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INHALT
ZUR EINFÜHRUNG
MÄRCHEN AUS ENGLAND
Tom Klitzeklein 7
Die drei Narren 13
Die alte Frau und ihr Ferkelchen 17
Wie Jack sein Glück suchen ging 19
Die Geschichte von den drei Ferkelchen 22
Die Geschichte von den drei Bären 25
Der faule Jack 29
Kuchen-Hänschen 31
Katze und Maus34
Meister aller Meister36
Mein eigenes Ich37
Der Hausierer von Swaffham41
Die sehr glückliche alte Frau43
Die drei Wünsche 46
Der Katzenkönig 48
Jack Hannaford 50
Mister Essig 53
Mister Miacca 56
Jack und seine goldene Schnupftabakdose 58
Dick Whittington und seine Katze 68
Der Fisch und der Ring 77
Jack, der Riesentöter 80
Das Nüsse knackende Käthchen 94
Esel, Tisch und Knüppel 97
Die Salbe der Feen 100
Der Brunnen am Ende der Welt 103
Für später 107
Johnny-Gloke 111
Die alte Hexe 114
Die Sterne am Himmel 118
Das kleine Stierkalb 122
Das Heinzelmännchen von Hilton 126
Katzenfell 128
Die Prinzessin von Canterbury 132
Der rote Riese 135
Der häßliche Wurm von Spindle-Ston-Heugh 140
König John und der Abt von Canterbury 145
Tamlane 148
Die Geschichte von Tom, dem Däumling 151
Mister Fox 157
Das Nest der Elster I6I
Ein Sohn Adams 162
Die klugen Leute von Gotham 164
1. Wenn man Schafe kaufen geht 164
2. Wie man darangeht, einen Kuckuck einzusperren 165
3. Wie man Käse befördert 165
4. Der ertränkte Aal 166
5. Wie man Pacht bezahlt 167
6. Man muß nur richtig zählen 167
Das Feenkind 168
Der vierblättrige Klee 171
Der Gespensterbräutigam 175
Die ältesten Geschöpfe der Welt180
König Arthur in der Berghöhle 181
John Gethin und die Kerze 186
MÄRCHEN AUS SCHOTTLAND
Tom der Reimer 189
Canonbie Dick und Thomas von Ercildoune 197
Junker Roland 203
Der Page und der Silberkelch 209
Der Robbenfänger und der Wassermann 213
Die Hexe von Fife 219
Die Kiste 224
Der Herr und sein Knecht 230
Der Schwanz 231
MÄRCHEN AUS IRLAND
Connlas Meerfahrt 233
Balor 237
Diarmuid Donn und die Zauberflöte 242
Fionn im Lande der Riesen 244
Oscar mit der Geißel 248
Der Tod des Fionn MacCumhaill 250
Seághan mit den beiden Schafen 252
Die drei Raben 259
Mórín 263
Der Pfeifer und der Puka 279
Die Seejungfrau oder der große Dubhdach 281
Der Berg der lichten Frauen 287
Der hinterlistige Adler 300
Der Weiße Hund vom Gebirge 306
Die drei Brüder auf der einsamen Insel 311
Der Riese Faircheallach und Fionn MacCumhaill 311
Die Warnung vor dem Sturm 315


Bd-11-003_Titel Einfuehrung. Flip

Märchen aus England Schottland und Irland


Illustrationen


von Antje Schönau

Märchen europäischer Völker



Bd-11-004_Titel Einfuehrung. Flip

Nach alten Vorlagen unter Heranziehung
von Texten in englischer und französischer Sprache,
die von Ursula Rauch und Hanna Roehr übersetzt wurden,
ausgewählt und mit einer Einführung versehen von Karl Rauch
Lizenzausgabe mit Genehmigung von Interbooks, Zürich
        für Verlag Olde Hansen, Hamburg
und Bertelsmann Reinhard Mohn OHG. Gütersloh
die Europäische Bildungsgemeinschaft Verlags-GmbH, Stuttgart
und die Buchgemeinschaft Donauland, Kremayr &Scheriau, Wien
  Diese Lizenz gilt auch für die Deutsche Buch-Gemeinschaft
C. A. Koch's Verlag Nachf., Berlin - Darmstadt - Wien
   Umschlag- und Einbandgestaltung R. Metke
Gesamtherstellung Mohndruck Reinhard Mohn OHG, Gütersloh
          Printed in Germany Buch-Nr. 08695 2


Bd-11-005_Titel Einfuehrung. Flip


ZUR EINFÜHRUNG

Die Engländer kennen unseren klar umrissenen Begriff »Märchen« nicht. Ihre »Fairy Tales«umfassen Märchen wie Sagen gleicherweise. Die kurzen humorvollen Erzählungen wie »Katzenkönig« und andere werden »drolls« genannt. Daneben gibt es noch etwa sechs andere Bezeichnungen. Sobald es sich um typische »Wundervarianten« handelt, wird auch das deutsche Wort »Märchen« übernommen, das schon J. F. Campbell in seinen Erläuterungen zu den von ihm mündlich gegebenen Quellen aus dem westlichen Hochland angewandt hat (»Celtic Tradition« und »Popular Tales of the West Highlands«).

Englische Märchen unterscheiden sich merkbar von unseren deutschen, vor allem die von J. Jacobs herausgegebenen »English Fairy Tales«, die zu den volkstümlichsten gehören, deren Stil englischer Liebenswürdigkeit entspricht, einen im Volkscharakter begründeten treffenden Humor besitzt und innige Verbundenheit mit dem Kind bezeugt. Durch diese Art des Märchenerzählens ist England zum Land der gehaltvollsten Kinderbücher geworden. Auch dürfen wir den großen Wirklichkeitssinn der Engländer nicht vergessen, der Märchen und Sage mit genauen Orts- und Zeitangaben kennzeichnet. Nicht nur der Hauptheld Jack oder Dick, sondern auch andere Personen werden mit der Bezeichnung Mr. und Mrs. beehrt — sogar Drachen und Ungeheuer werden noch mit Namen angesprochen, wodurch die Fabelgeschichten in eine vertraute Umwelt rücken und enger mit der Landschaft verbunden werden.

Ähnlich wie in Dänemark die Überflutung durch die Grimmschen Märchen eigenes Volkstum verdrängte, haben normannisch-französische



Bd-11-006_Titel Einfuehrung. Flip

Einflüsse (Perraults Märchen wurden schon i 697 ins Englische übersetzt) viele typisch englische Märchen sehr früh verschüttet. Auch in späteren Zeiten drohten den englischen Märchen wiederholt Gefahren, besonders durch die Kirche. In Norfolk und Suffolk, den Hochburgen des Puritanismus, ist das Märchen zumindest seit dem 17. Jahrhundert gänzlich verkümmert.

Die in unserem Band aufgenommenen Märchen sind typisch englisch und noch heute volkstümlich und lebendig. Das weitverbreitete Märchen von Dick Whittington und seiner Katze liest sich wie eine Geschichte von Dickens, sehr anders als die Varianten des armen Knaben und seiner Katze bei anderen Völkern. Vielleicht sind englische Märchen ärmer an Motiven, kühler in der Phantasie und entbehren jener Kühnheit, Wildheit und des ungeheuren Einfallsreichtums der gälischen und keltischen Überlieferungen.

Wie die in Schottland geläufigen Märchen gehen auch die irischen bis aufs frühe ii. Jahrhundert zurück. Den bekannten Streit, ob Macpherson die dem Ossian zugeschriebenen Gesänge selber geschrieben habe, wird man tunlich auf sich beruhen lassen, doch lassen sich gerade auch für die schottischen Märchen mehrere Motivquellen nachweisen: Volksballaden, Shakespeare, Mythen und Ossian. Irische Märchen, von denen wir hier einige mit freundlicher Zustimmung des Verlags Eugen Diederichs aus dessen Band »Irische Märchen«nachdrucken, bieten besonders auffällige Nachweise für die durch alte Erzähler bewirkten Wanderungen einzelner Volksmärchen und einen lebendigen Wechsel in der Dauer und der räumlichen Ausdehnung mündlicher Weitergabe. Den Sammelbemühungen der irischen Folklore-Kommission gebührt nachhaltiger Dank. Während Bolte-Polivka zu den Märchen der Brüder Grimm knapp zehn irische Varianten kannte, ist deren Zahl bis zum Jahre 1958 auf über fünfhundert angewachsen.

K. R.



Bd-11-007_Maerchen aus England. Flip


MÄRCHEN AUS ENGLAND


Tom Klitzeklein

Es war einmal eine Frau, die buk fünf Pasteten. Und als sie aus dem Backofen kamen, war die Kruste so scharf gebrannt, daß sie viel zu hart waren zum Essen. Darum sagte die Frau zu ihrer Tochter: »Stelle diese Pasteten auf das Sims und laß sie dort ein Weilchen stehen, dann werden sie schon wieder kommen.« Sie meinte damit, die Kruste würde wieder weich werden.

Aber das Mädchen dachte bei sich: >Schön, wenn sie wieder kommen, dann kann ich die hier ja essen.<Und das tat sie denn und aß alle auf, von der ersten bis zur letzten.

Ja, und als es dann Zeit zum Abendessen wurde, sagte die Frau: »Geh und hole dir eine von den Pasteten! Ich denke, jetzt sind sie wohl gekommen.« Das Mädchen ging und schaute sich um, doch da stand nichts als der leere Teller. Also kam sie zurück und sagte einfach: »Nein, sie sind nicht gekommen.«

»Nicht eine einzige?«fragte die Mutter.

»Nicht eine einzige«, antwortete die Tochter.

»Nun gut, ob gekommen oder nicht«, sagte die Frau, »ich möchte aber eine zum Abendessen haben.«

»Aber das kannst du doch nicht, wo sie nicht gekommen sind«, sagte das Mädchen.

»Doch, ich kann es«, sagte die Mutter. »Geh und bring mir die beste von ihnen!«

»Ob gut oder schlecht«, sagte drauf das Mädchen, »ich habe sie alle aufgegessen, und du kannst bestimmt erst eine kriegen, wenn eine neue herkommt.«



Bd-11-008_Maerchen aus England. Flip

Da trug die Frau ihr Spinnrad vor die Tür, um zu spinnen, und während sie spann, sang sie immerzu:

»Meine Tochter hat fünf Pasteten gegessen,
fünf Stück auf einen Schlag.
Meine Tochter hat fünf Pasteten gegessen,
fünf Stück auf einen Schlag.«

Da kam der König gerade die Straße entlang und hörte sie singen, aber was sie sang, das konnte er nicht verstehen; so hielt er inne und fragte:

»Was hast du da eben gesungen, gute Frau?«

Die Frau schämte sich, ihm zu erzählen, was ihre Tochter getan hatte, und so sang sie statt dessen schnell:

»Meine Tochter spann fünf Strähnen,
fünf Strähnen an einem Tag.
Meine Tochter spann fünf Strähnen,
fünf Strähnen an einem Tag.«

»Ich habe noch nie von jemandem gehört, der das kann«, meinte der König und sagte dann: »Paß mal auf, ich brauche eine Frau und will deine Tochter heiraten. Aber höre gut zu«, fuhr er fort, »elf Monate des Jahres soll sie alles bekommen, was sie gern essen mag, und auch alle Kleider, die sie sich wünscht: aber im letzten Monat des Jahres muß sie jeden Tag fünf Strähnen spinnen, und wenn sie das nicht fertigbringt, werde ich sie töten.«

»Gut«, sagte die Frau, denn sie dachte nur daran, was für eine großartige Heirat das nun wäre. Ja, und was die fünf Strähnen betraf, ach, bis die fällig würden, könnte gewiß irgendeine Ausrede gefunden sein; ja, und vielleicht hatte er die Sache bis dahin vergessen.

Also heirateten die beiden. Und während der elf Monate konnte das Mädchen alles essen, worauf es Appetit hatte, und alles anziehen, was es gern tragen mochte, auch konnte es sich einladen, wen immer es nur bei sich sehen mochte.



Bd-11-009_Maerchen aus England. Flip

Doch als die Zeit vorrückte, begann sie schließlich an die Strähnen zu denken und sich zu fragen, ob er das wohl vergessen habe. Er aber sprach kein Wort davon.

Also freute sie sich sehr, denn nun glaubte sie fest, er denke wirklich nicht mehr daran.

Doch am letzten Tag des letzten Monats führte er sie in einen Raum, den sie nie zuvor gesehen hatte. Darin stand nichts als ein Spinnrad und ein Stuhl. Und er sprach: »Sieh, meine Liebe, hier wirst du morgen mit Lebensmitteln und dem nötigen Flachs eingeschlossen werden, und wenn du bis zum Abend nicht fünf Strähnen gesponnen hast, kostet es deinen Kopf.«

Und er verließ sie und ging seinen Geschäften nach.

Oh, was für einen Schreck bekam sie da! Sie war immer schon so ein faules Mädchen gewesen, daß sie überhaupt nicht spinnen konnte. Was sollte sie nur morgen anfangen ohne irgend jemandes Hilfe? Sie setzte sich in der Küche auf einen Stuhl und jammerte und schüttelte sich vor Weinen.

Plötzlich hörte sie ein leises Klopfen an der unteren Türhälfte. Sie sprang auf und öffnete. Da sah sie einen kleinen schwarzen Kerl mit einem langen Schwanz. Er blickte neugierig zu ihr auf und fragte: »Warum weinst du denn so jämmerlich?«

»Was geht dich das an?« sagte sie.

»Das kannst du gar nicht wissen«, meinte er, »aber erzähl mir nur, weshalb du weinst!«

»Das würde mir schlecht bekommen, wenn ich es dir sagte«, erwiderte sie.

»Wer weiß«, sagte er und wirbelte seinen Schwanz.

»Also gut«, antwortete sie, »es kann nichts schaden, wenn es auch nichts nützen kann«, und sie sprang auf und berichtete von den Pasteten und den Flachssträhnen und allem anderen.

»Das will ich schon machen«, erklärte der kleine schwarze Kerl. »Ich werde jeden Morgen an dein Fenster kommen und den Flachs mitnehmen und ihn dir am Abend gesponnen wiederbringen.« »Was willst du dafür haben?« wollte sie wissen.

Es blinkte tückisch in seinen Augenwinkeln, und er antwortete:



Bd-11-010_Maerchen aus England. Flip

»Du darfst jede Nacht dreimal raten, wie wohl mein Name ist, und wenn du ihn bis zum Ende des Monats nicht geraten hast, dann gehörst du mir.«

Nun, sie dachte natürlich, daß sie seinen Namen wohl erraten haben werde, bevor der Monat zu Ende ging.

»Abgemacht«, sagte sie, »ich bin einverstanden.«

»Abgemacht!« rief auch er und wirbelte seinen Schwanz herum.

Nun, am nächsten Tag führte ihr Mann sie in den Raum, in dem nur Flachs war und Essen für einen Tag.

»Da liegt der Flachs«, sagte er, »und wenn er bis heute abend nicht gesponnen ist, verlierst du deinen Kopf!« Dann ging er hinaus und schloß die Tür hinter sich ab.

Kaum war er fort, da klopfte es auch schon am Fenster. Sie sprang auf und öffnete, und wahrhaftig saß da der kleine alte Kerl auf dem Fensterbrett.

»Wo ist der Flachs?«fragte er.

»Hier!« sagte sie. Und sie gab ihn dem kleinen Schwarzen.

Als dann der Abend kam, klopfte es wieder an der Fensterscheibe. Sie sprang auf und öffnete, und da war das kleine alte Etwas mit fünf Flachssträhnen überm Arm.

»Da hast du sie«, sagte er und gab ihr die Strähnen. »Nun, wie heiße ich wohl?«fragte er.

»Vielleicht Bill?« meinte sie.

»Nein, falsch«, sagte er und wirbelte seinen Schwanz um sich herum.

»Oder Ned?« riet sie weiter.

»Nein, falsch«, sagte er und wirbelte seinen Schwanz noch mal um sich herum.

»Heißt du vielleicht Mark?«fragte sie.

»Nein, falsch«, rief er, schleuderte seinen Schwanz noch eifriger und entschwand.

Als dann ihr Mann kam, lagen die fünf Strähnen für ihn bereit.

»Wie ich sehe, brauche ich dich heute abend nicht zu töten, meine Liebe«, sagte er. »Morgen früh bekommst du wieder Essen und Flachs«, und damit ging er davon.



Bd-11-011_Maerchen aus England. Flip

So wurde nun also jeden Tag Flachs und Essen gebracht, und jeden Tag, morgens und abends, kam auch das kleine Ungeheuer. Und den ganzen Tag über saß das Mädchen da und grübelte über Namen, die sie am Abend sagen könnte. Aber niemals erriet sie den richtigen. Und als der Monat sich dem Ende zuneigte, begann der Kobold immer heimtückischer zu grinsen, und jedesmal, wenn sie falsch riet, wirbelte er seinen Schwanz wilder und wilder um sich.

Dann kam der vorletzte Tag. Der Kobold brachte am Abend die fünf Strähnen überm Arm und rief:

»Weißt du jetzt wohl meinen Namen?«

»Heißt du Nikodemus?«fragte sie.

»Nein, falsch geraten«, sagte er.

»Heißt du Samuel?«fragte sie.

»Nein, falsch geraten«, sagte er.

»Oder heißt du Methusalem?« fragte sie.

»Nein, alle sind falsch«, rief er aus.

Dann sah er sie mit Augen an, die wie feurige Kohlen glühten, und sprach: »Junge Frau, du hast nur noch bis morgen Zeit, dann gehörst du mir!« Und husch war er davon.

Oh, wie elend war ihr zumute! Aber da hörte sie schon, wie der König den Gang entlangkam. Er trat ein, und als er die fünf Flachssträhnen sah, ja, da sprach er:

»Schön, meine Liebe, ich denke, du wirst morgen abend deine Strähnen ebenso pünktlich bereit haben, und da ich annehmen darf, daß ich dich nicht zu töten brauche, will ich heute nacht hier bei dir bleiben.«Und er ließ auch für sich Essen mitsamt einem Stuhl bringen, und beide setzten sich zur Abendmahlzeit hin.

Doch hatte er erst ganz wenig gegessen, da hielt er inne und begann zu lachen.

»Was ist?«fragte sie.

»Ach, weißt du«, sagte er, »ich war heute zur Jagd und kam im Wald auf einen Platz, den ich nie zuvor gesehen hatte. Und da war eine verfallene Kalkgrube. Und ich hörte ein Geräusch, das klang wie ein Summen. So ließ ich die Jagd, schlich ganz leise zu der Grube und äugte hinab. Ja, und da sah ich das seltsamste kleine schwarze Wesen,



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was mir je vor die Augen gekommen ist. Und was machte es da? Es hatte ein winziges Spinnrad und spann unglaublich schnell und wirbelte dabei seinen Schwanz um sich. Und beim Spinnen sang es:
»Ich selber nur weiß es ganz allein,
mein Name ist Tom Klitzeklein.«

Als das Mädchen das hörte, glaubte es, vor Freude hochspringen zu müssen, aber es sagte kein einziges Wort.

Als der kleine Kerl am nächsten Tage den Flachs holte, blinzelte er sie spöttisch an. Und als es Abend wurde, hörte sie ihn an die Scheibe klopfen. Sie öffnete das Fenster, und er schwang sich vom Fensterbrett herein. Er grinste von einem Ohr bis zum anderen und ach, sein Schwanz wirbelte toll herum.

»Wie heiße ich?«fragte er, als er ihr die Strähnen gab.

»Vielleicht Salomon?« antwortete sie und tat, als fürchtete sie sich sehr.

»Nein, falsch!« rief er und kam näher.

»Nun, ist es dann vielleicht Zebedäus?«fragte sie wieder.

»Nein, falsch!« schrie der Kobold, und dann kreischte er und wirbelte derart schnell seinen Schwanz herum, daß man ihn kaum noch erkennen konnte.

»Laß dir Zeit, junge Frau«, schrillte er, »jetzt kommt deine letzte Antwort, und dann gehörst du mir!« Und seine schwarzen Klauen streckten sich schon nach ihr aus.

Da machte sie ein, zwei Schritte rückwärts, sah ihn fest an, brach dann in Lachen aus und rief, während sie mit dem Finger auf ihn deutete:

»Ich nur weiß es ganz allein,
dein Name ist Tom Klitzeklein.«

Und wie er das hörte, schrie er furchtbar auf, entfloh in die Nacht hinaus und wurde nie wieder gesehen.



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Die drei Narren

Es war einmal ein Landmann und sein Weib. Sie hatten eine Tochter, die von einem vornehmen Herrn umworben wurde. Jeden Tag kam er, um sich mit ihr zu unterhalten, und blieb dann zum Abendbrot, und die Tochter wurde immer in den Keller geschickt, um Bier heraufzuholen. Eines Abends war sie auch wieder hinuntergegangen, um Bier zu zapfen, und während sie das tat, fiel ihr Blick auf die Decke, und sie erkannte ein faulendes Stück im Gebälk. Das mußte schon lange, lange Zeit dort sitzen, aber weder ihr noch sonst jemandem war es bisher aufgefallen, und sie begann nachzugrübeln. Sie bedachte, daß es doch sehr gefährlich sei, dort faulendes Holz zu haben, und überlegte weiter: >Wenn wir beide verheiratet wären und bekämen einen Sohn, und er wüchse zum Manne heran und käme in den Keller herunter, um Bier abzuzapfen, so wie ich es jetzt tue, und der verfaulte Balken stürzte auf seinen Kopf und erschlüge ihn, wie entsetzlich wäre das doch!<

Sie stellte Kerze und Krug hin, hockte sich nieder und weinte entsetzlich.

Oben wunderten sie sich allmählich, wie lange sie beim Bierholen blieb, und ihre Mutter ging hinunter, um nach ihr zu sehen, und fand sie schluchzend dasitzen, während das Bier über den Boden rann.

»Ach, was ist denn los?«fragte die Mutter.

»Ach, Mutter«, rief sie aus, »sieh doch nur diesen schrecklichen Balken! Angenommen, wir wären verheiratet und bekämen einen Sohn, und er wüchse heran und käme in den Keller herunter, um Bier zu zapfen, und der verfaulte Balken stürzte ihm auf den Kopf und erschlüge ihn, wie entsetzlich wäre das doch!«

»Oh, mein Liebes, mein Liebes! Ja, wie entsetzlich wäre das doch!« rief auch die Mutter, setzte sich zu der Tochter und weinte mit ihr zusammen. Dann, nach einiger Zeit, begann der Vater sich zu wundern, daß sie nicht zurückkamen, und nun ging er auch in den Keller, um nach ihnen zu sehen. Da saßen sie beide jammernd, während das Bier immer weiter ausfloß.

»Was ist denn los?«fragte er.



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»Ach«, sagte die Mutter, »sieh nur dort oben den schrecklichen Balken! Angenommen, unsere Tochter und ihr Liebster wären verheiratet und hätten einen Sohn, und er wüchse heran und käme in den Keller, um Bier zu zapfen, und der faulende Balken fiele ihm auf den Kopf und tötete ihn, wie entsetzlich wäre das doch!«

»Oh, Liebe, oh, meine Liebe, Gute! Ja, wie furchtbar wäre das!« rief auch der Vater und setzte sich zu den zweien und begann gleichfalls zu weinen.

Allmählich wurde es dem Edelmann zu langweilig, in der Küche zu sitzen, und er stieg schließlich auch in den Keller, um zu sehen, was dort los war. Und da saßen die drei schluchzend und weinend beieinander, während das Bier floß und floß. Er lief schnell hin und drehte den Hahn zu. Dann fragte er: »Was ist denn, daß ihr alle drei hier weinend sitzt und das Bier auslaufen laßt?«

»Ach«, sagte der Vater, »sieh dir nur den schrecklichen Balken an! Wenn du mit unserer Tochter verheiratet wärst, und ihr hättet einen Sohn, und er wüchse heran und wäre erwachsen und käme in den Keller, um Bier zu zapfen, und der Balken fiele ihm auf den Kopf und tötete ihn!« Und sie weinten noch herzzerbrechender als zuvor.

Der Edelmann aber schüttelte sich vor Lachen, griff hinauf, riß das morsche Stück fort und sprach: »Ich bin schon viel in der Welt herumgekommen, aber noch nie habe ich drei so große Narren kennengelernt, wie ihr welche seid. Jetzt werde ich wieder auf Reisen gehen, und wenn ich drei noch größere Narren als euch finde, will ich zurückkommen und eure Tochter heiraten.« Er wünschte ihnen noch alles Gute und ging, während die drei weinend zurückblieben, weil das Mädchen nun auch ihren Herzallerliebsten verloren hatte.

Ja, er ging. Und er reiste weit fort. Und zuletzt kam er zu einer Hütte, deren Dach grasbewachsen war und die einer Frau gehörte. Die Frau versuchte, ihre Kuh über die Leiter zu dem Gras oben zu treiben, doch das arme Ding weigerte sich entsetzt. Der Edelmann fragte die Frau, was sie da mache. »Ach, seht nur«, sagte sie, »seht nur das viele schöne Gras! Ich will die Kuh dazu bringen, auf das Dach zu steigen und es zu fressen. Es ist gar nicht gefährlich für sie,



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denn ich will ihr einen Strick um den Hals legen, den ich durch den Kamin herabwerfe und mir ums Handgelenk binde, wenn ich aus dem Hause gehe, so daß sie nicht unbemerkt herunterfallen kann.« »Ach, wie töricht bist du!« sagte der Edelmann. »Du kannst doch das Gras mähen und es der Kuh vorwerfen!« Aber die Frau glaubte, es wäre bequemer, die Kuh auf die Leiter zu jagen, als das Gras herunterzuwerfen, und so stieß sie die Kuh, redete ihr gut zu und trieb sie hinauf, legte ihr einen Strick um den Hals, ließ den durch den Schornstein herab und band ihn sich um das Handgelenk. Der Edelmann ging fort, aber er war noch nicht weit weg, als die Kuh vom Dach fiel und von dem Strick um ihren Hals erwürgt wurde. Das Gewicht der Kuh riß nun am Arm der Frau und zog sie im Kamin hoch, wo sie auf halbem Wege steckenblieb und im Rauch erstickte. Nun, das war also eine gewaltige Törin.

Und der Edelmann ging weiter und weiter und kam zu einem Wirtshaus, wo er übernachten wollte. Es war aber so besetzt, daß sie ihm nur ein Bett in einem Doppelzimmer geben konnten. Das zweite Bett bekam ein anderer Reisender. Dieser war ein freundlicher Bursche, und sie kamen gut miteinander aus. Doch am nächsten Morgen, als sie aufstanden, sah der Edelmann staunend, wie der andere seine Hosen an die Knöpfe der Kommode hing, quer durchs Zimmer lief, in sie hineinzuspringen versuchte, es immer wieder und wieder versuchte und es ihm doch nicht gelang. Der Edelmann wunderte sich, weshalb er das wohl täte. Schließlich hielt der Zimmergefährte inne und wischte sich das schweißtriefende Gesicht mit dem Handtuch ab.

»Ach, mein Liebster«, sagte er, »ich glaube, Hosen sind das ungeschickteste Kleidungsstück, das es gibt. Wer die Dinger bloß erfunden hat! Es kostet mich jeden Morgen fast eine Stunde, um in die meinen hereinzukommen. Und wie heiß wird mir dabei! Wie macht Ihr es denn mit den Euren?« Da brach der Edelmann in Lachen aus und zeigte ihm, wie man in sie hineinsteige. Der andere war ihm sehr dankbar und meinte, nie habe er vermutet, daß man es auf diese Art könne.

Das war also wieder ein großer Narr.



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Und weiter reiste der Edelmann. Und er kam zu einem Dorf. Und außerhalb des Dorfes lag ein Teich, und um den Teich herum stand eine Menge Leute. Sie hatten Harken und Besen und Mistgabeln, mit denen sie im Teich herumstocherten. Der Edelmann fragte, was denn hier los wäre. »Ach«, sagten sie, »genug ist los! Der Mond ist in den Teich gefallen, und wir können ihn auf keine Weise wieder herausbekommen.«Da prustete der Edelmann vor Lachen und hieß sie hinauf zum Himmel sehen, denn das im Wasser sei ja nur des Mondes Spiegelbild. Aber sie wollten nicht auf ihn hören, ja, sie beschimpften ihn schändlich. Da lief er so schnell davon, wie er nur konnte.

Hier war ein ganzes Dorf noch närrischer als die drei Törichten bei ihm zu Hause. Also wandte er sich wieder heimwärts und heiratete die Tochter des Landmannes, und wenn sie nun nicht für alle Zeit glücklich miteinander leben, so kannst weder du noch ich was dafür.


Die alte Frau und ihr Ferkelchen

Eine alte Frau machte ihr Haus sauber und fand dabei ein plattgedrücktes Sixpencestück. Und sie fragte sich: >Was kann ich wohl mit so einem kleinen Sixpencestück anfangen? Ich will auf den Markt gehen und mir dafür ein kleines Ferkel kaufen.<

Als sie zurückging, kam sie zu einem Zaunübergang: aber das Ferkel wollte nicht hinüber.

Sie ging etwas weiter und traf einen Hund. Sie bat ihn: »Hund! Hund! Beiß mal das Ferkel. Ferkelchen will nicht über den Zaunübergang, und ich komme bis zum Abend nicht nach Hause.« Aber der Hund wollte nicht.

Sie ging etwas weiter und traf einen Stock. Sie bat ihn: »Stock! Stock! Schlage den Hund. Hund will das Ferkelchen nicht beißen; das Ferkelchen will nicht über den Zaunübergang, und ich komme bis zum Abend nicht nach Hause.« Aber der Stock wollte nicht.

Sie ging etwas weiter und traf ein Feuer. Sie bat es: »Feuer! Feuer! Brenne den Stock; Stock will den Hund nicht schlagen; Hund will



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das Ferkelchen nicht beißen; das Ferkelchen will nicht über den Zaunübergang, und ich komme bis zum Abend nicht nach Hause.« Aber das Feuer wollte nicht.

Sie ging etwas weiter und traf ein Wasser. Sie bat es: »Wasser! Wasser! Lösche das Feuer; Feuer will den Stock nicht brennen; Stock will den Hund nicht schlagen; Hund will das Ferkelchen nicht beißen; das Ferkelchen will nicht über den Zaunübergang, und ich komme bis zum Abend nicht nach Hause.«

Aber das Wasser wollte nicht.

Sie ging etwas weiter und traf einen Ochsen. Sie bat ihn: »Ochs! Ochs! Trink das Wasser; Wasser will das Feuer nicht löschen; Feuer will den Stock nicht brennen; Stock will den Hund nicht schlagen; Hund will das Ferkelchen nicht beißen; das Ferkelchen will nicht über den Zaunübergang, und ich komme bis zum Abend nicht nach Hause.« Aber der Ochse wollte nicht.

Sie ging etwas weiter und traf einen Schlachter. Sie bat ihn: »Schlachter! Schlachter! Schlachte den Ochsen; Ochs will das Wasser nicht trinken; Wasser will das Feuer nicht löschen; Feuer will den Stock nicht brennen; Stock will den Hund nicht schlagen; Hund will das Ferkelchen nicht beißen; das Ferkelchen will nicht über den Zaunübergang, und ich komme bis zum Abend nicht nach Hause.« Aber der Schlachter wollte nicht.

Sie ging etwas weiter und traf einen Strick. Sie bat ihn: »Strick! Strick! Hänge den Schlachter; Schlachter will den Ochsen nicht töten; Ochse will nicht das Wasser trinken; Wasser will das Feuer nicht löschen; Feuer will den Stock nicht brennen; Stock will den Hund nicht schlagen; Hund will das Ferkelchen nicht beißen; das Ferkelchen will nicht über den Zaunübergang, und ich komme bis zum Abend nicht nach Hause.« Aber der Strick wollte nicht.

Sie ging etwas weiter und traf eine Ratte. Sie bat sie: »Ratte! Ratte! Zernage den Strick; Strick will den Schlachter nicht hängen; Schlachter will den Ochsen nicht töten; Ochse will nicht das Wasser trinken; Wasser will nicht das Feuer löschen; Feuer will den Stock nicht brennen; Stock will den Hund nicht schlagen; Hund will das Ferkelchen nicht beißen; das Ferkelchen will nicht über den Zaunübergang,



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und ich komme bis zum Abend nicht nach Hause.« Aber die Ratte wollte nicht.

Sie ging etwas weiter und traf eine Katze. Sie bat sie: »Katze! Katze! Friß die Ratte; Ratte will den Strick nicht zernagen; Strick will den Schlachter nicht hängen; Schlachter will den Ochsen nicht schlachten; Ochse will nicht das Wasser trinken; Wasser will nicht das Feuer löschen; Feuer will den Stock nicht brennen; Stock will den Hund nicht schlagen; Hund will das Ferkelchen nicht beißen; das Ferkelchen will nicht über den Zaunübergang, und ich komme bis zum Abend nicht nach Hause.« Da sagte die Katze zu ihr: »Wenn du zu der Kuh dort drüben gehen und mir eine Schale Milch holen willst, dann will ich die Ratte fressen.«Also ging die alte Frau zu der Kuh. Da sagte die Kuh zu ihr: »Wenn du zu jenem Heuschober dort drüben gehen und mir eine Handvoll Heu holen willst, dann will ich dir die Milch geben.« Also ging die alte Frau zu dem Heuschober, und sie brachte der Kuh das Heu.

Gleich nachdem sie das Heu gefressen hatte, gab die Kuh der alten Frau etwas Milch. Und sie ging mit der Schale Milch zu der Katze. Gleich nachdem die Katze die Milch geschleckt hatte, fraß sie die Ratte; die Ratte zernagte erst noch den Strick; der Strick erhängte erst noch den Schlachter; der Schlachter schlachtete erst noch den Ochsen; der Ochse trank erst noch das Wasser; das Wasser löschte erst noch das Feuer; das Feuer verbrannte erst noch den Stock; der Stock schlug erst noch den Hund; der Hund biß jetzt das Ferkelchen; das Ferkelchen setzte mit einem erschreckten Hopser über den Zaunübergang, und die alte Frau kam gerade noch rechtzeitig bis zum Abend nach Hause.


Wie Jack sein Glück suchen ging

Es war einmal ein Junge namens Jack, und eines Morgens ging er auf und davon, um in der Ferne sein Glück zu versuchen. Er war nicht lange unterwegs, da traf er eine Katze.

»Wohin gehst du, Jack?«fragte die Katze.



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»Ich bin unterwegs, um mein Glück zu versuchen.«

»Darf ich mit dir gehen?«

»Ja«, sagte Jack, »je mehr, desto besser.«

So gingen sie weiter, tripp-trapp, tripp-trapp.

Etwas später trafen sie einen Hund.

»Wohin gehst du, Jack?« fragte der Hund.

»Ich bin unterwegs, um mein Glück zu suchen.«

»Darf ich mit dir gehen?«

»Ja«, sagte Jack, »je mehr, desto besser.«

So gingen sie weiter, tripp-trapp, tripp-trapp.

Etwas später trafen sie eine Geiß.

»Wohin gehst du, Jack?«fragte die Geiß.

»Ich bin unterwegs, um mein Glück zu suchen.«

»Darf ich mit dir gehen?«

»Ja«, sagte Jack, »je mehr, desto besser.«

So gingen sie weiter, tripp-trapp, tripp-trapp.

Etwas später trafen sie einen Stier.

»Wohin gehst du, Jack?«fragte der Stier.

»Ich bin unterwegs, um mein Glück zu suchen.«

»Darf ich mit dir gehen?«

»Ja«, sagte Jack, »je mehr, desto besser.«

So gingen sie weiter, tripp-trapp, tripp-trapp.

Etwas später trafen sie einen Haushahn.

»Wohin gehst du, Jack?«fragte der Haushahn.

»Ich bin unterwegs, mein Glück zu suchen.«

»Darf ich mit dir gehen?«

»Ja«, sagte Jack, »je mehr, desto besser.«

So gingen sie weiter, tripp-trapp, tripp-trapp.

Ja, sie gingen so lange, bis es fast dunkel war, und sie überlegten, wo sie wohl die Nacht zubringen könnten. Da sahen sie von weitem ein Haus, und Jack sagte, sie sollten warten, während er hingehen und durch das Fenster schauen wolle. Und da saßen ein paar Räuber drin, die ihr Geld zählten. Jack ging zurück und ordnete an, sie sollten warten, bis er ihnen ein Zeichen gäbe, dann aber so viel Lärm machen, wie sie nur könnten. Als sie alle bereit waren, gab Jack das



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Zeichen, und wie auf einen Schlag begann die Katze zu miauen, der Hund zu bellen, die Geiß zu meckern, der Stier zu brüllen und der Haushahn zu krähen, und das alles zugleich machte ein so greuliches Getöse, daß die Räuber erschreckt davonliefen.

Nun gingen sie hinein und nahmen von dem Haus Besitz. Jack fürchtete, die Räuber würden in der Nacht zurückkommen, und als es Zeit zum Schlafengehen wurde, setzte er die Katze in den Schaukelstuhl, hieß den Hund sich unter den Tisch legen und die Geiß oben ins Haus gehen. Den Stier führte er in den Keller, und der Haushahn flog hinauf unter das Dach, und Jack selbst ging zu Bett. Als die Räuber sahen, daß alles dunkel wurde, schickten sie einen Mann zu dem Haus, um nach ihrem Geld zu sehen. Aber sehr schnell kam der angstbebend zurück und erzählte ihnen, was er erlebt hatte.

»Ich ging zurück zu dem Haus«, sagte er, »trat ein und wollte mich erst einmal in den Schaukelstuhl setzen, aber da saß eine strickende alte Frau, die ihre Stricknadeln in mich hineinstieß.« —Ihr wißt natürlich: Es war die Katze!

»Ich ging nun zum Tisch, um das Geld zu suchen, aber da war ein Schuhmacher, der mich mit seinem Pfriem bearbeitete.« —Ihr wißt natürlich: Das war der Hund! »Ich ging jetzt hinauf, aber da war ein Mann beim Dreschen, der mich mit seinem Dreschflegel hinunterjagte.« — Ihr wißt natürlich: Das war die Geiß.

»Nun ging ich in den Keller. Dort aber hackte ein Mann Holz und schlug mit seiner Axt nach mir.« —Ihr wißt natürlich: Das war der Stier.

»Aber durch alles das hätte ich mich nicht vertreiben lassen, wenn nicht oben auf dem Haus ein teuflischer kleiner Kerl gewesen wäre, der immerfort rief: >Wirf ihn mir her!« Und das - war eben das Kikeriki des Haushahns.



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Die Geschichte von den drei Ferkelchen

Einst sprach das Schwein
stets nur im Reim -
und Affen kauten Kautabak -
und Hennen schnupften mit Ach und Weh:
sie glaubten, das mache sie zäh -
und Enten quacksalbaderten
quak -quak -quak -quak o, O!


***
Es war einmal eine alte Sau, die bekam drei kleine Ferkelchen, und da sie nicht genug für sie zu fressen hatte, schickte sie sie fort, damit sie ihr Glück in der Welt selber versuchten. Das erste, das losging, traf unterwegs einen Mann mit einem Strohbündel und sagte zu ihm:

»Bitte, lieber Mann, gib mir doch das Stroh, damit ich mir ein Haus bauen kann!«

Der Mann tat es, und das kleine Ferkelchen baute sich davon ein Haus. Da kam der böse Wolf vorbei, er klopfte an die Tür und sagte:

»Kleines Ferkelchen, kleines Ferkelchen, laß mich zu dir hinein.«

Doch das Ferkelchen antwortete:

»Nein, nein.«

»Nun, dann werde ich stuffen und puffen und dir dein Haus niederreißen.« «

Und er stieß und trat und zertrümmerte das Haus und fraß das kleine Ferkelchen auf.

Das zweite kleine Ferkelchen traf einen Mann mit einem Bündel Stechginster und sagte:

»Ach bitte, lieber Mann, gib mir das Bündel Stechginster, damit ich mir ein Haus bauen kann.«

Der Mann tat es, und das Ferkelchen baute sich sein Haus.

Da kam der Wolf vorbei und sagte:

»Kleines Ferkelchen, kleines Ferkelchen, laß mich zu dir herein.«

»Nein, nein.«



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»Da werde ich wütend und werde dir dein Haus niederreißen.«

Und so stuffte und puffte und stuffte er, und zuletzt hatte er das Haus niedergerissen und fraß das kleine Ferkelchen auf.

Das dritte kleine Ferkelchen traf einen Mann mit einer ganzen Ladung Ziegelsteine und sagte:

»Ach bitte, lieber Mann, gib mir doch die Ziegelsteine, damit ich mir daraus ein Haus bauen kann.«

Der Mann gab ihm die Ziegelsteine, und es baute sich ein Haus davon. Und der Wolf kam, wie er es auch bei den anderen kleinen Ferkelchen getan hatte, und sprach:

»Kleines Ferkelchen, kleines Ferkelchen, laß mich zu dir herein.«

»Nein, nein.«

»Dann werde ich stuffen und puffen und werde dein ganzes Haus niederreißen.

Ja, er stuffte und puffte und stuffte und puffte und stuffte; aber es gelang ihm nicht, das Haus einzureißen. Als er einsah, daß es ihm mit all seinem Stuffen und Puffen nicht gelang, das Haus einzureißen, sagte er:

»Kleines Ferkelchen, ich weiß ein schönes Rübenfeld.«

»Wo?«fragte das kleine Ferkelchen.

»Ach, da draußen bei Mr. Smith. Und wenn du morgen früh bereit bist, will ich dich ruf en, und wir wollen zusammen hingehen und es uns gut schmecken lassen.«

»Schön«, sagte das kleine Ferkelchen, »ich werde bereit sein. Um welche Zeit wollen wir gehen?«

»Nun, so um sechs Uhr.«

Nun aber stand das kleine Ferkelchen schon um fünf Uhr auf und holte sich seine Rüben, ehe der Wolf um sechs Uhr kam und rief:

»Kleines Ferkelchen, bist du bereit?«

Das kleine Ferkelchen antwortete: »Bereit! Ich bin schon dort gewesen und wieder zurück und habe eine prächtige Mahlzeit gehabt.«

Der Wolf wurde sehr wütend, da er aber dachte, es würde ihm schon noch gelingen, das Ferkelchen übers Ohr zu hauen, sagte er:

»Kleines Ferkelchen, ich weiß einen herrlichen Apfelbaum.«



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»Wo?«fragte das kleine Ferkelchen.

»Unten in Merry-Garden«, erwiderte der Wolf, »und wenn du versprichst, mich nicht zu betrügen, will ich morgen früh um fünf kommen, um dir zu Äpfeln zu verhelfen.«

Nun, das kleine Ferkelchen stand kommenden Tags um vier Uhr auf und lief zu den Äpfeln. Es hoffte, schon wieder zurück zu sein, ehe der Wolf kam. Aber der Weg war weiter, und dann mußte es auch erst auf den Baum klettern, und als es gerade herunterkommen wollte, sah es den Wolf heranschleichen und fürchtete sich schrecklich. Das könnt ihr euch wohl denken.

Als der Wolf kam, sagte er: »Warum bist du denn schon hier? Sind die Äpfel schön?«

»Ja, sehr«, sagte das kleine Ferkelchen. »Ich will dir ein paar herunterwerfen.

Und es warf sie so weit, daß es, während der Wolf beim Aufheben war, schnell herunterspringen und nach Hause laufen konnte. Am nächsten Morgen kam der Wolf wieder und sagte zu dem kleinen Ferkelchen: »Kleines Ferkelchen, in Shanklin ist heute nachmittag Jahrmarkt. Hättest du Lust, hinzugehen?«

»O ja«, sagte das Ferkelchen, »da möchte ich hingehen; wann willst du mich denn abholen?«

»Um drei«, sagte der Wolf.

Und, wie bisher auch, machte sich das Ferkelchen viel früher auf den Weg und ging zum Jahrmarkt und kaufte ein Butterfaß, mit dem es heimwärts wanderte. Da sah es den Wolf kommen. Was sollte es jetzt nur tun?

Es versteckte sich in dem Faß, warf es um, und dieses rollte mit dem Ferkelchen darin den Hügel hinab. Das fürchtete sich so sehr vor dem Wolf, daß es spornstreichs nach Hause und nicht wieder auf den Jahrmarkt lief. Der Wolf kam bald vor Ferkelchens Haus und erzählte ihm, wie sehr er durch ein großes rundes Ding erschreckt worden sei, das auf dem Weg zum Hügel an ihm vorbeisauste. Da sagte das kleine Ferkelchen:

»Ach, da habe also ich dich zum Fürchten gebracht? Ich bin auf dem Jahrmarkt gewesen und habe da ein Butterfaß gekauft, und als ich



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dich kommen sah, bin ich hineingekrochen und so den Hügel heruntergerollt.«

Da wurde nun der Wolf bitterböse und sagte, nun wolle er das kleine Ferkelchen ganz gewiß auffressen und dazu durch den Kamin zu ihm hereinkommen. Als das kleine Ferkelchen sah, was er draußen machte, hing es schnell einen Kessel voll Wasser auf, blies das Feuer tüchtig an, und gerade, als der Wolf herunterspringen wollte, riß es den Deckel vom Topf, und der Wolf fiel hinein.

Schnell legte das kleine Ferkelchen den Deckel wieder auf, kochte den Wolf schön weiß und aß ihn zum Abendbrot und lebte von da glücklich und vergnügt alle Tage.


Die Geschichte von den drei Bären

Es waren einmal drei Bären, die zusammen in ihrem Haus im Walde lebten. Einer war ein kleiner schwacher winziger Bär, einer ein mittelgroßer Bär und einer ein großer, ganz ungeheuer großer Bär. Jeder von ihnen hatte einen Topf für seine Suppe - einen winzigen Topf für den kleinen Bären, einen mittelgroßen für den mittelgroßen Bären und einen großen für den ungeheuer großen Bären. Und jeder von ihnen hatte einen Stuhl, um darauf zu sitzen -einen winzigen Stuhl für den kleinen, schwachen, winzigen Bären, einen mittelgroßen für den größeren Bären und einen großen für den großen, ungeheuer großen Bären. Und jeder hatte sein eigenes Bett zum Schlafen -ein winziges Bett für den kleinen, schwachen, winzigen Bären, ein mittelgroßes für den größeren Bären und ein riesengroßes Bett für den großen, den ungeheuer großen Bären.

Eines Tages nun, als sie sich ihre Frühstückssuppe gekocht und in ihre Suppentöpfe gefüllt hatten, gingen sie erst noch einmal in den Wald, damit die Suppe inzwischen abkühlte und sie sich nicht ihren Mund verbrannten, wenn sie zu früh zu essen begännen. Aber während sie so spazierengingen, kam eine alte Frau in ihr Haus. Es kann keine brave ehrliche alte Frau gewesen sein, denn sie guckte erst durchs Fenster herein, dann schaute sie durchs Schlüsselloch, und als



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sie sah, daß niemand im Haus war, drückte sie die Türklinke herunter. Die Tür war nicht verschlossen, denn die Bären waren gute Bären, die niemandem etwas zuleide taten und deshalb auch nicht glaubten, daß jemand ihnen etwas zuleide tun werde. Also öffnete das alte Weib die Tür, trat ein und freute sich über die Maßen, als sie die Suppe auf dem Tisch sah. Wäre sie eine brave alte Frau gewesen, so würde sie gewartet haben, bis die Bären nach Hause kamen, und dann hätten die sie vielleicht zum Frühstück eingeladen. Waren sie doch gutmütige Bären - wenn auch vielleicht von etwas rauher Art, wie eben Bären sind, doch vor allem waren sie gutmütig und freigebig. Sie aber war ein freches böses altes Weib. Sie setzte sich einfach hin und langte zu.

Erst versuchte sie die Suppe des großen, des ungeheuer großen Bären, aber die war ihr noch zu heiß, und sie schimpfte deswegen. Dann versuchte sie die Suppe des mittleren Bären, aber die war ihr schon zu kalt, und darum beschimpfte sie die auch. Und dann nahm sie sich die Suppe des kleinen, schwachen, winzigen Bären vor und versuchte die, und die war weder zu heiß noch zu kalt, sondern gerade richtig, und sie schmeckte ihr so gut, daß sie sie ganz aufaß. Doch die nichtsnutzige alte Frau schimpfte nun über den kleinen Suppentopf, weil nicht mehr darin war.

Danach setzte sich das kleine alte Weib in den Stuhl des großen, des ungeheuer großen Bären, und der war ihr zu hart. Nun setzte sie sich in den Stuhl des mittleren Bären, und der war ihr zu weich. Schließlich setzte sie sich in den Stuhl des kleinen, schwachen, winzigen Bären, und der war weder zu hart noch zu weich, sondern gerade richtig. So machte sie es sich darin bequem und saß da so lange, bis der Sitz des Stuhles durchbrach und sie mit ihm, plumps, auf dem Boden landete. Und das böse alte Weib stieß auch jetzt einen häßlichen Fluch aus.

Nun ging die alte Frau die Treppe hinauf ins Schlafzimmer, in dem die drei Bären schliefen. Zuerst legte sie sich auf das Bett des großen, des ungeheuer großen Bären, doch das Kopfende war für sie zu hoch. Jetzt legte sie sich auf das Bett des mittleren Bären, aber das war ihr am Fußende zu hoch. Sie stand auf und legte sich nun auf



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das Bett des kleinen, schwachen, winzigen Bären, und das war weder am Kopf-noch am Fußende zu hoch, sondern gerade richtig. Sie kuschelte sich tief hinein, und kaum lag sie so, da war sie auch schon eingeschlafen.

Zur gleichen Zeit meinten die drei Bären, daß jetzt ihre Suppe kalt genug sein werde; darum gingen sie nach Hause, um zu frühstücken. Nun hatte aber die kleine alte Frau den Löffel in der Suppe des großen, des ungeheuer großen Bären liegenlassen.

»Jemand hat von meiner Suppe gegessen!«brummte der große, der ungeheuer große Bär mit seiner gewaltigen, rauhen, barschen Stimme. Und als der mittlere Bär die seine sah, stellte er fest, daß auch in ihr der Löffel lag. Es waren hölzerne Löffel; wären es silberne gewesen, dann hätte sicher die böse Alte sie in ihrer Tasche verschwinden lassen.

»Jemand hat von meiner Suppe gegessen!« rief der mittlere Bär mit seiner mittelstarken Stimme.

Nun sah der kleine, schwache, winzige Bär die seine, und da lag zwar der Löffel im Suppentopf, aber die Suppe war nicht mehr darin.

»Jemand hat von meiner Suppe gegessen und hat sie ganz aufgegessen!« meldete der kleine, schwache, winzige Bär mit seiner kleinen, schwachen, winzigen Stimme.

Nun erkannten die drei Bären, daß jemand in ihr Haus gekommen war und auch das Frühstück des kleinen, schwachen, winzigen Bären aufgegessen hatte, und sie schauten aufmerksam ringsum. Nun hatte aber die kleine Alte das Sitzkissen nicht wieder geradegestrichen, als sie aus dem Stuhl des großen, des ungeheuer großen Bären aufgestanden war.

»Jemand hat in meinem Stuhl gesessen!« rief der große, der ungeheuer große Bär mit seiner gewaltigen, rauhen, barschen Stimme. Und die kleine Alte hatte das weiche Sitzkissen des mittelgroßen Bären niedergedrückt.

»Jemand hat in meinem Stuhl gesessen!« rief der mittlere Bär mit seiner mittelstarken Stimme.

Und ihr wißt ja, was die kleine Alte bei dem dritten Stuhl angestellt hatte.



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»Jemand hat auf meinem Stuhl gesessen und hat den Sitz herausgebrochen!« rief der kleine, schwache, winzige Bär mit seiner kleinen, schwachen, winzigen Stimme.

Jetzt hielten es die drei Bären für erforderlich, weitere Untersuchungen anzustellen. Sie gingen die Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer. Nun hatte aber die kleine Alte die Bettdecke des großen, des ungeheuer großen Bären heruntergeworfen.

»Jemand hat in meinem Bett gelegen«, sagte der große, ungeheuer große Bär mit seiner gewaltigen, rauhen und barschen Stimme. Und die kleine Alte hatte das Polster des mittleren Bären heruntergeworfen.

»Jemand hat in meinem Bett gelegen!«sagte der mittlere Bär mit seiner mittelstarken Stimme.

Und als der kleine, schwache, winzige Bär in seinem Bett nachsehen wollte, lag das Polster auf seinem Platz und das Kissen auf dem Platz unter dem Polster, und auf dem Kissen sah man das wirre, schmutzige Haar des kleinen alten Weibes - und das war nun gar nicht an seinem rechten Platz, denn sie hatte hier nichts zu suchen.

»Jemand hat sich in mein Bett gelegt - und das ist es!« rief der kleine, schwache, winzige Bär mit seiner kleinen, schwachen, winzigen Stimme.

Das kleine alte Weib hatte zwar in ihrem Schlaf die gewaltige, rauhe, barsche Stimme des großen, des ungeheuer großen Bären gehört, doch sie schlief so fest, daß es ihr nur wie das Brausen des Windes oder wie das Rollen des Donners klang. Und sie hatte die mittelstarke Stimme des mittleren Bären gehört, doch es war für sie nur so, als habe sie jemand im Traum sprechen hören. Doch als sie die kleine, schwache, winzige Stimme des kleinen, schwachen, winzigen Bären hörte, da klang die so scharf und schrill, daß sie davon gleich erwachte. Sie fuhr hoch, und als sie die drei Bären an der einen Seite des Bettes stehen sah, sprang sie auf der anderen heraus und rannte zum Fenster. Das Fenster war offen, weil die Bären - sie waren ja gute, ordentliche Bären -jeden Tag das Fenster ihres Schlafzimmers aufmachten, bevor sie in den Morgen hinausgingen.

Und heidi, raus sprang die Alte, und ob sie sich beim Fall den Hals



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gebrochen hat oder ob sie in den Wald gelaufen ist und sich dort verirrt hat oder ob sie wieder herausgefunden hat und dem Polizisten in die Arme gelaufen ist und in die Strafanstalt geschickt wurde, weil sie ja eine Herumtreiberin war, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß die drei Bären nie mehr etwas von ihr wiedersahen.


Der faule Jade

Es war einmal ein Junge, der Jack hieß und der mit seiner Mutter auf einem Wiesengelände lebte, das der Gemeinde gehörte. Sie waren sehr arm, und die alte Mutter verdiente mit Spinnen ihren Lebensunterhalt. Aber Jack war so faul, daß er nichts tun wollte, als sich bei gutem Wetter in der Sonne zu rekeln und im Winter an der Herdecke zu sitzen. Deswegen wurde er eben der faule Jack genannt. Die Mutter konnte es nicht erreichen, daß er ihr auch nur ein wenig zur Hand ging, und schließlich erklärte sie ihm eines Montags, wenn er nicht endlich zu seinem Lebensunterhalt beitragen wolle, werde sie ihn in die Welt hinausschicken, damit er sich sein Essen selber verdiene, so gut es eben ging.

Das brachte Jack endlich hoch. Er ging los und verdingte sich am nächsten Tag bei einem benachbarten Bauern um einen Penny. Doch als er wieder nach Hause kam, war er erneut ohne Geld, denn er hatte es verloren, als er über einen Bach sprang. »Ach du dummer Junge!«rief seine Mutter aus, »du hättest es in deine Tasche stecken müssen.«

»Nächstes Mal will ich es so machen«, erwiderte Jack.

Am Mittwoch machte sich Jack von neuem auf und verdingte sich bei einem Rinderhirten, der ihm als Tageslohn einen Krug Milch gab.

Jack nahm den Krug und leerte ihn in seine Jackentasche, und alles rann aus, schon lange ehe er zu Hause ankam. »Du lieber Himmel«, rief die alte Frau, »du hättest ihn doch auf dem Kopf tragen müssen!«

»Nächstes Mal will ich es so machen«, sagte Jack.



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Am Donnerstag schloß Jack mit einem Bauern ab, der ihm für seine Arbeit einen Rahmkäse versprach. Am Abend nahm Jack den Käse und ging mit ihm auf dem Kopf heimwärts. Unterwegs aber fing der Käse an zu laufen, ging zum Teil verloren, und zum Teil verklebte er Jacks Haare. »Ach du Tölpel!« rief seine Mutter. »Du hättest ihn ganz vorsichtig in den Händen tragen müssen.«

»Nächstes Mal will ich es so machen«, antwortete Jack.

Am Freitag machte der faule Jack sich wieder auf und verdingte sich bei einem Bäcker, der ihm für seine Arbeit nichts weiter als einen dicken Kater geben wollte. Jack nahm den Kater und trug ihn nun vorsichtig in den Händen vor sich her, doch in kurzer Zeit zerkratzte Pussy ihn so, daß er das Tier laufenlassen mußte. Als er heimkam, sagte seine Mutter: »Du törichter Bursche, du hättest ihn an eine Schnur binden und ihn hinter dir herziehen müssen!« »Nächstes Mal will ich es so machen«, sagte Jack.

Am Sonnabend verdingte sich Jack bei einem Metzger, der ihn mit dem großzügigen Geschenk einer ganzen Hammelkeule entlohnte. Jack nahm die Hammelkeule, band sie an einen Strick und zog sie durch den Schmutz hinter sich her, so daß sie völlig verdorben war, als er zu Hause ankam. Diesmal verlor seine Mutter alle Geduld, denn der nächste Tag war Sonntag, und sie hatte nun nichts als einen Kohlkopf fürs Mittagessen. »Du ausgemachter Dummkopf!«schalt sie ihren Sohn. »Du hättest sie auf deiner Schulter tragen müssen!« »Nächstes Mal will ich es so machen«, antwortete Jack.

Am nächsten Morgen ging der faule Jack von neuem los und verdingte sich bei einem Viehhüter, der ihm für seine Hilfe einen Esel schenkte. Jack fand es schwer, den Esel auf seine Schulter hinauf aber schließlich gelang es ihm, und mühsam begann er mit diesem seinem Lohn heimwärts zu trotten. Nun war es aber so, daß ein reicher Mann und seine einzige Tochter, ein wunderschönes, aber taubstummes Mädchen, dort wohnten, wo er vorbeikam. Das Mädchen hatte noch nie in ihrem Leben gelacht, und die Ärzte sagten, nie werde sie sprechen können, wenn man sie nicht zum Lachen brächte. Dieses junge Fräulein schaute zufällig aus dem Fenster, als Jack, auf der Schulter den Esel, der alle vier Beine in die Luft



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streckte, vorbeikam. Der Anblick war so komisch und seltsam, daß sie in helles Gelächter ausbrach und sofort Sprache und Gehör wiederbekam. Ihr Vater war so überglücklich, daß er sein Versprechen wahrmachte und sie mit dem faulen Jack verheiratete, der auf diese Weise ein reicher Mann wurde. Sie lebten in einem großen Hause, und Jacks Mutter lebte mit ihnen zusammen in ungetrübtem Glück, bis der Tod sie abberief.


Kuchen Hän s ch e n

Es waren einmal ein alter Mann und eine alte Frau und ein kleiner Junge. Eines Morgens formte die alte Frau ein Kuchen-Hänschen, schob es zum Backen in den Ofen und sagte: »Paß du gut auf das Kuchen-Hänschen auf, während Vater und ich in den Garten arbeiten gehen.«Und dann gingen der alte Mann und die alte Frau hinaus, machten sich ans Kartoffelhacken und ließen den kleinen Jungen zurück, um auf den Ofen aufzupassen. Aber er paßte gar nicht dauernd auf, und plötzlich hörte er ein Geräusch, und wie er hinblickte, klappte die Ofentür auf, und aus dem Ofen sprang Kuchen-Hänschen und rollte, rollte, rollte sich auf die offene Haustür zu. Der kleine Junge rannte eilig, um die Tür zu schließen, aber Kuchen-Hänschen war schneller als er und rollte durch die Tür, die Treppe hinunter und hinaus und den Weg entlang, ehe der kleine Junge ihn fassen konnte. Zwar lief der Junge, so schnell er konnte, hinterher und rief auch Vater und Mutter, die den Lärm hörten, ihre Hacken hinwarfen und mit hinterherjagten. Doch Kuchen-Hänschen war allen dreien weit voraus und bald außer Sicht, während sie, völlig außer Atem, sich schließlich auf einer Bank ausruhen mußten.

Weiter rollte Kuchen-Hänschen und kam dann zu zwei Brunnengräbern, die von ihrer Arbeit aufschauten und riefen: »Wo willst du denn hin, Kuchen-Hänschen?«

Er sagte: »Ich bin einem alten Mann davongelaufen und einer alten Frau und einem kleinen Jungen, und ich kann auch euch davonlaufen.«



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»So, kannst du? Kannst du? Das wollen wir mal sehen«, riefen sie, warfen ihre Spitzhacken hin und liefen hinter ihm her. Aber sie konnten ihn nicht greifen, und schon bald mußten sie sich am Wegrand ausruhen. Weiter rollte Kuchen-Hänschen und kam schließlich zu zwei Grabenarbeitern, die einen Graben gruben. »Wo willst du denn hin?«fragten sie. Er sagte: »Ich bin einem alten Mann davongelaufen und einer alten Frau und einem kleinen Jungen und zwei Brunnengräbern, und ich kann auch euch davonlaufen.«

»So, kannst du? Kannst du? Das wollen wir mal sehen!« riefen sie und warfen ihre Spaten hin und rannten hinter ihm her. Aber Kuchen-Hänschen entwischte auch ihnen gleich, und als sie sahen, daß sie ihn nicht zu fassen bekämen, gaben sie die Jagd auf und setzten sich hin, um auszuruhen.

Weiter rollte Kuchen-Hänschen und kam schließlich zu einem Bären. Der Bär sagte: »Wo willst du denn hin, Kuchen-Hänschen?« Er sagte: »Ich bin einem alten Mann davongelaufen und einer alten Frau und einem kleinen Jungen und zwei Brunnengräbern und zwei Grabenarbeitern, und ich kann auch dir davonlaufen.«

»So, kannst du? Kannst du?« brummte böse der Bär. »Das wollen wir mal sehen!«Und er trabte, so schnell ihn nur seine Beine tragen konnten, hinter Kuchen-Hänschen her, der sich nicht ein einziges Mal umschaute.

Nicht lange, und der Bär blieb so weit zurück, daß er einsah, es wäre besser, die Jagd aufzugeben. So legte er sich am Wegrand nieder, um auszuruhen.

Weiter rollte Kuchen-Hänschen und kam schließlich zu einem Wolf.

Der Wolf sagte: »Wo willst du denn hin, Kuchen-Hänschen?« Er sagte: »Ich bin einem alten Mann davongelaufen und einer alten Frau und einem kleinen Jungen und zwei Brunnengräbern und zwei Grabenarbeitern und einem Bären, und ich kann auch dir davonlaufen.«

»So, kannst du? Kannst du?«knurrte der Wolf. »Das wollen wir mal sehen.« Und er setzte sich hinter Kuchen-Häuschen in Galopp, der aber so schnell sauste, daß auch der Wolf einsah, wie hoffnungslos



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es war, ihn einholen zu wollen. Und auch er legte sich hin, um auszuruhen.

Weiter rollte Kuchen-Hänschen und kam schließlich zu einem Fuchs, der geruhig in einem Winkel der Hecke lag. Der Fuchs rief mit scharfer Stimme, doch ohne aufzustehen:

»Wo willst du denn hin, Kuchen-Hänschen?«

Er sagte: »Ich bin einem alten Mann davongelaufen und einer alten Frau und einem kleinen Jungen und zwei Brunnengräbern und zwei Grabenarbeitern und einem Bär und einem Wolf, und ich kann auch dir davonlaufen.«

Der Fuchs sagte: »Ich kann dich nicht gut verstehen, Kuchen-Hänschen, komm doch bitte etwas näher«, und er drehte seinen Kopf etwas seitwärts. Zum erstenmal hielt Kuchen-Hänschen im Laufen inne, kam etwas näher und rief mit ganz lauter Stimme:

»Ich bin einem alten Mann davongelaufen und einer alten Frau und einem kleinen Jungen und zwei Brunnengräbern und zwei Grabenarbeitern und einem Bären und einem Wolf, und ich kann auch dir davonlaufen.«

»Ich kann dich noch nicht recht verstehen; würdest du nicht noch ein kleines bißchen näher kommen?« sagte der Fuchs in sanftem Ton, während er Kuchen-Hänschen seinen Nacken entgegenstreckte und eine Pfote hinter sein Ohr schob.

Kuchen-Hänschen kam noch näher, und während er sich zu dem Fuchs neigte, rief er laut: »Ich bin einem alten Mann davongelaufen und einer alten Frau und einem kleinen Jungen und zwei Brunnengräbern und zwei Grabenarbeitern und einem Bären und einem Wolf, und ich kann auch dir davonlaufen.«

»Kannst du das? Kannst du das?« bellte der Fuchs und schnappte Kuchen-Hänschen im Nu mit seinen scharfen Zähnen.



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Katze und Maus

Die Katze und die Maus
spielten im Malzbierhaus.


***
Die Katze biß der Maus dabei den Schwanz ab. »Bitte, Pussy, gib mir meinen Schwanz wieder!« —»Nein«, sagte die Katze, »ich will dir deinen Schwanz nur wiedergeben, wenn du zur Kuh gehst und mir etwas Milch holst.«
Sie wandte sich gleich und rannte dann
und bei der Kuh sie sogleich begann:


***
»Ach bitte, liebe Kuh, gib mir Milch, damit ich sie der Katze bringen kann und mir die Katze meinen Schwanz wiedergibt.« — »Nein«, sagte die Kuh, »ich will dir die Milch nur geben, wenn du zum Bauern gehst und mir etwas Heu holst.«
Sie wandte sich gleich und rannte dann
und bei dem Bauern sogleich sie begann:
»Ach bitte, lieber Bauer, gib mir Heu, damit ich es der Kuh bringen
kann, damit die Kuh mir Milch gibt, damit ich der Katze Milch bringen
  kann und mir die Katze meinen Schwanz wiedergibt.« —»Nein«,
sagte der Bauer, »ich will dir Heu nur geben, wenn du zum Schlachter
gehst und mir etwas Fleisch holst.«
Sie wandte sich gleich und rannte dann
und bei dem Schlachter sogleich sie begann:


***
»Ach bitte, lieber Schlachter, gib mir Fleisch, damit ich es dem Bauern bringen kann, damit der Bauer mir Heu gibt, damit ich der Kuh Heu bringen kann, damit die Kuh mir Milch gibt, damit ich die Milch der Katze bringen kann und mir die Katze meinen Schwanz wiedergibt.« —»Nein«, sagte der Schlachter, »ich will dir Fleisch nur geben, wenn du zum Bäcker gehst und mir etwas Brot holst.«


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Sie wandte sich gleich und rannte dann
und bei dem Bäcker sogleich sie begann:


***
»Ach bitte, lieber Bäcker, gib mir Brot, damit ich es dem Schlachter bringen kann, damit der Schlachter mir Fleisch gibt, damit ich das Fleisch dem Bauern bringen kann, damit mir der Bauer Heu gibt, damit ich das Heu der Kuh bringen kann, damit die Kuh mir Milch gibt, damit ich die Milch der Katze bringen kann und mir die Katze meinen Schwanz wiedergibt.«
»Ja«, sagte der Bäcker, »ich gebe dir Brot,
doch frißt du mein Mehl, dann ist es dein Tod.«


***
Und der Bäcker gab der Maus Brot, und die Maus gab dem Schlachter Brot, und der Schlachter gab der Maus Fleisch, und die Maus gab dem Bauern Fleisch, und der Bauer gab der Maus Heu, und die Maus gab der Kuh Heu, und die Kuh gab der Maus Milch, und die Maus gab der Katze Milch, und da gab die Katze der Maus ihren Schwanz wieder.


Meister aller Meister



***
Ein Mädchen ging auf den Markt, um sich als Magd zu verdingen. Schließlich mietete sie ein komischer alter Herr und nahm sie in sein Haus mit. Als sie eingetreten war, sagte er, er habe sie noch einiges zu lehren, denn in diesem Haus habe er allen Dingen eigene Namen gegeben.

Er fragte sie: »Wie willst du mich anreden?«

»Herr oder mein Herr oder wie Sie es wünschen, Sir.«

Er sagte: »Du hast mich >Meister aller Meister< zu nennen. Und wie würdest du das bezeichnen?« Und er zeigte auf sein Bett.

»Bett oder Liege oder wie Sie es sonst möchten, Sir.«

»Nein, das ist meine >Entenmuschel<. Und wie würdest du das da nennen?« Und er zeigte auf seine Beinkleider.

»Kniehosen oder lange Hosen oder wie Sie es sonst wollen, Sir.«



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»Du mußt sie >Feuerwerksfrösche< und >Knallbonbons< nennen. Und wie würdest du die da bezeichnen?« Und er wies auf die Katze.

»Katze oder Muschi oder wie Sie es sonst möchten, Sir.«

»Du mußt sie >Weißgesichtig-Schnurrende< nennen. Und das da?«

Er zeigte auf das Feuer. »Wie würdest du das benennen?«

»Feuer oder Flamme oder wie Sie es möchten, Sir.«

»Du mußt es >Heißes Hahnengegockel< nennen. Und wie dieses?< fuhr er fort und zeigte auf das Wasser.

»Wasser oder Naß oder wie Sie es sonst wollen, Sir.«

»Nein, >Teichfüllerin<ist der Name. Und wie nennst du das wohl?«

Und er zeigte auf das Haus.

»Haus oder Landhaus oder wie Sie es haben möchten, Sir.« »Du mußt es >Hohes Hauptgebirge< nennen.«

In der folgenden Nacht weckte die junge Magd ihren Herrn voller Schrecken auf und sagte: »Meister aller Meister, stehen Sie auf aus Ihrer Entenmuschel und fahren Sie in Ihre Feuerwerksfrösche und Knallbonbons! Denn die Weißgesichtig-Schnurrende hat mit ihrem Schwanz eine Feder des Heißen Hahnengegockels an sich gezogen, und wenn Sie nicht allerlei Teichfüllerinnen herbeischaffen, wird das Hohe Hauptgebirge ein heißes Heißes Hahnengegockel sein.« . Das ist alles.


Mein eigenes Ich

In einem winzigen Häuschen im Norden des Landes, weit von jeder Stadt oder von einem Dorf, lebte vor noch gar nicht so langer Zeit eine Witwe ganz allein mit ihrem kleinen, sechs Jahre alten Sohn.

Die Haustür führte gleich auf die Hügelseite hinaus, und rundherum war Moorland und Findlingsgestein und sumpfiges Höhlengelände; nicht ein Haus, nicht das geringste Lebenszeichen, wohin man auch sah, denn ihre nächsten Nachbarn waren die Elfen drunten in den Talschluchten und die Irrlichter in dem hohen Gras am Wegrand. Und sie wußte so manche Geschichte von dem »freundlichen Völkchen«, das man aus alten Eichen herbeirufen konnte, zu erzählen,



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und von den funkelnden Lichtern, die in finsteren Nächten bis auf das Fensterbrett heraufsprangen. Trotz aller Einsamkeit lebte sie Jahr für Jahr weiter in dem kleinen Haus, vielleicht weil niemals jemand von ihr eine Miete forderte.

Aber wenn das Feuer niedriger brannte, pflegte sie nicht mehr lange aufzubleiben; wußte doch niemand, was wohl draußen jetzt geschah. Und nach dem Abendessen fachte sie die Glut nochmals an und ging zu Bett, so daß sie, sollte mal etwas Schreckliches geschehen, jederzeit ihren Kopf unter die Bettdecke stecken konnte.

Aber das gefiel ihrem kleinen Jungen ganz und gar nicht, und wenn sie ihn zu Bett rief, spielte er neben dem Feuer weiter und tat, als ob er sie keineswegs hörte.

Schon von klein an war er stets schwer anzuleiten gewesen, und nur selten gelang es seiner Mutter, ihn von etwas abzubringen, ja, je mehr sie versuchte, ihn zum Gehorsam zu erziehen, desto weniger hörte er auf alles, was sie sagte, und so endete es meistens damit, daß er tat, was er wollte.

Aber eines Nachts, kurz vor Winters Ende, konnte die Witwe sich nicht entschließen, schlafen zu gehen, solange er noch weiter an der Feuerstelle spielte, denn der Wind zerrte an der Tür und rüttelte an den Fenstern, und sie wußte zu gut, daß in so einer Nacht Feen und solche Leute unterwegs waren und ihr Wesen trieben. Sie versuchte den Knaben zu überreden, mit zu Bett zu gehen:

»In solch einer Nacht ist man im Bett am sichersten«, sagte sie; aber er wollte nicht zu Bett.

Jetzt drohte sie, ihm »eins mit dem Stock überzuziehen«, aber das nützte nichts. Je mehr sie bat und schalt, um so störrischer schüttelte er den Kopf, und als sie schließlich die Geduld verlor und ausrief, die Feen würden sicher kommen und ihn entführen, da lachte er nur und sagte, er wünsche sich geradezu, daß sie kämen, denn er möchte gern eine Spielgefährtin haben.

Daraufhin brach die Mutter in Tränen aus und ging ganz verzweifelt schlafen, überzeugt, daß nach so einer Rede irgend etwas Schlimmes geschehen werde. Ihr unartiger kleiner Sohn aber saß ungerührt von ihren Bitten auf seinem Schemel am Feuer.



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Aber er hatte dort noch nicht lange allein gesessen, da hörte er ganz nahe im Kamin ein Geflatter, und plötzlich fiel neben ihm das niedlichste, winzige, kleine Mädchen herab, das du dir vorstellen kannst. Sie war keine Handspanne groß und hatte Haare wie gesponnenes Silber, Augen wie grünes Gras und Wangen so rot wie eine Junirose.

Der kleine Junge sah es ganz erstaunt an.

»Oh!« rief er aus. »Wie heißt du denn?«

»Mein eigenes Ich«, sagte sie mit einer schrillen, doch niedlichen kleinen Stimme und fragte nun ihn: »Und wie heißt du denn?« »Auch mein eigenes Ich«, antwortete er vorsichtigerweise, und beide begannen nun miteinander zu spielen.

Sie zeigte ihm einige hübsche Spiele. Aus Asche formte sie Tiere, die sich umschauen und bewegen konnten, als wären sie lebendig, und Bäume mit grünen Blättern, die über einem winzigen Häuschen rauschten, mit ein Zoll großen Männern und Frauen darin, die, wenn sie sie anpustete, hin und her gingen und richtig miteinander schwatzten. Aber das Feuer sank zusammen, das Licht wurde matt, und schnell stocherte der kleine Junge mit einem Stecken in den Kohlen herum, damit sie wieder aufflammen sollten. Dabei fiel eine rotglühende Schlacke heraus und auf das winzige Füßchen des Feenkindes. Darauf kreischte dieses so grell, daß der Knabe seinen Stock hinfallen ließ und sich die Hände an die Ohren hielt. Aber das Kreischen wurde immer schriller, als würden alle Winde der Welt durch ein winziges Schlüsselloch gejagt.

Da erhob sich ein Sausen im Kamin. Aber diesmal wartete der kleine Junge nicht ab, was das war, sondern sprang mit einem Satz ins Bett, wo er tief in die Decke hineinkroch und mit Furcht und Zittern lauschte, was nun käme.

Aus dem Kamin drang eine scharfe Stimme:

»Wer ist dort, und was ist geschehen?«fragte sie.

»Hier ist mein eigenes Ich«, schluchzte das Feenkind, »und mein Fuß brennt so schrecklich. Oh, oh!«

»Wer hat das getan?«fragte böse die Stimme.

Diesmal klang sie noch näher, und der Knabe, der vorsichtig zwischen



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den Decken hervorlugte, sah ein weißes Gesicht, das aus der Kaminöffnung starrte.

»Auch mein eigenes Ich!« sagte wieder das Feenkind.

»Wenn du es selbst getan hast«, rief schrill die Feenmutter, »wie kannst du denn deswegen solchen Lärm machen?« Und sie streckte einen langen dünnen Arm heraus, griff das kleine Etwas am Ohr, schüttelte es, zog es hinter sich her und verschwand im Kamin.

Der kleine Junge lag lange wach und horchte angstvoll, ob die Feenmutter doch noch wiederkommen werde. Und an allen folgenden Abenden war seine Mutter überrascht, daß er nach dem Essen sofort bereit war, jederzeit schlafen zu gehen, wenn sie ihn rief. >Er hat sich in der letzten Zeit gebessert!< sagte sie sich. Er aber dachte, wenn wieder einmal ein Feenkind käme, um mit ihm zu spielen, würde er ganz gewiß nicht so schnell dazu ja sagen wie letztes Mal.


Der Hausierer von Swaffham

In alten Zeiten, als von einem bis zum anderen Ende der London-Bridge noch Läden standen und Lachse unter den Brückenbogen hindurchschwammen, da lebte in Swaffham in der Grafschaft Norfolk ein armer Hausierer. Nur mühsam verdiente er eben so viel, daß er leben konnte. Seinen Packen auf dem Rücken, seinen Hund zur Seite, schleppte er sich herum und war nach jeden Tages Arbeit froh, niedersitzen und schlafen zu können. Da geschah es, daß er eines Nachts einen seltsamen Traum hatte, in dem er die große Brücke der Hauptstadt London sah und eine Stimme sagen hörte, er werde eine gute Nachricht bekommen, wenn er dorthin ging. Er vergaß den Traum. Doch in der folgenden Nacht träumte er ihn nochmals und ebenso in der dritten Nacht.

Da sagte er sich: >ich muß herauszubekommen versuchen, was wohl dahintersteckt<, und so machte er sich auf den Weg nach der großen Stadt London. Der Weg war weit, und der Mann war ehrlich froh, als er auf der großen Brücke stand und die hohen Häuser zur Rechten und Linken sah und hinab auf das fließende Wasser und die vorübersegelnden



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Schiffe blickte. Den ganzen Tag lang ging er auf und ab, doch er hörte nichts, was für ihn gewinnversprechend sein konnte. Und am nächsten Morgen stand er wieder da und hielt Ausschau. Unermüdlich wanderte er London-Bridge entlang, aber nichts war zu sehen, nichts zu hören.

Als er am dritten Tag wieder da stand und um sich blickte, sprach ihn ein dort wohnender Kaufmann an.

»Freundchen«, sagte er, »ich wundere mich über dein untätiges Dastehen. Willst du denn keine Ware verkaufen?«

»Nein, das habe ich nicht vor«, antwortete der Hausierer.

»Und du bettelst auch nicht um Almosen?«

»Nein, jedenfalls nicht, solange ich mir allein weiterhelfen kann.«

»Aber was, sag mir das doch, hast du denn hier vor, und was für ein Geschäft betreibst du hier?«

»Ach, mein lieber Herr, um die Wahrheit zu sagen, ich habe geträumt, ich würde eine gute Nachricht bekommen, wenn ich hierher käme.«

Der Kaufmann mußte tüchtig lachen.

»Nein, was bist du bloß für ein Narr, daß du eine lange Reise auf so eine windige Kunde hin unternimmst. Ich will dir, du dummer Bursche vom Lande, verraten, daß ich selber nachts auch oft träume. Und letzte Nacht zum Beispiel träumte ich, ich wäre in Swaffham, einem mir unbekannten kleinen Flecken da irgendwo in Norfolk, wenn ich mich nicht täusche. Und im Traum war ich da in einem Obstgarten hinter dem Hause eines Hausierers, und in diesem Garten stand eine große Eiche. Und ich wußte, wenn ich hier graben könnte, dann würde ich unter dem großen Baum einen großen Schatz finden. Aber glaubst du vielleicht, ich wäre ein solcher Narr, daß ich nun eine lange und mühsame Reise unternähme um eines so dummen Traumes willen? Nein, mein guter Junge, lerne Klugheit von einem, der gescheiter ist als du. Geh lieber wieder heim und betreibe weiterhin dein Geschäft!«

Als der Hausierer das hörte, sagte er kein Wort, war aber im Innern von Herzen froh und kehrte eiligst nach Hause zurück. Er grub unter der großen Eiche und fand einen unwahrscheinlich großen



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Schatz. Er wurde steinreich, doch über dem Stolz auf seinen Reichtum vergaß er nicht, wozu dieser ihn verpflichtete. Denn er ließ die Kirche von Swaffham wieder neu aufbauen, und als er starb, errichtete man ein steinernes Denkmal, das ihn, seinen Packen auf dem Rücken, den Hund an seiner Seite, zeigte. Und da steht es noch heute als Beweis, daß ich nicht lüge.


Die sehr glückliche alte Frau

Es war einmal eine alte Frau, die mühsam ihr Leben fristete durch Botendienste für Bäuerinnen, die nahe bei dem Dorfe wohnten, in dem sie lebte. Es war nicht viel, was sie dafür bekam, in einem Hause einen Teller Essen, in einem anderen eine Tasse Tee, aber sie behalf sich damit und blickte stets so freundlich drein, als ob es ihr an nichts in der Welt fehle.

Nun, als sie eines Sommerabends heimwärts humpelte, stieß sie auf einen großen schwarzen Topf, der am Wegrand lag.

»Was ist denn das?« rief sie aus und blieb staunend stehen. »Der wäre für mich grade richtig, wenn ich nur etwas darin zu kochen hätte! Aber wer bloß kann ihn hier verloren haben?«Und sie schaute ringsum, als müßte jener, dem er gehörte, nicht weit weg sein. Aber sie konnte keine Menschenseele entdecken.

>Vielleicht hat er ein Loch<, überlegte sie.

>Ach, sei damit, was wolle, jedenfalls hat man ihn hier liegenlassen, basta. Und es würde hübsch aussehen, darin Blumen vors Fenster zustellen. Ich denke, ich will ihn doch erst mal mit nach Hause nehmen.< Sie beugte ihren steifen alten Nacken und nahm den Deckel hoch, um hineinzuschauen.

»Um Gottes willen!«schrie sie auf und sprang vor Schrecken bis zur anderen Seite des Weges, »der ist ja bis zum Rand mit Goldstücken gefüllt!«

Eine ganze Zeit über konnte sie nichts tun, als nur immer wieder und wieder um ihren Schatz herumzulaufen, das blinkende Gold zu bewundern, über ihr großes Glück zu staunen und sich alle zwei Minuten



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zu sagen: >Stell dir das nur vor, ich werde jetzt reich und angesehen sein!<Dann aber überlegte sie, wie sie diesen Schatz wohl am besten mit nach Hause bekäme. Und sie sah keine andere Möglichkeit, als daß sie den Topf an dem einen Ende ihres Umschlagtuches festband und ihn derart auf dem ganzen Weg hinter sich herzog. >Sicher wird es bald dunkel werden<, sagte sie zu sich selbst, >und keiner wird sehen, was ich mit nach Hause bringe, und so werde ich die ganze Nacht ruhig für mich haben, um zu überlegen, was ich mit dem vielen Geld anfangen soll. Ich könnte ein herrschaftliches Haus kaufen mit allem, was so dazu gehört, und könnte genauso wie die Königin selber leben und den ganzen Tag nicht die geringste Arbeit tun, sondern mit einer Tasse Tee am Feuer sitzen. Ich könnte das Geld aber auch dem Priester zur Aufbewahrung geben und mir immer ein Goldstück holen, wenn ich es brauche. Oder ich könnte alles in der Gartenecke vergraben und nur etwas davon auf dem Kamin aufbewahren, so zwischen dem chinesischen Teetopf und den Löffeln, als eine Art Schmuckstück. Ach! Ich komme mir plötzlich so großartig vor, ich weiß überhaupt nicht, was mit mir los ist!<

Und da sie schon ziemlich erschöpft davon war, ein so schweres Ding hinter sich herzuziehen, blieb sie jetzt verschnaufend stehen und drehte sich nur schnell ganz kurz, um sich vom Dasein ihres Schatzes zu überzeugen.

Aber da sah sie keinen Topf voller Gold, sondern statt dessen einen Klumpen schimmernden Silbers!

Sie starrte fassungslos darauf, rieb sich die Augen und starrte von neuem; aber es wurde nichts anderes daraus als eben ein Klumpen Silber. >Ich hätte darauf geschworen, daß es ein Topf voll Gold war<, meinte sie schließlich, >aber ich sehe ein, daß ich geträumt haben muß. Doch wie gut ist diese Verwandlung. Er wird viel einfacher zu hüten sein und kann nicht so leicht gestohlen werden. Die goldenen Münzen sicher aufzuheben - was für Umstände hätte das mit sich gebracht. Ich bin froh, sie wieder los zu sein. Und mit meinem hübschen Klumpen, da bin ich ja reicher als reich!<

Sie setzte ihren Weg nach daheim fort und plante freudig, was alles sie mit ihrem vielen Geld tun würde. Sie war noch nicht lange weitergegangen,



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als sie von neuem ermüdete und innehielt, um für ein oder zwei Minuten auszuruhen.

Und wieder blickte sie sich nach ihrem Schatz um, und kaum hatte sie einen Blick darauf geworfen, schrie sie verwundert auf. >Nein, sowas<, dachte sie, >nun ist es ein eiserner Klumpen! Das schlägt dem Faß den Boden aus -überdies ist es gerade richtig so! Ich kann ihn jederzeit leicht verkaufen und einen ganzen Berg Pennies dafür bekommen. Ja, und schließlich ist er viel praktischer als ein Klumpen Gold oder Silber, der mich nachts wach gehalten hätte, weil Nachbarn mich womöglich bestehlen könnten. Den hier im Haus zu haben ist großartig. Man weiß nie, wie es einem mal gehen wird, und dann kann man ihn gut verkaufen. Bin ich jetzt reich? Nun, ich will es alles gut einteilen!<Und zufrieden trottete sie, kichernd über ihr Glück, weiter, bis sie erneut über die Schulter schaute, >nur um zu sehen, ob er noch da ist<, wie sie sich selber sagte.

>Du meine Güte!< erwog sie, >der hat sich ja wieder verändert und ist inzwischen ein großer Stein geworden! Aber woher konnte er wissen, daß ich gerade den so schrecklich notwendig hatte, um manchmal meine Tür damit offenhalten zu können? Ja, das ist wirklich ein guter Tausch! Also nicht weiter gegrübelt! Es ist jedenfalls ganz wunderbar, so viel Glück zu haben.<

Und vor lauter Eifer, recht schnell zu sehen, wie sich wohl der Stein in der Ecke bei der Tür ausnehmen würde, trabte sie den Hügel hinab und hielt unten bei ihrer eigenen kleinen Pforte an.

Nachdem sie diese aufgeklinkt hatte, wollte sie ihr Tuch von dem Stein losbinden, der diesmal unverändert und friedlich auf dem Weg neben ihr zu liegen schien. Es war noch hell genug, so daß sie ihn hübsch glatt vor sich hatte, als sie den steifen Rücken beugte, um das Tuchende aufzuziehen. Da machte der Stein jählings einen Satz, gab ein Gequietsche von sich und wurde im gleichen Augenblick ein starkes und großes Pferd. Sofort schleuderte es vier schlanke Beine aus sich heraus, schüttelte zwei lange Ohren hervor, bekam -eins, zwei, drei -einen Schwanz und ritt auf den Wolken davon, während es wie ein böser hämischer Zauberer auflachte.

Die alte Frau starrte ihm nach, solange sie es zu sehen vermochte.



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»Ach!«rief sie dann aus. »Ich bin doch wirklich das glücklichste Wesen auf Erden! Wenn ich mir vorstelle, daß ich das närrische Zauberwerk nicht nur gesehen, sondern mich ganz frisch und frei und ohne Schaden zu nehmen damit abgegeben habe. Ich kann euch sagen, ich komme mir ganz großartig vor.«Und sie ging in ihre Hütte, setzte sich an der Feuerstelle hin und dachte über ihr großes Glück nach.


Die drei Wünsche

Es war einmal, und sicher war das schon vor sehr langer Zeit, da lebte ein armer Waldarbeiter in einem großen Wald, und an jedem Tag seines Lebens ging er aus dem Hause, um Holz zu fällen. So brach er auch eines Morgens auf, und seine Frau füllte ihm den Rucksack und hing ihm seine Flasche über den Rücken, damit er im Walde etwas zu essen und zu trinken habe. Er hatte sich eine große alte Eiche ausgesucht, von der er dachte, sie würde eine Menge guter Bohlen ergeben. Bei ihr angekommen, nahm er seine Axt in die Hand und schwang sie so gewaltig rund um seinen Kopf, daß man meinen konnte, er wolle den Baum mit einem Streich fällen. Aber er hatte noch keinen Schlag getan, da hörte er ein jammervolles Rufen. Und vor ihm stand eine Fee, die ihn anflehte, den Baum doch zu verschonen. Ihr könnt euch vorstellen, daß er vor Staunen und Schrecken wie benommen war und kein einziges Wort zu sagen vermochte. Schließlich aber fand er die Sprache wieder und sagte: »Gut, ich will tun, worum du bittest.«

»Du hast dir selbst mehr Gutes getan, als du ahnst«, antwortete die Fee. »Und damit du siehst, daß ich nicht undankbar bin, will ich die nächsten drei Wünsche, die du aussprichst, erfüllen, ganz gleich, was für welche es sein mögen.« Damit war die Fee verschwunden, und der Mann hing seinen Beute! über die Schulter und die Flasche an seine Seite und machte sich auf den Weg nach Hause.

Aber der Weg war lang, und der arme Mann war noch regelrecht betäubt von dem Wunder, das er erlebt hatte. Und als er heimkam, war ihm der Kopf so wirr, daß er nichts wünschte, als sich hinzusetzen



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und auszuruhen. Sollte es doch vielleicht nur ein Trick der Fee gewesen sein? Wie kann man das wissen? Jedenfalls setzte er sich erst einmal neben den brennenden Herd, und als er so dasaß, wurde er hungrig, trotzdem es noch lange nicht Zeit zum Abendessen war.

»Hast du denn das Essen nicht fertig, Frau?«fragte er sie.

»Nein, um die Zeit doch noch nicht«, erwiderte sie.

»Ach!«brummte der Holzfäller. »Ich wünschte mir aber so sehr eine ganze Reihe schöner Blutwürste!«

Kaum hatte er das ausgesprochen, da kam es, klirr, klirr und klack, klack: aus dem Kamin prasselte eine Menge der schönsten Blutwürste, die ein Männerherz nur erfreuen können.

Der Mann war wie erstarrt, die Frau noch dreimal mehr. »Was soll denn das heißen?« rief sie aus.

Lebendig stand alles, was am Morgen geschehen war, in dem Mann wieder auf, und er erzählte die ganze Geschichte haargenau. Und je länger er erzählte, um so aufgeregter wurde seine Frau, und als er fertig war, brauste sie auf: »Du Narr du, Jan, o was bist du für ein Narr, ich wünschte wahrhaftig, die blöde Blutwurst säße dir an der Nase!«

Und ehe du »Jack Robinson« sagen könntest, saß der Mann da, und seine Nase war um eine Blutwurst länger geworden.

Er wollte sie abreißen, aber sie saß fest. Und die Frau wollte sie abreißen, aber sie saß fest. Und beide rissen gemeinsam, bis sie fast die Nase selbst abgerissen hätten - aber die Wurst saß fest.

»Was kann man denn nun noch machen?«fragte er.

»Das ist doch nicht schwer zu erraten«, sagte sie, indem sie ihn ungerührt anstarrte.

Und der Holzfäller sah ein, was er schnell wünschen mußte, und so wünschte er, daß die Blutwurst ihm wieder von der Nase weggenommen würde. Plumps, da lag sie auf einem Teller auf dem Tisch. Und wenn Mann und Frau künftig auch nicht in einer goldenen Kutsche fahren oder Kleider aus Silber und Seide tragen konnten: Wenigstens hatten sie zu guter Letzt eine so prächtige Blutwurst zum Abendessen, wie sie sich ein Männerherz nur wünschen konnte.



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Der Katzenkönig

An einem Winterabend saß die Frau des Totengräbers am Herdfeuer, ihr großer schwarzer Kater Old Tom saß gegenüber, beide halb eingeschlafen und auf die Heimkehr des Mannes wartend. Sie warteten und warteten, aber er kam und kam nicht. Doch schließlich stürzte er herein und rief derart aufgeregt, daß beide, Frau wie Kater, ihn anstarrten, um zu hören, was denn los sei: »Wer ist eigentlich Tom Tildrum?«

»Wieso, was ist denn?«fragte die Frau. »Und warum willst du wissen, wer Tom Tildrum ist?«

»Ach, ich habe ein ganz unglaubliches Abenteuer erlebt! Als ich das Grab für Mr. Fordyce grub, muß ich eingeschlafen sein und wachte dann auf, als ich eine Katze miau schreien hörte.«

»Miau!«gab Old Tom zur Antwort.

»Ja, genauso! Ich schaute also über den Rand des Grabes, und kannst du dir vorstellen, was ich da sah?«

»Nein, wie sollte ich das können?« antwortete die Totengräbersfrau.

»Stell dir vor, neun schwarze Katzen, solche wie unser Tom hier, alle mit einem weißen Flecken auf der Brust. Und denk nur, was sie bei sich trugen! Einen kleinen, mit einem schwarzsamtenen Bahrtuch bedeckten Sarg, und an dem Bahrtuch war eine kleine goldene Krone, und immer nach drei Schritten schrien sie alle miau.«

»Miau!« rief wieder Old Tom.

»Ja, genauso!« sagte der Totengräber. »Und als sie näher und näher kamen, konnte ich sie genauer betrachten, denn aus ihren Augen schossen geradezu grüne Blitze. Und sie kamen alle auf mich zu, acht von ihnen trugen den Sarg, und die größte von den Katzen ging ihnen voran, so als ob... Aber sieh dir doch nur unseren Tom an, wie der mich anstarrt! Geradeso als verstünde er alles, was ich gesagt habe.«

»Weiter, weiter«, drängte die Frau, »kümmere dich doch jetzt nicht um Old Tom.«

»Ja, wie ich schon gesagt habe, sie kamen langsam und feierlich auf



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mich zu, und nach jedem dritten Schritt riefen sie alle zusammen miau.«

»Miau!« rief auch Old Tom wieder.

»Ja, genauso, und sie kamen näher und waren gerade Mr. Fordyces Grab gegenüber, wo ich schaufelte, als sie stillstanden und mich starr ansahen. Mir war ganz seltsam zumute, das kann ich dir sagen! Aber schau dir doch nur Old Tom an, der starrt mich genauso an, wie die mich ansahen!«

»Weiter, weiter«, drängte die Frau, »kümmere dich nicht um Old Tom!«

»Wo war ich stehengeblieben? Ja, sie alle sahen mich weiter starr an, und die eine, die den Sarg nicht mitgetragen hatte, trat jetzt vor, blickte fest auf mich und sprach -ja, es ist wahr, sie sprach wirklich zu mir - mit einer quiekenden Stimme:

>Richte Tom Tildrum aus, daß Tim Toldrum tot ist.<Und deswegen fragte ich dich eben, ob du weißt, wer Tom Tildrum ist. Denn wie könnte ich Tom Tildrum berichten, daß Tim Toldrum tot ist, wenn ich nicht weiß, wer Tom Tildrum ist?«

»Sieh doch Old Tom, sieh doch bloß Old Tom!«schrie da die Frau. Und er konnte wohl die Augen aufreißen, denn Tom streckte sich, und Tom reckte sich, und zuletzt schrie Tom ganz laut: »Du sagst —Old Tim ist tot! Dann bin jetzt ich der König der Katzen!« Und er sprang im Kamin hoch. Und wurde nie wieder gesehen.


Jade Hannaford

Es war einmal ein alter Soldat, der lange Zeit im Kriege gewesen war — so lange, daß er ganz herunterkam und nicht mehr wußte, wie er seinen Lebensunterhalt finden konnte. Und so trampte er über die Moore und durch Täler, bis er schließlich zu einem Bauernhof kam, dessen Besitzer auf dem Markt war. Er hatte eine Witwe geheiratet, die ein dümmliches Weib war. Auch der Bauer war ziemlich töricht, und es läßt sich einfach nicht feststellen, wer von den beiden törichter war. Wer meine Geschichte hört, mag es selber entscheiden. Bevor



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der Bauer zum Markt gegangen war, hatte er zu seiner Frau gesagt: »Hier sind zehn Pfund in Goldstücken, verwahre sie mir gut, bis ich wieder nach Hause komme.« Wäre der Mann kein Dummkopf gewesen, hätte er seiner Frau nicht das Geld zum Aufheben gegeben.

Nun, er fuhr in seinem Wagen zum Markt, und die Frau überlegte: >Wo hebe ich die zehn Pfund nur ganz sicher vor Dieben auf?< Sie wickelte sie in ein altes Stück Stoff und legte sie auf den Kamin im Wohnraum.

>Dort<, sagte sie sich, >wird sie gewiß kein Dieb finden.<

Jack Hannaford, der alte Soldat, kam und klopfte an die Tür.

»Wer ist da?«fragte die Frau.

»Jack Hannaford.«

»Woher kommst du?«

»Aus dem Paradies.«

»Du lieber Himmel! Da hast du womöglich meinen Verflossenen dort getroffen«, meinte sie im Hinblick auf ihren verstorbenen ersten Mann.

»Ja, das habe ich wohl.«

»Und wie ging es ihm?« fragte die Gutgläubige.

»Recht mittelmäßig. Er trägt geflickte Schuhe und hat nichts zu essen als Kohl.«

»Ach herrjeh!«rief die Frau. »Läßt er mir denn nichts ausrichten?« »Doch, das tat er«, erwiderte Jack Hannaford. »Er sagte, er habe kein Leder mehr, und seine Taschen seien leer. Deswegen erbittet er von dir ein paar Mark, damit er sich neues Leder kaufen kann.«

»Bei meiner Seele Seligkeit, die soll erhaben!«Und die Frau lief zum Kamin im Wohnraum, holte den Lappen mit den zehn Pfund herunter und gab dem Soldaten das ganze Geld mit der Anweisung, ihr früherer Mann möge davon nehmen, soviel er brauche, und den Rest zurückschicken.

Nachdem Jack das Geld erhalten hatte, blieb er nicht mehr lange; er machte sich davon, so schnell er konnte. Bald darauf kam der Bauer nach Hause und fragte gleich nach dem Geld. Die Frau erzählte ihm, sie habe es ihrem ersten Mann durch einen Soldaten ins



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Paradies geschickt, damit er sich Leder kaufen könne, um die Schuhe der Heiligen und Engel im Himmel flicken zu können.

Da wurde der Bauer fuchswild und schwor, noch nie wäre ihm eine derart Verrückte wie sein Weib begegnet. Die Frau jedoch erwiderte, der größere Narr wäre er, weil er ihr das Geld anvertraut habe.

Doch jetzt war keine Zeit für leere Worte. Der Bauer schwang sich aufs Pferd und ritt hinter Jack Hannaford her. Der alte Soldat hörte das näher kommende Hufgeklapper und dachte sich gleich, daß der Bauer ihm nachsetzte. Er legte sich auf die Erde, beschattete, in den Himmel blickend, mit der einen Hand seine Augen, während er mit der anderen nach oben zeigte.

»Was tust du denn da?«fragte der Bauer und hielt an.

»Gott segne dich!«rief Jack aus. »Ich habe etwas so Seltsames gesehen.«

»Was war denn das?«

»Einen Mann, der stracks in den Himmel hinaufstieg, so als ob er auf einem ganz gewöhnlichen Weg ginge.«

»Siehst du ihn noch?«

»Ja, ich kann ihn noch sehen.«

»Wo?«

»Steig ab und leg dich hier neben mich her!«

»Ja, wenn du so lange mein Pferd halten willst.«

Sofort war Jack bereit.

»Ich kann ihn nicht sehen«, sagte der Bauer.

»Decke deine Augen mit der Hand ab, dann wirst du gleich sehen, wie da einer vor dir flieht.«

Kaum machte der es, da sprang Jack auf das Pferd und ritt eilends davon. Der Bauer begab sich nach Hause. Ohne Pferd.

»Du bist ein viel größerer Narr als ich«, sagte die Frau, »denn ich habe nur einmal etwas Törichtes getan, du aber hast es zweimal gemacht.« «



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Mister Essig

Herr und Frau Essig lebten in einer Essigflasche. Eines Tages nun, als Herr Essig ausgegangen war, kehrte Frau Essig, die eine sehr gute Hausfrau war, ihre Stube. Da brachte sie mit einer allzu energischen Bewegung des Besens -klick klack -das ganze Haus über ihrem Kopf zum Einstürzen. Von Angst gejagt, entfloh sie und suchte ihren Mann. Als sie ihn fand, rief sie: »Ach, Herr Essig, wir sind ruiniert, wir sind ruiniert: Ich habe das ganze Haus zertrümmert, und es liegt in Scherben!«

Darauf sagte Herr Essig: »Meine Liebe, laß uns überlegen, was man nun am besten tut. Hier liegt die Tür. Ich will sie mir auf den Rücken packen, und wir wollen losgehen und sehen, was wir anfangen können.« Sie waren den ganzen Tag unterwegs, und als die Nacht kam, erreichten sie einen großen Wald. Sie waren beide todmüde, und Herr Essig sagte: »Meine Liebe, ich will in einen Baum hinaufklettern, die Tür hinterherziehen, und du folgst mir hinauf.«Gedacht, getan, und beide streckten ihre müden Glieder auf der Türe aus und sanken in tiefen Schlaf.

Um Mitternacht wurde Herr Essig durch Stimmen unter dem Baum aufgeweckt. Voll Schrecken und Entsetzen sah er, daß es eine Diebesbande war, die ihre Beute unter sich teilte. »Hier, Jack«, sagte einer, »hier sind fünf Pfund für dich. Hier, Bill, hier sind zehn Pfund für dich. Hier, Bob, hier sind dreißig Pfund für dich.«

Herr Essig konnte kaum noch lauschen. Sein Schrecken war so groß, daß es ihn hin und her schüttelte, und da fiel die Tür hinunter und genau auf die Köpfe drunten. Eins, zwei, drei, rissen die Diebe aus; doch Herr Essig wagte seine Zuflucht nicht vor Anbruch des Tages zu verlassen. Dann erst kletterte er hinunter, um die Tür aufzuheben. Und was sah er da? Einen ganzen Haufen Golddukaten!

»Komm herunter, Frau Essig, ich sag' dir, komm herunter! Unser Glück ist gemacht; ja, unser Glück ist gemacht! Ich sag' dir, komm nur ja schnell!« Frau Essig kletterte, so fix sie konnte, vom Baum, und als sie das viele Geld sah, sprang sie vor Freude hoch. »Jetzt, mein Lieber, will ich dir sagen, was du machen sollst. Es ist heute



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Jahrmarkt in der Stadt. Nimm die vierzig Dukaten, geh hin und kaufe eine Kuh. Ich kann Butter und Käse machen, die kannst du auf dem Markt verkaufen, und wir werden ein sorgenloses Leben führen.«

Freudig stimmte Herr Essig zu, nahm das Geld und machte sich auf den Weg zum Jahrmarkt. Dort angekommen, ging er auf und ab, und zuletzt sah er eine schöne rotbraune Kuh. Sie war eine gute Milchgeberin und überhaupt ein Musterexemplar.

>Oh<, dachte Herr Essig, >wenn ich diese Kuh hätte, wäre ich der glücklichste von allen Menschen.<Daher bot er die vierzig Dukaten für die Kuh, und der Besitzer meinte, er solle sie dafür haben, weil sie Freunde wären. Also wurde das Geschäft abgeschlossen. Er nahm die Kuh und drehte sie rechts und drehte sie links, um sie so richtig zu bewundern.

Nach einiger Zeit traf er auf einen Mann, der auf einem Dudelsack blies, dideldum, dideldum, dideldei. Die Kinder liefen hinter ihm her, und es sah so aus, als ob er das Geld von allen Seiten einheimse. >Ach<, dachte Herr Essig, >wenn ich doch nur dieses herrliche Instrument hätte, dann wäre ich der glücklichste aller Menschen!<Also trat er zu dem Mann: »Was für ein herrliches Instrument hast du da, mein Freund, und welche Stange Geld bringt es dir wohl ein?« — »Gewiß«, sagte der Mann, »ich verdiene ganz schön damit, und ein gutes Instrument ist es auch.« — »Ach!« rief Herr Essig aus, »wie gern möchte ich es haben!« —»Schön«, sagte der Mann, »weil du ein guter Freund bist, will ich nicht lange feilschen. Du sollst es für die rotbraune Kuh bekommen.« —»Abgemacht!« rief begeistert Herr Essig.

So wurde die rotbraune Kuh gegen den Dudelsack getauscht. Er ging mit seiner Erwerbung hin und her, aber umsonst versuchte er, ihr einen einzigen Ton zu entlocken. Statt Geld in die Tasche zu bekommen, folgten ihm, schreiend, lachend und Steine werfend, die Jungen.

Armer Herr Essig, allmählich wurden ihm dabei seine Finger eisig kalt! Als er eben die Stadt verlassen wollte, begegnete ihm ein Mann, der ein paar schöne, dicke Handschuhe anhatte. >Ach, meine Finger



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sind eiskalt<, dachte Herr Essig. >Hätte ich diese herrlichen Handschuhe, ich wäre der glücklichste Mensch auf der Welt.< Er ging zu dem Mann hin und sagte: »Lieber Freund, du hast da ein paar wunderbare Handschuhe.« —»Hab' ich«, sagte der Mann, »meine Hände sind selbst an diesem kalten Novembertag so warm wie nur möglich.«

»Ach«, seufzte Herr Essig, »die möchte ich wohl haben.« — »Was gibst du dafür?«fragte der Mann. »Unter Freunden gesagt, ich bin bereit, mich von ihnen zu trennen, wenn du mir den Dudelsack dafür gibst.« —»In Ordnung!« rief Herr Essig. Er zog die Handschuhe an und war restlos glücklich, während er jetzt heimwärts wanderte. Mit der Zeit wurde er sehr müde, und da sah er einen Mann mit einem kräftigen Stock in der Hand auf sich zukommen.

>Ach<, meinte Herr Essig, >wenn ich doch nur einen solchen Stock hätte! Dann wäre ich der glücklichste Mann auf der Welt!<

Er sagte zu dem anderen: »Guter Freund, was für einen kräftigen Stock hast du da!« —»Hab' ich«, sagte der Mann. »Viele Meilen lang benütze ich ihn schon, und er hat sich als guter Begleiter erwiesen. Aber wenn er dir so sehr gefällt und aus guter Freundschaft, da will ich ihn dir gegen das Paar Handschuhe überlassen.« Herrn Essigs Hände waren inzwischen so warm und seine Beine so müde, daß er voller Freude auf den Tausch einging. Als er schon nahe dem Walde war, in dem er seine Frau verlassen hatte, hörte er einen Papageien von einem Baum seinen Namen rufen: »Herr Essig, du törichter Mann, du Dummkopf, du Einfaltspinsel, du gingst zum Markt und gabst dein ganzes Geld für den Kauf einer Kuh aus. Nicht genug damit, tauschtest du sie gegen einen Dudelsack, auf dem du gar nicht spielen konntest und der nicht einmal ein Zehntel deines Geldes wert war. Du Dummkopf! Kaum hattest du den Dudelsack bekommen, da tauschtest du ihn gegen die Handschuhe, die nicht ein Viertel deines Geldes wert waren, und als du die Handschuhe hattest, tauschtest du sie gegen einen wertlosen Stecken, und so für deine schönen vierzig Dukaten der Reihe nach eine Kuh, einen Dudelsack und Handschuhe und hast nun nichts vorzuzeigen als diesen dummen Stock, den du dir in jeder Hecke selber schneiden konntest!«



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Und danach lachte und lachte der Vogel so höhnisch, daß Herr Essig in Wut geriet und ihm den Stock an den Kopf werfen wollte. Der Stock blieb aber im Baum hängen, und der Mann kehrte zu seiner Frau zurück ohne Geld, ohne Kuh, ohne Dudelsack, ohne Handschuhe und ohne Stock.

Und daraufhin verprügelte ihn die Frau derart, daß sie ihm fast alle Knochen im Leibe zerbrochen hätte.


Mister Miacca

Tommy Grimes war manchmal ein guter Junge und manchmal ein böser Junge, und wenn er ein böser Junge war, dann war er auch gleich ein sehr böser Junge. Nun sagte seine Mutter oft zu ihm: »Tommy, Tommy, sei ein artiger Junge und geh nicht auf die Straße hinaus, sonst kommt Mister Miacca und nimmt dich mit!« Aber wenn er grade ein böser Junge war, ging er doch auf die Straße, und eines Tages, seht ihr, da war er kaum um die Ecke spaziert, als Mister Miacca ihn einfing, ihn ganz nach unten in seinen Sack steckte und mit nach Hause schleppte.

Dort holte Mister Miacca Tommy aus dem Sack heraus, stellte ihn vor sich hin und befühlte seine Arme und Beine. »Du bist ziemlich zähe«, sagteer, »aber du bist das einzige, was ich heute zum Abendessen habe, und schlecht gekocht würdest du nicht gut schmecken. Aber ach, ich habe ja die Kräuter vergessen, und ohne Kräuter wirst du zu bitter schmecken. Sally! Komm mal her, Sally!« Und er rief Misses Miacca.

Misses Miacca kam aus dem anderen Zimmer und fragte: »Was ist denn, mein Lieber?«

»Ach, hier ist ein kleiner Junge zum Abendbrot«, sagte Mister Miacca, »und ich habe die Kräuter vergessen. Willst du auf ihn aufpassen, während ich sie holen gehe?«

»Tu ich, mein Lieber«, sagte Misses Miacca, und er ging hinaus. Da fragte Tommy Grimes Misses Miacca: »Ißt denn Mister Miacca immer kleine Jungen zum Abendbrot?«



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»Meistens, mein Lieber«, sagte Misses Miacca, »wenn kleine Jungen unfolgsam genug sind, um ihm in den Weg zu laufen.«

»Und habt ihr gar nichts anderes zum Essen als immer nur so eine Jungensmahlzeit? Nicht mal Pudding?« fragte Tommy.

»Ach, ich esse Pudding so schrecklich gern«, sagte Misses Miacca.

»Aber so was kriege ich nicht oft zu sehen.«

»Ach, meine Mutter kocht gerade heute Pudding«, sagte Tommy Grimes, »und ich bin sicher, daß sie dir welchen abgibt, wenn ich sie darum bitte. Soll ich schnell hinlaufen und dir welchen holen?«

»Nun, du bist mir aber ein nettes Kerlchen«, rief Misses Miacca da, »aber mach schnell und sei ja zum Abendessen wieder da!«

Da rannte Tommy nur so los und war heilfroh, so ungerupft davongekommen zu sein. Viele Tage lang war er jetzt so artig, wie man überhaupt nur sein kann. Und nie mehr lief er um die Straßenecke. Aber immer brachte er es nicht fertig, artig zu sein, und eines Tages lief er doch um die Ecke und, wie das Unglück es wollte, gerade als er herum war, kam Mister Miacca, griff ihn, stopfte ihn in seinen Sack und schleppte ihn heim.

Dort angekommen, schüttelte er ihn heraus, und als er ihn wiedererkannte, rief er: »Ach, du bist es, Jüngelchen, der mir und meiner Frau einen so schäbigen Streich gespielt und uns ohne Abendessen gelassen hat! Nun, das wirst du nicht noch mal können. Ich selbst werde dich bewachen. Hier, los, unters Sofa, ich werde mich draufsetzen und warten, bis der Topf kocht.«

So mußte also Tommy Grimes unter das Sofa kriechen, und Mister Miacca setzte sich darauf und wartete, daß der Topf zum Kochen käme. Und er wartete und wartete, aber der Topf wollte noch immer nicht kochen, so daß endlich Mister Miacca des Wartens müde wurde und rief: »Hier, du da unten, ich warte jetzt nicht länger! Streck dein Bein vor, und ich werde schon zu verhindern wissen, daß du uns entschlüpfst.

So streckte Tommy also ein Bein aus, und Mister Miacca nahm ein Hackmesser, hieb es ab und warf es in den Topf.

Dann rief er: »Sally, meine liebe Sally!« Aber niemand antwortete. Und so ging er ins andere Zimmer, um nach Misses Miacca zu sehen.



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Und während er da drinnen war, kroch Tommy unter dem Sofa hervor und rannte durch die Tür davon. Denn es war ein Sofabein gewesen, das er herausgehalten hatte.

Und so rannte Tommy Grimes nach Hause, und niemals mehr lief er um die Straßenecke, bis er groß genug geworden war, allein auf die Straße zu gehen.


Jack und seine goldene Schnupftabaksdose

Es gab einmal eine Zeit - und es war eine sehr gute Zeit, obgleich es weder meine Zeit noch deine Zeit, noch irgend jemandes anderen Zeit war -da lebten ein alter Mann und eine alte Frau, und sie hatten einen einzigen Sohn und lebten alle zusammen in einem großen Wald. Und ihr Sohn sah nie irgendeinen anderen Menschen; aber er wußte, daß es außer Vater und Mutter noch mehrere in der Welt gab, denn er hatte eine Menge Bücher, in denen er Tag für Tag eifrig las. Und wenn von bezaubernden Prinzessinnen geschrieben wurde, fieberte er so sehr danach, selbst welche zu sehen, daß er eines Tages, als sein Vater zum Holzfällen war, seiner Mutter erklärte, er wolle von Hause fort, um andere Länder kennenzulernen und auch andere Menschen als nur sie beide. Und er sagte: »Nichts sehe ich hier rundum als große alte Bäume, und wenn ich länger hier bleibe, werde ich wahnsinnig, ehe ich noch die Welt kennengelernt habe.« Während dieses Gesprächs war der Vater des jungen Mannes nicht im Haus.

Und so sagte die alte Frau zu ihrem Sohn, ehe er ging:

»Gut, gut, mein armes Kind, wenn du glaubst, gehen zu müssen, ist es auch besser, du gehst. Und Gott mit dir!«(Wie gut meinte es die alte Frau, als sie so sprach!) »Doch warte noch einen Augenblick, ehe du gehst. Was soll ich dir lieber mitgeben: einen kleinen Kuchen und meinen Segen oder einen großen Kuchen und meinen Fluch?« —

»Ach, meine liebe Mutter!« rief er. »Back mir einen großen Kuchen! Sicher werde ich unterwegs hungrig sein.«

Die alte Frau buk einen großen Kuchen, und als der Sohn geschieden



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war, ging sie aufs Dach des Hauses und fluchte ihm, solange sie ihn nur sehen konnte.

Bald traf er seinen Vater, und der alte Mann fragte ihn: »Wohin willst du, mein lieber Junge?«Der Sohn sagte dem Vater das gleiche, das er der Mutter gesagt hatte. »Ach«, sagte sein Vater, »ich bin voller Sorge, wenn du fortgehst; doch wenn du dir einmal vorgenommen hast zu gehen, so ist es besser für dich, du gehst auch wirklich.« Der junge Mensch war noch nicht weit fort, als ihn sein Vater zurückrief. Der alte Mann zog eine goldene Schnupftabaksdose aus seiner Tasche und sagte: »Hier, nimm diese kleine Dose und stecke sie ein! Und öffne sie erst, wenn du in Todesgefahr bist.«

Und von neuem ging der arme Jack seines Wegs und ging, bis er müde und hungrig wurde, denn inzwischen hatte er allen Kuchen aufgegessen, und die Nacht brach an, so daß er kaum noch den Weg vor sich erkennen konnte. Weit entfernt sah er ein Licht, und er ging darauf zu, fand die Hintertür und klopfte, bis eine Bedienerin kam und fragte, was er wolle. Er sagte, die Nacht habe ihn überrascht, und deswegen suche er jetzt ein Nachtlager. Die Bedienerin führte ihn hinein zum Kamin und gab ihm reichlich zu essen, Fleisch und Brot und Bier. Und während er am Feuer saß und aß, kam die junge Herrin, um ihn zu sehen, und sie liebte ihn sogleich, und er liebte sie. Und die junge Herrin lief zu ihrem Vater und erzählte ihm, daß hinten in der Küche ein junger Mann sei. Sofort ging auch der Edelmann hin und fragte ihn aus und wollte wissen, was für Arbeit er tun könne. Jack, der törichte Junge, sagte, er könne reinweg alles. (Er meinte damit, er könne ein wenig von allem, was so im Hause gebraucht würde.)»Das ist gut«, sagte der Edelmann zu ihm. »Wenn du rein alles kannst: Morgen früh um acht will ich einen großen See und auch ein paar Kriegsschiffe vor dem Herrenhaus haben. Und eines der größten Schiffe muß einen königlichen Salut abschießen, und die letzte Salve muß das Bein des Bettes treffen, in dem meine junge Tochter schläft. Und wenn du das nicht kannst, hast du dein Leben verwirkt.«

»Ist gut«, sagte Jack und ging schlafen, sprach ruhig sein Nachtgebet und schlief fest bis gegen acht Uhr am Morgen. Nun hatte er aber



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kaum noch Zeit zu überlegen, was er wohl tun solle, als ihm plötzlich die kleine goldene Tabaksdose einfiel, die ihm sein Vater mitgegeben hatte. Und er sagte sich: »Ganz gewiß, der Tod war mir noch nie so nahe wie jetzt«, und er griff in die Tasche und zog die Dose heraus. Und als er sie öffnete, sprangen drei winzige rotgewandete Zwerglein heraus und fragten Jack: »Was sollen wir tun?« —»Ach«, sagte Jack, »ich brauche einen großen See und ein paar Kriegsschiffe darauf, hier so um das Herrenhaus herum. Und eines der größten Schiffe muß königlichen Salut feuern, und der letzte Schuß muß eins der Beine des Bettes treffen, in dem die junge Herrin schläft.« — »In Ordnung«, sagten die drei kleinen Männer, »schlaf du nur ruhig weiter!«

Jack hatte kaum Zeit, die Worte hervorzubringen, um den Männlein zu sagen, was getan werden mußte, als die Uhr auch schon acht schlug. Und, bum, bum, dröhnte wie befohlen schon der Salut von einem der größten Kriegsschiffe. Da sprang Jack aber schnell aus dem Bett und ans Fenster. Und ich kann euch versichern, das war für ihn, der so lange allein mit Vater und Mutter im Walde gelebt hatte, ein herrlicher Anblick.

Nun zog Jack sich an, sprach sein Morgengebet und kam lachend heraus, denn er war stolz darauf, wie gut sich alles abgewickelt hatte. Der Edelmann trat zu ihm und sprach: »Ja, mein lieber junger Freund, ich muß gestehen, daß Ihr in der Tat sehr tüchtig seid. Kommt und frühstückt mit mir!« Und der Edelmann erklärte ihm: »Da sind noch zwei Dinge, die Ihr tun müßt, und dann sollt Ihr meine Tochter haben.«Jack frühstückte und schaute entzückt auf die junge Herrin und sie wiederum auf ihn.

Die zweite Aufgabe des Edelmannes bestand darin, alle großen Bäume im Umkreis vieler Meilen bis acht Uhr des nächsten Morgens zufällen. Und, um meine lange Geschichte abzukürzen: Es geschah, und das gefiel dem Edelmann recht gut. Der sagte nun: »Das dritte, was du noch tun mußt«(und es war die letzte Aufgabe), »du mußt mir ein Schloß bauen, zu dem zwölf goldene Stufen führen, und davor müssen Regimenter mit Soldaten antreten und exerzieren. Und um acht Uhr muß der oberste Offizier befehlen: >Gewehr über!«



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»In Ordnung«, sagte Jack. Als der dritte und letzte Morgen kam, konnte das große Fest gefeiert werden, und die junge Tochter wurde ihm angetraut. Doch, meine Lieben, jetzt brach ein großes Unglück herein. Der Edelmann veranstaltete eine prächtige Jagd und lud alle Edelleute rings im Lande dazu ein und zugleich zur Besichtigung seiner schönen Schloßanlage. Jack nahm im scharlachroten Jagdrock auf einem stolzen Pferde teil. Als an diesem Morgen der Kammerdiener Jacks Kleider, die er gegen den Jagdanzug getauscht hatte, weghängen wollte, fuhr er mit der Hand in Jacks Westentasche und holte die kleine goldene Schnupftabaksdose heraus, die Jack darin völlig vergessen hatte. Und als der Diener die kleine Dose öffnete, da sprangen die drei roten Männlein heraus und fragten, was sie tun sollten. »Oh«, befahl ihnen schnell der Diener, »ich will, daß dieses Schloß von hier fort und weit, weit weg jenseits des Meeres hingestellt wird.« —»Gut«, sagten die drei kleinen roten Männlein zu ihm, »willst du mit dorthin?« — »O ja«, sagte er. »Schön, los!« sagten sie, und fort ging's, weit, weit weg übers unendliche Meer.

Als nun die große Treibjagd zurückkam, war das Schloß mit den zwölf goldenen Stufen verschwunden, worüber die Gäste, die es vorher noch nicht gesehen hatten, sehr ärgerlich waren. Dem armen törichten Jack wurde seine schöne junge Frau fortgenommen, weil er ja alle betrogen habe. Aber dann schloß der Edelmann doch noch ein Abkommen mit ihm, und es wurden ihm zwölf Monate und ein Tag zur Durchführung befohlen. Schnell ritt er auf einem guten Pferd und mit Geld in der Tasche davon.

Auf der Suche nach dem verlorenen Schloß trabte Jack nun über Hügel und Hänge, durch Täler und Gebirge, durch dichte Wälder und über Schafstriften, weiter, als ich es euch je schildern könnte oder möchte, bis er dorthin kam, wo der Weitmäusekönig lebte. Da stand eine kleine Maus im Schilderhaus vor dem Eingangstor zum Palast und versuchte, Jack nicht hereinzulassen. Jack fragte die kleine Maus: »Wo wohnt hier der König? Ich muß ihn sprechen.« Die Maus schickte nun eine zweite mit ihm hinein, und als der König, ihn von weitem sah, rief er ihn zu sich hin. Er fragte ihn gleich, warum er ihn durchaus sprechen wolle. Nun erzählte Jack die volle



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Wahrheit, erzählte, daß ihm das große Schloß gestohlen wurde und er es suchen müsse und genau zwölf Monate und einen Tag Zeit habe, um es wiederzufinden. Jack fragte den König, ob er wohl etwas Näheres wisse, und der König antwortete: »Nein, aber ich bin ja der König aller Mäuse auf der ganzen Welt, und ich werde sie morgen früh zusammenrufen. Vielleicht haben sie etwas davon gehört oder gesehen.« Dann bekam Jack ein gutes Essen und ein weiches Bett, und am Morgen ging er mit dem König aufs Feld hinaus, und der König rief alle die kleinen Mäuse zusammen und fragte sie, ob sie das schöne Schloß mit den goldenen Stufen gesehen hätten. Und alle kleinen Mäuse sagten nein, keine habe es gesehen. Da sagte der alte König, er habe noch zwei Brüder: »Einer ist der König aller Frösche, und mein anderer, der älteste Bruder, ist der König aller Vögel auf der Welt. Wenn du zu ihnen gehst, kannst du vielleicht etwas über das verschwundene Schloß erfahren.« Und der König fuhr fort: »Laß dein Pferd hier, bis du zurückkommst, und nimm eines meiner besten Pferde und übergib hier diesen Kuchen meinem Bruder! Dann weiß er, von wem du geschickt wurdest. Richte ihm aus, es gehe mir gut und ich möchte ihn hebend gerne mal wiedersehen.« Und der König und Jack schüttelten sich die Hände.

Als Jack durch das Tor ritt, fragte ihn die kleine Maus, ob sie nicht mitkommen solle. Jack antwortete: »Nein, ich werde schon genug Schwierigkeiten auf dem Weg zu dem König haben.« Die kleine Maus erwiderte: »Es wird aber besser für dich sein, wenn ich mitkomme; vielleicht kann ich dir mehr behilflich sein, als du denkst.« —»Gut, dann spring auf!«Und die Maus lief an dem Bein des Pferdes hoch -oh, wie das plötzlich sprang! —, und Jack steckte sie in seine Tasche.

Nachdem er sich herzlich von dem König verabschiedet hatte, machte er sich mit der kleinen Maus aus dem Schilderhaus in der Tasche auf den Weg. Ein unsagbar weiter Weg, der vor ihm lag - und das war nur der erste Tag! Endlich aber kam er doch an. Dort stand ein Frosch mit geschultertem Gewehr vor dem Schilderhaus und wollte Jack am Eintreten hindern. Doch als Jack ihm erklärte, er müsse den König sprechen, ließ er ihn durch, und Jack ging hinein.



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Der König kam aus der Tür und fragte, was er wolle, und Jack erzählte ihm alles genau. »Gut, gut, komm mit!« Das war für den König in dieser Nacht eine interessante Unterhaltung, und am Morgen stieß er einen seltsam klingenden gewaltigen Quaker aus, der alle Frösche der Welt zusammenrief. Und er fragte sie, ob sie etwas von dem Schloß mit den zwölf goldenen Stufen gehört oder gesehen hätten: Sie alle quakten ein erstauntes Kro-Kro, Kro-Kro, und das hieß: nein!

Jack mußte wieder ein anderes Pferd nehmen und bekam einen Kuchen für den ältesten Bruder des Königs, der ja König alles dessen war, was in der Luft fliegt. Und als Jack durch das Tor trat, fragte ihn der kleine Frosch im Schilderhaus, ob er nicht mitkommen dürfe. Jack zögerte erst, dann aber ließ er ihn aufspringen und tat ihn in seine andere Westentasche. Und wieder ging es auf schier endlose Wanderschaft. Es war inzwischen dreimal soviel Zeit vergangen, wie seit dem ersten Tag vergangen war. Doch Jack fand hin. Da war ein schöner Vogel im Schilderhaus. Jack ging an ihm vorüber, der nicht den geringsten Laut von sich gab, sprach mit dem König und berichtete ihm alles über das Schloß.

»Nun«, sagte der König, »morgen früh sollst du von den Vögeln hören, ob sie irgend etwas wissen oder nicht.«Jack brachte sein Pferd in den Stall und legte sich schlafen, nachdem er etwas gegessen hatte. Und als er am Morgen aufgewacht war, ging der König mit ihm auf die Felder, ließ ein helles Tönen weit ausschwingen, und es kamen alle Gefiederten aus den vier Himmelsrichtungen herbei. Der König fragte sie: »Hat einer von euch das prächtige Schloß gesehen?« Und alle Vögel antworteten: »Nein.« — »Aber«, fragte der König, »wo ist denn mein königlicher Vogel?«Doch sie mußten noch lange warten, bis der Adler zu sehen war, der als letzter atemlos anfiog, nachdem zwei kleine Vögel in den Äther hinauf- und ihm entgegengeschickt worden waren, damit er sich so sehr wie möglich beeile. Der König fragte den riesengroßen Vogel, ob wohl er das Schloß gesehen habe, und der Vogel antwortete: »Ja, von dort, wo es steht, komme ich ja gerade her.« — »Wie gut«, sagte erfreut der König, »diesem jungen Edelmann ist es gestohlen worden, und du mußt mit ihm



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wieder dahin fliegen. Vorher aber sollst du erst etwas Kräftiges essen.

Sie schlachteten ein Kalb und gaben dem Adler davon die besten Stücke, weil er die große Reise übers Meer und mit Jack auf dem Rücken vor sich hatte.

Als sie später das Ziel erreichten und das Schloß vor ihnen auftauchte, wußten sie jedoch nicht, was tun, um die kleine goldene Dose wiederzugewinnen. Da sagte die kleine Maus: »Laß mich heraus, und ich werde dir die goldene Dose schon holen.« So schlüpfte die Maus in das Schloß und holte die goldene Dose. Doch als sie die Stufen herunterlief, stolperte sie und wäre beinahe erwischt worden. Sie rannte aber, was sie konnte, und lachte sich nachher eins ins Fäustchen. »Hast du sie?«fragte Jack. »O ja«, quiekte sie vergnügt. Und sie machten sich auf den Rückweg und ließen das Schloß bald schon weit hinter sich.

Gerade als sie über das Meer flogen (Jack, Maus, Frosch und Adler), hatten sie einen Streit darüber, was wohl die goldene Dose enthalte —und plumps, fiel diese ins Wasser. (Das kam, weil jeder sie ansehen und befühlen wollte, und während sie so von Hand zu Hand ging, fiel sie herunter und auch gleich bis zum Meeresgrund.) Denn sie war aus gutem schweren Gold.

»Seht ihr nun«, rief der Frosch, »ich wußte es doch, daß ihr mich noch brauchen würdet! Laßt mich jetzt also ins Wasser hinunter!« Das taten sie, und er war drei Tage und drei Nächte unten. Dann kam er endlich wieder hoch und schüttelte nur so das Wasser aus Mund und Nase. Alle fragten begierig: »Hast du sie?« Er antwortete: »Nein.« —»Ja, aber was soll denn nun geschehen?« —»Nichts«, sagte er, »ich muß nur erst einmal wieder richtig Atem holen.« Und nachdem er das getan hatte, sprang der brave kleine Frosch ein zweites Mal in das Meer und war einen Tag und eine Nacht unten, und dann brachte er sie herauf. Und damit waren vier kostbare Tage und vier kostbare Nächte vergangen.

Und eiligst flogen sie nun weiter und kamen nach einem langen Flug über Meere und Gebirge vor dem Palast des Königs an, der Herr über alle Gefiederten der Welt ist. Und der König war sehr stolz



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darauf, sie so erfolgreich wiederzusehen. Es gab eine herzliche Begrüßung und ein langes Berichten. Jack öffnete die kleine Dose und befahl den Zwerglein, hinzugehen und das Schloß hierher zu ihm zu bringen. »Und macht so schnell wie möglich!«fügte er hinzu.

Die drei Zwerge sprangen davon, und als sie zu dem Schloß kamen, warteten sie, bis die Herren und Damen und Diener zu einem Ball aufgebrochen waren. Niemand war mehr darin außer Köchin und Küchenmädchen. Und die drei Männlein fragten sie, was sie lieber wollten: schnell herauslaufen oder mitkommen? Beide sagten: »Wir wollen mit euch mit.« Da hießen die Zwerge sie eiligst nach oben laufen. Kaum waren sie dort und in einem der Säle, da kamen die Herren und Damen und die ganze Dienerschaft schon zurück, aber es war zu spät. Mit Windeseile brauste das Schloß davon, während die beiden Frauen am Fenster sich vor Lachen bogen, denn alle, die draußen waren, versuchten vergeblich, das Schloß festzuhalten.

Nachdem sie schon neun Tage unterwegs waren, kam ein Sonntag, den sie feierlich begehen wollten, indem eines der Zwerglein die Stelle des Priesters, der andere die des Meßdieners und der dritte die des Organisten übernahm, während die Frauen sangen, denn in dem Schloß gab es auch eine wunderschöne Schloßkapelle. Leider muß gesagt werden, daß in der Musik plötzlich ein Mißton war. Einer der kleinen Zwerge lief sofort auf den Orgelchor, um nachzusehen, woher dieser Mißton denn komme. Aber da war nichts weiter geschehen, als daß die beiden Frauen, statt zu singen, sich wegen des roten Männleins an der Orgel vor Lachen nicht halten konnten, weil das seine Beinchen lang ausgestreckt hatte, um die Baß-Pfeifen zu erreichen, und auch zugleich seine beiden Arme weit ausrecken mußte, während seine rote Zipfelmütze, die es nie ablegte, auf seinem Kopf vergnügt hin und her wackelte. So etwas hatten sie wahrhaftig nie zuvor gesehen, und deshalb konnten sie einfach nicht anders, als lang und laut herzhaft zu lachen. Und weil sie einfache Menschen waren, überlegten sie gar nicht, was sie anstellten und welche Gefahr sie heraufbeschworen, weil daraufhin nun das Schloß, so mitten über dem Meer, zu sinken begann.

Schließlich aber, eines schönen Tages, kamen sie doch bei Jack und



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dem König an, der ganz fassungslos war, als das Schloß in Sicht kam. Er schritt gleich die goldenen Stufen hinauf, um innen alles anzuschauen. Es gefiel ihm über alle Maßen, und er hätte es gern noch oft durchstreift. Doch Jacks Zeit von zwölf Monaten und einem Tag war bald vorbei, und da er auch Sehnsucht nach seiner jungen Frau hatte, befahl er den drei Zwerglein, pünktlich um acht Uhr am nächsten Morgen zu dem nächsten Bruder aufzubrechen, um dort eine Nacht zu bleiben. Von da sollte es dann zu dem letzten, also dem jüngsten Bruder, dem Herrn aller Mäuse der Welt, gehen, unter dessen Obhut das Schloß auch bleiben sollte, bis er es anforderte. Und so nahm Jack von dem König Abschied und dankte ihm viele Male für seine Gastfreundschaft.

Und wieder flogen Jack und sein Schloß davon und machten nur eine Nacht Rast wie vorgesehen und flogen weiter zum dritten König. Und unter seinem Schutz ließen sie erst mal das Schloß. Als Jack hier schied, bestieg er wieder sein eigenes Pferd, das er hiergelassen hatte, als er zum ersten Male davonritt.

Jetzt wandte unser recht geprüfter Jack zunächst seinem Schloß den Rücken und zog heimwärts. Da er mit den drei Brüdern jede Nacht im Gespräch verbracht hatte, wurde er während des Heimritts so müde, daß er glatt vom Wege abgekommen wäre, wenn die drei Männlein nicht rechtzeitig aufgepaßt hätten. Zuletzt aber kam er doch, wenn auch erschöpft und todmüde, an, und es sah nicht so aus, als wollten sie ihn einigermaßen freundlich empfangen. Sie glaubten ja, er habe das gestohlene Schloß nicht wiedergefunden. Es kam noch schlimmer, denn zu seiner Enttäuschung eilte ihm seine junge und schöne Frau nicht zur Begrüßung entgegen. Ihre Eltern hatten es nicht zugelassen.

Doch das dauerte nicht lange. Jack befahl den Zwergen, das Schloß auf dem schnellsten Wege herzubringen, und sie eilten davon. Der Edelmann schüttelte nun Jack die Hände und bedankte sich wieder und wieder für seine eines Königs würdige Güte, ihm das Schloß wiederbeschafft zu haben. Und Jack bat die kleinen Männer, sich zu sputen und bald wieder da zu sein.

Sie sprangen nur so davon und hatten kaum ihren Auftrag vollbracht,



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als schon Jacks junge Frau herbeieilte und auf ihrem Arm einen büschen, niedlichen, wohlgeratenen kleinen Sohn trug.

Und von jetzt an lebten alle glücklich und in Freuden. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie heute noch.


Dick Whittington und seine Katze

Zur Zeit der Regierung des berühmten Königs Eduard des Achten lebte ein kleiner Junge namens Dick Whittington, der Vater und Mutter schon verloren hatte, als er noch recht klein war. Weil der arme Dick noch nicht groß genug war, um arbeiten zu können, ging es ihm sehr schlecht. Er hatte kaum etwas zum Mittagessen und zum Frühstück meist überhaupt nichts, denn die Leute, die in dem Dorf wohnten, waren auch sehr arm und konnten ihm nichts geben als die Schalen ihrer Kartoffeln und hin und wieder eine harte alte Brotkruste.

Nun hatte Dick viele sehr seltsame Dinge über die große Stadt London gehört. Denn das Landvolk jener Zeit glaubte, die Leute in London wären alles vornehme Herren und Damen, und dort gäbe es tagein, tagaus nur Singen und Lachen, und alle Straßen wären mit Gold gepflastert.

Eines Tages fuhr eine große Kutsche mit acht Pferden, an deren Köpfen Glöckchen klingelten, durchs Dorf, als Dick grade am Wegweiser stand. Da er überzeugt war, daß die prächtige Karosse bestimmt in die schöne Stadt London führe, nahm er all seinen Mut zusammen und fragte den Kutscher, ob er ihm wohl erlauben wolle, neben dem Wagen herzulaufen.

Als der Kutscher hörte, daß der arme kleine Dick weder Vater noch Mutter hatte und wie schlecht es ihm ging, erlaubte er ihm gleich, mit ihm zu fahren.

So kam Dick sicher nach London und war so gierig darauf, die schönen mit Gold gepflasterten Straßen zu sehen, daß er sich nicht einmal die Zeit ließ, sich bei dem freundlichen Kutscher zu bedanken, sondern so schnell loslief, wie ihn seine Beine nur tragen konnten, kreuz



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und quer durch viele Straßen, immerzu hoffend, jene zu finden, die golden gepflastert waren, denn Dick hatte früher einmal in seinem eigenen kleinen Dorf einen Golddukaten gesehen und erinnerte sich noch genau, wieviel Geld es beim Umtausch dafür gegeben hatte. Also dachte er, er brauchte nichts anderes zutun, als ein paar winzige Stückchen vom Pflaster aufzulesen, um dann so viel Geld dafür zu bekommen, wie er sich nur wünschen konnte.

Der arme Dick lief und rannte hin und her, bis er todmüde war. Seinen guten Freund, den Kutscher, hatte er darüber vergessen. Zuletzt, als es dunkel wurde und auf jeder Straße, in die er hineinlief, statt Gold nur Schmutz zu sehen war, hockte er sich in einer finsteren Ecke hin und weinte sich in den Schlaf.

Die ganze Nacht verbrachte Klein-Dick auf den Straßen, und am nächsten Morgen stand er auf, und weil er sehr hungrig war, ging er umher und bettelte die Vorübergehenden an, ihm doch ein paar Pfennige zu geben, damit er nicht vor Hunger sterbe. Aber keiner blieb stehen, um mit ihm zu sprechen, und nur zwei oder drei gaben ihm ein paar Pfennige, so daß der arme Junge bald viel zu schwach und matt war, um überhaupt noch Hunger zu verspüren.

In dieser Not bat er verschiedene Leute um Hilfe, und einer von ihnen sagte ärgerlich: »Arbeite für irgend jemanden.« »Das will ich gern«, sagte Dick, »ich will gern für Sie arbeiten, mein Herr, wenn Sie mir nur Anweisung geben, was ich tun soll.« Aber der Mann stieß einen Fluch aus und ging weiter.

Endlich aber sah ein freundlich ausschauender Herr, wie verhungert Dick schien. »Warum arbeitest du nicht, mein Junge?« fragte er. »Das möchte ich ja gern, aber ich weiß nicht, wo ich ankommen kann«, antwortete Dick. »Wenn du arbeitswillig bist, dann komm mit mir«, sagte der Herr und brachte ihn zu einer Wiese, die gemäht werden sollte, und dort lebte Dick und half eifrig, bis das Heu eingebracht war.

Danach ging es ihm bald wieder so schlecht wie zuvor, und als er fast verhungert war, kauerte er sich an die Tür von Mr. Fitzwarren, einem reichen Kaufmann. Hier sah ihn die Köchin, eine bösartige Person, und da sie gerade damit beschäftigt war, für ihre Herrschaft



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das Mittagessen zu bereiten, rief sie dem armen Dick draußen zu: »Was willst du hier, du fauler Bengel? Dauernd nichts wie Bettelvolk! Wenn du nicht schnell machst, daß du hier wegkommst, wollen wir mal sehen, wie dir ein Guß Abwaschwasser schmeckt. Ich hab' genug davon, um dich wegzutreiben.«

In dem Augenblick aber kam Mr. Fitzwarren zum Mittagessen nach Hause, und als er einen schmutzigen Jungen in zerfetzten Kleidern vor der Tür liegen sah, fragte er ihn: »Warum liegst du hier, Junge? Mir scheint, du bist groß genug, um arbeiten zu können. Ich fürchte, du willst nur faulenzen?«

»O nein, mein Herr, wirklich nicht«, antwortete Dick, »so ist es nicht. Ich möchte herzlich gern arbeiten, aber ich finde niemanden, der mir Arbeit gibt, und ich glaube, ich bin nun sehr krank, weil ich fast verhungert bin.«

»Armer Junge, steh auf; ich will sehen, was ich für dich tun kann.« Dick versuchte aufzustehen, fiel aber wieder um, denn er war zu schwach, um stehen zu können. Hatte er doch seit drei Tagen keinerlei Nahrung mehr zu sich genommen. Er war ja nicht einmal mehr fähig gewesen, herumzulaufen und die Leute auf den Straßen um Pfennige anzubetteln. So ließ ihn der menschenfreundliche Kaufmann in sein Haus hineintragen, ließ ihm ein ordentliches Essen geben und ordnete an, daß er in der Küche mit Arbeit, die er erledigen könne, zu beschäftigen sei.

Klein Dick hätte bei diesen guten Menschen sehr glücklich leben können, wenn da nicht die böse Köchin gewesen wäre. Sie sagte immer wieder: »Du bist mir unterstellt, also höre gut zu: Putze den Bratspieß und die Bratpfanne, mache das Feuer an, wickle die Winde hoch, verrichte ganz schnell alle Küchenarbeit, sonst . . .«, und sie drohte ihm mit dem Kochlöffel. Sie mochte besonders gern Braten begießen, und wenn sie keinen Braten zum Begießen hatte, war sie so verärgert, daß sie Kopf und Schultern des armen Dick mit einem Besenstiel bearbeitete oder was ihr sonst gerade in die Hand kam. Einmal aber erfuhr das Alice, die Tochter von Mr. Fitzwarren, und sie erklärte der Köchin, es würde ihr gekündigt werden, wenn sie den Jungen nicht besser behandle.



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Nun nahm sich die Köchin etwas zusammen. Doch Dick war noch einer anderen Not ausgesetzt. Sein Bett stand in einer Dachkammer, die so viele Löcher im Fußboden und in den Wänden hatte, daß er jede Nacht von Ratten und Mäusen heimgesucht wurde.

Als Dick eines Tages von einem Herrn, dem er die Schuhe blankgeputzt hatte, einen Penny bekam, dachte er, dafür wolle er sich eine Katze kaufen. Am nächsten Tage sah er ein Mädchen mit einer Katze: »Willst du mir die Katze für einen Penny geben?«Das Mädchen sagte: »Ja, tu ich, Herr, und sie fängt großartig Mäuse.«

Dick versteckte nun seine Katze in der Dachkammer und dachte immer daran, ihr einen Teil seines Essens mit heraufzubringen. Und nach kurzer Zeit hatte er keine Störungen mehr durch Ratten oder Mäuse, sondern schlief jede Nacht fest und ungestört.

Kurz darauf sollte ein Segelschiff seines Herrn in See stechen, und da dieser wollte, daß alle seine Angestellten so gut wie er selbst eine Glückschance hatten, rief er sie alle in sein Kontor und fragte jeden, was er wohl mitschicken wollte.

Alle hatten sie etwas, um sich ein wenig zu beteiligen, außer dem armen Dick, der weder Geld noch Waren besaß, um sie mitschicken zu können. Darum trat er nicht einmal mit den Allerletzten in das Kontor. Aber Miß Alice vermutete den Grund und befahl, daß man auch ihn hereinrufe. »Ich will aus meiner eigenen Tasche etwas Geld für ihn auslegen«, sagte sie; aber ihr Vater erklärte: »Nein, das geht nicht, denn es muß etwas sein, was ihm selber gehört.« Daraufhin sagte der arme Dick: »Ich habe nur eine Katze, die ich vor einiger Zeit für einen Penny von einem kleinen Mädchen kaufte.«

»Dann hole deine Katze, mein Junge«, sagte Mr. Fitzwarren, »und schick sie mit!«

Dick lief hinauf, brachte die arme Pussy weinend herunter und übergab sie dem Kapitän. »Ach«, sagte er, »nun werde ich wieder jede Nacht von den Ratten und Mäusen geplagt werden.«Und alle Anwesenden lachten lauthals über Dicks komisches Verkaufsstück. Miß Alice aber, die Mitleid mit ihm hatte, gab ihm etwas Geld, damit er sich eine andere Katze kaufen konnte.

Diese und andere Zeichen von Güte, die ihm Miß Alice erwies,



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machten die böse Köchin auf den armen Dick eifersüchtig, und sie begann, ihn noch mehr zu qäulen als je zuvor, und ständig verspottete sie ihn, weil er seine Katze mit auf See gegeben hatte. Sie fragte: »Glaubst du vielleicht, deine Katze würde mehr wert sein als ein Stock, mit dem man dich durchprügeln kann?«

Zuletzt konnte der arme Dick diese Behandlung nicht länger aushalten. Er wollte davonlaufen, packte seine paar Sachen zusammen und verließ ganz früh am Morgen des ersten November, das war der Tag Allerheiligen, das Haus. Er lief bis nach Holioway. Dort setzte er sich auf einen Stein - er heißt noch heute »Whittingtons-Stein« —und überlegte, wohin er denn jetzt weitergehen könne.

Während er so grübelte, fingen die Glocken der Kirche von Bow, sechs waren es, zu läuten an, und sie schienen ihm zuzurufen:

»Kehr wieder um, Dick Whittington,
wirst dreifach Lord Mayor von London.«


***
»Bürgermeister von London!« sagte er sich. »Ach, sicher, ich würde ja alles dafür geben, um Erster Bürgermeister von London zu werden und als vornehmer Herr in einer prächtigen Kutsche zu fahren! Ja, ich will zurückgehen, und weder Schläge noch Schelte der alten Köchin sollen mich rühren, wenn dafür am Ende die Würde des Lord Mayors von London steht.«

Dick kehrte also wieder um und konnte glücklicherweise ins Haus und an seine Arbeit schlüpfen, bevor die alte Köchin ihn vermißt hatte.

Wir müssen nun aber Pussys Fahrt nach Afrika verfolgen. Das Schiff mit der Katze an Bord war lange Zeit unterwegs und wurde zuletzt durch widrige Winde an die Küste der Barbarei getrieben, wo es nur Mohren gibt, die den Engländern ganz fremd waren. Das Volk strömte ans Ufer, um die Segler, die eine so andere Hautfarbe als sie selbst hatten, zu sehen, und waren sehr freundlich zu ihnen. Als sie näher miteinander bekannt wurden, drängten sie sich, all das zu kaufen, was das Schiff geladen hatte.

Als der Kapitän das beobachtete, schickte er Proben der besten



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Dinge an den König des Reiches, der sich darüber so freute, daß er den Kapitän zu sich in den Palast einlud. Hier nahmen alle nach Landesbrauch auf Teppichen Platz, die reich mit Gold und Silber durchwebt waren. Der König und die Königin saßen am oberen Ende des Raumes, und viele reich mit Speisen gedeckte Tischchen wurden hereingetragen. Sie saßen noch nicht lange, als eine Unzahl Ratten und Mäuse hereinhuschten und in Windeseile alles auffraßen. Der Kapitän wunderte sich darüber und fragte, ob dieses Viehzeug nicht einfach ekelhaft sei.

»O sehr«, riefen sie aus, »sehr ekelhaft. Und unser König würde die Hälfte aller seiner Schätze dafür geben, wenn es vernichtet werden könnte. Denn es frißt ihm nicht nur alles Essen fort, wie ihr gesehen habt, sondern es dringt auch in sein Zimmer und in sein Bett ein, so daß er aus Angst vor dem Raubzeug wach bleiben muß, statt schlafen zu können.«

Da sprang der Kapitän vor Freude auf; denn ihm fiel der arme Whittington und seine Katze ein, und er erzählte dem König, er habe ein Tier an Bord des Schiffes, das mit diesem Ungeziefer im Nu fertig werden würde. Vor Entzücken über solche Nachricht sprang der König so hoch, daß ihm sein Turban vom Kopf herunterfiel. »Bring mir das Tier«, rief er aus. »Dieses Viehzeug hier am Hofe ist schrecklich, und wenn dein Tier das schafft, was du sagst, will ich dir dafür dein Schiff voller Gold und Juwelen laden lassen.«

Der geschäftstüchtige Kapitän nahm die Gelegenheit wahr, um Pussys Tüchtigkeit ins beste Licht zu setzen. Er erzählte Seiner Majestät: »Ich kann es eigentlich nicht verantworten, sie wegzugeben, denn Ratten und Mäuse werden dann von neuem alles Eßbare auf dem Schiff annagen und fressen. Doch um Euer Majestät gefällig zu sein, will ich mich von ihr trennen.«

»Holt sie, holt sie schnell«, bat die Königin, »ich kann es gar nicht erwarten, ein so liebes Tier kennenzulernen.«

Also ging der Kapitän auf sein Schiff, während ein neues Mahl vorbereitet wurde. Er nahm Pussy unter den Arm und kam gerade rechtzeitig zurück, als es auf der Tafel nur so von Ratten wimmelte. Als die Katze das sah, ließ sie sich nicht erst lange bitten, sondern



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war mit einem Satz vom Arm des Kapitäns herunter, und innerhalb weniger Minuten lagen alle Ratten und Mäuse tot zu ihren Füßen. Der Rest von ihnen hatte sich voller Furcht in ihre Löcher verkrochen.

Der König war entzückt, so schnell von dieser großen Plage befreit zu sein, und die Königin wollte ein so liebes Tier, das ihnen hier geholfen hatte, gern von nahem sehen. Deswegen rief der Kapitän: »Pussy, Pussy, Pussy!«Und sie kam zu ihm. Erhielt sie der Königin hin, die erst zurückfuhr, erschreckt von dem Gedanken, ein Wesen zu berühren, das ein solches Blutbad unter den Ratten und Mäusen gehalten hatte. Trotzdem, als der Kapitän die Katze streichelte und: »Pussy, Pussy« rief, faßte auch sie das Tier zaghaft an und rief: »Putty, Putty.« Sie hatte eben kein Englisch gelernt. Nun setzte er die Katze der Königin in den Schoß, wo sie schnurrte, mit der Hand der Königin spielte und dann wohlig schlief.

Nachdem der König die Heldentaten von Miß Pussy selbst gesehen und gehört hatte, daß später ihre Kätzchen das ganze Land rattenfrei machen würden, schloß er mit dem Kapitän ein Abkommen, in dem er für die Katze zehnmal soviel gab wie für alles übrige. Der Kapitän verabschiedete sich nun vom königlichen Hof, segelte mit gutem Wind gegen England und kam nach glücklicher Reise dort an.

Eines Morgens in der Frühe, als Mr. Fitzwarren gerade in sein Kontor gekommen war und sich an sein Pult gesetzt hatte, um die Kasse nachzurechnen und die täglichen Eingänge zu erledigen, hörte er, wie sich Schritte der Tür näherten. »Wer da?«fragte Mr. Fitzwarren. »Gut Freund«, antwortete eine Stimme, »ich bringe frohe Nachricht von Eurem Schiff Einhorn.« Der Kaufmann sprang in solcher Eile hoch, daß er völlig seine Gicht vergaß, und öffnete die Tür. Und wer stand davor? Der Kapitän und der Agent mit einer Kiste voller Edelsteine und mit dem Seefrachtschein. Als der Kaufmann das sah, machte er riesengroße Augen. Dann dankte er dem Himmel für eine so erfolgreiche Reise.

Sie erzählten nun die Geschichte der Katze und zeigten die Reichtümer, die König und Königin für den armen Dick geschickt hatten. Sobald der Kaufmann das hörte, rief er seine Diener:



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»Schickt ihn her, das Glück war sein: Als Mister Whittington trete er ein.«

Nun erwies es sich, was für ein guter Mensch Mr. Fitzwarren war, denn als einige seiner Leute meinten, das wäre ein zu großer Schatz für Dick, antwortete er: »Da sei Gott davor, daß ich ihn auch nur um den Wert eines Pfennigs schmälere. Er soll alles bis zum letzten Heller haben.«

Er ließ Dick zu sich kommen, der gerade Töpfe für die Köchin säuberte und ganz schmutzig war. Deswegen bat er, ihn zu entschuldigen, wenn er nicht ins Büro kommen könne, denn »die Küche schwimmt, und meine Schuhe sind völlig verdreckt, und außerdem sind es genagelte Schuhe«. Doch der Kaufmann befahl ihm zu kommen.

Mr. Fitzwarren ließ einen Stuhl für ihn hinstellen, und Dick dachte schon, daß man ein Spiel mit ihm treibe, so daß er flehte: »Treibt bitte keinen Spaß mit einem einfachen armen Jungen, sondern laßt mich wieder hinunter an meine Arbeit gehen!«

»Nein, Mr. Whittington«, sagte der Kaufmann, »es ist unser voller Ernst, und ich freue mich von ganzem Herzen über die Kunde, die diese beiden Herren Euch bringen, denn der Kapitän hat Eure Katze an den König des Barbarenlandes verkauft und bringt Euch dafür mehr Reichtümer, als ich selber in der ganzen Welt besitze, und ich wünsche, Ihr möchtet Euch ihrer recht lang erfreuen.«

Dann befahl Mr. Fitzwarren, die mitgebrachten Schätze auszubreiten, und sprach: »Mr. Whittington braucht nun weiter nichts zu tun, als sie an sicherer Stelle aufzubewahren.«

Der arme Dick wußte nicht, was er vor lauter Freude sagen sollte. Zunächst bat er seinen Herrn, er möge sich davon so viel nehmen, wie er wolle, seiner Güte verdanke er ja alles. »Nein, nein«, lehnte Mr. Fitzwarren ab, »alles gehört dir allein, und ich bin überzeugt, du wirst damit richtig umzugehen wissen.«

Nun bat Dick die Hausfrau und danach Miß Alice, einen Teil des Reichtums anzunehmen, aber sie wollten es nicht und sagten ihm statt dessen, wie sehr auch sie sich über sein großes Glück freuten.



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Aber dieser brave Bursche war viel zu gutherzig, um alles für sich selbst zu behalten, und so beschenkte er den Kapitän und dessen Makler und sämtliche Angestellten Mr. Fitzwarrens, sogar die böse alte Köchin.

Danach riet ihm Mr. Fitzwarren, einen ersten Schneider kommen zu lassen, um sich als Herr kleiden zu können, und er lud ihn herzlich ein, als Gast in seinem Hause zu wohnen, bis er ihm ein besseres beschafft habe.

Nachdem Whittington sich gewaschen und erfrischt hatte, sein Haar gelockt, den Zweispitz aufgesetzt hatte und in prächtige Gewänder gekleidet war, sah er genauso stattlich und hübsch wie jeder andere junge Mann aus, der bei Mr. Fitzwarren verkehrte. Daher kam es, daß Miß Alice, die schon früher stets freundlich zu ihm war und Mitleid mit ihm gehabt hatte, ihm jetzt ihr ganzes Herz zuwandte — um so mehr, als Whittington ständig überlegte, womit er sie erfreuen könne, und sie mit den schönsten Dingen, die er auftreiben konnte, beschenkte.

Bald bemerkte Mr. Fitzwarren, wie sehr sie einander liebten, und fragte, ob sie wohl gern heiraten würden, was sie überglücklich bejahten. Bald war der Hochzeitstag festgesetzt. Der Lord Mayor geleitete sie in die Kirche, und ihm folgte der ganze Rat der Stadt, die Richter und eine große Anzahl der reichsten und angesehensten Kaufleute Londons, die nachher an einem prächtigen Festmahl teilnahmen.

Die Geschichte erzählt, daß Mr. Whittington und seine Frau in großem Reichtum und großem Glück lebten. Sie bekamen mehrere Kinder. Er wurde einmal oberster Richter von London und dreimal Lord Mayor und wurde sogar von Heinrich V. zum Ritter geschlagen.

Er unterhielt den König und die Königin bei dem Mahl, das er nach dieser Ehrung gab, so großartig, daß der König sagte: »Nie bisher hatte ein Fürst einen solchen Untertan.« Als Sir Richard das hörte, erwiderte er: »Niemals hatte ein Untertan einen solchen Fürsten.« In Stein gehauen, war Sir Richard Whittington, seine Katze im Arm, bis zum Jahre 1780 über dem Torbogen des alten Gefängnisses von



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Newgate zu sehen, das er einstmals für die Gefangenen hat erbauen lassen.


Der Fisch und der Ring

Vor langer, langer Zeit lebte einmal ein mächtiger Baron im Norden des Landes, der auch ein mächtiger Zauberer war und alles wußte, was in der Zukunft geschehen würde. Eines Tags, als sein kleiner Sohn vier Jahre alt geworden war, schlug er das Buch des Schicksals auf, um zu sehen, was dem Knaben bevorstand. Zu seinem Schrecken erfuhr er, daß sein Sohn ein Mädchen niederen Standes heiraten würde, das grade in einer Hütte, die im Schatten des Yorker Münsters stand, geboren war. Der Baron wußte, daß der Vater des kleinen Mädchens bettelarm war und schon fünf Kinder hatte. So ließ er sein Pferd satteln, ritt nach York, kam zum Hause des Vaters und sah ihn traurig und kummervoll vor der Türe sitzen. Er stieg ab, ging zu ihm hin und fragte: »Was fehlt dir, guter Mann?«Und der Mann antwortete: »Ach, Euer Gnaden, die Sache ist die, daß ich schon fünf Kinder habe und nun noch ein sechstes dazugekommen ist, ein kleines Mädchen. Und ich weiß nicht, wie ich es anfangen soll, sie alle satt zu bekommen.«

»Sei nicht so niedergedrückt, guter Mann!« sagte der Baron, »wenn du keine andere Sorge hast, dann kann ich dir helfen. Ich will das Neugeborene zu mir nehmen, und du brauchst dir seinetwegen keine Sorge mehr zu machen.«

»O wie sehr danke ich Euch, edler Herr«, rief der Mann, lief hinein und brachte das Mädchen, gab es dem Baron, der wieder sein Pferd bestieg und mit dem Kind davonritt. Und als er ans Ufer der Ouse kam, warf er das winzige Wesen in den Fluß und ritt davon auf sein Schloß.

Aber das kleine Mädchen versank nicht. Seine Hüllen trugen es für kurze Zeit, und es trieb und trieb im Strom dahin, bis es vor einer Fischerhütte an Land gespült wurde. Dort fand sie der Fischer. Er hatte Mitleid mit dem erbärmlichen kleinen Ding und nahm es in



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sein Haus. Dort lebte es, bis es fünfzehn Jahre alt und ein schönes freundliches Mädchen geworden war.

Dann geschah es eines Tages, daß der Baron mit seinen Gefährten am Ufer der Ouse jagte und bei der Fischerhütte anhielt, um einen Trunk zu erbitten. Das Mädchen kam heraus und reichte ihm einen Becher. Alle bewunderten ihre Schönheit, und einer sagte zu dem Baron: »Ihr könnt ja in der Zukunft lesen, Baron, wen wird sie wohl einmal heiraten, sagt uns das!«

»Ach, das ist leicht zu erraten«, erwiderte der Baron, »den einen oder anderen Tölpel. Aber ich will ihr Horoskop stellen. Komm her, Mädchen, und erzähl mir, an welchem Tag du geboren bist.«

»Das weiß ich nicht, gnädiger Herr«, antwortete das Mädchen. »Ich bin vor fünfzehn Jahren hier aufgefischt worden, als mich der Fluß ans Ufer warf.«

Da wußte der Baron, wer sie war, und als er mit seinen Gefährten fortritt, kam er nochmals zurück und sagte zu ihr: »Paß auf, Mädchen, du sollst dein Glück machen. Bring diesen Brief zu meinem Bruder nach Scarborough, und du wirst für dein ganzes Leben versorgt sein.« Und das Mädchen nahm den Brief und versprach, ihn hinzubringen. Aber in dem Brief stand dies:

»Lieber Bruder -ergreife und töte die Überbringerin sofort.

Dein Dich liebender Humphrey.«

Das Mädchen machte sich gleich auf den Weg nach Scarborough und übernachtete in einem einfachen Wirtshaus. In der Nacht aber überfiel eine Räuberbande die Wirtschaft und durchsuchte auch das Mädchen, das aber kein Geld, nur den Brief hatte. Also öffneten sie den und lasen ihn und fanden, das sei eine Schande. Der Räuberhauptmann nahm Feder und Papier und schrieb nun einen neuen Brief:

»Lieber Bruder, begrüße die Überbringerin freundlich und verheirate sie sofort mit meinem Sohn.

Dein Dich liebender Humphrey.«


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Dann gab er ihn dem Mädchen mit dem Befehl, sofort weiterzugehen. So kam sie nach Scarborough zu dem Bruder des Barons, einem edlen Ritter, bei dem der Sohn des Barons zu Gast war. Als sie ihm den Brief seines Bruders übergab, erließ er sofort Befehl, die Hochzeit vorzubereiten, und beide wurden noch an demselben Tage verheiratet.

Bald danach kam der Baron selbst auf das Schloß seines Bruders. Wie entsetzt war er, als er sah, daß gerade das, was er auf jede Weise zu verhindern gesucht hatte, geschehen war. Doch er gab noch nicht auf. Er nahm die junge Frau zu einem Spaziergang über die Klippen mit, so sagte er zu den anderen. Doch als er allein mit ihr war, packte er sie und wollte sie hinunter ins Meer werfen. Aber sie bat flehentlich um ihr Leben. »Ich habe doch nichts Böses getan«, rief sie angstvoll. »Wenn Ihr mich verschonen wollt, werde ich alles tun, was Ihr verlangt. Wenn Ihr es fordert, so werde ich nie mehr Euch oder Euren Sohn wiedersehen.« Da zog der Baron seinen goldenen Ring vom Finger, warf ihn ins Meer und rief: »Nie mehr will ich dein Gesicht sehen, außer du bringst mir den Ring zurück«, und er ließ sie davongehen.

Das arme Mädchen wanderte fort und fort, bis sie zuletzt zu einem großen schönen Schloß kam und dort fragte, ob man ihr wohl irgendwelche Arbeit geben könne. Man machte sie zur Küchenhilfe in der Schloßküche, denn solche Arbeit kannte sie ja von der Fischerhütte her.

Wen sah sie nun eines Tages zu Besuch auf das Schloß kommen? Den Baron und seinen Bruder und seinen Sohn, ihren Mann. Was sollte sie nur tun? Sie hoffte, in der Schloßküche würde man sie schon nicht sehen. Also ging sie seufzend wieder an ihre Arbeit und begann, einen riesengroßen Fisch zu schuppen, der fürs Mittagessen gekocht werden sollte. Und als sie ihn putzte, schimmerte irgend etwas in seinem Innern und, was denkt ihr, fand sie da? Ja, stellt euch vor: Es war der Ring des Barons! Derselbe Ring, den er über die Klippen bei Scarborough ins Meer geworfen hatte! Ihr könnt euch wohl vorstellen, wie glücklich sie darüber war. Nun kochte sie den Fisch, so gut sie nur konnte, und legte ihn auf eine Schüssel.



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Als dann der Fisch auf die Tafel gebracht wurde, fanden ihn die Gäste so herrlich zubereitet, daß sie den Schloßherrn fragten, wer ihn denn gekocht habe. »Heda, schickt den Koch herauf, der den Fisch so gut gekocht hat!«Also liefen sie in die Küche hinunter und richteten dem Mädchen aus, es solle in die Gästehalle hinaufkommen. Da machte es sich fertig, streifte zuletzt den goldenen Ring des Barons über seinen Daumen und ging in die Halle hinauf.

Als die Speisenden eine so junge und wunderschöne Köchin sahen, waren sie recht erstaunt. Aber der Baron war rasend vor Wut und sprang auf, als wolle er sich auf sie stürzen. Da trat das Mädchen näher, die Hand mit dem Ring daran vor sich herhaltend. Und sie legte den Ring vor ihm auf den Tisch.

Da endlich sah der Baron ein, daß niemand seinem Schicksal entgehen kann, und forderte sie auf, sich neben ihn zu setzen, und erklärte allen Anwesenden, daß sie seines Sohnes treues Weib sei. Er nahm sie und seinen Sohn mit heim auf sein Schloß, und sie lebten von da an alle friedlich und glücklich miteinander.


Jack, der Riesentöter

Zu jener fernen Zeit, als noch der gute König Arthur regierte, lebte am äußersten Ende von England, in der Grafschaft Cornwall, ein Bauer, der einen einzigen Sohn namens Jack hatte. Der war lebhaft und von so raschem Witz, daß keiner ihm gewachsen war.

In jenen Zeiten wurde das Gebirge Cornwalls von einem gewaltigen Riesen mit Namen Cormoran beherrscht. Er war achtzehn Fuß groß und maß ungefähr drei Ellen um die Taille herum. Mit seinem wilden und schrecklichen Aussehen war er das Entsetzen der umliegenden Städte und Dörfer. Er lebte in einer Höhle mitten im Gebirge, und wenn er Nahrung brauchte, stampfte er auf das Festland hinüber und griff und fraß, was ihm da in den Weg kam. Wer ihn heranstapfen sah, rannte aus dem Haus, denn er griff ihr Vieh, und es machte ihm nichts aus, gleich auf einmal ein halbes Dutzend Ochsen auf dem Rücken davonzutragen. Ihre Schafe und Schweine pflegte



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er sich rund um die Taille zu hängen wie ein Bündel Talglichter. Das tat er schon seit vielen Jahren, so daß ganz Cornwall voller Verzweiflung war.

Eines Tages nun geschah es, daß Jack gerade im Rathaus war, als der Magistrat wegen des Riesen eine Sitzung abhielt. Er fragte dort: »Welche Belohnung bekommt der Mann, der Cormoran umbringt?« — »Der Schatz des Riesen«, wurde ihm geantwortet, »soll seine Belohnung sein.« Da meinte Jack: »Ich will's versuchen.«

Er griff ein Horn, eine Schaufel und eine Spitzhacke und ging in der Dämmerung an einem dunklen Winterabend ins Gebirge, wo er zu arbeiten begann, und ehe der Morgen anbrach, hatte er eine Grube von zweiundzwanzig Fuß Tiefe und fast ebensolcher Breite gegraben und mit langen Stangen und mit Stroh bedeckt. Dann streute er etwas Erde darüber, so daß es wie fester Boden aussah. Nun setzte sich Jack auf die entgegengesetzte Seite der Grube, weit weg von der Höhle des Riesen, und gerade als der Tag anbrach, nahm er das Horn und blies tatütata, tatütata. Dieses Geräusch weckte den Riesen, der aus der Höhle stürzte und brüllte: »Du unverbesserlicher Schuft, wagst du es, herzukommen und meine Ruhe zu stören? Dafür sollst du mir büßen. Sühne fordere ich: Ich werde dich holen, lebendig braten und zum Frühstück verspeisen.« Kaum hatte er das herausgebrüllt, da stürzte er schon so hart in die Grube, daß die Berge in ihren Grundfesten erschüttert wurden.

»O Riese«, spottete Jack, »wo bist du nun? Meiner Treu, nun bist du in die Grube gefallen, wo ich dich jetzt gehörig für deine böse Drohung quälen werde. Wie denkst du nun darüber, mich zum Frühstück zu braten? Genügt dir keine andere Nahrung als ausgerechnet der arme Jack?« Nachdem er den Riesen einige Zeit derart verspottet hatte, versetzte er ihm mit der Spitzhacke einen gewaltigen Schlag auf den Schädel und tötete ihn auf der Stelle.

Jack füllte nun die Grube wieder mit Erde und suchte die Höhle, in der er große Schätze fand. Als die Ratsherrn von seiner Tat erfuhren, gaben sie bekannt: er sei künftig nur noch »Jack der Riesentöter« zu nennen, und überreichten ihm ein Schwert und einen Gürtel. Da waren mit goldenen Lettern die Worte eingegraben:



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»Hier ist der wahrhaft tapfere Cornwall-Mann, denn er schlug den Riesen Cormoran.«

Die Nachricht von Jacks Sieg verbreitete sich mit Windeseile in ganz Westengland, so daß ein anderer Riese namens Blunderbore davon hörte und schwor, sich an Jack zu rächen, wenn er je auf ihn stoßen sollte. Dieser Riese war Herr eines verzauberten Schlosses, das inmitten eines einsamen Waldes lag.

Nun kam aber Jack vier Monate später auf seiner Reise nach Wales in die Nähe dieses Waldes, und da er müde war, setzte er sich bei einer freundlichen Quelle nieder und schlief sogleich ein. Während er schlief, kam der Riese, um Wasser zu holen, entdeckte ihn und erkannte ihn als den weitberühmten Jack den Riesentöter durch die im Gürtel eingegrabenen Worte. Lautlos legte er sich Jack auf die Schulter und trug ihn zu seinem Schloß. Doch als sie durch ein Dickicht kamen, wachte Jack vom Rascheln der Zweige auf und erschrak sehr, in die Klauen des Giganten geraten zu sein. Sein Erschrecken wuchs noch, als er im Schloß den Boden mit Menschenknochen bedeckt sah und der Riese ihm ankündigte, die seinen würden auch bald dazwischenliegen. Dann schloß der Riese den armen Jack in einem ungeheuer großen Raum ein und ging, um einen anderen Riesen, seinen Bruder, der in demselben Walde lebte, zu holen, damit er sich mit ihm in die Mahlzeit von Jack teilen könne.

Nachdem Jack einige Zeit gewartet hatte, ging er ans Fenster, durch das er die beiden Riesen von fern auf das Schloß zukommen sah. >Jetzt<, dachte Jack bei sich, >ist mir entweder Tod oder Befreiung nahe.<

In einer Ecke des Raumes, in dem Jack gefangen war, lagen dicke Seile. Von ihnen nahm er zwei, machte eine kräftige Schlinge an deren Ende, und als die Riesen das eiserne Tor des Schlosses öffneten, warf er jedem von ihnen einen Strick über den Kopf. Dann zog er schnell die anderen Enden über einen Balken und zog, sosehr er nur konnte, bis er die beiden erdrosselt hatte. Dann, als er erkennen konnte, daß sie schon schwarz im Gesicht waren, glitt er an dem Seil hinunter, zog sein Schwert und hieb beide Köpfe ab.



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Nachdem er die Schlüssel des Riesen an sich genommen hatte, fand er drei wunderschöne Jungfrauen, die an ihren Haaren aufgehängt und schon nahe dem Tode waren. »Edle Frauen«, sprach Jack, »ich habe dieses Ungeheuer und seinen viehischen Bruder getötet und Euch dadurch die Freiheit wiedergegeben.« Nach diesen Worten überreichte er ihnen die Schlüssel des Schlosses, er selbst aber setzte seine Reise nach Wales fort.

Jack bemühte sich, so schnell wie möglich vorwärts zu kommen, doch er verirrte sich, wurde von der Nacht überrascht und konnte keine Unterkunft finden, bis er in einem engen Talkessel ein großes Haus erblickte, in der Hoffnung auf ein Obdach Mut faßte und anklopfte. Doch wie groß war sein Erschrecken, als ein grausiger Riese mit zwei Köpfen herauskam. Der schien nicht so böse zu sein, wie die anderen es waren, denn er gehörte zu den waliser Riesen, und was er an privater und geheimer Bosheit in sich trug, verbarg er unter einem Schein von Freundschaft. Nachdem Jack seine Lage geschildert hatte, wurde er in eine Schlaf kammer geführt, wo er mitten in der Nacht seinen Wirt im Nebenraum murmeln hörte:

»Wohnst du auch bei mir diese Nacht:
eh' noch das Morgenlicht erwacht,
hab' ich dich schon zu Brei gemacht.«


***
>Meinst du es so<, dachte Jack, >dann ist das also einer deiner waliser Tricks, und ich hoffe, ich werde schon mit dir fertig werden.< Dann stand er aus dem Bett auf, legte statt seiner ein Holzscheit hinein und versteckte sich in einer Ecke des Raumes. Um Mitternacht kam der waliser Riese herein und ließ ein paar gewaltige Keulenschläge auf das Bett herabsausen in der Annahme, er habe nun Jack alle Knochen im Leibe zerschlagen. Jack, der sich eins ins Fäustchen lachte, bedankte sich am nächsten Morgen herzlich für das Nachtquartier.

»Wie hast du denn geschlafen?« wollte der Riese wissen. »Hast du heute nacht gar nichts gespürt?« — »Nein«, antwortete Jack, »nur eine Ratte, die mich mit ihrem Schwanz zwei- oder dreimal gekitzelt



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hat.«Darüber recht verwundert, lud der Riese Jack zum Frühstück ein und setzte ihm eine Schüssel mit sechzehn Litern Mehispeise vor. Da der Riese nicht merken durfte, daß es viel zuviel für ihn sei, hängte Jack heimlich einen großen ledernen Sack derart unter seinen Rock, daß er das Essen unbemerkt hineinschütten konnte. Dann erklärte er dem Riesen, er wolle ihm einen Kniff zeigen, nahm sein Messer, schnitt den Sack längelang auf, und heraus stürzte die noch heiße Mehlspeise. Darauf grölte der Riesenkerl: »Das kann ich auch!«, griff nach dem Messer, schlitzte sich, ritsch-ratsch, den Bauch auf und fiel tot um.

Zu dieser Zeit geschah es aber, daß der einzige Sohn König Arthurs seinen Vater bat, ihm eine große Summe Geldes zu geben, weil er in das Fürstentum Wales reisen und sein Glück bei einer wunderschönen Jungfrau versuchen wolle, die dort lebte, aber von sieben schrecklichen Geistern bewacht wurde. Der König versuchte alles, ihn davon abzubringen, doch vergebens, und so ließ er ihn zuletzt ziehen.

Nun machte sich der Prinz mit zwei Pferden auf den Weg, von denen er das eine selbst ritt, das andere mit dem Geld beladen hatte. Nach mehreren Tagereisen kam er zu einem Marktflecken in Wales, wo er eine große Menschenmenge versammelt fand. Der Prinz fragte nach der Ursache, und man erzählte ihm, man habe einen Toten beschlagnahmt, weil der Verstorbene mehrere hohe Summen vielen Bürgern schuldig geblieben war. Der Prinz sagte, es wäre beschämend, wenn Gläubiger sich so grausam verhielten, und er verlangte: »Laßt den Toten begraben und schickt mir seine Schuldner in die Herberge! Alle ihre Schuldansprüche sollen beglichen werden.« Da kamen so viele, daß er, als die Nacht anbrach, nur noch zwei Pfennige besaß.

Jack, der Riesentöter, kam gerade des Wegs, und als er von dem Edelmut des Prinzen hörte, war er davon so angetan, daß er in des Prinzen Dienste treten wollte. So geschah es auch, und am nächsten Morgen brachen sie beide gemeinsam auf. Als sie aus der Stadt ritten, rief eine alte Frau hinter dem Prinzen her: »Mir war er sieben Jahre lang zwei Pfennige schuldig. Bitte, bitte, gib sie mir, und wenn es



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auch deine letzten sind!« Der Prinz griff in die Tasche und gab ihr alles, was er hatte, so daß sie, nachdem sie sich an diesem Tage noch von Jacks kleinem Essensvorrat ernährt hatten, keinen blanken Pfennig mehr besaßen.

Als die Sonne unterging, sagte der Königssohn: »Ach, Jack, nun haben wir überhaupt kein Geld mehr. Wo sollen wir nur heute nacht bleiben?«

Doch Jack antwortete: »Herr, das wird schon werden, denn ein Onkel von mir wohnt nur zwei Meilen entfernt. Er ist ein ungeheuer großer gräßlicher Riese mit drei Köpfen. Er kann fünfhundert bewaffnete Männer bezwingen und in die Flucht schlagen.«

»O weh!« rief der Prinz aus. »Was sollten wir denn dort? Er würde uns sicher als kleinen Happen verspeisen. Vielmehr, wir würden kaum ausreichen, einen seiner hohlen Zähne zu füllen.«

»Das kommt gar nicht in Frage«, lachte Jack, »ich werde vorausgehen und alles für Euch in Ordnung bringen. Deshalb bleibt bitte hier und wartet, bis ich zurückkomme!« Danach ritt Jack im Galopp davon, und als er das Schloßtor erreicht hatte, klopfte er so laut an, daß es auf den benachbarten Hügeln widerhallte. Donnernd brüllte der Riese: »Wer ist da?«

Jack antwortete: »Nur dein armer Neffe Jack.«

Da fragte der andere: »Welche Nachricht bringt der arme Neffe Jack?«

Der antwortete: »Lieber Onkel, bei Gott, schlimme Kunde!«

»Na hör mal«, grölte der Riese, »welche Nachrichten könnten für mich wohl schlimm sein? Ich bin ein Riese mit drei Köpfen, und du weißt nebenbei auch, wie ich mit fünfhundert bewaffneten Leuten fertig werde, so daß sie wie der Wind davonstieben.«

»O gewiß«, sagte Jack, »aber jetzt kommt der Sohn des Königs mit tausend Bewaffneten, um dich zu töten und deinen ganzen Besitz niederzumachen.«

»Oh, Neffe Jack«, rief der Riese, »das ist wirklich eine böse Nachricht! Ich will gleich davonlaufen und mich sicher verstecken, du aber mußt abschließen, verriegeln, die Balken vorlegen und alles beschützen, bis der Prinz wieder abgezogen ist.«



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Nachdem er so den Riesen scheinbar gerettet hatte, holte Jack seinen Herrn, und sie ließen es sich gut sein, während der arme Riese zitternd drunten in einer entfernten Erdhöhle saß.

Früh am Morgen stattete Jack seinen Herrn mit einer neuen Menge an Gold und Silber aus, schickte ihn gut drei Meilen voraus, denn dann war der Prinz aus der Reichweite des Riesen, und holte seinen Onkel aus dem Erdversteck. Der fragte ihn gerührt, was er ihm wohl schenken könne, weil er sein Schloß vor der Zerstörung bewahrt habe. »Ach«, antwortete Jack, »ich bin zufrieden, wenn ich den alten Mantel und die Mütze da bekomme und dazu das alte rostige Schwert und die Pantoffeln, die am Kopfende deines Bettes sind.« Der Riese darauf: »Du weißt gar nicht, was du verlangst; sie sind das Kostbarste, was ich habe. Der Mantel macht unsichtbar, die Mütze läßt dich alles wissen, was du willst, das Schwert zerschneidet, was auch immer du damit triffst, und die Schuhe tragen dich fort in Windeseile. Doch du hast mir so treulich geholfen, darum will ich sie dir von Herzen gern geben.«

Jack dankte seinem Onkel vielmals, nahm die erbetenen Dinge und schied. Er holte seinen Herrn schnell ein, und sie kamen bald zu dem Schloß der Lady, zu der es den Prinzen zog und die, als ihr der prinzliche Freier gemeldet wurde, ein festliches Mahl herrichten ließ. Nachher aber erklärte sie, daß sie ihm eine Aufgabe stellen musse.

Sie wischte seinen Mund mit einem Taschentuch ab und sagte: »Dieses Taschentuch mußt du mir morgen früh vorzeigen, oder du wirst geköpft.« Und damit steckte sie es in ihren Halsausschnitt. Voller Sorge ging der Prinz zu Bett, aber Jacks alles verratende Mütze gab eine Möglichkeit, die Aufgabe zu lösen. Um Mitternacht rief die Lady ihr Hausgespenst und ließ sich zu Luzifer tragen. Aber Jack zog den unsichtbar machenden Mantel und seine Siebenmeilenstiefel an und war genauso schnell da wie sie. Sie gab dem Teufel das Taschentuch, und der legte es auf ein Regal, von dem Jack es schnell wegnahm und seinem Herrn brachte, der es am nächsten Morgen der Lady vorwies und dadurch sein Leben rettete.

An diesem Tage gab sie dem Prinzen einen Kuß und erklärte, am



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nächsten Morgen müsse er ihr die Lippen vorweisen, die sie in der Nacht küssen würde, sonst müsse er sterben.

»Ach«, rief er, »wie gern möchte ich das, wenn du keine anderen als die meinen küßt!«

»Das kommt gar nicht in Frage«, antwortete sie. »Wenn du es nicht kannst, bist du des Todes!«

Um Mitternacht ging sie wiederum den gleichen Weg und schalt den Teufel, weil er das Taschentuch hergegeben habe. »Aber heute«, rief sie, »werde ich die Aufgabe für den Königssohn unlösbar machen, denn dich werde ich küssen, und deine Lippen soll er mir dann vorzeigen.« Sie tat es. Als sie gegangen war, schnitt Jack Luzifers Kopf ab und brachte ihn unter dem unsichtbar machenden Mantel seinem Herrn, der ihn am nächsten Morgen an den Hörnern vor die Lady zerrte.

Da wurde der Zauber gebrochen, der böse Geist fuhr aus ihr heraus, und sie stand nun in all ihrer Schönheit vor dem Prinzen. Schon am nächsten Morgen fand die Hochzeit statt, und gleich danach ging es an König Arthurs Hof zurück, wo Jack um seiner Heldentaten willen zum Ritter der Tafelrunde geschlagen wurde.

Jack zog nun von neuem aus, um Riesen zu vernichten, und war noch nicht weit geritten, als er eine Höhle sah, in deren Nähe ein Riese auf einem Baumstamm saß. Der Riese hatte eine gewaltige eiserne Keule neben sich. Seine hervorquellenden Augen waren wie feurige Flammen, sein Aussehen grimmig und wild, seine Backen wie ein paar schweinerne Speckseiten, und eine Art Locken, die bis auf seine muskelbepackten Schultern fielen, sahen wie sich ringelnde Schlangen oder zischende Nattern aus.

Jack sprang von seinem Pferd, und im Schutze seines unsichtbaren Mantels ganz nahe herangehend, sagte er leise: »Ach, da bist du ja. Warte nur, gleich werde ich dich fest am Bart zausen!« Der Riese konnte ihn aber wegen des unsichtbar machenden Mantels nicht sehen, so daß Jack, noch näher an das Ungeheuer herantretend, einen Streich mit seinem Schwert gegen den glotzenden Kopf führte, sein Ziel verfehlte und nur die Nase abschnitt. Da brüllte der Riese auf, als ob Donner rollte, und schlug mit seiner eisernen Keule wie irre



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um sich. Jack aber, zurückspringend, stieß sein Schwert bis zum Heft in den Rücken des Riesen, so daß dieser tot umfiel. Jetzt schnitt Jack ihm den Kopf ab und sandte ihn zugleich mit dem seines Riesenbruders durch einen Fuhrmann zu König Arthur.

Jack wollte nun in der Höhle des Riesen nach Schätzen suchen. Nachdem er viele Windungen und Wendungen hinter sich gelassen hatte, kam er zuletzt in einen großen, mit Sandstein gepflasterten Raum, an dessen oberem Ende ein kochender Kessel stand und daneben, rechter Hand, ein mächtiger Tisch, an dem der Riese zu essen pflegte. Dann trat Jack an ein vergittertes Fenster, und als er hindurchschaute, sah er eine Unmenge elende Gefangene, die, als sie ihn erblickten, aufschrien: »Ach, junger Mann, kommst auch du zu uns in diese schreckliche Höhle?«

»Ja«, sagte Jack, »doch sagt mir bitte, weshalb ihr hier gefangen seid?«

»Wir werden hier festgehalten«, antwortete einer, »um den Riesen als Fraß zu dienen, wenn sie ein Festmahl halten wollen. Dann wird immer der Dickste von uns geschlachtet. Und dauernd fressen sie Menschen, die sie umbringen.«

»So ist das?« rief Jack entsetzt, riß mit einem gewaltigen Ruck das Tor auf und schenkte ihnen die Freiheit wieder. Und sie alle konnten sich kaum vor Freude fassen. Sie waren wie Verdammte, denen in letzter Stunde Gnade geschenkt wird. Dann holte Jack die Kisten und Kästen des Riesen herbei, die von Gold und Silber überquollen, teilte alles unter ihnen auf und nahm sie mit auf ein benachbartes Schloß, wo sie alle zusammen ihre glückliche Befreiung feierten.

Doch mitten in ihre Fröhlichkeit stürzte ein Bote mit der Nachricht herein, Thunderdell, ein Riese mit zwei Köpfen, der vom Tode seiner Verwandten gehört hatte, sei aus den Tälern des Nordens aufgebrochen, um an Jack Rache zu üben. Er sei nur noch eine Meile von dem Schloß entfernt, so daß die umwohnenden Landleute wie Spreu vor ihm davonstoben.

Jack war kein bißchen erschrocken, sondern sagte: »Laßt ihn nur kommen! Ich hab' schon das richtige Werkzeug, um ihm den Zahn zu ziehen. Und ihr, Damen und Herren, geht hinaus in den Garten.



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Ihr sollt Zeugen von Tod und Untergang des Riesen Thunderdell sein.«

Die Burg lag mitten auf einer kleinen Insel, die von einem dreißig Fuß tiefen und zwanzig Fuß breiten Graben umschlossen war, über den eine Zugbrücke führte. Jack ließ nun die Brücke ungefähr in der Mitte nach beiden Seiten zu ansägen. Dann ging er in dem unsichtbar machenden Mantel und mit seinem scharfen Schwert dem Riesen entgegen. Zwar konnte der Riese Jack nicht sehen, doch roch er ihn beim Näherkommen und brach in die Drohung aus:

»Fe, fi, fo, fann,
ich rieche das Blut eines Englisch Manns!
Sei er noch lebend, sei er schon tot,
ich zermahle seine Knochen und fresse sie statt Brot.«


***
»Meinst du?« rief Jack. »Dann bist du ein grausiger Müller fürwahr.

Darauf schrie der Riese: »Bist du der Kerl, der meine Verwandten umgebracht hat? Dann will ich dich mit meinen Zähnen zerreißen, dein Blut trinken und deine Knochen zu Pulver zerstäuben.«

»Erst mußt du mich haben«, gab Jack zurück, warf seinen unsichtbar machenden Mantel ab, damit der Riese ihn sehen konnte, zog sich schnell die Siebenmeilenstiefel an und lief vor dem Riesen auf und ab, der wie eine wandernde Burg hinter ihm hertrabte, so daß die Erde bei jedem seiner Schritte bebte. Jack ließ ihn lange so herumjagen, damit die Damen und Herren es wohl sehen könnten. Zuletzt aber eilte er, dem Schauspiel ein Ende machend, leichtfüßig über die Zugbrücke, und der Riese stampfte wutschnaubend und seine Keule schwingend hinterher. Als er in die Mitte der Brücke kam, brach diese unter dem gewaltigen Gewicht des Riesen durch, und dieser stürzte kopfüber ins Wasser, wo er sich wie ein Wal wälzte und wendete. Jack, am Ende des Burggrabens stehend, lachte ihn eine ganze Zeit lang aus, während der Riese vor Wut tobte, sich so verspottet zu sehen, nur in dem Wassergraben hin und her torkelte und doch nicht heraus konnte, um sich zu rächen. Schließlich nahm Jack



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ein dickes Zugseil, warf es über die zwei Köpfe des Riesen und zog sie durch ein starkes Pferdegespann ans Ufer, schnitt beide Köpfe dann mit seinem scharfen Schwert ab und sandte sie an König Arthur.

Nach einer in Frieden und Freuden verbrachten Ruhezeit am Hofe nahm Jack wiederum Abschied von den Rittern und Edeifrauen, um zu neuen Abenteuern auszuziehen. Er kam durch viele dichte Wälder und langte endlich am Fuß eines hohen Gebirges an. Hier fand er zu nächtlicher Stunde ein einsames Haus und klopfte an die Tür, die von einem alten Mann mit schneeweißem Haar geöffnet wurde. »Ehrwürdiger Vater«, fragte Jack, »würdet Ihr wohl einem Wanderer, der von der Nacht überfallen wurde und sich verirrte, Unterkunft gewähren?« —»Ja«, sagte der Greis, »sei willkommen in meiner einfachen Hütte.«Daraufhin trat Jack ein. Sie setzten sich, und der Alte begann zu erzählen: »Mein Sohn, an deinem Gürtel ersehe ich, daß du der große Riesentöter bist. Nun sieh, mein Sohn, auf dem Gipfel jenes Berges da steht ein verzaubertes Schloß, das von einem Riesen namens Galligantua bewacht wird. Er lockte mit Hilfe eines alten Zauberers viele Ritter und edle Frauen in sein Schloß, wo sie durch Zauberkünste in verschiedene Gestalten und Wesen verwandelt wurden. Vor allem trauere ich um die Tochter eines Herzogs, die sie aus dem väterlichen Garten raubten und in einem flammenden, von feuerspeienden Drachen gezogenen Wagen durch die Luft entführten, um sie hier im Schloß in eine weiße Hirschkuh zu verwandeln. Viele, viele Ritter haben schon versucht, den Zauber zu brechen und sie zu befreien, doch keiner vermochte es, weil zwei gewaltige Greife das Schloßtor bewachen und jeden umbringen, der sich nähert. Du aber, mein Sohn, kannst ungesehen an ihnen vorüber. Ober dem Schloßtor steht zu lesen, in Stein gemeißelt, wie der Bann zu lösen ist.«Jack gab dem alten Mann die Hand darauf: Er würde am nächsten Tag aufbrechen und sein Leben für die Befreiung der Herzogstochter wagen.

Am Morgen zog er auch davon, nahm seinen unsichtbar machenden Mantel, seine Zauberkappe und die Wunderschuhe und bereitete sich auf den Kampf vor. Als er den Gipfel des Berges erreicht hatte,



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entdeckte er sofort die beiden Greife, ging aber dank seines unsichtbar machenden Mantels furchtlos zwischen ihnen hindurch. Nachdem diese Gefahr überwunden war, fand er am Schloßtor eine goldene, an silberner Kette hängende Trompete. Darunter befanden sich die Worte:
»Wer die Trompete läßt erklingen,
wird schnellen Tod dem Riesen bringen,
der schwarze Zauber ist vorbei,
und jeder wieder glücklich sei.«


***
Kaum hatte Jack das gelesen, als er auch schon gewaltig in die Trompete stieß, worauf die Burg in ihren Grundfesten erschüttert wurde. Riese und Zauberer packte das Entsetzen. Sie zerbissen sich die Finger und rauften sich die Haare, wohl wissend, daß ihre schlimme Herrschaft jetzt zu Ende ging. Als sich der Riese bückte, um nach seiner Keule zu greifen, schlug Jack ihm mit einem einzigen Schlag den Kopf ab. Da wirbelte sich der Zauberer schleunigst in die Luft hinauf und ließ sich von einer Windwolke davontragen. Nun war die Verzauberung gebrochen, und alle Damen und Herren, die so lange Zeit in Vögel und anderes Getier verwandelt gewesen waren, erhielten ihre eigene Gestalt wieder. Die ganze Burg aber versank in einer gewaltigen Rauchwolke.

Nachdem dies alles geschehen war, verfuhr Jack mit dem Kopf Galligantuas wie mit den anderen Riesenköpfen: Er sandte ihn an König Arthurs Hof, wohin auch er am nächsten Tage zog, zusammen mit den Rittern und Edelfrauen, die er befreit hatte. Der König erhob ihn aus Dankbarkeit für seine getreuen Dienste zum Herzog und gab dem tapferen Helden seine Tochter zur Frau. Also heirateten sie, und das ganze Königreich war über diese Hochzeit hoch erfreut. Später ließ der König für Jack ein prächtiges Schloß bauen und schenkte ihm alle Ländereien ringsum. Und Jack und seine schöne Frau lebten von nun an glücklich und in Frieden bis ans Ende ihrer



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Das Nüsse knackende Käthchen

Es waren einmal ein König und eine Königin, so wie es sie in vielen Ländern gibt. Der König hatte eine Tochter namens Ännchen, und die Königin hatte eine namens Käthchen. Doch Ännchen war viel hübscher als die Tochter der Königin. Die beiden liebten sich innig wie richtige Schwestern. Die Königin war neidisch auf die Tochter des Königs, weil die so viel schöner als ihre eigene war, und sann darauf, diese Schönheit zu vernichten. Sie erbat eine Zauberin zur Hilfe. Zu der sollte sie das Mädchen am nächsten Morgen schicken, bevor es etwas gegessen hatte.

Drum sagte die Königin am nächsten Tag in der Frühe zu Ännchen: »Mein Kind, gehe gleich zur Zauberin in der Bergschlucht und bitte sie um ein paar Eier.« Ännchen machte sich auf; doch als sie durch die Küche ging, lag da eine Brotkruste, und Ännchen nahm sie und knabberte sie unterwegs auf. Als sie zur Zauberin kam, bat Ännchen um Eier, wie es ihr aufgetragen worden war. Die Zauberin sagte: »Nimm den Deckel von dem Topf da ab und schau nach!« Das Mädchen tat es, aber nichts geschah. »Geh heim zu deiner lieben Mutter und sage ihr, sie solle besser auf ihre Speisekammer aufpassen!« sagte die Zauberin. Also ging Ännchen nach Hause und richtete der Königin aus, was die Zauberin ihr aufgetragen hatte. Nun wußte die Königin, daß das Mädchen etwas gegessen hatte, paßte am nächsten Morgen scharf auf und schickte sie nüchtern fort. Aber Ännchen traf auf ihrem Wege einige Landleute, die Erbsen pflückten, und sprach freundlich mit ihnen, nahm eine Handvoll Erbsen und aß sie unterwegs.

Als sie zur Zauberin kam, sagte diese: »Heb den Deckel vom Topf, und da wirst du was sehen.« Ännchen hob den Deckel hoch, aber nichts geschah. Da wurde die Zauberin richtig böse und sagte zu Annchen: »Sag deiner Mutter, der Topf kann nicht kochen, wenn kein Feuer darunter brennt!« Ännchen ging heim und richtete das der Königin aus.

Am dritten Tag ging die Königin selber mit dem Mädchen zur Zaubenn. Nun, als Ännchen diesmal den Deckel abhob, fiel ihr eigener



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hübscher Kopf hinein, und heraus sprang statt seiner ein Schafskopf.

Jetzt war die Königin sehr zufrieden und wandte sich beruhigt nach Hause.

Ihre eigene Tochter indessen, Käthchen, nahm ein hauchfeines leinenes Gespinst, wickelte es um den Kopf ihrer Schwester, nahm diese bei der Hand, und sie gingen zusammen fort, um draußen in der Welt ihr Glück zu versuchen. Sie gingen und gingen und gingen, bis sie zuletzt zu einem Schloß kamen. Käthchen klopfte an und bat für sich und ihre kranke Schwester um ein Nachtlager. Sie wurden eingelassen und hörten, es sei das Schloß eines Königs, der zwei Söhne hatte, von denen der eine sterbenskrank dahinsieche und niemand mehr ein Heilmittel für ihn wisse. Und das Merkwürdige dabei war, daß, wer auch immer eine Nachtwache bei ihm hielt, niemals wieder gesehen wurde. Deswegen hatte der König jedem, der bei dem Prinzen wachen wollte, eine Menge Silber versprochen. Nun war Käthchen ein braves und furchtloses Mädchen und erklärte sich bereit, bei ihm zu wachen.

Bis Mitternacht ging alles gut. Doch als die Uhr zwölf schlug, erhob sich der Prinz, zog sich an und schlich die Treppe hinunter. Käthchen folgte ihm, doch schien er sie gar nicht zu sehen. Der Prinz ging zum Stall, sattelte sein Pferd, rief seinen Hund, sprang auf, und Käthchen sprang schnell hinter ihn.

Dahin ritt der Prinz und mit ihm Käthchen durch den lichten Wald. Im Vorbeireiten pflückte Käthchen allerlei Nüsse von den Bäumen und füllte sie in ihre Schürze. Sie ritten immerzu, bis sie zu einem grünen Hügel kamen. Der Prinz hielt an und rief: »Offne dich, öffne dich, grüner Hügel, und laß den jungen Prinzen herein mit seinem Pferd und seinem Hund!«Und Käthchen fügte schnell hinzu: »Und mit seinem Fräulein hinter sich.«

Sofort tat sich der grüne Hügel auf, und sie kamen hinein. Der Prinz betrat einen herrlich strahlenden Saal, und viele wunderschöne Feen umringten ihn, die ihn zum Tanz aufforderten. Käthchen, die von niemandem bemerkt worden war, verbarg sich inzwischen hinter der Tür. Von da sah sie den Prinzen tanzen und tanzen und tanzen,



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bis er nicht länger zu tanzen vermochte und ohnmächtig auf eine Lagerstatt fiel. Gleich fächelten die Feen ihm stets so viel Erfrischung zu, daß er wieder aufstehen und von neuem tanzen konnte.

Zuletzt krähte der Hahn, und der Prinz hastete zu seinem Pferd. Käthchen sprang wieder hinter ihm auf, und heimwärts ritten sie. Als die Sonne aufging, kam man in das Zimmer des Prinzen und fand das Käthchen am Feuer sitzen und Nüsse knacken. Sie sagte, der Prinz habe eine gute Nacht gehabt, doch sie wolle nur nochmals für ihn wachen, wenn man ihr dafür eine Menge Gold gäbe. Die zweite Nacht verging genau wie die erste. Der Prinz erhob sich um Mitternacht und ritt fort zu dem grünen Hügel zum Ball der Feen, und Käthchen ritt mit ihm und pflückte Nüsse, wenn sie durch den Wald kamen. Diesmal beobachtete sie den Prinzen nicht länger, denn sie wußte, er würde tanzen und tanzen und tanzen. Aber sie sah ein Feenkind mit einem Zauberstab spielen und erlauschte, wie eine der Feen sagte: »Drei Schläge mit diesem Zauberstab würden Käthchens kranke Schwester wieder so schön wie früher machen.« Daraufhin ließ Käthchen Nüsse zu dem Feenkind rollen und immer neue hinrollen, bis das Kind zuletzt doch hinter den Nüssen herlief und dabei den Stab verlor, den Käthchen schnell an sich nahm und in ihrer Schürze barg. Beim Hahnenschrei ritten sie wieder davon, und gleich als Käthchen in ihr Zimmer kam, berührte und schlug sie Ännchen dreimal mit dem Zauberstab, und der gräßliche Schafskopf fiel ab, und sie war wieder sie selbst, zart und schön. Noch eine dritte Nacht zu wachen, war Käthchen nur bereit, wenn man ihr den kranken Prinzen zum Gemahl geben wolle. Alles geschah wieder wie in den zwei Nächten zuvor. Diesmal spielte das Feenkind mit einem Vögelchen, und Käthchen erlauschte, wie eine der Feen sagte: »Drei Bissen von diesem Vögelchen würden den Prinzen wieder ganz gesund machen und unseren Zauber brechen.« Käthchen rollte alle Nüsse, die sie hatte, auf das Feenkind zu, bis es das Vögelchen hinwarf und Käthchen es schnell in ihre Schürze steckte.

Wieder brachen sie beim ersten Hahnenschrei auf. Aber anstatt wie sonst Nüsse zu knacken, rupfte Käthchen das Vögelchen und kochte es dann. Sofort verbreitete sich ein herrlicher Ruch. »Ach!« rief der



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kranke Prinz. »Ich wünschte, ich bekäme nur einen einzigen Bissen von diesem Vögelchen«, woraufhin Käthchen ihm einen Bissen gab —und er stützte sich auf seinen Ellbogen hoch. Bald rief er wieder: »Wenn ich doch nur einen Bissen von diesem Vögelchen bekäme!«, und Käthchen gab ihm einen zweiten Bissen - und er konnte im Bett aufrecht sitzen. Und wieder bat er: »Ach, wenn ich doch nur noch einen dritten Bissen von diesem Vögelchen hätte!« Nun gab Käthchen ihm auch den dritten Bissen - und er wurde sofort gesund und stark und zog sich an und setzte sich ans Feuer. Und als die Leute am nächsten Morgen nachsehen kamen, sahen sie, wie Käthchen und der junge Prinz miteinander Nüsse knackten.

Inzwischen hatte sein Bruder Ännchen gesehen und sogleich liebgewonnen, wie es ja jedem erging, der ihr schönes und helles Gesicht sah. So heiratete der kranke Sohn die gesunde Schwester, und der gesunde Sohn heiratete die kranke Schwester, und alle lebten sie glücklich.


Esel, Tisch und Knüppel

Ein junger Mensch namens Jack war einmal sehr unglücklich zu Hause, weil sein Vater ihn schlecht behandelte, so daß er fortzulaufen beschloß und sein Glück draußen in der Welt suchen wollte. Er lief und lief, bis er nicht mehr weiter konnte und einer kleinen alten Frau fast in die Arme fiel, die Holz sammelte. Er war so außer Atem, daß er sich nicht einmal entschuldigen konnte, aber es war eine sehr freundliche Frau, die meinte, er wäre gewiß ein ordentlicher Bursche, und so wolle sie ihn in ihre Dienste nehmen und dafür gut bezahlen. Er war einverstanden, denn er hatte großen Hunger. Sie führte ihn zu ihrem Haus im Walde, wo er zwölf Monate und einen Tag diente. Als die Zeit um war, rief sie ihn zu sich und sagte, sie habe guten Lohn für ihn. Sie beschenkte ihn mit einem Esel aus ihrem Stall, und Jack brauchte nur Nells Ohren zu kraulen, damit dieser i-ah rief. Und wenn er so schrie, fielen aus seinem Maul silberne Sechspencestücke und halbe Taler und Golddukaten. Der Bursche war über diesen Lohn recht froh und wanderte weiter, bis



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er ein Wirtshaus erreichte. Hier bestellte er vom Besten, was es gäbe, und als der Wirt sich weigerte, ihm etwas zu bringen, wenn er nicht vorher bezahle, ging er in den Stall, kraulte seines Esels Ohren und hatte auch schon die Tasche voll Geld. Der Wirt hatte das alles durch einen Türspalt beobachtet, und in der folgenden Nacht vertauschte er einen seiner gewöhnlichen Esel mit dem kostbaren Neu des armen Jungen. Also machte sich Jack, der ja nichts von der Vertauschung wußte, am nächsten Morgen nach seines Vaters Haus auf den Weg. Nun muß ich aber noch berichten, daß in seiner Heimat eine arme Witwe mit ihrer einzigen Tochter lebte. Der junge Bursche und das Mädchen waren treue Freunde und Liebende, doch als Jack seinen Vater bat, das Mädchen heiraten zu dürfen, war die Antwort: »Du wirst niemals so viel Geld haben, um sie ernähren zu können.« — »Jetzt habe ich es, Vater!« rief der heimgekehrte Bursche, ging zu dem Esel und kraulte seine langen Ohren. Ja, er kraulte und kraulte —aber der Esel schrie zwar ein 1-ah nach dem anderen, ließ aber weder halbe Taler noch ganze Dukaten fallen. Der Vater griff nach einer Heugabel und jagte seinen Sohn aus dem Hause. Ich kann euch sagen, der ist aber gerannt! Er lief und lief, bis er gegen eine Tür knallte und hineinpurzelte, und das war nun eine Tischlerei.

»Du bist ein netter Bursche«, sagte der Tischler, »arbeite bei mir zwölf Monate und einen Tag, und ich will dich gut bezahlen.« Er war einverstanden und arbeitete bei dem Zimmermann ein Jahr und einen Tag.

»Nun sollst du deinen Lohn haben«, sagte der Meister und gab ihm einen Tisch mit der Erklärung, er brauche nur zu sagen: »Tischlein deck dich«, dann würde der Tisch mit einer Menge schönster Dinge zum Essen und Trinken bedeckt sein.

Jack packte sich den Tisch auf den Rücken und ging los, bis er zum Gasthof kam. »Los, Wirt«, rief er, »ein Essen, und zwar vom Besten!«

»Tut mir leid, aber es ist nichts im Haus als Schinken und Eier.« »Was, nur Schinken und Eier!« rief Jack aus. »Da kann ich Besseres leisten! —Komm, mein Tischlein, deck dich!«

Und eins, zwei drei, stand der Tisch voller Truthahn und Würsten,



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geröstetem Hammelfleisch, Kartoffeln und Gemüsen. Der Wirt riß die Augen auf, sagte aber kein Wort, nein, nicht ein einziges.

Inder Nacht aber holte er vom Boden einen Tisch, der dem von Jack ähnlich sah, und vertauschte die beiden. Jack, keineswegs klüger geworden, nahm sich am anderen Morgen den wertlosen Tisch auf den Rücken und schleppte ihn nach Hause. »Nun, Vater, darf ich jetzt meine Liebste heiraten?« fragte er.

»Nur wenn du sie ernähren kannst!« antwortete der Vater.

»Sieh denn hier, Vater!«rief Jack aus. »Ich habe einen Tisch, der alles auffährt, was ich verlange.«

»Zeig es mir«, sagte der alte Mann.

Der Bursche setzte den Tisch mitten in die Stube und verlangte, er solle sich decken. Aber vergeblich. Der Tisch blieb leer. Wütend riß der Vater die noch heiße Bratpfanne von der Wand herunter und wärmte damit den Rücken seines Sohnes derart, daß der Bursche heulend aus dem Hause floh und rannte und rannte, bis er einen Fluß erreichte, in den er sich hineinstürzte. Ein Mann holte ihn heraus und bat um seine Hilfe beim Bau einer Brücke über den Fluß. Der Bursche legte einen Baumstamm darüber, kletterte in den Baumwipfel und beschwerte ihn durch sein Gewicht, so daß, als der Mann den Baum umlegte, Jack und Baumwipfel auf die andere Uferseite fielen.

»Ich danke dir«, sagte der Mann. »Und nun sollst du auch für deine Arbeit bezahlt werden.« Damit brach er einen Ast von dem Baum und gab ihm mit seinem Messer die Form einer Keule. »Hier«, sagte er, »nimm diesen Knüppel. Und wenn du zu ihm sagst: >Los, Knüppel, schlag zu!<, wird er jeden niederschlagen, der dich erzürnt.« Über diesen Knüppel freute sich Jack ganz besonders, denn jetzt ging er sofort in jenes Wirtshaus zurück, und sobald der Wirt kam, rief Jack nur: »Los, Knüppel, schlag zu!« Und schon flog der Knüppel aus seiner Hand und verprügelte den Rücken des alten Bösewichts, schlug ihn auf den Schädel, sauste nur so seine Arme entlang, bearbeitete seine Rippen, bis er schreiend zu Boden fiel, und so lange ließ Jack den Knüppel auf den am Boden Liegenden herumtanzen, bis dieser ihm den gestohlenen Esel und Tisch wiedergab. Dann



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jagte Jack, den Tisch auf der Schulter, den Knüppel in der Hand, den Esel am Seil, heimwärts. Als er zu Hause anlangte, war sein Vater inzwischen gestorben. Er brachte den Esel in den Stall und kraulte ihm so lange die Ohren, bis die Krippe voller Geld lag.

Die Kunde, daß Jack im Geld schwimmend zurückgekommen sei, hatte sich wie ein Lauffeuer in der Stadt verbreitet, und alle Mädchen warfen nun ihre Netze nach ihm aus. »Nun«, sagte Jack, »ich will das reichste Mädchen von hier heiraten. Also stellt euch morgen alle vor meinem Hause auf mit eurem Geld in der Schürze.«

Am nächsten Morgen war die Straße voll von Mädchen mit umgebundenen Schürzen, in denen Gold und Silber lag. Auch Jacks Liebste war unter ihnen. Sie hatte aber weder Gold noch Silber, nichts als zwei Kupferpfennige. Das war alles, was sie besaß.

»Stell dich beiseite, Mädchen«, sagte Jack zu ihr in scheinbar barschem Ton. »Du hast weder Gold noch Silber, tritt zurück von den anderen.« Sie gehorchte, während ihr Tränen die Wange entlangliefen und ihre Schürze mit reinen Diamanten füllten.

»Los, Knüppel, schlag zu!« rief Jack, und der Knüppel sprang los und raste die Mädchenreihe entlang und schlug sie, bis sie bewußtlos zu Boden fielen. Jack nahm all ihr Geld und gab es seiner Treugeliebten. »Nun, Liebste«, rief er, »du bist die reichste, und nur dich will ich heiraten.«


Die Salbe der Feen

Frau Goody war eine Pflegerin, die zu kranken Leuten und zu kleinen Kindern kam. Einmal wurde sie um Mitternacht geweckt, und als sie herunterschaute, stand draußen ein seltsamer schieläugiger, kleiner, häßlicher, ältlicher Mann, der sie bat, zu seiner Frau zu kommen, weil sie zu krank sei, um selbst ihr Kind zu versorgen. Frau Goody mochte den Blick des alten Kerls ganz und gar nicht, aber Geschäft ist Geschäft, und so packte sie ihre Siebensachen zusammen und ging zu ihm hinunter. Und als sie zu ihm trat, wirbelte er sie geradezu auf ein großes kohlschwarzes Pferd mit feurigen Augen, das am Tor stand, und schon flogen sie in einem Tempo davon,



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daß Frau Goody den gespenstischen Alten für den grausamen Tod selber hielt.

Sie jagten und jagten durch die Nacht, bis sie zuletzt jäh vor einer Hüttentür hielten. Sie stiegen ab, gingen hinein und fanden die Frau zu Bett, während die Kinder umherspielten und das kleinste, ein schöner und stattlicher Knabe, neben der Frau lag.

Frau Goody nahm das Baby auf, ein so bildhübscher Junge, wie ihr ihn gewiß auch gern gesehen hättet. Als die Mutter Frau Goody das Kind überließ, gab sie ihr zugleich eine Schachtel Salbe mit der Anweisung, die Augen des Kindes damit zu bestreichen, sobald es sie öffnete. Nach einiger Zeit tat es auch langsam die Augen auf. Frau Goody sah, daß es genauso schielende Augen wie sein Vater hatte. Sie nahm die Salbe und bestrich damit die beiden Augenlider. Aber sie konnte sich nicht helfen, sie mußte sich darüber wundern, wozu das wohl gut sein sollte, hatte sie bisher doch nie gesehen, daß man das tat. Sie paßte auf, ob jemand zu ihr hinblickte, und als sie sich unbeobachtet glaubte, bestrich sie ihr eigenes rechtes Augenlid mit der Salbe. Kaum hatte sie das getan, da schien ihr alles ringsumher verändert. Die Hütte sah prächtig eingerichtet aus. Die Mutter im Bett war eine wunderschöne, in weiße Seide gehüllte Dame. Das kleine Kind war noch viel schöner als zuvor und seine Kleidung wie aus silbriger Gaze gewebt. Seine kleinen Brüder und Schwestern rund um das Bett waren flachnasige Teufelchen mit spitzen Ohren, die einander Grimassen schnitten und sich die Köpfe zerkratzten. Dazwischen wollten sie die kranke Frau mit ihren langen und behaarten Krallen an den Ohren ziehen. Jedenfalls waren sie zu jeder Art Unfug bereit, und Frau Goody wußte nun, daß sie in ein Haus der Irrlichter geraten war. Doch sie sagte nichts und sprach zu niemandem, und sobald die Frau so weit genesen war, um selbst für ihr Kind sorgen zu können, bat sie den Alten, sie wieder nach Hause zu bringen.

Und er kam mit dem kohlschwarzen Pferd, das so feurige Augen hatte, an die Tür, und fort ging es, so schnell wie das erstemal oder beinahe noch etwas schneller, bis sie zu Frau Goodys Haus kamen, wo der schieläugige Alte sie absetzte und verließ, nachdem er höflich



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gedankt und sie so reichlich bezahlt hatte, wie sie für ihre Arbeit noch nie zuvor bezahlt worden war. Zufällig war am nächsten Morgen Markttag. Da Frau Goody länger von Haus fortgewesen war, brauchte sie allerlei und ging deshalb auf den Markt. Als sie die notwendigen Eßwaren kaufte, wen sah sie da, wenn nicht den seltsamen schieläugigen Kerl, der sie auf dem kohlschwarzen Pferd zu dem Kinde geholt hatte? Und könnt ihr euch vorstellen, was er tat? Er ging von Stand zu Stand und nahm von jedem etwas mit, hier ein paar Früchte, da ein paar Eier und so fort, und niemand schien es zu bemerken. Zwar hielt es Frau Goody nicht für richtig, sich einzumischen, doch hielt sie es für nötig, einem solchen Burschen ein Wörtchen zu sagen. Sie drängte sich also zu ihm durch, verbeugte sich höflich und sprach: »Guten Tag, mein Herr, ich hoffe, daß es Ihrer lieben Frau und dem Kleinen so gut wie nur.

Doch sie konnte nicht vollenden, was sie sagen wollte, denn der sonderbare Alte schaute überrascht auf und rief: »Was, Ihr könnt mich am hellichten Tag sehen?«

»Natürlich sehe ich Sie«, antwortete sie. »Selbstverständlich sehe ich Sie, so klar, wie ich die Sonne am Himmel und alles andere sehe«, bekräftigte sie. »Ich sehe, Sie sind auch eilig und am Einkaufen.«

»Ach, Ihr seht mir zuviel«, rief er aus. »Sagt bloß, mit welchem Auge könnt Ihr das alles sehen?«

»Mit dem rechten, das ist ganz gewiß«, antwortete sie, stolz darauf, daß sie ihn ertappt hatte.

»Die Salbe! Die Salbe!« rief der alte Irrlichter-Dieb aus.

»Nehmt das, weil Ihr Euch um Dinge gekümmert habt, die Euch nichts angehen. Nie wieder sollt Ihr mich sehen.« Und damit schlug er sie auf das rechte Auge, und sie konnte ihn nicht mehr sehen. Und, viel schlimmer, sie war von dieser Stunde an auf dem rechten Auge blind und blieb es bis zur Stunde ihres Todes.



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Der Brunnen am Ende der Welt

Es war einmal eine Zeit, und es war eine sehr schöne Zeit, obgleich es nicht meine Zeit noch deine Zeit, noch irgend jemandes Zeit war, da lebte ein Mädchen, dessen Mutter gestorben war und dessen Vater wieder geheiratet hatte. Und die Stiefmutter haßte es, weil es viel schöner als sie selbst war, und behandelte es sehr grausam. Sie ließ es alle Mägdearbeit tun und gönnte ihm kein Ausruhen. Zuletzt dachte die Stiefmutter sich noch etwas aus, um es ein für allemal loszuwerden. Sie gab ihm ein Sieb und sagte: »Geh und fülle es im Brunnen am Ende der Welt und bringe es vollgefüllt nach Hause, sonst wird es dir schlecht ergehen.« Denn sie glaubte, es würde ihr nie gelingen, den Brunnen am Ende der Welt zu finden, und wenn es ihr doch gelang, wie sollte sie ein Sieb voll Wasser nach Hause bringen?

Nun machte sich das Mädchen auf den Weg und fragte jeden, den es traf, wo der Brunnen am Ende der Welt sei. Doch niemand konnte es ihr sagen, und sie wußte nicht mehr, was tun, als ein sonderbares kleines, altes, gekrümmtes Weiblein ihm sagte, wo er stünde und wie es hinkäme.

Das Mädchen richtete sich danach und kam auch zuletzt bei dem Brunnen an. Doch als sie das Sieb in das kalte, eiskalte Wasser tauchte, rann es hindurch. Sie versuchte es wieder und wieder, aber jedesmal war es das gleiche, und zuletzt saß sie verzweifelt da und weinte, als sollte ihr das Herz brechen.

Plötzlich hörte sie eine quakende Stimme. Sie blickte auf und sah einen großen Frosch, der sie mit seinen Glotzaugen ansah und fragte:

»Was hast du, liebes Mädchen?«

»Ach, du guter Frosch«, antwortete sie, »meine Stiefmutter hat mich auf diesen weiten Weg bis hierher geschickt, damit ich das Sieb mit Wasser aus dem Brunnen am Ende der Welt hole, und es gelingt mir nicht, es darin festzuhalten.«

»Nun«, sagte der Frosch, »wenn du mir versprichst, eine Nacht hindurch zu tun, was ich will, dann sage ich dir, wie du es füllen kannst.«



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Das Mädchen versprach es, und der Frosch sagte:

»Stopf es mit Moos und beschmier es mit Sand,
dann trägst du es sicher bis hin in dein Land«,

und dann kam ein Hupf, ein Sprung, ein Plumps, und er verschwand im Brunnen am Ende der Welt.

Also suchte das Mädchen etwas Moos, polsterte das Sieb damit aus, streute darauf Sand, tauchte es nun wieder in den Brunnen am Ende der Welt und begab sich auf den Heimweg.

Da steckte der Frosch noch einmal seinen Kopf aus dem Brunnen und rief ihr nach: »Vergiß nicht dein Versprechen!«

»Nein, nein«, antwortete das Mädchen, denn es dachte: >Was kann ein Frosch mir schon viel tun?<

Sie kehrte also zu ihrer Stiefmutter zurück und brachte das Sieb voll Wasser aus dem Brunnen am Ende der Welt. Die Stiefmutter war überaus böse, ließ es sich aber nicht merken.

An demselben Abend hörten sie an der Tür drunten ein Tapp-Tapp, und eine Stimme rief herauf:

»Offne die Türe, mein Liebling, mein Kind,
öffne die Tür, mein Liebes.
Denkst du der Worte von dir und von mir
draußen beim Brunnen am Ende der Welt?«


***
»Wer kann denn das sein?« rief die Stiefmutter, und das Mädchen mußte ihr alles erzählen, auch was sie dem Frosch versprochen hatte.

»Versprochen ist versprochen«, sagte die Stiefmutter, »geh und öffne die Tür augenblicklich.« Denn sie war überaus froh, daß das Mädchen einem kalten, nassen Frosch gehorchen mußte.

Also ging das Mädchen und öffnete die Tür, und richtig, da saß der Frosch vom Brunnen am Ende der Welt. Und er hüpfte und hüpfte, und er sprang, bis er bei dem Mädchen war, und jetzt verlangte er:



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»Nimm mich empor, mein Liebling, mein Kind,
nimm mich aufs Knie, du mein Liebes.
Gedenke der Worte von dir und von mir
draußen beim Brunnen am Ende der Welt.«


***
Aber das Mädchen weigerte sich, bis die Stiefmutter sagte: »Augenblicklich nimmst du ihn auf den Schoß, du Frauenzimmer! Versprochen ist versprochen!«

Also nahm sie schließlich den Frosch auf ihren Schoß, und er lag da eine Zeitlang und sagte dann:

»Gib mir nun Essen, mein Liebling, mein Kind,
gib mir nun Essen, mein Liebes.
Gedenke der Worte von dir und von mir
draußen beim Brunnen am Ende der Welt.«


***
Nun, dagegen hatte sie nichts; also nahm sie eine Schüssel voll Milch, dazu Brot und fütterte ihn gut. Und als er fertiggegessen hatte, sagte er:
»Nimm mich ins Bett mit, mein Liebling, mein Kind,
nimm mich ins Bett mit, mein Liebes.
Gedenke der Worte von dir und von mir
draußen beim Brunnen am Ende der Welt.«


***
Doch da weigerte sich das Mädchen so lange, bis ihre Stiefmutter sagte:

»Tu, was du versprochen hast, du Störrische. Versprochen ist eben versprochen. Tu, was er verlangt, oder ich werfe dich samt ihm hinaus.«

Also nahm das Mädchen den Frosch mit in ihr Bett, hielt ihn sich aber so weit ab wie nur möglich.

Dann, als der Tag eben anbrach, was verlangte da plötzlich der Frosch?:



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»Hau ab meinen Kopf, mein Liebling, mein Kind,
hau ab ihn, mein einziges Liebes.
Gedenk des Versprechens, das du mir gabst
dort an dem Wasser, dem kühlen.«


***
Zuerst weigerte sich das Mädchen, denn sie mußte daran denken, wie gut der Frosch beim Brunnen am Ende der Welt zu ihr gewesen war. Doch als er seine Bitte wiederholte, stand sie auf und nahm eine Axt und schlug ihm den Kopf ab, und siehe da: Vor ihr stand ein stattlicher junger Prinz, der ihr erzählte, daß er von einer bösen Hexe verzaubert worden war und nie wieder erlöst und er selbst werden konnte, wenn nicht eine Jungfrau eine ganze Nacht hindurch alles tun würde, was er verlangte, und ihm dann zuletzt den Kopf abschlüge.

Wie überrascht war die Stiefmutter, als sie am Morgen statt des ekligen Frosches den jungen Prinzen erblickte, und sie war alles andere als erfreut, das könnt ihr mir glauben, als der Prinz erklärte, er werde ihre Stieftochter heiraten, weil sie ihn erlöst habe.

Sie heirateten also und zogen davon, um in dem Schloß seines Vaters, des Königs, zu leben, und das einzige, was die Stiefmutter tröstete, war der Gedanke, daß es nur durch sie so gekommen sei, daß ihre Stieftochter einen Prinzen zum Mann bekam.


Für später

Es lebte einmal ein Landmann namens Jan, und er lebte ganz allein in einem kleinen Bauernhaus.

Allmählich kam er auf den Gedanken, doch ganz gern eine Frau zu haben, die alles für ihn in Ordnung hielte.

So ging er um ein hübsches Mädchen werben und fragte sie: »Willst du mich heiraten?«

»Das will ich gern«, sagte sie.

So gingen sie zusammen zur Kirche und wurden getraut. Als die Trauung vorüber war, setzte sie sich hinter ihm aufs Pferd, und er



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brachte sie zu sich nach Hause. Und sie lebten so glücklich miteinander, wie der Tag lang war.

Einmal nun sagte Jan zu seinem Weibe: »Frau, kannst du melken?«

»O ja, Jan, ich kann melken. Mutter ließ mich immer melken, als ich noch zu Hause war.«

Also ging er auf den Markt und kaufte ihr zehn rote Kühe. Alles ging gut bis zu dem Tage, an dem sie sie zur Tränke an den Teich geführt hatte und dachte, sie tränken nicht genug. Deswegen trieb sie alle weiter in den Teich, damit sie mehr trinken sollten. Aber da ertranken sie alle.

Als Jan nach Hause kam, erzählte sie ihm erregt, was sie angestellt hatte, und er sagte: »Laß es gut sein, meine Liebe. Paß nächstes Mal besser auf!«

So ging es einige Zeit weiter, und eines Tages fragte Jan seine Frau:

»Frau, kannst du Schweine halten?«

»O ja, Jan, ich kann Schweine halten. Mutter hatte auch immer Schweine, als ich noch zu Hause war.«

Also ging Jan zum Markt und kaufte ein paar Schweine. Alles ging gut bis zu dem Tage, an dem sie Futter in den Trog geschüttet hatte und glaubte, die Tiere fräßen nicht genug, und sie drückte deren Rüssel in den Trog, damit sie mehr fräßen. Und alle erstickten. Als Jan nach Hause kam, berichtete sie erregt, was sie angestellt hatte, und er sagte: »Nun gut, reden wir nicht mehr davon, meine Liebe. Paß nächstes Mal besser auf.«

Und wieder ging es einige Zeit weiter, bis Jan eines Tages seine Frau fragte: »Frau, kannst du backen?«

»O ja, Jan, ich kann backen. Mutter ließ mich immer selbst backen, als ich noch zu Hause war.«

Also kaufte er seiner Frau alles, was sie brauchte, um Brot backen zu können. Alles ging eine Weile gut, bis sie eines Tages dachte, sie wolle weißes Brot backen, um Jan zu überraschen. Deshalb trug sie ihr grobes Mehl auf einen hohen Hügel, damit der Wind hindurchwehe. Sie dachte nämlich, der Wind würde alle Kleie darauspusten. Doch der Wind blies Mehl und Kleie und alles fort, so daß nichts mehr da war.



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Als Jan heimkam, berichtete sie aufgeregt, was sie wieder angestellt hatte, und er sagte: »Gut, gut, wir wollen nicht mehr davon reden.

Paß nächstes Mal besser auf.«

Und wieder ging es weiter, bis Jan eines Tages seine Frau fragte:

»Frau, kannst du Bier brauen?«

»O ja, Jan, ich kann Bier brauen. Mutter ließ mich auch immer Bier brauen, als ich noch zu Hause war.«

So kaufte er alles, was seine Frau brauchte, um Bier brauen zu können. Alles ging gut, bis eines Tages, als sie ihr Bier gebraut und ins Faß gefüllt hatte, ein großer schwarzer Hund hereingelaufen kam und sie anstarrte. Sie jagte ihn aus dem Haus, er aber blieb draußen vor der Tür stehen und starrte sie immer weiter an. Und sie bekam es so mit der Angst zutun, daß sie den Pflock aus dem Faß riß, damit nach dem Hund warf und ihn anschrie: »Was starrst du mich immerfort an? Ich bin die Frau von Jan.« Der Hund lief den Weg hinunter, und sie rannte hinterher, um ihn schnurstracks fortzutreiben. Als sie zurückkam, sah sie, daß alles Bier aus dem Faß ausgelaufen und nichts mehr vorhanden war.

Als Jan heimkam, berichtete sie ganz aufgeregt, was geschehen war, und er sagte: »Gut, gut, reden wir nicht mehr davon. Mach es das nächste Mal besser.«

Und wieder ging es eine Weile gut, bis die Frau eines Tages dachte: >Es wird Zeit, das Haus mal gründlich reinzumachen.< Als sie ihr großes Bett auseinandernahm, fand sie einen Grützebeutel unter dem Betthimmel. Als nun Jan nach Hause kam, fragte sie ihn ganz aufgeregt: »Jan, was für ein Hafersack ist das da unter dem Betthimmel?« — »Das ist für später, meine Liebe.«

Draußen vor dem Fenster stand aber grade ein Räuber und hörte, was Jan sagte. Am nächsten Tag wartete er, bis Jan zum Markt gegangen war, dann kam er und klopfte an die Tür. »Was wünschen Sie?«fragte Mally.

»Ich bin der Herr Später«, sagte der Räuber, »ich komme den Beutel mit Grütze holen.«

Da der Räuber sehr vornehm gekleidet war, dachte sie im stillen, es sei doch recht freundlich von so einem feinen Herrn, selbst wegen



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des Grützebeutels zu kommen. Deswegen lief sie schnell hinauf, holte den Grützebeutel und gab ihn dem Räuber, der damit schnell fortging.

Als Jan nach Hause kam, berichtete sie: »Ja, Herr Später hat den Grützebeutel abgeholt.«

»Was meinst du damit, Frau?«fragte Jan.

Also berichtete sie ihm genau, und er sagte: »Nun bin ich ein ruinierter Mann, denn es war das Geld, um unsere Pacht bezahlen zu können. Uns bleibt jetzt nichts anderes übrig, als die Welt zu durchstreifen, ob wir nicht den Grützebeutel wiederfinden können.« Dann hob er die Haustür aus den Angeln. »Das ist das einzige, worauf wir uns jetzt noch legen können«, seufzte er. Und so nahm Jan die Tür auf seinen Rücken, und sie zogen miteinander davon, um diesen Herrn Später zu suchen. Lange Zeit waren sie unterwegs, und Jan pflegte stets ihre Tür auf Zweige in einem Baum zu legen, damit sie dort darauf schlafen konnten. Eines Abends kamen sie an einen großen Hügel, an dessen Fuß ein mächtiger Baum stand. Also schleppte Jan die Tür auf den Baum, und sie gingen schlafen. Nach einiger Zeit hörte Jans Frau ein Geräusch und lugte herab, um zu sehen, was da los war. Es ging eine versteckte Tür im Hügel auf, und heraus kamen zwei feine Herren mit einem großen Tisch und hinter ihnen schön gekleidete Damen und Herren, von denen jeder einen Beutel heraustrug, und einer von ihnen war der Herr Später mit dem Grützebeutel. Sie setzten sich alle rundum und tranken und schwatzten und zählten alles Geld, das in den Beuteln war, auf den Tisch. Da weckte die Frau ihren Jan und fragte, was sie nun wohl machen sollten.

»Jetzt ist unsere Stunde gekommen«, flüsterte Jan zurück und schleuderte die Tür hinunter, und sie fiel mitten auf den Tisch, und die Räuber erschraken so, daß sie alle davonliefen. Jan und seine Frau stiegen jetzt aus ihrem Baum, nahmen so viel Säcke voll Geld, wie sie auf ihre Tür packen konnten, und schleppten sie schnurstracks nach Hause.

Und Jan kaufte seiner Frau viele Kühe und viele Schweine, und sie lebten von nun an in ungestörtem Glück miteinander.



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Johnny-Gloke

Johnny-Gloke war von Beruf Schneider. Da er aber einen aufgeweckten Geist besaß, wurde er des Schneiderns müde und wünschte etwas zu verrichten, das ihm Ehre und Ruhm einbringen würde. Zunächst wußte er nicht, wie er es anfangen sollte, zu Ruhm und Glück zu gelangen, und deswegen legte er sich einfach faulenzend in die Sonne, statt Nadel und Schere fleißig zu handhaben. An einem schönen warmen Tage aber, als er sich so seines Nichtstuns freute, wurde er durch Fliegen gestört, die sich auf seine bloßen Füße setzten. Er ließ seine Hand auf sie herunterklatschen und tötete ihrer eine ganze Anzahl. Als er nachzählte, wie viele sein kräftiger Schlag umgebracht hatte, war er über seinen Erfolg recht froh. Und wieder brannte sein Herz danach, große Taten zutun. Er gab seinem Gefühl mit den Worten Ausdruck:

»Johnny-Gloke tat das sogleich:
Fünfzig Fliegen auf einen Streich.«


***
Nun hatte sich sein Entschluß gefestigt, den Weg zu Glück und Ehre ausfindig zu machen. Er nahm ein rostiges altes Schwert an sich, das irgendeinem seiner Vorfahren gehört hatte, und verließ seinen Ruheplatz, um auf Abenteuer auszuziehen. Nach langer Wanderung kam er in ein Land, das von zwei Riesen verwüstet wurde, die niemand bezwingen konnte und denen wieder zu entkommen keiner stark genug war. Man erzählte ihm von den Riesen und auch, daß der König des Landes jenem, der sein Reich von dieser Plage befreie, eine hohe Belohnung und die Hand seiner Tochter versprochen habe. Johns Herz brannte danach, diese Taten zu vollbringen, und er erbot sich dazu. Die Riesen hausten in einem undurchdringlichen Wald, und dorthin begab sich nun John mit seinem rostigen Schwert, um seine Aufgabe zu vollenden. Als er den Wald erreichte, legte er sich erst einmal hin, um nachzudenken, was er wohl tun sollte, denn er wußte, wie schwach er im Vergleich zu jenen war, die er töten wollte. Er lag noch nicht lange, als er sie mit einem großen Lastwagen daherkommen sah, um Brennholz zu holen.


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Himmel auch! Was waren das für Riesenkerle mit schrecklichen Köpfen und ellenlangen schrecklichen Zähnen! Johnny verbarg sich in einem hohlen Baum und dachte vorerst nur an seine eigene Sicherheit. Da er sich hier gut versteckt wußte, lugte er vorsichtig aus seinem Schlupfwinkel und beobachtete die zwei bei ihrem Tun. Dabei entwarf er einen Schlachtplan. Er griff einen Kieselstein, warf ihn mit aller Kraft nach dem einen von ihnen und fügte ihm dadurch einen harten Schlag am Kopf zu. Der Riese, schmerzlich getroffen, drehte sich zu seinem Gefährten um und beschimpfte ihn wütend, weil er ihn geschlagen habe. Zornig leugnete der andere, ihn mit einem Stein geworfen zu haben.

John sah sich nun auf dem besten Weg, seine Belohnung und die Hand der Königstochter zu bekommen. Er verhielt sich mucksmäuschenstill und wartete achtsam auf die Gelegenheit, einen neuen Wurf anzubringen. Bald war es wieder soweit, und ein neuer Stein flog genau an den Kopf des Riesen. Der verletzte Riese fiel brüllend über seinen Gefährten her, und die beiden bearbeiteten sich gegenseitig so lange, bis sie völlig erschöpft waren. Sie ließen sich auf einen Klotz fallen, um Atem zu schöpfen, auszuruhen und wieder zu sich zu kommen.

Während sie so dasaßen, sagte einer von ihnen: »Ja, das Heer des Königs kam nicht gegen uns an, aber ich glaube, in diesem Augenblick wäre selbst ein altes Weib, mit dem Endchen eines Strickes bewaffnet, für uns zuviel.«

»Wenn es so ist«, rief Johnny-Gloke aus, während er wie ein Löwe aus seinem Versteck sprang, »wie wäre es dann mit Johnny-Gloke und seinem alten rostigen Schwert?«Und damit fiel er über sie her, schnitt ihnen die Köpfe ab und kehrte im Triumph zurück. Er durfte die Königstochter heiraten und lebte einige Zeit in Glück und Frieden. Niemals erzählte er, auf welche Weise er die Riesen getötet hatte.

Später einmal brach eine Revolution im Reich seines Schwiegervaters aus. Auf Grund seiner einstigen Heldentat wurde John ausersehen, sie niederzuwerfen. Das Herz sackte ihm zu Boden, aber er konnte sich nicht weigern, wollte er nicht sein Ansehen verlieren.



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Also schwang er sich auf das wildeste Pferd, das Sonne und Wind je gesehen hatten, und ritt seiner schrecklichen Aufgabe entgegen. Er war es nicht gewöhnt, auf einem Pferderücken zu sitzen, deshalb verlor er schnell alle Kontrolle über seinen Hengst. Der raste in vollem Galopp dem Rebellenheer entgegen. In wilder Jagd fuhr er unter den Galgen durch, die am Wege standen. Die Galgen waren schon alt und morsch und plumpsten auf den Pferdehals. Doch das Tier hielt nicht inne, sondern raste wie Windessausen weiter auf die Rebellen zu. Als sie dieses hemmungslose Heranstürzen sahen, packte alle der Schrecken, und einer schrie dem anderen zu: »Da kommt ja Johnny-Gloke, der die zwei Riesen tötete! Er bringt schon die Galgen auf dem Hals seines Pferdes mit, um uns alle zu hängen!«

Ihre Reihen brachen zusammen, sie wandten sich, stürzten voller Entsetzen fort und hielten nicht inne, ehe sie wieder in ihren Häusern geborgen waren. Auf diese Art war Johnny-Gloke ein zweites Mal siegreich. Zur rechten Zeit bestieg er den Thron und lebte als König noch lange und glücklich in Frieden.


Die alte Hexe

Da waren einmal zwei Mädchen, die lebten bei ihrer Mutter und ihrem Vater. Der Vater hatte keine Arbeit, und deswegen wollten die Mädchen von Hause fortgehen und ihr Glück draußen in der Welt versuchen. Das eine Mädchen wollte Magd werden, und die Mutter erlaubte ihr, sich eine Stelle zu suchen. Also ging sie in die Stadt. Zwar lief sie dort überall herum, doch niemand konnte ein Mädchen wie sie gebrauchen. Deswegen ging sie immer weiter und aus der Stadt hinaus und auf das Land. Und sie kam an eine Stelle, wo eine Menge Brot im Ofen buk. Und das Brot rief: »Kleines Mädchen, kleines Mädchen, nimm uns heraus, nimm uns heraus! Sieben Jahre backen wir schon, und niemand ist gekommen, um uns herauszunehmen.« Das Mädchen nahm alle heraus, legte sie sorgsam auf den Boden und ging weiter. Dann traf sie eine Kuh, und die Kuh rief:



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»Kleines Mädchen, kleines Mädchen, melke mich, melke mich! Sieben Jahre warte ich schon, und niemand ist gekommen, um mich zu melken.« Das Mädchen molk die Kuh in die danebenstehenden Eimer. Da sie durstig war, trank sie ein wenig davon und ließ das übrige in den Eimern bei der Kuh. Wieder ging sie ein Stückchen weiter und kam zu einem Apfelbaum, der so voller Früchte hing, daß seine Äste am Herunterbrechen waren. Und der Baum bat: »Kleines Mädchen, hilf mir und schüttle mich! Meine Zweige haben schwer zu tragen, daß sie gleich brechen werden.«

Und das Mädchen antwortete: »Natürlich will ich das gern tun, du armer Baum.«Gleich schüttelte sie alle Früchte herunter, richtete die Zweige hoch und ließ die Äpfel auf der Erde unter dem Baum liegen. Dann ging sie wieder weiter, bis sie an ein Haus kam. In diesem Haus lebte aber eine Hexe, und diese Hexe nahm junge Mädchen in ihre Dienste. Und als sie hörte, daß dieses Mädchen von Hause fortgegangen war, um sich einen Arbeitsplatz zu suchen, sagte sie, sie wolle sie nehmen und auch guten Lohn zahlen. Nun erklärte die Hexe dem Mädchen, was es zu tun habe. »Du mußt das Haus sauber und ordentlich halten, Flur und Herd scheuern, aber etwas darfst du nie tun: Nie darfst du oben auf den Kamin sehen, sonst geschieht dir etwas ganz Furchtbares.«

Das Mädchen versprach es, doch eines Morgens beim Saubermachen, als die Hexe nicht im Hause war, vergaß sie die Warnung und blickte oben auf den Kamin. Kaum hatte sie es getan, da fiel ihr ein großer Beutel voll Geld in den Schoß. Und das geschah wieder und wieder. Jetzt entschloß sich das Mädchen, so schnell sie nur konnte, fort und nach Hause zu laufen.

Als sie noch nicht weit weg war, hörte sie die Hexe hinter sich herkommen. Da lief sie zu dem Apfelbaum und bat ihn:

»Apfelbaum, verberge mich!
Die böse Hexe finde mich nicht!
Find't sie mich,
Macht sie mich tot.
Ach, ich bin in großer Not.«


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Und der Apfelbaum versteckte sie. Und als die Hexe kam, rief sie:

»Baum meiner, Baum meiner,
Hast ein Mädel du gesehen,
Lief in schnellem, schnellem Lauf,
Trug ein Säckchen obenauf,
All mein Geld, so Hauf' zu Hauf'?«


***
Und der Apfelbaum antwortete: »Nein, Mutter, seit sieben Jahren nicht.«

Als die Hexe nun einen anderen Weg entlanglief, setzte das Mädchen den ihren fort, und gerade als sie zu der Kuh kam, hörte sie hinter sich die Hexe herantoben. Deswegen lief sie zu der Kuh hin und flehte:

»Kuh, Kuh, verberge mich!
Die böse Hexe finde mich nicht!
Find't sie mich, macht sie mich tot.
Ach, ich bin in großer Not!«


***
Und die Kuh versteckte sie hinter sich.

Als die Hexe angesaust kam, schaute sie auf und fragte:

»Kuh meine, Kuh meine,
Hast ein Mädel du gesehen,
Lief in schnellem, schnellem Lauf,
Trug ein Säckchen obenauf,
All mein Geld, so Hauf' zu Hauf'?«


***
Und die Kuh antwortete: »Nein, Mutter, seit sieben Jahren nicht.« Als die Hexe jetzt einen anderen Weg entlanglief, setzte das Mädchen den ihren fort, und als sie nahe dem Backofen war, hörte sie wieder die Hexe heranbrausen. Deshalb lief sie zu dem Ofen und flehte ihn an:


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»Ofen, Ofen, verstecke mich!
Die böse Hexe finde mich nicht,
Find't sie mich, macht sie mich tot.
Ach, ich bin in großer Not.«

Und der Ofen sagte: »Ich habe keinen Platz, aber frage den Bäcker!« Und der Bäcker versteckte sie hinter dem Ofen.

Als die Hexe angesaust kam, schnüffelte sie hier herum und da herum und überall herum, und dann fragte sie den Bäcker:

»Bäcker mein, Bäcker mein,
Hast ein Mädel du gesehen,
Lief in schnellem, schnellem Lauf,
Trug ein Säckchen obenauf,
All mein Geld, so Hauf' zu Hauf'?«


***
Doch der Bäcker sagte: »Schau doch im Ofen nach!« Die alte Hexe sah hinein, und der Ofen sagte: »Komm doch herein und sieh in den äußersten Ecken nach!« Die Hexe tat es, und als sie drinnen war, klappte der Ofen die Tür zu, und die Hexe war eine ganze Zeit lang darin gefangen.

Das Mädchen aber lief weiter und kam nach Hause mit ihren Beuteln voll Geld, heiratete einen reichen Mann und lebte von da an ganz glücklich.

Die andere Schwester dachte indessen bei sich, sie wolle dort hingehen und es auch so machen. Und sie schlug denselben Weg ein. Doch als sie zu dem Ofen kam, und das Brot rief: »Kleines Mädchen, kleines Mädchen, nimm uns heraus! Sieben Jahre schon backen wir, und keiner kam, um uns herauszuholen«, da sagte das Mädchen: »Nein, ich habe keine Lust, mir die Finger zu verbrennen.«Sie ging weiter, bis sie zu der Kuh kam, und die Kuh sagte: »Kleines Mädchen, kleines Mädchen, melke mich, melke mich. Sieben Jahre warte ich schon, und keiner hat mich seitdem gemolken.« Das Mädchen aber antwortete: »Nein, ich habe keine Zeit, dich zu melken, ich habe es eilig«, und lief weiter. Dann kam sie zu dem Apfelbaum, und der Apfelbaum



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bat sie, seine Früchte herunterzuschütteln. Aber das Mädchen erwiderte: »Nein, das kann ich nicht, vielleicht geht es später einmal.«Und sie ging davon, bis sie zu dem Haus der Hexe kam. Nun, dort erging es ihr so wie ihrer Schwester -sie vergaß die Mahnung, und als die Hexe eines Tages nicht im Hause war, schaute sie auf den Kamin, und gleich fiel ein Beutel mit Geld herunter. >Schön<, dachte sie, >nun schnell fort damit!<Als sie den Apfelbaum erreicht hatte, hörte sie die Hexe hinter sich und bat:
»Apfelbaum, verberge mich!
Böse Hexe, finde mich nicht!
Find't sie mich, macht sie mich tot.
Ach, ich bin in großer Not.«


***
Doch der Baum gab keine Antwort, und sie rannte weiter. Aber da kam schon die Hexe und rief:
»Baum meiner, Baum meiner,
Hast ein Mädel du gesehen,
Lief in schnellem, schnellem Lauf,
Trug ein Säckchen obenauf.
All mein Geld, so Hauf' zu Hauf'?«


***
Der Baum sagte: »Ja, Mutter, sie ist diesen Weg entlanggelaufen.« Also sauste die Hexe hinterher, packte sie, nahm ihr alles Geld fort, prügelte sie tüchtig durch und jagte sie wieder nach Hause, so arm, wie sie hergekommen war.


Die Sterne am Himmel



***
Einmal und zweimal und viele Male wurde mir diese Geschichte erzählt, daß da vor langen Zeiten ein winziges kleines Mädchen lebte, das jeden Tag weinte, weil es nicht die Sterne am Himmel zu Spielgefährten hatte. Es wollte nicht dies, und es wollte nicht das, die


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Sterne nur, die wollte es haben. Und deswegen machte es sich eines Tages auf den Weg, um sie zu suchen. Es ging und ging und ging, und schließlich kam es zu einem Mühlenwehr.

»Schönen guten Tag«, sagte es, »ich suche die Sterne am Himmel, ich möchte so gern mit ihnen spielen. Hast du wohl welche gesehen?« «

»O ja, liebes Kind«, sagte das Mühlenwehr, »sie scheinen mir nachts so ins Gesicht, daß ich nicht einschlafen kann. Spring herein, vielleicht findest du einen.«

Und sie sprang hinein und schwamm hierhin und dahin und dorthin, aber sie konnte nicht einen einzigen Stern entdecken. Also ging sie wieder weiter und kam an ein Bächlein.

»Einen schönen guten Tag, liebes helles Bächlein«, grüßte sie. »Ich suche die Sterne, die am Himmel stehen, um mit ihnen zu spielen.

Hast du wohl welche gesehen?«

»Ja, ganz bestimmt, liebes Mädchen«, sagte das Bächlein. »Ich sehe sie nachts an meinen Ufern schimmern. Rudere hier entlang, sicher findest du einen.«

Also ruderte, ruderte und ruderte sie, aber sie fand nicht einen einzigen Stern.

Und so ging sie weiter, bis sie zu den Elfen kam.

»Ich wünsche euch einen guten Tag, liebe Elfen«, sagte sie. »Ich suche die Himmelssterne, um mit ihnen spielen zu können. Habt ihr wohl einen einzigen gesehen?«

»O ja, mein liebes Kind«, sagten die Elfen, »nachts schimmern sie hier im Gras. Tanze mit uns, vielleicht findest du dabei einen.«

Und sie tanzte, tanzte und tanzte, aber nirgends war einer zu erblicken. Da setzte sie sich hin, und ich vermute, daß sie nun weinte.

»O ihr Lieben, o ihr Strahlenden, ich bin geschwommen, ich bin gerudert, und wenn ihr mir nicht helfen könnt, werde ich nie die Sterne am Himmel finden, um mit ihnen spielen zu können.«

Da flüsterten die Elfen miteinander, und dann trat eine von ihnen zu ihr, nahm sie an der Hand und sprach: »Wenn du nicht heimgehen willst in die mütterliche Geborgenheit, dann gehe vorwärts, immer vorwärts; wir meinen, du bist auf dem richtigen Weg. Bitte die



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Vierflügelige, dich zu der Schwebenden zu bringen, und bitte dann die Schwebende, dich zu den Stufen zu bringen, die aufwärts führen, und wenn du hinaufzuklimmen vermagst. .

»Oh, werde ich dann mitten unter den Sternen des Himmels sein?« rief das Kind aus.

»Wenn du nicht dorthin gelangen solltest, irgendwo kommst du hin«, sagten die Elfen und tanzten wieder weiter.

So ging sie erleichtert fort und kam dann zu einem Pferd, das gesattelt und an einen Baum gebunden war. »Guten Tag, liebes Tier«, grüßte sie, »ich suche die Sterne am Himmel, um mit ihnen spielen zu können. Willst du mir helfen, weil mir schon alle Glieder weh tun?«

»Ach nein«, sagte das Pferd, »ich weiß gar nichts von den Sternen am Himmel und bin nur auf die Bitten der Elfen hier und nicht von mir aus.«

»Ach«, sagte sie, »von den Elfen komme ich ja eben, und sie rieten mir, die Vierflügelige zu bitten, daß sie mich zur Schwebenden bringe.«

»Das ist etwas anderes«, sagte das Pferd, »steig auf und reite mit mir!«

Sie ritten, ritten und ritten, bis sie aus dem Walde herausgelangten und an das Ufer des Meeres kamen. Und vor ihnen auf dem Wasser lief ein breiter glitzernder Pfad dahin bis zu etwas ganz Wundersamem, das aus dem Wasser bis zum hohen Himmel aufwallte und in dem alle irdischen Farben schimmerten, Blau und Rot und Grün, und das ganz herrlich anzuschauen war.

»Nun steig ab«, sagte das Pferd. »Ich habe dich bis ans Ende der Welt getragen, und das ist mehr, als was die Vierflügelige vermag. Ich muß nun wieder nach Hause zu den Meinen.«

»Aber«, fragte das kleine Mädchen, »wo ist denn nun die Schwebende, und wo ist die Treppe ohne Stufen?«

»Das weiß ich nicht«, sagte das Pferd, »ich habe hier nichts mehr zu tun. Also guten Tag, kleines Mädchen.« Und damit sprang es davon.

Das Kind stand völlig verstummt da und schaute nur immer auf das



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Wasser, und zuletzt kam ein seltsamer Fisch bis zu ihr herangeschwommen.

»Guten Tag, du großer Fisch«, sagte sie. »Ich möchte zu den Sternen am Himmel und suche die Treppe, die zu ihnen hinaufführt. Kannst du mir den Weg zeigen?«

»Nein, das kann ich nicht«, sagte der Fisch, »es sei denn, du brächtest mir einen Auftrag von den Elfen.«

»Oh, den bringe ich«, freute sie sich. »Sie sagten mir, die Vierflügelige würde mich zuletzt zu der Schwebenden bringen, und die Schwebende würde mich dann zu der Treppe ohne Stufen führen.«

»Dann ist es ja gut«, sagte der Fisch, »dann ist alles in Ordnung. Sitz nur auf und halte dich fest!«

Und er schnellte, pitsch-patsch, herum und glitt mit ihr den silbrigen Wasserpfad entlang bis hin zu den leuchtenden Strahlen. Und je näher sie kamen, um so schimmernder wurde es, so daß sie zuletzt ihre Augen mit der Hand vor dem Gestrahl beschatten mußte.

Und als sie herankamen, sah sie, daß es ein breites, glänzendes, auf und ab schwebendes Gebilde war, an dessen Ende sie, droben in unendlicher Ferne, winzige goldene, strahlende Formen wie tanzend sich bewegen sah.

»Nun sind wir da«, sagte der Fisch, »und da ist die Treppe: steige hinauf, wenn du's vermagst, aber halte dich ja fest! Ich kann dir versichern, daß die Treppe bei dir daheim nichts gegen diese hier ist. Sie ist nicht so beschaffen, daß Kinderfüße sie beschreiten können.« Und damit schoß der Fisch durchs Wasser davon.

Sie aber kletterte, kletterte und kletterte und kam doch keine Stufe höher hinauf. Vor ihr und um sie war reinstes Strahlen, das Wasser aber unter ihr war dunkel, und je mehr sie sich aufwärts zu kämpfen versuchte, um so tiefer sank sie in Schwärze und Kälte ein, und je höher sie kletterte, um so tiefer glitt sie wieder zurück.

Doch sie kletterte und kletterte unentwegt, wenn auch das Licht sie schwindlig und die Kälte sie schauern machte und Furcht sie erfüllte. Doch immer noch kletterte sie, bis sie endlich betäubt und schwindlig losließ und sank, immer weiter sank und sank.



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Und bums -fiel sie auf harte Bretter. Und da wachte sie auf und fand sich weinend und schluchzend mutterseelenallein neben ihrem Bettchen sitzen.


Das kleine Stierkalb

Es ist schon viele hundert Jahre her, als fast das ganze Land noch eine Wildnis war, da gab es einmal einen kleinen Jungen, der in einem winzigen bißchen Wohlstand lebte und dem sein Vater deswegen ein kleines Stierkalb schenkte und dazu alles, was es brauchte.

Doch bald danach starb der Vater, und des Knaben Mutter heiratete wieder, und zwar einen Mann, der ein sehr böser Stiefvater wurde und den kleinen Jungen nicht ausstehen konnte. Zuletzt sagte der Stiefvater: »Wenn du das Stierkalb ins Haus bringst, schlag' ich es tot.« War das nicht ein rechter Bösewicht?

Von nun an ging der kleine Junge immer hinaus und fütterte sein Stierkälbchen jeden Tag mit Gerstenbrot. Und als er das wieder einmal machte, trat ein alter Mann zu ihm -wir können uns schon denken, wer das gewesen ist, nicht wahr? —und sprach zu ihm: »Es wäre bedeutend besser für dich und dein Stierkalb, von hier fortzugehen und irgendwo euer Glück zu versuchen.«

So ging er also fort und ging und ging. Er ging so lange, daß ich es euch bis übermorgen nacht erzählen müßte, bis er endlich ein Bauernhaus erreichte, wo er um eine Brotkruste bat. Und als er von dem Haus zurückkam, brach er sie in zwei Teile und gab die eine Hälfte dem Kälbchen. Und er ging zu einem anderen Haus und bat um ein bißchen Sahnekäse, und als er zurückkam, wollte er die Hälfte dem Kälbchen geben. »Nein«, sagte das Stierkalb, »ich gehe jetzt übers Feld in den undurchdringlichsten Wald der undurchdringlichsten Wildnis dieses Landes, wo es Tiger, Leoparden, Wölfe, Affen und einen feurigen Drachen gibt, und ich werde sie alle töten außer dem Drachen, denn der wird mich töten.«

Der kleine Junge schrie auf und rief: »Oh, nein, mein liebes Kälbchen, nein, er soll dich nicht töten.«

»Doch, er wird«, sagte das kleine Stierkalb, »und nun klettere auf



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diesen Baum hier, daß niemand nachts zu dir kommen kann als die Affen, und wenn die kommen, wird dich der Sahnekäse retten. Und wenn ich getötet bin, wird der Drache kurze Zeit fortgehen, dann mußt du von dem Baum steigen und mir das Fell abziehen und meine Gallenblase herausnehmen und auf blasen, und jeder wird tot umfallen, den du damit berührst. Wenn also dann der feurige Drache zurückkommt, erschlägst du ihn mit dieser Blase und schneidest ihm die Zunge ab.«

(Wir wissen, daß es zu jener Zeit feurige Drachen gab so wie St. Georg und sein Drache in der Bibel. Aber die Welt von damals war nicht dieselbe wie die heutige. Die Welt ist seitdem auf den Kopf gestellt worden, so als hättest du sie mit dem Spaten umgedreht.) Nun tat der Junge alles, was das kleine Stierkalb ihm befohlen hatte. Er kletterte auf den Baum, und die Affen kletterten hinter ihm her. Doch er hielt den Sahnekäse in der Hand und sagte: »Ich will euer Herz auspressen wie Kieselsteine.« Da zwinkerte ihm der oberste Affe so zu, als ob er sagen wollte: >Wenn du aus einem Kieselstein Saft auspressen kannst, versuche doch mal, mich auszupressen.< Aber er schwieg zu der List des Affen, stieg jedoch bald herunter. Währenddessen hatte das kleine Stierkalb alle wilden Tiere niedergekämpft, und der kleine Junge schlug mit den Händen an den Baum und rief: »Komm hierher, mein kleines Stierkalb! Tapfer gefochten, kleines Stierkalb!«Und es meisterte alle, nur den feurigen Drachen nicht, und der feurige Drachen tötete das kleine Stierkalb.

Nun wartete und wartete der Junge, bis er sah, daß der Drachen fortging. Jetzt kam er heran und zog das Fell des kleinen Stierkalbes ab und nahm die Gallenblase heraus und ging hinter dem Drachen her. Und als er so ging, da fand er eine Königstochter, die mit ihren Haupthaaren an einen Pfahl angebunden war, denn sie war hier festgemacht worden, um von dem Drachen getötet zu werden. Er ging zu ihr hin und band sie los, aber sie rief: »Die Zeit ist gekommen, in der mich der Drache töten will; fliehe, du kannst mir nicht helfen.« Er aber antwortete: »Nein, ich kann ihn bezwingen, und ich werde nicht gehen.«Und trotz allem ihrem Bitten und Flehen wollte er bleiben.



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Schon hörte man den Drachen von weitem, brüllend und dröhnend, und dann kam er näher, feuerspeiend und eine Zunge wie einen gewaltigen Speer herausstreckend, und meilenweit konnte man ihn schon hören. Er näherte sich der Stelle, wo er die Königstochter festgebunden hatte. Doch als er auf sie zustürzte, schlug ihm der Junge die Kalbsblase an den Kopf, und der Drache fiel tot um; doch bevor er starb, biß er dem Jungen noch den Zeigefinger ab.

Jetzt schnitt der Junge die Zunge des Drachen heraus und sagte zur Königstocher: »Ich tat, was ich konnte, jetzt aber muß ich dich verlassen.« Sie war sehr traurig, weil er gehen wollte, und bevor er schied, schob sie noch einen diamantenen Ring in seine Locken und sagte auf Wiedersehen.

Bald kam der alte König weinend und jammernd, weil er glaubte, nichts mehr von seiner Tochter vorzufinden als Spuren, wohin sie verschleppt worden war. Wie staunte er, da er sie lebend und gesund wiederfand, und er fragte: »Wie bist du gerettet worden?« Das erzählte sie ihm, und er führte sie wieder heim in sein Schloß.

Jetzt ließ er überall bekanntmachen, wer seine Tochter gerettet habe, wer die Zunge des Drachen und den Diamantring der Prinzessin und keinen Zeigefinger mehr habe, der solle sich melden. Wer es auch sei, der diese Zeichen vorweisen könne, solle seine Tochter zur Frau bekommen und nach seinem Tode das Königreich erben. Ja, eine Menge Adliger kam aus ganz England mit abgeschnittenen Zeigefingern, mit Diamantringen und allen möglichen Arten von Zungen, solchen von wilden Tieren und auch ganz unbekannte Zungen. Aber sie konnten keine Drachenzunge vorweisen und wurden deshalb weggeschickt.

Zuletzt kam noch der Junge, der sehr abgerissen und wüst aussah. Die Königstochter erkannte ihn, doch ihr Vater wurde ärgerlich und befahl, diesen Betteljungen wegzuschicken. »Vater«, sagte die Tochter, »ich weiß aber etwas von diesem Jungen.«

Ja, da kamen die vornehmen Herren und legten ihre Drachenzungen vor, die gar keine Drachenzungen waren, und als schließlich der Junge, den man inzwischen etwas besser angezogen hatte, vortrat, sagte der alte König zu seiner Tochter: »Ich sehe, du hast ein Auge



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auf diesen Knaben geworfen. Wenn er es ist, muß er es halt sein.« Doch alle anderen wollten ihn am liebsten umbringen: »Pah, ach was, werft den Bengel hinaus, er kann es nicht sein!«Der König aber sagte: »Nun, mein Junge, laß sehen, was du vorweisen kannst!« Da zeigte er den Diamantring, in dem der Name der Prinzessin stand, und die Zunge des feurigen Drachen. Die anderen waren wie vom Donner gerührt, als er seine Beweise vorlegte. Der König aber sprach zu ihm: »Du sollst meine Tochter haben und mein Königreich.«

So bekam er die Prinzessin zur Frau und später noch das Königreich. Es kam auch sein Stiefvater, um ihm zu huldigen, aber der junge König gab sich ihm nicht zu erkennen.


Das Heinzelmännchen von Hilton

Zu Hilton Hall lebte vor vielen Jahren ein Heinzelmännchen. Das war das seltsamste Heinzelmännchen, das ihr euch vorstellen könnt. Nachts, wenn die Mägde längst schlafen gegangen waren, brachte es alles drunter und drüber, tat Zucker in die Salzfässer, Pfeffer ins Bier und war jederzeit zu allen Streichen aufgelegt. Es warf Stühle um, stellte Tische auf den Kopf, machte das Feuer aus und trieb soviel Unfug wie nur möglich. Manchmal war es auch gut gelaunt, und dann . . . Aber ihr werdet schon fragen: »Was ist denn das, ein Heinzelmännchen?«Nun, es ist eine Art Zwerg, aber nicht so grausam wie ein Rotbekappter. Wie, du weißt nicht, was ein Zwerg oder ein Rotbekappter ist? Ach, du liebes bißchen! Wohin ist es denn bloß mit der Welt gekommen! Also ein Heinzelmännchen ist ein komisches kleines Kerlchen, halb Mann, halb Gnom, mit spitzen Ohren und behaarter Haut. Wenn du einen Schatz vergräbst und darüber Blutstropfen eines frisch geschlachteten Zickleins oder Lammes spritzt oder, noch besser, das Tier mit dem Schatz zusammen vergräbst, dann wird ein Heinzelmännchen an deiner Statt darüber wachen und jedermann verscheuchen.

Doch wo war ich stehengeblieben? Ach ja, ich hatte erzählt, daß das



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Heinzelmännchen von Hilton Hall dauernd Unfug trieb. Doch wenn die Mägde ein Schälchen Sahne hinstellten oder ein mit Honig bestrichenes Stück Kuchen, nahm es ihnen Arbeit ab und brachte die ganze Küche in Ordnung. Eines Nachts nun, als die Dienerschaft sehr lange aufgeblieben war, hörten sie in der Küche ein Geräusch, und als sie verstohlen hineinschauten, sahen sie das Heinzelmännchen an der Kette der Winde auf und ab schwingen und dazu sprechen:
»Ach, wer bin, wer bin ich nur!
Bin ich einer Eichel Spur,
fallend aus dem Baum,
daß ein Wald mög' wachsen?
daß man Wiegen machen kann,
drin das Kind zu wiegen,
bis es stark wird und ein Mann?
Wo ich mich wohl betten kann?
Ach, wer bin, wer bin ich nur!«


***
Da wuchs in ihnen Mitleid mit dem armen Heinzelmännchen, und sie fragten die am nächsten wohnende Zauberin, was sie tun könnten, um ihm zur Ruhe zu helfen.

»Das ist ganz einfach«, sagte die Zauberin und erklärte ihnen, daß ein Heinzelmännchen, das für seine Dienste mit etwas belohnt wird, das unverderblich ist, sofort weggeht.

Also machten sie einen Mantel aus Lincoln-Grün, dazu einen Hut, legten beides neben den Herd und paßten auf. Sie sahen das Heinzelmännchen kommen, und als es Hut und Mantel erblickte, legte es sie sofort an, hüpfte vor Freude, tanzte auf einem Bein und rief:

»Ich nahm euren Mantel, ich nahm euren Hut,
das Männchen von Hilton nun nichts mehr hier tut.«


***
Und damit verschwand es, und nie wieder wurde etwas von ihm gehört oder gesehen.


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Katzenfell

Es lebte einmal ein Edelmann, der viele Ländereien und Häuser besaß und sich deswegen nichts sehnlicher wünschte, als einen Sohn zum Erben zu haben. Als ihm seine Frau aber eine Tochter schenkte, hatte er, so niedlich sie auch war, nichts für sie übrig und befahl: »Laß sie nie vor meine Augen kommen!«

Sie wuchs mit der Zeit zu einem schönen Mädchen heran. Doch ihr Vater sah sie erst wieder, als sie fünfzehn Jahre alt war und verheiratet werden sollte. Ihr Vater aber sagte nur: »Verheiratet sie mit dem ersten besten, der sie haben mag!«Und als das bekannt wurde, meldete sich zuerst ein schmutziger, grober, alter Kerl. Da wußte sie nicht, wie sie sich helfen sollte, ging zur Zauberin und bat um Rat. Die Zauberin riet ihr: »Sage, du willst ihn nicht nehmen, bevor sie dir nicht ein Kleid aus silbernem Stoff gegeben haben.«Nun, sie gaben ihr ein silberdurchwirktes Kleid, doch sie wollte ihn trotzdem nicht nehmen, sondern ging wieder zur Zauberin, die ihr riet: »Sage, du willst ihn nicht nehmen, bevor sie dir nicht ein Kleid aus goldenem Stoff gegeben haben.«Nun, sie gaben ihr ein golddurchwirktes Kleid, doch sie wollte ihn trotzdem nicht nehmen, sondern ging zur Zauberin, die ihr riet: »Sage, du willst ihn nicht nehmen, bevor sie dir nicht ein Kleid gegeben haben, das aus Federn aller Vögel, die in der Luft schweben, gemacht ist.«Da schickten sie einen Mann mit einer Riesenmenge Erbsen hinaus, der allen Vögeln in der Luft zurief: »Jeder Vogel gebe eine Feder, und er bekommt dafür eine Erbse.«Also nahm jeder Vogel eine Erbse und legte eine Feder hin, und sie nahmen alle Federn und machten ein wunderschönes Kleid daraus und gaben es ihr. Aber sie war noch immer nicht bereit, sondern fragte die Zauberin wiederum, die ihr riet: »Sage, erst müßten sie dir noch ein Kleid aus Katzenfellen machen.« Also machten sie ihr ein Kleid aus Katzenfellen, und sie zog es an, raffte ihre anderen Kleider zusammen und floh in den Wald. Dort lief und lief und lief sie, bis sie das Ende des Waldes erreicht hatte und vor sich ein schönes Schloß liegen sah. Sie verbarg ihre schönen Kleider, ging an das Schloßtor und bat um Arbeit. Die Schloßherrin sah sie und antwortete:



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»Es tut mir leid, aber es ist keine bessere Stelle frei. Doch wenn du willst, kannst du als Küchenmagd hier arbeiten.« Also ging sie in die Küche hinunter, und sie nannten sie ihres Kleides wegen Katzenfell. Die Köchin aber behandelte sie sehr schlecht und machte ihr das Leben schwer.

Nun geschah es, daß der junge Schloßherr bald darauf aus der Fremde heimkehrte und aus diesem Anlaß ein prächtiger Ball stattfinden sollte. Als die Dienerschaft davon sprach, bat Katzenfell: »Ach, liebe Frau Köchin, ich würde so gern auch dahin gehen.« »Was, du schmutzige, freche Schlampe«, rief die Köchin, »du willst dich unter den vielen vornehmen Herren und Damen in deinem verfilzten Katzenfell sehen lassen? Eine feine Figur würdest zu da machen!« Und damit nahm sie eine Schüssel voll Wasser und schleuderte es in Katzenfells Gesicht. Diese aber schüttelte nur schnell den Kopf und sagte kein Wort.

Als der Balltag kam, schlüpfte Katzenfell aus dem Haus und eilte an den Waldrand, wo sie ihre Kleider versteckt hatte. Sie wusch sich unter einem kristallklaren Wasserfall, zog dann ihr silberdurchwirktes Kleid an und lief geschwind zu dem Ball. Als sie eintrat, staunten alle über ihre Schönheit und Anmut, und der junge Schloßherr verlor sogleich sein Herz an sie. Erforderte sie zum ersten Tanz auf und tanzte die liebe lange Nacht mit keiner anderen. Als es Zeit zum Aufbruch war, fragte der junge Schloßherr: »Du Schöne, bitte sage mir, wo du wohnst?« Doch Katzenfell knickste und antwortete:

»Gnädiger Herr, es klingt fast wie Hohn:
Im Zeichen der >Wasserschalen< ich wohn'.«


***
Danach floh sie aus dem Schloß, streifte ihr Katzenfell über und schlüpfte, unbemerkt von der Köchin, wieder in die Küche. Am nächsten Tag ging der junge Edelmann zu seiner Mutter, der Schloßherrin, und erklärte ihr, keine andere als die Jungfrau im Silberkleid werde er heiraten und er wolle nicht ruhen, bis er sie gefunden habe.


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In der Hoffnung, das schöne Mädchen werde wieder teilnehmen, sollte ein zweiter Ball stattfinden. Wieder sagte Katzenfell zur Köchin: »Oh, wie gern wäre ich dabei!«Worauf die Köchin sie wütend anschrie: »Was, du schmutzige Schlampe! Fein würdest du unter all den vornehmen Damen und Herren aussehen!« Und sie packte einen Schöpflöffel und zerbrach ihn auf Katzenfells Rücken. Diese aber schüttelte sich und lief zum Walde, wo sie sich zuerst wusch, dann ihr goldgewirktes Kleid überstreifte und in den Ballsaal ging. Sowie sie eintrat, richteten sie alle Blicke auf sie, und der junge Schloßherr erkannte sofort in ihr die »Dame von den Wasserschalen« wieder, führte sie zum ersten Tanz und hielt sie bis zum letzten fest. Jetzt fragte er sie wieder, wo sie lebe. Doch alles, was sie erwiderte, war:
»Gnädiger Herr, es klingt fast wie Hohn:
Beim >Zerbrochenen Schöpflöffel< ich wohn'.«


***
Damit eilte sie weg, fort vom Ball, zog das goldene Kleid aus, das katzige an und war in der Küche, ehe die Köchin sie sah. Als der junge Schloßherr am nächsten Tage vergebens die »Wasserschale« und den »Zerbrochenen Schöpflöffel« zu finden versucht hatte, bat er seine Mutter, nochmals einen großen Ball zu geben, weil das schöne Mädchen dann vielleicht noch einmal kommen würde. Alles geschah so wie vorher. Katzenfell sagte der Köchin, wie gern sie zu dem Ball gehen möchte, die Köchin nannte sie eine »schmutzige Schlampe«und zerbrach den Schaumlöffel auf ihrem Kopf. Sie aber schüttelte sich nur, lief zum Wald, wo sie im kristallklaren Wasser badete, dann ihr Federkleid überstreifte und so den Ballsaal betrat.

Als sie hereinkam, staunten alle, wie schön sie war und was für ein kostbares und seltenes Kleid sie trug. Der junge Schloßherr erkannte sofort das geliebte Mädchen und wollte den ganzen Abend hindurch nur mit ihr tanzen. Als der Ball sich dem Ende zuneigte, bedrängte er sie mit der Frage, wo sie denn lebe. Sie aber antwortete nur:



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»Gnädiger Herr, es klingt fast wie Hohn:
Beim >Zerbrochenen Schaumlöffel< ich wohn'.«


***
Damit enteilte sie und war, husch, im Walde. Aber dieses Mal folgte ihr der junge Schloßherr und beobachtete sie heimlich, wie sie ihr schönes Federkleid mit dem Katzenfell vertauschte, und er wußte nun, daß sie sein eigenes Küchenmädchen war.

Am nächsten Tage ging er zu seiner Mutter, der Schloßherrin, und sagte ihr, er wolle Katzenfell, das Küchenmädchen, heiraten. »Niemals!« rief die Mutter und verließ den Raum. Doch der junge Mann grämte sich nun so sehr, daß er schwer krank wurde und das Bett hüten mußte. Der Arzt wollte ihn heilen, er jedoch verweigerte jede Medizin, wenn nicht Katzenfell sie ihm reichen würde. Also ging der Arzt zu der Schloßherrin und eröffnete ihr, ihr Sohn müsse sterben, wenn sie nicht in die Hochzeit mit Katzenfell einwillige. Nun gab sie nach und ließ Katzenfell zu sich kommen. Diese aber zog ihr goldenes Kleid an, und so ging sie zu der Schloßherrin, die jetzt sehr froh war, ihren Sohn mit einem so schönen Mädchen zu verheiraten.

Sie wurden also getraut, und nach einiger Zeit bekamen sie einen kleinen Sohn, der zu einem hübschen Knaben heranwuchs. Eines Tages, er war gerade vier Jahre alt, kam eine Bettlerin ans Schloßtor. Da gab Lady Katzenfell ihrem Söhnchen etwas Geld, damit er es der Bettlerin bringe. Er lief hinunter, gab es aber dem Kind der Bettlerin in die Hand, das sich rasch verbeugte und ihn voller Dankbarkeit küßte. Doch ausgerechnet die böse alte Köchin - warum hatte man die denn nicht längst entlassen? — kam dazu und sagte höhnisch: »Seht bloß, wie Betteibrut sich miteinander hat!« Diese Beleidigung traf Katzenfell ins Herz. Deswegen ging sie zu ihrem Mann und erzählte ihm alles über ihren Vater und bat, hinzufahren und nachzuforschen, was aus ihren Eltern geworden sei. Sie nahmen also die große Reisekutsche des Schloßherrn und fuhren durch den Wald, bis sie fast zu Katzenfells Vaterhaus kamen und in einem nahen Wirtshaus abstiegen. Dort blieb Katzenfell, während ihr Mann erkunden ging, ob ihr Vater sie jetzt wohl anerkennen würde.



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Ihr Vater hatte keine anderen Kinder mehr bekommen, und seine Frau war gestorben, so daß er nun, traurig und verlassen, ganz allein in der Welt stand. Als der junge Edelmann bei ihm eintrat, sah er mühsam hoch. Jener aber setzte sich neben ihn und fragte: »Verzeiht, Herr, hattet Ihr denn nicht einst eine junge Tochter, die Ihr jedoch nie sehen oder anerkennen wolltet?«

»Das ist wahr«, klagte der alte Mann. »Ich habe schwer gesündigt. Ach, ich gäbe all mein Hab und Gut dafür, könnte ich sie nur noch einmal vor meinem Tode sehen!«

Da berichtete ihm der junge Mann, wie Katzenfells Schicksal verlaufen war, und brachte ihn in den Gasthof und nahm ihn dann mit auf sein Schloß, und sie lebten dort alle überaus glücklich zusammen.


Die Prinzessin von Canterbury



***
Da lebte einmal in der Grafschaft Cumberland ein Edelmann, der drei Söhne hatte. Zwei von ihnen waren hübsche und kluge Jungen, der dritte aber geradezu ein Narr, Jack genannt, der meistens nur die Schafe hütete. Er trug einen bunten Rock und einen großen Hut mit einer Troddel, so wie das eben dazu gehörte. Der König von Canterbury aber hatte eine wunderschöne Tochter, die sich durch besonderen Scharfsinn und Witz auszeichnete, und deshalb ließ er bekanntmachen, daß derjenige, der drei Fragen beantworten könnte, die ihm die Prinzessin stellen würde, sie zur Frau bekommen solle und nach seinem Tode die Krone erben werde. Kaum war dieser Erlaß veröffentlicht, als die Kunde davon auch den Söhnen des Edelmannes zu Ohren kam und die zwei klugen einen Versuch beschlossen. Doch waren sie arg in Verlegenheit, wie sie es wohl verhindern könnten, daß ihr närrischer Bruder mit ihnen ging. Auf jede Art und Weise versuchten sie ihn loszuwerden und waren schließlich gezwungen, seine Begleitung zu ertragen. Sie wanderten noch nicht lange, als Jack vor Lachen barst und rief: »Ich habe ein Ei gefunden.« —»Tu's in deine Tasche«, sagten die Brüder. Ein wenig später brach er von neuem in Gelächter aus, denn er hatte einen


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krummen Haselnußzweig gefunden, den er auch in seine Tasche stopfte. Und ein drittes Mal schrie er laut auf vor Lachen, als er eine Nuß fand. Auch sie kam zu seinen anderen Schätzen.

Als sie das Schloß erreichten, nannten sie den Grund ihres Kornmens, wurden auch sofort eingelassen und in einen Raum geführt, in dem die Prinzessin mit ihrem Gefolge saß. Jack, der keinerlei gutes Benehmen hatte, schrie gleich los: »Was für einen Haufen hübscher Frauen gibt es hier!«

»Ja«, sagte die Prinzessin, »wir sind schöne Frauen, denn ein helles Feuer brennt in unserem Inneren.«

»So, tut es das?«fragte Jack. »Dann brate mir mal ein Ei!«, und er holte das Ei aus seiner Tasche.

»Wie willst du es wieder herausholen?«fragte die Prinzessin.

»Mit einem gebogenen Stecken«, antwortete Jack und holte seinen Haselnußzweig hervor.

»Wo kommt der denn her?«fragte die Prinzessin.

»Von einer Nuß«, antwortete Jack und kramte die Nuß aus seiner Jackentasche heraus. »Ich habe drei Fragen beantwortet, und nun will ich das Fräulein haben.«

»Nein, nein«, sagte der König, »nicht so schnell. Du hast noch eine Probe zu bestehen. Du mußt in einer Woche wiederkommen und eine ganze Nacht hindurch auf die Prinzessin, meine Tochter, aufpassen. Wenn du es fertigbringst, die ganze Nacht lang munter zu bleiben, dann sollst du sie am nächsten Tag heiraten.«

»Wenn ich aber nicht durchhalte?«

»Dann wird dir der Kopf abgeschlagen«, sagte der König. »Aber du brauchst es nicht zu versuchen, wenn du nicht willst.«

Nun, Jack ging nach Hause und überlegte eine Woche lang, ob er es wohl tun solle, um die Prinzessin zu gewinnen. Zuletzt entschloß er sich dazu. >Ach, ich will mein Glück versuchen<, dachte Jack, >jetzt geht's also um des Königs Tochter oder um einen kopflosen Schafhirten!<

Und er nahm Trinkflasche und Eßbeutel und wanderte zum königlichen Hof. Auf dem Weg dorthin mußte er über einen Fluß, und als er Schuhe und Strümpfe auszog, um hinüberzugehen, sah er



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mehrere hübsche kleine Fische um seine Füße herumspielen und fing einige und steckte sie sich in die Tasche. Als er den Palast erreichte, klopfte er mit seinem Wanderstock kräftig ans Tor, und nachdem er gesagt hatte, weshalb er gekommen sei, wurde er gleich in den Saal geführt, in dem die Königstochter, auf ihre Freier wartend, saß. Man wies ihm einen kostbaren Sessel an, und köstliche Weine und Delikatessen und Speisen wurden vor ihn hingestellt. Jack, solcher Dinge unkundig, aß und trank, soviel er nur konnte, so daß er noch weit vor Mitternacht am Einschlafen war.

»Oh, Schafhirt«, rief das Fräulein aus, »ich habe dich überrumpelt!«

»Ach nein, du süße Verbündete, ich war nur mit Fischen beschäftigt.«

»Mit Fischen?«rief da die Prinzessin voller Erstaunen. »Aber nein, du Schafhirt, hier im Saal gibt es doch keinen Fischteich!«

»Das hat nichts zu sagen, denn ich habe in meiner Tasche gefischt und gerade einen gefangen.«

»Na, na«, rief sie, »den laß mich mal sehen!«

Verschmitzt zog der Schäfer den Fisch so aus der Tasche, als habe er ihn eben erst gefaßt, zeigte ihn ihr, und sie rief, das wäre der schönste Fisch, den sie je gesehen habe.

Eine halbe Stunde später fragte sie: »Schäfer, glaubst du, du könntest mir noch einen besorgen?«

Er antwortete: »Vielleicht gelingt es, wenn ich einen Köder an meinen Angelhaken tue.«Und nach kurzer Zeit wies er ihr einen zweiten Fisch vor, der noch schöner als der erste war, und die Prinzessin freute sich darüber so sehr, daß sie ihm erlaubte, schlafen zu gehen, und versprach, ihn bei ihrem Vater zu entschuldigen.

Am anderen Morgen erzählte die Prinzessin dem König zu seinem großen Erstaunen, Jack brauche nicht gehängt zu werden, denn er habe die ganze Nacht über im Saale gefischt. Doch als er hörte, auf welche Art Jack einen so herrlichen Fisch in seiner eigenen Tasche gefangen habe, bat er, noch einen in seiner, der königlichen Tasche, zu fangen.

Ohne weiteres unterzog Jack sich der Aufgabe. Er bat den König,



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sich hinzulegen, und während er angeblich in dessen Tasche fischte, spießte er heimlich einen anderen Fisch auf eine Nadel, hielt ihn hoch und zeigte ihn dem König.

Seiner Majestät gefiel die Sache nicht so recht, doch mußte er zugeben, daß es wohl ein Wunder war. Und die Prinzessin und Jack wurden noch am selben Tag verheiratet und lebten miteinander viele Jahre in Glück und Wonne.


Der rote Riese



***
Es war einmal eine Witwe, die lebte mit ihren zwei Söhnen auf einem winzigen Stück Land, das sie von einem Bauern gepachtet hatte. Und allmählich kam die Zeit, beide in die Welt hinauszuschicken, damit sie ihr Glück versuchten. Deshalb ließ sie eines Tages ihren älteren Sohn eine Kanne nehmen und ihn Wasser vom Brunnen holen, weil sie einen Kuchen für ihn backen wollte. Und je nachdem, ob er viel oder wenig Wasser brächte, würde sie einen großen oder kleinen Kuchen backen; der Kuchen sei alles, was sie ihm mit auf den Weg geben könne.

Der Bursche ging mit der Kanne zum Brunnen, füllte sie voll Wasser und ging wieder zurück. Da die Kanne aber Löcher hatte, lief das meiste Wasser aus, ehe er im Hause war. Daher fiel sein Kuchen sehr klein aus. Trotzdem bat seine Mutter, ob er sich nicht mit der Hälfte und dazu ihrem Segen begnügen möchte; wenn er aber den ganzen Kuchen verlange, würde sie ihren Fluch dazutun. Da der junge Mann annahm, er müsse einen weiten Weg zurücklegen, und da er nicht wußte, wann und wo er wieder etwas zu essen bekommen könne, sagte er, er nähme lieber den ganzen Kuchen und müsse eben abwarten, was ihm der Fluch seiner Mutter eintrüge. Also gab sie ihm den ganzen Kuchen und ihren Fluch. Nun nahm er seinen Bruder beiseite und gab ihm ein Messer bis zu seiner Heimkehr zur Aufbewahrung mit der Bitte, es sich an jedem Morgen anzuschauen. Solange es blank blieb, wäre es ein Zeichen, daß es ihm gutgehe, doch wenn es fleckig und rostig würde, dann wäre ganz sicher ein Unheil über ihn gekommen.



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Danach ging der junge Mann in die Welt hinaus, um sein Glück zu versuchen. Er ging den ganzen Tag hindurch und ebenso den nächsten Tag, und am Nachmittag des dritten Tages traf er einen Schäfer, der bei seiner Herde saß. Er ging zu dem Schäfer hin und fragte ihn, wem die Herde gehöre, und der antwortete:

»Der rote Riese von Jreland
der lebte einst in Ballygan
und stahl König Malcolms Tochter,
König vom schottischen Land.
Er schlägt sie sehr, er legt sie schwer
in Fesseln, die drücken sie nieder -
und jeden Tag, da kommt er neu,
sein silberner Stab trifft sie wieder -
er fürchtet nicht Tod, nicht der Hölle Gebräu
er rast nur und knüppelt sie nieder.
Eine alte Sage sagte voraus,
ein Retter werde dereinst erstehn -
doch ach, er ist geboren noch nicht
und lang wird das Grausen noch gehn.«


***
Der Schäfer warnte ihn, er möge vorsichtig sein, da in der Nähe schreckliche Tiere hausten, grauslicher als alles, was er bisher gesehen habe.

Der junge Mann ging weiter, und nach einiger Zeit traf er auf eine ganze Herde furchtbarer Tiere mit zwei Köpfen und vier Hörnern an jedem Kopf. Er war zu Tode erschrocken und rannte, was er nur konnte, davon. Er atmete erst auf, als er zu einem Schloß kam, das auf einem Hügel winkte und dessen Tor weit offenstand. Er ging hinein, um ein Obdach zu erbitten, und sah darin eine alte Frau am Herdfeuer sitzen. Er ging sie um ein Nachtlager an, weil er von der Tageswanderung sehr müde sei. Die Frau erlaubte es, fügte aber hinzu, daß es kein guter Platz für ihn wäre, weil er dem roten Riesen,



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einem furchtbaren, dreiköpfigen Ungeheuer, gehöre, das jeden lebenden Menschen auffresse. Gern hätte sich der junge Mann aus dem Staube gemacht, doch er fürchtete die wilden Tiere nahe beim Schloß, und deshalb flehte er die alte Frau an, ihn so gut wie möglich zu verstecken und nicht an den Riesen zu verraten. Er dachte, wenn er die Nacht über hier verborgen bliebe, könne er am frühen Morgen, ohne von den mehrköpfigen Tieren bemerkt zu werden, entkommen.

Doch er war noch nicht lange in seinem Versteck, als der mächtige Riese hereinkam und, kaum drinnen, schon brüllte:

»Ich rieche Knochen, ich rieche Blut,
ich rieche einen Menschenmann,
ich reiße ihm das Herz aus der Brust,
damit ich's essen kann.«


***
Der Riese entdeckte ihn schnell und zog ihn aus seinem Versteck heraus. Und als er ihn vor sich hatte, eröffnete er ihm, daß er sein Leben schonen wolle, falls er drei Fragen beantworten könne. Und der erste Kopf fragte: »Ein Ding ohne Ende - was ist das?« Aber der junge Mann wußte es nicht. Und der zweite Kopf fragte: »Das Kleinste zugleich das Schwächste - was ist das?« Aber der junge Mann wußte es nicht. Und der dritte Kopf fragte: »Totes, das Lebendiges trägt -löse mir das.« Aber der junge Mann konnte es nicht sagen. Da er nicht eine einzige Frage zu beantworten vermocht hatte, nahm der Riese einen Schlegel, schlug ihn damit auf den Kopf und verwandelte ihn so in eine Säule aus Stein.

Als am folgenden Morgen der jüngere Bruder das Messer holte und ansah, packte ihn Schrecken, denn es war rostbraun geworden. Er sagte seiner Mutter, nun sei auch für ihn die Zeit gekommen, auf Wanderschaft zu gehen, und nun schickte sie auch ihn mit der Kanne zum Brunnen, um Wasser zu holen, damit sie ihm einen Kuchen backen könne. Und er ging hinaus, und als er das Wasser hineintragen wollte, rief ein Rabe ihm zu Häupten, er möge aufpassen, das Wasser liefe aus. Da er ein gescheiter junger Mann war und sah, wie



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schnell das Wasser auslief, nahm er etwas Erde und stopfte die Löcher zu, so daß er genug Wasser mitbrachte, damit ein großer Kuchen gebacken werden konnte. Als seine Mutter ihm anbot, nur den halben Kuchen, dazu aber noch ihren Segen zu nehmen, zog er das vor anstelle des ganzen und ihren Fluch mit auf den Weg zu bekommen. Auch war dieser halbe Kuchen größer als zuvor der ganze seines Bruders.

Er machte sich jetzt auf den Weg und traf nach längerer Zeit eine alte Frau, die ihn fragte, ob er ihr wohl etwas von seinem Selbstgebackenen überlassen würde. Und er sagte: »Aber gern tu ich das«, und gab ihr ein Stück von dem Gebäck. Dafür schenkte sie ihm einen Zauberstab, der ihm, wie sie meinte, gewiß noch gute Dienste leisten werde, wenn er ihn auf die rechte Art gebrauchte. Auch sagte ihm die alte Frau, die in Wirklichkeit eine Fee war, vieles voraus, was ihm begegnen werde, und wies ihn an, wie er sich jedesmal verhalten müsse. Dann verschwand sie plötzlich vor seinen Augen. Er ging wieder eine ganze Zeit weiter und kam auch zu dem alten Mann, der die Schafe hütete, und als er fragte, wessen Schafe das wären, bekam er zur Antwort:

»Der rote Riese von Jreland
der lebte einst in Ballygan
und stahl König Malcolms Tochter,
König vom schottischen Land.
Er schlägt sie sehr, er legt sie schwer
in Fesseln, die drücken sie nieder -
und jeden Tag, da kommt er neu,
sein silberner Stab trifft sie wieder -
er fürchtet nicht Tod, nicht der Hölle Gebräu
er rast nur und knüppelt sie nieder.
Doch nun ich denk, es geht zu End,
es wirkt des Schicksals Hand,
und dein wird sein, nach Kampf und Pein,
das ganze schöne Land.«


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***
Als er zu der Stelle kam, wo die schreckenerregenden Tiere warteten, hielt er weder inne, noch lief er davon, sondern ging kühn mitten zwischen ihnen hindurch. Eines kam brüllend mit offenem Maul auf ihn zugestürzt, um ihn zu verschlingen. Er aber berührte es mit seinem Zauberstab, und es fiel tot vor seine Füße. Bald kam er nun zu dem Schloß des Riesen, wo er anklopfte und auch eingelassen wurde. Die alte Frau, die am Feuer saß, warnte auch ihn vor dem schrecklichen Ungeheuer und berichtete vom Schicksal seines Bruders. Er aber war nicht irrezumachen. Der wilde Riese kam bald und brüllte:
»Ich rieche Knochen, ich rieche Blut,
ich rieche einen Menschenmann,
ich reiße ihm das Herz aus der Brust,
damit ich's essen kann.«


***
Er fand den jungen Mann sogleich und forderte ihn auf, aus dem Versteck zu kommen. Dann stellte er ihm die drei Fragen. Doch sie waren diesem schon von der guten Fee gesagt worden, und deswegen konnte er sie alle drei beantworten. Als nun der erste Kopf fragte: »Welches Ding ist ohne Ende?«, sagte er: »Eine Kugel.«Und als der zweite Kopf fragte: »Je winziger, um so gefährlicher. Was ist das?«, sagte er sogleich: »Eine Brücke.«Und als zuletzt der dritte Kopf fragte: »Wann trägt Totes Lebendiges, errate mir das«, antwortete er sofort: »Wenn ein Segler übers Meer fährt und an Bord Menschen sind.«

Da erkannte der Riese, daß seine Macht gebrochen war. Der junge Mann griff schnell nach einer Axt und hieb dem Scheusal alle drei Köpfe ab. Er fragte nun die alte Frau, wo die Königstochter gefangen läge, und die Frau führte ihn in das obere Stockwerk, öffnete viele, viele Türen, und aus jeder der Türen trat eine schöne Jungfrau. Sie alle waren von dem Riesen gefangengehalten worden, und eine von ihnen war die Königstochter.

Die alte Frau führte ihn danach hinunter in einen niedrigen Kellerraum, in dem eine Säule aus Stein stand, die er nur mit seinem Zauberstab



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zu berühren brauchte, um seinem Bruder das Leben wiederzugeben. Alle Gefangenen waren unsagbar glücklich über ihre Befreiung und dankten dem jungen Mann wieder und wieder.

Am nächsten Morgen machten sie sich zusammen auf den Weg nach des Königs Hof. Und der König verheiratete seine Tochter mit dem jungen Mann, der sie befreit hatte, und gab dessen Bruder die Tochter eines seiner Hofleute, und so lebten sie alle glücklich bis an das Ende ihrer Tage.


Der häßliche Wurm von Spindle-Ston-Heugh



***
Im Schloß von Bamborough lebte einst ein König, der eine schöne Frau und zwei liebe Kinder hatte, einen Sohn namens Chilkde-Wynd und eine Tochter namens Margaret. Chilkde-Wynd zog aus, um draußen in der Welt Heldentaten zu vollbringen, und bald nachdem er gegangen war, starb die Königin, seine Mutter. Der König betrauerte sie lange und schmerzlich, doch eines Tages, als er auf der Jagd war, begegnete er einer Dame von übergroßer Schönheit und begann sie gleich so innig zu lieben, daß er sie zu heiraten beschloß. Er sandte also Nachricht nach Hause, daß er eine neue Königin für Schloß Bamborough mitbringen werde.

Prinzessin Margaret war nicht glücklich bei dem Gedanken, daß eine andere den Platz ihrer Mutter einnehmen werde, doch sie murrte nicht und führte ihres Vaters Anweisungen aus, und am festgesetzten Tag kam sie zum Schloßtor herunter, alle Schlüssel in der Hand, um sie ihrer Stiefmutter zu übergeben. Bald näherte sich der festliche Zug, und die Königin trat auf Prinzessin Margaret zu, die sich tief verbeugte und ihr die Schlüssel des Schlosses reichte. Sie stand da mit geröteten Wangen und gesenktem Blick und sprach: »Willkommen, mein Vater, im Schloß und in allem, was dein ist; willkommen auch du, meine neue Mutter, in allem, was nun auch das deine ist!«, und wieder hielt sie ihr die Schlüssel hin. Einer der königlichen Ritter, die der Begleitung der neuen Königin zugeteilt waren, rief bewundernd aus: »Diese nordische Prinzessin ist gewiß die lieblichste ihres



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ganzen Geschlechts.« Da fuhr die neue Königin auf und schrie ihn an: »Durchlaucht haben wohl mich vergessen!« Und im gleichen Atemzug murmelte sie: »Ihre Schönheit, die werde ich gleich vernichten.«

Noch in derselben Nacht stahl sich die Königin, die eine böse Hexe war, hinunter in einen leeren Kerker und trieb dort ihren Zauber. Mit allerlei Beschwörungen gewann sie Zaubermacht über Prinzessin Margaret. Und das war ihr Spruch:

»Verzaubert sei und werde ein Wurm!
Entzaubert wirst du niemals mehr,
kommt nicht Chilkde-Wynd noch einmal her
und gäbe dir der Küsse drei -
dann wärst du von dem Zauber frei.
Drum, bis die Erde einst zerbricht,
bleibst du ein Wurm mit Wurmgesicht.«


***
Und so kam es, daß Prinzessin Margaret als strahlende Jungfrau zu Bett ging und als greulicher Wurm erwachte. Als ihre Mägde am Morgen hereintraten, um sie anzukleiden, fanden sie auf dem Bett einen zusammengerollten Drachen, der sich nun streckte und auf sie zukam. Da liefen sie schreiend fort, und der häßliche Wurm kroch und keuchte und keuchte und kroch, bis er den Heugh, der auch der Felsen von Spindle-Ston genannt wurde, erreicht hatte, um den er sich herum legte und sich, das schreckliche Maul in die Luft gestreckt, sonnte.

Nicht lange, und die im weiten Umkreis wohnenden Leute hatten allen Grund, den häßlichen Wurm von Spindle-Ston-Heugh zu kennen. Vor lauter Hunger stürzte das schreckliche Tier aus seiner Höhle und verschlang dann alles, was ihm in den Weg kam. Also gingen sie schließlich zu einem Zauberer und fragten ihn, was sie machen sollten. Der Zauberer befragte wieder seine geheimen Bücher und Vertrauten und berichtete dann: »Der häßliche Wurm ist in Wirklichkeit unsere Prinzessin Margaret, und nur schrecklicher Hunger zwingt sie zu ihrem Tun. Stellt sieben Kühe für sie beiseite



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und tragt an jedem Tag vor Sonnenuntergang jeden Tropfen Milch, den sie geben, an den Fuß des Heugh, und der häßliche Wurm wird keinen Schaden mehr anrichten. Doch wollt ihr, daß der Zauber von ihr genommen, und diejenige, die sie so böse verzauberte, schwer bestraft wird, dann schickt ihrem Bruder Chilkde-Wynd Nachricht übers Meer.«

Alles geschah, wie es der Zauberer gesagt hatte, der häßliche Wurm lebte von der Milch der sieben Kühe, und das Land hatte wieder seinen Frieden. Doch als Chilkde-Wynd die schlimme Nachricht erhielt, schwor er einen heiligen Eid, seine Schwester zu erlösen und sie an der grausamen Stiefmutter zu rächen. Und dreiunddreißig seiner Gefährten legten den gleichen Eid ab wie er. Dann gingen sie ans Werk und bauten ein großes Schiff, und den Kiel machten sie aus dem Holz der Eberesche. Nachdem alles fertig war, stachen sie in See, wie sie geschworen hatten, und fuhren geradewegs auf Bamborough zu.

Doch als sie sich der Küste näherten, spürte die Stiefmutter durch ihr Zauberwissen, daß sie von Unheil bedroht wurde. Deswegen rief sie ihre Zauberteufel zusammen und befahl: »Chilkde-Wynd kommt über das Meer; er darf niemals landen. Laßt Sturm ausbrechen, durchbohrt den Schiffsrumpf. Niemals darf er das Ufer erreichen.« Da sausten die Teufel davon, um Chilkde-Wynds Schiff zu vernichten; doch als sie hinkamen, erkannten sie, daß sie keine Gewalt darüber hatten, weil der Rumpf aus dem Holz der Eberesche war. Also kehrten sie zu der Königin-Hexe zurück, und diese wußte nun nicht mehr, was sie tun sollte. Sie befahl ihren Kriegern, Chilkde-Wynd zu besiegen, falls er in der Nähe landen würde, und sprach auch einen Zauber über den häßlichen Wurm, so daß er die Hafeneinfahrt bewachen mußte.

Als das Schiff sich näherte, stieß der Wurm ein furchtbares Fauchen aus, sprang ins Meer, fing das Schiff ab und vertrieb es von der Küste. Dreimal feuerte Chilkde-Wynd seine Gefährten an, mit aller Kraft zu rudern, aber jedesmal trieb ihn der häßliche Wurm vom Ufer fort. Nun befahl Chilkde-Wynd den Rückzug, und die Königin-Hexe glaubte, er habe seinen Versuch aufgegeben. Statt dessen



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aber wandte er sich in die nächstgelegene Bucht, landete sanft und sicher in Budle Creek und brach von dort mit gezogenem Schwert, gefolgt von seinen Mannen, auf, den wilden Drachen zu erlegen, der seine Landung verhindert hatte.

Doch in dem Augenblick, da Chilkde-Wynd das Ufer betrat, war die Macht der Königin-Hexe über den verzauberten Wurm gebrochen, der nun völlig verlassen, unbeschützt von Zauberern oder Kriegern, zu seinem Bau zurückkehrte. Er wußte, seine Stunde war gekommen. Als daher Chilkde-Wynd gegen ihn angestürmt kam, machte er keinerlei Versuch, ihm den Weg zu versperren oder ihn anzugreifen. Doch als Chilkde-Wynd sein Schwert hob, um den Wurm zu erschlagen, drang aus dessen Rachen die Stimme seiner eigenen Schwester Margaret, und die bat:

»Laß ruhen so Schwert wie Bogen dein,
gib mir der Küsse drei;
statt länger noch ein Wurm zu sein,
werde ich dann wieder frei.«


***
Chilkde-Wynd hielt inne, doch wußte er nicht recht, ob das alles nur Zauberei wäre. Deswegen bat der häßliche Wurm abermals:
»Laß ruhen so Schwert wie Bogen dein,
gib mir der Küsse drei,
noch eh' die Sonne untersinkt;
sonst werd' ich nie mehr frei.«


***
Da ging Chilkde-Wynd zu dem häßlichen Wurm und küßte ihn ein erstes Mal, aber nichts veränderte sich. Dann küßte Chilkde-Wynd ihn ein zweites Mal, doch wieder veränderte sich nichts. Doch er küßte das ekelhafte Ungeheuer zum drittenmal, und zischend und brüllend floh der häßliche Wurm, und vor Chilkde-Wynd stand seine Schwester Margaret. Er schlug seinen Mantel um sie und stieg mit ihr zum Schloß hinauf. Als sie die Burg erreicht hatten, eilte er ins Schlafgemach der Königin-Hexe, und als er sie sah, berührte er


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sie mit einem Zweig des Ebereschenbaumes. Kaum berührt, schrie und schrie sie, bis sie in eine riesige giftige Kröte mit vorstehenden Glotzaugen und gräßlichem Zischen verwandelt war. Sie quakte und zischte und hoppelte zuletzt die Stufen des Schlosses hinunter. Chilkde-Wynd wurde nun König, und alle konnten von jetzt an glücklich leben.

Doch bis zu diesem Tage ist eine ekelhafte Kröte nahe der Burg von Bamborough zu sehen, und diese grausig giftige Kröte ist niemand anderes als die böse Königin-Hexe.


König John und der Abt von Canterbury

Zur Zeit, als König John regierte, lebte ein Abt von Canterbury, der in seiner Abtei einen sehr großen Aufwand betrieb. Hundert Leute speisten jeden lieben langen Tag mit ihm in seinem Refektorium, und fünfzig Ritter, in Samtwämsen und mit goldenen Ketten angetan, bedienten ihn täglich.

Nun, wie ihr wißt, war König John ein schlechter König und konnte es nicht vertragen, daß irgend jemand in seinem Königreich, und wäre er noch so heilig, mehr geehrt werde als er. Also befahl er den Abt von Canterbury vor seinen Thron.

Der Abt kam mit großem Gefolge, mit seinen fünfzig Rittern in Samtwämsen und mit goldenen Ketten. Der König ließ ihn rufen und sprach: »Wie ist das, Vater Abt? Ich höre von dir, du treibst mehr Staat als ich selbst? Das steht unserer königlichen Würde nicht an und riecht geradezu nach Verrat.«

»Mein Herr und König«, antwortete der Abt, sich tief verneigend, »gestattet mir zu erwidern, daß alles, was ich ausgebe, aus Spenden bestritten wird, die das Volk freiwillig und aus Frömmigkeit aufbrachte. Ich vertraue darauf, daß Eure Gnade es mir nicht verübelt, wenn ich in der Abtei verbrauche, was der Abtei geschenkt wurde.«

»Du irrst, stolzer Prälat«, antwortete der König, »alles in diesem großen Reiche England ist unser, des Königs, und es kommt dir nicht zu, mich zu beschämen, indem du einen derartigen Pomp



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treibst. Doch ich bin voller Güte und will dir Leben und Besitz lassen, wenn du mir drei Fragen beantworten kannst.«

»Das will ich gern, mein Herr und König«, sagte der Abt, »soweit mein kleines Menschenhirn es vermag.«

»Nun gut«, fuhr der König fort, »sage mir, wo ist der Mittelpunkt der ganzen Welt. Dann sage mir, in welcher Zeit kann ich von einem Ende der Welt bis zum anderen reiten. Und als letztes sage mir, was ich denke.«

»Euer Majestät scherzen«, stammelte der Abt.

»Du wirst sehen, es ist kein Scherz«, erwiderte der König. »Kannst du mir diese Frage nicht drei Tage, ehe die Woche endet, beantworten, wird dein Kopf vom Rumpf getrennt.« Und damit wandte er sich und ging.

Ach, mit Furcht und Zittern ritt der Abt zunächst nach Oxford in der Hoffnung, einer der hochgelehrten Doctores würde ihm diese drei Fragen beantworten können. Doch keiner konnte ihm helfen, und er wandte sich jetzt angst- und sorgenvoll nach Canterbury, um von seinen Mönchen Abschied zu nehmen. Unterwegs aber traf er seinen Schäfer, der auf dem Weg zu seiner Herde war.

»Willkommen daheim, Herr Abt«, grüßte ihn der Schäfer, »Neuigkeiten vom guten König John?«

»Schlechte Neuigkeiten, schlechte Neuigkeiten, mein Schäfer«, seufzte der Abt und erzählte ihm alles.

»Da tröstet Euch, Herr Abt«, rief der Schäfer. »Ein Dummer kann mitunter beantworten, was ein kluger Mann nicht weiß. Laßt mich an Euer Statt nach London gehen. Leiht mir nur Eure Kleider und Euer Gefolge von Rittern. Notfalls kann ich auch statt Euer sterben.«

»Nein, Schäfer, das sei ferne«, rief der Abt aus, »ich selbst muß die Gefahr bestehen. Und deswegen kannst du mich nicht vertreten.«

»Ich kann, und ich will, Herr Abt. Wer sollte wissen, wer ich bin, wenn ich eine Kapuze trage?«

Schließlich erlaubte es der Abt und sandte ihn mit allem Gepränge nach London. Wie zuvor näherte er sich König John mit sämtlichem



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Gefolge, nur daß er selbst das schlichte Mönchsgewand und die Kapuze bis tief ins Gesicht hinein trug.

»Nun willkommen, Herr Abt«, sagte König John, »wie ich sehe, kennst du dein Schicksal.«

»Ich bin bereit, Euer Majestät zu antworten«, sagte der nur.

»Schön. Also Frage eins: Wo ist der Mittelpunkt der Erdkugel?«

»Hier«, sagte der Schäfer Abt, indem er seinen Abtstab in den Boden stieß, »und wenn Euer Majestät mir nicht glauben, meßt selbst und geht nachsehen.«

»Bei St. Botolph!« rief der König. »Eine hübsche Antwort und eine kluge dazu. Jetzt die zweite Frage: Wie lange muß ich reiten, bis ich um die Erde herumgekommen bin?«

»Wenn Euer Majestät die Güte haben wollten, mit der Sonne aufzubrechen und ihr entlangzureiten, bis sie am nächsten Morgen wieder da ist: Ich denke, Euer Gnaden werden dann um die ganze Erde herumgeritten sein.«

»Bei St. John«, lachte König John, »ich hatte nicht geglaubt, daß es so schnell ginge; doch lassen wir es dabei und beantworte nun meine dritte und letzte Frage: Was denke ich jetzt?«

»Das ist leicht geraten, Euer Gnaden«, sagte er. »Euer Majestät denken, ich sei der Abt von Canterbury, aber wie Ihr sehen könnt«, und damit riß er die Kapuze ab, »ich bin nur sein armer Schäfer, der hergekommen ist, um für ihn und für mich Eure Verzeihung zu erbitten.«

Laut lachte der König. »Gut gemacht! Du hast mehr Verstand als dein Herr und sollst daher an seiner Stelle Abt sein.«

»Ach nein, das ist nicht gut möglich«, widersprach der Schäfer, »ich kann ja weder schreiben noch lesen.«

»Gut, dann sollst du jede Woche vier Nobel für deinen wachen Witz haben. Und sage dem Abt, daß ich ihm verzeihe!«

Und König John sandte den Schäfer mit einem großen königlichen Geschenk, außer der festgesetzten Pension, wieder heim.



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Tamlane

Jung Tamlane war der Sohn des Grafen Murray, und Burd Janet war die Tochter Dunbars, des Grafen von March. Als die heranwuchsen, gewannen sie einander lieb und verlobten sich. Doch kurze Zeit vor ihrer Hochzeit verschwand Tamlane, und niemand wußte, was aus ihm geworden war.

Viele Tage nach seinem Verschwinden ging Burd Janet in den Wald von Carterhaugh, obgleich sie gewarnt worden war, ihn zu betreten. Und während sie so ging, pflückte sie Blumen von den Büschen. Zuletzt kam sie an einen Ginsterbusch und begann Zweige von ihm zu brechen. Sie hatte noch nicht mehr als drei genommen, als plötzlich Tamlane an ihrer Seite stand. »Oh, woher kommst du, Tamlane, Tamlane?« rief Burd Janet. »Und wo warst du so lange?«

»Ich komme aus dem Elfenland«, antwortete Jung Tamlane. »Die Elfenkönigin hat mich zu ihrem Ritter gemacht.«

»Doch wie kamst du dahin?« fragte Burd Janet.

»Ich war eines Tages auf der Jagd, und als ich um den Hügel herumritt, überfiel mich eine tiefe Müdigkeit, und als ich erwachte, ach, da war ich im Elfenland. Schön und heiter ist das Land, doch gern möchte ich heraus, um deinet- und einer anderen Sache willen. Alle sieben Jahre zahlen nämlich die Elfen ihren Zehnten an die Unterwelt, und die Königin gibt sich so viel mit mir ab -ich fürchte, daß ich nächstens in Zahlung gegeben werden soll.«

»Oh, kannst du dem nicht auf irgendeine Art entgehen? Sage es mir, wenn ich dich retten kann, Tamlane!«

»Nur eine Möglichkeit gibt es zu meiner Rettung. Morgen nacht ist Aufbruch, und der ganze Elfenhofstaat reitet dann durch England und Schottland, und wenn du mich aus dem Elf renreich zurückholen willst, mußt du in der Mitternachtsstunde am Kreuzweg bei Miles stehen, und mit Weihwasser mußt du einen Kreis ganz um dich herum sprengen.«

»Wie aber soll ich dich unter so vielen Rittern, die ich nie gesehen habe, herauskennen?«fragte Burd Janet.

»Den ersten Elfenzug, der vorüberkommt, laß dahinziehen. Den



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nächsten Zug mußt du auch unbeachtet vorbeilassen, aber bewege dich nicht und gib keinen Laut von dir. Doch der dritte Zug, das ist der Hauptzug, und an seiner Spitze reitet die Königin des Elf Und an ihrer Seite werde ich auf einem milchweißen Pferd reiten und werde einen Stern in meiner Krone haben. Sie wollen mich damit als christlichen Ritter ehren. Achte auf meine Hände, Janet, die Rechte wird bekleidet, die Linke bloß sein, daran kannst du mich erkennen.«

»Wie aber vermag ich dich zu retten, Tamlane?«fragte Burd Janet. »Du mußt plötzlich auf mich zuspringen, und ich werde zu Boden fallen. Dann ergreife mich schnell. Und was auch immer mit mir geschieht, denn sie werden alle ihre Zauberkünste anwenden, halte mich ganz fest, bis sie mich in rotglühendes Eisen verwandeln. Dann wirf mich in den geweihten Kreis, und ich werde in einen völlig nackten Mann zurückverwandelt werden. Wirf dann deinen grünen Mantel über mich, und ich gehöre dir und der Erdenwelt wieder.«

Burd Janet versprach, das alles für Tamlane zu tun, und in der folgenden Nacht stand sie am Kreuzweg von Miles und sprengte einen schützenden Kreis aus Weihwasser um sich.

Bald nahten die Elfen auf ihren Pferden. Als erste kam über den Wall daher eine Gruppe auf schwarzen Pferden, dann eine andere auf braunen. Doch in der dritten Gruppe, in der alle auf milchweißen Pferden ritten, sah sie die Elfenkönigin und an ihrer Seite einen Ritter mit einem Stern in seiner Krone, dessen rechte Hand bekleidet, die linke aber bloß war. Da wußte sie, daß dies ihr Tamlane war, und sprang vorwärts, griff die Zügel des milchweißen Pferdes und riß seinen Reiter herunter. Und sowie er die Erde berührte, ließ sie die Zügel los und nahm ihn in ihre Arme.

»Er hat gesiegt, mitten unter uns hat er gesiegt!«tobte die Schar der Elfen, und alle drängten sich um sie und trieben ihre Zauber mit Jung Tamlane. In Janets Armen verwandelten sie ihn erst in hartgefrorenes Eis, dann in eine riesige Flamme, die aus glühendem Feuer hochschoß. Dann verschwand das Feuer wieder, und eine Natter schlängelte sich in Janets Armen. Aber sie hielt fest. Danach verwandelten sie ihn in eine Schlange, die aufzüngelte, als wolle sie beißen,



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doch sie hielt inne. Nun, plötzlich, flatterte eine Taube in ihren Armen und wäre beinahe davongeflogen. Jetzt wurde er in einen Schwan verwandelt, doch alles war vergeblich, bis er zuletzt ein rotglühendes Eisenstück wurde. Das warf sie mitten hinein in das geweihte Wasser, und nun wurde er ein nackter Mann. Schnell warf sie ihren grünen Mantel über ihn, und Jung Tamlane gehörte nun Burd Janet für immerdar.

Die Elfen wandten sich und setzten ihren Zug fort, indes ein Lied der Elfenkönigin noch herüberklang:

»Die mir genommen Jung Tamlane,
Sich gewann den strahlenden Mann -
Sie nahm den wertesten Ritter mir -
Wie ich das verwinden kann?
Hätt ich gewußt, Tamlane, Tamlane,
Ein Weib entführte dich mir -
Ich hätte genommen dein Augenpaar grau,
Gab hölzernes dir dafür.
Hätt' ich gewußt, Tamlane, Tamlane,
Eh' ich aufs Roß mich schwang,
Wie ungetreu dein Herze mir -
Ein steinernes trügst jetzt du zum Dank.
Und hätt' ich gestern schon gewußt,
Was heute ich erst weiß —
Vernichtet wäre sie siebenmal,
Und mein wärst du als Preis.«


***
Der Elfenzug entschwand, und Burd Janet und Jung Tamlane gingen heimwärts, und bald fand ihre Trauung statt, nachdem Jung Tamlane noch einmal mit dem heiligen Wasser gesegnet und wieder zu einem Christen geworden war.


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Die Geschichte von Tom, dem Däumling

Zu Zeiten des großen Arthur lebte ein mächtiger Magier, Merlin genannt, der klügste und kundigste Zauberer, den die Welt je gesehen hat.

Dieser berühmte Magier, der jede Gestalt annehmen konnte, die er gerade wollte, reiste einmal als armer Bettler im Lande umher, und da er sehr müde war, hielt er vor der Hütte eines einfachen Bauern inne, um sich auszuruhen und um etwas Essen zu bitten.

Der Landmann begrüßte ihn freundlich, und sein Weib, eine gutherzige Frau, brachte ihm gleich Milch in einer hölzernen Schale und ein paar Scheiben groben Brotes auf einem Teller.

Merlin freute sich von Herzen über die Freundlichkeit des Landmannes und seiner Frau, aber die beiden machten auf ihn, obwohl alles in der Hütte nett und gemütlich war, den Eindruck eines tiefen Unglücks.

Und als er fragte, weshalb sie so traurig wären, erfuhr er, daß sie schmerzlich darunter litten, keine Kinder zu haben.

Die arme Frau sagte tränenden Auges: »Ich wäre der glücklichste Mensch auf der Welt, hätte ich nur einen Sohn. Und ich würde schon zufrieden sein, selbst wenn er nicht größer als der Daumen meines Mannes wäre.«

Als Merlin sich einen Knaben vorstellte, der nicht größer als eines Mannes Daumen wäre, machte ihm das so viel Spaß, daß er beschloß, den Wunsch der Frau zu erfüllen.

Also bekam die Frau des Landmannes kurze Zeit darauf einen Sohn, der, es ist reizend zu berichten, nicht das kleinste bißchen größer war als seines Vaters Daumen!

Die Feenkönigin wollte diesen winzigen Burschen gern sehen und kam durchs Fenster geflogen, während die Mutter aufrecht im Bett saß und ihr Kindlein bewunderte. Die Königin küßte das Kindchen, gab ihm den Namen »Tom der Däumling« und ließ etliche Feen kommen, die nun ihr Patenkind nach ihrer Anweisung kleiden mußten:



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»Ein Eichenblatthut bedecke den Kopf,
das Hemd sei aus Spinnengewebe gesponnen,
die Jacke gewebt aus der Distel Flaum,
die Höslein werden aus Federn gemacht,
die Strümpfe, aus Apfelbaums Rinde gefertigt,
sie binde die Wimper von Mütterchens Auge,
die Schuhe macht schnell aus dem Pelzwerk des Mäuschens,
gegerbt fein, mit dem flaumigen Haar nach innen.«


***
Tom wuchs zwar nie über den Daumen seines Vaters hinaus - und das war einer von durchschnittlicher Länge -, aber je älter er wurde, um so gescheiter und voller Possen war er auch. Als er alt genug war, um mit andern Knaben zu spielen, pflegte er, hatte er alle seine eigenen Kirschkerne verloren, in die Taschen seiner Spielgefährten zu klettern, seine eigenen Taschen neu zu füllen und, von den andern unbemerkt, wieder weiter mitzuspielen.

Jedoch als er eines Tages aus einer Tasche voller Kirschkerne, in der er wie gewöhnlich geklaut hatte, herausschlich, sah ihn zufällig der Knabe, den er bestohlen hatte. »Sieh, sieh, mein kleiner Tommy«, rief der Junge, »da habe ich dich doch mal dabei erwischt, wie du meine Kirschkerne stiehlst, und nun sollst du deine Belohnung für deine diebischen Klettereien haben.«Und damit zog er ein Band fest um seinen Nacken und schüttelte das Bündelchen so heftig, daß Arme, Beine und der ganze Körper des armen kleinen Tom jämmerlich gequetscht wurden. Er schrie vor Schmerzen und bat, ihn auszulassen, er würde auch nie wieder stehlen. Kurze Zeit darauf rührte seine Mutter einen Teig an, um einen Kochpudding zu machen, und neugierig, wie das vor sich ginge, kletterte Tom auf den Rand der Schüssel. Doch sein Fuß glitt aus, und er fiel kopfüber in den geschlagenen Teig, ohne daß seine Mutter es merkte, die ihn mit in die Puddingform schüttete, die sie in den Topf stellte, der ins kochende Wasser kam.

Der Teig quoll in Toms Mund und hinderte ihn so am Schreien. Doch als er das heiße Wasser spürte, stieß und strampelte er so wild in dem Topf, daß seine Mutter meinte, der Pudding sei verhext, ihn



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nahm und aus der Tür warf. Ein armer Kesselflicker, der vorbeiging, nahm die Puddingform auf, steckte sie in seinen Sack und ging weiter. Als Tom allmählich den Teig aus seinem Mund herausgewürgt hatte, begann er laut zu schreien, worauf der Kesseiflicker derart erschrak, daß er die Puddingform wegwarf und davonrannte. Der Pudding brach beim Fallen auseinander, Tom kroch völlig teigbedeckt heraus und lief nach Hause. Seine Mutter, ganz unglücklich, ihren Liebling in einer so traurigen Verfassung wiederzusehen, steckte ihn in eine Teetasse, wusch ihm den Teig ab, küßte ihn und legte ihn ins Bett.

Kurze Zeit nach dem Puddingabenteuer ging Toms Mutter auf die Wiese, um die Kuh zu melken, und nahm ihn mit. Da der Wind heftig blies, fürchtete sie, er könne weggeblasen werden, und deswegen band sie ihn mit einem Faden an einer Distel fest. Bald sah nun die Kuh Toms Eichenblatthut, und da er ihr gefiel, riß sie sich den armen Tom mitsamt der Distel ins Maul. Während die Kuh die Distel kaute, fürchtete sich Tom vor ihren großen Zähnen, die ihn jeden Augenblick in Stücke quetschen konnten, und er rief, so laut er nur konnte: »Mutter! Mutter!«

»Wo bist du, Tommy, mein lieber kleiner Tommy?«fragte die Mutter.

»Hier, Mutter«, antwortete er, »im Maul von der roten Kuh.« Die Mutter schrie auf und rang die Hände, die Kuh aber, überrascht durch das seltsame Geräusch in ihrer Gurgel, machte das Maul auf und ließ Tom herausfallen. Glücklicherweise fing seine Mutter ihn in ihrer Schürze auf, als er zu Boden fiel, sonst würde er sich schwer verletzt haben. Sie barg nun Tom an ihrer Brust und lief mit ihm nach Hause.

Toms Vater machte dem Knäblein eine Peitsche aus Gerstenhalmen, um damit das Vieh zu treiben, und als Tom eines Tages aufs Feld ging, glitt er aus und fiel in eine Furche. Ein vorüberfliegender Rabe pickte ihn auf, flog mit ihm aufs Meer hinaus und ließ ihn dort fallen.

Ein großer Fisch, der Tom in dem Augenblick, als er ins Wasser fiel, gierig verschlungen hatte, wurde kurz danach gefangen und für die



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Tafel des Königs Arthur gekauft. Als sie den Fisch vorm Kochen öffneten, waren alle erstaunt, solch einen kleinen Jungen zu finden, und Tom war selig, wieder befreit zu sein. Sie trugen ihn zum König, der ihn zu seinem Hofzwerg ernannte, und er wurde am ganzen Hofe sehr beliebt, weil er durch seine Einfälle und seinen Witz nicht nur den König und die Königin, sondern auch alle Ritter der Tafelrunde unterhielt.

Es hieß, daß der König bei Ausritten Tom oft mitnahm und dieser, wenn ein Regenschauer kam, in die Wesentasche Seiner Majestät schlüpfte, wo er so lange schlief, bis der Regen vorüber war.

Eines Tages fragte König Arthur Tom nach seinen Eltern und wollte gern wissen, ob sie auch so klein wie er und ob sie beide gesund wären. Tom erzählte dem König, seine Eltern seien genauso groß wie alle anderen Leute, aber sie lebten sehr ärmlich. Als er das hörte, trug der König Tom in seine Schatzkammer, wo sein ganzes Geld aufbewahrt wurde, und erlaubte ihm, so viel Geld zu nehmen, wie er zu seinen Eltern heimzutragen vermöchte. Vor Freude machte der arme kleine Kerl einen richtigen Luftsprung. Er nähte sich aus einer Wasserblase einen Geldbeutel und ging in die Schatzkammer zurück, wo ihm ein silbernes Drei-Penny-Stück gegeben wurde, das er nun hineintun konnte.

Unser kleiner Held hatte es recht schwer, die Last auf seinen Rücken heraufzubekommen, aber zuletzt war ihm das seiner Meinung nach recht gut gelungen, und er begab sich auf den Weg. Schließlich erreichte er ohne irgendwelchen Unfall und wohl unterwegs hundertmal rastend nach zwei Tagen und zwei Nächten sicher das elterliche Haus.

Tom war achtundvierzig Stunden mit einem riesigen Silberstück auf dem Rücken unterwegs gewesen und nun todmüde, als seine Mutter herausgelaufen kam und ihn ins Haus trug. Doch er kehrte sofort wieder an den königlichen Hof zurück.

Da Toms Kleider in dem Puddingtopf und im Bauch des Fisches sehr gelitten hatten, befahl Seine Majestät, ihm eine Anzahl neuer Kleider zu machen, und ernannte ihn zum Ritter auf einer Maus.



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Aus Schmetterlingsflügeln entstand sein Hemd,
die Stiefel sein aus Hühnerhaut,
und schnell mit feenzartem Blatt
in bester, feinster Schneiderart
ward sein Gewand ergänzt.
Die Nadel ward sein Schwert am Gurt,
ein zierlich Mäuschen ward sein Pferd,
so ward auch Tom ein Ritter wert.


***
Bestimmt sah es sehr lustig aus, Tom in seinem neuen Kleid und auf der Maus zu sehen, wenn er mit dem König und dem Adel zusammen zur Jagd ritt, und alles brach in Gelächter aus über Ritter Tom und sein kühnes Streitroß.

Der König war so entzückt über das gute Benehmen des Kleinen, daß er einen winzigen Stuhl für ihn herstellen ließ, damit Tom auf der Tafel vor ihm sitzen konnte. Auch ließ er ein Schlößchen aus Gold anfertigen, eine Handspanne hoch, die Tür einen Zoll breit, in dem Tom wohnen durfte, und schenkte ihm eine von sechs hübschen Mäuslein gezogene Kutsche.

Doch die Königin war so böse um der vielen Ehrungen willen, die diesem Sir Thomas gespendet wurden, daß sie ihn zu vernichten beschloß und dem König erzählte, der kleine Ritter sei ihr zudringlich begegnet.

Der König befahl Tom sogleich zu sich, doch dieser war sich der Gefahr des königlichen Zornes voll bewußt und verkroch sich in ein leeres Schneckenhaus, wo er sich so lange verborgen hielt, bis er vor Hunger fast zu sterben glaubte. Endlich wagte er herauszukriechen, und da er einen schönen großen Schmetterling dicht neben seinem Versteck am Boden sitzen sah, schlich er hin, sprang auf den Rücken des Schmetterlings und wurde in die Luft getragen. Der Schmetterling flog mit ihm von Baum zu Baum, von Feld zu Feld und kehrte dann an den Hof zurück, wo alle, der König und seine Edelleute, ihn zu fangen versuchten. Doch zuletzt fiel Tom von seinem Sitz herunter, gerade in einen vollen Wassertopf, und wäre fast ertrunken.



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Als die Königin ihn sah, geriet sie in Wut und verlangte, daß er geköpft werde, und bis dahin sperrte man ihn in eine Mausefalle. Doch eine Katze, die etwas Lebendiges in der Falle beobachtete, schlug so lange dagegen, bis die Drähte brachen und Thomas frei wurde.

Der König wandte nun erneut Tom seine Gunst zu, doch dieser konnte sich ihrer nicht mehr lange erfreuen, denn eine große Spinne griff ihn eines Tages an, und obwohl er sein Schwert zog und tapfer kämpfte, wurde er durch ihren giftigen Atem getötet.

Tot fiel er nieder, der gekämpft so gut -
die Spinne trank Tropfen um Tropfen sein Blut.


***
König Arthur und sein ganzer Hof waren so voll Kummer über den Verlust des kleinen Gesellen, daß sie Trauerkleidung anlegten und ein schönes Grabmal aus weißem Marmor errichten ließen, auf dem folgender Spruch zu lesen war:
Hier liegt Toni Däumling, König Arthurs Held.
Eine giftige Spinne hat ihn gefällt.
Er war so beliebt in Arthurs Rund,
sein ritterlich Wesen war allen kund.
Er ritt über Stock und ritt über Stein
auf seiner Maus - und der Sieg war sein.
Sein heiteres Wesen gab Freude und Lust,
wir trauern, daß er schon hinfort gemußt.
Weint, Augen, weint! Senkt euch voll Not!
Ja, weint! Denn ach: Tom Däumling ist tot.


Mister Fox



***
Lady Mary war jung, und Lady Mary war schön. Sie hatte zwei Brüder und mehr Anbeter, als sie zählen konnte. Doch der stattlichste und tapferste von allen war Mister Fox, den sie kennenlernte, als sie


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einige Zeit im Landhaus ihres Vaters wohnte. Niemand wußte, wer Mister Fox war, doch war er mutig und anscheinend sehr reich. Jedenfalls zog Lady Mary ihn allen anderen Bewerbern vor. Und schließlich beschlossen sie, zu heiraten. Lady Mary fragte Mister Fox, wo sie wohnen würden, und er beschrieb ihr sein Schloß, wie es aussah und wo es stand, doch seltsamerweise lud er weder sie noch ihre Brüder ein, ihn zu besuchen und es sich mal anzusehen.

Eines Tages, es war kurz vor der Hochzeit, als ihre Brüder nicht daheim und Mister Fox ein oder zwei Tage geschäftlich verreist war, machte Lady Mary sich auf den Weg zu Mister Foxens Schloß. Nach vielem Suchen fand sie es auch, und es war ein schöner, stolzer Bau mit hohen Wällen und einem tiefen Graben. Und als sie an das Tor kam, stand darüber zu lesen:

»Sei kühn, sei kühn.«


***
Da das Tor offenstand, lief sie hindurch, sah aber keine Menschenseele. So schritt sie auf den Schloßeingang zu und fand darüber geschrieben:
»Sei kühn, sei kühn, doch nicht zu kühn.«


***
Sie ging weiter, bis sie in die Halle kam, schritt die breiten Treppen hinauf und stand zuletzt vor einer Tür in der Galerie, über der die Worte zu lesen waren:
»Sei kühn, sei kühn, doch nicht zu kühn:
In Herzblut endet sonst dein Müh'n.«


***
Lady Mary aber war mutig, sehr mutig, und sie öffnete die Tür - und was glaubt ihr wohl, was sie dort sah? Ach, rings nur blutige Körper und Skelette der schönsten jungen Frauen! Bei diesem Anblick wußte Lady Mary, es wäre am besten, so schnell wie möglich von diesem schrecklichen Ort zu fliehen, und sie schloß die Tür wieder, eilte durch die Galerie und wollte gerade die Treppe hinunter


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und aus der Halle hinauslaufen - wen sah sie durch das Fenster geradewegs auf das Schloß zukommen und ein wunderschönes junges Mädchen zur Eingangstür mit sich zerren?: den Mister Fox! Lady Mary rannte die Treppe hinunter und konnte sich eben noch hinter einem Faß verstecken, als Mister Fox mit der armen jungen Frau, die sehr verängstigt schien, hereintrat. Gerade als er nahe an Lady Mary vorüberging, sah er an der Hand des jungen Mädchens, das er mit sich schleppte, einen großen Diamantring blitzen und wollte ihn schnell abreißen. Aber er saß fest und ließ sich nicht abziehen, soviel auch Mister Fox riß und zerrte. Da zog er blitzschnell sein Schwert und hieb dem armen jungen Mädchen mit einem Schlag die ganze Hand ab. Die abgeschlagene Hand sprang hoch und fiel dann ausgerechnet in Lady Marys Schoß. Mister Fox schaute zwar ringsum, kam aber nicht auf den Gedanken, hinter das Faß zu sehen, und ging zunächst, die junge Frau hinter sich herziehend, die Treppe hinauf und in das Blutzimmer. Als Lady Mary ihn sich durch die Galerie entfernen hörte, huschte sie leise zur Tür, schlüpfte hinaus und lief, so schnell ihre Füße sie tragen konnten, nach Hause.

Nun war es so, daß gerade am nächsten Tag der Heiratskontrakt zwischen Lady Mary und Mister Fox unterzeichnet werden sollte, weshalb vorher ein prächtiges Mahl stattfand. Und als Mister Fox bei Tisch Lady Mary gegenüber Platz nahm, sah er sie an und sagte: »Wie blaß bist du heute, mein Liebling?«

»Ach«, antwortete sie, »heute nacht, kurz vor Morgengrauen, ging es mir sehr schlecht, denn ich hatte einen furchtbaren Traum.«

»Meist geht das Gegenteil von dem in Erfüllung, was man träumt«, sagte Mister Fox, »doch erzähle uns deinen Traum, damit deine süße Stimme die Zeit bis zu unserer endgültigen Vereinigung überbrückt.«

»Ich träumte«, so begann Lady Mary, »ich wäre gestern morgen auf dem Weg in dein Schloß gewesen und hätte es mitten in einem Wald gefunden, von hohen Wällen und tiefen Gräben umgeben, und über dem Tor hätte gestanden:

>Sei kühn, sei kühn.<«


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***
»Aber so ist es nicht, und so war es nicht«, sagte Mister Fox.

»Und als ich dann vor dem Eingang innehielt, las ich dort:

>Sei kühn, sei kühn, doch nicht zu kühn.<«


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»Weder ist es so, noch war es so«, sagte Mister Fox. »Nun ging ich eine Treppe hinauf und kam auf eine Galerie, die an einer Tür endete. Und über der stand zu lesen:
>Sei kühn, sei kühn, doch nicht zu kühn:
In Herzblut endet sonst dein Müh'n.<«


***
»Weder ist es so, noch war es so«, sagte Mister Fox. »Und dann -ja, dann öffnete ich die Tür, und da war der ganze Raum voller blutiger Körper und Skelette getöteter junger Frauen.«

»Weder ist es so, noch war es so. Und Gott verhüte, daß es je so sei«, sagte Mister Fox.

»Ich träumte, daß ich schnell die Galerie zurücklief und gerade, als ich die Treppe hinuntereilte, Ihr, Mister Fox, auf den Eingang zukamt und eine arme junge Dame, die mir schön und reich schien, mit Euch zogt.«

»Weder ist es so, noch war es so. Und Gott verhüte, daß es je so sei«, sagte Mister Fox.

»Ich raste hinunter und konnte mich eben noch hinter einem Faß verstecken, als Ihr, Mister Fox, das Fräulein am Arm zerrend, eintratet. Und als Ihr an mir vorübergingt, Mister Fox, glaubte ich zu erkennen, wie Ihr dem Fräulein einen Diamantring vom Finger ziehen wolltet, und als das nicht gelang -ach, Mister Fox, wie schrecklich war dieser Traum! —, zogt Ihr Euer Schwert und hacktet der Bemitleidenswerten einfach die Hand ab, um den Ring zu bekommen.«

»Weder ist es so, noch war es so. Und Gott verhüte, daß es je so sein möge.« Und er wollte gleich etwas Belangloses hinzufügen, als er entsetzt von seinem Sitz aufsprang. Denn Lady Mary schrie laut:



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»Aber es ist so, und es war so. Hier seht ihr alle die Hand mit dem Ring!«Und mit einem Ruck zog sie die abgeschlagene Hand, die sie verborgen bei sich getragen hatte, hervor und hielt sie vor Mister Fox hoch. Da rissen ihre Brüder und Freunde ihre Schwerter aus der Scheide und zerstückelten den Unmenschen und warfen die tausend Teile den wilden Tieren zum Fraß vor.


Das Nest der Elster

Einst sprach das Schwein
stets nur im Reim -
und Affen kauten Kautabak -
und Hennen schnupften mit Ach und Weh:
sie glaubten, das mache sie zäh -
und Enten quacksalberten
quack-quack, quack-quack, o, o!


***
Alle Vögel der Lüfte kamen zu der Elster und baten sie, ihnen zu zeigen, wie man ein Nest bauen müsse. Denn die Elster ist der klügste aller Vögel im Nestbau. Sie ließ alle Vögel rund um sich herum niedersitzen und begann, es ihnen vorzumachen. Erst nahm sie etwas Schlamm und machte eine Art Kuchen daraus.

»Oh, das ist gut«, rief die Drossel und flog weg. Und daher kommt es, daß so die Drossel ihr Nest baut.

Dann nahm die Elster ein paar Zweiglein und legte sie rundum in den Schlamm.

»Jetzt weiß ich Bescheid«, rief die Amsel und flog davon. Und von dem Tage an machen die Amseln so ihre Nester.

Nun legte die Elster eine zweite Lage Schlamm auf die Zweige. »Ja, das leuchtet einem in der Tat ein«, überlegte die kluge Eule und flog weg. Und Eulen haben seitdem nie bessere Nester gebaut. Als nächstes nahm die Elster ein paar Zweige, um sie rund um die Außenseite zu flechten.



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»Das ist ein Ding!«schilpte der Sperling und flog ab. Auf diese Art, wenn auch ziemlich liederlich, machen bis heute die Sperlinge ihre Nester.

Aber nun holte Madga, die Elster, einige Federn und Stoffrestchen zusammen und polsterte das Nest wunderbar damit aus.

»Das gefällt mir«, schrillte der Star und flog davon. Und deswegen haben die Stare sehr gepflegte Wohnungen.

So ging es nun! Jeder Vogel schnappte etwas der Nestbaukunst auf, aber keiner wartete, bis er sie ganz beherrschte. Madga, die Elster, baute jedoch und baute, ohne auch nur ein einziges Mal aufzusehen, bis nur noch ein Vogel, die Turteltaube, dasaß. Aber die hatte während der ganzen Zeit überhaupt nicht aufgepaßt, sondern sich nur damit beschäftigt, ihr törichtes Gurren auszustoßen: »Nimm zwei, nimm zwei, nimm zwaa-ei.«

Schließlich hörte die Elster dieses Gerufe, gerade als sie einen Zweig herumwand. Deswegen sagte sie: »Einer genügt.«

Aber die Turteltaube bleib dabei, weiterzurufen: »Nimm zwei, nimm zwei, nimm zwaa-ei.«

Da wurde die Elster ärgerlich und widersprach: »Einer ist genug, das habe ich dir doch schon gesagt.«

Weiter aber plapperte die Turteltaube ihr: »Nimm zwei, nimm zwei, nimm zwaa-ei.«

Schließlich und endlich sah die Elster hoch und sah im ganzen Umkreis niemanden außer der Turteltaube. Und da wurde sie sehr böse und flog fort und weigerte sich, je wieder den Vögeln zu zeigen, wie man Nester bauen muß. Und daher bauen die verschiedenen Vögel ihre Nester alle verschieden.


Ein Sohn Adams

Ein Mann ging eines Tages zur Arbeit. Es war glühend heiß, und er war am Graben. Immer wieder mußte er innehalten und Luft holen und sein Gesicht abwischen. Und er war richtig böse, als ihm der Gedanke kam, er müsse so schwer nur arbeiten, weil Adam gesündigt



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hatte. Darüber klagte er bitterlich und stieß auch einige harte Worte gegen Adam aus.

Zufällig aber hörte das gerade sein Meister und fragte ihn: »Warum schiltst du so auf Adam? Wärst du an seiner Stelle gewesen, hättest du es sicher geradeso wie er gemacht.«

»Nein, das hätte ich nicht«, widersprach der Mann. »Ich wäre klüger gewesen.«

»Schön, wir wollen sehen«, sagte sein Meister. »Komm heute zu mir zum Mittagessen.«

Die Mittagszeit kam, der Mann kam, und der Meister führte ihn in ein Zimmer, in dem auf einem Tisch die verschiedensten leckeren Speisen standen. Und er sagte: »Also du kannst hier von allem und soviel du nur magst essen. Nur das zugedeckte Gericht in der Mitte laß stehen, bis ich selbst komme.«Und er ging aus dem Zimmer und ließ den Mann allein.

Der setzte sich gleich und bediente sich fleißig und aß von diesem und aß von jenem und tat sich keinerlei Zwang an. Als aber sein Meister nach längerer Zeit noch immer nicht gekommen war, fiel sein Blick öfter und öfter auf die zugedeckte Schüssel, und er rätselte herum, was da wohl drin sein könnte. Und er wurde zunehmend neugieriger und sagte schließlich zu sich: >Es muß etwas besonders Gutes sein. Warum soll ich gerade das noch nicht sehen? Ich will es ja gar nicht berühren. Dabei kann doch nichts weiter sein, wenn ich nur einmal einen verstohlenen Blick darauf werfe?< Und zuletzt konnte er seine Neugier nicht mehr beherrschen und hob den Deckel ein ganz klein wenig, konnte aber nichts erkennen. Da hob er den Deckel etwas mehr - und heraus sprang eine Maus. Der Mann versuchte sie zu fangen, doch sie rannte fort und er lief hinterher. Sie sauste erst in die eine Ecke und dann in die andere und unter den Tisch und kreuz und quer durch das Zimmer. Der Mann machte einen solchen Lärm, als er so hinter der Maus hersprang, schlug und alles dabei umrannte, daß zuletzt sein Meister hereinkam.

»Ach!« rief er aus. »Mein lieber Mann, nun tadele mir aber Adam nie wieder!«



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Die klugen Leute von Gotham


1. Wenn man Schafe kaufen geht

Es waren einmal zwei Männer, von denen einer auf den Markt nach Nottingham ging, um Schafe zu kaufen, während der andere gerade vom Markt kam, und sie trafen sich auf der Brücke von Nottingham.

»Wohin gehst du?«fragte der eine, der von Nottingham kam.

»Ach«, sagte der, der nach Nottingham ging, »ich will Schafe kaufen.«

»Schafe kaufen?«fragte der andere. »Auf welchem Wege willst du sie denn heimtreiben?«

»Ach«, sagte der, »ich werde sie hier über die Brücke treiben.«

»Bei Robin Hood«, rief der, der von Nottingham kam, »das sollst du nicht.«

»Bei der Heiligen Jungfrau«, sagte der, der hinging, »das will ich aber.

»Das wirst du nicht tun«, drauf der andere wieder.

»Das werde ich aber«, der von vorher.

Dann stießen beide ihre Stöcke so weit vor sich in den Boden, als ob eine Herde von hundert Schafen zwischen ihnen wäre.

»Laß das«, sagte der eine. »Laß endlich meine Schafe über die Brücke hinüber.«

»Das erlaube ich nicht«, rief der andere. »Hier sollen sie nicht gehen.« «

»Aber ich will sie hier herüber haben«, wieder der eine.

Nun wieder der andere: »Wenn du das versuchst, werde ich dir eine aufs Maul geben.«

»Wirst du?«fragte höhnisch der eine.

Nun, als sie so immer mehr in Streit gerieten, kam ein anderer Gothamer vom Markt, dessen Pferd einen Sack voll Mehl auf dem Rücken trug. Als er sah und hörte, wie hitzig diese zwei Nachbarsleute wegen Schafen aneinandergerieten, die gar nicht vorhanden waren, rief er: »Ach, ihr Narren! Werdet ihr niemals gescheit werden? Helft mir mal und hebt mir den Sack auf die Schulter!«



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Das taten sie, und er ging ans Brückengeländer, machte den Sack auf und schüttete alles Mehl in den Fluß.

»Nun, Nachbarn«, sagte er, »wieviel Mehl ist wohl in meinem Sack?«

»Ach«, riefen sie, »da ist doch gar nichts mehr drin.«

»Meiner Treu«, bekräftigte er, »ebensowenig wie in euren beiden Köpfen, die ihr euch aufregt und über etwas zerstreitet, was ihr überhaupt nicht habt.«

Wer wohl mag der Klügste von den dreien gewesen sein? Urteilt selbst!


2. Wie man darangeht, einen Kuckuck einzusperren

Einmal kamen die Leute von Gotham auf den Gedanken, sie wollten sich einen Kuckuck halten, damit sie ihn das ganze Jahr hindurch hören könnten. Und sie errichteten mitten in der Stadt ein Heckenrund, fingen einen Kuckuck, setzten ihn hinein und sagten: »Jetzt singe hier schön das ganze Jahr lang, oder du bekommst weder Essen noch Trinken.«

Der Kuckuck, sobald er in die Hecke gesetzt wurde, flog auf und davon.

»Da haben wir's!«riefen sie. »Wir haben die Hecke nicht hoch genug gemacht!«


3. Wie man Käse befördert

Es war einmal ein Mann in Gotham, der nach Nottingham auf den Markt ging, um Käse zu verkaufen. Und als er den Hügel zur Brücke von Nottingham hinunterging, fiel ein Käse aus seinem Ranzen und rollte den Hügel hinunter.

»Hallo, Gevatter«, sagte der Mann, »kannst du allein zum Markt rollen? Dann will ich dir die anderen nachschicken.« Und er nahm sein Ränzel ab, zog die Käse heraus und rollte sie, einen nach dem anderen, die Hügel hinunter. Die einen blieben hier in einem Gebüsch hängen, die anderen in irgendeinem anderen.

»Ihr habt alle am Marktplatz auf mich zu warten«, rief der Mann hinterher, und als er dann auf den Marktplatz kam, um seinen Käse



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wieder einzusammeln, da war der Markt schon beendet. Nun ging er überallhin, um Freunde, Nachbarn und Unbekannte zu fragen, ob sie seinen Käse gesehen hätten, als sie zum Markt kamen.

»Wer sollte ihn denn bringen?«fragte einer der Marktleute.

»Nun, natürlich er sich selbst«, sagte der Mann. »Er kennt den Weg gut genug.«

Doch der Käse war nirgends zu finden. Er sagte: »Da haben wir's! Als ich ihn so schnell herunterrollen sah, fürchtete ich schon, er würde über den Marktplatz hinausrollen. Nun glaube ich fest, daß er beinahe schon in York sein muß.« Woraufhin er sofort ein Pferd mietete, um nach York zu reiten und dort seinen Käse zu suchen, wo er aber nicht war. Und bis heute kann ihm kein Mensch sagen, wo er hingekommen ist.


4. Der ertränkte Aal



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Als Karfreitag kam, steckten die Leute von Gotham die Köpfe zusammen und überlegten, was sie mit ihren grünen Heringen und geräucherten Heringen, mit ihren Sprotten und anderen gesalzenen Fischen anfangen sollten. Man beriet miteinander und beschloß, daß alle diese Fische in ihren Teich (der mitten in der Stadt war) geworfen werden sollten, damit sie sich bis zum nächsten Jahr vermehrten, und jeder, der gesalzenen Fisch im Haus hatte, setzte ihn nun im Teich aus.

»Ich habe viele grüne Heringe«, sagte der eine.

»Ich habe viele Sprotten«, der andere.

»Ich habe viele geräucherte Heringe«, wieder ein anderer.

»Ich habe viel eingesalzenen Fisch. Laßt uns alle in den Teich oder den Weiher tun, und wir werden nächstes Jahr wie Fürsten leben können.«

Zu Beginn des nächsten Jahres zogen alle Leute an den Teich, um ihre Fische herauszuholen. Da war aber nichts darin als ein dicker fetter Aal.

»Ach«, riefen sie aus, »dieses Scheusal von einem Aal hat alle unsere Fische aufgefressen.«

»Was wollen wir mit ihm machen?«



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»Ihn töten«, sagte einer.

»In Stücke schneiden«, sagte ein anderer.

»Nein, etwas ganz anderes«, hieß es nun, »wir wollen ihn ertränken.«

»So sei es«, riefen alle. Und sie gingen zu einem anderen Teich und warfen den Aal hinein.

»Hier lieg nun und sieh zu, wie du dir hilfst, denn wir helfen dir jedenf all nicht!«Und sie verließen den Aal, damit er, wie sie meinten, ertrinken möge.


5. Wie man Pacht bezahlt

Die Leute von Gotham hatten einmal vergessen, dem Gutsherrn die Pacht zu zahlen. Einer sagte zum andern: »Morgen ist Zahltag, wie sollen wir nur unser Geld rechtzeitig dem Gutsherrn zustellen?« Der eine sagte: »Heute habe ich einen Hasen gefangen. Er soll es hinbringen, denn er ist schnellfüßig.«

»Ja, so soll es sein«, sagten alle, »er soll einen Brief und eine Börse mit dem Geld darin bekommen, und wir werden ihm den richtigen Weg zeigen.« Als die Briefe geschrieben waren und man das Geld in die Börse getan hatte, hing man dem Hasen beides um den Hals: »Erst gehst du nach Lancaster, dann mußt du nach Loughborough und dann nach Newarke gehen, wo unser Gutsherr wohnt, mußt ihm unsere Empfehlung sagen und unsere Schuld bezahlen.«

Sobald der Hase von ihnen losgelassen wurde, rannte er, was er konnte, in einen Landweg hinein. Einige schrien ihm nach: »Du mußt erst nach Lancaster.«

»Laß den Hasen in Ruhe«, sagte ein anderer, »vielleicht weiß er besser als wir alle den besten Weg. Laßt ihn in Ruhe.«

Ein anderer fügte noch hinzu: »Er ist ein gewitzter Hase, laßt ihn in Ruhe; er vermeidet den Hauptweg, weil er Angst vor Hunden hat.«


6. Man muß nur richtig zählen

Es gingen einmal zwölf Leute aus Gotham zusammen auf den Fischfang, und einige arbeiteten im Wasser, die anderen am Ufer, und als sie zurückkehrten, sagte einer von ihnen: »Wir haben heute



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allerlei gewagt. Ich danke Gott, daß keiner von uns dabei ertrunken ist.«

»Ach ja«, sagte ein anderer, »laß uns sicherheitshalber nachzahlen. Also, zu zwölft fuhren wir aus.«Und jeder zählte einmal, und jeder zählte elf, denn der zwölfte Mann zählte sich nie mit.

»O Gott!« sagte einer zum anderen. »Einer von uns ist nun doch ertrunken!«Sie gingen zurück an den Bach, an dem sie gefischt hatten, und suchten auf und ab, um den Ertrunkenen zu finden, und jammerten sehr.

Ein Edelmann kam vorbeigeritten und fragte, was sie suchten und weshalb sie so aufgeregt wären. »Ach«, klagten sie, »heute haben wir in diesem Bach gefischt, und wir waren zwölf, und nun ist einer ertrunken.«

»Nun«, fragte der Edelmann, »was gebt ihr mir, wenn ich den zwölften Mann finde?«

»Herr«, sagten sie, »alles Geld, was wir haben.«

»Gebt mir das Geld«, sagte der Edelmann. Und er begann mit dem ersten und gab ihm einen Schlag auf die Schulter, so daß er schrie. Und sagte dazu: »Das ist einer.«Und jeder bekam seinen Schlag, so daß er stöhnen mußte. Doch als der Edelmann zu dem letzten kam, gab er ihm einen ganz sanften Schlag und sprach: »Hier ist der zwölfte Mann.« — »Gott segne Euch und Euer gutes Herz!« riefen sie alle, »Ihr habt unseren Nachbarn wiedergefunden.«


Das Feenkind

Es lebte eine tüchtige Hausfrau auf einem der Hügel zwischen Zennor und St. Ives. Eines Nachts kam ein vornehmer Mann in ihre Hütte und versicherte ihr, er hätte ihre Sauberkeit und Sorgfalt bemerkt und wolle ihr ein Kind anvertrauen, das mit viel Liebe aufgezogen werden sollte. Sie würde auch recht für ihre Mühe belohnt werden, und dabei zeigte er ihr eine reichliche Menge Goldmünzen. Nun, sie war einverstanden und ging mit dem Manne fort, um das Kind zu holen.



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Als sie an die Seite des Hügels von Zennor kamen, sagte er zu der Frau, er müsse ihr jetzt die Augen verbinden. Sie war eine gute, ehrliche Seele und hatte von solchen Dingen schon gehört. Sie meinte, es wäre irgendeines reichen Mannes Kind, und seiner Mutter Wohnung sollte verborgen bleiben, und daher hielt sie sich für klug, wenn sie ruhig einwilligte. Sie wanderten noch eine beträchtliche Strecke weiter.

Endlich machten sie halt, das Taschentuch wurde ihr von den Augen genommen, und sie befand sich in einem prächtigen Saale. Eine Tafel war mit den ausgesuchtesten und teuersten Speisen besetzt, mit Wild, Früchten und Weinen, und man forderte sie auf, zuzugreifen; sie tat es, wenn auch etwas linkisch und zitternd. Sie war überrascht, daß ein so reiches Festmahl nur für eine so kleine Gesellschaft, für sie und den Fremden, bereitet war. Da sie nun einige Leckerbissen gekostet hatte, wie sie solche nie vorher oder nachher genossen, erklang eine silberne Glocke: Eine Schar von Dienern trat herein und brachte eine mit Seide bezogene Wiege an, in der das schönste Kindchen schlummerte, das menschliche Augen je geschaut.

Man sagte, dies sei das Kind, das ihr anvertraut sei. Sie sollte in keiner Hinsicht Mangel leiden, müßte aber einige Gesetze befolgen. Sie sollte dem Kind nicht das Vaterunser beibringen. Sie dürfe es nicht nach Sonnenuntergang waschen, sondern hätte es alle Morgen in dem Wasser zu baden, das sie in einer weißen Kanne in ihrem Zimmer finden würde. Aber niemand anders dürfe das tun außer ihr, und sie selbst müsse sich hüten, ihre Augen mit dem gleichen Wasser zu netzen. Sonst aber könne sie das Kind wie ihr eigenes behandeln. Der Frau wurden nun wieder die Augen verbunden, man gab ihr das Kleine in den Arm, und unter Führung des geheimnisvollen Vaters brach sie auf. Draußen auf der Landstraße wurde die Binde ihr wieder vom Gesicht genommen, und sie gewahrte, sie hatte ein Kindchen in den Armen, das nicht besonders freundlich aussah, scharfe, durchdringende Augen hatte und nur ganz einfach angezogen war. Doch was abgemacht, gilt. So entschloß sie sich, das Beste herauszuholen, zeigte das Kind ihrem Manne und erzählte ihm so viel von der Geschichte, wie sie es für gut hielt. Nie hatten sie Mangel zu leiden:



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Mit Fleisch und Wein waren sie immer versorgt, wenn sie es wünschten. Fertige Kleider lagen auf dem Bett des Kindes, sobald sie nötig waren. Und das zauberkräftige Wasser war immer in der Kanne. Der kleine Junge wurde lebhaft und stark. Er war auffällig wild, aber gut zu lenken und hatte augenscheinlich eine wirkliche Achtung vor seiner »großen Mutter«, wie er die Frau nannte. Zuweilen fürchtete sie, das Kind wäre von Sinnen. Es rannte dann und sprang und schrie, als ob es mit ganzen Horden von Jungen spielte, obwohl keine Seele neben ihm war. Die Frau hatte den Vater seitdem nie wieder gesehen. Aber regelmäßig wurden sie auf geheimnisvolle Weise mit Geld versorgt.

Als nun die gute Frau eines Morgens das Kind wieder wusch, hatte sie Lust zu versuchen, ob das Wasser auch ihre Schönheit beleben könnte; denn sie hatte beobachtet, wie hell und strahlend der Quell das Antlitz des Kindes machte. Sie lenkte die Aufmerksamkeit des Jungen auf einige Vögel hin, die auf den Zweigen vor dem Fenster sangen, und planschte sich etwas von dem Wasser ins Gesicht; das meiste ging ihr dabei ins Auge. Sie schloß es unwillkürlich, und da sie es aufmachte, sah sie eine Menge kleiner Wesen um sich versammelt und mit dem Jungen spielen. Sie sprach kein Wort, so groß ihre Furcht auch war. Und sie sah nun dauernd die Welt des kleinen Volkes, welche die Welt der gewöhnlichen Menschen umgibt. Nun wußte sie, wer die Spielgesellen des Knaben waren, und oft verlangte sie danach, mit den zierlich-schönen Geschöpfen der unsichtbaren Weite, die seine wirklichen Gefährten waren, zu sprechen; aber sie war verschwiegen und hielt den Mund.

Seltsame Diebstähle waren von Zeit zu Zeit auf dem Markt von St. Ives vorgekommen, und obwohl man aufs schärfste aufpaßte, verschwanden Gegenstände, ohne daß man einen Dieb antraf. Eines Tages war unsre brave Hausfrau an dem Orte, und zu ihrer Überraschung erblickte sie den Vater ihres Pfleglings. Ohne Umstände stürzte sie auf ihn los in einem Augenblick, als er gerade einige erlesene Früchte sich aneignete und in die Tasche steckte, und redete ihn an. »So, du siehst mich also?« —»Gewiß, und ich erkenne dich auch wieder«, versetzte die Frau. »Schließe das Auge«, sagte er und legte



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seinen Finger auf ihr linkes Auge. »Kannst du mich jetzt noch sehen?« —»Ich sag' dir's ja, und ich kenne dich wohl«, sagte die Frau wieder.
»Wasser für Elf, nicht Wasser für dich,
Verloren dein Auge, dein Kind und dein Ich«,


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sagte der Vornehme. Von Stund an war sie auf dem rechten Auge blind. Als sie heimkam, war der Knabe verschwunden. Das kam sie hart an; sie sah ihn nie wieder, und das einst so glückliche Paar wurde arm und elend.


Der vierblättrige Klee

Vor wenigen Jahren lebte in Bosfrancan in St. Burien ein Bauer, der hatte eine sehr schöne rotrundweiße Kuh, die hieß Gänseblume. Die Kuh war immer glatt und rund, Wamme und Zitzen streiften bis ans Gras. Gänseblume hatte Milch von einem Kalb bis zum andern, ihr Euter war so groß wie ein Eimer, aber nie pflegte sie mehr Milch herzugeben als etwa vierundeinhalb Liter, obwohl man deutlich sehen konnte, daß sie noch die doppelte Menge besaß. Ganz plötzlich, wenn das Melken in vollem Gange war, pflegte sie sanft zu blöken, spitzte die Ohren, und im gleichen Augenblick blieb die Milch weg. Wenn die Milchmagd danach versuchte, noch etwas mehr zu bekommen, fing die Kuh an auszuschlagen, stieß den Eimer um, verschüttete die Milch, stand aber dann stocksteif und käute die ganze Zeit lang ihre Nahrung wieder. Jedermann würde die Kuh für verhext gehalten haben, wäre sie nicht immer dick und rund geblieben und hätte sie sich nicht das ganze Jahr hindurch melken lassen. Außerdem geriet dem Bauern sonst alles aufs beste, und alle anderen Kühe gaben mehr Milch als irgendeine der Nachbarn. Keiner wußte zu sagen, was zum Teufel mit Gänseblume eigentlich los war. Sie suchten sie zum Markt der Kirchstadt zu treiben, um sie loszuwerden; denn sie schien reif für den Schlächter. Aber alle Buben und Männer konnten sie nicht dahin bringen. So schnell man sie den ei-



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nen Weg heraufführte, so geschwind war sie auf dem anderen schon wieder hinunter und zurück ins Feld, bevor die Männer und Buben nur halbwegs wieder daheim waren.

Eines Mittsommerabends war die Magd später als gewöhnlich am Melken, da sie erst noch in der Nachbarstadt den Spielen und Lustbarkeiten zugesehen hatte. Die Sterne fingen schon an zu funkeln, als sie ihre Arbeit vollendete. Gänseblume war die letzte Kuh, die sie molk, und der Eimer war so voll, daß sie ihn kaum auf den Kopf heben konnte. Bevor die Magd von dem Melkschemel aufstand, rupfte sie sich eine Handvoll Gras und Klee, um damit ihren Hut zu füllen und den Eimer sicherer tragen zu können. Kaum hatte sie den Hut auf ihren Kopf gesetzt, als sie Hunderte und Tausende des kleinen Volkes in allen Richtungen um die Kuh herumschwärmen sah, und sie stippten ihre Hände in die Milch, holten sie heraus mit Kleeblüten und saugten sie auf. Gras und Klee in voller Blüte reichten bis an den Leib der Kuh. Hunderte der kleinen Geschöpfe kletterten aufwärts an den langen Grashalmen und Kleestengeln mit Hahnenfuß-, Kuckucksblumen-, Winden- und Fingerhutblüten, um die Milch aufzufangen, die Gänseblume aus ihren vier Zitzen wie einen Regenschauer strömen ließ. Gerade unter dem Euter der Kuh sah die Magd einen, der viel größer als die andern war, auf dem Rücken liegen, und er richtete seine Fersen auf gegen den Leib der Kuh. Sie sah, es mußte ein Haulemännchen sein; denn wenn es lachte, war seit Mund weit auf von einem Ohr bis zum andern. Die Kleinen eilten auf und ab an seinen Beinen, füllten ihre Becher und leerten sie aus in den Mund des Haulemännchens. Andere saßen zu Hunderten auf Gänseblumes Rücken, kratzten ihr die Kruppe und kitzelten sie an den Hörnern und hinter den Ohren. Andere glätteten die widerspenstigen Haare auf ihrem blanken Fell.

Die Magd war nicht so sehr erschrocken, als sie das alles sah; denn oft hatte sie von den Elfen gehört und wünschte sich gradezu, sie zu sehen. Stundenlang hätte sie dableiben und ihren Tänzen um den Klee zuschauen können, den sie kaum schwerer machten als die Tautropfen.

Die Kühe waren auf einem Felde dicht unterhalb des Hauses. Die



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Bäurin kam heraus in den Garten zwischen dem Haus und dem Felde und rief nach dem Mädchen, um zu hören, warum es so lange ausblieb. Als die Magd erzählte, was sie gesehen hatte, sagte ihr die Bäurin, sie könne ihr nicht glauben, es sei denn, sie hätte ein vierblättriges Kleeblatt gefunden. Da erinnerte sich die Dirne an die Handvoll Gras im Innern ihres Hutes. Sie musterte es durch beim Kerzenlicht, fand ein Bündel dreiblättrigen Klees und einen Stengel mit vier Blättern. Sie wußten, es war nichts Seltsames, daß sie das kleine Volk gesehen hatte, aber sie wußten nicht, welche Schritte sie tun sollten, um es loszuwerden und Gänseblumes Milch ungeteilt zu bekommen. Schließlich erzählte die Bäurin ihrer Mutter davon. Die Mutter war eine würdige alte Frau, die in der Kirchstadt lebte. Sie wußte genau Bescheid über Hexen, Feen und derlei Dinge, und sie war als klug und haushälterisch bekannt. Wenn ihr zufällig das Ohr ihrer Stopfnadel brach, brachte sie diese zum Schmied, damit er ihr ein neues Ohr einsetzte. Der Schmied nahm dafür jedesmal zwei Groschen. Das bezahlte sie lieber, als daß sie die Nadel wegwarf.

Unsere Betty erzählte nun ihrer Tochter, es sei jedermann kund, daß unser kleines Volk den Fischgeruch nicht ausstehen könnte, sowenig wie Salz- oder Fettgeschmack. Sie riete also dazu, das Euter der Kuh mit salzigem Fischwasser einzureiben, um das kleine Volk davonzutreiben. Schön, sie tat, wie ihr die Mutter geraten. Besser hätte sie es unterlassen. Von jenem Tage an gab Gänseblume ihre volle Milch her, aber sie hatte nicht halb, nicht ein Viertel soviel wie vorher und nahm ihr Euter hoch, so daß man es kaum noch unter den Flanken sehen konnte. Alle Abende, sobald die Sterne zu blinken anfingen, ging die Kuh um die Felder herum und brüllte und schrie so jämmerlich, als ob sie ihr Kalb verloren hätte. Sie wurde räudig und magerte zu Haut und Knochen ab vor dem nächsten Viehmarkt und mußte um ein Geringes an den ersten besten in der Kirchstadt verkauft werden. Ich weiß nicht, was später mit ihr wurde. Doch dem Bauern wollte nichts Rechtes mehr glücken, nachdem seine Frau das kleine Volk verjagt hatte.



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Der Gespensterbräutigam

Vor langer, langer Zeit lebte in Boscean ein Bauer namens Lenine. Er hatte nur einen Sohn, der hieß Frank Lenine, und die Eltern ließen ihm allen Willen. So verliebte er sich denn in eine hübsche Magd am Bauernhöfe, Nancy Trenoweth, die zwar aus bescheidenen Verhältnissen stammte, aber von den Bauersleuten wie eine Tochter gehalten wurde. Eines Tages erklärte Frank, er wolle Nancy zur Frau haben, und seine Eltern waren sehr bestürzt; denn das schien ihnen unter der Würde ihres Geschlechts. So entließen sie Nancy kurz entschlossen aus dem Dienst und verboten ihrem Sohne, je wieder mit ihr zusammenzukommen. Aber selten nur folgen die Jungen den Geboten der Alten. Frank war häufiger als früher des Abends außer dem Hause, mißtrauisch begegneten ihm seine Eltern.

Kaum ein Abend verging, an dem sich nicht Frank und Nancy an einem entlegenen Orte trafen. Der Heilige Brunn war das beliebteste Stelldichein, und hier wurden die feierlichsten Schwüre getan. Haarlocken wurden ausgetauscht. Ein Ehering vom Finger eines Verstorbenen wurde gebrochen mit dem Gelöbnis, sie wollten lebend oder tot vereinigt bleiben. Ja, sie kletterten des Nachts sogar auf das Granitmassiv von Treryn und nahmen beim Logan Rock (Wiegenfels) dasselbe Versprechen auf sich.

Nancys Eltern merkten bald, daß die nächtlichen Zusammenkünfte beim Mondenschein nicht ohne Folgen blieben, und drangen um so mehr auf die Heirat der beiden. Aber der alte Lenine war nicht dazu zu bewegen; im Gegenteil, er nahm seinen Sohn mit nach Plymouth und verdingte ihn einem Indienfahrer. Nie wieder hörte Nancy von ihm; aber in ihrem Herzen blieb sie ihm stets vereint. Ihr ganzer Trost war das kleine Kindchen, das sie bald gebar. Als ihre Familie dann stärker in Not geriet, mußte sie wieder in Dienst gehn, und auf ihrer neuen Stelle machte sie Bekanntschaft mit den Töchtern der Kleinbauern ringsum, die noch voller Brauchtum und Aberglauben steckten.

Drei Jahre waren ins Land gegangen, keiner hatte Nachricht von Frank erhalten. Selbst die Lenines wurden besorgt und versöhnlicher.



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Sie hätten jetzt gern Nancy mit ihrem Kinde bei sich aufgenommen. Sie aber mochte nicht. Da forderten die Dorfmädchen sie auf, am Vorabend von Allerheiligen Hanfsamen säen zu gehn. Sie zögerte, aber schließlich ging sie mit. Zu dreien schlichen sie um Mitternacht auf den Marktplatz von Kimyall, um dort ihre Beschwörung vorzunehmen. Nancy als die Mutigste streute zuerst die Samen aus und sprach dabei:
Hanfkorn, ich säe dich ein,
Hanfkorn, nun wachse drein;
Wer will mein Allerliebster sein,
Tret' hinter mir ein
Und möge sichtbar sein.


***
Das wurde dreimal wiederholt, und als sie hinter sich über die linke Schulter sah, erblickte sie Lenine; aber er war so zornig, daß sie aufschrie vor Furcht und den Zauber brach. Eins der Mädchen wollte aber den Bann nochmals erproben, und das Ergebnis ihrer Bemühungen war die Erscheinung eines weißen Sarges. Alle befiel sie nun ein Grauen, und bekümmert gingen sie heim, ohne Ruhe in dieser Nacht zu finden.

Der November kam mit seinen schweren Stürmen, und in einer wilden Nacht wurde ein mächtiges Schiff gegen die Klippen geworfen. Fast die ganze Mannschaft ging zugrunde. Unter den Leichen, die ans Ufer gespült wurden, war Frank Lenine; aber man fand ihn noch halb lebend auf. Sein erster Wunsch war, man möge nach Nancy schicken, damit sie ihm angetraut werden könnte; man trug ihn auf einer Bahre weiter, aber noch unterwegs gab er seinen Geist auf. Seine Eltern waren trostlos und vergaßen, Nancy von der Rückkehr zu sagen, als er im Friedhof von Burian seine letzte Ruhe finden sollte.

In der Nacht der Beerdigung wollte Nancy wie gewöhnlich die Haustür verriegeln und lugte noch einmal in die Nacht hinaus. In dem Augenblick trabte in wilder Eile ein Reiter heran und grüßte sie mit einer Stimme, die ihr das Blut zum Sieden brachte. Es war



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Frank. Sie hatte ihn nie vergessen. Das Pferd aber, wie sie nun sah, war ihres Getreuen Lieblingsfüllen, auf dem er oft zur Nacht nach Alsia gesprengt war. Der Reiter war nur ungenau zu erkennen, sah aber vergrämt und bleich aus; trotzdem kannte ihn Nancy wieder. Er sagte ihr, er wäre gerade zu Hause angelangt und hätte den ersten freien Augenblick benutzt, um sein Pferd zu satteln und sie als Braut heimzuholen. Nancys Erregung war so groß, daß sie sich leicht überreden ließ, hinter ihm aufzusitzen, damit sie sein Heim noch vor Morgenanbruch erreichten.

Als sie Franks Hand nahm, durchrieselte sie ein kalter Schauer, und als sie ihn um den Leib faßte, um sicherer zu sitzen, wurde ihr Arm so starr wie Eis. Sie verlor ihre Sprache und litt schreckliche Angst, sie wußte selbst nicht warum. Der Mond war aufgegangen und brach nun mit voller Lichtflut durch die schweren Wolken, die ihn verfinstert hatten. Das Pferd setzte seinen Ritt mit größter Geschwindigkeit fort, und jedesmal, wenn es ermüdet an Eile nachließ, stachelte der Reiter mit seiner eigentümlichen Stimme die schläfrigen Kräfte von neuem an. Darüber hinaus wurde kein Wort gesprochen, seit Nancy hinter ihrem Liebsten aufgestiegen war. Sie kamen nun an den Trove Bottom, über den damals keine Brücke führte; sie platschten hinein in den Fluß.

Der Mond schien voll auf ihre Gesichter. Nancy blickte in den Strom und gewahrte, daß der Reiter in ein Leichentuch und andre Grabgewänder eingehüllt war. Nun wußte sie, daß sie von einem Geist davongetragen wurde, hatte aber keine Kraft, sich zu retten; ja nicht einmal den Willen dazu verspürte sie. Weiter jagte der Gaul in wütendem Trab, bis sie an die Schmiede von Burian kamen, und Nancy merkte an dem Licht, das auf die Straße fiel, daß der Schmied noch bei der Arbeit war. Da gewann sie ihre Sprache wieder. »Rette mich! Rette mich! Rette mich!« schrie sie mit allen Kräften. Der Schmied sprang aus der Tür der Schmiede, ein rotglühendes Eisen in der Hand, und als das Pferd vorübersauste, packte er die Frau bei den Kleidern und zog sie zu Boden. Aber auch das Gespenst ergriff Nancys Kleid mit einer Hand, und sein Griff war so fest wie ein Schraubstock. Das Pferd flog wie der Wind, und Nancy und der



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Schmied wurden bis zu den Armenhäusern am Kirchhof mitgerissen. Hier hielt der Gaul, und der Schmied brannte mit seinem glühenden Eisen den Fetzen Kleides durch, den der Reiter gepackt hatte. Nancy, mehr tot als lebendig, war gerettet. Der Reiter setzte über die Friedhofsmauer und verschwand in dem Grabe, in das Frank erst vor ein paar Stunden gelegt worden war.

Der Schmied nahm Nancy mit sich in sein Haus, und er weckte bald einige Nachbarn, die Nancy nach Alsia brachten. Die Eltern betteten sie auf ihr Lager. Sie sprach kein Wort, fragte nur nach ihrem Kinde und bat ihre Mutter, es den Lenines zu bringen. Sie selbst wollte in Franks Grabe beigesetzt werden. Bevor der Morgen dämmerte, hatte Nancy ihren letzten Atemzug getan. Ein Pferd sah man in jener Nacht durch St. Burian wie eine Musketenkugel flitzen. Am nächsten Morgen fand man Franks Füllen tot am Bernowhall-Kliff, der Schaum stand ihm vor dem Maule, die Augen waren aus dem Kopfe getreten, und die Zunge hing ihm weit aus dem Halse. Auf Franks Grab fand man noch den Fetzen von Nancys Gewand, der in des Gespenstes Hand verblieben war, als der Schmied sie mit dem Eisen von ihm trennte.

Man erzählt sich, ein oder zwei Seeleute, die den Schiffbruch überlebt, hätten nach dem Begräbnis berichtet, wie Lenine in jener Oktobernacht sich wie toll gebärdet habe. Sie konnten ihn kaum auf dem Schiffe halten. Er schien mehr träumend als wach, und nach mächtiger Erregung sank er wie tot auf Deck und lag so stundenlang. Als er wieder zu sich kam, erzählte er, er wäre nach dem Dorfe Kimyall geholt worden, und wenn er je die Frau, die den Zauber geübt, heiraten sollte, würde er es sie hart entgelten lassen, daß sie ihm die Seele aus dem Körper gezogen hätte.

Die arme Nancy wurde in Franks Grabe bestattet, und ihre Gefährtin im Hanf säen, die den weißen Sarg erblickte, ruhte innerhalb eines Jahres an ihrer Seite.



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Die ältesten Geschöpfe der Welt

In den Wäldern von Gwernabwy lebte einst ein Adler. Er und sein Weibchen hatten Nachkommen bis in das neunte Glied und noch darüberhinaus. Dann starb die alte Adlermutter und ließ den Adler als einsamen Witwer zurück ohne Trost und Freude für sein hohes Alter. Inder Trauer seines Herzens meinte er, es wäre hübsch, wenn er eine Witwe im gleichen Alter heiratete. Er hatte von der alten Eule von Cwm Cawlyd gehört und setzte es sich in den Kopf, sie zu seiner zweiten Frau zu machen. Doch wollte er zuvor Erkundigungen über sie einziehen, um sein Geschlecht nicht zu entwürdigen.

Er hatte in Gwent einen alten Freund, ihm an Jahren noch überlegen, den Hirsch von Rhedynfre. Zu dem ging er und fragte nach dem Alter der Eule. Der Hirsch antwortete ihm also: »Siehst du, mein Freund, diese Eiche, bei der ich liege? Jetzt ist sie nur noch ein verwitterter Stumpf ohne Blätter und Zweige, doch erinnere ich mich, sie noch als Eichel an der Krone des größten Baumes in diesem Forst gesehen zu haben. Eine Eiche braucht dreihundert Jahre zum Wachsen, dann lebt sie dreihundert Jahre in höchster Kraft und Blüte und endlich weitere dreihundert Jahre, um wieder zur Erde zurückzukehren. Mehr als sechzig Jahre des letzten Jahrhunderts dieses Baumes sind verstrichen, und die Eule ist eine alte Frau, solange ich mich ihrer erinnere. Auch von meiner Verwandtschaft kennt keiner ihr Alter. Doch habe ich einen Freund, den Lachs von Llyn Llifon, der ist viel älter als ich. Geh zu ihm und frage ihn, ob er irgend etwas vom Alter und der Geschichte der Eule weiß.«

Der Adler ging nun zum Lachs, der ihm also antwortete: »Ich zähle so viele Jahre auf meinem Haupt, wie ich Schuppen auf der Haut oder Eier in meinem Rogen habe, aber die Eule war schon alt, als ich sie kennenlernte. Doch habe ich eine viel ältere Freundin, die Wasseramsel von Cilgwri. Vielleicht weiß sie mehr als ich über die Eule.«

Der Adler ging und fand die Wasseramsel auf einem harten Kiesel sitzen. Er fragte sie, ob sie nichts über das Alter und die Geschichte der Eule wisse. Die Amsel antwortete: »Siehst du diesen Kiesel, auf



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dem ich sitze? Einst war er so groß, daß dreihundert Paar Ochsen erst ihn hätten fortbewegen können, und es ist ihm weiter nichts geschehen, als daß ich jeden Abend vor dem Schlafengehen meinen Schnabel daran gewetzt und morgens beim Erwachen mit der Spitze meines Flügels daran gestreift. Doch habe ich die Eule niemals jünger oder älter gekannt als am heutigen Tage. Ich habe aber einen viel älteren Freund, die Kröte von Cors Fochno. Geh zu ihr und frage sie, ob sie über Alter und Geschichte der Eule etwas weiß.«

Der Adler ging nun zu der Kröte, die ihm also antwortete: »Niemals esse ich andere Kost als den Staub der Erde, und niemals esse ich auch nur halb genug, um mich zu sättigen. Siehst du die großen Berge um diesen Sumpf? Ich habe den Platz, wo sie sich erheben, noch als ebene Erde gesehen. Soviel Erde sie enthalten, habe ich gegessen, obgleich ich schon wenig genug esse, damit ich nicht die ganze Erde noch vor meinem Tode aufgefressen habe. Doch niemals habe ich die Eule anders gekannt als eine alte graue Hexe, die in den langen Winternächten in den Wäldern ihr >Schuh-hu< ertönen läßt und bis zum heutigen Tage Kinder mit ihrer Stimme erschreckt.«

Da sah der Adler, daß er sie freien könne, ohne Schande oder Schmach über seine Sippe zu bringen. Und so wurde durch die Werbung des Adlers überall bekannt, welches die ältesten Geschöpfe der Welt waren. Es sind: der Adler von Gwernabwy, der Hirsch von Rhedynfre, der Lachs von Llyn Llifon, die Amsel von Cilgwri, die Kröte von Cors Fochno und die Eule von Cwm Cawlyd, und von allen ist die Eule am ältesten.


König Arthur in der Berghöhle

Einst ging ein Waliser auf der großen Londoner Brücke spazieren und sah verwundert dem drängenden Verkehr zu. Nach vielen Abenteuern mit Dieben und Landstreichern war er in die Stadt gekommen mit einer Herde von dunklem Waliser Vieh. Er hatte alles sehr vorteilhaft verkauft, und mit klingendem Golde in der Tasche ging er umher, um die Sehenswürdigkeiten zu besuchen.



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Er hatte einen Haselstock in der Hand; denn man muß wissen: Ein handfester Stock ist für einen Viehtreiber soviel wie die Zähne für seinen Hund. Er stand still, um sich in einem Laden einige Waren anzugucken; da sah er, wie ein Mann seinen Stock mit einem langen, prüfenden Blick betrachtete. Nach einer Weile trat der Fremde zu ihm heran und fragte, woher er käme. »Ich? Aus meiner Heimat«, sagte der Waliser ziemlich mürrisch; denn er sah nicht recht ein, warum man ihn danach fragte.

»Nehmt mir's nicht übel«, sagte der Fremde, »wenn Ihr nur meine Fragen richtig beantwortet und meinem Rate folgt, so wird Euch das größeren Segen bringen, als Ihr ahnt. Wißt Ihr noch, wo Ihr Euch diesen Stock geschnitten habt?«

Der Waliser blieb immer noch argwöhnisch und sagte: »Ist es so wichtig, wo ich ihn abgeschnitten habe?«

»Es ist wichtig«, sagte der andre, »denn an der Stelle, wo du den Stock geholt hast, ist ein Schatz verborgen. Wenn du dich an den Ort noch erinnern kannst und mich dahin führen willst, werde ich dir dort große Reichtümer verschaffen.«

Der Waliser begriff jetzt, daß er es mit einem Zauberer zu tun hatte, und er war verlegen, was er tun sollte. Auf der einen Seite lockte ihn die Aussicht auf Reichtum; andrerseits wußte er, daß der Zauberer seine Weisheit von Teufeln erworben hatte, und mit den Mächten der Finsternis wollte er nicht gern Bekanntschaft machen. Der schlaue Fremde gab sich die größte Mühe, ihn zu überreden, und entlockte ihm schließlich das Versprechen, die Stelle, wo er seinen Haselstock geschnitten hatte, zu zeigen.

Der Waliser und der Zauberer reisten zusammen nach Wales. Sie kamen an den Felsen bei Craig y Dinas, nicht weit von Pont Nedd Fechan, da wies der Waliser auf Stamm und Wurzel eines alten Haselstrauchs und sagte: »Hier habe ich mir meinen Stock geholt.«

»Dann wollen wir anfangen zu graben«, sagte der Zauberer.

Sie gruben, bis sie auf einen breiten, flachen Stein stießen. Als sie ihn hochgehoben hatten, entdeckten sie einige Stufen, die nach unten führten. Sie stiegen die Treppe abwärts und folgten einem schmalen Gange, bis sie an eine Tür kamen.



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»Bist du auch mutig genug«, fragte der Zauberer, »willst du mit mir eintreten?«

»Das will ich«, sagte der Waliser; denn die Neugier war schließlich doch größer als die Furcht.

Sie öffneten die Tür, und eine weite Höhle gähnte vor ihnen bis in die Tiefe. Ein mattrotes Licht breitete sich in ihr aus, und sie konnten so alles erkennen.

Das erste, was ihnen auffiel, war eine Glocke.

»Diese Glocke darfst du nicht anrühren«, sagte der Zauberer, »oder es ist um uns geschehn!«

Als sie nun weiter hineingingen, sah der Waliser, daß die Stätte nicht leer war. Da lagen Soldaten ringsherum im Schlafe, ja sogar Tausende von Soldaten, so weit das Auge nur blicken konnte. Jeder war in schimmernde Rüstung gekleidet, jeder hatte seinen stählernen Helm auf dem Haupte, jeder den glänzenden Schild über dem Arme, jeder sein Schwert nahe zur Hand, jeder hatte dicht dabei seinen Speer im Boden stecken; aber allesamt ruhten sie im tiefsten Schlafe. In der Mitte der Höhle war ein großer runder Tisch. Krieger saßen um ihn herum, deren edle Züge und kostbar gearbeitete Waffen bezeugten, daß sie nicht von gemeinem Blute stammten.

Aber auch sie alle ließen ihr Haupt niederhängen und schliefen fest. Drüben aber an dem runden Tisch ragte auf einem goldenen Throne ein König von riesenhafter Gestalt und wahrhaft gewaltiger Erscheinung. In der Hand hielt er ein mächtiges Schwert beim Griff gepackt; Scheide und Heft waren aus purem Golde, mit glitzernden Kleinodien reich geschmückt. Auf dem Haupte trug er eine Krone, und ihre kostbaren Edelsteine blitzten und blinkten wie Feuer-Speere. Aber auch über seine Augen gebot der Schlaf.

»Schlafen sie wirklich?«fragte der Waliser, der kaum seinen Augen traute.

»Einer wie der andre«, antwortete der Zauberer, »aber wenn du an jene Glocke rührtest, würden sie alle erwachen.«

»Wie lange schlafen sie schon?«

»Über tausend Jahre.«

»Und wer sind sie?«



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»König Arthurs Krieger. Sie warten auf kommende Tage, da werden sie alle Feinde der Kymren zerstreuen, die Insel Britannien wieder in Besitz nehmen und aufs neue ihren König in Caer Lleon zum Herrscher einsetzen.«

»Und wer sind die an der Tafelrunde?«

»Arthurs Ritter: Owain, Uriens Sohn; Cai, Cynyrs Sohn; Gwalchmai, Gwyars Sohn; Peredur, Efrawes Sohn; Geraint, Erbins Sohn; Trystan, Marks Sohn; Bedwyr, Bedrawds Sohn; Cilhwch, Celyddons Sohn; Edeyrn, Nudds Sohn; Cynon, Clydnos Sohn..

»Und auf dem goldenen Throne?« fiel ihm der Waliser ins Wort. ». Ist Arthur selbst, sein Schwert Excalibur in der Hand«, erwiderte der Zauberer.

Schließlich ungeduldig über die vielen Fragen, eilte der Meister zu einem großen Haufen gelben Goldes auf dem Boden der Höhle. Er nahm, soviel er tragen konnte, und hieß seinen Gefährten ein Gleiches tun. »Es ist Zeit für uns zum Aufbruch«, mahnte er dann, und er ging voran nach der Tür zurück, durch welche sie eingetreten waren.

Aber der Waliser war wie geblendet von dem Schimmer der vielen schlafenden Ritter in funkelnder Rüstung. >Wie gern sähe ich sie alle erwachen!< sagte er zu sich selbst. >Ich will die Glocke anrühren - ich muß sehen, wie sie alle wach werden.<

Als sie zu der Glocke kamen, schlug er daran, bis sie durch den ganzen weiten Raum erklang.

Sobald sie erscholl, siehe, da sprangen die Tausende der Krieger auf, und der Boden bebte unter dem Schall der stählernen Waffen. Und eine dröhnende Stimme stand in ihrer Mitte auf: »Wer schlug die Glocke? Ist der Tag erschienen?«

Der Zauberer war so erschrocken, daß er zitterte wie Espenlaub. Er schrie zur Antwort: »Nein, noch ist der Tag nicht erschienen. Schlaft weiter!«

Die mächtige Schar war in voller Bewegung, und dem Waliser wurden schier die Augen geblendet, als er über die funkelnden Waffen aus Stahl hinblickte, die wie mit Myriaden Feuergarben die Höhle grell erhellten.



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»Arthur«, hob die Stimme wieder an, »erwache! Die Glocke ist erklungen, der Tag bricht an. Erwache, Arthur der Große!«

»Nein«, schrie der Zauberer, »noch ist es Nacht. Schlaft weiter, König Arthur!«

Ein Geräusch kam von dem Throne her. Arthur war aufgestanden, und die Juwelen in seiner Krone leuchteten wie helle Sterne über der ungezählten Schar.

Seine Stimme klang kräftig und weich wie das Rauschen von Wasserfluten, und er sprach: »Meine Krieger, der Tag ist noch nicht gekommen, an dem der schwarze und der goldene Adler in den Krieg ziehen. Es war nur ein Goldsucher, der die Glocke läutete. Schlaft weiter, meine Krieger, denn noch nicht dämmerte der neue Morgen über unserm Land.«

Ein sanfter Laut wie ein fernes Meeresseufzen hallte durch den Raum, und im Nu lagen die Soldaten alle wieder im Schlafe. Der Zauberer drängte den Waliser aus der Höhle, wälzte den Stein an seinen Platz zurück und verschwand.

Noch oft versuchte der Waliser, den Weg zur Höhle zu finden, aber obwohl er jedes Fleckchen des Hügels umgrub, entdeckte er doch den Eingang niemals wieder.


John Gethin und die Kerze

Einst lebte in Ystradgynlais ein Zauberer, der hatte eine eiserne Hand. Durch seine Zauberkünste entdeckte er, daß in Mynydd y Drum ein großer Schatz versteckt lag und er ihn bergen könnte, wenn er nur einen mutigen Burschen fände, der eine Nacht mit ihm auf dem Berge nahe dem Felsen zubrachte, unter dem das Gold und Silber lag.

Lange konnte er keinen Gefährten finden. Vergebens ging er alle seine Freunde und Bekannten an: Sie hatten Angst und wollten mit einem so gefährlichen Abenteuer nichts zu schaffen haben. Schließlich jedoch sagte John Gethin, der gern den Draufgänger spielte und vor nichts in Himmel, Erde oder Wasser bange war, er wolle den



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Mann mit der eisernen Hand begleiten, wenn ihm die Hälfte des Schatzes zufiele.

In einer dunklen Nacht zogen die beiden nach dem Berg und blieben auf einem Rasenfieck nahe bei dem Felsen stehen, unter dem nach des Zauberers Aussage der Schatz verborgen lag. »Nun werde ich«, sprach der Zauberer, »den Geist anrufen, der den Schatz bewacht, daß er sich uns zeige.« Er legte ein schwarzes Gewand an, das mit Zauberrunen bedeckt war, gürtete sich mit zusammengebundenen Schlangenhäuten und setzte sich eine Kappe aus Schafspelz aufs Haupt, die mit einem Kranz von Taubenfedern gekrönt war. In der Hand hielt er eine Peitsche, deren Griff aus Knochen und deren Riemen aus Aalhaut gemacht war. Damit zog er zwei Kreise auf dem Rasen, die sich wie das Bild einer 8 berührten. Schließlich nahm er ein großes schwarzes Buch, zündete eine Kerze an und trat in einen der Kreise. »Stelle dich in die Mitte des anderen Kreises«, sagte er zu Gethin, »und tritt nicht aus dem Ring, was auch kommen mag.« Gethin tat, wie ihm gesagt.

Nun öffnete der Zauberer sein Buch und las: »Ich beschwöre dich und rufe dich an bei dem Schweigen der Nacht und bei den heiligen Zauberformeln und bei der Zahl der höllischen Geisterscharen, daß du dich ohne Zögern hier einfindest und bei der Kraft der Worte dieses Buches mir Rede und Antwort stehst.« Das wiederholte er dreimal.

Zuerst erschien ein riesiger Bulle, der entsetzlich brüllte; doch der mutige Gethin rührte sich nicht vom Platz, und der Bulle verschwand. Dann kam ein ungeheurer Ziegenbock mit voller Wucht auf Gethin zugesprungen; doch da er sich nicht rührte, zerging auch er in der Luft. Als nächster eilte ein mächtiger borstiger Eber auf ihn los, und ein wuchtiger Löwe mit feurigem Hauch duckte sich und drohte, ihn zu zerreißen; doch Gethin stand regungslos, und sobald diese schrecklichen Erscheinungen den Kreis berührten, den der Zauberer gezogen, zerflossen sie in nichts. Dann kam ein großes fliegendes Feuerrad lodernd und prasselnd geradeswegs auf den armen Gethin zu. Einen Augenblick verlor er den Mut und wich aus dem Ring. Kaum war das geschehen, als das Feuerrad die Gestalt des



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Höllenfürsten annahm und Gethin wegzuschleppen begann. Doch packte ihn der Mann mit der Eisenhand und versuchte, ihn zurückzuziehen. Der arme Gethin wurde in diesem Ringen zwischen den beiden fast mittendurch gerissen.

Der Feind der Menschheit war nahe daran, bei diesem Tauziehen Oberhand zu behalten, als der Zauberer rief: »Bei der Macht des Ostens: Athanaton, des Westens: Orgon, des Südens: Boralin, des Nordens: Glauron, befehle ich dir, diesen Mann leben zu lassen, solange diese Kerze dauert.« Der Böse ließ ab von Gethin und verschwand. Darauf blies der Zauberer sofort die Kerze aus und gab sie Gethin. »Wärst du nicht aus dem Kreise getreten«, sprach er, »dann würde alles gut sein. Da du aber meinem Befehl ungehorsam warst, ist dies die äußerste Frist, die ich dir lassen kann. Lege diese Kerze an einen kühlen Platz. Solange sie da ist, wird dein Leben in Sicherheit bleiben.«

Gethin ging heim und bewahrte das Kerzenstück sehr sorgsam an der kühisten Stelle, die er finden konnte. Doch wie die Zeit fortschritt, fand er, daß es dahinschwand, obgleich es niemals entzündet wurde. Gethin war nicht mehr derselbe nach jener furchtbaren Nacht auf dem Berge, und als er wahrnahm, daß die Kerze kleiner wurde, legte er sich nieder. So wie die Kerze dahinschwand, geschah auch ihm, und nach einigen Jahren fanden beide zu gleicher Zeit ihr Ende. Der Zauberer war in seinen letzten Stunden bei ihm, und die Träger des Sarges, der Gethins sterbliche Reste bergen sollte, fanden ihn seltsam leicht. Es ging die Geschichte, daß Gethins Körper aus dem Sarge verschwunden sei, bevor er zugenagelt wurde; der Zauberer habe, um den Schein zu wahren, statt dessen einen Klumpen Lehm hineingetan. Niemand aber war kühn genug, den Sarg zu öffnen und die Wahrheit zu erkunden.



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MÄRCHEN AUS SCHOTTLAND


Tom der Reimer

Unter alle den jungen Kämpen in Schottland war im 13. Jahrhundert keiner liebenswürdiger und gewinnender als Thomas Learmont, Herr des Schlosses von Ercildoune in Berwickshire. An einem sonnigen Maitage geschah es nun, daß Thomas die Feste Ercildoune verließ und in die Wälder wanderte, die sich am Huntly Burn entlangziehn, einem kleinen Wasser, das von den Eildon-Bergen herunterrauschte. Es war ein lieblicher Morgen, frisch und strahlend und warm, und alles war so schön wie im Paradies. Thomas fühlte sich so glücklich inmitten dieser Heiterkeit, daß er sich an einer Baumwurzel auf den Boden streckte, um alles Leben in seiner Nähe zu beobachten. Als er nun so lag, hörte er das Hufgetrappel eines Pferdes, das sich seinen Weg durch die Büsche bahnte. Und da er hinschaute, sah er, wie die schönste Dame, die er je erblickte, auf einem grauen Zelter zu ihm herangeritten kam.

Sie trug ein Jagdgewand aus schimmernder Seide, grün wie das junge Frühlingsgras, und von ihren Schultern hing ein Mantel aus Samt, der aufs beste zu dem Reitrock paßte. Ihr gelbes Haar wie rieselnd Gold hing ihr lose um die Schultern, und auf ihrem Haupte funkelte ein Schmuck von kostbaren Steinen, die wie Feuer im Sonnenlicht blitzten. Ihr Sattel war aus reinem Elfenbein und ihre Decke aus blutrotem Atlas, die Gurte aus gerippter Seide und die Steigbügel aus geschliffenem Kristall. Die Zügel ihres Pferdes waren aus gehämmertem Golde, und kleine Silberglocken ließen beim Reiten die zarteste Feenmusik erklingen.

Gewiß war sie auf der Jagd: Denn sie hielt ein Horn und ein Bündel Pfeile, und sie führte sieben Windhunde daher in der Koppel, während



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ebensoviel Spürhunde frei neben ihrem Pferde liefen. Als sie die Schlucht herunterritt, trällerte sie ein Stück aus einem alten schottischen Liede vor sich hin. Sie trug sich mit einer so königlichen Anmut, und ihr Kleid war so herrlich, daß Thomas am Wegrand knien und sie verehren mochte, da er meinte, es wäre die Heilige Jungfrau selbst.

Aber als die Reiterin auf ihn zukam und seine Absicht merkte, schüttelte sie traurig den Kopf: »Ich bin nicht die heilige Frau, wie du glaubst. Sie nennen mich Königin, aber in einem andern fernen Lande. Ich bin die Königin des Feen reiches und nicht die Himmelskönigin.«

Und sie schien recht zu haben; denn von dem Augenblick an war ein Zauber über Tom gekommen, der ihn alle Klugheit, Vorsicht und Vernunft vergessen ließ. Er wußte wohl, wie gefährlich es für die Sterblichen ist, sich mit den Feen einzulassen; aber er war so gebannt von der Schönheit der Dame, daß er sie um einen Kuß bat. Das gerade hatte sie sich gewünscht; sie wußte, küßte er sie erst einmal, so hatte sie ihn ganz in der Gewalt.

Zu des Jünglings Entsetzen kam eine schlimme Veränderung über sie, als er ihre Lippen berührte. Ihr kostbarer Mantel und seiden Reitgewand fingen an dahinzuwelken und ließen ihr nur eine lange graue Hülle, fahl wie die Asche. Ihre Schönheit schien ebenso zu vergehen, und sie wurde alt und bleich, und noch schlimmer, gar viel von ihrem reichen goldenen Haar wurde vor seinen Augen grau und stumpf. Sie bemerkte sein Erstaunen und seinen Schrecken und brach in ein Hohngelächter aus: »Nicht mehr bin ich so schön anzuschaun wie zuerst; aber das macht wenig aus. Du hast dich verkauft, Tom, mir sieben lange Jahre zu dienen. Denn wer die Feenkönigin küßt, muß ihr folgen ins Feenland und ihr dort dienen, bis die Zeit vorüber ist.«

Als der arme Thomas diese Worte hörte, fiel er auf die Knie und bat um Gnade. Aber sie wurde ihm nicht gewährt. Die Elfenkönigin lachte ihm nur ins Gesicht und lenkte ihren grauscheckigen Zelter dicht an ihn heran. »Nein, nein«, hielt sie seinen Bitten entgegen, »du hast den Kuß begehrt, und nun mußt du auch den Preis bezahlen.



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So zögere nicht länger, steige hinter mir auf; denn es ist hohe Zeit für mich zu gehn.« So stieg Thomas mit manchem Seufzer und Schauer hinter ihr zu Pferde, und kaum saß er, so zog sie den Zügel an, und das graue Roß jagte davon. Immer weiter und weiter ging es, schneller als der Wind, sie hatten das Land der Lebenden hinter sich gelassen und kamen an den Rand einer großen Einöde, die sich vor ihnen dürr und kahl und verlassen bis zum Saum des Himmels ausdehnte. Wenigstens schien es so den müden Augen des Thomas von Ercildoune, und er sann, ob er und seine seltsame Gefährtin wohl auch durch diese Wüste müßten und ob es da ein Zurück ins Land des Lebens gäbe.

Aber die Feenkönigin straffte plötzlich die Zügel, und der graue Zelter hielt ein in seinem wilden Gang. »Nun mußt du absteigen, Thomas«, sagte die Dame und schaute über die Schulter nach ihrem unglücklichen Gefangenen, »dich niederbeugen und dein Haupt auf mein Knie legen, so will ich dir verborgene Dinge zeigen, die sterbliche Blicke nicht gewahren.«

Tom stieg herunter, beugte sich nieder und lehnte sein Haupt auf das Knie der Feenkönigin, und siehe, da er wieder über die Wüste blickte, schien alles verändert. Denn er sah jetzt drei Straßen quer hindurchführen, die er vorher nicht bemerkt, und jede dieser Straßen war verschieden. Eine von ihnen war breit, eben und gleichmäßig und verlief geradeaus durch den Sand, so daß man auf seiner Reise nicht den Weg verlieren konnte. Die zweite Straße war von der ersten so verschieden, wie sie nur sein konnte. Sie war schmal, gewunden und lang, und da war ein Dornstrauch auf der einen und eine Rosenhecke auf der andern Seite, und diese Hecken waren so hoch gewachsen und ihre Zweige so wild und verflochten, daß der Reisende seine größte Mühe gehabt hätte, überhaupt seinen Weg fortzusetzen. Und die dritte Straße war wiederum keiner der beiden anderen verwandt. Es war eine wunderwunderschöne Straße, und sie schlängelte sich aufwärts zwischen Farren und Heidekraut und goldgelben Ginsterbüschen und sah so aus, als möchte es ein herrlich Reisen sein auf diesem Weg.

»Nun«, sagte die Feenkönigin, »wenn du willst, so werde ich dir sagen,



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wohin diese drei Straßen gehn. Die erste Straße ist, wie du siehst, breit und eben und mühelos, und gar viele werden sie wählen. Aber mag es auch eine gute Straße sein, sie führt doch zu einem bösen Ende, und wer sie wählt, bereut seine Wahl für immer. Und die enge Straße, die so verstrickt und verwachsen ist durch Dornen und Rosen wird nur von wenigen gewählt und betreten werden. Wüßten sie es genau, sie würden wohl in größerer Zahl auf ihr wandeln; denn es ist die Straße der Rechtschaffenheit. Ist sie auch beschwerlich und lästig, endet sie doch in einer ruhmreichen Stadt, die da heißt die Stadt des Großen Königs. Und dann die dritte Straße, die wunderschöne Straße, die hügelaufwärts zwischen den Farnkräutern läuft und dahin führt, wo kein Sterblicher je war, wohl weiß ich, wohin sie geht, Thomas; denn sie führt ins holde Elfenland - das ist die Straße, die wir wählen. Und merk dir, Thomas, wenn du deine Feste Ercildoune jemals wiedersehen willst, dann hüte deine Zunge, bis wir das Ende unserer Reise erreicht haben, und sprich kein einzig Wort zu irgendeinem außer mir; denn der Sterbliche, der unbesonnen im Land der Feen seine Lippen öffnet, muß dort für immer bleiben.«

Dann hieß sie ihn wieder ihren Zelter besteigen, und weiter ritten sie. Der Weg zwischen den Farren war allerdings nicht überall so einladend wie im Anfang. Denn sie waren noch nicht sehr weit geritten, als er sie in einen schmalen Hohlweg führte, der gerade unter die Erde zu gehen schien, wo ihnen kein Lichtstrahl den Pfad wies und die Luft feucht und schwer war. Überall hörte man Wasser rauschen, und schließlich geriet die graue Mähre auch mitten hinein. Und das Wasser kroch empor, kalt und frostig, zuerst an Toms Füßen und dann über seine Knie. Sein Mut war allmählich immer mehr gesunken, seitdem sie das Tageslicht verlassen; aber jetzt gab er sich ganz verloren. Denn es schien ihm gewiß, daß seine seltsame Gefährtin mit ihm niemals wohlbehalten an das Ziel gelangen würde. Er fiel nach vorn in tiefer Ohnmacht. Und hätte er nicht das graue Gewand der Fee fest angepackt, so wäre er sicher von seinem Sitz gerutscht und ertrunken. Aber alles, sei es gut oder böse, hat seine Zeit, und schließlich begann sich die Dunkelheit zu lichten, und die



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Helligkeit wurde stärker, bis sie wieder im vollen Sonnenscheine standen. Da faßte Thomas Mut und schaute auf. Und siehe, sie ritten durch einen üppigen Garten, wo Äpfel und Birnen, Datteln und Feigen und Weinbeeren in großer Fülle wuchsen. Seine Zunge war so ausgedörrt und trocken, und er fühlte sich so schwach, daß er nach einer der Früchte begehrte, um sich zu erholen. Er reckte seine Hand, um sich eine zu pflücken, aber seine Gefährtin im Sattel wandte sich um und verbot es ihm: »Nur einen Apfel darfst du essen, den ich dir gleich geben werde. Wenn du etwas anderes berührst, mußt du für immer im Feenlande bleiben.«

Der arme Thomas bezwang sich, so gut er konnte, und sie ritten langsam weiter, bis sie an ein niedriges Bäumchen kamen, das war über und über mit roten Äpfeln bedeckt. Die Feenkönigin beugte sich herab, pflückte einen und reichte ihn ihrem Gespielen. »Diesen kann ich dir geben«, sagte sie, »und ich tue es gern; denn dies sind die Äpfel der Wahrheit, und wer von ihnen isset, dessen Lippen werden nie mehr eine Lüge tun.« Thomas nahm den Apfel und aß ihn, und für immer blieb die Gnade der Wahrheit auf seinen Lippen; darum nannte man ihn noch in späteren Jahren Tom den Wahren. Sie hatten nur noch ein klein Stück Weges zurückzulegen, bis sie ein prächtiges Schloß erblickten, das auf einem Hügel ragte. »Drüben ist mein Reich«, sagte die Königin und wies stolz hinüber. »Dort wohnt mein Herr und alle Vornehmen seines Hofes, und da mein Herr ein ungleich Gemüt besitzt und einem fremden Kämpen, den er in meiner Gesellschaft sieht, nicht sonderlich freundlich ist, bitte ich dich um deinet- und meinetwillen, mit niemand ein Wort zu wechseln, der zu dir redet. Und sollte mich jemand fragen, wer und was du seist, so will ich ihm sagen, du wärest stumm. So wirst du unauffällig durch die Menge kommen.«

Mit diesen Worten setzte die Dame ihr Jagdhorn an und blies. Dabei ging wieder ein merkwürdiger Wandel mit ihr vor: Ihr häßliches Aschengewand fiel von ihr, das graue Haar verschwand, und sie erschien wieder in ihrem grünen Reitrock und Mantel, und ihr Gesicht war jung und schön. Aber auch Thomas hatte sich wunderbar verändert: Da er zufällig heruntersah, merkte er, seine groben Kleider



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vom Lande hatten sich verzaubert in ein Gewand von schönem braunen Tuch, und an seinen Füßen trug er Atlasschuhe.

Sobald der Hornruf verklungen war, flogen die Tore des Palastes auf, und der König eilte der Königin entgegen in Begleitung einer großen Schar von Rittern und Damen, Sängern und Pagen; Thomas, der von dem Zelter abgestiegen war, hatte keine Mühe, ihren Wünschen zu folgen und unbemerkt ins Schloß zu kommen. Jedermann schien froh, die Königin zurückzusehen, und sie versammelten sich in ihrem Gefolge im Großen Saal, und sie sprach freundlich mit ihnen allen und reichte ihnen ihre Hand zum Kuß. Dann wandte sie sich mit ihrem Gatten zu einem Hochsitz am Ende des ausgedehnten Raumes, wo zwei Thronsessel standen; darauf ließ sich das königliche Paar nieder und schaute den beginnenden Festlichkeiten zu.

Der arme Thomas stand indessen weit ab am anderen Ende des Saales, er fühlte sich sehr einsam und doch ergriffen von dem ungewöhnlichen Schauspiel, dessen Zeuge er jetzt wurde. Denn obwohl all die schönen Damen, Hofleute und Ritter in einem Teile des Saales tanzten, sah man in einem anderen Jäger kommen und gehen, die brachten große Geweihhirsche, die sie auf der Jagd geschossen, und warfen sie übereinander auf den Boden. Zu Seiten der toten Tiere standen aber ganze Reihen von Köchen, schnitten sie zurecht und trugen die Stücke zum Braten fort. Das alles war ein so seltsames, phantastisches Bild, daß Thomas nicht darauf achtete, wie die Zeit verstrich, sondern nur stand und zusah und gaffte, ohne mit jemand ein Wort zu wechseln.

Das ging drei lange Tage so weiter, da erhob sich die Königin von ihrem Thron, schritt vom Hochsitz herunter und ging durch den Saal auf ihn zu. »Nun ist es Zeit, zu satteln und zu reiten, Tom«, sagte sie, »wenn du jemals das schöne Schloß Ercildoune wiedersehen möchtest.«Thomas blickte sie verwundert an: »Ihr spracht von sieben langen Jahren, hohe Frau, und ich bin doch erst drei Tage hier.«

Die Königin lächelte: »Schnell vergeht die Rast im Feenland, mein Freund. Du meinst nur drei Tage hier gewesen zu sein. Sieben Jahre ist es her, seit wir uns trafen. Und so ist es Zeit für dich zu gehen.



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Gern hätte ich dich noch länger bei mir gehabt, aber ich wage es nicht um deiner selbst willen. Denn in jedem siebenten Jahr kommt ein böser Geist aus den Gebieten der Nacht herab zu uns und nimmt einen unsrer Gefährten mit fort, wen er gerade faßt. Und da du ein stattlicher Bursche bist, könnte er am Ende gar auf dich verfallen. Es täte mir leid, wenn dir etwas zustieße, und so will ich dich schon heute nacht in dein Land zurückbringen.«

Wieder wurde der graue Zelter herangeführt, Thomas und die Königin stiegen auf, und wie sie gekommen waren, kehrten sie zurück zum Eildon-Baum am Huntleybach. Dann sagte die Königin Thomas Lebewohl, und als Abschiedsgabe erbat er sich etwas, an dem die Leute erkennen sollten, daß er wirklich im Feenland gewesen.

»Ich habe dir schon die Gabe der Wahrheit gereicht«, erwiderte sie.

»Ich will dir nun die Gaben der Verkündigung und der Dichtkunst verleihen, sodaß du die Zukunft vorauszusehen und wohlklingende Verse zu schreiben vermagst. Und außer diesen unsichtbaren Gaben gehöre dir diese, den Augen der Sterblichen sichtbar - eine Harfe, die im Feenlande geschaffen. Zieh hin, mein Freund. Eines Tages werde ich vielleicht dich wiedersehen.«

Mit diesen Worten verschwand die Dame, und Thomas blieb allein; er fühlte sich, offen gesagt, ein wenig unglücklich, da er von dem strahlenden Wesen Abschied nahm und in die gewöhnlichen Gründe der Menschen sich wandte.

Danach lebte er manch langes Jahr in seinem Schlosse Ercildoune, und der Ruhm seiner Dichtung und seiner Verkündigung verbreitete sich über das ganze Land, so daß ihn die Leute Thomas den Wahren und Tom den Reimer nannten.

Vierzehn Jahre gingen vorüber, und die Leute hatten schon fast vergessen, daß Thomas der Reimer je im Elfenland gewesen. Da nahte aber eine Zeit, in der Schottland und England im Kriege lagen und das schottische Heer an den Ufern des Tweed sich lagerte, nicht weit von der Feste Ercildoune. Und der Herr des Schlosses entschied sich, ein Fest zu veranstalten und alle Edlen und Herren, die das Heer führten, zu einem großen Essen einzuladen.

Noch lange blieb dieses Fest in Erinnerung. Denn der Lord von Ercildoune



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achtete darauf, daß alles so großartig war, wie es nur sein konnte. Und als das Mahl zu Ende war, stand er von seinem Sitze auf, nahm seine Elfenharfe und sang den versammelten Gästen ein Lied nach dem andern aus längst vergangenen Tagen. Die Gäste lauschten atemlos; denn sie ahnten, daß sie so wunderbare Musik nie wieder hören würden. Und so geschah es auch.

In derselben Nacht, als alle Edlen zu ihren Zelten zurückgekehrt waren, sah ein Soldat auf Wache im Mondlicht einen schneeweißen Hirsch und eine Hindin die Straße herabziehen, die über das Lager hinausging. So seltsam schienen die Tiere, daß er seinen Offizier herbeirief, um zuzuschauen. Und der Offizier holte seine Kameraden, und bald folgte eine ganze Schar vorsichtig den stummen Wesen, die feierlich weiterzogen, als ob sie im Maße einer irdischen Ohren nicht vernehmbaren Musik einherschritten.

»Das hat Unheimliches zu bedeuten«, sagte schließlich einer der Soldaten, »wir wollen doch nach Thomas von Ercildoune schicken; vielleicht kann er uns sagen, was es auf sich hat.« — »Ja, holen wir Thomas von Ercildoune«, stimmte jeder mit ein. So wurde eilig ein kleiner Page in die Feste gesandt, um Thomas aus seinem Schlummer zu scheuchen. Als er des Knaben Botschaft hörte, wurde des Sehers Antlitz ernst und sinnend. »Das ist ein Zeichen«, sagte er leise, »ein Zeichen von der Feenkönigin. Lange habe ich darauf gewartet, nun ist es doch noch eingetroffen.«

Als er hinausging, gesellte er sich nicht zu der kleinen Schar der Wartenden, sondern folgte stracks dem schneeweißen Hirsch und der Hindin. Sobald er sie erreicht hatte, hielten sie einen Augenblick ein, als ob sie ihn grüßten. Dann stiegen alle drei langsam ein steiles Ufer hinab, das sich am kleinen Flusse Leader hinzog, und verschwanden in seinen schäumenden Fluten; denn der Strom führte Hochwasser.

Obwohl man überall sorgsam nachforschte, fand man doch keine Spur mehr von Thomas von Ercildoune. Und bis zum heutigen Tage glauben die Leute auf dem Lande, daß der Hirsch und die Hindin Boten der Elfenkönigin gewesen und er mit ihnen ins Feenland zurückgekehrt.



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Canonbie Dick und Thomas von Ercildoune

Vor langen Jahren lebte ein Pferdehändler im Süden Schottlands, nahe der Grenze, nicht sehr weit von Longtown. Man nannte ihn Canonbie Dick, und wenn er auf und nieder durch das Land zog, hatte er immer eine lange Reihe von Pferden hinter sich, die er auf dem einen Markt einkaufte und auf dem nächsten wieder losschlug, wobei er denn manchen guten Groschen in die Tasche steckte. Er war kein Hasenfuß und ließ sich nicht leicht ins Bockshorn jagen. Die Leute, die ihn kannten, pflegten zu sagen, wenn Canonbie Dick eine Sache scheute, dann brauchte man keinen anderen mehr aufzufordern.

Eines Abends kehrte er, weiter ab von seinem Heim, mit einem Paar Pferden zurück, die er nicht hatte verkaufen können, und ritt über das Bowden-Moor, das westlich von den Eildon-Hügeln liegt. Diese sind, wie jedermann weiß, der Schauplatz von einigen der bekanntesten Verkündigungen des Reimers Thomas; auch sagen die Leute, hier sei die Schlummerstätte König Arthurs und seiner Ritter, die unter den drei hohen Gipfeln ruhn und den Zauberruf erwarten, der sie wecken soll. Aber wenig kümmerte sich der Pferdehändler um Arthur und seine Ritter oder um den Reimer Tom. Er ritt dahin im Schneckengang, dachte nach über den Handel, den er an jenem Tage auf dem Markte abgeschlossen hatte, und war neugierig, wann er wohl seine beiden anderen Pferde loswerden würde. Da schreckte ihn plötzlich die Ankunft eines ehrwürdigen Mannes auf, mit weißem Haar und in alter Tracht, der fast aus dem Boden gestampft erschien; so schnell war er da. Als sie sich begegneten, blieb der Fremde stehn und fragte Canonbie Dick zu seinem größten Erstaunen, um welchen Preis er ihm wohl die beiden Pferde überließe. Der verschlagene Pferdehändler dachte, das wäre eine gute Gelegenheit für einen vorteilhaften Handel; denn der Fremde sah aus wie ein Mann von einigem Ansehen. So nannte er ihm eine schöne runde Summe. Der Alte suchte mit ihm zu feilschen. Da er aber merkte, das würde ihm nicht viel nützen -denn niemand konnte Canonbie Dick dazu überreden, sein Pferd für eine geringere Summe zu verkaufen,



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als er zuerst genannt -, stimmte er dem Kaufe zu, zog einen Beutel Gold aus der Tasche seiner seltsam geschnittenen Kniehosen und zahlte den Preis aus.

Dabei fuhr unserm Canonbie Dick wiederum der Schreck durch die Glieder; denn das Gold, das ihm der Fremde reichte, war nicht mehr gangbare Münze, sondern es waren die ältesten Dukaten, die einem Pferdehändler in seinen Geschäften nicht viel nutzen konnten. Immerhin war es Gold, reines Gold, und er nahm es gern; denn er wußte, daß er immer noch das Doppelte einbekam von dem, was die Pferde wirklich wert waren. >So werde ich wenigstens<, dachte er bei sich selbst, >bei diesem Handel nicht den kürzeren ziehn!<

Dann trennten sich die beiden, aber nicht, ohne daß der alte Mann Dick beauftragt hatte, ihm noch andere brauchbare Pferde zum gleichen Preis zu verschaffen. Als einzige Bedingung stellte er dabei, daß Dick sie immer an den gleichen Ort nach Eintritt der Dunkelheit bringen und sich stets allein dort einfinden sollte. Und im Verlauf der Zeit merkte der Pferdehändler, einen wie guten Kunden er sich hier erworben hatte. Kam er wieder an ein strammes Pferd, brauchte er es nur über Bowden-Moor zu führen, wenn die Nacht gekommen, und er konnte darauf rechnen, den geheimnisvollen, weißhäuptigen Fremden wiederzutreffen, der ihm immer für das Tier die altmodischen Dukaten zahlte.

Noch heute könnte er ihm Pferde verkaufen, hätte er nicht einmal darin versagt. Canonbie Dick hatte leicht eine sehr durstige Kehle, und seine gewöhnlichen Kunden, die das wußten, sorgten immer dafür, daß sie ihm etwas zum Trinken verschafften. Das tat der Alte nie. Er bezahlte eben sein Geld und führte seine Pferde weg, damit war die Sache erledigt.

Aber eines Nachts, als Dick noch durstiger war als sonst, machte er ihm eine Andeutung, er würde ihn gern nach Hause begleiten und eine kleine Erfrischung zu sich nehmen; denn er war gewiß, sein geheimnisvoller Freund müsse in der Nachbarschaft daheim sein, da er ihn immer durch die Höhen wandern sah, wenn jedermann sonst im Bette lag.

»Wer mit mir nach Hause gehen will, muß schon ein tapferer Kerl



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sein«, erwiderte der Fremde, »aber wenn du magst, so kannst du mir folgen. Nur merke dir: Wenn dir der Mut versagt bei dem, was du zu sehen bekommst, so wird's dich dein Leben lang gereuen.«

Canonbie Dick lachte laut und schallend. »Mein Mut hat bisher noch nie versagt«, rief er. »Hol' mich die Pest, wenn es mir jetzt daran fehlte! Nur vorwärts, alter Mann, ich will dir schon folgen.« Ohne ein Wort wandte sich der Fremde und begann, einen schmalen Pfad zu ersteigen; der führte zu einem seltsamen kleinen Hügel, den man wegen seiner Gestalt im Volksmunde »das Häschen« nannte. Es war wohl ein Lieblingsplatz der Hexen, und in der Regel schlug niemand diesen Weg im Dunkel ein, wenn er es nur irgend vermeiden konnte. Canonbie Dick fürchtete sich nicht vor Hexen, und so folgte er seinem Führer mit festen Schritten hügelan. Aber es muß zugegeben werden, daß es ihm etwas merkwürdig zumute war, als er ihn auf den Eingang einer Höhle zugehen sah, obwohl er sich gar nicht entsinnen konnte, dort je zuvor eine Öffnung im Berggelände bemerkt zu haben.

Er zögerte einen Augenblick, sah sich bestürzt ringsum, verwundert, wohin man ihn noch bringen würde. Sein Führer blinzelte etwas verächtlich zu ihm hinüber: »Du kannst noch umkehren, wenn du willst! Ich habe dir ja gleich gesagt, es sei eine Reise, die deinen Mut auf die höchste Probe stelle.« Es war ein höhnischer Klang in seiner Stimme, der Dicks Stolz herausforderte.

»Wer sagt denn, daß ich ängstlich bin?«fragte er zurück. »Ich wollte mir nur einprägen, wo dieser Durchgang in den Bergen liegt, damit ich ihn einmal wiederfände.« Der Fremde zuckte mit der Schulter: »Zeit genug, sich darum zu kümmern, wenn du wiederkommst.« Und dann setzte er seinen Weg fort, und Dick folgte ihm dicht auf den Fersen.

Nach den ersten ein oder zwei Ellen waren sie ins finsterste Dunkel gehüllt, und dem Pferdehändler wäre es schwerlich gelungen, sich in seines Führers Nähe zu halten, hätte nicht der andere ihm seine Hand hingestreckt. Aber nach einer kleinen Weile dämmerte ein schwacher Lichtschimmer auf, der immer klarer und klarer wurde, bis sie sich zuletzt in einer ungeheuren Höhle befanden, die von lodernden



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Fackeln erleuchtet wurde. Die steckten hier und da in Haltern an den Felsenwänden, und wenn sie auch Licht genug zum Sehen gaben, warfen sie doch so geisterhafte Schatten auf den Boden, daß sie die Düsterkeit nur zu vermehren schienen, die über dem weiten Raume lag.

Und das Merkwürdige an dieser Höhle war, daß an einer Seite eine lange Reihe von Pferdeständen entlanglief, grade so wie man sie in einem Stalle findet, und an jedem Platz stand ein kohlschwarzes Streitroß, gesattelt und gezäumt und gleichsam kampfbereit. Und auf dem Stroh zur Seite jedes Pferdes lag die stattliche Gestalt eines Ritters, von Kopf zu Fuß mit einer kohischwarzen Rüstung bewehrt und mit dem gezogenen Schwert in der gepanzerten Faust. Doch nicht ein Pferd regte sich, nicht eine Kette klirrte. Ritter und Gäule waren beide schweigsam und unbewegt, sahen aus, als ob irgendein seltsamer Zauber sie befallen und überraschend in schwarzen Marmor verwandelt hätte.

Es war etwas so Unheimliches in diesen stillen, kalten Gestalten und in der unirdischen Lautlosigkeit, die über allem lastete, daß Canonbie Dick, sonst so unbekümmert und draufgängerisch, seinen Mut schwinden und seine Knie unter sich zittern fühlte. Trotz dieser Empfindungen folgte er dem alten Manne die Halle hinauf bis zum weit entfernten Ende, wo sich ein Tisch von altem Handwerk erhob, auf den man ein glitzerndes Schwert und ein seltsam gearbeitetes Horn gelegt hatte. Als sie diesen Tisch erreichten, wandte sich der Fremde an ihn und sagte mit großer Feierlichkeit: »Freund, du hast doch schon gehört von Thomas von Ercildoune -Tom dem Reimer, wie man ihn nennt -, der eine Zeitlang bei der Elfenkönigin wohnte und von ihr die Gaben der Wahrheit und der Verkündigung erhielt?«

Canonbie Dick nickte. Doch als der Name des wunderbaren Propheten an seine Ohren drang, klopfte ihm vollends das Herz und wollte ihm die Zunge am Gaumen kleben bleiben. War er dorthin gebracht worden zu einer Unterredung mit Tom dem Reimer, so war er allen Zaubermächten der Finsternis preisgegeben. »Ich bin's, der mit dir redet«, fuhr der Weißbärtige fort. »Und ich



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habe dir deinen Willen gelassen und dich mitgenommen, um zu erfahren, aus welchem Schrot und Korn du stammst. Vor dir liegt ein Horn und ein Schwert. Wer das eine blasen oder das andere ziehen kann, soll König über ganz Britannien sein, wenn ihm der Mut nicht fehlt. Ich, Tom der Reimer, habe dir das gesagt, und wie du weißt, meine Zunge kann nicht lügen. Aber merke dir, was herauskommt, hängt ab von deiner Tapferkeit. Es wird eine leichte oder eine schwere Aufgabe sein, je nachdem du zuerst zum Schwert oder zum Horn greifst.«

Nun war Dick erfahrener im Schlägeausteilen als im Musikmachen, und seine erste Regung war, nach dem Schwerte zu greifen. Dann hatte er, komme was wolle, wenigstens etwas in der Hand zu seiner Verteidigung. Aber gerade als er es ziehen wollte, kam ihm der Einfall: Wenn der Ort voller Geister war, wie er es für sicher hielt, so konnte sein Tun als Herausforderung gedeutet werden und jene veranlassen, sich gegen ihn zusammenzurotten.

So änderte er seinen Sinn, hob das Horn mit zitternder Hand und blies hinein, aber so schwach und kraftlos, daß man es kaum am andern Ende des Saales hörte.

Was nun folgte, konnte auch das kühnste Herz in Schrecken setzen. Donner rollte in krachenden Schlägen durch die weite Halle. Die verzauberten Ritter und ihre Pferde erwachten im Augenblick aus ihres Schlafes Bann. Die Ritter sprangen auf, packten ihre Schwerter und schwangen sie um ihr Haupt, während ihre mächtigen Rappen stampften und schnoben und ihre Zäume kauten, als ob sie eilends frei sein wollten. Und wo kurz zuvor noch Friede und Eintracht geherrscht hatte, tobte jetzt wilder Lärm und Aufruhr.

Jetzt war es Zeit für Canonbie Dick zu beweisen, was ein Mann ist. Hätte er das getan, sein ganzes Leben hätte eine andere Wendung genommen. Aber da versagte ihm der Mut, und er verlor sein Glück. Entsetzt, als er so viele drohende Gesichter sich gegen ihn wenden sah, ließ er das Horn fallen und machte einen schwachen, unentschiedenen Versuch, das Schwert aufzunehmen. Aber ehe er dazu kam, ertönte irgendwo in der Halle eine geheimnisvolle Stimme, und das waren die Worte, die sie sprach:



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»Wehe dem Feigling, weh ihm, daß er geboren,
Der nicht das Schwert zog, eh er das Horn erkoren!«


***
Und bevor Dick sich besinnen konnte, was um ihn geschah, brach ein wilder Wirbelwind von kalter, rauher Luft durch die Höhle und riß den unglückseligen Pferdehändler mit sich. Er fegte ihn den schmalen Gang hinunter, durch den er gekommen, und setzte ihn ungestüm ab auf einem Lager von losen Steinen und Schiefer. Er fiel derb auf den Boden, und am nächsten Morgen fanden ihn einige Schafhirten, beinahe leblos. Er hatte nur gerade noch Kraft genug, ihnen die Geschichte von seinem verhexten, schaurigen Abenteuer zuzuflüstern.


Junker Roland

Herr Roland und der Brüder zween,
Froh warfen sie den Ball.
Und ihre Schwester, Maid Ellen,
Gesellte sich hinzu.
Herr Roland stieß ihn mit dem Fuß,
Er fing ihn mit dem Knie;
Auf einmal stürmt er wild heran,
Läßt ihn kirchüber fliegen.
Maid Ellen rannte um das Haus,
Der Ball, der war verlorn;
So harrten sie lange und länger noch:
Sie kam nicht mehr zurück.
Sie suchten gen Ost, sie suchten gen West,
Sie suchten sie auf und ab,
Und wehe schlugen die Herzen der Brüder,
Sie war nicht mehr zu sehn.


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So ging ihr ältester Bruder schließlich zu dem Zauberer Merlin, erzählte ihm alles, was geschehen, und fragte ihn, ob er wüßte, wo Maid Ellen geblieben sei. »Die schöne Maid Ellen«, sagte der Zauberer Merlin, »muß von den Elfen entführt worden sein; denn sie rannte linksherum um die Kirche, gegen den Sonnenlauf. Sie ist nun im Dunklen Turme des Elfenkönigs; nur der kühnste Ritter der Christenheit könnte sie zurückholen.«

»Wenn es überhaupt möglich ist, sie zurückzuholen«, sagte ihr Bruder, »so will ich es tun, und sollte ich bei dem Versuch zugrunde gehn.«

»Möglich ist's«, sagte der Zauberer Merlin, »aber wehe dem Vatersoder Muttersohn, der es versucht, ohne sich vorher zu erkundigen, was er zu tun hat.«

Der älteste Bruder der Maid Ellen konnte durch keine Gefahren davon abgebracht werden, sie zurückzuholen. So bat er den Zauberer Merlin, ihm zu sagen, was er tun und was er lassen sollte, wenn er nun auf die Suche ginge. Nachdem er alles erfahren und seine Lehren wiederholt hatte, machte er sich auf ins Elfenland.



***
So harrten sie lange und länger noch, In Angst und ohne Glück, — Und wehe schlugen die Herzen der Brüder - Er kam nicht mehr zurück.


***
Da wurde der zweite Bruder des Wartens immer überdrüssiger, und er ging zu dem Zauberer Merlin und fragte ihn dasselbe wie sein Bruder. So zog er denn auch hinaus, Maid Ellen zu suchen.
So harrten sie lange und länger noch,
In Angst und ohne Glück,
— Weh schlug der Mutter, des Bruders Herz -
Er kam nicht mehr zurück.


***
Als sie nun eine gute Weile gewartet und gewartet hatten, wollte Junker Roland, der jüngste unter Maid Ellens Brüdern, sich auf den


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Weg machen. Er ging zu seiner Mutter, der guten Königin, und bat sie, ihn ziehen zu lassen. Aber sie wollte zuerst nicht; denn er war das letzte und liebste ihrer Kinder, und wenn er verlorenging, war für sie alles dahin. Doch er bettelte und flehte, bis ihn schließlich die gute Königin ziehen ließ und ihm seines Vaters wackres Schwert mitgab, das nie versagte. Da er es nun um seine Hüften schnallte, tat sie ihm den Zauber kund, der den Sieg verlieh. So sagte Junker Roland seiner Mutter, der guten Königin, Lebewohl und ging zu der Höhle des Zauberers Merlin. »Noch einmal und nur noch einmal«, sagte er zu dem Zauberer, »laß hören, wie Vaters- oder Muttersohn Maid Ellen und die Brüder zween befreien können.«

»Also, mein Sohn«, sagte der Zauberer Merlin, »es sind nur zwei Dinge. So einfach sie erscheinen mögen, so schwer sind sie auszurichten. Eins ist zu tun, und eins ist zu lassen. Das aber wäre zu tun: Sobald du ins Feenland gekommen bist, zieh dein Schwert und schlag jedem den Kopf herunter, der mit dir spricht, bis du Maid Ellen triffst. Das aber wäre zu lassen: Beiß keinen Bissen und trink keinen Tropfen, wie hungrig oder durstig du auch seist. Trinkst du einen Tropfen oder beißt du einen Bissen, solange du in Feenland bist, nie siehst du Mittelgart, die Erde, wieder.«

So sagte Junker Roland die beiden Sätze immer wieder vor sich her, bis er sie auswendig wußte; dann dankte er dem Zauberer Merlin und zog seines Weges. Und er wanderte weiter und weiter und immer weiter, bis er dem Pferdehirten des Elfenkönigs begegnete, der die Tiere fütterte. Diese erkannte er an ihren feurigen Augen und wußte nun, daß er endlich im Feenlande war. »Kannst du mir sagen«, meinte Junker Roland zu dem Pferdehirten, »wo der Dunkle Turm des Elfenkönigs ist?« — »Ich kann's dir nicht sagen«, meinte der Pferdehirt, »aber geh nur ein wenig weiter, so wirst du zu dem Kuhhirten kommen, und der wird es dir vielleicht sagen können.«

Ohne ein weiteres Wort nahm Junker Roland sein gutes Schwert, das nie versagte, und schlug dem Pferdehirten den Kopf herunter. Junker Roland zog dann weiter, bis er zu dem Kuhhirten kam, und stellte ihm die gleiche Frage. »Ich kann's dir nicht sagen«, meinte er, »aber geh ein wenig weiter, so wirst du zu der Hühnerfrau kommen,



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und sie wird es sicher wissen.«Wieder zog Junker Roland sein gutes Schwert, das nie versagte, und schlug dem Kuhhirten den Kopf herunter. Dann ging er etwas weiter, bis er zu einer alten Frau in grauem Rock gelangte, und fragte sie, ob sie wüßte, wo der Dunkle Turm des Elfenkönigs sei. »Geh ein wenig weiter«, sagte die Hühnerfrau, »bis du zu einem runden grünen Hügel kommst, der ist ringsherum mit Stufen besetzt, von unten bis oben; geh dreimal um ihn herum, gegen die Sonne, und sage jedesmal:
>Tür, geh auf! Tür, geh auf,
Und laß mich nun hinein.<


***
Und beim drittenmal wird sich die Tür öffnen, und du kannst hineingehen.« Junker Roland wollte gerade aufbrechen, da fiel ihm ein, was er zu tun hatte. Raus flog sein gutes Schwert, das nie versagte, und runter war der Kopf der Hühnerfrau.

Dann ging er weiter und weiter und immer weiter, bis er an den runden grünen Hügel kam, der ringsherum mit Stufen besetzt war, von oben bis unten, und er lief dreimal um ihn herum, gegen die Sonne, und sagte dabei jedesmal:

»Tür, geh auf! Tür geh auf,
Und laß mich nun hinein.«


***
Und beim drittenmal sprang die Tür wirklich auf. Er trat ein, und sie schnappte zu: Junker Roland sah sich im Dunkeln.

Es war nicht vollständig finster, mehr eine Art Dämmerung. Da waren weder Fenster noch Kerzen, und er konnte nicht herausfinden, woher das Zwielicht kam, es sei denn durch Dach und Wände. Das waren einfache Gewölbebogen aus durchsichtigem Gestein, mit Glimmer und Felsspalt und andern glänzenden Erzen überzogen. Waren es auch Felsen, so wehte die Luft doch warm, wie sie es im Elfenreich immer tut. So wanderte er durch diesen Gang, bis er schließlich an zwei wuchtige und hohe Flügeltüren kam, die halb offenstanden. Und als er sie aufmachte, erblickte er vor sich etwas ganz



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Wunderbares und Herrliches: einen weiten und geräumigen Saal, so weit, daß er so lang und so breit wie der Hügel selbst zu sein schien. Das Dach wurde von schönen Pfeilern getragen, die ragten so hoch und luftig, daß die Pfeiler eines Domes nichts dagegen waren: ganz aus Gold und Silber, mit Schnitzwerk verziert und zwischendurch Blumenkränze. Und woraus, glaubst du wohl, waren sie gewunden? Nun, aus Diamanten und Smaragden und manch edlem Juwel. Und selbst die Schlußsteine der Bogen hatten Behänge von Diamanten und Rubinen und Perlen und anderen Köstlichkeiten zur Zierde. Und alle Bögen trafen sich in der Mitte des Daches, und gerade da hing an einer goldenen Kette eine mächtige Lampe, und die war geschaffen aus einer einzigen großen, durchsichtigen Perle. Und in ihrer Mitte gewahrte man einen gewaltigen Karfunkelstein, der sich fortwährend herumdrehte und erleuchtete mit seinen Strahlen den ganzen Raum, der so aussah, als ob ihn die untergehende Sonne beschien.

Der Saal selbst war gerade so großartig ausgestattet, und an seinem Ende stand ein prächtiges Ruhelager aus Sammet, Seide und Gold, und da saß die Maid Ellen und kämmte sich ihr goldnes Haar mit einem Silberkamm. Als sie Roland sah, stand sie auf und sagte:

»Gott gnade dir, du armer Tor,
Was hast du hier zu tun?
Vernimm es denn, mein jüngster Bruder,
Was bliebst du nicht daheim?
Hättst du auch hunderttausend Leben,
Du rettetest nicht eins!
Doch setz dich nieder; weh, ach weh,
Daß je du bist geboren.
Denn tritt der Elfenkönig ein,
So ist dein Glück verloren.«


***
Dann setzten sie sich zusammen nieder, und Junker Roland berichtete ihr alles, was er getan hatte, und sie berichtete ihm, wie ihre beiden Brüder den Dunklen Turm erreicht hätten und dort nun wie tot


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begraben lägen; denn der Elfenkönig hatte sie verzaubert. Und als sie noch ein wenig mehr geredet hatten, fing Junker Roland an, nach den langen Wanderfahrten Hunger zu spüren, und er sagte seiner Schwester, der Maid Ellen, wie hungrig er sei, und bat um etwas zu essen und hatte dabei ganz und gar die Warnung des Zauberers Merlin vergessen.

Maid Ellen sah Junker Roland traurig an und schüttelte den Kopf; aber sie stand unter dem Zauber und durfte ihn nicht warnen. So erhob sie sich, ging hinaus und brachte bald eine goldene Schüssel voll Brot und Milch zurück. Junker Roland wollte sie gerade an seine Lippen führen, da schaute er seine Schwester an, und es fiel ihm wieder ein, warum er hierhergekommen war. So schleuderte er die Schale zu Boden und sagte: »Keinen Schluck will ich schlürfen, keinen Bissen will ich beißen, bis Maid Ellen befreit ist.« Gerade in diesem Augenblick hörten sie jemand tobend herankommen und eine laute Stimme rufen:

»Puh, päh, pah, pfui,
Ich rieche, rieche Christenblut!
Ob tot, ob lebend, ja mein Schwert
Trifft sein Gehirn und Schädel gut.«


***
Und dann wurden die Flügeltüren des Saales aufgestoßen, und der König des Elfenreiches stürmte herein.

»Schlag zu, du Kobold, wenn du's wagst«, schrie Junker Roland und stürzte sich auf ihn mit seinem guten Schwert, das nie versagte. Sie kämpften und kämpften und kämpften, bis Herr Roland den König von Elfenland auf die Knie zwang und ihn zum Nachgeben brachte. »Ich will dir Gnade schenken«, sagte Junker Roland, »aber zuvor löse meine Schwester von deinem Zauber und rufe meine Brüder ins Leben zurück und laß uns alle frei davonziehn, dann sollst du geschont werden.« —»Ich will es tun«, sagte der Elfenkönig. Er stand auf und ging an einen Schrank, dem er ein Glasgefäß mit blutrotem Safte entnahm. Damit bestrich er den beiden Brüdern die Ohren, Augenlider, Nasenlöcher, Lippen und Fingerspitzen, und sofort



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kehrten sie ins Leben zurück und meinten, ihre Seelen wären weit fort gewesen, jetzt aber zurückgekehrt. Der Elfenkönig sagte dann einige Worte zur Maid Ellen, und sie war entzaubert, und alle vier schritten sie durch den weiten Saal und durch den langen Gang und wandten dem Dunklen Turm den Rücken, um nie wieder zurückzukehren. So erreichten sie ihre Heimat und die gute Königin, ihre Mutter. Aber die Maid Ellen rannte nie wieder linksherum um die Kirche, gegen den Lauf der Sonne.


Der Page und der Silberkelch

Es war einmal ein kleiner Page, der diente auf einem stattlichen Schloß. Er war ein gutmütiger Bursche und erfüllte seine Pflichten so willig und gut, daß ihn jedermann gern hatte, von dem hohen Grafen, dem er täglich mit gebeugtem Knie aufwartete, bis zum dicken alten Kellermeister, dessen Aufträge er ausführte.

Das Schloß stand auf einer Klippe hoch über der See, und obwohl die Mauern auf dieser Seite sehr stark waren, befand sich in ihnen eine kleine Hintertür. Sie ging auf eine schmale Treppenflucht hinaus, die an der Vorderseite der Klippe zum Ufer hinabführte, so daß jeder, der es mochte, an schönen Sommermorgen dort hinuntergehen und im schimmernden Meere baden konnte.

Auf der andern Seite des Schlosses waren Gärten und Spielgründe, die an einen langen Streifen heidebedeckten Odlandes grenzten, und in der Ferne ragte eine Hügelkette empor. Der kleine Page liebte es sehr, die Heide aufzusuchen, wenn seine Arbeit getan war; denn dann konnte er so viel herumtollen, wie er wollte: Hummeln jagen und Schmetterlinge fangen und nach Vogelnestern ausgucken, wenn gerade Brutzeit war.

Und der alte Kellermeister war sehr damit einverstanden; denn er wußte, wie gesund es für einen solchen Burschen war, sich viel im Freien herumzutreiben. Aber bevor der Junge hinausging, pflegte ihm der alte Mann immer eine Mahnung mitzugeben: »Paß gut auf, mein Kerlchen, und halte dich fern von dem Elfenhügel; denn dem



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kleinen Volk ist nicht zu trauen.« Dieser Elfenhügel, von dem er sprach, war eine kleine grüne Anhöhe, die nicht zwanzig Ellen vom Gartentor entfernt auf der Heide lag, und die Leute sagten, sie sei die Wohnstätte von Feen, die jeden voreiligen Sterblichen, der sich ihnen näherte, bestraften. Deswegen gingen die Landleute lieber eine halbe Meile daran vorbei, selbst am hellen Tage, als daß sie Gefahr liefen, zu nah an den Feenhügel zu geraten und sich den Zorn der kleinen Geister zuzuziehen. Und nachts hätten sie die Heide überhaupt nicht durchquert; denn jeder weiß, daß die Feen in der Dunkelheit umherschweifen und die Tür zu ihrer Behausung offensteht; und der unglückliche Sterbliche, der nicht aufpaßt, kann dann hineingeraten.

Nun war der kleine Page ein kecker Bursche, und anstatt vor den Feen Angst zu haben, war er sehr begierig, sie zu sehen und ihr Versteck aufzusuchen und auszuspüren, wie es dort zuging. So schlich er sich eines Nachts, als alle im Schloß im Schlafe lagen, durch die kleine Pforte und stahl sich die Steintreppen hinunter und am Meeresufer entlang, bis schließlich herauf zum öden Heideland, und dann ging er stracks auf die Erhebung los. Zu seinem Entzücken fand er die Spitze des Feenhügels aufgekippt. Aus der klaffenden öffnung strömten Lichtstrahlen hervor.

Sein Herz schlug heftig vor Erregung, aber er nahm sich den Mut, beugte sich nieder und schlüpfte ins Innere des Hügels. Dort fand er einen weiten Raum, der von zahllosen winzigen Kerzen erleuchtet war, und um einen blanken Tisch saßen Scharen von Feen und Elfen und Gnomen, in Grün und Gelb und Rot, in Blau und Lila und Scharlach gekleidet, kurz, in allen Farben, die man sich nur denken kann.

Er stand in einer dunklen Ecke und belauschte das geschäftige Treiben mit Staunen. Er wunderte sich, wie seltsam es doch sei, daß eine solche Anzahl winziger Wesen ihr eigenes, den Menschen ganz unbekanntes Leben führte, als plötzlich jemand - er konnte nicht sagen, wer - einen Befehl erteilte.

»Hole den Kelch!« rief der Eigentümer der unbekannten Stimme, und sogleich flitzten zwei kleine Feenpagen, ganz in scharlachroter



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Livree, vom Tische zu einem kleinen Schrank im Felsen und kehrten taumelnd unter der Last eines überaus wertvollen Silberkelches zurück, der von schön getriebener Arbeit und innen mit Gold gefaßt war. Er setzte ihn mitten auf den Tisch, und unter Händeklatschen und Freudengeschrei begannen alle Feen daraus zu trinken. Der Page konnte von seinem Platz aus sehen, daß niemand Wein hineingoß und der Kelch doch ständig voll war. Sogar der Wein, der darin funkelte, blieb nicht immer derselbe, sondern jeder Elf, wenn er nach dem Fuße griff, wünschte sich den Wein, den er am liebsten mochte, und schau, im Augenblick war der Kelch voll davon. >Es wäre eine feine Sache, hätte ich den Kelch bei mir zu Haus<, dachte der Page. >Niemand wird glauben, ich sei hier gewesen, wenn ich nicht etwas vorzuweisen habe.< So nahm er sich Zeit und paßte auf.

Plötzlich bemerkten ihn die Feen. Anstatt ärgerlich über seine Kühnheit und sein Eindringen zu sein, wie er wohl erwartete, schienen sie sehr erfreut, ihn zu sehen, und luden ihn ein, am Tische Platz zu nehmen. Aber allmählich wurden sie grob und unverschämt und spotteten über ihn, daß er damit zufrieden sei, bloßen Sterblichen zu dienen. Sie erzählten ihm, sie sähen alles, was auf dem Schlosse vorginge, und machten sich lustig über den alten Kellermeister, den der Page von ganzem Herzen liebte. Außerdem lachten sie über sein Essen und sagten, es wäre für Tiere gerade gut genug. Und wenn irgendeine neue Leckerei aufgetragen wurde von den scharlachroten Pagen, schoben sie die Schüssel zu ihm hinüber und meinten: »Koste einmal; denn solche Sachen bekommst du im Schloß doch nicht zu schmecken!«

Zuletzt konnte er ihre spöttischen Bemerkungen nicht länger mit anhören; außerdem wußte er, wenn er sich den Kelch sichern wollte, durfte er keine Zeit mehr verlieren. So sprang er plötzlich auf und faßte den Fuß fest mit der Hand: »Ich trinke euch mit Wasser zu!« rief er, und sofort verwandelte sich der rubinrote Wein in klares kaites Wasser. Er hob den Kelch an die Lippen, aber er trank nicht davon. Mit einem plötzlichen Schwung schüttete er das Wasser über die Kerzen, und im Nu war der Raum in Dunkelheit gehüllt. Er



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drückte den kostbaren Becher fest in die Arme, eilte zur Öffnung des Hügels, durch die er klar die Sterne schimmern sah. Es war auch höchste Zeit; denn mit einem Krach schlug der Spalt hinter ihm zu. Und bald hastete er über die nasse, taubedeckte Heide, die ganze Schar der Feen auf den Fersen. Sie waren außer sich vor Arger, und nach dem schrillen Wutgeheul, das sie ausstießen, konnte sich der Page wohl denken, daß er keine Gnade von ihren Händen zu erwarten hatte, wenn sie ihn griffen.

Und ihm sank der Mut; denn war er auch flink zu Fuß, so war ihm das Elfenvolk doch weit überlegen und gewann ständig an Raum. Alles schien verloren, als eine geheimnisvolle Stimme aus der Dunkelheit ertönte:

»Willst du an der Schloßtür stehn,
Mußt über die schwarzen Steine am Ufer gehn!«


***
Es war die Stimme eines armen Sterblichen, der von den Feen gefangengenommen war und der nicht wollte, daß ein gleiches Schicksal den abenteuerlustigen Pagen befiel; aber das wußte der kleine Bursche natürlich nicht. Er hatte einmal gehört, wenn jemand über den feuchten Sand ginge, über den die Wellen gerollt, so konnten ihn die Feen nicht mehr berühren, und der geheimnisvolle Vers erinnerte ihn daran.

So wandte er sich um und stürmte keuchend ans Ufer hinunter. Seine Füße sanken tief ein in den trockenen Sand, sein Atem ging stoßweise, und er bangte, er werde den Kampf aufgeben müssen. Aber er riß seine Kräfte zusammen, und gerade als die vorderste der Feen Hand an ihn legen wollte, sprang er über die Wassermarke auf den festen feuchten Sand, von dem sich die Wogen eben zurückgezogen hatten, und da wußte er, daß er gesichert war.

Das kleine Volk konnte keinen Schritt weiter vordringen, sondern stand auf dem trockenen Sand und kreischte vor Wut und Enttäuschung, während der siegesstolze Page unbehelligt am Ufer entlangrannte, den köstlichen Kelch in den Armen, behende die Treppen im Felsen aufstieg und durch die Hintertür verschwand. Und noch



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viele Jahre, lange nachdem der Page groß und ein tüchtiger Kellermeister geworden war, blieb der wunderbare Kelch in dem Schlosse als Zeugnis seines Abenteuers.


Der Robbenfänger und der Wassermann

Es war einmal ein Mann, der lebte nicht weit von Joan o'Groats Haus, was im äußersten Norden Schottlands liegt, wie jedermann weiß. Er wohnte in einer kleinen Hütte am Seeufer und verdiente sich seinen Unterhalt mit dem Fang von Robben und dem Verkauf ihrer Felle, die sehr wertvoll sind.

Die Tiere kamen in großen Scharen aus dem Meer und legten sich auf die Felsen bei seinem Hause, um sich in der Sonne zu wärmen. So war es nicht schwer, sie rückwärts zu beschleichen und zu jagen. Einige dieser Robben waren größer als die anderen, und die Leute auf dem Lande munkelten, das seien überhaupt keine Robben, sondern Wassermänner und Meerfrauen, die aus ihrem Heimatlande tief unter der See herstammten. Sie nähmen diese seltsame Verkleidung an, damit sie durch die Flut hindurchkommen und die Luft unsrer Erde atmen könnten.

Aber der Robbenfänger lachte nur über sie und meinte, diese Robben wären vor allem zum Jagen reif; denn ihre Felle waren so groß, daß er einen besonderen Preis dafür bekam.

Nun geschah es eines Tages, daß er wieder seinem Handwerk nachging und mit seinem Jagdmesser nach einem Seehund stieß. War der Stoß nun nicht sicher genug geführt oder war sonst etwas im Spiele, jedenfalls glitt das Tier mit einem lauten Schmerzensgeheul von dem Felsen in die See und verschwand unter dem Wasser, das Messer im Leibe.

Der Robbenfänger war recht verdrießlich über seine Ungeschicklichkeit und über den Verlust seines Messers. So ging er niedergeschlagen heim zum Essen. Auf dem Wege traf er einen Reiter, der so hochgewachsen war und so seltsam dreinschaute und ein so riesiges Pferd ritt, daß er stehenblieb und ihn erstaunt musterte, neugierig,



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wer das sei und aus welchem Lande er komme. Der Fremde hielt ebenfalls an und fragte ihn nach seinem Beruf. Als er hörte, er sei Robbenfänger, bestellte er sofort eine große Anzahl von Seehundsfeilen. Der Robbenfänger war hoch erfreut; denn eine solche Bestellung bedeutete eine große Summe Geldes für ihn. Aber er machte ein langes Gesicht, als der Reiter hinzusetzte, die Felle müßten unbedingt noch am selben Abend geliefert werden.

»Das kann ich nicht«, sagte er mit enttäuschter Stimme, »denn die Robben werden erst morgen früh zu den Felsen zurückkehren.« —

»Dann werde ich dich mitnehmen an einen Platz, wo du jede Anzahl von Seehunden finden wirst, die du haben willst«, antwortete der Fremdling, »sitz nur auf meinem Pferde hinten auf und komm mit!«

Der Robbenfänger stimmte zu und schwang sich hinter den Reiter, der die Zügel schießen ließ, und los stürmte das Pferd mit solcher Windeseile, daß er alle Mühe hatte, sich aufrecht zu halten. Fort und fort rasten sie und flogen dahin, bis sie zuletzt an den Rand eines mächtigen Abgrunds kamen, der steil abfiel ins Meer.

»Steig ab!« sagte er kurz. Der Robbenfänger tat, wie ihm geheißen war, und als er wieder auf festem Boden stand, lugte er vorsichtig über den Klippenrand, ob wohl Robben auf den Steinen darunter zu sehen wären. Zu seinem Verwundern sah er überhaupt keine Felsen, nur die weite blaue See, die bis an den Fuß der Klippe heranspülte.

»Wo sind die Robben, von denen Ihr spracht?«fragte er besorgt und verwünschte es im stillen, sich in ein so voreiliges Abenteuer eingelassen zu haben. »Du wirst sie sogleich erblicken«, antwortete der Fremde, der das Pferd beim Zaume hielt. Der Robbenfänger war nun vollends in Ängsten; denn er merkte wohl, daß ihm Schlimmes drohte, und wußte, wie vergeblich es sei, an einem so einsamen Orte um Hilfe zu rufen.

Es schien, als ob sich seine Befürchtungen nur als allzu wahr herausstellen sollten; denn im nächsten Augenblick legte sich des Fremden Hand auf seine Schulter, und er fühlte, wie er über die Klippe gerissen wurde und mit lautem Aufkiatschen ins Meer stürzte. Er



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glaubte, sein letztes Stündlein sei gekommen, und er begriff nicht, wie man solch ein Unrecht an einem Unschuldigen verüben konnte.

Doch zu seinem Erstaunen merkte er, daß mit ihm eine Veränderung vorgegangen war: denn anstatt vom Wasser erstickt zu werden, konnte er ganz leicht atmen, und er und sein Gefährte, der immer noch dicht an seiner Seite war, schienen so schnell ins Meer hinabzusinken, wie sie durch die Luft geflogen waren.

Tiefer und tiefer sanken sie, niemand weiß wie tief, bis sie endlich an ein großes gewölbtes Tor kamen, das schien aus rosenroten Korallen gemacht und war besetzt mit Herzmuscheln. Es öffnete sich von selbst, und als sie eintraten, befanden sie sich in einem großen Saal, dessen Wände aus Perlmutter gebildet und dessen Boden aus glattem, festem Seesand bestand.

Der Saal war dicht gedrängt von Gästen, aber es waren keine Menschen, sondern Robben, und als sich der Robbenjäger an seinen Begleiter wandte und ihn fragte, was das alles bedeutete, erstarrte er fast vor Angst bei der Entdeckung, daß der ebenfalls die Gestalt eines Seehundes angenommen hatte. Noch größer wurde sein Entsetzen, als er sich selbst zufällig in einem großen Spiegel an der Wand besah: Auch er war nicht mehr den Menschen ähnlich, sondern in einen hübschen, braunfelligen Seehund verwandelt.

>Ach, wehe mir!<sagte er zu sich selbst. >Wiewohl ich nichts verbrochen habe, hat der listige Fremde einen unheilvollen Zauber auf mich gelegt, und nun bleibe ich in dieser schauderhaften Gestalt bis an mein Lebensende.<

Anfangs sprach keins der mächtigen Geschöpfe mit ihm. Aus diesem oder jenem Grunde schienen sie alle sehr traurig zu sein und bewegten sich leise durch den Saal, sprachen gedämpft und betrübt miteinander oder lagen schwermütig auf dem Sandboden und wischten sich große Tränen aus ihren Augen mit ihren weichen felligen Flossen. Doch auf einmal bemerkten sie ihn und flüsterten miteinander. Plötzlich entfernte sich sein Führer und verschwand durch eine Tür am Ende des Saales. Als er wiederkam, hielt er ein mächtiges Messer in seiner Hand. »Hast du das schon einmal gesehen?«fragte er und



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hielt es dem unglückseligen Robbenfänger vor die Augen, der zu seinem Schrecken sein eigenes Jagdmesser erkannte, mit dem er den Seehund am Morgen getroffen hatte und welches das verwundete Tier mit sich genommen.

Bei diesem Anblick fiel er auf sein Angesicht und bat um Gnade; denn er schloß daraus, daß die Bewohner des Gewölbes erzürnt waren über das Unrecht an ihrem Gesellen und auf irgendeine Zauberweise ihn gefangen und in ihre unterirdische Wohnung herabgeschafft hatten, um ihre Rache an ihm auszuüben und ihn zu töten. Statt dessen aber scharten sie sich um ihn und neben ihre weichen Nasen an seinem Fell, um ihm ihr Wohlwollen zu zeigen, und flehten ihn an, sich nicht zu beunruhigen; denn kein Schade würde ihm geschehen, und sie würden ihn ihr ganzes Leben lang lieben, wenn er nur täte, was sie von ihm verlangten.

»Sagt mir, was es ist«, erwiderte der Robbenfänger, »ich will es gern tun, wenn es in meiner Macht liegt.« —»Folge mir«, antwortete sein Führer, und er führte ihn an die Tür, durch die er verschwunden war, als er das Messer holte. Der Robbenfänger folgte ihm. Und dort, in einem kleinen Raum, erblickte er einen großen braunen Seehund auf einem Lager von blaßrotem Seetang mit einer klaffenden Wunde in der Seite.

»Das ist mein Vater«, sagte sein Führer, »den du heute morgen verwundet hast. Du hast ihn für einen der gemeinen Seehunde gehalten, die im Meere leben; es war aber ein Wassermann mit Sprache und Verstand wie ihr Sterblichen auch. Ich habe dich hierhergebracht, damit du ihm die Wunden verbindest; denn keine andre Hand außer der deinigen kann ihn gesund machen.«

»Ich habe kein Geschick in der Heilkunst«, sagte der Robbenfänger, erstaunt über die Nachsicht dieser seltsamen Geschöpfe, denen er solch Unrecht getan, »aber ich will die Wunde nach bestem Können verbinden, und es tut mir vom Herzen leid, daß meine Hand sie schlug.«

Er ging zu dem Bett hinüber, beugte sich über den verwundeten Wassermann und wusch und besorgte den Kranken, so gut er konnte. Die Berührung mit seinen Händen schien Wunder zu wir-



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ken; denn kaum war er fertig, als sich die Wunde schon zu schließen und zu heilen schien. Nur die Narbe blieb übrig, und der alte Seehund sprang auf, so munter wie je. Da erhob sich große Freude im ganzen Robbenpalast. Sie lachten, und sie schwatzten, und sie küßten sich nach ihrer seltsamen Art: Sie scharten sich um ihren Gesellen und neben ihre Nasen gegen seine, als wollten sie ihm zeigen, wie entzückt sie wären über die schnelle Heilung.

Aber die ganze Zeit über stand der Robbenfänger allein in einer Ecke, und sein Geist war erfüllt von finsteren Gedanken; denn obwohl er nun einsah, sie hätten keine Absicht, ihn zu töten, behagte ihm doch nicht die Aussicht, den Rest seines Lebens als Seehund klaftertief unter dem Meere zu verweilen.

Doch zu seiner großen Freude nahte sich ihm wieder der Führer und sagte: »Nun steht es dir frei, zu deinem Weib und deinen Kindern heimzukehren. Ich will dich zu ihnen bringen, aber nur unter einer Bedingung.«

»Und welche wäre das?«fragte der Robbenjäger begierig, außer sich vor Freude über die Aussicht, unversehrt der oberen Welt und seiner Familie zurückgeschenkt zu werden.

»Daß du einen feierlichen Eid schwören willst, nie wieder einen Seehund zu verwunden.«

»Das will ich gern tun«, erwiderte er. Wenn auch das Gelübde den Verzicht auf seinen Lebensberuf bedeutete, so wußte er doch, er würde nur dann seine richtige Gestalt wiedergewinnen und könnte schließlich später etwas anderes tun.

So legte er den geforderten Eid mit aller Feierlichkeit ab, hielt seine Flosse hoch beim Schwur, und all die anderen Robben stellten sich um ihn als Zeugen. Ein Seufzer der Erleichterung ging durch die Säle, als die Worte gesprochen waren; denn er war der tüchtigste Robbenfänger im Norden.

Dann sagte er der seltsamen Gesellschaft Lebewohl. In Begleitung seines Führers zog er nochmals durch das äußere Korallentor und hoch und hoch und hoch durch das schattenhafte grüne Wasser, bis es anfing, immer lichter zu werden, und sie zuletzt auftauchten im Sonnenschein der Erde. Mit einem Sprung erreichten sie dann die



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Höhe der Klippe, wo das große schwarze Roß auf sie wartete und ruhig das grüne Gras abknabberte.

Als sie das Wasser verließen, fiel ihre seltsame Verkleidung von ihnen ab, und sie waren grad sowie zuvor: ein einfacher Robbenfänger und ein hochgewachsener gutgekleideter Mann im Reitanzug.

»Steig hinter mir auf«, sagte der letztere, als er sich in den Sattel schwang. Der Robbenfänger tat, wie ihm geheißen, hielt sich fest am Rock seines Gefährten; denn er erinnerte sich wohl, wie er beinah heruntergefallen wäre bei seiner ersten Reise. Dann geschah alles wie vorher: Der Zügel wurde freigegeben, und das Pferd sauste davon, und es dauerte nicht lange, da stand der Robbenfänger wieder wohlbehalten vor seiner eigenen Gartentür.

Er streckte seine Hand aus, um Lebewohl zu sagen, aber da zog der Fremde einen großen Beute! Goldes heraus und reichte ihn hin: »Du hast deine Pflicht bei dem Handel erfüllt -wir müssen es ebenso machen«, sagte er. »Man soll nie sagen dürfen, wir hätten eines ehrlichen Mannes Arbeit beansprucht, ohne uns erkenntlich zu zeigen; und das hier wird dir die Sorgen nehmen bis an deines Lebens Ende.«

Damit verschwand er. Als der erstaunte Robbenfänger den Beutel in seine Hütte brachte und das Gold auf den Tisch schüttete, stellte er fest, daß der Fremde wahr gesprochen hatte und er zeit seines Lebens ein reicher Mann sein würde.


Die Hexe von Fife

Im Königreich Fife lebte in alten Tagen ein bejahrter Mann und seine Frau. Der Alte war ein friedfertiger, stiller Bursche, die Frau aber wankelmütig und zerstreut; einige Nachbarn pflegten sie schief anzusehen und flüsterten einander zu, sie sei eine Hexe. Ihr Mann fürchtete das auch, denn sie hatte die seltsame Angewohnheit, in der Dämmerung zu verschwinden und die ganze Nacht auszubleiben; und wenn sie morgens heimkehrte, sah sie ganz blaß und erschöpft aus, als sei sie weit gereist oder habe harte Arbeit hinter sich.



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So prüfte und beobachtete er sie sorgsam, um zu ergründen, wohin sie ging oder was sie tat. Aber niemals gelang ihm das; denn stets schlüpfte sie aus der Tür, wenn er gerade nicht achtgab, und bevor er ihr folgen konnte, war sie verschwunden. Als er schließlich die Ungewißheit nicht länger ertragen wollte, fragte er sie eines Tages geradeheraus, ob sie eine Hexe sei oder nicht. Und das Blut gerann ihm in den Adern, als sie ohne Zögern erwiderte: Ja, das wäre sie, und wenn er verspräche, es niemand weiterzusagen, würde sie ihm nach dem nächsten Mitternachtsausflug alles erzählen. Der gute Mann versprach's. Es schien ihm wichtig, viel über die Zauberkünste seiner Frau zu erfahren.

Er brauchte nicht lange zu warten, bis er davon hörte. In der folgenden Woche war Neumond, und jedermann weiß, das ist die schönste Zeit für die Hexen zum Tummeln. In der ersten Neumondnacht verschwand sein Weib und kehrte nicht vor dem frühen Morgen bei Tagesanbruch heim.

Als er sie nach ihrem Verbleiben fragte, fing sie sehr fröhlich an zu erzählen: Sie und vier Gefährten hatten sich in der Heide bei der alten Kirche getroffen, grüne Lorbeerzweige und Schierlingsstengel bestiegen, die sich augenblicklich in Pferde verwandelten. Hurtig wie der Wind waren sie übers Land geritten und hätten Füchse, Wiesel und Eulen gejagt. Schließlich hätten sie den Forth durchschwommen und den Gipfel des Beil Lomond erreicht. Da seien sie von den Pferden abgesprungen, und aus Hörnern, die von keiner sterblichen Hand geformt, hätten sie Bier getrunken, das in keiner irdischen Brauerei gebraut. Und danach sei ein winzig kleines Männlein unter einem großen bemoosten Stein hervorgekommen mit einem zierlichen Dudelsack unter dem Arm, und den habe es so schön geblasen, daß bei diesen Klängen die Forellen aus dem See dort unten hochgeschnellt und die Hermeline aus ihren Löchern hervorgehuscht wären. Und die Raben und Reiher kamen im Finstern und setzten sich auf die Bäume, um zu lauschen. Und alle Hexen tanzten, bis sie so müde waren, daß sie kaum auf ihren Rossen sitzen konnten, als sie wieder aufstiegen und vor dem Hahnenschrei den Heimritt antraten.



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Der gute Mann lauschte schweigend der langen Geschichte, schüttelte dabei den Kopf, und als sie zu Ende war, sagte er nur: »Und was habt ihr nun von all dem Getanze? Ihr hättet es euch zu Hause ein ganz Teil gemütlicher machen können!«

Beim nächsten Neumond ging die Alte wieder zur Nacht davon. Als sie am Morgen zurückkam, fing sie wieder an zu erzählen: Diesmal hätten sie Herzmuschelschalen als Boote benutzt und wären über die stürmische See weit bis nach Norwegen gesegelt. Dort hätten sie unsichtbare Sturmpferde bestiegen und wären über Berge und Schluchten und Gletscher geritten und geritten bis ins Gebiet der Lappen, das noch unter einer Schneedecke lag. Hier aber feierten alle Elfen, Feen und Meerfrauen des Nordens ein Fest mit Zauberern, Heinzelmännchen, Kobolden und sogar den Wilden Jägern, die nie ein sterblich Auge erblickt. Und die Hexen von Fife feierten und tanzten und schlemmten und sangen mit ihnen, und was noch wichtiger war, lernten von den anderen gewisse Zauberworte, die durch die Lüfte tragen, alle Riegel und Schranken sprengen und zu jedem Ort Zutritt verschaffen, an den sie sich wünschten. Trunken von all der neuen Weisheit waren sie dann heimgekehrt.

»Wie seid ihr denn auf solch ein Land verfallen?« brummelte der Alte verächtlich vor sich hin. »Es wäre euch in euern Betten ein gut Teil wärmer gewesen!«

Als aber die Frau von einem neuen Abenteuer einkehrte, wurde er schon aufmerksamer auf ihr Treiben. Sie und ihre Feundinnen wären in einer Bauernkate zusammengetroffen, so erzählte sie, und da sei ihnen zu Ohren gekommen, es hätte der Lordbischof von Carlisle einige seltene Weine in seinem Keller liegen. Da haben sie ihre Füße auf den großen Haken gesetzt, an dem der Wasserkessel hing, und die Zauberformel von Lappland gesprochen. Und ehe sie sich's versahen, flogen sie den Kamingang wie Rauchschwaden hinauf und segelten wie Federwölkchen durch die Lüfte. In kürzerer Zeit, als man es berichten kann, landeten sie beim Bischofspalast von Carlisle. Riegel und Schranken wichen vor ihnen, und sie stiegen hinab in seinen Keller, kosteten seinen Wein und waren beim Hahnenschrei in Fife zurück als nüchterne alte Weiber.



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Als der alte Mann das hörte, erhob er sich bedächtig von seinem Stuhl; denn er liebte guten Wein über alles, aber selten fand er Gelegenheit. »Meiner Treu, du bist aber ein Weib, auf das man stolz sein muß!«rief er. »Sag mir Worte, Frau, und dann will ich mich persönlich aufmachen und seiner Lordschaft Wein persönlich zu schmecken suchen.«

Aber die gute Frau schüttelte den Kopf: »Nein, nein, das darf ich nicht! Täte ich's und du sagtest es weiter, würde bald die ganze Welt auf dem Kopfe stehn. Jedermann würde seine Arbeit im Stich lassen, über die Welt dahinfliegen und nach den Leckereien der anderen gierig sein. Nein, sei du nur zufrieden, Alter. Du kommst schon durchs Leben mit dem, was du weißt!«

Obgleich der Mann versuchte, sie mit den zärtlichsten Worten zu überreden, wollte sie ihm ihr Geheimnis nicht preisgeben. Aber der Alte war schlau, und der Gedanke an den Wein des Bischofs ließ ihn nicht ruhen. So ging er Nacht für Nacht und versteckte sich in der Kate der alten Frau in der Hoffnung, sein Weib und die Gefährten würden sich dort wieder treffen. Eine lange Zeit hindurch war das alles vergeblich. Schließlich wurde seine Mühe belohnt; denn eines Abends versammelten sich dort alle fünf alten Weiber und erzählten sich mit gedämpfter Stimme und erschütterndem Lachen, was ihnen in Lappland begegnet war. Dann liefen sie zur Feuerstelle, kletterten eine nach der andern auf einen Stuhl und setzten ihren Fuß auf den rußigen Haken. Darauf flüsterten sie die Zauberformel, und hei wie der Blitz waren sie den Rauchfang hinauf und verschwunden, bevor der Alte nur Atem schöpfen konnte.

»Das kann ich auch«, sagte er sich, kroch aus seinem Versteck hervor und lief zur Feuerstelle. Er setzte seinen Fuß auf den Haken, wiederholte die Worte, und hinauf ging's in den Schornstein und durch die Lüfte hinter seiner Frau und ihrer Gesellschaft her, als wäre er ein geborener Zauberer.

Da Hexen nicht über die Schulter zu sehen pflegen, bemerkten sie ihn erst, als sie den Bischofspalast erreichten und in den Keller hinabschlüpften. Sie waren nicht allzu erfreut, ihn zwischen sich zu finden; immerhin, das half nun nichts, und sie ließen sich nieder, um



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sich's wohl gehn zu lassen. Sie zapften dies Faß an, sie zapften jenes an, tranken von jedem ein wenig, aber nicht zuviel; denn sie waren vernünftige alte Weiber und wußten, daß sie klare Köpfe behalten mußten, wollten sie heim vorm Hähnekrähn.

Der Alte aber war nicht so weise. Er schlürfte und schlürfte, bis ihm zuletzt ganz schläfrig wurde. Er legte sich auf den Boden und fiel in einen tiefen Schlaf. Als das seine Frau sah, meinte sie, eine gute Lehre für seine Neugier könnte ihm nichts schaden. Als es Zeit zum Aufbruch war, machten sie und ihre vier Freundinnen sich fort, ohne ihn zu wecken.

Einige Stunden schlief er friedlich. Als zwei Bediente des Bischofs hinunterkamen, um Wein für ihres Herrn Tafel zu holen, fielen sie fast über ihn in der Dunkelheit. Höchst erstaunt, ihn hier vorzufinden, da die Kellertür fest verschlossen war, zerrten sie ihn herauf ans Tageslicht, schüttelten und knufften ihn und fragten ihn aus, wie er eigentlich dahin gekommen. Der arme alte Mann war so verwirrt über das rauhe Erwachen, und sein Kopf schien sich so schnell zu drehen, daß er nichts weiter herausbrachte als dies: Er käme von Fife und wäre mit dem mitternächtlichen Wind gereist.

Sobald sie das hörten, schrien die Diener, das wäre ein Zauberer, zogen ihn vor den Bischof, und da Bischöfe in jenen Tagen einen heiligen Schrecken vor Zauberern und Hexen hatten, wollte er ihn lebendig verbrennen lassen. Als das Urteil verkündet wurde, das könnt ihr glauben, wünschte sich der arme Mann von Herzen, er wäre zu Hause in seinem Bett geblieben und hätte nie nach des Bischofs Wein gedürstet.

Aber nun war es zu spät, sich das zu wünschen; denn die Knechte zogen ihn heraus auf den Hof, legten ihm eine Kette um den Leib und befestigten sie an einem großen eisernen Pfahl. Dann schichteten sie Reisigbündel um seine Füße und zündeten sie an.

Als das erste kleine Flammenzünglein emporleckte, glaubte der arme Alte, seine letzte Stunde sei herangekommen. Doch hatte er bei dem Gedanken völlig vergessen, daß seine Frau eine Hexe war. Gerade als die Flammenspitzen schon seine Kleider sengten, erhob sich plötzlich ein Sausen und Geflatter in der Luft, und ein großer



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grauer Vogel erschien mit ausgebreiteten Schwingen am Himmel, stieß plötzlich herab und ruhte einen Augenblick auf des alten Mannes Schulter. Und im Schnabel trug der graue Vogel eine kleine rote Nachtmütze, die er zu aller Erstaunen dem Gefangenen auf den Kopf stülpte. Dann ließ er ein grimmiges Krächzen hören und flog wieder davon. Aber für des alten Mannes Ohren war dies Geschrei die süßeste Musik, die er je gehört. Denn ihm war es nicht das Krächzen eines irdischen Vogels, sondern die Stimme seiner Frau, die ihm Zauberworte zuraunte. Als er die hörte, jubelte er vor Freuden; denn er wußte, nun winkte die Freiheit. Er rief sie laut, seine Ketten fielen ab, und er stieg in die Lüfte hoch und höher, während ihm die Blicke der Zuschauer mit ehrfürchtigem Schweigen folgten.

Er flog geradewegs nach dem Königreich Fife, ohne ihnen auch nur Lebewohl zusagen. Und als er sich wieder geborgen zu Hause fand, versuchte er nie wieder, die Geheimnisse seiner Frau aufzuspüren, und ließ sie in Zukunft allein bei ihren Künsten.


Die Kiste

In früheren Zeiten lebte einmal ein König, der wünschte seinen Sohn vor dem Hinscheiden vermählt zu sehen. Der Sohn meinte, dann wäre es am besten, wenn er sich bald eine Frau suchte. Und so gab der Vater ihm fünfzig Pfund für die Werbung. Er war nun einen ganzen Tag unterwegs, und als die Nacht kam, kehrte er in ein Gasthaus ein, in dem er bleiben konnte. Er ging in das Gastzimmer, in dem ein helles Feuer flackerte. Als er seine Mahlzeit eingenommen hatte, kam der Wirt auch herein, um mit ihm zu plaudern. Dem erzählte er von der Reise, auf der er sich befand. Der Wirt meinte, er hätte nicht nötig, noch weiter zu gehen. Seinem Schlafzimmer gegenüber läge ein kleines Haus. Der Besitzer dieses Hauses habe drei schöne Töchter. Wenn er am Morgen sich an sein Fenster stelle, werde er eine nach der anderen kommen und sich ankleiden sehen. Eine sei wie die andere, und er könne sie nicht voneinander unterscheiden,



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doch habe die Älteste ein Muttermal. Viele seien gegangen, sich um sie zu bewerben; doch habe keiner sie haben können, da jeder Bewerber sagen mußte, ob die von ihm Geliebte jünger oder älter sei. Und wenn er es herausfände, würde sie ihn hundert Pfund kosten. »Ich habe nur ein halbes Hundert«, sprach der Königssohn. »Ich werde dir das andere halbe Hundert geben«, sagte der Hauswirt, »wenn du mir's nach einem Jahr und einem Tag zurückzahlen willst. Und wenn du es nicht tust, sollst du einen Streifen Haut vom Kopf bis zur Fußsohle einbüßen.«

Am Morgen stand er auf und trat ans Fenster. Er sah, wie die Mädchen kamen, um sich anzukleiden. Nach dem Frühmahl ging er hinüber zum Haus ihres Vaters. Er wurde in ein Zimmer geführt, und der Herr des Hauses trat ein, um ihn zu begrüßen. Er sprach von seiner Reise und erwähnte: »Man sagt mir, daß Ihr drei schöne Töchter habt.« —»Die habe ich, doch fürchte ich, daß Ihr nicht derjenige sein werdet, der sie gewinnt.« — »Auf jeden Fall will ich den Versuch machen«, sprach er. Die drei wurden ihm nun vorgeführt, und man fragte ihn, ob die, welche ihm am besten gefiele, die Jüngere oder Ältere sei. Er beschloß, die mit dem Muttermal zu nehmen, weil er wußte, daß sie die Älteste war. Sie selbst war sehr froh, daß er sich für sie entschied. Nun fragte er ihren Vater, welchen Preis er für sie verlange, und der Mann verlangte hundert Pfund. Er kaufte sie, brachte sie in sein eigenes Haus und heiratete sie. Kurz nach der Hochzeit verschied sein Vater.

Einen oder zwei Tage nach dem Tode des alten Königs war der junge Fürst auf der Jagd. Da sah er ein großes Schiff landen. Er ging an den Strand hinab, um den Kapitän zu fragen, was er an Bord habe. Der Kapitän sagte, es sei eine Ladung Seidenstoffe. »Dann mußt du mir für meine Frau ein Gewand geben von der schönsten Seide, die du mit dir führst«, sagte er. — »Du mußt wahrlich eine außerordentlich gute Frau haben«, rief der Kapitän aus, »wenn du für sie ein Kleid aus meiner besten Seide haben willst!« — »Das habe ich auch«, sprach der König, »eine Frau, von deren Art es nicht viele gibt.« — »Würdest du eine Wette eingehen«, sagte der Kapitän, »daß ich bei allen ihren guten Eigenschaften keinen Zulaß in euer Zimmer bekomme?«



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— »Ich gehe jede Wette ein, daß es dir nicht gelingt.« — »Welche Wette willst du abschließen?«fragte der Kapitän. — »Ich will mein Erbe verpfänden«, sprach der König. Darauf der Kapitän: »Ich will dir alle Seidenballen auf meinem Schiffe darauf verpfänden, daß es mir gelingt.« Der Kapitän kam also an Land, und der König ging an Bord.

Der Kapitän ging zu einer Hühnerfrau und fragte sie, ob sie nicht ausfindig machen könnte, wie man heute nacht in des Königs Gemach gelangte. Die Hühnerfrau dachte eine Weile nach und sagte dann: Sie glaube nicht, daß es irgendeinen Weg gebe, der erfolgreich sei. Der Kapitän erhob sich und wollte gehen. Da rief sie: »Halt, wartet einmal, mir ist etwas eingefallen. Ihre Kammerfrau und ich sind miteinander befreundet. Ich werde ihr erzählen, daß ich Nachricht von meiner Schwester erhalten habe, daß ich sie kaum mehr lebend antreffen würde. Ich werde der Königin sagen, daß ich zu meiner Schwester reisen muß, daß ich eine große wertvolle Kiste habe und ihr größten Dank schuldig wäre, wenn ich für die Zeit meiner Abwesenheit diese Kiste in ihrem eigenen Schlafgemach unterstellen dürfte.«

Sie ging zur Königin, fragte sie und bekam die Erlaubnis. Nun wurde der Kapitän in die Kiste gesteckt, und des Königs Diener mußten sie ins Schlafgemach bringen. Die Königin selber war im Zimmer, müde und gelangweilt, weil der König noch nicht zurückkam. Schließlich ging sie schlafen. Als sie ins Bett stieg, legte sie einen goldenen Ring von ihrem Finger und eine goldene Kette von ihrem Hals auf ein Bord nahe am Bett. Als nun der Mann in der Kiste annahm, daß sie eingeschlafen sei, schlich er heraus, nahm Kette und Ring an sich und kroch in sein Versteck zurück. Bei Tagesanbruch kam die Hühnerfrau und bat um ihre Kiste. Die Diener wurden herbeigeholt, und die Lade wurde herausgetragen. Als alle das Haus verlassen hatten, kletterte der Kapitän sogleich hervor und ging zu seinem Schiff zurück. Er schwenkte Kette und Ring vor dem König. Nun glaubte der König, der Kapitän sei bei seiner Frau gewesen, sonst könnte er nicht im Besitz des Ringes und der Kette sein. Er bat den Kapitän, ihn ans andere Ufer des Sees überzusetzen, und der



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Kapitän willigte ein. Als er ihn hinübergefahren hatte, kehrte er selbst zurück, um in des Königs Haus zu wohnen.

Des Königs Frau aber wußte nicht, was sie beginnen sollte, da der König nicht heimgekehrt war. Sie legte Männerkleider an und ging an den Strand. Dort fand sie ein Boot und fragte die Schiffer: »Wollt ihr mich nicht ans andere Ufer fahren?«Das taten sie gern. Nun ging sie immer weiter, bis sie an das Haus eines vornehmen Herrn kam. Sie pochte an die Tür und fragte die Magd, die ihr öffnete, ob ihr Herr vielleicht einen Stallknecht gebrauchen könne. Die Magd sagte: »Das weiß ich nicht, ich werde aber fragen gehen.«Als sie zu ihrem Herrn kam und ihn fragte, ob er einen Stallknecht nötig habe, sagte er ja und ließ ihn hereinkommen. Dann nahm er sie in seine Dienste, und sie war immer im Stall beschäftigt. Nun kam jede Nacht eine wilde Tierherde und hielt sich in einer leeren Scheune des Herrn auf. Mit ihr zog ein verwilderter Mann, dessen Gesicht von einem struppigen Bart verdeckt war. Sie bat öfter ihren Herrn, daß er ihr einen Burschen mitgeben möchte, um den Fremdling zu fangen. Der Herr wollte nicht einwilligen. »Ich habe nichts damit zu tun, und der Mann hat mir nichts getan«, sprach er. So ging sie eines Nachts allein und nahm heimlich den Schlüssel der Scheunentür mit sich. Sie lag still in einer Mulde, bis der wilde Mann mit den Tieren in der Scheune war. Nun holte sie die Diener herbei, und sie griffen den Mann. Sie nahmen ihn mit ins Haus und schnitten ihm den Bart ab. Als der Bart fiel, erkannte sie den König, ließ es sich aber nicht merken. Und er erkannte sie nicht. Am Morgen wollte er aufbrechen. Doch sie bat ihren Herrn: »Behaltet ihn, die Arbeit wird mir zu schwer, und ich brauche Hilfe!« So willigte der Herr ein, ihn zu behalten. Sie nahm ihn mit in den Stall, den sie nun gemeinsam reinigten. Bald darauf fragte sie ihren Herrn um Urlaub nach Hause zu ihren Angehörigen und Freunden. Der ward ihr bewilligt, und sie durfte ihren Gefährten und die beiden besten Pferde aus dem Stalle mitnehmen.

Als sie unterwegs waren, fragte sie ihn so nebenbei: »Warum bist du eigentlich mit den wilden Tieren umhergezogen, und was triebst du vor dieser Zeit?« Er blieb ihr die Antwort schuldig. Sie reisten



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weiter, bis sie an das Gasthaus kamen, in dem er sich die fünfzig Pfund geliehen hatte. Als sie auf das Haus zuritt, weigerte er sich einzutreten. Sie fragte ihn, ob er etwas Unrechtes getan habe, daß er nicht eintreten wolle. Er sprach: »Ich habe von diesem Manne fünfzig Pfund bekommen.«Die Frage, ob er sie zurückgezahlt, verneinte er und erzählte ihr, daß er einen Streifen Haut vom Kopf bis zur Sohle verlieren sollte, wenn die Schuld nicht in einem Jahr und einem Tag beglichen sei. Sie sprach: »Das wäre wohl verdient, aber ich werde dennoch heut nacht in dem Gasthaus bleiben.« Sie hieß ihn die Pferde in den Stall bringen. Dann traten sie ein. Er stand mit gesenktem Kopf unter der Stalltür. Der Hausherr kam heraus und sah ihn. »Habe ich dich hier, mein Bürschchen«, sagte er, »kommst du, um deine Schulden zu bezahlen?« —»Nein«, sagte er. Dann ging er hinein, und man wollte anfangen, ihm den Streifen Haut abzuschneiden. Sie hörte den Lärm und fragte, was denn mit ihrem Burschen geschehe. Sie sprachen: »Es wird ihm ein Streifen Haut vom Scheitel bis zur Sohle abgezogen.« —»Wenn das geschieht«, sagte sie, »darf er aber nicht einen Tropfen Blut dabei verlieren. Bringt dies Leinentuch herein und laßt ihn darauf stehen, und wenn nur ein Tropfen Blut von ihm darauf sich zeigt, werdet ihr mit einem weiteren Hautstreifen dafür büßen.«

Da blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihn gehen zu lassen. Sie konnten es nicht ändern. Am frühen Morgen nahm sie ihn mit herüber in das Haus ihres Vaters. Wenn er am Abend vorher dagegen war, in das Gasthaus zu gehen, so war er noch mehr dagegen, ihr Vaterhaus zu betreten. »Hast du denn hier auch Unrecht getan, daß du dich so sträubst hineinzugehen?« —»Aus diesem Hause habe ich vor langer Zeit meine Frau heimgeführt.« — »Was ist denn aus ihr geworden?« —»Ich weiß es nicht.« — »Dann mußt du auch geduldig ertragen, was dir geschieht.«

Als der Vater ihn sah, sprach er: »Habe ich dich endlich hier! Wo ist deine Frau?« —»Das kann ich dir nicht sagen.« — »Was hast du ihr getan?«fragte der Vater weiter. Auch das konnte er nicht sagen. Da blieb nur noch übrig, ihn an einem Baum aufzuhängen. Der Tag des Hängens sollte ein großer Tag werden, und sehr viele Edelleute



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sollten kommen, es anzusehen. Sie fragte ihren Vater, was denn mit ihrem Burschen geschehen sollte. Der Vater sagte: »Man wird ihn hängen. Er erwarb sich eine Frau aus meinem Hause und kann nicht sagen, was mit ihr geschehen ist.« Sie ging hinaus und sah die Edelleute zur Stadt hereinkommen. Den Besitzer des schönsten Pferdes fragte sie, was es wert sei. »Hundert Pfund«, sagte er. »Und wenn es fünfhundert wären, so wird es mein«, sprach sie. Sie befahl dann ihrem Burschen, dem Tier einen Schuß zu geben. Dann fragte sie ihren Vater, ob der Bursche denn damals für seine Frau bezahlt habe. Das bejahte er. »Wenn er bezahlt hat«, sprach sie, »hast du nichts mehr von ihm zu fordern, er kann mit ihr tun, was er will. Ich habe das schönste Pferd gekauft, das heut in die Stadt kam, und habe es von meinem Burschen erschießen lassen. Wer wagt mir zu sagen, das wäre unrecht?« Da konnte man nichts tun als ihn freilassen, weil er sie gekauft hatte. Dann ging sie in ihres Vaters Haus und bat eine ihrer Schwestern um ein Kleid. »Was willst du mit dem Kleid beginnen?« fragte die. »Laß nur das Fragen; wenn ich es verderbe, werde ich es bezahlen.« Als sie das Kleid anlegte, erkannten ihr Vater und ihre Schwestern sie. Sie erzählten ihm nun sogleich, daß er der Reisebegleiter seiner Frau wäre, doch wollte er es nicht glauben. Da legte sie abermals die Männerkleider an. Dann zogen sie weiter, er und sie. Sie gingen, bis sie in die Nähe seiner alten Heimat kamen. »Nun«, sagte sie, »wollen wir hier zur Nacht bleiben. Setze dich oben auf die Treppe und schreibe alles auf, was ich mit dem Herrn des Hauses sprechen werde.«Als sie das Haus betraten und sich niedersetzten, fing sie mit dem Herrn des Hauses ein Gespräch an. »Ich glaubte«, sprach sie zu dem Kapitän, »daß hier ein König wohnte. Auf welche Weise bist du denn hierhergekommen?« — »Vor mir wohnte hier ein König. Ich denke, da du ein Fremder bist, kann ich dir erzählen, wie ich hierherkam.« — »Das kannst du«, sagte sie, »ich werde keine Geschichte daraus machen, die Sache geht mich ja nichts an.« Nun erzählte er ihr bis ins kleinste, wie die Hühnerfrau ihn in die Kiste gesteckt hatte und alles übrige bis zum Fortgehen des Königs am nächsten Morgen.

In der Frühe des folgenden Tages ging der Herr des Hauses zur Gerichtssitzung.



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Er sagte: »Wenn du es nicht eilig hast, könntest du mitkommen und der Sitzung beiwohnen.« Sie erwiderte: »Ich gehe mit, hätte aber gern meinen Burschen bei mir.« Sie fuhr mit dem Kapitän in der Kutsche, ihr Bursche ritt hinterher. Als die Gerichtssitzung zu Ende war, sprach sie, sie würde gern ein paar Worte sagen, wenn man es ihr gestattete. Man war neugierig, was sie zu sagen hätte. Sie wandte sich an ihren Burschen und sagte: »Steh auf und bringe ihnen, was du gestern abend geschrieben hast.« Als sie das Papier gelesen hatten, fragte sie: »Was müßte mit solch einem Mann geschehen?« —»Aufhängen, wenn er hier wäre«, riefen sie alle. »Da habt ihr ihn«, sprach sie, »tut mit ihm, was ihr wollt.« Dann kehrten sie und der König in ihr eigenes Haus zurück und lebten wie in früherer Zeit.


Der Herr und sein Knecht

Es waren früher einmal schlechte Zeiten, und viele Knechte suchten nach Arbeit, aber es gab nur wenig Stellen für sie. Da war nun ein Bauer, der wollte nur einen Mann annehmen, der sieben volle Jahre bei ihm bliebe und keinen anderen Lohn heischte, als was er beim Dreschen in der Scheune an Saatkörnern mit dem Munde erhaschen könnte.

Niemand wollte in seine Dienste gehen. Er sagte schließlich, er würde ihnen erlauben, ihre Saat auf seinem bester Acker auszusäen und mit seinen eigenen Pferden und seinem Pflug zu pflügen, Garben zu binden und zu eggen.

Da war ein junger Bursche, der sprach: »Ich will in deine Dienste gehen«, und der Bauer dingte ihn. Sie schlossen folgenden Handel ab: Der Bursche sollte als Lohn so viele Saatkörner erhalten, als er beim Getreidedreschen in der Tenne mit seinem Munde auffangen konnte, und er sollte diese Saat auf des Bauern bestem Land aussäen dürfen. Was von der Saat aufging, sollte ihm gehören. Dazu sollte er legen, was er beim Dreschen an Körnern mit dem Munde erhaschen konnte, und dies Korn dann wieder im nächsten Jahr auf des



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Bauern bestem Stück Land aussäen. Pferde, Pflug und jedes andere zum Pflanzen oder zur Ernte nötige Gerät sollte er benutzen dürfen und so immer weiter bis zum Ende der sieben Jahre. Er sollte also sieben Winter zum Dreschen, sieben Lenze zum Säen, sieben Sommer des Wachsens für die Ähren und sieben Herbste zur Ernte haben, und was auch aus des Burschen Saat erwuchs, sollte sein Lohn sein, wenn er ginge.

Der Bursche nahm nun Dienst bei seinem Herrn, und immer, wenn er in der Scheune drosch, arbeitete der Bauer mit ihm, und er konnte in diesem Winter nur drei Saatkörner mit dem Munde erhaschen. Die hob er sorgfältig auf, bis der Frühling kam. Dann pflanzte er sie auf dem besten Boden seines geizigen Herrn.

Daraus wuchsen drei Ähren, und jede Ähre trug sechzig gute Saatkörner. Wieder hob der Bursche sie sorgfältig auf und legte dazu, was er an Körnern erhaschen konnte.

Im Frühling pflanzte er sie aufs neue und hatte im Herbst so gute Ernte wie das Jahr vorher.

Der Bursche bewahrte seine Saat sorgfältig auf und legte alles, was er im nächsten Winter beim Dreschen erlangen konnte, zu dem übrigen. Und so machte er es Jahr für Jahr, bis er schließlich - um eine lange Geschichte kurz zu machen - im letzten Jahre jedes bißchen Ackerland seines Herrn bepflanzt hatte, noch Saat übrigbehielt und der Geizhals fast zugrunde gerichtet war. Er mußte seinem Nachbarbauer Zins zahlen für das Land, das der Bursche zur Aussaat seines Ernteüberflusses brauchte, mußte einen Teil seiner Rinder verkaufen aus Mangel an Weideland und hatte nie wieder Lust, einen ähnlichen Handel mit einem Knechte abzuschließen.


Der Schwanz

Es war einmal ein Schäfer, der ging hinaus auf den Berg, um nach seinen Schafen auszuschaun. Es war kalt und neblig, und es kostete ihn viel Mühe, sie zu finden. Schließlich hatte er sie alle außer einem beisammen. Nach vielem Suchen entdeckte er das eine auch noch,



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halb ertränkt, in einem Torfsumpf. So legte er seinen Umhang ab, beugte sich herab, bekam den Schwanz des Schafes zu packen und zog! Das Schaf war schwer geworden in dem Wasser, und er konnte es nicht hoch bekommen. So legte er seinen Rock ab und zog!! Aber es war zuviel für ihn. So spuckte er sich in die Hände, versuchte den Schwanz noch einmal kräftig zu fassen und zog!!! Da riß der Schwanz aus. Und wäre das nicht geschehen, wäre meine Geschichte ein gut Stück länger geworden.


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MÄRCHEN AUS IRLAND


Connlas Meerfahrt

Als Connla der Rote, der Sohn Conns des Hundertkämpfers', eines Tages an der Seite seines Vaters auf der Anhöhe von Uisneach 2 weilte, erblickte er ein Weib in wunderbarem Gewand. »Woher bist du gekommen, o Weib?«fragte er.

»Ich komme«, erwiderte sie, »aus den Landen der Lebenden, wo es weder Tod noch Sünde gibt. Wir feiern immerzu festliche Gelage, die keiner Zurüstung bedürfen. Heitere Geselligkeit ohne jeden Zwist herrscht bei uns. In tiefem Frieden 3 leben wir; deshalb nennt man uns das Sidh 3 -Volk.«

»Mit wem sprichst du?«fragte Conn seinen Sohn; denn niemand sah die Frau, Connla allein ausgenommen. Jene erwiderte an seiner Statt:

»Er spricht mit einem jungen, schönen Weibe aus edlem Geschlecht, dem weder Tod noch Alter droht.

Ich liebe Connla den Roten!

Ich rufe ihn nach dem wonnigen Gefilde, i 

So genannt, weil er in hundert Schlachten gegen die irischen Pikten von Ulster gekämpft haben soll. Er gilt als der sagenhafte Begründer der Macht des Reiches von Tara.
 
2 Sprich: Ischnäch, englisch Usnagh Hill in West-Meath. j
 
Ein Wortspiel: Sidh (sprich Schu) heißt sowohl »Friede« wie »Feenhügel«, »Unterirdischer Wohnsitz der Götter«.



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In dem König Buadhach 1 ewig herrschet,

Ein König, dessen Land weder Klage noch Weh kennt, Seit er die Herrschaft angetreten.

Komm mit mir, Connla,

Du, dessen Nacken wie Milch und Blut, du mit dem Flammengelock!

Die goldblonde Krone, die über deinem rosigen Antlitz schimmert,

Sie wird das Zeichen deiner Königswürde sein.

Wenn du mir folgst, so wird die Jugendfrische und Schönheit deiner Gestalt bis in Ewigkeit niemals dahinwelken.«

Da sprach Conn zu seinem Druiden Corann - es hörten nämlich alle, was das Weib sprach, obzwar sie niemand sehen konnte.

»Ich bitte dich, Corann, Sangeskundiger, Künstereicher! Schwere Not ist über mich gekommen, gegen die mein Wissen und meine Macht nichts vermögen.

Seit ich die Herrschaft ergriffen, hatte ich keinen so schweren Strauß auszufechten wie diesen.

Ohnmächtig bin ich im Kampfe gegen jene unsichtbare Gestalt, Die mich bedrängt, um meinen schönen Sohn durch zauberische Künste mir zu rauben;

Weibersprüche sind es, die ihn von meiner königlichen Rechten hinweglocken wollen.«

Da sang der Druide ein Zauberlied gegen die Stimme jener Frau, so daß keiner mehr ihr Rufen vernahm und sie auch hinfort Connlas Blicken entschwand. Aber während sie vor dem mächtigen Gesange des Druiden entwich, warf sie Connla einen Apfel zu. Einen ganzen Monat lang verblieb hierauf Connla ohne Speise und Trank; jedwede Nahrung verschmähte er, seinen Apfel allein ausgenommen. 

1. Sprich Buuäch ( »der Siegreiche«); ein König des irischen Elysiums, in das bevorzugte Sterbliche schon zu Lebzeiten eingingen.



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Und soviel er auch davon essen mochte, der Apfel nahm niemals ab, sondern blieb immer ganz. Schließlich wurde Connla von Sehnsucht nach der Frauengestalt ergriffen, die er gesehen hatte. An dem Tage, an welchem der Monat um war, befand sich Conla an der Seite seines Vaters im Archomain 1 -Felde. Da sah er dieselbe Frau auf sich zukommen, und sie sprach zu ihm:

»Auf kläglichem Sitze thront Connla
Unter Sterblichen und Vergänglichen
In Erwartung grausigen Todes.
Die ewiglich Lebenden laden dich ein!
Bald rufen dich die Mannen des Teathra 2 ,
Die dich täglich unter deinen lieben Verwandten erschauen.
In den Versammlungen deines Vaterlandes.«

Sobald Conn die Stimme des Weibes vernahm, sprach er zu seinen Leuten:

»Ruft mir den Druiden herbei, denn ich sehe, daß ihr die Zunge heute wiederum gelöst ist!«

Da sang die Frau:

»O Conn, Hundertkämpfer!

Des Druiden Kunst sollst du nicht lieben!

Denn es währt nicht mehr lange,

So betritt, um Gericht zu halten, unseren weiten Strand Ein Gerechter 3 mit zahlreichen herrlichen Begleitern.

Bald wird dich sein Gesetz erreichen,

Das der Druiden Zaubersprüche und ihre ruchlosen Lehren Vor den Augen des Teufels, des schwarzen Zauberers, zunicht macht.« 

1 Sprich: är Chomin.
 
2 Ein irischer Kriegsgott und Riesenkönig (sprich: Tjära); der Name entspricht genau lateinisch tetrax und enthält dieselbe Wurzel wie der Name des nordischen Riesen Thiasi.
 
3 Anspielung auf die Mission des heiligen Patric (386-459).



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Conn wunderte sich darüber, daß Connla mit niemandem redete, sobald das Weib erschienen war.

»Geht dir, o Connla«, fragte Conn, »das zu Herzen, was das Weib spricht?«

»Ich weiß nicht recht«, entgegnete Connla. »Ich liebe die Meinigen über alles, aber die Sehnsucht nach jenem Weibe läßt mir keine Ruhe.«

Da sang die Frau:

»Du kämpfst -vergeblichstes Bemühen! —

Gegen die Woge deiner Sehnsucht, die doch fort von den Deinen treibt,

Mit mir in meinem kristallenen Schiffe

Zum Sidh des Buadhach zu fahren.

Ich weiß noch ein anderes Land,

Das um nichts schlechter ist;

Zwar senkt sich schon die Sonne,

Doch erreichen wir es noch vor Anbruch der Nacht.

Das ist das Land, das den Sinn eines jeden

Erfreut, der darin wandelt.

Kein anderes Geschlecht lebt dort

Als nur Mädchen und Frauen.«

Da sprang Connla fort von ihnen in das kristallene Schiff. Man sah die beiden sich weiter und weiter vom Lande entfernen; schließlich konnte ihnen kaum mehr ein Auge folgen, wie sie auf der weiten Meeresfläche dahinführen. Seitdem wurden sie nie mehr gesehen. Als nun Conn seinen zweiten Sohn Art auf sich zukommen sah, sprach er: »Jetzt wird Art ganz einsam sein.«

Deshalb heißt er »Art der Einsame«.



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Balor

In uralten Tagen, die längst versanken in die Nacht der Zeiten, lebten drei Brüder: Gabhaidh, MacSamhthainn und MacCinnfhaolaidh.

Der erste von ihnen war ein Schmied. Er hatte eine Schmiede in Druim na Teine. Dieser Platz liegt im Kirchspiel Rath-Finan und hat seinen Namen von der Schmiede, denn druim na teine bedeutet »Feueresse«1. MacCinnfhaolaidh beherrschte ein Gebiet, das etwa den heutigen Kirchspielen Rath-Fionnäin und Tulachan Bigli gleichkam. Er besaß eine Kuh, die Glas Gaibhneann hieß. Sie gab ungeheuer viel Milch. Deshalb begehrten alle Nachbarn dieses Tier und machten viele Versuche, sich seiner zu bemächtigen, so daß MacCinnfhaolaidh die Kuh ständig bewachen mußte.

Gegenüber von Druim na Teine liegt die Tory-Insel; tory aber heißt bei den Einwohnern ein himmelanstrebender Felsen. Dort lebte zu derselben Zeit ein berühmter Krieger mit Namen Balor.

Balor hatte nur ein einziges Auge mitten in der Stirn und ebenso eines mitten am Hinterkopf. Dieses Auge am Hinterkopf hätte durch seine bösen, schielenden Blicke und durch seine Giftfarben und -strahlen wie ein Basilisk alle Menschen getötet, wenn Balor es nicht geschlossen gehalten hätte. Er öffnete es nur, wenn er seine Feinde mit Blicken versteinern wollte. Deshalb nennen die Iren bis auf diesen Tag ein Auge, das den bösen Blick hat, ein Súil Bhaloir, »Balor-Auge«. Es war aber Balor von einem Druiden geweissagt worden, daß er trotz all seiner gewaltigen Macht getötet werden würde, und zwar von seinem eigenen Sohn oder Enkel.

Balor hatte nur eine Tochter, Eithne mit Namen. Damit nicht durch sie Verderben über ihn käme, schloß er sie in einen uneinnehmbaren Turm ein, den seine Vorfahren auf der Spitze von Tor-Mor gebaut hatten. Dieser fast unersteigbare Felsen hob sein Haupt hoch in den blauen Himmel, während sein Fuß ewig von Wogengebrüll umschäumt war. 

1 In Wirklichkeit: »Bergrücken der Feuer«.



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So standen dort Felsen und Turm an der Ostküste der Insel und trotzten dem Sturm. Balor gab seiner Tochter zwölf alte Frauen zur Gesellschaft. Er befahl ihnen aufs strengste, niemals einen Mann in die Nähe von Eithne gelangen zu lassen, ja ihr überhaupt zu verheimlichen, daß es Menschen gäbe, die nicht weiblichen Geschlechts seien.

Dort im Turm blieb Eithne lange Zeit und blühte zu einer Jungfrau von großer Schönheit heran. Die Matronen erwähnten ihr gegenüber nie das Wort »Mann«, aber Eithne begann zu fragen, wie sie selbst denn in die Welt gekommen sei und was das für Wesen seien, die sie oft in Fellbooten am Turm vorbeifahren sähe, und was das für Träume seien, die ihr andersgestaltete Menschen und unbekannte Freuden mit ihnen vorspiegelten. Aber die Matronen blieben ihrer Aufgabe treu und enthüllten das Geheimnis nicht.

Unterdessen fühlte sich Balor vollkommen sicher. Er verachtete die Weissagungen des Druiden und zog auch ferner auf Krieg und Raub aus. Er vollbrachte viele berühmte Taten, kaperte manches Schiff, überwältigte und fesselte manche Schar von Seeräubern. Er machte auch zahlreiche Einfälle in das gegenüberliegende Land und schleppte die Menschen und ihre Habe nach seiner Insel. Aber solange er die kostbare Kuh Glas Gaibhneann nicht besaß, blieb sein Ehrgeiz unbefriedigt; er wandte daher all seine Macht und List an, um auch sie noch zu gewinnen.

Eines Tages begab sich MacCinnfhaolaidh zur Schmiede seiner Brüder, um sich einige Schwerter schmieden zulassen. Die unschätzbare Kuh führte er an einem Zügel mit sich. Bei Nacht wurde das Tier mit diesem Halfter angebunden, bei Tage aber hatte MacCinnfhaolaidh den Strick ständig in der Hand. Als er zur Schmiede gekommen war, übergab er die Kuh seinem Bruder MacSamhthainn. Er trat in die Schmiede, um zu sehen, ob die Schwerter gut gestählt würden.

Als MacCinnfhaolaidh in der Schmiede war, nahm Balor die Gestalt eines kleinen rothaarigen Jungen an und erzählte dem MacSamhthainn, er hätte in der Schmiede Gavida und MacCinnfhaolaidh flüstern hören, daß sie den ganzen Stahl von MacSamhthainn dazu gebrauchen wollten, um für MacCinnfhaolaidh Schwerter zu machen;



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die Schwerter für MacSamhthainn aber sollten nur aus Eisen gemacht werden.

MacSamhthainn fluchte und sprach: »Sie sollen erfahren, daß ich nicht leicht betölpelt werden kann! Hier, halte diese Kuh, mein kleiner Freund«, und schon stürzte er zu der Schmiede.

Kaum hatte Balor die Zügel in der Hand, da entführte er die Kuh mit der Geschwindigkeit des Blitzes. Der Ort, wo er sie am Schwanze ans Land zog, heißt noch heute Port-na-Glaise, »Hafen der grünen Kuh«.

Da hörte MacCinnfhaolaidh das Jammergeschrei seines Bruders, lief aus der Schmiede und sah Balor und die Kuh in der Mitte des Tory-Sundes.

Jetzt begriff auch MacSamhthainn die List Balors und mußte vom Bruder ein paar wuchtige Schläge an den Schädel erdulden.

Ganz verstört wanderte MacCinnfhaolaidh stundenlang umher, bevor er überhaupt nur nachdenken konnte, was wohl das beste sei, um die Kuh wiederzugewinnen. Als er schließlich seinen Zorn ausgetobt hatte, ging er zur einsamen Wohnung eines eisgrauen Druiden und fragte ihn um Rat.

Der Druide sagte ihm, daß die Kuh nicht wiedergewonnen werden könne, solange Balor lebe; denn um die Kuh zu bewachen, würde er sein Basiliskenauge nie mehr schließen und daher jeden versteinern, der es wagen sollte, dem Tiere nahe zu kommen.

MacCinnfhaolaidh hatte jedoch einen Hausgeist, die Biróg vom Berge. Diese unternahm es, den Untergang Balors zu betreiben. Sie kleidete MacCinnfhaolaidh in alte Frauenkleider, trug ihn auf den Flügeln des Sturmes nach der luftigen Höhe von Tor-Mor und klopfte an die Türe des Turmes.

Sie bat um Schutz und Obdach für eine edle Dame, die sie aus den Händen grausamer Räuber befreit hätte.

Die Matronen ließen beide in den Turm.

Sobald Balors Tochter die fremde vornehme Dame sah, erkannte sie in ihr eine der Gestalten, die sie so oft im Traume geliebkost hatte —und sie verliebte sich sofort in den edlen Gast. Dann schläferte die Biróg die zwölf Matronen durch Zauberkraft ein.



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Nachdem MacCinnfhaolaidh bei der Tochter Balors geschlafen hatte, trug ihn sein Hausgeist unsichtbar wieder nach Druim na Teine.

Als die Matronen erwachten, redeten sie der Eithne ein, daß die Erscheinung der beiden Fremden nur ein Traum gewesen sei; sie schärften ihr aber ein, dem Vater niemals davon zu erzählen.

So blieb alles verborgen, bis Balors Tochter drei Kinder in einer Geburt gebar.

Balor bemächtigte sich sofort der Kinder, ließ sie in ein Tuch packen, das von einer Nadel zusammengehalten wurde, und befahl, sie in einem Strudel zu ertränken. Als aber das Boot aus dem kleinen Hafen herausruderte, fiel die Nadel aus dem Tuch, und einer der Knaben glitt ins Wasser. Daher heißt noch heute der Hafen Port-na-Deilg, »Hafen der Nadel«.

Die beiden andern Kinder wurden in den Strudel geworfen.

Den Knaben aber, der zuerst aus dem Tuche geglitten war, rettete die Birög und brachte ihn zu MacCinnfhaolaidh. Dieser übergab das Kind seinem Bruder Gabhaidh.

Gabhaidh erzog den Knaben und lehrte ihn das Schmiedehandwerk; Balor aber glaubte, das Schicksal besiegt zu haben.

Balor erfuhr auch von seinem Druiden, wer es gewagt hatte, das Rad des Schicksals in Bewegung zu setzen.

Er landete mit vielen wilden Gefährten an MacCinnfhaolaidhs Küste. Sie ergriffen ihn und legten sein Haupt auf einen großen weißen Stein. Einer hielt ihn am langen Haar, andere an Händen und Füßen, Balor aber schlug ihm das Haupt ab mit einem einzigen Streiche seines wuchtigen Schwertes.

Das Blut floß in Strömen über den Stein und drang bis in sein Inneres. Dieser Stein mit den roten Adern erzählt noch heute von der Bluttat.

Aber trotz aller Anstrengungen konnte Balor seinem Geschicke nicht entgehen.

Balor fuhr nun oft nach der gegenüberliegenden Küste, da er sich das Land unterworfen hatte und Gabhaidh Kriegswaffen für ihn schmieden mußte. Im Laufe der Jahre wuchs der Sohn MacCinnfhaolaidhs



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zum Jüngling heran, ohne daß Balor etwas von seiner Abstammung erfuhr. Er wurde ein ausgezeichneter Schmied, und Balor gewann ihn lieb.

Aber der Sohn MacCinnfhaolaidhs kannte das Geheimnis seiner Geburt und wußte von dem Anschlag Balors auf ihn und seine Brüder und der Tötung des Vaters.

Oftmals ging er hinaus zu dem blutbespritzten Steine. Eines Tages kam Balor in die Schmiede, als der junge Schmied ganz allein dort war. Und es ereignete sich, daß Balor sich der Tötung des Mac-Cinnfhaolaidh rühmte.

Da nahm der junge Schmied eine glühende Eisenstange aus der Feueresse und stieß sie dem Balor mitten durch das Basiliskenauge mit solcher Gewalt, daß sie zum andern Auge herausfuhr.

So rächte der Sohn von MacCinnfhaolaidh seinen Vater, indem er seinen Großvater erschlug.


Diarmuid Donn und die Zauberflöte

Die Fenier wurden zum Kampf nach dem Osten der Welt berufen. Ein besonderer Held war Seachrán Sälfhada 1 . Aber er hatte nichts mit den Feniern zu schaffen. Fionn bat ihn, sie zu begleiten, Seachrán sagte nein, seine Frau würde ihn nicht mitziehen lassen.

»Aber«, meinte er, »bittet Ihr sie doch um Erlaubnis. Vielleicht läßt sie mich dann fort.«

Fionn bat das Weib um Erlaubnis und bekam sie. Doch sie befahl ihnen, wenn sie Seachrán tot heimbrachten, ein dunkelblaues Banner aufzuziehen, wenn lebendig, ein weißes.

Seachrán erklärte Fionn, warum sie das Aufziehen der Banner also bestimmte: Sie wollte sie nämlich ertränken, falls sie ihn tot zum heimischen Hafen brächten.

Nun zogen alle zusammen eilig zum Kampfe hin und siegten bald über ihre Feinde. 1 

Der Langsohlige.



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Fröhlich kehrten sie zurück. Da begegnete ihnen ein giftig-böser Hund, der tötete Seachrán.

Voll Trauer hoben sie den Leichnam in ihr Schiff. Als sie in die Nähe der Küste Irlands kamen, zogen sie ein weißes Banner hoch, damit die Frau glauben sollte, Seachrán sei am Leben.

Und weil sie nun das weiße Banner erblickte, ließ sie sie ans Ufer, in der Meinung, ihr Mann sei am Leben. Nun aber brachten sie ihr seine Leiche. Da war sie ganz außer sich vor Verzweiflung, denn jetzt konnte sie nicht mehr an ihnen Rache üben und sie ertränken. Die Fenier fragten sie, ob es für den Toten ein Mittel gäbe, das ihn zum Leben erwecke. Sie sagte ja, doch sei die Hilfe sehr gefährlich und aussichtslos. Sie erzählte ihnen, im Osten gäbe es eine Flöte (das war eine verzauberte Frau). An ihrem Finger wäre ein Ring, durch den drei (heilende) Tropfen flössen.

Es war Diarmuid Donn, den sie dazu bestimmte, den Ring zu beschaffen.

»Was hilft es mir, danach zu gehen, wo Hunderte von Helden, siebenmal besser als ich, bei demselben Unternehmen hinsanken (in Schlaf)«, meinte Diarmuid Donn.

Die Flöte war nämlich ein Weib, das unter Zauberbann stand. Wenn jemand sich ihr näherte, dann flötete sie, und ihn überwältigte der Schlaf.

Diarmuid wollte nun gehen, denn er wünschte Seachrán zum Leben zu wecken.

»Aber wenn es mir gelingt, ihr den Ring abzuziehen«, sagte Diarmuid, »werden sich die Helden alle erheben, die durch sie in Schlaf sanken. Und wenn sie sehen, daß ich den Ring habe, nehmen sie mein Schiff am Ufer und entreißen es mir.«

Sie versicherte ihm, sie würde sein Schiff schützen und ihm Sieg verleihen. Kein anderer würde ihn einholen können. Sobald er angesichts des Hafens wäre, sollte er ihr den Ring zuwerfen.

Die Sache mit dem Ringe war nämlich diese: Sie mußte hindurchblicken. Danach ertranken alle Verfolger. Doch das sagte sie Diarmuid nicht.

Er eilte schleunigst nach dem Osten und fand dort im Hafen tausend



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Schiffe vor. Er befestigte das seinige außerhalb von den übrigen, stieg über diese hinweg und eilte, bis er zur Zauberflöte kam.

Als ihn die Zauberin erblickte, flötete sie einmal, und der Schlaf wandelte ihn an. Er stieß sein Schwert bis zum Knochen in die Wade und lief mühselig trotz der Verletzung vorwärts.

Sie blies nochmals, und der Schlaf überfiel ihn heftiger. Er schlug mit der Handfläche aufs Schwert und trieb es bis ins Mark hinein. Dann lief er noch eine gute Weile. Sie blies ein drittes Mal, und er war ihr schon ganz nahe. Der Schlaf überwältigte ihn, und er trieb das Schwert tief in den Fuß. Dann lief er bis ans Ziel und zog ihr den Ring vom Finger. Als er ihn ihr entrissen hatte, erhoben sich alle Helden aus dem Schlafe, in den sie durch den Zauber gesunken waren. Keiner von ihnen wußte, wer den Ring hatte. Einer fragte den andern: »Hast du den Ring?«

»Du hast den Ring«, sagte Diarmuid wie die andern. Sie eilten zu ihren Schiffen, um heimzukehren. Diarmuid gelangte an sein Fahrzeug und segelte vor ihnen ab. Die andern eilten, um ihn einzuholen. Sie argwöhnten, daß er den Ring hatte. Als er vor dem Hafen anlangte, wartete dort Seachráns Weib. Er warf ihr den Ring zu. Sie blickte hindurch und ertränkte die Verfolger von Diarmuid Donn. Als er ans Ufer kam, gab er Seachrán drei Tropfen durch den Ring. Er stand auf und war heil und lebendig wie je zuvor.


Fionn im Lande der Riesen

Eines Tages begab sich Fionn an Bord des »Bunten Kuckucks«, um sich ein wenig zu belustigen. Nacht und Nebel überraschten ihn; er verirrte sich und hatte Hunger. Er sah eine Insel und landete dort. Sie war mit schönem Schnee bedeckt, und er sah die Spur eines menschlichen Fußes. Er streckte sich am Boden hin, so lang er war; aber obwohl er ein Mann von hoher Gestalt war, war die Fußspur doch länger als er.

»Gott behüte uns!« sagte er. »Jetzt oder nie ist es aus mit mir, wenn die Menschen, die auf dieser Insel wohnen, von solcher Art sind!«



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Dann schlich er sich an Hecken entlang und versuchte, sich zu verbergen und etwas Eßbares aufzutreiben.

Es war keine leichte Sache für den Riesen Seachrán Salfhada 1 , ihn zu bemerken; denn in des Riesen Augen war Fionn noch nicht einmal so groß wie ein dreijähriges Kind.

»Komm her, mein kleiner Bursche, und wärme dich!« Fionn näherte sich, aber recht langsam, denn er hatte Furcht vor dem Riesen. Dieser hatte soeben einen großen Stier gekocht und lud ihn ein, davon zu essen.

»Vielleicht hast du Hunger?«fragte er.

Der Riese sagte ihm dann, daß es in kurzer Zeit zu einem großen Kampfe kommen würde zwischen ihm und seinem Bruder Glunreamhar . Er sprach wahr. Der Bruder kam unverzüglich und sagte:

»Schurke, warum hast du diesen Stier getötet?«

Sie begannen zu kämpfen. Fionn erklärte, daß er, wenn es nötig wäre, denjenigen unterstützen würde, der ihm zu essen gegeben hatte. Er erhob sich und zog sein Schwert; aber es gelang ihm nicht, einen höher gelegenen Teil als die Wade von Glunreamhar zu treffen. Da dachte der Riese, daß eine Biene ihn gestochen hätte, und er gab Fionn einen Fußtritt, der ihn bis an den Himmel schleuderte. Erst wirbelte Fionn dort oben herum, dann stürzte er in das Horn des Tieres, das in seinem Fette schmorte. Wenn er nicht hätte schwimmen können, wäre er ertrunken.

Glunreamhar und seine Mutter haßten Seachrán schon lange. Dieser empfing schon am Abend des nächsten Tages die Einladung, zu ihnen zu kommen.

»Ich vermute, mein Kleiner«, sagte er zu Fionn, »daß du keine Lust hast, mit mir dort hinüber zu gehen?«

»Ich werde gehen«, sagte Fionn, aber er hatte keine Eile, sich auf den Weg zu machen. Schließlich brachen sie auf.

Tanz und Musik gab es und alles, was dazu gehört. Glunreamhar 1 

Der Langsohlige.
 
2 Dickes Knie.



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und die Mutter der beiden Riesen hatten im Speicher einen Bottich voll Schwefel, um Seachrán zu Tode zu bringen. Man tanzte. Da fuhr durch teuflische Macht und Zaubergewalt eine zottige Kralle herab, packte zu und riß jedermann mit sich fort.

Seachrán begriff, was das bedeutete, nämlich daß man ihn umbringen wollte. Er ließ die Musik nicht lange spielen, sondern stürzte sich auf die Kralle, und hopp! wurde er emporgehoben, und sobald er in der Luft schwebte, war seine Mutter auch schon bereit, ihn in den kochenden Schwefel zu stürzen.

Er sprang aus der Kralle und tat recht daran. Er ergriff die alte Hexe von Mutter und warf sie kopfüber in den Kessel.

Dann brachen Fionn und Seachrán auf, um nach Hause zurückzukehren. Glunreamhar verfolgte sie durch Magie und Zauberei in wildestem Zorn. Und Glunreamhar tötete Seachrán unterwegs auf dem Schiffe. Aber so wie er den Seachrán tötete, so tötete Fionn den Glunreamhar und warf ihn ins Meer. Den Leichnam von Seachrán aber nahm er mit. Bei der Abreise hatte Seachráns Weib Fionn befohlen, dasjenige Wimpel zu hissen, das anzeigen würde, daß ihr Gatte tot sei. Aber Seachrán hatte ihm geboten, es nicht zu tun.

Sie kehrten also ins Schloß zurück. Und Fionn betrauerte Seachrán und war untröstlich. Er besaß die Macht, alle Dinge zu erkennen, indem er sich einfach in den Daumen biß. Auch damals biß er sich in den Daumen, um zu erkunden, ob es außer dem Beistande Gottes ein Mittel gäbe, Seachrán ins Leben zurückzurufen.

Er erfuhr auf diese Weise, daß es nur ein Mittel gäbe, nämlich dreimal über einem bestimmten Ringe zu trinken 1 , und daß nur Diarmuid Donn diesen Ring holen könnte. Diarmuid war zu Hause geblieben, und Fionn ließ ihn holen.

Diarmuid machte sich auf die Reise, mit seinen Kleidern und seiner Rüstung versehen und mit seinem Schwerte bewaffnet. Er machte halt in einer Hütte, die er am Wege fand. Dort wohnte eine vortreffliche Frau. Sie kam ihm zu Hilfe, indem sie ihn unterrichtete, wie er den Ring finden könnte. 

1 d.h., daß man beim Trinken den Ring unter die Trinkschale halten sollte.



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Diarmuid ging nun an Bord des »Bunten Kuckucks« und fuhr ab. Aber er konnte sich nur bis auf eine Entfernung von sieben Meilen der Küste nähern wegen der Menge von Schiffen, die schon da waren. Da verließ er den »Bunten Kuckuck«und machte ihn am nächsten Schiffe fest mit einer Tauschlinge, die ein Jahr und einen Tag Widerstand leisten sollte. Er ging über die Verdecke der andern Schiffe hinweg nach Sliabh-na-Fideoige 1 . Nachdem er über alle andern Schiffe gegangen war, schwang er sich über die Körper der andern Krieger nach dem Menhir und zu dem weiblichen Regenpfeifer, der den Ring unter der Pfote hatte.

Der Vogel stimmte einen Gesang an, dessen Melodie die süßeste auf der Welt war, und versuchte so, Diarmuid zu berücken, wie er die andern Krieger berückt hatte. Diarmuid fürchtete, ihr Schicksal zu erleiden durch die Wirkung der zauberhaften Süße dieser Musik, aber er steckte sein Schwert in seine Wade zwischen Fleisch und Knochen und bemühte sich, an den Regenpfeifer heranzukommen. Das gelang ihm.

Er stürzte mit seinem Schwert auf den Regenpfeifer los. Der Vogel stieß einen Schrei aus, den man in der ganzen Welt hätte hören können. Diarmuid ergriff den Ring und brachte ihn in Sicherheit, indem er ihn in die Tasche steckte. Kaum hatte er es getan, als alle Krieger, die bis dahin unter dem Zauberbanne gewesen waren, sich erhoben, als ob ihnen nie etwas geschehen wäre.

Daraufhin entspann sich ein Kampf unter ihnen allen. »Du hast den Ring!«schrie einer den andern an. Diarmuid hieb nach allen Seiten um sich und rief auch: »Du hast den Ring!«, indem er sich nach dem Verdeck des »Bunten Kuckucks«aufmachte; denn dieses Schiff war berühmt dafür, daß es von keinem andern eingeholt werden konnte, wenn es nur einen Augenblick Vorsprung hatte. Die Krieger sahen den »Bunten Kuckuck« sich entfernen und schrien, daß der kleine Mann mit dem Ringe auf und davon gehe. Sie verfolgten ihn in Massen, aber sie richteten nichts aus; denn das Schiff war vor ihrer Verfolgung bald in Sicherheit. 

1 Gebirge des weiblichen Regenpfeifers.



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Diarmuid kam zur Burg des Seachrán. Fionn und das Weib des Seachrán fragten ihn: »Hast du den Ring? — »Ich habe ihn«, sagte er, »aber was nützt mir das, da ja hinter mir das Meer schwarz von Menschen ist, die mich töten wollen, mich und alle, die hier sind!«

»Ich nehme sie auf mich«, sagte Seachráns Weib. Sie stieg auf die Zinne der Burg und blickte ins Weite. Sie sah das Meer schwarz von Schiffen. Durch irgendein Zauberkunststück versenkte sie alle Schiffe, große und kleine.

Man ließ nun Seachrán drei Schluck über dem Ringe trinken. Sofort richtete er sich auf und war so frisch und munter wie früher.


Oscar mit der Geißel

Der heilige Patric war in Irland angekommen und hatte Oisín in der Nähe des Ortes Elphin gefunden. Oisín war gerade damit beschäftigt, Steine zu tragen.

»Oisín«, sagte Patric, laß dich taufen!«

»Was sollte mir das nützen?«

»Oisín, wenn du dich nicht taufen läßt, kommst du in die Hölle wie alle andern Fenier.«

»Wenn Diarmuid, Goll und die andern noch am Leben wären«, sagte Oisín, »würden sie den Teufel und seine Schmiede auf dem Rücken davontragen.«

»Höre endlich, Oisín, alter toller Greis, flehe Gott auf Knien an und laß dich taufen!«

»Sage mal, warum hat Gott eigentlich so viel Menschen zur Hölle verdammt?«

»Weil sie vom verbotenen Apfel gegessen haben.«

»Wenn ich gewußt hätte, daß dein Gott so albern wäre, die ganze Welt wegen eines Apfels zu verdammen, hätte ich ihm drei Pferde und einen Maulesel mit Äpfeln beladen zum Himmel geschickt.«

»So höre doch endlich, Oisín, alter toller Greis, flehe Gott auf Knien an und laß dich taufen!«

»Oh, Patric«, sagte Oisín, »wenn Gott und Fionn auf jenem Felde



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dort einen Zweikampf ausfechten würden, so würde Fionn Gott in Grund und Boden schlagen, sonst wäre er ja nicht der Krieger aller Krieger.«

Da fiel Oisín ohnmächtig nieder.

Als er wieder zu sich kam, sagte er: »Oh, Patric, taufe mich!« Denn in einer Vision hatte er gesehen, wie es den toten Feniern erging und wie es ihm ergehen würde!

Patric hatte eine Lanze in der Hand; deren Spitze tauchte er in den Fuß Oisíns. Die Erde färbte sich rot vom Blute.

»Na«, sagte Oisín, »gehört das etwa auch zur Taufe?«

»Ich hoffe, daß du gerettet werden kannst«, sagte Patric.

»Patric«, meinte nun Oisín, »kannst du nicht die Fenier aus der Hölle befreien?«

»Das kann ich nicht!« sagte der Heilige.

»Kannst du ihnen nicht ein wenig Erleichterung verschaffen?« Patric bat Gott, ihnen Erleichterung zu gewähren, und Gott gewährte sie ihnen.

Oscar, der Sohn Oisíns, erhielt einen Geißelstiel und anstatt der Riemen eine hellgrüne Binse. Alsdann empfing er eine Handvoll grauschwarzen Sandes. Den streute er auf die Erde, und die Teufel konnten nun nicht in das Gebiet eindringen, das er mit dem Sande umstreut hatte. Wenn sie aber versuchten, über die Sandgrenze vorzudringen, hatte Oscar das Recht, die Teufel mit seiner Geißel zu schlagen und zu verjagen. So sind Oscar und die Fenier noch heute auf der einen, die Teufel auf der andern Seite der Sandgrenze; denn Gott hatte das Gebet des heiligen Patric erhört. Die Teufel können auch heute noch nicht über das Sandfeld, und die Binse in der Geißel Oscars ist heute noch nicht zerbrochen.


Der Tod des Fionn MacCumhaill

Fionn, der Enkel des Baiscne, war alt geworden. Seine Krieger sahen es, er verheimlichte es nicht.

»Ja, ich werde alt«, sagte er. »Ich werde nun nach Osten wandern,



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denn im Osten ist mein >Sprung<, gerade am Flusse Boyne, darum will ich an seine Ufer gehen.«

Die Krieger sagten: »Warum bleibt er nicht beim Könige von Irland, dann würden wir auch bei ihm bleiben.«

Er aber brach von Westen mit neun Helden auf.

Am Morgen verließ ihn der erste der Helden, am nächsten Tage der zweite und so fort, bis nur noch ein Mann bei Fionn war.

Er wanderte aber auf der Landstraße von Gowran nach Mullaghmast hinein. Dort fand er eine Hexe, die Quark bereitete.

Sie weissagte ihm, daß er sterben würde, wenn er Gift aus einem Horne trinken würde.

»Das ist wohl wahr, Hexe«, sagte Fionn, »nimm zur Belohnung meine Busenschnalle.«

Dann wanderte er am Boyne entlang nach Osten bis zu dem Orte, da er zu springen pflegte.

Er fiel beim Sprunge zwischen zwei Felsen, so daß seine Stirn gegen die Felsen schlug und sein Hirn über ihn spritzte.

Und er starb zwischen zwei Felsen.

Boynefischer fanden ihn.

Es waren vier, nämlich die drei Söhne des Urgrin und Aiclech, der Sohn des Dubdrin. Diese fanden ihn, und Aiclech schnitt ihm den Kopf ab.

Sie brachten das Haupt in ein leeres Haus und kochten ihre Fische. Das Haupt befand sich oberhalb des Feuers.

Dreimal teilten sie den Haufen Fische in zwei Teile, aber immer wieder teilte sich der Fischhaufen in drei Teile.

»Gebt dem Haupte auch seinen Anteil«, sagte da ein schwarzer Kerl, der üble Späße liebte.

Da sprach das Haupt am Feuer:

»Ja, in drei Teile teilen sich die Fische,
Damit auch mir mein Teil am Mahle werde!«


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Seaghan mit den beiden Schafen

In alten Zeiten gab es in Irland kleine Zaubermännlein und Wichtelmännchen. Aber die verwünschten Fremden haben sie vertrieben, und mit ihnen verschwand das Glück des Landes. Es gibt seit der Zeit der Dänen viel Gold und Silber in Irland unter dem Erdboden versteckt. Doch weiß keiner mehr wo. Nur die Wichtelmännchen wußten Bescheid darüber und haben viele Menschen reich gemacht.

In jener alten Zeit lebte ein junger Mann namens Seäghan O'Suilliobhäin in Turloch-Mor, nahe bei Caislean a Bharra in der Grafschaft Mayo. Seine Großmutter erzog ihn, da ihm Vater und Mutter gestorben waren, als er ein Jahr zählte. Im Alter von zehn Jahren war er schon ein geschickter Bursche und seiner Großmutter nützlich. Sie hatte ihn sehr lieb. Er war täglich auf der Weide mit den Kühen und Schafen. Sie versprach ihm eines Tages, sie wollte ihm nach ihrem Tode zwei Schafe hinterlassen, wenn er ein tüchtiger Junge würde. Seäghan lief gleich durchs Dorf und erzählte jedem, er würde einmal zwei Schafe besitzen, sobald seine Großmutter tot sei. Seit der Zeit nannten ihn die Leute »Seäghan mit den beiden Schafen«. Auf den Namen hörte er wie auf seinen eigentlichen.

Es war alles ganz gut und nicht übel. Als Seäghan fünfzehn Jahre alt war, starb die Großmutter und hinterließ ihm zwei Schafe. Eins davon war ein Hammel. Sie waren erst sechs Monate alt. Da gab es eine Meile im Umkreise keine fette, grasreiche Weide, auf die Seághan nicht seine beiden Schafe geführt hätte. Gab es eine hohe Mauer zwischen ihm und der Wiese, dann nahm er seine Schafe unter die Arme und hob sie hinüber. Die Leute beobachteten sein Tun und Treiben nicht weiter, sie hielten ihn für närrisch. Aber er war ein Narr mit eisernem Willen.

Eines Tages nun trieb Seäghan einen faulen Esel vor sich her. Als ihm der nicht schnell genug trabte, begann er mit einem tüchtigen Knüppel auf ihn loszuschlagen. Zufällig kam ein Priester des Weges. Er begann: »Es ist eine große Sünde, Seäghan, daß du den armen Esel so boshaft prügelst. Der Esel ist ein gesegnetes Tier. Siehst du



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nicht das Zeichen des Kreuzes auf seinem Rücken? Und ein Esel war es, auf dem dein Heiland nach Jerusalem ritt!«

»Meiner Seel!«sprach Seägham, »wäre er auf diesem faulen Schurken geritten, dann wär's damit zum Teufel gewesen, daß er etwas von Jerusalem sah!«

»Gott helfe dir, du dummer Junge!« sagte der Priester. »Unser Heiland kann alles, und wenn wir ihn bitten, hilft er uns.«

»Ich glaube kein Wort von dem, was du da sagst«, versetzte Seäghan. »Die Leute sagen, du seist ein frommer Mann. Aber ich wette hier meine beiden Schafe darauf gegen zwanzig »Dreizehner<1 , daß, wenn du auf diesem faulen Lümmel reitest, du heute abend vor Sonnenuntergang nicht bis an den Kreuzweg gelangst, ohne ihn zu prügeln. Und bis zum Kreuzweg ist's nur eine kleine Weile!«

Der Priester war ein heiterer Mann und sagte: »Ich will mit dir auf die Wette eingehen, Seäghan.« So machte er sich daran, bestieg den Esel und lenkte ihn auf den Kreuzweg zu. Er streichelte ihm den Hals und schmeichelte ihm, um ihn in flinkere Gangart zu bringen — doch der Esel setzte kaum einen Fuß vor den andern. Eine Schnecke hätte es mit ihm aufgenommen!

Nun kamen die Leute aus den Häusern heraus auf beiden Seiten des Weges, und sie belustigten sich über den Priester sowohl wie über Seäghan. Der trottete dem Priester voraus und klatschte, so laut er konnte, in die Hände.

Am Wegrande stand ein Distelstrauch, und der Esel begann zu fressen und sich nicht von der Stelle zu rühren. Das dauerte, bis er genug hatte. Aber dann, statt weiterzutraben -plumps, lag er da! Und wenig hätte gefehlt, daß er dem Priester unter sich die Füße zerquetschte.

»Wenn du dich nicht beeilst«, meinte Seäghan, »habe ich die Wette gewonnen. Nun bist du schon zwei Stunden unterwegs und hast noch nicht den halben Weg geschafft!«

»Der Dumme hat Glück«, meinte der Priester. »Da hast du deine Wette. Du hast noch mehr Witz im Kopf, als ich glaubte. Aber nun 1 

Eine alte Geldmünze.



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trolle dich, du und dein Esel, und komm mir nicht mehr unter die Augen!«

Seäghan setzte sich flugs auf den Esel, bearbeitete ihn tüchtig mit dem Knüppel und kam bald von der Stelle. Er war sehr vergnügt und guter Dinge, daß er dem Priester so mitgespielt hatte. An demselben Abend brachte er seine beiden Schafe heim wie sonst, und zwar unter das Dach des Hausgiebels. Dann ging er selbst schlafen. In der Nacht, während er schlief, kam der Wolf, tötete den Hammel und ließ ihn liegen.

Als Seäghan am Morgen hinaustrat, fand er den toten Hammel. Er jammerte mehr um ihn, als er um seine Großmutter gejammert hatte. Nachdem er sich ausgeweint hatte, ging er an das Schaf und sprach: »Ach, du armes Geschöpf! Bist du nicht betrübt, daß dein Kamerad tot ist und daß außer dir keins mehr übrig ist von deiner Familie?«

Kaum aber hatte er also zu dem Schafe gesprochen, was meint ihr, tat dieses? Es setzte sich auf den Hintern, blickte ihn an und sprach mit menschlicher Stimme: »Habe Geduld! Der Hammel wird wieder lebendig werden, so du meinen Rat befolgst. Erzähl es keiner lebenden Seele, daß er tot ist! Geh in die Stadt und kaufe ein Schafsfell mitsamt der Wolle darauf! Heute nacht wird der Wolf mir nachstellen. Aber sei du hier bei mir, wirf dir das Schafsfell über und halte dein scharfes Messer in der rechten Hand. Sobald er versucht, mich zu packen, stoße ihm das Messer ins Herz, daß er tot hinfällt. Danach schneide ihm das Herz aus und reibe damit die Zunge deines Hammels. Alsobald wird er wieder lebendig und munter sein wie einst. Und dann noch eins: Im Wolfsbauch ist eine Goldbörse, die wird niemals leer. Aber wisse, wenn du dein Geheimnis zu irgendeinem Menschen ausplauderst, bist du verloren und ich und der Hammel auch!«

»O du mein Herzensliebling!« rief Seäghan, »ich werde alles tun, was du mir sagst. Aber warum hat es so lange gedauert, ehe du zu mir den Mund auftatest! Ich war doch so verlassen, seit meine Großmutter starb! —Gott segne ihre Seele!« Er konnte nichts weiter hinzufügen, denn das Schaf hub nochmals an: »Still! Es ist ja deine



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Großmutter, die zu dir redet! Und dein Großvater ist's, der da hingestreckt unter dem Dachgiebel liegt. Du wunderst dich darüber, uns in Gestalt von Schafen zu sehen. Doch du wirst nicht weiter erstaunt sein, wenn du die ganze Geschichte erfährst: Als deine Mutter im Sterben lag, verpflichtete sie uns, für dich Sorge zu tragen, ob wir tot oder lebendig seien, bis zu deinem einundzwanzigsten Jahre. Das hatten wir ihr versprochen. Als wir nun vor den ewigen Richter hintraten, wurden wir in dieser Gestalt wieder zurückgeschickt, damit wir unser Versprechen erfüllten.«

»Ich danke dir«, sprach Seäghan. »Ich will alles tun, was du sagst. Und was das Geheimnis anbetrifft, sollst du sehen, daß ich es hüten kann, wenn ich unter den Leuten als Narr gelte.«

Seäghan ging in die Stadt, kaufte das Fell und kam heim. Er gab dem Schafe reichlich Heu, und als die Dunkelheit hereinbrach, warf er sich das Fell über und streckte sich am Hausgiebel hin.

»Du kommst um vor Kälte, ehe der Wolf naht«, warnte das Schaf. »Setze dich drinnen ans Feuer, bis du mich blöken hörst: Mäh! Mäh!«

Er ging ins Haus, zündete sich ein Feuer an und setzte sich davor nieder. Dann dachte er nach über alles, was er erlebt hatte. Er wollte gerade einschlafen, als er das »Mäh! Mäh!«des Schafes vernahm. Er stürzte hinaus. »Beeile dich!« sagte das Schaf. »Der Wolf kommt schon!«

Seäghan warf sich das Fell über und legte sich vor der Giebelwand hin. Kurze Zeit darauf nahte der Wolf. Als er glaubte, das Schaf packen zu können, stieß Seäghan zu und trieb ihm das Messer ins Herz. Der Wolf stürzte hin und war tot. Darauf schnitt ihm Seäghan den Bauch auf, nahm das Herz heraus und rieb damit die Zunge des Hammels ein. Da erhob sich dieser heil und munter wie zuvor.

Während sich der Hammel und das Schaf umarmten, suchte Seäghan weiter, bis er die Goldbörse fand. Sie war viel kostbarer als die ganze Grafschaft Mayo: Sie sollte ja niemals leer werden!

Zwischen Seäghan und den zwei Schafen fand nun eine lange Unterredung statt. Das Schaf tat ihm kund, es werde alljährlich zwei Lämmer werfen, und diese würden die besten sein auf dem ganzen



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Markt. »Und wenn sich dann irgend jemand bei dir erkundigt, wer ihr Vater ist, gib zur Antwort, du weißt es nicht! —Nun geh ins Bett, und morgen früh magst du den Nachbarn erzählen, daß du den Wolf getötet hast, der deinen beiden Schafen auflauerte. Er hat immer viel Schaden angerichtet unter den Schafen dieser Gegend. Jedermann wird dich preisen, und besonders der Priester! Der Wolf entriß ihm nämlich viele Lämmer. Nun sage ich nichts weiter zu dir, bis du meinen Rat wieder brauchst.«

»Ich habe ihm auch noch ein paar Worte zu sagen«, hub jetzt der Hammel an. »Der Wolf war Paidin, Eamons Sohn. Du erinnerst dich gewiß, daß er vor sieben Jahren gehängt wurde, weil er Feilim MacGriomh ermordet und ihm fünf Schafe gestohlen hatte. Als er vor den ewigen Richter hintrat, wurde er auf sieben Jahre in Wolfsgestalt in die Welt zurückgeschickt. Jetzt aber liegt er angebunden im Loch Dearg in Gestalt einer Riesenschlange und wird dort bleiben, bis das Ende der Welt kommt.«

»Ich erinnere mich seiner sehr wohl«, sagte Seäghan. »Es fehlte nicht viel, und er hätte mir einmal die Ohren abgeschnitten, als ich auf seinem Lande Nester suchte.«

»Geh nun schlafen, ich habe dir nichts weiter mitzuteilen«, schloß der Hammel.

Früh am Morgen brachte Seäghan seine Schafe auf eine grasreiche Weide. Dann suchte er den Priester auf und erzählte ihm, daß er in der letzten Nacht einen Wolf getötet habe. Der Priester wollte ihm das nicht glauben, sondern sagte: »Scher dich nach Hause, du Lump! Ich wurde erst vor kurzem gründlich verspottet um deinet- und um deines Esels willen.«

»Bei meiner Seele! Ich sage dir die blanke Wahrheit!« beteuerte Seäghan. »Meine beiden Schafe waren bei der Giebelseite untergebracht, als der Wolf kam und ihnen nachspürte. Da stieß ich ihm mein Messer ins Herz und ließ ihm nicht die Eingeweide im Leibe, sondern warf sie auf die Erde dort beim Hausgiebel.«

»Ich werde in ein bis zwei Stunden den Weg dort entlangkommen«, sagte der Priester, »und wenn du mir etwas vorgeschwindelt hast, zerbreche ich dir alle Knochen im Leibe!«



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Seäghan ging durchs Dorf und erzählte allen Leuten seine Geschichte. Einige glaubten ihm, andere zweifelten. Ein paar begleiteten ihn nach Hause. Da sahen sie den toten Wolf. Nun dauerte es nicht lange, und die Zungen setzten sich in Bewegung. Seäghan mit den beiden Schafen wurde hoch gepriesen.

Als der Priester kam, sagte er: »Ich verzeihe dir die Eselsgeschichte. Hier hast du ein blankes Goldstück!«

»Ich brauche kein Gold und Silber von dir. Gib es den Armen im Dorfe! Meine Großmutter hat mir Gold und Silber hinterlassen.«

»Gib mir deine Hand! Auf mein Wort, du bist ein wackerer Bursche!« So sprach der Priester und schüttelte ihm die Hand. Dann wandte er sich an die Leute, die dabeistanden: »Ihr müßt Seäghan sehr achten. Er tat allen im Bezirk eine große Wohltat, indem er das Tier tötete. Nun grabt ein Loch und scharrt es ein!«

Am ersten Monatstage im Frühling hatte Seäghans Schaf zwei Lämmer, und nie sah jemand in Irland ein Lamm, das halb so prächtig gediehen wäre wie sie. Die Wolle an ihnen war schon einen halben Fuß lang und weich wie die feinste Seide. Als sie sechs Monate alt waren, brachte Seäghan sie auf den Markt, und jeder, der sie sah, erkundigte sich nach ihrer Abstammung. Seäghan sagte, das Mutterschaf wäre bei ihm zu Hause. Nun kam jeder Farmer oder Schafzüchter bis zu vierzig Meilen im Umkreise zu ihm gelaufen, um das Schaf zu besichtigen. Sie waren bereit, ihm jeden Preis dafür zu zahlen. Aber Seäghan verkaufte es nicht.

Jedes folgende Jahr hatte das Schaf nun zwei Lämmer. Doch es waren stets nur weibliche Tiere, und die Farmer waren dieserhalb recht betrübt.

Seäghan ging es fünf Jahre lang gut. Alljährlich bekam er einen großen Preis für die Lämmer und kaufte sich jedes Jahr ein Stück Land. Als er zwanzig Jahre alt war, besaß er schon ein schönes Gut, und alle jungen Mädchen zwanzig Meilen in der Runde waren in ihn verliebt. Aber dann ging mit ihm eine große Veränderung vor. Am Abend vor seinem einundzwanzigsten Geburtstage sagte das Schaf zu ihm: »Morgen wirst du einundzwanzig Jahre alt, und dann habe



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ich mit deinem Großvater nicht mehr für dich zu sorgen. Wir haben unsere Pflicht getan und werden nun zur ewigen Ruhe eingehen. Morgen früh findest du uns tot an der Giebelseite. Mach dann ein tiefes Loch und vergrab uns dort!«

Seäghan war tief betrübt und sagte: »Ich möchte mit euch gehen. Mir bricht das Herz vor Kummer und Einsamkeit.«

»Du kannst uns nicht begleiten«, sprach das Schaf. »Deine Lebenszeit ist noch nicht um. Lange Jahre hast du noch vor dir.«

An dem Abend führte Seághan die beiden Schafe wieder heim, und an der Giebelseite brachte er sie unter. Aber er konnte nicht ruhig schlafen. Früh am Morgen ging er hinaus und fand beide Schafe tot. Er grub ein tiefes Loch und verbarg sie dort.

>Nun<, sagte er zu sich, >da bin ich heute einundzwanzig Jahre alt. Ich will bei der Gelegenheit Branntwein trinken und mir damit meinen Kummer vertreiben.<

Er ging in die Stadt, kaufte sich ein Krüglein Schnaps und kehrte nach Hause zurück. Er begann zu trinken, und nicht lange, so war er blind vor Trunkenheit. Ein Nachbar kam zu ihm ins Haus. Seághan begann mit ihm zu schwatzen und ließ dabei das Geheimnis über die beiden Schafe entschlüpfen. Die Geschichte lief von Mund zu Mund, bis jeder in der Gegend sie kannte.

Am Morgen darauf war die Goldbörse verschwunden. Seághan hörte nicht auf zu trinken, bis er jeden Pfennig, den er besaß, durchgebracht hatte. Alsdann ging er von Haus zu Haus. Er war halb närrisch und bettelte um etwas Essen.

War er nun gescheit oder dumm?


Die drei Raben

Drei Burschen waren einmal zusammen, die hatten kein Gold und kein Silber, kein Eigen und keine Bleibe. Sie lebten wie die Hunde und waren so gesund wie der Lachs. Sie machten sich zu dreien auf nach dem Osten der Welt und wurden tüchtige Männer im Heere eines gewissen Königs. Der eine von ihnen war ein friedliebender,



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heiterer und sparsamer Mensch. Aber was das andere Paar betrifft, so gingen sie durch ein Bohrloch für einen Schluck Branntwein oder schlügen dem Leibhaftigen die Nase ab, wenn er sich mit ihnen in Streit einließe. Sie blieben bei dem König, bis sieben Jahre um waren.

»Morgen werde ich heimkehren«, sagte der friedliche Mann zu den beiden andern.

»Wir wollen mit dir gehen«, sagten die zwei.

»Was wollt ihr daheim ohne einen Pfennig Geld?«

»Oh, vielleicht sind wir nicht so arm, wie es dir scheint«, meinte einer von den beiden.

Am nächsten Tage machten sich alle drei auf die Heimreise. Sie zogen von Land zu Land und kamen an einen großen, einsamen Wald. Den hatten sie zu durchqueren. Als sie mitten darin waren, fiel das Paar über den friedlichen Mann her, band ihn mit einem dünnen Hanf seil an einen Baum und stach ihm die Augen aus. Das Geld, das er besaß, nahmen sie ihm weg. Dann machten sie ihn los, gingen ihren Weg weiter und ließen ihn halb tot zurück.

So brachte er drei Tage zu. Da ließen sich drei Raben auf dem Baum nieder, an dem er saß. Er war noch bei Besinnung. Sie fingen an, miteinander zu reden, und er konnte ihr Gespräch und überhaupt das jedes Vogels verstehen.

»Wäre der nicht froh und glücklich, der da wüßte, was ich weiß?« begann einer der Raben zu den beiden andern.

»Was ist es denn?«fragten sie.

»Nun, was ich weiß, ist das«, hub er an: »Wenn der Mann, dem sie die Augen ausstachen, diese wiederfindet - und sie sind am Fuße des Baumes neben ihm! —und wenn er dann seine Hände naß macht und die Augen einsetzt, so sind sie wieder gesund wie zuvor.«

»Wäre der nicht froh und glücklich, der da wüßte, was ich weiß?« hub der zweite Rabe an.

»Was ist es denn?«fragten die andern.

»Alle Ärzte der Welt sind nicht imstande, die Tochter des Königs dieses Landes gesund zu machen. Aber ein Kraut, das gerade an der Stelle steht, wo die Augen liegen, würde sie in einer halben Minute



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heilen. Aber er muß es abrupfen, aufbrühen und ihr das Wasser, worin es brühte, zu trinken geben. Dann wird sie so gesund und munter sein wie einst.«

»Wäre der nicht froh und glücklich, der das wüßte, was ich weiß?« sprach der dritte Rabe zu den andern. »Nämlich«, begann er, »der König dieses Landes muß die Hauptstadt seines Reiches verlassen, weil sie großer Mangel an Wasser zugrunde richtet. Aber wenn ein großes Loch geschlagen wird in den pechschwarzen Felsen am Ende der Stadt, dann sprudelt so viel Wasser daraus hervor, daß es für sieben Städte langt.«

Darauf flogen die drei Raben fort. Der Mann fing an herumzusuchen. Er fand seine Augen, befeuchtete die Hände und setzte sich die Augen wieder ein. Auf der Stelle konnte er sehen, und so schön wie zuvor, vielleicht sogar noch ein bißchen besser.

Er fand auch das Kraut, steckte es zu sich in die Tasche und machte sich auf den Weg, bis er an den Königshof des Landes kam. Am Tore des Palastes klopfte er und bat um Einlaß.

»Was willst du?« fragte der Torwächter.

»Die Königstochter sehen und heilen«, antwortete er.

»Komm nur herein«, sprach der Türhüter, »wenn du so gern deinen Kopf verlieren willst.«

»Mir wurden schon die Augen ausgestochen, und so wundere ich mich nicht, wenn mir jetzt auch noch der Kopf abgehauen wird!«

»Nun, dann herein mit dir!« sprach der Türhüter.

Innerhalb des Einganges gab es Hunderte von Schädeln.

»Was für ein Unglück brachte hier all diese Schädel zusammen?« fragte er, »oder was in aller Welt wollten die hier?«

»Da liegen die Köpfe der Ärzte«, erklärte der andere, »dafür, daß sie der Königstochter nicht Heilung brachten. Es wird nicht lange dauern, dann liegt dein Kopf mitten unter diesen, wenn du Mißerfolg hast. Und ich glaube, du taugst gerade soviel wie die da!« Jedoch dies nahm dem Arzt nicht den Mut. Er trat vor den König und sagte, er wolle seine Tochter sehen und heilen.

»Du wirst wenig bei ihr vermögen«, sprach der König, »und besonders in Anbetracht des Aufwandes so vieler Ärzte. Doch tu nach



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deinem Belieben. Aber wenn du nicht Erfolg hast, wird man dir den Kopf vom Leibe schlagen wie jedem vor dir.«

»Einverstanden!« sagte der Doktor. Man öffnete ihm die Tür zum Gemache der Königstochter. Sie lag im Bett und war schon nahe am Tode. Er befahl, man sollte ihn im Raum allein mit ihr lassen, und man tat es. Er holte das Kraut hervor, brühte es und machte davon einen Aufguß. Das gab er der Kranken zu trinken. Kaum hatte sie ausgetrunken, so war sie wieder vollständig gesund. Sie ging zu ihrem Vater, und, glaubt mir's, ihre Freude war nicht größer als seine. Er rief sofort den Arzt zu sich und sprach:

»Ich würde dir jetzt gern meine Tochter zur Frau geben. Aber ihr geht in dieser Stadt aus Mangel an Wasser zugrunde.«

Am Tage darauf machte die Königstochter mit dem Arzt eine Spazierfahrt in des Königs Wagen. Sie fuhren bis an das Ostende der Stadt. Dort sah der Doktor den pechschwarzen, riesig hohen Felsen.

»Ich bin sicher«, sagte er zur Königstochter, »daß es mitten im Felsen Wasser genug für die Stadt gibt, wenn er angebohrt wird oder wenn man ein großes Loch hineinschlägt; dann kann das Wasser heraus.«

Die Königstochter ließ sogleich zwanzig Mann kommen. Die begannen tüchtig in den Felsen hineinzuhauen. So stark und kräftig schlugen sie, daß er zu guter Letzt barst. Und da sprudelte Wasser heraus und strömte und breitete sich nach allen Seiten, so daß es bis an die Häuser der Stadt floß. Da gab der König dem Arzt seine Tochter zur Frau, denn er hatte sie verdient.

Es war ein Jahr nach der Hochzeit, als er eines Tages allein spazierenging. Da begegneten ihm - nun, wer war es wohl? —jene beiden Schurken, die ihm die Augen ausgestochen hatteh! Er erkannte sie, aber sie ihn nicht. Aber er erzählte ihnen, wer er sei. Da staunten sie, daß er die Königstochter zur Frau bekommen hatte, und noch mehr wunderten sie sich, als er ihnen sagte, daß er ausgezeichnet sehen könnte. Er erzählte ihnen seine Abenteuer von Anfang bis zu Ende. Jetzt zitterten sie vor Angst am ganzen Körper; denn sie dachten, er würde sie festnehmen und hängen lassen wegen ihrer



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Greueltat an ihm. Aber er sagte ihnen, sie sollten deswegen ohne Furcht sein, da ja alles für ihn zum Guten und nicht zum Schaden abgelaufen war.

»Vielleicht geht's uns ebensogut wie ihm, wenn wir hingehen und uns selbst an den Baum binden. Am Ende erzählen uns dieselben Raben oder andere - uns wäre das ja gleich -mit Gottes Hilfe ebenfalls, wo wir Königstöchter zum Heiraten finden.«

Sie machten sich nun auf und kamen dorthin, wo sie dem andern Manne die Augen ausgestochen hatten. Sie banden sich an denselben Baum, und es dauerte nicht lange, so ließen sich drei Raben auf diesem nämlichen Baume nieder.

»Ein Jahr ist es her, als wir drei auch hier waren«, sprach ein Rabe zu den beiden andern. »Damals hörte uns ein Mann zu und nahm mit, was wir gesagt hatten. Er ist nun vollkommen glücklich. Nun sind zwei andere gekommen mit der Hoffnung, daß sie auch etwas von unserem Gespräche haben.«

»So ist's. Wollen wir drei die beiden sofort bestrafen! Kratzen wir ihnen die Augen aus!« Und damit flatterten sie von oben herunter und stachen auf die Augen der zwei Schurken los, bis sie sie herausgehackt hatten. Dann machten sie sich auf und davon, und die Elenden kamen im Walde durch Hunger und Not um.


Mórín

Es war einmal vor langer Zeit eine arme Witwe. Wenn das der Fall war, so war es oft und kommt auch wieder vor. Diese hier hatte drei Töchter, von denen zwei schon erwachsene junge Weiber waren, die dritte aber noch kleiner und jünger. Ihr hatten sie den Namen Mórín gegeben. Sie mußte täglich die Ziegen weiden, die der alten Frau gehörten.

Die Mutter nun liebte Mórín viel zärtlicher als irgendeine andere der Töchter, und diese hegten deswegen Neid und Groll gegen die Jüngste sowohl wie gegen die Mutter. War diese nicht zu Hause, dann zankten sie mit der kleinen Schwester und schlugen sie. Die



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Mutter bekam das heraus. Es bekümmerte und betrübte sie tief. Allabendlich, wenn Mórín mit den Geißen heimkehrte, sah sie die Mutter weinen. Sie glaubte, daß die Schwestern sie ebenfalls schlecht behandelten. So hatten die beiden ein trauriges Leben und konnten sich nicht erinnern, je einmal ein freundliches Wort von den zwei älteren Mädchen bekommen zu haben. Diese wünschten, daß die alte Frau, ihre Mutter, stürbe und ihnen nicht mehr im Wege stünde.

Eines Tages beratschlagten sie, wie sie sie umbrächten. Es kam dazu, daß sie einen großen Kessel voll Wasser aufs Feuer setzten. Als die alte Mutter fragte, zu welchem Zweck sie das taten, antworteten sie, es geschehe, um sie zu waschen. Als das Wasser kochte, ergriffen sie die arme alte Frau und stießen sie hinein. Dann ließen sie den Kessel zugedeckt, bis sich Blut und Fleisch von ihren Knochen gelöst hatten. Darauf nahmen sie die Knochen heraus und versteckten sie hinten im Gärtchen beim Hause.

Am Abend kehrte Móirín mit den Geißen heim. Als sie eintrat, sah sie ihre Mutter nicht wie gewöhnlich in der Ecke sitzen. Sie blickte sich rings im Hause um, entdeckte aber keine Spur von ihr. »Wo ist die Mutter?«fragte sie ihre beiden Schwestern. »Das wissen wir doch nicht!« erwiderten sie. »Vor langer Zeit ging sie aus, irgendwohin.«

Móirín aß nun Abendbrot. Dann eilte sie gleich wieder hinaus, um nach der Mutter auszuschauen. Aber sie konnte sie weder unten noch oben, weder hinten noch vorn entdecken. Sie ging wieder ins Haus, um nochmals die Schwestern nach der Mutter zu fragen. Sie antworteten ihr barsch, daß sie es nicht wüßten und daß es ihnen gleich sei. Móirín fing an zu weinen und sagte, sie hätten der Mutter etwas Böses angetan. Sie gaben ihr zur Antwort, sie sollte lieber schweigen; es wäre möglich, daß sie mit ihr sonst dasselbe machten. Aus den Worten, die sie fallenließen, schloß Mórín, daß die Mutter grausam behandelt worden war. Sie ging überallhin, um nach ihr zu suchen. Und endlich, ganz zuletzt, da fand sie die von den Schwestern versteckten Knochen an der betreffenden Stelle. Nun zweifelte sie nicht mehr, daß dies die Knochen der Mutter waren. Sie las all



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die kleinen Knochen in ihre Schürze und trug 1 sie hinunter ins Gärtchen am Hause. Und dort weinte sie sich aus. Dann verwahrte sie sie. Kein Tag verging, an dem sie nicht den Ort aufsuchte und bei den Knochen Tränen vergoß. Eines Tages, als sie auch wieder getrauert hatte und die Knochen fortlegen wollte, sah sie plötzlich an deren Stelle in der Schürze ein junges Kätzchen liegen. Sie erschrak. Aber das Kätzchen sagte zu ihr: »Hab keine Angst. Ich tu dir nichts zuleide, ich will dir nur Gutes tun. Und nun«, sprach es weiter, »komm mit mir! Hier bei deinen Schwestern ist deines Bleibens nicht. Sie könnten dir auch Schlimmes zufügen wie deiner Mutter.« Beide machten sich auf den Weg. Als sie die Stadt lange hinter sich hatten, gelangten sie an das Haus eines Edelmannes.

»Hier sind wir!«sprach das Kätzchen. »Geh in das Haus jenes Edelmannes und verdinge dich dort als Magd, was für Lohn sie dir auch geben. Du wirst die Arbeit eines Aschen- oder Entenmädchens zu verrichten haben. Wenn du Rat brauchst, komm hierher, da wirst du immer welchen finden. Jedenfalls stelle dich diesen kommenden Freitag hier ein.«

Mórín ging und verdingte sich im Hause des Edelsmannes als Magd. Sie hatte die Asche auszuziehen und nach den Enten zu sehen. Sie tat schnell ihre Arbeit und stellte sich gut an. Jeder im Hause war freundlich zu ihr, besonders auch die andere Dienerschaft. Denn sie war gefällig und tat, was man ihr auftrug, wenn sie ihre Arbeit fertig hatte. So verging die Zeit bis zum Freitag. Da machte sie sich auf den Weg, um das Kätzchen zu treffen. Es erwartete sie schon an der Stelle, wo sie sich getrennt hatten.

»Nun?«fragte das Kätzchen. »Wie gefällt dir deine Stelle?« »Gut«, erwiderte Móirín, »sehr gut.«

»Nun also«, begann das Kätzchen, »morgen wird hier in der Nähe Markt sein und jeden zweiten Sonnabend darauf. Der Platz dazu ist ein großer, umfriedeter Anger mit Torwegen. Die Hausbewohner hier werden morgen allesamt zu Markte ziehen. Dich wird man daheim lassen, um das Haus zu hüten. Wenn sie nun ein Weilchen 

1 Vom Erzähler vergessen, daß sie dort schon waren.



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fort sein werden, kehrt der junge Herr noch einmal zurück und fragt nach seinen Handschuhen, die er vergessen hat. Er wird dir sagen, du sollst sie ihm geben. Nimm ein hübsches weißes Tuch, und darin gib sie ihm. Und wenn dies alles geschehen ist, komm zu mir!«

Alles traf so ein. Mórín ging ins Haus und besorgte ihre gewohnte Arbeit, die Asche und die Enten. Als der Sonnabend kam, machten sich die Hausbewohner für den Markt zurecht und brachen auf. Nur die arme Mórín blieb zurück. Der junge Edelmann war erst kurze Zeit fort, da kehrte er noch einmal zurück. Er hatte seine Handschuhe vergessen. Als er ins Haus trat, sprach er:

»Ach, Mórín, ich vergaß meine Handschuhe. Sieh doch, ob du sie für mich finden kannst.«

»Ja gewiß«, sagte sie, ging hin und holte ein hübsches weißes Leinentuch. Darin wickelte sie die Handschuhe und reichte sie ihm.

»Das ist nett von dir, Mórín«, sagte er, stieg aufs Pferd und ritt zum Markt. Als er ein Weilchen fort war, begab sie sich zum Kätzchen.

»Nun?«fragte dies. »War alles, wie ich es dir sagte?«

»Ja, genauso!«

»Und tatest du alles, wie ich dich hieß?«

»Ja.«

»Gut!«sprach das Kätzchen, ging hin, zog eine Binse aus einem in der Nähe liegenden Bündel und schuf daraus ein wunderschönes Kleid in Silberfarbe und alles, was zum Anzug sonst noch gehörte, vom Kopf bis zu den Füßen. Das Kätzchen befahl dann Móirín, die Sachen anzulegen, nahm eine zweite Binse und schuf daraus ein falbes Roß. Das war so schnell, daß es den vorausjagenden Wind einholte und nie vom Wind eingeholt werden konnte. Möirfn mußte nun aufs Pferd steigen. Das sollte sie zum Markte bringen und wieder heim, ohne eine Führung.

»Nimm nun den Weg zum Marktanger, und wenn du wieder ans Tor zurückkommst, wird dich der junge Herr dort erwarten und sagen: >Darf ich fragen, woher Ihr kommt?< Antworte ihm: >Aus Handschuhstadt!<und komm unverweilt heim! Ich will inzwischen das Haus bewachen, bis du zurück bist.«



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So geschah es. Mórín stieg auf, ritt fort und kam zum Markt. Als sie quer darüber ritt, blickte jeder auf sie hin. Keiner wußte, wer diese hübsche, vornehme Frau war. Besonders beobachtete sie der junge Herr, wie sie zum Tore hereinschritt und wieder hinaus. Er versäumte nicht, vor ihr am Tor zu sein und sie, als sie hindurchritt, zu fragen: »Woher kommt Ihr, wenn ich fragen darf?« — »Aus Handschuhstadt!« Und fort war sie! Der junge Edelmann sprang aufs Pferd und setzte ihr nach, um mehr von ihr zu erkunden. Doch das war umsonst. Sie war ihm aus den Augen, noch ehe er zu Pferde saß.

Mórín kam heim. Das Kätzchen erwartete sie und fragte, ob alles so ausgefallen wäre, wie es am Morgen vorhergesagt hatte. Mórín sagte ja. Das Kätzchen nahm ihr Pferd und Kleider ab und befahl ihr, wieder die alten Sachen anzuziehen. Keinem sollte sie verraten, daß sie auf dem Markte gewesen war.

Jetzt kehrten Diener und Herrschaft zurück. Der junge Edelmann war sehr niedergeschlagen, daß zwischen ihm und der vornehmen Jungfrau auf dem Markte keine Unterhaltung zustande gekommen war. Die Dienerschaft kam zu Móirín und berichtete ihr: »Ach, Mórín, wer heute nicht auf dem Markt war, der versäumte etwas!« »Was denn?«fragte sie.

»Wirklich«, sagten sie, »heut war die schönste und feinste Dame dort, die je ein Mensch sah, und keiner kann's sagen, wer sie war und woher sie kam. Und der junge Herr ließ kein Auge von ihr, solange sie da war!«

»So, wirklich«, meinte Móirín gleichgültig.

»Hör, Móirín«, sagten sie, »du mußt nächsten Sonnabend zum Markt und sie sehen. Eins von uns kann an deiner Stelle das Haus hüten.«

»Ich gehe sicher nicht hin«, antwortete Móirín. »Ich habe kein Verlangen nach eurem Markt.«

Jeder ging nun seiner Wege und seiner Arbeit nach, bis der Sonnabend herankam. Móirín hatte nicht vergessen, am Freitag das Kätzchen aufzusuchen. Es sagte: »So steht die Sache. Alle ziehen morgen wieder zu Markt und überlassen dir die Sorge fürs Haus. Der junge



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Herr wird diesmal die Sporen vergessen und danach umkehren. Tu alles wie am letzten Sonnabend und komm dann zu mir!«

So geschah es. Alle gingen zu Markte, nur nicht Mórín. Der junge Herr war kaum ein Stück vom Hause fort, so merkte er, daß er seine Sporen vergessen hatte. Er kam zurück und sagte zu Móirín: »Ach, Móirín, ich vergaß meine Sporen. Sieh doch, ob du sie finden kannst, sei so gut.«

»Gern«, sagte sie, suchte danach, nahm ein hübsches weißes Linnentuch, tat die Sporen darein und gab sie ihm. Er ritt nun zum Markt, und sie begab sich zum Kätzchen.

»Nun?«fragte dies. »Traf alles ein, wie ich gesagt hatte?« »Ja, genauso«, antwortete Mórín.

»Und tatest du, was ich dir auftrug?«

»Ja.

»Gut«, sagte das Kätzchen, ging zu einem Haufen Binsen, zog eine heraus und verwandelte sie in Gewänder, die noch viel schöner waren als die vom vergangenen Sonnabend.

»Nun zieh sie an!«

Und Mórín tat das gern! Das Kätzchen lief abermals zu dem Bündel und zog eine zweite Binse heraus. Davon machte es wieder ein falbes Roß. Das Kätzchen hieß Mórín aufsteigen und zu Markte reiten. Sie sollte sich verhalten wie am vergangenen Sonnabend. »Der junge Herr wird dir wieder am Tore begegnen und dich fragen: >Woher seid Ihr, wenn ich fragen darf?<Sage ihm: >Aus Sporenstadt!< und eile fort.

Mórín tat alles folgsam. Noch ehe sie auftauchte, schauten alle Augen nach ihr aus. Jeder wollte sehen, ob die vornehme Jungfrau vom vergangenen Sonnabend wiederkäme. Wer da nun alles aufpassen mochte oder nicht -jedenfalls blickte sich auch der junge Edelmann nach ihr um. Und bald sahen sie auch, daß eine vornehme Frau auf das Markttor zukam. Sie dünkte ihnen noch schöner zu sein als am vorigen Sonnabend. Sie ritt quer über den Markt hinweg. Und als sie wieder durchs Tor hindurch kam, verfehlte der junge Edelmann nicht, vor ihr dort zu sein, um sie anzureden: »Woher seid Ihr, wenn es erlaubt ist zu fragen?« — »Aus Sporenstadt!« war die Ant



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wort. Und fort war die Schöne und seinen Augen entschwunden. Er gab sich die größte Mühe, sie einzuholen und mehr von ihr zu erkunden. Doch umsonst. Er bekam sie nicht mehr ein. Mórín kehrte nach Hause zurück. Sie war schnell wieder da, und das war leicht für sie.

Das Kätzchen wartete schon, nahm ihr Pferd und Kleider ab wie am Sonnabend zuvor. Es befahl Móirín zu schweigen und ruhig ihrer Arbeit nachzugehen. Am nächsten Freitag sollte sie sich wieder bei ihm einstellen.

Die Zeit verging, bis die Dienerschaft vom Markte heimkehrte. Sie kamen auf Mórín zu:

»Nein, Móirín!« riefen sie. »Wer heut nicht auf dem Markte war, hat etwas versäumt! Eine vornehme Dame war wieder da. Noch schöner war sie als letzten Sonnabend! Nächstesmal mußt du hin, ob du willst oder nicht. Eins von uns bleibt dann für dich hier und hütet das Haus.«

»Wirklich, ich gehe nicht«, antwortete Mórín. »Mich verlangt gar nicht danach. Ein Mädchen wie ich ist auch kein schöner Anblick, zerlumpt wie ich bin! Redet mir nicht zu. Damit habt ihr kein Glück.«

Da ließen sie sie allein. Sie war ja so eigensinnig! Jeder ging seiner Arbeit nach, bis die Woche um war und der Freitag kam. Mórín suchte wie gewöhnlich das Kätzchen auf. Dies erzählte ihr, es würde alles so kommen wie am letzten Sonnabend. Nur morgen würde der junge Herr seine Peitsche vergessen. Sie sollte sie ihm reichen wie die Handschuhe und Sporen und dann wieder zu ihm hinkommen, nachdem er fort sei.

Mórín kehrte heim und tat ihre Arbeit bis zum Sonnabend. Alle außer ihr zogen zu Markte. Sehr bald kam auch der junge Herr wieder zurück und hatte die Peitsche vergessen.

»Ach, Mórín, sieh doch zu, ob du meine Peitsche finden kannst. Sei so gut!«

Móirín ging, nahm wieder ein Tuch und reichte ihm die Peitsche darin. Er ritt fort, und sie ging zum Kätzchen.

»Tatest du alles, was ich dir geheißen?« »Ja.«



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»Gut«, sprach das Kätzchen, lief zu einem Haufen Binsen, zog eine heraus und brachte Gewänder, die waren von Regenbogenfarbe. Mórín mußte sie anziehen.

Das Kätzchen nahm eine zweite Binse, und wieder hatte es daraus das falbe Roß geschaffen.

»Nun steig auf!« sagte das Kätzchen. »Begib dich zum Markte. Nimm wieder den Weg über den Anger. Und wenn du am Tore herauskommst, erwartet dich schon der junge Edelmann. Fragt er dich, woher du kommst, so sage ihm: >Aus Peitschenstadt!< —Er nahm sich vor, heut nicht von dir zu weichen, ohne bessere Kunde erlangt zu haben. Er wird versuchen, deinem Roß in die Zügel zu fallen. Doch das wird ihm mißlingen. Statt dessen aber wird er deinen Fuß fassen und deinen Schuh in der Hand behalten. Beachte das nicht weiter, sondern kehre so schnell wie möglich heim. Ich werde dich erwarten.«

So geschah alles. Móirín begab sich zum Markte, und bei ihrer Ankunft blickte jeder auf sie. Alle meinten, das wäre die allerschönste Frau, die sie je sahen. Besonders der junge Edelmann ließ kein Auge von ihr, wie sie über den Markt dahinritt. Er verfehlte nicht, sie am Tore zu erwarten. Er drängte sich dicht an sie heran und fragte: »Woher seid Ihr, wenn's erlaubt ist zu fragen?« — »Aus Peitschenstadt«, erwiderte sie im Weiterreiten. Indem sie zum Tore hindurchsprengte, versuchte er, ihrem Pferde in die Zügel zu fallen. Das gelang ihm nicht, sondern statt dessen hatte er ihren Fuß gefaßt und ihr den Schuh abgezogen. Sie entschwand und ließ ihn mit dem Schuh zurück. Er betrachtete ihn und sprach:

»Ich gelobe mir, keine andere Frau zu heiraten als diejenige, der dieser Schuh paßt!«

Mórín kam heim. Das Kätzchen erwartete sie und fragte: »Fiel alles aus, wie ich's gesagt habe?«

»Ja, genauso!« antwortete Mórín. Wie sonst nahm ihr das Kätzchen Pferd und Kleider ab. Die Zeit verging, die andern kehrten heim. Die Dienerschaft eilte zu Móirín.

»Nein, Mórín!«riefen sie, »heut versäumtest du etwas für allezeit.« —»Was denn?« —»Ach«, sagten sie, »heut war die schönste Frau auf



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dem Markte, die je ein Menschenauge erblickte. Und gerade als sie zum Tore hinausritt, versuchte der junge Herr ihr in die Zügel zu fallen. Aber das mißlang ihm, und statt dessen zog er ihr den Schuh ab. Und den hat er nun.« — »Meiner Treu! Was er wohl davon hat!« meinte Mórín achtlos und ging der Arbeit nach, die ihr aufgetragen war.

So war alles ganz gutgegangen.

Am nächsten Tage ließ der junge Edelmann ausrufen, alle jungen Mädchen der Umgegend sollten herbeikommen. Er wollte sehen, ob irgendeiner von ihnen der Schuh paßte. Die wollte er dann heiraten. Er setzte auch einen bestimmten Tag zu der Probe fest. So geschah es: Nur fünf oder sechs von ihnen kamen immer auf einmal. Sie hatten sich für den Tag vorbereitet. Einige hatten sich die Zehenspitzen abgeschnitten, andere die Hacken abgeschabt. Mit Mórín aber tat man folgendes: Man steckte sie in eine Truhe; denn da sie nur Lumpenkleider anhatte, wollte man sie nicht in dem Aufzuge sehen lassen. Das wäre für alle Hausbewohner eine Schande gewesen.

Bei der allgemeinen Anprobe stellte es sich im Verlaufe des Tages heraus, daß der Schuh für alle Frauen, die kamen, zu klein war. Als eine Weile vergangen war, hüpfte das Kätzchen auf die Truhe und rief:

»Miau! Miau!
Mórín in der Truhe
Paßt der Schuh genau!«


***
»Prügelt die elende Katze dort!« sagte jemand zu den Leuten des Hauses. Man schlug sie, und sie sprang von der Truhe. Als wieder jemand den Schuh anprobierte, sprang sie auf die Truhe und rief:
»Miau! Miau!
Móirín in der Truhe
Paßt der Schuh genau!«


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***
»Haut sie, die jaulende Katze!« sagte jemand. Der Katze wurde ein Tritt versetzt, und sie flüchtete in eine Ecke.

Die letzte der Frauen versuchte den Schuh anzuziehen. Aber vergeblich. Er war ihr zu klein. Indem sprang die Katze wieder auf die Truhe und rief:

»Miau! Miau!
Mórín in der Truhe
Paßt der Schuh genau!«


***
»Haut sie durch, die greuliche Katze dort!« sagte jemand zu den Hausbewohner n.

»Nein, tut das nicht!« sagte der Edelmann. »Ich höre der Katze schon eine ganze Weile zu. Vielleicht hat sie recht. Bringt einmal Mórín her und probiert ihr den Schuh an!«

Die Truhe wurde geöffnet.

»Komm her, Móirín! Versuche du, den Schuh anzuziehen!« Sie tat es. Aber es war ihr unangenehm. Sie schämte sich in ihren schlechten Kleidern vor den fremden Leuten. Aber sie hatte kaum den Fuß in den Schuh gesteckt, so saß er ihr wie angegossen. Jeder wunderte sich, daß er ihr paßte, und sehr viele junge Mädchen beneideten sie.

»Nun Móirín«, sprach der junge Edelmann, »dich will ich zur Frau haben, und ich schenke dir den Schuh. Und ihr alle«, wandte er sich an die andern, »geht nur nach Hause!«

Und so geschah es.

Am nächsten Morgen wollte der junge Edelmann, daß ihn Mórín begleitete. Sie sollten verheiratet werden.

»Wartet ein Weilchen«, bat sie. »Ich muß mich vorbereiten. Ich denke, in den alten Kleidern darf ich doch nicht mit Euch zur Hochzeit gehen.«

»Ich weiß nicht, ob du etwas anderes hast«, meinte der junge Edelmann.

»Oh, ich habe ein paar hübsche Kleider«, sagte sie, »und ich glaube, sie dienen mir.«



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Nun ging Mórín zum Kätzchen. Es gab ihr zuerst die Schühchen:

»So, hier!« sagte es. »Jetzt kannst du zu deiner Hochzeit!«

»Ja«, sagte Mórín.

»Mag es dir wohl ergehen«, sprach das Kätzchen. »Ich freue mich, daß du endlich zu Glück und Wohlstand kommst.« Damit lief das Kätzchen zum Binsenhaufen, zog eine Binse heraus und machte daraus das Kleid, das Móirín am letzten Sonnabend getragen hatte, das wunderschöne regenbogenfarbige. Móirín mußte es anziehen, und das Kätzchen zog noch eine Binse heraus und gab ihr das falbe Roß.

»Und nun, Mórín«, sprach das Kätzchen, »weißt du, wer ich bin?« »Nein, sicher nicht«, sagte Móirín.

»Ich bin deine Mutter. Und von heute ab wirst du mich nie wiedersehen. Aber ich werde dir vielleicht noch beistehen, ohne daß du es merkst. Ich werde dir zwei Kräfte lassen, ehe ich von dir scheide. Dein Fingerhut wird täglich Honig tropfen und die Vogelschar dir täglich ein Lied singen. Und hier das falbe Roß und jenes Kleid schenke ich dir.«

Dann hieß sie Móirín aufs Roß steigen und sich zum Hause des jungen Edelmannes begeben. »Denn«, meinte sie, »er wird schon auf dich warten.«

Das Kätzchen wünschte ihr dann Heil und Segen, und Móirín nahm voll Trauer und Tränen Abschied. Sie ging und fand den jungen Edelmann schon bereit. Als er sie kommen sah, riß er die Augen auf vor Staunen. Er hatte nicht gemeint, daß Mórín die Frau war, der er an jenem Tage den Schuh ausgezogen hatte. Und jetzt, da er sie in derselben Kleidung und Ausrüstung erblickte, fielen ihm die Antworten jener vornehmen Fremden ein, die sie ihm bezüglich der Handschuhe, der Sporen und der Peitsche gegeben hatte. Nun wußte er, sie und Mórín waren dieselbe. Da war er glücklich. Sie gingen zusammen hin und ließen sich trauen. Dann kehrten sie heim und waren froh und glücklich fast das ganze Jahr hindurch. Da aber hörten Móiríns Schwestern, wie gut es ihr ging, und sie wurden von Neid erfüllt. Sie ließen sich nahe dem Orte, wo sie wohnte, nieder, hatten aber nichts Gutes im Sinn.



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Die Zeit verging. Und Móirín kam in die Wehen. Sie schickte an ihre Schwestern eine Botschaft. Die älteste von ihnen kam und ließ die Hebamme rufen. Der junge Edelmann sagte zur Schwägerin, er wollte auf der Wiese auf und ab gehen und warten, bis sie ihm Nachricht geben würde.

Mórín brachte einen hübschen Knaben zur Welt. Aber die Schwester kam und sagte der Hebamme, sie hätte das Kind irgendwie falsch behandelt. Und dann bestach sie sie, um den andern zu sagen, das Kind sei tot. Darauf ging die Schwester hin zum Edelmann. Er fragte, was sie für Botschaft brächte. »Ganz gute«, gab sie zur Antwort, »nur das Kind ist tot.«

»Das schadet ja nichts«, meinte er. »Solange es der Mutter gutgeht, ist mir das gleichgültig. Nehmt nun das Kind fort und bestattet es.« Die Schwester kehrte zurück und nahm das Kind, ohne daß es jemand sah. Nun war das Haus nahe am Meer gelegen, und da warf sie das Kind ins Meer. Eine Woche später ging sie heim.

Mórín war sehr bekümmert um das tote Kind. Ihr Mann versuchte sie aufzuheitern und sagte, statt bekümmert und traurig zu sein, sollte sie dankbar sein, daß sie gesund sei.

Nun geschah es, daß Mórín nach geraumer Zeit abermals in die Wehen kam. Die Schwester verfehlte nicht zu kommen und ließ auch die Hebamme rufen. Mórín bekam wieder einen Knaben, und die Schwester bestach die Frau wie beim erstenmal. Wie damals wartete der junge Edelmann draußen auf der Wiese auf Botschaft. Als die Schwester zu ihm trat und er sie fragte, wie es ginge, sagte sie: Ganz gut, aber das Kind sei tot. Wieder meinte er, daß sei ihm kein Kummer, solange es seiner Frau gutginge. »Und«, fuhr er fort, »nehmt das Kind fort und schafft es an einen stillen Ort!«

Darauf kehrte die Schwester zu Mórín zurück, nahm das Kind, ohne daß es wer im Hause merkte, und warf es auch ins Meer. Als Mórín wieder gesund war, kehrte die Schwester nach Hause zurück.

Soweit ging alles gut, bis Mórín abermals in die Wehen kam, und die Schwester verfehlte auch nicht, sich wieder einzustellen. Um nun die Geschichte kurz zu machen: Sie und die Hebamme verübten dieselbe



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Tat wie zuvor, und das dritte Kind ward ins Meer geworfen gleich den andern. Als der Edelmann die Nachricht erhielt, es sei tot, war er nicht verwundert. Er sagte nur, da wäre nichts zu machen, und da es der Mutter gutginge, sei es ihm auch gleichgültig.

Als die Schwester merkte, daß es ihr mißlang, den Mann und Mórín zu entzweien, überlegte sie, was sie noch versuchen könnte. Sie blieb eine Woche lang dort, bis Móirín aufstand und ziemlich wiederhergestellt war. Dann sagte sie eines Tages zu ihr: »Ich führe dich hinaus, und wir gehen unten am Meer spazieren. Das wird dir guttun.«

»Ja, mir ist's recht«, sagte Mórín, und beide machten sich auf den Weg zum Meere hinunter. Sie wandelten an der Küste entlang. Da trat die Schwester neben sie auf die Landseite, stieß sie gegen die Schulter und warf sie in die See hinab. Danach lief sie wie entsetzt von diesem Erlebnis zum Edelmann und rang klagend die Hände. »Was ist dir?«fragte er.

»O weh!« rief sie. »Ich wandelte mit der Schwester längs der Küste, bis wir auf die Klippe von Cordal kamen. Wir blickten ins Meer hinunter. Ein Schwindel packte sie, oder irgend etwas befiel sie, und sie stürzte in die See.«

Der Edelmann und alle, die ihm helfen wollten, eilten zur Klippe. Sie nahmen Boote und Kähne und suchten alles ringsum ab. Vergeblich! Von Móirín war nichts zu entdecken, sie war weder lebendig noch tot zu finden. Da mußten sie es aufgeben und heimkehren. Der Edelmann war unglücklich und voller Verzweiflung. Aber die Schwester ging nach Hause und war sehr mit sich zufrieden, daß mit Móirín ein Ende gemacht war. Es verging nun eine lange Zeit. Der Edelmann wurde ganz verstört von Unruhe. Da kam es ihm in den Sinn, ob er nicht besser täte, wieder zu heiraten. Er schickte der Schwester, die Móirín gepflegt hatte, Botschaft und ließ anfragen, ob sie gewillt sei, ihn zu heiraten. Sie gab wie zögernd ihr Jawort und sagte, sie wolle ihn heiraten wegen seiner großen Liebe zu Mórín. Er führte sie nun als seine Frau heim.

Die Sache schien soweit ganz gut. Einige Tage waren vergangen. Da ging einer der Knechte des Edelmanns ans Meer hinab. Und da erblickte er mitten auf dem Meere die Frau. Sie hielt ein Kind an der



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Brust, während zwei andere Knaben bei ihr Bälle übers Meer hinschleuderten. Der Bursche staunte. Das Weib aber sprach ihn an:
»Ach Knecht, du bester, den je einer hatte, sag mir's:
Tropft deiner Herrin Fingerhut Honig?
Singen die Vögel ihr Lieder?«


***
»Die Vögel singen ihr keine Lieder«, sprach er, »und meiner Herrin Fingerhut tropft nicht Honig.« Ehe er Zeit hatte, noch mehr hinzuzufügen, entschwanden sie seinem Blick. Er begab sich heim und berichtete seinem Herrn, was er soeben erlebt hatte. Er wiederholte auch die Worte der Frau.

»Ach, sei doch vernünftig«, sprach der Herr. »Dich haben irgendwelche Fieberphantasien befallen.«

Am nächsten Tage geschah es, daß der Knecht denselben Weg ging. Und da erblickte er Weib und Kinder an derselben Stelle wie am Tage zuvor. Wieder stellte ihm die Frau jene Fragen, und der Knecht gab ihr die gleiche Antwort. Dann entschwanden sie seinem Blick. Er begab sich heim und berichtete seinem Herrn, was er gesehen und gehört hatte. »Und«, fügte er bei, »ich sah nie jemand, der Mórín so ähnlich war wie diese Frau.«

»Ach, schweig und sei verständig, du Tor!« sagte sein Herr. Der Knecht ging seiner gewohnten Arbeit nach und kam am dritten Tage an dieselbe Stelle am Strande. Da erblickte er abermals die Frau mit den Kindern draußen auf dem Meere wie die beiden Tage vorher. Wieder redete sie ihn an und stellte jene zwei Fragen, und er gab die gleiche Antwort. Dann kehrte er heim und erzählte seinem Herrn, was er gesehen und gehört hatte. »Und«, sagte er, »ich schwör's beim heiligen Buch: Es war Mórín.«

»Nun«, sagte der Herr, »vielleicht sahst du wirklich etwas. Ich will dich dorthin begleiten, wo du Frau und Kinder erblicktest.« Er eilte hinab. Als er sie sah, wußte er genau: Es war Mórín! Sie begrüßte ihn. Da nahm er ein Boot oder irgendein Fahrzeug und fuhr ins Meer hinein. Er zog sein Weib und seine drei Söhne aus dem Wasser und brachte sie an Land.



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Auf dem Heimwege fragte er Móirín, wie es kam, daß sie nicht ertrunken war. »Und«, fragte er, »sind denn hier deine drei Kinder, von denen mir gesagt war, sie seien tot, wieder ins Leben zurückgekehrt?«

»Ja«, sagte sie. »Ich habe dir eine lange Geschichte zu erzählen, von Anfang bis zu Ende. Sie ist zu lang für den Weg. Zu anderer Stunde erzähle ich dir alles.«

»Ich will nicht nach Hause, bis du es mir erzählt hast.«

Da begann sie und erzählte ihm alles, wie die Schwestern sie behandelt hatten, als sie noch zu Hause war, wie sie ihre Mutter schrecklich umgebracht hatten, und zuletzt von dem Kätzchen. »Nun weiß ich«, sagte sie, »meine Schwestern haben mich immerwährend verfolgt, bis mich die eine oben von der Klippe ins Meer hinabstieß.«

»Halt!« rief er. »Was sagst du da? Deine Schwester stürzte dich ins Meer, wahrhaftig?«

»Ach, es ist so wirklich«, sagte Móirín, »und meine Söhne vor mir, die alle drei lebten und . .

»Oh! Oh!«rief er. »Warte eine Weile. Ich bleibe keine Sekunde fort von dir.«Und er eilte ins Haus. Móirín meinte schon, er sei wahnsinnig geworden und könnte unterwegs etwas anstellen.

Im Hause angelangt, befahl er, die Schwester zu fesseln und ins Meer zu stürzen, von derselben Klippe, von der sie Mórín warf. Zugleich befahl er, die andere Schwester holen zu lassen und mit ihr dasselbe zu tun. Denn er befürchtete, auch sie könnte ihnen noch Unheil zufügen. Man tat nach seinem Befehl. Dann kehrte er zurück zu seiner Frau und seinen drei Söhnen und holte sie heim.

Nicht lange, so verbreitete sich das Gerücht über Mórín und ihre zwei Schwestern in der ganzen Gegend, und als die Hebamme von dem Schicksal der beiden Schwestern Móiríns hörte, verließ sie so schnell, wie sie konnte, die Gegend und wurde dort nie mehr gesehen, nicht lebendig und nicht tot.

Und von da an lebte der Edelmann mit Móirín gesund und glücklich, ohne Kummer und Herzeleid. Und nie wurde er müde zuzuhören, wenn Móirín erzählte, wie sie und ihre drei Söhne im Meere gerettet wurden.



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Der Pfeifer und der Puka

In alter Zeit lebte in Dünmor in Gaiway ein halb närrischer Mensch. Obwohl er sehr die Musik liebte, konnte er doch nichts weiter lernen als ein einziges Lied, und das war »Der schwarze Schurke«. Er bekam eine Menge Geld von den feinen Leuten geschenkt; denn die hatten ihren Spaß an ihm. Einmal, am Allerheiligenfest, am 1. November, kehrte der Dudelsackpfeifer von einem Tanzlokal heim und war halb betrunken. Als er auf eine kleine Brücke nahe beim Hause seiner Mutter kam, drückte er auf den Dudelsack und begann den »schwarzen Schurken« aufzuspielen.

Da schlich sich der Puka von hinten an ihn heran und warf ihn auf seinen Rücken. Lange Hörner hatte der Puka, und der Pfeifer hielt sich daran fest. Dabei schrie er: »Du verwünschtes garstiges Vieh! Laß mich heim! Ich habe zehn Penny für meine Mutter, und sie braucht ungeheuer viel Schnupftabak!«

»Ach was! Kümmere dich nicht um deine Mutter«, sprach der Puka, »sondern halte dich fest! Wenn du fällst, brichst du dir das Genick mitsamt dem Dudelsack.«

Alsdann sagte der Puka zu ihm: »Spiel mir das Lied auf: >Das arme alte Weib<.«

»Das kann ich nicht«, antwortete der Pfeifer.

»Laß dich das nicht kümmern, ob du's kannst«, versetzte der Puka.

»Spiel auf, ich will's dir schon beibringen!«

Der Pfeifer zog den Wind in seinen Dudelsack und machte eine Musik, die ihn selbst in Staunen setzte.

»Auf mein Wort! Du bist ein feiner Musiklehrer!« sagte der Pfeifer.

»Doch nun sag mal, wohin willst du mich eigentlich schleppen?«

»Im Feenhause oben auf Cruach Phadraic gibt's heute nacht ein Fest«, sprach der Puka, »und da soll ich dich hinbringen, um dort aufzuspielen. Ich gebe dir mein Wort darauf, du wirst belohnt für deine Mühe.«

»Auf mein Wort, du sparst mir eine Reise!« sagte der Dudelsack-1 

1 Patrics Hügel.



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pfeifer. »Pater William erlegte mir eine Bußfahrt auf nach Patrics Hügel, weil ich ihm beim jüngstvergangenen Martinsfest einen weißen Gänserich stahl.«

Der Puka schleppte ihn über Berge und Moore, bis er mit ihm oben auf Patrics Hügel angelangt war. Dort nun stampfte der Puka dreimal mit dem Fuße auf, und es öffnete sich eine große Tür. Sie traten in ein schönes Zimmer. Mitten darin erblickte der Pfeifer einen goldenen Tisch, und darum saßen Hunderte von alten Weibern.

Als der Puka mit dem Dudelsackpfeifer eintrat, erhoben sich die alten Weiber und sagten:

»Sei hundertmal willkommen, Allerheiligen-Puka! Wen bringst du mit?«

»Den besten Dudelsackpfeifer von Irland!« sprach der Puka. Eins der alten Weiber stampfte auf die Erde. Da öffnete sich eine Tür in der Seitenwand. Wen sah der Pfeifer da herauskommen?

Es war der weiße Gänserich, den er vom Vater William gestohlen hatte!

»Bei meinem Gewissen!«sprach der Pfeifer. »Ich selber und meine Mutter, wir aßen jeden Bissen von jenem Gänserich dort auf, außer einem Flügel. Den gab ich der Roten Marie. Und sie hat's dem Priester erzählt, daß ich ihm den Gänserich stahl!«

Der Gänserich schob den Tisch fort, und der Puka sprach zum Pfeifer: »Nun spiele den edlen Damen auf zum Tanze!«

Der Pfeifer begann aufzuspielen, und die alten Weiber begannen zu tanzen, und sie tanzten, bis sie erschöpft waren.

Dann sprach der Puka: »Nun lohnt den Pfeifer ab!«

Jedes alte Weib zog ein Goldstück heraus und reichte es dem Dudelsackpfeifer.

»Beim Zahne des heiligen Patric!« sagte er. »Jetzt bin ich reich wie der Sohn des Gutsherrn!«

»Komm nur«, sprach der Puka. »Ich will dich heimschaffen.«

Sie gingen hinaus, und als er sich auf den Puka setzte, um zu reiten, kam der Gänserich an und gab ihm einen neuen Dudelsack.

Der Puka war nicht lange unterwegs, so langte er mit ihm in Dünmör an. Auf der kleinen Brücke setzte er den Pfeifer ab. Dann sagte



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er zu ihm: »Nun geh heim! Jetzt hast du zweierlei, was du vorher nicht besaßest: Verstand und Musik.«

Der Pfeifer kehrte nach Hause zurück, und indem er bei seiner Mutter an die Tür klopfte, rief er: Laß mich ein! Ich bin so reich wie der

Gutsherr! Und ich bin der beste Dudelsackpfeifer in Irland.«

»Betrunken bist du«, sagte die Mutter.

»Ganz wahrhaftig nicht!« erwiderte der Pfeifer. »Ich trank nicht einen Tropfen.«

Die Mutter ließ ihn herein, und er gab ihr die Goldstücke.

»Nun warte, bis du mich gehört hast, wie ich Musik mache«, sagte er.

Er blies den neuen Dudelsack auf. Aber statt Musik drang ein Gekreisch daraus, als ob sämtliche Gänse und Gänseriche von Irland zusammen spektakelten. Es jagte die Nachbarn aus dem Schlafe auf, und sie belustigten sich über ihn, bis daß er den alten Dudelsack ansetzte. Damit machte er ihnen liebliche Musik. Danach erzählte er ihnen alles, was er in jener Nacht erlebt hatte.

Als die Mutter am andern Morgen nach den Goldstücken guckte, war alles Gold nichts als Laub von Kräutern.

Der Pfeifer machte sich auf und ging zum Priester, um ihm alles zu erzählen. Aber der glaubte ihm kein Wort, bis er den Dudelsack ansetzte und das Gans- und Gänserichgekreisch anhub.

Da sprach der Priester: »Geh mir aus den Augen!« Aber er tat dem Pfeifer nichts weiter, und der setzte nun den alten Dudelsack an, um dem Priester zu beweisen, daß seine Geschichte wahr sei. Er blies den Dudelsack und machte eine liebliche Musik.

Von dem Tage an bis zu seinem Tode gab es im Bezirk Galway keinen so guten Dudelsackpfeifer wie ihn.


Die Seejungfrau oder der große Dubhdach

In alten Zeiten, bevor der heilige Patric nach Irland kam, waren hier die Heiden. Sie hatten eine Menge Töchter, die ihre Väter überaus liebten. Das kam so. Als das Gerücht umlief, daß der wunderbare



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Patric über die heidnischen Kleinkönige herrschen würde, mochten diese nicht die Oberhoheit des Heiligen dulden. Sie versammelten sich und brachten ihre Töchter nach mis Eisgir Abhann 1 in Sligo. Da gerieten die Mädchen unter Zauberbann und trieben ins Meer hinaus. —Dies aber wurde vom Vater dem Sohne erzählt und von einem Jahrhundert dem anderen überliefert bis auf den heutigen Tag, daß jener Stamm unten im Meere lebte. Die Ursache aber, weswegen die heidnischen Töchter verbannt wurden, ist diese: Der kleine Schweinehirte Patric ward als ein Fremder angesehen, und die Heiden fürchteten, wenn er die Oberhand in Irland hätte, würde er das Land mit Fremden überschwemmen, und sie mochten nun nicht, daß ihre Töchter von den Eindringlingen geheiratet würden. Die alten Leute im Lande sind so sicher, daß diese Menschen im Meere leben, geradeso wie davon, daß sie Haare auf dem Kopfe haben.

Es war gut und war nicht schlecht. —Nun herrschte zu jener Zeit ein Oberkönig über die Heiden in der Landschaft Sligo. Er hieß Culfogach und besaß eine Tochter. Sie war auch unter denen, die ins Meer hinausgingen. Ihr Vater war tief betrübt beim Abschied. Als schon alle andern außer ihr fort waren und er sich beeilte, ihr die Zauberhülle überzuwerfen, zerriß ihr diese halb bei dem Sprung ins Meer. Weil nun die Kapuze zerrissen war, haftete an ihr nicht soviel Zauber wie an den andern Jungfrauen. Sie konnte deshalb nicht bis auf den Meeresgrund gehen, sondern verweilte immer auf den Wellen. Hin und wieder suchte sie den Strand auf und kämmte sich das Haar.

Es war gut und war nicht schlecht. — Nachdem die Heiden schon lange Zeit unter der Erde lagen, erzählten sich die Leute im Lande von dem schönen Mädchen im Meere. Wenn sie die Jungfrau oben auf einer Klippe zur Ebbezeit erblickten, dann meinten sie, sie wäre eine Königin im Vergleich zu allen andern Frauen.

Nun lebte zu jener Zeit auf mis Eisgir Abhann eine Familie, die zu 1 

Heute Enniscrone.



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den edelsten des Landes gehörte. Das Gerede der Leute über die Seejungfrau drang auch zu ihnen, und oft wanderten sie hinab an die Küste in der Hoffnung, einen Anblick von ihr erhaschen zu können. Aber es gelang ihnen nicht. So trieben sie es lange Zeit hindurch, bis zwei von ihnen starben und nur der Jüngste übrigblieb. Gott fügte es, daß er eines Tages draußen herumschweifte und bis zum Klippenrand wanderte. Da sah er weit aufs Meer hinaus, und ihm war, als erspähte er etwas, das sich oben auf den Wellen wiegte. Nach einem kleinen Weilchen schien es ihm, als wäre es die Gestalt eines Weibes. Sie näherte sich der Küste.

Bei Gott, er war nicht faul, sich hinter der Klippe zu verbergen und zugleich einen verstohlenen Seitenblick auf das Strandgut zu werfen, das zur Küste trieb. Nicht lange, und er sah sie auf die Klippe steigen, die von der Flut umspült war. Sie warf die Hülle ab. Danach zog sie einen Kamm aus ihrem Busen und begann sich zu kämmen. Niemals sah der große Dubhdach mit seinen Augen ein schöneres Weib als dies. Er stand auf aus seinem Versteck, kam auf den Zehenspitzen näher, ohne daß sie es merkte, und hielt hinter ihr an. Er griff nach der Hülle und lief mit ihr fort. Als sie hinter sich das Geräusch seiner Füße vernahm, hob sie sich vom Boden und wollte ins Meer hinaus. Doch da sie ihre Hülle nicht übergestreift hatte, konnte sie nicht zurück in die See. Denn ohne die Hülle besaß sie keine Zauberkraft.

Als sie ihre Lage bedacht hatte, begann sie Dubhdach mit ihrem Zeigefinger zuzuwinken und ihm anzudeuten, ihr die Hülle zurückzugeben. Doch er hätte sich davon nicht getrennt, und hätte er sein Leben dafür lassen müssen. Er lief aus Leibeskräften davon, weil er genau wußte, daß sie gezwungen war, ihm zu folgen. Und, bei Gott, als sie Dubhdach mit der Hülle forteilen sah, da erkannte sie, daß es keinen gab, der sie beklagte und ihr half. So schnell ihre Sohlen sie trugen, lief sie hinter ihm her und folgte ihm in sein Haus.

Als Dubhdach sie bei sich drinnen hatte, versteckte er die Hülle. Er scheute sich, sie zu vernichten, denn er dachte sich, daß in der Hülle Zauberkraft steckte und daß, wenn er sie zerstörte, ihm ein Unglück zustoßen würde. Dauernd flehte sie ihn um die Hülle an. Aber es



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half ihr nichts. Er gab ihr eine Dienerin und ließ sie aufs beste unterweisen. Ober kurz oder lang verstand sie es, so gut Garn zu spinnen wie nur je eine Hausfrau, und in der ganzen Umgegend gab es kein so angenehmes und wohigesittetes Weib wie sie.

Da meinte Dubhdach, sie wäre eine Frau, wie sie sich für ihn ziemte, und er heiratete sie alsobald. Vierzehn Jahre lang lebten sie glücklich und froh zusammen, und Gott schenkte ihnen drei Söhne. Der älteste war schon dreizehn Jahre alt, da ging Dubhdach eines Tages draußen ins Gärtchen, und seine Kinder liefen hinter ihm drein. Er ging an die Gartenmauer hinüber, zog drei oder vier Steine aus der Seitenwand, steckte seine Hand hinein und nahm die Hülle heraus, um zu sehen, öb sie verrottet war. Als er sie beschaut hatte, legte er sie wieder zurück, und da die Kinder zusammen spielten, glaubte er, sie hätten gar nicht Obacht gegeben auf das, was er getan hatte.

Aber, bei Gott, der älteste Sohn war viel schlauer, als der Vater ahnte. Er hatte beobachtet, wie der Vater aus der Mauer etwas Blankes hervorzog. Bei Gelegenheit erzählte er der Mutter, was er im Gärtchen gesehen hatte. Sie dachte sich sofort, daß es die Hülle war. Sie erheuchelte eine Krankheit, und Dubhdach liebte sie so herzlich, daß er sonst etwas für sie vom Himmel heruntergeholt hätte, um sie nur zu heilen, und bei Gott, sie schickte ihn auf eine lange Reise. Er mußte zu Fuß hingehen und von der Südseite des Neifinnberges eine Handvoll Ochsenzungenkraut für sie schneiden. Schnell machte er sich auf, das Kraut zu holen. Kaum war sie ihn los, ging sie in das Gärtchen, zog die Steine aus der Mauer und fand die Hülle. Sie war noch ebenso neu wie an dem Tage, als sie sie abgeworfen hatte. Lange hatte sie sich danach gesehnt.

Sie hielt sich nicht lange auf, sondern nahm ihre drei Söhne und eilte mit ihnen an die See hinaus. Doch da sie für ihre Kinder keine Kapuzen hatte, schlug sie jedes mit ihrer eigenen Kapuze und verwandelte sie in drei große Steinklippen, etwa zwanzig Meter vom Lande entfernt.

Nachdem Dubhdach das Kraut gefunden hatte, war er bald auf dem Heimwege. Als er ins Haus trat, war es öde. Nur die Dienerin war da. Er fragte sie nach seiner Frau und seinen Kindern. Sie erzählte



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ihm, was sie gesehen hatte und daß sie fortgeeilt waren unten zum Strande hin. So schnell er konnte, folgte er ihnen. Als er an den Rand der Klippe gelangte, sah er sie schon weit draußen auf dem Rücken der Wellen. Er rief ihr zu und bat sie, wieder heimzukehren.

»Leb wohl«, sagte sie. »Du hast mich nun für immer verloren. —Und siehst du dort draußen im Meer die drei Steinklippen stehen?«fragte sie.

»Ja«, erwiderte er.

»Das sind deine drei Söhne«, sprach sie. »Ich habe sie verzaubert. Und solange Irland in Gewalt und Oberhoheit von Fremdlingen aus andern Ländern sein wird, sollen jene drei Steinklippen deutlich sichtbar sein. Und wenn das Volk Irlands seine Herrschaft über sein eigenes Land haben wird, schwinden jene Klippen von Tag zu Tag dahin, bis sie das schärfste Auge eines Lebenden nicht mehr sieht.« Dubhdach mußte heimkehren. Sein Herz war voller Kummer und Trauer. Immer sehnte er sich nach seinem Weibe und nach seinen Kindern. Er lebte nicht mehr lange danach, sondern starb; und als er verschied, da hörte man sieben Meilen rundum allnächtlich am Gestade das Klagen von hundert Menschen, und das währte noch bis zu einem Vierteljahr nach seinem Tode.

Diese Geschichte ist noch heutigen Tages im Munde der Leute lebendig, von Dubhdach und dem Volk des Meeres, mit dem er verbunden war, und von jenen Klippen, von denen ich euch erzählte. Zwei von ihnen sind seit vierzehn Jahren verschwunden, und jetzt, hörte ich, ist auch die dritte fortgespült. Ich wollte, unser Irland wäre frei von heute an und immerdar, und wir wären wieder blühend und glücklich wie einst mit

Zwingburgen ohne Dach,
Und Festungen ohne Turm,
Obwohl die Kraft der Dubhdachs
Gebrochen worden war.


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Der Berg der lichten Frauen

Vor langer Zeit, als in Irland Fionn mit der Fenierschar herrschte, ereignete sich etwas im Zusammenhange mit dem Hügel, welcher der Frauenhügel heißt. In diesen wurde ein Teil der jungen Frauen verzaubert, die hübschesten, die es zu jener Zeit in Irland gab. Dort drinnen im Berge war ihnen ein herrlicher Feenpalast eingerichtet, und sie selbst wurden hineingebracht und wohnten dort. Sie waren alle gleich, und alle waren Feen. Nur wenn sie sich zu zeigen wünschten, waren sie sichtbar. Seit jener Zeit lebten sie immer in dem Hügel. Sie wurden nicht alt und gebrechlich im Laufe der Zeit. Ab und zu ließen sie sich sehen, und wer je ein Auge auf sie warf, vergaß zeitlebens ihren Anblick nicht. Da sie nun manchmal dort erschienen, ward der Hügel »Der Berg der lichten Frauen« genannt. Vordem hieß er Sliabh-Feimhin 1 .

Einige von den lieblichen Jungfrauen pflegten auch zuweilen zu erscheinen, um Gutes zu tun. Doch nicht immer waren sie segensreich. Sie richteten auch manchmal Unheil an.

Wenn in der Gegend dort eine junge hübsche Maid aufwuchs, geschah es manchmal, daß sich eine der Feenfrauen dieser zeigte, um sie zu entführen. Wenn das Mädchen dann in den Feenpalast gelangt war, pflegten sie sie als Gefangene zu behalten und statt ihrer ein unnützes verkümmertes Wesen zu ihrer Familie zurückzuschicken, das eine Zeitlang elend und verkümmert dort lebte und schließlich starb.

Nun geschah es vor langer Zeit, daß dies auch an einem Orte nicht weit von dem Feenhügel passierte. Ein dort wohnender Edelmann hatte eine Tochter. Das Kind war zwölf Jahre alt geworden und war so schön, so lieblich und reizvoll, daß es jedem, der es ansah, schwerfiel, sein Auge von ihr zu wenden. Ein jeglicher nun, der ein Wort zum Lobe ihrer Schönheit sagte, pflegte sie anzuspucken, um sie dadurch den Feen zu verleiden und sie vor der Gefahr zu schützen, von ihnen verschleppt zu werden. Das Kind selbst war heftig 

1 Frauenberg.



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erbost, wenn es bespuckt wurde. Und kein Wunder! War doch mancher von den Leuten nicht übermäßig sauber.

Eines Tages nun lobte sie ein altes Weib und vergaß, sie anzuspukken. An demselben Tage erblickte das Mädchen eine der lichten Frauen vom Berge und erkrankte. Nach Verlauf von einigen Tagen war es jedem klar, daß nicht sie selbst es war, die da im Bette lag, sondern daß man sie entführt hatte und an seiner Stelle ein unnützes Wesen ohne Wert lag. Nach einer gewissen Zeit starb dieser Wechselbalg. Jedermann war bekümmert und traurig. Aber der Kummer und die Trauer der andern war nichts im Vergleich zu dem Jammer des Vaters und der Mutter des Kindes. Sie waren überzeugt, daß ihre eigene Tochter, das schöne Mädchen, an dem ihr Herz hing, nun gestorben war. Oh, die weisen, klugen Leute dort, die wußten es wohl: Der Wechselbalg war gestorben, und das Mädchen war entführt worden!

Nun wohnte damals am südlichen Bergabhang eine Frau. Sie war Spinnerin, und rings vom Lande wurde ihr die Wolle gebracht. Diese hatte sie zu kämmen und zu reinigen, zu kratzen und zu spinnen. Hatte sie dann den Faden aufgewickelt zu einem hübschen, runden, festen Ballen, so trug sie ihn den Leuten, denen er gehörte, zum Gebrauche hin. Er wurde nun zum Weber gebracht, der ihn zum Tuchweben verwandte. Darauf machte der Schneider daraus einen Männerrock für den Hausherrn oder einen Mantel, oder die Hausfrau nähte sich selbst einen Kittel daraus. Jeder, der den neuen Rock am Herrn des Hauses oder den Mantel an der Frau erblickte, pflegte dann zu sagen: »Möge er gut halten und lange getragen werden!«

Zuweilen hatte die Spinnfrau mehr Wolle, als sie im Laufe des Tages kämmen, kratzen und spinnen konnte. Dann geschah es, daß die Leute sie fragten, warum sich die Arbeit so verzögerte. In diesem Falle verbrachte die Spinnfrau wohl einen Teil der Nacht bei der Arbeit und versuchte, sie bei einem Nachtlicht fertigzubekommen, um so das Versäumte einzuholen. Oft, wenn sie so viel zu tun hatte und sehr gedrängt war, blieb sie einen großen Teil der Nacht auf, um zu arbeiten.



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Einmal, als sie ebenfalls wieder während der Nacht arbeitete und alle Welt sonst schlief, hörte sie ein Geräusch, als ob sich Leute ihrer Türe näherten. Sie öffnete, und herein traten sieben Frauen. Alle zusammen trugen irgendeine Last in den Händen. Als die Spinnerin genau auf sie und auf ihre Last blickte, bemerkte sie, daß sie eine Frau schleppten, und diese war entweder tot oder besinnungslos. Die fremden Frauen trugen sie ins Zimmer und legten sie auf die Erde hin.

Die Spinnerin war von ihrem Platz aufgesprungen und hatte die Arbeit hingeworfen.

»Ist sie tot?«fragte sie.

»Nein«, antwortete eine von ihnen. »Sie hatte nur einen Schwächeanfall.

Die Spinnfrau ging eilig, um ein Heilmittel zu holen, das sie im Hause hatte. Die Ohnmächtige wurde aufgehoben und ans Feuer gelegt. Und als die Spinnerin das Heilmittel an ihr versuchte, dauerte es nicht lange, so kam sie wieder zu sich. Sie erholte sich so weit, daß sie sich auf stützte. Sie trank einen Schluck, den ihr die Spinnfrau reichte, und aß auch etwas von der gebotenen Nahrung. Doch kein Wort kam aus ihrem Munde. Die Spinnerin redete zwar mehrfach auf sie ein, während sie aß. Aber sie erhielt keine Antwort. Als sie vollständig zu sich gekommen war und wieder gut und ruhig atmete, sprach die Spinnerin zu ihr:

»Strecke dich ein Weilchen hier aus aufs Bett. Dann werden dir die Kräfte wiederkehren.«

Sie tat es.

Da sprach eine der sieben Frauen zu der Spinnerin:

»Frau mit dem Wollzeug!
Wenn du die Wolle bekommst,
Wir kämmen, kratzen.
Wenn wir dir helfen, ist's leichter.«

Bei diesen Worten ergriff sie einen Teil vom Wollhaufen und machte sich sich daran, Wolle zu kämmen und zu kratzen.



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Indem sie die Worte sagte: »Wenn wir dir helfen, ist's leichter«, blickte sie ein anderes Weib aus der Siebenschar an. Dieses sagte dann dieselben Worte her:

»Frau mit dem Wollzeug!
Wenn du die Wolle bekommst,
Wir kämmen, kratzen.
Wenn wir dir helfen, ist's leichter.«

Diese Frau blickte ebenfalls eine dritte an, und diese wiederholte dieselbe Rede:

»Frau mit dem Wollzeug!
Wenn du die Wolle bekommst,
Wir kämmen, kratzen.
Wenn wir dir helfen, ist's leichter.«

Sie blickte die vierte an, und diese sprach dasselbe. So setzten sie es fort, bis alle sieben in bestem Zuge waren, zwei von ihnen kämmten, zwei kratzten, eine spann, und zwei wickelten auf. So arbeiteten sie flugs fort.

Die Spinnfrau beobachtete sie und sah die schöne Arbeit, die sie zustande brachten. Sie war erfreut. Sie sah, wie der große Haufe Arbeit, den sie vor sich gehabt hatte, wacker dahinschwand, wie die hübschen Knäuel sich mehrten, und war hoch beglückt. Auch erkannte sie, daß die hier gelieferte Arbeit etwas Besseres war, als sie selbst zustande bringen konnte. In ihre Freude mischte sich Verwunderung: Das Kämmen ging besser - gerade wie wenn es die weichste Wolle wäre. Das Kratzen ging besser -gerade wie wenn es die glatteste Wolle wäre. Das Spinnen ging besser -gerade wie wenn die Fäden von einer Dicke wären, ohne eine Unebenheit, einen Knoten darin, Fäden, nicht dicker, nicht dünner, als es sich gehörte, ohne Verdünnung des Gespinstes, nicht zu fein, nicht zu grob, sondern hübsch glatt und eben, gleichmäßig stark.

Ungemein freute sie sich im Anblick der Arbeit, denn sie erkannte



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ihre Vortrefflichkeit und wußte, daß die Besitzer der Wolle an solchem Faden Gefallen finden würden, sobald sie ihn sahen. Als sie eine Weile also zugeschaut hatte, überwältigte sie die Müdigkeit, und sie fiel sanft in Schlaf.

Sie erwachte erst, als es heller Tag war. Sie besann sich und blickte umher. Kein Mensch war außer ihr im Hause. Die Siebenschar war fort. Sie sah nach dem Bett hin -da lag niemand. Sie suchte überall, ob der große Haufe Wolle noch da war. Doch kein bißchen mehr war davon übrig, sondern statt dessen fand sie einen prächtigen Riesenknäuel fertig vor. Daran erkannte sie, daß die sieben Frauen wirklich die Arbeit getan hatten und nach getaner Arbeit fortgegangen waren. Sie hatte währenddem geschlafen. Indem sie sich noch darüber wunderte und sich alles ins Gedächtnis zurückrief, mußte sie sich sagen, daß ihre Augen nie schönere Frauen gesehen hatten als jene sieben. Aber die hübscheste war doch die achte Frau gewesen, die auf ihr Bett gelegt worden war. Alle zusammen - nämlich die Siebenschar - waren gewiß über alle Maßen lieblich, bis sie sich die eine Frau auf dem Bett recht lebhaft vorstellte. Ja, die sieben wären wunderhübsch, wenn sie allein nur dagewesen wären. Jedoch neben der einen auf dem Bett waren sie häßlich. Wer mochte sie nur sein, jene, die dort gelegen hatte? Warum hatte sie die Schwäche überfallen? Warum hatte sie kein Wort geredet? Was mochte sie in die Lage gebracht haben? Sie schien gar nichts mit den andern zu tun zu haben. Vielleicht hatte eine von jenen sie irgendwo draußen in dem Zustande der Besinnungslosigkeit gefunden, und sie hatten sie hereingebracht, um sie aus ihrer Ohnmacht zu wecken.

So zerbrach sich die Spinnerin über das Geschehnis den Kopf. Aber es gelang ihr nicht, Anfang oder Ende dazu zu finden. Sie mußte es aufgeben.

Es geschah nach einiger Zeit, daß sie wiederum einen Haufen Wolle zu kämmen und zu kratzen, zu spinnen und auf zuwickeln hatte. Sie war in Sorge, die Spinnarbeit nicht rechtzeitig für die Leute, die sie damit beauftragt hatten, fertigzubekommen. Sie verbrachte den Tag vom frühen Morgen an bei der Arbeit. Doch als die Nacht hereinbrach, war eine Menge noch nicht bewältigt. Sie holte ein Licht und



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bereitete sich für die Nachtarbeit vor. Sie hatte das Licht angezündet und beugte sich über ihre Arbeit. Sie war noch nicht lange dabei, als die Tür aufging und eine Frau eintrat. Übers Haupt hatte sie die Kapuze ihres Mantels gezogen. Sie trat heran an die Spinnerin, tauchte beide Hände in die Wolle und sprach:
»Frau mit dem Wollzeug!
Wenn du die Wolle bekommst,
Wir kämmen, kratzen.
Wenn wir dir helfen, ist's leichter.«

Sie hatte nur das kleine Verschen gesagt, da trat die zweite Frau herein, tauchte beide Hände in die Wolle und sprach dann dieselbe Halbstrophe. Nicht lange, und sie hatte die ganze Siebenschar bei sich im Hause. Sie hatten die Hände in Wolle getaucht und waren wacker beim Werk. Die Spinnerin wußte wohl, wen sie vor sich hatte, und freute sich sehr. War sie doch sicher, nun würde es nicht lange dauern, bis die Arbeit geschafft war, und gute Arbeit!

Die Frauen blieben am Werk, bis die letzte gekratzte Wolle zum Faden gesponnen, der letzte Faden auf den Knäuel gewickelt und dieser zu dem ganzen Haufen Wollbälle geworfen war, die in der Ecke aufgestapelt lagen.

»Ich bin euch sehr dankbar, edle Frauen«, sagte die Spinnerin. »Ich wüßte nicht, wann ich all die Arbeit fertigbekommen hätte, wenn ich sie allein hätte leisten müssen. Ich bin euch sehr dankbar.«

»Es ist richtig, sich erkenntlich zu zeigen, gutes Weib«, sprach die Frau, die zuerst eingetreten war. »In jener vergangenen Nacht, als wir hier waren, erwiesest du uns einen Dienst. Wir hätten das nicht machen können, was du uns tatest. Für uns wiederum ist's leichter und weniger, dir zu Hilfe zu kommen. Wer kann wissen, ob wir nicht abermals deine Hilfe brauchen.«

»Und für mich ist's leichter und bedeutet's weniger, jene Hilfe zu leisten, wann immer sie not tut«, erwiderte die Spinnerin.

Sie erhoben sich alle zusammen, zogen die Kapuzen ihrer Mäntel über die Köpfe und gingen hinaus.



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Die Arbeit war so gut gemacht, daß schließlich ihre Vortrefflichkeit in der ganzen Gegend bekannt wurde. Dadurch mehrten sich die Aufträge, die die Spinnerin bekam. Die Wolle wurde ihr in großen, schweren Haufen zugeschleppt. Und als sie so viel zu tun hatte und nicht imstande war, alles zu schaffen, auch mit der Nachtarbeit nicht, kam die Siebenschar und tat das Werk für sie.

Schließlich rückte die Zeit heran, in der es sich um jenes Kind handelte, von dem vorhin die Rede war. Es war die Zeit, als es zum Kummer der Eltern todkrank darniederlag. Damals ging das Gerücht um unter den klugen Leuten, daß es überhaupt nicht das eigene Kind wäre, sondern daß dies entführt sei und im Bett an seiner Stelle ein Wechselbalg läge. Und dann kam die Zeit, als das Geschöpf starb. In jener selben Nacht kam die Siebenschar zur Spinnerin ins Zimmer. Sie hatten ein Mägdlein bei sich und trugen es alle zusammen herein, gerade wie damals.

»Jetzt brauchen wir deine Hilfe, freundliche Frau«, sagte die erste der sieben, die gewöhnlich das Wort nahm.

Die Spinnerin sprang auf sie zu und nahm das Mädchen in ihre Arme. Es schien ihr entweder tot zu sein, oder es lag in so tiefer Ohnmacht, daß es den Eindruck machte, es würde sich nicht mehr rühren. Kaum hatte sie einen Blick darauf geworfen, so hatte sie es erkannt: Es war das entführte Kind! Aber die Spinnerin ließ sich beileibe nicht anmerken, daß sie das Mädchen kannte. Sie schleppte es tief in ihre Stube und streckte es auf ihrem Bette aus. Dann bog sie sich nieder, wie um es aus seiner Ohnmacht zu erwecken, wie damals bei dem ersten Mädchen. Sie hatte etwas bei sich, das Schlafdorn heißt. Denjenigen, dem solche Nadel ins Haupt gesteckt ward, befiel ein totenähnlicher Schlummer, aus dem er nicht eher aufwachen konnte, bis ihm die Schlafnadel wieder herausgezogen wurde.

Die Spinnerin steckte den Schlafdorn in den Kopf des Mädchens, ohne daß die Siebenschar etwas merkte. Diese war inzwischen emsig dabei, zu kämmen, zu kratzen und zu spinnen, während sie damit beschäftigt schien, das Kind aus einer Ohnmacht zu wecken. Darüber verging die Nacht. Als schließlich der Tag kam, war das Mädchen noch nicht zu sich gekommen und auch kein Anzeichen vor-



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handen, daß es bald aufwachen würde. Die Siebenschar war in eifriges Geflüster vertieft. Als sie ihre heimliche Unterredung beendet hatten, sprach die erste Frau von ihnen, die nämliche, die stets das Wort ergriff:

»Frau des Hauses«, sprach sie, »wir müssen fort. Gib gut acht auf jenes Mädchen. Wir werden heute zu dir zurückkommen, sobald es Nacht wird. Bis dahin wird sie wohl aus ihrer Ohnmacht erwacht sein. Gib gut auf sie acht, und du wirst guten Lohn dafür erhalten.« »Ich werde es tun, edle Frauen«, sagte die Spinnerin. Dann gingen sie fort.

Der Tag kam. Sobald es hell geworden war, zog die Frau dem Mädchen den Schlafdorn aus dem Kopfe. Sofort kam es zu sich und zu klarer Besinnung. Sie stand auf und erkannte die Spinnfrau. Dann erzählte sie. Ein Trank war ihr eingegeben worden, durch den sie die Besinnung verloren hatte. Sie wußte dann nicht mehr, wo sie war, bis sie jetzt zu sich kam und sich auf dem Bette der Spinnerin fand. Diese reichte ihr etwas Speise und Trank. Sobald sie dann gegessen und getrunken hatte und sich stark genug fühlte, um zu laufen, zog ihr die Spinnfrau eigene Kleidungsstücke von sich an und zog ihr ihre Mantelkapuze übers Gesicht, damit keiner sie sehen konnte. Dann traten beide hinaus und gelangten zum Hause der Angehörigen des Mägdleins. Die Spinnerin berichtete dem Vater und der Mutter den ganzen Vorgang von Anfang bis zu Ende. Sie verstanden alles. Große Freude bemächtigte sich ihrer, und das war nicht zu verwundern. Sie waren der Spinnerin überaus dankbar und sagten ihr einmal übers andere, daß sie ihr vergelten wollten, was sie ihnen getan hatte.

Sie kehrte nach Hause zurück und erwog in ihren Gedanken, welchen Bescheid sie den edlen Frauen geben sollte, wenn sie kommen würden. Sie dachte nicht, daß die beste Antwort für sie war, das Mädchen sei von selbst aus der Ohnmacht zu sich gekommen und nach Hause gegangen.

Als die Nacht hereinbrach, blieb sie auf und wartete. Der Anfang der Nacht ging hin. Sie kamen nicht.

Es wurde Mitternacht. Sie waren noch nicht gekommen.



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Der Schlaf befiel sie, wie sie am Herdfeuer saß. Doch sie kamen nicht. Es war Tag geworden, ohne daß sie dagewesen waren.

Ein Tag verging, zwei vergingen. Eine Woche verstrich, ein Monat. Sie kamen nicht. Das Jahr ging hin. Da sagte sie sich, nun würden sie nicht mehr kommen.

Zwei Jahre waren seitdem verstrichen. Die Spinnfrau saß bei ihrer Arbeit und hatte sehr viel Wolle vor sich, zu kämmen, zu kratzen und zu spinnen. Die Nacht war hereingebrochen, und sie hatte eine Kerze angezündet für die Nacht. So war sie dabei, die Nacht bei der Arbeit zu verbringen.

Die Klinke wurde bewegt. Die Tür ging auf, und herein zu ihr trat jene erste Frau. Sie hatte ihre Mantelkapuze so tief über den Kopf gezogen, daß die Spinnerin nur ihre beiden Augen sehen konnte. Aber diese glühten sie voll und scharf an. Sie trat auf die Wolle zu, tauchte beide Hände darein und sprach:

»Frau mit dem Wollzeug!
Wenn du die Wolle bekommst,
Wir kämmen, kratzen.
Wenn wir dir helfen, ist's leichter.«

Kaum hatte sie das letzte Wort gesprochen, so trat die zweite Frau ein, die Kapuze übers Haupt gezogen und mit zwei Augen im Kopf, die rot unter der Kapuze glühten. Sie ging auf die Wolle zu, tauchte ihre Hände darein und sprach dieselben Worte. So traten sie nacheinander ein, bis es dreimal neun waren. Schnell machten sie sich ans Werk.

Entsetzen packte die Spinnerin. Doch sie ließ es sich nicht merken. Sie war dessen gewiß, daß jene etwas Böses vorhatten. Sie war auf ihrer Hut.

Schließlich sprach eine von ihnen, jene erste Frau, die immer das Wort ergriff:

»Erhebe dich, Frau des Hauses!«sagte sie, »mache uns Feuer an! Die Nacht ist kalt!«

Die Nacht war nicht kalt, und auf dem Herde brannte sogar ein gutes



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Feuer. Doch sie erhob sich und legte Torf aufs Feuer. Sie tat, als ob sie sehr erfreut wäre über die Arbeit, die sie so tüchtig betrieben. »Setze den großen Kessel dort aufs Feuer, Weib!«sagte die Sprecherin. »Wir haben Durst und Hunger.«Es war ein riesiger großer Kessel. Man hätte einen Menschen da hineinstecken können und lebendig kochen.

Als der Kessel auf dem Feuer stand, hub die Frau von neuem an: »Geh!«sprach sie. »Bring Wasser und gieße es in den Kessel! Das Feuer ist jetzt sehr heiß.«

Die Spinnerin beobachtete, daß alle zusammen flüsterten und heimlich lachten. Sie tat aber, als merke sie gar nichts. Sie nahm den Krug und ging hinaus zum Brunnen, brachte den Krug mit Wasser herein und goß es in den Kessel. Zwanzig Krüge konnten nicht den Kessel füllen. Sie tat, als ob sie sich sehr beeilte, wenn sie zum Brunnen lief und wiederkehrte, gerade als suchte sie den Kessel so schnell wie möglich zu füllen.

Als die Frauen ihre Eilfertigkeit sahen, flüsterten und lachten sie fortwährend miteinander. Man konnte gar nicht glauben, daß sie etwas Böses im Schilde führten. Nachdem die Spinnerin eine reichliche Anzahl Krüge mit Wasser vom Brunnen hereingeholt hatte, lief sie hinaus, um wieder einen zu holen. Beim Hinausgehen meinte sie: »Es wird mir nicht zuviel, mich immer mehr zu beeilen, edle Frauen. Ihr müßt ja sonst sterben vor Hunger und Durst, ehe ich den Kessel voll habe.«

Sie machte, daß sie hinauskam, und lief, bis sie so weit von der Tür entfernt war, daß man das Geräusch ihrer Füße nicht mehr vernehmen konnte. Dann hielt sie an, warf ihre Schuhe ab und kam zurück, ohne ein Geräusch zu machen.

Als sie nahe an der Tür war und dahinter stand, spitzte sie die Ohren, um zuhören, ob sie redeten. Sie hörte: »Bald ist er voll genug!« Das sagte die Frau, die immer das Wort führte.

»Was machen wir dann, Königin?«fragte eine von den andern. »Wir stecken sie hinein und brühen sie bei lebendigem Leibe. Wir wollen schon einen Schlafdorn in sie stecken, der lange Zeit nicht herausgeht!« So sprach die erste.



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Als die Spinnerin das vernommen hatte, schlich sie sich zurück an die Stelle, wo sie Krug und Schuhe gelassen hatte. Sie zog die Schuhe an und lief herum auf die andere Seite des Hauses. Da machte sie Mund und Lungen weit auf und stieß einen Schrei aus, hoch und scharf, einen Schrei, der eine Meile ringsum zu hören war.

»Nachbarn! Oh! Oh!«schrie sie. »Lauft! Lauft! Lauft! Der Berg der lichten Frauen steht in Flammen! Der Berg der lichten Frauen steht in Flammen! Der Berg der lichten Frauen steht in Flammen!«

Die dreimal neun im Hause vernahmen den Schrei und Ruf und Lärm. Sie warfen die Arbeit aus der Hand und machten sich auf und davon. Nacheinander liefen sie zur Tür hinaus und den Hügel hoch, so schnell sie ihre Füße trugen.

Die Spinnerin selbst hatte sich zur Erde geworfen, bis sie alle von der Tür entfernt waren. Dann lief sie in die Stube, schloß die Türe, drehte den Schlüssel um im Schloß, legte einen Bann auf den Schlüssel, damit die Türe geschlossen bliebe. Sie legte die Feuerzange auf den Kaminvorsatz und sagte Beschwörungen darüber, daß sie sich nicht vom Fleck rühren konnte. Sie hieb einen Axthieb in den Holzklotz und sagte einen Bann über das Beil, sich nicht von der Stelle zu bewegen. Jedes Ding tat sie solcherweise an seinen Platz und sprach darüber einen schweren Bann aus, es sollte sich nicht von der Stelle rühren. So hatte sie sich mit Beschwörungsformeln gesichert.

Als sie das letzte Stück also festgemacht hatte, vernahm sie, daß die vornehmen Frauen an die Türe kamen. Eine von ihnen suchte die Türklinke zu öffnen - es gelang ihr nicht. An der Türe war ein Schloß.

»Offne die Tür, Frau mit dem Wollzeug!« sagte ein Weib von draußen.

»Nein«, gab die Spinnerin zur Antwort. »Denn sonst würde ich in den Kessel gesteckt.«

»Offne! Öffne! Schlüssel des Schlosses!« rief eine Frau von draußen.

»Ich kann nicht!« antwortete der Schlüssel. »Ich stecke im Schloß und bin unter festem Bann, daß die Türe geschlossen bleibt.«

»Öffne! Offne! Feuerzange mit dem langen Griff!«rief es draußen.



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»Ich kann nicht«, antwortete die Feuerzange. »Ich bin an Ort und Stelle beim Feuer, und mein Kopf ist am Kaminhaken. Harter Bann hindert mich, daß ich mich vom Fleck rühre.«

»Offne! Öffne! Axt!« rief ein Weib.

»Ich kann nicht«, sagte die Axt, »ich bin an meinem Platz, und mein Mund hat ins Holz gefaßt. Schwerer Bann hindert mich, daß ich mich von der Stelle rühre.«

»Offne! Öffne! Knäuel!« rief ein Weib.

»Ich kann nicht«, sprach das Knäuel. »Hier bin ich, wo ich hingehöre, wo du mich ließest. Schwerer Bann hintert mich, daß ich mich von der Stelle rühre, bis daß man ihn von mir nimmt. Du hast mich selbst an den Fleck hier gebunden, als du mich von dir warfest.« »Öffne! Öffne! Spinnrad!« sagte draußen ein Weib.

»Ich kann nicht«, gab das Spinnrad zur Antwort. »Auf mir liegt die Treibschnur. Ich kann mich nicht fortrühren ohne deren Erlaubnis.«

»Öffne! Öffne! Treibschnur!« rief ein Weib.

»Ich kann's nicht«, sagte die Schnur, »ich bin am Rad und kann es nicht tun, ohne die Spindel zu verwickeln.«

So blieben sie dabei, alle Dinge anzurufen, die drinnen waren. Jedes Stück forderten sie auf, zu öffnen, hatten aber kein Glück damit, denn es war alles durch Beschwörung fest an seinen Ort gebannt. Zuletzt fiel ihnen etwas ein, das nicht durch Zauber gebannt werden konnte, solange es sich im Hause befand: Denn dort war nicht sein Ort. Aber die Spinnerin war fürsorglich, sie wußte, daß sie etwas nicht beschwören konnte, das nicht drinnen seinen Platz hatte. Das war das Fußwasser. Da sie das nicht bannen konnte, hatte sie es zur Türe hinausgegossen, noch ehe sie diese schloß.

»Öffne! Öffne! Fußwasser!« rief ein Weib.

»Ich kann nicht«, gab das Fußwasser zur Antwort. »Ich bin ja hier unter deinen Füßen im Dunghaufen.«

Nach jener Antwort vom Fußwasser wußten sie, daß sie überwunden waren. Zornig gingen sie auf und davon und sind seitdem irgendwo im Berge geblieben. Nie hörte ich, daß sie je von dort oben wiedergekehrt seien.



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Der hinterlistige Adler

Es war einmal ein König in Irland, der hatte einen einzigen Sohn. Als die Knechte eines Morgens aufgestanden waren, entdeckten sie, daß die Scheune voller verschiedenartiger Vögel war. Sie berichteten dies dem König. Er befahl ihnen, die Vögel ungestört zu lassen. Er wollte selbst aufstehen und hingehen. Sie gehorchten.

Der Königssohn schlief noch, aber das Gespräch weckte ihn. Er hörte die Unterhaltung mit an, stand schneller auf als sein Vater und kleidete sich an. Er blickte durch das Fenster und sah alle Vögel beisammen. Er suchte seine Büchse hervor, gab einen Schuß ab und verwundete einen Adler am Fuß.

Als der Vater aufgestanden war, sah er den lahmen Adler. Er fragte ihn, was ihm zugestoßen sei und ob es möglich sei, ihn zu heilen. »Dein Sohn hat mich verwundet«, antwortete er, »und mich werden nur sieben fette Kühe in sieben Jahren heilen.«

»Das ist nichts Besonderes«, sprach der König, »du sollst sie haben, solange du es wünschest.«

Darauf befahl der Adler jedem, der am Hofe war, er solle für eine Weile hinausgehen, ausgenommen der Königssohn.

Sie taten es, und als alle draußen waren, befahl der Adler dem Königssohn, auf seinen Rücken zu steigen. Er tat es und war nicht imstande, wieder herunterzusteigen; denn indem brachte ihn der Adler nach dem Osten. Er war nämlich der Sohn einer alten Hexe.

Als er ans Ziel seiner Reise gelangt war, erzählte er seiner Mutter, daß sein Fuß verletzt wäre und daß er den Schurken bei sich hätte, der ihn verwundet hatte.

Inzwischen wartete der König mit seinen Hofleuten darauf, wieder hereingerufen zu werden. Als es ihnen zu lange dauerte, draußen in der Kälte zu stehen, gingen sie hinein. Aber -wohl oder übel -den Königssohn konnten sie nicht mehr finden.

Die Hexe befahl ihrer Dienerin, den Königssohn in sein Schlafgemach zu führen und ihm Bier zu trinken zu geben.

Die Dienerin führte ihn an sein Nachtlager. Es war aber nicht das Bett, das ihr die Alte angewiesen hatte, sondern sie machte ihm ihr



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eigenes Lager zurecht. Dabei erzählte sie ihm, die Alte würde ihm drei schwere Arbeiten auferlegen, die auszuführen Menschenkraft nicht ausreiche. Aber sie wolle ihm beistehen und helfen, er solle darum den Kopf nicht hängen lassen und verzweifeln.

Als er am nächsten Morgen aufgestanden war, befahl ihm die Alte, er sollte den See, der unterhalb des Hofes lag, trockenlegen und dann den Goldring beschaffen, den dort ihre Urgroßmutter vor sieben Jahren verloren hatte. Diese Arbeit sollte er vollbringen, noch ehe die Abendsonne ins Meer tauchte. Dann gab sie ihm ein Gefäß zum Ausschöpfen. Er ging fort und kam an den See, den er trockenlegen sollte. Aber seine Anstrengung war vergeblich. Mit jedem Maß, das er ausschöpfte, füllte sich der See wieder um sieben Maß. Nach einiger Zeit setzte er sich nieder, wo er war, und wartete, bis das Mädchen kam und ihm etwas zu essen brachte. Noch ehe er sein Mahl beendet hatte, hatte sie den See trockengelegt und den Ring gefunden.

»Hier«, sagte sie, »ist der Ring, und den behalte! Vielleicht wirst du ihn in einiger Zeit brauchen.«

Das Mädchen ging darauf fort und ließ ihn, wie er war. Am späten Abend kehrte er heim und erzählte der Alten, daß er den Ring bekommen habe. Sie indessen verlangte nicht nach dem Ringe, und das erfreute ihn noch mehr.

Als er schlafen ging, trug die Alte dem Mädchen auf, ihm einen Trunk Bier zu reichen, wie sie es die Nacht vorher getan hatte. Aber das kam ihr gar nicht in den Sinn. Sie bereitete ihm ein Abendessen aus Leckerbissen, und er suchte sein Bett auf, nachdem er es verzehrt hatte.

Am nächsten Tage reichte ihm die Alte eine vierzinkige Forke und trug ihm auf, den Dung aus dem Stalle zu räumen, in dem seit sieben Jahren siebenhundert Pferde standen. Und dann sollte er ihr die Nadel suchen, die dort ihre Urgroßmutter verloren hatte.

Er machte sich auf den Weg und begann den Dung auszuräumen. Er war schnell und tüchtig. Aber die Arbeit war ohne Erfolg, bis das Mädchen mit dem Essen kam und den Stall selbst reinigte, währenddem er aß. Sie fand auch die Nadel, die sieben Jahre lang verloren



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gewesen war. Sie riet ihm, auch diese zu behalten und nicht der Alten zu geben. Darauf ging sie heim und ließ sich nichts anmerken. Am späten Abend kam der Sohn des Königs von Irland herein und teilte der Alten mit, daß er die Nadel hätte. Sie saß hingehockt am Boden beim Feuer und gab keinen Laut von sich. Dem Königssohn konnte nichts lieber sein.

Als es Schlafenszeit war für alle, rief die Alte nach dem Mädchen und befahl ihr streng, dem irischen Königssohn das Bier zu geben. Er solle dann sogleich schlafen gehen.

Das Mädchen hatte wieder ein feines Abendbrot für ihn bereitet. Aber es kam kein Schluck oder Tropfen Bier in seinen Mund. Sie genoß auch nur wenig. Sie gab ihm ihr eigenes Bett und schlief selbst auf einem schnell hergerichteten Lager.

Am Morgen des dritten Tages gab die Alte dem irischen Königssohn eine Axt, führte ihn an die Tür und zeigte ihm einen hohen, mächtigen Baum. Sie trug ihm auf, den Baum zu fällen. In seinen Wipfeln sei ein Nest und darin eine Ente, die ein einziges Ei ausbrüte. Dieses sollte er ihr bis zum Abend verschaffen.

Er machte sich auf, kam an den Baum, sah ihn prüfend von oben bis unten an, holte kräftig, geschickt und hoch mit der Axt aus und setzte sie bis zum Axtrücken tief in den Stamm des Baumes. Als er die Axt herauszog, schoß ein so starker Blutstrahl hervor, daß ein ganzer See von Blut um den Baum stand und der Königssohn entweichen mußte. Der See wuchs mehr und mehr in die Breite, bis das Mädchen herbeikam. Sie brachte ihm zu essen und fällte selbst den Baum, während er sein Mahl verzehrte. Da flog die Ente auf und davon, das Ei fiel in den Blutsee, und dem irischen Königssohn sank ebenfalls das Herz verzweifelt tief. Er meinte, das Werk sei nun verloren. Aber dem war nicht so. Das Mädchen verwandelte sich in eine Otter und holte im Handumdrehen das Ei aus der Tiefe des Sees. Dann sagte sie ihm, er sollte es an sich nehmen und zusammen mit Ring und Nadel behalten. Wenn sie ihm abgefordert würden, sollte er sie der Alten nicht aushändigen, und wenn es auf Tod und Leben ginge.

Das Mädchen ging darauf fort und ließ ihn, wo er war. Am Abend



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kam der irische Königssohn zur Alten und sagte, er hätte das Ei. Jedoch sie tat, als hörte sie nichts. Er sagte auch kein Wort weiter, sondern ließ sie allein, wie sie dasaß und sann und brütete. Er kümmerte sich nicht um sie und fragte nicht nach ihr. Sie fiel schließlich auf einen Haufen Knochen und ins Feuer. Wenig hätte gefehlt, daß sie und ihre Pläne zu Fett und Asche wurden, was für Pläne es immer gewesen sein mochten. Schön waren sie sicher nicht. Als es Schlafenszeit war, wurde dem Mädchen befohlen, dem irischen Königssohn seinen Trunk Bier zu geben und sofort schlafen zu gehen. Aber es ging keins von ihnen zu Bett, sondern sie blieben auf, kochten und buken, um für die bevorstehende Reise mit Nahrung versorgt zu sein. Denn in jener Nacht wollten sie entfliehen.

Dreimal fragte die Alte an, ob sie schon schlafen gegangen wären. Auf ihre erste Frage wurde ihr geantwortet: »Noch nicht!« — Auf ihre zweite Frage: Sie wären gerade dabei. — Bei der dritten Frage kam es nicht zur Antwort; denn das Mädchen und der Prinz waren schon geflohen in Gestalt zweier Habichte.

Sie reisten und reisten immerfort, bis das Mädchen zum Königssohn sagte, er sollte hinter sich blicken, ob sie verfolgt würden. Er tat es und entdeckte weder einen dunklen Fleck noch einen Punkt.

»Sieh noch einmal!«sagte sie nach einer beträchtlichen Weile. Er sah wieder zurück und sagte ihr, er sähe deutlich, aber noch in weiter Entfernung von ihnen, zwei Flecke.

»Das ist die Alte und ihr Sohn«, sprach das Mädchen. »Wenn sie sich nähern, wirf ihnen den Ring zu. Solange wie sie danach suchen, so weit werden wir einen Vorsprung vor ihnen haben.« Er tat, wie sie ihn geheißen hatte.

Nach einer geraumen Zeit sagte sie wieder zu dem Königssohn, er solle sich umsehen. Er tat es und sah nichts.

»Sieh noch einmal!« sagte sie, und er tat es.

»Ich sehe zwei Punkte, die sich uns sehr schnell nähern.«

»Das ist die Alte und ihr Sohn!«sprach das Mädchen. »Wirf ihnen jetzt die Nadel zu!«

Er gehorchte, und während die beiden andern sich bückten und suchten, bekamen sie wieder einen Vorsprung.



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»Sieh dich noch einmal um!« sagte das Mädchen zum Königssohn. Er tat es und sah nichts.

»Sieh noch einmal«, sagte sie nach kurzer Zeit.

»Ich sehe nur einen dunklen Punkt«, sprach er.

»Das ist die Alte allein«, sagte das Mädchen. »ihr Sohn ist jetzt müde. Nun schnell! Das Ei heraus! Und wenn du je einen guten Wurf tun willst, so ist es jetzt an der Zeit. Wenn du kannst, triff sie auf die Wunde, die sie an der Brust hat. Wenn du sie nicht triffst, sind wir zwei am Tode!«

Als sie sich genähert hatte, warf er das Ei auf sie zu und traf sie an der Brust mit dem dünnen Ende des Eies geradezu in die Wunde hinein und so, daß auch das dicke Ende darin verschwand.

Die Alte schrie vor Qual. Aus der Wunde floß Eiter und strömte auf die Erde. Sie selbst fiel hin und gab das Leben auf.

Hierauf reiste das Mädchen mit dem irischen Königssohn weiter nach Westen. Sie gelangten an den Palast des Königs von Irland. Das Mädchen befahl dem Prinzen hineinzugehen.

»Ja«, sagte er, »wenn du mit mir gehst.«

»Nicht jetzt«, sagte sie. »Aber gib mir das Versprechen, daß du dem schwarzen Hunde deines Vaters nicht erlaubst, dich zu lecken.« Er ging darauf mit großem Widerstreben hinein. Er hatte geglaubt, sie würde bei ihm bleiben und seine Frau werden.

Man kann sich denken, daß er nun zwanzigfach und mehr willkommen geheißen wurde. Einige Zeit nach seiner Heimkehr sprang der schwarze Hund an ihm hoch, während er am Feuer saß, und leckte ihm das Gesicht. Von da ab entschwand das Mädchen aus seinem Gedächtnis.

Sie aber setzte ihren Weg fort und wanderte immer weiter, bis der Abend kam und der Tauf fiel. Sie stieg auf einen Baum und hatte Lust, dort die Nacht über zu verbleiben.

Ein Fluß befand sich dicht am Baum und in einiger Entfernung davon eine Schmiedewerkstatt.

Der Schmied hatte Durst. Er sagte zu seiner Tochter, sie sollte ihm einen Schluck Wasser holen.

Sie nahm den Krug und ging an den Rand des Gewässers. Dort erblickte



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sie das über alle Maßen schöne Spiegelbild. Sie wähnte, es sei ihr eigenes Bild, und warf den Krug von sich. Sie sagte, eine so hübsche Frau, wie sie selber sei, dürfe nicht für einen häßlichen Schmied Wasser schöpfen.

Dieser schickte eine zweite Tochter hinaus, und die Geschichte lief ebenso ab.

Das dritte Mal schickte er sein Weib. Doch dies war noch siebenmal schlimmer als ihre Töchter.

Schließlich plagte den Schmied der Durst zu sehr. Er machte sich selbst auf den Weg. Als er an den Rand des Baches kam, erblickte er das Spiegelbild der Frau. Er sah zum Baume auf. Die Frau oben in den Wipfeln lachte leise auf.

»Du machst dich wohl über uns alle ein wenig lustig?« fragte der Schmied.

»Ja, gewiß«, sagte sie.

Sie stieg von oben herunter und ging zum Schmied. Eine Zeitlang blieb sie bei ihnen, und sie war etwas wert; denn sie war die beste und brauchbarste von den Frauen bei aller Arbeit, ob fein oder grob.

Eines Nachts nun machte sie sich auf zum Königshof. Keiner kannte sie. Auf der Tafel des Königs lag ein goldener Hahn und eine silberne Henne. Sie warf ihnen ein Körnchen Hafer zu. Der Hahn stürzte sich darauf und verschluckte es sofort.

»Du hast wenig Recht dazu«, sagte das Mädchen; »erinnerst du dich der Zeit, da ich dir das Leben rettete?«

Der Königssohn von Irland war anwesend und hörte zu. Indem kam ihm die Erinnerung an seine Abenteuerfahrt im Osten.

Er trat auf sie zu und blickte sie prüfend an. Dann ergriff und umarmte er sie, und beide heirateten.

Ich weiß nicht, wie es ihnen jetzt geht, und es ist mir auch ganz gleichgültig.



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Der Weiße Hund vom Gebirge

Es lebte einst ein König, dem seine Gattin starb. Vor ihrem Tode legte sie das feierliche Gebot auf den König, daß er weder Mann noch Weib, noch Kind in ihre Kammer lassen sollte, bevor sie nicht ein Jahr und einen Tag im Grabe gelegen hätte. Er versprach es. Aber als der König einmal auf der Jagd war, fanden die drei Töchter den Schlüssel zum verbotenen Zimmer, öffneten und traten ein. Die älteste Tochter setzte sich auf den Stuhl ihrer Mutter, ergriff die weißen Blüten, die auf ihm lagen, und sprach: »Ich bitte Gott und diesen wunderbaren Stuhl, daß der Sohn des Königs im Westen mich freien möge!« Da fielen die Blüten aus ihrer Hand.

Die zweite ergriff die Blüten, setzte sich in den Sessel und wünschte sich den Sohn des Königs des Ostens.

Die jüngste Tochter aber wollte dem Befehle des Vaters gehorsam bleiben. Da zwangen die Schwestern sie, sich in den Stuhl zu setzen. Da sagte sie: »Ich bitte Gott und diesen wunderbaren Stuhl, daß der Weiße Hund des Gebirges mich freien möge!«

Sie sagte es aus Ärger, denn sie wußte überhaupt nicht, ob es solch ein Wesen gäbe.

Noch an demselben Nachmittag kam der Sohn des Königs des Westens in seiner Kutsche und führte die älteste Tochter mit sich. Am zweiten Tage führte der Sohn des Königs des Ostens die zweite Prinzessin fort.

Am Morgen des dritten Tages war der Weiße Hund vom Gebirge vor dem Tore mit Pferd und Wagen.

Da sagte sie: »Ich muß mich in Gottes Willen fügen.« Sie ging mit ihm.

Als sie sich schwanger fühlte, bat sie ihn um Erlaubnis, nach Hause zurückzukehren. Er gewährte es, obwohl nicht gern.

Sie gebar eine Tochter, ein schönes Kind; das hatte einen Reif um das Haupt, der auf der Stirne golden, am Hinterkopfe aber silbern war. Die Mutter fühlte sich sehr schwach und überließ das Kind einer Magd zur Bewachung. Da kamen zwei Hände durch den Kamin und raubten es.



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Am nächsten Morgen kam der Weiße Hund und holte seine Gemahlin wieder ab.

Später gebar sie noch eine Tochter im Hause ihres Vaters, die hatte auch einen solchen Reif um das Haupt. Wieder raubten die Hände das Kind, wieder holte der Weiße Hund sie am nächsten Morgen ab.

Und als abermals ihre Stunde kam, wollte sie wieder zum Hause ihres Vaters. Der Weiße Hund erlaubte es schließlich, sagte ihr aber, daß er sie nicht wieder abholen werde.

Und sie gebar einen schönen Knaben, der trug auch den Reif, golden vor der Stirn, silbern am Hinterkopf. Da kamen ihre beiden Schwestern heim, arm und bloß. Und als sie ihrer Schwester Schätze sahen, führten sie sie in den Wald, beraubten sie und wollten sie schlagen. Da hörten sie Donner und das Krachen stürzender Bäume. Der Weiße Hund vom Gebirge war da; der schlug die beiden bösen Schwestern halb tot, dann wanderte er von dannen, ohne ein Wort zu seinem Weibe zu sprechen. Sie aber sagte, daß sie ihm folgen wolle. Die Nacht kam. Da befahl der Weiße Hund ihr, in eine Hütte am Wege einzukehren; er werde bis zum Morgen auf sie warten. Die Frau in der Hütte gab ihr zu essen und setzte sie ans Feuer.

Auf dem Fußboden aber spielte ein kleines Mädchen, das hatte einen Reif um das Haupt, der war golden auf der Stirn, silbern aber am Hinterhaupt. Und das Kind kam und legte den Kopf in den Schoß der Königstochter. So schliefen sie bis zum Morgen.

Als sie fortging, sagte die Frau der Hütte zu ihr, es wäre gefährlich für sie, dem Weißen Hund zu folgen. Wenn sie es aber doch tue, so würde dieser kleine Kamm ihr von Nutzen sein.

Und sie schenkte der Königstochter einen kleinen Kamm. Dann raste der Weiße Hund vor ihr dahin, und sie folgte ihm bis zur sinkenden Nacht. Wieder schickte er sie in eine Hütte am Wege; wieder sah sie dort ein Mädchen mit einem Reif, der halb silbern, halb golden war, und auch dieses Kind schlief in ihrem Schoße bis zum Sonnenaufgang.

Als sie fortging, schenkte die Frau der Hütte ihr eine Schere. Am dritten Abend fand sie in einer Hütte einen kleinen Knaben, der



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hatte einen halb goldenen, halb silbernen Reif um das Haupt, aber nur ein Auge. Sie fragte die Alte der Hütte, wo das andere Auge wäre. Da griff sie in die Tasche, zog es heraus, und sofort sprang es an seinen Platz. Beim Abschied schenkte die Alte ihr eine Nadel. Am andern Tage eröffnete ihr der Weiße Hund, daß sie die Ursache seines Unglücks sei. Die Verwünschungen, die auf ihm ruhten, wären aufgehoben worden, wenn sie die Kinder in seinem Hause geboren hätte. Von jetzt ab werde er nie mehr einen Blick auf sie werfen. Er trat in einen Erdhügel. Sie ergriff die Vorderseite seines Hemdes und ließ vier Blutstropfen darauf fallen. Dann schloß sich der Hügel hinter ihm; sie aber wurde in einen großen Stein verwandelt.

Nach neun Jahren kam sie wieder zu sich. Sie ging zu dem Hause des Mannes, der der Verwalter, der Hüter des Weißen Hundes gewesen war, und erfuhr von ihm, daß der Weiße Hund eine Hexe geheiratet habe. Da kam auch schon ein Mädchen, das trug ein Hemd mit vier Blutstropfen. Und es erzählte, die Hexe habe ihm befohlen, die Blutflecke auszuwaschen. Könne sie das nicht, so werde sie getötet werden, wie schon zweihundert andere Mädchen vor ihr von der Hexe gemordet worden seien.

Da legte die Königstochter ihre Hand auf das Hemd. Da verschwand das Blut!

Sie befahl aber dem Kind, zu sagen, daß eine Krähe vorbeigeflogen sei und aus dem Schnabel die Hand einer toten Frau habe herabfallen lassen auf das Hemd, und dadurch sei das Blut verschwunden. Als die Hexe das hörte, jubelte sie laut; denn sie meinte, die wahre Frau des Weißen Hundes sei tot, denn sie wußte, daß nur deren Hand solche Kraft haben konnte.

Am andern Morgen kam das Mädchen wieder zur Königstochter. Da steckte ihr diese den Kamm ins Haar. Wer aber den Kamm trug, hatte das schönste Haar der Welt. Das sah die Hexe wohl, und sie ließ nach dem Preise des Kammes fragen.

»Ich gebe ihr den Kamm, wenn ich eine Nacht beim Weißen Hund ruhen darf.«

Die Hexe bewilligte es und sprach: »Sie soll keinen Nutzen davon haben!«



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Die zweite Nacht erkaufte sie mit jener Schere. Was aber die Schere schnitt, das wurde Seide und Brokat. Und wieder sprach die Hexe: »Sie soll keinen Nutzen darvon haben!«

Die dritte Nacht erkaufte sie mit jener Nadel. Stach man aber die Nadel in ein Gewand, so ward es mit kleinen Sternen aus Silber und Gold überschüttet.

Am Abend, als der Weiße Hund von der Jagd kam, sprach sein Jäger zu ihm: »In den beiden letzten Nächten war ein Weib in unserem Schlafgemach, das erzählte Euch alles, was Ihr je erlebt hattet in Eurer Ehe. Ihr aber hörtet kein Wort; denn der Hexe Zaubertrank hielt Euch betäubt. Ich aber will Euch einen ledernen Schlauch machen, der rund um Euren Hals herum geht, und wenn sie Euch heute abend den Schlaftrunk reicht, so gießet ihn in jenen Schlauch! Dann stellt Euch schlafend und rührt Euch nicht!«

So geschah es. Die Hexe aber glaubte nicht, daß er getrunken habe und wirklich schliefe. Sie nahm ein Licht und hielt es an seine Fußsohlen und verbrannte sie bis auf den Knochen. Er aber rührte sich nicht!

Da glaubte sie, daß er fest betäubt sei, und ging hinaus. Der Weiße Hund und seine wahre Gemahlin aber erkannten einander und erzählten sich alles, was ihnen widerfahren war. Zuletzt sprach die Prinzessin:

»Am Fußende des Bettes liegt ein Ei. Triffst du die Hexe damit, so muß sie sterben!«

Und als die Hexe kam, schleuderte er das Ei gegen sie. Das tötete sie.

Da brach aber auch die Verzauberung, die auf dem Weißen Hunde lag. Und sie lebten fortan glücklich im Besitze aller Schätze der Hexe. Der Jägersmann aber erhielt die Hand von Maol-Charrach, ihrer ältesten Tochter.



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Die drei Brüder auf der einsamen Insel

Es waren einmal drei Brüder, die fuhren auf einem Schiff aufs Meer hinaus. Sie fuhren eine gute Weile übers Meer, ohne daß sie auf Land stießen. Da fürchteten sie, daß sie überhaupt nicht mehr auf Land treffen würden. Schließlich gelangten sie zu einer Insel. Darauf waren Wälder bis ans Meer heran, und Bäume wuchsen vom Meer über die ganze Insel hin. Da machten sie ihr Boot an einem Baum fest und machten sich selbst auf den Weg landeinwärts. Sie bemerkten keine Seele und begegneten auch niemandem. Da begannen sie auf der Insel zu arbeiten und ihrem Handwerk nachzugehen. So vergingen sieben Jahre. Als die sieben Jahre um waren, sprach einer von ihnen:

»Ich höre eine Kuh brüllen!«

Die beiden anderen antworteten nichts darauf.

So vergingen noch einmal sieben Jahre. Da hub der zweite an und sprach: »Wo?«

Dabei blieb es noch einmal sieben Jahre.

»Wenn ihr nicht still seid«, sagte endlich der dritte, »so wird man uns hier hinauswerfen.«


Der Riese Faircheallach und Fionn MacCumhaill

Eines Tages waren Fionn und seine Recken auf Jagd und Hatz. Damit verstrich der ganze Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, und als sie nach Hause zurückkehren wollten und Oisín zurückblickte, sah er einen Riesen namens Faircheallach auf sie zukommen. Die Schar bewegte sich schnell voran, aber wie sie auch eilten, sie konnten den Riesen nicht abschütteln. Er hielt immer mit ihnen Schritt. Waren sie oben auf einem Berge, war er unten im Tale, und waren sie im Tal, war er oben auf dem Berg. So blieb er hinter ihnen, bis sie an des Königs Haus kamen. Dort setzten sie sich zum Essen nieder, und es wurde ihnen gebührend aufgetischt, und Fionn bewirtete sie und gab jedem Speise und Fleisch, solange sie aßen.



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Und der Riese kam hinein und setzte sich hinten in eine Ecke. Fionn erblickte ihn und hieß ihn an der Tafel niedersitzen und mitessen, bis alle satt waren.

Am nächsten Morgen gingen sie wieder auf die Jagd und schlugen denselben Weg ein, und der Riese war wieder hinter ihnen wie am Tage vorher, und sie vermochten ihn abermals nicht abzuschütteln. Als sie am Abend nach Hause zurückkehrten, hielt er mit ihnen Schritt und folgte ihnen. So blieb er um sie ein Jahr und einen Tag lang.

»Fionn MacCumhaill«, sagte er, »ich möchte dich und die Fenier von Irland zum Essen einladen.«

»Ach«, sprach Fionn, »wo willst du wohl für uns alle Platz und Speise finden?«

»Oh«, sprach der Riese, »es ist nicht einer unter den siebenmal fünfhundert deiner Mannen, vor den ich nicht ein Messer, eine Gabel und einen Teller setzen werde.«

Fionn sagte darauf nichts weiter, als daß sie kommen würden. Sie machten sich auf den Weg, und der Riese lief vor ihnen her und zeigte ihnen den Weg. Sie folgten ihm überallhin nach, und er lief gerade so weit vor ihnen voraus, wie er an den Tagen des vergangenen Jahres hinter ihnen zurückgeblieben war; und sie mußten sich alle Mühe geben, mit ihm Schritt zu halten. Er blieb stets in ihrer Sichtweite, bis er endlich in eine Höhle hineinging, und sie folgten ihm und gingen hinter ihm her hinein. Als sie an die Tür kamen, stand dort eine junge Frau. Sie hatte ihren Rücken an den Türpfosten gelehnt und ihre Arme über der Brust gekreuzt. Die waren vom Ellenbogen an entblößt. Sie hatte ein Bein über das andere gelegt und hatte keine Schuhe an. Sie war barfüßig.. Schönes goldenes Haar wallte ihr über den Rücken bis zu den Hüften, und ihre Augen waren so blau wie der Himmel. Ihr Hals war so weiß, wie sie ihn nie zuvor bei einer Frau gesehen hatten. Ihre Waden waren schön gestaltet und wohl anzusehen und ihre Fußgelenke schlank und glatt und ihre Füße so hübsch und fein, wie sie es nie zuvor gesehen hatten. Es war keiner unter den Helden, der nicht auf der Stelle in Liebe und Zärtlichkeit zu ihr entbrannte.



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Sie gingen einer nach dem anderen dann an ihr vorbei hinein. Ging ein alter Mann hinein, so sagte er: »Wie schade, daß du nicht mein bist!«

»Als ich bei dir war«, sprach sie, »hast du mich nicht gehalten.« Ging ein junger Mann an ihr vorbei, so sprach er: »Schade, daß du nicht mein bist!«

»Ich bin bei dir«, sprach sie, »und halte du mich!«

So war stets ihre Rede, bis der letzte hineingegangen war. Drinnen war ein schöner Palast. Und sie sahen niemanden außer einem alten Mann, der auf einem Holzklotz in der Ecke saß, den Kopf auf gestützt, seine beiden Hände unter dem Kinn, und eine Hündin, die neben dem Feuer ausgestreckt dalag. Als Fionn und die Fenier von Irland eintraten, rührte sich keiner von beiden. Und keiner hob seinen Kopf. Da kam der Riese auch hinein und stellte Speise und Trank auf die Tische für Fionn und die Fenier. Und es war nicht einer unter den Feniern, vor den er nicht Messer, Gabel und Teller stellte. Als der Riese das getan hatte, ging er zur Tür hinaus und sprach mit der jungen Frau. Sobald er hinausgegangen war, erhob sich die Hündin, die neben dem Feuer ausgestreckt dagelegen hatte, und sprang auf den Tisch, der ihr am nächsten war, und lief den Tisch entlang an ihnen vorbei. Und es war kein Bissen Speise und kein Tropfen, den sie nicht von allen ihren Tischen verschlungen hätte, und als sie alles, was auf den Tischen war, verzehrt hatte, sprang sie wieder hinunter und streckte sich auf denselben Platz neben dem Feuer neben dem alten Mann wieder hin. Und wenn man auf sie blickte, hätte niemand vermutet, daß sie auch nur das Geringste gefressen hätte. Der Riese kam wieder herein und sah auf den Tischen keinen Bissen und keinen Tropfen mehr.

»Fionn MacCumhaill, habt ihr die Speise, die ich euch aufgetragen habe, schon verzehrt?«

Fionn gab ihm keine Antwort darauf, denn es war ihm unangenehm, darauf zu antworten, weil sie der Hündin die Speise überlassen hatten.

»Ich möchte wetten, daß der Spaniel sie euch aufgefressen hat.«

»Ja, in der Tat«, sagte Fionn.



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Wieder füllte er die Tische mit Speise und Trank und ging hinaus, um mit der jungen Frau zu sprechen. Alsbald sprang die Hündin wieder auf den Tisch, lief an ihnen vorbei, den Tisch die eine Seite hinunter, die andere Seite wieder herauf, und es blieb kein Bissen und kein Tropfen auf den Tischen, den sie nicht verschlungen hätte, und hinunter wieder ans Feuer zum alten Mann, und keiner hätte vermutet, daß sie auch nur ein Stückchen im Leib hätte. Der Riese kam zum zweiten Male herein, und auf den Tischen vor den Feniern war wieder nichts mehr. Er fragte Fionn abermals, ob sie die Speise verzehrt hätten oder ob die Hündin sie wieder gefressen hätte. Fionn sagte, nicht sie hätten sie verzehrt, sondern die Hündin hätte sie wieder gefressen. Da sprach der Riese zu dem alten Mann: »Wäre es nicht recht, daß du dieser deiner gefräßigen Hündin Einhalt gebietest?«

Der alte Mann hob den Kopf und blickte mit beiden Augen auf den Spaniel, so daß dieser auf der Stelle tot war.

Da wurden die Tische zum dritten Male gefüllt, und Fionn und seine Leute aßen sich satt, so wie sie früher nach Herzenslust gegessen hatten.

»So, Fionn MacCumhaill«, sprach Faircheallach, »hast du jetzt, wo du fortgehst, irgendeine Frage, die du, als du kamst, nicht gestellt hättest?«

Fionn sagte: »Ja«und fragte ihn: »Wer war jene junge Frau, die an der Tür stand, als wir hineingingen, und die dem alten Mann, der zu ihr sagte: >Schade, daß du nicht mein bist!< zur Antwort gab: >Als ich bei dir war, hast du mich nicht gehalten?<Sag mir doch, wer war das?«

»Das war die Jugend«, sprach der Riese, »und sie hat dir die Wahrheit gesagt; denn als sie bei dir war«, sagte er, »da hast du sie von dir gelassen, und jetzt bist du alt und verbraucht und müde. Und zu dem jungen Mann sagte sie: >Ich bin jetzt bei dir und halte du mich!< Das war die Jugend, und hat sie nicht die Wahrheit gesprochen?«

»Sag mir jetzt«, sprach Fionn, »wer war der weißhaarige alte Mann, der in der Ecke saß und der, als du ihm sagtest, er solle der Hündin



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Einhalt gebieten, sie mit beiden Augen anblickte, so daß sie auf der Stelle tot war?«

»Das war der Tod«, sprach der Riese.

»Und jetzt sag mir«, sprach Fionn, »was für eine Hündin das war, die zweimal Speise und Trank, die auf den Tischen waren, aufgefressen hat, und niemand hätte vermutet, daß sie auch nur einen Bissen verzehrt hätte?«

»Das war die Hungersnot«, sprach der Riese.


Die Warnung vor dem Sturm

Vor langer Zeit kam einmal ein Fremder ins Dorf. Der fand Unterkunft in derselben Nacht, in der er gekommen war, und blieb dort lange Zeit hindurch. Am Abend fuhr er mit den Fischern aufs Meer hinaus, und niemand wußte, wer er war und woher er gekommen war.

Eines Abends nun fuhren sie hinaus, und er war bei ihnen, und sie fuhren eine ganze Zeit lang an jenem Abend, etwa so lange, wie man nach Duichealla oder nach Rinnin hinüber braucht. Als die Nacht über sie hereingebrochen war, sagte er - der Fremde -, sie sollten eilen, nach Hause zu kommen, denn es würde ein Sturm losbrechen.

Sie kehrten um und ruderten unter Aufbietung aller Kräfte in großer Geschwindigkeit der Küste zu. Er gab dem Bootsmann drei Ringe und sagte ihm, wenn er eine schlimme große Woge auf sich zukommen sähe, solle er ihr einen Ring entgegenwerfen.

Sie machten sich eilig auf den Heimweg. Hinter ihnen erhob sich eine Riesenwoge. Sie hätte das Boot zum Kentern gebracht, wenn sie es überspült hätte. Aber der Bootsmann warf ihr einen Ring entgegen. Da legte sie sich. Das gleiche tat er ein zweites und ein drittes Mal, und so erreichten sie die Küste. Sie kamen unversehrt und wohlbehalten an Land. Von dem Fremden aber fehlte jede Spur. Sie wußten nicht, wo er geblieben war, und er wurde hinfort nicht mehr gesehen. In jener Nacht wurden achtzehn Frauen zu Witwen.