würde ich nicht annehmen. — S. 51. Spielmannsdichtung, v. der Leyen u. Wolfskehl 203. — Wodan in England , J. Kemble, The Saxons in England (London 1876) i, 338 f., M. Chadwick, The cult of Othin (Cambridge 1899) 29f. — S. 53. Wodan, Gott gewordener Zauberer, Heiler a. a. O. 102 zitiert Codrington, The Melanesians 125 f.: Der Totengeist, den man allgemein verehrt, ist der Geist eines Mannes, der zu seinen Lebzeiten Mana besaß, die Seelen der gewöhnlichen Menschen dagegen sind die gewöhnlichen Herden von Geistern, Hüllen vor wie nach dem Tod.


5. Kapitel

S .54. Nerthus Tacitus, Germ. c. 40, Übersetzung von J. u. W. Grimm in ihren deutschen Sagen, Helm 311 f., Mannhardt 1, 562 f., Seeland und Nerthus, Helm 319. — Gebete an die Erde, Grein-Wülker, Bibliothek der



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angelsächsischen Poesie (1883)1, 312 f., Golther 577 Anm. 1, 455 Anm. 1. — S. 55. Mutter Erde und Vater Himmel, A. Dieterich. Mutter Erde (Leipzig 1905) 13f. — S. 57. Name Nerthus: Erich Berneker schreibt dem Vf., "die Zusammenstellung von germanischem Nerthus, altisländisch Niördhr mit der keltischen Sippe, irisch nert: Kraft, Macht, kymrisch nerth, gallisch Nertobriga, die Fick 1, ' 193 bietet, halte ich für unrichtig. Die keltischen Wörter sind eine Ableitung des indogermanischen Wortes für Mann (griechisch greg usw.), vgl. Curtius Grundzüge der griechischen Etymologie 306f., Pedersen, vgl. Grammatik der keltischen Sprachen 1, 136. Die germanischen Wörter weisen auf ein Formans -tu, das seit urindogermanischer Zeit Verbalabstrakta bildet. Diese konnten durch Personifikation auch zur Bezeichnung des Handelnden werden, so z. B. altisländisch vördhr Wacht und Wächter, gotisch hliftus, ursprünglich Diebstahl, dann Dieb, vgl. Brugmann, Grundriß 2, 1, 440 f., ner von grec und Verwandten ist als Verbalwurzel jedoch nicht zu belegen. —Wohl bietet sich aber eine Verbalwurzel *ner im Baltisch-Slawischen dar, von der Nerthus mit dem Formans -tu abgeleitet sein könnte, sie weist auf die Grundanschauung "untertauchen, in der Erde verschwinden" Zu dieser Wurzel *ner gehören litauisch neriu, nérti untertauchen, einschlüpfen, naras Taucherente, lettisch flirt, nirtës untertauchen, nun Taucherente, altkirchenslawisch niro, nréti ingredi, russisch nora, Erdhöhle, Loch usw. (die slavische Sippe bei Miklosich, Etymologisches Wörterbuch 212). Germanisch ner-thu-s bedeutete dann "Untertauchen, das in die Erde schlüpfen" und "das in der Erde hausende Wesen" . Noreen, Lautlehre 209, zieht die germanischen Götternamen zu griechisch grec die Unteren, grec (v), unterhalb usw., zu denen auch umbrisch nertru ,sinistro ', altisländisch nordhr, Norden gestellt wird. Diesen liegt, wie auch Brugmann, Grundriß 2, 1, 323f., annimmt, ein Adverb lokaler Bedeutung, etwa *(e)ner, zugrunde. Ob dies mit der Verbalwurzel *ner ,tauchen, schlüpfen ' zusammenhängt, ist schwer zu sagen, mir aber unwahrscheinlich." — Auch J. Löwenthal Arkiv 32, 299, verwies zur Etymologie von Nerthus u. a. auf litauisch neriu, nerti. — Sonnenwagen usw., Helm 176f., 296 Anm. 133. Schütte, 70f. — S. 58. Rinder als Zugtiere, Müllenhoff 472, wenige und unsichere Belege, Axel Olrik, Gefjon, Danske Studier 1910, 1f. Schütte 89. — Magna mater, Dieterich a. a. O. 83. — Regenzauber, Helm 315 Anm. 48 glaubt nicht an Regenzauber, trennt aber nicht die Waschung von dem Stürzen der Knechte in die See, vgl. auch Löwenthal, Arkiv a. a. O. S. 50. — Umzug des Frey, Golther 229.


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Andere Deutung, mich nicht überzeugend, bei Schütte, 104f. — S. so. Niederländische Feier, Golther 457, Grimm '748, Nachträge 1225. Umzüge im Pinzgau, Vf., Bayr. beste f. Volkskunde 3 (München 1916), 16. — S. 62. Verlegung von Festen, Eugen Fehrle, Deutsche Feste und Volksbräuche (Leipzig 1916), viele Beispiele. — Altenglisches Runenlied , Axel Olrik, Danmarks Heltedigtning (Kopenhagen 1903) 1, 258 f. — S. 63. Isis, Helm 309, 383f., F. Kauffmann, Beiträge 16, 217f. Nehalennia, H. Güntert, Kalypso (Halle 1919) 58f., schlägt eine neue Etymologie vor, *neh-halennia, die Totenbergende, und erklärt Nehalennia für eine Göttin des Jenseits und der Toten, der Hel verwandt. Aber die Herrscherinnen im Reich der Toten sind im Germanischen nie Göttinnen der Fruchtbarkeit; Gottheiten der Erde und Gottheiten der Unterwelt werden stets geschieden. Auch deutet die Verhülltheit der Nehalennia auf ihren Bildern nicht auf eine Unterweltsgöttin, auch Nerthus ist verhüllt und Verhülltheit ist oft nichts als ein Symbol der Unsichtbarkeit. Ebensowenig braucht der Hund auf dem Schiff der Nehalennia ein "Höllenhund" zu sein oder ein "Leichenhund", er bewacht nur die Schätze der Göttin. — S. 64. Schiffsumzug in Inden, Golther 467 Anm. 1, R. Eisler, Bayr. Hefte f. Volkskunde (1914 .) i, 209 f. 2, 73f. S. 65. Androgyne Gottheiten, magna mater androgyn, Dieterich a. a. O. 82, andere androgyne Gottheiten Wilhelm Hertz, Gesammelte Abhandlungen (Berlin 1905) 413, 421, Heiler a. a. O. 117, 434. — Edw. Lehmann, Maal og Minne (Kopenhagen 1919) 1f., verweist auf Götterbilder auf uralten nordischen Felsenzeichnungen (helleristningar), die Fruchtbarkeitsgötter darstellen und Wesen sind mit starkem Phallus und gleichzeitig mit stark ausgebildeten weiblichen Brüsten und Brustwarzen. — Fjörgyn, Much, Himmelsgott 205. Tuisto, Norden, 48 a 3; Tuisto müsse nicht androgyn sein; vielleicht sei er ein mit sich selbst gedoppelter Gott (?) — S. 66. Altenglischer Priester auf Stute, Golther 618. Frauen im Kult der Götter Neckel, Balder 166. —Zeus als Sohn der Erde, Dietrich 38, Heiler 123f. — S. 67. Lachs, Dähnhardt 2, 252. 3, 54. — Thor wirft Thiazis Augen als Sterne in den Himmel, so in den Harbardsljodh, Str. 19.


6. Kapitel

S. 68. Alcis Tacitus, Germ. c. 43, Helm 321 f., Bethe in Pauly Wissowa Realencyklopädie ' 5, 1, 1087 f., Magnus Olsen 255 f, Löwenthal, Arkiv 32, 286, Johannson ebda. 35, 1f. Oldenberg, Veda, 207, 212f. — um das Problem der Alcis hat sich die Forschung seit Helms Ausführungen



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wieder lebhaft bemüht. Vf. hat das ihm Einleuchtende aus ihren Arbeiten dargestellt und mit den Ergebnissen eigenen Nachdenkens verbunden. Er steht den meisten der neuen Vermutungen skeptisch gegenüber. Daß das mit alcis verwandte lettische Wort elks, "Götze, Gott", holzgewnitzter Gott bedeutet (vielleicht ist lettisch elks abgeleitet, litauisch elkas, alkas: heiliger Hain, Hain das Ursprüngliche, Erich Berneker), daß man sich demgemäß unter den Alcis holzgeschnitzte Götter zu denken habe und daß ihre Namen Raus und Rafts waren, scheint ihm ein Schreiten von unbeweisbaren Voraussetzungen zu unbeweisbaren Folgerungen . Das wandilische Königsgeschlecht der Hazdinge ferner, das seit Müllenhoffs kühnen Kombinationen immer wieder mit den Alcis in Verbindung gebracht wird, braucht mit den germanischen Dioskuren nicht zusammenzuhängen . Noch weniger braucht hazdingos, "die mit Frauenhaar geschmückten" zu bedeuten, wahrscheinlicher ist der Sinn, "die mit langem, starkem männlichen Haar geschmückten", man vgl. unsere Ausführungen zu Thors Bart (S .32) und zu der Longobardenfabel (S. 48). Am wenigsten aber darf man die weibliche Haartracht der Hazdinge als den muliebris ornatus des Alcis Priesters erklären, vgl. auch Vf., Deutsche Lit.-Ztg. 1913, 2187. S. 69. Pferd als Tier der Fruchtbarkeit. Strophen vom Wölsi, A. Heusler, Zeitschr. f. Volkskunde 13, 24 f., R. Much, Himmelsgott 258, 276, E. Mogk bei Hoops 2, 29. — F. R. Schröder, Germ.-Rom. Monatsschrift 10, 9f. — S. 70. Asen, Helm 226 Anm. 133. — Hengist und Horsa, Haupt, Baukunst, 281 a 1: es ist von eigenartiger Beziehung, daß die beiden gekreuzten Pferdeköpfe auf den Giebeln niederdeutscher Häuser noch vor einem Menschenalter in Holstein (Gegend von Rendsburg) bei den Bauern Hengist und Hors genannt wurden. —Ingäwonen Helm 329 S. 7 2. Heimdall, Vf., Sagenbuch 2, 311 f. — Dadsisas, G. Graber, Zeitschr. f. österr. Gymnasien 63 (Wien 1912), 493 f. — Elben, Golther 125, v. Unwerth, Germanist. Abhandlungen 37, 30, 51 ff. — S. 73. Pekko etc., Olsen 106ff., Axel Olrik, Danmarks garnle Heltedigning 1, 223. 2, 254. v. unwerth, Arkiv 33, 320, stellt auch Fjölni in diesen Zusammenhang.


7. Kapitel

S. 74. Überwiegen der Göttinnen, vgl. auch Schütte 92. — Frija, (holther 429 Anm. 1. — S. 75. Fulla, ebda. 435, Vf. liest Gylfaginning c. 35 ferr Ijös har. Göttin der Fülle schon indoiranisch Oldenberg, Veda, 63. — S. 75. Sunna, Helm 173f., 256f. Schütte 70f. — S. 76. Friggs und



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Menglöds Gefolge, Golther 434 Anm. 1, Schütte 95. — S. 77. Tamfana, Helm 299f. —S. 78. Hludana, Helm 380, anders Güntert a. a. O. 60, dieser begeht aber wieder den mythologischen Fehler, die Totengöttin mit der fruchtbringenden Erdgöttin zu vermischen. — S. 79. Garmangabis, Helm 373, Much, Himmelsgott 263. — Vercana, Helm 374. Idhun Idennica Schütte 96. —Baduhenna, Helm 304, Güntert 58 Anm. 4 —Vag- davercustis, Helm 377, Much, Zeitschr. f. deutsches Altertum 55 (Berlin 1914), 284f. — Bacta, Vegdeg, Kemble a .a .D 1, 335 Anm. 1. — S .80. Sandraudiga, Helm 383. — Vihansa usw., Helm 376. — Idise, Helm 305 Anm. 28, Günterts Deutung 245 Anm. 3, als tiefftufige jo Weiterbildung zu etah, schimmernd, schillernd, bunt ist mythisch unmöglich, die Idise sind "dunkle" Gottheiten. — S. 81. idisiaviso -disin, Olsen 90. — Merseburger Zauberspruch, R. Meißner, cuoniowidi in Festgabe für Bezold, Bonn 1920, 126 f., bes. 138. — Lockern und Anziehen der Fesseln, Kemble a. a. O. 1, 333, Heinzel Detter, Edda (Leipzig 1901) 2, 146. — Blutgier und Grauen in der Vorstellung von den Walküren, Gustav Neckel, Walhall (Dortmund 1914) 74f. — S. 82. Matronen, Helm 391 f., Lit. 391 Anm. 5, W. Schulze, Zeitschr. f. deutsches Altertum 54, 172. Schütte 37 f. — S. 84. Verehrung der Wassergeister, Helm 306, Golther 179, 561.


8. Kapitel

S. 86. Riesen als Weltschöpfer, Riesensagen im Deutschen Sagenbuch, Bd. 4, 216f. — Schöpfung der Welt aus Urriesen, R. M. Meyer, Zeitschr. f. deutsches Altertum 37, 1f., Heiler 143f., A. Rel. 18, 378f., Goethe, Jubiläumsausgabe 40, 36 f. — Wessobrunner Gebet, Steinmeyer 16f., Ehrismann 131, Wolfskehl u. v. d. Leyen 186. — S. 87. Entstehung der Menschen, Snorri Gylfaginning, c. 5 f. — Ask und Embla, Frazer 1, 188, Helm 163 Anm. 45, die Bedeutung von Embla ist nicht ganz sicher. — S. 88. Batawer Tacitus Hist. 4, 22. — Helme der Cimbern, Plutarch Marius c. 25. — Tierverehrung bei Germanen, Frazer 22, 263 f., 3, 416 f., Heim 157 f. u. Anm. 29. Stierverehrung bei Cimbern, von Plutarch (Poseidonios) erwähnt, durch den Fund des Kessels von Gundestrup bestätigt, ist gallischen Ursprungs. Schütte 87; ebenso der hirschhörnige Gott auf dem Horn von Gallehus ebda. 88. — S. 89. Tierornamentik bei Germanen, Bernhard Salin, Die altgermanische Tierornamentik (Stockholm 1904), bes. 177. — Feuersagen, L. v. Schröder, Germanische Götter und Elben beim Esthenvolk (Wien 1906, Sitzungsberichte der Akademie) 1f. — Wassersagen, Vf., Germanist. Abhanglungen



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für Paul (Straßburg 1902) 143 f., Dähnhardt 3, 92f., 222. — S. 90. Regenbogen, Hermann Gunkel, Genesis (Göttingen 1901) 138, Axel Olrik, Danske Studier (1905) 47, Goethe, Jud. -Ausg. 40, 124. — Furcht vor Mondfinsternis bei Germanen, Zeugnis des Hrabanus Maurus, Ehrismann S. 52. — S. 91. Gefesselter Unhold, oben zu S. 23. — S. 93. Erdbebensagen, Much, Himmelsgott 221, sonst vgl. bes. Axel Olrik, 0m Ragnarök 2, namentlich 137f., Olrik geht aber zu weit, wenn er alle Sagen vom gefesselten Unhold aus Erdbebensagen ableitet. — Runenreihe vgl. oben zu S. 20.


9. Kapitel

S. 94. Wald als Tempel, Golther 592 f., Helm 235, 287. — Erlebnis des Drusus, Helm 285 Anm. 114. — S. 95. Weltenbaum und Irminsul Axel Olrik, Ragnarök 2, 231 f., Greßmann, Gilgamesch (Göttingen 1910) 100f., 114f., Marx-Hausrat, Griechische Märchen (Jena 1912) p. X. — S .96. Tacitus über Tempel bei Germanen, Germania c. 9, dazu Müllenhoff 200, Kemble 1, 333, Golther 595, Helm 287 Anm. 20, Kauffmann, A.-Rel. 15, 600 f., sehr schön O. Spengler, Untergang des Abendlandes (1 München 1919), S. 555 über das Wälderhafte der gotischen Dome. — Götterbilder, Mogk, bei Hoops 2, 312. Die Bilderreihen auf den großen goldenen nordischen Trinkhörnern, die in Gallehus gefunden wurden und aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. stammen, hat die Forschung wiederholt als Reihen von Götterbildern gedeutet, zuletzt am beachtenswertesten Axel Olrik, Danske Studier 1918, —34, dort auch Abbildungen; dazu vgl. Schütte 131. Vf. kann sich durch diese Versuche nicht überzeugen lassen: sie setzen ein System der germanischen Religion voraus, das im 4. Jahrhundert n. Chr. nicht bestand, widersprechen unsren Nachrichten, lassen manche Szenen ohne Erklärung, müssen zu der Annahme sich entschließen, daß dieselben Götter bald mit diesen, bald mit jenen Attributen abgebildet werden, daß es dreiköpfige Götter gab; sogar Thor soll mit drei Köpfen abgebildet sein usw. Wahrscheinlicher ist es, daß ein Künstler auf einem Trinkhorn, wie wir es oft auf Bildwerken des späteren Mittelalters beobachten können, phantastische Szenen aus Jagd und Krieg darstellte. — S .97. Verehrung mehrerer Götter auf einem Gebiet: Arnold 64, Kemble 1, 351 Anm. 1, Olsen 157. —Zeit der Götteropfer, Golther 583. — S. 98. Allerseelentage, Helm 295, Golther 586, Erwin Rohde, Psyche (2 Tübingen 1898) 1, 235f. Opfer, vgl. oben zu S. 18, Müllenhoff 244, Golther 563, Helm 293, R. Andrée, Votive und Weihgaben



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147 f. und jetzt vor allem die wundervollen überreichen Sammlungen und Untersuchungen von karl von Amira, Die germanischen Todesstrafen, Abhandlungen der Bayrischen Akademie der Wissenschaften, philos. Klasse XXI, 3. München 1922. — Schlachtfelder, Müllenhoff 215, Golther 553. Schütte 149, auf dem Kessel von Gundel ist ein Opfer abgebildet. — S. 99. Tierbilder als Opfer, Golther 565 f. — Gebet, Golther 559. — S. 100. Prokop, Grimm '2, 692, Beowulf, Deutsches Sagenbuch 2, 37 f. —Grabbeigaben, Sophus Müller, Nordische Altertumskunde (Straßburg 1897), 1, 363, 471, Helm 165f., Richard Andrée 5f., Marie Andree-Eysn 142 f. — S. 101. haljurunnas, Müllenhoff 45, Golther 645 Anm. 1, Ehrismann 40 Anm. J. — Sehr ähnliche Beschwörungen bei den Herero, Heiler 120. — Leichenverbrennung, Helm 148f., 251, Schütte, 23f. — Wahrsagende Vögel, Golther 639 Anm. 2, 640, Müllenhoff 229, Otto Waser, A. Rel. 13, 244 f. — S. 102. Wahrsagung aus Stäbchen, Müllenhoff 209f., Golther 631, 636, 387 Anm. 3, Helm 280 S. 103. Zauberwirkung der Runenreihe, Magnus Olsen, Edda 5, 225 f. Sigrdrifa, Detter Heinzel 2, 433, Heusler bei Genzmer, Edda 2, 165. Name, Fafnismal, Prosa zwischen Strophen 1 u. 2, Helm 39 Anm. 71, 102 f. — (3.104. Speichel, Paul Herrmann 197, Sidney Hartland, Legend of Perseus (London 1894) 2, 258f. — Haupt, Chronicon Novaliciense 2, 12, R. M. Meyer, Altgerm. Religionsgeschichte 73. Schädelkult, 91. Andrée, Zeitschr. f. Volkskunde 22, 1f. —Fliege, Otto Waser, A. Rel. 13, 353, Güntert 226. — S. 105. Wahrsagerinnen, Golther 567, 620 f., Helm 284 f., Schütte 38, 144. E. Schröder, A. Rel. 19, 199. Priesterinnen im Dienst der Göttinnen, so schon R. M. Meyer 437, dagegen ohne die ganze Bedeutung der germanischen Göttinnen erkennen, Helm 291. — S. 106. Stellung der Priester, Golther 612, Helm 290, Schütte 146. — Fülle der Namen, Heiler 143.


10. Kapitel

(3.111. Schicksalsglaube, Schütte 40f. — (3.113. Germanische und indogermanische Sprachen, A. Meillet, Caracteres généraux des langues germaniques (Paris 1917) 19f., 36f., 74. — Der Verfasser hält also die hohen germanischen Gottheiten: Tiu, Wodan, Donar, Frija, Nerthus, die Alcis usw. für Umbildungen aus indogermanischen Gottheiten, die mit den Indogermanen zu den Germanen wanderten. Dadurch setzt er sich in Widerspruch mit einer Meinung, die heute wieder viele Anhänger besitzt, namentlich unter den Rasseforschern, die Heimat der Indogermanen



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sei das nördliche Deutschland und die nordischen Länder. — Die Götter, die in diesem Buch für vorindogermanisch erklärt werden, die kleinen und behenden Wesen, machen allerdings, in ihrer Anmut und in ihrer Beweglichkeit eher einen keltischen und romanischen als einen germanischen Eindruck. In Wodan, Tiu, Donar, Nerthus fanden wir dagegen unnachahmlich germanische und deutsche Eigenschaften. Aber das Problem der Urheimat der Indogermanen ist heute so unlösbar wie je, der einzelne Forscher kann aus seiner Wissenschaft nur die Möglichkeiten zeigen, die er bei seiner Arbeit und seinen Überlegungen fand. — Wie stark die Verwandtschaft des Donar und des indischen Indra ist, das zeigt die Charakterisierung des Indra bei Oldenberg, Religion des Veda (132ff., bes. auch 168), überraschend deutlich und vielfältig. Beide die stärksten Helden unter den Göttern; die große Tat des Donar die Eroberung des Blitzes, die große Tat des Indra die Besiegung des Vrtra und die Befreiung der Wasser; beide Götter sind schöpferisch, Indra hat die Sonne am Himmel befestigt, hat sie leuchten lassen, er hat den Himmel mit seinen Stützen festgestellt, die Weiten der Erde ausgebreitet," wie Thor hat Indra eine ungeheure Trinkkraft und er ist wie dieser "der Größte der Großen, der Stärkste der Starken, heftig und gutmütig, Trinker und Dreinschläger, lärmend, alles kurz und klemschlagend" . —S. 114. Wodan als Gott der erobernden Stämme, Schütte 122. Werden, nicht Sein das Wesen der Deutschen; darüber sehr schön Ernst Bertram in seinem Werk über Nietzsche (Berlin 1918) 64ff. — Keltische Einflüsse Schütte 87 f. — S 115. Orientalische Einfüsse auf Germanisches, Much, Himmelsgott 264f., S. Singer, Anz. f. deutsches Altertum 26, 101 Anm. 1, vgl. auch zu S. 279.


Zweiter Abschnitt


1. Kapitel

S. 118. Siehe wieder die zusammenfassenden Übersichten von Helm, bes. S. 77 —119. — Saxo Grammaticus, Ausgabe von Müller Velschow (Kopenhagen 1838-55), von A. Holder (Straßburg 1885), Übersetzung von Hermann Jantzen (Berlin 1900), von P. Herrmann (Leipzig 1901 und 1922), Axel Olrik, Kilderne til Sakses Oldhistorie (Kopenhagen 1892, 94), K.S.O. — Edda, Ausgaben von S. Bugge (Christiania 1867), B. Symons u. H. Gering (Halle 1888 ), F. Detter u. R. Heinzel (Leipzig 1903), G. Neckel (Heidelberg 1914), Übersetzung von H. Gering (Leipzig u. Wien, v. J.), der Vf. einige Versreihen entnommen hat, meisterhafte



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Übertragung von F. Genzmer, mit Einleitungen und Anmerkungen von A. Heusler (Thule, 2. Jena 1920). — Jüngere Edda, Ausgabe von E. Wilken (2 Paderborn 1912), die Übersetzungen aus ihr sind vom Verfasser. Der Anteil an Götterglauben und Göttersagen, den die verschiedenen Länder (Dänemark, Schweden, Norwegen, Island) und den die verschiedenen Zeiten (germanisches Zeitalter, Wikingerzeit, spätes Mittelalter alter) haben ist nur zum Teil systematisch dargestellt und abgegrenzt. Axel Olrik plante eine Eddische Mythologie; sehr beachtenswert ist Gudmund Schütte, Dänisches Heidentum.


2. Kapitel

S. 122. Ty, Namen: Olsen, S. 197f. — Namen mit Ty in Dänemark Schütte 75; vgl. das Dorf Ti-birke mit der Folge in der Runenreihe: Tiu brica. — Diberc usw., Golther 212. — Sage vom Fenriswolf Gylfaginning , c .34. — S. 125. Motive in Fenriswolfsage, Vf., Märchen in Edda (Berlin 1899) 28f. u. gefesselter Unhold, Axel Olrik, Ragnarök 2, 157, 161 f. — S. 126. Haar und Fessel, Vf., Märchen in Edda a .a O. u. Laßberg, Liedersaal 3, 122, 42, R. Petsch, Das deutsche Volksrätsel (Straßburg 1918) 17 f. — Gaumenspere, Axel Olrik a. a. O. 2, 163, Cos- E., Les Mongols (Njord 1914) 45f. —Verwandlung des Bandes in Eisen und andere Einzelheiten, Aret Olrik 2, 49, 66, 91 f., 104 f. — S. 127. Snorri über Balder, Gylfaginning, c. 22 (Charakteristik), c. 49 (Sage) Ortsnamen mit Balder, Neckel 97ff. — S. 131. Balders Rache, z.B. in Baldrs Draumar, Edda, Ausg. v. Neckel 273. Balder wird nicht, wie Vf. früher glaubte, des Menschen Sohn genannt. — S. 133. Husdrapa, Carmina Norroena, ed Wisén (Lund 1886) 1, 29. — Schiff, das sich nicht rührt, Sagenbuch 4, 51, 90, 197, 251, H. Günther, Legenden (Heidelberg 1911) 81, Martin zu Parzival 477, 16. (S. 365). — S. 134. Isländische Baldersage, E. Mogk 97, Golther 379 Anm. 1, Herrmann, Nord. Mythologie 401, Sydow, Danske Studier 1914, 18 Anm. 2. — Toldoth Jeschu, Dähnhardt 2, 209 f., E. Mâle, l'art religieux du moyen âge (Paris 1908 243. —S. 135. Motiv vom übersehenen Ding, Vf., Märchen in Edda 22. — S. 137. Sato, Axel Olrik, Kilderne til Sakses Oldhistorie 2, 13f. — Nanna Name einer kleinasiatischen Göttin, Neckel 166. — (3.140. Baldersaga und Wölsungasaga: Balder ist ein Gott der Fruchtbarkeit, des Himmels und ein Held, von anderen Göttern beschützt. Wölsungr ist, wie der Name Wölsi, s. oben S. 69, 70, zeigt, ein Wesen starker Geschlechtskraft und ein Held — vgl. auch unsere Deutung der Longobardensage



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— dessen Geschlecht die Götter beschützen. — Freys Schwert: G. Neckel, Studien zu den germanischen Dichtungen vom Weltuntergang (Heidelberger Akademie, Sitzungsberichte 1918 Heft 7). — S. 142. Frazer über Baldersaga, s. Nachweise zu S. 18, Opfer an Sonnengott. — Die wichtigste Untersuchung über Balder aus letzter Zeit ist die schon genannte von Gustav Neckel, Die Überlieferungen vom Gotte Balder. Mit der Baldersage geht es wie mit andern schweren Problemen, je genauer, scharfsinniger und umsichtiger die Forschung vorgeht, um so dunkler, verschlungener und unzugänglicher werden die erforschten Gebilde. Die von mir gegebene Erklärung der Baldersage wird manchem als Notbau erscheinen , den Verlegenheitslösungen nicht gerade verschönen, sie ist nichts weniger als endgültig. Aber die kühnen und spannenden Kombinationen Neckels haben meine Ansicht selten erschüttert. Ich gehe trotzdem genauer darauf ein, weil sie von der späteren Forschung gestützt und bestätigt werden können und meinem Bau die Stützen entziehen, vor allem, weil sie, wie man sich auch zu ihnen stelle, ernsteste Würdigung verlangen. Auf Neckels ausgezeichnete philologische, stilgeschichtliche und literarische Beobachtungen sei ebenfalls verwiesen. — Daß neben Balder als dem Gott der Fruchtbarkeit und des Wachstums auch andere den Wanen verwandte Götter des Wachstums und der Fruchtbarkeit standen, die dann in seine Dichtung gerieten und in der Wikingerzeit ins Heroische umgebildet wurden, das ist einleuchtend: solche Gottheiten waren Bous (Spuren seines Kultes, der orgiastisch war, Neckel 202), vielleicht Vati wenn Vati eigentlich "der kleine Wane" (aus 'Wanila) heißt und ein Sohn des Frey war (Neckel 207. Schütte 96. 110), und Rindr (aus Vrindr, Neckel 212). Die Mistel, die Pflanze des Wachstums und der Verjüngung, kann ursprünglich Balders Pfl-inze gewesen sein und ihm geheiligt. (Neckel 175ff.) Mistel als Mißverständnis eines Schwertnamens zu deuten, Weint freilich äußerlich und rationalistisch. Aber wie die Mistel, die Spenderin der Jugend und des Lebens, zur Todeswaffe wurde, das hat Neckel m. E. nicht erklärt. Wenn er sagt, die Mistel als Schmarotzerpflanze hatte tötende Kraft, so bringt er für diesen Glauben keine ausreichenden Belege, vor allem keine volkstümlichen (S. 181), wenn er ferner sagt (S. 172 f.), das Werfen der Götter mit Steinen nach Balder sei eigentlich ein Werfen mit der Mistel, das Werfen sei eigentlich ein Schlag mit der Lebensrute und das habe man nicht mehr verstanden, so Weint mir das wieder eine erkünstelte Annahme und ersetzt ein wahrscheinliches Mißverständnis durch ein wenig wahrscheinliches:


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im Volkstümlichen bleibt das Schlagen und Peitschen mit der Lebensrute doch immer ein Schlagen und Peitschen in der Nähe und verwandelt sich nicht in ein Werfen aus der Entfernung mit allen möglichen beliebigen Dingen. — Wenn N. (S. 85ff.) schließlich an uralte Sagen erinnert, in denen ein Held einen wunderbaren Zweig oder ein Lebenskraut aus dem Jenseits holt, und wenn er behauptet, diese Pflanzen galten, wie die Mistel, als tödlich, weil sie aus der Unterwelt stammten, so kann ich das wieder nicht glauben: in diesen Jenseitsgeschichten ist doch das Jenseits die Heimat des ewigen Lebens. — Einflüsse kleinasiatischer und orientalischer Vorstellungen auf die Dichtung von Balder und auf seine Gottheit scheinen mir sehr ungewiß. Die Bezeichnung: Gott als Herr (Neckel 133) ist nicht so orientalisch, wie N. glaubt (siehe zu S. 16 und siehe auch Oldenberg, 61 und 63, Götternamen mit pati: Herr), auch Tiu und Wodan-Odhin gelten als Herren und unbedingte Herrscher, die von ihren Anhängern die schwersten Opfer fordern, Herren freilich in germanischem Sinn. — Balders Schönheit scheint mir ebensowenig orientalisch (Neckel 138), sondern als die männliche , blühende Schönheit des jungen Heros und des jungen Gottes, die gerade indogermanische, jugendfrohe und jugendstarke Völker preisen, als die Schönheit Achills, Siegfrieds, der Dioskuren, der Aschwins, der Alcis, des Donar. Man vergleiche auch die Ausführungen von Gundolf in seinem Buch über Stefan George. — Die Schilderung von Balders Bestattung zeigt für mich noch immer die Merkmale irischer Phantasie (siehe oben zu S. 262, Yggdrasil); stammen auch die Katzen Freyjas aus dem Irischen (siehe oben S. 186)? An die Einwirkung kleinasiatischer Bildwerke, die durch gotische Vermittlung nach dem Norden kamen (Neckel 47), kann ich auch nicht glauben. Der Kessel von Gundestrup und die Goldhörner von Gallehus zeigen ebenfalls Einwirkungen keltischer Kunst auf das Germanische. — Das Weinen um Balder, der tiefe rührende Schmerz um seinen Tod scheint mir durch den Einfluß des Christentums und, wenn man den nicht für stark genug hält, durch den Einfluß der altenglischen Elegie hinreichend erklärt: dieser wird ja noch im Wielandlied sichtbar und verdankt manches dem Vergil und Ovid und damit dem Hellenismus . Die Annahme der Nachwirkung orientalischer Kulte und Klagen um den verstorbenen geliebten Gott ist ja zu erwägen; könnte diese Nachwirkung aber das Heidentum der Balderdichtung so geläutert und so mild und weich gemacht haben? Die sehr interessante, von Neckel gefundene Parallele: Loki als Thökk will nicht weinen, die Höllengöttin


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Ereschkigal will um einen vorzeitig gestorbenen Götterjüngling nicht weinen, scheint mir nur durch eine etwas gewaltsame Interpretation erreicht (Neckel 163. 170. Schütte 20. ioo. 108). — Das mag zutreffen, daß der Bericht über Balders Bestattung zurückführt auf einen Bericht über seine Umfahrt im Frühling (Neckel 120), und daß in einer Form dieser reich entfalteten Dichtung die Riesin Hyrrokin den Balder tötete und daß Thor diese Tat rächte (Neckel 117). — Die Geschichten von Hädhcyn und Herebeald, die von Athys und Adrastus würde ich von der von Balder abrücken, weil sie nur von dem Unglücksschuß, nicht von dem Anstifter des Schusses und nichts von der mythischen Besonderheit der Waffe wissen (anders Neckel 141). Dagegen ist die von Neckel besprochene persische Parallele zu der Geschichte von Balders Tod von großem Interesse ((3.184ff.). — S. 143. Forseti, Snorri, Gylfaginning c. 32, Golther 387 Anm. 1, Olsen 66, 104, 126, 151f. — Ull. Die Angabe, daß Ull der Sohn der Sif und der Stiefsohn Thors gewesen, scheint dem Vf., ohne jede mythische Bedeutung und nur ein Ausdruck für Ulls Beliebtheit. Er kann den Ausführungen von Offen 202 nicht folgen. — Ortsnamen mit Ull, Olsen 197, Schütte 76. — Ulls Vertreibung Saxo, Buch 3, 130, Golther 392 f. — (3.144. Ull und Skadhi, Golther 481 und Anm. 2. Saeming, Neckel 91ff. — (3.145. Metodhin, Saxo, Buch 1, 42, Golther 308, F. Vogt Salman, und Morolf (Leipzig 1880) p.ILf. — Pfählen des Zauberers, Helm 133 Anm. 24, 152 Anm. 19, Vf., Zeitschr. f. deutsche Phil. 1912, 481.


3.Kapitel

S. 146. Thor hat wenig Beinamen, erscheint aber sehr oft in Menschennamen, Schütte 129, in Ortsnamen 137. Thor im norwegischen Volk, Golther 247 f. — S. 147. Hakenkreuz, Schütte 130. — S. 148. Thor u. Olaf, Golther 261, nach Uhlands Übertragung. — Thrymskwidha, Edda, Ausg. v. Neckel, 107, Übersetzung v. Genzmer ,Schütte 132. Vestlund, inder Zeitschrift Edda 11, 95 f. macht aufmerksam auf mimische Motive in der Thrymskwidha und in der Hrungnissage (der Riese Mökkurkalfi und ähnliches) und sucht einen Götterritus und ein Götterdrama zu erkennen, deren Mittelpunkt die Geschichte des gestohlenen Hammers gewesen sei; diese verfolgt er auf kühnen Wegen durch die nordischen Göttersagen. In ähnlichen Richtungen dringt sehr waghalsig vor Berta Phillpotts, The eider Edda and ancient Scandinavian Drama, Cambridge 1920, dazu Heusler, Arkiv 38, 347. Bei der Longobardenfabel und bei der Gewichte Sagenb. l. 20



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von Njördh hat der Vf. ja seine Ansichten über die Möglichkeit mimischer Darstellungen geäußert. — S. 152. Hrungni, Snorri, Skaldskaparmal, c. 17. — S. 155. Thjodolf von Hwin, Haustlöng, Ausgabe von Wisen, 9.

Eiserner karl, Sagenbuch 3, l 11, 181. Der eiserne karl, bedeckt mit eisernem Helm und eisernen Beinschienen umkleidet, den eisernen Panzer um die eherne Brust und die beiden Schultern. In der Linken hielt er eine eiserne, hochragende Lanze und die Schenkel waren mit eisernen Schuppen geschützt, an seinem Schild sah man nichts wie Eisen und auch sein Roß war mit Eisen gepanzert. Was voranzog und folgte, trug die gleiche Rüstung. Eisen erfüllte die Straßen und Felder, daß die Strahlen der Sonne sich in dem Glanze des Eisens widerspiegelten. — S. 157. Hrungni, vgl. Nachweise zu S. 38. Schütte 134. — Schwedische Odhinsage, Golther 287 u. Anm. 1, Neckel, Walhall 16, v. Unwerth, Germanist. Abhandlungen 37, 74. — S. 158. Hrungnis Bein, Axel Olrik, 0m Ragnarök 2, 29, 36, 39, 41, 66, 70, 74, 77. —Magni, Bolte Polioka, Anm. zu den Märchen der Brüder Grimm (Leipzig 1915) 2, 296. — S. 160. Starkad, Uhland, Schriften 6, 101 f., 7, 242 f. — (3.161. Geirrödh, Snorri, Skaldskaparmal, c. 18. — S. 163. Sage von Geirrödh, vgl. oben zu S. 33, Golther 274 f. — S. 166. Eilif Gudrunarson, Thorsdrapa, Wisen 30. — Saro über Geirrödh, Buch 8, 426 f., Golther 279 u. 280 Anm. 3, vgl. ferner Sydow, Danske Studier 1910, 150, 152, 173, Panzer, Beowulf (München 1910) 347, 350. — S. 167. Halfdan, Panzer a. a .O. 44, Vf., Märchen ' 154, 156. — S. 168. Hymi, Midgardschlange, Snorri, Gylfaginning c. 48. — S. 169. Midgardschlange bei Skalden, Golther 271 Anm. 1, vgl. Axel Olrik, Ragnarök 2, 130. —S. 171. Hymiskwidha, Edda, ed. Neckel 85f. — Märchen in Hymiskwidha, Vf., Märchen in Edda 46, Panzer, Beowulf 38, 152, 330 f. — S. 171 f. Riese ohne Seele, L. Laistner, Rätsel der Sphinx 2, 159, St. W. v. Sydow, Danske Studier 1914, 113f., Hartland, Legend of Perseus 3, s, Dähnhardt a. a. O 3, 8, Haltrich, Siebenbürgische Valksmärchen, Nr. 10, Gunkel, Märchen im alt. Testament, 89 Anm. 4, 5. — Laistner, Sydow und der Vf. (in der ersten Fassung der Göttersagen) haben unabhängig voneinander in der Hymiskwidha das Märchen vom Riesen ohne Seele erkannt. — S. 172f. Riesenbaumeister , Gylfaginning, c. 42, Wöluspa 25, 26. — S. 174. Sage vom Riesenbaumeister Bugge a. a. O. 269 ff., Golther 274 Anm. 1, 166 Anm. 1. — Helfender Hengst, Sydow, Danske Studier 1910, 97 Anm. 1. — (3.175 f. Utgardaloki, Gylfaginning c. 44 —47. Schütte 135 f. unwahrschein! . — S. 183f. Märchenhaftes bei Utgardaloki, SI. W. v. Sydow,



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Danske Studier 1910, 66 f., 145 f., Vf., Märchen in Edda 40 f., Beitr. 33, 372 f. — Sydow führt in seiner ausgezeichneten und sorgfältigen Arbeit auch die Wettkämpfe von Thor, Thjalfi und Loki auf irische Vorbilder zurück. Vf. kann ihm hier nicht folgen, die von ihm gezeigten Parallelen mit den Schwänken aus dem Sagenkreis vom geprellten Teufel stehen der Edda viel näher als Sydows Nachweise, derselbe Sagenkreis spielt in die Thorsagen oft hinein, auch ist es kein Bedenken, daß Vertreter des Schwankes sich diesmal nur in Ostdeutschland und nicht in größerer räumlicher Nähe zur Edda finden. Wir kennen nicht die verlorenen Stücke, und der Zusammenhang der Edda mit östlichem Sagengut ist beim Komplex der Geschichten vom Fenriswolf, vom gefesselten Unhold und von Loki zweifellos, s. oben S. 2 79. — Zu den Wettspielen und zum Kampf mit der Katze vgl. noch Dähnhardt 3, 141f., Panzer a .a. O. 73, 83, 165, 346, 352, 354. — S. 188. Thors Böcke, Riegler, Wörter und Sachen 3, 220. — Ziegenbock in der Mythologie der Veda: dem Agni verwandt, , Oldenberg 75, 78 als Stütze von Himmel und Erde, ebda. 70. — S. 188. Haewa und Sif, s. zu S. 32f. — S. 189. Alwismal, Jessen, Zeitschr. f. deutsche Philologie 3, 76, Vf., Märchen in Edda 49, R. Petsch, Das Volksrätsel (Straßburg 1917). — S. 192. Harbardslied, Edda, ed. Neckel 75, Genzmer-Heusler 2, 61 f. Thor, Odhin, Starkad, Golther 257 u. Anm. 2.


4.Kapitel

S. 195. Wanen, Name: Much, Himmelsgott, 260; andre Herleitung, aus phrygisch vanakt; altgriechisch grec , Herr, bei Schütte 114. — S. 195 f. Wanenkrieg, Wöluspa 2l —24, Golther 220 f. u. 307 f. —Schleudern des Speeres, Neckel, Walhall, 162, Wissowa, Religion der Römer '152, F. R. Schröder, Beiträge 43, 248. — S. 196. Hawamal Str. 146 —63, Edda, Neckel 41f., Genzmer-Heusler 2, 173 f. — S. 197. Odhin als Arzt, Saro, Buch 9, 446, Golther 327. —Odhin am Galgen, Hawamal Str. 138 —41, Edda, cd. Neckel 39, Genzmer-Heusler 2, 170f. mit Bedenken gegen die vom Vf., Germanist. Abhandlungen für Paul (Straßburg 1902) 143f., vorgetragene Anschauung. — S. 199. Odhin als Zauberer, Ynglingasaga, c s, vgl. auch Golther 309 f., Vf. a a. O. 151 f., Zeitschr. f. deutsche Phil. 1912, 481, Zeitschr. f. deutsche Volksk. 25, 136 f. — S. 200. Schatzhebungen, Golther 335 u. Anm. 2. —Wahrsagende Häupter, Mogk, Germ. Mythol. 306. — S. 202. Rabe, vgl. auch Schütte über Nachtraben, 46f. — S. 203. Finnische Zauberer, Hugo Gering, Über Weissagung und Zauber im nordischen Altertum



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(Kiel 1902)10f. — S. 203f. Odhin und Odhreri, Bragaroedhur, c. 57, 58, Hawamal 104—110, Edda. ed. Neckel 32, Genzmer-Heusler 2, 148f., Vf., Germanist. Abhandlungen für Paul 143f. — S. 208. Odhins Wanderungen, Golther 304/05. Schütte i 18, 126 f. Nach Dänemark gelangte der Kult Odhins oft erst von Schweden her. — S. 208 f. Odhin in Dänemark, darüber grundlegend Axel Olrik in Danmarks garnle Heltedigtning 1, 2, vgl. auch Vf. im 2. Bd. des Sagenbuchs S. 180, Brawallawlacht, Uhland 7, 234f., Golther 331 u. Anm. 1. — S. 210f. Opfer an Odhin, Golther 325. — (3.211. Odhin in Wölsungasaga, Deutsches Sagenbuch 2. —Odhin und Olaf, Uhland 6, 308, Golther 342. — S. 213. Wafthrudni und Heidrek, Genzmer-Heusler 2, 86, 154, Petsch, Rätsel 128, 172, Bonus, Rätsel 79f. — (3.214. Eiriksmal, Wilhelm Hertz, Gesammelte Dichtungen (Stuttgart 1900) 478; jetzt auch schöne Übertragung bei Genzmer-Heusler 2, 195 f. — Odhins Beinamen, Golther 355f., Schütte 119. — S. 215. Hawamal, Edda, cd. Neckel 16f., Genzmer-Heusler 2, 12i f., 142f., Rosenberg bei Nanisch, Eddalieder (Sammlung Göschen 171) 47. — S. 218. Odhin und Rind, Sato 3, 126f., Golther 306 u. Anm. 1. — S. 219. Hoeni F. R. Schröder, Beitr. 43, 219f., dieser führt den Namen hoenir auf germ. hauhinijaz, Ableitung von *hauhaz, zurück, dies sei lit. kaükas, altpreuss. cawx, Seele des Verstorbenen; *hauhinijaz sei aus *hauhinaz entstanden, und dies verhalte sich zu hauhaz wie hugin zu hugr, munin zu munr; beides, hugin und munin, sind ja die Namen von Odhins Raben, ursprünglich vielleicht Odhins Beinamen. — S. 220 f. Färöisches Lied von Hoeni, Golther 397 u. 398 Anm. 1. — S. 221. Hermod, Golther 357 Anm. 1. Neckel, Balder 59, 60. — S. 222. Widar, Axel Olrik, Ragnarök 2, 272, 280. — (3.223. Uhland über Odhin, Schriften 7, 345, Golther 357.


5. Kapitel

S. 226. Snorri über Njördh, Gylfaginning, c. 23, Ortsnamen mit Njördh, Olsen a. a. O. 50ff., 66. Schütte 100. — S. 227. Geschichten von Njördh und Skadi, Bragaroedhur, c. 56. Skadi vgl. Schütte 37. — S. 230. Unbescheidener Riese, Märchen, Panzer, Beowulf 56, 82, unabhängig davon F. 91. Schröder. Beitr. 43, 220. — Andere Märchen in Skadis Geschichte, Vf., Märchen in Edda 22, Grimm. St. H. M. 64. — Versetzen , in (Sterne, Vf., Herrigs Archiv 114, 17, Anm. 3. — Irisches Märchen von Äpfeln, Bugge, Arkiv 5, 1. — S. 231. Märchen vom König, der



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Mädchen begehrt, dessen Schuh er kennt: Aschenbrödel, Grimm, St. H. M. 21, mit Anmerkungen von Bolte-Polivka. Ganz anders, meines Erachtens verfehlt, über Skadi und Loki Neckel 138. — Hochzeitsbräuche mit Schuh usw., Sartori, Sitte und Brauch, 1, 74, Samter, Geburt, Hochzeit und Tod, 99. 101. 106. — S. 232. Idhun als Göttin des Wachstums, Schütte 96. — S. 233. Geschlechtsglied bei Göttern, Mogk, bei Hoops s. y. Phallus, Andrée, Votive 109 Anm. 1. — Fjölnir s. oben zu S. 73. Gehört hierher auch die Flachsgöttin Haern, über die Olsen 198 spricht? —- S. 234. Ortsnamen mit Frey, Schütte 108. —Geschichten über Frey, die denen über Thor gleichen, Golther 227 f. — S. 235. Skirnismal, Edda, Neckel 67, Genzmer-Heusler 2, 27 f. — Dreimaldrei, in der Handschrift steht drei, in der vorangehenden Strophe aber neun. — S. 236. Swipdagmal, Heusler, Herrigs Archiv 116, 226, Edda, Neckel 298, Genzmer-Heusler 2, 105, 177. — Ein ähnliches Schiff wie Skidbladni auch im Märchen von der Goldenen Gans, SI. H. M. 64, s. oben zu S. 230, dies Märchen hat also verschiedene Beziehungen zu wanischen Gottheiten. — Zu Swipdag interessant, aber kaum überzeugend Schütte 79. — S. 237. Frigg und Freyja, Schütte 94. Katzen der Freyja als nordische Umdeutung der Löwen der Kybele aufgefaßt (?) Neckel, Balder 50f., Schütte 115. Gefjon, Axel Olrik, Danske Studier 1910, 1ff. — S. 238. Pflugumzuge, E. Fehrle, Deutsche Feste und Volksbräuche (Leipzig 1916), 45. —Freyja und Odh, Vf., Märchen in Edda, 8, Bolte Polivka, Anmerkungen zu Grimm 2, 247 u. Anm. 1, Schütte 98.


6. Kapitel

S. 239 f. Heimdall, Snorri, Gylfaginning, c. 27, Golther 359 ff. — S. 242. Rigsmal, Heusler, Herrigs Archiv 116, 270, Axel Olrik, Aandsliv 57. Much, Prager deutsche Studien 8 (1908), 225f., Edda, Neckel 276, Genzmer-Heusler 2, 112. —Mithra, Franz Cumont, Die Mysterien des Mithra (Leipzig 1903), Einleitung, Oldenberg, Veda, 188. — Gras wachsen hören, Panzer, Beowulf 69. Die neun Mütter des Heimdall werden von Schütte als matres matronae gedeutet (37). — S. 243. Heimdall, Etymologie, G. Kögel, Idg. Forschungen 4, 313, Golther 360 Anm. 2. — Heimdall als Elbe, Vf., Prager deutsche Studien 26 Anm. 1. — S. 243 f. Loki. Die Auffassung von Loki wurde zum erstenmal vom Vf. in der ersten Fassung der Göttersagen entwickelt, von anderer Seite her, von den neuen nordischen und dänischen Volkssagen, stieß Axel Olrik auf



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das gleiche Ergebnis, er hat es ausführlich begründet und auch gegen die Auffassung von Selander verteidigt. Auch Vf. hält Loki für kein chthonisches Wesen und für keinen Dunkelelben, er möchte aber die sorgfältigen Sammlungen und Hinweise von Celander besonders anerkennen. — Axel Olrik, Danske Studier 1908, 193, 1909, 69, 1912, 87 if., 1914, Hilding Celander, Lokes mytiska Ursprung, Upsala 1911 und Danske Studier 1914, Dähnhardt 3, 92, 503, 505/6. Von den indischen Göttern ist Agni dem Loki am nächsten verwandt; auch Agni ist ein Feuergott, er hat unter den indischen Göttern eine Sonderstellung (Oldenberg 105), ist nie eine Heldennatur gewesen (ebda 120); wie Loki, der Sohn der Laufey, so ist Agni in Bäumen und Blumen verborgen; wie Loki haust Agni auch im Wasser; denn aus dem Wasser erheben sich die Bäume und Blumen, und aus dem Holz der Bäume flammt das Feuer auf und aus der regenspendenden Wolke fährt der feurige Blitz (ebda 107, 113, 114, 119) .- Wenn Agni der Sohn von sieben Jungfrauen, das sind die Flüsse, genannt wird, so denkt man an Heimdall und seine neun Mütter. Als Vater des Agni gilt im Indischen Twaschtar, der Gott der Kunstfertigkeit, im Nordischen ist Loki selbst der kunstfertigste Gott (ebda 238). (3.244. Lokis Fesselung, Gylfaginning, c. 50, Axel Olrik, Ragnarök 2, 121 f. — (3.247. Feuersage, Leopold v. Schröder, Wiener Sitzungsberichte 1906, 1f., Dähnhardt 3, 92 f., 222 f., Vf., Germanist . Abhandlungen, Paul 143 f. — S. 248. Spinnensagen, karl Meinhof, Afrikanische Märchen (Jena 1917) Nr. 34, 48, 60, S. 328, 330, 332, Dähnhardt 3, 492. — S. 251. Loki, Charakteristik von Snorri, Gylfaginning, c. 33. — Thjalfi, Axel Olrik, Danske Studier 1905, 129. — S. 251f. Dwergatal, Wöluspa, Strophe 10ff., Edda, Neckel 3. — S. 252. Hraeswelg, Wafthrudnismal 37, 1, Edda, Neckel 49, Preuß, Globus (Braunschweig 1904) 86, 117. Andere Deutungen der Riesen bei Schütte 55 f.; ebda 61f. Riesensagen. S. 253. Heimdalls Mütter, Hyndluljodh, Str. 37 Edda, Neckel 290.


7. Kapitel

S. 255. Walküren, vgl. auch die Ausführungen in G. Neckels Walhall. S. 255 f. Fylgjen und Disen und ihr Kult, Schütte ilf., 38f., 44. Olsen 184 f., 202; sie scheinen den Ull und den Thor ähnlich umringt zu haben wie die Walküren den Odhin. — H. Gunkel, Märchen im Alten Testament (Tübingen 1917), 110 u. Anm. 7. S. 257 f. Nornagest, seine Sage in der jüngeren Edda, Wilken 235 f.



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8. Kapitel

S. 259. Wöluspa, Edda, Neckel 1 ff., Genzmer-Heusler 2, 34 f., Trümmer einer späteren Nachahmung in den Hyndluljodh, Edda, Neckel Mf., Edda, Genzmer-Heusler 2, 45f., Axel Olrik, Aandsliv 64f. — S. 261. Sagen von Nacht und Tag, Gylfaginning, c. 10, 11. — S. 262. Yggdrasil , Axel Olrik, Danske Studier 1917, 49 ff. Die Schilderung der Tiere, die an der Weltesche nagen, und die Schilderung der Götter und Tiere, die Balders Leiche begleiten, erinnern unverkennbar an Werke der bildenden Kunst. Vf. glaubt hier noch immer an irische Vorbilder. Er verschließt sich aber der Möglichkeit nicht, daß germanische Bilder die Anregung zu diesen phantastischen Beschreibungen gaben. Denn nach Salins und Albrecht Haupts Ausführungen (vgl. dessen Baukunst, bes. 168, 172, 177, 282, 297) erscheint es ihm gewiß, daß die Darstellung von Tieren, Schlangen, Drachen, Vögeln, in lebhaftem und bewegtem Flecht- und Schlingwerk, in überreicher Phantasie entworfen, ein Kennzeichen der bildenden Kunst aller germanischen Stämme ist und daß die Iren diese Motive übernahmen und in ihrer Art grotesk und fröhlich und endlos steigerten. — 263 f. Reiche des Jenseits, vgl. vor allem Gustav Neckel, Walhall, namentlich 26 f. Das Grausige in den Vorstellungen ist von N. besonders eindrucksvoll betont und unsere Erkenntnis durch sorgfältige Kritik der Quellen verfeinert, vgl. zu S. 81. Doch scheint dem Vf., daß Vorstellungen der Wikinger zu oft für germanisch erklärt werden. Auch glaubt er nach wie vor, daß der alte Glaube vom Aufenthalt der Abgeschiedenen in den Bergen (Mogk, Germ. Mythologie '108, 110) ein Ursprung der Walhallavorstellung war. — Ferner vgl. Neckel, Studien zu den germanischen Dichtungen vom Weltuntergang, Sitzungsberichte, Heidelberger Akademie 1918 Heft 7, besonders über Muspell und Surt. Schütte 64 f. leitet die Vorstellung von Muspell von der vulkanischen, feuerspeienden Natur der Rheinprovinz her, erinnert ferner an die fränkische Herkunft der Sage von Wieland, dem Feuerbezwinger. Auch Wodan, der Herr des Feuerzaubers, ist ein rheinischer Gott. — S. 266 f. Weltuntergang, Axel Olrik, Ragnarök 2, 248 ff.


9. Kapitel

S. 269. Wölwur, Golther 649 ff. — S. 270. uti seta, Golther 664 u. Anm. 1. — Zauberei, Genzmer-Heusler, Edda 2, 165 ff., 180 auch die Buslubön, dazu Feist, Arkiv 35, 243 ff. und Golther 653. Runen auf



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Grabsteinen; vergleiche jetzt die großartigste Beschwörung auf dem 1917 in Eggjum gefundenen Stein (um 700 Magnus Olsen, Norges Indskrifter, , III, 77 Christiania 1919. R. Meißner, Nachrichten der St. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen Phil. Hist. Klasse 1921, 89 ff. — S 271. Sigruns Verwünschung, Sagenbuch 2, 197. — S 272. Opfer, Golther 567 ff., 549, 587, Schütte 89 f. — S. 273. Wölsistrophen, vgl. zu S. 69 u. Genzmer-Heusler 2, 184. Der isländische Erzähler, der uns die Strophen mitteilt, schildert sehr derb und lustig die verschiedenen Empfindungen der Personen, die den Wölsi halten. — Tempel im Germanischen, Dietrichsen bei Hoops 3, 313 ff. — Opfertage, Golther 547. — S. 274. Ansiedelung, wo Götterbild antreibt. Andrée, Votive 58. — Formen des Gottesdienstes, Golther 616. — Rätsellieder, Golther 627 f.


10. Kapitel

S. 279. Ob wirklich auf dem Wege vom Schwarzen Meer zum Norden der Kult römischer Gottheiten und der Kultus und Mythus von Balder in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten zu den Germanen wanderte, wie Neckel (siehe oben 304) und Schütte 113 meinen, das bedarf noch sehr eingehender Nachprüfung. Bisher erscheint uns der Kult der Wanen als viel älter (oben 239, auch Schütte 117); nachgewiesen scheinen uns Wanderungen wohl für Götterfabeln und bei Motiven von Göttersagen, aber, so weit wir sehen, noch nicht für den Kultus.

Die erste Fassung der Götter und Göttersagen wurde unter dem Druck von schweren persönlichen Erlebnissen niedergeschrieben, und man mem ihr das wohl an, es ist keine rechte Freiheit in ihrer Darstellung. Diese zweite Fassung entstand in der dunkelsten und ratlosesten Zeit Deutschlands, das meiste angesichts von Watzmann und Untersberg, unter dem Schutz eines deutschen Landes. das durch alte Sage und ewige Schönheit gleich wenigen verklärt ist. Wenn doch etwas von dem Trost, den die alten Götter und Sagen dem Verfasser brachten, sich Seinen Lesern mitteilen würde! Wenn sie doch auch aus dieser ahnungsschweren , derben und tiefen, heroischen und göttlichen und ganz germanischen Welt mit neuer Zuversicht in die Gegenwarl zurückkehrten! Freilich, die Propheten, die uns die baldige Wiederaufrichtung Deutschlands wahrsagen, scheinen etwas voreilig und leichtfertig. Sie sehen das Maß der sittlichen Verwilderung in Deutschland nicht und auch nicht die Kraft der Selbstzerstörung, in der die Germanen seit dem Anfang ihrer



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Geschichte Meister blieben. Wie wurde doch das Volk der Goten zerschlagen und zerstäubt, und es war schöpferischer, vielfältiger und genialer als die anderen germanischen und herrschte Jahrhunderte hindurch am Kaukasus, auf dem Balkan, in Italien und Spanien! Und wie wenige dunkle und verwehte Spuren sind die einzigen Zeugen der alten Größe! Die gleichen Propheten unterschätzen auch die Gaben der Knechtung, die angelsächsische Völker entwickelten und im Lauf der Zeit verstärkten, jene Gabe, die schon manchen Völkern das Mark aus den Knochen sog. Aber die Frage nach Leben und Sterben ist ja gar nicht mehr die Frage, die Deutschland an seine Zukunft stellen darf. Uns bleibt nichts übrig, als unbekümmert um alles, was uns bedroht, ja, gegen jede Aussicht auf Erfolg, unsre besten Kräfte zu stählen und zu steigern und wie die germanischen Götter uns zu dem Tode zu rüsten, der den Menschen auf der Höhe seines inneren Daseins trifft, dann sind wir gegen Vergängliches gefeit. Hunderttausende sind im Weltkrieg diesen Tod gestorben, unsre germanischen Götter und Helden hat er verklärt, und die Toten sind unsre Führer in die Zukunft, nicht die Lebenden, die das Werk der Toten besudeln. "In unsrer Brust sind unsres Schicksals Sterne."

Berchtesgaden, März 1920

Die zweite Fassung der Göttersagen war bald vergriffen.

Die dritte Auflage mußte rasch hergestellt werden. Der Teit blieb dabei unangetastet, bis auf wenige notwendige Änderungen. Die Anmerkungen nehmen zu den seit 1920 erschienenen Arbeiten Stellung, namentlich zu Neckels Balder und zu Gudmund Schüttes dänischem Heidentum . Wenn von der Literatur, besonders von der nordischen, manches übersehen ist, bitte ich das mit den Zeitumständen gütigst zu entschuldigen, eine spätere Auflage soll das Versäumte nach Möglichkeit gutmachen. — Die neue Auflage kommt in eine Zeit, vielleicht noch würdeloser und verworrener als die Zeit von 1920, aber auch in eine Zeit, in der die guten deutschen Kräfte sich wieder ernsthafter und umsichtiger als früher festigen wollen. Zu dieser größten vaterländischen Aufgabe einen, wenn auch noch so bescheidenen Beitrag zu liefern, ist das schönste Ziel dieses Buches.

Berchtesgaden, September 1923

Friedrich v. der Leyen



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Namen. und Sachverzeichnis