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INHALT
Zur Einführung 5
Märchen aus Italien
Wie ein armer Bauernjunge sein Glück fand 9
Liombruno 18
Seinem Schicksal kann keiner entrinnen 26
Der goldene Adler 30
Der schlaue Bauersmann 37
Die Sirene des Meeres 47
König Porco 57
Costantino und seine Katze 65
Der wilde Mann 68
Petrosinella 77
Der Rabe 81
Die goldene Wurzel 92
Nennillo und Nennella 102
Die Prinzessin im Apfel 108
Soldatino 114
Das Milchmädchen 120
Die schöne Rosenblüte 124
Die goldene Kugel 130
Cola Pesce 136
Die Sprache der Tiere 139
Von dem frommen Kinde 142
Die Geschichte von den drei guten Ratschlägen 144
Der entflohene Vogel 149
Wie der heilige Antonius den Menschen das Feuer brachte 150
Märchen aus Spanien
Die drei Brüder 154
Die Schönheit der Welt 158
Der Zauberer Palermo 169
Der Verleumder 180
Das Rätsel 182
Die drei Nelken 186
Frau Fortuna und Herr Geld 191
Vom halben Hähnchen 194
Die Ritter vom Fisch 199
Wie der Wolf bestraft wurde 207
Die schwarze Ziege207
Frau Elend 209
Der verwundete Vogel 210
Der Drache vom Rosenstrauch 216
Der Zwerg 218
Peters drei Geschenke 221
Das seltsamste Ding der Welt 225
Der geizige Reiche 230
Die drei Hunde231
Der weiße Papagei 240
Der Zaubermeister 247
Die drei Ratschläge 251
Die Waschfrau 254
Die Neugierige 261
Hans Einundeinhalb 262
Die Hexe von Granada 265
Die Leber des Toten 266
Königin Rose oder der kleine Thomas 267
Der Diamantenvogel 270
Die Flöte, die alle zum Tanzen brachte 280
Der blühende Brunnenrand 285
Die verzauberte Prinzessin 288
Märchen aus Portugal
Die drei Feen 291
Der kleine Hans 293
Das Ei und der Edelstein 297
Die Geschichte vom tölpelhaften Mann 299
Das Beil 302
Doktor Grille 305
Der Prinz mit den Eselsohren 307
Die drei Ratgeber des Königs 309
Der Granatbaum des Affen 310
Der betrunkene Hahn 313
Der Drache mit den sieben Köpfen 315


Bd-12-003_Titel Einfuehrung. Flip

Märchen aus Italien Spanien und Portugal


Illustrationen


von Sabine Wilharm

Märchen europäischer Völker



Bd-12-004_Titel Einfuehrung. Flip

Nach alten Vorlagen unter Heranziehung
von Texten in französischer Sprache,
die von Ursula Rauch übersetzt wurden.
ausgewählt und mit einer Einführung versehen von Karl Rauch
Lizenzausgabe mit Genehmigung von Interbooks, Zürich
        für Verlag Olde Hansen, Hamburg
für Berteismann Reinhard Mohn OHG, Gütersloh
die Europäische Bildungsgemeinschaft Verlags-GmbH, Stuttgart
und die Buchgemeinschaft Donauland, Kremayr & Scheriau, Wien
  Diese Lizenz gilt auch für die Deutsche Buch-Gemeinschaft
C. A. Koch's Verlag Nachf., Berlin - Darmstadt - Wien
  Umschlag- und Einbandgestaltung: R. Metke
Gesamtherstellung Mohndruck Reinhard Mohn OHG, Gütersloh
          Printed in Germany Buch-Nr. 08693 4


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ZUR EINFÜHRUNG

Um sich mit den italienischen Märchen zurechtzufinden, sind sehr andere Voraussetzungen notwendig, als dies die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm erfordern. Der mit deutscher Märchenwelt Vertraute tut gut, sich von der aus Altvätertagen geläufigen Treuherzigkeit der Grimmschen Märchen zu lösen und sich zunächst den so köstlich verspielten, kunstsinnig abgewogenen, mehr dichterisch versponnenen und ästhetischen Märchenträumen des Clemens Brentano zuzuwenden. Brentano selber war weniger Gelehrter und Forscher als die beiden Grimms. Das italienische Blut, das er in den Adern und im Herzen hatte, hat ihn bereits früh sich den Grimms entfremden lassen. Schon wenige Jahre nach dem Erscheinen des ersten Bandes der Grimmschen Sammlung rümpfte der verspielte Satiriker Brentano in einem Brief, den er dem ihm nahe befreundeten Achim von Arnim schrieb, die Nase über das, wie er es zu nennen liebte, »sehr Lumpichte«der sorglichen und gewissenhaften Treue, mit welcher Jakob und Wilhelm Grimm die in den deutschen Landen unmittelbar vom Volk erlauschten Märchen nacherzählten upd aufschrieben. Brentanos strömend überquellende Phantasie stand dem italienischen Märchenerzähler Giambattista Basile sehr viel näher. Von dessen Märchen hätte er nur zu gern eine stattliche Anzahl zu eigenen Kunstmärchen umgeformt. Und eben aus diesem Grunde haben wir auch in unsere Auswahl neben den Märchen vom »Wilden Mann« und von »Petrosinella« und »Nennillo und Nennella«einige Stücke dieses Basile (1575-1632) aus Quellen des 13. bis 16. Jahrhunderts und solche von Giovanni Francesco Straparola (1494-1550) aufgenommen. Wir geben im abschließenden, neueren Teil bevorzugt dem Dichter Calvino das



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Wort, den die internationale Märchenkunde heute mit Vorliebe als den verspäteten italienischen Grimm zu rühmen weiß.

Basiles »Pentamerone«, wohl die erste umfassende europäische Märchensammlung, läßt sich von hoher Kunstdichtung nicht unterscheiden. Sie lehnt sich unmittelbar an Boccaccios höchst gepflegte Künste an. Boccaccios Novellistik läßt sich auch vom italienischen Märchen nicht völlig ablösen, wenn auch das reine Märchen dessen vordergründiger Erotik keinen Zutritt gewährt. Doch kennzeichnet es das italienische Märchen, daß seine bevorzugte Heimat, die Toscana, von jeher eine demokratische Tradition besessen hat und zu keiner Zeit einem König gehorchte. Darum sind dortzulande auch untertänige Ehrfurchten und ein demutsvoller Respekt vor höchsten Herrschaften und huldvollen Majestäten wenig beliebt. Auch wohltätige Feen machen auf den Märchenhelden kaum tiefwirkenden Eindruck. Als Soldatino, der sich von seiner Mutter, einer armen Frau aus dem Volke, trennt und der Königstochter Rätsel aufzugeben sich vornimmt, und zuletzt, nachdem in erregender Handlung der König selber zum Narren angeführt worden ist und den Soldatino fortjagen möchte, erstickt die gesamte Zuhörerschaft in frohem Gelächter: Es stehen keine Wachen mehr vor der Tür, alle Lichter sind gelöscht, und Soldatino liegt mit der Königstochter in zärtlicher Umarmung. Sie sagte einfach: Das ist mein Mann; und Soldatino spricht genauso selbstverständlich: Das ist meine Frau! Und sie lebten glücklich und zufrieden. . . Das Burleske mischt sich höchst geschmeidig mit dem Naiven und zugleich Maliziösen glücklich im italienischen Märchen wie auch sonst im aufgeweckt Lebendigen dieser Literatur und des Volkscharakters der Italiener überhaupt. Auch zur Karikatur wird dort eine hervorragende Neigung entfaltet. Beim Anblicke von Feen und Bekundungen von deren Wohltätigkeit kann man da Ausrufe hören wie: »Ach du mein Gott, da kommen drei Weiber an! Die werden nun anfangen zu schwätzen und kein Ende finden; am besten ist's, wenn ich mich schlafend stelle!« Feen des italienischen Märchens können leicht auch in Possen auftreten; und was heute gern mit dem Wort »Surrealismus«bezeichnet wird, feiert häufig im neueren italienischen Märchen geradezu Triumphe. In der »Sonnenprinzessin« tritt ein Mädchen ohne Kopf zur Tür herein und setzt ihn sich gleich danach wieder aufeinfach, -



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weil sie ihn vergessen hat, als sie mit Kämmen beschäftigt gewesen ist. Eine schneidet sich kurzerhand selber die Brüste ab, zieht aus der Wunde eine Spitze aus Gold hervor und setzt sich, als wäre gar nichts dabei, unversehens die Brust wieder an. Das ist etwas völlig anderes als die dem deutschen Volksmärchen vertraute Phantasie, die sich um Realität und kausale Zusammenhänge nur wenig kümmert, es ist ein unverkennbarer Einbruch des Absurden, des Grotesken und hintersinnig Verspielten. Doch hat sich im Volksbewußtsein besonders der zu Italien gehörenden Inseln von alters her ein Erinnern an griechische und altrömische Märchenstoffe erhalten, und es lassen sich verschüttete Überbleibsel homerischer Mythen und auch Anklänge an ovidische Metamorphosen nachweisen - so in der »Sirene des Meeres« und in den uralten Namen der felsigen Kyklopeninseln unterhalb des Ätnas. Etliche Märchen knüpfen an das Epos von Ariost »Der rasende Roland« und an Torquato Tassos »Befreites Jerusalem« an. Mancherlei übernatürliche und auch romantische Züge lassen sich auf die »Legenda aurea« und die »Goldene Legende« des Jacobus de Voragine um die Mitte des 13. Jahrhunderts zurückführen.

Seit je hat das Märchen gerade nach Italien fremdländisches Gut aus dem Orient getragen. Die Araber und die Normannen haben viele ihrer Erzählungen nach Sizilien gebracht, und über Kreuzzüge und Pilgerfahrten sind auch andere Märchen eingedrungen. Der 1923 geborene Calvino hat italienische Märchen nach der Volksüberlieferung der letzten hundert Jahre gesammelt und umgeschrieben und u.a. in seinen vergleichenden folkloristischen Forschungen auch an bemerkenswerte sowjetische Forschungen angeknüpft. Horst Rüdiger, einer der lebendigsten neueren deutschen Romanisten, hat Calvinos Buch über das italienische Märchen als ein höchst fruchtbares Lesewerk weit über das spezifisch italienische Märchen hinaus gelobt.

Die Märchen von der Iberischen Halbinsel - aus Spanien und Portugal-erinnern an volkstümliche Legenden, Romanzen und Epen aus dem Mittelalter. Man wird an Cervantes und dessen Don Quijote erinnert, natürlich auch an Volkslieder und Tänze. Gerade im Klima südlich der Pyrenäen hat sich frühzeitig schon ein erzählfreudiges



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Beieinander der Menschen entwickelt, das jedem, der einmal in einem spanischen Café oder im Patio eines dortigen Bauernhauses weilen durfte, zur bleibenden Erinnerung geworden ist. Und eben diese gesegnete Landschaft, wo sich arabische Überlieferungen mit christlichen mischten, war schon im zwölften Jahrhundert ein vortrefflicher Nährboden für Märchen. König Alfons der Weise veranlaßte die Übertragung des berühmten orientalischen Geschichtenbuches »Calila und Dimna«. Dazu kam das volkstümliche Werk »Von Weiberlist und Weibertücke«, kamen im 14. Jahrhundert der von Eichendorff übersetzte »Graf Lucanor«und vielerlei katalanische Geschichten und Fabeln dazu. —Die eigentliche Wiederentdeckung der Märchen brachte auch in Spanien und Portugal die Romantik. Später hat das 19. Jahrhundert auch Fernan Caballeros »Andalusische Volksmärchen und Volkslieder« in einer 1862 erschienenen deutschen Übertragung zu uns gebracht. Es folgen bald darauf der Mallorkine Antoni Maria Alcover mit einer zwölf Bände füllenden Sammlung Mallorkiner Märchen, und seit dem Jahre i 88o wurden spanische Märchen in repräsentativen Sammlungen in der Originalsprache und in französischen und englischen Übertragungen weit verbreitet.

Daß nach Kriegsende schließlich auch die Märchenwelt des überseeischen Spanien beachtliche Erweiterungen lieferte, überschreitet die Aufgabe unserer Sammlung, die sich bewußt auf das alte Europa beschränkt.

K. R.



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MÄRCHEN AUS ITALIEN


Wie ein armer Bauernjunge sein Glück fand

In der Umgegend von Mailand wohnte ein Bauer, der sehr geschickt war, aber nur einen Sohn von zwar schöner Gestalt besaß, der aber nicht gerade gescheit war. Er nannte ihn Pincaruolo (Kürbiskopf). Als nun der Bauer starb, hinterließ er seine Frau mit Namen Buona. Diese wohnte in dem Häuschen mit ihrem Sohn zusammen, der bereits zwölf Jahre alt war. Eines Tages sagte die Mutter zum Knaben: »Mein lieber Pincaruolo, weil dein Vater gestorben ist, müssen wir mit dem wenigen leben, was er uns hinterlassen hat. Und darum, liebes Kind, gehn wir mitunter in den Wald, um Holz zu hauen. Das bringen wir dann mit unserm Eselchen nach Mailand zum Verkauf und können uns so leidlich durchschlagen wie unsere Nachbarn auch.« Pincaruolo antwortete: »Mutter, ich will tun, was Euch gefällt.«

Er ging also in den Wald und fing an, Holz zu hauen, führte es mit dem Esel nach Mailand und brachte der Mutter das Geld heim. So ging es geraume Zeit.

Es war aber einmal viel Regen gefallen, so daß alles unter Wasser stand. Da wollte Pincaruolo in einem Erlenwald Holz hacken. Er hatte sein Tier bereits voll beladen. Weil aber das arme Eselein zuwenig Futter, dafür aber mehr Stockschläge erhielt, brach es unter der Last erschöpft auf dem morastigen Boden zusammen, war nicht mehr weiterzubringen und starb. Als Pincaruolo das sah, dachte er, es wäre am besten, wenn er dem Tiere die Haut abzöge und sie auf dem Markt in Mailand verkaufte. Und das tat er auch. Sobald er das Geld für das Fell erhalten hatte, kehrte er zu seiner Mutter heim und sprach: »Hier hast du das Geld, das ich für die Haut unseres Esels erhalten konnte.« Nun wollte die Mutter wissen, auf welche Weise



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das Tier gestorben war. Pincaruolo erzählte ihr alles. Darauf sprach die Mutter: »Mein Sohn, du mußt dich darüber nicht allzusehr grämen. Wir werden uns wieder ein anderes Tier kaufen.« Trotzdem verbrachte die Mutter den ganzen Abend mit ihrem Sohn voller Sorgen darüber, daß sie das Tier verloren hatten, und sie gingen mit Kummer zu Bett.

Am anderen Morgen sagte Pincaruolo: »Mutter, ich will nochmals in den Wald gehen und nachsehen, was aus dem Esel geworden ist.« Die Mutter aber erwiderte: »Mach dir keine Sorgen deswegen; wir bringen das Geld für ein neues Lasttier schon zusammen.« Hierauf versetzte Pincaruolo: »Ich will gleichwohl hinausgehen.«Und damit lief er fort in den Wald hinaus, an die Stelle, wo er sein Eselchen gelassen hatte. Da sah er viele Vögel, die um das tote Tier flatterten, und meinte bei sich: >Wenn ich nur einen dieser Vögel hätte, dann wäre ich reich.<Und sogleich nahm er Steine, lockte die Vögel herbei, ging zum Esel in der Absicht, in dessen Bauch hineinzukriechen und, wenn dann die Raben herbeikamen, einen davon an den Beinen festzuhalten. Er tat so und lockte die Raben herbei, versteckte sich im Leib des Tieres, und als die Raben herbeiflogen, faßte Pincaruolo einen. Dann kroch er aus dem Rachen des Esels heraus und band den Raben mit einer starken Schnur fest.

Vor lauter Freude, die er darüber empfand, dachte er nicht mehr daran, zu seiner Mutter heimzukehren, sondern zog mit seinem Raben von dannen gen Westen. Als es Abend geworden war, kam er zu einem Landhaus etwa fünfzehn Meilen von Mailand entfernt. Und weil es dunkel wurde, blieb er beim Haus eines Bauern stehen. Dort fragte er die Bauersfrau, ob er mit seinem Vogel hier übernachten könne. Die Frau erwiderte: »Mein Mann ist nicht da, aber warte eine Weile. Er wird bald heimkommen und dir schon Herberge geben.« Pincaruolo wartete, verspürte aber großen Hunger und setzte sich mittlerweile auf die Schwelle der Haustür. Und während er dort saß, nahm die Bäuerin plötzlich einen gekochten Kapaun aus dem Kochtopf, hüllte ihn in ein Tüchlein und brachte ihn in den Mehltrog. Dann zog sie aus zwei alten Geschirren einen Hühnerbraten hervor und tat diesen in ein Kästchen. Hierauf öffnete sie den Backofen, zog einen Kuchen heraus, der mit Käse bestreut war, und versorgte diesen ebenfalls in den Mehltrog.



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Pincaruolo tat, als habe er nichts gesehen, und die Frau meinte, der Jüngling achte nicht darauf, was sie tue. Bald danach kam der Bauer Bartolo vom Feld heim, rief seine Frau Sofia und fragte sie: »Wer ist dieser junge Bursche da?« Und sie gab ihm zur Antwort: »Es scheint mir ein armer Wanderer zu sein, der gern über Nacht hierbleiben möchte. Deshalb, wenn es dir recht ist, bitte ich dich darum.« Bartolo erwiderte ihr: »Meinetwegen soll er bei uns bleiben.« Und damit hieß er den Jüngling ins Haus treten, schloß die Tür hinter sich, zündete ein Licht an, setzte sich an den Tisch zum Essen und lud den Burschen ein, mitzuhalten. Pincaruolo, der freilich einen großen Hunger hatte und meinte, er bekäme von dem feinen Braten, den die Bäuerin versorgt hatte, war gern bereit und nahm mit seinem Raben auf dem Arm Platz.

Jetzt trug die Bauersfrau für ihren Mann und seinen Tischgenossen ein Hirsebrot auf, ferner ein bißchen kalte Bohnen sowie ein paar Knoblauch mit einigen Lauchstengeln. Bartolo, der den ganzen Tag lang ein Feld unweit von seinem Haus umgespatet hatte, aß mit großem Appetit und ebenso der Jüngling. Das bescheidene Essen dete ihnen so gut, als wenn es Schinken gewesen wäre. Dann brachte die Bäuerin noch Wein herbei, setzte sich auch zu Tisch, steckte einige Stücklein in den Mund, und so aßen sie mitsammen zur Nacht.

Als sie fertig waren, sagte Bartolo zu dem Jüngling: »Geh, leg dich in dieses kleine Bett schlafen«, und ging dann mit seiner Frau auch zur Ruhe.

Als nun Pincaruolo mit angesehen hatte, daß sie von dem guten Essen, das die Bäuerin versorgt hatte, nichts angerührt hatten, hielt er es für gewiß, daß sie eine Frau von schlechter Gesinnung sein müsse. Und er begann darüber nachzudenken, wie er es anstellen solle, dem Bauern Bartolo die Sache zu verraten, damit er etwas Besseres zu essen bekomme, als er gehabt hatte. Er zwickte daher nach einer Weile den Raben ein wenig ins Bein, so daß der Vogel laut krächzte. Dann schalt er den Raben, er möge doch stille sein, indem er zu ihm sagte: »Wie kannst du nur den guten Mann und die brave Frau wecken, da du doch weißt, welche Ehre und Gastfreundschaft sie uns heute abend erwiesen haben!«

Da fragte Bartolo, der den Vogel hatte schreien hören: »Was hat der



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Rabe zu dir gesagt?«Und Pincaruolo erwiderte: »Mein lieber Vogel sagte, er hätte gern was von jenem Hühnerbraten, der in der Truhe ist.« Bartolo stand sogleich auf, ging zur Truhe und fand dort das gebratene Huhn. Da rief er dem Jüngling, er solle aufstehen, schnitt etwas Brot ab, und sie verzehrten den Braten, wobei sie auch dem Raben ein Stückchen gaben. Und während sie miteinander plauderten, sprach der Bauer: »Meine Frau Sofia behandelt mich so schlecht und gibt mir bloß Hirsebrot und ein paar Bohnen zu essen, während sie selber sich's mit einem andern am Huhnbraten gütlich tut.« Als das die Frau hörte, verwünschte sie, daß der Jüngling ins Haus gekommen war. Sowie Bartolo mit dem Essen fertig war, kehrte er ins Bett zurück, ohne mit seiner Frau zu schelten.

Nach etwa zwei Stunden brachte Pincaruolo seinen Raben abermals zum Schreien und tadelte ihn mit heftigen Worten, worauf der Bauer wiederum fragte, was der Vogel gesagt habe. Der Jüngling erwiderte, sein Vogel habe nur etwas von einem Kapaun und einem guten Kuchen geplaudert, der sich im Mehltrog befände und von dem er offenbar auch gern ein Stückchen haben möchte. Kaum hatte Bartolo das gehört, so sprang er aus dem Bett, ging zum Mehltrog und fand dort richtig den Kapaun samt dem feinen Kuchen. Jetzt rief er den Jüngling herbei, und sie verzehrten mit einem Glas Wein zusammen den ganzen Kapaun und den Kuchen, wobei sie auch nicht vergaßen, dem Raben etwas davon zu geben. Die Bäuerin aber brummelte unwillig im Bett vor sich hin, daß der Jüngling auch dieses Geheimnis verraten hätte.

Darauf sprach Bartolo zu Pincaruolo: »Ei, sag mir doch, was ist's mit diesem Vogel?«Und der Jüngling erwiderte: »Er ist ein Wahrsager, der alles erraten kann, was man bei Tag oder Nacht tut.« — »Das glaube ich auch«, versetzte Bartolo, »denn ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Und darum bitte ich dich, daß du mir ihn geben mögest.« Pincaruolo aber entgegnete: »Das ist ein sehr kostbares Tier und einen ganzen Schatz Goldes wert.« — »Nun gut«, sprach Bartolo hierauf, »ich gebe dir dafür fünfhundert florentinische Dukaten und dazu noch ein Paar Ochsen aus meinem Stall, und du gibst mir diesen Zaubervogel.« — »Nun denn«, versetzte Pincaruolo, »weil Ihr mich so freundlich aufgenommen und bewirtet habt, bin ich's zufrieden.«Frau Sofia, die alles mit angehört hatte, verhielt sich



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inzwischen mäuschenstill, bis es Morgen war. Als der Tag anbrach, machte sich Pincaruolo mit seinen fünfhundert Dukaten und den beiden Ochsen auf den Weg und wanderte weiter gen Westen. Unterwegs verkaufte er die Ochsen und bekam dafür ein Reitpferd und überdies dreihundert Dukaten.

Als Pincaruolo sich auf das Pferd geschwungen hatte und achthundert Dukaten sein eigen nennen durfte, sagte er hocherfreut zu sich selber: >Jetzt bin ich ein reicher Herr, und da ich reite und ein so schönes Vermögen besitze, will ich mich künftig Torre (Turm) und nicht mehr Pincaruolo nennen lassen.< Und er ritt gegen Troia in Campagna und zog so lange, bis er die Alpe di Briga überschritten hatte und in die große Campagna (Frankreich) gelangte. Und wie er so durch die Ebene ritt, sah er einen, der dastand, als wollte er gerade einen Wettlauf beginnen. Torre hielt sein Pferd an, und weil er außer dem Wettläufer sonst niemand bemerkte, dachte er bei sich selbst: >Was macht denn der da?< Er näherte sich ihm, und auf die Frage, was er tue, antwortete der andere: »Ich warte, bis ich ein junges Reh fangen kann.«Torre meinte: »Oh, du hast ja weder Hunde noch Garne. Wie willst du denn etwas fangen?« — »Ich erjage sie im Laufen«, erwiderte der andere. Verwundert fragte Torre: »Ja, wie ist das möglich?« —»Wenn du ein Weilchen warten kannst, wirst du es selber sehen können.«Und richtig, nicht lange ging es, da sprang ein junges Reh aus dem Wald heraus. Der Läufer war rasch hinterdrein, hatte es mit wenigen Schritten erreicht und brachte es dem Torre herbei mit den Worten: »Siehst du jetzt, daß ich laufen kann?« — »Du kannst wirklich sehr schnell springen«, versicherte Torre. »Ich will dir was sagen: Willst du mit mir kommen, so gebe ich dir hundert Florin und das Essen, und falls ich irgend etwas gewinne, so sollst du auch deinen Anteil bekommen. Nun aber sage mir bitte, wie du heißest.« — »Rondello nenne ich mich«, entgegnete der Schnelläufer. »Ich bin bereit, mit dir zu gehen, und du gibst mir die hundert Dukaten.« Torre öffnete seine Börse und übergab ihm die hundert Dukaten. Darauf machte sich Rondello mit ihm auf den Weg.

Als sie eine Weile gewandert waren, sah Torre in der Ferne einen am Boden liegen und sagte zu Rondello: »Schau, der dort ist gewiß tot.«Rondello sprach: »Ich will hingehen und nachschaun.«Und im



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Augenblick war er bei ihm und bemerkte, daß er keineswegs tot war. Da ritt Torre auf ihn zu und sah, wie jener das Ohr auf den Boden hielt. Torre fragte: »Was tust du da?« — »Ich höre das Gras wachsen«, versetzte der andere. Torre war höchst verwundert darob und wollte es nicht glauben. Da sagte der Unbekannte: »Ich habe von fern gehört, wie Ihr sagtet: >Schau, der dort ist gewiß tot.« Torre fragte ihn, wie er heiße und ob er mit ihm ziehen wolle, worauf der andere erwiderte: »Ich heiße Sentimento (Feinohr) und bin zufrieden, wenn ich nur etwas bekomme.«Torre bot ihm hundert Dukaten an. Sentimento nahm es an, und sie zogen zu dritt weiter. Als sie wieder ein gutes Stück gewandert waren, sah Torre einen, der mit gespannter Armbrust und einem Pfeil bereitstand. »Was machst du da?«fragte ihn Torre. »Ich warte, bis ich einen Vogel erwische, damit ich etwas zu Mittag essen kann.« —»Aber wie willst du hier nur einen erjagen können, wo doch kein einziger Baum zu sehen ist, auf den sich die Vögel setzen können.« — »Wenn du warten kannst«, meinte der andere, »so wirst du das sehen können, was du nicht glaubst.« Und es dauerte nicht lange, da flog eine Schwalbe durch die Luft. Der Armbrustschütze legte an, und die Schwalbe fiel herab, gerade Torre zu Füßen. Als dieser die Geschicklichkeit des Armbrustschützen gewahrte, dachte er, der würde gut zu seiner Gesellschaft passen. Er fragte ihn nach seinem Namen und bot ihm hundert Dukaten an, wenn er mit ihm ziehen wolle. Der Schütze antwortete, er heiße Diritto (Geradaus), er sei einverstanden, nahm die hundert Florin in Empfang, und sie zogen zu viert weiter.

Sie waren nur noch eine Tagereise von Paris entfernt, da sahen sie einen, der hatte eine Mühle vor sich, die weder mit Wasser noch mit Wind getrieben wurde. Torre sagte zu seinen Kameraden: »Ei, was macht denn der da?« So gingen sie zu ihm hin und fragten ihn, was er tue. Da gab er zur Antwort: »Ich mahle Korn mit meinem Blasen.« —»Oho, da müßtest du freilich einen guten Atem haben, wenn du Korn mahlen wolltest«, meinte Torre. Der Bläser erwiderte: »Du sollst die Probe gleich sehen.« Damit schüttete er drei Scheffel Korn in den Trichter, blies die Mühle mit einem kräftigen Atemstoß an, und die Räder blieben nicht eher stehen, bis die drei Scheffel Korn zu Mehl gemahlen waren. Als Torre sah, wie geschickt dieser war, fragte er ihn nach dem Namen und ob er mit ihm ziehen wolle,



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wenn er ihm wie den andern hundert Dukaten gäbe. »Spazza (Bläser) ist mein Name«, erklärte der, »und ich bin's zufrieden, wenn Ihr mir hundert Dukaten geben wollt.«Torre bezahlte ihm sogleich das Geld, und der Bläser schloß sich ihnen an.

So zog Torre mit seinen vier kunstreichen Gesellen die Straße weiter, und als sie schon nicht mehr weit von der schönen Stadt Paris waren, hörte er erzählen, der König Philipp von Frankreich habe eine junge und heiratsfähige Tochter namens Drusiana. Es sei aber Sitte, daß sie nur derjenige zur Frau erhalte, der sie im Wettlauf besiege. Verliere er aber, so müsse er sterben. Und da wären schon viele, die mit ihr um die Wette gelaufen seien und dabei ihr Leben verloren hätten, weil sie alle überflügelte.

Als Torre das hörte, beriet er sich mit Rondello und fragte ihn, ob er an seiner Stelle mit Drusiana wettlaufen wolle. Er, Torre, würde dafür seinen Kopf zum Pfand setzen. Rondello antwortete: »Mein Herr, habt keine Angst, auch wenn sie beim Rennen mit ihren Beinen fliegen könnte, so werde ich sie doch besiegen. Und dann könnt Ihr durch sie Euer Glück finden.« Diese schönen Worte und das freundliche Anerbieten gefielen Torre. Jetzt wandte er sich an die drei andern Gefährten und fragte: »Was meint ihr dazu?« Spazza entgegnete: »Unser Herr, da du die Tochter des Königs Philipp zur Frau begehrst, die flink ist wie der Wind und schön, so versichere ich dir, daß ich dir gewiß dazu verhelfen will. Wenn nämlich Rondello nicht so schnell laufen könnte wie sie, so werde ich sie mit meinem Atem zurückhalten. Dann wird er reichlich vor ihr ans Ziel gelangen, und auf diese Weise sollst du Drusiana gewinnen.«

Das gefiel Torre, und er sagte: »Und nun, ihr andern, was sagt ihr dazu?« Da erklärten Sentimento und Diritto, daß sie mit ihrer Kunstfertigkeit bereitstehen würden, und wenn es nötig werden sollte, wollten sie ihm so viel wie möglich helfen. Torre war damit zufrieden, und nachdem er dieses Versprechen von allen erhalten hatte, gelangten sie nach Paris und stiegen in einer Herberge ab. Dann verschaffte er sich und seinen Gefährten schöne Kleider, und nachdem sie sich einige Tage ausgeruht hatten, begab sich Torre an den Hof des Königs und erklärte, er sei gekommen, mit dem Edelfräulein um die Wette zu laufen und sein Schwiegersohn zu werden. Im übrigen wolle er die Bestimmungen einhalten.



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Der König war damit einverstanden und setzte den Tag fest. Auch befahl er, Torre gefangenzuhalten, damit er mit seinem Leben hafte, falls derjenige, der für ihn um die Wette renne, verliere.

Am Sonntag, an dem der Wettlauf stattfinden sollte, war jedes schnell bereit, zu springen, und viele Leute kamen, um zuzuschauen. Rondello stellte sich dem König vor und fragte, welchen Weg sie zurücklegen müßten. Da sprach König Philipp: »Ihr werdet euch beide mit einer Flasche aus Leder aufmachen und bis nach Saint-Denis laufen. Dort müßt ihr euer Gefäß mit Wasser aus der Quelle des heiligen Dionysius füllen, und wer von euch zuerst zurück ist, der hat gesiegt. Wer zurückbleibt, hat die Wette verloren.«

Als Rondello dies gehört hatte, sagte er sogleich: »Nun, Ew. Majestät, so lasset den Wettlauf beginnen.«

Spazza aber machte sich mit seinen Gefährten Sentimento und Diritto auf die Landstraße, und sie warteten, bis das Wettrennen begann. Dann hörte man aus der Ferne, wie das Zeichen gegeben wurde, und die beiden Wettläufer eilten wie der Wind davon. Das Edelfräulein war im Nu schon weit. Rondello jedoch, der leicht jedes Tier an Schnelligkeit übertraf, kam ihr voraus, war in kürzester Zeit in Saint-Denis, füllte an der besagten Quelle seine Flasche und kehrte schon wieder gegen Paris zurück. Etwa in der Mitte des Rückweges traf er auf Drusiana. Diese lief auf ihn zu und sprach: »Junger Mann, ich sehe wohl, daß du gesiegt hast, und ich muß gestehen, daß du trefflich gedient hast. Darum können wir, ohne uns weiter zu plagen, hier ein wenig ausruhen.«

Als Rondello diese süßen Worte hörte, setzte er sich nieder aufs Gras neben Drusiana. Und so bezaubernd war die Wirkung der schmeichlerischen Lieder, die ihm die Königstochter vorsang, daß er dabei einschlief. Kaum hatte sie ihn eingeschläfert, so nahm sie ihm die mit Wasser gefüllte Flasche, die er unter den Kopf gelegt hatte, weg und stellte ihre eigene, noch leere, darunter. Dann lief sie, so schnell ihre Füße sie tragen konnten, nach Paris zurück.

Als Spazza die Königstochter schon wieder zurücklaufen sah, sagte er: »Die Sache steht gewiß schlecht.« Er ging darum dem Fräulein entgegen und blies sie mit seinem starken Atem zurück. Und so oft sie einen Schritt vorwärts tun wollte, brachte er sie um zehn Schritte rückwärts. Auf diese Weise konnte er sie eine Zeitlang aufhalten.



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Aber als er sah, daß Rondello immer noch nicht kam, sagte er zu den Kameraden: »Er ist sicherlich gestorben!« Darauf meinte Scntimento: »Wir werden gleich erfahren, wie es mit ihm steht.« Er hielt sein Ohr zu Boden, hörte, daß Rondello schlief, und sprach: »Er schläft.« Da fragte Diritto: »Wie weit mag die Stelle von hier entfernt sein, wo er schläft? Und auf welcher Seite der Straße hat er sich hingelegt?«Sentimento erwiderte: »Drei Meilen ist er entfernt, und auf der rechten Seite der Straße schläft er.« Nun spannte Diritto seine Armbrust, legte einen Bolzen auf, drückte los, und der Pfeil traf gerade die Flasche, die Rondello unter dem Kopf hatte. Jetzt endlich erwachte der Schläfer, sah den Bolzen und die leere Flasche und dachte bei sich selbst: >Man hat mich betrogen.< Weil er aber hoffte, Spazza werde die Königstochter zurückhalten, ergriff er blitzschnell die Flasche, kehrte nochmals nach Saint-Denis zurück, füllte das Gefäß mit Wasser, eilte von dannen und gelangte wie im Flug nach Paris zurück, noch bevor das Fräulein am Ziel war. Nachdem er also den Sieg errungen hatte, wurde Torre aus der Gefangenschaft befreit.

König Philipp ließ jetzt seine Tochter mit Torre vermählen, und es wurde eine prachtvolle Hochzeit gefeiert. Torre bekam einen Teil des Königreichs Frankreich. Er erhob seine Freunde Rondello, Spazza, Diritto und Sentimento zu Grafen, schenkte ihnen Ländereien, und sie lebten lange Zeit.

Und nun, Ihr edlen Damen und Herren, welcher hat am meisten Verdienst daran, daß Torre die Königstochter bekam? Er selber oder welcher seiner vier Gefährten?


Liombruno

Vorzeiten war einst ein armer Fischer. Der hatte eine hübsche Frau und drei Kinder. Er besaß aber weder ein Stück Land noch Rebgärten, sondern lebte recht kümmerlich vom Fischfang. Aber auch darin hatte er kein Glück, denn er fing meist nur wenig.

Eines Morgens stand er früh auf und fuhr mit dem Boot hinaus aufs Meer. Doch fing er den ganzen Tag über nichts und war sehr voller Sorge. Er gelangte zu einer kleinen Insel und traf dort einen großen



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Korsaren. Der sprach zu ihm: »Was willst du mir geben, wenn ich dir viele Fische und genug Geld verschaffe?« Der Fischer erwiderte: »Ich gebe dir, was du willst. So sag, was soll ich tun?« Da sagte der Seeräuber: »Wenn du mir einen deiner Söhne auf diese kleine Insel bringst, sollst du Fische und auch Gold und Silber im Überfluß haben.« Da war der arme Mann sehr betrübt. Aber seine Armut zwang ihn, ja zu sagen, und er antwortete: »Ich will dir den jüngsten geben und werde ihn auf diese Insel bringen.«

Darauf fing der Korsar Fische und füllte damit das ganze Fischerboot. Und ebenso gab er ihm eine schwere Menge Geld. Doch fügte er die Warnung hinzu: »Wenn du dein Versprechen nicht hältst, wirst du im Meer ertrinken.« Der Fischer aber entgegnete herzhaft: »Ich werde dich ganz gewiß nicht täuschen.« Darauf kehrte er mit reicher Ladung heim, kaufte für Frau und Kinder gute Kleidung und versah sich mit Eßwaren aller Art. Aber daß er den jüngsten Sohn hergeben sollte, das schlug seinem Herzen eine tiefe Wunde. Dann rief er das Büblein herbei, nahm es mit auf das Fischerboot und ruderte voll Weh im Herzen der Insel zu. Dort stiegen sie ans Land, und er sagte zu dem Knaben: »Bleib hier und warte, bis ich wiederkomme.« Und damit fuhr er weg und ließ das Büblein, das erst sieben Jahre alt war, allein, denn er konnte seinen Tod nicht mit ansehen.

Noch war der Vater nicht lange fort, da erschien der Korsar und wollte den Knaben fortschleppen. Der geriet in große Angst, hatte aber niemanden, der ihn tröstete, und er schrie so laut um Hilfe, bis der Türke flüchtete. So blieb das Knäblein allein und war in großer Angst. Es schaute um sich und sah auf einer Höhe ein Mädchen, das glich dem Vogel Greif oder einem Adler. Es kam herbei und sagte: »Du sollst keine Angst haben, ich will dich von dieser Insel fortbringen.« Aber der Knabe erwiderte: »Ich will nicht fort, denn ich muß hierauf meinen Vater warten.«Und der Adler: »Ich will dich zu deinem Vater tragen.«Mit diesen Worten hob er den Knaben auf, trug ihn hoch in die Lüfte empor, und dem Knaben war es, als ob diese Luftreise viel schöner sei als eine Fahrt auf dem Boot im Meer. Dann zeigte ihm der Adler das Land und das Schloß, das ihm gehörte und das sich vierhundert Tagereisen weit ausdehnte. Am Abend war er von der Insel weggeflogen, und am andern Morgen erreichte er sein



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Schloß. Dort legte er ihn in einem schönen Saal nieder und sagte: »Warte nur hier auf mich, bis ich wiederkehre.«Damit ging er in eine Kammer und verwandelte sich in ein Mädchen, das war so schön, als käme es aus dem Paradies. Ihre Augen leuchteten heller als Sterne, und sie erstrahlte wie die Sonne. Auch war sie hübsch gekleidet und war noch nicht zehn Jahre alt. Sie nannte sich Aquiina und gab sich dem Knaben als diejenige zu erkennen, die ihn aus den Händen des Seeräubers gerettet hatte. Der Knabe dankte ihr und bot sich an, ihr im Schloß zu dienen. Und so blieb er mehr als acht Jahre in ihrem Dienst.

Als sie beide erwachsen waren und er wie eine Lilie, sie wie eine Rose erschien, sprach Madonna Aquilina eines Tages zu ihm: »Mein Herz hat keine Ruhe mehr, wenn ich meinen Wunsch nicht erfülle. Ich habe dich auferzogen als Edelknaben; nun schlage ich dir vor, deine Frau zu sein.«Und der Jüngling antwortete: »Ihr habt mich mit vieler Mühe auferzogen, Ihr habt mich von der Insel gerettet, ich bin bereit, das zu tun, was Euch gefällt.« Also heirateten sie einander, und die Leute nannten ihn Liombruno. Sein Schloß war stark und mit allem versehen, was er brauchte. Es hatte sogar oben in der Höhe zwei verborgene Türen, die niemand öffnen konnte. Liombruno übte sich fleißig im Ritterspiel, und seine Frau gewann ihn jeden Tag lieber. Als er eines Tages in Gedanken versunken dastand, fragte ihn seine Frau mit liebreichen Worten, was ihm fehle. Liombruno erwiderte traurig: »Ich spüre ein großes Verlangen, meine Brüder und meine Eltern wiederzusehen.«

»Nun, wenn du gehen möchtest, so versprich mir, nach einem Jahr wieder zurück zu sein.« Liombruno versprach ihr dies, und sie gab ihm einen schönen Ring, der den Junker vor aller Unbill bewahren sollte. Dann sprach sie: »Verlange von diesem Ring, was du willst, so wirst du es empfangen, sowohl Geld als auch andere Sachen. Aber hüte dich wohl, dieses Geheimnis jemandem zu sagen, sonst würde dessen Zauberkraft verschwinden, und du brauchtest auf keine Gunst mehr zu warten.« Dann veranstaltete sie vor seiner Abreise ihm zu Ehren ein Hoffest, das vier Tage dauerte, ließ ihn zum Ritter erheben, und darauf nahm er Abschied. Und obwohl er vierhundert Tagereisen von seinem Elternhaus entfernt war, bewirkte sie durch Zauberkraft, daß er schon am nächsten Morgen dorthin gelangte.



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Als er erwachte und sich umschaute, fand er sich in seiner Heimat. Er dankte der gütigen Fee und wünschte sich ein gutes Pferd, ein schönes Kleid, einen Koffer voll Geld und eine Anzahl Diener zu Fuß und zu Roß. Mit alldem begab er sich nach Hause, wo er Vater, Mutter und Brüder wiederfand und sie alle beschenkte. Sie fragten ihn, wo er geblieben sei, und er gab vor, er sei im Dienst reicher Kaufleute gewesen, die hätten ihn zum Lohn so kostbar gekleidet und mit Geld ausgestattet und zum Ritter von Bufaloro erhoben. Er habe auch diesen Kaufherren versprochen, vor Ablauf eines Jahres wiederzukommen. Seine Verwandten aber sprachen: »O Liombruno, wo willst du hingehen? Hier in der Nähe wohnt der große König von Granada und will seine Tochter dem zur Frau geben, der im Turnier Sieger bleibt.« Als Liombruno dieses hörte, bekam er Lust, sein Glück zu versuchen, wünschte sich ein schönes Streitroß samt einer Rüstung, nahm Abschied vom Elternhaus und ritt nach Granada, tötete im Turnier einen Sarazenen, der als unüberwindlich gegolten hatte, und behauptete den Sieg über alle, die mit ihm kämpften. Der König war bereit, ihm seine Tochter zur Frau zu geben, pflegte aber mit seinen Baronen vorher noch Rat. Da meinte einer: »Er hat in fremden Landen eine Frau. Auch scheint er nicht von so hoher Geburt, daß er sich für eine solche Würde eignete, obwohl er im übrigen tüchtig und ritterlich ist. Wollt Ihr nach unserer Meinung handeln, so befehlt, daß jeder sich einer Sache rühmen soll, und dann soll auch er vortreten.«

Am nächsten Tag mußten sich alle Barone im großen Saal versammeln. Der eine rühmte sich, ein schönes Weib zu besitzen, der andere ein Schloß, der dritte ein seltenes Rennpferd oder ein Streitroß, der vierte besaß einen feinen Falken, der fünfte einen guten Sperber, der sechste einen Palast, der siebente eine stattliche Burg, der achte pries seine Herkunft. Und nachdem sich alle gerühmt hatten, wurde auch Liombruno gefragt. Er zögerte und sagte schließlich: »Ich preise meine liebe Frau, denn eine schönere ist nicht zu finden. Innerhalb zwanzig Tagen will ich es euch beweisen.« — »Ich gebe dir dreißig Tage Frist«, erklärte der König. Liombruno sprach zu seinem Ring: »Frau Aquiina, erscheine sogleich.«

Aber sie kam nicht, weil er sein Versprechen, von ihr nicht zu reden, gebrochen hatte. Schon waren die dreißig Tage fast verstrichen, und



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Liombruno sollte den Kopf verlieren. Endlich erschien sie am dreißigsten Tag und hielt sich draußen vor der Stadt auf. Sie schickte an ihrer Stelle eine Kammerzofe, in ihre Gewänder verkleidet. Die war von holder Schönheit, und der König fragte: »Ist das deine Frau?« —»Nein, gnädiger Herr.« Die zweite Zofe war noch schöner, aber Liombruno erklärte: »Es sind beides Ehrendamen.« Zuletzt erschien Frau Aquiina selber, und ihr Gesicht erstrahlte in seltener Hoheit. Da war der König überzeugt und bat um Entschuldigung. Liombruno nahm Abschied vom Hof, und seine Frau war über ihn höchst erzürnt. Sie ließ ihn allein ohne Waffen und Pferde und verschwand im Wald.

Dort traf er drei Straßenräuber, die zwei Kaufleute ausgeraubt und umgebracht hatten und nun über ihre Beute stritten. Sie hatten das gestohlene Geld auf einen Stein gelegt und baten Liombruno, das übrige Gut als Schiedsrichter unter sie rechtmäßig zu verteilen. Es waren dies ein Mantel und ein Paar Reitstiefel. Liombruno erklärte: »Damit ich ein gerechtes Urteil abgeben kann, sagt mir, was diese Stiefel und dieser Mantel für Vorzüge besitzen.« Und einer sprach: »Wer diesen Mantel anlegt, der wird unsichtbar, und es kann ihn niemand mehr sehen. Und wer diese Stiefel anzieht, kann schneller laufen als der Wind, denn es steckt ein Zauber darin.« — »Das kann ich nicht glauben«, versetzte Liombruno, »bevor ich es nicht selber probiert habe.« — »So zieh sie an und geh einige Schritte auf dieser Straße auf und ab.« Liombruno tat dies sogleich und bat, ihm auch den Mantel zu geben. »Wenn nun das wahr ist, was ihr sagtet, so ist das freilich ein unbezahlbarer Schatz.«

Da meinte der älteste der Räuber: »Also zieht den Mantel an, und dann werdet Ihr gleich sehen, ob wir gelogen oder die Wahrheit gesagt haben.« Liombruno warf den Mantel über sich und fragte: »Seht ihr mich?« —»Nein«, antwortete einer der Diebe. Liombruno ging zum Stein, nahm so viel Geld, wie er wollte, und verschwand mit den zwei Zaubergaben. Die Räuber hatten jetzt das Nachsehen, und ihr Zorn entlud sich auf den ältesten unter ihnen, den sie umbrächten. Danach gingen die beiden übrigen zu dem Stein hin und sahen, daß viel Geld fehlte. »Du hast davon gestohlen«, warf einer dem andern argwöhnisch vor; sie zogen ihre Schwerter und hieben so grausam aufeinander ein, daß beide tot hinfielen.



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Liombruno hatte den Lärm der Waffen gehört, sah, daß alle drei tot im Grase lagen, und steckte das Geld zu sich. Es waren etwa 30700 Florin. Dann machte er sich schneller als der Wind von dannen. Er gelangte in eine Stadt, traf in einem Gasthaus drei Kaufleute an, ließ ihnen Wein einschenken und fragte sie, ob sie als weitgereiste Leute nicht wüßten, wo das Land jenseits des Meeres sei, wo Frau Aquiina wohne. Da schaute einer den andern an, und sie sagten: »Wir haben noch nie ein solches Land erwähnen hören.« Und der älteste von ihnen meinte: »Du könntest tausend Meilen wandern und mehr als einen Monat gehen, es wird dir's niemand zeigen können als höchstens der Wind.«Da sprach Liombruno: »Weiß niemand Bescheid, wo ich den Wind aufsuchen kann?« Und der älteste meinte: »Wenn du auf jenen Berg dort steigen könntest und warten, bis der Wind kommt, der bei einem Einsiedler Herberge nimmt, wo mehr als sechzig Winde zusammenkommen und jeder, wenn er dort ist, menschliche Form annimmt. Aber dieses Wagnis kannst du nicht unternehmen, denn dort hinauf ist noch nie ein Mensch gekommen als der Eremit allein, der von den Winden hingetragen wurde. Der Berg ist so steil, daß jeder, der nur eine halbe Meile hinaufsteigt, herabgefallen ist und tot liegenblieb. Darum geh nicht hinauf, wenn du nicht sterben willst.« Liombruno jedoch entgegnete: »Und ich muß dennoch hin.«

Dank der Zauberstiefel, die er trug, hatte er ein leichtes Wandern und gelangte richtig auf die Höhe des Berges und klopfte beim Waldbruder an. Der wunderte sich, daß jemand komme, machte die Tür auf und sah doch niemand. Er fürchtete, es sei ein böser Geist. Liombruno zog den Mantel ab, damit der Einsiedler ihn sehe. Der sprach voller Staunen: »Freund, wie bist du da heraufgekommen? Denn noch nie ist ein Mensch hierhergelangt, es sei denn, daß ihn der Wind hergeführt hat.« — »Mein unglückliches Schicksal ist's und diese Stiefel, die ich habe. Nur die Sehnsucht nach meiner Frau hat mich hergetrieben.« Dann versprach ihm der Waldbruder, er werde alle Winde nacheinander fragen, wo sich das Land der Frau Aquilina befinde. Er fragte den Westwind, den milden Süd- und dann den Ostwind, den Wind, der von den Alpen weht, den griechischen Wind, den guten Meerwind und alle, die von der fernen See kommen, wo Tana liegt. Aber keiner war in jenem Land gewesen.



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Schließlich fehlte nur noch der Scirocco. Und als er ankam, sagte er: »Freilich, dort bin ich schon gewesen, und morgen geh ich wieder hin.«Liombruno bat ihn, mitkommen zu dürfen. Der Scirocco hielt dies für unmöglich, aber Liombruno sprach: »Es ist mein Wille. Ich will dir folgen über Berg und Tal, wenn du mich morgen früh rufen willst.« Der Scirocco versetzte: »Gut denn, so will ich dich morgen rufen. Aber ich mag nirgends auf dich warten, wenn du mir nicht nachkommst.«Darauf tischte der Waldbruder dem Fremdling zum Nachtessen auf, was er für sich hatte, und Liombruno zog beim Schlafengehen die Stiefel nicht ab, um sogleich bereit zu sein, wenn ihn der Scirocco rufe. Sobald der Morgen graute, rief der Scirocco: »Freund, willst du jetzt mitkommen?« — »Ich bin schon bereit«, sprach Liombruno und kam heraus. Der Führer zeigte ihm den Weg und sagte: »Siehst du dort in der Ferne jenes langgestreckte Gebirge? Dort wirst du mich wiederfinden, wenn du mir nachzufolgen vermagst.« Und mit diesen Worten war der Scirocco schon davon.

Liombruno nahm vom Waldbruder Abschied und rannte hinter dem Scirocco her. Doch warf er seinen Mantel um und war ihm bald voraus, während sich der Wind oft umkehrte, um nachzuschauen, ob er ihm zu folgen vermöge. Und so gelangte er vor dem Wind auf jenen Berg und erwartete ihn auf dessen Gipfel. Da rief der Wind: »Was für ein Mensch bist du, daß ich dich unterwegs nicht sehen kann und du noch schneller gehst als ich? Niemals hätte ich geglaubt, daß du mir folgen könntest. Nun schau dort jenen langen Gebirgs-Zug. Bis dorthin mußt du mit mir gehen, und von dort aus will ich dir das Schloß der Frau Aquiina zeigen.«

Darauf eilte der Scirocco wieder voraus, Liombruno hüllte sich in seinen unsichtbar machenden Mantel, war im Augenblick wieder voraus, und sooft sich der Wind rückwärts wandte und nach ihm rief, gab Liombruno von vorn Antwort. Wieder war er vor dem Wind am Ziel, warf seinen Mantel ab, und als der Scirocco endlich auch den Berg erreichte, sprach er: »Das muß ich sagen, mein lieber Freund, du bist der beste Läufer, den ich je gesehen habe. Nun schau, dort liegt das Schloß.« Dann schlug der Scirocco eine andere Straße ein. Liombruno dagegen lief auf das Schloß in der Ferne zu und hatte es bald erreicht. Unverweilt stieg er die Treppen hinauf, fand im Saal den Tisch gedeckt, und Frau Aquilina war beim Essen,



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und bei ihr waren die zwei Zofen, und sie sahen ihn nicht. Die eine zerlegte die Speisen mit dem Messer, die andere reichte den Becher dar. Liombruno aß fröhlich von dem, was da war, da ihn niemand sehen konnte. Nur Frau Aquilina wunderte sich, daß drei Viertel von dem, was in ihrem Teller war, verschwanden. Dann ließ er seinen Ring in ihren Teller gleiten. Die Frau sah ihn und sprach: »Das ist der Ring, der wunderbare, den ich vorzeiten dem Liombruno gab. Und er würde noch so glückbringend sein, wenn er ihm die Zauberkraft nicht genommen hätte. Das wird mir immer mein Herz betrüben und mein Gemüt mit Pein erfüllen.« Und vor Herzeleid fiel sie in Ohnmacht und sank wie tot zu Boden. Sie wurde in ihr Zimmer getragen und zu Bett gebracht. Und während sie schlief, ging Liombruno ungesehen in ihr Gemach, näherte sich der Schlafenden und küßte sie auf ihr liebliches Gesicht und auf den Mund. Sie erwachte davon, konnte aber Liombruno nicht sehen - den sie übrigens schon längst tot glaubte - und sprach zu sich selbst: »Ach, ich Arme, nie werd ich wieder froh, das ist ein Zeichen, daß Liombruno gestorben ist.«Darauf schlief sie wieder ein, er küßte sie abermals, hatte jedoch seinen Mantel nicht schnell genug umgeworfen, so daß sie ihn diesmal erblickte. Rasch zog sie den Mantel an sich und sprach: »Liombruno, wer hat dich solche Zauberkraft gelehrt, und wer zeigte dir den Weg zu mir?«

Da ging es nun ans Erzählen all der erlebten Abenteuer. Sie herzten und küßten sich und waren überglücklich. Dann lebten sie lange Zeit in Fröhlichkeit und ungestörter treuer Liebe bis ans Ende ihrer Tage.


Seinem Schicksal kann keiner entrinnen

Es war einst ein Kaufherr. Der besaß einen Sohn, der in allen Wissenschaften und feinen Umgangsformen bewandert war und solche Klugheit besaß, daß er auch das verstand, was die Vögel sagten, wenn sie sangen. Es geschah aber, daß dieser Kaufmann mit vielen Waren über das Meer fuhr und seinen Sohn mitnahm. Und als sie schon lange Zeit dahingesegelt waren, kamen sie durch Zufall in die Nähe einer ganz öden und unbewohnten Insel. Und während sie sich diesem Eiland immer mehr näherten, flogen zwei Vögel auf den



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Mastbaum des Schiffes und buben an, mit süßer Stimme zu singen. Da sprach der Kaufherr zu seinem Sohn: »Ich habe gehört, daß es gelehrte Leute gibt, die verstehen, was die Vögel reden, wenn sie singen.« Da fragte der Sohn: »Verstehst du denn nicht, was diese Vögel jetzt sagen?« —»Ich freilich nicht«, erwiderte der Vater. — »Die Vögel berichten«, erklärte jetzt der Sohn, »ich solle in der Welt noch so erhöht werden, daß Ihr es als eine besondere Gnade und Gunst erachten werdet, mir das Wasser für die Hände zu reichen, und meine Mutter wird mir das Handtuch hinhalten.« Hierauf entgegnete der Vater voller Neid und Ingrimm: »Wahrlich, den Tag sollst du nicht erleben«, packte seinen Sohn und warf ihn hinunter ins Meer. Dann fuhr er rasch von dannen, denn das Schiff hatte günstigen Wind, und er glaubte, sein Sohn sei in den Wellen versunken. Allein wie durch göttliche Vorsehung spülte ihn die Meeresflut gesund und heil an den Strand der nahen Insel, und er irrte volle zwei Tage und zwei Nächte umher, ohne etwas zu essen oder zu trinken, denn erfand dort nichts. Endlich am dritten Tag tauchte in der Nähe ein Schiff auf, und er gab den Leuten ein Zeichen, sie möchten ihn mitnehmen. Zum Glück war der Herr des Schiffes barmherzig und reich. Also fuhr er zur Insel hin und nahm ihn in sein Fahrzeug auf. Und weil der Jüngling großen Hunger hatte, gab er ihm zuerst zu essen und zu trinken und fragte ihn dann nach seinem Schicksal, das ihn auf diese Insel geworfen habe. Der junge Mann erzählte ihm alles, wie es sich zugetragen hatte, und weil der Kaufmann von seiner Frau keine Kinder hatte, nahm er ihn als seinen Sohn an. Der Jüngling sprach: »Ihr habt mich vom Tode errettet, darum will ich immer bei Euch bleiben und Euch dienen.« Und als sie ans Land und in die Heimat des Kaufmanns gelangt waren, führte ihn dieser in sein Haus und stellte ihn seiner Gattin vor, indem er ihr die Erlebnisse des Jünglings erzählte. Und auch sie nahm ihn an Kindes Statt an. Nun trug es sich zu, daß dem König jenes Landes jedesmal, wenn er von seinem Schloß ausreiten wollte, drei Raben zu Häupten flogen und laut schrien. Und da sich dies nun seit langer Zeit immer wiederholte, fürchtete er, es sei das Zeichen eines bevorstehenden großen Unglücks, und er hielt sich für einen argen Sünder, weshalb ihm Gott der Herr diese Plage auferlegt habe. Darum ließ er überall in seinem Land ausrufen, es sollten alle weisen Männer seines Königreichs


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zu ihm an den Hof kommen, und wer ihn von dieser Pest befreien könne, dem gebe er seine Tochter zur Frau und die Hälfte seines Reiches.

Also ging unser Kaufherr, der ein wirklicher Edelmann war, mit dem Jüngling auch hin, und dieser bat ihn, er möge ihm doch die Gunst erweisen, ihn vor den König zu führen. Und der König stand auf und begab sich in den Palast, wo sich viele Leute versammelt hatten, und alsbald kamen auch die Raben wieder über sein Haupt geflogen und machten ein arges Geschrei. Auf dies hin wiederholte der König sein Versprechen mit einem Eid und verhieß demjenigen seine Tochter und das halbe Königreich, der ihn von dieser Plage erlösen könne. Es war aber keiner, der ihm irgendein Mittel zu geben wußte. Da sprach der Jüngling: »Ich will ihm antworten.« Sein Pflegevater aber schalt ihn, er solle dies nicht tun, und fügte hinzu: »Siehst du nicht, welch eine Menge Leute da ist, und keiner wagt es, ihm das Rätsel zu lösen?« Der Jüngling jedoch, der die Raben verstand, fing an zu lachen, stand auf und hub an zu reden:

»Erhabener König, wenn Euer Versprechen wahr und beständig ist und Ihr das tun wollt, was ich Euch sage, und Ihr könnt es auch tun, so werdet Ihr von dieser Plage befreit.« Darauf erneuerte der König sein Versprechen und ließ sogar seine Tochter in den Palast rufen. Da sprach der Jüngling: »Dies sind drei Raben, zwei Männchen und ein Weibchen. Das Weibchen gehörte früher dem alten Raben. Als aber die Zeit der Hungersnot kam, jagte sie dieser fort, und der junge Rabe nahm sie bei sich auf und fütterte und pflegte sie in der Zeit der Teuerung. Jetzt aber, da wieder Überfluß herrscht, verlangt der alte Rabe von dem jungen sein Weibchen zurück. Der junge jedoch will sie ihm nicht geben, denn er sagt: >Du hast sie verjagt in der Zeit der Hungersnot, also hast du dein Recht auf sie verwirkt. Ich dagegen nahm sie auf in der Zeit der Teuerung, darum will ich sie behalten, denn wer die Mühe hat, soll auch den Gewinn haben.< Da meinte der alte Rabe: >Das ist aber noch kein triftiger Grund, die Ehe aufzulösen.<Der junge hinwieder behauptete: >Im Gegenteil ist dies freilich ein rechter Grund.<Deshalb haben die drei Vögel Euch zum Richter über ihre Streitfrage eingesetzt, und sobald Ihr das Urteil gefällt habt, werden sie für immer fortgehen.«

Auf dies hin gab der König seinen Rechtsspruch und urteilte, daß



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das Weibchen dem jungen Raben gehören müsse, weil er es in den Zeiten der Teuerung und Not aufgenommen habe. Kaum hatten die Vögel dies Urteil vernommen, so flog der junge Rabe samt dem Weibchen mit Freudengeschrei nach der einen Seite von dannen, und der alte Rabe schwang sich allein sogleich nach der andern Seite auf und davon.

Darauf gab der König dem Jüngling seine Tochter zur Frau und schenkte ihm die Hälfte seines Reiches. Und der junge Mann machte seinem Pflegevater kostbare Geschenke. Nicht lange danach starb der alte König, und so wurde der junge Herr sein Nachfolger auf dem Thron.

Es kam aber über das Land, wo sein Vater und seine Mutter wohnten, eine große Teuerung und Hungersnot, weshalb die Eltern von dort auswanderten und in das Reich zogen, in dem ihr Sohn wohnte. Und als der junge König eines Tages ausritt, erblickte er seine Eltern, wie sie, Almosen bettelnd, von Tür zu Tür gingen, denn sie waren gänzlich verarmt. Er erkannte sie sogleich und sandte zwei Boten aus, die sich merken sollten, wo die beiden Alten über Nacht blieben, und sie fanden sie in einer Herberge. Da schickte der König Diener hin und ließ die Eltern und den Wirt und seine ganze Familie zu sich aufs Schloß laden. Sie erschienen im Palast und standen furchtsam vor ihm, und als der König zur Tafel ging, befahl er, man möge ihm das Wasser zum Händewaschen reichen. Und sogleich brachte ihm der Vater das Wasser, und die Mutter hielt ihm das Handtuch hin, und beide wollten ihm bereitwillig dienen. Und der König erwies ihnen große Ehre, denn er hieß seinen Vater am Tisch Platz nehmen; darauf setzte er sich hin und neben ihm die Mutter, worüber sich alle wunderten. Dann sprach er ihnen zu und ermunterte sie, tüchtig zu essen. Die Mutter jedoch geriet innerlich ganz in Verwirrung, denn sie glaubte, ihren Sohn wiederzuerkennen; aber sie getraute sich nicht, etwas zu sagen, weil ihr Mann behauptete, er sei im Meer ertrunken.

Als das Essen zu Ende war, sprach der König zu seinem Vater: »Was meint Ihr, welche Strafe verdient einer, der seinen eigenen Sohn ins Meer geworfen hat, daß dieser ertrank?« — »Den Tod verdient so einer«, erwiderte der Vater. —»So hast du dir selber das Urteil gesprochen, denn was für einen Nachteil hast du davon gehabt, daß ich zu



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Ehren kam, oder welcher Schaden ist dir daraus erwachsen?« Und dann fügte er hinzu: »Siehe, ich bin's, dein Sohn, den du ins Meer geworfen hast!«

Und damit umarmte und küßte er seine Eltern und ließ ihnen schöne und kostbare Kleider bringen. Und alsdann sprach er: »Ich verzeihe dir deine Übeltat aus kindlicher Ehrfurcht und will, daß ihr beide Geheimschreiber und Berater meines Königreichs seid.«Und so geschah es auch.


Der goldene Adler

Der König von Aragonien hatte ein Töchterchen mit Namen Helena, das so jung, schön, liebenswürdig, wohigesittet und verständig war, wie man es sich nicht liebenswerter vorstellen konnte. Der Ruhm dieses edlen Wesens erleuchtete das ganze Land, und viele wackere Herren begehrten sie zur Frau; der Vater aber verweigerte sie allen und wollte sie nicht von sich lassen. Einmal erfuhr der Sohn des Kaisers, Arrighetto, von der Schönheit dieser Prinzessin und entflammte in Liebe zu ihr. Von Stund an hatte er keinen andern Gedanken als die Frage, wie er sie zur Frau bekommen könne, und verfiel rasch auf den folgenden Plan: Er hatte bei sich einen Goldschmied, den größten Meister, der sich finden ließ, und ließ sich von ihm einen prächtigen Adler anfertigen, der so groß war, daß ein Mensch darin stehen und sich verbergen konnte. Als nun dieser Adler fertig war, prächtig und meisterhaft, daß man ihn kaum beschreiben kann, gab er ihn dem Goldschmied, der ihn hergestellt hatte, mit den Worten: »Reise mit diesem Adler nach Aragonien, richte dort eine Bude ein mit deinen Kunstwerken auf dem Platz gegenüber vom Schloß, in dem die Königstochter wohnt, stelle den Adler täglich auf die Bank hinaus und sage, du wollest ihn verkaufen. Ich werde zur selben Zeit hinkommen. Tue also, was ich dir sage, und kümmere dich um nichts weiter.«

Der Goldschmied trug seine Arbeit weg, steckte viel Geld zu sich und zog nach Aragonien, woselbst er eine Bude gegenüber dem Königspalast errichtete, und setzte die Arbeit an seinem Meisterstück fort. An gewissen Tagen der Woche stellte er seinen Adler aus. Und



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die ganze Stadt lief herzu, das Werk anzusehen, so wunderbar und schön war dieses.

Eines Tages nun schaute die Königstochter zum Fenster hinaus, sah den Adler und ließ ihrem Vater sagen, sie möchte ihn gern als Schmuckstück besitzen. Der Vater ließ bei dem Meister wegen des Kaufpreises anfragen. Inzwischen war Arrighetto bereits angekommen und hielt sich insgeheim beim Goldschmied auf, der sich mit ihm über den Preis besprach. Da sagte Arrighetto zu dem Meister: »Gib zur Antwort, du mögest ihn nicht verkaufen, doch wenn er der Prinzessin gefalle, wollest du ihr ihn gern zum Geschenk machen.«

Also ging der Goldschmied zum König und sprach: »Mein Gebieter, ich möchte den Adler nicht verkaufen; aber wenn er Euch gefällt, so nehmt ihn bitte, ich mache Euch gern ein Geschenk damit.« Der König sprach: »So laßt ihn heraufbringen, wir werden dann schon miteinander einig werden.« Der Meister erwiderte: »Es soll geschehen.« Hernach kehrte er zu Arrighetto zurück und brachte ihm die Nachricht, der König wolle den Adler sehen. Da kroch Arrighetto alsbald in den Vogel hinein und nahm einige feine Eßwaren mit, die der Natur aufhelfen konnten, dann machte er den Vogel inwendig so zurecht, daß man ihn nach Belieben öffnen und schließen konnte, und endlich ließ er ihn vor den König bringen. Als dieser das schöne Stück sah, übergab er es seiner Tochter, und der Goldschmied stellte es in ihrem Schlafgemach neben dem Bett des Fräuleins auf.

Als das geschehen war, sprach er zu ihr: »Madonna, deckt das Schmuckstück mit nichts zu. Es ist nämlich aus einer Art Gold, das, sobald man es zudeckt, schwarz wird und seinen Glanz verliert.« Weiter setzte er noch hinzu: »Madonna, ich werde oft hierherkommen, um nach dem Kunstwerk zu sehen.« Das Fräulein entgegnete freimütig, daß ihr das ganz recht sei. So kehrte der Goldschmied zum König zurück und meldete ihm, der Vogel gefalle dem Fräulein sehr. »Und«, setzte er hinzu, »ich will machen, daß er ihr noch mehr gefällt, denn ich arbeite gerade an einer Krone, die der Adler auf dem Kopf tragen soll.« Dem König bereitete das große Freude. Er ließ eine Menge Geld herbeibringen und sprach: »Meister, bezahle dich selbst nach deinem Gutdünken.« —»Gnädiger Herr«, versetzte der Goldschmied, »ich bin schon bezahlt, da ich Eure Huld besitze.« Und so sehr ihm der König auch zuredete, konnte er ihm keinerlei



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Geld aufdrängen, denn dieser wiederholte immer: »Ich bin schon bezahlt.« Als aber in der Nacht die Prinzessin Helena im Bett lag und schlief, schlüpfte Arrighetto aus dem Vogel, schlich leise ans Bett, in dem die lag, die er mehr liebte als sich selber, und küßte sanft ihre weiße und rote Wange. Das Mädchen erwachte aus seinem Schlummer, hatte eine unsägliche Angst und fing an zu beten: »Salve regina misericordia.«Und zitternd rief sie nach Hilfe, während Arrighetto schleunigst in den Vogel zurückkehrte. Eine Kammerfrau stand auf und sagte: »Was wollt Ihr?« — »Ich habe einen gespürt«, rief die Prinzessin, »der mir das Gesicht berührte.« Nun durchsuchte die Kammerfrau das ganze Zimmer, sah und hörte aber nichts. Und weil sie nichts fand, kehrte sie wieder in ihr Bett zurück und dachte sich: >Sie hat sicher geträumt.<Nach einer Weile kam Arrighetto wieder ganz vorsichtig an ihr Bett, küßte sie mit vieler Zärtlichkeit und sprach leise: »Teure Seele, erschrick nicht!« Das Fräulein erwachte und stieß einen lauten Schrei aus. Die Kammerfrauen standen auf und sagten: »Was hast du? Wahrscheinlich hast du nichts als Träume.«Arrighetto hatte sich schnell wieder im Adler versteckt. Die Zofen untersuchten Tür und Fenster, fanden sie jedoch verschlossen, und da sie nichts sahen, buben sie an, die Prinzessin zu schelten, und sprachen: »Wenn du dich nochmals rührst, so sagen wir es deiner Hofmeisterin. Was sind das auch für Torheiten, daß du uns nicht willst schlafen lassen! Das ist schon eine schöne Sitte, in der Nacht zu schreien. Verhält dich jetzt ruhig und mach, daß du schläfst, damit wir auch schlafen können.« Da fürchtete sich das Mägdlein, und nach einer Weile, als es Arrighetto an der Zeit zu sein schien, kam er wieder aus seinem Vogel hervor, trat leise an das Bett und sagte: »Meine Helena, schrei nicht und hab keine Angst!« Sie fragte: »Wer bist du?« — »Ich bin der Sohn des Kaisers«, erwiderte dieser. »Wie bist du denn hier hereingekommen?« forschte sie weiter. »Das will ich dir sagen, verehrungswürdige Dame«, versetzte der andre. »Es ist schon lange Zeit her, daß ich mich in dich verliebte, weil ich deine Schönheit rühmen hörte. Und oftmals bin ich schon hergekommen, um dich zu sehen, aber umsonst. Und weil ich mir nicht anders zu helfen wußte, habe ich diesen Adler herstellen lassen, und in diesem bin ich hergekommen, nur um mit dir reden zu können. Und darum bitte ich dich, daß es dir gefallen möge, Erbarmen


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mit mir zu haben, weil ich auf Erden nichts Lieberes besitze als dich, und siehe, ich habe mein Leben aufs Spiel gesetzt um deinetwillen!«

Als das schöne Mädchen die holden Worte hörte, die Arrighetto zu ihr sagte, wandte sie sich zu ihm, umarmte ihn und sprach: »In Anbetracht dessen, was du um meinetwillen gewagt hast, wäre es eine große Schändlichkeit von mir, wenn ich mich dafür nicht dankbar zeigte. Darum bin ich einverstanden, daß du mit mir verfahrest nach deinem Willen. Zuvor aber möchte ich doch wissen, wie du aussiehst. Darum kehre an deinen Ort zurück und sei ohne Sorgen, denn morgen will ich tun, als wünschte ich zu schlafen, und die Kammertür schließen. Dann bleibe ich allein, und dann können wir einander sehen und ausführlicher miteinander reden.«

Arrighetto gab ihr zur Antwort: »Madonna, und wenn ich jetzt sterben sollte, so bin ich doch froh, daß du mich zu deinem Diener angenommen hast. Doch möge es dir gefallen, mich zum Beweis dessen ein einziges Mal zu küssen.«

Das edle Fräulein küßte ihn anmutig, denn sie fühlte schon im Herzen Flammen der brennenden Liebe. Darauf kehrte Arrighetto in den Vogel zurück. Am folgenden Tag sagte das Fräulein, sie wolle schlafen, denn es schien ihr tausend Jahre zu dauern, bis sie endlich ihren Arrighetto sehen konnte. Sie schickte also die Kammerfrauen hinaus, verriegelte die Zimmertür und trat zu dem Vogel, aus dem Arrighetto alsbald hervorkam und sich vor ihren Füßen verneigte. Und als sie sah, wie rüstig und schön er war, fiel sie ihm um den Hals, und er schloß sie in seine Arme: »Jetzt bin ich«, sprach er, »der glücklichste Mensch auf der Welt, denn nun wird mir die Freude zuteil, nach der ich mich so lange Zeit gesehnt habe.«

Alsdann erzählte er ihr seine ganze Abstammung und wer er war und schenkte ihr so süße und holde Worte, daß sie duftigen Veilchen glichen, vermischt mit innigen Küssen. Ich kann das Liebesglück nicht schildern, das sie miteinander erlebten. Und auf diese Weise blieben sie mehrere Tage und Nächte beisammen. Das Fräulein versorgte ihn unterdessen mit Süßigkeiten und Weinen, daß er sich im Himmel glaubte. Auch kam der Goldschmied häufig, um nach dem Adler zu schauen, und fragte jeweils den Prinzen, ob er nichts wünsche; dieser antwortete aber jedesmal: »Nein.«

Eines Tages jedoch sagte Arrighetto zu der Dame: »Ich wünsche,



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daß wir zusammen nach Deutschland gehen in unser Haus.« — »Mein lieber Arrighetto«, erwiderte die Frau, »ich bin zufrieden mit dem, was dir gefällt.« Da entgegnete der Prinz: »So will ich weggehen und mit einem Schiff in die Nähe jener Burg am Meeresufer fahren, die deinem Vater gehört. Dort will ich in einer bestimmten Nacht auf dich warten. Dann mußt du zu deinem Vater sagen, du wolltest spazierengehen, um die Meeresküste zu sehen. Alsdann erwartest du mich in dem genannten Schloß. Ich komme in der Nacht dorthin, hole dich auf mein Schiff, und wir reisen von dannen.« Die Frau sprach: »So sei es.«Danach ließ sie den Goldschmied rufen und sprach zu ihm: »Trag diesen Adler weg und mach mir die Krone darauf, so daß sie fertig ist, bis ich wiederkomme.« Der Meister sprach: »Wenn der König es will, bin ich einverstanden«, und die Prinzessin sprach: »Tu, was ich dir sage.«Und der Goldschmied ließ den Vogel wieder in seine Werkstatt bringen. Als es dann Zeit war, schlüpfte Arrighetto heraus, nahm Abschied von dem Meister und zog heimlich fort in sein Land. Dort gab er Befehl, ein schönes Schiff auszurüsten samt einigen bewaffneten Galeeren, die zu dessen Verteidigung dienen sollten. Damit stach er in See und fuhr an die Meeresburg des Königs von Aragon, wie sie verabredet hatten.

Unterdessen sagte das Fräulein zu ihrem Vater: »Lieber Vater, ich möchte gern an den Hafenplatz gehen, um den Meeresstrand zu sehen, und einige Tage auf Eurer Burg daselbst zubringen.« Der Vater war es zufrieden und ließ ihr zur Gesellschaft viele Damen und Fräulein mitgeben, damit sie am Meer mit ihr spazierengingen. Also begab sich die Prinzessin mit ihrem Gefolge auf die Burg und wartete mit großer Freude auf Arrighetto, indem sie Gott bat, er möge bald kommen. Den ganzen Tag schaute sie nun auf das Meer hinaus, ob sie sein Schiff nicht sehe. In einer Nacht aber, zur bezeichneten Stunde, kam Arrighetto unten an der Burg an. Die Frau stieg alsbald zu ihm hinunter und umarmte ihn, und unverweilt bestiegen sie das Schiff, spannten die Segel auf und fuhren mit Gottes Hilfe von hinnen, und Arrighetto brachte sie in seine Heimat.

Als man am andern Morgen die Prinzessin nicht fand, entstand ein großer Lärm, und es wurde dem König gemeldet, es seien Seeräuber in die Nähe der Burg gekommen und hätten seine Tochter entführt. Der König war darüber schwer betrübt, denn er hielt seine Tochter



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für verloren. Und da er von dem wirklichen Sachverhalt nichts wußte, schickte er einen seiner Söhne aus und sprach zu ihm: »Ich befehle dir bei Todesstrafe, nicht eher zu mir zurückzukehren, bis du erfahren hast, wo sie ist und wer sie geraubt hat.«

Der Bruder begab sich auf See, folgte jenem Schiff nach und hörte und erfuhr, daß sie des Kaisers Sohn mitgenommen habe. Und sobald er sich dieser Tatsache vergewissert hatte, kehrte er zum Vater zurück und berichtete ihm, der Sohn des Kaisers sei in eigener Person hergekommen und habe sie gestohlen. Da machte der König große Heeresausrüstungen, um auszuziehen und den Feind in Deutschland selber zu befehden. Und er bot dazu auf die Könige von Frankreich, von Engelland, von Navarra und der Insel Majolica, den König von Schottland, von Kastilien und dem Land Portugal nebst vielen andern Herren und Fürstlichkeiten des Abendlandes. Als nun der Kaiser von den Rüstungen hörte, die jener machte, um ihn zu bekriegen, tat er ein gleiches und bot auf den König von Ungarn, den Herrn von Böhmen und außerdem viele Markgrafen, Grafen und Edle von Deutschland. Die beiden Heere trafen in der Nähe einer Stadt aufeinander, die Wien heißt, und es entspann sich ein erbitterter Kampf, in dem viele mächtige Herren den Tod fanden und wobei auch Arrighetto verwundet wurde.

Als aber der Papst von den großen Heeresmächten vernahm, die beide Parteien aufgeboten hatten, schickte er zwei Kardinäle, um sie zu versöhnen. Diesen gelang es nach vielen Bemühungen und unter Androhung des Kirchenbannes, endlich Frieden zu stiften, worauf Herr Arrighetto die entführte Prinzessin von Aragonien zur Frau bekam, während der Sohn des Königs von Aragon sich mit der Tochter des Kaisers, Arrighettos Schwester, vermählte. Und als sie einander verziehen und Friede und Verwandtschaft geschlossen hatten durch Vermittlung der beiden Kardinäle, verabschiedeten sie sich mit großer Freude und Zufriedenheit, und jeder kehrte beruhigt in sein Land zurück.



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Der schlaue Bauersmann

Im Dorf Gelb in der Toskana lebte einst ein armer Bauer namens Campriano. Der sprach eines Tages zu sich selbst: >Was soll ich anfangen bei meiner Armut? Sechs Töchter habe ich, die heiraten möchten, und doch besitze ich gar nichts, um ihnen eine Aussteuer geben zu können. Zudem erwartet meine Frau ein Kindlein. Ich habe nichts als diesen Esel und die fünf Lire, die meinem Gutsherrn gehören. Nun gut, es mag gehen, wie es will, ich muß schauen, wie ich etwas verdienen kann. Ich will mit meinem Eselchen zum Markt gehen, vielleicht, daß ich einen guten Handel machen kann. Die fünf Lire, die ich für meinen Herrn aufgehoben habe, will ich meinem Tier zu fressen geben.<

Und so tat er denn. Wie er auf den Markt ritt, begegnete er einigen Kaufleuten und knüpfte mit denen ein Gespräch an, wobei er ihnen erzählte: »Seht, diesen Esel da will ich auf dem Markt verkaufen, denn er hat mir so viel Kupfer- und Silberstücke gemacht, daß ich es überdrüssig geworden bin.« Da lachten die Kaufleute heimlich über ihn und meinten, er sei närrisch geworden. Aber in diesem Augenblick ließ der Esel alles Geld, das er im Leib hatte, fallen. Da sprachen die Kaufleute zum Bauern: »Lies doch das Geld auf, das dein Tier hat fallen lassen.« — »Ach«, entgegnete Campriano, »ich bin ganz erschöpft vom ewigen Aufheben. Ich habe das ganze Haus voller Geldstücke und dazu noch einen großen Bottich. Ich will das Tier verkaufen oder sonst verhandeln, denn meine Frau und Töchter haben den Esel satt, und niemand mag ihn mehr zu Hause dulden.« Die Kaufleute flüsterten einander ins Ohr und kamen überein, den Esel zu kaufen. Sie fragten daher den Eselstreiber: »Was soll dieses Tier kosten?« Und Campriano sprach: »Fünfzig Dukaten, denn in drei Tagen hat sie euch der Esel schon zurückverdient.« Das schien den beiden etwas zu teuer, und sie fragten: »Hat das Tier keinen Fehler?« —»Ihr werdet's gleich sehen«, versicherte Campriano, »ich will ihn galoppieren lassen, und ihr dürft ihm auch ins Maul schauen, dann könnt ihr euch überzeugen, daß er weder blind ist noch ein Hinkebein. Er ist auch weit mehr als hundert Dukaten wert, und wenn ich nicht längst schon das ganze Haus voll Geld hätte, gäbe ich ihn nicht her, selbst wenn ihr mir die schöne Stadt Siena drum



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gäbet.«Sie kauften ihm also den Esel ab, zahlten ihm sofort die fünfzig Dukaten aus, und der Bauer ging vergnügt damit nach Hause. Als er heimkam, sagte er zu seiner Frau: »Nun gilt es, einen Sack voll List und Schlauheit anzuwenden. Denk dir, ich habe den Esel an einige Kaufleute verkauft und ihnen einen Bären aufgebunden; ich fürchte nur, daß sie mir das Tier wiederbringen, und wenn wir der Gefahr entrinnen wollen, so höre, was ich dir für einen Rat gebe. Steh morgen in aller Frühe auf, bereite zwei Kapaune zu, den einen gesotten, den andern gebraten, und mach, wenn ich heimkomme und an die Tür klopfe, daß sie gekocht sind, denn ich will jene zwei Tölpel zum Essen einladen. Und sobald ich an der Tür bin, stelle den Kochtopf mitten ins Haus, als koche er im Schatten ohne Feuer. Ich will sehen, ob ich diesen Kaufleuten nicht auch noch den Kochtopf verkaufen kann. Sei klug also, und wenn sie kommen, dann schick sie zu mir in den Weinberg!«

Indessen führten jene Kaufleute den vermeintlichen Geldesel in ihr Haus, legten zwei schöne weiße Leintücher unter, gingen dann zu Bett und erwarteten voll Ungeduld den Morgen. Dann, als der Tag graute, nahmen sie einen Sack und gingen in das Ställchen. Aber als sie nachschauten, waren es keine Geldstücke, die auf dem Tuch lagen, und voll Wut schrien sie: »Dieser Schurke hat uns betrogen! Das soll er mit dem Tode büßen und uns das Geld zurückgeben!« Sogleich machten sie sich auf den Weg, um den Bauern umzubringen.

Campriano war inzwischen mit Spaten, Hacke und Karst in den Weinberg gegangen. Auch hatte er zwei gleiche Kaninchen. Von denen ließ er eins zu Hause, das andere nahm er in der Kapuze seines Mantels mit, denn er hatte bereits wieder eine List ersonnen, um den beiden einen neuen Streich zu spielen. Kaum hatten ihn die Kaufleute im Feld erblickt, so kamen sie pfeilgeschwind und zornglühend auf ihn zu, ohne ihn zu begrüßen. »Guten Tag«, sagte Campriano, »was führt euch her mit solcher Eile und Ungestüm?« —»Du elender Spitzbube, du hast uns betrogen und willst uns schmeicheln! Gib uns das Geld zurück, das wir dir gaben, und nimm deinen Dreckesel wieder zu dir.« —»Wenn ihr weiter keinen andern Zorn habt als den, so beruhigt euch nur; euer Geld will ich euch sogleich wiedergeben, aber zuerst sollt ihr bei mir zu Mittag essen.«



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Dann nahm er das Kaninchen aus der Kapuze hervor und sprach zu ihm, daß sie es mit ansehen und hören konnten: »Geh, laufe zu Lise und sag ihr, sie soll sogleich zwei Kapaune töten, den einen sieden und den andern braten. Und sag ihr auch, daß ich zwei Kaufleute als Gäste zum Essen mitbringe; sie soll den Tisch auch hübsch decken und alles sauber herrichten, um allen Ehre zu bereiten!« Und damit ließ er das Kaninchen laufen. Aber dieses kehrte nicht heim, sondern sprang in den Wald und kam nicht wieder. Als der kleine Bote fortgegangen war, sagte Campriano: »Auf, laßt uns gleich zum Essen gehen!« Er nahm die Hacke auf die Schulter, stülpte die Kapuze über und seufzte: »Wenn wir nur schon zu Hause wären! Ich sterbe fast vor Hunger, und dann sollt ihr auch gleich euer Geld wiederhaben.« Die Kaufleute aber sagten kein Wort und waren neugierig, wie die Sache herauskomme.

Sie gelangten nach Hause. Campriano klopfte mit der Hacke an die Tür, und seine Frau nahm sofort den Kochkessel vom Feuer, stellte ihn mitten auf den Boden, versteckte blitzschnell das Kohlenbecken, rief dann: »Wer ist da?« und öffnete die Haustür. Campriano trat mit seinen zwei Gästen in die große Stube, wo der Kochtopf mitten auf dem Boden stand und das Essen darin kochte. »Nun, ist der Braten gar geworden? Wir haben ordentlich Hunger.« — »Ja freilich«, erwiderte die Frau. In diesem Augenblick hüpfte das andere Kaninchen aus einer Bettlade heraus. Die Kaufleute sahen dies und sagten zueinander: »Wir wollen ihm das Leben lassen, und auch das Geld soll er für sich behalten, dafür aber muß er uns jenen Kochtopf verkaufen, der dort so stark siedet, und jenes Kaninchen, und ohne das gehen wir nicht aus dem Haus fort; doch wollen wir ihm erst nachher davon sprechen.« Der Bauer sagte: »Nun wollen wir essen, und nachher sollt ihr euer Geld bekommen.« Also setzten sie sich zu Tisch. Der bestand aus einer Truhe, und sie mußten auf dem Boden sitzen. Auch gab's da kein Tischtuch oder Servietten, und die Gläser waren irdene Näpfe. Trotz alledem ließen sie sich den Kapaunbraten wohl schmecken. Sie aßen und tranken, wie's die Bauern machen, nämlich den Mund voll und auch beide Hände. Und nachdem sie die Hühner verzehrt hatten, sagte einer der Kaufleute: »Was ich nun sage, darfst du uns nicht übelnehmen.« Campriano versprach es. Dann fuhr der andere fort: »Den Kochtopf dort, den mußt du uns



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verkaufen; und auch jenes Kaninchen möchten wir gern als Laufburschen behalten. «

Campriano lachte das Herz vor innerem Vergnügen, und er antwortete ihnen mit freundlichen Worten: »Mein ehrbarer und liebwerter Kaufmann. Das kannst du mir nicht einmal mit einem Florin bezahlen! Für den Kochtopf muß ich dreißig Dukaten haben, denn schon am Holz allein kann er's ersparen. Und dann besitzt er noch eine Tugend: Man braucht fast kein Salz, und dadurch läßt sich wiederum eine große Ersparnis machen. Das Kaninchen hier hat mir lange Zeit als Bote gedient. Es ist früher bei meinem Großvater und Urgroßvater gewesen, es besitzt eine besondere Gnade: Es wird nie alt und bleibt immer jung. Für sechzig Dukaten will ich dir beide lassen, aber nicht um einen Batzen kann ich es billiger geben.« Also wurden sie über diesen Preis einig, zahlten ihm sechzig Dukaten und zogen mit ihrem Kochtopf und dem Kaninchen hochbeglückt nach Hause, wo sie ihren Frauen erzählten, was für einen seltenen Fang sie gemacht hatten.

Campriano jedoch war inzwischen in tausend Ängsten, sein Betrug könnte ihm diesmal übel bekommen. Seine Frau jedoch tröstete ihn mit den Worten: »Du brauchst keine Angst zu haben, wenn sie mit dem Kochtopf und dem Kaninchen wieder zurückkommen. Hör, was mir für ein Gedanke gekommen ist! Wir haben doch dort oben jene verrostete Trompete, die seit Monaten schon hier hängt. Wenn die Leute nun kommen, sagst du, ich hätte sie betrogen, und tust dann, als wärest du schwer erzürnt gegen mich. Du nimmst den Dolch und durchbohrst die Blase voll Blut, die ich am Hals versteckt habe, und ich gebärde mich, als wäre ich getötet worden. Dann kannst du mich mit jener Trompete wieder aufwecken; ich werde ihnen ein Märchen erzählen, daß ich in einem Grab gewesen sei, und dann werden sie Lust bekommen, die Trompete von dir zu kaufen, weil man damit die Toten auferwecken könnte.«So sprach die kluge Frau. Es ist doch manchmal gut, eine Frau zu haben, denn sie kann uns bisweilen einen guten Rat geben. —Also stellten sie das Nötige dazu bereit und warteten frohgemut auf die Kaufleute. Diese hatten — um die Probe zu machen -ihren Frauen das schönste Stück Ochsenfleisch geschickt, um es im Kochtopf zu sieden, und sie warteten auf dem Feld, bis das Kaninchen komme, sie zum Mittagessen zu



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rufen. Sie warteten und warteten, aber das Kaninchen kam nicht, obwohl es die Frauen zu ihnen geschickt hatten. Es war in den Wald entlaufen. »Hat uns der Mensch am Ende wieder zum Narren gehabt?« meinte der eine. »Gewiß ist's wieder ein Schwindel«, versetzte darauf der andere. Sie machten sich auf den Weg nach Hause, ob sie vielleicht doch noch dem Kaninchen begegneten. Unter solchen Gesprächen kamen sie heim, traten ein, ohne anzuklopfen, und freuten sich schon auf das feine Mittagessen. Aber die Frauen riefen: »Es ist noch nicht gekocht.« Da schlugen sie die Hände zusammen und sagten: »So hat er uns richtig nach Cordova geschickt, dieser Gauner. Aber wart nur, der soll es büßen; noch heut gehn wir hin und schlagen ihm den Schädel ein!«

Und voller Wut liefen sie zu ihm: »Du trauriger Schwindler, du nichtsnutziger Tölpel, sofort gib uns das Geld zurück, sonst geht's dir an den Kragen! Du sollst lernen, ein andermal nicht mehr zu betrügen.« —»Ich habe noch nie jemanden betrogen«, erwiderte Campriano, »und am wenigsten solch biedere Leute, wie ihr seid.« — »Freilich, mit dem Esel, dem Kochtopf und dem Kaninchen. Genauso, wie das Fleisch in den Topf gelegt wurde, so hat es meine Frau wieder herausgenommen. Und das Kaninchen ist davongelaufen. Schnell, gibt das Geld zurück, wenn dir dein Kopf lieb ist!« Jetzt erkannte Campriano die Gefahr, sprach aber begütigend: »Ober das Kaninchen müßt ihr euch nicht wundern, wenn es anderswohin gelaufen ist. Warum habt ihr ihm den Weg nicht gezeigt, auf dem es wieder hätte zurückkommen können? Und dann, wenn das Fleisch nicht gekocht wurde, so hat meine Frau euch vielleicht den unrichtigen Topf gegeben! Wartet ein Weilchen, ich will sie fragen, ob sie euch getäuscht hat. Und wenn das der Fall ist, so will ich ihr zeigen, wie sehr ich darob erzürnt bin. Lisa, komm herunter! Mit diesem Stock werf ich dich die Treppe hinab, wenn ich dich erwische. Du wirst deinen Campriano schon kennen!« — »Was Teufels ist da los, was soll ich angestellt haben?« rief sie erzürnt herab. »So sag, was für einen Topf hast du diesen Kaufleuten da gegeben?« —»Mein lieber Mann, ich will dir die Wahrheit bekennen. Als ich den Zaubertopf waschen wollte, ging er mir in die Brüche. Ach Gott! Und um deinen Schlägen zu entgehen, hab ich den Kaufleuten jenen andern gegeben, den sie dir zurückbringen. Aber ich bitte dich, hab



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Erbarmen mit mir!« —»So, ist das die Ehre, die du mir antust, du Nichtsnutz! Wart nur, das sollst du noch heute büßen!« —»Mach, wie du willst, aber den Topf findest du nicht mehr, und wenn du mir deshalb auch Schläge gibst.« Campriano schrie: »Bist du noch nicht still?«sprang ihr nach und durchbohrte die Blase mit dem Blut. Da warf sich die Frau zu Boden und tat, als wenn sie sterben würde. Als das die Kaufleute sahen, sagten sie zueinander: »Jetzt siehst du, daß Campriano nicht betrügt. Aber ich möchte nicht, daß diese Frau unseretwegen den Tod erleiden soll.« Aber Campriano beruhigte die beiden und sprach: »Wenn ihr wollt, so will ich sie wieder auferwecken und ihr euch zuliebe verzeihen.«

»Wie, auferwecken? Bist du etwa Christus oder Sankt Petrus, der die Toten auferweckte?« — »Ich bin weder Christus noch Sankt Petrus; und dennoch wirst du ein Wunder erleben, sobald du die Trompete blasen hörst, die dort hängt.« Und mit diesen Worten nahm er sie von der Wand. Voller Erstaunen schauten die Kaufleute einander an, und der eine sprach zum andern: »Wenn er die Toten auferweckt mit dieser Trompete, so will ich ihm unter allen Umständen das Ding abkaufen. Kann man damit die Toten aus dem Grabe holen?« Da sprach Campriano: »Wenn der Sohn Gottes kommen wird, uns zur Auferstehung zu rufen, so wird's dem einen Freude bringen, dem andern Trübsal. Adam verfertigte diese Trompete mit eigener Hand, mit ihr erwecken wir jeden Toten wieder.« Da sprach einer der Kaufleute: »Das möchte ich gern sehen.«

Und Campriano hub an, mächtig zu blasen. Da richtete sich die Frau auf und tat, als wäre sie aus dem Grab auferstanden, und nachdem sie wieder zu sich gekommen war, begann sie zu erzählen, als wäre sie in der Hölle gewesen: »Ich habe in der Hölle den Teufel gesehen und Versiera, die Frau des Satans. Und wie der Wurm den Kohlkopf, so zernagten sie alle meinen Leib. Ich wollte fliehen und rief Sankt Paulus um Hilfe und kam doch immer tiefer hinab, wo Schlangen, Kröten, Taranteln und Eidechsen in solcher Unmenge hausen, daß tausend Karren sie nicht hätten fortführen können. Sobald ich dann den himmlischen Klang dieser Trompete vernahm, verließ mich der Teufel, und es war, als wenn meine Seele Flügel nähme, mit solcher Eile kehrte sie zurück, um in der sterblichen Hülle meines Leibes wieder Wohnung zu nehmen. Allezeit werde



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ich meine Fehler bereuen, denn die Hölle ist bitterer als Wermut.«

Als das die beiden Kaufleute gehört hatten, wünschten sie um jeden Preis, ihm die Trompete abzukaufen, und Campriano überließ sie ihnen für fünfzig Dukaten, worauf sie freudestrahlend heimkehrten. Unterwegs sprach der eine: »Sobald ich nach Hause komme, wollen wir die Trompete erproben. Ich bringe meine Frau um und du die deine, und dann wollen wir sie beide wieder vom Tod erwecken.«

Das vollführten sie auch, und als die beiden Frauen keinen Atemzug mehr taten, fingen ihre Männer an, gewaltig die Trompete zu blasen, aber die Frauen erwachten nicht mehr, sooft auch die Kaufleute den Versuch wiederholten. Das war für sie eine furchtbare Enttäuschung. Sie mußten in aller Eile die toten Frauen in dunkler Nacht heimlich begraben. Aber jetzt sollte auch Campriano dran glauben. Sie beratschlagten, wie sie das anstellen wollten, und der eine sprach: »Wir gehen in sein Haus, nehmen ihn und stecken ihn in einen Sack. Dann gehen wir bei Nachtzeit zum großen Fluß hinab auf jene hohe Brücke, die über eine tiefe Schlucht führt, und dort werfen wir den Sack hinab. So wird er die Strafe für seine Ubeltaten finden.«

Und darauf nahmen sie einen großen Sack und machten sich auf nach seinem Haus. Es mochte schon neun Uhr abends sein, als sie hinkamen und auf ihn lauerten. Campriano trat eben aus dem Haus. Sie fielen mit großer Wut über ihn her, banden ihn und steckten ihn in ihren Sack. Dann nahm ihn der eine auf die Schulter und trug ihn hinab in die Felsenschlucht. Campriano konnte kein Wort hervorbringen, er war vor Schrecken wie gelähmt. Aber nun seht, wie ihm der liebe Gott in dieser Not half. Er bewirkte, daß die Kaufleute einen großen Durst bekamen. Und der eine hub zu reden an: »Wir müssen diesen Sack eine Weile hinstellen und steigen dort auf jenen Hügel hinauf, denn es sprudelt eine Quelle mit klarem Wasser dort. Da können wir trinken, bis wir unseren Durst gelöscht haben.« Also legten sie den Sack auf die Wiese und stiegen zur Quelle hinan auf halber Höhe des Berges.

Es kam aber an der Stelle, wo Campriano im Sack lag, ein Schäfer vorbeigezogen, der mit seiner Herde gegen die Maremma zog. Campriano hörte ihn und rief, so laut er konnte: »Lieber Bruder, ich will sie nicht, denn eine solche Perle paßt nicht für mich.« Da



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sprach der Schäfer: »Wer ist da unten? Was ist das, was du nicht willst, du da?« — »Lieber Bruder, ich will dir mein ganzes Unglück erzählen. Es sind aus Spanien zwei Kaufleute gekommen, die sagten, sie kämen auf göttliche Fügung hin, auch stehe es in gewissen Sternen geschrieben, und es sei der Wille bestimmter Heiliger, daß ich mit der Königstochter von Spanien vermählt werde, aber ich bin solche Pracht und Herrlichkeit nicht gewohnt. Nun wollen sie mich mit Gewalt nach Spanien führen, und sie sind dort hinaufgegangen, um Wasser zu trinken.«

Da sprach der Schäfer: »Du bist sicherlich verrückt, daß du ein derartiges Glück ausschlägst. Wenn du willst, so schlüpfe ich in den Sack, und ich verspreche dir, daß ich dich eines Tages zu einem reichen Mann mache.«Campriano rief: »So laß mich sofort heraus!« Das tat der Schäfer. Er überließ ihm seine Herde, gab ihm sechs Florin in Gold und sechs in Kupferstücken, ließ sich alsdann in den Sack sperren, und Campriano band ihn fest zu. Der Schäfer aber verhielt sich mäuschenstill. Unterdessen zog Campriano mit seiner Herde von dannen, nicht anders wie der altrömische Rinderhirt Cacus. Bald darauf kamen die Kaufleute von der Quelle zurück, luden den Sack auf die Schulter, zogen zur Brücke hinab und warfen ihn in die Schlucht. Dann machten sie sich auf den Weg nach Hause.

Aber nun paßt wohl auf, was ihnen begegnete. Als sie zu einer Mühle kamen, trafen sie dort den Bauern Campriano, der mit der Herde heimwärts zog. Da bekreuzigten sie sich und fragten ihn, ob er nicht der Bauer Campriano sei. Und er erwiderte mit fröhlicher Miene: »Jawohl, der bin ich. Seht ihr mich nicht? Ihr habt geglaubt, ihr hättet mir gründlich den Garaus gemacht, aber da habt ihr euch geirrt wie der Ochse am Berg. Ihr habt mich in jenen Fluß hinabgeworfen, aber denkt euch: Es gibt kein schöneres Land als das dort unten in der tiefen Schlucht. Das schien mir wahrlich wie eine andere Welt. Ich stieg hinunter und trat in einen herrlichen Garten. Da sind die Weinreben mit Würsten angebunden. Auch fließt ein Fluß vorüber voll köstlichen Weines. Da hab ich mich einmal tüchtig vollgetrunken. Und gebratene Hühner und Kapaune laufen dort herum. Die Berge sind von geriebenem Käse. Und eine Frau steht dabei, die bereitet Makkaronen. Da unten gibt es große Bissen zu essen. Und oben auf jedem Pfahl der Weinreben liegt ein gebratener Krammetsvogel



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oder eine Drossel mit einer süßen Orange unter ihren Füßen. Auch ist dort, wenn ich mich recht erinnere, ein prächtiges Kristallglas voll Malvasierwein. Und die Betten sind aus feinstem Flaum, daß ich eine Zeitlang ganz weg war von Entzücken. Kastanien- und Maiskuchen, Torten und Marzipanstengel, Pinienkuchen, auf seltene Art bereitet, gibt es da. Ferner sind viele liebreizende Mädchen in diesem Land, die sich immer lustig und vergnügt die Zeit vertreiben. Schönere hast du gewiß kaum je gesehen. Sie setzen euch in Verwunderung mit ihrem Haarschmuck und den hübschen Röcklein, die sie dortzulande tragen. Mit Küssen und Liebkosungen wissen sie dir so gut zu schmeicheln, daß man ein Jahr lang dort bleiben und nicht mehr fortgehen möchte. Sobald du hinkommst, waschen sie dir die Füße mit einem wohlriechenden, kostbaren Wasser. Und dann stehst du auf und setzest dich zu Tisch, und sie tragen feinen Zwieback auf, Turteltauben und Wachteln, Kapaunhühner, Rebhühner und große Tauben. All das kriegst du in Fülle und brauchst nicht mal dafür zu zahlen. An strengen Fasttagen wie Freitag und Samstag gibt's Störfische, so lang wie große Altarkerzen. Die sind in Gelatine zubereitet. Auf den Feldweglein sieht man Kräuterkuchen springen. Die Zuber sind mit frischen Eiern angefüllt. Und Schleien, Hechte, Meeräschen und Lampretfische sowie andere gekochte Fischsorten sieht man da in Menge. Ich ging aber fort, und als ich aus der Schlucht herauswollte, gab man mir zehn Dukaten zum Geschenk, denn das ist dort so üblich, jedem so viel zu geben, der in den Fluß geworfen wird. Überdies bekam ich diese hundert Stück Schafe samt der Wolle. Die führe ich jetzt nach Hause und kehre hernach wieder dorthin zurück, damit ich einmal acht Tage lang mich des Lebens freuen kann.«

Jetzt knieten die Kaufleute vor ihm nieder wie die drei Könige aus dem Morgenland und baten: »Wenn du uns könntest in jenes Land bringen, das, wie du sagst, so wunderlieblich ist, wie gern würden wir diese irdische Mühsal hergeben, um immerdar an diesem glückseligen Ort zu sein. Oh, wirf uns auch hinab in jenen Fluß, Garnpriano, damit auch wir ein wenig solche Wonnen kosten.«

»Nun, wenn es euch gefällt, will ich gleich mit euch zur Brücke gehen.« Dort band er sie beide mit einem Strick zusammen und warf sie in die Tiefe der Schlucht. Dann kehrte er mit seiner Herde nach



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Hause zurück, wo er mit seiner Frau und seinen Töchtern ein großes Fest feierte und nachher nie mehr Mangel leiden mußte. Drum muß man wie Campriano immer etwas Glück und einen guten Stern über sich haben, wenn man gut durch diese Welt kommen will.


Die Sirene des Meeres

An der Grenze der Lombardei lebte einmal ein Mann namens Bernio, der, wenn er auch nicht gerade wohlhabend war, doch an Geist und Gemüt andern keineswegs nachstand. Er nahm ein wackeres, hübsches Mädchen mit Namen Alchia zur Frau. Sie stammte zwar aus einer armen Familie, war aber dafür sehr klug und von rühmenswerten Sitten, und zudem liebte und schätzte sie ihren Mann als ihr höchstes Gut in dieser Welt. Sie hätten gar gerne Kinder gehabt, aber diese Gnade wurde ihnen von Gott nicht gewährt, denn meistens weiß der Mensch nicht recht, was er als das ihm Tauglichste vom Schicksal erbitten soll. Nachdem sie lange ein Kind ersehnt hatten und schließlich erkannten, daß ihnen das Glück nicht hold sein wollte, beschlossen sie, ein Kind anzunehmen und wie ein eigenes zu erziehen.

Sie gingen also eines Morgens früh an jenen Ort, wo die von ihren Eltern verlassenen kleinen Kinder ein Obdach finden, und sahen dort ein Knäblein, das ihnen schöner und lieblicher erschien als die übrigen. Dieses nahmen sie zu sich, erzogen es mit aller Sorgfalt und hielten es in guter Zucht. Nun geschah es aber, daß durch den Willen Gottes, der die Welt regiert und alles nach seinem Gutdünken lindert und mildert, Alchia doch noch ein Kindlein bekam, das ganz seinem Vater glich. Beide Eltern hatten darüber eine unglaubliche Freude und nannten ihr Kind Valentino. Der Knabe wuchs bei guter Pflege und sorgsamer Erziehung auf, war artig und folgsam und liebte seinen Bruder Fortunio so sehr, daß er sich beinahe zu Tode grämte, wenn er einmal ohne ihn war. Allein die Zwietracht, die Feindin alles Guten, konnte eine so innige Liebe nicht länger mit ansehen, trat eines Tages dazwischen und gab ihnen ihre bitteren Früchte zu kosten. Denn als sie einmal nach Kinderart miteinander spielten und allerlei Späße trieben, konnte es Valentino nicht leiden,



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daß ihm Fortunio im Spiel überlegen war, und er geriet in eine derartige Wut, daß er ihn mehrmals einen Bastard nannte. Fortunio war darüber höchst verwundert, und es ärgerte ihn sehr. »Was«, rief er aus, »ein Bastard bin ich?« Valentino fuhr fort zu schimpfen und wiederholte denselben Ausdruck noch einmal in seinem Zorn. Da verließ Fortunio über die Maßen betrübt das Spiel, ging zu seiner vermeintlichen Mutter und fragte sie in sanftem Ton, ob er nicht ihr und Bernios Sohn sei. »Freilich«, antwortete Alchia, und als sie erfuhr, daß ihn Valentino mit Schimpfworten beleidigt habe, drohte sie diesem ernstlich und schwur, ihn gehörig zu bestrafen. Allein Fortunio hatte durch Alchias Worte schon Verdacht geschöpft, ja es schien ihm gewiß, daß er ihr Sohn nicht sei, und er drang wiederholt in sie, es ihm doch zu sagen, denn er wollte durchaus die Wahrheit wissen.

Alchia mußte schließlich dem Ungestüm seiner Bitten nachgeben und gestand ihm, daß er nicht ihr leiblicher Sohn, sondern um Gottes willen und zur Buße von ihrer und ihres Mannes Fehler und Sünden an Kindes Statt aufgenommen worden sei. Diese Worte gingen dem Jüngling wie Dolchstiche ins Herz, und seine Betrübnis stieg aufs höchste. Er fühlte sich grenzenlos unglücklich und hätte sich beinahe ein Leid angetan. Dann aber beschloß er, sein Elternhaus zu verlassen und aufs Geratewohl in die Welt hinauszuziehen, um zu versuchen, ob ihm das Glück vielleicht irgendeinmal günstig sein werde. Als Alchia das erfuhr und sah, daß sie ihn auf keine Weise von seinem trotzigen Entschluß abbringen konnte, wurde sie so erzürnt über ihn, daß sie ihn verwünschte und Gott bat, er möge, falls er einmal übers Meer fahre, von der Sirene ebenso in die Tiefe gezogen werden wie die Schiffe von den sturmbewegten und tosenden Wellen des Meeres.

Fortunio, vom heftigen Drang seines Unwillens und der Gewalt seines Zornes getrieben, achtete nicht auf den mütterlichen Fluch, sondern reiste fort, ohne seinen Eltern Lebewohl zu sagen, und nahm seinen Weg nach Westen. Er wanderte bald durch Sümpfe und Täler, bald wieder über Berge und andere wilde und gebirgige Gegenden. Da kam er eines Morgens zwischen der sechsten und neunten Stunde in einen dichtbelaubten und undurchdringlichen Wald und traf, als er hineingegangen war, den Wolf, den Adler und die Ameise, die



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sich wegen eines erbeuteten Hirsches heftig stritten und über die Teilung nicht einig werden konnten. Wie nun die Tiere in diesem Streit begriffen waren und keines dem andern nachgeben wollte, kamen sie schließlich dahin überein, daß der Jüngling Fortunio, der gerade dazugekommen war, ihren Zwist entscheiden solle und jedem von ihnen den Teil der Beute zusprechen möge, der ihm am passendsten schiene. Damit waren sie zufrieden und versprachen einander, sich bei seinem Entscheid zu beruhigen und sich nicht dagegen aufzulehnen, sollte auch die Teilung ungerecht ausfallen.

Fortunio übernahm dieses Amt gern, und nachdem er sich zuerst die Eigenart der drei Tiere reiflich überlegt hatte, teilte er die Beute auf folgende Weise: Dem Wolf als einem gefräßigen und mit Zähnen wohlversehenen Geschöpf bestimmte er zum Lohn für seine Mühe sämtliche Knochen nebst dem mageren Fleisch. Dem Adler, der ein Raubvogel ist und keine Zähne hat, wies er als Entgelt die Eingeweide und das Fett zu, welches das Fleisch und die Knochen umgibt. Der Körner schleppenden und fleißigen Ameise, der jene Kraft fehlt, die Wolf und Adler besitzen, teilte er zum Preis für ihre Arbeit das zarte Gehirn zu.

Ein jedes war mit diesem wohlüberlegten Urteil zufrieden, und sie dankten ihm für die ihnen erwiesene Gefälligkeit, so gut sie konnten. Und weil der Undank eines der ärgsten Laster ist, beschlossen sie alle drei, ihn nicht eher weiterziehen zu lassen, als bis ihm jeder einzelne diesen Dienst aufs beste vergolten hätte. Da sprach der Wolf, um ihm seine Erkenntlichkeit für den Urteilsspruch zu beweisen: »Bruder, ich verleihe dir hiermit die Kraft, daß jedesmal, wenn du wünschest ein Wolf zu sein und sprichst: >Wär ich nur ein Wolf<, du augenblicklich zu einem Wolf verwandelt wirst, worauf du nach Belieben deine vorige Gestalt wieder annehmen kannst.« Und auf dieselbe Weise wurde er auch vom Adler und der Ameise belohnt, daß er sich auch in diese beiden Tiere verzaubern konnte.

Hocherfreut über das empfangene Geschenk sagte Fortunio ihnen dafür herzlichsten Dank und nahm von den Tieren Abschied. Er wanderte nun weiter und gelangte endlich nach Polonia, einer edlen und volkreichen Stadt, die damals der tapfere und mächtige König Odescalco regierte. Dieser hatte eine Tochter namens Doralice und hätte sie gern auf ehrenvolle Weise verheiratet. Er ließ deshalb ein



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Turnier ankündigen und nahm sich vor, die Prinzessin keinem andern zur Ehe zu geben als dem, der in dem Wettkampf Sieger bleibe. Viele Herzöge, Markgrafen und andere mächtige Herren waren von allen Seiten herbeigeeilt, den kostbaren Preis zu gewinnen. Schon war der erste Tag des Turniers vorüber, und ein garstiger und ungestalter Sarazene von wunderlichem Aussehen und einer Hautfarbe so schwarz wie Pech schien die Oberhand zu gewinnen.

Als die Königstochter die Häßlichkeit und Unsauberkeit des Sarazenen bemerkte, geriet sie in die größte Bestürzung bei dem Gedanken, dieser könne womöglich Sieger im Kampf werden. Traurig stützte sie ihre rosenfarbene Wange auf die zarte Hand, grämte sich über ihr hartes Schicksal und wünschte eher zu sterben, als die Gemahlin eines so häßlichen Sarazenen zu werden.

Fortunio war unterdessen in die Stadt gekommen, hatte die seltene Pracht und den Zulauf der Turnierteilnehmer gesehen und auch vernommen, was die Ursache einer solchen Festlichkeit sei. Es entbrannte in ihm ein glühendes Verlangen, auch im Turnier zu zeigen, was er zu leisten fähig war. Weil es ihm aber an allem gebrach, was ein Kämpfer benötigt, war er sehr traurig. Und wie er so betrübt dastand und die Augen zum Himmel aufschlug, erblickte er Doralice, die Tochter des Königs, die an einem reichgeschmückten Fenster saß, von vielen schönen und vornehmen Frauen umgeben, nicht anders als die strahlende Sonne unter den kleineren Sternen. Als dann die finstere Nacht gekommen und alles zur Ruhe gegangen war, zog sich Doralice traurig und ganz allein in ein reichgeschmücktes und schönes Zimmer zurück.

Und wie sie so einsam am offenen Fenster stand, erblickte Fortunio sie abermals und sprach zu sich selbst: >Ach, wär ich nur ein Adler!< Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, da wurde er auch schon zum Adler. Er flog zum Fenster hinein, verwandelte sich wieder in einen Menschen und stellte sich fröhlich und vergnügt der Prinzessin vor. Das Mädchen erschrak heftig bei seinem Anblick und fing an, so laut zu schreien, als würde sie von gierigen Hunden zerrissen. Der König, der sich nicht weit von der Tochter aufhielt, hörte ihr lautes Schreien, eilte zu ihr, und als er vernahm, daß ein Jüngling im Zimmer sei, durchsuchte er jeden Winkel. Er fand aber nichts und begab sich wieder zur Ruhe, denn Fortunio war schnell wieder zum Adler



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geworden und durchs Fenster entflohen. Kaum hatte sich der Vater niedergelegt, so hub die Prinzessin von neuem an zu schreien, denn der Jüngling stand wie das erstemal vor ihr.

Allein Fortunio, der für sein Leben fürchtete, verwandelte sich auf ihre Hilferufe hin alsbald in eine Ameise und verbarg sich in den goldblonden Zöpfen des Mädchens. Odescalco eilte wieder herbei, als er die Stimme seiner Tochter hörte, und als er niemanden sah, ward er sehr böse auf sie und drohte ihr, es solle ihr schlecht ergehen, wenn sie noch einmal schreie. Damit ging er zornig weg in der Meinung, sie habe im Traum einen jener Ritter gesehen, die aus Liebe für sie im Turnier getötet worden seien. Fortunio hatte des Vaters Worte wohl gehört, und kaum war dieser fort, so legte er seine Ameisenhülle wieder ab und erschien in seiner früheren schönen Gestalt wieder.

Sowie Doralice den Jüngling erblickte, wollte sie sogleich zum Bett hinausspringen und schreien. Aber sie konnte nicht, denn Fortunio verschloß ihr mit einer Hand den Mund und sagte: »Meine Herrin, ich bin nicht hierhergekommen, um Euch Ehre und Gut zu rauben, sondern um Euch zu trösten und Euer ergebenster Diener zu sein. Wenn Ihr wieder schreit, so wird entweder Euer ruhmvoller Name und Euer guter Ruf darunter leiden, oder Ihr werdet die Ursache von meinem und Eurem Tod. Und deshalb, o Herrin meines Herzens, bringt nicht zu gleicher Zeit Eure Ehre und unser beider Leben in Gefahr!«Während Fortunio diese Worte sprach, weinte Doralice und kränkte sich sehr, denn sie konnte diesen erschreckenden Überfall nicht überwinden. Aber der Jüngling redete ihr mit so süßen Worten zu, daß diese einen Berg hätte zerspalten können. Es gelang ihm endlich, ihren Widerwillen zu besiegen, und von seiner Anmut bezaubert, versöhnte sie sich mit ihm. Da sie nun sah, daß der Jüngling ein so schönes Aussehen und so kräftige und wohlgeformte Glieder hatte, mußte sie unwillkürlich an die Häßlichkeit des Sarazenen denken und wurde sehr betrübt, daß dieser Sieger im Turnier und dadurch Besitzer ihrer Person werden könnte. Sie war noch mit diesen Gedanken beschäftigt, als Fortunio zu ihr sagte: »Fräulein, hätte ich das Nötige dazu, wie gerne würde ich tjostieren, denn ich wäre gewiß, den Sieg zu erringen.« — »Wenn das geschähe«, erwiderte die Prinzessin, »so dürfte kein anderer als Ihr auf meine Hand



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Anspruch machen.« Als sie ihn nun ganz begeistert und vom besten Willen zu einem solchen Unternehmen beseelt sah, stattete sie ihn mit Geld und einer großen Menge Edelsteine aus. Voller Freuden empfing der Jüngling das Geld und die Juwelen und fragte sie, in welcher Kleidung er ihr am besten gefallen würde. »In weißer Atlasseide«, gab sie zur Antwort. Und wie sie es anordnete, so tat er auch.

Am folgenden Tag legte Fortunio eine funkelnde Rüstung an, zog einen Waffenrock von weißem Atlas mit reicher Stickerei in Gold und eingelegter Stoffverzierung darüber, bestieg ein starkes mutiges Roß, dessen Decke von der gleichen Farbe wie der Ritter war, und begab sich, ohne daß ihn jemand kannte, auf den Turnierplatz. Das Volk war schon zum glänzenden Schauspiel versammelt und sah den kühnen, unbekannten Ritter mit der Lanze in der Hand zum Turnier bereit. Alle betrachteten ihn voll Erstaunen, und ein jeder fragte: »Wer mag wohl der Unbekannte sein, der sich so anmutig und prächtig zum Turnier stellt?« Fortunio trat in die Schranken und gab seinem Gegner ein Zeichen, ebenfalls einzutreten. Beide legten die knorrigen Lanzen ein und sprengten wie zwei entfesselte Löwen aufeinander los. Und so gewaltig traf der Jüngling den Kopf des Sarazenen, daß dieser rücklings vom Pferde fiel und wie ein Glas, das man gegen eine Mauer wirft, tot auf dem Boden liegenblieb. Und so viele andere ihm an diesem Tag auch begegneten, es wurden alle von ihm mit Wucht zu Boden geworfen. Da war nun die Prinzessin froh und schaute ihm mit größter Aufmerksamkeit und Bewunderung zu. Auch dankte sie im stillen dem lieben Gott, daß er sie aus der drohenden Knechtschaft des Sarazenen befreit hatte, und bat den Allerhöchsten, er möge ihm die Siegespalme verleihen. Als die Nacht gekommen war und man Doralice zur Tafel rief, wollte sie nicht erscheinen. Sie gab vor, sie fühle noch keine Lust zum Essen, und ließ sich einige auserlesene Speisen und köstliche Weine bringen, damit sie, wenn sie Verlangen verspüre, später etwas genießen können.

Darauf schloß sie sich in ihr Zimmer ein, öffnete das Fenster und wartete auf ihren Geliebten mit inniger Sehnsucht. Er kam auch richtig wie in der vorigen Nacht, und so setzten sie sich beide fröhlichen Sinnes zur Mahlzeit. Dann fragte Fortunio, wie er sich morgen



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kleiden solle. »In grünen Atlas«, erwiderte sie, »ganz mit feinstem Silber und Gold bestickt, und ebenso die Decke des Pferdes.« Und das wurde alsbald am Morgen ins Werk gesetzt. Wieder erschien der Jüngling auf dem Platz, trat zur bestimmten Zeit in die Schranken, und wenn er tags zuvor seine Tapferkeit bewiesen hatte, so tat er an diesem Tag noch weit mehr, so daß ein jeder laut bestätigte, das schöne Königstöchterlein komme mit Recht ihm zu. Ganz überglücklich vor Freude bediente sich Doralice am Abend wieder desselben Vorwands wie in der vergangenen Nacht. Sie schloß sich in ihr Gemach ein, öffnete das Fenster und erwartete den tapferen Jüngling, worauf sie ungestört mit ihm speiste.

Und als er sie wiederum fragte, was für ein Gewand er am folgenden Tag anziehen solle, antwortete sie: »Eines von dunkelrotem Atlas, ringsum mit Gold und Perlen bestickt, und in gleicher Weise soll auch die Decke des Pferdes verziert sein, denn auch ich werde in dieser Art gekleidet sein.« —»Meine Gebieterin«, sprach Fortunio hierauf, »sollte ich morgen etwas später als sonst beim Turnier erscheinen, so wundert Euch nicht darüber, denn gewiß werde ich nicht ohne billigen Grund meine Ankunft verzögern.«

Als nun der dritte Tag und die zum Turnier bestimmte Stunde gekommen war, wartete das ganze Volk mit größter Freude auf den Beginn des Schauspiels; aber wegen der außerordentlichen Kraft des Unbekannten wagte es lange keiner von den kämpfenden Rittern, zu erscheinen. Und weil sich der Jüngling auch nirgends blicken ließ, entstand nicht nur beim Volk die größte Beunruhigung, sondern auch die Prinzessin geriet in bange Sorge, obwohl sie von der Verzögerung in Kenntnis gesetzt war. Deshalb sank sie, von Kummer übermannt, wie ohnmächtig nieder, ohne daß es freilich jemand bemerkte. Sobald sie aber vernahm, Fortunio nähere sich dem Kampfplatz, kehrten ihre verirrten Lebensgeister augenblicklich wieder zurück.

Diesmal erschien ihr Geliebter in ein herrliches, reiches Gewand gekleidet, und die Decke seines Pferdes war mit feinstem Gold, glänzenden Rubinen, Smaragden, Saphiren und großen Perlen geschmückt, welche nach allgemeinem Urteil ein ganzes Königreich wert waren. Sobald der wackere Kämpfer auf dem Platz anlangte, riefen alle mit lauter Stimme: »Es lebe der unbekannte Ritter!« und



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jubelten ihm mit langanhaltendem Beifall, Klatschen und Pfeifen zu. Er trat in die Schranken und erwies sich so tapfer, daß er alle in den Sand warf und im Kampfspiel glorreich den Sieg davontrug. Darauf stieg er von seinem wackeren Pferd herunter und wurde unter den Klängen schmetternder Trompeten und anderer Musikinstrumente sowie unter lautem Jubelgeschrei, das hoch in die Luft drang, von den Ersten und Vornehmsten der Stadt auf ihren Schultern zum König getragen. Dort legte er den Helm und die glänzende Rüstung ab, und der Landesherr sah einen schönen Jüngling vor sich. Da ließ er seine Tochter rufen und gab sie ihm vor allem Volk mit großer Feierlichkeit zur Gemahlin, und die Festlichkeiten bei Hofe dauerten einen ganzen Monat.

Nachdem Fortunio nun eine gewisse Zeit mit seiner geliebten Doralice verbracht hatte, schien es ihm unziemlich und verächtlich, stets im Müßiggang zu verbleiben und gleich wie die Taugenichtse und Toren nichts anderes zu tun, als die Stunden zu zählen. Und er beschloß denn, sich auf die Reise zu begeben und Gegenden auf zusuchen, in denen er seine große Tapferkeit am rechten Ort bewähren könne. Er rüstete also eine Galeere aus, belud sie mit vielen Schätzen, die der Schwiegervater ihm geschenkt hatte, nahm Abschied von ihm und seiner Gemahlin und stieg auf sein Segelschiff. Bei günstigem Wind fuhr er dahin und erreichte bald das Atlantische Meer. Er hatte jedoch kaum zehn Meilen auf dem Wasser zurückgelegt, als sich eine Sirene, die größte, die man jemals gesehen hatte, der Galeere näherte und bezaubernd zu singen anfing. Fortunio, der auf einer Seite des Schiffes lag und den Kopf über das Wasser hielt, um besser zu lauschen, schlief bei ihrem Gesang ein, und also schlafend wurde er von der Sirene in die Meeresflut hinabgezogen, worauf sie mit ihm unter den Wellen verschwand.

Die Schiffsleute, die ihm nicht schnell genug zu Hilfe kommen konnten, waren außer sich vor Schmerz, behängten das Fahrzeug mit schwarzen Tüchern, kehrten traurig und trostlos zum unglücklichen Odescalco zurück und erzählten ihm das furchtbare Ereignis, das sich auf dem Meer zugetragen hatte. Da verfielen der König und Doralice und mit ihnen die ganze Stadt in größte Betrübnis, und alles legte Trauerkleider an.

Als für Doralice bald darauf die Stunde gekommen war, schenkte



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ihr Gott einen sehr schönen Knaben, der unter liebevoller Pflege zum Alter von zwei Jahren heranwuchs. Und da sich nun die kummervolle, betrübte Doralice immer noch ihres geliebten Mannes beraubt sah und es für sie keine Hoffnung mehr gab, ihn wiederzusehen, beschloß sie in ihrer hohen und unerschrockenen Seele, obwohl der König nicht einwilligen wollte, sich auf gut Glück dem Meer anzuvertrauen und dort ihr Heil zu versuchen. Sie ließ also eine wohlausgerüstete und gutbewaffnete Galeere bereitmachen, nahm drei wunderbar gearbeitete Äpfel mit, von denen der erste aus Bronze, der zweite aus Silber und der dritte aus feinstem Gold war, sagte ihrem Vater Lebewohl und bestieg mit ihrem Knaben das Schiff.

Der Wind blies frisch in die Segel, und sie war bald auf dem offenen Meer. Als nun die trauernde Frau auf der weiten, ruhigen See dahinfuhr, befahl sie ihren Schiffsleuten, dorthin zu steuern, wo ihr Gemahl von der Sirene hinabgezogen worden war. Sie taten, wie ihnen geheißen. Doch sobald das Schiff zu jener Stelle gelangte, fing der Knabe erbärmlich an zu weinen. Und weil ihn die Mutter auf keine Weise beruhigen konnte, gab sie ihm den Apfel aus Bronze zum Spielen. Und wie er damit spielte, erblickte die Sirene den Apfel. Sie näherte sich dem Schiff, hob den Kopf ein wenig über die schäumenden Wogen und sprach zu Doralice: »Gib mir diesen Apfel, Frau; denn ich bin ganz verliebt in ihn.«Doralice erwiderte, sie könne ihn nicht hergeben, er sei der Zeitvertreib ihres Kindes. »Wenn du die Güte haben wolltest, ihn mir zu schenken«, versetzte darauf die Sirene, »so würde ich dir deinen Gemahl bis an die Brust zeigen.« Als Doralice, die große Sehnsucht empfand, ihren Gatten zu sehen, das hörte, schenkte sie ihr den Apfel. Und zur Vergeltung für das kostbare Geschenk zeigte ihr die Sirene, wie sie versprochen hatte, Fortunio bis an die Brust, tauchte dann mit ihm wieder in die Wasserflut und ließ sich nicht mehr sehen.

Die Frau aber, die alles aufmerksam betrachtet hatte, bekam nur ein um so größeres Verlangen nach ihm und wollte ihn ganz sehen. Da sie sich aber nicht zu helfen wußte, suchte sie sich mit ihrem Kind zu trösten. Der Knabe fing von neuem an zu weinen, und die Mutter gab ihm jetzt den Apfel von Silber, damit er zufrieden sei. Nun erblickte die Sirene auch diesen und begehrte ihn zum Geschenk. Allein Doralice zuckte die Achseln und weigerte sich, ihn herzugeben,



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weil sie sah, daß ihr Kind seine Freude daran hatte. Da sprach die Sirene: »Wenn du mir diesen Apfel gibst, der weit schöner ist als der andere, so verspreche ich dir, dir deinen Mann bis an die Knie zu zeigen.«

Die arme Doralice, die ein großes Verlangen hatte, mehr von ihrem geliebten Gatten zu sehen, setzte diesmal die Liebe zu ihrem Kind hintan und gab freudig den silbernen Apfel weg, worauf die Sirene ihr Versprechen hielt und dann wieder in die Tiefe tauchte. Ganz schweigsam und traumverloren starrte Doralice auf die Wellen und wußte nicht, was sie anfangen sollte, um ihren geliebten Fortunio zu erretten. Dann nahm sie das Knäblein wieder auf den Arm, das noch immer weinte, und fand dabei wieder einigen Trost. Das Kind aber erinnerte sich jetzt wiederum seines Spielzeugs, des Apfels, und die Mutter war wohl oder übel genötigt, ihm den goldenen Apfel zu geben. Sobald das Fischweib diesen gewahrte und sah, daß er weit schöner war als die beiden ersten, verlangte sie ihn ebenfalls zum Geschenk. Und sie wußte ihr so zu schmeicheln und sie zu überreden, daß sie auch diesen hingab, so sehr auch das Kind danach verlangte.

Und weil die Sirene versprochen hatte, ihr dafür den Gemahl ganz zu zeigen, näherte sie sich dem Schiff, erhob den Rücken ein wenig übers Wasser und ließ sie den Gatten Fortunio völlig sehen. Kaum sah sich dieser außerhalb der Wasserflut und frei auf dem Rücken der Sirene, da rief er unverzüglich voller Freude: »O wär ich nur ein Adler!« Und sogleich wurde er zum Adler, schwang sich empor in die Lüfte und flog auf den Mastbaum des Schiffes. Von dort kam er herunter aufs Verdeck und verwandelte sich vor den Augen aller Seeleute in seine frühere Gestalt, küßte und umarmte zuerst seine Gemahlin und sein Kind und hernach alles Schiffsvolk. Alle waren glücklich, ihren Herrn wiedergefunden zu haben, und sie kehrten nun miteinander in das väterliche Reich zurück.

Und als sie heimkamen, begannen sie die Trompeten, Pauken und Trommeln und andere Instrumente erschallen zu lassen. Wie der König das hörte, wunderte er sich und war sehr begierig, zu wissen, was das zu bedeuten habe. Und es währte auch nicht lange, da kam ein Bote und brachte ihm die Kunde, Fortunio, sein Schwiegersohn, und seine geliebte Tochter Doralice seien heimgekehrt. Und als sie



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das Schiff verlassen hatten, zogen sie alle zum Palast, wo sie unter größter Freude und mit Jubel empfangen wurden.

Einige Tage darauf begab sich Fortunio nach Hause, verwandelte sich in einen Wolf und zerriß Alchia, seine Stiefmutter, und seinen Bruder Valentino wegen der argen Kränkung, die sie ihm angetan hatten. Dann nahm er wieder seine eigentliche Gestalt an, bestieg sein Pferd und wandte sich wieder zurück in das Reich seines Schwiegervaters, wo er mit Doralice, seinem treuen und geliebten Weib, viele Jahre in Frieden lebte und beide in größter Wonne und gegenseitigem Glück sich ihrer Liebe freuten.


König Porco

Vorzeiten lebte einmal ein König von England mit Namen Galeotto. Der war nicht weniger reich an Glücksgütern wie an solchen des Geistes. Er hatte zur Gemahlin Hersilia, die Tochter des Königs Matthias von Ungarn, welche an Schönheit, Tugend und Liebenswürdigkeit alle anderen Damen ihrer Zeit übertraf. Und so klug beherrschte Galeotto sein Reich, daß es niemand gab, der sich mit Recht über seine Regierung beklagen konnte. Obgleich sie nun schon lange Zeit miteinander vermählt waren, wollte es das Schicksal, daß sie keine Kinder bekamen, was beiden viel Mißvergnügen verursachte.

Einmal nun geschah es, daß Hersilia im Schloßgarten spazierenging und Blumen pflückte. Und weil sie bereits etwas müde war, erblickte sie ein Plätzchen, das ganz im Grün versteckt lag. Sie ging darauf zu und setzte sich dort nieder. Bald danach versank sie bei dem süßen Gesang der Vögel, die auf den grünen Zweigen zwitscherten, in sanften Schlummer. Da wollte es ihr Geschick, daß durch die Luft drei holde Feen vorüberkamen, und als sie die junge Königin erblickten, hielten sie inne, betrachteten ihre Schönheit und ihren Wunderreiz und beschlossen, sie unverletzbar zu machen und durch Zauberkraft zu schützen. Nachdem sie sich also geeinigt hatten, sprach die erste: »Ich will, daß sie unverletzlich sei und einen Sohn bekomme, der an Schönheit seinesgleichen auf der Welt nicht habe.« — »Und ich will«, sprach die zweite, »daß niemand sie verletzen



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könne und daß der Sohn, den sie erhält, mit allen guten Eigenschaften und Vorzügen ausgestattet sei, die man sich ausdenken kann.« — »Und ich will«, versetzte die dritte, »daß sie die klügste und reichste Frau sei, die man finden kann, daß aber der Sohn, den sie empfangen wird, ganz mit dem Fell eines Schweinchens bedeckt zur Welt komme und in all seinen Bewegungen und Manieren diesem Tier gleiche und sich nicht früher dieser Hülle entledigen könne, als bis er drei Frauen nacheinander gehabt hat.«

Als die drei Feen verschwunden waren, erwachte Hersilia, stand alsbald auf, nahm die Blumen, die sie gesammelt hatte, und kehrte in den Palast zurück. Es vergingen nur wenige Tage, da wurde sie guter Hoffnung, und als die ersehnte Stunde gekommen war, brachte sie ein Kind zur Welt, dessen Glieder nicht die eines Menschen, sondern die eines Schweinchens waren. Als das der König und die Königin erfuhren, empfanden sie einen unsagbaren Schmerz darüber, und mehrmals war der König nahe daran, die Mißgeburt umbringen und ins Meer werfen zulassen, damit sie der Königin, die gut und fromm war, nicht zur Schande gereiche. Indessen überlegte er sich wieder, daß der Sohn trotz seines Aussehens doch von ihm stamme und seines Blutes sei. Er gab sein grausames Vorhaben auf, das er zuerst gefaßt hatte, bekam Mitleid und befahl, das kleine Wesen nicht wie ein Tier, sondern wie ein vernünftiges Geschöpf aufzuziehen und zu ernähren.

Das Kind wurde also sorgsam genährt und lief oft zur Mutter, hob sich auf die Hinterbeinchen und legte ihr die kleine Schnauze und die Füßchen in den Schoß. Die gute Mutter hinwieder liebkoste es, legte ihm die Hände auf den behaarten Rücken und umarmte und küßte es, gerade als wäre es ein menschliches Wesen. Und das Kind ringelte den Schwanz und gab durch Zeichen ganz deutlich zu verstehen, daß ihm die mütterlichen Zärtlichkeiten sehr lieb waren. Als das Schweinchen etwas größer geworden war, begann es, wie ein Mensch zu sprechen und durch die Stadt zu laufen, und wo es Unrat und Kehricht fand, wühlte es darin nach Schweineart. Darauf kehrte es schmutzig und übelriechend nach Hause zurück, lief auf den Vater und die Mutter zu, rieb sich an ihren Kleidern und beschmutzte sie. Weil es aber ihr einziger Sohn war, ertrugen sie alles mit Geduld. Eines Tages kam das Schweinchen wieder ganz schmutzig nach



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Hause, machte sich's auf den Gewändern seiner Mutter bequem und sprach grunzend: »Liebe Mutter, ich möchte gern heiraten.« — »O du Narr, der du bist«, entgegnete die Mutter, »wer wollte schon dich zum Manne nehmen? Du riechst übel und bist schmutzig, und da willst du, daß dir ein Baron oder Ritter seine Tochter gebe?« Er aber gab zur Antwort, daß er unter allen Umständen eine Frau wolle. Die Königin wußte keinen Rat und sprach zum König: »Was sollen wir machen? Ihr seht, in welcher Lage wir uns befinden. Unser Sohn will eine Frau, aber wo sollen wir eine finden, die ihn zum Gatten möchte?« Sowie das Schweinchen wieder zur Mutter zurückkam, sagte es laut grunzend: »Ich will eine Frau und gebe nicht eher nach, als bis ich jenes junge Mädchen habe, das ich heute gesehen habe, denn das gefällt mir sehr.«

Nun war dies die Tochter einer armen Frau, die drei Töchter hatte, und alle waren bezaubernd schön. Als das die Königin hörte, ließ sie sogleich die arme Frau und ihre älteste Tochter rufen und sagte zu ihr: »Meine gute Mutter, Ihr seid arm und mit Töchtern beschwert. Wenn Ihr aber einwilligt, so werdet Ihr bald reich von dannen gehen. Seht, ich habe diesen Sohn, der wie ein Schwein gestaltet ist, und möchte ihn mit Eurer ältesten Tochter hier verheiraten. Stoßt Euch nicht an der Schweinegestalt meines Sohnes, sondern nehmt Rücksicht auf den König und mich und bedenkt, daß Euer Kind schließlich die Besitzerin unseres ganzen Reiches sein wird.« Als die Tochter diese Worte vernahm, geriet sie in große Bestürzung und sagte, rot geworden wie eine morgenfrische Rose, sie wolle sich in keinem Fall für dergleichen hergeben. Doch die arme Frau gab ihr so süße Worte, daß sie am Schluß einwilligte. Als das Schwein ganz schmutzbedeckt wieder nach Hause gekommen war, lief es zur Mutter, die zu ihm sagte: »Lieber Sohn, wir haben die gewünschte Frau für dich gefunden, und du wirst zufrieden sein.« Darauf ließ sie der Braut die prunkvollsten königlichen Gewänder anziehen und führte sie dem Schwein vor. Und als dieses sie so schön und anmutig sah, hatte es eine große Freude, sprang um sie herum und machte ihr mit Schnauze und Pfoten die größten Liebkosungen, die man je bei einem Schwein gesehen hatte. Sie aber stieß es, weil es ihr die Kleider besudelte, von sich zurück. Das Schwein fragte jedoch: »Warum stößest du mich zurück? Habe nicht ich dir diese Kleider



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geschenkt?« Worauf sie stolz und schnippisch antwortete: »Weder du noch dein Schweinekönigreich haben sie mir je geschenkt.« Und als die Stunde des Schlafengehens gekommen war, sagte die junge Frau: »Was soll ich mit diesem stinkenden Tier machen? Ich werde es diese Nacht, wenn es im ersten Schlummer liegt, umbringen.« Das Schwein aber, das nicht weit weg war, hatte diese Worte gehört und sagte nichts weiter. Zur üblichen Stunde jedoch kam es an das prunkvolle Bett, hob mit der Schnauze und den Pfoten die überaus feinen Leintücher und legte sich neben seiner Gemahlin zur Ruhe. Es dauerte nicht lange, so schlief diese ein. Das Schwein aber tat nur, als schliefe es, und stieß ihr die scharfen Hauer so tief ins Herz, daß sie augenblicklich starb.

Am anderen Morgen verließ es frühzeitig das Bett und lief seiner Gewohnheit gemäß fort, um zu fressen und sich im Unrat zu wälzen. Der Königinmutter kam der Wunsch, ihre Schwiegertochter zu besuchen. Sie ging daher ins Schlafgemach und fand sie daselbst zu ihrem größten Schmerz vom Schwein getötet. Als dieses dann wieder heimkehrte, wurde es von der Königin mit den bittersten Vorwürfen empfangen. Allein es gab zur Antwort, er habe ihr das angetan, was sie ihm habe antun wollen. Und damit lief es zornig davon. Schon wenige Tage später kam das Schwein neuerdings mit dem Anliegen, es wolle wieder heiraten, und zwar die andere Schwester. Und wie sehr sich ihm die Mutter auch widersetzte, so beharrte es trotzdem eigensinnig auf seinem Willen und drohte, alles zu zerstören, wenn es das schöne Mädchen nicht bekäme. Daraufhin ging die Königin zum König und erzählte ihm alles, und dieser meinte, es wäre weniger schlimm, das Schwein töten zu lassen, als wenn es irgendein großes Unheil in der Stadt anrichte. Doch die Königin, die ja seine Mutter war und es überaus liebte, konnte sich nicht von ihm trennen. Sie ließ daher die arme Frau mit der zweiten Tochter rufen und redete ihr lange zu. Und nachdem sie ausführlich zusammen über die Heirat gesprochen hatten, willigte die zweite Schwester ein, das Schwein zum Manne zu nehmen. Die Sache hatte aber nicht den gewünschten Erfolg, denn das Schwein tötete sie wie die erste und verließ alsbald darauf das Haus. Und als es dann zur gewohnten Stunde derart mit Schmutz und Mist bedeckt in den Palast heimkehrte, daß man sich ihm vor Gestank nicht nähern konnte, wurden



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ihm vom König und von der Königin wegen der begangenen Untat heftig die Leviten gelesen. Das Schwein aber gab dreist zur Antwort, es habe der Braut nur getan, was diese ihm habe antun wollen.

Und es dauerte nicht lange, da drang Prinz Schwein abermals in die Mutter, er wolle sich wieder verheiraten, und zwar wolle er die dritte der Schwestern zum Weibe haben, die weit schöner sei als die erste und zweite. Und als ihm sein Begehren rundweg abgeschlagen wurde, bestand er nur noch dringender darauf und bedrohte sogar die Königin mit dem Tode, wenn er das Mädchen nicht zur Frau bekäme. Und wie die Königin diese schmählichen Drohungen hörte, empfand sie darüber im Herzen solchen Kummer, daß sie beinahe von Sinnen kam. Sie schob nun jede weitere Rücksicht beiseite, ließ die arme Frau mit ihrer dritten Tochter, die Meldina hieß, zu sich kommen und sagte zu ihr: »Meldina, meine liebe Tochter, ich möchte, daß du den Prinzen Schwein heiratest, nicht um seinetwillen, sondern aus Rücksicht auf seinen Vater und mich. Und wenn du ihn gut behandelst, wirst du die glücklichste und zufriedenste Frau sein, die man finden kann.«

Da antwortete ihr Meldina heiteren und strahlenden Angesichts, sie sei ganz damit einverstanden, und dankte ihr sehr, daß sie sich herablasse, sie zur Schwiegertochter anzunehmen. Und sollte sie auch nichts anderes bekommen, so genüge es ihr, aus einem armen Mädchen mit einemmal die Schwiegertochter eines mächtigen Königs geworden zu sein. Als die Königin diese erfreuliche und liebevolle Antwort hörte, konnte sie sich vor Glück der Tränen nicht erwehren. Aber es war ihr dennoch bange, es möchte ihr gleich ergehen wie ihren Schwestern.

Nachdem sich die neue Braut mit reichen Gewändern und kostbaren Juwelen geschmückt hatte, wartete sie auf die Heimkehr ihres lieben Bräutigams. Und wie dann Prinz Schwein schmutziger denn je nach Hause gekommen war, empfing sie ihn liebreich, breitete ihr kostbares Kleid auf dem Boden aus und bat ihn, sich neben ihr niederzusetzen. Die Königinmutter sagte zu ihr, sie solle ihn nur beiseite stoßen; allein sie weigerte sich, dies zu tun, und hub folgendermaßen an, zur Königin zu sprechen:



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»Drei Dinge habe ich einstens künden hören,
Holde verehrungswürdige und fromme Königin,
Zum ersten, daß es höchste Torheit sei, zu suchen,
Was einmal unmöglich zu finden sei.
Zum zweiten, daß man dort nicht Glauben schenke,
Wo weder Vernunft noch aufrichtige Denkart walte;
Und drittens, daß man eine köstliche und seltne Gabe,
Die man in Händen hält, auch lieb und wert stets habe.«


***
Prinz Schwein, der keineswegs schlief, sondern alles deutlich hörte, liebkoste ihr Gesicht, Hals und Schultern, und auch sie streichelte und küßte ihn, so daß er sie aus tiefstem Herzen liebgewann. Als dann die Stunde des Schlafengehens gekommen war, suchte die junge Frau das Lager auf und wartete, daß ihr trauter Gemahl zu ihr käme. Es dauerte auch nicht lange, da kam er ganz schmutzig und übelriechend zu Bett. Sie legte seinen Kopf aufs Kopfkissen, deckte ihn gut zu und zog die Vorhänge zu, damit er nicht friere. Und als es dann Tag geworden war, ging er wieder auf die Weide. Als die Königinmutter am Morgen das Brautgemach betrat und fürchtete, dasselbe sehen zu müssen wie zuvor an den beiden andern Morgen, da fand sie die Schwiegertochter ganz vergnügt und zufrieden. Sie dankte Gott dem Herrn für diese Gnade, daß ihr Sohn eine Frau gefunden habe, die ihm gefalle und zusage.

Nicht lange danach war Prinz Schwein eines Abends mit seiner Gemahlin in heiterem Gespräch begriffen und sagte zu ihr: »Meldina, mein geliebtes Weib, wenn ich sicher wäre, daß du keinem Menschen mein großes Geheimnis offenbarst, so würde ich dir etwas enthüllen, was ich bisher immer versteckt gehalten habe. Und das würde dich mit der größen Freude erfüllen. Nun, da ich weiß, daß du klug bist und wohl überlegst, was du sagst, und ich sehe, daß du mich aufrichtig liebst, will ich dir's auch sagen.« — »Entdeckt mir nur ohne Sorge alle Eure Geheimnisse«, erwiderte Meldina, »denn ich verspreche Euch, es ohne Euren Willen niemand zu verraten.« Derart von seiner Frau beruhigt, zog Prinz Schwein das garstige Fell aus und stand plötzlich als wunderschöner Jüngling vor ihr. Und nachdem er ihr am Morgen aufs neue eingeschärft hatte, darüber zu schweigen, da er binnen kurzem von seinem Zauber erlöst werde,



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verließ er das Bett, schlüpfte wieder in seine Schweinshaut und trollte sich von dannen.

Nicht lange danach wurde die junge Frau guter Hoffnung, und als ihre Zeit erfüllt war, schenkte sie einem wunderschönen Knaben das Leben. Das bereitete dem König und der Königin die größte Freude, besonders weil das Kind nicht wie ein Tier, sondern wirklich wie ein menschliches Wesen aussah. Nun konnte Meldina die Last des wunderbaren Geheimnisses nicht länger für sich behalten. Sie ging daher zu ihrer Schwiegermutter und sprach zu ihr: »Hochweise Königin, ich glaubte mich mit einem Tier verbunden zu haben. Ihr aber habt mir den schönsten und artigsten Jüngling zum Gemahl gegeben, den die Natur jemals hervorgebracht hat. Wenn er nämlich ins Schlafzimmer kommt, zieht er das übelriechende Fell ab, wirft es auf den Boden und steht als ein hübscher junger Mann vor mir, was niemand glauben würde, wenn er es nicht mit eigenen Augen sähe.«

Die Königin glaubte, Meldina scherze. Sie sprach jedoch die Wahrheit. Auf ihre Frage, ob sie das nicht auch sehen könnte, antwortete die Schwiegertochter: »Kommt heute nacht zur Zeit des ersten Schlummers in meine Kammer. Ihr werdet die Tür offen finden und alsdann sehen, daß ich die Wahrheit sage.« Als es Nacht geworden war und die Königin gewartet hatte, bis alles zu Bett gegangen war, ließ sie die Kerzen anzünden und begab sich mit dem König in die Kammer ihres Sohnes. Dort eingetreten, fand sie das Schweinsfell, das in einer Ecke des Zimmers am Boden lag. Und als sie sich dem Bett genähert hatte, sah sie, daß ihr Sohn ein reizend schöner Jüngling war. Jetzt waren sie voller Freude, und der König befahl, daß, bevor jemand das Gemach verließ, das Fell in ganz kleine Stücke zerrissen werde. Und so innig freuten sich die Eltern über ihren verwandelten Sohn, daß sie vor Glück fast gestorben wären.

Als sich der Vater Galeotto im Besitz eines solchen Sohnes sah, der wiederum einen Nachfolger hatte, legte er die Krone und den königlichen Mantel nieder, und an seiner Stelle wurde unter größtem Jubel sein Sohn gekrönt, der mit dem Beinamen »König Porco«das Reich zur größten Zufriedenheit des ganzen Volkes regierte und mit Meldina, seiner geliebten Gemahlin, lange Zeit glücklich und zufrieden lebte. So hatte Meldina, die jüngste der drei armen Töchter, durch ihre Güte und Bescheidenheit das Glück gefunden.



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Costantino und seine Katze

Es lebte einmal in Böhmen eine ganz arme Frau, Soriana genannt. Die hatte drei Söhne, von denen der eine Dusolino, der zweite Tesifone und der dritte Costantino Fortunato hieß. Sie besaß auf der Welt nichts weiter von Wert als drei Dinge: einen Backtrog, in dem die Frauen den Brotteig kneteten, ein Brotbrett, auf dem sie das Brot formten, und eine Katze. Als nun Soriana, die schon im hohen Alter stand, zum Sterben kam, vermachte sie in ihrem Letzten Willen dem ältesten Sohne Dusolino den Backtrog, dem Tesifone das Brotbrett und dem Costantino die Katze.

Nachdem die Mutter gestorben und beerdigt war, kamen die Nachbarinnen oft und borgten bald den Teigtrog, bald das Teigbrett, wenn sie sie brauchten. Weil sie wußten, wie arm die drei Brüder waren, schenkten sie ihnen jedesmal einen Kuchen, den Dusolino und Tesifone miteinander aßen, ohne dem jüngsten Bruder etwas abzugeben. Und wenn Costantino sie um etwas bat, so gaben sie ihm zur Antwort, er solle zu seiner Katze gehen, die werde ihm schon etwas geben. Auf diese Weise litt der arme Knabe mit seiner Katze große Not.

Die Katze, die über Zauberkraft verfügte, hatte Mitleid mit ihrem Herrn, ärgerte sich über die beiden Brüder, die ihn so hartherzig behandelten, und sagte zu ihm: »Gräme dich nicht, Costantino; ich werde schon für deinen und meinen Unterhalt sorgen. «Darauf ging sie hinaus aufs Feld, legte sich hin, als ob sie schliefe, fing einen Hasen, der an ihr vorüberlief, und tötete ihn. Dann ging sie damit zum königlichen Palast, sah dort einige Hofleute und sagte zu ihnen, sie möchte gern den König sprechen. Als man dem König meldete, es sei eine Katze draußen, die ihn sprechen wolle, ließ er sie vor sich kommen und fragte sie, was sie wünsche. Sie sprach: »Costantino, mein Herr, sendet Euch diesen Hasen, den er gefangen hat, zum Geschenk.« Der König nahm die Gabe an und fragte, wer dieser Gostantino sei. Die Katze erwiderte: »Er ist ein Mann, wie es an Herzensgüte, Schönheit und Macht keinen besseren gibt.« Daraufhin erzeigte sich der König ihr gegenüber sehr freundlich und ließ ihr gut zu essen und zu trinken geben.

Als sich die Katze ordentlich gesättigt hatte, füllte sie mit ihrem



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Pfötchen auf geschickte Weise, ohne von jemand gesehen zu werden, ihren Schnappsack, den sie an der Seite trug, mit manchem guten Bissen, verabschiedete sich hierauf vom König und brachte die Speisen ihrem Herrn. Die Brüder sahen, wie Costantino triumphierend seine Mahlzeit verzehrte, und baten ihn, er solle sie mit ihnen teilen. Aber er vergalt ihnen jetzt Gleiches mit Gleichem und gab ihnen nichts. Darüber wurden sie so neidisch auf ihn, daß ihnen der Groll beständig am Herzen nagte. Obwohl Costantino schön von Angesicht war, hatten ihm aber die vielen Entbehrungen die Krätze und den Ausschlag verursacht, die ihn sehr plagten. Da ging er mit seiner Katze an den Fluß, und sie wusch und leckte ihn von Kopf bis zu Fuß und kämmte ihn, und in wenigen Tagen war er von seinem Übel befreit.

Unterdessen hatte die Katze immer wieder Geschenke in den königlichen Palast gebracht und auf diese Weise für den Unterhalt ihres Herrn gesorgt. Weil sie aber des ständigen Hinundherlaufens müde war und zudem fürchtete, die Leute des Königs könnten ihrer überdrüssig werden, sagte sie: »Mein Herr, wenn du tun willst, was ich dir sage, so werde ich dich in kurzer Zeit reich machen.« —»Und wie willst du das anstellen?«fragte Costantino. »Komm mit mir und laß mich nur machen. Du sollst reich werden, das habe ich mir vorgenommen.« Dann gingen sie miteinander an den Fluß hinunter, und zwar an eine Stelle nahe beim königlichen Palast. Hier zog die Katze ihrem Herrn die Kleider aus, warf ihn mit seinem Einverständnis ins Wasser und fing laut an zu schreien: »Zu Hilfe! Zu Hilfe! Herbei, herbei, Herr Costantino ist am Ertrinken!« Das hörte der König, gedachte der zahlreichen Geschenke, die er von ihm empfangen hatte, und schickte sofort seine Leute aus, um ihn zu retten. Die zogen ihn aus dem Wasser, legten ihm neue Kleider an und führten ihn vor den König. Dieser empfing ihn sehr freundlich und fragte ihn, wie er denn in den Fluß geraten sei. Weil er aber vor Schmerzen nicht sprechen konnte, nahm die Katze, die ihm immer zur Seite war, das Wort und sagte: »Wisse, o König, einige Spitzbuben hatten durch einen Spion erfahren, daß sich mein Herr mit vielen Kostbarkeiten beladen hierher auf den Weg machte, um sie dir zum Geschenk zu bringen. Da plünderten sie ihn völlig aus und warfen ihn ins Wasser, damit er umkäme. Allein durch die Hilfe dieser wackeren Leute ist



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er gerettet worden.«Als der König dies vernahm, befahl er, Costantino solle gut bewirtet und bedient werden. Und weil er so schön war und der König wußte, daß er reich sei, beschloß er, ihm seine Tochter Elisetta zur Frau zu geben und sie mit Gold, Edelsteinen und prachtvollen Kleidern auszustatten.

Nachdem die Hochzeit gefeiert und die Festlichkeiten vorüber waren, ließ der König zehn Maultiere mit Gold und fünf mit kostbaren Gewändern beladen und sandte seine Tochter nebst einem großen Gefolge in das Haus ihres Mannes. Costantino, der sich jetzt so geehrt und reich sah und doch nicht wußte, wohin er seine Gemahlin führen sollte, beriet sich mit seiner Katze. »Sei nur ohne Angst, mein Herr«, erwiderte diese, »wir wollen schon für alles sorgen.«

Während nun die ganze Gesellschaft vergnügt dahinritt, lief die Katze wie der Wind voraus, und als sie von den andern eine große Strecke entfernt war, begegnete sie einigen Reitern und sprach zu ihnen: »Was macht ihr hier, ihr Unglückseligen? Macht, daß ihr fortkommt, denn es wird gleich ein gewaltiger Trupp berittener Leute kommen, die werden euch festnehmen. Da schaut - sie sind schon ganz nahe! Hört ihr das Wiehern der Pferde?« —»Was ist da zu tun?« fragten die Reiter bestürzt. »Ihr müßt es so machen«, antwortete die Katze. »Wenn man euch fragt, wem ihr dient, so antwortet ganz dreist: >Herrn Costantino<, dann wird man euch nichts antun.«

Und damit lief die Katze weiter und traf eine große Herde Schafe und Kühe an und sagte zu den Hirten das gleiche wie zu den Reitern. Und so verfuhr sie auch mit allen, denen sie unterwegs begegnete. Als nun die Leute, die Elisetta begleiteten, fragten: »Ihr Reiter, wem dient ihr? Und wem gehören diese schönen Herden?« antworteten alle wie mit einer Stimme: »Herrn Costantino.« — »Wir fahren also schon auf Eurem Grund und Boden, Herr Costantino ?«fragten die Begleiter der Prinzessin. Und er bejahte es durch Kopfnicken, und so antwortete er jedesmal mit ja, wenn er solches gefragt wurde, weshalb ihn denn die Gesellschaft für gewaltig reich hielt.

Die Katze war inzwischen zu einem herrlichen Schloß gekommen, in welchem sie nur wenige Menschen fand. »Ihr guten Leute, was macht ihr da? Wißt ihr denn gar nichts von dem Unheil, das euch droht?« —»Was für eins?«fragten die im Schloß. »Es vergeht keine Stunde, so wird ein großer Haufen Soldaten hier sein, die werden



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euch in Stücke hauen. Hört ihr nicht die Pferde wiehern? Seht ihr nicht dort den Staub aufsteigen? Wollt ihr nicht umkommen, so folgt meinem Rat, das wird euch alle retten. Wenn euch jemand fragt, wem dieses Schloß gehört, so antwortet: >Herrn Costantino Fortunato.<« Und so taten sie.

Die edle Gesellschaft langte bald darauf an dem schönen Schlosse an. Man fragte die Torhüter und Wächter, wem es gehöre, und alle antworteten einstimmig: »Herrn Costantino Fortunato«, worauf alles eintrat und ehrenvolle Unterkunft fand.

Der Besitzer dieses Schlosses war der Ritter Valentino, ein tapferer Kriegsmann, der kurz vorher ausgeritten war, um seine Frau, die er jüngst genommen hatte, heimzuführen. Er hatte aber Unglück, denn ehe er den Aufenthaltsort seiner lieben Frau erreichte, traf ihn unterwegs ein plötzlicher und trauriger Unfall, an dem er augenblicklich starb. So blieb denn Costantino Herr des Schlosses.

Bald danach starb Morando, der König von Böhmen, und das Volk rief Costantino Fortunato zum Nachfolger aus; denn er war der Gemahl Elisettas, der Tochter des verstorbenen Königs, welcher das Reich als Erbin zufiel. Und so ward aus Costantino, der arm wie ein Bettler gewesen, ein Herr und König, und er lebte noch lange Zeit mit seiner Elisetta und hinterließ später seinen Söhnen das Reich.


Der wilde Mann

Es war einmal in Maregliano eine wackere Frau namens Masella, die außer sechs unverheirateten Töchtern, welche lang waren wie die Hopfenstangen, einen so einfältigen, tölpelhaften Sohn hatte, daß ihm sogar der Schnee zu hart war, um einen Schneeball daraus zu machen, und er der wahre Gimpel aller Gimpel schien, deswegen auch kein Tag vorüberging, wo die Mutter nicht zu ihm sagte: »Was machst du denn in unserm Hause, verdammter Schlingel? Pack dich, du Klotz; geh weg, du Pinsel; fort mit dir, du Unheilstifter; geh mir aus den Augen, du Bärenhäuter! Denn du bist mir in der Wiege ausgetauscht worden, und statt eines hübschen Kindchens, Püppchens, Täubchens ist mir ein solcher Dummerjan, ein solcher Einfaltspinsel wie du hineingelegt worden.« Aber mit all diesen Reden brachte



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Masella nichts zustande; denn es ging alles zu einem Ohr herein und zum andern hinaus.

Da nun die Mutter sah, daß keine Hoffnung vorhanden war, daß aus Anton (so hieß der Sohn) irgendeinmal etwas würde, ergriff sie eines Morgens, nachdem sie ihm den Kopf, und zwar ohne Seife, gehörig gewaschen hatte, einen tüchtigen Knüppel und fing an, ihm damit das Wams nach Noten auszuklopfen. Als sich Anton so ganz unerwartet durcharbeiten, -krempeln und -walken sah, riß er aus, sobald er ihr entkommen konnte, und lief so weit und so lange, bis er gegen Sonnenuntergang, um die Stunde, da man anfing, in den Läden der Luna die Lichter anzuzünden, am Fuße eines Berges anlangte, der so hoch war, daß er mit dem Himmel zusammenstieß. Hier sah er auf dem Stumpf einer Pappel neben einer Grotte aus Bimsstein einen wilden Mann sitzen. Oh, wie häßlich sah der aus! Er war ein ganz kleiner dem und nicht größer als ein Zwerg; er hatte aber einen Kopf, dicker als ein indischer Kürbis, eine blattrige Stirn, die Augenbrauen zusammengewachsen, verdrehte Augen, eine platte Nase mit zwei Nasenlöchern, die zwei Kloaken zu sein schienen, einen Mund so groß wie eine Kelter, aus welchem zwei Hauer hervorragten, die ihm bis an die Fußspitzen gingen, eine zottige Brust, Arme wie eine Garnwinde, Beine wie eine Bogenwölbung und Füße so flach wie die einer Gans; mit einem Wort, er schien ein Popanz, ein Teufel, ein häßliches Fratzengesicht und ein wahres Schreckgespenst zu sein, das selbst einen Roland hätte in Angst setzen, einem Skanderbeg den Mut rauben und einen Steifbettler abschrecken können.

Anton aber, der nicht so leicht vor etwas in Furcht geriet, verneigte sich und sagte zu ihm: »Gott grüß Euch, Herr; wie geht es Euch, was macht Ihr? Kann ich Euch womit dienen? Wie weit ist es noch bis zu dem Orte, wohin ich zu gehen habe?«Sobald der wilde Mann diese ungereimte Rede hörte, fing er an zu lachen, und weil ihm dieser sonderbare Patron gefiel, fragte er ihn: »Willst du in meinen Dienst treten?« Worauf Anton erwiderte: »Was wollt Ihr denn im Monat?« —»Diene mir nur ordentlich«, antwortete der wilde Mann, »dann werden wir schon miteinander fertig werden, und du sollst bei mir ein lustiges Leben führen.« Als der Handel auf diese Weise geschlossen war, trat Anton in den Dienst des wilden Mannes, wo



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es Essen die Hülle und Fülle gab und mit der Arbeit auch nicht weit her war, so daß in weniger als vier Tagen Anton feist wurde wie ein Türke, rund wie eine Tonne, mutig wie ein Hahn, rot wie ein Krebs, grün wie Knoblauch, so rund wie ein Walfisch und mit einem Wort so dick und fett, daß er nicht aus den Augen sehen konnte.

Es waren aber noch keine zwei Jahre vergangen, als ihm die guten Bissen zuwider wurden und er ein großes Verlangen bekam, einmal wieder eine Fahrt nach Hause zu machen, und indem er an die Heimat dachte, wäre er fast auf der Stelle davongelaufen.

Der wilde Mann, der ihm ins Herz schaute, sah ihm an der Nase die Unruhe an, indem sich Anton hin und her drehte, als wenn er auf Nadeln gesessen hätte. Er rief ihn daher beiseite und sprach zu ihm: »Lieber Anton, ich weiß, daß du großes Verlangen hast, die Deinen zu sehen, und da ich dich so herzlich liebe wie mich selbst, so bin ich's zufrieden, daß du einmal zu ihnen reisest und deinen Wunsch befriedigst. Nimm also diesen Esel, der dir die Mühseligkeiten des Zufußgehens ersparen wird, aber sieh dich vor, daß du nie zu ihm sagst: >arre cacaurre<; denn, bei der Seele meines Großvaters, es möchte dir leid tun.«

Anton nahm den Langohr, hing, ohne selbst nur Adieu zu sagen, seine Beine über denselben und fing an, draufloszutraben. Er war aber noch nicht hundert Schritte vorwärtsgekommen, als er auch schon von dem Grautier abstieg und sogleich sagte: »arre cacaurre«; und kaum hatte er den Mund geöffnet, als auch schon Langohr anfing, Perlen, Rubine, Smaragde, Saphire und Diamanten, alle so groß wie Walnüsse, von hinten von sich zu geben. Anton sperrte das Maul weit auf, starrte die herrliche Ausleerung des Eseleins an und füllte mit großer Herzenslust seinen Quersack mit den Edelsteinen. Hierauf fing er wieder an, in einem tüchtigen Trabe zu reiten, und gelangte endlich zu einem Wirtshaus, woselbst er, sobald er abgestiegen war, zu dem Wirte vor allen Dingen sagte: »Hurtig, bindet mir diesen Esel an die Krippe und schüttet ihm gehörig vor; hütet Euch aber, zu ihm zu sagen: >arre cacaurre<, denn es möchte Euch leid tun; und hebet mir auch diese Sächelchen hier sorgfältig auf.« Als der Wirt, der sein Handwerk gehörig verstand und ein schlauer, durchtriebener, pfiffiger Schelm war, so ganz unversehens diese



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Rede vernahm und die Edelsteine erblickte, welche strahlten wie die liebe Sonne, ergriff ihn die Neugier, zu sehen, was diese Worte bedeuteten. Nachdem er also Anton gut zu essen und so viel er wollte zu trinken gegeben hatte, steckte er ihn zwischen einen Sack und eine Bettdecke, lief, sobald er ihn die Augen schließen sah und im tiefsten Basse schnarchen hörte, nach dem Stalle und sagte zu dem Esel: »arre cacaurre«, worauf dieser denn auch die gewöhnliche Operation vornahm, indem ihm der Hintere von Goldklumpen und Juwelenhaufen überlief. Kaum nahm der Wirt dieses wahr, so faßte er den Entschluß, den Esel auszutauschen und so jenem Bauerntölpel von Anton einen Streich zu spielen, ihn zu hintergehen, anzuführen, zu betrügen, zu beluchsen, zu prellen, zu berücken, hinters Licht zu führen und einem solchen Hansnarren, Schöps, Pinsel, Gimpel, Dummerjan wie jener, der ihm in die Hände gelaufen war, die Augen gehörig auszuwischen.

Als daher Anton zur Zeit, da die Aurora ganz rot vor Scham an das Fenster des Ostens tritt, erwacht war, sich die Augen mit den Händen gerieben, sich eine halbe Stunde lang gedehnt und gereckt und ein schockmal nach Art eines Zwiegesprächs gegähnt und gefistet hatte, rief er den Wirt und sagte zu ihm: »Kommt her, Kamerad; kein Kredit, lange Freundschaft; wir sind Freunde, unsere Beutel Feinde; darum macht mir die Rechnung, denn ich will bezahlen.« So summierten sich denn zusammen so viel für Brot, so viel für Wein, das für die Suppe, das für Fleisch, fünf für Stallgeld, zehn für das Nachtlager und fünfzehn für das Frühstück und Biergeld, worauf Anton die Spieße aufzählt, den falschen Esel nebst seinen seinem voll Bimsstein statt der kostbaren Juwelen in Empfang nimmt und über Hals und Kopf nach dem Wohnort seiner Mutter eilt.

Ehe er aber noch einen Fuß ins Haus setzte, fing er schon an, aus vollem Halse zu schreien wie ein Zahnbrecher: »Komm schnell herbei, Mutter, komm ganz schnell, denn wir sind jetzt reich! Mach Tischtücher zurecht, breite Laken aus, lege Decken auf die Erde, denn du wirst Schätze sehen!« Die Mutter, außer sich vor Freude, öffnete also einen großen Kasten, in welchem feine Laken, die man hätte wegblasen können, Tischtücher, die noch nach der Wäsche rochen, und Bettdecken, die einen bis über die Nase verhüllten, lagen,



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holte sie hervor und breitete sie alle säuberlich auf die Erde. Alsdann wird der Esel draufgestellt, und Anton fängt an, sein »arre cacaurre« anzustimmen; aber »arre cacaurre« du nur immerzu; denn der Esel kümmerte sich geradesoviel um diese Worte als um den Klang der Laute.

Gleichwohl wiederholte Anton diese Worte noch drei- oder viermal, da aber alles in den Wind geredet war, ergriff er einen tüchtigen Knüppel und fing an, das arme Tier so zu bearbeiten, gerbte und drosch und waikte es dergestalt durch, daß dem armen Grauen die Hintertür aufsprang und durch dieselbe ein gelber Faden auf die weißen Tücher geflogen kam. Als die arme Masella dieses sah, ergriff sie einen Knittel, und ohne daß sie Anton Zeit ließ, auch noch seine Bimssteine zu zeigen, fütterte sie ihn mit einer solchen Prügelsuppe, daß er sich eilends wieder zurück zu dem wilden Manne auf den Weg machte. Sobald er dort mehr im Trabe als im Schritt angekommen war, erhielt er von dem wilden Manne, der durch seine Zauberkünste alles und daher auch das wußte, daß Anton sich von einem Gastwirt hatte überlisten lassen, eine tüchtige Tracht Schläge, indem ihn sein Herr dabei einen unverständigen, dummen, albernen, blödsinnigen Tagedieb, einen Strohkopf, einen Tölpel, eine Schafsnase, einen Stoffel, einen ausgemachten Narren, einen Erzgimpel, einen Hans Papp nannte, der sich für einen Juwelen machenden Esel eine Bestie hatte anbinden lassen, die eine Überfülle von pomeranzenfarbigem Quarkkäse von sich gab. Anton verschluckte jedoch diese bittere Pille und schwor, daß er sich nie wieder, nein, nie wieder von einem lebenden Wesen würde hinters Licht führen lassen.

Kaum aber war ein anderes Jahr vorüber, als ihn wieder dieselbe Lust plagte und er fast vor Sehnsucht, die Seinigen wiederzusehen, vergangen wäre. Der wilde Mann, der häßlich von Ansehen, aber schön von Herzen war, gab ihm die Erlaubnis zur Reise und schenkte ihm außerdem eine hübsche Serviette, indem er hinzufügte: »Bringe dies deiner Mutter; sieh dich aber vor, daß du nicht wieder solch ein Rindvieh bist und es machst wie mit dem Esel, und ehe du nicht zu Hause anlangst, sage ja nicht: >Tu dich auf und tu dich zu, Serviette<; denn wenn dir darüber etwas Schlimmes widerfährt, so ist es dein Schaden; jetzt geh mit Gott und komm bald wieder. «



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Anton machte sich also wieder auf den Weg, aber nicht weit von der Höhle legte er alsbald das Tellertuch auf die Erde und sagte: »Tu dich auf und tu dich zu, Serviette«, worauf diese sich sogleich auftat und in ihrem Innern so viel Pracht und Herrlichkeiten und Schmucksachen sehen ließ, wie man gar nicht glauben kann. Als Anton dies wahrnahm, sagte er rasch: »Tu dich zu, Serviette«, und unverzüglich verbarg sie wieder alles in sich. Anton zog alsdann wieder weiter nach demselben Wirtshaus und sagte zum Wirt: »Da, hebet mir diese Serviette auf und saget ja nicht: >Tu dich auf und tu dich zu, Serviette!« Der Wirt, der ein durchtriebener Schelm war, erwiderte hierauf: »Seid ganz ohne Sorge«, gab ihm tüchtig zu essen, trank ihm so lange zu, bis er benebelt war, und brachte ihn dann hurtig zu Bett. Alsdann nahm er die Serviette und sagte: »Tu dich auf, Serviette«, welche sich denn sogleich auftat und so viele Kostbarkeiten zeigte, daß der Wirt vor Erstaunen ganz außer sich geriet. Er suchte daher eine dieser ähnliche Serviette heraus, mit der er Anton, als er des Morgens aufgestanden war, auch wirklich anschmierte. Dieser nun langte, tüchtig drauflosstiefelnd, in dem Hause seiner Mutter an und rief alsbald aus: »Diesmal, meiner Treu, werden wir gewiß unsere Armut zum Teufel jagen; diesmal gewiß die Lumpen, den Plunder und den ganzen Trödeikram aus dem Hause werfen«, zugleich breitete er die Serviette auf der Erde aus und fing an zu sagen: »Tu dich auf, Serviette.« Aber er hätte diese Wörter bis zum andern Morgen wiederholen können und hätte nur seine Zeit damit verloren, denn er brachte nichts zuwege, auch nicht das mindeste.

Da er nun sah, daß es ihm nicht nach Wunsch ging, sagte er zu der Mutter: »Hoi's der Kuckuck, der Wirt hat mich wieder mit diesem Quark angeschmiert, aber warte nur, Schelm, du sollst mir das bezahlen! Es wäre dir besser, du wärst nie geboren, besser, du wärst als Kind überfahren worden. Ich will das Liebste, was ich habe, verlieren, wenn ich ihn nicht beim nächsten Einkehren in seinem Wirtshause zu Brei haue.« Als die Mutter diesen neuen Eselsstreich vernahm, erglühte sie vor Wut und sagte: »Daß du doch den Hals brächest oder dir das Genick abstürztest, du Unglückssohn, scher dich zum Teufel; denn du bist mir zuwider wie eine Spinne, ich kann dich nicht ansehen, ohne daß mir übel wird, und ich bekomme immer



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den Krampf, wenn du mir zwischen die Füße kommst. Mach ein Ende und laß dir dünken, daß dieses Haus in Flammen steht, denn ich schüttle mir die Kleider aus und betrachte dich gar nicht als meinen Sohn.« Der arme Anton, welcher den Blitz sah und den Donner nicht abwarten wollte, senkte den Kopf, riß aus, gleich als hätte er etwas gestohlen, und kam Hals über Kopf rennend bei dem wilden Mann an. Kaum sah ihn dieser so traurig und niedergeschlagen anlangen, so ließ er ein neues Donnerwetter über ihn ergehen, indem er sagte: »Ich weiß nicht, was mich abhält, dir eine Laterne anzustecken, du Vielfraß, Fiestpeter, Dummbart, nichtsnutziger Schlingel, Plappermühle, Plaudermatz, der du wie eine Gerichtstrommel alles öffentlich ausrufst, ausspeiest, was du im Leib hast, und auch nicht einmal junge Schoten bei dir behalten kannst; wenn du im Wirtshaus dein Maul gehalten hättest, so wäre dir das nicht widerfahren, was dir widerfahren ist. Weil du deine Zunge wie einen Mühlstein gebraucht hast, hast du dir das Glück zermahlen, das dir aus meinen Händen zuteil geworden war.«

Anton stand da wie ein abgebrühter Pudel und hörte still und geduldig diese Musik an. Als er aber noch andere drei Jahre im Dienste des wilden Mannes ruhig zugebracht und sowenig an seine Heimat gedacht hatte als daran, Graf zu werden, bekam er doch wieder einen Fieberanfall, und wiederum setzte er sich in den Kopf, die Seinigen einmal zu besuchen. Er bat deshalb den wilden Mann um Erlaubnis, welcher denn auch, um den lästigen Tölpel loszuwerden, ihn gehen ließ und ihm einen sehr schön gearbeiteten Stock mit den Worten schenkte: »Nimm diesen Stock zum Andenken von mir, hüte dich aber zu sagen: >Steh auf, Prügel<oder >leg dich nieder, Prügel<; denn sonst beneide ich dich nicht um das, was geschehen würde.« Anton nahm den Stock und antwortete: »Seid ganz ohne Sorgen, ich habe den Schleifstein des Verstandes eingeschraubt und weiß recht gut, wieviel zwei mal zwei ist; ich bin kein Kind mehr; denn wer Anton etwas weismachen will, muß früh aufstehen.« —»Eigenlob stinkt«, erwiderte der wilde Mann, »gesagt ist leichter als getan; was ich sehe, glaube ich; wenn du nicht taub bist, so mußt du mich verstanden haben, und wer sich raten läßt, dem ist auch zu helfen.«

Während der wilde Mann noch immer zu reden fortfuhr, war Anton schon auf dem Wege zu seiner Mutter. Er hatte aber noch keine



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halbe Meile hinter sich, als er auch schon sagte: »Steh auf, Prügel.« Dies wirkte jedoch nicht wie gewöhnliche Worte, sondern wie ein Zauberspruch; denn gleich als wäre der Stock von einem bösen Geist besessen gewesen, geradeso fing er auch urplötzlich an, dem unglücklichen Anton den Rücken dergestalt zu bearbeiten, daß die Schläge wie in Strömen herabregneten und einer nicht den andern erwartete. Als sich der arme Schelm so zerbläut und durchgegerbt sah, sprach er rasch: »Leg dich nieder, Prügel«, worauf auch sogleich der Prügel abließ, auf dem Rücken Antons aufzuspielen, und dieser, auf seine Kosten gewitzigt, ausrief: »Nun weiß ich, was ich zu tun habe, und meiner Treu, es soll nicht ungetan bleiben; noch ist er nicht zu Bett, dem es heute abend sehr schlimm ergehen wird.«

Dies sagend, kommt er bei dem bekannten Wirtshaus an, wo er mit der größten Freundlichkeit der Welt empfangen wird. Kaum angelangt, sagt er zu dem Wirt: »Da nehmt diesen Stock und hebt ihn mir gut auf; hütet Euch aber, daß Ihr nicht sagt: >Steh auf, Prügel<; denn wenn es Euch übel bekommt, versteht mich wohl, so beschwert Euch nicht über den Anton; ich kann nichts dafür und wasche mich zum voraus von aller Schuld rein.« Der Wirt, voll der größten Freude über diesen dritten Glücksfang, läßt Anton tief in die Schüssel greifen und noch tiefer ins Glas gucken, und nachdem er ihn zu Bett gebracht hat, eilt er mit seiner Frau, die er zu dem schönen Fest herbeigerufen hat, zum Stock und sagt: »Steh auf, Prügel.« Dieser fängt denn auch sogleich an, die Hinterseite des Wirtes und seiner Ehehälfte heimzusuchen, und tick hier, tack da fährt er wie der Blitz hin und her, so daß sie, sich so kläglich und jämmerlich zugerichtet sehend, immer mit dem Prügel hinter sich, Anton aufzuwecken liefen und ihn um Barmherzigkeit anflehten. Als dieser nun wahrnahm, daß die Sache ganz nach Wunsch ging, und die Makkaroni im Käse und den Kohl im Speck sah, sagte er: »Da ist nicht zu helfen, ihr müßt euch nun einmal dazu bequemen, totgeprügelt zu werden; es sei denn, daß ihr mir meine Sachen wiedergebt.«

Der Wirt, von Schlägen fast zermalmt, rief alsbald aus: »Nehmt alles, was ich habe, nur befreit mich von diesem Dreschflegel«, und um Anton sicherzustellen, ließ er auch wirklich alles herbeiholen, was er ihm früher abgeluchst hatte. Sobald Anton das Seinige wieder in seinem Besitz sah, sagte er: »Leg dich nieder, Prügel«, und dieser



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hörte auch sogleich auf und sank herab. Anton nahm nun den Esel sowie die andern Sachen und begab sich damit zu seiner Mutter. Nachdem er daselbst mit der Serviette einen sehr gelungenen Versuch angestellt und das Hintergestell des Esels eine Generalprobe hatte halten lassen, saß er von der Zeit an warm, verheiratete seine Schwestern, machte seine Mutter zur reichen Frau und bezeugte so die Wahrheit des Sprichwortes:

»Den Narren und Kindern steht der Himmel bei.«


Petrosinella

Es war einmal eine Frau namens Pascadozia, welche von einem Fenster aus, das in den Garten einer Hexe ging, ein Beet Petersilie erblickte und ein solches Gelüst danach bekam, daß sie darüber fast in Ohnmacht fiel und, um es zu befriedigen, die Zeit abpaßte, wann die Hexe ausging, während welcher sie sich eine Handvoll abpflückte. Als aber die Hexe nach Hause zurückkehrte und eine Suppe kochen wollte, so merkte sie, daß jemand bei der Petersilie gewesen war, und sprach: »Hol mich der Teufel, wenn ich diesen langfingerigen Schelm nicht kriege und ihn auf seine Kosten lehren will, von seinem Teller zu essen und die Töpfe anderer Leute unangerührt zu lassen.«

Indem nun die arme Frau zu wiederholten Malen in den Garten hinabstieg, wurde sie eines Morgens von der Hexe ertappt, welche voll von Wut und Galle zu ihr sprach: »Hab ich dich endlich erwischt, du Diebin, du Spitzbübin? Was für Pacht bezahlst du mir denn für den Garten, daß du mir so ohne weiteres mein Grünzeug wegstiehlst? Meiner Treu, ich werde dich nicht erst nach Rom schicken, damit du dort Buße tun solist.«Außer sich vor Schrecken fing Pascadozia an, sich zu entschuldigen, indem sie sagte, daß sie sich weder aus Naschhaftigkeit noch aus Heißhunger vom Bösen habe leiten lassen, diese Unredlichkeit zu begehen, sondern vielmehr, weil sie in der Hoffnung wäre und daß sie fürchte, das Gesicht des Kindes würde ganz mit petersilienähnlichen Malen bedeckt sein, ja sie müsse ihr vielmehr Dank wissen, daß sie ihr nicht eine Augengeschwulst angewünscht habe. »Das ist leeres Gewäsch«, erwiderte die



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Hexe, »mir mußt du damit nicht kommen. Dein Lebenstermin ist abgelaufen, wenn du mir nicht versprichst, mir das Kind zu geben, mag es nun ein Mägdlein oder ein Knäblein sein.« Um aus der Gefahr, in der sie sich befand, zu entkommen, leistete die arme Pascadozia mit der Hand auf dem Herzen den geforderten Eid und wurde hierauf von der Hexe freigelassen. Als aber ihre Zeit erschien, bekam sie ein so schönes Töchterlein, daß es eine wahre Freude war, und da es auf der Brust ein niedliches Mal hatte, das wie eine Petersilie aussah, so erhielt es den Namen Petrosinella. Diese wuchs nun alle Tage zusehends heran und wurde, sobald sie das siebente Jahr erreichte, in die Schule geschickt; immer aber, wenn sie auf der Straße der Hexe begegnete, sprach diese zu ihr: »Sage deiner Mutter, daß sie an das Versprechen denken soll.« Und so oft sandte die Hexe Pascadozia diese Hiobsbotschaft, daß die arme Frau voll Verzweiflung dieselbe nicht ferner hören wollte und eines Tages zu ihrem Töchterlein sagte: »Wenn du wieder die alte Frau triffst und sie die Erfüllung des verwünschten Versprechens fordert, so antworte: >Nimm dir, was du haben willst.«Als daher Petrosinella, die nichts Böses ahnte, wieder einmal der Hexe begegnete und von ihr dieselbe Rede vernahm, so antwortete sie in der Unschuld ihres Herzens, so wie die Mutter ihr gesagt hatte, worauf die Hexe sie bei den Haaren ergriff und in einen Wald schleppte, welchen die Sonnenrosse niemals betraten, um auf den dunklen Weideplätzen desselben nicht zu erkranken. Dort nun wurde Petrosinella von der Hexe in einen von ihr hervorgezauberten Turm gesperrt, der weder Türen noch Treppen und nur ein Fensterchen hatte, durch welches die Hexe vermittels der überaus langen Haare Petrosinellas wie ein Matrose auf den Wanten hinauf- und hinabzusteigen pflegte.

So geschah es nun einmal, daß, als Petrosinella eines Tages während der Abwesenheit der Hexe den Kopf aus jener Öffnung hinaussteckte und ihre Flechten in der Sonne erglänzen ließ, der Sohn eines Prinzen vorüberkam, welcher sich beim Anblick dieser zwei goldnen Zöpfe in so hohe Schönheit auf das sterblichste verliebte. Nachdem er ihr nun eine Bittschrift von Seufzern zugesandt hatte, wurde von ihr beschlossen, ihn in Gnaden anzunehmen, und der Handel ging so rasch vonstatten, daß der Prinz freundliches Kopfnicken und Kuß hände, verliebte Blicke und Verbeugungen, Danksagungen und



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Anerbietungen, Hoffnungen und Versprechungen, kosende Worte und Schmeicheleien in großer Menge zugeworfen erhielt.

Als sie dies aber so mehrere Tage wiederholt hatten, wurden sie dermaßen miteinander vertraut, daß sie eine nähere Zusammenkunft miteinander verabredeten, und zwar sollte diese des Nachts, wenn der Mond mit den Sternen Verstecken spielte, stattfinden, Petrosinella aber der Hexe einen Schlaftrunk eingeben und den Prinzen mit ihren Haaren emporziehen. Sobald dieser Verabredung gemäß die bestimmte Stunde erschienen war und sich der Prinz nach dem Turm begeben hatte, senkten sich auf einen Pfiff von ihm die Flechten herab, welche er rasch mit beiden Händen ergriff und nun rief: »Zieh!«Oben angelangt, kroch er durchs Fensterchen in die Stube, genoß in reichem Maß von jener Petersilienbrühe Amors und stieg, ehe noch die Sonne aufging, wieder auf der nämlichen Goldleiter hinab, um nach Hause zurückzukehren.

Da er nun oftmals diese Besuche wiederholte, so wurde es endlich eine Gevatterin der Hexe gewahr, welche sich um Dinge, die sie nichts angingen, zu bekümmern und ihre Nase in jeden Quark zu stecken pflegte. Sie sagte daher zu der Alten, sie solle auf ihrer Hut sein, denn Petrosinella habe mit einem jungen Burschen einen Liebeshandel. Sie vermute, die Sache würde dabei nicht stehenbleiben. Sie durchschaue alles und wisse, wie es kommen würde. Wenn jene sich also nicht vorsehe, möchte wohl Petrosinella, ehe sie es sich dessen versehe, über alle Berge sein. Die Hexe dankte der Gevatterin vielmals für den wohlgemeinten Rat und fügte hinzu, sie wolle schon dafür sorgen, Petrosinella den Weg zu verlegen, abgesehen davon, daß es ihr ganz unmöglich sein würde, zu entfliehen, weil sie dieselbe dermaßen bezaubert habe, daß, wenn sie nicht die drei Galläpfel, welche sich im Loch eines Küchenbalkens befänden, in den Händen hätte, alle Bemühungen, sich aus dem Staub zu machen, verloren wären.

Während sich aber die beiden alten Hexen auf diese Weise besprachen, belauschte Petrosinella, welche stets die Ohren spitzte und gegen die Gevatterin Verdacht hegte, ihre ganze Unterredung. Sie ließ daher, sobald die Nacht ihre schwarzen Kleider ausschüttelte, um sie vor den Motten zu bewahren, und der Prinz sich wie gewöhnlich eingestellt hatte, denselben auf die Balken in der Küche steigen und



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die Galläpfel suchen, welche ihr, wie sie wußte, wegen des ihr von der Hexe angehängten Zaubers unerläßlich notwendig waren. Nachdem sie sie gefunden und sich eine Strickleiter gemacht hatten, stiegen sie beide von dem Turm hinunter und fingen an, auf dem Weg, der nach der Stadt führte, zu entfliehen. Da sie jedoch hierbei von der Gevatterin gesehen wurden, so fing diese an, dermaßen zu schreien und die Hexe zu rufen, daß letztere erwachte. Sobald sie vernahm, daß Petrosinella entflohen wäre, stieg sie auf derselben Strickleiter, die noch an das Fensterchen gebunden war, hinunter und fing an, den Liebenden nachzueilen.

Als diese nun die Hexe schneller als ein freigelassenes Roß hinter sich herlaufen sahen, so hielten sie sich anfangs für verloren; endlich jedoch erinnerte sich Petrosinella der Galläpfel und warf rasch einen auf die Erde, so daß plötzlich ein entsetzlicher korsischer Bullenbeißer erschien, der mit weitgeöffnetem Maul und furchtbar bellend der Hexe entgegenrannte, um sie wie einen einzigen Bissen zu verschlingen. Diese aber, welche mehr List und Kniffe im Kopf hatte als der leibhaftige Teufel, steckte die Hand in die Tasche und zog daraus ein Brötchen hervor. Kaum hatte sie es dem Hund dargereicht, als er den Schwanz sinken und seine ganze Wut fahren ließ, worauf sie von neuem den Fliehenden nachzusetzen begann. Sobald Petrosinella sie wieder nahe herankommen sah, warf sie den zweiten Gallapfel zur Erde.

Und plötzlich erschien ein furchtbarer Löwe, welcher mit dem Schweif die Erde peitschte, die Mähne schüttelte und sich mit ellenweit aufgesperrtem Rachen bereitmachte, die Hexe zu zermalmen. Daher kehrte diese sogleich zurück, zog einem Esel, der auf einer Wiese weidete, die Haut ab und ging, sich diese umhängend, dem Löwen nochmals entgegen, welcher in der Meinung, es wäre ein wirklicher Langohr, so große Furcht bekam, daß er sogleich ausriß. Nachdem nun die Hexe solchermaßen diesen zweiten Graben übersprungen hatte, begann sie wiederum die armen Flüchtlinge zu verfolgen, welche an den Fußtritten und an der Staubwolke, die sich bis zum Himmel erhob, merkten, daß die Hexe von neuem hinter ihnen her wäre. Diese aber hatte sich aus Furcht, der Löwe könne sie verfolgen, die Eseishaut noch nicht abgenommen, so daß, da Petrosinella inzwischen den dritten Gallapfel zur Erde geworfen und auf



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diese Weise einen Wolf hervorgezaubert hatte, dieser, ohne der Hexe Zeit zu einem neuen Ausweg zu lassen, sie wie einen Esel verschlang. Hierauf legten die Liebenden langsam und gemächlich ihren Weg nach dem Reiche des Prinzen zurück, wo dieser mit Einwilligung seines Vaters Petrosinella heiratete. Die beiden Glücklichen empfanden nach all den vielen Leidensstürmen:
»Eine einzige Stund im Port, frei von Gefahr,
Läßt bald vergessen manches Sturmesjahr.«


Der Rabe

Es war einmal ein König von Dunkelbusch namens Milluccio, welcher die Jagd so leidenschaftlich liebte, daß er die notwendigen Geschäfte der Regierung und seines Hauses vernachlässigte, um der Fährte eines Hasen oder dem Flug einer Drossel nachzugehen. Während er aber diesem Vergnügen auf solche Weise oblag, führte ihn der Zufall eines Tages in einen Wald, welcher aus seinem Erdreich und seinen Bäumen eine dichtgedrängte Schlachtreihe gebildet hatte, damit sie von den Sonnenrossen nicht durchbrochen würde. Dort nun fand der König auf einem schönen Marmorstein einen frischgetöteten Raben, und sobald er dessen purpurrotes Blut über den schneeweißen Stein gespritzt sah, stieß er einen tiefen Seufzer aus und rief: »O Himmel, könnte ich nicht eine so weiße und rote Frau bekommen, wie dieser Stein hier ist, und deren Haare und Augenbrauen so schwarz wären, wie die Federn dieses Raben sind?«

In diesen Gedanken versenkte er sich dergestalt, daß er eine Zeitlang dem Stein glich und eine Marmorstatue zu sein schien, die sich um die Liebe eines anderen Marmors bewarb.

Indem er sich nun diesen unseligen Gedanken in den Kopf setzte und ihn ohne Unterlaß mit der Speise des Verlangens nährte, wuchs derselbe unversehens von einem Zahnstocher zu einem Balken, von einem Holzäpfel zu einem indischen Kürbis, von einer Feuerkieke zu einem Hochofen und von einem Zwerg zu einem Riesen empor, dergestalt, daß er an nichts anderes dachte als an jenes Bild, das in seinem Herzen wie ein Stein in dem andern eingefügt war. Wo er



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auch die Augen hinwandte, zeigten sie ihm jene Gestalt, die er in der Brust herumtrug, und alles übrige vergessend, hatte er nichts anderes im Kopf als jenen Marmor, so daß sein Bruder Jennariello, der ihn so bleich und entstellt umherschleichen sah, endlich zu ihm sprach: »Was ist denn mit dir vorgegangen, lieber Bruder, daß sich der Schmerz in deinen Augen einquartiert und sich die Verzweiflung unter der verblaßten Fahne deines Angesichts hat anwerben lassen? Was ist dir denn zugestoßen? Sprich, öffne deinem Bruder dein Herz.« Milluccio stieß hierauf ein Gemisch von Worten und Seufzern aus, dankte ihm für sein Anerbieten und sagte, daß er an seiner Liebe nicht zweifle, daß aber seinem Kummer nicht abzuhelfen wäre, da er von einem Stein herkäme, auf den er seine Wünsche ohne Hoffnung auf Frucht gesät hätte; von einem Stein, von dem er nicht einmal einen Pilz von Befriedigung erwarte; von einem Sisyphusstein, den er auf den Berg der Pläne trüge und der, auf dem Gipfel angelangt, husch, wieder hinunterrolle.

Endlich aber, nach vielen Bitten, teilte er seinem Bruder alle näheren Umstände seiner unglücklichen Liebe mit, worauf ihn Jennariello, so gut er konnte, tröstete und zu ihm sagte, er solle nur guten Mutes sein und sich seinen traurigen Gedanken nicht zu sehr ergeben; denn er wäre entschlossen, um seinetwillen die Welt so lange zu durchziehen, bis er eine Frau fände, welche das Abbild jenes Steins wäre. Jennariello ließ hierauf sogleich ein großes Schiff rüsten, belud es mit Waren und segelte als Kaufmann gekleidet nach Venedig, dem Spiegel Italiens, dem Sammelplatz aller tugendhaften und gescheiten Menschen und Hauptbuch aller Wunder der Kunst und der Natur, woselbst er sich einen Geleitbrief zur Fahrt nach der Levante ausfertigen ließ und dann nach Kairo unter Segel ging.

Als er nun dort angelangt und in die Stadt gegangen war, sah er einen Mann, der einen sehr schönen Falken trug, welchen Jennariello sogleich kaufte, um ihn seinem Bruder zu bringen, da dieser ein leidenschaftlicher Jäger war. Bald danach begegnete er einem andern Mann mit einem herrlichen Roß, das er gleichfalls kaufte, worauf er sich in ein Wirtshaus begab, um sich von den Mühseligkeiten der Seereise zu erholen. Am folgenden Morgen aber, um die Zeit, da das Heer der Sterne beim Feuer des Sonnengenerals die Zelte von der Himmelsebene abbricht und sich zurückzieht, fing Jennariello an,



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die Stadt zu durchwandern, indem er seine Augen wie ein Luchs überall umherwarf und alle Frauen, die er auf seinem Wege antraf, betrachtete, um zu sehen, ob er vielleicht auf einem Angesicht von Fleisch eine Ähnlichkeit mit einem Steine wahrnehme.

Während er nun so ohne bestimmtes Ziel überall umherging und sich wie ein Dieb, der Furcht vor den Häschern hat, bald da-, bald dorthin wandte, begegnete er einem Bettler, welcher ein ganzes Hospital von Pflastern und eine ganze Trödelbude von Lumpen auf dem Leib hatte und zu ihm sprach: »Was ist dir denn, mein wackrer Mann? Du bist ja so niedergeschlagen.« — »Was nützt es, dir das zu sagen?« versetzte Jennariello. »Es wäre nur verlorene Müh und so gut wie tauben Ohren predigen.« —»Nur sachte, Freund«, erwiderte der Bettler, »wenn Darius nicht einem Stallknecht das, was ihm drückte, erzählt hätte, wäre er nicht Gebieter von Persien geworden. Es will daher nicht viel sagen, wenn du einen Bettler wissen lässest, was du auf dem Herzen hast; denn es ist kein Spänchen so dünn, daß es nicht als Zahnstocher dienen könnte.« Als Jennariello den Bettler so verständig und überlegt reden hörte, teilte er ihm mit, was ihn in dieses Land geführt hatte, worauf der Bettler erwiderte: »Jetzt sieh nun, mein Sohn, wie man niemand verachten muß; denn wenn ich gleich nur Kehricht bin, so bin ich doch gut genug, das Feld deiner Hoffnungen zu düngen. Gib also wohl acht, was ich dir jetzt sage. Ich werde nämlich unter dem Vorwand, um Almosen zu bitten, an die Haustür der jungen und schönen Tochter eines Zauberers pochen, dann tue die Augen gehörig auf, sieh sie an, beschaue sie, betrachte sie, begucke sie, miß sie von Kopf zu Fuß; denn du wirst in ihr das Abbild derjenigen finden, die dein Bruder wünscht.« So sprechend, klopfte der Bettler an die Tür eines nicht weit entfernten Hauses, worauf Liviella öffnete und ihm ein Stück Brot zuwarf. Sobald Jennariello sie erblickte, glaubte er ein Gebilde nach dem ihm von seinem Bruder gegebenen Modell vor sich zu sehen; er gab daher dem Bettler ein reiches Almosen und entließ ihn, er selbst aber kehrte ins Wirtshaus zurück, verkleidete sich dort als Tabulettkrämer, indem er in zwei Kästen die herrlichsten Sachen der Welt mit sich führte, und ging hierauf, seine Waren ausrufend, so lange vor dem Hause Liviellas auf und ab, bis sie ihn hereinrief und all die schönen Krausen, Schleier, Bänder, Flore, Kanten, Spitzen, Halstücher,



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Kragen, Nadeln, Schminktöpfchen und herrlichen Kopfzieraten, die er mit sich führte, in Augenschein nahm. Nachdem sie alle seine Sachen immer wieder von neuem betrachtet hatte, sagte sie zu ihm, daß er ihr noch irgend etwas Schönes zeigen sollte, weshalb Jennariello erwiderte: »In diesen beiden Kästen, edle Jungfrau, habe ich nur wohlfeile und gewöhnliche Dinge. Wenn Ihr aber die Gewogenheit besitzen wollet, nach meinem Schiff zu kommen, so würde ich Euch die seltensten Dinge der Welt vorzeigen können; denn dort habe ich Kostbarkeiten, die eines gekrönten Hauptes würdig sind.« Liviella, welche, um der Weibernatur keinen Abbruch zu tun, das gehörige Maß Neugier besaß, versetzte darauf: »Fürwahr, wenn mein Vater nicht eben aus dem Hause wäre, so wollte ich mir wohl einmal einen Spaziergang nach Eurem Schiff erlauben.« — »Desto eher könntet Ihr jetzt hinkommen«, entgegnete Jennariello, »denn er würde Euch vielleicht diese Freude nicht bewilligen, und ich verspreche, Euch Herrlichkeiten zu zeigen, daß Ihr darüber außer Euch geraten werdet; Halsbänder und Ohrgehänge, Kästchen, Putztische und Papparbeiten, mit einem Wort Dinge, daß Ihr vor Staunen die Hände zusammenschlagen sollt.«Als nun Liviella diese schönen Sachen alle aufzählen hörte, rief sie eine Nachbarin, damit diese sie begleite, und begab sich nach dem Schiff. Kaum aber hatte sie dasselbe bestiegen, so ließ Jennariello, während er sie durch den Anblick der vielen Herrlichkeiten, die er mitgebracht hatte, gefesselt hielt, die Anker lichten und die Segel aufspannen, dergestalt, daß sie, ehe Liviella die Augen von den Waren abzog und wahrnahm, daß sie das Ufer verlassen hatten, sich bereits weit auf hohem Meer befanden. Kaum jedoch wurde Liviella des ihr gespielten Streichs endlich gewahr, so fing sie an, Olimpia in umgekehrtem Sinne zu sein; denn während jene darüber gejammert hatte, daß sie auf einem Felsen zurückgelassen wurde, jammerte Liviella darüber, die Felsen des Ufers zu verlassen.

Sobald ihr indes Jennariello sagte, wer er wäre, wohin er sie führe, was für ein Glück sie erwarte und ihr außerdem die Schönheit, die herrlichen Eigenschaften und die Tugenden Milluccios, besonders aber die Liebe schilderte, mit welcher dieser sie empfangen würde, brachte er es endlich so weit, daß sie sich beruhigte, ja sogar den Wind anflehte, sie so schnell als möglich das vollständige Bild des



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Umrisses, den ihr Jennariello gezeichnet hatte, sehen zu lassen. Indem sie nun so fröhlich weiterschifften, fingen plötzlich die Wellen unter dem Schiff zu murren an, sodaß, obwohl sie anfangs nur ganz leise redeten, der Schiffspatron, der diese Art Sprache sehr wohl verstand, ausrief: »Hallo, jeder auf seinen Platz! Es naht ein Sturm, bei dem uns Gott gnädig sein möge.« Kaum waren diese Worte gesprochen, so wurden sie auch schon durch das Pfeifen des Windes bestätigt, und in demselben Augenblick war der Himmel mit Wolken bedeckt, und das Meer fing an, hohl zu gehen. Da nun die Wogen voller Neugier, zu wissen, was sie nichts anginge, ungeladen auf das Verdeck kamen, so schöpfte sie der eine mit einer Wanne in einen Zuber, jener jagte sie mittels einer Pumpe hinaus, und während von den Matrosen, weil es sich de causa propria handelte, der eine auf das Steuer, der andere auf das Segel und der dritte auf das Tauwerk achtete, stieg Jennariello zum Mastkorb empor, um mit einem Fernrohr umherzuspähen, ob er vielleicht Land entdecke, wo sie Zuflucht finden könnten. Indem er nun aber dabei war, eine Entfernung von fünfzig Meilen mit zwei Spannen Fernrohr zu durchmessen, sah er plötzlich ein Taubenpaar herbeifliegen, welches sich auf eine Segelstange niedersetzte, worauf das Männchen sagte: »Rucke, rucke!« und das Weibchen ihn fragte: »Was hast du denn, mein lieber Mann, daß du so klagst?« — »Dieser arme Prinz«, versetzte der Täuberich, »hat einen Falken gekauft, welcher, kaum in die Hände seines Bruders gelangt, ihm die Augen auskratzen wird, doch brächt' er ihn nicht, weil's ihn tät reu'n, oder sollte er ihm Warnung leihn, so würde er zum Marmorstein.« Hierauf rief jener wieder: »Rucke, rucke!« Und wiederum fragte das Weibchen: »Klagst du noch immer? Ist noch etwas los?« —»Jawohl«, versetzte der Täuberich, »denn er hat auch ein Pferd gekauft, und das erstemal, wenn sein Bruder darauf wird Reiter sein, so bricht er alsbald Hals und Bein; doch brächt er's nicht, weil's ihn tät reu'n, oder sollte er ihm Warnung leihn, so würde er zum Marmorstein!« Kaum hatte der Täuberich dies gesprochen, so rief er wieder: »Rucke, rucke!« — »Ach Himmel, so viele Rucke-rucke«, sprach die Taube, »was ist denn nun noch los?«Und jener fuhr fort: »Der Prinz bringt seinem Bruder auch eine schöne Frau; aber die erste Nacht, in der sie beieinander schlafen, werden sie beide von einem greulichen Drachen verschlungen


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werden; doch brächt er sie nicht, weil's ihn tät reu'n, oder sollte er ihm Warnung leihn, so würde er zum Marmorstein!«Noch hatte er diese Worte nicht beendet, so ließ der Sturm nach, und die Unruhe des Meeres sowie das Toben des Windes legten sich. Aber nun erhob sich in der Brust Jennariellos ein weit größerer Sturm durch das, was er gehört hatte; wohl zwanzigmal wollte er alle jene Dinge in die See werfen, um dem Bruder nicht die Ursache seines Verderbens zubringen, andererseits aber dachte er an sich selbst und daß die ganze Sache ihn selbst so nahe anging, indem er, wenn er seinem Bruder die Geschenke nicht brächte oder ihn warnte, in einen Marmorstein verwandelt zu werden fürchtete, weshalb er auch beschloß, lieber an das »Nomen proprium«als an das »Appellativum« zu denken, da das Hemd ihm näher war als der Rock.

Indem er nun so in dem Hafen von Dunkelbusch anlangte, fand er den Bruder schon am Ufer, welcher das Schiff hatte zurückkehren sehen und ihn daher voll Hoffnung erwartete. Sobald er daher sah, daß ihm Jennariello diejenige brachte, welche er in seinem Herzen trug, und nach Vergleichung der beiden Gesichter wahrnahm, daß auch nicht der mindeste Unterschied zwischen ihnen bestand, empfand er eine so große Glückseligkeit, daß ihn die zu schwere Bürde der Wonne fast unter ihrer Last erdrückt hätte, und seinen Bruder mit großer Freude umarmend, sprach er: »Was ist das für ein Falke, den du da auf der Faust trägst?«Jennariello versetzte: »Ich habe ihn für dich zum Geschenk gekauft.« —»Wohl kann ich sehen«, entgegnete Milluccio, »daß du mich liebst, da du dir alle Mühe gabst, alle meine Wünsche zu erfüllen, und fürwahr, wenn du mir einen kostbaren Schatz gebracht hättest, so würde er mir nicht so viel Freude gemacht haben wie dieser Falke.« Während er diesen aber in die Hand nehmen wollte, ergriff Jennariello rasch ein großes Messer, das er an der Seite hängen hatte, und hieb dem Vogel den Kopf ab. Als der König dies sah, wurde er von dem größten Erstaunen ergriffen und glaubte, sein Bruder wäre närrisch geworden, daß er eine solch wahnsinnige Handlung begangen hatte; um aber die Freude des Wiedersehens nicht zu trüben, schwieg er still. Indem er nun hierauf das Pferd erblickte und auf seine Frage, wem es gehöre, vernahm, daß es sein wäre, wandelte ihn das Verlangen an, es einmal zu reiten. Während er sich jedoch die Steigbügel halten ließ, durchschnitt



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Jennariello schnell mit dem Messer die Beine des Rosses. Dies fuhr dem König gewaltig in die Nase, da er glaubte, daß ihm Jennariello dies zum Ärger getan hätte, und der Kamm fing ihm an zu schwellen; jedoch schien es ihm nicht an der Zeit, seinem Unmut Luft zu machen, um seiner Braut nicht gleich das erste Zusammentreffen zu verbittern. Von dieser aber verwandte er seine Augen nicht eine Minute lang und drückte ihr fortwährend die Hände. Hierauf in dem königlichen Palaste angelangt, lud er alle vornehmen Herren und Damen der Stadt zu einem schönen Feste ein, woselbst man in dem Saale eine ganz natürliche Reitschule von Pferden, welche Curbetten und Kreuzvolten machten, nebst einer Anzahl Füllen in Gestalt von Frauen erblickte. Nach Beendigung des Balles aber und nachdem man einem reichlichen Mahl den Garaus gemacht hatte, begab man sich zur Ruhe.

Jennariello aber, welcher an nichts anderes dachte, als seinem Bruder das Leben zu retten, verbarg sich hinter dem Bette des Brautpaares, und indem er so bereitstand, die Ankunft des Drachens abzuwarten, erschien plötzlich um Mitternacht ein greuliches Untier in dem Gemach, welches Flammen aus den Augen und schwarzen Dampf aus dem Rachen spie und durch den Schrecken, den es einflößte, ein guter Mäkler für Apotheker gewesen wäre und allen ihren Niederschlagpulvern einen raschen Absatz verschafft haben würde. Kaum erblickte also Jennariello das Ungeheuer, so fing er an, mit einem Damaszenersäbel, den er unterm Mantel trug, auf den Drachen rechts und links loszuhauen, und unter anderem holte er einmal so gewaltig aus, daß er einen Pfosten des Bettes, in dem der König schlief, mittendurch hieb, so daß dieser bei dem Geräusch erwachte und der Drache verschwand. Als nun Milluccio seinen Bruder mit einem Schwert in der Hand dastehen und den Bettpfosten durchgehauen sah, erhob er ein lautes Geschrei und rief: »Heda, holla, Leute! Hilfe, Hilfe! Dieser Verräter von einem Bruder will mich ermorden!« Bei diesem Lärm eilten einige Kammerdiener, welche in dem Vorzimmer schliefen, herbei, so daß der König Jennariello alsbald ergreifen und ins Gefängnis bringen ließ.

Kaum aber öffnete die Sonne am darauffolgenden Morgen ihr Kontor, um den Gläubigern des Tages ihre Lichtforderungen auszuzahlen, so berief Milluccio seine Räte, und nachdem er ihnen den Vorfall



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mitgeteilt hatte, zu welchem außerdem die bei der Tötung des Falkens und des Rosses an den Tag gelegte böse Absicht, den König zu kränken, hinzutrat, so waren alle der Meinung, daß Jennariello den Tod verdiene. Selbst die Bitten Liviellas vermochten es nicht, das Herz des Königs zu erweichen, welcher vielmehr sagte: »Fürwahr, du liebst mich nicht, Frau, da dir das Leben des Schwagers mehr gilt als das deines Mannes; denn mit deinen eigenen Augen hast du gesehen, wie mich der Meuchelmörder mit einer Klinge, die ein Haar in der Luft gespalten hätte, durchbohren wollte; und wenn die Säule des Bettes für mich nicht zur Säule des Lebens geworden wäre und mich geschützt hätte, wärst du jetzt deines Gemahls beraubt.« Und so sprechend, befahl er, der Gerechtigkeit freien Lauf zu lassen. Als Jennariello sein Urteil vernahm und dadurch, daß er recht gehandelt hatte, sich in solches Unglück gestürzt sah, wußte er sich weder zu retten noch zu helfen; denn, wenn er nicht sprach, so war es schlimm für ihn, im umgekehrten Fall aber noch schlimmer. Wie er sich auch drehen mochte, war er übel daran und mußte fürchten, aus dem Regen in die Traufe zu kommen; denn wenn er schwieg, verlor er den Kopf unter dem Eisen, und wenn er sprach, beschloß er sein Leben in einem Stein. Endlich, nach vielfachen Wechseln seines Entschlusses, blieb er dabei stehen, seinem Bruder alles zu entdecken.

Da er durchaus sterben mußte, so hielt er es für besser, seinen Bruder von der Wahrheit zu unterrichten und seine Tage zu beenden, nachdem er sich in dessen Augen als unschuldig erwiesen hatte, statt die Wahrheit für sich zu behalten und wie ein Verräter aus der Welt geschafft zu werden. Er ließ daher den König wissen, daß er mit ihm von etwas höchst Wichtigem zu sprechen hätte. Vor ihn geführt, sprach er zuerst von der Liebe, die er stets für seinen Bruder gehabt habe; dann ging er auf die Täuschung über, die er gegen Liviella begangen habe, um dessen Wünsche zu befriedigen, ferner auf das, was er von den Tauben in bezug auf den Falken vernommen hatte, und daß er, um nicht in einen Marmorstein verwandelt zu werden, ihm denselben zwar brachte, aber, ohne ihm das Geheimnis zu offenbaren, den Vogel tötete (bei welchen Worten Jennariello bereits fühlte, wie seine Beine erstarrten und zu Marmor wurden). Indem er ebenso die Sache vom Pferd berichtete, verwandelte er sich zu-



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sehends bis an den Gürtel in Stein und verhärtete sich auf mitleiderregende Weise, was er zwar unter anderen Umständen mit barem Geld bezahlt haben würde, jetzt aber brach es ihm das Herz. Als er nun zuletzt zu der Erzählung des Kampfes mit dem Drachen kam, blieb er ganz in Stein verwandelt mitten im Saal wie eine Bildsäule stehen, so daß der König bei diesem Anblick die Torheit und das unüberlegte Urteil, das er über seinen so guten und liebevollen Bruder gefällt hatte, verwünschte. Länger als ein Jahr trauerte er um ihn, indem er stets, wenn er an ihn dachte, Tränen vergoß.

Inzwischen hatte Liviella ein wunderschönes Zwillingspaar von Söhnen bekommen. Als sie einige Monate nachher eines Tages aufs Feld hinaus spazierengegangen war, der König aber mit den zwei Kleinen mitten im Saale stand und die Bildsäule, das Denkmal seiner Torheit, durch die er sich des Besten aller Menschen beraubt hatte, mit tränenvollen Augen betrachtete, trat plötzlich ein stattlicher Greis ein, dessen Haar ihm auf die Schultern herabwallte und dessen Bart ihm die Brust bedeckte. Dieser verneigte sich vor dem König und sprach zu ihm: »Was gäbest du darum, o König, wenn dein Bruder seine frühere Gestalt wiederbekäme?« Worauf der König versetzte: »Ich gäbe mein Königreich darum.« — »Hier handelt es sich nicht um Dinge«, erwiderte der Greis, »die durch Güter belohnt werden können, sondern da es hier auf ein Leben ankommt, so muß es durch ein anderes Leben bezahlt werden.«Teils nun aus Liebe für Jennariello, teils, weil er sich das Unglück desselben vorwerfen hörte, entgegnete der König: »Glaube mir, ehrwürdiger Greis, daß ich das Leben für das meines Bruders hingeben würde, und wenn er nur den Stein verließe, wäre ich gern zufrieden, selbst statt seiner in denselben eingeschlossen zu werden.« Als der Greis dies vernahm, entgegnete er: »Ohne daß du dein Leben daransetzest, würde das Blut dieser deiner Kinder genügen und, auf die Bildsäule gestrichen, derselben sogleich wieder Leben verleihen.«

Bei diesen Worten versetzte der König: »Kinder werden geschaffen, solange nur die irdene Form dazu vorhanden ist; darum können auch mir andere zuteil werden, einen Bruder aber darf ich nie wieder zu bekommen hoffen.«Nachdem er so gesprochen hatte, opferte er vor einem Bild von Stein die zwei unschuldigen Kinder, und mit dem Blut derselben bestrichen, wurde die Statue sogleich wieder lebendig,



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worauf sich die beiden Brüder mit unbeschreiblicher Freude umarmten. Als aber eben die beiden armen Kinder in einen Sarg gelegt wurden und mit aller gebührenden Ehre begraben werden sollten, kehrte die Königin nach Hause zurück. Daher ließ Milluccio seinen Bruder sich verbergen und sagte zu dessen Gemahlin: »Was gäbst du darum, liebe Frau, wenn mein Bruder wieder lebendig würde?« — »Ich gäbe das ganze Königreich darum«, versetzte Liviella; worauf der König weiter fragte: »Würdest du aber wohl das Blut deiner Kinder darum geben?« —»Das freilich nicht«, entgegnete jene, »denn ich könnte nicht so grausam sein, mir mit meinen eigenen Händen die Sterne meiner Augen auszureißen!« — »Weh mir!« rief nun der König aus. »Um meinen Bruder wieder ins Leben zu rufen, habe ich meine Kinder geopfert, und dies war der Preis für das Leben Jennariellos.«

So sprechend, zeigte er ihr die toten Kinder in dem Sarge. Bei diesem entsetzlichen Anblick gebärdete sich die Königin wie wahnsinnig und rief: »O meine Kinder, ihr Stützen meines Lebens, ihr Sterne meines Daseins, ihr Quellen meines Blutes, wer hat die Fenster meiner Sonne so rot angestrichen, wer ohne Erlaubnis des Arztes die Pulsader meines Lebens geöffnet? Weh mir, meine Kinder, meine Kinder, jede Hoffnung für mich ist mit euch vernichtet, jedes Licht verfinstert, jede Freude vergiftet, jede Stütze geraubt, ihr seid vom Schwert durchstochen, ich vom Schmerz durchbohrt; ihr seid in eurem Blut ertrunken, ich ertrinke in meinen Tränen; weh mir, daß ihr, um eurem Oheim das Leben wiederzugeben, eure Mutter getötet habt! O meine Kinder, meine Kinder! Warum antwortet ihr denn nicht eurer Mutter, die euch das Blut in euren Adern gab und es jetzt aus ihren Augen weint? Wohlan, da mir jetzt mein trauriges Geschick die Quellen meiner Glückseligkeit vertrocknet zeigt, so will ich auch nicht länger, meines Schmuckes beraubt, in der Welt leben!«

So klagend, lief sie an ein Fenster, um sich hinauszustürzen. In demselben Augenblick aber kam ihr Vater in einer Wolke durch das nämliche Fenster in den Saal und rief ihr zu: »Halt ein, Liviella! Meine Absicht ist jetzt erreicht, ich habe mich an Jennariello, der in mein Haus kam, um mir meine Tochter zu entführen, dadurch gerächt, daß ich ihn, in einen Stein gesperrt, so lange Monde als Marmorstatue



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dastehen ließ. Ich habe dich für dein unziemendes Betragen, daß du dich ohne meine Erlaubnis auf ein fremdes Schiff begabst, dadurch gezüchtigt, daß ich dir deine beiden Kinder oder vielmehr deine beiden Juwelen, von ihrem eigenen Vater ermordet, zeigte, habe den König, deinen Gemahl, für das Gelüst einer Frau, das er sich in den Kopf gesetzt hatte, dadurch bestraft, daß ich ihn zuerst zum Richter seines Bruders und dann zum Henker seiner Kinder machte, und auf diese Weise drei Fliegen mit einem Schlage getötet. Da ich euch alle aber nur kratzen und nicht vernichten wollte, so will ich euch jetzt wiederum alles Gift in Zuckerwerk verwandeln; darum sollst du auch deine Kinder und meine Enkel, die jetzt noch schöner sind als früher, wieder an dein Herz drücken. Du aber, Miluccio, als der Gemahl meiner Tochter, komm in meine Arme; denn ich erkenne dich von Stund als meinen Sohn an, so wie ich auch Jennariello sein Vergehen gegen mich verzeihe, indem er alles nur einem so trefflichen Bruder zuliebe getan hat.« Kaum hatte er geendet, so erschienen die beiden Kinder, die der Großvater gar nicht genug herzen und küssen konnte. Zur allgemeinen Freude kam auch noch Jennariello als dritter Teilnehmer hinzu, welcher nach Erduldung so vieler Leidensstürme jetzt in einem Meere von Glückseligkeit schwamm, obwohl er der erlittenen Gefahren eingedenk war, indem er bedachte, wie töricht sein Bruder gewesen war und wie vorsichtig man sein müsse, um nicht ins Unglück zu stürzen, denn:

»Aller Menschen Klugheit ist nur falsch und schief.«


Die goldene Wurzel

Es war einmal ein ganz armer Gärtner, welcher trotz aller angestrengten Arbeit nichts erübrigen konnte. Eines Tages kaufte er für die drei Töchter, die er besaß, drei Ferkel, damit sie diese auffüttern und so etwas zur Mitgift haben sollten. Pascuzza und Cice, die ältesten der Mädchen, trieben ihre Schweinchen auf eine schöne Wiese, gestatteten aber nicht, daß ihre jüngste Schwester Parmetella mit ihnen ging, sondern jagten sie von sich, damit sie ihr Ferkel anderswohin auf die Weide führe. Parmetella trieb darum ihr Tierchen in einen



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Wald, in welchem die Dunkelheit sich gegen die Angriffe der Sonne befestigt hatte. Als sie auf einer Lichtung anlangte, in deren Mitte eine Quelle, gleich einem Wirtshaus, in dem frisches Wasser geschenkt wird, mit silberner Zunge die Reisenden aufforderte, einen halben Schoppen zu trinken, sah sie einen Baum mit goldenen Blättern, von denen sie eins abpflückte und es dem Vater brachte, der es mit großer Freude für mehr als zwanzig Dukaten verkaufte und mit dem Geld ein und das andere Loch in seiner Wirtschaft zustopfte. Als er nun aber seine Tochter fragte, wo sie es gefunden habe, erwiderte sie: »Nimm nur, was ich dir gebe, lieber Vater, und frage nicht weiter«, worauf sie es am folgenden Tag wieder so machte und den Baum so lange seiner Blätter beraubte, bis er am Ende ganz entlaubt dastand, als wäre er von den Herbststürmen geplündert worden. Da sie jedoch am Ende bemerkte, daß der Baum auch eine goldene Wurzel hatte, welche sie mit den Händen nicht auszureißen vermochte, so holte sie zu Hause eine Axt und fing an, den Fuß des Baumes ringsumher bloßzulegen, worauf sie die Wurzel emporhob und darunter eine schöne Treppe von Porphyr sah. Parmetella, die ungeheuer neugierig war, stieg hinunter und durchschritt dann einen sehr tiefen, langen Gang, bis sie auf eine schöne Au gelangte, auf der sich ein herrlicher Palast befand, der von lauter Gold und Silber schimmerte und Perlen und Edelsteine zeigte.

Als nun Parmetella, außer sich vor Staunen, diese Herrlichkeiten eine lange Zeit betrachtet hatte und in diesem prächtigen Wohnsitz keine lebende Seele erblickte, trat sie endlich in ein Zimmer. Darin erblickte sie eine große Anzahl Gemälde, welche viele schöne Dinge darstellten, unter anderem die Dummheit eines für klug gehaltenen Menschen, die Ungerechtigkeit eines, der die Waage hielt, und die vom Himmel bestrafte Gewalttätigkeit, alles so lebendig und treu dargestellt, daß es zum Erstaunen war. Außerdem befand sich auch noch in dem Zimmer eine reichgedeckte Tafel. Parmetella, welche von ihrem Magen ungestüm gemahnt wurde und niemand sah, setzte sich zu Tisch und fing an, sich gut zu tun wie ein Graf. Während sie aber mitten im besten Zugreifen war, trat ein Mohr herein, der zu ihr sprach: »Bleib hier und geh nicht von der Stelle, denn ich will dich heiraten und dich zur glücklichsten Frau der Welt machen.« Obwohl nun Parmetella einen gewaltigen Schrecken bekam, so faßte



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sie dennoch bei dem freundlichen Versprechen wieder Mut, und indem sie auf den Antrag des Mohren einging, erhielt sie sogleich von ihm einen Wagen von Diamanten, welcher von vier Rossen aus Gold, mit Flügeln aus Smaragd und Rubinen, durch die Luft getragen wurde, damit sie darin spazierenführe. Außerdem bestellte ihr Gemahl zu ihrem Dienst noch eine Schar Affen, die in Goldstoff gekleidet waren. Diese kleideten Parmetella alsbald vom Kopf bis auf die Füße in neue Gewänder und schmückten sie so herrlich, daß sie wie eine Königin aussah.

Als aber die Nacht erschien und die Sonne, voll Verlangen, an den Ufern des indischen Stromes von den Mücken unbelästigt zu schlafen, das Licht auslöschte, sprach der Mohr zu Parmetella: »Wenn du Nina machen willst, mein liebes Kind, so lege dich in dieses Bett. Sobald du dich aber in die Decke gewickelt hast, lösche das Licht aus und tue, wie ich dir sage; denn sonst möchte es dir schlimm ergehen.« Parmetella tat also, wie ihr geheißen war. Kaum hatte sie die Augen geschlossen, als sich der Mohr in einen schönen Jüngling verwandelte und neben sie legte.

Ehe sich jedoch Aurora erhob, um zur Stärkung ihres bejahrten Geliebten frische Eier zu holen, sprang der Jüngling aus dem Bett und nahm seine andere Gestalt wieder an, während Parmetella voll Neugier zurückblieb, um zu wissen, was für ein Leckermaul das Erstlingsei einer so schönen Henne ausgeschlürft habe. Als nun wieder die Nacht erschien und sich Parmetella ganz so wie am vergangenen Abend hingelegt und die Lichter ausgelöscht hatte, erschien auch wieder der schöne Jüngling und wollte bei ihr sein. Sobald er, von seinen Kunststücken ermüdet, in Schlaf gesunken war, ergriff Parmetella ein Feuerzeug, das sie sich zur Hand gesetzt hatte, schlug den Stahl, zündete den Schwefelfaden und mit diesem das Licht an, worauf sie die Decke emporhob und das Ebenholz in Elfenbein, den Kaviar in Milch und Sahne und die Kohlen in ungelöschten Kalk verwandelt sah. Indem sie jedoch mit offenem Munde dasaß und den schönsten aller Pinselstriche, den die Natur jemals auf die Leinwand des Wunders getan, anstaunte, erwachte der Jüngling und fing an, Parmetella mit Vorwürfen zu überhäufen, indem er ausrief: »Wehe mir, um deinetwillen muß ich noch sieben Jahre lang diese verwünschte Strafe erdulden, da du aus Neugier deine Nase in meine



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Geheimnisse gesteckt hast. Aber geh nur und mache, daß du fortkommst! Entferne dich aus meinen Augen und kehre zu deinen Bauernliesen zurück; denn du ahnst nicht, was für ein Glück du verlierst.« So sprechend, verschwand er wie Quecksilber, während die arme Parmetella starr und kalt vor Schrecken und mit gesenktem Haupte den Palast verließ. Als sie jedoch aus dem unterirdischen Gang getreten war, begegnete sie einer Fee, welche zu ihr sprach: »Dein Leid, meine Tochter, schmerzt mich in der tiefsten Seele; denn du Unglückliche gehst der Schlachtbank entgegen und hast eine haarbreite Brücke zu passieren. Um daher deiner Gefahr zuvorzukommen, nimm diese sieben Spindeln, diese sieben Feigen, dieses Näpfchen mit Honig und diese sieben Paar Eisenschuhe und wandere ohne auszuruhen so lange, bis sie zerreißen, dann wirst du auf dem Balkon eines Hauses sieben Frauenzimmer sehen, welche von oben herabspinnen und die Fäden auf Totenknochen aufgewickelt haben. Weißt du nun, was du tun sollst? Halte dich ganz ruhig und versteckt, und immer, wenn ein Faden herunterkommt, so ziehe den Knochen heraus und stecke dafür eine mit Honig bestrichene Spindel an mit einer Feige statt des Kopfes; denn wenn sie diese heraufziehen, so werden sie sagen: >Wer uns versüßt hat unseren Mund, dem werde nur süßes Leben kund.<

Nach diesen Worten wird dann eine nach der andern sprechen: >O du, der du uns diese Süßigkeiten gebracht hast, laß dich sehen!<, und du mußt antworten: >Ich will nicht, denn ihr fresset mich auf<, und sie werden erwidern: >Wir fressen dich nicht auf, so wahr uns Gott unseren Löffel behüten möge.<Du aber rühre dich nicht und bleibe ruhig an deinem Ort. Dann werden sie fortfahren: >Wir fressen dich nicht, so wahr uns Gott unsern Spieß behüte.<Du jedoch halte dich bewegungslos, als wärest du an den Boden gewurzelt. Dann werden sie weitersprechen: >Wir fressen dich nicht, so wahr uns Gott unsern Besen behüte.<Du aber traue ihnen nicht; und wenn sie auch sprächen: >Wir fressen dich nicht, so wahr uns Gott unsern Eimer behüte<, so halte du dennoch deinen Mund und muckse nicht, bis sie endlich sagen werden: >So wahr uns Gott Donnerundblitz behüte, wir fressen dich nicht<; dann steige hinauf und sei sicher, daß sie dich nicht fressen werden.«

Sobald Parmetella dies vernommen hatte, fing sie an, über Berg und



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Tal so lange zu wandern, bis nach Verlauf von sieben Jahren die eisernen Schuhe zerrissen und sie an einem großen Hause anlangte, wo sie auf einem Balkon die sieben spinnenden Frauenzimmer erblickte. Nachdem sie dem Rate der Fee gemäß gehandelt und jene endlich nach tausenderlei Finten und Lockungen den Schwur bei Donnerundblitz geleistet hatten, stieg sie hinauf, worauf die Frauenzimmer zu ihr sagten: »Du schändliche Bübin bist die Ursache, daß unser Bruder zweimal sieben Jahre fern von uns in der Gestalt eines Mohren in jener unterirdischen Behausung gelebt hat. Sei jedoch unbekümmert, denn wenn du es auch verstanden hast, uns durch den Schwur ein Schloß vor unseren Rachen zu legen, so wirst du gleichwohl bei erster Gelegenheit die alte und die neue Rechnung begleichen. Jetzt aber tu folgendes: Verbirg dich hinter diesem Trog, und wenn unsere Mutter nach Hause kommt, die dich ohne weiteres verschlingen würde, so sich zu, daß du hinter ihren Rücken kommst, packe sie und ziehe sie aus Leibeskräften, ohne eher loszulassen, als bis sie bei Donnerundblitz schwört, dir nichts zuleide zu tun.« Parmetella tat, wie ihr geheißen war, und nachdem die Hexe bei der Feuerschüppe, bei der Zange, bei dem Spinnrad, bei der Weife, bei dem Topfbrett und endlich bei Donnerundblitz geschworen hatte, ließ Parmetella sie los und trat vor diese Hexe, worauf diese zu ihr sprach: »Du hast mich dieses Mal drangekriegt, Bübin; aber sieh dich vor; denn bei der ersten Wäsche wirst du mit eingeseift.«

Indem nun so die Hexe eine gute Gelegenheit, Parmetella aufzufressen, wie mit dem Lichte suchte, nahm sie eines Tages zwölf Säcke verschiedener Hülsenfrüchte, als Erbsen, Kichern, Linsen, Wicken, Fasolen, Bohnen, Reis und Lupinen, mengte sie untereinander und sprach zu ihr: »Hier, nimm diese Hülsenfrüchte und lese sie mir dergestalt aus, daß jede Fruchtart besonders sei. Wenn du aber bis heute abend nicht fertig bist, so verzehre ich dich wie eine Dreiersemmel.« Die arme Parmetella setzte sich neben die Säcke hin und sprach weinend. »O du lieber Gott, wie ist mir doch die goldene Wurzel zur Wurzel so großen Drangsals geworden. Diesmal ist es mit mir vorbei; und weil ich ein schwarzes Gesicht weiß gesehen habe, wird mir jetzt dafür ganz schwarz vor den Augen. Wehe mir, meine Stunde hat geschlagen, mir ist nicht mehr zu helfen! Schon scheint es so, als wäre ich zwischen den Zähnen der scheußlichen



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Hexe. Niemand ist da, mir beizustehen, niemand ist da, mir zu raten, niemand ist da, mich zu trösten.«

Während sie so jammerte, erschien plötzlich wie ein Blitz Donnerundblitz, welcher die ihm durch eine Verwünschung auferlegte Verbannungszeit beendet hatte. Obwohl er noch voll Zorn gegen Parmetella war, so ließ ihm dennoch seine Liebe zu ihr keine Ruhe, und indem er sie so laute Klagen ausstoßen hörte, fragte er sie: »Was hast du denn, Verräterin, daß du so weinst?«, worauf ihm Parmetella die üble Behandlung von seiten seiner Mutter mitteilte und ihm sagte, wie sie es darauf abgesehen habe, ihr den Garaus zu machen und sie zu verschlingen. »Beruhige dich und fasse Mut«, erwiderte Donnerundblitz, »denn nichts von dem allen wird geschehen.«Jetzt streute er alle Hülsenfrüchte auf die Erde und ließ eine Unzahl Ameisen hervorkommen, welche sogleich anfingen, alle Früchte einzeln aufzuhäufen, so daß Parmetella jede Gattung für sich zusammenraffen und in die Säcke füllen konnte.

Als nun die Hexe nach Hause kam und alles bereit fand, geriet sie fast in Verzweiflung und rief aus: »Der verwünschte Donnerundblitz hat mir diesen Streich gespielt, aber du sollst mir nicht so davonkommen. Darum nimm hier diese Oberzüge von Zwillich, welche für zwölf Unterbetten sind, und sieh zu, daß sie bis heute abend voll Federn sind, sonst zerreiße ich dich in Stücke.« Die Ärmste nahm die Bettzüchen, setzte sich auf die Erde und fing an, ganz kläglich zu jammern, indem sie sich ganz zerkratzte und ihre Augen in zwei Tränenquellen verwandelte. Wiederum erschien jedoch Donnerundblitz und sprach zu ihr: »Weine nicht, Verräterin, sondern laß mich nur machen, ich werde schon für dich sorgen. Du aber löse dir deine Haare auf, breite die Bettzüchen auf die Erde und fange an zu weinen und zu heulen und rufe dabei, daß der König der Vögel gestorben sei, dann wirst du sehen, was geschieht.« Parmetella tat, wie ihr geheißen war, und plötzlich erschien eine Wolke von Vögeln, welche die Luft verdunkelten und mit den Flügeln schlagend die Federn haufenweise herunterfallen ließen, so daß in weniger als einer Stunde die Betten gefüllt waren. Sobald die Hexe nach Hause kam und dies sah, schwoll sie vor Zorn dermaßen an, daß sie fast zerbarst, wobei sie ausrief: »Donnerundblitz hat es sich in den Kopf gesetzt, mich zu ärgern. Hol mich aber dieser und jener, wenn ich sie nicht



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einmal so ankriege, daß sie mir nicht entwischen kann.« Hierauf wandte sie sich zu Parmetella und sprach: »Lauf, eile zu meiner Schwester und sage zu ihr, sie soll mir die Instrumente schicken; denn Donnerundblitz soll sich verheiraten, und wir wollen ein königliches Hochzeitsfest feiern.«Zugleich aber ließ sie der Schwester sagen, daß, wenn Parmetella nach den Instrumenten käme, solle sie dieselbe sogleich schlachten und kochen; denn sie würde zu ihr kommen, um an dem Mahle teilzunehmen. Als nun Parmetella sah, daß ihr leichtere Dienste auferlegt wurden, war sie ganz erfreut, indem sie glaubte, daß das Wetter jetzt heiterer würde. Aber wie blind sind doch oft die Menschen!

Indessen begegnete ihr unterwegs Donnerundblitz. Als er sie so rasch drauflosschreiten sah, fragte er sie: »Wohin gehst du da, Unglückliche? Du weißt nicht, daß du deinem Tod entgegeneilst, dir selbst deine Fesseln schmiedest, dir selbst das Messer schleifst, selbst das Gift mischest; denn du wirst zu einer Hexe geschickt, damit sie dich verschlinge. Jedoch höre mir zu und sei ohne Furcht. Nimm dieses Brötchen hier, dieses Bund Heu und diesen Stein; und wenn du in dem Hause meiner Base anlangst, so wird ein bellender Fleischerhund auf dich losstürzen, um dich zu beißen. Du aber stopfe ihm mit diesem Brötchen den Rachen. Nach dem Hunde wirst du ein Pferd frei herumlaufen sehen. Das wird gegen dich ausschlagen und versuchen, dich unter seine Hufe zu treten. Gib ihm das Bund Heu, denn dadurch fesselst du ihm die Füße. Zuletzt wirst du an eine Tür kommen, die immer auf und zu schlägt. Lege daher diesen Stein vor, dadurch wirst du sie zum Stehen bringen. Alsdann steige hinauf. Dort wirst du die Hexe mit einem kleinen Kinde auf dem Arme finden und das Feuer sehen, das schon angezündet ist, um dich zu braten. Die Hexe wird dann zu dir sagen: >Halte mir das Kind ein bißchen und warte so lange, bis ich die Instrumente heruntergeholt habe.<Sie wird jedoch nur gehen, um sich die Hauer zu wetzen und dich dann stückweise zu zerreißen. Du aber wirf inzwischen das Kind ohne Mitleid in den Ofen, denn es ist Hexenfleisch, nimm die Instrumente, welche hinter der Tür stehen, und mach dich davon, ehe die Hexe zurückkehrt; denn sonst ist es mit dir vorbei. Jedoch merke dir, daß sich die Instrumente in einem Futteral befinden, das du nicht öffnen darfst, wenn es dir nicht sehr schlimm ergehen soll.«



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Parmetella tat, wie ihr Geliebter ihr riet; jedoch öffnete sie auf dem Heimweg das Futteral, in dem sich die Instrumente befanden. Da, mit einem Male, flog hier eine Flöte, dort eine Schalmei, hüben eine Pfeife, drüben ein Dudelsack empor, welche in der Luft tausenderlei Musik machten, während sich Parmetella vor Kummer das ganze Gesicht zerkratzte.

Inzwischen war die Hexe in die Stube zurückgekommen, und als sie Parmetella nicht mehr vorfand, trat sie an ein Fenster und rief der Tür zu: »Quetsch die Verräterin tot!«, worauf die Tür erwiderte:

»Warum soll ich der Armen Böses tun?
Durch sie kann ich ja endlich ruhn!«


***
Hierauf rief die Hexe dem Pferde zu: »Tritt die Spitzbübin mit deinen Hufen tot!« Aber das Pferd versetzte:
»Wenn ich sie träte, verspürte ich Reu',
sie gab mir ja ein Bündel Heu!«


***
Endlich rief die Hexe den Hund und sprach zu ihm: »Beiß die Schelmin tot!« Der Hund jedoch entgegnete:
»Fürwahr, ich beiße sie nicht tot,
sie gab mir doch ein großes Stück Brot!«


***
Parmetella aber, welche indessen hinter den fortgeflogenen Instrumenten herschrie, begegnete Donnerundblitz, welcher sie gehörig ausschalt und zu ihr sprach: »Hast du denn noch nicht auf deine Kosten gelernt, Verräterin, daß du dich durch deine verwünschte Neugier in diese große Not gebracht hast, in der du dich befindest?« So sprechend, rief er die Instrumente durch einen Pfiff herbei und schloß sie wieder in das Futteral ein, indem er zu Parmetella sagte, daß sie sie nun der Mutter überbringen sollte. Sowie diese Parmetella erblickte, rief sie mit lauter Stimme: »O grausames Schicksal, sogar meine Schwester handelt mir zuwider, da sie mir nicht einmal diesen Gefallen hat tun wollen.«

Bald nachher langte die Braut ihres Sohnes an, welche eine wahre



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Pest, ein wahres Unglück, eine Harpyie, ein Gespenst, ein Grauen, ein Scheusal, ein Ungeheuer von Häßlichkeit und dabei die leibhaftige Schwindsucht war und durch die Blumen und Reiser, mit denen sie sich aufgeputzt hatte, wie ein neueröffnetes Wirtshaus aussah. Die Hexe veranstaltete sogleich ein großes Fest, und da sie noch ganz voll von Gift und Galle war, ließ sie den Tisch nahe bei einem Brunnen aufstellen und setzte die sieben Töchter, jede mit einer Fackel in der Hand, daneben hin. Parmetella aber gab sie deren zwei und wies ihr außerdem ihren Platz auf dem Rande des Brunnens an, damit sie hinunterstürze, wenn sie nun schläfrig würde. Während nun die Speisen auf- und abgetragen wurden und die Köpfe schon anfingen, warm zu werden, sprach Donnerundblitz, dem gar sehr übel zumute war, zu Parmetella: »Liebst du mich, Verräterin?«, worauf diese erwiderte: »Mehr als mich selbst.« —»Nun denn, wenn du mich liebst«, entgegnete Donnerundblitz, »so gib mir einen Kuß.« — »Behüte Gott«, versetzte Parmetella, »das sei fern von mir; du hast ja ein so niedliches Geschöpf neben dir, das der Himmel dir hundert Jahre lang bewahren möge.«

»Man sieht wohl, was du für ein einfältiges Ding bist und bleiben wirst, wenn du auch ewig lebst«, sprach nun die Braut, »da du die Spröde spielst und einem so hübschen Jüngling keinen Kuß geben willst; denn ich habe mich für ein paar Kastanien von einem Viehhirten nach Herzenslust küssen lassen.« Der Bräutigam wurde bei diesen Worten ganz giftig und schwoll an wie eine Kröte, so daß ihm das Essen im Hals steckenblieb. Gleichwohl machte er eine gute Miene zum bösen Spiel und verschlang die Pille, indem er sich vornahm, sich späterhin zu revanchieren und die Rechnung auszugleichen. Als man nun gegessen hatte, schickte er die Mutter und die Schwestern fort, während er selbst, die Braut und Parmetella zurückblieben, um zu Bett zu gehen. Indem er sich von Parmetella die Schuhe ausziehen ließ, sprach er zu seiner Braut: »Hast du achtgegeben, liebes Weibchen, wie dieses hochmütige Ding mir einen Kuß verweigerte?« — »Sie hat unrecht getan«, versetzte die Braut, »dir den Kuß abzuschlagen, da du ein so hübscher Mann bist; denn ich habe mich für ein paar Kastanien von einem Schafhirten küssen lassen.

Donnerundblitz konnte sich nun nicht mehr länger halten, sondern



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mit Blitzen von Zorn und Donner von Taten ergriff er, da ihm diese Rede gar zu sehr in die Nase gefahren war, ein Messer, stach die Braut über den Haufen und vergrub sie alsdann in einem Loche, das er in dem Keller machte. Hierauf umarmte er Parmetella und sprach zu ihr: »Du bist mein Juwel, du bist die Blume der Frauen und der Spiegel der Ehre. Schau mich daher mit deinen Augen an, gib mir deine Hand, reiche mir deinen Mund, nähere dich mir, die du mein Leben bist, denn ich will dein sein, solange die Welt besteht.« So sprechend, ging er mit Parmetella zur Ruhe und scherzte mit ihr, bis die Sonne die Feuerrosse aus dem Wasserstall zog und auf die von Aurora besäten Felder zur Weide führte. Als nun die Hexe mit frischen Eiern erschien, damit sich die Neuvermählten stärken sollten und die junge Frau sagen könnte: »Glückselig ist die, welche sich verheiratet und eine Schwiegermutter bekommt!«, und sie Parmetella in den Armen ihres Sohnes fand sowie noch vernahm, was vorgefallen war, eilte sie zu ihrer Schwester, um mit ihr zu überlegen, wie sie sich diesen Dorn aus dem Auge schaffen könnte, ohne daß Donnerundblitz ihr zu helfen vermöchte.

Sie fand jedoch, daß sie aus Schmerz über ihre im Ofen gebratene Tochter gleichfalls in den Ofen gekrochen war, und da bereits der Brandgeruch die ganze Nachbarschaft verpestete, geriet die Hexe in solche Verzweiflung, daß sie gleich einem Widder so lange mit dem Kopf gegen die Mauer rannte, bis sie ihr Gehirn verspritzte. Donnerundblitz aber söhnte Parmetella mit seinen Schwestern aus, worauf sie ein frohes und glückliches Leben führten und die Wahrheit des Sprichwortes erkannten:

»Geduld überwindet alles.«


Nennillo und Nennella

Es war einmal ein Mann namens Jannuccio, welcher zwei Kinder besaß, Nennillo und Nennella, die er mehr liebte als sich selbst. Nachdem aber der Tod mit der Feile der Zeit alle Schlösser des Gefängnisses, darin die Seele seiner Frau eingesperrt war, durchgefeilt hatte, heiratete er ein nichtswürdiges Weibsbild, das kaum den Fuß über die Schwelle ihres Mannes setzte, als sie auch schon anfing, den



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Kopf hoch zu tragen und zu sagen: »Bin ich denn hierhergekommen, um die Kinder einer andern zu lausen? Das fehlte mir gerade, daß ich mir diese Bürde aufladen und den ganzen Tag lang diese Schreibälge um mich haben sollte. Lieber wollte ich, daß ich den Hals gebrochen hätte, ehe ich für schlechtes Essen, schlechteres Trinken und noch schlechteres Schlafen, wie es mir diese Brut bereitet, in diese Hölle kam. Dies Leben kann ich nicht länger ertragen; denn ich will Hausfrau und nicht Dienstmagd sein. Ich muß irgendein Mittel finden, um mich von diesem Gezücht zu befreien, oder ich selbst gehe drauf. Besser ist es, einmal zu erröten, als hundertmal zu erblassen. Ich will der Sache ein für allemal ein Ende machen und bin drum fest entschlossen, sie mir vom Halse zu schaffen oder selber davonzulaufen.«

Der arme Ehemann, der dieses Weib ziemlich liebgewonnen hatte, erwiderte darauf: »Sei nur nicht so erbittert, liebe Frau, denn der Zucker ist teuer. Morgen früh, sobald der Hahn kräht, will ich dich von dieser Bürde befreien und dir so allen Anlaß zum Ärger aus dem Wegräumen.«Ehe also noch des andern Tages Aurora die rote Bettdecke zum Fenster des Ostens hinausbreitete, nahm der arme Vater seine zwei Kinder bei der Hand, einen großen Korb voller Lebensmittel an den Arm und führte jene in einen Wald, wo ein Heer von Pappeln und Buchen die Dunkelheit belagert hielt.

Dort angelangt, sprach Jannuccio zu seinen Kindern: »Meine lieben Kinder, bleibet hier an diesem Ort, esset und trinket froh und fröhlich, und wenn es euch an etwas fehlt, so seht diesen Streifen Asche, den ich hier hinstreue und der euch wie ein Faden aus dem Labyrinth heraus nach unserem Hause führen wird.« Hierauf gab er jedem Kind einen Kuß und kehrte weinend nach Hause zurück.

Um die Stunde der Nacht aber hatten die Kinder Angst, an jenem öden Ort allein zu bleiben, wo das Rauschen eines Flusses, welcher die kecken Steine peitschte, die ihm mutwillig in den Weg traten, selbst einen Rodomont hätte in Furcht setzen können. Sie zogen daher langsam den Aschenpfad entlang und kamen endlich gegen Mitternacht am Haus des Vaters an. Pascozza aber, die Stiefmutter, gebärdete sich nicht wie ein Weib, sondern wie eine leibhaftige Furie und stieß ein gewaltiges Geschrei aus, indem sie mit Händen und Füßen um sich schlug und wie ein scheues Pferd schnaubte, wobei



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sie ausrief: »Was ist das? Woher kommen zum Kuckuck diese Klunkern, diese Filzläuse? Kann denn kein Quecksilber sie vom Hause vertreiben? Willst du sie durchaus mir zur Kränkung im Hause behalten? Schaffe sie mir sogleich aus den Augen, sonst kehre ich morgen früh in das Haus meiner Eltern zurück. Nicht dazu habe ich so viele schöne Sachen ins Haus gebracht, um eine Sklavin von Kindern zu sein, die mich nichts angehen.«

Der arme Jannuccio sah, wie schlimm die Sachen standen und wie hitzig seine Frau wurde, faßte also wieder die Kinder bei der Hand und kehrte mit ihnen in den Wald zurück, woselbst er ihnen wie das vorige Mal einen Korb mit Eßwaren gab und zu ihnen sprach: »Ihr seht, meine einziggeliebten Kinder, wie sehr eure Stiefmutter, die euch zum Verderben und mir zum Kummer in mein Haus gekommen ist, euch haßt. Darum bleibt also nur in diesem Wald, wo die Bäume, mitleidiger als sie, euch gegen die Sonne schützen, wo der Fluß, wohlwollender als sie, euch ohne Groll zu trinken geben und die Erde, freundlicher als sie, euch Rasenlager ohne Gefahr darbieten wird, und wenn es euch an Lebensmitteln fehlt, so kommt diesen Pfad von Kleie entlang, den ich in gerader Linie bis an unser Haus mache, und holt euch, was ihr braucht.« So sprechend, wandte er sein Angesicht fort, um nicht zu zeigen, daß er weinte, und die armen Kinder nicht zu entmutigen.

Als diese nun das, was sich im Korbe befand, verzehrt hatten, wollten sie nach Hause zurückkehren. Da aber zum Unglück die auf die Erde gestreute Kleie von einem Eselchen weggefressen worden war, verfehlten sie den Weg und irrten einige Tage lang in dem Wald umher und nährten sich von Eicheln und Kastanien, die sie auf der Erde fanden. Durch die Fügung des Himmels jedoch, der stets seine Hand über die Unschuldigen hält, ging gerade um diese Zeit ein Prinz in jenem Wald auf die Jagd, und Nennillo bekam beim Bellen der Hunde so große Furcht, daß er in einen hohlen Baum kroch, während Nennella anfing, aus allen Kräften zu laufen, bis sie aus dem Walde hinaus zur Meeresküste gelangte. Dort wurde sie von Seeräubern, die Holz einnahmen, entführt und hierauf von dessen Anführer in sein Haus gebracht, wo er und seine Frau, unlängst durch den Tod einer Tochter beraubt, sie an Kindes Statt annahmen.

Inzwischen war Nennillo, der sich in den Baum verkrochen hatte,



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von Hunden umringt worden, die ein betäubendes Gebell erhoben, dem zufolge der Prinz endlich nachsehen ließ, was dazu Anlaß gäbe. Und da man nun diesen schönen Knaben fand, der noch so klein war, daß er nicht zu sagen wußte, wer seine Eltern seien, so hieß er einen Jäger, ihn mit auf den Sattel zu nehmen und zum königlichen Palast zu bringen. Dort ließ er Nennillo sehr sorgfältig erziehen und in allen schönen und nützlichen Dingen, besonders aber in dem, was ein Vorschneider wissen muß, unterrichten, so daß er nach einigen Jahren dermaßen geschickt in seiner Kunst wurde, daß er die Speisen aufs zierlichste vorzuschneiden verstand.

Während dieser Zeit nun entdeckte man, daß der Schiffseigentümer, in dessen Haus sich Nennella befand, ein Seeräuber war, und wollte ihn ins Gefängnis setzen. Weil er aber die Gerichtsleute zu Freunden hatte und sie in seinem Sold hielt, bekam er Wind und machte sich mit seinem ganzen Hause aus dem Staube. Es war aber vielleicht die Gerechtigkeit des Himmels, die bewirkte, daß der, welcher sein Verbrechen auf dem Meere verübt, auch auf dem Meer dafür büßen sollte. Denn da er sich auf einer schwachen Barke eingeschifft hatte und sich nun mitten auf der See befand, kam ein solcher Windstoß und Wogendrang, daß die Barke umschlug und alle ertranken. Nur Nennella, die nicht wie seine Frau und seine Kinder an den Räubereien teilgenommen hatte, entkam der Gefahr, indem sich zur selben Zeit in der Nähe ein großer verzauberter Fisch befand, welcher seinen furchtbaren Rachen öffnete und Nennella verschlang.

Als sie aber eben glaubte, daß es mit ihr vorbei wäre, erblickte sie im Bauch des Fisches wunderbare Dinge. Denn es befanden sich darin herrliche Gefilde, wunderschöne Gärten und ein prächtiger Palast mit allen Bequemlichkeiten, darin sie wie eine Prinzessin wohnte. Der Fisch brachte sie hierauf mit größter Schnelligkeit an eine Seeküste, und da eben die drückende Glut des Sommers war, die wie ein Kalköfen sengte, hatte sich der Prinz gerade dorthin begeben, um sich an der Meeresfrische zu erquicken. Während man nun ein prächtiges Mahl bereitete, war Nennillo auf einen Balkon des Palastes, der sich am Ufer befand, getreten und schliff dort einige Messer, indem er, um sich Ehre einzulegen, seinem Amt mit vielem Eifer vorstand. Sobald ihn daher Nennella durch die Kehle des Fisches erblickte, erhob sie ihre Stimme aus der Tiefe und rief:



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»Mein Brüderlein, mein Brüderlein,
Die Messer sind geschliffen fein,
Der Tisch ist gedeckt nett und rein,
Doch schmerzt es mich gar bitterlich,
In diesem Fisch hier zu sein ohne dich!«

Nennillo selbst achtete zwar anfangs nicht auf diese Stimme. Der Prinz jedoch, der sich auf einem anderen Ausgang befand und diese klagenden Töne gleichfalls vernommen hatte, wandte sich nach dieser Richtung hin und erblickte so den Fisch. Als er nun dieselben Worte noch einmal wiederholen hörte, geriet er vor Erstaunen ganz außer sich und schickte eine Anzahl Leute ab, um zu sehen, ob sie vielleicht den Fisch durch List oder sonst auf irgendeine Weise ans Land ziehen könnten. Inzwischen hörte er immer dieselben Worte »mein Brüderlein, mein Brüderlein« wiederholen und fragte daher jeden einzelnen seiner Diener, ob er vielleicht eine Schwester besäße, die sich von ihm verloren hätte, worauf endlich Nennillo erwiderte, er erinnere sich wie im Traum, daß er, als er im Wald gefunden wurde, eine Schwester gehabt habe, von der er nie mehr etwas gehört habe. Der Prinz sagte darauf zu ihm, er solle sich dem Fisch nähern und sehen, was da los sei, vielleicht ginge es ihn etwas an.

Nennillo ging an den Fisch heran, worauf dieser seinen Kopf dem Ufer nahe brachte und einen sechs Ellen hohen Rachen öffnete, aus dem Nennella in solcher Schönheit heraustrat, daß sie ganz wie eine Nymphe aussah, die in irgendeinem Zwischenspiel durch die Zauberei eines Magiers aus dem Bauch eines Fisches hervorkomme. Als der Prinz sie nun fragte, wie sie da hineingekommen wäre, erzählte sie ihm einen Teil ihrer Leidensgeschichte und namentlich, wie sie von ihrer Stiefmutter gehaßt worden war. Da sich jedoch weder sie noch ihr Bruder des Namens ihres Vaters oder ihres Wohnortes zu erinnern vermochten, ließ der Prinz öffentlich ausrufen, daß der, der zwei Kinder namens Nennillo und Nennella verloren hätte, in den königlichen Palast kommen solle; denn er würde dort eine erfreuliche Nachricht erhalten. Jannuccio, der die ganze Zeit über ein trauriges und trostloses Leben verbracht hatte, indem er glaubte, seine Kinder wären von den Wölfen gefressen worden, eilte, als er jene Bekanntmachung vernahm, voller Fröhlichkeit zum Prinzen und



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sagte ihm, er habe die Kinder verloren, wobei er zugleich erzählte, wie er von seiner Frau gezwungen worden sei, sie in den Wald zu bringen.

Der Prinz wusch ihm nun gehörig den Kopf und nannte ihn einen einfältigen Pinsel, daß er sich von einer Frau so habe ins Bockshorn jagen lassen und zwei solche Juwelen, wie seine Kinder gewesen seien, von sich gestoßen hätte. Nachdem er ihn aber gehörig heruntergemacht hatte, legte er ihm wieder das Pflaster des Trostes auf, indem er ihm seine beiden Kinder zuführte, die nun der Vater nicht müde wurde, zu umarmen und zu küssen, worauf ihm der Prinz den Kittel abnehmen und statt dessen eine prächtige Kleidung anlegen ließ. Alsdann ließ er die Frau Jannuccios herbeirufen, zeigte ihr dessen schmuckes Kinderpaar und fragte sie, was derjenige wohl verdiene, der ihnen etwas Böses täte und sie in Lebensgefahr brächte. »Ich würde ihn«, erwiderte sie, »in ein zugemachtes Faß stecken und dies hierauf einen Berg hinunterrollen.« — »So geschehe es«, versetzte der Prinz; »der Bock hat sich dieses Mal selbst gestoßen, wohlan, da du dir selbst dein Urteil gesprochen hast, so soll es auch ausgeführt werden, denn du hast diese deine Stiefkinder mit unverdientem Haß verfolgt.«Demgemäß befahl er, den von ihr selbst gefällten Spruch zu vollstrecken, worauf er Nennella einem seiner Vasallen, einem sehr reichen Edelmann, die Tochter aber ihrem Bruder zur Frau gab, indem er ihnen hinlängliche Einkünfte anwies, damit sie und ihr Vater, ohne jemandes zu bedürfen, bequem leben könnten, während ihre Stiefmutter in ein Faß eingeschlossen und zugleich von fernerem Leben ausgeschlossen wurde, wobei sie bis zu ihrem letzten Atemzug immerfort durch das Spundloch schrie:

»Wohl langsam mahlt des Schicksals Mühlenstein,

Doch packt er sicher und zermahlt ganz fein.«


Die Prinzessin im Apfel

Ein König und eine Königin litten einst unter schwerem Kummer, denn der Himmel hatte ihnen Kinder versagt. Eines Tages jedoch sprach eine alte Frau zu der Königin: »Majestät, in neun Monaten werdet Ihr ein Kind zur Welt bringen.«



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»Wie kommst du darauf?«wunderte sich die Königin. »Mir hat doch alle Welt gesagt, ich könne keine Kinder bekommen.«

»Ihr werdet guter Hoffnung sein, Majestät«, wiederholte die Alte, »aber es wird ein Apfel werden.«

»Ein Apfel?« meinte die Königin enttäuscht. »Was fange ich mit einem Apfel an?«

»Einstweilen gebt Euch damit zufrieden, Majestät«, sagte die Alte, »und gebt dem Apfel den besten Platz auf Eurer Terrasse.«

Nicht lange nach dieser Begegnung begann die Königin sich schlecht zu fühlen und spürte, daß sie guter Hoffnung war. Als neun Monate um waren, brachte sie einen wunderschönen Apfel zur Welt, so rosig und glänzend, daß es eine Pracht war. Darüber herrschte großer Jubel. Es wurden Feste gefeiert, zu denen alle Welt eingeladen wurde. Der König aber nahm den Apfel und legte ihn in ein kostbares Gefäß auf seiner Terrasse.

Dem Königspalast gegenüber wohnte ein anderer König mit seiner Stiefmutter. Als nun eines Tages der treue Diener dieses Königs - denn wie alle Könige hatte er natürlich einen Vertrauten -den Pferden zu trinken gibt, läßt er seine Blicke zufällig auf die Terrasse gegenüber schweifen. Und was erblickt er? Ein anmutiges Mädchen, das sich wäscht und kämmt; nach einer Weile sieht er es wieder verschwinden und in einen Apfel kriechen. Da spricht er zu sich selbst: >Das muß ich unbedingt meinem Herrn mitteilen.<

»Wenn Sie wüßten, Majestät, was ich Wunderbares auf der Terrasse der Königin gesehen habe!« »Was denn?« will der König wissen.

»Einen herrlichen Apfel«, erwidert der Diener, »aus dem steigt ein liebliches Mädchen, das wäscht und kämmt sich und zieht sich dann wieder in den Apfel zurück.«

»Du irrst dich gewiß«, entgegnete der König.

»Nein, bestimmt nicht, Majestät; schon zwei Tage beobachte ich das Mädchen, und immer tut es dasselbe.«

»Schön«, meinte der König, »morgen früh begleite ich dich. Doch wehe, wenn du lügst! Es kostet dich deinen Kopf.«

Am nächsten Morgen schloß sich der König seinem Diener an und erblickte mit eigenen Augen das rosige Mädchen, das einem Apfel entstieg, sich wusch und kämmte und wieder im Apfel verschwand. Den König aber ergriff eine innige Liebe.



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»Was gäbe ich darum«, seufzte er, »wenn ich diesen Apfel besäße! Wie kann ich das nur erreichen? Was muß ich tun?« ruft er einmal übers andere.

Den ganzen Morgen zerbricht er sich den Kopf. Schließlich meint er: »Ich werde einfach zur Königin gehen und sie darum bitten.« Und so geschieht es.

Am gleichen Morgen begibt er sich zur Königin. »Hoheit«, beginnt er, »ich habe eine große Bitte!«

»Tragt sie nur vor«, ermuntert ihn die Königin, »Euer Wunsch soll in Erfüllung gehen.«

»Ich flehe Euch an«, bat er, »schenkt mir den wunderschönen Apfel auf Eurer Terrasse.« Er verschwieg aber, daß er das Mädchen beobachtet hatte.

»Was kommt Euch in den Sinn?« ruft die Königin erschreckt. »Ich habe so viel gelitten, um ihn zur Welt zu bringen, habe ihn so sehnlichst begehrt! Nein, den kann ich Euch beim besten Willen nicht schenken.« Doch der Jüngling ließ nicht ab mit Bitten und flehte so lange, bis sie am Ende nachgab; schließlich kann man einem König einen Wunsch nicht gut abschlagen. Freudig nahm er den Apfel und kehrte in sein Haus zurück.

Er legte ihn in sein Zimmer, und jeden Morgen gab er ihm frisches Wasser und bereitete alles aufs beste vor; dann schaute er zu, wie sich das Mädchen wusch und kämmte. Doch sie sprachen kein Wort miteinander. Von nun an hielt er sich nur noch in seinem Zimmer auf.

Da erkundigte sich seine Stiefmutter bei der Dienerschaft, was der Herr wohl treibe, da sie ihn fast nie zu Gesicht bekomme. »Ich gäbe etwas drum, wenn ich wüßte, warum mein Stiefsohn nie mehr bei Tisch erscheint. Er kümmert sich um gar nichts mehr.«

Gerade in diesem Augenblick traf ein Befehl ein, der den Königssohn in den Krieg rief. Große Betrübnis erfüllte ihn, daß er sich von seinem Apfel trennen mußte. Er rief seinen Vertrauten und sprach zu ihm: »Ich vertraue dir hier den Schlüssel zu meinem Zimmer an. Gib gut acht, daß es niemand betritt. Jeden Tag zur gleichen Stunde mußt du dem Apfel das Wasser wechseln und dafür sorgen, daß es ihm an nichts gebricht; bedenke, daß mir das Mädchen alles wiedererzählt.« « Das sagte er nur, um den Diener einzuschüchtern, denn in



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Wirklichkeit sprach das Mädchen nie. »Merk dir, solltest du nicht alles pünktlich ausführen, was ich dir auftrage, so lasse ich dir den Kopf abschlagen, wenn ich wiederkehre.« Darauf verabschiedete er sich von der Stiefmutter und begab sich auf die Kriegsfahrt.

Ihr könnt euch vorstellen, wie gewissenhaft der Diener die Befehle seines Herrn ausführte! Die Stiefmutter aber dachte bei sich: >Endlich ist er fort; nun will ich versuchen, in sein Zimmer einzudringen. Aber wie? Das beste wird sein, wenn ich den Diener zu mir zum Essen einlade.<

Und eines Tages sprach sie: »Weißt du, ich fühle mich so einsam; komm doch zum Essen zu mir.«

Der Diener aber zierte sich: »Das kann ich nicht annehmen, ich müßte mich schämen.«

Doch die Königin beharrte auf ihrem Willen, und schließlich gab er nach. Er begab sich also zu Tisch. Doch die Stiefmutter hatte ihm Opium in den Wein geschüttet, und nachdem er reichlich und gut gegessen hatte, schlummerte er allmählich ein.

Als er in tiefem Schlafe liegt, schleicht sich die Stiefmutter an ihn heran, stöbert seine Taschen durch und findet den Schlüssel. Sie eilt zum Zimmer des Königssohns, öffnet die Tür und tritt ein. Jedermann weiß, daß die Königinnen stets einen Dolch im Gürtel tragen. Sie durchsucht das ganze Zimmer, kann aber nichts entdecken. Schließlich erblickt sie unter einem Fenster mitten in einem schönen Korb voller Blumen einen Apfel.

>Es kann nur dieser Apfel sein, der ihm den Kopf verdreht hat<, meint sie. Und sie löst ihren Dolch vom Gürtel und durchsticht den Apfel. Sogleich füllt sich das Zimmer mit Blut.

Verängstigt schließt die Königin rasch das Zimmer wieder ab, steckt den Schlüssel in die Tasche des Dieners und zieht sich in ihre Gemächer zurück.

Nach einer Weile wacht der Diener auf und findet sich allein im Zimmer. »Du lieber Gott«, ruft er aus, »was habe ich getan? Was wird die Königin gesagt haben!« Und plötzlich fällt ihm ein: >O du mein Gott, ich habe ja dem Apfel noch gar kein frisches Wasser gegeben! Wenn er es dem Herrn erzählt!<Und wie der Blitz ist er aus den Gemächern der Königin verschwunden. Er öffnet die Tür zum Zimmer seines Herrn, tritt ein und sieht den ganzen Raum in Blut



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schwimmen. »O Gott, o Gott, das hat die teuflische Königin verbrochen, das ist ihr Werk«, jammert er. »Was kann ich tun? Alles ist verloren. Mir bleibt nichts anderes als fliehen . . . Was soll ich hier noch länger verweilen?«

Und er verläßt das Haus.

Unentwegt zieht er dahin. Als er bereits ein großes Stück zurückgelegt hat, begegnet ihm ein graues Mütterchen; es ist jene Alte, die der Königin die Geburt des Apfels geweissagt hatte.

»Was fehlt dir denn, Unseliger?«spricht sie ihn an. Und er schüttet ihr sein Herz aus.

Da sagt sie zu ihm: »Nimm dieses Pulver und lauf wieder heim, aber spute dich, denn der König kommt heute abend zurück. Du mußt das Pulver überall im ganzen Zimmer verstreuen, und du wirst sehen, der Apfel kehrt ins Leben zurück.«

Der junge Mann bedankt sich und tut, wie ihm das Mütterchen geheißen. Er bestreut das Zimmer an allen Ecken und Enden mit dem Pulver, und wahrhaftig, der Apfel kehrt ins Leben zurück. Schnell versorgt er ihn mit frischem Wasser und schließt das Zimmer ab. Am Abend kehrte der König heim. Seine erste Frage gilt dem Apfel. »Hast du ihn immer gut versorgt? Hast du ihm jeden Tag frisches Wasser gegeben?«

»Seid unbesorgt, Hoheit«, erwiderte der Diener, »ich habe alle Eure Weisungen befolgt.«

Der König geht ins Zimmer und ruft:

»Äpfelchen, Äpfelchen, sprich:
Hast du entbehrt was ohne mich?«


***
Da tritt das Mädchen plötzlich aus dem Apfel hervor und beginnt das erste Mal in seinem Leben zu sprechen: »Höre, was mir geschehen ist«, und es erzählt ihm die Begebenheit. »Doch dein Diener, der Ärmste, ist unschuldig«, fügt es hinzu. »Du mußt nämlich wissen, daß geschehen mußte, was mir deine Stiefmutter angetan hat, damit ich mein achtzehntes Lebensjahr vollenden konnte. Nun kann ich nicht mehr in meinen Apfel zurückkehren, und wenn du mich haben willst, bleibe ich gern bei dir.«

Überglücklich ruft der König: »Das will ich meinen!«



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Er lädt den König und die Königin, des Mädchens Eltern, zur Hochzeit ein und führt ihnen ihre Tochter vor; während sie beim Festmahl sitzen, läßt er die Stiefmutter verbrennen.


Soldatino

Es war einmal eine arme Frau, die hatte einen Sohn namens Soldatino.

Eines Tages sprach Soldatino zu seiner Mutter: »Wißt Ihr was, Frau Mutter, ich will zur Königstochter gehen und ihr drei Rätsel aufgeben.« —»Was sind denn das für Flausen, Junge? Fürsten und Edelleute haben ihr Heil versucht, doch sie hat alle Rätsel geraten.« —»Ich will es aber doch versuchen.« —»Höre, Junge, wenn die Königstochter die Rätsel löst, kostet es deinen Kopf. Aber warte wenigstens noch ein Weilchen, damit ich dir ein Brot backen kann, einen schönen Fladen.«

Die Frau dachte bei sich: >Ehe ihn die Königstochter umbringt, töte ich ihn lieber selbst.<Und sie mischte unter den Teig für den Fladen ein Giftpülverchen.

Sie gab ihm den Kuchen, und Soldatino sagte, bevor er aufbrach: »Mama, ich nehme Paula mit.«Paula war nämlich seine Mieze. Als er ein ganzes Stück gewandert war, knurrte sein Magen vor Hunger. Da sah er einen Vogel, schoß aber statt des Vogels einen Hasen, der war trächtig. Soldatino trennte ihm die Jungen aus dem Leib; in der Tasche hatte er ein paar beschriebene Bogen Papier, die verbrannte er, briet die Häschen über dem Feuer und aß sie auf.

»Das wäre ein hübsches Rätsel für die Königstochter«, sagte Soldatino bei sich:

»Ich zielte auf etwas, was ich sah,
Traf aber etwas, was ich nicht sah,
Aß lebendiges, doch nicht geborenes Fleisch,
Das ich im Rauch von Worten briet.«

Er schritt weiter und gelangte zu einer Quelle. »Du kommst mir gelegen, da kann ich ein Stück Fladen essen.«Und er ließ sich mit seiner



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Paula nieder. Da sprach er zu sich selbst: »Ich glaube nicht, daß meine Mutter etwas in den Fladen gebacken hat. Trotzdem will ich lieber erst meiner Paula ein Stückchen geben; ist etwas drin, dann sehe ich es ja.«

Er brach ein Stück Kuchen ab und gab es Paula zu essen. Diese zuckte drei-, viermal und fiel tot zur Erde. Als er die tote Paula sah, meinte er: »Das wäre wieder ein hübsches Rätsel für die Königstochter:

>Der Fladen tötete Paula.<«


***
Während er noch in Nachdenken versunken ist, wendet er sich um und schaut der Quelle zu; das herabstürzende Wasser fließt über einen Felsblock, den es ausgehöhlt hat. Sagt Soldatino: »Schau einer an, das gäbe noch ein Rätsel für die Königstochter:
>Das Weiche besiegt das Harte<,


***
werde ich zu ihr sagen. Freu dich, Soldatino, jetzt haben wir sie!« Während er sich zum Weitergehen anschickt, erblickt er drei Frauen. »Ach, du mein Gott, da kommen drei Weiber her! Die werden jetzt anfangen zu schwätzen und kein Ende finden; ich werde mich schlafend stellen.«

Die Frauen gingen vorüber, es waren drei Feen. »Da liegt ja Soldatino«, rief die eine, »er ist auf dem Weg zur Königstochter, um ihr drei Rätsel aufzugeben. Der Arme!« meinte die zweite: »Lassen wir dem armen Burschen doch eine Gabe hier!«Die eine sagte: »Ich lasse ihm die Serviette da«; die zweite: »ich diesen Geldbeutel«; die dritte: »und ich diese Hirtenflöte«. Und damit entfernten sie sich.

Soldatino konnte es gar nicht abwarten, bis sie außer Sicht waren, vor lauter Begierde, die Gaben anzuschauen. Er richtet sich auf und breitet die Serviette aus; und diese füllt sich mit einer solchen Fülle von Leckerbissen, daß Soldatino beim bloßen Anblick das Herz im Leibe lacht. Er aß sich satt, faltete seine Serviette zusammen und spricht:

»Jetzt will ich nachschauen, was sich im Geldbeutel befindet.« Er schüttelt ihn, und heraus fielen hundert Skudi, und der Beutel wurde niemals leer.



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»Und nun will ich die Flöte ausprobieren.«Und er begann zu spielen. In der Nähe waren ein paar Bauern bei der Feldarbeit, Frauen und Männer. Als nun Soldatino die Flöte an die Lippen setzte, begannen jene sich im Tanz zu wiegen, hüpften und tanzten und flehten schließlich: »Soldatino, hör auf, hör auf, Soldatino, wir brechen uns die Beine!« Da nämlich die Flöte verzaubert war, mußten sie so lange tanzen, wie er spielte.

Soldatino hört auf und begibt sich in die Stadt; er geht zum Königspalast und sagt, er wolle der Königstochter drei Rätsel aufgeben. Der König warnt ihn: »Überlegt es Euch gut! Wenn meine Tochter sie rät, seid Ihr des Todes.«Er ist ein rechter Bauerntölpel, der Bursche, und sie lassen ihn nur ungern passieren. Die Königstochter sitzt in einem schönen Saal inmitten von Edelleuten und vornehmen Herren.

»Los, laßt Euer Rätsel hören«, fordert sie ihn auf.

Da Soldatino jeden Tag ein anderes aufsagen muß, beginnt er mit dem ersten:

»Ich zielte auf etwas, was ich sah,
Traf aber etwas, was ich nicht sah,
Aß lebendiges, doch nicht geborenes Fleisch,
Das ich im Rauch von Worten briet. —
Ohne Deuteln, klipp und klar,
Ratet, was dieses Etwas war.«


***
Die Königstochter schlägt bald das eine, bald das andere Buch auf, zerbricht sich den Kopf und meint schließlich: »Ich weiß es nicht.« Der Junge verläßt den Palast, und die Königstochter ist ganz aufgeregt, denn wenn sie die Lösung nicht findet, muß sie den Bauernburschen heiraten.

Sie geht zum Vater und jammert: »O liebster Vater, ich habe das Rätsel nicht gelöst, wenn ich nun diesen Tölpel heiraten muß!« —

»Daran hättet Ihr früher denken müssen, mein liebes Kind! Aber seid nur guten Mutes, es folgen ja noch zwei andere Rätsel.«

Inzwischen ist der zweite Tag angebrochen; der junge Bursche erscheint pünktlich und gibt das zweite Rätsel auf:



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»Der Fladen tötete Paula. —
Ohne Deuteln, klipp und klar,
Bringt des Rätsels Lösung dar.«

Die Prinzessin wälzt in den Büchern, sinnt hin und her, aber ihr fällt die Lösung nicht ein. Verzweifelt geht sie zum Vater und weint: »Liebster Vater, was soll ich tun? Ich habe das zweite Rätsel auch nicht herausbekommen. Muß ich diesen Bauernlümmel nun heiraten?« —»Verliert nur nicht die Geduld, es folgt ja noch eins!« beruhigt sie der Vater.

Soldatino wartet den dritten Tag ab und sagt das letzte Rätsel auf:

»Das Weiche besiegt das Harte. —
Ohne Deuteln, klipp und klar,
Bringt des Rätsels Lösung dar.«

Und sie sucht und sucht, doch ach, sie kann auch dieses Rätsel nicht raten. Da ruft Soldatino: »Die Königstochter gehört mir!«

»Aber gewiß, lieber Soldatino«, versichert der König, »habt nur einige Tage Geduld, im Augenblick könnt Ihr sie nicht heiraten. Steigt einstweilen mit den andern ins Gefängnis hinunter!«Sprach Soldatino: »1 wo; ich habe die Rätsel aufgegeben, die Prinzessin hat sie nicht gelöst, und nun gehört sie mir.«

»Ihr habt ja recht, aber geduldet Euch nur noch wenige Tage.« Und der König redete so lange auf ihn ein, bis der arme Soldatino schließlich zu den zum Tode Verurteilten ins Gefängnis herabstieg. Kaum kommt er unten an, da brüllen sie ihm entgegen: »He, du Dummkopf, bist du auch gekommen, um mit uns zu sterben?« — »1 wo, ich nicht«, erwidert er.

Nun sendet ihnen der König zu Mittag einen Topf Bohnen ins Gefängnis, und der Wärter stellt sie auf den Tisch. Fegt Soldatino daher und gibt dem Topf einen Stoß, daß die Bohnen alle zu Boden kullern. Die andern: »O du blöder Schelm, umbringen sollte man dich! Wir vergehn vor Hunger, und du kippst die Bohnen auf die Erde!« —»Haltet doch den Mund, was ereifert ihr euch denn so?« Er zog seine Serviette aus der Tasche, breitet sie auf dem Tisch aus, und schon begann alles zu schmausen. »Brav, Soldatino!«Und sie lärm-



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ten vor Begeisterung, umarmten und küßten ihn. Und so geschah es Tag für Tag; alles Essen, das ihnen der Hof sandte, wiesen die Gefangenen zurück. Das kommt dem König zu Ohren; verwundert steigt er ins Gefängnis hinab, um nachzuschauen, was da los sei; und die Gefangenen erzählen ihm, Soldatino habe eine Serviette, die ihnen zu essen liefere. Der König wendet sich an Soldatino. »Hör einmal, Soldatino, du mußt mir einen Gefallen tun und mir deine Serviette leihen!« — »1 wo, die leih ich nicht her.« —»Doch, tu mir den Gefallen, ich muß ein paar Einladungen geben; ich bringe sie dir dann sofort zurück.«Und der König schmeichelt so lange, bis er ihm die Serviette ausgespannt hat.

Die Gefährten: »O du Esel, jetzt kannst du den Riemen enger schnallen, jetzt iß nur die Bohnen!« —»1 wo, regt euch nur nicht auf. Schaut lieber her, was ich hier habe!«Und er zeigt ihnen den Geldbeutel. Die allerbesten Sachen, die auf dem Markt zu finden sind, wandern nun ins Gefängnis.

Das erfuhr der König und begab sich zu Soldatino. »O Soldatino, du mußt mir eine Bitte erfüllen. Leih mir doch deinen Geldbeutel, ich muß eine größere Schuld bezahlen; später erhältst du dann all die geliehenen Sachen zurück, die Serviette und den Beutel.« Der Dummkopf von Soldatino gibt ihm den Beutel, und die andern spotten. »O du Einfaltspinsel, jetzt bleibt dir nichts andres übrig, als Bohnen zu essen.« Und er: »1 wo! 1 wo!« Da aber Soldatino an dem Tage der Hunger plagte, mußte er sich wohl oder übel über die Bohnen hermachen.

Am Tag darauf brachte ihm der König weder Beutel noch Serviette zurück. Meint Soldatino: »Wartet nur, ich werde Euch schon Beine machen!«Er zieht seine Flöte hervor und setzt zum Spielen an. »Ihr werdet sehen, wie rasch er mir alles zurückbringt, der König!«Alles beginnt zu tanzen: im Gefängnis, am Königshof, heißassa, hopsassa, es gibt kein Ende; der bricht ein Bein, der einen Arm; der König, die Königstochter tanzen, und alle sind schon halbtot. Da fängt Soldatino erst richtig an. Unaufhörlich tanzend schreit der König: »Soldatino, hör auf, Soldatino, hör auf! Wir sind halbtot!«Soldatino aber hörte nicht auf, er spielt und spielt. »Ich will meinen Geldbeutel und meine Serviette!«Mehr tot als lebendig holt der König, immerfort tanzend, den Geldbeutel und die Serviette.



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»Gut, Majestät, die beiden Dinge habe ich erhalten. Aber jetzt möchte ich wenigstens eine Nacht bei Ihrer Tochter schlafen; hernach verzichte ich gern darauf, sie zu heiraten. Sonst spiele ich weiter!«

Da sagt der König zu seiner Tochter: »Hör, liebes Kind, geh doch eine Nacht mit dem Mann schlafen, sonst bringt er uns alle um!« Sagt Soldatino: »Majestät, hören Sie mich gut an: Auf alles, was ich Eure Tochter frage, muß sie mit Nein antworten. Sie kann also unbesorgt kommen. Sie soll Wachen aufstellen, Türen und Fenster offen lassen, Licht im Zimmer anzünden, und im Bett liegt jeder für sich auf einer Seite. Mir scheint . . . « Erleichtert sagt der König zu seiner Tochter: »Also, liebes Kind, du kannst ganz ruhig schlafen gehen, du legst dich auf die eine Seite und Soldatino auf die andere.« Und so geschieht es. Als sie im Bett liegen, sagt Soldatino: »Prinzessin, finden Sie es schön, daß die Tür aufsteht?« — »Nein.« — »Habt ihr's gehört, Wachen? Macht sie zu! Prinzessin, finden Sie es schön, daß die Wachen die Tür behüten?« —»Nein.« — »Habt ihr's gehört? Fort mit euch! Prinzessin, finden Sie es schön, daß das Fenster offensteht?« — »Nein.« — »Habt ihr's gehört? Geschwind, schließt es zu! Prinzessin, finden Sie die vielen Lichter schön?« — »Nein.« — »Habt ihr's gehört? Löscht sie aus. Prinzessin, finden Sie es richtig, daß Sie auf der einen und ich auf der anderen Seite liege?« —»Nein.« —»Rücken wir also aneinander! Prinzessin, finden Sie es schön, daß wir gar nicht Arm in Arm liegen?« — »Nein.« — »Umarmen wir uns also!«

Am nächsten Morgen erscheint der König, um Soldatino fortzujagen; da sieht er, daß keine Wachen mehr dastehen, alle Lichter erlöscht sind und Soldatino mit der Tochter in zärtlicher Umarmung liegt.

Und die Königstochter sagt: »Das ist mein Mann.«

Und Soldatino sagt: »Das ist meine Frau.«

Und lebten glücklich und zufrieden -
Nur mir war nichts davon beschieden.
Der Hochzeit folgte ein leckerer Schmaus.
Und was ist für mich geblieben?
Eine gebratene Maus.


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Das Milchmädchen

Es waren einmal ein König und eine Königin, die hatten keine Kinder. Eine alte Frau weissagte ihnen, sie hätten die Wahl zwischen einem Sohn, der das väterliche Haus auf Nimmerwiedersehen verlassen, und einer Tochter, die den Eltern verbleiben werde, wenn es ihnen gelinge, sie bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahre gut zu behüten, ohne daß sie etwas von der Außenwelt zu sehen bekomme.

Sie gaben sich mit der Tochter zufrieden, und wirklich brachte die Königin bald darauf ein Mädchen zur Welt. Der König ließ einen unterirdischen Palast errichten, wo das Mädchen aufwuchs und erzogen wurde, ohne von der Welt etwas zu ahnen.

Als jedoch sein achtzehntes Lebensjahr heranrückte, hatte es seine Erzieherin nach wiederholten Bitten endlich dazu gebracht, daß sie ihm ein Pförtchen öffnete, das zum Garten führte. Es war ganz bezaubert von der Sonne, von den Farben und Blumen.

Eines Tages erging es sich wieder im Garten. Da schoß auf einmal ein riesiger Vogel auf das Mädchen herab, packte es und trug es mit sich fort durch die Lüfte, bis er es auf dem Dach eines Bauernhauses niedersetzte.

Zwei Bauern, Vater und Sohn, sahen von ferne etwas in der Sonne glitzern, und als sie sich näherten, entdeckten sie auf dem Dach die Königstochter mit einer Krone aus Brillanten auf dem Haupt. Erstaunt kletterten sie über die Dächer zu ihr hin; das Mädchen erzählte ihnen ihre Geschichte und bat sie flehentlich, es herunterzuholen. Die guten Bauern kamen seinem Wunsch gern nach und führten es in ihr Haus, wo sie es den fünf Bauerntöchtern zur Gefährtin gaben. Anfangs lebten sie vom Verkauf der Brillanten, doch mit der Zeit gingen diese zu Ende.

Die Königstochter, die den armen Leuten nicht zur Last fallen wollte, sagte zur Frau des Bauern, die es jetzt Mutter nannte: »Ich bitte dich, geh zu der Königin des Landes und laß dir etwas für mich zum Sticken geben.«

Die Königin, um die Bäuerin loszuwerden, schickte dem Mädchen ein grobes Stück Leinwand. Als ihr die Bäuerin die fertige Arbeit überbrachte, hatte das Mädchen das Tuch mit so herrlichen Stickereien verziert, daß sich die Königin vor Staunen nicht fassen konnte,



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und sie schickte dem Mädchen zwei Goldstücke. Auch sandte sie ihm einen anderen Lumpen; wieder brachte die Bäuerin ihr eine Handarbeit zurück, die allerseits Bewunderung erregte. Um sie auf die Probe zu stellen, ließ sich die Königin ihre Verwunderung nicht anmerken und sandte dem Mädchen zusammen mit den zwei Goldstücken einen alten Rock. Als aber die Bäuerin auch diesen schön gestickt zurückbrachte, wollte die Königin um jeden Preis wissen, wie jene zu den Handarbeiten kam, die unmöglich aus den Händen einer Bäuerin stammen konnten.

Die arme Frau redete ihr ein, ihre Tochter sei im Kloster bei den Nonnen erzogen worden, doch die Königin wollte es nicht glauben. Schließlich bestellte sie die ganze Aussteuer für die Hochzeit ihres Sohnes bei ihr. Der Prinz, dem seine Mutter diese Geschichte erzählt hatte, wollte das Milchmädchen gern kennenlernen. Er suchte es auf und leistete ihm Gesellschaft, während es über seine Arbeit gebeugt saß, und da er ein rechter Tölpel war, fiel er dem Mädchen lästig. Eines Tages, ehe er sich's versah, gab er ihm einen Kuß. Da durchbohrte ihm das Mädchen, ohne sich lange zu besinnen, mit dem Pfriem das Herz.

Der Vorfall ließ sich nicht verheimlichen, und das arme Mädchen kam vor Gericht, das aus den Töchtern des Königs bestand. Die Älteste verurteilte es zu lebenslänglichem Gefängnis, die zweite zum Tode, die dritte zu zwanzig Jahren Gefängnis, die jüngste aber, die das weichste Herz hatte und die Missetäterin in ihrem Innern entschuldigte, verurteilte sie nur zu acht Jahren, doch sollte sie zusammen mit dem Leichnam des Königssohnes in einen Turm gesperrt werden, so daß sie ihn ständig vor Augen hatte und Reue über ihre Tat empfand. Der Vorschlag der Jüngsten wurde angenommen, und diese flüsterte dem Milchmädchen ins Ohr, sie werde ihm schon beistehen und helfen. Und sie hielt Wort. Als das Mädchen im Turm gefangensaß, brachte sie ihm jeden Tag die erlesensten Speisen. Drei Jahre waren vergangen, seit die unglückliche Gefangene in der Einsamkeit schmachtete.

Da erblickte sie eines Tages in der Luft den Vogel, der sie geraubt hatte; dieser schüttelte die Federn und ließ zehn tote junge Vögel zu ihren Füßen niederfallen. Das arme Mädchen konnte sich gar nicht darüber trösten, daß das Tier nicht nachlassen wollte, es zu



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verfolgen und zu peinigen. Doch zwei Tage darauf erschien der Vogel von neuem und ließ sich zu den Jungen herab, bestrich sie mit einem Kraut, das er mitgebracht hatte, und siehe da, alle zehn Vögelchen erwachten wieder zum Leben und flogen davon. Das Mädchen verstand sogleich, was der Vogel es hatte lehren wollen. Doch so sehr es auch suchte, es fand auf dem Boden auch nicht einen einzigen Halm von diesem Kraut.

Zwei Tage später erschien der Vogel wieder und warf ein ganzes Bündel von dem Kraut zu ihren Füßen. Erfreut lief das Mädchen zum Leichnam des Königs und bestrich ihn damit von oben bis unten, so daß der Tote allmählich aus seinem Schlaf erwachte und die Augen aufschlug. Insgeheim ließ das Mädchen die jüngste Tochter des Königs rufen, und als die Prinzessin die Gefangene aufsuchte, bereitete diese sie auf die unerlaubte Nachricht vor.

Nun beschlossen sie gemeinsam, daß der König im Turm bleiben solle, bis das Milchmädchen ihre Strafe verbüßt habe. Und damit es den beiden Gefangenen an nichts fehle, sandte ihnen die Schwester täglich alles, was ihr Herz begehrte, und als der König um eine Gitarre bat, ließ sie ihm sogar eine Gitarre bringen.

Die beiden Liebenden verbrachten nun die Abende mit Gitarrenspiel und Gesang.

Neben dem Turm aber befand sich der Palast des Vizekönigs. Als dieser das Spielen und Singen vernahm, beschwerte er sich bei den Schwestern über die Gefangene. Darauf stellten sie das Milchmädchen zur Rede; es leugnete jedoch alles ab. Und da der König wieder wie leblos auf seinem Totenbett ausgestreckt lag, verließen sie es im Glauben, es sei allein. Doch Spiel und Gesang tönten weiter. Der Vizekönig, der es nicht mit ansehen mochte, daß sich eine Gefangene vergnügte, ordnete an, das Mädchen solle in ein anderes Gefängnis überführt werden.

Die Gefangene beriet sich nun mit der guten Schwester des Königs, was sie tun sollten, und als die Wachen kamen, um sie abzuholen, verließ sie den Turm am Arme des Königs.

Bei diesem Anblick geriet alles in Verwirrung. Doch der Königssohn erklärte sogleich, er wolle das Milchmädchen heiraten. Und so geschah es.

Die drei ältesten Schwestern konnten es nicht verwinden, ein Milch-



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mädchen zur Schwägerin zu haben, und hörten nicht auf, dieses zu sticheln und zu hänseln. Da beschloß das Mädchen, ihnen einen gehörigen Denkzettel zu erteilen. Es bekundete eines schönen Tages, es wolle sich für einige Zeit nach Hause begeben, und fragte, was sie ihnen mitbringen solle. »Mir eine Flasche Milch«, sagte die Älteste; »mir Quarkkäse«, die zweite; »mir einen Kranz Knoblauch«, die dritte.

Das Milchmädchen brach auf und besuchte seinen königlichen Vater, der es erfreut in die Arme schloß, nachdem er es so lange vergeblich im unterirdischen Palast gesucht hatte.

Nach geraumer Zeit kehrte das Milchmädchen in einer prächtigen Kutsche zu seinem Gatten zurück. Die Prinzessinnen konnten es sich nicht erklären, wie ihre Schwägerin zu einer solchen Kutsche kam. Wie groß war aber erst ihre Überraschung, als sie die Geschenke zu Gesicht bekamen: Die Milchflasche war aus Silber und Gold gefaßt; der Quarkkäse war ebenfalls aus Silber und mit Brillanten und kostbaren Steinen durchsetzt; und der Knoblauchkranz war ein wahres Kleinod der Goldschmiedekunst.

Aber auch die vierte Schwägerin war nicht vergessen worden, die einzige, die stets gut und liebevoll zu ihr gewesen war. Für sie hatte die Königin ihren jüngsten Bruder mitgebracht, der während ihrer Abwesenheit geboren worden war, und gab ihn der Schwägerin zum Gatten.

Und so waren alle glücklich .

Und lebten fröhlich und zufrieden -
Nur mir war nichts davon beschieden.


Die schöne Rosenblüte

Ein König hatte vier Kinder, drei Mädchen und einen Knaben, und dieser sollte später einmal den Thron erben. Eines Tages sagte der König zum Prinzen: »Lieber Sohn, ich habe beschlossen, deine Schwestern mit dem erstbesten Manne zu verheiraten, der um zwölf Uhr mittags an unserem Palaste vorübergeht.«

Nun kam um die Mittagsstunde zuerst ein Schweinehirt, dann ein



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Jäger und zum Schluß ein Totengräber vorüber. Der König rief alle drei herauf und sagte zum Schweinehirten, er wolle ihm seine älteste Tochter zur Frau geben, dem Jäger die zweite und die dritte dem Totengräber. Die Armen glaubten zu träumen. Doch sie merkten gar bald, daß der König nicht scherzte, sondern es ihnen in vollem Ernst befahl. Da antworteten sie verwirrt, aber erfreut: »Majestät, Euer Wille geschehe!«

Allein der Prinz, der besonders die jüngste Schwester zärtlich liebte, wollte an der Hochzeit nicht teilnehmen und ging in den Garten hinunter, der sich zu Füßen des Palastes ausdehnte. Und als nun der Priester im Hochzeitssaal die drei Schwestern segnete, erblühten auf einmal die schönsten Blumen im Garten, und aus einer weißen Wolke ertönte eine Stimme, die sprach: »Glücklich, wer einen Kuß von den Lippen der schönen Rosenblüte empfängt.«

Den Prinzen überfiel ein Zittern, daß er sich kaum aufrecht halten konnte; er lehnte sich an einen Olivenbaum und weinte, weil er seine Schwestern verloren hatte, und blieb so viele Stunden in Gedanken versunken. Dann aber schüttelte er sich wie nach einem Traum und sprach zu sich selber: >Ich muß in die weite Welt ziehen und werde nicht ruhen, als bis ich einen Kuß von der schönen Rosenblüte erhalten habe.<

So zieht er und wandert dahin über Länder und Meere, über Berg und Tal, ohne je einem Menschen zu begegnen, der ihm Nachricht von der schönen Rosenblüte zu geben vermöchte. Drei Jahre sind seit seinem Auszug verflossen, da kommt er eines Tages aus einem Wald und schreitet ein schönes Tal entlang. Plötzlich steht er vor einem Palast, vor dem ein Brunnen springt, und da er durstig ist, beugt er sich nieder, um zu trinken. Ein zweijähriges Kind, das neben dem Brunnen spielt, hat ihn kommen sehen; es beginnt zu weinen und ruft die Mutter. Als jedoch die Mutter den Prinzen erblickt, läuft sie ihm entgegen, schließt ihn in die Arme und küßt ihn mit den Worten: »Willkommen, schön willkommen, Bruder mein!«

Im ersten Augenblick hatte der Prinz sie nicht erkannt, aber als er sie näher betrachtete, erkannte er seine älteste Schwester wieder, umarmte sie innig und rief: »Welch glückliches Wiedersehen, Schwester mein«, und der Freude war kein Ende. Die Schwester lud ihn in den Palast ein, der ihr gehörte, und führte ihn zu ihrem Gatten,



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der ihn freundlich begrüßte. Und alle drei küßten voller Liebe das Kind, welches die Ursache für all die Freude war, weil es die Mutter gerufen hatte.

Darauf erkundigte sich der Prinz nach den beiden andern Schwestern und erfuhr vom Schwager, es gehe ihnen gut und sie führten ein herrschaftliches Leben. Darüber wunderte er sich nicht wenig: doch der Schwager berichtete ihm, sein und der andern Schwäger Schicksal habe sich gewandelt, nachdem sie von einem Zauberer verzaubert worden seien.

»Und könnte ich meine andern Schwestern nicht auch besuchen?« fragte der Prinz. Der Schwager erwiderte: »Wenn du immer in der Richtung gen Sonnenaufgang wanderst, kommst du nach einem Tag zu deiner zweiten und nach zwei Tagen zu deiner jüngsten Schwester.« —»Aber ich muß den Weg wählen, der zu der schönen Rosenblüte führt, und ich weiß nicht, muß ich dem Aufgang oder dem Untergang der Sonne entgegengehen?« — »Dem Sonnenaufgang natürlich; und das Glück ist dir doppelt hold: Einmal siehst du deine Schwestern wieder, und zum andern kannst du von der Jüngsten auch etwas über die schöne Rosenblüte erfahren. Bevor du jedoch von uns scheidest, möchte ich dir ein kleines Andenken überreichen. Nimm diese Schweinsborsten. Solltest du in eine Gefahr geraten, aus der du dich allein nicht befreien kannst, so wirf die Borsten auf die Erde, und sie werden dir Hilfe bringen!«

Der Prinz steckte die Borsten ein, und nachdem er dem Schwager herzlich gedankt hatte, begab er sich wieder auf die Reise. Am Tage darauf gelangte er zum Palast der zweiten Schwester, wo man ihn mit großem Jubel empfing. Und auch dieser Schwager wollte ihm vor seiner Abreise ein Andenken geben, und da er Jäger gewesen war, schenkte er ihm einen Strauß Vogelfedern, wobei er ihm das gleiche sagte wie der erste Schwager. Der Prinz aber bedankte sich und zog seines Weges.

So gelangte er am dritten Tage zu seiner jüngsten Schwester. Sie nahm ihren Bruder, der sie von allen Schwestern am meisten geliebt hatte, mit noch größerer Freude und Zärtlichkeit auf als die andern, und ebenso tat ihr Mann. Dieser schenkte ihm zum Abschied einen Totenknöchel, indem er ihm den gleichen Rat gab wie die andern Schwäger. Die Schwester sagte ihm noch, die schöne Rosenblüte



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wohne eine Tagereise entfernt, er solle sich aber genauere Auskunft bei einem alten Weibe holen, dem sie früher einmal Gutes getan hatte. Und sie schickte ihn auf den Weg zu der Alten.

Kaum war der Prinz am Wohnort der schönen Rosenblüte angelangt, welche die Tochter des Königs war, so lenkte er seine Schritte zu der Alten. Als diese hörte, er sei der Bruder der Dame, die ihr so viele Wohltaten erwiesen hatte, da nahm sie ihn auf wie ihren eigenen Sohn.

Zum Glück stand das Haus der Alten gerade gegenüber der Fassade des Königspalastes, an dessen Fenstern die schöne Rosenblüte fast jeden Morgen bei Sonnenaufgang erschien. Eines strahlenden Morgens nun lehnte sie wieder am Fenster, nur mit einem weißen Schleier bedeckt. Als der Prinz diese holde Blüte der Schönheit erblickte, war er so überwältigt, daß er gestürzt wäre, hätte ihn die Alte nicht festgehalten. Und da diese hörte, er habe es sich in den Kopf gesetzt, das Mädchen zu heiraten, so versuchte sie ihn mit allen Mitteln davon abzubringen. Sie erinnerte ihn daran, der König werde seine Tochter nur dem Manne zur Frau geben, der ein ganz bestimmtes Versteck erriete. Alle andern aber ließ er töten, und schon viele Prinzen hatten auf diese Weise ihr Leben lassen müssen. Aber er erwiderte nur, wenn er die schöne Rosenblüte nicht bekomme, so wolle er sterben.

Nun hatte ihm die Alte erzählt, daß der König für seine Tochter die seltensten Musikinstrumente anschaffe. So hört denn, was sich der Prinz da ausdachte! Er ging zu einem Hersteller von Klavizimbeln und sprach zu ihm: »Ich möchte ein Klavizimbel haben, das drei Stücke spielt, und jedes Stück muß einen Tag lang dauern; dann muß das Klavizimbel so gebaut sein, daß sich ein Mensch darin verbergen kann. Dafür zahle ich dir tausend Dukaten. Wenn das Instrument fertig ist, krieche ich hinein, und du mußt das Zimbel unter dem Palast des Königs spielen lassen, und wenn es der König kaufen will, so verkaufst du es ihm unter der Bedingung, daß du es alle drei Tage abholen mußt, um es wieder instand zu setzen.«

Der Instrumentenbauer war einverstanden und tat alles, was ihm der Prinz aufgetragen hatte. Der König kaufte das Klavizimbel in der Tat und ließ sich auf die Bedingung des Verkäufers ein. Dann ließ er das Instrument ins Schlafzimmer seiner Tochter bringen und



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sprach: »Schau, mein Töchterchen, was ich dir bringe! Es soll dir an keiner Unterhaltung fehlen; selbst wenn du zu Bett liegen mußt und nicht schlafen kannst.«

Neben der schönen Rosenblüte schliefen ihre Hofdamen. Während nun in der Nacht alles in tiefem Schlafe ruht, schleicht der Prinz aus seinem Versteck im Zimbel und ruft leise: »Schöne Rosenblüte, schöne Rosenblüte!«Sie erwacht erschrocken und schreit: »Hofdamen, rasch herbei, es ruft mich jemand!« Die Damen laufen herbei und sehen niemand, denn der Prinz ist schnell wieder in seinem Instrument verschwunden. Dies wiederholte sich noch zweimal, und jedesmal waren die Hofdamen herbeigeeilt, ohne jemanden zu entdecken. Da meinte die schöne Rosenblüte: »Dann habe ich wohl phantasiert. Wenn ich noch einmal rufe, so kommt auf keinen Fall.«

Der Prinz im Klavizimbel hatte alles genau verfolgt und auch diese Worte vernommen. Kaum sind die Hofdamen wieder eingeschlummert, so stellt er sich neben das Bett der Geliebten und flüstert: »Schöne Rosenblüte, gib mir doch einen Kuß, sonst muß ich sterben.« Am ganzen Leibe zitternd, ruft sie nach ihren Damen, doch infolge ihres Verbotes rührt sich keine von der Stelle. Da spricht sie zum Prinzen: »Du bist der Glückliche und hast gesiegt. Neige dich zu mir herab!«Und sie gibt ihm den Kuß, doch auf den Lippen des Prinzen bleibt eine herrliche Rose hängen. »Nimm diese Rose«, spricht sie, »und bewahre sie an deinem Herzen, sie wird dir Glück bringen.«Der Prinz verbarg sie an seinem Herzen und erzählte dann der Geliebten seine Geschichte von dem Zeitpunkt an, da er das Vaterhaus verlassen hatte, bis zu dem Augenblick, da er in ihre Kammer gedrungen war. Die schöne Rosenblüte freute sich herzlich und zeigte sich gern bereit, ihn zum Mann zu nehmen. Doch damit sie ihr Ziel erreichten, müsse er noch viele Schwierigkeiten überwinden, die ihm der König bereiten werde. Zuerst werde er den Weg erraten müssen, der in ein Versteck führe, wo der König sie mit hundert Hofdamen einschließen werde; dann müsse er sie unter den hundert Hofdamen herausfinden, die alle gleich gekleidet und obendrein verschleiert seien. »Doch über diese Schwierigkeiten«, meinte sie, »mach dir keine Gedanken, denn die Rose, die du mir von den Lippen gepflückt hast und die du ständig am Herzen tragen mußt, zieht



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dich wie ein Magnet zuerst in das Versteck und dann in meine Arme. Doch der König wird dir noch andere Hindernisse, womöglich fürchterliche, in den Weg legen, und mit denen mußt du allein fertig werden. Vertrauen wir auf Gott und auf unser Glück!«

Der Prinz ging unverzüglich zum König und bat ihn um die Hand der schönen Rosenblüte. Der König sagte nicht nein, stellte ihm aber die Bedingungen, von denen sie bereits gesprochen hatte. Er ging darauf ein und überwand die ersten Schwierigkeiten mit Hilfe der Rose. »Bravo«, rief der König, als der Prinz die schöne Rosenblüte zwischen den vielen Hofdamen herausgefunden hatte, »allein damit ist es noch nicht getan.«

Und er sperrte ihn in ein großes Zimmer ein, das von oben bis unten mit Früchten angefüllt war, und befahl ihm unter Todesstrafe, alle diese Früchte an einem Tag aufzuessen. Der Prinz ist verzweifelt, doch zum Glück fallen ihm die Schweinsborsten und der Rat ein, den ihm sein erster Schwager erteilt hat. Er wirft die Borsten auf die Erde, und schon trabt eine große Herde von Schweinen herbei, die alle diese Früchte verzehren und sogleich wieder verschwinden. Doch der König hatte eine weitere Aufgabe bereit. Er verlangt vom Prinzen, daß dieser seine Braut, bevor er mit ihr ins Bett geht, von Singvögeln einschläfern läßt, welche die süßesten Stimmen und das schönste Gefieder besitzen. Dem Prinzen fällt sogleich der Strauß Federn ein, den ihm sein Schwager, der Jäger, geschenkt hat, und er wirft ihn zu Boden. Eine Schar buntschillernder Vögel flattert herbei und singt so wunderlieblich, daß der König selbst in einen wohligen Schlummer versinkt. Doch ein Diener, den der König damit beauftragt hat, weckt ihn wieder, und der König sagt zum Prinzen und zu seiner Tochter: »Jetzt könnt ihr euch nach Lust und Liebe umarmen. Doch wenn ihr morgen euer Lager verlaßt, so muß ich bei euch ein Kind von zwei Jahren vorfinden, das sprechen und euch mit Namen nennen kann, andernfalls seid ihr des Todes.«

»Jetzt legen wir uns erst einmal ins Bett, liebste Frau«, sagt der Prinz zur schönen Rosenblüte, »und morgen wird uns schon irgendein Heiliger helfen.«Anderntags fällt dem Prinzen das Totenknöchlein ein, das ihm sein Schwager, der Totengräber, geschenkt hatte. Er steigt aus dem Bett und wirft es auf die Erde, und auf einmal steht ein bildhübscher Knabe vor ihnen, der hält einen goldenen Apfel in



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der Rechten und ruft die Eltern mit Namen. Der König tritt ins Zimmer, und der Knabe läuft ihm entgegen und will ihm den goldenen Apfel auf die Krone legen, die der König auf dem Kopfe trägt. Da kann sich der König nicht enthalten, das Kind zu küssen, und er segnet die Brautleute, nimmt seine Krone vom Haupte und setzt sie seinem Schwiegersohn mit den Worten auf: »Von nun an gehört die Krone dir.«

Dann feierten sie ein prächtiges Hochzeitsfest, zu dem sie auch die drei Schwestern des Prinzen mit ihren Männern einluden. Und als der Vater des Prinzen die frohe Nachricht von seinem Sohn erhielt, den er bereits tot geglaubt hatte, kam er herbeigeeilt und überließ ihm ebenfalls seine Krone. So wurden der Prinz und die schöne Rosenblüte König und Königin von zwei Reichen und lebten fortan froh und glücklich bis an ihr seliges Ende.


Die goldene Kugel

Es war einmal ein König, der hatte drei Töchter. Die älteste von ihnen hatte sich in den Bäcker verliebt, der den Palast mit Brot belieferte, und der Bäcker liebte sie ebenfalls. So verging kein Tag, an dem nicht der Bäcker den Sekretär des Königs anflehte, er möge dem Herrn von seiner Liebe sprechen. »Schämst du dich gar nicht?« machte ihm der Sekretär Vorhaltungen. »Was glaubst du, wie es euch armen Tröpfen erginge, wenn ich dem König etwas davon sagte!« Doch der verliebte Bäcker ließ nicht locker. »Bitte sagen Sie es ihm doch, bitte, bitte!«drängte er.

Um ihn loszuwerden, gab der Sekretär schließlich nach und meinte: »Nun gut, ich werde es ihm sagen; aber du wirst sehen, was geschieht.« Und als der König eines Tages guter Laune war, faßte sich der Sekretär ein Herz und sprach: »Majestät, wenn Sie gestatten, möchte ich ein Wort mit Ihnen reden; doch müssen Sie mir versprechen, mir nicht zu zürnen.« —»Sprich nur«, ermunterte ihn der König. Da wiederholte der Sekretär jedes Wort, das der Bäcker zu ihm gesprochen hatte.

Darüber geriet der König in großen Zorn, und hätte er nicht sein Wort verpfändet, so hätte er den armen Sekretär auf der Stelle be



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straft; aber er hatte ihm zugesagt, ihm nicht zu zürnen, und er zürnte ihm auch nicht. Der Bäcker freilich wurde unverzüglich aus dem Palast gejagt. Dann ließ der König seine drei Töchter holen und sie bei Wasser und Brot sechs Monate in eine Kammer sperren.

Als die sechs Monate um waren, ließ er eine Kutsche anspannen und hieß die Mädchen einsteigen, damit sie in Begleitung der Diener eine kleine Spazierfahrt unternähmen. Als sie etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, fiel plötzlich ein so dichter Nebel vom Himmel, daß einer den andern nicht mehr sehen konnte. Und dem Nebel entstieg ein Zauberer, der die Mädchen ergriff und fortschleppte. Als sich der Nebel wieder gelichtet hatte, bemerkten die Diener das Fehlen der Mädchen; sie suchten nach ihnen, riefen sie und kehrten am Ende verzweifelt ins Schloß zurück, um dem König den Vorfall zu melden. Der König ließ an allen Ecken und Enden seines Reiches nach ihnen fahnden und machte bekannt, derjenige solle eine von ihnen zur Frau erhalten, der sie wiederbrächte.

Inzwischen hatte sich der Bäcker, der aus dem Palast gejagt worden war, mit zwei Gefährten zusammengetan, mit denen er die Welt durchstreifen wollte. Eines Abends nun gelangen sie in einen Wald und halten Ausschau nach einer Unterkunft für die Nacht. Sie steigen auf einen Baum und erblicken in der Ferne einen Lichtschein; da gehen sie dem Lichtschein nach und gelangen zu einem Palast. Gerade wollen sie anklopfen, da öffnet sich die Tür von selbst; sie treten ein und sehen niemanden; sie begeben sich nach oben, doch auch dort findet sich keine Menschenseele. In einem Speisesaal ist ein Tisch gedeckt und eine leckere Abendmahlzeit bereitet. Sie essen sich erst einmal satt, dann durchsuchen sie das Schloß nach Betten, finden auch richtig drei Schlafzimmer; sie rufen, doch niemand antwortet. Schließlich legten sie sich schlafen. Wie sie nun am nächsten Morgen aufgestanden sind, sehen sie in einem Saal drei Gewehre stehen; sie gehen in die Küche und finden Eßwaren zum Kochen bereitliegen. Darauf meinen sie: »Da niemand im Haus zu sehen ist, gehen zwei auf die Jagd, einer aber bleibt hier und sorgt fürs Mittagsmahl.«

Also begibt sich der Bäcker mit einem Gefährten auf die Jagd. Der Daheimgebliebene will gegen elf Uhr Feuer anlegen; während er die Kohlen aufschüttet, rollt aus dem Kamin eine goldene Kugel und



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hüpft ihm zwischen die Beine. Er, nicht faul, versetzt der Kugel einen Fußtritt, doch schon ist sie von neuem zwischen seinen Beinen, und er traktiert sie immer wieder mit Fußtritten. Schließlich öffnet sich die Kugel, und heraus springt ein Buckliger mit einem Stöckchen in der Hand und beginnt, die Beine des Gefährten heftig mit dem Stock zu bearbeiten, und er hört nicht eher auf, als bis der arme Mann nicht mehr aufrecht stehen kann. Darauf schlüpft der Bucklige in die Kugel zurück und verschwindet. Mit Mühe schleppt sich der Verprügelte in die Kammer und geht zu Bett, ohne sich weiter um die Küche zu kümmern.

Mittlerweile kehren die beiden anderen heim; sie finden kein Essen bereitet und den Gefährten im Bett. »Was ist denn los gewesen?« fragten sie. »Gar nichts«, gibt der zur Antwort, »die Kohle ist hierzulande so schlecht, daß sie mich verbrannt hat; so mußte ich ins Bett gehen und konnte nicht kochen.« Darauf zündeten die beiden andern Feuer an und bereiten das Mahl, sie essen alle drei und legen sich dann schlafen.

Am nächsten Morgen gingen der Bäcker und der Verprügelte auf die Jagd, und der andere blieb daheim. Der Begleiter des Bäckers sagte jedoch kein Sterbenswörtchen von den Vorfällen, denn er wollte, auch seine Gefährten sollten ihre Tracht Prügel abbekommen.

Gegen elf Uhr wollte der Daheimgebliebene Feuer machen; sogleich kam die Kugel zum Vorschein, sprang ihm zwischen die Beine und brachte auch ihn dazu, immer wieder mit dem Fuß nach ihr zu stoßen. Und es dauerte nicht lange, so hüpfte der Bucklige hervor und walkte auch ihn windelweich. Darauf kroch der Bucklige wieder in die Kugel und verschwand.

Der Verprügelte hielt es wie sein Gefährte: Er legte sich zu Bett, und als die beiden andern heimkehrten, sagte er, die Kohle habe ihn verbrannt. »So will denn ich morgen einmal mein Heil versuchen«, meinte der Bäcker. »Du wirst schon sehen«, lachten sich die beiden Verprügelten eins ins Fäustchen. Sie kochten das Essen, verzehrten es gemeinsam und gingen schlafen. Tags darauf blieb der Bäcker zu Hause. Die beiden begaben sich auf die Jagd und dachten: >Heute wird er sein Teil kriegen.<

Gegen elf Uhr macht sich der Bäcker ans Feueranzünden; die Kugel kommt zum Vorschein und hüpft ihm zwischen die Beine; er weicht



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zurück, die Kugel ihm nach; er klettert auf einen Stuhl, die Kugel ihm nach, dann auf den Tisch, die Kugel hinterher. Da stellt er den Stuhl auf den Tisch, steigt hinauf und läßt die Kugel nach Herzenslust springen. Auf einmal öffnet sie sich, und der Bucklige kriecht hervor. »Brav«, sagt der zu ihm, »du gefällst mir, denn du hast mich nicht gestoßen; die andern haben mir Fußtritte versetzt, und ich habe sie dafür tüchtig verprügelt.«

»Hör mal, Buckliger«, sagt der Bäcker, »deinetwegen habe ich viel Zeit verloren, du mußt mir dafür beim Kochen helfen.« — »Gern«, sagt der Bucklige und macht sich daran, ihm behilflich zu sein. Während er jedoch das Holz zusammenträgt, trennt ihm der Bäcker, der tut, als ob er Holz spaltete, mit einem Messer den Kopf vom Rumpf und tötet ihn; dann nimmt er ihn und wirft ihn in den Brunnen. Kurz danach kamen die beiden andern heim. »Von wegen Kohle, ihr Ärmsten«, lachte der Bäcker, »die Prügel waren's, die euch zugesetzt haben!« Erstaunt fragen die andern: »Und du hast keine bekommen?« —»Das könnte euch so passen«, meinte er, »ich habe den Buckligen umgebracht und in den Brunnen geworfen.« Und er berichtete, wie sich alles zugetragen hatte. Die andern wollten ihm jedoch nicht glauben. »Wenn ihr's nicht glaubt«, schlug der Bäcker vor, »so laßt mich in den Brunnen hinab, und ich bringe ihn wieder nach oben, dann könnt ihr euch selbst überzeugen.«

Sie banden ihm einen Strick um den Leib und ließen ihn in den Brunnen hinunter. Als er bis zur Hälfte gelangt war, erblickte er plötzlich ein großes Fenster und dahinter die drei Töchter des Königs; der Zauberer aber, der sie entführt hatte, lag im Schoße der ältesten und schlief. Als das Mädchen ihn sah, gab sie ihm durch Zeichen zu verstehen, daß der Zauberer jeden Augenblick erwachen könne, er solle aber am nächsten Tag zu der und der Stunde wiederkommen.

Überglücklich stieg er weiter in den Brunnen hinab, packte den Buckligen, trug ihn nach oben und zeigte ihn den Gefährten, die den Bäcker um seiner Tat willen laut lobten. Und er erzählte ihnen, er habe die Töchter des Königs gesehen und was sie zu ihm gesagt hätten.

Tags darauf bewaffnet er sich mit einem scharfen Säbel und läßt sich in den Brunnen hinabgleiten. Er tritt durchs Fenster, wo der Zauberer



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im Schoße des Mädchens schläft; mit einem Säbelhieb schneidet er ihm den Kopf ab und wirft ihn in den Brunnen. Da zeigen ihm die Töchter des Königs in ihrem Glück alle Schätze, die in der Wohnung des Zauberers aufgestapelt sind. Geschwind füllt er einen Korb mit Gold und Edelsteinen und läßt ihn von seinen Gefährten hochziehen; dann schickt er nacheinander die Mädchen nach oben. Jedes von diesen aber hatte ihm vor ihrem Auszug ein Geschenk gemacht. Das eine gab ihm eine Nuß, das zweite eine Mandel und das dritte eine Gerte. Und all diese Gaben waren verzaubert.

Die beiden Gefährten zogen die Mädchen nach oben, dann ließen sie den Korb wieder hinab, um den Bäcker hochzuziehen. Sie hatten aber miteinander verabredet, sie wollten all die Schätze an sich reißen und dem König sagen, sie selbst hätten die Mädchen befreit. Deshalb ließen sie den Strick hängen, als der Bäcker in der Mitte des Brunnens schwebte, und überließen ihn seinem Schicksal. Die Mädchen zeterten: »Wie, ihn, der uns befreit hat, wollt ihr unten lassen?« Aber die Männer drohten ihnen, sie sollten ja den Mund halten, sonst sollten sie sehen, was ihnen geschehe!

Und sie nahmen die Mädchen und führten sie zum König. Dieser schloß seine Töchter voller Freude in die Arme und dankte den Befreiern, denen er je eine zur Frau versprach. Doch die Mädchen wollten nicht sofort heiraten und bettelten so lange, bis der König einwilligte, die Hochzeit noch ein paar Tage hinauszuschieben.

Inzwischen wartet und wartet der Bäcker, bis er merkt, daß ihn die Gefährten im Stich gelassen haben. Verzweifelt überlegt er, was er tun soll. Da fällt ihm die Zaubergerte ein, die ihm die Mädchen geschenkt haben. Er schlägt sie und ruft: »Ich befehle, mich aus dem Brunnen zu befördern.« Und schon befindet er sich im Freien.

Darauf knackt er die Nuß auf, in der sich wunderschöne Kleider für einen Prinzen befinden; er knackt die Mandel auf, und eine prächtige Kutsche mit sechs Pferden und einer Schar Soldaten steht vor ihm. Er zieht die königlichen Gewänder an, steigt in die Kutsche und begibt sich mit den Soldaten in die Stadt. Nun sendet er einen Boten zum König und bittet, vorgelassen zu werden. Der König empfängt ihn, und da er glaubt, einen wirklichen Prinzen vor sich zu haben, gibt er ihm zu Ehren ein großes Festessen. Während sie bei Tisch sitzen, schlägt der Prinz die Gerte und befiehlt: »Ich möchte wieder



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ein Bäcker werden!« Und im Nu verschwinden die königlichen Kleider, und der Bäcker von früher kommt zum Vorschein. Als ihn die Mädchen erblicken, rufen sie erfreut: »Dort sitzt unser Befreier, die beiden andern haben uns töten wollen!«

Der König war völlig verwirrt und begriff kein Wort; schließlich erzählten sie ihm alles haargenau. Als er vernahm, wie sich die Geschichte zugetragen hatte, umarmte er den Bäcker gerührt und meinte, jetzt habe er die Hand der ältesten Tochter wirklich verdient. Und nicht lange danach fand die Hochzeit statt.

Den beiden treulosen Gefährten bot der König an, als Diener im Palast zu bleiben; doch sie hatten keine Lust dazu. Da jagte er sie aus dem Hause und hätte ihnen gewiß noch Schlimmeres zugefügt, wenn sich nicht der Bäcker für sie verwendet hätte. Dann verzichtete der König auf den Thron und krönte den Bäcker, und dieser lebte fortan glücklich und zufrieden mit seiner Gemahlin.


Cola Pesce

Es war einmal in Messina eine Mutter, die hatte einen Sohn, der hieß Cola. Vom frühen Morgen bis zum Abend blieb er immer im Meer und badete. Die Mutter rief ihm oft vom Ufer aus zu: »Cola, Cola, komme an Land! Was machst du? Du bist doch nicht etwa ein Fisch!«

Er aber schwamm immer weiter hinaus. Die arme Mutter litt große Ängste und begann fürchterlich zu schreien. —Eines Tages brachte Cola seine Mutter so zum Schreien, daß die Arme, als sie sah, daß sie ihn mit Rufen nicht mehr erreichen könne, ihm einen wilden Fluch nachschickte: »Cola, daß du doch ein Fisch würdest!« Man sieht, daß an jenem Tage die Himmelpforten offen waren, denn der Fluch der Mutter erfüllte sich sofort: Cola wurde halb Mann, halb Fisch. An den Händen wuchsen ihm Schwimmhäute wie einer Ente, und sein Mund wurde zu einem Froschmaul. Cola kehrte nun nicht mehr ans Land zurück, und die Mutter wurde von Verzweiflung ergriffen und starb nach kurzer Zeit.

Das Gerücht, daß im Meer von Messina ein Wesen, halb Mensch, halb Fisch, sei, gelangte bis zum König. Der König befahl allen



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Schiffen, wenn einer von ihnen Cola Pesce sähe, so möge er ihm sagen, der König wolle ihn sehen.

Eines Tages fuhr ein Schiffer auf dem hohen Meer und sah Cola Pesce in der Nähe vorbeischwimmen. »Cola«, rief er, »der König von Messina will mit dir sprechen!« Und Cola Pesce schwamm sofort zum Königspalast. Der König empfing ihn huldvoll. »Cola Pesce«, sprach er, »da du ein so guter Schwimmer bist, sollst du mir um ganz Sizilien herumschwimmen und mir kundtun, wo das Meer am tiefsten ist und was man dort sieht!« Cola Pesce gehorchte und begann, um Sizilien herumzuschwimmen. Bereits nach kurzer Zeit war er zurückgekehrt. Er erzählte, er habe auf dem Meeresgrund Berge, Täler, Höhlen und Fische aller Art gesehen, aber er habe nur Furcht gehabt, als er das Cap Faro umschwommen habe, denn dort sei es ihm nicht gelungen, den Meeresgrund zu finden.

»Und dann will ich noch wissen: Worauf ist Messina gebaut?«befahl der König. »Du mußt hinuntertauchen und sehen, worauf es ruht!« Cola tauchte und blieb einen ganzen Tag lang unter Wasser. Dann kehrte er an die Oberfläche zurück. »Messina ist auf einem Felsen erbaut, und dieser Felsen ruht auf drei Säulen: Eine ist heil, eine gespalten und eine geborsten.«

O Messina, o Messina,
Eines Tages liegst du in Trümmern.


***
Der König war sehr verwundert und ließ Cola Pesce nach Neapel kommen, damit er dort den Grund des Vulkans erforsche. Cola stieg hinab und erzählte dann, er habe erst kaltes Wasser vorgefunden, dann warmes und an einigen Stellen sogar Quellen mit Süßwasser. Der König wollte das nicht glauben, aber da ließ sich Cola zwei Flaschen bringen, mit denen tauchte er und brachte die eine mit warmem Wasser, die andere mit Süßwasser zurück.

Nun ließ den König der Gedanke, daß das Meer bei Cap Faro ohne Grund sein solle, keine Ruhe. Er ließ Cola Pesce wieder nach Messina zurückrufen und befahl ihm: »Cola, du mußt mir sagen, wie tief das Meer beim Cap Faro ist!« Cola glitt in die Tiefe und blieb zwei Tage unten. Als er wieder auftauchte, sagte er: »Ich habe den Meeresgrund nicht gesehen, denn dort ist eine Rauchsäule, die unter einein



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Felsen hervorquillt und das Wasser trübt.« Der König konnte seine Neugier nicht mehr bezähmen und sprach: »Stürze dich vom Turm des Felsens auf Cap Faro ins Meer!« Der Turm stand auf der Spitze des Caps Faro, und vor Zeiten befand sich dort eine Wache, welche die Schiffe, die vorbeifuhren, warnte, sobald eine gefährliche Meeresströmung einen Strudel bildete. Cola Pesce stürzte sich von dort oben kopfüber hinunter. Der König wartete einen ganzen Tag, einen zweiten und einen dritten. Aber Cola ließ sich nicht blicken. Endlich tauchte er auf, aber er war totenbleich.

»Was gibt's, Cola?«fragte der König. »Ich bin schier gestorben vor Schrecken«, versetzte Cola Pesce. »Ich habe einen riesigen Fisch gesehen mit einem so großen Maul, daß ein ganzes Schiff darin Platz hätte. Um nicht verschluckt zu werden, mußte ich mich hinter einer der drei Säulen verstecken, die Messina stützen.« Der König hörte mit offenem Munde zu; aber seine verfluchte Neugier, wie tief das Meer dort sei, ließ ihn nicht ruhen. Doch Cola sagte: »Nein, Majestät; ich tauche nicht mehr dorthin. Ich habe Angst!«

Der König sah, daß er ihn durch nichts überreden konnte. Da nahm er seine Krone vom Haupt; die war übersät mit kostbaren Edelsteinen. Mit einem großen Schwung warf er sie ins Meer. »Geh und bring sie mir zurück, Cola!« befahl er.

»Was habt Ihr gemacht, Majestät? Die Reichskrone!« — »Eine Krone, wie es keine zweite auf der Welt gibt«, entgegnete der König. »Cola, du mußt sie mir um jeden Preis wiederbringen!« — »Wenn es Euer Wille ist, Majestät, dann werde ich eben hinabsteigen, aber mein Herz sagt mir, daß ich nicht zurückkommen werde. Laßt mir eine Handvoll Linsen geben. Wenn ich dem Ungeheuer entrinne, dann werde ich wiederkehren, wenn Ihr dagegen die Linsen aufsteigen seht, dann nehmt das als Zeichen, daß ich nie wieder auftauchen werde.«

Der König ließ ihm die Linsen bringen. Cola stieg in die Tiefe. Der König aber wartete und wartete, und endlich, nach langem vergeblichem Warten, erschienen die Linsen auf der Oberfläche des Wassers. Auf die Rückkehr von Cola Pesce aber wird heute noch gewartet.



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Die Sprache der Tiere

Es war einmal ein junger Ehemann, der konnte in seinem Landstrich keine Arbeit finden und wanderte in ein anderes Land. Dort trat er in den Dienst eines Priesters. Eines Tages fand er bei der Arbeit auf dem Felde einen ungewöhnlich großen Pilz, den pflückte er und brachte ihn seinem Herrn. Dieser dankte ihm und sprach: »Geh morgen zu dem Platz zurück, wo du den Pilz gefunden hast; grabe dort nach, und was du am besagten Platz findest, das bringe mir!« Der Bauer tat, wie ihm befohlen war, und fand beim Ausgraben zwei Schlangen. Er tötete sie und brachte sie seinem Patron nach Hause. — Am gleichen Tag hatte man dem Priester Aale gebracht, und er sagte seiner Magd: »Nimm von den Aalen die beiden kleinsten und backe sie für unsern jungen Mann!« Die Magd aber verwechselte die Aale mit den beiden Schlangen, buk die letzteren und servierte sie dem jungen Bauern. Dieser aß sie und fand Geschmack an dem Gericht. Kaum war er mit dem Essen fertig, da hörte er, wie die Katze und der Hund des Priesters miteinander sprachen: »Ich muß mehr Fleisch haben als du«, begann der Hund. »Nein«, sagte die Katze, »ich bin es, die mehr verdient.« — »Ich gehe täglich mit meinem Herrn aus dem Hause«, versetzte der Hund, »und deshalb muß ich auch mehr zum Fressen erhalten als du, die du den ganzen Tag daheimsitzt.« — »Wenn du mit dem Herrn ausgehst, so ist das deine Pflicht, so wie es die meine ist, zu Hause zu bleiben.« Der Bauer begriff nun, daß er durch das Schlangengericht die Gabe erworben hatte, die Sprache der Tiere zu verstehen. Er ging in den Stall, um den Maultieren ihre Gerste vorzuwerfen. Die Maultiere aber sprachen untereinander. »Mir muß man mehr Gerste geben als dir«, sagte das eine, »denn ich bin ein Reittier und du nur ein Lasttier.« —»Oho«, entgegnete das andere Maultier, »meine Lasten sind noch schwerer als dein Reiter, und deshalb muß ich genausoviel Gerste erhalten wie du!« Als der Bauer dieses Gespräch vernahm, teilte er die Gerste in gleiche Teile. »Siehst du, daß er es genauso macht, wie ich es gesagt habe«, sprach das Lasttier. Der junge Mann kehrte ins Haus zurück, da kam ihm die Katze entgegen und sagte zu ihm: »Hör mich an: Ich weiß, daß du unsere Sprache verstehst. Paß auf: Dein Patron hat die Schlangen gesucht, weil er in einem



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Zauberbuch gelesen hat, daß, wer diese Schlangen ißt, die Sprache der Tiere zu verstehen vermag. Nun hat ihm die Magd gestanden, daß sie die Schlangen mit den Aalen verwechselt und dir als Speise vorgesetzt hat. Der Herr wird jetzt wissen wollen, ob du die Sprache der Tiere verstehst. Wenn er dich fragt, dann antworte >nein!<, und wenn er in dich dringt, dann beharre auf deinem >nein<, denn sonst mußt du sterben, und die Gabe, die Tiersprache zu verstehen, geht auf deinen Patron über.«Der Bauer verhielt sich genau, wie ihm die Katze geraten hatte, und leugnete, die Sprache der Tiere zu verstehen. Schließlich wurde der Priester des Fragens überdrüssig und schickte den Mann fort.

Als der Bauer seinen Weg verfolgte, stieß er auf eine Herde. Die Hirten waren ganz verzweifelt, weil ihnen Nacht für Nacht einige Schafe verlorengingen. — »Was gebt ihr mir, wenn ich dafür sorge, daß euch keines mehr verlorengeht?«fragte der Bauer. »Wenn du das fertigbringst«, sagte der älteste der Hirten, »dann geben wir dir eine Stute und ein junges Maultier.« Der Bauer blieb nun bei der Herde und legte sich am Abend bei den Tieren aufs Stroh. Um Mitternacht hörte er, daß Wölfe kamen und mit den Hunden ein Gespräch begannen: »Oh, Gevatter Vito.« —»Oh, Gevatter Cola«, antworteten die Hunde. »Können wir wohl etliche Schafe bekommen?« —»Nein, ihr könnt heute nichts bekommen, weil sich draußen ein Hirte bei den Schafen auf die Lauer gelegt hat.«

Acht Tage lag so der Bauer bei den Schafen und hörte jede Nacht, wie die Hunde die Wölfe davor warnten, näher zu kommen. So gingen keine Schafe mehr verloren. Dann ließ der Bauer die alten Hunde töten und neue Wachhunde kaufen. In der nächsten Nacht schrien die Wölfe wieder: »Oh, Gevatter Vito, können wir kommen?« «

»Kommt nur her«, riefen die neuen Hunde, »eure Freunde hat man umgebracht, und wenn ihr näher kommt, dann wollen wir schon ordentlich Krach schlagen, und ihr könnt so viel Kugeln in den Bauch bekommen, wie ihr wollt!«

Am andern Morgen erhielt der Bauer die versprochene Stute und das junge Maultier und begab sich damit vergnügt auf den Weg nach Hause. Dort angekommen, frage ihn seine Frau, wem denn die beiden Tiere gehörten. »Das sind unsere Tiere«, entgegnete der Bauer.



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»Wie hast du sie denn erworben?«wollte die Frau wissen. Aber der Gatte blieb ihr die Antwort schuldig.

Einige Zeit später war in einer benachbarten Ortschaft ein Fest. Der Bauer beschloß, es zusammen mit seiner Frau zu besuchen; sie setzten sich beide auf den Rücken der Stute, indes das Fohlen hinterdrein lief. »Mama, wart auf mich!« rief das Kleine. Die Stute antwortete: »Spring nur zu, denn du hast es leichter, während ich zwei Leute auf meinem Rücken tragen muß.« Als der Bauer das hörte, brach er in ein schallendes Gelächter aus. »Warum lachst du?«fragte ihn seine Gattin. »Nur so, wegen nichts«, entgegnete er. »Sag mir sofort, warum du lachst! Sonst steig ich ab und gehe nach Hause.« —»Gut, ich werde es dir sagen, wenn wir bei der Kirche angekommen sind.«

Als sie bei der Kirche angekommen waren, fragte die Frau erneut: »Also, warum hast du gelacht?« — »Ich werde es dir sagen, sobald wir wieder daheim sind.« Die Frau wollte nun nicht mehr das Fest besuchen, denn sie brannte vor Neugier. So kehrten sie gleich wieder nach Hause zurück.

»Jetzt aber sag es mir!«fing die Frau zu Hause von neuem an. »Geh und rufe den Beichtvater, und dann werde ich es dir sagen!« befahl der Bauer. Die Frau legte erzürnt das Kopftuch um und holte eilends den Beichtiger. Der Gatte dachte indessen bekümmert: >Jetzt ist es aus: Ich werde sterben. Aber erst will ich beichten und kommunizieren, um in Frieden gehen zu können.< Und während er diese traurigen Gedanken wälzte, streute er den Hühnern etwas Kleie hin. Die Hühner kamen in Scharen herbei, um die Kleie aufzupicken, aber der Hahn sprang mitten unter sie und scheuchte sie mit einem Flügelschiag davon. Der Bauer sagte zum Hahn: »Warum willst du die Hennen nichtfressen lassen?« Der Hahn antwortete: »Die Hennen müssen das tun, was ich will, es mögen ihrer noch soviel sein. Ich mache es nicht wie du, der du nur eine Frau hast und dabei dich von ihr beherrschen läßt. Nun willst du gar noch sagen, daß du unsere Sprache verstehst, und so wirst du sterben.«

Der Bauer überlegte die Geschichte und sprach: »Du hast doch wahrlich mehr Verstand als ich!« Er nahm seinen Leibriemen, legte ihn ins Wasser, bis er schön geschmeidig war, und wartete auf die Rückkehr seiner Frau.

Kaum war sie zurück, da begann sie: »Aber jetzt kommt der Beichtvater,



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und nun sag mir endlich, warum du gelacht hast!« Da nahm der Mann den Gürtel und verprügelte seine Frau nach Strich und Faden, bis sie genug hatte. Als der Priester kam und fragte: »Wer will beichten?«, entgegnete der Bauer: »Meine Frau!«

Der Priester durchschaute die Situation und ging wieder heim. Als die Frau sich wieder erholt hatte, fragte der Gatte sie: »Weißt du nun, was du wissen wolltest?« Da antwortete die Neugierige: »Ja, ich weiß mir nun genug.«Und von diesem Tag an war sie nicht mehr neugierig.


Von dem frommen Kinde

Es war einmal ein frommer, gottesfürchtiger Bauer. Der fand eines Tages auf dem Felde ein kleines Kind. »Ach, du unschuldiges Würmchen«, rief er, »welche schlimme Mutter hat dich deinem Schicksal überlassen! Ich will dich mitnehmen und großziehen.« Und obwohl er selbst schon viele Kinder hatte, nahmen er und seine Frau den kleinen Knaben zu sich und behandelten ihn wie ihre eigenen Kinder. Und seitdem sie den kleinen Findling bei sich hatten, ging es bei ihnen immer gut, die Bäume trugen reichliche und schöne Früchte, das Korn und der Wein gediehen, kurz, der Bauer und seine Familie hatten ein gutes Auskommen.

Der Knabe wuchs heran und wurde ein braves Kind, das aber ungewöhnlich einfältig blieb, denn sein Verstand wuchs nicht mit seinem Körper. So wußte er auch nichts von unserm Heiland und nichts von allen Heiligen. Da er nun einmal mit Lehm spielte, bildete er daraus größere und kleinere Kugeln und reihte sie zu einem Rosenkranz auf und brachte ihn richtig zustande, und es fehlte auch nicht ein gloria patri darin. Der Bauer, als er das sah, wunderte sich sehr über das Geschick, das der Knabe hier bewiesen hatte, und hoffte, daß sein Verstand doch noch einmal wach werden würde. Indes verging die Zeit, und der Knabe verblieb unverändert einfältig. Eines Tages fragte ihn sein Pflegevater: »Morgen reite ich nach Catania; willst du mit mir kommen?« — »Ganz, wie du willst«, entgegnete das Kind.

So nahm er den Knaben am nächsten Morgen zu sich aufs Pferd und



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ritt mit ihm in die Stadt. Als sie nun in die Nähe des Domes kamen, sprach der Bauer: »Geh ein wenig in die Kirche, während ich meine Geschäfte erledige.«Da ging der Knabe in die Kirche hinein und betrachtete staunend alle die goldenen und seidenen Tücher, die gestickten Altardecken und die prächtigen Teppiche. Er sah die vielen schönen Blumen und Kerzen und gelangte endlich an den Altar, wo das große Kruzifix stand. Er kniete auf den Altarstufen hin und redete den Gekreuzigten an: »Gevatter, warum hat man dich an dieses Kreuz genagelt? Hast du etwas Böses getan?«Da schüttelte der Gekreuzigte den Kopf, und der Knabe fuhr fort, ihn zu fragen und sich mit ihm zu unterhalten. Das dauerte so lange, bis alle Messen zu Ende waren und der Sakristan kam, um die Türen zu schließen. Als er nun das Kind vor dem Altar knien und mit dem Gekreuzigten sprechen sah, wollte er es zunächst aus der Kirche jagen. Aber der Knabe bat, ihn hierzulassen, und sagte zu dem Heiland am Kreuz: »Nicht wahr, Gevatter, du hast es gern, wenn ich hierbleibe und mich mit dir unterhalte?«

Da nickte der Herr mit dem Kopf, so daß der Sakristan erschrak und in seiner Angst zu einem Kanonikus lief, um ihm alles zu erzählen. Als der Priester alles gehört hatte, sagte er: »Wenn du dich nicht getäuscht hast, dann muß es wohl eine sehr heilige Seele sein, wenn sie solche Wunder vollbringen kann. Da der Knabe aber schon lange in der Kirche weilt, so bringe ihm doch etwas zu essen, denn es wird ihn sicher hungern.«Da nahm der Sakristan einen Teller Makkaroni und einen Becher Wein und brachte ihn dem Kind in die Kirche. »Stell es nur dahin!« sagte der Knabe. »Ich werde gleich essen.« Dann wandte er sich wieder an den Heiland: »Gevatter, du bist wohl auch hungrig. Wer weiß, wie lange du schon nichts mehr zu essen bekommen hast. Willst du wohl mit mir speisen?« Dann nahm er den Teller mit den Makkaroni, kletterte auf den Altar und reichte dem Herrn die Speise, und dieser aß sie. Nach dem Essen aber fragte der Knabe: »Nun hast du sicher auch Durst. Wart nur, ich will dir auch gleich den Wein bringen.« Und er holte den Becher mit dem Wein und gab dem Herrn zu trinken. Der Kanonikus aber war mit dem Sakristan in die Kirche gekommen und hatte dem allem aus der Ferne zugesehen. Als er jedoch näher trat, fand er das Kind selig entschlafen, denn Gott hatte seine Seele zu sich genommen.



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Da ließ der Kanonikus alle Glocken des Domes läuten und in der Stadt verkündigen, es sei ein Wunder geschehen und es läge ein Heiliger im Dom. Da kamen alle Leute herbeigeströmt und sahen den aufgebahrten Leib des kleinen, unschuldigen Kindes, und alle lobten und priesen Gott. Unter der Menge war auch jener Bauer, der ihn aufgezogen hatte. Er erkannte sein Ziehkind und dankte Gott, daß er ihm die Gnade erwiesen hatte, das Kind bei sich zu haben. Dann kehrte er in sein Dorf zurück, und was er hinfort unternahm, gelang ihm, so daß er ein reicher Mann wurde. Er aber benutzte sein Geld nur, um den Armen Gutes zu tun, und lebte mit den Seinen ein frommes Leben, so daß er sich das Paradies erwarb. Und so möge es uns auch ergehen.


Die Geschichte von den drei guten Ratschlägen

Es war einmal ein Mann, der hatte eine Frau, die er von Herzen lieb hatte. Die Frau aber war guter Hoffnung. Da sprach sie eines Tages zu ihrem Mann: »Ach, lieber Mann, ich habe ein solches Gelüsten nach einem Stückchen Leber; ach, hätte ich doch ein Stückchen Leber.« — »Wenn es weiter nichts ist, etwas Leber will ich dir schon verschaffen«, antwortete der Mann und ging zu seinem Gevatter, der war Metzger. »Gevatter«, sprach er, »seid so gut und gebt mir ein halb Rottolo Leber, Eure Gevatterin hat ein Gelüste danach.« — »Gleich will ich Euch bedienen, Gevatter, wartet nur einen Augenblick, bis ich diese Kunden abgefertigt habe.« Der Mann wartete und wartete; die Kunden gingen weg, es kamen andere, und der Gevatter gab ihm noch immer nicht sein Stück Leber. »Gevatter, so bedient mich doch, Eure Gevatterin sitzt zu Hause und kann keine Ruhe finden vor Verlangen nach einem Stückchen Leber.«

»Wartet nur noch ein wenig, Gevatter, bis ich diesen Kunden abgefertigt habe«, antwortete der Metzger und fuhr fort, seine Kunden zu bedienen, einen nach dem andern, und nur seinen Gevatter ließ er warten. Da riß dem Mann endlich die Geduld. >Ist denn mein Geld nicht ebensogut wie das der andern?< dachte er, ergriff einen großen Prügel und schlug damit dem Metzger den Schädel ein, daß dieser tot hinfiel. Als er aber den Metzger tot daliegen sah, wurde



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ihm doch bange zumute, er lief nach Haus zu seiner Frau und sprach: »Liebe Frau, ich muß weit, weit von hier, denn mir ist ein Unglück begegnet. Der Gevatter bediente immer alle die andern Kunden und nur mich nicht; ich aber dachte an dich, und es tat mir leid, daß du so lange warten solltest. Da riß mir die Geduld, und ich schlug ihm seinen Schädel entzwei. Darum muß ich nun in die weite Welt wandern und dich allein lassen.« Die Frau jammerte und weinte, aber was half es? Sie mußte allein bleiben, und der Mann zog fort in die weite Welt.

Wie er nun so dahinzog, kam er auch nach Rom. Da dachte er: >Besser als hier ist es nirgends. Ich will hier bleiben und bei dem Papst in Dienst treten.<Also verdingte er sich bei dem Papst und diente ihm treu vierzig Jahre lang, und der Papst hatte ihn von Herzen lieb.

Als aber die vierzig Jahre um waren, dachte er eines Tages: >Ich bin nun so lange Jahre von Hause weggewesen und weiß nicht, ob meine Frau noch lebt und ob ich einen Sohn oder eine Tochter habe. Darum will ich in meine Heimat zurückkehren, nach so langer Zeit wird niemand mehr an den toten Metzger denken.< So kam er zum Papst und sprach: »Exzellenz, ich habe Euch so lange treu gedient; laßt mich nun auch in meine Heimat zurückkehren.« — »Gut«, sprach der Papst, »und weil du mir so lange treu gedient hast, so nimm hier dieses Geld.« Mit diesen Worten gab er ihm dreihundert Unzen. Der Mann dankte, steckte das Geld in die Tasche und küßte dem Papst die Hand. Als er aber eben zur Tür hinausgehen wollte, rief ihn sein Herr zurück und sprach: »Höre einmal, wenn ich dir einen guten Rat gebe, gibst du mir dann hundert Unzen dafür?« — »Exzellenz, nehmt, was Euch beliebt«, antwortete der Mann und gab dem Papst hundert Unzen zurück. Da sprach der Papst: »Bedenke wohl, daß dieser gute Rat dich hundert Unzen kostet, darum merke ihn dir. Wenn dir unterwegs etwas Außergewöhnliches begegnet, so mache keine Bemerkungen darüber.« Der Mann versprach es, küßte dem Papst die Hand und wollte wieder gehen. Der Papst aber rief ihn zum zweitenmal zurück und sprach: »Wenn du mir wieder hundert Unzen gibst, so gebe ich dir noch einen guten Rat.« —»Exzellenz, tut, wie es Euch gefällt«, antwortete der Mann und zählte wieder hundert Unzen auf den Tisch. Da sagte der Papst:



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»Bedenke wohl, daß dieser gute Rat dich wieder hundert Unzen kostet, darum nimm meine Worte wohl in acht. Du darfst keinen anderen Weg zurückgehen als eben denselben, den du hergekommen bist.« Der Mann küßte seinem Herrn die Hand und wollte zur Tür hinausgehen. Der Papst aber rief ihn zum drittenmal zurück und sprach: »Gib mir noch einmal hundert Unzen, so will ich dir noch einen guten Rat geben.« —»Exzellenz, nehmt, was Ihr wollt«, antwortete der Mann und gab auch die letzten hundert Unzen zurück. Da sprach der Papst: »Höre wohl auf meine Worte und vergiß nicht, daß auch dieser Rat dich hundert Unzen kostet. Den Zorn, der dich am Abend ergreift, laß ruhen bis zum nächsten Morgen; wenn er dich am Morgen ergreift, so laß ihn ruhen bis zum Abend. Erinnere dich meiner Worte, sie werden dir nützen. Und nun, nachdem du mir vierzig Jahre gedient hast, kannst du auch noch einen Tag bei mir bleiben und mir einen großen Backofen voll Brot kneten und backen.«

Da ging der Mann in die Küche und knetete schönes, weißes Brot; und der Papst ließ heimlich die dreihundert Unzen in den größten Laib hinein verstecken und mit dem übrigen Brot backen. Als nun der Mann den nächsten Tag kam, um Abschied zu nehmen, schenkte ihm der Papst den Laib Brot und sprach: »Nimm dieses schöne, weiße Brot mit und iß es, wenn du frohen Mutes bist.« Dann segnete er ihn und ließ ihn ziehen.

Der Mann wanderte nun immer vorwärts, seiner Heimat zu. Eines Tages, wie er so dahinging, wurde er hungrig, und da er ein Wirtshaus am Wege sah, trat er hinein und bestellte sich etwas zu essen. Der Wirt brachte einen Teller Fisch mit Brot und Wein und stellte alles vor ihn hin; daneben aber stellte er einen Totenkopf. Der Mann wollte schon fragen, was das bedeute, da fiel ihm ein, wie der Papst gesagt hatte: »Wenn dir etwas Außergewöhnliches begegnet, so mache keine Bemerkung darüber«, und er schwieg. Als er nun gegessen hatte, sprach der Wirt zu ihm: »Du bist der erste, der mich nicht gefragt hat, wozu ich den Totenkopf dahin gestellt habe, und das hat dir das Leben gerettet. Ich will dir zeigen, was aus denen geworden ist, die ihre Neugierde nicht zu zähmen vermochten.« Mit diesen Worten führte er ihn in einen dumpfen Keller, darin lagen viele Leichen und Totengebeine, das waren die Leichen derjenigen, die den



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Wirt gefragt hatten, warum er den Totenkopf neben die Speisen stellte. Da dankte der Mann in seinem Herzen dem Papst für den guten Rat und dachte: >Er hat mich zwar hundert Unzen gekostet, er hat mir aber auch das Leben gerettet.<

Nun zog er weiter und wanderte wieder viele Tage. Da begegnete ihm eines Tages eine Menge Arbeiter, die gingen aufs Land, um den Flachs auszuziehen, und sprachen zu ihm: »Wollt Ihr nach Catania? Warum geht Ihr denn diesen Weg? Kommt doch mit uns, wir gehen einen viel kürzeren Weg.« Der Mann gedachte an den zweiten Rat des Papstes, daß er auf demselben Wege zurückwandern müsse, auf dem er nach Rom gekommen war, und antwortete: »Zieht ihr eure Straße, ich will die meine ziehen!« Kaum war er einen Miglio weit gegangen, da hörte er lautes Geschrei, das waren die armen Arbeiter, die von Räubern überfallen und ermordet worden waren. Er aber dachte: >Dieser Rat hat mich freilich auch hundert Unzen gekostet, aber er hat mir das Leben gerettet. Gesegnet sei, der ihn mir gegeben hat!<

Endlich, nach einigen Tagen, kam er eines Abends spät in Catania an und ging sogleich in das Haus, wo seine Frau vor vierzig Jahren gewohnt hatte. Nun hatte sie damals einen Sohn geboren, der war Geistlicher geworden und lebte bei seiner Mutter. Als nun der Mann klopfte, lief der Sohn die Treppe hinunter, machte ihm auf und frug ihn, was er wolle. Wie der Mann aber einen Geistlichen sah, überkam ihn ein großer Zorn, und er dachte: >Wer ist dieser Pfaffe, der bei meiner Frau lebt?< Und es hätte wenig gefehlt, so hätte er ihn ermordet. Da gedachte er aber des guten Rates, den der Papst ihm gegeben hatte: >Den Zorn, der dich am Abend ergreift, laß ruhen bis zum nächsten Morgen<, und er antwortete: »Ich bin ein armer Pilger, könnet Ihr mir nicht ein Obdach geben?« Da führte ihn sein Sohn hinein, und in der Stube saß seine Frau. »Kommt herein, armer Mann«, sprach sie, »ruhet Euch aus, bis ich das Abendessen bereitet habe.« Dann stellte sie das Abendessen auf den Tisch und lud ihn ein, mit ihnen zu essen.

Während des Essens sprach der Pilger: »Erzählt uns doch eine Geschichte, gute Frau: Ihr wißt deren gewiß viele.« —»Ach«, antwortete sie, »was soll ich Euch anderes erzählen können als meine eigene traurige Geschichte, da ich so kurze Zeit nach meiner Heirat meinen



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Mann verloren habe.« — »Wie war denn das?« — »Ich war in guter Hoffnung und sagte eines Tages zu meinem Mann, ich habe so ein Gelüste nach einem Stückchen Leber. Da ging er hin, es zu kaufen, weil ihn aber der Metzger so lange warten ließ, nahm er im Zorn einen großen Prügel und schlug ihm den Schädel ein. Darauf mußte er fliehen, und ich habe seitdem vierzig Jahre nichts von ihm gehört. Als meine Stunde kam, gebar ich diesen Sohn, der Geistlicher geworden ist.«

Als der Mann hörte, der Geistliche sei sein eigener Sohn, dankte er im Herzen dem Papst für seinen guten Rat. >Denn<, dachte er, >ich hätte im Zorn beinah ein großes Unglück angerichtet.<Dann sprach er: »Es ist doch merkwürdig, meine Geschichte gleicht ganz der Eurigen, gute Frau. Ich war seit kurzem verheiratet, und meine Frau war guter Hoffnung. Da sagte sie eines Tages: >Ach, lieber Mann, mich verlangt so nach einem Stückchen Leber; ach, hätte ich doch ein Stückchen Leber.< Ich ging zum Metzger, um es ihr zu kaufen; der Metzger aber bediente alle seine Kunden und nur mich nicht, so daß mir endlich die Geduld ausging und ich ihm den Schädel einschlug. Da mußte ich fliehen und meine arme Frau allein zurücklassen und habe seitdem nichts von ihr gehört. Und jetzt, nach vierzig Jahren, bin ich wiedergekommen und will sehen, ob sie noch lebt.« Während er diese Worte sprach, sah seine Frau ihn immer an und konnte ihre Augen nicht von ihm wegwenden, und als er seine Geschichte fertig erzählt hatte, erkannte sie ihn und umarmte ihn mit vielen Tränen und großer Freude. Da umarmte er auch seinen Sohn und freute sich, daß dieser ein so schöner, großer Mann war.

Als sie sich nun ein wenig beruhigt hatten und weiter essen wollten, nahm der Mann aus seinem Quersack das Brot, das der Papst ihm gegeben hatte, und sprach: »Dieses Brot ist alles, was ich euch mitbringe, und der Papst hat mir gesagt, ich solle es essen, wenn ich frohen Mutes wäre. Wann könnte ich nun froher und glücklicher sein als jetzt, wo ich euch wiedergefunden habe? Und darum wollen wir es jetzt verzehren.« Mit diesen Worten schnitt er es an, und siehe: da fielen die dreihundert Unzen heraus, und er war nun ein reicher Mann und lebte noch lange vergnügt und ohne Sorgen zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn.



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Der entflohene Vogel

Es war einmal ein König, der hatte einen wunderschönen Kanarienvogel, den liebte er so sehr, daß er einen eigenen Diener anstellte, welcher den Vogel pflegen und füttern mußte und der vor allem darauf achten sollte, daß der Vogel nicht entwiche. Eines schönen Tages, in einem Augenblick, da der Diener gerade nicht aufpaßte, war das Türchen des Käfigs nicht ganz geschlossen: Der Kanarienvogel flatterte dagegen, so daß es sich öffnete, und entfloh. Der Diener wollte schier verzweifeln, denn er wußte genau, wie sehr sein König an dem Tierlein hing und wie sehr er ihm befohlen hatte, den Vogel ja nicht entfliehen zulassen. Es war indessen nichts mehr zu ändern, und als der König kam und sah, daß der Kanarienvogel nicht mehr in seinem Käfig saß, befahl er sogleich, den Diener aus dem Palast zu jagen. Da begann der Diener zu weinen, denn er wußte nicht, wie er seine Familie ernähren sollte. Er begann den König um Verzeihung und Gnade für seinen Fehler zu bitten und schwur, daß er sich eine ähnliche Unterlassung nie mehr zuschulden kommen lassen werde.

Da kämpften im Herzen des Königs Zorn und Mitleid miteinander, und nach einer Weile sagte er: »Gut, höre: wenn du mir bis morgen zwei Fragen beantworten kannst, dann sollst du im Palast bleiben dürfen und deinen Dienst behalten. Kannst du mir jedoch keine Antwort bringen, so werde ich dich schlechterdings hinauswerfen lassen.«Da sprach der Diener: »Majestät, erzähle mir, was du willst, und ich will alles getreu erfüllen.« —»Schön, du mußt mir bis morgen ausmessen, wie weit es von hier bis zum Himmel ist, und dann sollst du mir noch Antwort geben, aus wie vielen Steinen mein Palast gebaut ist!«Der Diener versprach, die Antwort auf diese schwierigen Fragen zu suchen, und während ihm der Mut sank, ging er aus dem Palast.

Als er so weinend die Straße entlangschritt, begegnete ihm ein alter Freund und Gefährte, der fragte ihn nach der Ursache seiner Trübsal. Da erzählte ihm der Diener alles, was sich zugetragen hatte. »Ist das alles? Und deshalb bist du so verzweifelt?«fragte ihn sein alter Freund. »Wenn es nicht mehr ist! Da kann ich dir leicht helfen und raten. Wenn du morgen zum König gehst, dann wickle eine Spule Schnur um deine Hand und sage, so weit sei es bis zum Himmel hinauf!



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Und wenn er dich fragt, aus wieviel Steinen sein Palast gebaut sei, dann sage, aus zwei Millionen Steinen!« Und er gab ihm noch einige Ratschläge, so daß der Diener getröstet nach Hause gehen konnte. Am nächsten Morgen begab sich der Diener zufrieden und seiner Sache sicher in den Palast und vor den König. »Nun«, fragte ihn dieser, »hast du getan, was ich dir befohlen hatte?« —»Ja, Majestät, und hier ist die Antwort!«Dabei zeigte der Diener die Schnur, die er um die Hand geschlungen hatte. »So weit ist's von hier bis zum Himmel.« — »Das ist nicht wahr«, schrie der König, »das kann unmöglich stimmen.« — »Dann laufe bitte zum Himmel hinauf und nimm dieses Ende der Schnur mit, Majestät!« bat der Diener. »Ich will die Schnur abwickeln, und du wirst sehen, daß die Entfernung stimmt.« Der König dachte nach und sprach: »Nicht schlecht, du kannst recht haben. Aber nun antworte mir auf die andere Frage: Aus wieviel Steinen ist mein Palast gebaut?« —»Majestät, der Palast ist aus zwei Millionen Steinen gebaut.« — »Oh, das ist nicht wahr, das kann absolut nicht wahr sein!« schrie der König. »Doch, doch«, entgegnete der Diener, »es stimmt ganz genau, ich habe alle Steine gezählt, und wenn du mir nicht glaubst, König, dann bitte: gehe hin und zähle nach! Du wirst sehen: meine Rechnung stimmt!«

Da bewunderte der König die Klugheit seines Dieners und die Schlagfertigkeit seiner Antworten, und er befahl, daß der Diener nicht nur in seinem Palast und in seinem Dienste bleiben solle, sondern er ließ ihm überdies eine beträchtliche Summe Geldes auszahlen. Der Diener aber verließ glücklich den Palast und eilte zu seinem Freunde, um das Geld mit diesem zu teilen. Er hat seine Sache gut gemacht; aber wer wird mit uns teilen?


Wie der heilige Antonius den Menschen das Feuer brachte

Vor langer, langer Zeit gab es auf der Erde kein Feuer. Die Menschen froren erbärmlich und gingen schließlich zum heiligen Antonius in die Wüste, um ihn um Hilfe gegen die scheußliche Kälte zu bitten. Der Heilige hatte Mitleid mit ihnen, und obwohl das Feuer in der Hölle war, versprach er, hinzugehen und es zu holen. Antonius war, bevor er ein Heiliger wurde, ein Schweinehirt gewesen; ein



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Schweinchen seiner Herde, das ihn niemals verlassen hatte, folgte ihm auf Schritt und Tritt. So begab sich der Heilige mit seinem Schwein und mit seinem Hirtenstab aus Rutenkraut an das Höllentor und klopfte dort an.

»Öffnet mir! Ich friere und möchte mich gerne aufwärmen.« Die Teufel blickten vor die Tür und sahen sogleich, daß jener kein Sünder war, sondern ein Heiliger: »Nein«, sagten sie, »wir haben dich erkannt und öffnen dir nicht.« —»Ach, macht doch auf, mich friert!« wiederholte Antonius. Das Schwein grunzte und kratzte mit seinem Rüssel an dem Tor.

»Das Schwein lassen wir herein, dich aber nicht!« sagten die Teufel und öffneten einen Spalt, so daß sich das Schwein hindurchzwängen konnte. Kaum war das Schwein in der Hölle, da begann es herumzuschwärmen, zu wühlen und alles in Unordnung zu bringen. Die Teufel mußten hinterherlaufen, um die brennenden Korkstückchen aufzusammeln, die das Schwein aufgewirbelt hatte; sie mußten die Mistgabeln wieder aufstellen, welche das Schwein umwarf, kurz, das ganze Durcheinander wieder in Ordnung bringen. Sie versuchten, das Schwein zu fangen oder aus der Hölle zu jagen, aber es gelang ihnen nicht.

Schließlich wandten sie sich an den heiligen Antonius, der draußen vor dem Höllentor geblieben war. »Dein verdammtes Schwein bringt bei uns alles in Unordnung, komm herein, um es zu holen!« schrien die Teufel erbost. Der Heilige ging in die Hölle, berührte das Schwein mit seinem Stock, und sogleich verhielt es sich ruhig. »Da ich nun schon einmal herinnen bin«, sagte der Heilige, »setze ich mich noch einen Augenblick, um mich aufzuwärmen.« Er nahm auf einem Sack Kork Platz, der gerade vor seinen Füßen lag, und streckte seine Hände gegen das Feuer hin. Alle Augenblicke lief vor ihm ein Teufel vorbei, welcher zu Luzifer ging, um ihm von irgendeiner Seele droben auf der Welt zu berichten, die er verführt hatte. Der heilige Antonius gab jedem, der vorbeikam, einen Hieb auf den Hintern. »Diese Scherze gefallen uns nicht!«protestierten die Teufel. »Leg deinen Stock weg!« Der Heilige stellte den Stock so vor sich hin, daß der nächste Teufel, der mit dem Schrei »Eine sichere Seele!« zu Luzifer stürzte, über den Stock stolperte und der Länge nach auf den Boden schlug.



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»Schluß jetzt!«schrien die Teufel. »Du gehst uns auf die Nerven mit deinem verfluchten Stock! Jetzt verbrennen wir ihn dir.«Sie nahmen den Stock und steckten ihn mit der Spitze in die höllische Glut. Im gleichen Augenblick begann das Schwein wieder unruhig zu werden, zu grunzen und zu scharren und alles durcheinanderzuwerfen. Es warf Holzstoße um und wühlte in den Haufen der Pechfackeln, so daß alles umfiel.

»Wenn ihr wollt, daß ich es zur Ruhe bringe, dann müßt ihr mir meinen Stock wiedergeben«, sprach der Heilige. Sie gaben ihm seinen Stock, und sogleich war das Schwein wieder brav. Aber der Stock war aus Rutenholz, und Rutenholz hat ein schwamm iges Inneres, so daß ein Funken in ihm weiterglimmt, ohne daß man äußerlich etwas bemerkt. So sahen die Teufel nicht, daß der heilige Antonius Feuer in seinem Stock hatte.

Nachdem der Heilige den Teufeln noch eine Ansprache gehalten hatte, ging er, und die Teufel stießen einen Seufzer der Erleichterung aus.

Kaum war der Heilige wieder oben auf der Welt, da schwang er seinen Stock mit der feurigen Spitze so, daß die Funken wegspritzten, und er sang seinen Feuersegen:

»Feuer, Feuer,
Du bist uns teuer,
Denn aller Welt
Feuer gefällt.«

Von diesem Augenblick an gab es zur großen Freude der Menschen Feuer auf der Erde, und keiner brauchte fortan mehr zu frieren. Der heilige Antonius aber kehrte in seine Wüste zurück und nahm sein schlichtes Büßerleben wieder auf.



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MÄRCHEN AUS SPANIEN


Die drei Brüder

Es waren einmal drei Brüder: Hans, Peter und Emanuel. Als ihre Mutter starb, hinterließ sie ihnen als Erbe ein Bett, ein Beet mit ein paar Kohlköpfen und ein Stückchen Land mit ein wenig Mais.

Die drei Brüder schliefen zusammen. Und jeder zog an der Bettdecke, und alle schimpften, denn sie war zu klein für die drei. Und eines Nachts sagte Peter zu seinen Brüdern:

»Damit wir nicht mehr dauernd an der Decke ziehen, will ich euch den Teil, der mir zukommt, unter der Bedingung verkaufen, daß ich zwischen euch schlafe.«

Die Brüder nahmen den Vorschlag an. Peter legte sich nun zwischen sie, und Hans und Emanuel begannen an der Decke zu ziehen.

Und Peter sagte dazu:

»Ich habe nichts und ziehe nicht, denn meinen Teil verkaufte ich.«

Dann beschlossen sie, den Kohl unter sich aufzuteilen, und Peter sagte zu seinen Brüdern:

»Was wollt ihr von den Kohlköpfen haben? Die Strünke oder die Blätter?«

Und seine Brüder antworteten:

»Wir wollen die Blätter.«

Da bebaute er das Stück Land, und die Strünke bekamen viele neue Blätter und lieferten lange Zeit Kohl. Und eines Tages sagten seine Brüder:

»Mit dem Kohl hast du uns betrogen, aber mit dem Mais kannst du uns nicht betrügen.«

»Gut, was wollt ihr denn vom Mais haben? Die Halme oder die Kolben?«

Und sie sagten:



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»Für uns die Stengel und für dich die Kolben.«

Und Hans und Emanuel bebauten das Stückchen Land, aber natürlich wuchsen keine neuen Maiskolben. Und eines Tages sagte Ernanuel:

»Ich ziehe in die Welt hinaus, denn Peter betrügt uns immer.«

Und Hans sagte:

»Ich geh aber nicht fort, obwohl Peter mich betrügt.« Und Peter sagte zu Hans:

»Wenn du nicht mit deinem Bruder gehst, komm mit mir. Wir ziehen zusammen in die Welt hinaus und werden dort schon etwas finden.«

Und Peter und Hans zoge gemeinsam los. Und als sie durch das Gatter eines Getreidefeldes gingen, sagte Peter zu seinem Bruder:

»Paß auf das Gatter!«

Er wollte damit sagen, er solle es schließen; aber Hans verstand es anders: Er nahm das Gatter auf die Schulter und ging mit ihm weiter. Und als sein Bruder es sah, sagte er:

»Aber Hans, was willst du denn mit dem Gatter?«

»Du sagtest mir doch, ich sollte darauf achten.«

»Ich wollte dir zu verstehen geben, daß du es hinter dir schließen solltest; aber wo du es schon einmal mitgenommen hast, trage es weiter, wir können es sicher noch zu etwas gebrauchen.« Und sie gingen weiter; und es wurde dunkel, als sie in einen Wald kamen, und Peter sagte:

»Laß uns auf einen Baum steigen, damit uns die Wölfe nicht fressen.«

Sie stiegen hinauf und zogen das Gatter mit hoch. Und mitten in der Nacht kamen Diebe dahin und begannen, unter dem Baum ihr Geld zu verteilen. Hans zitterte vor Angst und sagte zu seinem Bruder: »Ich möchte pissen!«

»Nein, Hans! Jetzt nicht, denn die Diebe sind da unten, sie könnten uns toten.«

Hans konnte das Bedürfnis nicht zurückhalten und pißte. Und ein Dieb sagte, indem er nach oben sah:

»Es scheint, daß der Regen heute warm ist.«

Nach einigen Augenblicken sagte Hans zu seinem Bruder:

»Ich will das Gatter hinunterwerfen.«



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»Nein, Hans, man wird uns töten!«

»Doch, ich werfe es hinunter, mag geschehen, was will.«

Und er warf das Gatter hinunter, und die Diebe liefen davon. Und die beiden Brüder stiegen herunter, um das Geld einzusammein, das die Diebe zurückgelassen hatten. Doch als denen der Schrecken vergangen war, erklärten sie, es sei unglaublich davonzulaufen, wo sie doch so viele seien.

»Dann geh ich hin«, sagte ein Dieb.

Er ging hin, und als er am Baum ankam, sagte er:

»Wer ist da?«

»Hans, der rasieren kann!«

»Komm her zu mir, rasier mich hier!«

Hans rasierte den Dieb, und dann sagte er:

»Laßt sehen! Streckt doch einmal die Zunge heraus; es scheint, Ihr habt ein Haar darauf.«

Der Dieb streckte die Zunge heraus, und Hans schnitt sie ihm ab.

Der Dieb ging zu seinen Kameraden, und sie fragten ihn: »Was für Leute sind bei dem Baum?«

Da er keine Zunge mehr hatte, konnte er nicht mehr sagen als: »Brr!«

»Nun will ich sehen, was für Leute da sind«, sagte ein anderer Dieb. Er ging hin und erlebte dasselbe wie der erste. Und so ging es allen, außer einem, der war schon alt und sagte, er gehe nicht hin, er wolle nach Hause zurückkehren und dort in Ruhe leben.

Peter und Hans kehrten beladen mit Gold wieder in ihr Dorf zurück. Und die Dorfbewohner waren neidisch auf sie, und eines Tages brannten sie ihnen das Haus ab. Peter sammelte die Asche auf, die von dem Brand übriggeblieben war, schaufelte sie in einen Sack und zog damit durch die Welt. Und als er einmal bei einer alten Fraun einkehrte, sagte er zu ihr:

»In diesem Sack ist Gold. Komm keiner auf den Gedanken, hineinzuschauen, denn sobald man hineinsieht, wird das Gold zu Asche.«

Die Alte schnüffelte gern überall herum, und kaum war Peter fortgegangen, sah sie nach, was in dem Sack war, und schrie auf: »Heilige Jungfrau Maria! Jetzt hat sich das Gold in Asche verwandelt!«



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Peter kam, und er sagte der Alten:

»Hab ich Euch nicht gesagt, Ihr sollet nicht nachsehen, was in dem Sack ist? Dafür müßt Ihr mir einen Beute! voll Gold geben.«

Und da die Alte sehr reich war, gab sie ihm das Gold. Peter kehrte zurück, und die Dorfbewohner sagten, als sie das Gold sahen:

»Wodurch bist du denn so reich geworden?«

Und er sagte:

»Ich habe die Asche von dem Haus verkauft, das ihr mir abgebrannt habt.«

Und die Dorfbewohner sagten:

»Dann wollen wir unsere Häuser auch abbrennen.«

Und sie brannten sie ab und zogen los, um die Asche zu verkaufen, die von den Bränden übriggeblieben war; aber niemand wollte sie kaufen. Und als sie in ihr Dorf zurückkehrten, beschlossen sie, Peter zu töten. Sie steckten ihn gefesselt in einen Sack, und während sie die Vorbereitungen zum Mord trafen, ließen sie ihn am Rand der Hauptstraße liegen. Und Peter klagte:

»Ach, ich Ärmster! Da haben sie mich in diesen Sack gesteckt, weil ich mich nicht mit der Königstochter verheiraten will!« Ein Maultiertreiber, der dort vorbeiging, hörte ihn und sagte zu ihm:

»Wenn du mich mit dir tauschen läßt, schenke ich dir meine Tiere.« Peter willigte zufrieden ein. Dann kamen die Dorfbewohner und warfen den Sack in den Brunnen. Und nach einigen Tagen erschien Peter mit seinen Maultieren in dem Dorf, und die Bewohner sagten:

»Wie ist denn das möglich, Peter? Bist du denn nicht ertrunken?« »Ach was! Inder Mitte des Brunnens fand ich diese Maultiere; wenn ihr mich noch tiefer hineinwerft, könnte ich noch mehr Maultiere herausholen, denn der Brunnen ist voll davon.«

Da stürzten sich die Dorfbewohner Hals über Kopf in den Brunnen außer einem, der sagte:

»Der Peter ist doch ein ganzer Kerl.«

Und nun gehörte dem Peter das ganze Dorf.



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Die Schönheit der Welt

Es war einmal ein König, der hatte einen sehr leichtsinnigen Sohn, und so viele Vorhaltungen ihm auch der König wegen seines Lebenswandels machte, so konnte er ihn doch nicht bessern. Der Vater starb, und der Sohn erbte die Krone. Als er nun frei schalten und walten konnte, verfiel er gänzlich seinen Lastern und spielte viel und mit so wenig Glück, daß er alles verspielte. So kam es, daß er zuletzt, als er nichts anderes mehr besaß, auch die Krone aufs Spiel setzte und auch sie verlor. Da mußte er in die Welt hinausziehen und um Almosen bitten.

Nun war auch ein Herr da, der hatte jeden Tag mit dem König gespielt und fast immer gewonnen. Als der den König so verzweifelt sah, fragte er ihn, ob er wohl Lust habe, mit ihm zu gehen, er werde ihm so viel geben, wie er zum Spielen haben wolle; als Entgelt aber solle er einmal im Jahr arbeiten, und dieses eine Mal müsse er seine Befehle ausführen, wie sie auch immer lauten möchten.

Da der König nichts zu verlieren hatte, willigte er sofort ein, denn er fand es nicht sehr schlimm, nur ein einziges Mal im Jahr arbeiten zu müssen.

Der Herr stellte ihm nun eine Kiste voll Gold zur Verfügung, und er nahm tausend Groschen heraus und verspielte sie. Am nächsten Tag nahm er zweitausend und verspielte sie auch. So spielte er einen Tag um den anderen und vermehrte jeden Tag den Einsatz um tausend Groschen, und das machte er zwei Monate lang; doch da er immer verlor, wurde die Kiste allmählich leer, bis er zuletzt den Boden sah.

Als ihm nun das ganze Geld ausgegangen war, sprach sein Herr zu ihm:

»Hör, der Tag ist gekommen, an dem du arbeiten mußt, denn du hast das Geld mit einer solchen Schnelligkeit ausgegeben, daß jetzt schon nichts mehr da ist und wir neues holen müssen. Geh in den Stall und sattle zwei Pferde, die dort stehen; steck in die Reisesäcke zwei Schinken, zwei Lendenstücke, zwei Weinschlauche und nimm an Brot, Käse und Oliven für den Nachtisch mit, was wir brauchen, denn wir wollen eine Reise machen, die vierzig Tage dauert.«

Nun, das tat er also: Er bereitete alles vor, wie ihm der Herr geheißen



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hatte, und dann stiegen sie jeder auf sein Pferd und machten sich auf den Weg. Sie ritten los, ritten weiter und immer weiter, bis sie vieler Herren Länder durchquert hatten und ans Meer kamen. Da zeigte der Herr mitten aufs Wasser und sagte:

»Siehst du den Punkt dort in der Ferne?«

»Ja, Herr.«

»Das ist eine Burg, die voller Gold und Silber steckt. Wagst du es, dorthin zu gehen?«

»Ja, Herr, wenn Ihr vorangeht.«

Der Herr gab seinem Pferd die Sporen, und als ob es nicht Wasser wäre, das sie betraten, ritten sie los, bis sie den Felsen erreichten, auf dem die Burg lag. Als sie dort angekommen waren, stiegen sie ab, und der Herr sagte zu dem Jüngling:

»Du mußt jetzt auf die Burg steigen!«

»Aber wie denn? Sie hat doch kein Tor!« sagte er.

»Das wirst du schon sehen«, antwortete der Herr, »nimm vier von den Säcken, die wir mitgenommen haben; sobald du oben bist, wirst du einen Haufen Unzen Gold sehen; damit füllst du die Säcke und bindest sie dann fest zu, damit sie nicht wieder aufgehen.« Und er zog ein Buch hervor, das er in der Tasche hatte, und öffnete es. In demselben Augenblick fühlte sich der Jüngling hochgehoben, als ob man ihn an den Haaren zöge, und bevor er noch wußte, was geschah, befand er sich schon oben auf der Burg. Tatsächlich sah er dort einen großen Haufen Unzen Gold, und er füllte die Säcke damit, bis keine Unze mehr übrigblieb. Sobald sie alle voll waren, machte er dem Herrn ein Zeichen, und dieser öffnete von neuem das Buch. Da kamen die Säcke ganz allein herunter, und als der letzte unten war und sie alle auf die Pferde geladen waren, schloß der Herr das Buch und wandte sich an den Jüngling mit den Worten:

»Du hast mir die Dienste, die ich dir erwies, bezahlt; jetzt versuch allein, dich durchzuschlagen! Wenn du das Richtige tust, wirst du glücklich werden, wenn nicht, wirst du sterben.«

Damit stieg er auf sein Pferd und machte sich mit den Säcken voll Unzen Gold davon, ohne die Rufe des Ärmsten zu hören, der ihn anflehte, ihn von der Burg herunterzuholen. Als er den Herrn nicht mehr sehen konnte, begann er über seine traurige Lage nachzudenken und sprach bei sich:



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>Ach, Mutter Gottes im Himmel! Was soll nur aus mir werden in dieser verlassenen Gegend? Ich werde hier auf dem einsamen Fleck Erde, der von allen Seiten von Wasser umgeben ist, vor Hunger sterben müssen.<

Erblickte überall herum, doch konnte er nirgends eine Stelle entdecken, wo er hätte hinabsteigen können, und so beschloß er, sich damit abzufinden und der Güte Gottes zu vertrauen. Da er vorher reichlich gegessen hatte, fühlte er jetzt zwar keinen Hunger, aber einen brennenden Durst; doch so sehr er auch überall umherspähte, er fand nicht ein Tröpfchen Wasser, um seinen Durst zu löschen.

Als er so suchte, bemerkte er ein wenig feuchten Sand, der aufgeworfen zu sein schien, und da er annahm, daß darunter eine Quelle wäre, begann er, die Erde eifrig mit den Händen wegzuscharren. Doch sie war feucht und hart, und der Ärmste bekam viele Risse an den Händen, aber Wasser fand er nicht. Als er müde wurde, setzte er sich auf eine Weile nieder, um auszuruhen; dann begann er die Arbeit wieder mit neuer Kraft, denn jede Stunde, die verstrich, verschlimmerte seinen Durst.

Als er noch ganz in seine Arbeit vertieft war, merkte er schließlich, daß der Sand allmählich aufhörte und zuletzt eine Tür freiließ. Er blickte durch ein kleines Loch hindurch und sah, daß es drinnen ganz hell war. Er faßte wieder Mut und scharrte weiter, bis er die Tür hochheben konnte und eine Treppe fand. Da der Durst ihn immer noch quälte, hielt er sich nicht damit auf, darüber nachzudenken, was wohl da unten sein könne, und ohne den Schutz Gottes oder des Teufels anzurufen, stieg er die Treppe hinab.

Er staunte nicht wenig, als er sich in einem großen Saal befand; in der Mitte sah er einen herrlichen Brunnen und an der einen Seite einen prächtigen Tisch. Darauf standen die auserlesensten Speisen. Zuerst ging er an den Brunnen, um zu trinken, dann packte ihn bei all den schönen Sachen, die auf dem Tisch standen, der Appetit, und er begann zu essen, was ihm gerade schmeckte. Aber trotz alledem beunruhigte es ihn, daß in dem Saal kein Leben war und niemand erschien, wenn er deswegen auch nicht die Lust zu essen verlor und sich sagte: »Wenn man schon stirbt, soll man wenigstens satt sterben. Essen wir jetzt, dann mag Gott entscheiden.« Er aß, bis er nicht mehr konnte. Dann stand er auf, um sich alles anzusehen.



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Er war schon fast durch alle Gemächer des Schlosses gegangen (und es war ein sehr schönes Schloß) und hatte immer noch keine lebende Seele gefunden. Schließlich kam er in die Küche, da traf er eine Alte, die ihn erstaunt ansah und zu ihm sprach: »Wer will dir so übel, Jüngling, daß er dich hierhergebracht hat?«

»Mein Unglück, Mütterchen«, antwortete er ihr.

Dann setzte er sich hin und begann, ihr alles zu erzählen, was er erlebt hatte.

»O weh! Das Schlimmste, was dir geschehen konnte, war, hier hereinzukommen«, sagte die Alte zu ihm, »dies ist ein verzaubertes Schloß, und es ist verboten, es zu betreten. Ein Neger bewacht es, der ist beauftragt, jeden, der hier einzudringen wagt, zu töten. Doch du bist jung, ich sehe deine Unerfahrenheit, und ich will versuchen, ob ich den Neger milde stimmen kann, nur mußt du mir versprechen, ihm in allem zu gehorchen, was er dir sagt.«

Der Jüngling versprach es ihr, und bald darauf sagte die Alte zu ihm, er solle sich in einem Zimmer verstecken, denn der Neger komme, und wenn er ihn sähe, bevor sie mit ihm gesprochen hätte, werde er ihn ganz sicher töten. Kaum hatte er sich versteckt, da trat ein entsetzlicher Neger ein, der war so furchtbar anzusehen, daß er selbst der Angst noch einen Schreck einjagen konnte.

Er sah sich nach allen Seiten um und blickte dann die Alte fest an und sagte:

»Ich rieche Menschenfleisch, wenn du es mir nicht gibst, töte ich dich.«

»Ach, hör doch«, antwortete die Alte, »hier ist ein armer Kerl, den ein gemeiner Zauberer auf die Burg brachte und dort allein zurückließ; da er nicht fortgehen mochte, fand er die Tür und kam herein.« »Gut, er soll sich zeigen«, sagte der Neger.

Kaum hatte der Neger den Jüngling erblickt, da fragte er ihn: »Erzähl mir, wie du in dieses Schloß gekommen bist.«

Da begann der Jüngling noch einmal alles zu erzählen, was er der Alten schon gesagt hatte. Der Neger, der erkannte, daß er die Wahrheit sprach, fuhr fort:

»Gut, du weißt schon, daß alle, die hier eintreten, erbarmungslos sterben müssen: doch ich habe Mitleid mit dir, denn du bist noch so jung, und wenn du mir versprichst, hierzubleiben und zu tun, was



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ich dir sage, will ich dir dein Leben schenken, doch ich mache dich darauf aufmerksam, daß du nie von hier fortgehen darfst. Wenn du annimmst, was ich dir vorschlage, wirst du glücklich werden, denn es wird dir nichts fehlen außer der Freiheit. Vergiß nicht, daß du beim ersten Versuch zu fliehen unweigerlich sterben mußt.«

Der Jüngling, der nun wußte, daß es keinen anderen Ausweg gab, und der nun merkte, daß er noch gut davongekommen war, nahm den Vorschlag des Negers an und bedankte sich bei ihm. Da holte der Neger ein Schlüsselbund hervor und führte ihn durch alle Räume des Schlosses. Einer war voll von Kichererbsen, ein anderer von Speckseiten, der dritte von Blutwürsten, ein weiterer von Bratwürsten, ein anderer von Schinken, noch einer von Lendenstücken, der nächste von Weinen, kurzum, es war von allem vorhanden, was es zum Essen gab, und zuletzt zeigte er ihm noch ein Gemach, das war voll von Gold, und ein anderes voll von Silber und ein drittes voll von Kupfer. Nur eine Tür blieb übrig, auch von der gab ihm der Neger den Schlüssel und sagte:

»Nimm, ich mache dich zum Herrn von allem, damit es dir an nichts fehlt, aber hüte dich wohl, diese Tür hier zu öffnen, denn dann wird dir ein Unglück zustoßen. In jenen Gemächern liegt die Schönheit der Welt verzaubert, und sie wird so gut bewacht, daß es unmöglich ist, zu ihr zu kommen. Siehst du dort die Tür? Hinter ihr stehen zwei Löwen, die über den Unvorsichtigen herfallen und ihn zerreißen würden, wenn er die Tür öffnete. Und wäre es ihm wirklich möglich, den Löwen zu entkommen, so müßte er noch eine Tür öffnen, dahinter hängen zwei Hämmer, die unaufhörlich niedersausen und ihn zertrümmern, wenn er hindurchgeht. Dann ist da noch eine Tür, dahinter wird der Eintritt durch einen Mühlstein verhindert, der sich unaufhörlich um seine eigene Achse dreht und so den Durchgang versperrt; die letzte Tür aber wird von einer giftigen Schlange verteidigt. Du siehst also die Gefahren, denen man sich aussetzt, wenn man dort eindringen will.«

Der Jüngling versprach, auf alles achtzugeben, und das tat er auch und flößte damit dem Neger allmählich ein großes Vertrauen ein; so vergingen Tage um Tage, ohne daß sich der Neger im Schloß sehen ließ. Doch der König, der gewohnt war, zu tun, was er wollte, konnte sich mit diesem Leben und dem Geheimnis jener Gemächer



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nicht abfinden, und er beschloß nachzusehen, was dort eingeschlossen war, und die Gefahr herauszufordern, die der Neger ihm ausgemalt hatte. Er nahm den Schlüssel und schloß die Tür des ersten Gemaches auf. Sobald er sie geöffnet hatte, sah er zwei wütende Löwen mit aufgerissenem Maul auf sich zukommen. Schnell nahm er seinen Hut ab und warf ihn den Löwen hin. Die beiden stürzten sich darauf und begannen sich so um den Hut zu streiten, daß sie sich gegenseitig fast zerfleischten. Da tötete er sie. Nun öffnete er die nächste Tür, hinter der er zwei Hämmer erblickte, die so schnell herniedersausten, daß es unmöglich war, an ihnen vorbeizukommen, ohne zertrümmert zu werden. Da zog er seine Jacke aus und warf sie unter die Hämmer, die sich darin so verwickelten, daß er die Hämmer zum Stehen bringen konnte. Dann ging er weiter und öffnete die dritte Tür. Da sah er einen Mühlstein vor sich, der drehte sich mit so rasender Geschwindigkeit, daß man nicht daran denken konnte, an ihm vorbeizukommen, ohne von ihm erfaßt zu werden. Da zog er seine Weste aus und warf sie auf den Stein, der sich darin verfing und, da er sie nicht wieder abrollen konnte, auch stehenblieb.

Da war nun der Jüngling glücklich; er sprang auf den Stein und begann darüber nachzudenken, wie er der Schlange beikommen könnte.

Als er genug überlegt hatte, öffnete er die Tür. Da sieht er eine furchtbar große Schlange auf sich zukommen, die zischte so laut, daß alles erbebte. Er geht auf sie zu, und was tut er nun? Er zieht die Schuhe aus und wirft sie ihr hin. Die Schlange stürzt sich darauf und verschlingt sie in einem Nu. Aber da die Schuhe aus Leder und sehr hart waren, konnte sie sie nicht hinunterschlucken und erstickte daran. Da zog er ein Messer heraus und tötete sie. Nun hatte er alle Hindernisse überwunden und öffnete die letzte Tür; da fand er einen prachtvollen Saal, der war überall mit Gold, mit Seide und Edelsteinen ausgeschlagen, und in einer Ecke stand ein Ruhebett, darin lag ein verzaubertes Mädchen, das war die Schönheit der Welt.

Als er sie sah, wußte er nicht, wie ihm geschah, und er, der bisher noch vor nichts zurückgeschreckt war, hatte Furcht, sie aufzuwecken, und ging hinaus. Doch dann bereute er seine Feigheit und kehrte in den Saal zurück und betrachtete die Schönheit der Welt und konnte nicht widerstehen, ihr einen Kuß zu geben.



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Als er sie küßte, erwachte sie und sprach: »Du tatest gut, denn du hast mich aus meiner Verzauberung erlöst. Doch ich muß fortgehen, und wenn du mich suchen willst, so mußt du weit wandern. In einer Stunde fliege ich als Taube verwandelt weg und werde fünf Tage an der Quelle des Gartens der drei Apfelsinen bleiben. Solltest du mich dort nicht treffen, so nimm dies Tuch, damit ich dich wiedererkennen kann, wo du auch immer bist.«

Und während sie dies noch sprach, gab sie ihm ein sehr feines Tuch, darin war eine Königskrone gestickt.

Inzwischen war die Stunde verstrichen. Da hörte man plötzlich ein entsetzliches Getöse, das ihn erstarren ließ. Als er wieder zu sich kam, befand er sich ganz allein in einer verlassenen Gegend. Burg und Meer waren verschwunden. Er begann über seine Lage nachzudenken, und er wußte nicht, welchen Weg er einschlagen sollte, um den Garten der drei Apfelsinen zu finden. Da entschloß er sich, auf gut Glück loszuziehen, und er machte sich ohne eine bestimmte Richtung auf den Weg.

Und er ging weiter und weiter, bis er nach drei Tagen endlich einen Garten fand, und da er großen Durst hatte, trat er ein und bat um ein wenig Wasser. Der Gärtner war ein Neger, es war derselbe, der im Schloß gewesen war; doch der Jüngling erkannte ihn nicht. Er bat um Wasser, und man gab es ihm.

»Könnt Ihr mir sagen, welcher Garten dies ist?«

»Das ist der Garten der drei Apfelsinen«, antwortete der Neger. »Sagt mir, kommen an diese Quelle auch Tauben, um hier zu trinken?«

»Ja, mein Herr, seit drei Tagen kommen sie, doch vor morgen könnt Ihr sie nicht sehen, denn sie kommen zwischen elf und zwölf Uhr morgens.«

»Würdet Ihr mir vielleicht erlauben, hierzubleiben? Ich habe eine Taube verloren und möchte gern sehen, ob sie mit dabei ist.«

»Ja, mein Herr«, sagte der Neger, »bleibt nur hier und seht sie Euch morgen an.«

Er blieb also die Nacht dort, und am nächsten Morgen zur bestimmten Stunde gingen die beiden an die Quelle. Der Neger begann, einige Feigen zu essen und gab eine davon dem Jüngling, der sofort danach einschlief. Die Tauben kamen und tranken und badeten sich,



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doch als der Jüngling erwachte, waren sie schon wieder fortgeflogen. Er fragte den Gärtner, der sagte ihm, sie seien lange Zeit geblieben, aber er habe so fest geschlafen, daß er ihn nicht wecken mochte.

Da nun schon vier Tage verstrichen waren, so kam der letzte Tag, an dem die Tauben noch kommen wollten, und er nahm sich vor, nicht wieder einzuschlafen. Am Nachmittag ging er hinaus und machte einen Spaziergang; da sah er einen Brief zu seinen Füßen niederfallen. Er öffnete ihn und las die Worte: Trau dem Gärtner nicht.

Obwohl er nicht wußte, ob der Brief an ihn gerichtet war, und er auch keinen Grund hatte, dem Gärtner zu mißtrauen, nahm er sich doch vor, auf der Hut zu sein. Der nächste Tag kam, und die beiden gingen wieder an die Quelle. Wie sie so miteinander sprachen, zog der Neger einige Zigarren heraus, begann zu rauchen und bot dem Jüngling auch eine davon an. Er nahm sie, doch kaum hatte er einige Züge getan, da schlief er fest wie ein Klotz. Die Tauben kamen, und es geschah dasselbe wie am vorigen Tag: Die Stunde war verstrichen, als er aufwachte.

Er begriff, daß dies das Werk des Negers war, und weil er wußte, daß die Tauben nicht wiederkommen würden, denn die fünf Tage waren schon vergangen, verabschiedete er sich vom Neger und ging fort. Als er aus dem Garten trat, sah er einen Brief herunterfallen. Er nahm ihn auf, öffnete und las:

»Du hast dich vom Gärtner betrügen lassen und hast dadurch die Zeit unserer Trennung verlängert; wenn du mich finden willst, such mich im Schloß der drei goldenen Mandeln.«

»Wo kann ich dieses Schloß nun wieder finden?«sprach der Arme nachdenklich bei sich. »Wenn ich wenigstens wüßte, wo es wäre, hätte ich das größte Übel schon beseitigt. Doch suchen wir es; was viel wert ist, kostet viel, und wo ich den Garten gefunden habe, werde ich das Schloß wohl auch finden!«

Er zog los und ging weiter und immer weiter, einmal über Wege, ein andermal über Pfade, bis er schließlich in eine Felsengegend kam; und als er sich schon ganz verloren glaubte, sah er ein Haus und bat um Unterkunft für die Nacht.

Die Hausherrin fragte ihn, was er denn in dieser Felsengegend suche, in die sonst keine menschliche Seele komme.



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»Ach, liebe Frau«, antwortete er, »ich suche das Schloß der drei goldenen Mandeln, und ich weiß nicht einmal, wo es sich befindet; nun habe ich mich auf gut Glück auf den Weg gemacht und hoffe, daß der Zufall es mir zeigt.«

»Ja, mein Lieber, hier in diesem Hause versammeln sich alle Vögel der Welt, und es ist leicht möglich, daß einer von ihnen weiß, wo sich das Schloß befindet, selbst wenn es im verborgensten Winkel der Welt liegt, falls es das Schloß überhaupt gibt.«

Als es dunkel wurde, kamen die Tauben hereingeflogen, und die Hausherrin fragte sie, ob sie wüßten, wo jenes Schloß sei, doch sie sagten, sie kennten es nicht. Und es kamen andere Vögel, doch keiner konnte die richtige Antwort geben. Und es kamen die jungen Adler, doch auch sie wußten es nicht; nur einer fehlte noch, der war noch nicht gekommen, und als es schon sehr spät war, hörte man ein lautes Flügelschlagen. Burr . . und sie sahen den Adler kommen, der war beinahe so satt wie ein Zicklein mit zwei Müttern. »Wie kommt es, daß du heute so spät kommst? Wo warst du?«

»Ich komme vom Schloß der drei goldenen Mandeln, wo ich die Eingeweide der Hühner gefressen habe, die mir köstlich bekommen sind, denn da morgen die Tochter des Königs heiratet, wird ein großes Fest stattfinden.«

»Hast du den Mut, morgen den Jüngling hier in das schöne Schloß zu tragen?«

»Ja, aber er muß als Nahrung für mich das Fleisch von einem Hammel mitnehmen, denn das Schloß ist weit entfernt, und ich werde Hunger bekommen.«

So machten sie es denn auch; sie töteten einen Hammel, und ganz früh am nächsten Morgen flog der Adler los und trug den Jüngling und den Hammel in seinen Fängen. Als sie eine große Strecke zurückgelegt hatten, wandte der Adler den Schnabel zur Seite und bat um Fressen. Der Jüngling gab ihm ein Stück vom Hammel, und der Adler flog weiter. Nach kurzer Zeit bat er um mehr und wollte immer mehr haben, bis er den Hammel aufgefressen hatte. Da sagte der Jüngling:

»Du hast das Fleisch jetzt aufgefressen, wenn du aber noch Hunger hast, pick dir ein Stück aus meiner Hinterbacke heraus, aber trag mich ins Schloß.«



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»Nein«, antwortete der Adler, »ich will alle meine Kräfte zusammennehmen, und wir werden hinkommen, denn ich sehe das Schloß schon; glücklicherweise ist das Hinunterfliegen leicht.«

Er flog weiter, und kurz darauf sahen sie die Türme des Schlosses. Der Adler kam schnell hinunter, und als er seine Last auf den Boden setzte, sagte er:

»Es war höchste Zeit, einen Augenblick länger und wir wären nicht angekommen, denn die Kräfte hätten mich verlassen. Im Schloß ist genug, womit ich mich stärken kann.«

Der Jüngling ging an das Schloßtor, aber da er durch den Flug so verwildert aussah, glaubten die Wächter, er wäre ein Bettler, und verwehrten ihm den Eintritt. Als er sah, daß man ihn nicht hineinließ, zog er sich betrübt zurück und ging an die Kirche, die neben dem Schloß stand, und setzte sich an die Tür und wollte warten, ob die Prinzessin sich vielleicht aus einem Fenster lehnte und er sie dann sehen und sprechen könne.

Als er kurze Zeit dort saß, sah er aus dem Schloß einen Festzug kommen, der auf die Kirche zuschritt. In der Mitte war das Brautpaar: Sofort erkannte er, daß die Braut die Schönheit der Welt war. Gern hätte er sie gesprochen. Er wollte näher treten, damit sie ihn bemerkte, aber da er so verwildert aussah, war anzunehmen, daß sie ihn nicht erkannte. Da dachte er an das Tuch, das sie ihm gegeben hatte, und er zog es aus der Tasche und entfaltete es in dem Augenblick, als das Brautpaar vorbeischritt, damit sie die Krone sehen sollte, die darauf gestickt war.

Sie sah es und erkannte es sofort, doch sagte sie nichts, und alle traten in die Kirche ein. Als der Geistliche sie trauen wollte, sprach die Prinzessin: »Als Heiratsversprechen habe ich einem Manne ein Tuch gegeben, in das mein Namenszug und meine Krone gestickt sind, und nur diesem Manne will ich meine Hand geben: Wenn einer der Anwesenden das Tuch hat, möge er es vorzeigen.«

Alle sahen sich an, doch keiner zog das Tuch heraus. Da sagte die Prinzessin zu ihrem Vater:

»Mein Vater, an der Tür steht ein Bettler, der hat das Tuch, denn er ist der Mann, der mich aus der Verzauberung erlöst hat, und nur mit ihm will ich mich verheiraten.«

Da gingen sie hinaus und suchten den Jüngling, der das Tuch zeigte



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und sich mit der Prinzessin verheiratete. Dann gewann er mit Hilfe seines Schwiegervaters sein Reich zurück, das er verloren hatte, und sie lebten glücklich ihr Leben lang.


Der Zauberer Palermo

Es war einmal eine Königin, die hatte einen Sohn, der war sehr leichtsinnig und verspielte alles, was er hatte. Eines Tages spielte er sogar um seine Juwelen und Besitzungen und verlor alles. Da zog er ganz verzweifelt in die Welt hinaus. Er hatte sagen hören, daß der Zauberer Palermo unglaublich reich sei und alles könne, was er wolle, weil er ja ein Zauberer war. Der Prinz, der nicht wußte, was er sonst anfangen sollte, beschloß, ihn auf gut Glück zu suchen, denn er konnte nicht herausbekommen, wo er wohnte. Eines Tages, als er es am wenigsten erwartete, stand der Zauberer vor ihm:

»Ich weiß, daß du mich suchst«, sagte der Zauberer, »was willst du von mir?«

»Ich suche Euch, denn ich habe alles verspielt, was ich besaß, und ich möchte, daß Ihr mir helft, es wiederzuerlangen.«

»Gut; ich will dir einen Beutel geben, damit wirst du stets beim Spiel gewinnen; doch geb ich ihn dir nur, wenn du mir an einem Tag in diesem Jahr alles in meinem Haus bezahlst, das jenseits des Meeres liegt, und eine meiner Töchter heiratest.«

»Abgemacht«, sagte der Prinz, »das will ich tun.«

Er nahm den Beutel, begann zu spielen und bekam nicht nur das Verlorene zurück, sondern gewann stets so viel, daß keiner mehr mit ihm spielen mochte.

Das Jahr verstrich, und da er sein Versprechen einlösen wollte, machte er sich auf die Suche nach dem Zauberer Palermo. Er brach auf und zog weiter und immer weiter, bis er an ein Schloß kam. Eine Alte trat heraus, und er fragte sie, ob sie wisse, wo das Schloß des Zauberers Palermo sei.

»In meinem ganzen Leben habe ich diesen Namen noch nicht gehört«, sagte die Alte, »doch wartet ein Weilchen, denn dies ist das Schloß der kleinen Vögel, und vielleicht weiß einer, wo es liegt.«



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Er blieb die Nacht über dort, und immer, wenn einige Vögel zurückkamen, fragte die Alte sie, ob sie wüßten, wo der Zauberer Palermo wohne, doch keiner konnte es ihr richtig sagen.

»Nun, Ihr hört ja«, sagte die Alte, »keiner weiß es. Geht ins Schloß der großen Vögel, die haben den Zauberer vielleicht gesehen, da sie doch weiter fliegen als die kleinen.«

Der Prinz brach auf und schritt rüstig voran, immer weiter und immer weiter, bis er schließlich wieder ein Schloß erreichte, das den großen Vögeln gehörte. Als er ankam, erschien eine Alte und fragte ihn, womit sie ihm zu Diensten sein könne.

»Liebe Frau, ich suche das Schloß des Zauberers Palermo und möchte Euch bitten, mir zu sagen, wo es sich befindet, wenn Ihr es wißt.«

»Das kenne ich nicht«, sagte die Alte, »doch tretet ein; hier schlafen alle großen Vögel, und es kann angehen, daß einer von ihnen das Schloß gesehen hat.«

Die Vögel kamen zurück, um sich auszuruhen, und jeden fragte die Alte nach dem Schloß, doch alle sagten, daß es ihnen nicht bekannt sei. Schließlich erschien der Adler, und die Alte sagte zu ihm:

»Hört einmal! Hier ist ein Jüngling angekommen, der sucht das Schloß des Zauberers Palermo, und er möchte wissen, ob du, der du stets so große Strecken zurücklegst, es vielleicht ausfindig gemacht hast.«

»Ja«, sagte der Adler, »ich weiß, wo es ist, doch wird es für ihn nicht leicht sein, dahin zu kommen, denn es liegt jenseits des Wassers, und diese Reise kann er nicht machen.«

»Und könntest du ihn nicht dahin bringen?«

»Wenn du es gern willst, werde ich ihn dahin bringen; doch dazu ist nötig, daß er sein Pferd und einen Hammel tötet, und jedesmal, wenn ich ihn um etwas zu fressen bitte, muß er mir das eine Viertel vom Tier geben; denn wenn ich unterwegs schwach werde, fallen wir beide ins Meer, und da der Weg sehr weit ist, so weiß ich nicht, ob ich mit meinen Kräften ausreiche. Wenn er damit einverstanden ist, soll er morgen früh reisefertig sein.«

Die Alte erzählte dem Prinzen, was der Adler ihr gesagt hatte, und da er unbedingt ins Schloß des Zauberers wollte, tötete er sein Pferd und einen Hammel und machte sich reisefertig. Sobald es zu dämmern



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begann, belud er den Adler mit dem Pferd und dem Hammel und bestieg ihn dann selbst; der Adler schwang sich empor und begann loszufliegen, doch ging es zuerst recht langsam wegen des schweren Gewichtes, das er trug. Als sie eine Zeitlang geflogen waren, krächzte er und drehte den Schnabel zur Seite, und der Prinz gab ihm das eine Viertel des Pferdes. Nach einiger Zeit mußte er ihm noch eines geben, und so warf er ihm nacheinander die anderen beiden Viertel des Pferdes und die vier Viertel des Hammels zu, doch immer noch sah man nichts als Wasser. Schon war das Fleisch ausgegangen, als der Adler wieder krächzte; da sagte er zu ihm:

»Pick von meinem Oberschenkel, denn ich habe kein Fleisch mehr.«

Da sah man in der Ferne Land, und obwohl der Adler sich sehr schwach fühlte, raffte er noch einmal alle seine Kräfte zusammen, überflog das Meer, setzte ihn an Land und sagte zu ihm:

»Hätten wir noch etwas länger gebraucht, wären wir ins Wasser gefallen, denn ich war schon am Ende meiner Kräfte. Siehst du dort das Gebäude in der Ferne? Das ist das Schloß, das du suchst; solltest du dich in irgendeiner Verlegenheit befinden, so sage nur: Beschütze mich der Adler!, dann komme ich dir zu Hilfe.«

Damit stieg der Adler in die Lüfte und verschwand.

Der Prinz ging ins Schloß; kaum war er eingetreten, da kam ihm schon der Zauberer entgegen.

»Ich bin gekommen, um Euch den Beutel zu bezahlen, den Ihr mir gegeben habt, und Ihr seht, daß ich mein Wort halte«, sagte der Prinz.

»Gut«, antwortete der Zauberer, »auch mir gefällt es, mein Versprechen zu halten; ich habe dir eine meiner Töchter zur Heirat angeboten, doch vorher mußt du einige Proben bestehen, die ich dir stelle. Tritt an dies Fenster. Was siehst du dort?«

»Himmel, Wasser und ödes Land.«

»Nun gut; du mußt jetzt in vierundzwanzig Stunden das Land dort roden, die Erde pflügen, die Saat streuen und mir von dem Weizen, den du erntest, ein warmes Brötchen zu meiner Tasse Schokolade bringen.«

»Ja, aber wie soll ich das alles in vierundzwanzig Stunden machen?«



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»Ich gebe dir keine Minute mehr. Wenn du es bis morgen nicht vollbracht hast, gehört dein Leben mir.«

>Jetzt sind wir ja wirklich schön dran!<sprach der Prinz bei sich; und er ging auf das Feld hinaus und sagte: »Beschütze mich der Adler!« Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, da stand ein wunderschönes Mädchen vor ihm, das sagte:

»Ich bin die jüngste Tochter des Zauberers Palermo, und ich bin gekommen, das Wort zu halten, das der Adler, der in meinem Dienst steht, dir gab. Mein Vater nimmt an, daß du mich von seinen drei Töchtern zur Frau wählen wirst; und da er nicht will, daß ich fortgehe, versucht er, dir Schwierigkeiten in den Weg zu legen, damit du ihn von seinem Versprechen entbindest, wenn du sie nicht überwinden kannst. Doch hab keine Angst, ich werde dir stets zur Hilfe kommen. Was hat er denn heut von dir gefordert?«

»Er will, daß ich innerhalb von vierundzwanzig Stunden das Ödland pflüge, Saat streue und ihm daraus ein warmes Brötchen zu seiner Tasse Schokolade beschaffe.«

»Gut; mach dir darüber keine Gedanken. Leg du dich schlafen; ich werde dafür sorgen, daß alles so geschieht.«

Und so geschah es auch, er legte sich zu Bett, und als er am nächsten Morgen aufstand, war das ganze Land in ein Stoppelfeld verwandelt, und er sah die Tochter des Zauberers kommen, die ihm in einem kleinen Tuch ein warmes Brötchen gab und sagte:

»Nimm, bring das Brötchen meinem Vater, doch hab acht und sage nichts davon, daß ich dir geholfen habe.« Der Prinz nahm das Brötchen und brachte es dem Zauberer. Der ging sogleich ans Fenster, um hinauszuschauen; als er das Stoppelfeld erblickte, fragte er ihn, wie er das nur zuwege gebracht habe.

»Das ist für mich ein leichtes«, sagte der Prinz.

»Nun gut; jetzt mußt du eine weitere Probe bestehen.« Und er führte ihn in den Stall und zeigte ihm ein sehr schönes Pferd, das da stand. Dann sagte er:

»Du mußt dieses Pferd zähmen; doch ich mache dich darauf aufmerksam, daß es sehr wild ist und die geringste Unachtsamkeit dich das Leben kosten kann.«

Der Prinz sagte: gut, er wolle das machen; dann ging er aufs Feld, rief den Adler, und wieder erschien die Tochter des Zauberers.



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»Was willst du von mir?«

»Dein Vater hat mir befohlen, ein Pferd zu zähmen, das er in seinem Stall hat, und er hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß es sehr wild ist.«

»Gut, nun höre genau zu: Hole morgen das Pferd, das dann schon gezäumt sein wird, aus dem Stall, doch steige nicht darauf; führ es aufs Feld und nimm einen starken Stock mit, der nicht entzweibricht. Denk daran, daß das Pferd mein Vater ist, der Sattel meine Mutter, die Steigbügel meine Schwestern und die Zügel ich. Sobald du dann draußen auf dem Felde bist, beginn auf das Pferd, den Sattel und die Bügel loszuhauen, doch schlag nicht auf die Zügel, denn dann schlägst du mich.«

Und wirklich, so wie sie ihm gesagt hatte, tat er. Am nächsten Morgen führte er das Pferd aufs Feld, und mit einer Peitsche, die er vorsichtshalber gleich mitgenommen hatte, verabreichte er dem Pferd derartige Hiebe, daß ihm die Knochen krachten. Das Pferd bäumte sich auf, doch er schlug und schlug auf das Tier los, auf den Sattel und die Bügel, bis das Pferd schließlich zu Kreuze kroch. Dann ging er ins Schloß zurück, und das erste, was er tat, war, den Zauberer, seine Frau und seine beiden ältesten Töchter aufzusuchen, die alle vier zu Bett lagen und dicke Verbände trugen. Er fragte sie, was ihnen geschehen sei, und sie antworteten ihm, eine Wand sei eingestürzt und habe sie verwundet.

Es vergingen einige Tage, und sie wurden wieder besser. Doch der Zauberer war jetzt mißtrauisch, denn er hatte bemerkt, daß seine jüngste Tochter nichts von den Schlägen abbekommen hatte, und er fürchtete, daß sie es war, die dem Prinzen half.

»Hör«, sagte er zu dem Jüngling, »ich will dich jetzt zum letztenmal auf die Probe stellen. Vor vielen Jahren fiel meiner Großmutter ein Ring ins Meer, der für mich sehr wertvoll ist, du sollst ihn jetzt herausholen.«

»Gut«, sagte der Prinz, »ich will versuchen, ihn herauszuholen.« Er ging hinaus aufs Feld und sagte: »Beschütze mich der Adler!«, und sogleich erschien Luise, denn so hieß die jüngste Tochter des Zauberers, und fragte ihn: »Was verlangt mein Vater von dir?«

»Er will, daß ich ihm einen Ring aus dem Meer hole, den seine Großmutter hineinfallen ließ.«



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»Das ist schon ein gefährlicheres Unternehmen, doch wir werden das auch noch schaffen. Aber dazu mußt du mich töten.«

»Dann kann lieber der Ring im Meer bleiben, denn töten tu ich dich auf keinen Fall.«

»Doch, du wirst mich töten; aber hab keine Angst, ich komme ins Leben zurück. Du nimmst ein Messer, tötest mich und schneidest meinen Körper in Stücke, legst sie zusammen in ein Tuch und wirfst sie ins Meer. Doch paß auf, daß nichts auf die Erde fällt, denn das fehlt meinem Körper nachher.«

Der Prinz konnte es nicht über sich bringen, das zu tun, doch Luise beteuerte ihm so sehr, ihr werde nichts geschehen, daß er schließlich tat, wie sie ihm gesagt hatte. Nachdem er sie getötet hatte, schnitt er den Körper in Stücke und warf sie ins Meer, doch blieb am Tuch ein Stückchen Fleisch kleben, das auf den Boden fiel. Nach einiger Zeit begann das Wasser zu schäumen, und gleich darauf kam Luise mit dem Ring heraus, den sie dem Prinzen gab; an der linken Hand aber fehlte ihr der kleine Finger.

»Siehst du«, sagte sie zu ihm, »du hast nicht genügend achtgegeben, und dafür fehlt mir nun dieser Finger. Wenn mein Vater das sieht, weiß er gleich, daß ich dir geholfen habe.«

Der Prinz ging zum Zauberer und gab ihm den Ring, und als er ihn sah, sprach er bei sich:

>Ganz bestimmt steckt Luise dahinter!<

Und als die drei Töchter kamen, beobachtete der Vater sie genau, und als er sah, daß die jüngste ein Taschentuch um die eine Hand gebunden hatte, fragte er sie, was ihr fehle.

»Es ist nichts«, antwortete sie, »ich habe mich geschnitten; aber das ist bald wieder besser.«

Doch der Vater ließ sich nicht täuschen und sprach bei sich:

>Ich wußte ja, daß meine Tochter dahintersteckt; doch das soll sie mir büßen.<

Und da er nicht mehr umhin konnte, sein Versprechen zu erfüllen, sagte er zum Prinzen:

»Du hast alles vollbracht, was ich von dir verlangte, jetzt ist es an mir, mein Wort zu halten, du kannst dir nun eine meiner Töchter auswählen; doch mußt du sie dir mit verbundenen Augen wählen.« Der Jüngling wurde durch diese Laune des Zauberers in große Verlegenheit



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versetzt, doch als er Luise ansah, die auf die eine Hand wies, an der der Finger fehlte, nahm er den Vorschlag an. Man verband ihm die Augen, und der Zauberer rief seine drei Töchter zu sich. Der Prinz ergriff nacheinander ihre Hände, und als er die von Luise faßte, sagte er, die wolle er heiraten. Dem Vater gefiel das gar nicht, aber er konnte jetzt nicht mehr zurück und mußte sie verheiraten, doch schwor er, daß die beiden es ihm büßen sollten.

Am Abend, als sie zu Bett gingen, hörten sie die Stimme des Vaters: »Luise, Luise!«

»Ihr wünscht, Vater?«Und indem sie ihren Mann ansah, sagte sie: »Mein Vater ist wütend auf mich, weil wir ihn besiegt haben, und er hat beschlossen, uns zu töten; deswegen müssen wir an unsere Rettung denken. Geh in den Pferdestall, dort wirst du zwei Pferde finden. Das dickere läuft dreißig Meilen in einer Stunde und das dünnere vierzig. Nimm dieses und gib mir Bescheid, wenn es gesattelt ist.«

Der Prinz ging fort; indessen holte Luise ein Gefäß und spie hinein. Als er zurückkam, hörten sie den Vater wieder rufen, und sie antwortete wieder wie das vorige Mal.

»Siehst du«, sagte sie zu ihrem Manne, »er wartet darauf, daß ich nicht mehr antworte, um dann hereinzukommen und uns zu töten; doch mein Speichel, der hier in dem Gefäß ist, wird statt meiner antworten; bis er ausgetrocknet ist, sind wir schon weit weg.«

Sie stiegen in den Hof hinunter, und als sie das Pferd erblickte, sagte sie:

»Mein Gott, Mann! Du hast das falsche Pferd genommen!« »Wenn du willst, hole ich schnell das andere.«

»Nein, es ist keine Zeit mehr: Laß uns so schnell wie möglich eilen.«

Sie stiegen auf das Pferd, und wie im Fluge rasten sie dahin. Indessen rief der Vater von Zeit zu Zeit Luise wieder:

»Luise, Luise!«

Und der Speichel antwortete:

»Ihr wünscht, Vater?«

Doch da der Speichel allmählich trocknete, wurde das Echo von Mal zu Mal schwächer, bis es schließlich ganz aufhörte. Da sagte der Vater:



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»Jetzt sind sie eingeschlafen; nun sollen sie büßen.«

Er ergriff ein Schwert und schritt geradeswegs auf das Bett zu, und als er merkte, daß sie dort nicht lagen, begriff er, daß sie entwischt waren und ging in den Stall hinunter. Als er das Pferd sah, sagte er:

»Noch kann ich sie zu fassen bekommen, denn sie haben das Vierzigmeilenpferd hiergelassen.«

Er stieg auf das Pferd und raste hinter ihnen her, und obwohl sie ihm ein gutes Stück voraus waren, dauerte es doch nicht lange, bis sie ihn kommen sahen, denn sein Pferd legte ja zehn Meilen mehr die Stunde zurück.

»Wir sind verloren«, sagte Luise, »denn mein Vater folgt uns auf dem Fuße; aber ich weiß schon, wie wir ihm entkommen können. Sobald mein Vater hier ist, verwandle ich das Pferd in einen Garten, dich in den Gärtner und mich in einen Kopfsalat; wenn er dich etwas fragt, stell dich taub!«

Und wirklich, so wie sie sagte, geschah es auch. Der Vater kam an, und als er den Gärtner sah, fragte er ihn:

»Lieber Mann, habt Ihr hier einen Mann und eine Frau auf einem Pferd vorbeikommen sehen?«

»Ich habe nur diesen Salat, aber der ist gut.«

»Davon rede ich doch nicht; ich möchte wissen, ob hier zwei junge Leute zu Pferd vorbeigekommen sind.«

»Dieses Jahr gibt es wenig; aber nächstes Jahr wird es mehr geben.« »Der Teufel soll dich holen!« sagte der Zauberer und kehrte in sein Schloß zurück, wo er seiner Frau erzählte, was er erlebt hatte. »Du bist ein Dummkopf«, sagte seine Frau zu ihm, »sie haben dich getäuscht, denn der Garten, der Gärtner und der Kopfsalat sind sie selber gewesen.«

Der Vater eilte davon, doch fand er jetzt den Garten nicht mehr, denn als er umgekehrt war, hatten die beiden sofort ihren Weg fortgesetzt. Aber bald war er ihnen wieder ganz dicht auf den Fersen; da sagte Luise:

»Da kommt mein Vater schon wieder. Das Pferd soll sich in eine Einsiedelei, du dich in einen Einsiedler und ich mich in das Heiligenbild verwandeln!«

Sofort verwandelte sich alles, wie sie gesagt hatte, und als der Vater ankam, sagte er:



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»Einsiedler, habt Ihr hier zwei junge Leute zu Pferde vorbeikommen sehen?«

»Öl für die Lampe! Öl für die Lampe!«

»Davon red ich doch gar nicht, sondern ob Ihr hier zwei junge Leute habt vorbeikommen sehen?«

»Bald ist es ausgebrannt! Bald ist es ausgebrannt!«

Der Zauberer schickte alle Tauben zum Teufel und kehrte fluchend heim.

Als die Mutter die Geschichte hörte, sagte sie: »Der Einsiedler war er und sie das Bild; lauf noch einmal hinter ihnen her und bring diesmal mit, was du auch findest; denn immer werden sie es sein.«

Der Zauberer eilte also wieder wütend auf und davon und schwor, sie nicht noch einmal entwischen zu lassen. Schon war er ihnen ganz nahe, als Luise schnell ein Ei herausholte und es auf die Erde warf. Es verwandelte sich sofort in ein Meer, das die beiden von ihrem Vater trennte. Als der Zauberer sah, daß er sie nicht einholen konnte, sagte er zu dem Jüngling:

»Wenn dich ein Hund berührt oder dich eine Alte umarmt, so mögest du Luise vergessen, das gebe Gott!«

Und er kehrte in sein Schloß zurück.

Sie setzten indessen ihren Weg wieder fort und kamen in sein Land; doch bevor sie seine Heimatstadt erreichten, sagte der Prinz zu ihr: »Warte hier auf mich, ich hole die Droschken und alles, was sonst noch nötig ist, damit du in die Stadt einziehen kannst, wie es sich für uns gehört.«

»Ich möchte mich nicht von dir trennen, denn du wirst mich vergessen. Denk doch an den Fluch meines Vaters!«

»Hab keine Angst! Ich werde schon aufpassen, daß keiner mich umarmt.«

Er ging in das Schloß, und kaum sahen sie ihn, da kamen ihm alle entgegen, um ihn zu beglückwünschen und zu umarmen, vor allem seine Mutter; doch alle, die ihn umarmen wollten, wehrte er ab. Er befahl, die Droschken auffahren zu lassen und ein Gefolge zusammenzustellen, um die zu holen, die seine Frau werden sollte. Dann sagte er zu seiner Mutter:

»Ich bin sehr müde und möchte mich ein wenig ausruhen; wenn alles fertig ist, soll man mir Bescheid geben.«



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Er legte sich hin und schlief ein. Da kam seine Großmutter, und schlafend, wie er dalag, umarmte sie ihn.

Als alles vorbereitet war, rief die Königin ihn und sprach: »Das Gefolge und die Droschken sind fertig.«

»Welches Gefolge?«fragte der Prinz.

»Welches? Das Gefolge, das du haben wolltest, um deine Frau zu holen.«

»Ihr träumt, ich wollte nichts haben und habe auch keine Frau; ich will nur hierbleiben.«

Die Königin glaubte, ihr Sohn sei verrückt geworden oder wolle sie zum Narren halten; aber da ihn seine Großmutter umarmt hatte, hatte er alles vergessen, gerade so, wie der Zauberer es ihm gewünscht hatte.

Indessen wartete die arme Luise vergeblich auf ihn, und als sie merkte, daß er nicht zurückkam, ging sie in die Stadt und verdingte sich als Hausfräulein bei einem sehr reichen Ehepaar. Dieses Ehepaar hatte eine wunderschöne Tochter, in die der Prinz sich verliebte und um deren Hand er anhielt.

Der Tag der Hochzeit wurde festgesetzt; da schlug nun Luise ihrer Herrin vor, zur Unterhaltung ein Puppenspiel zu geben mit Puppen, die sie selbst besaß. Die Herrin sagte, es sei gut, und Luise machte sich nun daran und kleidete zwei Puppen an, eine als Frau mit einem Kleid wie ihr eigenes und die andere als Mann mit einem Gewand, wie das war, das der Prinz trug, als er fortging, um Geld zu suchen.

Es kam der Hochzeitstag, und als die ganze Gesellschaft zugegen war, ging man in einen Saal, wo ein Puppentheater aufgestellt war, hinter dem sich Luise verborgen hielt. An Drähten zog sie die Puppen auf die Bühne; die eine Puppe trug einen Stock und sagte zu der anderen: »Christoph, weißt du noch, daß du das Schloß des Zauberers Palermo suchtest und dich ein Adler auf seinen Flügeln dorthin brachte?«

»Nein«, antwortete die Puppe, die wie der Prinz gekleidet war, und da bekam sie von der anderen einen Schlag mit dem Stock. Der Prinz zuckte zusammen, denn er fühlte den Hieb, als ob er ihn selber bekommen habe. Die Puppen fuhren fort:

»Christoph, weißt du noch, daß der Zauberer dir befahl, das Ödland



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zu bebauen und aus dem Weizen ein Brötchen zu seiner Tasse Schokolade zu backen?«

»Nein.« Wieder ein Schlag.

»Weißt du noch, daß er dir befahl, das Pferd zu zähmen?«

»Nein.«

»Weißt du noch, daß er dir befahl, einen Ring aus dem Meer zu holen?«

»Nein.«

Obwohl der Prinz die Schläge fühlte, sagte er kein Wort, und Luise war schon ganz verzweifelt darüber, daß er sich an nichts mehr erinnerte. Dann sagte sie wieder:

»Weißt du nicht, daß mein Vater, als er uns verfolgte, uns zuletzt verfluchte und wünschte, du solltest mich vergessen, wenn eine alte Frau dich umarmt?«

Und als die Puppe wieder mit Nein antwortete, bekam sie einen Schlag, daß sie in tausend Stücke zerbrach. Da fühlte der Prinz einen so heftigen Schmerz, daß er aufsprang, mit der Hand über seine Stirn fuhr, wobei ihm langsam wieder alles zum Bewußtsein kam. Er fragte seine Braut, wer das Puppenspiel gemacht habe, und als sie antwortete, das sei ihr Kammermädchen gewesen, ließ er sie zu sich kommen; und als Luise vor ihm stand, erinnerte er sich an alles. Er faßte sie bei der Hand, ging mit ihr zu seiner Mutter und sprach: »Mutter, hat mich irgend jemand umarmt, als ich mich nach der Rückkehr von meiner Reise schlafen legte?«

»Ja«, sagte die Königin, »deine Großmutter hat dich umarmt.«

»Dann hat mich diese Umarmung den Auftrag vergessen lassen, den ich Euch gab, bevor ich mich hinlegte. Hier ist die Frau, die auf mich gewartet hat, und nur sie will ich heiraten!«

Dann gingen sie ins Schloß. Er heiratete Luise, und sie wurden sehr glücklich, die andere aber war unverhofft ihren Bräutigam los.


Der Verleumder

Vor langer Zeit machte einmal ein junger Bursche einem tugendhaften und sehr schönen Mädchen den Hof, und der Tag ihrer Hochzeit stand nahe bevor.



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Im selben Dorf lebte ein mißgünstiger Bursche. Der traf eines Tages das Mädchen und fragte sie, ob sie seine Braut werden wolle. Darauf antwortete sie:

»Wie kannst du es wagen, mir einen solchen Vorschlag zu machen, wo du doch weißt, daß ich mich sehr bald verheirate.«

Bald darauf begegnete der Bursche dem Bräutigam des Mädchens, und dieser sagte zu ihm:

»Hallo! Weißt du eigentlich schon, daß ich mich in einigen Tagen verheirate, wenn Gott will?«

»Wie dumm von dir, daß du dieses Mädchen heiraten willst!« »Warum?«

»Pah! Weil ich sie gehabt habe; ich will es dir nur sagen, damit du nicht unschuldig reinfälist.«

»Danke!«

Tief betrübt ging der Bursche zu seiner Braut und sagte ihr:

»Von heute ab hören unsere Beziehungen zueinander auf. Du kannst einen anderen heiraten.«

Und unter Tränen antwortete sie ihm:

»Bei der Seele deiner Mutter, sage mir, warum du mich verlassen willst!«

»Warum soll ich dir das sagen?«

Von diesem Tage an wurde das Mädchen herzkrank, und nach kurzer Zeit starb es.

Das Gewissen ließ dem Verleumder keine Ruhe. Und eines Tages ging er in die Kirche, um seine Sünde zu beichten. Und der Beichtvater legte ihm als Buße auf, drei Nächte auf dem Grab des Mädchens zu beten.

Er ging hin, und die erste Nacht und die zweite Nacht geschah nichts, in der dritten Nacht aber sah er einen Schatten mit einem Krug voll Wasser auf sich zukommen, der sagte mit schwacher Stimme: »Nimm diesen Krug voll Wasser!«

Der Verleumder nahm ihn, und der Schatten sagte:

»Jetzt schütte das Wasser auf die Erde dieses Grabes.«

Er tat es, und der Schatten sagte:

»Jetzt gib es dem Krug wieder zurück!«

»Das kann ich nicht!« antwortete der Verleumder ganz entsetzt.

»Nun, wie man dieses Wasser dem Krug nicht wieder zurückgeben



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kann, kann man auch jemandem die Ehre nicht wiedergeben, wenn böse Zungen wie deine sie verletzt haben. Bald wirst du die Strafe erhalten, die du als Verleumder verdienst.«

Der Schatten verschwand. Und kaum war der Verleumder nach Hause zurückgekehrt, da starb er.


Das Rätsel

Es war einmal ein König, der hatte eine Tochter, und er ließ bekanntmachen, daß, wer der Prinzessin ein Rätsel aufgäbe, das sie nicht lösen könne, sie zur Frau bekommen sollte, wem aber die Prinzessin das Rätsel löste, der sollte sterben. Und da die Prinzessin sehr hübsch war, kamen aus allen Gegenden viele Fürsten und Grafen, um ihr ein Rätsel aufzugeben und zu sehen, ob sie sie nicht heimführen könnten. Doch allen sagte sie des Rätsels Lösung, und allen brachte sie den Tod.

Nun gab es aber auch einen Hirten, der wohnte mit seiner Mutter nahe beim Schloß. Er geht zu seiner Mutter und sagt zu ihr: »Mutter, mach mir das Vesperbrot fertig, denn ich will der Prinzessin ein Rätsel aufgeben, das sie nicht lösen kann, und will sehen, ob ich sie nicht zur Frau bekomme.«Und die Mutter sagte: »Höre, mein Sohn, red doch nur keinen Unsinn. Wie willst du ein Rätsel wissen, das sie nicht lösen kann, wo sie doch die Rätsel von all den edlen Herren gelöst hat, die bei ihr gewesen sind?« Darauf sagte er: »Mutter, das tut nichts zur Sache. Mach mir das Vesperbrot fertig; ich will indessen die Eselin holen, um in das Schloß zu reiten.«

Nun gut; die Mutter machte sich also daran, ihm das Essen zu bereiten und vergiftete dabei drei Brote, denn lieber sollte er auf dem Wege sterben als vom König erhängt werden. Er ging indes und holte seine Flinte und stieg auf die Eselin, die Panda hieß, und zog los. Und auf einem Berg, wo ein Feuer brannte, sah er eine Häsin und schoß auf sie, aber er traf sie nicht. Dafür traf er eine andere Häsin, auf die er nicht geschossen hatte, und er ging hin und sagte: »Da hab ich ja schon einen Teil der Geschichte. Ich schoß auf den, den ich sah, und tötete den, den ich nicht sah.« Und dann schlachtete er die Häsin und nahm die Jungen heraus und briet sie. Und als sie



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schön gebraten waren, aß er sie auf. Und dann sagte er: »Da hab ich auch schon den weiteren Teil der Geschichte. Ich aß von dem Gebratenen, das nicht geboren noch gewachsen war.«

Und während er dabei war, die Jungen zu essen, hatte sich die Eselin Panda daran gemacht, die drei vergifteten Brote zu fressen, und vergiftete sich daran und starb. Und es kamen drei Krähen, die fraßen von der toten Eselin und starben auch. Als er nun sah, daß die Eselin gestorben war, weil sie die vergifteten Brote gefressen hatte, sagte er: »Gut; nun hab ich auch schon den Schluß der Geschichte, die ich der Prinzessin sagen will. Meine Mutter tötete Panda, Panda tötete drei.«

Er packte dann seine Sachen zusammen und machte sich auf den Weg zum Schloß. Er kommt dort an und bittet um die Erlaubnis, eintreten und mit der Prinzessin sprechen zu dürfen. Man sagt ihm, er solle heraufkommen. Er geht ins Zimmer der Prinzessin und sagt ihr dies Rätsel:

»Ich schoß auf den, den ich sah,
ich tötete den, den ich nicht sah.
Ich aß von dem Gebratenen,
das nicht geboren noch gewachsen war.
Meine Mutter tötete Panda,
Panda tötete drei.
Nun ratet Ihr, was das wohl sei.«


***
Und die Prinzessin dachte nach und grübelte und grübelte, doch konnte sie das Rätsel nicht lösen. Und als der König sah, daß seine Tochter das Rätsel nicht gleich lösen konnte, sagte er: »Ja, dann soll man also diesem Herrn ein Bett zum Schlafen geben, denn die Prinzessin hat zum Lösen drei Tage Zeit.«Und da gaben sie ihm ein Bett, worin er schlafen konnte.

Und in der ersten Nacht schickte die Prinzessin ihre Kammerjungfer in das Schlafgemach des Hirten, um zu sehen, ob sie es nicht fertigbrächte, die Lösung zu erfahren. Und die Jungfer ging hin und kam an das Bett des Hirten und sagte zu ihm: »Herr, ich bin hergekommen, damit Ihr mir die Lösung sagt.«Und der Hirt schlief die Nacht bei der Jungfer, doch sagte er ihr die Lösung nicht.



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am nächsten Morgen stand die Jungfer auf und ging zur Prinzessin, und die Prinzessin sagte zu ihr: »Nun, hat er dir die Lösung gesagt?« Und sie antwortete: »Nein, Hoheit, die ganze Nacht habe ich mit ihm geschlafen, aber die Lösung wollte er mir nicht sagen.« — »Ja, dann muß heute nacht eine andere Jungfer gehen«, sagte die Prinzessin.

Und so ging in der zweiten Nacht eine andere Kammerjungfer hin und kam ans Bett des Hirten und sagte zu ihm: »Ich bin hergekommen, damit Ihr mir die Lösung sagt.«Und der Hirt sagte zu ihr, sie sollte sich erst einmal zu ihm ins Bett legen, dann wollte er sehen, ob er ihr die Lösung sagen werde oder nicht. Und er schlief die ganze Nacht bei ihr, doch am nächsten Morgen, als sie aufstand, wollte er ihr nichts sagen. Da ging nun die zweite Jungfer sehr betrübt zu der Prinzessin hin und sagte zu ihr: »Hoheit, aus dem kann man nichts herausbringen. Die ganze Nacht habe ich bei ihm geschlafen, doch nichts hat er mir verraten.«

Und da nur noch eine Nacht übrig war, nach der die Prinzessin entweder die Lösung wissen oder den Hirten heiraten mußte, ging sie selbst an das Bett des Hirten, um zu sehen, ob er ihr die Lösung nicht verriete.

Sie geht also zu ihm hin und sagt: »Ja, da bin ich nun selber, um die Lösung von Euch zu hören.« Und er sagt zu ihr: »Wenn Ihr heute nacht bei mir schlaft, so sage ich sie Euch morgen früh.«

Nun gut, sie sagte darauf, das sei in Ordnung, und legte sich zu ihm ins Bett. Und als sie neben ihm lag, sagte er: »Ja, aber wenn Ihr mit mir schlafen wollt, müßt Ihr Euer Hemd ausziehen.« Sie zog nun das Hemd aus, und der Hirt zog es an. Dann sagte er: »Und Ihr müßt mir auch noch einen Ring mit Eurem Namen geben.«Und sie gab ihm den Ring und schlief die ganze Nacht bei dem Hirten. Und am nächsten Morgen, als sie aufstand, sagte sie zu ihm: »Gut, Ihr habt also nun alles bekommen, was Ihr haben wolltet; jetzt sagt mir die Lösung.« Und der Hirt sagte sie ihr.

Was tut sie nun aber darauf? Sie geht hin zu ihrem Vater und sagt zu ihm: »Vater, ich weiß jetzt die Lösung und kann sie dem Hirten sagen.«Da ließ der Vater den Hirten rufen, und die Prinzessin löste das Rätsel, wie er es ihr gesagt hatte.

Darauf sagte der Vater: »Ja, nun gibt es keinen andern Ausweg; Ihr



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müßt jetzt Euer Leben lassen.« Der Hirt sagte nichts. Doch eine Stunde bevor man ihn abführte, sagte er zum König: »Euer Majestät, gestattet Ihr mir ein Wort?« Der König sagte ja, .er solle nur reden. Da sagte er: »Ja, Herr König, seht, in der ersten Nacht, in der ich im Schloß schlief, besuchte mich eine weiße Taube. Nun frage ich Euch, wenn an Euer Bett eine weiße Taube gekommen wäre, was hättet Ihr getan?« Und der König antwortet: »Mit ihr geschlafen.« Da sagt der Hirt: »Seht, Euer Majestät, das hab ich auch getan.«Und darauf sagte er: »Und wenn die weiße Taube, die mich in der ersten Nacht besuchte, auch schön war, so war die noch schöner, die in der zweiten Nacht kam. Und nun frage ich Euch, wenn diese zweite weiße Taube Euch besucht hätte, was hättet Ihr getan?«

Der König antwortet: »Mit ihr geschlafen.« Und der Hirt sagt darauf: »Seht, Euer Majestät, das hab ich auch getan.« Und dann sagte er: »Die dritte Nacht aber besuchte mich Eure Tochter, die noch viel schöner ist als die beiden anderen, und mit ihr hab ich auch geschlafen.« Darauf sagt der König zu ihm: »Du sagst, du hast mit meiner Tochter geschlafen? Wie kannst du das beweisen?« Und der Hirt knöpfte seinen Brustlatz auf und holte das Hemd der Prinzessin hervor und zeigte auch den Ring mit ihrem Namen. Und als der König das sah, fragte er die Prinzessin, ob es wahr sei, daß sie mit dem Hirten geschlafen habe. Und da sie es nicht leugnen konnte, mußte sie ja sagen. Darauf befahl der König, die Hochzeit vorzubereiten, und der Hirt heiratete die Prinzessin.


Die drei Nelken

Es war einmal ein Bauer, der hatte eine Tochter, die er sehr liebte. Und eines Tages, als er auf das Feld hinausging, sah er drei wunderschöne Nelken. Er brach sie ab und brachte sie seiner Tochter. Das junge Mädchen war ganz glücklich über seine Nelken, und einmal, als sie in der Küche stand und sie betrachtete, fiel ihr eine in die Kohlen und brannte auf. Da erschien ein schöner Jüngling, der fragte sie:

»Was hast du? Was machst du?«

Und da sie nicht antwortete, sagte er:



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»Du sprichst nicht mit mir? Nun, bei den Steinen der ganzen Welt kannst du mich finden.« Und er verschwand.

Da nahm sie die zweite Nelke und warf sie in das Feuer. Sogleich erschien wieder ein Jüngling vor ihr, der fragte sie:

»Was hast du? Was machst du?«

Doch sie antwortete wieder nicht, und da sagte er zu ihr: »Du sprichst nicht mit mir? Nun, bei den Steinen der ganzen Welt kannst du mich finden.« Und er verschwand.

Maria - denn so hieß das junge Mädchen - nahm nun die letzte Nelke, die ihr noch übrigblieb, und warf sie ins Feuer; da erschien wieder ein Jüngling vor ihr, der war noch viel schöner als die beiden anderen, und er fragte sie:

»Was hast du? Was suchst du?«

Doch da sie nicht antwortete, sagte er:

»Du redest nicht mit mir? Nun, bei den Steinen der ganzen Welt kannst du mich finden.« Und er ging fort.

Ja, da wurde Maria ganz traurig, denn sie hatte sich in den letzten Jüngling, der erschienen war, verliebt, und sie beschloß nach einigen Tagen, aufzubrechen und die Steine der ganzen Welt zu suchen. Sie zog aus, ganz allein, und ging weiter und immer weiter, bis sie an einen Platz kam, wo drei hohe Steine standen, und da das arme Mädchen sehr müde war, setzte es sich auf die Erde und begann zu weinen. Und als es so weinte, sieht es, daß sich einer der drei Steine öffnet, aus dem kam der Jüngling hervor, in den es sich verliebt hatte, und er sagte zu ihm:

»Maria! Was hast du? Warum weinst du?«

Und als er sah, daß sie immer weiter weinte und nicht antwortete, sagte er zu ihr:

»Mach dir keine Sorgen! Steig da oben hinauf, von dort kannst du ein Bauernhaus sehen; geh hinein und frage die Herrin, ob sie dich nicht als Magd anstellen will.«

Das Mädchen brach auf, und als es auf den Hügel kam, von dem er gesprochen hatte, sah es ein sehr schönes Bauernhaus; es trat ein, und sobald es die Herrin fand, fragte es, ob sie es nicht als Magd anstellen wollte. Als die Herrin sah, wie jung und wie schön Maria war, hatte sie Mitleid mit ihr und sagte, es sei gut, sie könne als ihr Mädchen dort bleiben. Und da sie sehr fleißig und guten Herzens war,



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wurde sie nach wenigen Tagen der Liebling der Herrin, die sie sehr gern hatte, so gern, daß die anderen Mägde, die sehr neidisch waren, ihr übel wollten, denn sie konnten sie nicht ausstehen, und so beschlossen sie, die Neigung der Herrin von ihr abzuwenden. Sie begannen zu überlegen, wie sie es nur anstellen könnten, und eines Tages gingen sie zu ihrer Herrin und sagten:

»Wißt Ihr, was Maria gesagt hat?«

»Was hat sie denn gesagt?«

»Daß sie nicht versteht, warum Ihr so viele Mägde habt, denn sie meint, daß sie die ganze schmutzige Wäsche an einem Tag allein waschen kann.«

»Komm her, Maria«, sprach die Herrin, »hast du gesagt, du könntest in einem Tag die ganze schmutzige Wäsche allein waschen?«

»Nein, Herrin«, sprach Maria, »das habe ich nicht gesagt.«

»Die Mägde aber sagen, du hast es gesagt, und nun bleibt dir nichts anderes übrig: du mußt es tun oder das Haus verlassen.«

Und dann befahl sie einigen Dienern, die ganze Wäsche an den Fluß zu tragen, und die arme Maria, die nicht wußte, wie sie das bewältigen sollte, ging zu den Steinen hin und begann zu weinen. Sogleich öffnete sich einer von ihnen, und es erschien derselbe Jüngling und fragte sie:

»Was hast du? Warum weinst du?«

Doch sie antwortete nicht und weinte weiter; da fuhr er fort: »Mach dir um die Wäsche, die meine Mutter dir zu waschen gegeben hat, keine Sorgen. Geh an den Fluß und sage zu den Vögeln: Ihr Vögelein der ganzen Welt, kommt und helft mir waschen.«

Da ging Maria an den Fluß, und kaum hatte sie die Worte gesprochen, die der Jüngling ihr gesagt hatte, sah sie von allen Seiten große Schwärme Vögel aller Art kommen, die machten sich daran, die Wäsche zu waschen. In einem Nu war alles fertig, und als die Diener am Nachmittag kamen, war alles schon getrocknet. Die Herrin war so froh darüber, daß sie ihr neues Mädchen von Tag zu Tag lieber hatte; das aber verstärkte die Wut der anderen Mägde, die immer neue Sachen erfanden, um die Herrin mit Maria zu entzweien.

Nun müßt ihr wissen, daß die Herrin kranke Augen hatte, denn sie hatte drei Söhne gehabt, die eines Tages auf der Jagd verzaubert wurden und nicht wiederkamen, so daß die Mutter nicht wußte, wo



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sie waren. Die arme Frau trauerte so sehr darüber, daß sie vom vielen Weinen schlechte Augen bekommen hatte. Die Mägde nun, die immer wieder einen Vorwand suchten, um die Zuneigung der Herrin von Maria abzuwenden, gingen zu ihr hin und sagten: »Wißt Ihr, was Maria gesagt hat?«

»Was hat sie denn gesagt?«

»Daß sie weiß, wo sich das Wasser befindet, das die Augen heut.« »Ja?«sprach die Herrin. »Komm her, Maria! Du weißt also, wo sich das Wasser befindet, das meine Augen wieder gesund machen kann, und hast mir nichts davon gesagt?«

»Nein, Herrin«, sprach Maria, »ich habe nichts gesagt, was ich nicht weiß.«

»Nun, aber wenn sie es doch sagen«, erwiderte ihre Herrin, »dann müssen sie es doch von dir gehört haben, denn sie können es ja nicht erfinden. Entweder bringst du mir das Wasser, oder du kehrst nicht mehr in dies Haus zurück.«

Die arme Maria ging fort, und da sie nicht wußte, wo das Wasser war, ging sie zu den Steinen und setzte sich dort weinend hin. Doch der Jüngling, der das Klagen hörte, erschien wieder und sagte zu ihr:

»Was hast du? Warum weinst du?«

Sie antwortete nicht, und er fuhr fort:

»Mach dir keine Sorgen darüber, daß meine Mutter von dir das Wasser verlangt, das ihre Augen heut; nimm dieses Glas, geh an das Ufer des Flusses und sage: Ihr Vögelein der ganzen Welt, kommt und weint mit mir. Wenn alle erschienen sind, so wird das letzte eine kleine Feder fallen lassen: Die tauchst du in das Glas und bestreichst dann die Augen deiner Herrin damit, und du sollst sehen, wie sie besser werden.«

Das tat sie auch; sie ging an den Fluß und sagte: »Ihr Vögelein der ganzen Welt, kommt und weint mit mir.«Wie das vorige Mal kamen Scharen von Vögeln von allen Seiten, und alle ließen in das Glas einige Tröpfchen fallen, bis es voll war. Und als der letzte mit den Flügeln schlug, ließ er eine Feder fallen. Maria nahm das Glas und die Feder und ging nach Hause. Sobald sie angekommen war, tauchte sie die Feder in das Glas und strich damit ihrer Herrin über die Augen, die schon nach einigen Tagen besser wurden. Die Herrin



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war so entzückt über ihr Mädchen, daß sie nicht wußte, was sie ihr Gutes tun sollte. Doch die andern Mägde waren wie vom Teufel besessen und wußten nicht, was sie anstellen sollten, um Maria aus dem Haus zu stoßen. Eines Tages gingen sie zu ihrer Herrin und sagten zu ihr:

»Wißt Ihr, was Maria gesagt hat?«

»Was hat sie denn gesagt?«

»Daß sie imstande ist, Eure Söhne zu erlösen.«

»Das kann sie unmöglich machen.«

»Ja, Herrin, sie hat es doch gesagt.«

Die Herrin rief Maria zu sich und fragte sie, ob sie das gesagt habe.

»Nein, Herrin«, sprach Maria, »ich habe es nicht gesagt.«

»Die Mägde sagen aber, du hast es doch gesagt, und du mußt es jetzt vollbringen, wie du die beiden andern Sachen vollbracht hast.«

Die arme Maria ging hinaus zu den Steinen und begann zu weinen.

Der Jüngling erschien und sagte:

»Was hast du, Maria? Warum weinst du?«

Sie weinte weiter, ohne zu antworten, und er fuhr fort: »Ich weiß schon, was du hast: Meine Mutter hat dir befohlen, uns zu erlösen. Geh zu ihr und sage ihr, alle Mädchen der Umgegend sollen in Prozession mit einer brennenden Kerze kommen und dreimal um die Steine gehen; doch müssen sie achtgeben, daß ihnen keine Kerze auslischt.

Da ging Maria zu ihrer Herrin hin und sagte alles. Und diese befahl, alle jungen Mädchen zu versammeln, und sie gab jeder eine brennende Kerze, und Maria gab sie auch eine. Sie gingen in Prozession zu den Steinen und schritten dreimal um sie herum. Doch beim letztenmal kam ein Windstoß und löschte Marias Kerze aus. Sie dachte an den Auftrag, den ihr der Jüngling gegeben hatte, und stieß einen Schrei aus und sagte:

»Weh! Sie ist mir ausgegangen!«

Da öffneten sich die Steine, und die drei Brüder kamen heraus, und der jüngste sagte zu Maria:

»Gott sei Dank, daß du gesprochen hast.«

Dann verschwanden die Steine, und nun erzählten die Jünglinge, daß ein Zauberer sie verzaubert habe, als sie an diesem Ort vorbeigegangen seien, und sie in Nelken verwandelt habe und daß sie nur



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erlöst werden könnten, wenn diejenige, die die drei Nelken verbrannte, bei den Steinen reden würde.

Da waren nun Mutter und Söhne überglücklich, und der Jüngste fragte Maria, ob sie ihn heiraten wollte, und da sie ihn liebte, sagte sie ja. Sie heirateten, und alle waren froh und zufrieden. Und die Mägde, deren Herrin jetzt Maria war, legten ihr nichts mehr in den Weg und baten Maria um Verzeihung. Und sie verzieh ihnen allen.


Frau Fortuna und Herr Geld

Nun, ihr wißt, daß Frau Fortuna und Herr Geld ineinander so verliebt waren und so unzertrennlich lebten, daß man nie die eine ohne den andern sah. Natürlich fingen die Leute an, dies Verhältnis zu tadeln, und beide beschlossen deshalb, sich ehrlich zu heiraten.

Herr Geld war ein kleiner dicker Mann mit einem runden Kopfe von peruanischem Golde, einem runden Bauch von mexikanischem Silber und runden Beinen von segovianischem Kupfer, mit Papierschuhen aus der großen Fabrik von Madrid. Frau Fortuna dagegen war eine kapriziöse, hirniose, unbeständige und unverschämte, eigensinnige Frau, dabei blind wie ein Maulwurf.

Kaum hatte das neue Ehepaar die Flitterwochen verlebt, als es auch mit dem Hausfrieden vorbei war. Die Frau wollte befehlen, und der stolze und aufgeblasene Herr Geld wollte sich nicht befehlen lassen. —Meine Herren, mein Vater (Gott habe ihn selig) sagte, wenn sich der Ozean verheiraten würde, würde er schon fein demütig werden: Aber Herr Geld war hoffärtiger als der Ozean und verlor seinen Hochmut nicht.

Weil nun beide die Oberhand haben wollten und keiner dem andern nachgeben mochte, so kamen sie endlich überein, daß eine Probe über die streitige Herrschaft entscheiden sollte. »Siehe«, sagte die Frau zu ihrem Manne, »siehst du dort am Fuße des Olivenbaumes jenen armen Mann, der so elend und betrübt dasitzt? Wir wollen sehen, wer ihm eine bessere Lage verschafft, du oder ich?«

Herr Geld ging darauf ein, und sie machten sich auf den Weg, er rollend, sie mit einem Sprunge.

Der Mann, der immer unglücklich gewesen war und nie den einen



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noch den andern vor seinen Augen gehabt hatte, machte Augen so groß wie Oliven, als er die vornehme Herrschaft vor sich sah. »Gott grüß Euch«, sagte Herr Geld.

»Euch auch«, entgegnete der arme Mann.

»Kennt Ihr mich nicht?«

»Ich kenne Euer Gnaden nur, um ihr zu dienen.«

»Nie hast du mein Gesicht gesehen?«

»In meinem ganzen Leben nicht.«

»Wieso? Besitzt du denn gar nichts?«

»O ja, Herr, sechs Kinder, so nackt wie Riegel, mit Kehlen so weit wie alte Strümpfe, aber was Einnahme betrifft, so habe ich nur ein >Nimm und iß<, wenn ich arbeite.«

»Und warum arbeitest du nicht?«

»Nun, weil ich keine Arbeit finde, das Glück ist mir so zuwider, daß sich alles zu meinem Schaden wendet. Seitdem ich mich verheiratet habe, scheint mein Weg gefroren zu sein, alles tot und trocken.«

»Ich will dir zu Hilfe kommen«, sagte Herr Geld, indem er pompös einen Duro aus seiner Tasche zog und ihm den gab.

Dem armen Mann schien das wie ein Traum, und er lief schneller als der Wind geradeswegs zu einem Bäckerladen, um Brot zu kaufen. Als er aber das Geldstück aus seiner Tasche ziehen wollte -fand er nichts! Nichts als ein Loch, durch welches sich der Duro, ohne Abschied zu nehmen, davongemacht hatte.

Der arme Mann war ganz außer sich und fing an zu suchen; fand aber nichts. »Das Lamm, das bestimmt ist, im Rachen des Wolfes zu sterben, kann kein Hirt davor behüten.« Nach dem Duro verlor er die Zeit, nach der Zeit die Geduld, und er fing an, sein Schicksal zu verwünschen.

Frau Fortuna wollte sich indes darüber fast totlachen, und dem Herrn Geld, dessen Gesicht vor Ärger noch gelber ward, als es schon war, blieb nichts übrig, als die Hand noch einmal in die Tasche zu stecken und dem armen Mann eine Unze zu geben, worüber sich dieser so freute, daß ihm die Freude vom Herzen zu den Augen herausstrahlte.

Er ging nun nach einem Kaufladen, um Zeug für seine Frau und Kinder zu kaufen. Als er aber mit seiner Unze bezahlen wollte, sagte der Kaufmann, die Unze sei falsch, er sei wohl selbst gar ein Falschmünzer,



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und man werde ihn beim Gerichte angeben. Der arme Mann wurde darüber so feuerrot vor Scham und Verlegenheit, daß man an seinem Gesichte hätte Bohnen rösten können. Er lief fort und erzählte Herrn Geld, was ihm begegnet war, und dabei liefen ihm immer die hellen Tränen herunter.

Frau Fortuna lachte immer mehr und lauter, und Herr Geld wurde immer ärgerlicher. »Ihr habt wahrlich rechtes Unglück«, sagte er zu dem armen Manne, indem er ihm zweitausend Realen gab, »aber ich werde Euch vorwärts bringen oder meine Macht für verloren geben.«

Der arme Mann entfernte sich und war so außer sich vor Freude, daß er ein paar Räuber, die ihm nachstellten, erst bemerkte, als er sie vor der Nase hatte. Sie zogen ihn aus, nahmen ihm alles weg, was er hatte, und ließen ihn, wie ihn einst seine Mutter zur Welt gebracht.

Jetzt machte Frau Fortuna ihrem Manne eine lange Nase, und dieser konnte vor Zorn und Unwillen keinen Laut herausbringen. »Nun ist die Reihe an mir«, sagte sie, »und wir werden sehen, wer mehr kann, der Weiberrock oder die Hose.«

Mit diesen Worten näherte sie sich dem armen Mann, der sich auf die Erde geworfen hatte und sich die Haare raufte. Sie pustete ihn bloß an, und in demselben Augenblick sah er neben seiner Hand den verlorenen Duro. >Etwas ist immer etwas<, sagte er zu sich selbst, >kann ich doch meinen Kindern Brot kaufen.<

Als er an dem bewußten Zeugladen vorbeikam, rief ihn der Kaufmann und sagte, er möchte ihm doch verzeihen; er habe gemeint, die Unze sei falsch; als er sie aber in der Münze habe prüfen lassen, habe man ihm gesagt, daß das Gold ganz echt und das Gewicht ganz vollkommen sei; er gebe sie ihm hiermit wieder und schenke ihm das gekaufte Zeug noch obendrein. Der arme Mann war damit zufrieden und zog mit der Unze und dem Zeuge weiter. Als er über den Markt ging, begegnete er einer Abteilung Gendarmen, welche die Räuber eingefangen hatten. Der Richter, der ein Richter war, wie es wenige gibt, befahl, daß man dem armen Manne sein Geld zurückgebe ohne Kosten noch anderen Abzug. Der arme Mann wollte darauf dies Geld in einer Mine anlegen, und kaum hatte er drei Ellen tief gegraben, als er eine starke Goldader und eine Silberader und eine Eisenader fand. Er wurde nun bald Don genannt, darauf Ew.



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Gnaden und zuletzt Exzellenz. — Seitdem hat Frau Fortuna ihren Mann unter dem Pantoffel und ist ausgelassener, unbeugsamer und kapriziöser als je und fährt fort, ihre Gunst wie der Blinde seine Prügel auszuteilen.


Vom halben Hähnchen

Es war einmal eine schöne Henne, die lebte ganz vergnügt in einem Hofe, umgeben von ihren zahlreichen Jungen, unter welchen jedoch ein Hähnchen durch seine Verstümmelung und Mißgestalt auffiel. Und gerade dieses war der Mutter Liebling. Es war eigentlich nur die Hälfte eines Hahnes, denn es hatte nur ein Auge, einen Flügel und einen Fuß; dabei war es aber viel stolzer und aufgeblasener als sein Vater, der doch auf zwanzig Meilen in der Runde der schönste, tapferste und galanteste Hahn war. Ja, in seinem Dünkel sah es sich für den Phönix seines Geschlechtes an und hielt es für Neid, wenn die andern jungen Hähne sich über ihn lustig machten, und für Rache verschmähter Liebe, wenn die Hühnchen es auslachten.

Eines Tages sagte dieses Hähnchen zur Mutter: »Hört mal, Frau Mutter, ich langweile mich hier auf dem Lande. Ich habe den Vorsatz gefaßt, in die Residenz zu gehen: Ich will den König und die Königin sehen.«

Die arme Mutter fing an zu zittern, als sie dies hörte. »Söhnchen«, rief sie, »wer hat dir solchen Unsinn in den Kopf gesetzt? Dein Vater hat in seinem ganzen Leben nicht dieses Gehöft verlassen und ist doch die Zierde seines Geschlechtes geblieben. Wo wirst du einen Hof wie diesen finden? Wo einen ansehnlicheren Düngerhaufen? Wo eine gesündere und reichlichere Nahrung, einen besser geschützten Stall, eine Familie, die dich mehr liebt?«

»Nego«, erwiderte das halbe Hähnchen auf Latein, denn es tat sich was darauf zugute, ein paar Worte Latein krähen und kratzen zu können, »meine Brüder und Vettern sind mir zu dumm und zu unwissend!«

»Aber Söhnchen«, entgegnete die Mutter, »hast du dich nie im Spiegel erblickt? Hast du nicht da bemerkt, daß ein Auge und ein Fuß dir fehlt?«

»Und das wollt Ihr mir vorhalten«, rief das Hähnchen, »Ihr, die Ihr



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vor Scham vergehen solltet, in einem solchen Zustande mich in die Welt gesetzt zu haben? Ja, Ihr allein seid schuld daran! Aus was für einem Ei bin ich gekrochen? War es etwa ein von einem alten Hahne gelegtes?«

»Nein, nein, mein Söhnchen«, rief die Mutter, »aus solchen Eiern kriechen ja nur Basilisken heraus. Du aber bist aus dem letzten Ei gekrochen, das ich selbst gelegt habe, und eben weil es mein letztes und ich schon erschöpft war, bist du so unvollkommen und schwächlich zur Welt gekommen. Du siehst wohl, daß dies nicht meine Schuld war.«

»Vielleicht«, versetzte das halbe Hähnchen, und dabei schwoll ihm der Kamm rot wie ein Granatapfel, »vielleicht kann ich einen Chirurgen finden, dem es gelingt, die fehlenden Glieder mir anzusetzen. Kurz, da hilft keine Widerrede; ich ziehe fort.«

Als die Mutter sah, daß sie nicht vermochte, es von seinem Vorsatze abzubringen, sprach sie zu ihm: »So höre wenigstens, mein Söhnchen, auf die klugen Ratschläge einer guten Mutter. Vermeide die Kirchen, wo ein Bildnis des heiligen Petrus aufgestellt ist; denn dieser Heilige ist den Hähnchen nicht sehr geneigt und noch viel weniger ihrem Rufe. Fliehe auch gewisse Menschen, die man Köche nennt, die sind unsere geschworenen Feinde, sie drehen uns den Hals um, bevor man noch Amen ausgesprochen hat. Und nun, mein Söhnchen, möge dich Gott geleiten und der heilige Raphael, der Schutzpatron der Reisenden. Gehe und bitte deinen Vater um seinen Segen.«

Das halbe Hähnchen ging zu seinem Vater, küßte ihm den Fuß und erbat sich seinen Segen. Der ehrwürdige Hahn gab ihm diesen mit mehr Würde als Zärtlichkeit, denn er hatte keine große Zuneigung zu diesem Söhnchen wegen dessen Hochmut und Widerspenstigkeit. Die Mutter aber ward so weichmütig, daß sie sich die Tränen mit einem dürren Laube abtrocknen mußte. Das halbe Hähnchen setzte seinen einen Fuß in Reiseschritt, schlug mit seinem einzigen Flügel und krähte dreimal zum Zeichen des Abschiedes.

Als es an das Ufer eines fast ausgetrockneten Baches kam -denn es war im Hochsommer -, traf es sich, daß gerade der schwache Wasserfäden von Zweigen noch aufgehalten wurde, und als der Bach unseren Wanderer sah, rief er ihm zu: »Du siehst, Freund, wie schwach



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ich nun bin, ich kann kaum noch fortkommen und habe nicht mehr Kraft genug, um diese lästigen Zweiglein wegzudrängen, die meinen Lauf hindern. Noch weniger vermag ich es, sie durch einen Umweg zu vermeiden; denn dies würde mich allzusehr erschöpfen. Du aber kannst mir leicht aus dieser Not helfen, wenn du sie mit deinem Schnabel zurückbiegst. Zum Lohne kannst du nicht nur deinen Durst in meinem Wasser löschen, sondern auch sonst auf meine Dienste zählen, wenn des Himmels Wasser meine Kräfte wiederhergestellt haben wird.«

Das Hähnchen erwiderte darauf: »Ich könnte dir wohl helfen, aber ich will nicht. Sehe ich etwa danach aus, der Diener armseliger schmutziger Bächlein zu sein?«

»Du wirst an mich denken, eher als du glaubst!«murmelte der Bach mit schwacher Stimme.

»Nun, das fehlte noch, daß du mir drohtest!«rief erbost das Hähnchen, »du rechnest wohl schon auf die nächste Sintflut?«

Als es etwas weitergegangen war, traf es mit dem Winde zusammen; der lag ausgestreckt und fast atemlos am Boden.

»Liebes Hähnchen«, sprach er, »in dieser Welt bedürfen wir alle bald einer des anderen. Komm her und schau mich an. Siehst du, wie mich die Sommerhitze zugerichtet hat, mich, den sonst so Starken, Mächtigen, mich, der ich die Wellen aufwühle, die Felder verwüste, dessen Anfalle nichts widersteht? Diese Hundstage haben mich so herabgebracht; berauscht vom Duft der Blumen, mit denen ich tändelte, schlief ich ein, und nun findest du mich hier bis zur Ohnmacht ermattet. Wenn du mich mit deinem Schnabel nur ein paar Zoll über den Boden erheben und mit deinem Flügel mich anfächern wolltest, so würde es hinreichen, mich wieder in Flug zu bringen und die Höhle erreichen zulassen, wo meine Mutter und meine Schwestern, die Windsbräute, beschäftigt sind, einige alte Wolken auszubessern, die ich zerrissen habe. Dort werden sie mir schon ein Süppchen kochen, daß ich wieder zu Kräften komme.«

»Caballero«, entgegnete das böswillige Hähnchen, »oft genug haben sich Euer Gnaden mit mir einen Spaß gemacht, mich in den Rücken geblasen und mir den Schweif wie einen Fächer auseinandergetrieben, zum Spott aller, die mich sahen. Nein, Freund, jede Sau hat ihren Martinstag: auf Wiedersehen, Herr Possenreißer!«



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So sprach das Hähnchen, krähte dreimal mit heller Stimme, und, sich gewaltig aufblähend, setzte es seinen Weg fort.

Da kam es zu einem geschnittenen Getreidefeld; die Schnitter hatten die Stoppeln ausgebrannt, und es stieg noch eine kleine Rauchsäule davon auf. Als Halb-Hähnchen näher hinzutrat, sah es noch ein kleines Fünkchen, das nahe daran war, unter der Asche zu verlöschen.

»Geliebtes Halb-Hähnchen«, rief der Funke, als er es ersah, »zu guter Stunde bist du gekommen, um mir das Leben zu retten. Aus Mangel an Nahrung bin ich im Verlöschen. Ich weiß auch nicht, wo mein Vetter der Wind sich herumtreibt, der mir sonst in solchen Nöten immer beistand. Bring mir einige Strohhälmchen, um mich wieder zu beleben.«

»Was geht mich dein Notgeschrei an!« entgegnete das Hähnchen, »zerplatze, wenn es dich freut; denn es stünde schlimm mit mir, sollte ich je deiner Hilfe bedürfen!«

»Wer weiß, ob du nicht eines Tages meine Hilfe brauchst?« versetzte der Funke. »Keiner kann sagen: Von diesem Wasser trinke ich nicht!«

»Oho!«rief das böse Tier. »Wie, du willst noch prahlen? Da, nimm das!«und damit überdeckte es den Funken mit Asche und begann seiner Gewohnheit nach zu krähen, als wenn es eine Heldentat verübt hätte.

Endlich gelangte Halb-Hähnchen in der Residenz an; es kam zu einer Kirche, die man ihm als die Petruskirche nannte.

Da pflanzte es sich der Pforte gegenüber auf und krähte, bis es heiser wurde, und zwar gerade dem Heiligen zum Possen und aus Lust, der Mutter ungehorsam zu sein.

Als es sich dem Palaste nahte, wo es den König und die Königin sehen wollte, riefen ihm die Schildwachen zu: »Zurück!« Das verscheuchte es, und es schlich sich durch eine Seitentür in ein großes Gemach, wo es viele Leute ein- und ausgehen sah. Auf seine Frage, was das für Leute seien, sagte man ihm, das seien die Köche des Königs. Aber statt diese zu fliehen, wie ihm seine Mutter empfohlen, ging es mit emporgerichtetem Kamm und Schweif auf sie los. Da erfaßte es einer der Küchenjungen, und im Nu hatte er ihm den Kragen umgedreht. Dann rief er nach Wasser, um die Federn abzubrühen.



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»Ach, Wasser, mein liebes kristallreines Wasser«, schrie nun Halb-Hähnchen, »hilf mir, verbrühe mich nicht, erbarme dich meiner!«

»Hast du dich meiner erbarmt, als ich dich um Hilfe bat?« entgegnete das Wasser, vor Zorn glühend, und brühte es ab von oben bis unten, so daß die Küchenjungen keine Mühe mehr hatten, ihm seine Federn abzustreifen.

Dann steckte der Koch Halb-Hähnchen an den Bratspieß.

»Feuer, goldenes Feuer«, schrie das Unglückskind, »du, das du so mächtig und so leuchtend bist, habe Mitleid mit meiner traurigen Lage, zähme deine Glut, dämpfe deine Flamme, verbrenne mich nicht.«

»Unverschämter Schlingel«, versetzte das Feuer, »wie, du hast noch den Mut, dich an mich zu wenden, nachdem du mich zu ersticken gesucht unter dem Vorwande, daß du meine Hilfe nie benötigen würdest? Komm nur her, und du wirst sehen, was gut ist.« Und in der Tat begnügte sich das Feuer nicht damit, das Hähnchen goldgelb zu braten, sondern verbrannte es, daß es schwarz wie Kohle wurde. Wie es der Koch in diesem Zustande sah, ergriff er es bei seinem einen Fuße und warf es zum Fenster hinaus. Da bemächtigte sich seiner der Wind.

»Wind«, schrie das Hähnchen, »mein geliebter, verehrter Wind, du, der du über alles Macht hast und niemandem gehorchest, Gewaltigster unter den Gewaltigen, habe Mitleid mit mir, laß mich zur Ruhe kommen auf diesem Düngerhaufen.«

»Dich zur Ruhe kommen lassen!« schnaubte der Wind, indem er es im Wirbel herumdrehte und in den Lüften hin und her warf wie einen Kreisel, »nimmermehr!«

Endlich setzte der Wind Halb-Hähnchen auf der Spitze eines Giokkenturmes ab. St. Peter erfaßte es und nagelte es dort fest. Seitdem nimmt es diesen Posten ein, schwarz, fleischlos und entfiedert, vom Regen gepeitscht und vom Winde gedreht, dem es immer den Schweif nachtragen muß. Nun heißt es nicht mehr Halb-Hähnchen, sondern Wetterfähnchen.



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Die Ritter vom Fisch

Es war einmal ein Land, in dem so viele Eisenbahnen, Luftballons, Kanäle und Dampfschiffe gebaut wurden, daß die Leute es ganz verlernten zu Fuß zu gehen und darum auch alle Schuhmacher und Schuhflicker zugrunde gingen. Mit dem Gleichgewicht der bürgerlichen Gesellschaft ist es wie mit dem der Erde: wenn das Meer auf der einen Seite mit seinem Rachen ein Stück Land verschlingt, dann wirft es auf der anderen wieder ein Stück aus; was es aber ausspeit, ist jedesmal von ihm so ausgesogen und ausgedörrt wie die Wüste. Was das Meer tut, hatte im besagten Lande die Zivilisation getan, als sie sich aller Kommunikationsmittel bemächtigt hatte; dürr und elend saßen die armen Schuster da und blieben ohne Erbarmen ihrem Schicksale überlassen.

Eins dieser Opfer warf in seinem Unmut mit seinem Leisten nach dem ersten Eisenbahnzuge, der ihm entgegenkam, mit seiner Ahle nach dem aufgeblähtesten Dampfschiffe, mit seiner Schürze nach dem aufgeblasensten Ballon, kaufte sich ein kleines Boot und Netz und wollte Fischer werden. So oft nun ein Dampfer in die Nähe seines Bootes kam, rief er mit lauter Stimme hinüber:

»In seinem kleinen Kahne trutzt ein Schuhflicker den Dampfschiffen wie der Fels den Meereswogen. Bilde dir nur nicht ein, daß ich mich dir je unterwerfe!

Nein, immer soll mein Bötchen
Mein einz'ger Lokomotor sein.«


***
So sang unser Fischer; was aber die Fische angeht, so fing er damit nicht einen einzigen. Seine Baßstimme und das Geräusch der Dampfschiffe trieben sie davon. Es gab für ihn auf dem Meere genausowenig Fische wie auf dem Lande zerrissene Schuhe. So verzweifelte er zum Schluß und beschloß, sich ins Meer zu stürzen, und meinte: »Wenn ich schon keine Fische, so sollen die Fische mich fressen, se va lo uno por lo otro, so oder anders, gleichviel.«

Aber das Meer sah gerade so grimmig aus, so schwarzgrau, so wild und unbändig, daß unser Schuster eine bessere Gelegenheit für seinen Plan abwarten wollte. Indessen warf er auch sein Netz wieder



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aus, und auf einmal fühlte er es ganz schwer. >Aha<, dachte er, >es war doch gescheit, daß ich meinen Kopfsprung etwas aufgeschoben habe.<Er zog das Netz und fand einen Petersfisch darin. Die Petersfische sind aber ganz außerordentlich feine Fische mit zwei runden schwarzen Flecken, von denen die Legende sagt, sie seien durch die Finger des heiligen Petrus eingedrückt. Mag sich in diesem Glauben, der freilich kein Dogma ist, auch weder ein frommes Gefühl noch ein schöner poetischer Gedanke aussprechen wie in anderen Inspirationen des Volksglaubens, so beweist er doch, daß das spanische Volk, das von den englischen Klugrednern stets als sehr unwissend in religiösen Dingen geschildert wird, ganz in den Gedanken und Geschichten des Evangeliums lebt und gerade Herrn John Bull in vielen Dingen belehren könnte.

Sobald nun der Schuster den schönen Fisch in Händen hatte, sprach der Fisch, der offenbar nicht so stumm wie seine Brüder war, zu ihm: »Trage mich nach deinem Hause; schneide mich in acht Stücke; bereite mich mit Salz und Pfeffer, Zimt und Nelken, Krausemünze und Lorbeerblättern. Zwei Stücke gib deiner Frau zu essen, zwei deiner Mutterstute, zwei deiner Hündin und die beiden übrigen pflanze in deinen Garten.« Der Schuhflicker tat buchstäblich alles, was ihm der Fisch sagte, so groß war sein Vertrauen in dessen Worte.

Nach neun Monaten gebar die Schustersfrau zwei Knaben, seine Stute warf zwei Füllen, seine Hündin zwei Hündchen, und im Garten gingen zwei Lanzen auf, die als Blüten zwei Wappenschilde trugen, die einen Silberfisch im blauen Felde hielten. All dies wuchs friedlich und gedeihlich miteinander auf, so daß später aus des Schusters Hause zwei schöne stattliche Ritter auf prächtigen, wunderschön gesattelten Rossen mit zwei auf gerichteten Lanzen und zwei glänzenden Schilden, die von zwei tüchtigen Windhunden begleitet wurden, herausritten.

Die Brüder, einander so ähnlich, daß man sie beide den Doppelritter nannte, wollten, wie es auch recht war, ihre Persönlichkeit nicht verlieren und beschlossen darum, sich zu trennen und einzeln die Welt zu durchziehen. Sie umarmten sich zärtlich und zogen der eine gen Osten, der andere gen Westen.

Nach einigen Reisetagen kam der erste nach Madrid und fand die



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königliche Stadt, wie sie das Salzwasser ihrer Tränen in die reinen und süßen Wellen ihres geliebten Manzanares mischte. Alle Welt weinte, selbst die Maria blanca vom Sonnentor. Unser schöner Ritter fragte nach der Ursache dieser allgemeinen Trostlosigkeit und erfuhr, daß ein fürchterlicher Drache jährlich ein junges Mädchen erhalten, um sich während der übrigen Zeit ruhig zu halten, und daß das Los diesmal auf die Königstochter gefallen wäre, die eine so schöne und herzens gute Prinzessin wie keine andere sei. Der Ritter fragte weiter, wo sich die Prinzessin befinde, und man sagte ihm, sie erwarte eine Viertelmeile vor der Stadt den Drachen, der jedesmal um zwölf Uhr komme, seine Beute mitzunehmen. Der Ritter eilte schnell nach dem bezeichneten Orte und fand die Prinzessin vom Kopf bis zu den Füßen zitternd und völlig in Tränen zerflossen. »Flieht«, rief sie dem sich nahenden Ritter zu, »flieht, Unbesonnener! Der Drache kommt gleich, und dann seid Ihr verloren.«

»Ich werde nicht weichen«, antwortete der Ritter, »sondern komme, um Euch zu retten.«

»Mich retten? Das ist unmöglich.«

»Wir wollen sehen«, entgegnete der tapfere Ritter, »gibt es hier Deutsche?«

»Ja«, antwortete verwundert die Prinzessin.

»Ihr werdet es schon erfahren«, sagte der Ritter und sprengte rasch zur trostlosen Stadt zurück. Nach wenigen Minuten kam er mit einem großen Spiegel zurück, den er in einem deutschen Laden gekauft hatte. Er stellte ihn gegen einen Baum, bedeckte ihn mit dem Schleier der Prinzessin, stellte diese vor den Spiegel und sprach zu ihr, sobald der Drache nahe sei, solle sie schnell den Schleier zurückziehen und sich hinter dem Baum verstecken. Darauf entfernte er sich selber und versteckte sich.

Es dauerte nicht lange, so erschien der Drache und kam langsam auf die Prinzessin zu, sie keck und unverschämt ansehend, so daß ihm nur das Lorgnon fehlte, um anderen kleineren und weniger gefährlichen Drachen zu gleichen. Als er nun endlich ganz nahe war, zog die Prinzessin schnell den Schleier vom Spiegel und versteckte sich hinter dem Baum. Der Drache war völlig verblüfft, als er seine verliebten Augen auf sein gräßliches Ebenbild gerichtet sah.

Er verzerrte sein Gesicht -sein vis-a-vis tat dasselbe; seine Augen



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wurden wie zwei feurige Kohlen -die seines Gegenmannes blieben nicht zurück; im Zorn sträubte er seine Schuppen wie ein Igel in die Höhe - und ganz ebensohoch stiegen die des anderen Drachen; er öffnete seinen fürchterlichen Rachen, der nicht seinesgleichen gehabt haben würde, hätte nicht sein Gegner, ohne sich schrecken zu lassen, den seinen ebenso weit aufgetan. Ungestüm stürzte er nun auf seinen unerschrockenen Gegner los und stieß sich dabei so heftig gegen das Spiegelglas, daß er ganz betäubt wurde. Überdies sah er nun in allen den kleinen Stücken des entzweigestoßenen Spiegels Teile seines Körpers und glaubte nicht anders, als daß er sich selbst in lauter Stücke zerstoßen habe. Der Ritter benutzte diesen Augenblick, fiel mit seiner guten Lanze und seinem treuen Hund über den Drachen her und tötete ihn.

Man kann sich die Freude und den Jubel der Madrilefios, die lustige Leute sind, denken, als sie den Ritter vom Fisch ankommen sahen. Er hatte die Prinzessin so froh wie ein Osterfest neben sich auf dem Pferde und schleifte den toten Drachen, den er an den Schweif des Pferdes gebunden, wie eine Schleppe hinter sich her.

Man wird sich auch wohl denken, daß man die hohe Tat des edlen Ritters mit nichts anderem belohnen konnte als mit der weißen Hand der Prinzessin und daß es eine Hochzeit mit Gastmählern, Stiergefechten und Ritterspielen gab und daß ich auch dabei war, ohne übrigens von den Herrlichkeiten etwas zu bekommen.

Einige Tage nach der Hochzeit sagte nun der Ritter zu seiner Frau, er möchte auch gern einmal den ganzen Palast sehen, der so groß war, daß er eine Meile Landes bedeckte. Die Prinzessin willigte ein, und sie machten sich auf den Weg. Endlich nach drei Tagen war die Wanderung durch alle Gemächer beendet, und am vierten stiegen sie auf die Terrasse. Wie erstaunt war der Ritter über die herrliche Aussicht! Da sah man ganz Spanien und Mohrenland und selbst den Kaiser von Marokko, der den Tod seines Freundes, des bösen Drachen, bitterlich beweinte.

»Was für ein Schloß ist das dort in der Ferne, das so einsam und düster aussieht?«fragte der Ritter.

»Es heißt«, erwiderte die Prinzessin, »Schloß Erschrecklich und ist verzaubert, ohne daß jemand den Zauber lösen kann. Wer hineingeht, kommt nicht wieder heraus.«



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Der Ritter schwieg. Da er aber mutig war und Abenteuer liebte, so stieg er des andern Morgens, ohne jemandem etwas davon zu sagen, auf sein Pferd, nahm Degen, Lanze und Hund mit und machte sich auf den Weg nach jenem Schlosse.

Das Schloß war so entsetzlich, daß sich ein jeder fürchtete, der es nur sah, schwarz wie eine Gewitternacht, schweigsam wie eine Leiche, unwirsch wie ein Bösewicht. Aber der Ritter wußte von Furcht nichts weiter als den Namen, kehrte den Rücken nur dem überwundenen Feinde und klopfte also laut an der Tür an. Alle schlafenden Echos des Schlosses wachten auf und ließen näher und ferner das Klopfen im Chore nachklingen; doch kam keine andere Antwort. Da klopfte er noch einmal stärker mit der Lanze, und es öffnete sich nun ein kleines Gitterloch im Tor, hinter dem die Spitze der langen Nase eines alten häßlichen Weibes hervorguckte.

»Was wollt Ihr, dreister Ruhestörer?«fragte die Alte mürrisch. »Hineingelassen werden«, antwortete der Ritter und hob dabei sein Visier in die Höhe.

Als die Alte das schöne Gesicht sah, ward sie ganz freundlich und machte ihm gleich die Tür auf.

»Nun, gute Alte . . .«, begann der Ritter.

»Ich heiße Berberisca«, fiel ihm die Alte empfindlich ins Wort, »und bin Erb- und Gerichtsfrau vom Schloß Erschrecklich.« »Schrecklich, schrecklich«, riefen die Echos.

»Wollt ihr wohl schweigen, ihr Schreihälse!« schalt die Alte, und zum Ritter gewandt fuhr sie fort: »Wollt Ihr mich heiraten, so sollt Ihr Herr sein und ein Leben haben wie der Pascha.« »Ah«, lachten in einem fort die Echos.

»Euch soll ich heiraten, Euch Hundertjährige?« antwortete der Ritter. »Ihr seid recht einfältig fürwahr.«

»Wahr, wahr, wahr«, riefen die Echos.

»Was ich will«, fuhr der Ritter fort, »ist nur das Schloß durchzusuchen und fortgehen nach dem Examen.«

»Amen, amen, amen. . .«, klang es nach.

Die Alte sah aufgebracht den Ritter von der Seite an und sagte, er solle ihr folgen, sie werde ihm alles zeigen. So geschah es, und der Ritter sah gar viele, viele prächtige Sachen. Doch konnte er sich nicht alles merken, denn die boshafte Berberisca führte ihn schnell weiter



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in einen dunklen Gang, wo sich plötzlich eine Falltür öffnete. Der Ritter, der nichts davon ahnte, fiel in einen tiefen Abgrund und einte nun seine Stimme mit denen der Echos, denn alle jene Echos waren nichts als Stimmen anderer schöner und vortrefflicher Ritter, welche die ehrwürdigen Reize der Alten gleichfalls verschmäht hatten und von ihr in derselben Weise betrogen worden waren.

Wir kommen nun zum andern Ritter vom Fisch. Dieser gelangte auf seiner Reise auch zuletzt nach Madrid. Aber welche Aufnahme wartete seiner daselbst: Kaum trat er in das Tor, als die Soldaten vor der Wache aufmarschierten, Trommeln wirbelten und Trompeten schmetterten und der Königsmarsch erklang. Die Diener vom Palast umringten ihn und teilten ihm mit, daß die Prinzessin in Tränen zerfließe und über seine lange Abwesenheit viel geweint habe.

>Gewiß<, dachte der Ritter, >hält man mich für meinen Bruder, der vermutlich hier sein besonderes Glück gemacht hat. Ich will doch sehen, wo das hinausgeht.<

Man führte ihn wie im Triumphe nach dem Palast, und der König und die Prinzessin empfingen ihn mit hohen Freuden.

»Du bist also nach dem Schlosse Erschrecklich geritten? Sage, wie bist du wieder herausgekommen und wie ist es dir dort ergangen? Ich habe gefürchtet, dich nie wiederzusehen.«

»Es ist mir nicht erlaubt, ein einziges Wort darüber mitzuteilen, bis ich nicht nochmals da gewesen bin.«

»Wie«, rief die Prinzessin, »du bist der einzige, der je vom verzauberten Schlosse wiedergekehrt ist, und du willst das Abenteuer zum zweiten Male wagen?«

»Ich muß es.«

Darüber war der Abend angekommen, und beide begaben sich zum Schlaf gemach. Der Ritter nahm seinen Degen und legte ihn auf das Lager der Prinzessin.

»Warum tust du das?«fragte sie.

»Weil ich ein Gelübde getan«, antwortete er, »auf keinem Lager zu ruhen, bis ich nicht von jenem Schlosse wiedergekehrt bin.«

Des andern Morgens bestieg er sein Pferd und machte sich auf den Weg nach dem Schlosse, in Ungewißheit und Furcht wegen seines Bruders. Jetzt stand er am Tor und klopfte. Berberiscas Nasenspitze zeigte sich alsbald am Gitterloch, wurde aber sogleich noch einmal



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so lang und kreideweiß, denn die Alte dachte, als sie den Ritter sah, nicht anders, als die Toten stünden auf. »Heiliger Beelzebub«, rief sie, denn für diesen Heiligen hatte sie eine besondere Devotion, »heiliger Beelzebub, befreie mich von dieser Erscheinung«, und mit diesen Worten lief sie weg.

»Frau Unsterblich«, rief ihr der Ritter nach, »ist hier ein Ritter angekommen, der mir ähnlich aussah? Nein oder ja.«

»Ja, ja, ja«, riefen die Echos.

»Lebt er, oder ist er tot?«

»Tot, tot, tot«, klagten die Echos.

Als der Ritter das hörte, lief er der Alten nach und durchbohrte sie mit seinem Degen, und da sie klein und mager war und der Wind gerade stark wehte, so drehte sie sich wie ein Windmühlenflügel um den Degen herum.

»Wo ist mein Bruder, du tückische Hexe?«fragte der Ritter. »Ich wollte es Euch gern sagen«, antwortete sie, »aber ich bin sterbend, und von allem Drehen schwindelt mir der Kopf. Macht mich erst wieder lebendig.« — »Wie kann ich das, alter Drache?«

»Geht nach dem Garten, nehmt Eisenhut, Klatschrosen und Drachenblut, kocht das in einem Kessel und badet mich darin«, und kaum hatte die Alte das gesagt, als sie starb.

Der Ritter tat alles, wie ihm gesagt, und machte die Alte wieder lebendig, nur war sie noch häßlicher als vorher, denn ihre große Nase hatte im Kessel keinen Platz gefunden und sah totenstarr und weiß wie ein Elefantenzahn aus.

Sie sagte nun dem Ritter, wo sein Bruder sei, und als der Ritter in jenen Abgrund hinunterstieg, fand er daselbst nicht allein seinen Bruder, sondern noch viele andere Ritter und sehr viele schöne Fräulein, die der Drache ehemals dahin gebracht hatte. Er steckte sie darauf alle, einen nach dem andern, in den Kessel und machte sie so alle wieder lebendig. Die Echos nahmen wieder von ihren Kehlen Besitz, die Herrlein und Fräulein bedienerten und beknicksten sich gegenseitig, gingen dann alle zum Ritter, ihm zu danken, und nach wenigen Sekunden standen lauter schmucke Pärchen da, denn die Ritter und Fräulein waren lauter verzauberte Bräutigame und Bräute gewesen. Als Berberisca diese Lust und Freude sah, platzte sie vor Neid und starb nun für immer.



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Wie der Wolf bestraft wurde

Ein Wolf trieb sich stehlend in der Umgegend eines Dorfes herum und hatte bald fast alle Schafherden vernichtet.

Eines Abends konnte man ihn lebendig fangen. Da kamen die Bewohner beim Abendläuten zusammen, um zu beraten und zu beschließen, wie man den Wolf am härtesten bestrafen könnte. Einige stimmten dafür, ihn bei lebendigem Leibe zu verbrennen. Andere erklärten, daß er mehr leiden werde, wenn man ihn in kleine Stücke hackte und dabei mit dem Schwanz anfinge und mit den Ohren aufhörte.

»Das ist alles nichts«, sagte eine Frau.

»Ob wir ihn nun verbrennen oder in Stücke hacken, immer sind seine Leiden bald vorbei. Die beste Bestrafung, die wir ihm auferlegen können, ist, ihn zu verheiraten.«

»Das ist wahr!« sagten die Männer.

Und sie verurteilten den Wolf dazu, sich auf der Stelle zu verheiraten.


Die schwarze Ziege

Es war einmal ein junger Bursche, der machte einem braven Mädchen, der schönsten des Dorfes, den Hof. Er hatte ihr das Versprechen gegeben, sie zu heiraten, doch wollte er schon vorher mit ihr schlafen.

Eines Tages, es war am Vorabend der Kirmes, verabredete der Bursche sich mit dem Mädchen, dorthin zu gehen, doch wollte er schon sehr früh mit ihr dort sein, schon bei Tagesanbruch, bevor noch jemand auf der Festwiese wäre, wo die Wallfahrtskapelle der Heiligen stand, die man feierte.

Der Bursche sagte, sie wollten so früh hingehen, um die ersten zu sein, die zu der Heiligen beteten; doch Gott wußte wohl, daß seine Absichten nicht diese, sondern ganz andere waren. Sie hatten miteinander verabredet, daß er sie bei Tagesanbruch von ihrem Haus abholen wolle. Am nächsten Tag stand er auf, als der Mond noch am Himmel stand, und ging los, um das Mädchen abzuholen, doch traf er sie schon auf dem Weg, denn aus Freude darüber, daß sie mit



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ihrem Verlobten auf das Fest gehen durfte, konnte sie die ganze Nacht kein Auge schließen, so daß sie eher als er aus dem Haus gegangen war und ihn abholen wollte. Sie sagten sich guten Tag und gingen plaudernd ihren Weg. Bevor sie auf die Festwiese kamen, mußten sie einen Fluß überschreiten. Der war aber angeschwollen, da es in den letzten Tagen viel geregnet hatte, und der Strom überspülte die Brücke, eine Brücke, die zwar aus dünnen Ästen gebaut, aber doch stark genug war, um Leute hinüberzutragen. Als er nun sah, daß sich hier eine gute Gelegenheit für seine Absichten bot, sagte er, er wolle sie über den Fluß tragen, da sie ja sonst nicht auf das andere Ufer kommen könnten. Sie wollte anfangs nicht, doch da er sehr darum bat, ließ sie sich zu guter Letzt darauf ein. Als sie nun die Mitte des Flusses erreicht hatten, dort, wo er am tiefsten war, blieb der Bursche stehen und sagte zu dem Mädchen: »Wenn ich dich drüben nicht haben kann, werfe ich dich jetzt in den Fluß.« Das Mädchen, das ärmste, hielt das für einen Scherz und schenkte den Worten ihres Verlobten keine Beachtung, doch er fing immer wieder von neuem damit an und sagte, daß es kein Spaß sei, sondern daß er es bitter ernst meine. Da begann sie zu weinen und sagte, vor der Hochzeit täte sie so etwas nicht. Er drang weiter mit Bitten in sie, doch sie sagte zu allem nein. Als sie aber sah, daß er Anstalten machte, sie in den Fluß zu werfen und es auch wirklich ausführen wollte, da gab sie ihm schließlich ihr Wort, drüben zu tun, was er wollte. Er befahl ihr, das zu beschwören, und sie schwor.

Als sie am andern Ufer ankamen, legte der Bursche das Mädchen auf die Erde und bedeckte ihr Gesicht mit dem Kopfschleier, doch als er dann nach unten sah, erblickte er plötzlich Ziegenbeine an ihr mit vielen langen, schwarzen, furchterregenden Haaren darauf. Er zog ihr den Schleier weg, da fand er einen Kopf vor sich wie den einer schwarzen Ziege mit Hörnern und allem und einem Maul, das ihm eine Menge großer, häßlicher Zähne zeigte. Mein Gott, war das furchtbar anzusehen! Zu Tode erschreckt lief der Bursche fort, so schnell er konnte.

Bevor er zu Hause ankam, traf er auf dem Weg einen seiner Vettern, der, als er ihn so bleich und zitternd sah, fragte, was ihm geschehen sei. Der Bursche erzählte ihm, was ihm mit seinem Mädchen begegnet war, und sagte, daß er sie in eine schwarze Ziege verwandelt am



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Fluß liegen gelassen habe. Während er dies noch erzählte, verschwand der, der sein Vetter war, wie durch ein Wunder, und statt seiner sah er wieder die Ziege, die um ihn herumsprang und ihre schwarzen Zähne zeigte und ihre schwarze Zunge, so schwarz wie eine Winternacht, und die sagte: »Sieh hier dein Mädchen! Magst du denn jetzt nicht tun, was du wolltest?«

Man sagt, der Bursche sei vor Entsetzen gestorben, und jene Ziege sei der Teufel in eigener Person gewesen. Und so wird es auch sein, denn nur der Teufel ist solcher Dinge fähig. Und dies Märchen, das nicht wie ein Märchen aussieht, kann sich wirklich ereignet haben und eine Strafe Gottes gewesen sein für den Burschen, der das schönste Mädchen des Dorfes verderben wollte.


Frau Elend

Es war einmal eine Frau, die wurde Frau Elend genannt. Sie lebte in einer kleinen Hütte und besaß nichts als eine Ziege, einen Garten und einen Birnbaum.

Die Arme ernährte sich nur von der Milch ihrer Ziege. Die Birnen aßen die Dorfbuben alle auf, und darüber war sie sehr böse und brachte deswegen das ganze Dorf in Bewegung.

Eines Tages kam ein Alter an ihre Hütte und bat um Unterkunft, und Frau Elend sagte zu ihm:

»Wie kann ich sie dir geben, wo ich nichts als ein schlechtes Bett und ein wenig Milch besitze?«

Und der Alte sagte:

»Um der Barmherzigkeit willen, gebt mir Unterkunft.« Und Frau Elend sagte: »Tritt ein, Armer, tritt ein; ich will dir die Hälfte von der Milch meiner Ziege geben; ich will dir die Hälfte meines Bettes geben, und ich will dir eine meiner Decken geben.« Frau Elend tat so, und am nächsten Morgen sagte der Alte:

»Gott möge es dir lohnen; und für das, was du an mir tatest, kannst du einen Wunsch äußern.«

Und Frau Elend sagte zu ihm:

»Ich brauche nichts, noch wünsche ich mir mehr als das, was ich habe. Ich möchte nur, daß die Buben, wenn sie mir wieder meine



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Birnen wegessen, nicht eher von dem Birnbaum hinuntersteigen können, als bis ich es will.«

Der Alte - es war der heilige Antonius von Padua - sagte:

»Es sei dir gewährt. Leb wohl!«

Am folgenden Tag stiegen die Buben auf den Birnbaum und mußten dort oben regungslos verharren, bis ihre Eltern kamen und Frau Elend auf den Knien baten, die Buben wieder hinunterzulassen. Von dem Tag an kamen sie nicht mehr, um die Birnen wegzuessen. Und Frau Elend verbrachte die Jahre froh und zufrieden, bis eines Tages der Tod an ihre Hütte klopfte und zu ihr sagte:

»Ich will dich holen.«

Und Frau Elend sagte: »Es ist gut; ich bin schon alt und störe in der Welt. Ich will die Wegzehrung für uns zurechtmachen, und während ich sie zurechtmache, steige du auf diesen Birnbaum und iß dich an den Birnen satt.«

Der Tod stieg hinauf und konnte nicht wieder herunterkommen, denn Frau Elend ließ ihn nicht frei. Es verstrichen einige Jahre, und da der Tod auf dem Birnbaum war, starb niemand. Und es versammelten sich alle die Alten und alle die, die sterben sollten, und gingen zu Frau Elend und baten sie, sie möchte doch den Tod von dem Birnbaum herunterlassen.

Frau Elend sagte:

»Wenn der Tod mir schriftlich gibt, daß er mich immer übergeht, dann laß ich ihn vom Birnbaum heruntersteigen.«

Der Tod gab es ihr schriftlich und ließ von nun an Frau Elend in Ruhe. Und so lebt Frau Elend noch heute.


Der verwundete Vogel

Es war einmal ein König, der war Witwer und hatte eine sehr schöne Tochter. Seinem Schloß gegenüber lebte eine Dame, die war auch Witwe und hatte eine Tochter. Da die Dame wußte, daß der König verwitwet war, so trachtete sie mit allen Mitteln danach, ihn zu gewinnen und Königin zu werden, und sie ließ keine Gelegenheit vorübergehen, die Tochter des Königs zu beschenken und ihr zu sagen:



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»Mein liebes Kind, es tut mir so von Herzen leid, dich ohne Mutter aufwachsen zu sehen, daß ich mich mit deinem Vater, wenn er es wollte, verheiraten würde, obwohl ich nie die Absicht hatte, wieder zu heiraten. Doch ich würde dich so gern zu einer großen Dame erziehen, denn sowohl ich wie meine Tochter würden dir ergebene Diener sein, damit es dir an nichts fehle.«

Das junge Mädchen bedankte sich, und da sie dies viele Male von ihr hörte, sagte sie es eines Tages ihrem Vater.

»Wißt Ihr, daß die Dame von gegenüber mir das gesagt hat?«

»Pah«, sagte der Vater, »sei nicht dumm, das sagt sie dir jetzt; doch sobald sie verheiratet ist, wird sie genau das Gegenteil tun, und das Beste und Schönste wird für ihre Tochter sein.«

»Glaubt das nicht, Vater«, sagte die Tochter, »denn sie ist wirklich eine gute Frau. Wenn ich bei ihr bin, scheint ihr alles zu gering, um es mir zu geben.«

Obwohl der Vater sich immer wieder weigerte, bat die Tochter, die von der Witwe angestachelt wurde, so sehr darum, daß der König schließlich nachgab und sie heiratete.

Anfangs ging alles gut; doch bald brach ein Krieg aus, und der König mußte plötzlich fort. Und er gab seine Tochter in die Obhut der Stiefmutter.

Doch sobald der Vater das Haus verlassen hatte, begann die Stiefmutter, seiner Tochter das Leben zur Plage zu machen, denn sie konnte sie nicht ausstehen, weil sie hübscher war als ihre eigene Tochter; und immer, wenn sie ihrem Mann schrieb, sagte sie ihm, daß seit seinem Scheiden keiner seine Tochter mehr zügeln könne, daß sie sich über alles ärgere, daß man ihr nichts recht machen könne und daß keine Stunde verstriche, die ihr nicht Unannehmlichkeiten brächte.

Der König, der den Inhalt des Briefes durchschaute, gab ihr recht, um sie nicht zu reizen, doch sagte er, man möchte seine Tochter bis zu seiner Rückkehr mit Geduld ertragen, dann würde er selbst sehen, was zu machen sei.

Doch seine Frau beklagte sich immer wieder in ihren Briefen und übertrieb die Dinge jedesmal mehr und sagte, daß eines guten Tages ein Unheil geschehen würde, denn das Mädchen sei so übermütig, daß sie keine Macht mehr über sich anerkenne. Der Vater versuchte



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sie zu beruhigen; doch als die Frau merkte, daß es ihr nicht gelang, vom König die Erlaubnis zu bekommen, die Tochter zu züchtigen, warf sie eines Tages nach einem heftigen Streit, den sie selbst hervorgerufen hatte, die Tochter auf die Straße. Das arme Mädchen ging weinend weg und begann, auf gut Glück loszuwandern. Und sie ging weiter und immer weiter, und als sie schon eine große Strecke zurückgelegt hatte, erblickte sie hohe Mauern. Sie kam näher und sah ein Tor zu einem großen Schloß. Sie trat ein und durchschritt alle Gemächer, und da sie niemanden fand, blieb sie, um die Nacht dort zu verbringen.

Als die Stunde der Abendmahlzeit kam, sah sie, daß der Tisch mit den verschiedensten Speisen gedeckt war, in den Kleiderschränken fand sie Kleider, die ihr genau paßten, und in dem Schlafgemach war ein schönes Bett; doch in dem ganzen Schloß bemerkte sie keine lebende Seele. Sie legte sich zum Schlafen nieder, und da sie niemanden fürchtete, schlief sie ruhig die ganze Nacht. So vergingen einige Tage.

Kommen wir aber auf die Stiefmutter zurück: Sie sah, daß ihre Stieftochter nicht zurückkehrte, und da sie Angst vor ihrem Mann hatte, begann sie, Nachforschungen und Nachfragen anzustellen und erkundigte sich bei jedermann nach ihr. Doch keiner konnte ihr etwas von dem Mädchen sagen, bis endlich eine Alte ihr erzählte, daß sie sie am Fenster eines Schlosses gesehen habe, in dem niemand wohne; es ginge das Gerücht, daß es ein verzaubertes Schloß sei.

Die Stiefmutter, die wissen wollte, ob es wahr sei, schickte ihre Tochter hin, die sollte nachsehen, was es da gab.

Die Tochter kam ins Schloß, und da ihr es niemand verwehrte, trat sie ein und sagte zu ihrer Stiefschwester, sie habe sich mit der Mutter erzürnt und sei von ihr auf die Straße geworfen worden; und da sie niemanden habe, zu dem sie gehen könne, sei sie losgewandert und habe dies Schloß gefunden und sei hineingegangen und freue sich nun sehr, sie hier gefunden zu haben, denn nun sei sie nicht mehr so allein.

Das brave Mädchen glaubte alles, was die Stiefschwester ihr sagte, und nahm sie sehr gut bei sich auf und sagte, wenn sie bleiben wolle, möge sie bleiben, es werde ihr nicht an Essen noch an einer Schlafstätte fehlen.



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Nun, und so war es auch. Als der Abend kam, legte sich jede in ihr Bett. Die Tochter des Königs schlief sofort ein, doch die andere hielt sich wach, denn sie wollte sehen, was geschehen werde.

Gegen Mitternacht hörte sie ein Geräusch und sah, wie sich ein Fenster öffnete und ein Vogel hereinkam, der war so schön, daß es eine Freude war, ihn anzusehen; er badete sich in einer Waschschüssel, die dort stand, und verwandelte sich in einen sehr schönen Jüngling, der in das Bett der Königstochter stieg. Die andere tat so, als ob sie schliefe. Bevor der Morgen dämmerte, sah sie den Jüngling aufstehen, und nachdem er sich gewaschen hatte, war er wieder in einen Vogel verwandelt, und der flog durch das Fenster, das sich öffnete, um ihn hinauszulassen. Die beiden Stiefschwestern standen auf, und die Tochter der Königin tat so, als ob sie nichts gehört und gesehen hätte, und sagte zu ihrer Stiefschwester, sie wolle zu ihrer Mutter zurückgehen und sehen, ob sich ihr Zorn gelegt habe. Die andere sagte, sie solle tun, was sie wolle, sie werde sie zu nichts zwingen. Die Stiefschwester ging nach Hause und erzählte ihrer Mutter sofort alles, was sie gesehen hatte, und konnte sich nicht genug daran tun, das Schloß zu loben und zu sagen, daß ihre Schwester eine große Dame geworden sei.

»Dann höre«, sagte die Mutter zu ihr, »du gehst morgen wieder hin und nimmst hier diese Säge und Nägel mit; und wenn du glaubst, daß er eingeschlafen ist, dann nagelst du die Fensterläden mit den Nägeln zu, daß sie sich nicht mehr öffnen lassen, und mit der Säge ritzt du Risse ins Glas.«

Und so geschah es; sie nahm Säge und Nägel und ging wieder ins Schloß. Die Schwester fragte sie, weswegen sie schon wieder käme, und sie antwortete, mit ihrer Mutter könne man sich nun einmal nicht vertragen, sie habe sie nicht wieder bei sich aufnehmen wollen und damit gedroht, sie zu töten.

Das brave Mädchen glaubte ihr aufs Wort, und da sie Mitleid mit ihr hatte, sagte sie, sie könne ja bei ihr bleiben. Dann aßen sie zusammen und legten sich schlafen, und da war die Prinzessin eingeschlafen.

Als es Mitternacht schlug, kam der Vogel, badete sich, verwandelte sich dabei in einen Jüngling und stieg in das Bett. Und als die Stiefschwester glaubte, er sei eingeschlafen, stand sie sehr vorsichtig auf



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und nagelte ganz leise den Fensterrahmen mit den Nägeln zu, die ihre Mutter ihr gegeben hatte, und mit der Säge schnitt sie das Glas kreuz und quer an. Als sie damit fertig war, entfloh sie.

Früh am nächsten Morgen stieg der Jüngling aus dem Bett, wusch sich in der Schüssel und verwandelte sich wieder in einen Vogel. Er spreizte seine Flügel und flog zum Fenster; doch da es sich nicht öffnete, prallte er gegen das Glas, und da es eingeritzt war, gab es nach und ließ ihn hindurch, wobei er am ganzen Körper Schnittwunden davontrug. Er stieß einen lauten Schrei aus und flog davon.

Bei dem Schrei erwachte die Tochter des Königs und stand auf, um zu sehen, was geschehen war; da sah sie, daß Fenster und Boden blutig waren. In demselben Augenblick verschwand das Schloß, und sie befand sich auf freiem Feld und stand allein, denn die andere war ja schon vorher verschwunden.

Da begann das arme Mädchen zu weinen und machte sich auf den Weg und ging auf gut Glück los. Und sie ging weiter und immer weiter und wurde schließlich so müde, daß sie sich an einem Baum, der am Wege stand, niedersetzte, um sich dort auszuruhen. Als sie eine kleine Weile dort saß, sah sie drei Turteltauben kommen, die ließen sich auf einem Ast des Baumes nieder und begannen sich zu unterhalten.

»Weißt du schon«, sagte die eine, »daß der Sohn des Königs von da drüben im Sterben liegt?«

»So?« antwortete die andere, »und was fehlt ihm?«

»Nun, als er verzaubert und in einen Vogel verwandelt war und durch ein Fenster fliegen wollte, verletzte er sich den ganzen Körper am Glas, und jetzt haben sich die Wunden entzündet.«

»Und es gibt kein Mittel, ihn zu heilen?« sagte die dritte.

»Ja, aber es ist schwer zu erhalten, auch würde es uns teuer zu stehen kommen.«

»Wieso denn das?«

»Ja, das ist so: Uns drei müßte man fangen und töten und in einem Herd ausbraten, bis nur noch Grieben bleiben; dann muß man uns zu Pulver mahlen, doch dabei muß man sehr aufpassen, daß wir drei immer in drei getrennten Häufchen bleiben. Von diesem Pulver muß man dem Königssohn drei Tage hintereinander ein Häufchen in die Wunden streuen, und wenn man das tut, ohne sich dabei zu versehen,



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so wird er nach drei Tagen von seinen Wunden geheilt wieder aufstehen können. Ihr könnt selbst urteilen, ob es schwierig ist oder nicht, daß der Königssohn wieder gesund wird.«

Während die Turteltauben noch miteinander sprachen, band die Tochter des Königs, die alles gehört hatte, die Schürze ab, um die Tauben darin zu fangen; die waren in ihre Unterhaltung so vertieft, daß das junge Mädchen die Schürze über sie werfen und sie einfangen konnte. Dann ging sie in ein Haus, in dem ein Herd war, und begann, sie zu braten. Sobald sie sie gebraten hatte, bat sie um einen Mörser und zerstampfte sie nacheinander so lange, bis sie zu Pulver wurden; das wickelte sie in drei verschiedene Stücke Papier, bedankte sich bei der Hausherrin und machte sich auf den Weg zum Schloß, wo der kranke Prinz lag.

Sie ging weiter und immer weiter; da traf sie auf ihrem Weg einen Studenten, der trug ein Kleiderbündel an einem Stock über der Schulter. Sie fragte ihn, was er in dem Bündel habe, und der Student antwortete ihr, daß es ein Anzug zum Wechseln sei. Da fragte sie ihn, ob er den Anzug verkaufen wolle, und da der Student größeren Hunger als ein Hund hatte, ließ er sich nicht lange bitten und verkaufte ihn ihr.

Als der Student sich entfernt hatte, zog sie sich schnell um und machte nun aus ihren Frauenkleidern ein Bündel und erschien im Schloß in dem Anzug des Studenten.

Sie wurde zum König vorgelassen und sagte zu ihm, sie habe erfahren, daß der Prinz so krank sei, daß kein Arzt ihn heilen könne, und sie bat ihn, ihr doch seinen Sohn in Pflege zu geben; sie verspräche, ihn binnen drei Tagen gesund zu machen.

Der König fand sie reichlich jung und traute ihrer Kunst nicht sehr, doch da er alle Hoffnung auf Besserung aufgegeben hatte, nahm er die gebotene Hilfe an, denn wer am Ertrinken ist, klammert sich selbst an einen glühenden Nagel, und so ließ er sie in das Zimmer des Prinzen eintreten.

Da war sie nun allein mit dem Jüngling, der da wie ein Toter lag und niemanden erkannte. Sie untersuchte die Wunden, und nachdem sie sie gut ausgewaschen hatte, streute sie das Pulver der einen Taube darauf. Am nächsten Abend machte sie dasselbe und streute das Pulver der zweiten Taube darauf. Nun kam der letzte Abend, und



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nachdem sie wieder die Wunden ausgewaschen hatte, streute sie das Pulver, das ihr noch übriggeblieben, auf die Wunden und setzte sich ans Kopfende des Bettes, nachdem sie den Studentenanzug ausgezogen und ihr Kleid, das sie bei sich trug, angezogen hatte.

Als der Tag anbrach, seufzte der Prinz und richtete sich im Bett auf. Wie er das junge Mädchen erblickte, sprang er aus dem Bett und umarmte sie und fragte sie, wie sie hierher gekommen sei und ob sie ihn damals verwundet und ihn jetzt geheilt habe.

Sie antwortete ihm, daß sie seine Wunden zwar geheilt, doch sie nicht verursacht habe. Dann erzählte sie ihm, was sie wußte und was ihr alles widerfahren sei, und sie erkannten, daß die Tochter ihrer Stiefmutter alles Unglück angerichtet hatte. Der Prinz stellte das junge Mädchen seinen Eltern vor und sagte, daß sie ihm das Leben gerettet habe und daß sie seine Frau werden solle.

Die Eltern willigten ein, und die beiden heirateten und lebten glücklich ihr Leben lang. Sie berichteten alles ihrem Vater, und als der die Wahrheit erfuhr, wies er. seine Frau und seine Stieftochter aus dem Schloß; vor Gram starben beide bald darauf in einem einsamen Winkel.


Der Drache vom Rosenstrauch

Es war einmal ein König, der hatte drei Töchter. Und eines Tages mußte er eine sehr weite Reise in eine Stadt machen und fragte seine Töchter, was er ihnen mitbringen solle.

Und die älteste sagte, sie möchte ein Kleid haben, und die zweite einen Mantel. Und die jüngste sprach zu ihm: »Papa, ich möchte, daß Ihr mir eine Rose mitbringt.«

Und der König ging fort und kam in der großen Stadt an. Und bei seiner Rückkehr kaufte er das Kleid und den Mantel für die beiden älteren Töchter. Aber so eifrig er nach einer Rose für die jüngste suchte, konnte er doch keine finden. Und so mußte er ohne Rose abreisen.

Auf seinem Rückweg nach Haus kam er an einem Garten vorbei, in dem viele Rosensträucher voller Rosen standen, und er sprach bei sich: >Ah, da hab' ich ja doch noch die Rose für meine Tochter gefunden!<



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Er stieg vom Pferd, um eine Rose zu pflücken. Und es standen dort viele Rosen, und er suchte eine sehr schöne aus. Doch als er sie abschnitt, kam ein Drache hervor und sagte zu ihm: »Herr, wer hat Euch die Erlaubnis gegeben, diese Rose abzuschneiden?« Und der König sagte zu ihm: »Das sollt Ihr hören. Ich bin König und habe drei Töchter. Ich komme von einer Reise zurück, von der ich meinen Töchtern etwas mitbringen sollte. Und die beiden ältesten baten mich um ein Kleid und einen Mantel, und das hab ich in der Stadt gekauft. Doch meine jüngste Tochter wünschte sich eine Rose von mir, und die hab ich in der Stadt nicht finden können; da bin ich in diesen Garten eingetreten, um sie zu pflücken.« Und der Drache sprach: »Es ist gut. Nehmt die Rose mit, doch müßt Ihr morgen mit Eurer jüngsten Tochter hierherkommen. Wenn nicht, kostet es Euch das Leben.«Dann ging der König nach Haus. Und als er ankam, gab er seinen Töchtern die Geschenke und zog sich sehr traurig in seine Gemächer zurück. Da kam die jüngste Tochter zu ihm und fragte ihn, warum er so traurig sei. Und der Vater sagte zu ihr: »Ach, meine liebe Tochter, wenn du mein Leid wüßtest!« Und die Tochter bat ihn, ihr sein Leid zu erzählen. Und er sprach: »Nun denn, liebe Tochter, so höre: Die Rose hab ich nicht in der Stadt finden können. Bei meiner Rückkehr fand ich sie in einem Garten. Und als ich sie abschnitt, kam ein Drache hervor und sagte mir, daß ich dich morgen zu ihm bringen müßte.«

Und die Tochter sprach: »Macht Euch deswegen keine Sorgen, Vater, denn ich werde mit Euch gehen.« Und am nächsten Morgen nimmt der Vater zwei Pferde, und sie machen sich auf den Weg zu dem Drachen. Und sie kommen an den Garten, wo der Vater die Rose abgeschnitten hatte, aber sie finden niemanden dort. Und sie sahen ein Schloß und traten ein. Doch auch da war niemand. Und sie fanden einen Tisch mit den schönsten Speisen, und sie setzten sich hin und aßen. Und als sie gegessen hatten, gingen sie in den Garten und machten einen Spaziergang und fanden auch da niemanden. Und gegen Abend gingen sie in das Schloß zurück und traten in den Speisesaal, und wieder stand auf dem Tisch das schönste und beste Essen. Und es kam die Nacht, und sie sahen einige Zimmer mit gemachten Betten. Und sie traten ein und schliefen, ohne jemanden zu sehen. Und am nächsten Tag standen sie auf, und da war das



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Frühstück schon bereitet, und sie aßen. Und nach dem Frühstück sprach der Vater zu seiner Tochter: »Nun, liebe Tochter, jetzt muß ich fortgehen. Dich laß ich hier.«Und er ging fort. Sie blieb zurück und fing an zu weinen aus Angst, weil sie nicht wußte, was ihr geschehen würde.

Und als der Vater fortgegangen war, machte sie wieder einen Spaziergang durch den Garten. Und sie ging hin und her und hin und her und überall herum, bis der Drache hervorkam und zu ihr sagte: »Erschrick nicht, denn ich will, daß du dich mit mir verheiratest. Gib mir dein Wort, daß du mich heiraten wirst.«Und das junge Mädchen wollte ihm ihr Wort nicht geben, doch schließlich willigte sie ein. Und da führte sie der Drache zu Tisch. Man servierte ihnen von allem, ohne daß das Mädchen jemanden sah. Und so trank sie nachmittags Kaffee und aß zu Abend. Und nach dem Abendessen öffnete sich die Tür zu ihrem Schlafzimmer, und sie ging hinein und legte sich schlafen.

Und am nächsten Morgen stand das junge Mädchen auf und fand im Speisesaal einen schönen Prinzen, der sie erwartete. Und sie war ganz überrascht und fragte ihn, wer er sei. Und er sprach: »Ich bin dein Drache, dem du versprochen hast, dich ihm anzuvertrauen. Ich war verzaubert, bis ich jemanden fand, der mich heiraten wollte.« Und sie umarmte und küßte ihn, und sie sprachen über ihre Hochzeit. Sie willigte in alles ein, was er ihr vorschlug, und sie heirateten einander.

Sie wurden sehr glücklich und aßen viele Rebhühner. Und sie gaben mir nichts davon ab, denn das wollten sie nicht. Und sie schenkten mir eine kleine Puppe aus Butter, aber da es Sommer war, schmolz sie mir.


Der Zwerg

Ein Student machte einem sehr schönen Mädchen den Hof. Doch ihre Eltern verboten ihr den Verkehr mit ihm, weil er arm war. Eines Nachts nun verabredete sich das Mädchen mit ihrem Freund und beschloß, das elterliche Haus zu verlassen und sich mit ihm in einer kleinen Kapelle zu vermählen, die oben auf einem Berg stand. Und



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zur abgemachten Stunde ging das Mädchen auf den Balkon und sah im Schatten einen Jüngling, der hielt ein Pferd am Halfter. Und da sie glaubte, es sei ihr Geliebter, sagte sie: »Komm näher und nimm den Koffer.«

Der Jüngling nahm den Koffer, und das Mädchen ließ sich an einem Strick hinunter, stieg auf das Pferd und ritt gemeinsam mit dem Jüngling davon.

Sie wunderte sich sehr, daß ihr Geliebter kein Wort zu ihr sprach. Aber als es dämmerte, sah sie, daß der Jüngling gar nicht ihr Geliebter war, sondern ein fremder Bursche, der gerade in dem Augenblick an ihrem Haus vorbeigekommen war, als sie auf dem Balkon gestanden.

Da sagte sie zu ihm:

»Um Gottes willen, bringt mich nicht weiter, laßt mich hier!« Der Bursche hielt an, und sie setzte sich auf den Koffer. Bald kamen Hirten vorbei, die sagten:

»Was für ein wunderschönes Mädchen! Schön wie die Jungfrau Maria!«

Und sie nahmen es mit sich. Und im Dorf, in dem die Hirten wohnten, lebte ein Ehepaar, das hatte keine Kinder, und es nahm das Mädchen bei sich auf und behandelte es sehr gut; nicht einmal arbeiten durfte es. Doch es bestand darauf, mit den Hirtinnen der Gegend die Schafe zu hüten, und so verbrachte es die Tage bei der Herde.

Es gefiel ihr nicht in dem Dorf, weil alle Welt dort in Angst und Schrecken lebte wegen der Dinge, die sich im königlichen Schloß zutrugen. Jede Nacht mußte ein Untertan, der durch das Los dazu bestimmt wurde, in dem Gemach der Prinzessin schlafen und wurde am nächsten Morgen tot aufgefunden. Eines Tages fiel das Los auf die Familie, in der das Mädchen lebte, und als es davon hörte, sagte es:

»Ich will nicht, daß irgend jemand aus diesem Haus in dem Gemach der Prinzessin schläft. Ich werde selber hingehen!«

Und das Mädchen ging ins Schloß. Als der König es sah, sprach er: »Ich gestatte nicht, daß ein so schönes Mädchen sterben soll. Es soll der in dem Gemach der Prinzessin schlafen, den das Los dazu bestimmt hat.«



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Das Mädchen bat aber so inständig darum, daß der König schließlich ihrem Flehen nachgab. Sie legte sich in dem Gemach der Prinzessin schlafen, aber obwohl sie bald eine große Müdigkeit befiel, gelang es ihr, sich wach zu halten.

Und kurz nach Mitternacht trat ein Zwerg in das Gemach, der stieß der Prinzessin hinter dem Ohr eine große Nadel in den Kopf. Und die Prinzessin schrie:

»Weh, man versengt mich! Weh, man verbrennt mich!« Einen Augenblick schwieg sie, dann sagte sie zu dem Zwerg: »Ich bitte dich bei Gott, töte das junge Mädchen nicht, das hier liegt!«

»Es bleibt mir nichts anderes übrig, als sie zu töten.«

»Bei Gott, töte sie nicht, denn sie ist so schön!«

Der Zwerg betrachtete sie und sagte:

»Ja, sie ist sehr schön; deswegen will ich sie auch erst töten, wenn es Tag wird.«

Und der Zwerg stieß die Nadel noch tiefer in den Kopf der Prinzessin und ging weg.

Da das Mädchen sich wachgehalten hatte, stand sie auf und folgte dem Zwerg. Er machte in einem Gemach halt und begann dort, Zettel zu schreiben. Dann las er sie und warf sie in einen Kessel. Jedesmal, wenn er die Zettel in den Kessel warf, schlugen blaue Flammen empor, und die Prinzessin schrie: »Weh, man versengt mich! Weh, man verbrennt mich!«

Der Zwerg hörte auf zu schreiben und schlief ein. Da ergriff das Mädchen den Kessel und goß den Inhalt über ihn, daß er verbrannte.

Als sie ihn getötet hatte, lief sie zu der Prinzessin und zog ihr die Nadel aus dem Kopf, und sogleich wurde sie gesund. Am nächsten Morgen kamen die Diener des Königs und wollten die Leiche des jungen Mädchens aus dem Gemach holen. Da sahen sie, daß es noch am Leben war.

Es dauerte nicht lange, so wußte man im ganzen Königreich, daß der Zwerg, der die Prinzessin bisher gemartert hatte, von dem Mädchen getötet worden war. Und diese Nachricht kam auch dem Studenten zu Ohren, der das Mädchen im ganzen Land gesucht hatte. Und sobald er erfuhr, wo sie war, ging er zu ihr, und nach einigen Tagen heirateten sie.



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Und an ihrem Hochzeitstag schenkte der König dem Mädchen große Reichtümer und erwies ihr große Ehren, und sie wurde glücklich mit ihrem Mann ihr Leben lang.


Peters drei Geschenke

Es waren einmal zwei Brüder, Peter und Hans. Und eines Tages zogen sie in die Welt hinaus, um sich ihr Brot selber zu verdienen. Sie kamen an eine Wegkreuzung, und Peter sprach zu seinem Bruder:

»Wir wollen uns hier trennen; du gehst diesen Weg und ich den dort. Und am Sonntag wollen wir uns hier wieder treffen und sehen, ob wir einen Brotherrn gefunden haben.«

Sie trennten sich. Und als Peter einen Berg hinaufging, begegnete ihm ein Herr, der fragte ihn, ob er sein Diener werden und mit ihm gehen wolle; er brauche ihm nur drei Tage zu dienen, dann würde er ihn für immer reich machen.

Peter nahm den Vorschlag an, und der Herr führte ihn in eine Höhle und zeigte ihm eine Kerze, die brannte auf einem Stein, und er sagte:

»Wenn die Kerze sich fortbewegt und auf das Bett zugeht, dann folgst du ihr und legst dich schlafen.«

Und der Herr verschwand.

Als die Kerze sich dem Bett näherte, folgte Peter ihr und legte sich hin. Kurz darauf hörte er ein lautes Getöse und bekam große Angst. Und Peter sagte:

»Sobald es hell wird, gehe ich wieder fort; dies hält kein Mensch aus.«

Als es heller wurde, erschien der Herr und gab ihm einen Eierkuchen und eine Flasche Wein. Und Peter sagte:

»Ich geh fort; das Getöse, das hier gestern abend war, ist nicht auszuhalten.«

»Wie du willst«, sagte der Herr; »aber wenn du fortgehst, bezahle ich dir nichts für die Nacht, die du hier verbracht hast.«

Peter aß den Eierkuchen, trank den Wein und sagte:

»Tja, wenn man so ißt und Ruhe hat wie jetzt, kann man in dieser Höhle schon leben.«



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Die Nacht kam, und der Herr ließ Peter bei der brennenden Kerze wie das vorige Mal. Kaum hatte er sich niedergelegt, da hörte er das Getöse und sagte: »Sobald es hell wird, mache ich mich fort von hier; dies hält kein Mensch aus.«

Als es heller wurde, erschien der Herr und gab ihm einen Eierkuchen und eine Flasche Wein. Und Peter sagte zu ihm:

»Ich gehe fort; dies ist nicht zu ertragen.«

»Wenn du fortgehst, gebe ich dir nichts für die beiden Nächte, die du hier verbracht hast. Übrigens fehlt dir ja auch nur eine Nacht, um reich zu werden.«

Peter begann, vom Eierkuchen zu essen und den Wein zu trinken und sagte dann: »Bei gutem Essen und Ruhe kann man hier schon leben.«

Als es dunkel wurde, geschah dasselbe wie in den vorigen Nächten, er folgte der Kerze und legte sich zu Bett. Und da hörte er das Rasseln von Ketten und eine Stimme, die sagte:

»Weh, ich falle!«

Und sie sagte so oft »Weh, ich falle!«, daß Peter schließlich sprach: »Fall mit tausend Teufeln!«

Und es fielen die Beine eines Mannes herunter.

»Weh, ich falle!« wiederholte die Stimme.

»Fall mit dem heiligen Johannes!«

Und es fiel der Rumpf herunter.

»Weh, ich falle!«

»So fall, fall, fall schon alles, was noch fehlt!«

Und es fiel der Kopf herunter. Diese Teile des menschlichen Körpers taten sich zusammen und bildeten zusammen einen Herrn, das war derselbe, der Peter in die Höhle geführt hatte. Und der Herr sagte: »Dadurch, daß du den Mut hattest, hier drei Nächte zu verbringen, hast du mich gerettet. Jetzt will ich dir drei Geschenke geben, die es auf der ganzen Welt nicht zum zweiten Male gibt. Nimm diesen Gürtel! Daraus kannst du so viel Geld holen, wie du willst, und so viel du auch herausholst, er wird nie leer werden.

Nimm dieses Schwert! Mit ihm wirst du alle besiegen, mit denen du kämpfen mußt.

Nimm diese Decke! Du brauchst nur zu sagen: >Decke da- oder dahin!<, und schon bist du dort, wo du hinwilist.«



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Peter zog sehr zufrieden mit seinen drei Geschenken los und ging an die Wegkreuzung, wo er sich mit seinem Bruder treffen wollte, und fragte ihn:

»Hast du einen Herrn, Hans?«

»Ja! Und du?«

»Ich hatte ihn und bin wieder weg von ihm.«

Und er zeigte ihm den Gürtel mit dem Geld. Und Hans fragte ihn: »Wem hast du den gestohlen?«

»Ich habe ihn nicht gestohlen; ich verdiente ihn mir, doch weiß ich nicht bei wem.«

Und dann holte Peter Geld aus dem Gürtel heraus und gab es seinem Bruder. Und er gab ihm so viel, daß Hans sich ein Schloß bauen und Ländereien und viele Viehherden kaufen konnte.

Peter reiste auf der Decke von Ort zu Ort und gab mit vollen Händen Geld aus. Und es kam dem König zu Ohren, daß Peter den Gürtel, das Schwert und die Decke hatte, und da ließ er ihn in sein Schloß rufen. Er ging hin, und der König sagte ihm:

»Wenn du mir die drei Dinge gibst, die du hast, gebe ich dir meine Tochter zur Frau.«

Peter, der merkte, daß der König nur eine Tochter hatte, sprach bei sich.

>Ich kann ihm die Sachen ruhig geben, denn seine Tochter wird sie wieder erben, und so kommen sie zurück, und wir haben sie alle bei uns zu Haus.<

Er überreichte dem König alle drei, doch die Tochter bekam er nicht. Als Peter sich genarrt sah, ging er hin, wo ihn niemand kannte. Und er trat als Gärtner in das Haus eines Herrn ein. Peter machte seine Arbeit sehr gut; und es kam die Zeit der Ernte, und sein Herr sagte zu ihm:

»Iß nicht von diesen Birnen oder von den Pfirsichen da; von den anderen Früchten kannst du soviel essen, wie du willst.«

Und Peter sagte:

»Warum will mein Herr nicht, daß ich diese Birnen koste? Ich will doch eine versuchen.«

Er aß sie, und es wuchs ihm ein Horn. Als er sich mit dem Horn sah, sprach er: »Hörner hab ich ja nun; was kann mir noch Schlimmeres widerfahren? Ich will doch sehen, wie das ausgeht, und einen



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Pfirsich nehmen.« Er aß ihn, und da verschwand das Horn. Darauf sprach er: »Das ist etwas für mich!«

»Das ist etwas für mich!«

Peter hatte eine Braut, die war Näherin, und er sagte ihr, sie solle ihm zwei kleine Säcke nähen. In den einen steckte er ein Dutzend Birnen und in den anderen ein Dutzend Pfirsiche, und dann bat er seinen Herrn um die Abrechnung. Und von dem Geld, das er ihm gab, kaufte er sich einen Ärztemantel und packte ihn in den Koffer. Und er ging in das Schloß des Königs, um dort das Dutzend Birnen zu verkaufen. Da sie ausgezeichnet aussahen, kaufte man sie ihm ab und brachte sie noch am selben Tag auf die Tafel. Die königliche Familie aß davon, und da wuchsen ihr furchtbare Hörner.

Als die Diener den Tisch abräumten, sahen sie den König, die Königin und die Prinzessin mit den angewachsenen Hörnern. Nun kamen Ärzte von hier und von dort, aber niemand konnte von den Köpfen der königlichen Familie diese Gewächse entfernen. Peter zog den Ärztemantel an, ging ins Schloß und sagte, er verpflichte sich, die Kranken zuheilen. Man führte ihn vor den König, er untersuchte gründlich dessen Kopf und fragte:

»Warum haben die Ärzte denn nicht die Hörner an dem Tag entfernt, an dem sie entstanden sind? Jetzt sind sie schon hart, und es ist nicht leicht, sie zu entfernen. Doch trotzdem verpflichte ich mich, sie wegzubringen, wenn Ihr mir dafür einen Gürtel gebt, den Ihr besitzt.«

»Fordere, soviel du willst«, sagte der König, »aber den Gürtel geb ich dir nicht.«

»Dann behaltet den Gürtel und Eure Hörner.«

Da sagte die Königin zu dem König:

»Zu sehr hängst du am Geld. Willst du lieber wie ein Hirsch herumlaufen als den Gürtel entbehren?«

Der König gab ihm den Gürtel. Und Peter bat um ein Glas Wasser und legte den Pfirsich hinein. Mit dem Wasser benetzte er die Hörner, und den Pfirsich gab er in kleinen Stücken dem König zu essen, und die Hörner verschwanden.

Danach besah er die Hörner der Königin und sagte zu ihr:

»Ich entferne sie Euch, wenn der König mir ein Schwert gibt, das er besitzt.«



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Der König antwortete ihm, daß er ihm das Schwert nicht gäbe, denn das sei seine einzige Waffe. Und die Königin sagte:

»Wo du keine Hörner mehr hast, willst du, daß ich meine behalte?«

Und der König gab ihm das Schwert, und Peter machte bei der Königin dasselbe wie beim König und entfernte ihr die Hörner. Da trat die Prinzessin weinend herein und flehte Peter an, er möge sie um Gottes willen doch auch von den Hörnern befreien.

»Ich entferne sie dir«, sagte Peter, »doch um sie loszuwerden, mußt du dich im Hof auf eine Decke setzen, die dein Vater hat.«

Die Prinzessin breitete die Decke im Hof aus und setzte sich darauf.

Und Peter setzte sich an ihre Seite und sagte: »Decke, runter nach Rom!«Und in einem Husch waren sie in Rom. Dort sagte Peter zu der Prinzessin:

»Wenn du mich heiratest, nehme ich dir die Hörner weg.«

Sie willigte ein. Da gab Peter ihr einen Pfirsich zu essen, und die Hörner waren nicht mehr zu sehen. Dann heirateten sie und lebten im Schloß, das sein Bruder Hans gebaut hatte. Hans fragte:

»Peter, wie hast du es nur angestellt, die Tochter des Königs zu rauben?«

»Ich setzte mich auf eine Decke, die ich habe, und sagte: >Decke, runter nach Rom!<«

Hans beneidete seinen Bruder und bekam schnell heraus, wo er die Decke aufbewahrte. Er nahm sie und setzte sich darauf. Und anstatt zu sagen: »Decke, runter nach Rom!«, sagte er: »Decke, rundherum.«

Und sogleich wurde er im Kreise herumgewirbelt und stieß sich an allen Ecken und Kanten, bis ihm in den Sinn kam, zu sagen:

»Decke, zu meinem Bruder Peter!« Und er langte zu Hause an. Und er verspürte nie wieder Neid auf seinen Bruder. Und die drei lebten glücklich zusammen.


Das seltsamste Ding der Welt

Es war einmal ein König, der war Witwer und hatte drei Söhne. Und in einem andern Reich lebte eine Königin, die war Witwe und hatte eine sehr schöne Tochter. Und der König und die Königin



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lernten einander kennen und heirateten sich. Und da die Tochter der Königin fast ebenso alt war wie die Söhne des Königs, verliebten sich die drei in sie, und jeder wollte sie heiraten. Da gingen die drei zu ihrem Vater, und der älteste sagte zu ihm: »Hört, lieber Vater, wir möchten alle drei unsere Stiefschwester heiraten, und da es doch nicht angeht, daß sie sich mit dreien verheiratet, so bitten wir Euch, Ihr möchtet entscheiden, wer von uns sie heiraten soll. Mit dem, was Ihr sagt, werden wir uns zufriedengeben.« Und der Vater sagte zu ihnen: »Meine Söhne, es ist eure Stiefschwester, und da scheint mir, keiner sollte sich mit ihr verheiraten; aber da ihr ja wollt, daß sich einer mit ihr verheiratet, so macht euch denn auf den Weg und seht zu, daß ihr mir das seltsamste Ding der Welt bringt, und wer von euch mit dem seltsamsten Ding der Welt zurückkommt, der mag die Stiefschwester heiraten.«

Nun gut; die drei Brüder zogen also in die Welt hinaus und machten sich auf die Suche nach dem seltsamsten Ding. Und als sie an eine Wegkreuzung kamen, da schlug jeder eine andere Richtung ein. Und der älteste kam in eine sehr große Stadt und begann sogleich, überall herumzusuchen und auszuspähen, ob er nicht etwas sehr Seltsames fände. Und als er schon den ganzen Markt und alle Plätze abgesucht hatte, fand er plötzlich einen Teppich, der hatte eine Sprungfeder, und wenn man darauf stieg, so ging die Feder los, und man konnte so hoch fliegen, wie man wollte. Und er sagte zu dem, der ihn verkaufte: »Wieviel wollt Ihr für diesen Teppich haben?« Der antwortete ihm, daß er tausend Taler koste. Und da gab er ihm die tausend Taler und ging mit dem Teppich fort.

Nun gut; indessen war der zweite in ein Dorf gekommen, wo ein Mann war, der verkaufte ein Fernrohr von einer halben Ellenlänge. Und er geht zu ihm hin und sagt: »Lieber Mann, ich habe überall herumgesucht, ob ich nicht ein sehr seltsames Ding finde. Sagt mir, was verkauft Ihr denn da?« Und er antwortet ihm: »Nehmt es und schaut hindurch. Was wollt Ihr sehen?« —»Ich will meinen Bruder sehen.«Und der Mann sagt zu ihm: »Dann braucht Ihr nur durch das Fernrohr zu sehen, und Ihr werdet ihn finden.« Und der Jüngling blickte durch das Fernrohr und sah seinen Bruder mit dem Teppich dahinwandern. Nun gut; er sagt darauf zu ihm: »Wieviel wollt Ihr für das Fernrohr haben?« —»Ich, nun



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ja, mit tausend Talern gebe ich mich zufrieden.« Da gab er ihm die tausend Taler und zog mit dem Fernrohr ab.

Inzwischen hatte der dritte auch eine Stadt erreicht und suchte ebenfalls auf dem Markt und allen Plätzen nach einem sehr seltsamen Ding. Und da sieht er auf einem Platz einen alten Mann stehen, der bot Äpfel feil. Und der Jüngling geht zu ihm hin und sagt: »Was ist denn Besonderes an diesen Äpfeln?« Und der Alte sagt ihm: »Diese Äpfel können Kranke wieder besser und ganz gesund machen, wenn man ihnen damit über das Gesicht streicht und sie den Apfel riechen.«Darauf sagt der Jüngling: »Gut, so einen Apfel will ich kaufen und ihn mit nach Haus bringen.« Und er fragt den Alten: »Wieviel wollt Ihr für den Apfel haben?« — »Tausend Taler«, antwortet ihm der andere. Da gibt er ihm die tausend Taler und geht mit dem Apfel fort.

Und der mit dem Fernrohr sagte: »Ich will das Fernrohr doch einmal ausprobieren und versuchen, ob ich meine Brüder sehen kann.«Und er sah durch das Fernrohr und erblickte die beiden. Und da wanderte er dorthin, wo der älteste war, und sagte zu ihm: »Du, hör mal, weißt du, wo unser jüngster Bruder ist?« Und der andere sagte zu ihm: »Ich, nein.« Da zieht er das Fernrohr hervor und sagt: »Wenn du ihn sehen willst, so guck durch dieses Fernrohr.«Und der andere sah durch das Fernrohr und erkannte den jüngsten Bruder, wie er allein auf seinem Weg dahinzog. Und da sagt er: »Dies willst du wohl dem Vater mitbringen?« Und der zweite sagt: »Ja.« — »Nun, sieh her«, sagt darauf der älteste Bruder, »denn ich bring ihm ein sehr viel seltsameres Ding mit, was viel wertvoller ist.« — »Was ist es?« fragt der andere. »Dieser Teppich hier. Sowie man ihn betritt, steigt er hoch und fliegt so hoch, wie man will und wohin man will.« Der zweite sagte darauf zu ihm: »Gut, das wollen wir gleich einmal sehen.« Und sie steigen darauf, und sofort geht der Teppich mit den beiden in die Höhe. Und der älteste sagt: »Nun können wir ja einmal sehen, wo unser jüngster Bruder ist und zu ihm fliegen.« Und sie flogen an den Ort, wo sie den jüngsten Bruder im Fernrohr entdeckt hatten und waren nun alle zusammen. Und sie fragten ihn, was er gekauft habe, und sie sagten, er möge ihnen doch zeigen, was er mitbringe. Und der sagte darauf zu ihnen: »Ich habe hier diesen Apfel gekauft; wenn man damit über das Gesicht eines Kranken streicht



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und er ihn riecht, wird er auf der Stelle wieder gesund.« Nun gut; dann stiegen sie alle drei auf den Teppich, und die Feder ging los, und die drei flogen ganz, ganz hoch.

Und nachdem sie so einige Zeit durch die Luft geschwebt waren, nimmt der jüngste das Fernrohr seines Bruders und sieht hindurch und sagt: »O weh, was seh ich! Ich kann's nicht sagen!« —»Was hast du denn gesehen, junger Bruder?« sagt der älteste. Und er nimmt dann das Fernrohr und sieht hindurch und sagt: »Oh, mein Gott, was hab ich gesehen!« — »Was seht ihr beiden denn da?«fragt der zweite. Und er nimmt auch das Fernrohr und sieht hindurch und erblickt dasselbe. Und zwar sehen sie die Stiefschwester sterbenskrank im Bett liegen. Da sagt der jüngste: »Laßt uns schnell machen.« Und so schnell, wie sie können, fahren sie los und kommen im Nu zu Hause an. Und sie traten ein, als das Mädchen schon in den letzten Zügen lag. Da sagte der jüngste: »Das ist eine Gelegenheit, die Kraft des Apfels zu prüfen, nun können wir sehen, ob das Mädchen gesund wird.« Und er geht mit seinem Apfel hin zu ihr und läßt sie daran riechen, und sogleich wird ihr wohler. Bald trat eine große Besserung ein, und sie war wieder ganz gesund.

Da gehen die drei dann zu ihrem Vater hin und zeigen ihm, was sie jeder mitgebracht haben. Und der jüngste sagt: »Vater, ich werde sie bekommen; denn der Apfel, den ich mitgebracht habe, hat sie wieder gesund gemacht.« Und der zweite sagt: »Nein, ich werde sie bekommen, denn ohne das Fernrohr hätten wir nicht gewußt, daß sie krank war, und wenn wir angekommen wären, wäre sie schon tot gewesen.«Und der älteste sagt: »Aber nein, ohne den Teppich wären wir niemals rechtzeitig angekommen, und darum werde ich sie auch bekommen.« Und der Vater begann, darüber nachzudenken, und sagte dann: »Meine Söhne, mir scheint, daß dem mit dem Fernrohr das größte Verdienst dabei zukommt.« Darauf sagten die beiden gar nichts mehr, und der Vater ging zu der Stiefschwester hin und sagte ihr, daß nach seiner Ansicht der mit dem Fernrohr das größte Verdienst habe. Und das Mädchen sagte darauf: »Mir aber will scheinen, daß das größte Verdienst dem zukommt, der den Apfel brachte, und da ich ihn auch immer am liebsten gehabt habe, so möchte ich mich mit ihm verheiraten.« Und so verheiratete sie sich mit dem jüngsten Bruder.



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Der geizige Reiche

Es war einmal ein reicher Mann, der war sehr geizig, und je mehr er Geld besaß, desto mehr wollte er haben. Und immer wieder verkaufte er dem Teufel seine Seele, um immer mehr Geld von ihm zu bekommen. Als er schließlich alt war und sein Ende kommen fühlte, klopfte eines Tages ein Armer an seine Tür und bat ihn um einen Scheffel Korn. Und der geizige Reiche sagte zu ihm: »Wenn du mir das Versprechen gibst, wenn ich gestorben bin, bei meiner Leiche drei Nächte Wache zu halten, gebe ich dir zehn Scheffel statt einen.« Der Arme versprach es ihm, und er gab ihm die zehn Scheffel Korn. Und der Arme kehrte nach Hause zurück und gab seinen Kindern Brot, und dem Reichen verzieh Gott.

Kurz darauf starb der geizige Reiche; der Arme vergaß sein Versprechen nicht und ging hin, um drei Nächte an der Leiche zu wachen. Die ersten beiden Nächte geschah nichts. Er betete die ganze Nacht für das Seelenheil des Toten, und am frühen Morgen, als es anfing zu dämmern, ging er in Frieden nach Haus. Doch in der dritten Nacht trat plötzlich ein Soldat aus einer Wand hervor. Das war Gott, der wollte dem Armen bei der Leichenwache helfen. Und der Soldat sagte zu dem Armen: »Was machst du bei diesem Toten?« Und der Arme antwortete: »Seht, Herr, ich wache bei diesem Toten, denn er gab mir einmal Almosen für meine Familie, und ich versprach ihm dafür, nach seinem Tod drei Nächte bei seiner Leiche zu wachen.«Und der Soldat sagte zu ihm: »Gut, dann wollen wir zusammen wachen.«

Und bald darauf kam der Teufel und sagte: »Hierher mit dem Toten; mir gehört er!«Und der Soldat antwortete ihm: »Wir geben ihn dir nicht.« Und wieder sagte der Teufel: »Hierher mit dem Toten; mir gehört er! Er hat mir seine Seele verkauft.«Und darauf sagte der Soldat zu ihm: »Wir geben ihn dir, wenn du uns dieses Faß voll Geld füllst.«Und der Teufel sagt: »Gut, wartet auf mich; ich hole Geld.« Und der Teufel ging fort, um Geld zu holen. Indessen schlug der Soldat dem Faß den Boden aus und hing es an einen Baum, der an einem Abgrund stand. Da kehrte der Teufel auch schon mit zwei Säcken voll Geld zurück und machte sich daran, sie in das Faß zu schütten; doch da alles in den Abgrund fiel, blieb das Faß leer. Darauf



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sagte der Teufel: »Ich hole mehr.«Und er ging fort und kam mit einer Karre voll zurück und schüttete alles in das Faß; doch wurde es immer noch nicht voll. Und da brachte er noch eine Karre voll und schüttete das auch alles in das Faß hinein, doch füllte es sich wieder nicht. Und so brachte er eine nach der anderen, aber das Faß wurde nicht voll. Die ganze Nacht tat er das, bis es anfing zu dämmern und er sich eiligst von dannen machen mußte. Und so hatte der geizige Reiche seine Seele gerettet durch das Almosen, das er gegeben hatte.


Die drei Hunde

Es waren einmal drei Witwen, die hatten jede einen Sohn. Sie waren aber arm und hatten nur wenig zu beißen; die eine lebte von drei Kühen, die andere von drei Schafen und die dritte von drei Schweinen. Jeden Tag trieben die drei Söhne das Vieh aufs Feld und gingen zusammen und aßen zusammen, doch gab es beim Essen immer Streit darüber, ob du mehr hast oder weniger als wir.

Das Essen war nicht gerade reichlich und bestand im allgemeinen nur aus Brot und Käse; der mit den Schafen und der mit den Schweinen waren die ärmsten und konnten nicht viel mitbringen; aber der mit den Kühen, der am meisten hätte mitbringen können, der hatte immer am wenigsten mit, seine Mutter wollte alles für sich haben und gab dem Burschen immer nur gerade so viel, daß er nicht verhungerte.

Eines Tages nun hatte er noch weniger als sonst, und als sie ihr Brot und den Käse zusammenlegten, waren die beiden anderen nicht damit einverstanden; und darüber, ob deine Mutter ein Geizkragen ist und dir viel mitgegeben hat oder dir wenig mitgegeben hat, begannen sie einen Streit miteinander und konnten nicht einig werden, so daß sie fast in eine Rauferei gerieten. Während sie noch zankten, kam ein Alter vorbei, den riefen sie an. Der mit den Schweinen sagte: »Hört, guter Alter, jeden Tag nehmen wir unser Essen mit und legen es zusammen. Heut aber hat dieser so wenig mitgebracht und will es auch wieder zu unserem legen; hab ich nicht recht, daß unser Teil größer ist als seiner?«



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»Nein, das finde ich nicht«, antwortete der Alte, »die drei Essen sind fast gleich. Gebt mir als Almosen ein wenig von eurem ab, denn ich bin todhungrig, dann sind eure Teile gleich, und ihr braucht euch nicht mehr zu streiten.«

»Von meinem nichts«, sagte der mit den Schweinen, »für uns ist nicht einmal genug da, und dann sollen wir Euch noch etwas abgeben .

»Von meinem aber auch nicht«, sagte der mit den Schafen, und die beiden langten nach ihrem Essen.

»Da, nehmt mein ganzes«, sagte der mit den Kühen, »und ich will Euch noch dazu eine Kuh melken, wenn meine Mutter mich auch dafür schlägt.«

»Warum soll sie dich denn schlagen?«

»Na, bedenkt doch! Sie will natürlich, daß die Kühe die Euter voll haben, und sobald ich im Hause ankomme, untersucht sie sie und merkt sofort, wenn Milch fehlt. Die hat eine gute Nase.«

»Hör einmal, magst du Hunde leiden?«

»Natürlich mag ich die leiden«, antwortete der Bursche. »Dann will ich dir drei zeigen, die ich habe.«

Und gesagt, getan; der Alte pfiff, und es kamen drei wunderschöne Hunde herbeigelaufen.

»Donnerwetter, sind die aber schön!« sagte der Kuhhirt.

»Willst du sie gegen die Kühe tauschen?« sagte der Alte zu ihm. »Um Himmels willen! Seid still!« antwortete der Bursche. »Eine tüchtige Tracht Prügel würde mich erwarten, wenn meine Mutter mich ohne die Kühe kommen sähe. Doch wirklich, die Hunde sind schön.«

»Dann hör, wenn du heute abend nach Hause kommst, sag es deiner Mutter, und wir wollen sehen, was sie dazu meint. Ich komme morgen wieder vorbei.«

Der Alte ging weg, und als es Abend wurde, trieben die drei Burschen ihr Vieh zusammen und gingen nach Haus.

»Wenn Ihr gesehen hättet«, sagte der Kuhhirte, »was für wunderschöne Hunde ein Mann uns heute gezeigt hat! Wollen wir nicht die Kühe gegen sie tauschen?«

»Du verflixter Bursche!«sagte die Mutter. »Erst trinkst du die Milch von einer Kuh aus, und jetzt willst du die Kühe gegen drei Hunde



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tauschen? Wenn du noch einmal davon zu sprechen anfängst, mach ich Schluß mit dir.«

Der Bursche begann aber, hartnäckig darauf zu bestehen, bis die Mutter die Geduld verlor und ihm einen Fußtritt versetzte, der es in sich hatte.

Am nächsten Morgen stand er auf, holte die Kühe heraus, nahm das Essen und ging weg. Kurz darauf kam der Alte zu ihm.

»Nun, hast du es deiner Mutter gesagt?«

»Allerdings, und eine Tracht Prügel hat es mich gekostet, daß ich meine Knochen noch jetzt fühle.«

»Das tut mir leid«, sagte der Alte, »denn mit diesen Hunden würdest du alles bekommen, was du haben willst, und es würde dir niemals an Essen fehlen, denn sie wissen genau, woher sie es dir holen können.«

»Also gut, wir tauschen sie doch. Ich werde schon sehen, wie ich mit meiner Mutter fertig werde.«

Da rief der Alte die Hunde, die herbeikamen, und während er sie nacheinander dem Burschen zeigte, sagte er: »Sieh, dieser heißt Sonne, dieser Mond und der da Morgenstern; willst du etwas haben, so brauchst du es ihnen nur zu befehlen, und sie bringen es dir.«

Der Alte nahm die Kühe und zog seines Wegs, und der Bursche rief seine Hunde und ging nach Haus. Mitten auf dem Heimweg sprangen die Hunde plötzlich voraus und kamen vor ihm an. Sie liefen in das Haus, schnüffelten in allen Ecken herum und machten sich daran, alles zu zerstören; sogar den Docht der Lampen fraßen sie auf.

»Verflixte Schweinerei!« sagte die Mutter, als sie sah, was sie angerichtet hatten. »Dieser Lump von Sohn hat doch die Kühe gegen die verfluchten Hunde getauscht. Der soll nur kommen, heute hat sein letztes Stündlein geschlagen.«

Sie holte einen Stock hervor und wartete auf ihren Sohn. Als sie ihn kommen sah, sagte sie:

»Du Gauner, du Spitzbube, du schamloser Kerl! Sieh dir an, was du angestellt hast. Komm nur herein, ich will dir beibringen, was Hunde sind, komm nur ganz herein!«

Als der Bursche die Verwüstung sah, wußte er, daß es ihn teuer zu stehen kommen würde, wenn er einträte, und er sagte an der Tür:



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»Meine Sonne, mein Mond, mein Morgenstern, folgt eurem neuen Herrn.«

Sofort kamen die drei Hunde heraus, und die vier zogen aus dem Dorf und ließen die Mutter wutentbrannt darüber zurück, daß sie ihrem Sohn keine Tracht Prügel hatte geben können.

Und die vier marschierten auf gut Glück los. Tag um Tag wanderten sie weiter, und wenn der Bursche Hunger hatte, befahl er den Hunden, ihm Essen zu holen, und sie brachten es ihm, ohne daß er sich weiter darüber Gedanken machte, woher sie es nahmen.

Nun hatten sie schon viele Meilen zurückgelegt, da trafen sie eines Tages, als sie über ein Gebirge wanderten, einen Mann, der kam gerade auf sie zu, und ihn fragte er: »Woher kommt Ihr, Freund?« »Ich komme aus Madrid«, antwortete der Reisende.

»Und was gibt es Neues in Madrid?«

»Ach, dort herrscht großer Schrecken, denn vor einiger Zeit erschien ein Drache mit sieben Köpfen, der drohte, alles zu zerstören, wenn man ihm nicht täglich ein junges Mädchen gäbe. Von der Stunde an gab man ihm täglich eines, und nachdem der Drache es aufgefressen hatte, zog er sich zurück. Doch jetzt ist es so weit gekommen, daß nur noch die Tochter des Königs übrig ist, und auch die muß morgen ihr Leben lassen. Darum ist die ganze Stadt niedergeschlagen, denn übermorgen kann man ihm keine mehr geben, und dann werden alle von dem Drachen verschlungen.«

Der Mann ging fort, und der Kuhhirt zog seines Weges weiter, bis er am nächsten Morgen die Türme von Madrid erblickte. Bei seiner Ankunft erkundigte er sich, wo die Tochter des Königs sei und um welche Stunde der Drache hervorkomme. Dann ging er an den Ort, den man ihm genannt hatte; da sah er die Prinzessin, an einen Baum gefesselt in wunderbarer Schönheit. Sobald die Prinzessin den Burschen kommen sah, sagte sie, er solle weggehen, denn der Drache werde gleich erscheinen und ihn verschlingen.

»Habt keine Furcht«, sagte er, »ich möchte dieses Ungeheuer gern einmal sehen und wissen, ob es wirklich so schrecklich ist, wie man sagt.«

Wieder bat die Prinzessin ihn, doch fortzugehen, und während sie noch miteinander sprachen, hörte man plötzlich ein fürchterliches Brüllen.



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»Da kommt er«, sagte die Prinzessin, »geht fort, wenn Euch Euer Leben lieb ist.«

Der Bursche kümmerte sich nicht darum. Schon hörte man den Drachen ganz nahe zweimal brüllen, und dann kam er, und er hatte sieben Köpfe, und er war furchtbar anzusehen.

Die arme Prinzessin erstarrte vor Entsetzen; da befahl der Kuhhirt seinen Hunden, sich vor sie zu stellen, und sagte ihr, sie brauche keine Angst mehr zu haben.

Als der Drache sah, daß man ihm die Beute rauben wollte, stieß er ein Brüllen aus, das war noch lauter als vorher, und stürzte sich dann auf die Prinzessin. In diesem Augenblick sprach der Kuhhirt: »Meine Sonne, mein Mond, mein Morgenstern,

Haltet dem Mädchen alles Unheil fern.«

Als die Hunde die Stimme ihres Herrn hörten, stürzten sie sich auf den Drachen und töteten ihn in einem Nu.

Außer sich vor Freude warf sich die Prinzessin in die Arme des Burschen und bat ihn, mit ihr in das Schloß zu gehen; doch er sagte: nein, sie solle allein gehen, denn er müsse seinen Weg fortsetzen. Da zog die Prinzessin einen Ring vom Finger und gab ihn dem Burschen und sprach:

»Nehmt den Ring. Mein Vater gelobte, mich mit dem zu verheiraten, der mir das Leben retten würde. An dem Tag, an dem Ihr Euer Recht geltend machen wollt, tretet vor ihn hin; verzichtet Ihr aber auf das Recht, so schickt mir den Ring zurück durch wen Ihr wollt; ich werde so lange warten.«

Die Prinzessin ging fort, und nachdem der Bursche dem Drachen die sieben Zungen herausgeschnitten und sie in ein Tuch gewickelt hatte, setzte er seinen Weg fort, ohne das Schloß zu betreten.

Die Prinzessin kam in das Schloß, und sofort verbreitete sich die Nachricht von dem, was geschehen war, und da die Prinzessin sagte, sie kenne ihren Retter nicht, begab sich ein Neger, der die Prinzessin liebte und einer der ersten war, der davon erfuhr, eiligst an den Ort, wo der Drache lag. Er schnitt die sieben Köpfe ab und brachte sie ins Schloß und erklärte, daß er es gewesen sei, der den Drachen getötet habe, und daß er um die Hand der Prinzessin anhalte.

Dem König gefiel es gar nicht, seine Tochter einem Neger zu geben, doch hatte er es versprochen, und ein Königswort kann man nicht



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zurücknehmen. So sehr die Prinzessin auch schwur und wieder schwur, daß dies nicht ihr Retter sei, setzte der König doch den Tag der Hochzeit fest und machte ihn überall bekannt. Das alles kommt nun dem Kuhhirten zu Ohren; er rief seine Hunde und ging mit ihnen nach Madrid; er trat in ein Wirtshaus ein, um dort zu übernachten, doch da alles besetzt war, schickte man ihn in die Scheune. Er erfuhr, daß man an jenem Abend im Schloß ein großes Fest veranstalte, und als er die Stunde für gekommen hielt, sagte er zu einem seiner Hunde:

»Meine Sonne, gehe ins Schloß und hol das erste Gericht her, mit dem sie das Essen beginnen!«

Da eilt meine Sonne davon, und als der Hund in das Schloß kommt, geht er in die Küche und nimmt von allem, was ihm sein Herr gesagt, und lief in das Wirtshaus zurück.

Als der Koch diese bemerkte, bewaffnete er sich mit einem dicken Knüppel, doch es war schon zu spät, und er konnte nicht sehen, wohin der Hund entwischt war.

Danach befahl der Bursche meinem Mond, ihm von allem zu bringen, was es noch in der Küche gab.

Da dem Koch nun das Essen fehlte, das der Hund fortgetragen hatte, wußte er nicht, was er tun sollte, und während er noch rechnete und Anweisungen gab, sieht er plötzlich wieder einen Hund hereinkommen und alles mit sich nehmen, was er noch zubereitet hatte. Er ruft, man solle den Hund festhalten, aber -wupp - war er verschwunden. Der Koch war ganz verzweifelt, denn die Stunde des Festmahls rückte heran, und er hatte nichts zubereitet, noch die Zeit dazu. Und wer sollte dem König nun sagen, daß kein Essen da war?

Plötzlich hörte man überall Geschrei; und der Koch eilte hinaus, um zu sehen, was dies bedeute. Und was war geschehen? Der Kuhhirte hatte Morgenstern befohlen, die ganzen Nachspeisen zu holen, und der Hund hatte es getan und nichts übriggelassen; der Koch aber hatte vorher eine Wache aufstellen lassen, die sollte den Hund verfolgen, falls er wiederkäme. Da lief man nun dem Hund nach, und da man ihn nicht fassen konnte, schossen einige auf ihn, daß die Umgebung dröhnte. Doch anstatt den Hund zu treffen, flogen die Kugeln zurück und verwundeten die, die geschossen hatten, so daß die Straße in kurzer Zeit in ein Schlachtfeld verwandelt wurde. Von



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überall hörte man das Stöhnen und Jammern der verwundeten Soldaten. Der König und der Hof aber hatten von all dem nichts bemerkt, und als die Stunde des Festmahls gekommen war, befahl der König, das Essen aufzutragen. Nun blieb dem Koch nichts anderes übrig, als zu erzählen, was geschehen war. Die Prinzessin, die alles hörte, erklärte, man solle auf der Stelle die Hunde und den Herrn suchen und ihn ins Schloß bringen, sei es freiwillig oder mit Gewalt.

Überall eilten die Boten hin, und sie kommen in das Wirtshaus, wo der Kuhhirt und die drei Hunde waren; da sahen sie das Essen dort stehen und brauchten nicht mehr zu fragen, ob es die Richtigen seien; und sie sagen zu dem Burschen, er solle auf Befehl des Königs mit den Hunden sofort ins Schloß kommen.

Sie kommen in das Schloß, und als sie den Festsaal betraten, sprangen die drei Hunde freudig auf die Prinzessin zu und begannen, den Neger anzuknurren. Der König fragte den Burschen: »Bist du der Herr dieser Hunde?«

»Ja, Majestät«, antwortete er.

»Ja, weißt du denn gar nicht, daß sie uns das Essen fortgenommen haben?«

»Wenn sie es getan haben, so auf meinen Befehl.«

»Aber, mein Lieber, wenn du Essen haben wolltest, hättest du es doch sagen können; man hätte es dir gern gegeben; aber du brauchtest doch nicht gleich alles zu nehmen, was es im Schloß gab. Wie kamst du nur auf diesen Gedanken?«

»Majestät, ich hatte genug zu essen, doch ich wollte, daß Seine Königliche Majestät mich rief, und ich habe es auf diese Weise erreicht.«

»Was willst du von mir?«

»Ich wollte Seiner Königlichen Majestät sagen, daß an der Festtafel ein Mann sitzt, der ein Recht für sich in Anspruch genommen hat, das ihm nicht zukommt, und dieser Mann will sich mit der Prinzessin verheiraten.«

»Deine Anklage ist schwer«, sagte der König, »ich gelobte, demjenigen meine Tochter zu geben, der uns von dem Drachen befreit, und dieser Mann hat es vollbracht.«

»Den Drachen habe ich getötet«, sprach der Bursche.



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»Das ist nicht wahr«, schrie der Neger, »den Drachen tötete ich, und ich habe den Beweis erbracht.«

»Das stimmt«, sagte der König, »er hat uns die Köpfe gebracht.« Und der König befahl, die Köpfe zu bringen, und zeigte sie als Beweis.

»Seht nach, Königliche Majestät«, sagte der Kuhhirte, »ob die Köpfe, die der Neger brachte, auch Zungen haben.«

»Wirklich«, sagte der König, nachdem er sie untersucht hatte, »die Zungen sind herausgeschnitten.«

»Die Zungen«, sagte der Neger, »schnitt ich heraus und warf sie fort.«

»Die Zungen schnitt ich heraus, als ich den Drachen mit Hilfe meiner Hunde tötete«, sprach der junge Bursche, »und ich ließ das übrige liegen. Und als Beweis dafür sind hier die Zungen.«

Alle Anwesenden waren geneigt, dem Burschen recht zu geben, der König zögerte, und der Kuhhirt sagte:

»Es gibt noch einen anderen Beweis«, und indem er sich an die Tochter des Königs wandte, sagte er: »Prinzessin, was gabt Ihr dem Drachentöter zur Erinnerung, als der Drache starb, und zum Beweis Eurer Errettung?«

»Ich gab ihm meinen Ring mit dem königlichen Wappen«, sprach die Prinzessin.

»Nun, hier ist der Ring«, sagte der Kuhhirt und zeigte ihn vor; »jetzt mag Eure Königliche Majestät entscheiden.«

Der König wandte sich an die Wachen und sagte:

»Nehmt den Neger als falschen Thronjäger gefangen und werft ihn in einen Kerker, bis ich weiteres befehle.« Der Neger wollte sich verteidigen, als er alles verloren sah, doch gab man ihm nicht die Zeit dazu und band seine Ellbogen fest und brachte ihn in den Kerker. Da befahl der Kuhhirt den Hunden, das Essen wieder herbeizubringen, das sie fortgetragen hatten, und man begann das Mahl. Jetzt nahm er den Platz des Negers ein zur großen Zufriedenheit der Prinzessin, des Königs und aller Gäste. Man feierte die Hochzeit, und der gute Kuhhirt, der an seine arme Mutter dachte, wie sie so allein und ohne Geld lebte, ließ sie zu sich rufen.

Indessen befahl der König, den Neger an vier wilde Fohlen zu binden, damit sie ihn auseinanderrissen. Das tat man, und als die Fohlen



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auseinanderliefen, fielen die Eingeweide des Negers auf den Boden.

Am selben Tag noch kam die Mutter des Jungverheirateten, und als sie an dem Platz vorbeikam und die Eingeweide sah, fragte sie, von wem sie seien. Man erzählte ihr die Geschichte von dem Neger, und da sich ihr Groll gegen ihren Jungen immer noch nicht gelegt hatte, hob sie das Herz des Negers auf und steckte es zu sich.

Die trat in das Schloß, und nach dem Wiedersehen mit ihrem Sohn ging sie in sein Zimmer und zog das Herz heraus und legte es unter das Kopfkissen, auf die Seite, wo ihr Sohn schlief. Der Jungvermählte legte sich arglos zum Schlafen nieder, und am nächsten Morgen war er tot.

Niemand konnte verstehen, wie dies geschehen war, und die Prinzessin, die ihn sehr liebte, war untröstlich. Man trug ihn zu Grabe, und die Hunde, die nicht von der Seite der Leiche wichen, folgten ihm dahin. Als sich alle zurückgezogen hatten, begannen die Hunde, die Erde wegzuscharren, und holten den Toten heraus. Dann verwandeln die Hunde sich in Engel, und der Bursche wird wieder lebendig. Sie erzählen ihm, was man ihm angetan hat, und sagen ihm, vor wem er sich in acht nehmen müsse.

»Wir sind drei Engel, die dich geleitet haben. Du bist jetzt glücklich, und wir können dich verlassen. Geh in dein Schloß und tu weiter Gutes, wie du es bisher getan hast.«

Die Engel segneten ihn und verschwinden; er kehrt in sein Schloß zurück, und alle sind sehr erstaunt. Er schickte seine Mutter nach Haus zurück und gab ihr zu essen ihr Leben lang. Und er lebte viele Jahre glücklich zusammen mit seiner Frau und seinen Kindern.


Der weiße Papagei

Es war einmal ein reicher Graf, der liebte ein junges Mädchen, das war arm, aber wunderschön, und er liebte sie so sehr, daß er sie heiratete. Es geschah aber, daß bald darauf ein Krieg ausbrach und der Graf fort mußte. Da gab er die Gräfin, die schwanger war, in die Obhut eines Haushofmeisters, dem er sehr vertraute, und beauftragte ihn damit, ihn zu benachrichtigen, sobald die Gräfin ein Kind



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geboren habe. Der Graf brach auf, und der Haushofmeister, der in seine Herrin verliebt war, erklärte ihr bald darauf, wie sehr er sie liebe. Doch die Gräfin wies ihn empört ab und drohte damit, es ihrem Gatten zu erzählen, wenn er sie weiter belästige. Als der Haushofmeister sich so von ihr zurückgestoßen sah, verbarg er seinen Zorn und beschloß, sich zu rächen. Die Zeit verstrich, und die Gräfin brachte einen Knaben und ein Mädchen zur Welt. Beide hatten einen Stern auf der Stirn.

Da schrieb der Haushofmeister dem Grafen und sagte ihm, daß er schon seit längerer Zeit den Argwohn habe, daß die Gräfin in engeren Beziehungen zu einem Negersklaven stehe, doch daß er dies seinem Herrn nicht eher habe schreiben wollen, aus Furcht, vielleicht zu irren. Unglückseligerweise habe sich sein Argwohn aber jetzt als wahr erwiesen, da die Gräfin einen Negerjungen und ein Negermädchen zur Welt gebracht habe, wie der Graf selber sehen könnte, wenn er aus dem Krieg zurückkäme.

Als der Graf den Brief gelesen hatte, wollte er sogleich auf seine Burg eilen; doch da er das Heer nicht verlassen konnte und sehr zornig war und dem Haushofmeister so sehr vertraute, daß er alles glaubte, was dieser ihm schrieb, befahl er, den Neger und die Kinder zu töten und die Gräfin einzukerkern. Doch der Haushofmeister wagte nicht, die Kinder zu töten, und er ließ einen gläsernen Kasten machen; da legte er sie hinein und warf sie in den Fluß. Dann ließ er die Gräfin einkerkern und entschuldigte sich damit, daß sein Herr dies befohlen habe.

Nun geschah es, daß ein alter Mann, der dort gerade fischte, sah, wie etwas Glänzendes, einem Kasten Ähnliches flußabwärts trieb. Er wollte wissen, was es sei, und als er das Netz auswarf, zog er den Kasten heraus und staunte nicht wenig, als er die wunderschönen Kinder darin erblickte. Er brachte sie nach Haus, und mit seiner Frau zusammen zog er nun die Kinder auf, so gut er konnte, und band ihnen ein Tuch um die Stirn, damit die Sterne, die sie hatten, nicht die Aufmerksamkeit hervorriefen. Als die Kinder größer wurden, befahl er ihnen, auf die Frage, weswegen sie die Binde trügen, zu antworten, sie hätten eine Wunde.

Da die armen Leute schon sehr alt waren, starben sie nach einigen Jahren und hinterließen den Kindern das Wenige, was sie besaßen.



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Sie hatten ihnen anvertraut, wie sie sie gefunden hatten und ihnen geraten, die Binde nicht eher abzunehmen, bis sie wüßten, wer ihre Eltern seien. Denn die wären sicherlich reich, nach den Tüchern zu urteilen, in die sie gewickelt waren und die sie in dem gläsernen Kasten, in dem die Kinder gelegen hätten, aufbewahrten.

Nun gut; obwohl der Graf, der schon lange Zeit aus dem Krieg zurückgekehrt war, nichts argwöhnte, so war doch dem Haushofmeister nicht ganz wohl zumute, und er stellte dauernd Nachforschungen nach den Kindern an. Und da er ahnte, daß es die mit der Binde waren, obwohl sie für die Kinder des Fischers galten, befahl er einer Alten, sie aus der Welt zu schaffen.

Die Alte, die eine Hexe und zu allem fähig war, wenn man sie gut bezahlte, paßte die Gelegenheit ab, als die Schwester allein war, und kam ans Haus.

»Guten Tag, liebes Mädchen. Was macht denn dein Brüderchen?«

»Er ist nicht zu Haus, er ist nach draußen gegangen.«

»Ei, was für ein wunderschönes Haus hast du.«

»Wollt Ihr es sehen? Kommt nur herein.«

Die Alte, die das nur wollte, ließ sich nicht weiter bitten und trat ein. Das Mädchen zeigte ihr alles, und als die Alte den Hof sah, sagte sie:

»Dieser Hof ist sehr schön, aber es fehlt eine Quelle mit Silberwasser darin. Wenn dein Brüderchen will, so braucht er nur da und da hinzugehen und aus einer Quelle, die sich dort befindet, einen kleinen Krug voll Wasser zu holen und es hier auf den Hof zu gießen, dann wird sogleich eine Quelle entstehen.«

Die Alte ging fort, und kaum war der Bruder gekommen, erzählte das Mädchen ihm, was die Alte ihr gesagt hatte, und bat ihn, das Wasser zu holen, denn sie wollte so gern eine Quelle haben.

»Geh mir mit diesem Unsinn!«sagte der Knabe. »Was brauchen wir so etwas? Ich gehe nicht dahin.«

Doch das Mädchen brach in Weinen aus, und da er sie sehr liebte, versprach er schließlich, ihr einen Krug voll Wasser zu holen.

Der Knabe brach auf und ging nach dem Ort, den die Alte genannt hatte, und mitten auf dem Weg traf er ein altes Väterchen, das sprach zu ihm:

»Hör, Knabe, wer will dir so bös, daß er dich hierher schickt?«



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»Ihr müßt wissen«, antwortete der Knabe, »daß ich dahinten hingehen will, denn eine Alte hat meiner kleinen Schwester gesagt, daß dort eine Quelle mit Silberwasser ist, und wenn man davon einen Krug voll holt und das Wasser in den Hof unseres Hauses gießt, dort auch eine Quelle entsteht.«

»Nun hör, das alles ist wahr, aber um das Wasser zu holen, muß man viele Gefahren bestehen, denn die Quelle wird von einem Löwen bewacht. Bevor du eintrittst, betrachte ihn dir genau: Wenn er die Augen geschlossen hat, nähere dich nicht, hat er sie aber offen, so schläft er. Dann hol das Wasser und springe weg, bevor er erwacht, denn er hat einen sehr leichten Schlaf.«

Nun also, der Knabe erreichte den Ort, den man ihm genannt hatte, und als er sah, daß der Löwe seine Augen geöffnet hatte, tat er so, wie der Alte ihm geheißen hatte, und holte seinen Krug voll Wasser. Als er dann zu Hause ankam, goß er das Wasser auf den Hof, und sogleich entstand eine große Quelle mit Silberwasser, die war wunderschön, und es war eine Lust, sie anzusehen. Da war die Schwester ganz außer sich vor Freude.

Am nächsten Tag kam die Alte wieder und fragte:

»Und was macht dein Brüderchen?«

»Er ist nicht hier, doch kommt herein und seht die schöne Quelle, die wir haben.«

Die Alte trat ein, und als sie die Quelle erblickte, biß sie sich vor Wut auf die Lippen, und als sie hörte, wie der Knabe der Falle entkommen war, sagte sie:

»Höre, es gibt da auch noch eine Eiche, deren Eicheln aus Silber und deren Eichelkelche aus Gold sind. Wenn dein Bruder einen kleinen Zweig davon herbringt und ihn auf den Hof legt, so wird daraus eine prächtige Eiche entstehen.«

Die Alte ging fort, und kaum war der Bruder zurückgekehrt, erzählte das Mädchen ihm, was sie ihr gesagt hatte und bat ihn, er sollte doch hingehen und einen kleinen Zweig abschneiden.

»Nein«, sagte der Bruder, »ich gehe nicht, denn wir wissen nicht, was mir dabei zustoßen kann.«Aber die Schwester brach in Weinen aus, und da versprach er, wieder hinzugehen.

Er brach auf, und unterwegs traf er den Alten, der fragte ihn, wohin er gehe. Da erzählte er ihm alles, und der Alte antwortete:



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»Nimm dieses Pferd, steig auf und reite zur Eiche. Bevor du absteigst, betrachte dir die Schlange, die sie bewacht. Hält sie den Kopf versteckt, so schläft sie; dann schneide den Zweig ab und eile hinweg.« «

Er stieg auf das Pferd und tat alles, wie der Alte ihm gesagt hatte: Die Schlange hatte den Kopf versteckt, da schnitt er den Zweig ab und stürzte davon. Er kam zu Hause an, und sobald er ihn auf den Hof legte, entstand eine prächtige Eiche, um die ihn alle beneideten. Als die Alte wiederkam und die Eiche sah, begann sie, innerlich vor Wut zu kochen, und sprach bei sich: >Wir wollen doch sehen, ob du noch einmal entkommst.<

»Höre«, sagte sie zu dem Mädchen, »jetzt, wo du die Quelle und die Eiche hast, fehlt dir noch ein Papagei. Ich weiß einen, der ist weiß und sehr wertvoll, und wer ihn fängt, wird sein Leben lang reich sein. Wenn dein Bruder dir den auch noch bringt, werdet ihr immer glücklich sein.«

»Gut, ich werde es ihm sagen«, antwortete die Schwester. Die Alte fing fort, und als der Bruder kam, erzählte sie ihm alles und bat ihn, er sollte doch den Papagei holen; aber der Bruder wollte es nicht und sagte, daß diese Launen ihm am Ende teuer zu stehen kommen würden. Doch das Mädchen weinte und bat so sehr, daß der Bruder schließlich sagte: »Gut, ich will dir den Gefallen tun und ihn holen, doch unter der Bedingung, daß es das letztemal ist, daß du mich um solche Dinge bittest.«

Das Mädchen versprach es ihm, und er machte sich auf die Suche nach dem Papagei. Mitten auf dem Weg begegnete er wieder dem alten Väterchen, das ihn fragte, wohin er gehe. Da erzählte er es ihm, und der Alte antwortete: »Höre, du mußt tun, was ich dir sage: Du kommst an einen herrlichen Garten, dort wirst du auf den Bäumen viele Vögel sehen. Komm keinem zu nahe, sondern warte ein Weilchen, denn dann wird ein sehr schöner weißer Papagei hervorkommen, der sich auf einem runden Stein niederläßt und sich etliche Male im Kreise herumdreht und sagt: >Ist keiner da, der mich greift? Ist keiner da, der mich packt? Nun, wenn keiner mich leiden mag, so soll man mich lassen, so soll man mich lassen.< Dann wird er den Kopf unter den Flügel stecken, und du kannst ihn greifen. Aber greif ihn nicht vorher, denn dann entkommt er, und du wirst in einen



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Stein verwandelt und dableiben müssen wie alle die, die vor dir hingegangen sind.«

Nun also, der Knabe ging hin, und als er da war, fand er einen Garten, der war voller Bäume, um die viele schöne Vögel flatterten, und unten auf dem Boden sah man Statuen aus Stein. Nachdem er dies alles eine Weile betrachtet hatte, sah er einen weißen Papagei hervorkommen, der war so schön, wie es keinen zweiten gab. Er flog auf einen runden Stein, der in der Mitte stand, und ließ sich dort nieder, schüttelte sich und sagte: »Ist keiner da, der mich greift? Ist keiner da, der mich packt? Nun, wenn mich keiner leiden mag, so soll man mich lassen, so soll man mich lassen.«

Und er begann, sich etliche Male im Kreise herumzudrehen, und dann steckte er den Kopf unter den Flügel. Da der Knabe fürchtete, daß er ihm entkommen könnte, faßte er ihn an, bevor er den Kopf ganz versteckt hatte, und so geschah es, daß der Papagei ihn sah und fortflog und das Kind in einen Stein verwandelt wurde.

Als das Mädchen merkte, daß ihr Brüderlein nicht zurückkam, fürchtete sie, daß ihm ein Unglück zugestoßen war, und sie begann zu weinen und sprach sich selber die Schuld zu an dem, was ihrem Bruder widerfahren war. Und als die Alte kam und sie besuchte, fand sie das Mädchen in Tränen aufgelöst. Sie erzählte ihr, daß ihr Bruder nicht zurückgekehrt und ihm sicherlich ein Unglück zugestoßen sei. Die Alte verbarg ihre Freude und tröstete sie und sagte, sie solle sich keinen Kummer machen, es sei ihm sicherlich nichts geschehen. »Es ist gut möglich«, sagte sie, »daß er ganz entzückt von dem Schönen dort ist und noch nicht wieder fortgehen mag. Das beste, was du tun kannst, ist, selbst hinzugehen und nachzusehen, was geschehen ist und deinen Bruder zu holen; vielleicht hat er auch nur den Weg vergessen.«

Nun, die Alte überredete also das Mädchen endlich, das sehnlich etwas über ihren Bruder wissen wollte, und so brach es auf, um ihn zu suchen. Sie ging weiter und immer weiter, bis sie auf dem Weg denselben Alten sah, den ihr Bruder getroffen hatte.

»Wer will dir so bös, Mädchen, daß er dich hierherschickt?«

»Ach, Herr, ich bin auf der Suche nach meinem Brüderchen, das hier vorbeigegangen ist, um einen Papagei zu holen, und der noch nicht wieder zurückgekommen ist.«



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»Nun, höre denn, dein Bruder ist in einen Stein verwandelt, weil er nicht getan hat, was ich ihm sagte. Doch sei nicht traurig darüber, denn du kannst ihn retten, aber du mußt tun, was ich dir sage.« »Gut, ich werde es tun.«

»Sieh, du mußt hier entlanggehen; dann kommst du an einen Garten, wo dein Bruder ist, und wenn du einen schönen weißen Papagei hervorkommen siehst, der sagt: >Ist denn keiner da, der mich greift? Ist keiner da, der mich packt!<, dann wartest du, bis er zu sprechen aufhört und sich nicht mehr im Kreise herumdreht; dann wird er den Kopf unter dem Flügel verstecken. Dies ist der Vogel, den du suchst. Warte, bis er ganz stille steht, und wenn du siehst, daß er den Kopf unter dem Flügel hat, dann leg Hand an ihn und pack fest zu. Paß aber auf, daß du ihn nicht vorher greifst, denn dann wird dir dasselbe widerfahren wie deinem Bruder.«

Das Mädchen ging also los, nachdem sie sich bei dem Alten bedankt hatte, und ging dahin, wo der Garten war, und obwohl sie dort so viele schöne Dinge sah, kümmerte sie sich nicht darum. Da sah sie den weißen Papagei hervorkommen, der setzte sich auf den runden Stein, der von Statuen umgeben war, und schüttelte sich und sagte: »Ist keiner da, der mich greift? Ist keiner da, der mich packt? Nun, wenn mich keiner leiden mag, so soll man mich lassen, so soll man mich lassen.«

Und er begann, sich etliche Male im Kreise herumzudrehen, bis er müde wurde. Dann steckte er den Kopf unter den Flügel und blieb ruhig. Da faßte ihn das Mädchen, das ihn genau beobachtet hatte, an und griff ihn.

In diesem Augenblick begannen alle die steinernen Statuen, die auf dem Hof standen, sich zu bewegen und Leben zu bekommen, denn es waren lauter Herren, die versucht hatten, den Papagei zu fangen und ihn nicht bekommen hatten. Unter ihnen war der Bruder und auch der Vater der Kinder, den sie nicht erkannten. Alle bedankten sich bei dem Mädchen, das sie aus der Verzauberung erlöst hatte, und die Geschwister luden die Herren ein, bei ihnen zu essen.

Sie nahmen die Einladung an und kamen zu den beiden ins Haus. Während man das Essen bereitete, erzählte der Bruder den Gästen seine Geschichte und erklärte, daß er und seine Schwester nicht wüßten, wer ihre Eltern seien, doch daß sie die Hoffnung hätten,



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sie eines Tages zu finden, denn sie besäßen noch den kleinen gläsernen Kasten, in den man sie gelegt hatte, und die Tücher, in die sie gewickelt waren.

Auf Bitten der Gäste holte er die Tücher hervor, und nicht wenig staunte der Graf, als er sein Wappenschild darin gestickt sah. Der wußte natürlich nicht, was er von all dem denken sollte, und er hätte wohl gewünscht, daß dies seine Kinder wären. Aber da der Haushofmeister ihm versichert hatte, daß die Gräfin zwei Negerkinder zur Welt gebracht hatte, wußte er nicht, was er sagen und was er denken sollte. Da kam das Mädchen und bat die Gäste zum Essen. Der Graf, der ganz und gar in seine Gedanken vertieft war, aß nichts, und der Papagei, der sich immer bei dem Mädchen aufhielt, wandte sich an den Grafen und sagte:

»Sehr nachdenklich bist du, Graf. Wenn du wissen willst, was wahr an dem ist, was du denkst, so hol deine Frau aus dem Kerker hervor. Sie wird sagen können, wer ihre Kinder sind.«

Der Graf ging nach Hause und befahl, die Gräfin herauszuholen, die ihm alles erzählte, was geschehen war, und sagte, daß man ihre Kinder an den Sternen erkennen könne, die sie auf der Stirn hätten. Und der Graf, der an die Tücher der Kinder dachte und an die Binde, die sie um die Stirn trugen, und an das, was der Papagei ihm gesagt hatte, ließ sie auf die Burg kommen. Sobald die Gräfin die Kinder erblickte, erkannte sie sie, nahm ihnen die Binden ab und zeigte die Kinder dem Grafen, der sie außer sich vor Freude umarmte. Nun war er überzeugt von der Gemeinheit, die der Haushofmeister begangen hatte, und befahl, ihn zu töten. Die Alte, die erfahren hatte, was geschehen war, fürchtete, daß ihrer dasselbe harre und suchte das Weite.

Der Graf und die Gräfin lebten glücklich ihr Leben lang mit ihren Kindern, die sich niemals von ihrem weißen Papagei trennten.


Der Zaubermeister

Es war einmal ein junger Bursche, dessen Eltern beschlossen, ihn nach Salamanca zu bringen und bei einem Zaubermeister in die Lehre zu geben.



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Als der Vater des Burschen den Meister fragte, wieviel er für die Ausbildung seines Sohnes haben wollte, antwortete er.

»Kommt in einem Jahr wieder her und holt Euren Sohn; wenn Ihr ihn erkennt, will ich nichts von Euch haben, sonst aber behalte ich ihn für immer.«

»Den Vorschlag nehme ich an.«

Und der Vater sprach bei sich:

>Wie sollte ich meinen Sohn nicht wiedererkennen?<

Als das Jahr verstrichen war, machte der Vater sich auf den Weg, um seinen Sohn zu holen. Unterwegs stieß er auf eine Alte, die fragte ihn, was er dort suche.

Der Vater erzählte ihr alles.

Da sagte die Alte:

»Wenn du in das Haus des Zaubermeisters kommst, werden dir viele schwarze Hunde bellend entgegenspringen; derjenige, der dir am nächsten kommt, ist dein Sohn.«

Und so, wie die Alte gesagt hatte, geschah es. Der Vater sah sich von schwarzen Hunden umringt, die ihn wütend anbellten. Und der Zaubermeister fragte ihn:

»Welcher von diesen Hunden ist Euer Sohn?«

»Dieser hier, der mir am nächsten ist.«

»So nehmt ihn mit Euch, Ihr wißt schon mehr als ich.«

Der Vater und der Sohn verließen sehr zufrieden das Haus des Zaubermeisters, und als sie über eine Straße gingen, sprach der Bursche zu seinem Vater: »Ich will mich jetzt in eine Taube verwandeln und ein wenig über diesem Dorf hin und her fliegen.«

Und das tat er. Und am nächsten Tag ging der Bursche mit seinem Vater auf das Feld. Dort sah er zwei Jäger, und er sagte:

»Ich will mich jetzt in einen Windhund verwandeln und einen Hasen fangen. Dann werden die Jäger mich kaufen wollen; verlangt für mich hundert Dukaten. Doch ist bei dem Kauf das Halsband nicht eingeschlossen, denn wenn Ihr das mit verkauft, werde ich mein Leben lang ein Hund bleiben müssen.«

Die Jäger kamen und kauften den Windhund. Und nach einer halben Stunde verwandelte er sich in einen Menschen.

Als die Jäger merkten, daß der Windhund verschwunden war, begannen sie überall zu suchen und fragten den Burschen:



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»Habt Ihr hier einen Windhund vorbeilaufen sehen?«

»Ja! Dort läuft er doch! Dort läuft er doch!«

Und der Bursche zeigte in die entgegengesetzte Richtung des Weges, auf dem er und sein Vater gingen.

Danach besuchten sie einen Markt, und der Bursche sprach: »Vater, ich will mich jetzt in ein Pferd verwandeln, das Ihr verkaufen sollt; aber ohne den Zügel, denn wenn Ihr den mit verkauft, werde ich mein Leben lang ein Pferd bleiben.«

Als der Vater das Pferd verhandeln wollte, erschien plötzlich der Zaubermeister verkleidet und fragte nach dem Preis. Der Vater nannte ihn. Doch bevor er »ohne den Zügel«dabei gesagt hatte, war der Meister schon auf das Pferd gestiegen und im schnellen Galopp davongeeilt.

Sobald er zu Hause ankam, sagte er zu den Dienern:

»Führt dieses Pferd in einen Wald und gebt ihm dort so viel Hiebe, bis es stirbt.«

Als sie beim Durchhauen waren, kam die Alte, die vorher den Vater des Burschen getroffen hatte, und sprach zu ihnen:

»Armes Pferd! Wie könnt ihr nur den Mut haben, es so zu quälen? Nehmt ihm den Zügel ab, damit es sich ein wenig verschnauft.« Sie nahmen den Zügel ab, und das Pferd verwandelte sich in eine Forelle. Da verwandelte sich der Zaubermeister in eine Schlange und. verfolgte sie im Fluß.

Als die Forelle ihren Verfolger ganz nahe sah, verwandelte sie sich in eine Taube und flog hoch in die Luft.

Sogleich verwandelte sich die Schlange in einen Raben und flog hinter ihr her. Doch die Taube schlüpfte durch die Fenster eines Schlosses und machte halt in einem Gemach, in dem ein Edelfräulein auf Befehl ihres Vaters hinter sieben Schlössern eingeschlossen war. Dort nahm die Taube menschliche Gestalt an.

Das Edelfräulein war über das Erscheinen des Burschen sehr froh. Und als die Dienerinnen ihr das Essen brachten, steckte sie den Burschen, der sich in einen Ring verwandelt hatte, an ihren Finger und ließ die Hälfte des Essens für ihn übrig; das aß er, als sie allein waren.

Und wenn sie hinausging und einen Spaziergang machte, nahm sie ihn als Ring mit sich, denn anders konnte sie ihn nicht mit sich führen,



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weil sie stets von Wärterinnen begleitet wurde. Und sie küßte den Ring immerzu.

Nach kurzer Zeit sah das Edelfräulein von Tag zu Tag müder und bleicher aus. Da ließ der Vater die besten Ärzte der Gegend zu sich rufen, und alle sagten, seine Tochter sei schwanger.

Der Vater wollte es nicht glauben und ließ andere Ärzte zu sich rufen. Unter ihnen war auch der Zaubermeister, und der sagte:

»Ich bin ein berühmter Arzt; wenn Ihr mir den Ring gebt, den Eure Tochter trägt, heile ich die Krankheit, an der sie leidet.«

Der Vater setzte seine Tochter in Kenntnis von dem, was der Arzt gesagt hatte. Und sie erzählte es wiederum dem Burschen. Der sprach:

»Wenn du ihm den Ring gibst, läßt du ihn auf den Boden fallen und sagst: Der Teufel behüte den Ring! Dann wird er in zwölf Stücke zerbrechen. Auf eines von ihnen mußt du sofort deinen Fuß setzen.«

Das Edelfräulein tat, wie der Bursche ihr gesagt hatte. Kaum hatte der Zaubermeister die zwölf Teile des Ringes erblickt, ließ er zwölf Küken erstehen, damit jedes einen Teil aufpickte. Da das junge Mädchen aber eines unter ihrem Fuß festhielt, bekam das eine Küken nicht den Teil, der ihm zustand, und starb.

Und das Küken, das starb, war der Zaubermeister.

Nach einigen Tagen heiratete der Bursche das Edelfräulein, und sie wurden beide glücklich.


Die drei Ratschläge

Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die waren sehr arm und fanden nirgends Arbeit. Da ging der Mann in ein anderes Dorf, um Arbeit zu suchen, und ließ seine Frau schwanger zurück. Die arme versuchte nun, als Waschfrau ihr Brot zu verdienen. Und da der Mann nicht schrieb und auch nichts von sich hören ließ, glaubte die Frau, daß er nicht mehr zurückkäme. Sie brachte einen Sohn zur Welt, und als der alt genug war, studierte er fleißig und wollte Pfarrer werden.

Der Mann fand indes Arbeit im Hause eines guten Herrn und diente



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ihm viele Jahre. Nach zwanzig Dienstjahren sagte er zu seinem Herrn, er wolle nach Haus zurückkehren und seine Frau und das Kind sehen, das er vielleicht habe. Und der Herr sagte darauf zu ihm: »Warum hast du mir denn nicht erzählt, daß du eine Frau hast? Hast du auch Kinder?«Und der Mann antwortete: »Herr, das weiß ich nicht. Als ich fortzog, ließ ich meine Frau schwanger zurück, und so weiß ich nicht, ob ich ein Kind habe oder nicht.« Und der Herr sagte zu ihm: »Es dünkt mich gut, daß du deine Frau aufsuchen willst.«Und er holte ein Brot hervor und sagte: »Nimm dieses Brot und teile es, wenn dir eine sehr große Freude widerfährt. Und ich will dir auch noch drei Ratschläge geben: Erstens: Weiche nie vom Pfade ab, sondern geh immer den geraden Weg; zweitens: Wenn du in ein Gasthaus gehst, so frage nicht nach Dingen, die dich nichts angehen; und drittens: Wenn dir in den Kopf kommt, etwas Schlechtes zu tun, so bedenk es vorher dreimal.«

Nun gut; er nahm also Abschied von seinem Herrn und schlug den Weg nach seinem Dorf ein. Und als er eine kurze Strecke gewandert war, traf er auf drei Reisende, die sagten zu ihm: »Wohin geht Ihr?« Und er antwortete: »Ich will in jenes Dorf dort.«

»Das trifft sich ja gut«, sagten sie, »dann können wir alle zusammen gehen.«Und bald darauf sagte einer von ihnen: »Laßt uns jenen Pfad nehmen, dann sind wir schneller dort.«Doch er sagte: »Ich gehe diesen geraden Weg weiter, und wenn ich eher eintreffe als ihr, bestelle ich schon für uns alle das Essen im Wirtshaus.« Und die drei schlugen den Seitenpfad ein, und er ging geradenwegs weiter. Und er kam als erster im Wirtshaus an und sagte dem Wirt, er möchte Essen für vier bereiten, denn die drei anderen kämen gleich nach. Und während er sich noch am Feuer wärmte, stürzten plötzlich die drei herein und sagten: »Ihr tatet gut daran, daß Ihr nicht mit uns den Pfad eingeschlagen habt, denn eine Schar Räuber hat uns überfallen und uns das ganze Geld, das wir bei uns hatten, gestohlen.« Da sagte er: »Als gut hat sich der erste Rat meines Herrn erwiesen.«Und sie begannen zu essen, und er bezahlte dann die Rechnung. Und am nächsten Morgen machten sie sich nach dem Frühstück wieder auf den Weg. Und am Nachmittag kam er wieder an ein Wirtshaus, wo er um Unterkunft für die Nacht bat. Man sagte ihm, er solle hereinkommen. Und er ging hinein, und man brachte ihm das Essen. Und nach dem



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Essen fragte er: »Wo dachtet Ihr, daß ich schlafen soll?« Und der Wirt antwortete ihm: »Auf einer dieser Bänke könnt Ihr schlafen.« Er sagte nichts darauf und legte sich hin. Und um Mitternacht kam der Wirt mit einem Mann herein, der bestand fast nur aus Haut und Knochen; in einer Hirnschale stellte der Wirt ihm das Essen hin, und zu trinken reichte er ihm in einer anderen Hirnschale. Das alles sah er genau, doch schwieg er, denn er dachte an den zweiten Ratschlag seines Herrn. Und nach einiger Zeit fragte ihn der Wirt: »Schlaft Ihr?« — »Nein«, antwortete der Mann. — »Habt Ihr gesehen, mit wem ich hereingekommen bin?« — »Ja, ich habe alles gesehen.« »Und warum habt Ihr nichts gesagt?« — »Weil ich mich nicht um Dinge kümmere, die mich nicht betreffen noch angehen.« Da sagte der Wirt: »Jetzt will ich Euch einmal etwas erzählen. Hierher führen wir immer die Leute; und wenn einer fragt, warum ich diesen dürren Alten hereinbringe und ihm in einer Hirnschale zu essen und in einer anderen zu trinken gebe, so töten wir ihn und schmeißen ihn dort in den Keller.« Und der Wirt zeigte ihm den Keller, der war voller Leichen. Da wünschte er sich weit weg von diesem Wirtshaus. Endlich wurde es Tag; man gab ihm das Frühstück, und er bedankte sich bei dem Wirt und machte sich eilig davon.

Er erreichte sein Dorf und fragte gleich nach seiner Frau. Man sagte ihm: »Dort im Hause des Herrn Pfarrers wohnt die Frau.«Und sogleich dachte er: >Wie ist denn das nur möglich, daß meine Frau im Haus des Pfarrers wohnt?<Und er ging hin und bat um Unterkunft für die Nacht; man sagte ihm, er solle hereinkommen. Und abends riefen die beiden ihn zum Essen, und er aß mit ihnen. Und da sie ihn nicht erkannten, sagte er nichts. Nach dem Essen gingen die beiden schlafen. Und seine Frau und der Pfarrer verschwanden in demselben Zimmer, und da denkt er: >Nun sieh einer an, meine Frau geht mit dem Pfarrer schlafen!< Und die Versuchung packte ihn, in das Zimmer einzudringen und die beiden zu töten. Da fiel ihm der dritte Rat seines Herrn ein, und er sprach bei sich: >Nein, ich will lieber zu Bett gehen.< Doch er konnte nicht schlafen, und nach einem Augenblick stand er wieder auf und sagte: >Nein, ich will sie aufsuchen und sie beide töten.<Da dachte er wieder an den Rat und legte sich hin. Und eine kleine Weile schlief er auch. Aber dann erwachte er plötzlich wieder und sagte: >Jetzt will ich sie aber doch töten!<



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Und er stand auf und wollte schon losgehen, da sagte er: >Nein, mein Herr hat gesagt, bevor ich etwas Böses tue, soll ich es dreimal bedenken.< Und wieder legte er sich hin. Und dann schlief er auch ein, und als er aufwachte, war es Tag.

Er stand auf und ging in das Eßzimmer und hörte seine Frau zu dem Pfarrer sagen: »Komm zum Essen, mein Sohn, das Frühstück steht auf dem Tisch. Und eßt mit uns, lieber Herr.« Da ging der Vater zu ihm hin und umarmte seinen Sohn und sagte: »Ich bin dein Vater.« Und zu der Frau sagte er: »Ich bin dein Mann.« Und dann erzählte er ihnen alles, was ihm auf dem Weg begegnet war, und seiner Frau gab er das Brot, das er von seinem Herrn hatte und teilen sollte, wenn ihm eine große Freude widerführe. Und seine Frau teilte es, und da fielen eine Menge Goldtaler auf den Boden.


Die Waschfrau

Es waren einmal eine Mutter und eine Tochter, die verdienten ihr Brot damit, daß sie die Wäsche für ihre Nachbarinnen wuschen. Die Tochter war sehr schön, und der Mutter tat es leid, daß sie waschen mußte, aber da sie nicht wußte, wovon sie sonst leben sollten, sah sie es mit an, daß das Mädchen ihr half. Und wenn sie mit der Wäsche fertig waren, gingen sie hinaus und sammelten Reisig, das sie nach Hause trugen, um die andere Wäsche zu kochen. Eines Tages, als sie noch bei der Wäsche waren, ging der Krämer vorbei, blieb stehen und sagte:

»Donnerwetter, wie riecht es hier nach Chinarinde!«

Er blickte um sich und sah, daß der Geruch, auf den er aufmerksam geworden war, von dem Holz kam, das man verbrannte.

Er trat in das Haus ein und sagte:

»Was macht ihr denn da, liebe Nachbarinnen?«

»Was sollen wir schon machen! Wir plagen uns zu Tode, um nicht Hungers zu sterben. Den Armen bleibt nichts anderes übrig, als zu arbeiten, wenn sie essen wollen.«

»Wer hat euch denn das Holz gebracht?«

»Wir holen es selber, denn wenn wir es kaufen müßten, würde uns das Wäschegeld für das Holz draufgehen.«



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»Sagt mir doch: gibt es da noch mehr von diesem Holz?«

»Ja, Herr, sehr viel.«

»Gut, wenn ihr wollt, braucht ihr nicht mehr zu waschen. Ihr müßt nur jeden Tag ein Bündel von diesem Reisig sammeln und es zu mir bringen. Ich bezahle euch so viel dafür, daß ihr nicht mehr als eure eigene Wäsche zu waschen braucht.«

Und so geschah es. Mutter und Tochter gingen jeden Tag hinaus und sammelten ein Bündel Reisig; dann brachten sie es dem Krämer, ohne zu wissen, daß es Chinarinde war, und der bezahlte ihnen dafür das, was er für richtig hielt. Und sie waren sehr zufrieden.

Eines Tages, als sie draußen waren, ging die Tochter ein wenig vom Weg ab und verirrte sich in dem Wald; und als sie zufällig einen Zweig abbrach, öffnete sich plötzlich die Erde, und es kam ein großer Neger heraus, der blieb stehen und betrachtete sie. Sie erschrak und wollte fliehen, doch als der Neger sah, wie schön sie war, faßte er sie am Arm und zog sie mit sich in die Erde.

Als die arme Mutter ihr Kind vermißte, begann sie laut zu rufen und durchsuchte alles weit und breit. Doch soviel sie auch suchte, sie konnte das Mädchen nicht finden und mußte ohne sie traurig nach Haus gehen. Sicherlich hatte ein wildes Tier sie gefressen.

Nun wollen wir sehen, was mit der Tochter indessen geschah: Als sie die Hände des Negers fühlte, wurde sie ohnmächtig, und wie sie wieder zu sich kam, befand sie sich in einem prunkvoll eingerichteten Saal. Der Neger, der dort war, sagte ihr, sie solle nicht weinen, denn er werde ihr kein Leid antun, im Gegenteil, sie solle hier die Herrin sein, und sie brauche nichts weiter zu tun als befehlen. Wenn sie nur brav sei, würde sie auch glücklich werden.

Das Mädchen begann zu weinen und fragte, was aus ihrer Mutter ohne sie werden sollte, sie sei doch schon alt und werde Hungers sterben. Der Neger antwortete, sie brauche sich darüber keine Gedanken zu machen, denn der, der ihr zu essen gebe, würde schon dafür sorgen, daß es auch ihrer Mutter an nichts fehle.

Da es keinen anderen Ausweg gab, blieb sie, wo sie war, und da sie merkte, daß man sie gut behandelte und sie alles hatte, ergab sie sich allmählich in ihr Schicksal; und als sie eines Tages durch die Gemächer ging, sah sie, daß sie sich in einem wunderbaren Palast befand, in dem es alles gab, was man sich nur wünschen konnte.



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Der Neger deckte zur gewohnten Stunde den Tisch, und zum Schlafen hatte sie ein Gemach mit einem herrlichen Bett. Wenn sie nachmittags spazieren gehen wollte, so lustwandelte sie in einem Garten, in dem die verschiedensten Vögel und Blumen waren. So verstrich die Zeit, ohne daß sie jemand anders als den Neger sah. Nur nachts, wenn sie das Licht ausgelöscht hatte, legte sich jemand zu ihr, der wieder fortging, bevor es Tag wurde, so daß sie ihn niemals sehen konnte. Sie wußte nur, daß der, der mit ihr schlief, ein Mann war. Aber dann, als sie sich schwanger fühlte, sehnte sie sich nach ihrer Mutter, und sie sagte es dem Neger, der der einzige war, mit dem sie sprechen konnte; doch der Neger erklärte ihr, sie dürfe nicht fortgehen. Sie bat nun so sehr, daß der Neger schließlich sagte, es sei gut, sie solle gehen, doch nur unter der Bedingung, daß sie nicht mehr als vierundzwanzig Stunden fortbleibe und niemandem erzähle, was hier geschehe, soviel man sie auch fragen möge; sollte sie es dennoch tun, würde es ihr Verderben sein.

Sie versprach alles, und dann brachte sie der Neger ar die Stelle, wo sie damals den Zweig abgebrochen hatte.

Sie machte sich auf den Weg und kam zu Hause an, wo die Mutter vor Freude außer sich geriet, als sie ihre Tochter wiedersah. Doch die erklärte, daß sie nur für vierundzwanzig Stunden gekommen sei und daß sie dann unter allen Umständen wieder fortgehen müsse, denn sie sei nur hier, um die Mutter einmal wiederzusehen. Die Mutter fragte sie, wo sie denn solange gewesen sei, doch sie antwortete, dies könne sie nicht sagen, es sei ein Geheimnis, und sie könne ihr nur sagen, daß sie sehr gut aufgehoben sei und es ihr an nichts fehle.

Dann kam die Großmutter, die war sehr alt und umarmte sie wieder und wieder und stellte ihr immer neue Fragen, doch antwortete sie ihr ebenso wie ihrer Mutter. Da die Alten ja aber nun einmal so beharrlich sind, drang die Großmutter mit Fragen so sehr in sie, daß ihr das Mädchen schließlich alles erzählte, was sie erlebt hatte.

»Hör, mein Kind«, sagte die Großmutter, »nimm diese kleine Kerze und dieses Streichholz. Wenn du merkst, daß er eingeschlafen ist, zünde die Kerze an, damit du sehen kannst, ob der Neger oder ein anderer bei dir schläft.«

Nun, so geschah es. Sie nahm ihre kleine Kerze und ihr Streichholz,



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steckte es in die Tasche und machte sich auf den Weg nach dem Schloß. Als sie im Wald an den Platz kam, griff sie nach dem Zweig; sogleich kam der Neger heraus, der sie anfaßte und hineinzog. In ihrem Zimmer fragte der Neger sie, ob man ihr irgendeinen Rat gegeben habe. Sie aber antwortete, nein, man habe ihr nichts gesagt. »Hör«, sagte der Neger zu ihr, »wenn du einen Rat bekommen hast, sag ihn mir, denn ich weiß, ob du ihn befolgen darfst oder nicht. Nicht lange dauert es mehr, und du bist gerettet; wenn du ihn mir aber nicht sagst und es etwas ist, was du nicht tun darfst, und du es doch tust, so muß ich dich töten, wie ich schon andere getötet habe, die vor dir hier gewesen sind.« Das Mädchen versicherte ihm: nein, und legte sich schlafen.

Um Mitternacht aber, als sie merkte, daß der, der bei ihr lag, eingeschlafen war, zog sie ihr Hölzchen heraus und steckte ihre Kerze an; da sah sie einen wunderschönen Jüngling neben sich liegen, der herrlich anzusehen war. Da er auf dem Rücken lag, bemerkte sie, daß er auf seiner Brust einen Spiegel trug, und sie beugte sich über ihn, um hineinzuschauen. Da sah sie einen großen Saal, in dem sechs Frauen an einer Ausstattung für ein kleines Kind nähten und stickten. Sie betrachtete dieses Bild voller Entzücken, und sie bemerkte nicht, daß ein Wachstropfen an der Kerze entlanglief und auf die Brust des Jünglings fiel, der von der Hitze des Tropfens erwachte und ausrief:

»Weh, Unglückselige, nun hast du meine Verzauberung erneuert!«

Und mit diesen Worten verschwand er, und sie war allein.

Da hörte man eine Stimme, die rief:

»Töte sie, Neger! Töte sie, Neger!«

Der Neger kam herein, um sie zu töten, und sie brach in Weinen aus und sagte, sie habe das getan, weil ihr Großmütterchen es ihr gesagt habe, doch man möchte ihr verzeihen, denn sie wolle es nie wieder tun. Der Neger, der sie gern hatte, bekam Mitleid mit ihr, und er sprach:

»Hab ich dir nicht gesagt, du solltest mir erzählen, wenn man dir einen Rat gegeben hat? Hättest du es getan, so wärst du jetzt nicht in dieser Lage. Ich müßte dich töten, doch tu ich es nicht: Was du unter deinem Herzen trägst, bewahrt dich davor; aber hier kannst du auch nicht bleiben, du mußt fortgehen. Nimm diese beiden



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Knäuel Garn, und wenn du hinausgehst, befestige das eine Ende an dem Zweig, den du abbrechen wolltest, und dann mach dich auf den Weg, und da, wo der Knäuel zu Ende ist, verbringst du die Nacht. Am nächsten Tag knüpfe das Ende an den anderen Knäuel und mach dich auf den Weg, und wo das Garn zu Ende ist, dort verbringst du wieder die Nacht.«

Nun also, das arme Mädchen nahm ihre beiden Knäuel und befestigte beim Hinausgehen den einen an dem Zweig, den der Neger ihr genannt hatte, und machte sich auf den Weg und ging weiter und immer weiter, und da das Garn sehr lang war, brach die Nacht herein, bevor sie das Ende hatte; und es blieb ihr nichts anderes übrig, als sich auf das Gras hinzulegen und dort zu schlafen. Als der Morgen dämmerte, knüpfte sie beide Knäuel zusammen und setzte ihren Weg fort und bat den lieben Gott, er möchte sie doch eine Hütte oder ein Haus finden lassen, wo sie die Nacht verbringen könnte, damit sie nicht wieder auf freiem Feld schlafen müsse. Als der Knäuel zu Ende war, stand sie gerade einem Gebäude gegenüber, das wie ein Schloß aussah. Und sie trat ein und erfuhr, daß dies das Sommerschloß der Königin sei, die sich dort für eine Zeitlang niedergelassen hatte.

Sie bat, man möchte die Königin fragen, ob sie ihr erlauben würde, die Nacht im Schloß zu verbringen, um nicht auf freiem Feld schlafen zu müssen, denn sie sei krank. Die Königin sagte ja und befahl, ihr ein gutes Abendessen und ein schönes Bett zum Schlafen zurechtzumachen.

Am nächsten Tag, als die Königin sah, wie schön und bescheiden sie war und ihren Zustand erkannte, hatte sie Mitleid mit ihr und sagte ihr, sie solle nicht eher von hier fortgehen, bis sie das Kind zur Welt gebracht habe. Da das arme Mädchen kein Zuhause hatte, bedankte sie sich bei der Königin und blieb bei ihr, doch wußte sie nicht, wie sie alles wiedergutmachen sollte, was die Königin für sie tat. Die Zeit verstrich, und sie gebar einen Knaben, der war so schön, daß es nicht zu beschreiben war. Die Königin hatte sie sehr ins Herz geschlossen, und wenn sie davon redete, wegzugehen, um ihr nicht lästig zu fallen, sagte sie immer wieder, daran dürfe sie nicht denken, auf keinen Fall dürfe sie von ihr gehen, um so weniger, da der Knabe mit einem Sohn von ihr, der verzaubert sei, eine so große Ähnlichkeit



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habe, daß sie ihn immer vor sich zu sehen glaube, wenn sie das Kind anschaue.

Als das Mädchen sah, wie gern die Königin sie hatte, mochte sie ihr nicht mehr widersprechen und gab nach, und so verging die Zeit, und die beiden wurden von Tag zu Tag immer bessere Freunde. Jeden Nachmittag, wenn sie gegessen hatten, nahm die Königin das junge Mädchen beim Arm, und sie gingen hinunter in den Garten. Und bei ihren Spaziergängen bemerkten sie, daß immer eine Taube heranflog und das Mädchen umkreiste. Eines Tages, als sie nicht in den Garten gingen, öffneten sie ein Fenster, und kurze Zeit darauf flog die Taube herein und an die Wiege des Kindes, auf der sie sich niedersetzte.

Das Mädchen stand auf und kam näher, um sie wegzuscheuchen; aber da es sah, daß sie ruhig sitzen blieb, ging es zu ihr, ergriff sie und sagte zu der Königin:

»Seht nur, welch schöne Taube.«

Die Königin nahm sie und begann, sie zu streicheln, doch als sie mit der Hand über ihren Kopf strich, bemerkte sie eine kleine Geschwulst und fragte:

»Weh! Was hat sie denn hier am Kopf?«

Das junge Mädchen nahm die Taube, und als sie die Federn auseinandermachte, sah sie, daß es eine Stecknadel war. Sie zog sie heraus, und dabei verwandelte sich die Taube in einen Jüngling, und in was für einen Jüngling! Als die Königin ihn sah, stieß sie einen Schrei aus und umarmte ihn mit den Worten:

»Hier ist mein Sohn, von dem ich dir sagte, daß er verzaubert sei.« »Ja, das bin ich«, sagte der Prinz, »und dies ist meine Frau und mein Kind.«

»Nicht ohne Grund sagte ich, daß er dir ähnlich ist«, sprach die Königin.

Der Prinz umarmte seine Frau und seinen Sohn und sprach: »Diese Nadel war der Wachstropfen, den du auf mich fallen ließest, weil du mich vor der Zeit sehen wolltest, und es war nötig, daß du sie herauszogst, um meine Verzauberung, die sich verlängert hatte, zu beenden.«Da trat der Neger ein, der brachte in einigen Körben die Ausstattung für das Kind, die das Mädchen schon in dem Spiegel gesehen hatte, den der Prinz in jener Nacht auf seiner Brust trug und



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an der damals sechs Frauen gestickt hatten; und dies alles war für ihren Sohn bestimmt. Dann heirateten sie und lebten sehr glücklich mit ihrem Kind und anderen Kindern, die sie noch bekamen.


Die Neugierige

In einem Dorf war einmal eine Frau, die war sehr neugierig und saß Tag und Nacht auf dem Balkon, um zu sehen, was sich in ihrer Straße zutrug. Und überall erzählte sie dann: »Hans ist mit Grete vorbeigegangen« und solche und noch andere Dinge mehr.

Nun gut; eines Abends, als sie wieder auf ihrem Balkon saß und hinunterspähte, um zu entdecken, wer vorüberging, und als es Mitternacht wurde, sah sie plötzlich an ihrem Haus zwölf Tote mit brennenden Fackeln vorübergehen. Und -neugierig, wie sie war -eilte sie hinunter und steckte eine Kerze an, um besser sehen zu können. Da bot der letzte der Toten ihr seine brennende Fackel an und sagte: »Nehmt hin.«Und sie ergriff die Fackel und ging hinauf und stellte sie auf den Tisch. Und sie ließ die Fackel auf ihrem Tisch liegen und ging in ihr Schlafzimmer. Und am nächsten Tag, als sie die Fackel holen wollte, lag statt dessen ein Totenbein dort. Darauf ging die Frau zum Pfarrer, um zu beichten. Und der Pfarrer sagte zu ihr: »Heut abend um dieselbe Stunde wie gestern geht hin und gebt dem Toten das zurück.«

Und darauf gab er ihr einige Reliquien und sagte, sie solle sie an sich nehmen.

Inder gleichen Nacht nun um Mitternacht ging die Frau auf den Balkon und setzte sich dort hin. Es dauerte nicht lange, da sah sie die zwölf Toten kommen, die alle brennende Fackeln trugen außer einem. Der letzte ging ohne Fackel. Da lief sie eilig hinunter mit dem Totenbein in der Hand und gab es ihm. Und der Tote nahm es und sagte zu ihr: »Danke; geht mit Gott. Wenn Ihr nicht die Reliquien trüget, würdet Ihr auf der Stelle sterben. Geht mit Gott und seid nicht mehr so neugierig!«



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Hans Einundeinhailb

Es war einmal ein Soldat, der hieß Einundeinhalb. Man gab ihm die Ration von sieben Soldaten zu essen, und er war immer noch hungrig. Eines Tages rief ihn der Hauptmann zu sich und sagte zu ihm: »Wie kommt es nur, daß du niemals satt wirst?«

»Als meine Mutter einmal eine Pfanne mit Maisbrei für mich machte, sagte ich ihr, es lohne sich gar nicht für mich, damit erst anzufangen. Und meine Mutter antwortete: >Herrgott, Junge! Du wirst auch nie satt.<Und seit jenem Tage bin ich nie mehr satt geworden.« Hans Einundeinhalb war sehr tapfer, deswegen verliebte sich die Tochter des Königs in ihn. Der König ließ ihn zu sich rufen und sagte:

»Bist du der tapfere Soldat?«

Hans Einundeinhalb antwortete nicht. Da fragte der König die Prinzessin:

»Ist dies der Soldat, in den du dich verliebt hast?«

»Ja; ich habe mich in ihn verliebt, weil er so tapfer ist.«

»Geh du einmal hinaus«, sprach der König zu der Prinzessin, »denn ich will es gleich in Ordnung bringen: Hör, Hans Einundeinhalb, du mußt in ein Schloß gehen, das in den Felsen von Armenien liegt, und mir etwas herbringen, das beweist, daß du dort gewesen bist.« Hans Einundeinhalb machte sich auf die Wanderung nach den Felsen von Armenien, und unterwegs begegnete ihm eine Frau, die sagte zu ihm:

»Wohin gehst du, guter Freund?«

»Das kann ich Euch nicht sagen.«

»Gib mir deine rechte Hand«, sagte die Frau.

Hans gab ihr seine Hand, und die Frau steckte ihm einen Ring an den Mittelfinger und sagte zu ihm:

»Wenn du etwas willst, so reibe diesen Ring!«

Hans Einundeinhalb wanderte weiter, und in einem Dorf trat er in eine Schmiede, in der arbeitete ein Schmied und ein Geselle. Und er sagte:

»Guten Tag, Schmied. Ich will mir eine Zange schmieden, die zwei Zentner wiegt.«

Und in einer Viertelstunde hatte er sie geschmiedet. Als er aus der



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Schmiede heraustrat, rieb er den Ring, und da verwandelte er sich in einen großen Vogel; er nahm die Zange in den Schnabel und flog davon. Die Bewohner jenes Dorfes erschraken sehr, als sie den großen Vogel über ihren Köpfen fliegen sahen. Er erreichte die Felsen von Armenien und nahm wieder menschliche Gestalt an. An dem Tor des Schlosses stand ein Mann, der fragte ihn:

»Weswegen kommst du hierher?«

Da öffnete der oberste Teufel das Tor, und Hans Einundeinhalb ging auf ihn zu, packte ihn mit der Zange, rieb den Ring, verwandelte sich wieder in einen Vogel und flog mit dem Teufel davon. Er kam zu dem König und sagte zu ihm:

»Hier ist der Beweis, den ich dir aus dem Schloß der Felsen von Armenien mitgebracht habe.«

»Wie hast du es nur angestellt, diesen Herrn hierher zu bringen?« sagte der König.

»Die Welt lehrt viel«, antwortete ihm Hans Einundeinhalb.

»Wie bist du in das Schloß von Armenien hineingekommen?«

»Ich trat nicht ein; ich hatte das Glück, den, der mir das Tor öffnete, mitnehmen zu können.«

»Gut, laß ihn jetzt los.«

Hans Einundeinhalb öffnete die Zange, und der Teufel entschlüpfte in die Luft. Da nahm Hans Einundeinhalb die Zange wie ein Gewehr in die Hände und pflanzte sich vor dem König auf. Der fragte ihn:

»Wer hat dir diese Zange gegeben?«

»Ich machte sie in einer Viertelstunde.«

Der König befahl vier Soldaten, Hans Einundeinhalb in eine Bütte voll warmes Wasser zu stecken und ihm die Rußflecken zu entfernen, die ihm der Teufel auf der Reise gemacht hatte.

Nachdem sie ihn gut gewaschen hatten, gab der König ihm ein Gewand und sagte zu ihm:

»In meinem Lustgarten habe ich zweihundert Tauben; ich will, daß du sie mir hierher bringst in den Hof meines Schlosses.«

Hans Einundeinhalb ging in den Garten, rieb den Ring und sagte: »Hierher die Tauben.«

Da kamen sie alle: Einige setzten sich auf seinen Kopf; andere auf seine Schultern; wieder andere flogen um ihn herum. Er zog mit ihnen



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los, und als er so durch die Straßen ging, blieb das Volk stehen und staunte über die vielen Tauben, die ihn umgaben. Und er trat mit ihnen in das königliche Schloß, und der König sagte zu ihm: »Laß die Tauben hier. Jetzt kannst du einige Tage ausruhen.«

Am nächsten Tag machte Hans Einundeinhalb einen Spaziergang, und unterwegs sprach er bei sich:

>Wenn der König glaubt, daß ich das ganze Jahr sein Dienstmann sein werde, so irrt er sich.<

Dann rieb er den Ring und sagte:

»Hierher die Prinzessin!«

Die Prinzessin kam, und sie machten sich zusammen auf und davon und verheirateten sich in einem anderen Reich. Der Vater der Prinzessin schrieb dem König jenes Landes und bat ihn, Hans Einundeinhalb zu töten, und sagte ihm, er solle dabei vorsichtig zu Werke gehen, denn es handle sich um den tapfersten Soldaten der Welt. Da rief jener König alle Schuster der Stadt zusammen und befahl ihnen, einen großen Mann aus Pech zu machen und ihn an das Meeresufer zu bringen und dort so aufzustellen, daß ihn bei Flut das Wasser überspülte.

Die Schuster machten den Mann aus Pech und stellen ihn an das Ufer des Meeres und befestigten ihn dort mit einigen Pfählen, die er an den Fußsohlen hatte.

Da rief der König Hans Einundeinhalb und sagte zu ihm: »Ist es wahr, daß du niemals einen Mann gefunden hast, der so tapfer ist wie du?«

»Niemals.«

»Nun, hier ist einer, der sich mit dir messen will.«

»Wo ist er? Er soll herkommen, und alle Soldaten sollen sich aufstellen, denn vor ihnen allen will ich mit diesem Tapferen kämpfen.« Hans Einundeinhalb gab der Prinzessin den Ring und ging an das Ufer des Meeres. Der König war am Strand bei der in Reih und Glied aufgestellten Truppe und sagte zu Hans Einundeinhalb: »Hier ist der Mann, der mit dir kämpfen will.«

Das Wasser stieg gerade an und reichte dem Mann aus Pech bis zu den Knien. Hans Einundeinhalb ging auf ihn zu und sagte zu ihm: »Bist du der tapferste Mann in diesem Reich?«

Und er versetzte ihm einen Faustschlag ins Gesicht, da klebte seine



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Hand an ihm fest. Er wiederholte den Schlag mit der anderen Hand, und sie blieb auch kleben. Da stieß er ihn mit dem Knie in den Bauch, und die beiden fielen ins Wasser, und eine Welle riß sie mit sich fort. Da rieb die Prinzessin den Ring und sagte: »Zu meinem Vater.« Und sie kehrte in ihr Reich zurück.


Die Hexe von Granada

Vor vielen, vielen Jahren lebte in Granada auf dem Nikolausplatz eine Hexe. Und jeden Abend, wenn sie aus dem Haus gehen wollte, schmierte sie sich mehrere Salben auf Arme und Beine und sagte: »Fort, fort, ohne Gott und die Jungfrau Maria«, und dann flog sie durch das Dach ihres Hauses und weiter durch ganz Granada.

Diese Hexe nun hatte einmal einen Lehrling, der die Hexenkunst lernte. Und eines Abends bemerkte er, wie die Hexe sich mit den Salben einschmierte und sagte: »Fort, fort, ohne Gott und die Jungfrau Maria«, und durch das Dach fortflog. Und als die Hexe fort war, da sagte er: »Das will ich auch machen; ich will auch fliegen.« Nun gut; er geht also hin und nimmt die Salben und sagt: »Fort, fort, mit Gott und der Jungfrau Maria.«

Und -das versteht sich -da er es nicht richtig gesagt hatte, begann er gegen das Dach zu prallen, aber keineswegs zu fliegen. Und so fand ihn die Hexe, als sie wieder zurückkam, wie er immer wieder gegen das Dach anprallte. Da verabfolgte sie ihm eine tüchtige Tracht Prügel.

Schön und gut; diese selbe Hexe war einmal bei anderen Leuten zu Besuch, und da niemand wußte, daß sie die Hexe war, fing man allgemein an, von den Hexen zu reden. Und es war dort auch der Pfarrer von der Nikolauskirche, der sagte, es gäbe keine Hexen, er glaube nicht an Hexen. Da meinte die Hexe, die das hörte: »Nun hört nur, der glaubt nicht an Hexen. Heut nacht werde ich ihm zeigen, daß es Hexen gibt.«Und am Abend, als der Pfarrer sich schlafen gelegt hatte, ging die Hexe zu ihm und holte ihn herauf und flog mit ihm von der Nikolauskirche zum Wachturm und vom Wachturm wieder zur Nikolauskirche. Und als sie zurückkam und ihn in sein Bett legte, war der Pfarrer schon tot.



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Die Leber des Toten

Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die lebten in der Nähe des Friedhofs und hatten nichts zu essen. Und eines Abends ging die Frau hin und grub eine Leiche aus und schnitt die Leber heraus und briet sie. Und als der Mann kam, stellte sie sie ihm mit Kartoffeln auf den Tisch.

Sie aßen sie auf, und es geschah nichts Besonderes. Und nach dem Essen legten sie sich schlafen. Und als sie im Bett lagen, hörte man eine Stimme, die sagte:

»Meine Leber will ich holen,

die du mir gestohlen.«

Und die Frau schrie:

»Weh, lieber Mann, wer mag da stehn?«

Und der Mann antwortete:

»Sei still, liebes Weib, er wird schon gehn.«

Doch da sprach die Stimme:

»Ich geh nicht von hier,

an der Zimmertür bin ich, ganz nahe bei dir.«

Und noch entsetzter schrie die Frau zu ihrem Mann:

»Weh, lieber Mann, wer mag da stehn?«

Und wieder sagte der Mann zu ihr:

»Sei still, liebes Weib, er wird schon gehn.«

Und die Stimme antwortete:

»Ich geh nicht von hier,

unterm Bett bin ich jetzt, ganz nahe bei dir.«

Da klammerte sich die Frau an ihren Mann und schrie wieder:

»Weh, lieber Mann, wer mag da stehn?«

Und wieder antwortete der Mann:

»Sei still, liebes Weib, er wird schon gehn.«

Da sprach die Stimme:

»Ich geh nicht von hier,

auf dem Bett bin ich jetzt, ganz nahe bei dir.«

Fast wahnsinnig vor Schrecken schrie die Frau da wieder:

»Weh, lieber Mann, wer mag da stehn?«

Und der Mann sagte zu ihr:

»Sei still, liebes Weib, er wird schon gehn.«



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Da aber sprach die Stimme:

»Ich geh nicht von hier,

an deinen Haaren schleif ich dich mit mir.«

Und da packte der Tote die Frau an den Haaren und schleppte sie mit auf den Friedhof und tötete sie und nahm ihr die Leber heraus und setzte sie sich ein und begrub sich wieder.


Königin Rose oder der kleine Thomas

Es war einmal ein König. Der hatte einen kleinen Sohn von vierzehn Jahren, der hieß Thomas. jeden Nachmittag machte die königliche Familie einen Spaziergang an einen Ort, der wurde die »Quelle im Sand« genannt. Am Wegesrand standen drei weiße Knospen, und eines Tages, als die Königin nicht fortgehen mochte, hatten sich die Knospen geöffnet, und der König pflückte eine Rose ab, um sie der Königin mitzubringen. Sie legte sie in eine Handschuhschachtel auf den Nachttisch, der in einem Zimmer vor dem Schlafgemach stand. Um Mitternacht hörte der König plötzlich mehrere Male sagen:

»König, öffne mich!«

»Rufst du mich, Isabella?«fragte er die Königin.

»Ich? Nein!«

»Aber man hat mich doch gerufen!«

»Ich nicht. Laß mich doch schlafen!«

Die Aufmerksamkeit des Königs wurde so sehr darauf gelenkt, daß er schließlich die Königin fragte, wo sie die Rose gelassen habe, und sie sagte es ihm. Als sie wieder eingeschlafen war, stand er auf, öffnete die Schachtel und hervor kam eine Prinzessin, die hieß Königin Rose und sagte ihm, sie wolle jetzt seine Gemahlin sein, denn die andere wäre es lange genug gewesen und die solle er töten. Doch der König wollte nicht.

»Du mußt es tun, es gibt gar keinen Ausweg; wenn du es nicht tust, mußt du selber sterben.«

»Und wie wollen wir sie denn töten?«

»Ich fasse sie an den Füßen und du am Kopf.«

Das tat dem König in der Seele leid, und er entschloß sich, seiner Frau die Augen auszureißen und steckte sie in seine Tasche; die Leblose



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warf er in einen Keller. Dann legten sich die beiden zu Bett, und als am nächsten Tag der kleine Thomas kam, um seiner Mutter guten Morgen zu sagen, blieb er nachdenklich stehen und sagte:

»Das ist nicht meine Mutter.«

»Ich bin deine Mutter, und du hast mich als solche zu achten; tust du es nicht, töte ich dich.«

Als sie aus dem Zimmer ging, sagte sie zur Dienerschar, sie sei Königin Rose und jeder, dem sein Leben lieb sei, habe sie zu achten. Indessen hörte der kleine Thomas nicht auf, um seine Mutter zu weinen. Eines Tages, als er wieder so traurig in seinem Zimmer saß, vernahm er unter der Erde Wehklagen. Er ging darauf zu und hörte durch das Gitter eines Kellers, wie seine Mutter ihn rief und zu ihm sagte:

»Mein Sohn, wo bist du nur, daß ich dich nicht sehen kann? Bring mir ein Stückchen Brot, wenn es auch noch so hart ist, damit meine Kräfte mich nicht verlassen. Wirf es nur hier durch.«

Als Königin Rose erfuhr, daß man der anderen zu essen gab, wurde sie fuchsteufelswild und schlug die Dienerin, die es getan hatte. Alle fürchteten Königin Rose sehr, auch der König. Voller Zorn sagte sie eines Tages zum kleinen Thomas:

»Hör, Knabe, ich bin sterbenskrank, und du mußt mir Wasser aus der >Quelle im Sand< holen.«

Das Kind nahm ein Pferd und einen Krug und ritt los. Unterwegs traf es einen Alten, der sagte zu ihm:

»Kleiner Thomas, wohin gehst du?«

»An die >Quelle im Sand<, um Wasser zu holen.«

»Hör, das mußt du im Trab holen, ohne anzuhalten und dich umzudrehen, wenn man dich auch ruft oder nach dir greift oder dir ein Lasso um den Hals wirft.«

Als er dort im Trab anlangte, kamen einige Frauen auf ihn zu und sagten:

»Kleiner Thomas, sieh einmal her, nimm dies!«Und sie wollen ihm ein Lasso um den Kopf werfen.

Er aber nahm einen Fuß hinunter, schöpfte im Trab das Wasser, und, ohne sich darum zu kümmern, was sie ihm sagten, oder anzuhalten, erreichte er das Schloß. Königin Rose, die ihn nicht mehr zurückerwartete, wurde fuchsteufelswild, und zornig sprach sie zu



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ihm: »Du mußt mir jetzt drei Zitronen von der >Quelle im Sand<holen.« «

Der kleine Thomas ging los, und es geschah ihm dasselbe wie beim erstenmal. Da wurde die Königin noch wilder, denn sie hatte ihm den Auftrag nur gegeben, damit er dort verzaubert bliebe, aber das gelang ihr nicht. Sie schickte ihn nun zum drittenmal wegen dreier Apfelsinen aus. Vor seinem Aufbruch ging der kleine Thomas zu seiner Mutter, um sie noch einmal wiederzusehen, falls er nicht zurückkehren würde.

Dann machte er sich auf den Weg, und wieder begegnete er dem Alten, und wieder ereignete sich das gleiche wie die beiden vorigen Male. Da warf Königin Rose ihn aus dem Schloß, und weinend bat der kleine Thomas eine Dienerin, Sorge für seine Mutter zu tragen. Er brach auf und wanderte und wanderte immer weiter, bis er einen Alten traf, der sprach zu ihm:

»Kleiner Thomas, ich weiß alles, was dir geschehen ist. Sieh her!« Er strich ihm mit der Hand über das Gesicht, das sich veränderte; er kleidete ihn als Engel an und verwandelte sein Haar in viele kleine Löckchen. Dann gab er ihm folgenden Auftrag:

»Wir gehen jetzt in ein Schloß, in dem befinden sich zwei Frauen, die werden zu mir sagen: >Laßt das Kind doch eine Weile hier, wir wollen ihm das Schloß zeigen.< —Das sind die beiden Schwestern der Königin Rose. —Du mußt dann sagen: >Geht nur, Papa; laßt mich hier!< —Ich laß dich dann ungefähr zwei Stunden bei ihnen. Sie werden dir alles zeigen außer einem Gemach, das verschlossen ist. Besteh darauf, daß man es dir zeigt, und wenn du drinnen bist, mach, was du willst.«

Es geschah alles so, wie der Alte ihm gesagt hatte, und als die Frauen ihm den Garten zeigten, sagten sie zu ihm:

»Hier warten wir auf einen kleinen Knaben, der Thomas heißt. Den wollen wir töten und ihn an einem Stock aufhängen. Willst du ihn sehen?«

»Ja, sicher!«

Schließlich gelangten sie an das verschlossene Zimmer, und er bat so sehr um Einlaß, daß sie ihn eintreten ließen. Es war ganz voll schwarzer Tücher, und drei brennende Kerzen standen darin. Der kleine Thomas fragte die Frauen, die an der Tür stehenblieben, was



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das bedeute. Und die eine antwortete: »Die Kerzen dort sind unser Leben; das hier ist meines, daneben das meiner Schwester und das letzte das der Königin Rose. Wenn die Kerzen auslöschen, ist unser Leben beendet.«

Da ergriff der Knabe die beiden Kerzen, die ihm am nächsten standen, und sagte: »Und ich bin der kleine Thomas.« Er pustete sie aus, und im selben Augenblick sanken die beiden Frauen tot um. Dann nahm er die dritte Kerze, die noch brannte, und ging nach draußen, wo er den Alten traf. »Jetzt wollen wir ins Schloß deines Vaters gehen, mein Sohn. Ich habe das alles gemacht, um zu sehen, was du tun würdest.«

Sie kamen an das Schloß, und der kleine Thomas ließ seinen Vater ans Tor rufen und sagte zu ihm:

»Welches Leben liebt Ihr mehr, das meiner Mutter oder das jener Frau dort?«

»Das deiner Mutter.«

»Dann pustet diese Kerze aus!«

Als der König das tat, gab es einen Knall, und Königin Rose war verschwunden. Dann ging der Alte mit ihnen in den Keller, erbat vom König die Augen und strich mit seiner Hand über das Gesicht der blinden Königin, die wieder sehend wurde. Dann sagte der Alte, daß er der heilige Joseph sei; ihm war die Königin immer besonders ergeben gewesen. Der König bat auf den Knien um Verzeihung, und die Königin sagte, er habe keine Schuld an dem, was geschehen sei. Sie gingen ins Schloß und überhäuften die Dienerin, die die Königin gepflegt hatte, mit vielen Geschenken. Der gute Alte erteilte allen seinen Segen, herzte den kleinen Thomas, und über allen war der Friede und die Gnade Gottes.


Der Diamantenvogel

Nun, es waren also einmal zwei Freunde, die waren Goldschmiede und sehr reich. Aber einer von ihnen hatte Unglück und verlor sein Vermögen. Er wandte sich an den anderen um Hilfe, doch der war geizig und sagte ihm, er könne ihm nichts geben, denn er habe zwei Söhne und brauche das Wenige, was er habe, für sie.



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Als der Arme sich nun so ganz ohne Mittel sah, bewarb er sich um den Wachtposten eines Geheges, und als er ihn bekommen hatte, zog er sich dorthin zurück. Da er gern jagte, nahm er stets seine Flinte mit sich und erlegte Wild für seine Mahlzeiten, denn das erlaubte ihm sein Herr. Eines Tages sah er einen Vogel, der leuchtete in so schönen Farben, daß er ihn gerne gefangen hätte. Er lud seine Flinte mit Schrot, schoß ab und hatte das Glück, ihn zu treffen, ohne ihn schwer zu verletzen. Er sperrte ihn in einen Käfig ein, und als er ihm nun am nächsten Tag etwas zum Fressen brachte, da sah er in dem kleinen Nest, das er ihm gemacht hatte, einen wunderbar glänzenden Stein, den er als Goldschmied sogleich als Diamanten erkannte. Er konnte sich nicht erklären, wie er dahingekommen war; doch als er am nächsten Tag wieder einen fand und danach wieder einen, begriff er, daß der Vogel täglich statt Eier Diamanten legte. Er brachte sie zum Goldschmied, der sie ihm abkaufte und für jeden Stein sechstausend Groschen gab.

Als er das Geld hatte, gab er den Wachtposten auf und zog wieder ins Dorf, und da der Vogel ihm weiterhin Diamanten schenkte, wurde er bald reich. Der Goldschmied, der sehr neidisch war, wollte wissen, woher er die Diamanten habe, doch sein Freund wollte es ihm nicht sagen; da beschuldigte er ihn des Diebstahls und drohte, ihn bei Gericht als Dieb anzuzeigen. Darüber wurde der Vogelbesitzer sehr empört, und um ihm zu beweisen, daß sie nicht gestohlen waren, erzählte er ihm, was er erlebt hatte.

Der Goldschmied aber schlug vor, ihm den Vogel zu verkaufen, doch der Freund sagte nein; aber er fürchtete schließlich, daß der Goldschmied ihm eines Tages einen bösen Streich spielen würde, und da er inzwischen reich geworden war, sagte er, er wolle den Vogel gegen das Haus und die Werkstatt mit allem, was sich darin befinde, eintauschen.

Und da der Goldschmied hoffte, durch die Diamanten des Vogels bald noch reicher als der andere zu werden, willigte er ein. Er unterschrieb den Vertrag, überließ ihm sein Haus und seine Werkstatt und nahm dafür den Vogel.

Die ersten Diamanten, die er in dem Käfig fand, verkaufte er und kaufte sich dafür ein Haus, in dessen Garten er einen großen Vogelkäfig stellen ließ. Als der Goldschmied nun eines Tages den Vogel



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betrachtete, der sich plusterte und mit seinen Flügeln schlug, sah er unter dem einen Flügel eine Inschrift. Er nahm den Vogel heraus, um nachzusehen, was darauf stand, und er las: »Wer meinen Kopf ißt, wird König werden.« Er hob den anderen Flügel hoch, da sah er noch eine Inschrift, darauf stand: »Wer mein Herz ganz hinunterschluckt, ohne es zu zerkauen, wird jeden Morgen unter seinem Kopfkissen eine Börse voll Gold finden.« Der Goldschmied, der, wie ich schon sagte, geizig und habgierig war, geriet ganz außer sich vor Freude und sprach:

»Dies ist mehr wert als Diamanten, am besten wäre es nun, den Vogel zu töten. Dann esse ich den Kopf und das Herz und werde König werden und reich sein wie kein anderer in der Welt.« Und gesagt, getan: Er nahm den Vogel, tötete ihn und gab ihn der Köchin zum Braten mit den Worten:

»Merke dir, daß ich dir die Haut hei lebendigem Leib abziehe, wenn du ihn anbrennen läßt oder wenn irgend etwas daran fehlt.« Nun also, die Köchin briet den Vogel und stellte ihn beiseite für die Mahlzeit. Dann ging sie aus der Küche. In der Zeit kamen die Söhne des Goldschmiedes von draußen herein, und da sie Hunger hatten und den gebratenen Vogel entdeckten, schnitt der älteste den Kopf ab und aß ihn auf, und der jüngste nahm das Herz heraus, um es zu essen. Doch in dem Augenblick kam die Köchin herein, und da schluckte er es schnell ganz hinunter, damit sie ihn nicht kauen sah und es nicht seinem Vater sagte. Die Köchin merkte es nicht, und als ihr Herr um den Vogel bat, nahm sie die Platte und trug sie hinein. Als erstes suchte der Goldschmied das Herz und den Kopf, doch soviel er den Vogel auch hin und her wendete, konnte er sie nicht finden. Voller Wut rief er die Köchin herbei und fragte sie nach dem Kopf und dem Herzen, doch die arme Frau erklärte, daß sie es nicht aufgegessen habe.

»Hab ich dir nicht gesagt, daß ich dir bei lebendigem Leib die Haut abziehe, wenn irgend etwas fehlt? Du hast es aufgegessen, und jetzt wirst du entweder auf der Stelle Herz und Kopf von dir geben oder sterben.« Er holte einen Stock und begann damit auf die arme Frau loszuhauen; die brach in ein fürchterliches Geheul aus und schwur beim Himmel und allen Heiligen, daß sie es nicht genommen habe. Auf die Schreie der Köchin liefen die Söhne herbei; und als sie ihren



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Vater so in Zorn sahen, mischten sie sich ein und fragen ihn, was denn geschehen sei, daß er die arme Frau so schlage.

»Wegen ihrer Naschhaftigkeit schlage ich sie«, sagte der Vater, der Reich und Geld dahinfahren sah, »ich gab ihr den Vogel zum Braten und befahl ihr, aufzupassen, daß nichts daran fehle, und nun hat sie den Kopf und das Herz aufgegessen.«

Als die Söhne das hörten, wollten sie nicht, daß die arme Frau ihretwegen bestraft wurde, und sie sagten: »Wenn es sich so verhält, habt Ihr kein Recht, sie zu schlagen, denn sie ist es nicht gewesen, sondern wir; wir kamen in die Küche, als sie gerade nicht da war, und da haben wir den Kopf und das Herz gegessen.«

»Wenigstens nicht ganz so schlimm, wie ich dachte«, sagte der Vater, der sah, daß an der Sache nichts mehr zu ändern war und daß, wenn nicht er, so doch einer seiner Söhne König werden würde, und dem der Gedanke kam, daß er ja auf den anderen Sohn aufpassen könnte, ihm nichts zu sagen brauchte und selber jeden Morgen die Börse mit Gold unter dessen Kopfkissen hervorholen könnte. So beruhigte er sich allmählich und erkundigte sich, wer das Herz hinuntergeschluckt habe; er hörte, daß es der Jüngste gewesen sei.

Und dabei ließ er es; er sagte seinen Söhnen nichts, und am nächsten Morgen ging er an das Bett des Jüngeren und fand unter dem Kopfkissen eine Börse mit Gold. Von da ab holte er jeden Morgen die Börse, ohne daß der Sohn etwas merkte.

Nun, eines Tages lud ein Freund die Söhne, die inzwischen erwachsen waren und gern jagten, zu sich auf sein Gut ein, wo es viele Kaninchen gab.

Der Vater war dagegen, aber der Freund bat so inständig darum, daß ihm nichts anderes übrigblieb, als seine Söhne ziehen zu lassen; doch er trug ihnen auf, nicht zu lange fortzubleiben. Sie kamen auf dem Gut an, und am frühen Morgen zogen sie auf die Jagd, und als sie gegen Abend zurückkehrten, gab eine Magd dem jüngsten der Brüder eine Börse und sagte:

»Nehmt diese Börse! Ihr habt sie heut morgen unter dem Kopfkissen vergessen.«

»Die Börse gehört mir nicht«, sagte der Jüngling.

»Doch, Herr«, beharrte die Magd, »als ich Euer Bett machte, fand ich sie, und sie gehört Euch.«



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Der Jüngling glaubte, daß man Scherz mit ihm treiben wollte, und er sagte:

»Gut, wenn sie mir gehört, so behaltet sie; ich schenke sie dir.« Die Magd strahlte vor Vergnügen, und wenn man sie gefragt hätte, wer der liebe Gott sei, so hätte sie auf den jungen Herrn gezeigt. Der Jüngling ging zu Bett; als er lag, rauchte er noch eine Zigarre, und weil er nicht mehr aufstehen mochte, legte er die Zigarrentasche unter das Kopfkissen. Als er am nächsten Morgen erwachte und die Tasche hervorholen wollte, sah er die Börse mit Gold. Er glaubte, daß man noch weiter Scherz mit ihm treibe, und nahm sie an sich, um zu sehen, ob man sie zurückfordern würde; doch niemand sagte ihm etwas, und als er am folgenden Tag wieder solch eine Börse fand, meinte er, es sei dieselbe, und er sah nach, ob man ihm die vorige weggenommen habe; aber sie war auch noch da. Und da er jeden Tag eine neue Börse fand, wurde er aufmerksamer, denn dies konnte kein Scherz mehr sein.

»Aha«, sprach er bei sich, »das ist etwas anderes. Ohne Zweifel ist deswegen mein Vater jeden Morgen in mein Zimmer gekommen, um meine Kissen aufzuschütteln, bevor ich aufstand, und daher wollte er auch nicht, daß ich hier meinen Freund besuche. Ich muß jetzt herausbekommen, was es mit der Börse auf sich hat.«

Sie verbrachten auf dem Besitz noch einige Tage und kehrten dann nach Haus zurück. Als sie dort angelangt waren, rief der jüngere Sohn seinen Vater und seinen Bruder zu sich und sagte:

»Vater, ich habe bemerkt, daß sich jeden Morgen beim Aufstehen unter meinem Kopfkissen eine Börse voll Gold befindet! Ihr werdet es wissen, und ich wünsche, daß Ihr mir die Ursache davon sagt.« Da blieb nun dem Vater nichts anderes mehr übrig, und er mußte die ganze Geschichte mit dem Vogel erzählen, und er sagte seinem jüngsten Sohn, daß er jeden Tag die Börse finde, weil er das Herz damals hinuntergeschluckt habe, und daß sein Bruder zum König bestimmt sei, weil er den Kopf gegessen habe.

Diese Nachricht machte die beiden Brüder ganz glücklich, und der jüngste, der seinem Vater sein ganzes Geld gab, sagte: »Mit diesem Geld und dem, was Ihr schon habt, wird es Euch Euer Leben lang an nichts mehr fehlen. Ich möchte jetzt in die Welt hinausgehen und so viele Länder sehen, wie ich nur kann.«



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Der Vater versuchte, ihn davon abzubringen, aber er erklärte: nein, er wolle losgehen und würde erst dann zurückkommen, wenn er des Reisens müde sei. Der Bruder sagte, er wolle ihn begleiten, und darüber freute er sich, denn so brauchte er nicht allein zu sein. Der Vater bereute, die Geschichte von dem Vogel erzählt zu haben, doch da jetzt nichts mehr daran zu ändern war, mußte er sich mit dem Entschluß seiner Söhne abfinden und sie ziehen lassen, und er gab ihnen seinen Segen und bat sie, bald zurückzukehren, denn er wollte nicht sterben, ohne sie wiedergesehen zu haben.

Die beiden machten sich auf den Weg, und als sie viele Meilen zurückgelegt hatten, sahen sie eines Morgens eine Staubwolke und das Aufblitzen vieler Waffen, die ihnen entgegenkamen. Bald darauf erkannten sie, daß es ein Regiment Soldaten war, die auf sie zukamen und haitmachten; dem ältesten Bruder näherten sich einige Pagen, die reichten ihm auf einem Kissen eine Krone und die königlichen Insignien dar und sagten ihm, sie machten ihn zum König; sie hätten ihn in seinem Haus aufsuchen wollen und nun die Hälfte des Weges gespart, da er ihnen entgegengekommen sei.

Da der Vater den beiden Brüdern die Geschichte von dem Vogel erzählt hatte, waren sie von all diesem nicht überrascht. Der Älteste nahm die Krone an und stellte sich an die Spitze der Truppe, sein Bruder an seine Seite, und so setzten sie den Weg fort, bis sie die Hauptstadt des Landes erreichten, wo sie mit großem Jubel empfangen wurden.

Der jüngere Bruder blieb dort, solange die Festlichkeiten dauerten; doch als sein Bruder den Thron bestiegen hatte, sagte er, er wolle weiterreisen. Der König bat ihn zu bleiben und versprach ihm den ersten Posten in seinem Reich und die Heirat mit einer Prinzessin; aber der andere erwiderte: nein, er sehne sich danach, noch andere Länder kennenzulernen, und was die Heirat anbeträfe, so wolle er, da er Geld genug habe, nicht eine Prinzessin heiraten, sondern eine schöne Frau, die ihm gefalle.

Nun gut, mein Bursche zog also los, und er ging weiter und immer weiter und durchwanderte die ganze Welt, und die schönste Frau, die er fand, war eine Waise, die lebte mit ihrer Tante zusammen, und beide waren sehr arm. Er hielt um ihre Hand an, und obwohl er ihnen nicht sagte, was er war, willigte sie in die Heirat ein, denn er



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war ein hübscher Bursche, und sie sahen, daß es ihm an nichts fehlte. Und er heiratete das junge Mädchen. Und sie lebten eine Zeitlang glücklich zusammen. Da es ihm niemals an Geld fehlte, so fehlte es auch nicht an Leuten, die herausbekommen wollten, woher es kam, denn man sah ihn niemals arbeiten. Er sagte immer, er habe seine Güter anderswo und bekäme von dort die Einkünfte. Die Bekannten gaben sich damit zufrieden; aber die Tante der jungen Frau, die sehr habsüchtig war und niemals jemanden mit Geld kommen sah, versuchte mit allen Mitteln zu erfahren, woher er es bekomme, und da es ihr nicht gelang, beauftragte sie ihre Nichte damit.

Die junge Frau, die auch neugierig war, fragte ihn danach; er versuchte sich herauszureden, doch drang sie mit Bitten so sehr in ihn, daß er ihr schließlich die Geschichte mit dem Vogel erzählte und sagte, daß er jeden Morgen unter seinem Kopfkissen eine Börse mit Gold finde, wodurch sie immer das hätten, was sie zum Leben brauchten; doch beschwöre er sie, es niemanden zu erzählen, denn das könne ihnen nur zum Schaden gereichen.

Die Frau versprach es, doch kaum war der Mann fortgegangen, lief sie zu ihrer Tante und erzählte ihr alles; die gab ihr ein Pulver und sagte, sie solle es ihrem Mann in den Wein schütten, dann würden sie herausbekommen, ob das alles wahr sei.

Und so geschah es. Als er zum Essen kam, schüttete die Frau das Pulver in den Wein, ohne daß er es bemerkte, und er trank ihn ohne Argwohn aus.

Bald danach überkam ihn eine große Müdigkeit, und er wollte sich niederlegen; doch bevor er ins Bett ging, wurde ihm so schlecht, daß er alles ausbrach, was er im Magen hatte. Dann legte er sich schlafen. Indessen machte sich die habsüchtige Alte daran und durchstöberte, was er ausgebrochen hatte, und als sie das Herz des Vogels fand, wusch sie es und schluckte es ganz hinunter.

Als er nun am nächsten Morgen aufstand und unter dem Kopfkissen nachsah, fand er nichts. Er fragte seine Frau, ob sie die Börse weggenommen habe, doch sie antwortete: »Nein.« Und da er an den folgenden Tagen auch nichts vorfand, begann er mißtrauisch zu werden und schalt mit seiner Frau. Da mischte sich die Tante in den Streit und warf ihn wie ein Stück Dreck hinaus und erklärte, das sei ihr Haus und ihm gehöre nichts davon.



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>Altes Weib!<sprach er bei sich. >Wenn du mich auf die Straße wirfst, so tust du es nicht, weil du mir die Börse weggenommen hast, denn dann würdest du keine weiteren bekommen, sondern weil meine Frau, die das vom Herzen weiß, es dir gesagt hat und du etwas angestellt hast, um es zu bekommen.< Er fragte die Magd, und die erzählte ihm, daß er an dem Tag, an dem ihm schlecht geworden war, gebrochen habe und daß die Alte nicht gewollt habe, daß jemand anderes als sie selbst es sauber machte. Da wußte er, was geschehen war, und er sagte:

»Aha, was ich vermutet habe: Da hat diese verflixte Tante es doch so weit gebracht, daß ich das Herz ausspucken mußte. Sie hat es hinuntergeschluckt, und es ist sicher, daß sie jetzt immer die Börse hat; deswegen werfen sie mich nun auf die Straße. Doch habt keine Angst, ihr werdet nicht zuletzt lachen.« Da ging mein Bursche hinaus und ging weiter und immer weiter ohne ein bestimmtes Ziel. Er kam an eine Quelle, trank daraus, setzte sich dort nieder, um ein wenig auszuruhen, und da er Hunger bekam und keinen Bissen bei sich hatte, sah er sich nach etwas zu essen um.

Er bemerkte einen Feigenbaum, der hatte einige sehr schöne Früchte, und da, wenn man kein Brot hat, Torten gut sind, kletterte er schnurstracks auf den Feigenbaum, pflückte eine Feige ab und aß sie auf; doch kaum hatte er sie gegessen, da verwandelte er sich in einen Esel. Und als er sich so sah, war er ganz verzweifelt, daß er auf den Baum gestiegen war, und es war ihm so schrecklich zumute, daß er sich auf den Boden warf und nicht wußte, was er nun beginnen sollte. Obwohl seine Gestalt verändert war, quälte ihn der Hunger noch weiter. Da stand er auf und begann, Gras zu fressen, und nach kurzer Zeit sah er, daß er seine ursprüngliche Gestalt wiedererlangte.

>Kein Übel ist so groß, daß nicht doch noch etwas Gutes daraus erwächst<, sprach er bei sich, >dank dieser Verwandlungen, die mich in so große Schrecken versetzt haben, sollen mir die Feigen jetzt als Rache dienen.<

Da pflückte er drei der schönsten Feigen, die an dem Baum waren, und ging damit ins Dorf.

Er machte jemanden ausfindig, den er beauftragte, in sein Haus zu gehen und dort die Feigen zu verkaufen. Als die Tante die wunderschönen



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Feigen sah, gab sie, was man dafür verlangte, schenkte eine ihrer Nichte, die andere der Magd und aß selber die dritte auf.

Nach kurzer Zeit kam der Bursche in das Haus und sah alle drei in Esel verwandelt; er schloß sie in den Stall ein und gab acht, daß dort kein Gras war. Dann lud er den Bader ein, am nächsten Tag mit ihm auf die Jagd zu gehen. Der Bader nahm die Einladung an, und am nächsten Morgen, nachdem er den Eselinnen das Geschirr und jeder einen Maulkorb angelegt hatte, damit sie draußen kein Gras fressen könnten, ließ er den Bader auf die Magd steigen und belud die Tante mit der ganzen Jagdausrüstung. Dann zogen sie aus dem Dorf.

Da die Tante schon alt war und außer der Last auch noch ihn selbst zutragen hatte, konnte sie nicht recht gehen, doch mit einem derben Knüppel, den er sich zurechtgemacht hatte, haute er auf sie los, daß ihr die Knochen im Leibe krachten; da raffte sich die Alte noch einmal auf, und sie erreichten den Jagdort; aber als sie dort ankamen, war sie schon halb tot vor Anstrengung, und da sie Durst hatte, führte er sie an eine Quelle; da nahm sie einen solchen Riesenschluck, daß ihr übel wurde und sie alles, was sie im Magen hatte, ausbrechen mußte. Danach konnte sie sich nicht mehr auf den Beinen halten und fiel nieder.

Er suchte unter dem, was sie ausgespuckt hatte, und fand das Herz; er nahm es auf, wusch es gut ab und schluckte es hinunter und sagte: »Wir wollen sehen, ob die es mir je wieder wegnimmt.«

Und während der Bader jagte, nahm er den Eselinnen die Maulkörbe ab, damit sie Gras fressen konnten und ihre ursprüngliche Gestalt wiedererlangten; dann ging er weg und ließ sie allein, und bis heute hat man nichts mehr von ihm erfahren. Als der Bader von der Jagd kam, fand er weder den Nachbarn noch die Eselinnen und mußte zu Fuß nach Hause zurückgehen. Als er im Dorf ankam, ging er zu seinem Jagdfreund, wo er hörte, daß die Alte im Sterben lag. Da erzählte die Magd ihm alles, was geschehen war, doch hütete sie sich zu sagen, daß sie die Eselin gewesen, auf der er zur Jagd geritten war.

Und was nun den Sohn des Goldschmiedes angeht, so zog er an den Hof seines Bruders, an den er auch seinen Vater rufen ließ; dort blieben sie zusammen in Liebe, einträchtig und froh ihr Leben lang.



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Die Flöte, die alle zum Tanzen brachte

Ein Mann hatte drei Söhne. Die beiden älteren waren gescheiter als der jüngste, und deswegen machten sie sich immer über ihn lustig. Schließlich sagte der Vater: »Da dieser Sohn auch zu nichts nütze ist, soll er Hirt werden.«

Und so wurde er Hirt.

Ein Jahr lang hatte er nun schon Schafe gehütet, da begegnete er eines Tages einem alten Weib, das sagte zu ihm: »Lieber Mann, was machst du denn hier als Schafhirt?« Und der Bursche antwortete: »Ja, Ihr könnt daran sehen, daß meine Brüder mich nicht leiden mögen und mein Vater mich zum Hirten machte.«

»Nun, und wie fühlst du dich denn? Hast du einen guten Herrn und genug zu essen?«fragte die Alte. »O ja«, antwortete der Bursche, »ich habe einen sehr guten Herrn, und man gibt mir genug zu essen.« Darauf sagte die Frau: »Nun, was willst du dann noch mehr?« — »Eine Flöte.« Und die Alte gab ihm eine Flöte. Und dann ging die Alte fort und ließ ihn allein. Und kaum war die Alte weggegangen, da begann der Hirt auf der Flöte zu spielen, und sogleich fingen die kleinen Schafe an zu tanzen. Und er spielte mehr und mehr und immer mehr, und mit immer größerer Lust tanzten Schafe und Ziegen. Und das wiederholte sich Tag für Tag. Der Hirt spielte auf, und Schafe und Ziegen tanzten, bis sie erschöpft zu Boden fielen und alle viere von sich streckten und ein Weilchen ausruhten. Und dabei waren seine Schafe und Ziegen immer schön fett.

Und die anderen Schafhirten sahen, daß die Schafe des Burschen so schön fett waren, und sie sagten: »Wie macht dieser Bursche es nur, daß seine Schafe und Ziegen so schön fett sind?«Und andere Hirten, die gesehen hatten, daß sie immer alle tanzten, gingen zu dem Herrn des Burschen und sagten ihm, daß sein Hirt eine Flöte habe, nach der Schafe und Ziegen zusammen mit ihm tanzten.

Doch der Herr wollte das nicht glauben und ging zum Hirten hin und sagte ihm: »Guten Tag! Warum strecken die Schafe denn alle viere von sich?« — »Sie ruhen sich aus«, antwortete der Hirt. — »Ist es denn wahr, daß die Schafe tanzen?« — »Ja, Herr, wenn ich die Flöte spiele, fangen sie an zu tanzen.« —»Laß sehen, laß sehen«, sagte der Herr. Und der Bursche begann die Flöte zu spielen, und



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sogleich sprangen all die kleinen Schafe und Ziegen auf und fingen vor Freude an zu tanzen. Und auch der Hirt begann zu tanzen. Und immer ausgelassener spielte der Hirt, und immer ausgelassener tanzten Schafe und Ziegen. Und vor Freude begann auch der Herr zu tanzen, so daß schließlich die ganze Gesellschaft tanzte, Herr, Hirt, Schafe und Ziegen. Und immer toller spielte der Hirt, und immer toller tanzte der Herr. Und als endlich der Bursche des Spielens überdrüssig wurde, legte er sich lang hin, um auszuruhen, und ihm nach machten es die Schafe und Ziegen und der Herr.

Und dann ging der Herr fort und erzählte alles seiner Frau. Und die Frau sagte: »Geh, komm mir nicht mit Märchen! Hat man denn je Schafe und Ziegen tanzen sehen?« — »Wenn du's nicht glauben willst, so geh selber hin, dann wirst du erfahren, ob das stimmt. Wenn dieser Bursche die Flöte spielt, dann müssen alle tanzen.« Und die Frau sagte: »Das glaub ich nicht; doch ich will sehen, ob es wahr ist.« Und sie ging dahin, wo der Hirt mit den Schafen und Ziegen war, und sagte zu ihm, er möchte noch einmal die Flöte spielen. Und er begann, auf der Flöte zu spielen, und sofort springen die Schafe und Ziegen auf und beginnen zu tanzen. Und immer toller spielt der Hirt, und immer toller tanzen Schafe und Ziegen. Und da fing die Herrin auch an zu tanzen. Und immer ausgelassener spielt der Hirt die Flöte, und immer ausgelassener tanzt die Herrin. Und so tanzten alle eine ganze Zeitlang, bis der Hirt keine Lust mehr hatte und alle sich lang hinlegten, um auszuruhen, die Herrin, der Hirt, die Schafe und Ziegen.

Und als die Frau sich ausgeruht hatte, ging sie nach Haus zurück. Und als sie im Haus ankam, sagte ihr Mann: »Nun, und wie war es, haben die Schafe getanzt?« — »Es haben die Schafe getanzt und die Ziegen und ich mit ihnen«, sagte die Herrin, »wenn dieser Hirt die Flöte spielt, müssen alle tanzen.« — »Ich hab's dir ja gleich gesagt«, antwortete der Herr. Und dann kamen die beiden überein, den Hirten zu entlassen, da er immer Schafe und Ziegen und jedermann zum Tanzen brachte. Doch da starben all die kleinen Schafe und Ziegen vor Trauer darüber, daß keiner mehr zum Tanz aufspielte.

Und der Bursche ging heim zu seinem Vater. Und als er erzählte, was er erlebt hatte, da begannen die beiden älteren Brüder, sich wieder



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über ihn lustig zu machen. Und der Vater sagte: »Dieser Junge taugt auch zu nichts. Besser ist es, er bleibt zu Haus, und ihr arbeitet außerhalb, um Geld zu verdienen.« Und am nächsten Tag schickte der Vater den ältesten Sohn ins Dorf, um Äpfel zu verkaufen. Und auf dem Weg begegnete er einem alten Weiblein, das fragte ihn: »Was verkaufst du da?«Und er antwortete: »Ich verkaufe Ratten.« Und die Alte sagte zu ihm: »Nun, Ratten sollen es werden.« Und der Bursche kam ins Dorf, und als er Äpfel herausnehmen und verkaufen wollte, kamen nur Ratten zum Vorschein. Und immer mehr und immer mehr Ratten sprangen heraus, bis das ganze Dorf voller Ratten war. Da gab man dem Burschen eine gehörige Tracht Prügel, und er zog ab. Und am nächsten Tag schickte der Vater den zweiten Sohn in das Dorf, um Apfelsinen zu verkaufen. Und auf dem Weg begegnete er demselben alten Weiblein, das sagte zu ihm: »Guten Tag. Was verkaufst du da?« Er antwortete: »Vögel.«Und die Alte sagte zu ihm: »Viele Vögel sollen es werden.« Und als der Bursche in das Dorf kam und den Apfelsinenkorb öffnete, da flogen Vögel heraus, und nichts weiter war im Korb zu finden. Da ging der Arme ganz verzweifelt nach Haus.

Nun sagte der Jüngste zu seinem Vater: »Vater, jetzt will ich ins Dorf gehen. Schickt mich hin, und Ihr werdet sehen, wie gut alles geht.«Und die beiden älteren Brüder lachten über ihn und sagten: »Was willst du Dummkopf denn da schon ausrichten? Wenn es uns schlecht ergangen ist, wird es dir noch viel schlechter gehen.« Doch der Vater ließ ihn ziehen und gab ihm einen Korb Weintrauben, die solle er im Dorf verkaufen. Und auf dem Weg begegnete der Bursche demselben alten Weiblein, und es fragte ihn: »Was verkaufst du da?« Und er antwortete ihr: »Ich verkaufe Weintrauben. Wollt Ihr welche haben?«Und sie antwortete: »Nein, danke. Viele Weintrauben wirst du verkaufen.« Und der Bursche ging ins Dorf, um seine Weintrauben zu verkaufen, und je mehr er verkaufte, desto mehr waren im Korb. Und immer mehr verkaufte er, und er verkaufte so viel, daß er eine Menge Beutel mit Geld füllte, die brachte er seinem Vater nach Haus. Und auf dem Weg fing er an, auf der Flöte zu spielen, die er noch behalten hatte. Da erschien die Alte wiederum und sagte zu ihm: »Spiel die Flöte nicht, mein Sohn, bevor du nicht zu Hause bist.«



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Und der Bursche kehrte heim, und sogleich kamen ihm die beiden Brüder und der Vater entgegen. Und der Vater sagte: »Sicherlich ist wieder ein Unglück geschehen; dieser Dummkopf wird schon etwas Neues angerichtet haben.« Und der Bursche trat ein und sagte zu ihnen: »Ich bringe viele Taler mit, Vater, so viele, daß sie am Korb festkleben und nicht herauskommen können, und mehr noch habe ich in den Beuteln, die auch nicht herausgehen.« Und der Vater sagte: »Ja, wie machen wir es denn nur, daß wir das Geld aus dem Korb und den Beuteln herausbekommen?« — »Macht Euch darüber keine Sorge, Vater«, sagte der junge Bursche, »Ihr werdet gleich sehen.« Und er fing an, auf der Flöte zu spielen, und sogleich setzten sich die Groschen und Taler in Bewegung und sprangen tanzend aus dem Korb und den Beuteln.

Und er spielte die Flöte so lange, bis das ganze Geld herausgehüpft war und sie reich waren.

Nun mochten ihn auch seine Brüder sehr gern leiden. Und der Vater sagte: »Wir wollen uns mit diesem Geld jetzt ein Haus bauen.«Und sie bauten sich von dem Geld ein sehr schönes Haus. Und sie machten es so wunderschön, daß sie alles Geld dafür verbrauchten und ihnen der Vater sagte: »Ja, nun müssen wir in die Welt hinausziehen und sehen, wie wir uns durchschlagen.«Und die beiden älteren Brüder, die immer voll Mißgunst waren, zogen allein fort, und der jüngste ging mit seinem Vater in eine andere Richtung. Und der Jüngste und der Vater zogen durch die Dörfer und verkauften Öl. Und sie verkauften alles, und für das Öl kauften sie wieder Eier. Und der junge Bursche war darüber so glücklich und zufrieden, daß er zu seinem Vater sagte: »Vater, nun haben wir das ganze Öl verkauft und so viele Eier dafür bekommen, nun will ich auch wieder einmal auf der Flöte spielen.« Und er begann die Flöte zu spielen, und sogleich fingen die Eier in den Körben an zu tanzen. Und der Vater sagte: »Um des Himmels willen, Sohn, spiel nicht auf der Flöte! Siehst du denn nicht, daß die Eier tanzen und bald alle entzweigehen werden?« — »Macht Euch keine Sorge, Vater«, sagte der Sohn zu ihm. Und er spielte weiter auf seiner Flöte, und die Eier tanzten weiter in den Körben.

»Nein, mein Sohn, spiel doch nicht mehr, die werden alle entzweibrechen.« — »Macht Euch keine Sorge, Vater, sie gehen nicht entzwei.«



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Und immer toller spielte er auf der Flöte, und immer toller tanzten die Eier, bis auch Vater und Sohn anfangen zu tanzen. Und so tanzten sie alle, Vater und Sohn und die Eier in den Körben, bis der Bursche keine Lust mehr hatte. Und dann gingen sie nach Haus. Und eine so große Menge Eier war in den Körben, daß sie sie nicht herausnehmen konnten. Und der Vater sagte: »Ja, aber wie machen wir es jetzt nur, daß wir die vielen Eier aus den Körben herausbekommen?« Da begann der Bursche wieder die Flöte zu spielen, und sogleich sprangen die Eier aus den Körben heraus, bis keines mehr darin blieb. Und der Bursche sagte: »Davon können wir schon leben.«

Und sie zogen los und verkauften die Eier, und je mehr sie verkauften, desto mehr kamen aus den Körben heraus. Und so wurden sie wieder reich.

Und bald darauf kehrten auch die beiden älteren Brüder wieder heim und brachten keinen Heller mit. Sie waren ärmer denn je. Und aus Mißgunst über den Jüngsten nahmen sie ihm die Flöte weg. Doch der Jüngste brauchte sie gar nicht mehr, denn er und sein Vater waren ja reich. Und sie machten sich mit der Flöte auf und davon und spielten sie und dachten, sie würden nun auch reich werden. Doch nichts geschah. Die Flöte brachte nur dem Jüngsten Glück.


Der blühende Brunnenrand

Es war einmal ein Führer einer Räuberbande; wo er mit seinen Leuten hinkam, ließ er nichts an seinem Platz. Aber einmal im Jahre beichtete er. Und gleich am Anfang sagte stets der Beichtvater, daß er ihm keine Absolution erteilen könnte, wenn er nicht von diesem Lasterleben abließe. Dann zückte der Räuberführer jedesmal seinen Dolch und erstach den Beichtvater.

Das sprach sich nun herum, und endlich fand er keinen Beichtvater mehr, der ihm die Beichte abnehmen wollte.

In einem Jahr, um Palmsonntag herum, klopfte er nun bei einem Kloster an und bittet, dort beichten zu können.

Der Laienbruder am Tor erkannte ihn und läuft ganz aufgeregt zum Prior, um es ihm zu erzählen.



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Der verwirrte Prior ruft die Brüder herbei und sagt zu ihnen:

»Da sind wir nun in einer schwierigen Lage.«

»Wenn Ihr wollt, daß ich hingehe«, antwortet einer, »sagt es nur, und Ihr werdet sehen, daß ich schnell mit ihm fertig werde.«

»Aber wißt Ihr denn nicht, daß er Euch tötet?« sagte der Prior.

»Habt keine Angst; ich werde mich schon aus der Schlinge ziehen.«

Der Prior sagte schließlich ja, und der Bruder machte sich gleich auf den Weg. Er führt den Räuber zum Beichtstuhl, läßt ihn niederknien, setzt sich selbst und sagt:

»Also, du kannst dir jetzt dein Herz erleichtern.«

Bis er mit der Beichte fertig war, sagte er kein Wort; dann fragt er ihn:

»Hast du weiter nichts, dessen du dich anklagen mußt?« »Nein, Pater«, antwortete er und hatte schon den Dolch in der Hand, um ihn sprechen zu lassen, wenn die sichere Antwort kommen würde: Ich kann dir keine Absolution erteilen. Aber seine Rechnung ging diesmal nicht auf, weil der Pater nichts weiter zu ihm sagte als: »Es ist in Ordnung; du kannst gehen. Die Buße für dich heißt: >Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu.«

Der Pater erhebt sich und geht fort und ließ sein Beichtkind ganz verdutzt zurück, das nicht wußte, was es davon halten sollte, so neu kam ihm diese Form der Buße vor. Schließlich steckt er den Dolch wieder ein und macht sich auf den Weg in seine Höhle.

Er kam in der Höhle an, und die Kameraden merkten gleich, daß mit ihm etwas nicht in Ordnung war. Sie fragten, ob es etwas Neues gäbe, oder ob er sich nicht wohl fühlte; er aber antwortet nur, sie möchten ihn in Ruhe lassen. Und weiter konnten sie nichts aus ihm herausbringen. An dem Tag faßte er nichts an und sah keinem gerade ins Gesicht.

»Wollen wir heut nacht nicht los?«fragten die Kameraden, als die Dämmerung hereinbrach.

»Ich bin für nichts mehr zu haben«, sagte er, »macht, was ihr wollt, aber laßt mich in Frieden.«

Und das sagte er, weil er überall, wo er auch immer ging und stand, leuchtend wie mit Feuer geschrieben die Worte sah: >Was du nicht



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willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu.< Das hatte ihm jeden Mut genommen.

>Wie soll ich anderen ihr Hab und Gut wegnehmen, wenn ich nicht will, daß sie meines anrühren?<sprach er bei sich.

Seine Kameraden machten sich auf den Weg, um einen Überfall auszuführen, den sie seit längerer Zeit geplant hatten. Als er nun allein in seiner Höhle war, wurde ihm ganz traurig zumute. Die Sünden seiner Verbrechen und Räubereien, die er in den langen Jahren als Haupt der Räuberbande begangen hatte, setzten ihm so sehr zu und nagten so sehr an seinem Gewissen, daß er nicht mehr ein noch aus wußte. Schließlich suchte er Zuflucht in dem Kloster, in dem er gebeichtet hatte.

Bei Tagesanbruch kommt er dort an, klopft an das Tor, und es wird ihm aufgemacht. Er fragt nach dem Beichtvater, und als er vor ihm steht, sagt er zu ihm:

»Ihr habt mir als Buße dieses: >Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu<gegeben. Aber ich sehe mit dem besten Willen nicht, wo das hinaus soll. Ich denke hin und denke her und habe mir diese Worte so sehr in den Kopf gesetzt, daß ich sie nicht wieder herausbekomme und sehe, daß ich ihnen nicht folgen kann, solange ich mein Räuberdasein nicht aufgebe. Mir ist so jämmerlich zumute, daß ich schon gestorben wäre, wäre ich nicht aus der Höhle geflohen und hätte ich nicht diesen Teufelsberuf schon ganz und gar aufgegeben. Ich bin gekommen, um eine wirkliche Beichte über mein ganzes Leben abzulegen, bevor das Gericht seine Hand auf mich legt und mich bestraft, wie ich es verdient habe.«

Der Beichtvater ließ ihn hereinkommen und geht zum Prior, um ihm die Geschichte zu erzählen, und sie kamen überein, ihn ein paar Tage versteckt zu halten und ihm Zeit zu geben, sein Gewissen gut zu erforschen und über seine Sünden zu weinen.

So taten sie es auch, und der Mann beichtete sein ganzes Leben und verschwieg nichts. Als der Beichtvater so viele Sünden und so schwere und grausige Verbrechen hört, rief er aus:

»So, wie es möglich ist, daß auf dem Brunnenrand Blumen wachsen, so möglich ist es, daß Gott dir vergibt.«

Dem Räuber prägten sich diese Worte so ein, daß er den ganzen Tag weder aß noch trank. Am nächsten Tag um die Mittagszeit merkten



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die Brüder, daß seine Zelle verriegelt war. Sie klopften an, aber er antwortete nicht.

Da öffneten sie und fanden ihn tot im Bett liegen. Der Schmerz, den er empfunden hatte, Gott mit so viel Sünden beleidigt zu haben, war so stark und gewaltig, daß er ihn getötet hatte. Was werdet ihr nun aber sagen? Da geht ein Laienbruder hin, um Wasser aus dem Brunnen zu holen, und findet den Brunnenrand voller Blumen mit den frischesten und erlesensten Blüten und einem Duft, der wie himmlischer Balsam anmutete. Da erinnerte sich der Pater, der die Beichte abgenommen hatte, daß er zu ihm gesagt hatte: »So, wie es möglich ist, daß auf dem Brunnenrand Blumen wachsen, so möglich ist es, daß Gott dir vergibt.«

Und Gott hatte ihm vergeben.


Die verzauberte Prinzessin

Es war einmal ein Ritter, der zog in die Welt hinaus, um Erlebnisse und Abenteuer aufzusuchen. Und als er weiter und immer weiter wanderte, traf er vier Tiere: einen Löwen, einen Windhund, einen Adler und eine Ameise, die stritten sich um ein totes Tier, das sie auf dem Weg gefunden hatten. Und als sie den Mann kommen sahen, sagten sie zu ihm, er möchte doch so gut sein und das Tier teilen und jedem seinen Teil geben. Und der Ritter sagte, das wolle er gern, und er krempelte die Ärmel hoch und teilte das Tier und gab jedem seinen Teil, und sie waren wohl damit zufrieden. Dem Adler gab er die Därme, dem Löwen gab er das Hinterteil, dem Windhund gab er die Rippen, und der Ameise gab er die Lenden. Und dann zog der Mann seines Weges.

Doch bald darauf riefen ihn die Tiere zurück, und er kehrte um. Und der Löwe sprach: »Du hast unseren Streit geschlichtet, und dafür wollen wir dir jetzt etwas geben. Du sollst etwas Besonderes von uns bekommen.« Und der Löwe riß sich ein Haar vom Kopf, gab es ihm und sagte: »Trag dieses Haar immer bei dir, und wenn du dich in einen Löwen verwandeln willst, so brauchst du nur zu sagen: >Gott und Löwe<, dann wirst du ein Löwe sein. Willst du wieder Mensch werden, dann sagst du: >Gott und Mensch.<«Und der Adler



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gab ihm eine Feder und sagte: »Trag auch diese Feder immer bei dir, und wenn du dich in einen Adler verwandeln willst, so sagst du nur: >Gott und Adler<, und wenn du dich wieder in einen Menschen verwandeln willst, sagst du: >Gott und Mensch.« Nun begann die kleine Ameise nachzudenken, und sie sagte schließlich: »Ich weiß nicht, was ich dir geben soll, denn mir fehlt dies alles, doch diesen kleinen Fühler will ich dir geben, so schwer es auch für mich ist, ihn zu entbehren.« Und sie gab ihm einen kleinen Fühler und sagte: »Wenn du dich in eine Ameise verwandeln willst, sagst du: >Gott und Ameise<, und wenn du dich wieder in einen Menschen verwandeln willst, sagst du: >Gott und Mensch.« Und der Windhund gab ihm auch ein Haar und sagte: »Wenn du dich in einen Windhund verwandeln willst, sagst du: >Gott und Windhund<, und wenn du dich wieder in einen Menschen verwandeln willst, sagst du: >Gott und Mensch.«

Da zog der Ritter sehr zufrieden weiter und kam bald an ein großes Schloß. Dort lebte ein Riese, der hielt eine verzauberte Prinzessin im Schloß gefangen und ließ sie nicht heraus. Und der Ritter ging hin und sah die Prinzessin auf dem Balkon des Schlosses und näherte sich ihr, um mit ihr zu reden. Und sie sprach zu ihm: »Bleibt fern, denn es kommt das Stachelschwein und wird Euch fressen.« Aber er hatte keine Furcht und kam noch näher heran und fragte sie, was das mit dem Stachelschwein heißen sollte. Und da erzählte sie ihm, daß ein Riese sie verzaubert hielte und sie nie und nimmer dieses Schloß verlassen könnte. Und der Ritter bat sie, sie möchte ihm doch sagen, worin denn der Zauber bestehe; denn er sei bereit, sie zu entzaubern, wenn sie sich mit ihm verheiraten würde. Und sie sagte ihm, sie kenne den Zauber, doch habe sie Furcht, daß der Riese sie töten würde. Und er bat sie so sehr, daß sie schließlich zu ihm sagte: »Höre, der Riese hat es mir gesagt. Er stirbt nur, wenn ein Ei zerbricht, welches er auf das beste im Schloß bewacht, und nur, wenn er stirbt, bin ich entzaubert und frei. Und außerdem kann der Riese hexen.«

Kaum hatte die Prinzessin dies gesagt, da hörten sie Türenschlagen und sahen den Riesen kommen. Und um nicht gesehen zu werden, sagte der Ritter: »Gott und Ameise«, da konnte der Riese ihn nicht sehen. Unbemerkt ging die Ameise in das Zimmer der Prinzessin



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und blieb dort. Und in der Nacht, als alle schon schliefen, wurde die Ameise wieder zum Ritter und begann mit der Prinzessin zu reden und fragte sie, wie er den Riesen töten könne. Und sie sagte zu ihm, daß der Riese das Ei bewache und sie nicht wisse, wo es sei. Und so blieb der Ritter drei Nächte bei der Prinzessin und redete mit ihr. Der Riese aber bewachte das Ei in einem Stachelschwein. Und nach vier Tagen kam der Riese mit dem Stachelschwein zu der Prinzessin und sagte zu ihr, er rieche Menschenfleisch und wolle es essen. Und als der Ritter das Stachelschwein kommen sah, sagte er: »Gott und Löwe.«Und da kämpften das Stachelschwein und der Löwe miteinander. Und als der Löwe das Stachelschwein schon fast besiegt hatte, da verwandelte es sich in einen Hasen und lief davon. Da verwandelte sich der Ritter wieder in einen Menschen und sagte: »Gott und Windhund.«Und da wurde er ein Windhund und lief hinter dem Hasen her. Und als der Windhund den Hasen schon fast erwischt hatte, da verwandelte sich der Hase in eine Taube und flog davon. Und dann wurde der Ritter wieder ein Mensch und sagte: »Gott und Adler.«Und er verwandelte sich in einen Adler und flog hinter der Taube her. Und er packte sie. Und dann wurde der Ritter wieder ein Mensch und tötete die Taube und fand darin das Ei, welches das Leben des Riesen enthielt. Da wurde dem Riesen gar übel zumute. Und der Ritter kam mit dem Ei und warf es dem Riesen an die Stirn, da zerbrach es, und der Riese starb. Und sterbend sagte er: »So sind die Frauen. Du hast den Zauber erzählt, und mich hat man getötet.« Und der Ritter heiratete die Prinzessin, die nun entzaubert war.


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MÄRCHEN AUS PORTUGAL


Die drei Feen

Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die hatten keine Kinder und waren daher sehr unzufrieden mit ihrem Dasein. Eines Tages schüttete die Frau dem heiligen Antonius ihr Herz aus und erzählte ihm ihren Kummer. Der Heilige gab ihr drei Äpfel, die sollte sie auf nüchternen Magen essen. Die Frau ging nach Hause, legte die Äpfel auf die Kommode und machte sich daran, das Essen zu bereiten. Als der Mann nach Hause kam, sah er die drei Äpfel und aß sie auf.

Da ging die Frau wieder zum heiligen Antonius, und er sagte zu ihr:

»Dann muß nun dein Mann die Schmerzen erdulden, die du dulden solltest.«

Als nun die Zeit kam, begann der Mann zu schreien; man holte einen Sachverständigen, der schnitt ihm den Bauch auf, um ihn zu erleichtern. Und der verzweifelte Mann befahl, das Kind im Gebirge auszusetzen. Ein Adler stieß vom Himmel herab und packte das Kind mit dem Schnabel und zog es mit der Milch auf, die er den Kühen, die auf der Weide waren, abzapfte, und kleidete es mit der Wäsche, die er auf den Trockenböden wegnahm. Er baute ihm ein kleines Häuschen aus Stroh, und da wuchs nun das arme Geschöpf heran und wurde ein wunderhübsches Mädchen. Eines Tages kam ein Prinz vorbei, der in dem Gebirge jagte. Er sah das hübsche Mädchen und fragte, ob sie mit ihm gehen wolle. Sie sagte ja, das wolle sie. Als er sie auf seinen Wagen hob, kam plötzlich der Adler herbei, um sie ihm wegzureißen; da er es aber nicht konnte, hackte er ihr im letzten Augenblick ein Auge heraus. Der Prinz aber liebte das Mädchen trotz ihres großen Fehlers wie vorher. Er nahm sie mit sich und



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verbarg sie im Schloß in seinem Zimmer. Als die Königin nun ihren Sohn immer in seinem Zimmer eingeschlossen fand, wurde sie argwöhnisch und wollte wissen, was wohl darin war. Und sie veranstaltete eine große Jagd, die mehrere Tage dauerte. Als alle fort waren, konnte die Königin durch eine Tür, die nur sie allein kannte, in das Gemach des Prinzen kommen. Als sie eintrat, erblickte sie das Mädchen.

»Ach, du bist es, schielendes Einaug, die meinen Sohn bestrickt? Komm heraus, um das Schloß und den Garten zu sehen?«

Das Mädchen ging mit der Königin, und als sie in den Garten kamen, führte die Königin sie an einen tiefen Brunnen und stieß sie hinein. Als der Sohn von der Jagd zurückkam, sagte sie zu ihm:

»Das schielende Einaug, das du in deinem Zimmer eingeschlossen hattest, ist in Windeseile davongelaufen, als die Tür geöffnet wurde, und niemand hat es zurückbringen können.«

In der Nacht kamen drei Feen am Brunnen vorbei und hörten darin seufzen. »Was ist das? Was mag das sein?«

»Das ist eine Mädchenstimme.«

Sie beugten sich über den Brunnenrand, um besser zu hören. Dann sagte die eine:

»Ich schenke dir, daß du bald aus dem Brunnen herauskommst und von vollkommener Schönheit bist.«

»Und ich schenke dir eine silberne Schere, mit der sollst du demjenigen die Zunge abschneiden, der dich zweimal nach derselben Sache fragt.«

»Und ich schenke dir ein Schloß genau gegenüber. dem Schloß der Königin, das soll von außen alt aussehen, aber von drinnen als lauterem Gold und Silber sein.«

Am nächsten Tage entsetzten sich alle sehr, als sie dem königlichen Schloß gegenüber ein großes altes Schloß sahen, ohne daß sie sich erinnerten, wie und wann es erbaut worden war. Am meisten entsetzte sich die Königin, und sie befahl ihrem alten Kammerherrn, in Erfahrung zu bringen, was das sei und wer darin wohne.

Der Kammerherr ging in das alte Schloß, blieb aber voll Verwunderung stehen, als er das Innere erblickte. Da erschien ihm ein prächtig gekleidetes Mädchen, das er nun nach den Dingen fragte, die die Königin wissen wollte. Es antwortete:



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»Sage deiner Königin,
meine Mutter hat mich ersehnt,
mein Vater bekam mich,
in den Wald hat man mich gebracht;
ein Adler hat mich groß gemacht,
mich hat der Prinz dann auf der Jagd gefunden;
die Königin stieß mich in den Brunnen hinab,
drei Feen aber waren mir hold gesinnt;
sie haben mich hierher gebracht,
und nie geh ich nun von hier fort.«


***
Der Kammerherr konnte diese Auskunft nicht gleich im Kopf behalten und bat daher das Mädchen, sie zu wiederholen; da sagte es: »Schneide los, Schere!«

Und im selben Augenblick fiel ihm die Zunge aus dem Mund. Der Kammerherr ging ins Schloß zurück und konnte nur noch sagen: »Lo-lo-ro, lo-lo-ro.«

Da schickte die Königin einen anderen hin, aber dem geschah dasselbe. Schließlich ging der Prinz hin, und als er die Verse gehört hatte, die das Mädchen gesprochen, sagte er sie der Königin her. Sie aber wollte sich mit eigenen Augen von all dem überzeugen, und dann gab sie ihrem Sohn die Erlaubnis, das Mädchen zu heiraten.


Der kleine Hans

Es waren einmal drei Brüder; einer von ihnen hieß der kleine Hans. Der kleine Hans war eine Handspanne groß, sein Bruder ein und eine halbe Handspanne und sein anderer eine halbe. Vater und Mutter starben; da zogen die drei in die Welt hinaus. Sie kamen an das Schloß eines Königs und klopften an das Tor und fragten, ob der König wohl einen Diener brauche. Es war der König der Türken. Er fragte sie, ob sie lesen könnten. Sie antworteten: »Nein.« Da sie nicht lesen konnten, schickte der König sie wieder fort. Da gingen sie in ein anderes Schloß, um dort ihre Dienste anzubieten. Bei diesem König sagten sie, sie könnten lesen. Der König bestellte den kleinen Hans zum Buchhalter, den, der nur eine halbe Handspanne



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groß war, zum Gärtner und den, der ein und eine halbe Handspanne groß war, zum Aufseher über seine Feldarbeiter.

Die beiden Brüder waren sehr neidisch auf den kleinen Hans, weil er immer im Haus bleiben konnte und sie aufs Feld gehen mußten. Sie wollten nun dem kleinen Hans eine Falle stellen, um ihn zu töten. Sie gingen also zum König und sagten zu ihm, der kleine Hans sei imstande, dem Türkenkönig eine wunderschöne Decke, die er besaß, zu entwenden.

Der kleine Hans machte sich auf den Weg; aber der Türkenkönig hatte an seinem Schloßtor einen Papagei, der schrie immer, sobald er jemanden erblickte: »Du armer Türkenkönig wirst bestohlen!«

Der kleine Hans kam an das Tor. Er hatte viele Kuchen bei sich, denn er wollte sehen, ob er den Papagei zum Schweigen brächte, und er fragte ihn, ob er Kuchen haben wolle.

Der Papagei sagte ja, und der kleine Hans stieg zum Schloß hinauf und legte sich unter das Bett des Königs. In der Nacht begann er, die Decke bald nach der einen, bald nach der anderen Seite zu ziehen. Den König ärgerte dies so sehr, daß er schließlich die Decke auf den Fußboden warf. Sofort nahm der kleine Hans die Decke an sich und machte sich mit ihr auf und davon. Als er durch das Tor entschwunden war und sich schon ein Stück vom Schloß entfernt hatte, kam es dem Papagei erst in den Sinn, zu rufen:

»Eile herbei, Türkenkönig, du wirst bestohlen!«

Der Türkenkönig erschien am Tor, erblickte den kleinen Hans noch und sagte zu ihm:

»Geh nur zu, denn du wirst noch oft wiederkommen, bis du eines Tages hierbleibst.«

Und der kleine Hans antwortete ihm:

»Ja, ich komme zurück, ich komme wieder, und eines Tages nehme ich dich selber mit.«

Er kam bei seinem König an und gab ihm die wunderschöne Decke. Als die Brüder sahen, daß er noch mit dem Leben davongekommen war, sagten sie zum König, Hänschen sei imstande, den Papagei zu holen, der das Schloßtor des Türkenkönigs bewache. Der kleine Hans ging wieder hin und hatte viel Kuchen bei sich und gab ihn dem Papagei und sagte zu ihm, er möge doch den Schnabel halten, wenn er ihn jetzt mitnehme.



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Als der Papagei die Kuchen gefressen hatte und der kleine Hans ihn mitnehmen wollte, rief der Papagei:

»Eile herbei, Türkenkönig, du wirst bestohlen!«

Der Türkenkönig erschien und nahm den kleinen Hans fest, führte ihn ins Schloß zurück, fesselte ihn an Händen und Füßen und sagte zur Köchin, sie solle den kleinen Hans schlachten und ihn zum Essen zubereiten. Dann ging der Türkenkönig wieder fort. Und die Köchin machte sich daran, einen Schinkenknochen durchzusägen. Als der kleine Hans dies sah, sagte er:

»Willst du ihn selbst durchsägen? Mach mir doch die Hände frei, dann säge ich dir den Knochen in einem Augenblick durch.«

Da antwortete sie:

»Nein, denn dann entfliehst du mir.«

Und er sagte:

»Das stimmt nicht; binde mir ruhig die Hände los, denn mit gefesselten Füßen kann ich doch nicht fliehen.«

Da band die Köchin ihm die Hände los, und er machte sich schnell ganz frei. Er ging auf die Köchin zu, schlug ihr den Kopf ab, nahm den Körper und kochte ihn statt des seinen. Dann kämmte er die Haare ihres Kopfes und legte ihn ins Bett, so daß er nur ein wenig herausguckte. Dann ging er zum Papagei und schnitt ihm die Zungenspitze ab und sagte zu ihm, er werde ihn töten, falls er ein Sterbenswörtchen von sich gebe, wenn er ihn mitnehme. Dann versteckte sich der kleine Hans hinter dem Tor, und als der Türkenköng wieder im Schloß war, nahm er schnell den Papagei und floh.

Und der Türkenkönig fand die Köchin tot vor, und er wurde sehr böse und zornig auf den kleinen Hans. Der kam indessen bei seinem König an und übergab ihm den Papagei. Da wurden die Brüder noch neidischer auf ihn und erklärten, der kleine Hans sei imstande, den Türkenkönig selbst zu holen. Der kleine Hans sagte ja, er wolle ihn wohl holen, aber man müsse ihm einen Wagen zurechtmachen, der mit sieben Schlüsseln zu verschließen sei. Dann stieg er in den Wagen, kam an das Tor des Türkenkönigs und fragte:

»Wer will sehen, wie der kleine Hans getötet wird?«

Der Türkenkönig sprang heraus und rief:

»Ich, ich!«



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Der kleine Hans antwortete ihm, ohne sich zu zeigen: »Kommt hier in diesen Wagen hinein, dann seid Ihr eher da.«

Sobald der kleine Hans den Türkenkönig im Wagen hatte, verschloß er ihn mit den sieben Schlüsseln und sagte:

»Wer will sehen, wie der Türkenkönig getötet wird?« Dann übergab er ihn seinem König. Der befahl nun, den Türkenköng zu erschießen, und darauf erzählte der kleine Hans seinem König, daß er an allem ganz unschuldig sei und daß alles seine Brüder erfunden hätten. Der König fragte ihn, wie er nun seine Brüder dafür bestrafen wolle. Der kleine Hans antwortete, der König solle sie auf die Turmspitze steigen und da tanzen lassen. Kaum waren die Brüder oben angelangt, da fielen sie vom Turm herunter. Als der König nun sah, daß der kleine Hans in allem sehr geschickt war, gab er ihm seine Tochter zur Frau.


Das Ei und der Edelstein

Es war einmal eine Frau, die hatte eine Tochter und eine Stieftochter; sie lebten allein zu Haus. Das eine Mädchen mußte immer in der Küche sein und schwer arbeiten, während das andere ruhig am Fenster saß und hochmütig von oben herunterschaute. Da kam eines Tages eine Alte vorbei, die bat um Almosen. Die Stolze sagte:

»Geh weg, Alte, wir haben kein Brot im Haus.«

Die andere aber sagte:

»Ich kann dir nichts geben als dieses Ei, das ein Huhn gerade gelegt hat.«

Und sie gab der Alten das Ei. Die zerbrach es, und da war im Ei ein großer Edelstein, der war ein Brillant; die Alte nahm ihn und gab ihn dem Mädchen:

»Trage diesen Stein immer an deinem Hals, denn solange du ihn an dir hast, fällt alles Glück dir zu.«

Das Mädchen hängte den Stein um ihren Hals. Die Schwester, die neidisch war, suchte nun auch ein Ei und gab es der Alten. Sie sagte, sie möchte es zerbrechen; doch als die Alte es tat, lief das Ei, das faul war, aus, und die stinkende Flüssigkeit floß ihr über Hände und Gesicht.



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Die Alte ging fort. Nun geschah es, daß bald darauf der König am Haus vorbeikam und das Mädchen mit dem Edelstein erblickte; er fand sie so schön, daß er sich sogleich in sie verliebte und sie holen ließ und sie heiratete. So wurde sie Königin; und weil sie von Herzen gut war, baten die Stiefmutter und die Stiefschwester sie, bei ihr im Schloß leben zu dürfen, und sie erlaubte es. Eines Tages mußte der König in den Krieg ziehen und längere Zeit fortbleiben; die Königin ließ er im Schloß zurück. Da nun versuchte die Stiefmutter, die die geheime Kraft des Edelsteines erkannt hatte, mit ihrer Tochter zusammen der Königin den Brillanten wegzunehmen. Und als diese eines Tages im Bad war und die Stiefschwester zu ihr ging, um ihr das Badetuch überzuwerfen, stahl sie ihr den Stein, ohne daß die Königin es bemerkte. Sie wurde nun sehr betrübt.

Die Stiefschwester verließ mit der Mutter zusammen das Schloß, um zum König zu gehen, der im Felde war, denn die beiden glaubten, daß er nun die Stiefschwester für seine Frau halten werde. Unterwegs ruhten sie eine Weile aus und schliefen dabei ein. Ein Adler, der hoch oben vorbeiflog, sah den Edelstein leuchten, stieß herab und schnappte ihn und schluckte ihn hinunter. Die beiden Frauen, die das Fehlen des Edelsteines nicht bemerkten, zogen bald darauf ihres Weges weiter und kamen vor das Zelt des Königs. Sie baten um die Erlaubnis, eintreten zu dürfen, und sagten, die Königin sei da und wolle ihn besuchen, weil sie große Sehnsucht nach ihm habe. Der König aber erkannte, wer sie waren, und er ließ sie gehörig ausprügeln und hinauswerfen. Da erst bemerkte das Mädchen, daß sie den Stein nicht mehr hatte, und sie machte sich mit ihrer Mutter eilig von dannen.

Als der König in sein Reich zurückkehrte, kam die Königin ihm entgegen. Aber da sie den Stein nicht hatte, erkannte der König sie nicht, und er sprach: »Die ist so dumm wie die anderen auch.« Und er warf sie hinaus. Sie kehrte ins Schloß zurück, aber da wollte man sie nur noch als Küchenmagd annehmen. Als man nun eines Tages ein großes Essen für die Hochzeit des Königs bereitete und sie dafür einen Adler zurechtmachen mußte, fand sie in seinem Bauch einen Edelstein. Sie nahm ihn an sich und bat den Küchenmeister, bei Tisch bedienen zu dürfen. Sie hing sich den Stein um den Hals, und kaum war sie in den Saal getreten, erkannte der König sie, erinnerte



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sich wieder und fragte sie, wie alles gekommen sei. Sie erzählte es ihm, und der König ließ sie zu seiner Rechten Platz nehmen; und die andere Prinzessin mußte wieder abziehen.


Die Geschichte vom tölpelhaften Mann

Es war einmal eine Frau, die war verheiratet mit einem sehr tölpelhaften Mann; und wenn er allein zu Hause war, so brachte er bald alles in Unordnung; und wenn er auf den Markt ging, so war er nicht imstande, vernünftig zu verkaufen oder einzukaufen. Eines Tages schickte ihn seine Frau auf den Markt, um einen Stoff zu verkaufen, und sie sagte zu ihm: »Verkauf ihn nicht einem Mann oder einer Frau, die viel reden, denn die betrügen dich nur.«

Er ging also auf den Markt, doch da redeten sie ihm alle zuviel, und er sagte jedesmal:

»Ihr bekommt ihn nicht, denn Ihr redet viel.«

Und auf diese Weise verkaufte er den Stoff nicht. Er ging damit nach Hause zurück, kam an einer Kapelle vorbei und trat ein, um zu den Heiligen zu beten. Da hörte er draußen ein Festgeläut, er ließ den Stoff liegen und ging auf das Fest; als er zurückkehrte, war sein Stoff gestohlen. Da wandte er sich an den Heiligen und sagte zu ihm:

»Aha, du hast mir den Stoff abgekauft und wolltest nur nicht auf den Markt gehen, um keine nassen Füße zu bekommen! Nun gib mir auch das Geld dafür.«

Da der Heilige ihm das Geld nicht hinlegte, wurde der Mann böse auf ihn, gab ihm einen Schlag mit der Faust und stieß ihn vom Altar hinunter. Im selben Augenblick fielen fünf Heller von den Almosen, die man dem Heiligen gespendet hatte, herunter, und der Mann sagte:

»Gut, das ist die Bezahlung für den Stoff.«

Er nahm die fünf Heller, ließ den Heiligen, wo er war, und ging dann weg. Als er zu Hause ankam, gab er seiner Frau die fünf Heller und erzählte ihr, was er erlebt hatte.

Später, als wieder Jahrmarkt war, schickte ihn die Frau fort, um zwei Dutzend Nadeln zu holen. Der Mann kam vom Jahrmarkt zurück, und die Frau fragte ihn nach den Nadeln.



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»Ja, weißt du, die Nadeln . . .; ich traf da einen Wagen mit Mist, dessen Ochsen störrisch wurden; da habe ich die Seitenbretter des Wagens angefaßt; nun konnte ich die Nadeln nicht mehr festhalten und warf sie in den Wagen und konnte sie nachher in dem Mist nicht wiederfinden.«

»Gott im Himmel, Mann! Du bist verrückt; so etwas steckt man doch in seine Jacke.«

»Ja, ja, ganz recht; das nächte Mal werde ich es so machen.« Bald darauf schickte die Frau ihn zum Schmied, um Haken für das Ochsenjoch zu holen. Er nahm sie, steckte sie in seinen Anzug und machte ihn damit ganz entzwei. Die Frau beschimpfte ihn: »Mann, bist du verrückt; hast du wirklich die Jacke damit zerrissen?« »Ja! Wie sollte ich es denn sonst machen?«

»So was trägt man doch in einem Bündel auf der Schulter.«

»Ja, ja, ganz recht; so werde ich es das nächste Mal machen.«

Nun schickte die Frau ihn los, ein Ferkel zu kaufen, er kaufte das Ferkel; packte es am Hals und warf es über die Schulter. Als er zu Hause mit dem Ferkel ankam, war es erstickt.

Da sagte die Frau:

»Mann, in Gottes Namen! Was hast du nur gemacht! Du hast das Ferkel erstickt!«

»Wie soll man es denn anders machen?«

»Na hör mal; das führt man doch an einem Strick und treibt es mit einem Stock an.«

»Ja, ja, ganz recht; das nächste Mal werde ich es so machen.« Ein anderes Mal schickte ihn die Frau wieder auf den Jahrmarkt, um einen Krug zu kaufen. Er nahm den Krug, band einen Strick herum und zog ihn auf der Erde hinter sich her. Als er nach Hause kam, hing nur noch der Henkel an der Schnur. Als die Frau den Henkel des Kruges sah, sagte sie:

»Mein Gott! Du bringst mich noch ins Grab! Du kommst mir nicht wieder zum Jahrmarkt.«

»Ja, ja, dann geh du nur; ich kann ja hierbleiben.«

Da ging die Frau nun auf den Markt, und vorher ermahnte sie ihn: »Hör einmal, Mann: du läßt die Ziegen nicht an das Maisfeld heran; du gehst auch nicht in den Keller und läßt das Faß auslaufen; du gehst auch nicht an den Napf, in dem Rauschgelb ist (aber in Wirklichkeit



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war Zucker darin), denn wenn du davon ißt, stirbst du; paß gut auf die Henne mit den Küken auf, damit ihr nichts passiert!« Die Frau ging auf den Markt; kaum war sie aus dem Haus gegangen, da holte er sich ein gutes Stück vom Schinken und briet es (um es zu essen, natürlich, der arme Narr!); dann holte er ein Glas Wein und verlor dabei den Stöpsel für das Faß; da steckte er statt dessen seinen Finger hinein und blieb so beim Faß stehen. In diesem Augenblick erschien ein Hund, und er rief ihn herbei und steckte seinen Schwanz in das Loch des Fasses, um es dicht zu machen. Nun wollte er endlich das Fleisch essen und sein Gläschen Wein trinken; da rief man nach ihm, weil die Ziegen in das Maisfeld gegangen waren; er lief in den Keller und rief den Hund; der rannte auf und davon und ließ das Faß auslaufen. Als der Mann wieder ins Haus zurückkehrte und den Wein im Keller laufen sah, nahm er die Mehlsäcke und verschüttete das Mehl auf den Boden, damit die Frau den verschütteten Wein nicht sehen sollte. Inzwischen war der Fuchs angekommen und hatte die Henne aufgefressen; da fing nun unser Mann zu weinen an.

»Herrgott! Was für Pech hab ich doch! Was soll ich nun jetzt tun!« Da machte er sich an den Zuckernapf und aß davon, weil er sterben wollte, denn er glaubte, es sei Rauschgelb. Und da es so süß schmeckte, aß er alles auf. Dann ging er an eine Kiste und fand ein Stück Honig; auch das aß er auf, weil er glaubte, daß er dann noch eher sterben und nicht die Schelte der Frau hören würde, wenn sie zurückkäme. Aber allmählich merkte er, daß er daran gar nicht starb. Da ergriff er eine Keule zum Flachsschlagen und begann sie in die Luft zu schleudern, um sich mit ihr zu töten; und als er sie nun in der Luft sah, floh er in die andere Ecke. Als er merkte, daß er an allem nicht starb, ging er an das Hühnernest, um die Eier auszubrüten; und da saß er nun: »Gluck, gluck. . .«

So fand ihn dann die Frau: »O Mann!«

»Gluck, gluck. .«

So sah sie ihn, wie er die Eier ausbrütete; sie schalt ihn sehr und sagte zu ihm:

»Geh weg da, mein lieber Narr.«

Und dann schlossen sie Frieden miteinander, und sie verzieh ihm.



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Das Beil

Es war einmal eine Frau, die hatte eine Tochter. Die Tochter sollte heiraten, und am Abend vor der Hochzeit gaben die Eltern für den Bräutigam ein Essen. Als sie nun schon bei Tisch saßen, fiel ihnen ein, daß sie keinen Wein hatten. Die Mutter schickte die Tochter in den Weinkeller, den sie der Tochter in dem Haus, wo sie als Ehefrau wohnen sollte, vermacht hatten. Die Tochter stand auf, um den Wein zu holen.

Sie ging in den Keller, öffnete den Hahn des Fasses und stellte einen Krug darunter. Dann stieg sie nach oben in die Wohnung, in der sie vom nächsten Tag ab wohnen sollte. Sie bestimmte die einzelnen Zimmer, und in dem, das sie für sich bestimmt hatte, sah sie an der Decke ein Beil hängen.

Da dachte das Mädchen.

>Ich verheirate mich nun, und dann bekomme ich ein Kind; aber da hängt dieses Beil, das fällt dem Kind auf den Kopf und wird es töten.<

Und wie sie dies so dachte, verging die Zeit. Die Eltern und der Bräutigam, die allmählich des Wartens überdrüssig wurden, sagten:

»Unsere Tochter bleibt ja lange aus. Wir müssen nachsehen, was sie macht.«

Die Mutter ging geradewegs in den Keller und sah, wie der Krug voll war und der Wein schon auf den Boden floß. Doch anstatt den Hahn zuzumachen, ließ sie ihn offen und suchte ihre Tochter. Sie lief nun durch alle Räume und fand sie schließlich in dem einen Zimmer, wie sie das Beil betrachtete.

»Was machst du denn hier, Tochter? Wir alle warten ungeduldig bei Tisch auf dich, und du erscheinst nicht!«

»Hör mal, Mutter, morgen verheirate ich mich, dann bekomme ich ein Kind; hier richten wir unser Schlafzimmer ein, und da hängt nun dies Beil, das fällt dem Kind auf den Kopf und tötet es.«

»Ja, das ist wahr, Tochter, da hast du recht!«

Und so standen sie lange Zeit, bis auch dem Vater das Warten zu lange wurde und er zum Bräutigam sagte: »Jetzt will ich einmal hingehen und nachsehen.«



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Er ging geradeswegs in den Keller und sah, wie der Wein auf den Boden floß und der Hahn geöffnet war. Aber anstatt ihn zuzumachen, ging er auch fort und suchte Frau und Tochter. Nachdem er durch alle Räume gelaufen war, traf er sie in dem Zimmer, wo sie beide das Beil betrachteten.

»Was soll denn das, Frau? Alle warten wir, und der Wein fließt auf den Boden.«

»Hör mal, Mann, unsere Tochter verheiratet sich morgen; dann bekommt sie ein Kind; aber hier hängt nun dieses Beil, das fällt dem Kind auf den Kopf und tötet es.«

Der Mann betrachtete nun auch das Beil an der Decke, und so standen sie lange Zeit, bis dem Bräutigam das Warten zu lange wurde und er auch in den Keller ging. Als er dort hinkam, sah er den Wein herauslaufen und alles überschwemmen. Er ging an das Faß, machte den Hahn zu und suchte nun die anderen. Er fand sie in dem Zimmer, und sobald er eintrat, sprach der Vater der Braut zu ihm: »Hör mal, Schwiegersohn, wir dachten gerade darüber nach, daß sich morgen unsere Tochter verheiratet; dann bekommt sie ein Kind, und dann fällt das Beil, das da oben hängt, dem Kind auf den Kopf und tötet es. Dies ist meiner Tochter eingefallen. Sie ist immer so klug!«

»Das ist sie«, antwortete der Bräutigam, »aber behaltet sie nur; ich will mir eine andere suchen, und wenn ich keine klügere finde, heirate ich sie doch noch.«

Die Eltern und die Braut wurden sehr traurig darüber, und der Bräutigam ging fort. Auf seiner Reise sah er eine Alte mit einer Kerze in der Nase.

Da fragte er: »Warum hast du die Kerze in der Nase?«

»Ja, ich geh jeden Tag fort, und wenn ich abends nach Hause komme, mag ich nicht immer die Kerze suchen, die ich nie finden kann; deshalb trage ich sie in der Nase, dann hab ich sie abends immer zur Hand, wenn ich nach Hause komme.«

»Das laß nur gut sein, liebe Alte, ich will es dir in Ordnung bringen. Wenn du jetzt nach Hause kommst, steck die Kerze an einen Nagel hinter der Tür. Dann findest du sie immer wieder.«

Die Alte war sehr froh darüber, denn so etwas war ihr noch nie eingefallen.



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Der junge Bursche zog nun seines Weges weiter. Da sah er mehrere Männer, die warfen in großen Mengen Eier gegen eine Erdmauer. Er wunderte sich darüber und fragte sie, warum sie dies täten. Sie antworteten, sie wollten die Mauer umwerfen und würfen nun schon acht Tage Eier dagegen, ohne daß sie umfiele.

»Aber seid doch nicht dumm! Besorgt euch eine Hacke, dann fällt die Mauer in einem Augenblick.«

Dies taten sie; sie holten eine Hacke, und in einem Nu waren die Mauer dem Erdboden gleich.

Da waren die Männer sehr froh, und der junge Bursche wanderte weiter. Unterwegs sah er eine Alte mit einem Korb gehen. Als die Sonne auf sie schien, öffnete sie den Korb, und danach schüttete sie den Inhalt in eine Kiste. Da er nicht wußte, was das zu bedeuten habe, fragte er sie danach. Die Alte antwortete ihm, sie speichere Sonne für den Winter auf, weil ihre Wohnung im Winter kalt sei.

»Komm her, Alte«, sagte er, »ich bringe es schon in Ordnung, denn so hat es keinen Zweck. Ich will es einrichten, daß du das ganze Jahr über Sonne hast.«

Er stieg auf das Dach und deckte die Ziegel ab, und die Alte war sehr froh, denn nun hatte sie das Haus voller Sonne.

Und der junge Bursche wanderte weiter. Unterwegs sah er einen Mann und mehrere Frauen, die vergruben eine Menge Sardinen. Er ging auf sie zu und fragte sie, was sie machten.

»Ja, nun, hier gibt es im Winter keine Fische«, sagten sie, »und wir machen dies, damit wir dann welche haben.«

Da sagte der junge Bursche zu ihnen, es sei besser, einen Korb mit Salz zu holen und die Fische darin aufzubewahren, denn auf diese Art würden sie nicht verderben. Das taten sie dann auch und waren ihm für seinen guten Rat sehr dankbar.

Der junge Bursche ging weiter. Nach einiger Zeit sah er viele Leute um eine Kirche herumstehen. Er fragte sie, was diese Ansammlung zu bedeuten habe; man antwortete ihm, es sei ein Mädchen da, die solle verheiratet werden, aber da sie größer als die Tür sei, müsse man entweder der Braut den Kopf oder dem Pferd die Beine abschlagen.

»Das ist nicht nötig«, sagte er, »es genügt, daß die Braut sich tief duckt, um durch die Tür zu kommen.«



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Das Mädchen tat dies, und in dem Augenblick gab er dem Pferd einen Schlag auf den Rücken, so daß die Braut ohne Schwierigkeit in die Kirche kam. Da waren alle sehr froh, dankten ihm für seinen guten Rat, und er sah zu, wie die Braut verheiratet wurde. Dann kehrte er nach Haus zurück, und da dachte er, daß die Braut, die er im Stich gelassen hatte, doch gar nicht so dumm sei wie all die Leute, die er unterwegs getroffen hatte.

Und er ging zu ihrem Vater, bat ihn um Verzeihung und heiratete sie. Wegen des Beils, sagte er, solle sie sich keine Sorgen machen, denn er wolle es von der Decke herunterholen, damit es dem Kind nicht auf den Kopf falle.


Doktor Grille

Eines Tages ging über die Brücke von Coimbra ein Kohlenhändler mit einem Esel, der mit Kohlen beladen war. Und er sah viele Studenten, die saßen auf der Brücke und aßen Kuchen, Bonbons und Mandeln. Der Kohlenhändler dachte bei sich: >Wenn man so schöne Dinge essen will, muß man wohl Student sein.<

Gesagt, getan. Er verkaufte die Kohlen und den Esel in der Stadt, zog sich die Kohlensäcke an und setzte sich auf die Brücke, um die Rinde vom Maisbrot zu essen, weil er nicht genug Geld hatte, um Kuchen zu kaufen. Die Studenten wunderten sich sehr über den neuen Kollegen und fragten ihn:

»Hallo, junger Fuchs, was studierst du eigentlich?«

Da antwortete er:

»Ich studiere die Wahrsagerei.«

Es waren einige Tage vergangen, da wurde bekannt, daß dem König von Portugal ein Schatz gestohlen worden war und daß er demjenigen einen hohen Lohn ausgesetzt habe, der den Dieb ausfindig mache. Die Studenten erzählten nun dem König, daß ein Student da sei, der Wahrsagerei studiere. Der König ließ ihn gleich zu sich ins Schloß kommen und sagte zu ihm, er wolle einmal sehen, ob er in der Wissenschaft, die er studiere, schon vorgeschritten sei. Nun hieß der Kohlenhändler X. Y. Grille. Der König ging mit geschlossener Hand auf ihn zu und fragte ihn:



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»Was hab ich in der Hand?«

Da der Student ganz bestürzt war und nicht wußte, was er antworten sollte, seufzte er schwer und sagte:

»Ach, Grille, Grille, in welche Hand hast du dich hier begeben!«

Da machte der König die Hand auf und sagte, da er nicht wußte, daß der Student Grille hieß:

»Du hast richtig geraten; ich habe wirklich eine Grille hier.«

Der König war nun sehr zufrieden und der Student nicht weniger. Bald danach wollte der König erproben, ob der Student noch mehr raten konnte, und er ließ ein Schwein schlachten, füllte eine Flasche mit dem Blut, ging zum Studenten und fragte ihn: »Wessen Blut ist dies?«

Er wußte wieder nicht, was er sagen sollte, und antwortete: »Ja, hier muß man schon Schwein haben.«

Der König antwortete:

»Du hast richtig geraten; ich habe in der Flasche hier Schweineblut.«

Und dann sagte der König zu ihm:

»Ich gebe dir jetzt drei Tage Zeit, um die Diebe, die meinen Schatz gestohlen haben, ausfindig zu machen.« Zwei Diener des Königs gingen nun zu dem Studenten und sagten zu ihm:

»Wir geben Euch sehr viel Geld, wenn Ihr dem König nicht sagt, daß wir beide den Schatz gestohlen haben.«

Dies wollte der Student ja nur hören. Er ließ sogleich den König rufen und sagte: »Euer Majestät muß wissen, daß zwei von Euren Dienern den Schatz geraubt haben.«

Als der König die Wahrheit wußte, ließ er die Diener festnehmen, und sie gaben ihm den Schatz zurück. Und der König sagte zu dem Studenten, er wolle ihm nun eine gute Belohnung geben, und er möge doch noch einige Tage im Schloß bleiben. Während dieser Tage geschah es, daß der Königstochter beim Essen ein Knochen im Hals steckenblieb. Die Ärzte des Königs wagten nicht, ihn ihr herauszuziehen, und da wandte sich der König wieder an den Studenten und sagte ihm, er wolle ihn sehr reich belohnen, wenn er die Prinzessin rette. Der Student sagte nun zur Prinzessin, sie solle sich bäuchlings auf den Boden legen, und er begann, Butterkugeln auf sie zu werfen. Da mußte die Prinzessin loslachen, und als sie hell



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auflachte, flog der Knochen plötzlich hinaus. Nun gab der König dem Studenten eine Menge Geld zur Belohnung und sagte zu ihm:

»Weil du so viel weißt, mache ich dich zum Arzt in meinem Krankenhaus und in meinem königlichen Schloß.«

In dieser Zeit herrschte in der Stadt eine furchtbare Epidemie, und der Arzt machte den Kranken seine Visite. Als er sie alle untersucht hatte, sagte er zu ihnen: »Wer von euch am kränksten ist, soll morgen aufgeschnitten werden, damit wir ihn einmal von drinnen sehen können.«

Als nun die Kranken dies hörten, standen sie alle auf, die einen auf Stöcke gestützt, die anderen auf Krücken. Sie verließen das Krankenhaus, denn sie mochten jetzt nicht mehr krank sein. Und es sprach sich in der Stadt herum, daß der neue Arzt so viel wußte, daß allein bei seinem Anblick die Kranken schon wieder gesund wurden. Als der Arzt dies vernahm, entschloß er sich nun, an der Universität Medizin zu studieren; nach einiger Zeit konnte er sich den Doktorhut aufsetzen und nannte sich nun Doktor Grille.


Der Prinz mit den Eselsohren

Es war einmal ein König, der war sehr traurig, weil er keine Kinder hatte; und er ließ drei Feen rufen, die sollten bewirken, daß die Königin ihm einen Sohn schenkte. Die Feen versprachen ihm, seine Wünsche zu erfüllen, und sagten ihm, sie würden bei der Geburt des Prinzen zugegen sein.

Nach neun Monaten wurde dem Königspaar ein Sohn geboren, und die Feen schenkten dem König ihre Gaben.

Die erste Fee sprach:

»Du sollst der schönste Prinz der Welt werden.«

Die zweite Fee sprach:

»Du sollst sehr tugendhaft und verständig werden.«

Die dritte Fee sprach:

»Dir sollen Eselsohren wachsen.«

Die drei Feen gingen wieder fort, und bald darauf wuchsen dem Prinzen Eselsohren. Der König befahl, eine Mütze herzustellen, die der Prinz immer tragen sollte, um die Ohren damit zu verdecken.



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Der Prinz wurde von Tag zu Tag schöner, und niemand auf dem Hof wußte, daß er Eselsohren hatte. Er kam in das Alter, in dem er rasiert werden mußte; da ließ der König den Barbier rufen und sagte zu ihm:

»Du wirst den Prinzen rasieren, aber wenn du jemandem sagst, daß er Eselsohren hat, mußt du sterben.«

Der Barbier hatte große Lust zu erzählen, was er gesehen hatte, aber die Angst, sterben zum müssen, ließ ihn schweigen. Eines Tages ging er zur Beichte und sagte zu seinem Beichtvater: »Ich habe ein Geheimnis, das ich bewahren muß, aber wenn ich es nicht jemandem anvertrauen kann, sterbe ich, und wenn ich es jemandem anvertraue, läßt der König mich töten. Sagt mir, Vater, was ich tun soll.«

Der Beichtvater antwortete ihm, er solle in ein Tal gehen, dort ein Loch graben und das Geheimnis so oft dahineinsprechen, bis er von dieser Last befreit sei, und dann das Loch mit Erde wieder zuschütten. Der Barbier tat es; und nachdem er das Loch zugeschüttet hatte, ging er ganz erleichtert nach Haus zurück. Nach einiger Zeit wuchs an der Stelle, wo der Barbier das Loch gegraben hatte, Schilfrohr. Wenn die Hirten mit ihren Herden dort vorbeikamen, schnitten sie das Rohr und machten sich Flöten daraus; und wenn sie dann auf den Flöten spielten, so erklangen Stimmen, die sagten: »Prinz mit den Eselsohren.« Diese Neuigkeit verbreitete sich allmählich in der ganzen Stadt, und da befahl der König, einer der Hirten solle zu ihm kommen und auf solch einer Flöte spielen. Und es erklangen immer dieselben Melodien und Stimmen, die sprachen: »Prinz mit den Eselsohren.«Auch der König selbst spielte, und bei jedem Mal hörte er wieder die Stimmen. Da ließ der König die Feen zu sich rufen und bat sie, dem Prinzen die Eselsohren wegzunehmen. Sie kamen und ließen den ganzen Hof versammeln und befahlen dem Prinzen, die Mütze abzunehmen. Wie groß war da die Freude des Königs, der Königin und des Prinzen, als sie sahen, daß er keine Eselsohren mehr hatte!

Von jenem Tag an hörte man aus den Flöten, die die Hirten machten, die Worte nicht mehr:

»Prinz mit den Eselsohren.«



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Die drei Ratgeber des Königs

Es war einmal ein König, der hatte an seinem Hof drei Ratgeber, die hielten sich für sehr weise. Eines Tages ging der König mit seinen drei Ratgebern auf die Jagd und traf unterwegs einen Bauern bei seiner Arbeit an. Der König betrachtete ihn und sagte:

»Oh, was für ein Schnee fällt in den Bergen!«

Der Bauer antwortete:

»Es ist die Zeit dazu, Herr.«

Dann fragte der König den Bauern:

»Wie oft hast du das Haus abgebrannt?«

»Zweimal, königlicher Herr.«

»Und wie oft mußt du es noch abbrennen?«

»Dreimal, königlicher Herr.«

»Wenn ich dir nun drei Enten zum Rupfen schickte?« »Soviel Ihr wollt, Herr.«

Der König ging weiter, und nach einiger Zeit wandte er sich an seine drei Ratgeber und sagte zu ihnen:

»Nun, ihr, die ihr so weise seid, sollt mir jetzt erklären, was ich dem Bauern mit den Fragen sagen wollte und was seine Antworten bedeuteten. Wenn ihr mir dies nicht erklären könnt, laß ich euch töten.«

Da sagten die Ratgeber:

»Aber, königlicher Herr, jetzt sofort, das ist doch nicht möglich . .

»Gut, ich gebe euch drei Tage Zeit, aber wenn ihr mir die Fragen nach drei Tagen nicht beantwortet, laß ich euch töten, denn ihr besitzt die Weisheit nicht, deren ihr euch rühmt.«

Da begannen die drei Ratgeber ganze Bibliotheken durchzustöbern, aber sie errieten den Sinn der Fragen nicht, und sie beschlossen betrübt, den Bauern heimlich aufzusuchen und ihn um eine Erklärung zu bitten. Sie kamen zu dem Alten, und der sagte ihnen, daß er die Fragen erklären wolle, wenn sie ihm auf der Stelle die kostbaren Gewänder überließen, die sie anhätten. Da sie keinen anderen Ausweg sahen, zogen sie sich aus, und da sagte der Bauer zu ihnen:

»Oh, was für ein Schnee fällt in den Bergen: will sagen, daß ich weiße Haare habe. Ich antworte: Es ist die Zeit dazu, Herr, denn ich bin



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schon alt an Jahren. Wie oft hast du das Haus abgebrannt: will sagen, wieviel Töchter ich verheiratet habe, denn wer eine Tochter verheiratet, gibt soviel Geld aus wie der, dem das Haus abbrennt. Ich antwortete, zweimal und daß ich es noch dreimal abbrennen müßte, denn ich habe zwei Töchter verheiratet und drei noch ledig im Haus . . .«

»Und die Frage mit den Enten, was sollte die bedeuten?«

»Die Enten sind Euer Gnaden, die ich gerupft habe, indem ich sie bat, sich auszuziehen.«

Die Herren zogen ganz zufrieden in Hemdsärmeln ab, als der König gerade eintrat, der ihnen auf den Fersen gefolgt war.

»Ihr wolltet mich also betrügen?« sagte der König. »Das kann ich euch nur verzeihen, wenn ihr diesem Bauern helft, die Male, die er noch übrig hat, sein Haus abzubrennen.«

»Was will unser König damit sagen?«fragten die Ratgeber den Bauern.

»Er will sagen, daß Euer Gnaden meinen drei ledigen Töchtern gute Mitgift geben sollen.«

Und die Ratgeber sahen keinen anderen Weg, dem Tode zu entkommen, als den Töchtern des Bauern eine gute Mitgift zu geben.


Der Granatbaum des Affen

Es war einmal ein Affe, der saß auf einem Ölbaum und fraß einen Granatapfel. Da fiel ein Kern des Apfels auf die Erde neben dem Olivenbaum, und nach kurzer Zeit wuchs aus der Erde ein kleiner Granatbaum hervor. Als der Affe dieses Bäumchen erblickte, ging er zum Besitzer des Ölbaums und sagte zu ihm: »Fäll den Ölbaum, mein Granatbaum wächst sonst nicht!«

Und der Mann antwortet: »Ich denke nicht daran.«

Da ging der Affe zum König und sagte:

»König, nimm dem Richter sein Amt, er verhaftet den Mann nicht, der fällt den Ölbaum nicht, und mein Granatbaum wächst dann nicht.«

Und der König antwortet: »Ich denke nicht daran.«

Da ging der Affe zur Königin:



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»Königin, erzürne dich mit dem König, er nimmt dem Richter sein Amt nicht, der verhaftet den Mann nicht, der fällt den Ölbaum nicht, und mein Granatbaum wächst nicht.«

Und die Königin antwortet: »Ich denke nicht daran.«

Da ging der Affe zur Maus:

»Maus, nage am Rock der Königin, sie erzürnt sich mit dem König nicht, der nimmt dem Richter sein Amt nicht, der verhaftet den Mann nicht, der fällt den Ölbaum nicht, und mein Granatbaum wächst dann nicht.«

Und die Maus antwortet: »Ich denke nicht daran.«

Da ging er zur Katze:

»Hör, Katze, friß die Maus, sie nagt am Rock der Königin nicht, die erzürnt sich mit dem König nicht, der nimmt dem Richter sein Amt nicht, der verhaftet den Mann nicht, der fällt den Ölbaum nicht, und mein Granatbaum wächst dann nicht.«

Und die Katze antwortet: »Ich denke nicht daran.«

Da ging er zum Hund:

»Hör, Hund, beiß die Katze, sie frißt die Maus nicht, die nagt am Rock der Königin nicht, die erzürnt sich mit dem König nicht, der nimmt dem Richter sein Amt nicht, der verhaftet den Mann nicht, der fällt den Ölbaum nicht, und mein Granatbaum wächst dann nicht.«

Und der Hund antwortet: »Ich denke nicht daran.«

Da ging er zum Knüppel und sagte:

»Knüppel, hau den Hund, der beißt die Katze nicht, die frißt die Maus nicht, die nagt am Rock der Königin nicht, die erzürnt sich mit dem König nicht, der nimmt dem Richter sein Amt nicht, der verhaftet den Mann nicht, der fällt den Ölbaum nicht, und mein Granatbaum wächst dann nicht.«

»Ich denke nicht daran.«

Da ging er zum Feuer:

»Feuer, verbrenn den Knüppel, er haut den Hund nicht, der beißt die Katze nicht, die frißt die Maus nicht, die nagt am Rock der Königin nicht, die erzürnt sich mit dem König nicht, der nimmt dem Richter sein Amt nicht, der verhaftet den Mann nicht, der fällt den Ölbaum nicht, und mein Granatbaum wächst dann nicht.«

»Ich denke nicht daran.«



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Da ging er zum Wasser:

»Hör, Wasser, lösch das Feuer, es verbrennt den Knüppel nicht, der haut den Hund nicht, der beißt die Katze nicht, die frißt die Maus nicht, die nagt am Rock der Königin nicht, die erzürnt sich mit dem König nicht, der nimmt dem Richter sein Amt nicht, der verhaftet den Mann nicht, der fällt den Ölbaum nicht, und mein Granatbaum wächst dann nicht.«

»Ich denke nicht daran.«

Da ging er zum Ochsen:

»Hör, Ochse, trink das Wasser, es löscht das Feuer nicht, das verbrennt den Knüppel nicht, der haut den Hund nicht, der beißt die Katze nicht, die frißt die Maus nicht, die nagt am Rock der Königin nicht, die erzürnt sich mit dem König nicht, der nimmt dem Richter sein Amt nicht, der verhaftet den Mann nicht, der fällt den Ölbaum nicht, und mein Granatbaum wächst dann nicht.«

»Ich denke nicht daran.«

Da ging er zum Schlachter:

»Schlachter, töte den Ochsen, er trinkt das Wasser nicht, das löscht das Feuer nicht, das verbrennt den Knüppel nicht, der haut den Hund nicht, der beißt die Katze nicht, die frißt die Maus nicht, die nagt am Rock der Königin nicht, die erzürnt sich mit dem König nicht, der nimmt dem Richter sein Amt nicht, der verhaftet den Mann nicht, der fällt den Ölbaum nicht, und mein Granatbaum wächst dann nicht.«

»Ich denke nicht daran.«

Da ging er zum Tod:

»Hör, Tod, hol den Schlachter ab, er tötet den Ochsen nicht, der trinkt das Wasser nicht, das löscht das Feuer nicht, das verbrennt den Knüppel nicht, der haut den Hund nicht, der beißt die Katze nicht, die frißt die Maus nicht, die nagt am Rock der Königin nicht, die erzürnt sich mit dem König nicht, der nimmt dem Richter sein Amt nicht, der verhaftet den Mann nicht, der fällt den Ölbaum nicht, und mein Granatbaum wächst dann nicht.«

Der Tod ging zum Schlachter, um ihn abzuholen; der sagte: »Hol mich nicht ab, ich will den Ochsen töten.«

Der Ochse sagte: »Töte mich nicht, ich will das Wasser trinken.«

Das Wasser sagte: »Trink mich nicht, ich will das Feuer löschen.«



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Das Feuer sagte: »Lösch mich nicht, ich will den Knüppel verbrennen.« «

Der Knüppel sagte: »Verbrenn mich nicht, ich will den Hund hauen.«

Der Hund sagte: »Hau mich nicht, ich will die Katze beißen.«

Die Katze sagte: »Beiß mich nicht, ich will die Maus fressen.«

Die Maus sagte: »Friß mich nicht, ich will den Rock der Königin annagen.«

Die Königin sagte: »Nag nicht an meinem Rock, ich will mich mit dem König erzürnen.«

Der König sagte: »Erzürne dich nicht mit mir, ich will dem Richter sein Amt nehmen.«

Der Richter sagte: »König, nimm mir mein Amt nicht, ich will den Mann verhaften.«

Der Mann sagte: »Richter, verhafte mich nicht, ich will den Ölbaum fällen.«

Und der Mann fällte den Ölbaum, und der Affe bekam seinen Granatbaum.


Der betrunkene Hahn

Es war einmal ein betrunkener Hahn, der ging auf einen Hügel, um kleine Zweige zu suchen, und fand dort eine Geldbörse und sagte:

»Ich will dem König diese Börse bringen.«

Er machte sich mit der Börse im Schnabel auf den Weg; aber da er über einen Fluß gehen mußte und es nicht konnte, sagte er:

»Fluß, tritt zurück, damit ich hinübergehen kann.«

Aber der Fluß kümmerte sich nicht darum, und da trank der Hahn das ganze Wasser aus.

Er ging weiter und traf einen Fuchs auf dem Weg und sagte zu ihm:

»Laß mich vorbei.«

Da der Fuchs sich nicht rührte, fraß er ihn auf.

Er ging weiter und stieß auf eine Fichte und sagte zu ihr:

»Geh aus dem Weg, damit ich vorbei kann.«

Doch da sie sich nicht regte, verschluckte er sie.

Noch weiter traf er einen Wolf und fraß ihn; und später traf er eine Eule und machte mit ihr dasselbe.



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Als er in das Schloß des Königs kam, sagte er, er wolle den König sprechen, und er gab ihm die Geldbörse, und der König befahl darauf, ihn in den Hühnerstall zu sperren und ihn gut zu behandeln. Als das betrunkene Hähnchen sich im Hühnerstall befand, begann es zu krähen:

»Kikerikiii,
Meine Börse mit Geld.
Man bringe mir sie.«


***
Als es sah, daß man ihm die Börse nicht brachte, ließ es den Fuchs heraus, den es verschlungen hatte, und der fraß die ganze Hühnerschar auf. Man erstattete nun dem König Meldung von dem Vorfall, und er befahl, das betrunkene Hähnchen in einen Gläserschrank zu sperren. Der Befehl wurde ausgeführt, aber das betrunkene Hähnchen krähte unentwegt weiter:
»Kikerikiii,
Meine Börse mit Geld.
Man bringe mir sie.«


***
Dann, da man ihm die Geldbörse nicht brachte, ließ es die Fichte heraus, und alle Gläser im Gläserschrank brachen entzwei. Da befahl der König, das betrunkene Hähnchen in einen Pferdestall zu sperren; dort krähte es die ganze Zeit:
»Kikerikiii,
Meine Börse mit Geld.
Man bringe mir sie.«


***
Dann ließ es den Wolf heraus, und der Wolf fraß die Pferde. Darauf befahl der König, das betrunkene Hähnchen in eine Olkanne zu stecken, aber es ließ nun die Eule heraus, und die trank das ganze Öl aus.

Da der König nun nicht mehr wußte, was er tun sollte, ließ er den Backofen anheizen und das betrunkene Hähnchen dort hineinstecken. Aber selbst im Backofen begann es zu krähen:

»Kikerikiii,
Meine Börse mit Geld.
Man bringe mir sie.«


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***
Und es ließ den Fluß heraus, den es getrunken hatte; und das Schloß des Königs stand schon fast ganz unter Wasser, da befahl der König, man solle dem betrunkenen Hähnchen die Geldbörse bringen und es dann fortschicken, bevor es den ganzen Fluß hinauslassen könnte.

Da machte sich das betrunkene Hähnchen wieder auf den Weg mit der Geldbörse im Schnabel.


Der Drache mit den sieben Köpfen

Es war einmal ein Königssohn, der war befreundet mit dem Sohn eines Schusters; sie spielten immer zusammen, und der Prinz schämte sich nicht, sich überall mit dem Schusterssohn zu zeigen. Der König war über diese Vertraulichkeit nicht erfreut, und er gab dem Schuster eine Menge Geld und befahl ihm, seinen Sohn wegzuschicken. So kam der Bursche fort. Doch sobald der Prinz davon erfuhr, verließ er das Schloß und zog in die Welt hinaus, auf der Suche nach seinem Freund. Nach einiger Zeit fand er ihn; die beiden begrüßten sich aufs herzlichste und machten sich dann gemeinsam auf den Weg. Unterwegs trafen sie ein hübsches Mädchen, das war an einen Baum gefesselt. Kaum erblickte der Prinz sie, war er in sie verliebt. Er fragte sie, wer sie nur dort hingebracht habe. Sie antwortete, das könne sie nicht sagen, und dann bat sie ihn, sie zu retten. Der Prinz erkannte, daß sie von königlichem Blut war, und er beschloß, sie zu heiraten. Er setzte sie zu sich auf seinen Sattel, und die drei ritten davon. Sie übernachteten in einem Wald, dort, wo drei Kreuze standen. Der Prinz und das edle Fräulein schliefen gleich ein, aber der Schusterssohn hielt sich wach, um zu sehen, was sich in der Nacht ereignen würde. Mitten in der Nacht sah er drei Tauben herbeifliegen und eine jede sich auf ein Kreuz setzen.

Die erste Taube sagte: »Der Prinz denkt daran, sich mit einem Fräulein zu verheiraten. Aber wenn sie an einem Apfelsinenbaum vorbeikommt, wird sie um eine Apfelsine bitten, und wenn sie sie ißt, wird sie sterben:

Und wer dies hört und kann nicht still sein,
wird verwandelt in Marmorstein.«


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Die zweite Taube sagte: »Das ist noch nicht alles. Sie wird an einer Quelle vorbeikommen und um Wasser bitten. Und wenn sie von dem Wasser trinkt, wird sie sterben:

Und wer dies hört und kann nicht still sein,
wird verwandelt in Marmorstein.«


***
Die dritte Taube sagte: »Das ist noch nicht alles. Wenn sie dem nun entgehen sollte und nach Hause kommt, wird in der Hochzeitsnacht ein Drache mit sieben Köpfen kommen und sie töten:
Und wer dies hört und kann nicht still sein,
wird verwandelt in Marmorstein.«


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Der Schusterssohn hörte alles, und als es Morgen wurde, sagte er zum Prinzen, es sei besser, in die Heimat zurückzukehren, weil der König sicherlich sehr traurig sei; dann werde er seinem Sohn auch verzeihen und in die Hochzeit mit dem Fräulein einwilligen, weil sie von königlichem Geblüt war. Der Prinz ließ sich von dem Schusterssohn überzeugen, und sie machten sich zusammen auf den Heimweg. Sie kamen an einem Apfelsinenbaum vorbei, und es geschah, wie die Taube gesagt hatte; aber der Schusterssohn erklärte, diese Apfelsinen seien nicht käuflich, und so ritten sie weiter. Sie kamen an einer Quelle vorbei, dort wollte das edle Fräulein trinken, genau wie die andere Taube vorausgesagt hatte, aber der Schusterssohn erklärte, er habe nichts da, um das Wasser herauszuschöpfen. So kamen sie schließlich in das Schloß. Der König war von Herzen froh, als er seinen Sohn wiedersah, verzieh ihm, und als er hörte, daß er auf den Rat des Schusterssohnes nach Haus gekommen sei, gab er ihm die Erlaubnis, mit seinem Freund zusammen im Schloß zu wohnen.

Der Prinz bat seinen Vater nun um Erlaubnis zur Heirat mit dem Fräulein, das er gerettet hatte, denn sie sei von königlichem Blut. Der Vater erklärte, er wolle die Erlaubnis erst nach sechs Monaten geben, wenn er das Fräulein besser kennen- und schätzengelernt habe. Natürlich heiratete der Prinz sie dann, und er fragte den Schusterssohn, was er am Hochzeitstag von ihm als Geschenk haben wolle. Der sagte, er wünsche sich nur eines, er möchte in der Hochzeitsnacht im gleichen Zimmer mit dem Hochzeitspaar schlafen. Das



Bd-12-317_Maerchen aus Portugal. Flip

ging dem Prinzen schwer an, aber er willigte dann doch ein. Der Freund legte sich nun mit einem verhüllten Schwert im Zimmer an der Tür schlafen, und als das Brautpaar eingeschlafen war, sah er bald einen großen Drachen mit sieben Köpfen hereinkommen. Da er das schon erwartet hatte, versetzte er dem Ungeheuer einen wohlgezielten Hieb und tötete es; aber ein Tropfen Blut spritzte dabei gerade ins Gesicht der schlafenden Prinzessin. Der Schusterssohn versuchte, das Blut, das auf den Erdboden getropft war, wegzuwischen, und als er nun den Tropfen im Gesicht der Prinzessin sah, wollte er ihn mit dem Zipfel eines feuchten Handtuches abwischen. Bei dieser Berührung erwachte die Prinzessin und rief entsetzt zu ihrem Gemahl:

»Räche mich an deinem besten Freund, er hat mir einen Kuß gegeben!«

Der Prinz sprang zornentbrannt auf und will seinen Freund erschlagen, den er für einen Verräter hielt. Der aber bittet ihn, die Strafe aufzuschieben, damit er den Fall vor versammeltem Hof klären könnte. Man rief alle zusammen, und der Bursche begann zu erzählen, was er wußte, und dabei verwandelte er sich allmählich in Marmor. Alle waren von Herzen traurig, daß seine Freundestreue so schlecht vergolten wurde, und der Prinz beschloß, das Marmorbild, das sein bester Freund gewesen war, im Schloßgarten aufzustellen. Wenn seine Kinder im Garten spielten, setzte er sich vor das Bild, weinte vor Kummer und sprach:

»Wenn ich doch meinen Freund wieder lebend bei mir haben könnte!«

»Willst du ihn wieder lebend bei dir haben«, so sprach eine Stimme, »dann töte deine Kinder und reibe diesen Stein mit unschuldigem Blute ein!«

Der Prinz zögerte, aber voll Vertrauen in die Macht der Freundschaft erwürgte er schließlich seine Kinder; da begann das Bild sich zu bewegen, und sein Freund stand wieder lebendig vor ihm. Beide fielen einander in die Arme, und als der Prinz da hinblickte, wo seine Kinder gespielt hatten, sah er sie fröhlich weiterspielen. Nur um den Hals hatten sie einen roten Streifen. Die beiden Freunde trennten sich niemals wieder, und von nun an lebten sie alle glücklich zusamen