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INHALT
ZUR EINFÜHRUNG 15
MÄRCHEN AUS DÄNEMARK
Ederland, die Hühnermagd 9
Der Hirschprinz 15
Die kleine Wildente 18
Die Schlange 25
Hans mit den goldenen Haaren 32
Die drei guten Ratschläge 45
Der Topf 51
Das kluge Mädchen 53
Der Hund und der Hahn 54
Mann und Frau 55
Die klugen Studenten 55
Der starke Hans 62
Der Zauberhut 70
Wie der faule Lars die Prinzessin bekam 71
MÄRCHEN AUS NORWEGEN
Wie die Sterne entstanden sind 78
Vom Schlaf der Riesen 78
Die Bergtrolle 79
Die Waldtrolle 97
Der Nöck 108
Der Draug 113
Der Zwerg 117
Der Hahn und der Fuchs 121
Warum der Bär einen Stummelschwanz hat 122
Wohlgetan und schlecht gelohnt 122
Der große und der kleine Peter 126
Der Pfannenkuchen 134
Der Bursche und der Teufel 137
Weshalb der Fuchs eine weiße Schwanzspitze hat 138
Das Wunderkästchen 139
Der Mann, der die Hauswirtschaft besorgen sollte 140
Die wohlhabenden Leute 141
Giske 142
Der Pfarrer und der Küster 148
Peter und Paul und Espen Aschenhans 149
Aschenhans, der mit dem Troll um die Wette aß 154
Aschenhans und die guten Helfer 156
Freunde auf Leben und Tod 164
MÄRCHEN AUS SCHWEDEN
Der Hirte 169
Prinz Andrea und Prinzessin Meseria 182
Die Prinzessin auf dem Glasberg 209
Die kleine Maus 225
Silberweiß und Lillwacker 241
Torre Jeppe 252
Der unterirdische Nachbar 254
Der weiße Bär König Valemon 257
Südlicher als Süden und nördlicher als Norden und in dem großen Goldberg 264
Vom Hasen, der verheiratet gewesen war 269
Reisepelle 269
Die kleine Rosa und die lange Leda 298
Das Schloß, das auf Goldpfählenstand 309


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Märchen aus Dänemark Norwegen und Schweden

Märchen europäischer Völker



Bd-05-004_Titel Einfuerung. Flip

Lizenzausgabe mit Genehmigung von Interbooks, Zürich
für Verlag Olde Hansen, Hamburg
und Bertelsmann Reinhard Mohn OHG. Gütersloh
die Europäische Bildungsgemeinschaft Verlags-GmbH, Stuttgart
und die Buchgemeinschaft Donauland, Kremayr &Scheriau, Wien
  Diese Lizenz gilt auch für die Deutsche Buch-Gemeinschaft
C. A. Koch's Verlag Nachf., Berlin -Darmstadt -Wien
Schutzumschlag- und Einbandgestaltung R. Metke
Gesamtherstellung Mohndruck Reinhard Mohn OHG, Gütersloh
            Printed in Germany Buch-Nr. 8689


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ZUR EINFÜHRUNG

Die nordischen Völker, zumal die Dänen, Norweger und Schweden, verfügen über einen gewaltigen und auch heutzutage noch munter fließenden Reichtum volkhafter Überlieferung aus Liedern, Sagen, Rätseln und Volksmärchen, auf dessen klassische Gültigkeit schon Jakob Grimm mit nachdrücklicher Bewunderung hingewiesen hat.

Inder heutigen hochzivilisierten Welt werden meist vordringlich die Namen Andersen und Selma Lagerlöf genannt, wenn von nordischen Märchen gesprochen wird. Ohne den hohen Verdiensten des volkstümlichsten Märchenerzählers aus Dänemark und der schwedischen Dichterin des »Gösta Verling« auch nur mit der leisesten Andeutung von deren erhabenem Ruhm etwas abstreiten zu wollen, erfordert es die besondere Programmatik unserer vorliegenden »Märchen der europäischen Völker«, daß wir gleich zu Anfang eindeutig erklären, daß wir aus rein sachlichen Gründen kein einziges der Märchen dieser Meister und Könige des typischen Kunstmärchens aufgenommen haben, die vornehmlich deren persönliche, kunstvoll genialische Schöpfungen sind.

Mit aller Bewußtheit beschränkt sich unsere Sammlung auf ausgesprochene Volksmärchen, für deren keines ein originaler Dichter oder Erzähler genannt werden kann. Volksmärchen wurden über Jahrhunderte hin frei und volkhaft überliefert, überall auf dem Lande beim Spinnen, Wollekämmen und Weben und auch bei Fest und Tanz von Mund zu Mund erzählt. Frohe und hintergründige Märchen wurden auf den Dörfern über Generationen hindurch von den Alten zu den Jungen und Kindern getragen. Ihre Ursprünge



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sind in den Sagas und den Königsgeschichten zu suchen, reichen weit in die Wikingerzeit und zur Edda zurück. Gerade hier bei den nordischen Völkern haben sie ihre wahre Heimat, liegt ihre Stammesherkunft. Von hier strömten sie weiter über altkeltische Einflußnahmen nach Irland, Schottland und zur Bretagne. Sie berührten sich desgleichen mit phantastischen Strömungen, die über Rußland aus dem Orient gekommen sind, und mit den großen Ritterdichtungen vom Hofe des Königs Artus und Karis des Großen, denn selbst alte Heiligenlegenden wie die berühmte Legenda Aurea sind schon in früher Zeit ins Schwedische übersetzt worden.

In Norwegen kam genau im gleichen Jahre, da in Deutschland die »Kinder- und Hausmärchen«der Brüder Grimm herauskamen, der Märchensammler P. C. Asbjörnson zur Welt. Nicht als Literat und Gelehrter, sondern rein als Forstmann ist er auf die Idee gekommen, sich von Jägern, Hirten und Sennen, Fischern und Bauern merkwürdige und seltsame im Volke umgehende Geschichten erzählen zu lassen, und diese hat er dann von der Mitte des 19. Jahrhunderts ab mit dem ihm befreundeten Jörgen Moe zusammen aufgezeichnet und drucken lassen. Fast zur selben Zeit begann Asbjörnson in Gemeinschaft mit befreundeten Lehrern und Landpastoren mit der Zusammenstellung eines ersten Bandes »Dänische und Norwegische Märchen«. Darin wimmelt es von seltsamen Abarten menschenähnlicher Gestalten - von Berg-, Wald- und Meergeistern, sagenhaften Wundergeschöpfen mit riesenhaften Nasen und Ohren, oft mehreren Köpfen, Kuhschwänzen und allerlei sonstigen seltsamen Gliedmaßen. Meist hausten sie duster dahindämmernd über riesigen in den Wäldern und Bergen versteckten Schätzen. Sie kamen inmitten der Wildnis häufig mit Hirten, Jägern, Holzfällern oder Fischern in Berührung, erschreckten die Menschen, halfen ihnen zuweilen auch, foppten sie und zeigten oft auch ausgesprochen bösartige Züge. Aus den über sie verbreiteten Geschichten hat übrigens der große norwegische Dramatiker Ibsen seine Anregungen zu Peer Gynts erregenden Erlebnissen mit dem »Großen Krummen« bezogen. Grundtvig, der bedeutsame Begründer der skandinavischen Märchenforschung, folgte beflissen dem Beispiel der Brüder Grimm, und sein Werk bezeugt, daß die drei nordischen Länder einen



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schier unerschöpflichen Reichtum von Märchen besitzen.

Wir bringen im vorliegenden Band, auf alle ordnende Systematik bewußt verzichtend, daraus eine vieltönige, reiche Auswahl, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, in ihren Motiven aber deutlich werden läßt, daß wir in der Welt der Märchen weiterhin ein weltumspannendes, herrliches und unvergleichbares Material besitzen. Berührungen mit niederdeutschen, keltischen, slawischen und mediterranen Zügen kehren immer wieder, so auch der Dumme und notorisch Faule, der von seiner Verwandtschaft gern aufgezogen und verspottet wird, sich am Ende aber stets als der Geschickteste und vom Glück Bestrahlte erweist. Im Skandinavischen heißt er öfters der Aschenhans oder der Aschenpeter. Völlig eigenwüchsig skandinavischer Herkunft ist das groteske, mitunter hilfsbereite, meist aber tückische und gefährliche Geschlecht der Trolle, wie sie an den Fjorden, im Hochgebirge und in abgelegenen Almhütten hausen. Ihnen nahe verwandt sind die mißgestalteten Meerungeheuer, auch Drauge genannt.

Zum Abschluß unseres Bandes geben wir drei alte schwedische Volksmärchen, die der zu Anfang unseres Jahrhunderts verstorbene, sehr begabte Gustav af Geijerstam im vertrauten und phantasievollen Volkston aufgeschrieben hat. Im Gegensatz zu Andersen und zur Lagerlöf darf man in diesen Gebilden echte und wahre Volksmärchen sehen. Wie er dazu kam, sie niederzuschreiben, darüber hat sich Geijerstam im Vorwort seiner gediegenen Volksmärchensammlung, die ihm ein Herzensanliegen gewesen ist, selber geäußert. Dort schrieb er:

»Aus der Kinderzeit lächeln uns viele liebe Erinnerungen wie Sterne am Frühlingshimmel an. Aber keine Erinnerung bringt eine so wunderbare und tiefe Stimmung mit sich wie ein altes Märchen in einem alten Buche, in dem wir einst mit kleinen Kinderhändchen voll glühenden Eifers und in dem unaussprechlichen Glück der Phantasiebefriedigung geblättert haben.

Im vergangenen Winter kam mir eines Tages ein solches Buch in die Hand, und ich fand Märchen darin, die ich vor mehr als dreißig Jahren gelesen habe. Ich las sie wieder mit gleich großer und ungemischter



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Freude wie das erste Mal, wenn auch diese Freude etwas anderer Art war. Und noch eins: Ich fand, daß mir diese alten Märchen, die ich jahrzehntelang nicht gelesen hatte, noch so lebendig bis in jede Einzelheit im Gedächtnis geblieben waren, wie es sonst nur unsere tiefsten und besten Erlebnisse zu tun pflegen . . . Deshalb habe ich gesammelt. Mögen sie dem neuen Geschlechte ebensoviel Freude bereiten wie damals mir und meinen Altersgenossen in der guten alten Zeit, als man noch das Vorlesen unterbrechen mußte, um das Talglicht zu schneuzen, dessen Docht zu lang geworden war.

K.R.



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MÄRCHEN AUS DÄNEMARK


Ederland, die Hühnermagd

Es war einmal eine Frau, die hatte drei Töchter. Sie war sehr krank und wartete jeden Tag darauf, daß der Tod an ihre Tür klopfen würde. Deshalb rief sie ihre drei Töchter zusammen und verteilte unter sie, was sie hatte. Aber sie teilte nicht gleichmäßig; den beiden ältesten, die immer hübsch und geputzt waren, gab sie ihre ganze Habe, und die jüngste, die kleine Ederland, bekam nur einen Teigtrog, einen Besenstiel und eine Schürze. Die Mutter lebte nur noch kurze Zeit, und als sie gestorben war, teilten sie das Erbe so, wie sie bestimmt hatte, und da sagten die beiden ältesten Schwestern zu Ederland: »Du kannst sehen, Ederland, daß die Mutter uns lieber gehabt hat als dich, denn dir hat sie nur den elenden Teigtrog, den Besenstiel und die Schürze gegeben.« Aber die kleine Ederland war still und geduldig und glaubte trotzdem, daß ihre Mutter sie geradeso lieb gehabt habe wie die beiden anderen.

Nach einiger Zeit kamen alle drei Schwestern in einem vornehmen Haus in Dienst. Die beiden ältesten waren im Hause selbst und hatten bei allen Arbeiten mitzuhelfen; aber die kleine Ederland war nur Hühnermagd. Doch dauerte es nicht lange, da merkte der Herr, daß sein Geflügelhof noch nie in so gutem Stand gewesen war, als seit Ederland dafür zu sorgen hatte, und deshalb lobte er sie beständig vor ihren Schwestern. Das hörten diese aber gar nicht gerne. Schließlich verfielen sie darauf, dem Herrn zu sagen, Ederland vermöge noch viel mehr, wenn sie nur wolle. Sie wüßten gewiß, daß sie einen Leuchter beschaffen könne, der ohne Licht leuchtete; wenn sie es leugne, so wolle sie eben nicht. Als der Herr das hörte, rief er sofort nach Ederland und sagte zu ihr: »Ich habe gehört, du könntest



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mir einen Leuchter verschaffen, der ohne Licht leuchtet, den möchte ich furchtbar gern haben, und du mußt ihn mir verschaffen. Es hilft dir gar nichts, wenn du dich weigerst, denn ich weiß, du kannst, wenn du willst.«

Klein Ederland weinte und sagte, sie wolle ja gern, aber das sei eine Aufgabe, die sie schlechterdings nicht zu lösen vermöchte. Aber der Herr glaubte ihr nicht. »Hier hilft dein Reden nicht«, sagte er, »du mußt mir den Leuchter verschaffen, aber dafür bekommst du auch zwei Scheffel Gold!«

Klein Ederland ging weinend hinaus und gleich zum Grab ihrer Mutter; als sie nun da stand und weinte, kam die Mutter aus dem Grab hervor und sagte: »Du mußt nicht weinen; geh nur heim und verlange vom Herrn zwei Scheffel Salz, nimm deinen Besenstiel und setze ihn als Mast in den Teigtrog und binde die Schürze als Segel fest und fahre mit deinen zwei Scheffeln Salz aufs Meer; dann wirst du dahin kommen, wo du den Leuchter, der ohne Licht leuchtet, bekommen kannst!«

Damit sank die Mutter wieder ins Grab, und Klein Ederland ging heim und verlangte vom Herrn zwei Scheffel Salz. Das bekam sie, und dann richtete sie ihren Teigtrog mit dem Besenstiel als Mast und der Schürze als Segel, nahm ihre zwei Scheffel Salz und fuhr auf das wilde Meer hinaus, wohin die Wellen sie trugen.

Sie fuhr lange umher, aber schließlich landete sie auf der Trollinsel und ging mit ihren zwei Scheffeln Salz an Land. Irgendwo sah sie ein Haus. Sie ging hin, kletterte aufs Dach und schaute zum Schornstein hinunter.

Da unten stand die alte Trollmutter und kochte Brei für ihre Söhne. Und auf dem Herd neben dem Breikessel stand der Leuchter, der ohne Licht leuchtete. Den wollte Ederland ja haben, und als die alte Trolimutter sich umkehrte, schüttete sie ihre zwei Scheffel Salz hinunter in den Brei. Gleich darauf kam die Trollmutter wieder und versuchte den Brei, aber der war furchtbar versalzen. Da nahm sie den Eimer und wollte Wasser holen, um den Brei noch einmal aufzukochen. Aber Ederland ließ sich in einem Hui durch den Schornstein hinunter und lief hinter ihr drein, und als die Alte sich über den Brunnenrand beugte, um den Eimer aufzuziehen, gab ihr Ederland



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einen Stoß in den Rücken, daß sie kopfüber hineinfiel und nicht mehr lebendig zum Vorschein kam.

Ederland holte nun eiligst den Leuchter und lief zu ihrem Schiff. Und als sie gerade ein Stückchen vom Lande weg war, sah sie die Trolle heimkommen und gleich darauf an den Strand laufen. Dort riefen sie ihr nach: »Ederland! Ederland! du hast unsere alte Mutter in den Brunnen geworfen und unseren Leuchter genommen! Wenn du noch einmal hierherkommst, werden wir uns bitter rächen!«Und Ederland rief zurück: »Ja, ich komme noch zweimal wieder!« Dann fuhr sie vergnüglich heim.

Der Herr war voller Freude, als er den Leuchter sah, der ohne Licht leuchtete; Klein Ederland bekam ihre zwei Scheffel Gold, und da war auch sie froh. Aber ihre Schwestern ärgerten sich jeden Tag über ihr Glück und dachten nur daran, wie sie ihr die Freude versalzen könnten. Schließlich sagten sie wieder zum Herrn, Ederland könne noch viel mehr. Sie könne ein Pferd herbeischaffen mit Glöckchen an allen vier Beinen, das könne man hören, lange bevor es da sei, und finden, wie weit es sich auch verlaufen habe. Ein solches Pferd hätte der Herr nun noch viel lieber gehabt als den Leuchter, den er schon besaß. Er ließ Ederland sofort rufen und sagte zu ihr, er wisse wohl, daß sie ihm ein Pferd verschaffen könne, das an allen vier Beinen Glöckchen hätte und das man von weitem höre und das sich nie verlaufen könne, so weit es auch immer fort sei. Das Pferd solle sie ihm verschaffen. Ederland weinte und sagte, sie wolle ja gerne, aber sie könne nicht. Doch der Herr wollte sich damit nicht zufriedengeben. »Du kannst wohl, wenn du willst«, sagte er, »das Pferd mußt du mir verschaffen, ich will dir drei Scheffel Gold dafür geben.«

Ederland ging wieder ans Grab ihrer Mutter, weinte und war sehr betrübt. Aber die Mutter erhob sich wieder aus dem Grab und sagte zu ihr: »Weine nicht, Klein Ederland! Geh heim und bitte den Herrn um vier Büschel Werg und nimm sie mit und setze dich in deinen Teigtrog mit dem Besenstiel und der Schürze, wie das letztemal. Dann wirst du an einen Ort gelangen, wo du das Pferd mit den Glöckchen an allen vier Beinen bekommen kannst.«Darauf sank die Mutter wieder in ihr Grab, und Klein Ederland ging heim und verlangte vom Herrn die vier Büschel Werg. Sie bekam sie sogleich und



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fuhr in ihrem Teigtrog auf das Meer, mit dem Besenstiel als Mast und der Schürze als Segel. Auch dieses Mal landete sie wieder auf der Trollinsel. Es

war gerade die Zeit, da die Trolle zu Hause waren und zu Mittag aßen, und auf der Wiese vor dem Haus graste das Pferd mit den Glöckchen an den Beinen. Ederland schlich zu ihm hin, band um jedes Bein einen Büschel Werg, so daß die Glöckchen nicht läuten konnten, und zog das Pferd an den Strand hinunter. Gerade als sie es ins Boot führte, löste sich von dem einen Bein der Wergbüschel, und gleich fing die Glocke zu klingeln an, und alle Trolle kamen an den Strand gerannt. Aber Klein Ederland hatte das Pferd glücklich ins Boot gebracht und war schon ein kleines Stück vom Lande weggekommen, als die Trolle am Ufer anlangten. Sie gerieten in greuliche Wut, als sie sahen, daß Ederland mit ihrem Pferd entkommen war, und riefen ihr nach: »Ederland! Ederland! du hast unsre alte Mutter umgebracht und uns unseren Leuchter genommen, und nun hast du unser Pferd gestohlen! Wenn du wiederkommst, werden wir uns bitter rächen!« Und Ederland rief zurück: »Ja, ich komme noch einmal!«

Als nun Ederland mit dem Pferd heimkam, war der Herr voller Freude und gab ihr gern die drei Scheffel Gold, die er ihr versprochen hatte, und sie war auch sehr froh. Aber ihre beiden Schwestern freuten sich gar nicht über ihr Glück: sie dachten Tag und Nacht an nichts anderes, als wie sie ihr Böses antun könnten, und einige Zeit darauf sagten sie zu dem Herrn: »Ederland könnte Euch noch etwas viel Besseres verschaffen, als was ihr bis jetzt habt, wenn sie nur wollte: nämlich ein Schwein, von dem man so viel Speck ausschneiden kann wie man will, es bleibt doch immer gleich viel dran.« Das schien dem Herrn das Allerschönste, und Ederland mußte gleich kommen, und er sagte zu ihr: »Ich habe gehört, daß du mir ein Schwein verschaffen kannst, von dem man so viel Speck abschneiden kann, wie man will, und das doch immer gleich fett bleibt; dieses Schwein muß ich haben!« Vergebens weinte Ederland und sagte: »Ich wollte ja gern, wenn ich nur könnte; aber ein solches Schwein kann ich Euch nicht verschaffen!« Doch der Herr wollte nichts davon wissen: »Du kannst und mußt mir das Schwein verschaffen!«



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sagte er, »dafür will ich dir aber auch alle Herrlichkeit, die du hier siehst, schenken!«

Aber Klein Ederland war sehr traurig. Sie ging ans Grab ihrer Mutter und weinte bitterlich. Da stieg die Mutter aus ihrem Grab und sagte zu ihr: »Weine nicht, Klein Ederland! Geh nur heim und verlange vom Herrn zwei Speckseiten und setze dich in dein Boot und fahre aufs Meer. Dann wirst du schon dahin kommen, wo du dieses Schwein bekommen kannst!« Und als sie das gesagt hatte, sank sie wieder ins Grab hinunter. Aber Ederland ging nach Hause und bekam die zwei Speckseiten, setzte sich in ihren Teigtrog mit dem Besenstiel als Mast und der Schürze als Segel, und der Wind blies sie wieder übers Meer bis an die Trollinsel. Es war die Zeit, da die Trolle Mittagsschlaf hielten. Das Schwein war auf der Weide, aber die Trolle hatten einen kleinen Buben angestellt, der es hüten sollte. Ederland lief zu dem Buben hin und sagte zu ihm: »Diese zwei Speckseiten sind für die Trolle; willst du sie hinauftragen, so will ich unterdessen das Schwein hüten.«Der Knabe dachte sich nichts Böses dabei; er nahm den Speck und lief damit ins Haus. Aber als er den Trollen erzählte, auf welche Weise er zu den zwei Speckseiten gekommen war, dachten sie gleich, Ederland könne wieder die Hand im Spiel haben, und rannten, was sie konnten, an den Strand. Und da hatte Ederland das Schwein noch nicht ins Boot bringen können. Da packten die Trolle das Schwein und sie selber, und Ederland schleppten sie ins Haus und übergaben sie dem alten Trollvater und sagten, er solle sie schlachten und ihnen ein recht gutes Abendessen vorsetzen, wenn sie von der Arbeit nach Hause kämen. Dann gingen die Trolle fort, und Ederland blieb allein mit dem alten Trolivater zurück. Der schleppte einen großen Block herbei und stellte die Axt daneben und sagte zu ihr: »Nun leg deinen Kopf auf den Block, daß ich ihn abhauen kann!« —»Ja, das will ich schon«, sagte Ederland, »aber ich weiß gar nicht, wie ich mich dazu anstellen soll; du mußt es mir schon vormachen!« —»Ach«, sagte der alte Troll, »das ist doch ganz einfach, du brauchst es nur so zu machen«, und damit legte er seinen Kopf auf den Block. In einem Hui hatte Ederland die Axt ergriffen und hieb ihm mit einem Schlag das Haupt ab. Dem Kopf setzte sie dann die Zipfelmütze auf und legte ihn ins Bett, und den



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Körper tat sie in den Suppenkessel, der über dem Herde hing. Dann lief sie hinunter an den Strand, nahm das Schwein und fuhr damit auf ihrem Boot davon.

Aber bald darauf kamen die Trolle nach Hause und machten sich gleich über das Essen her, das auf dem Feuer stand. Sie wunderten sich sehr, daß das Fleisch so zäh war, obgleich es doch junges Fleisch war. Aber sie waren so hungrig und würgten es doch hinunter. Schließlich jedoch fiel einem von ihnen ein, daß ihr alter Vater auch dabeisein müßte. Und er ging hin und rüttelte ihn. Aber da gab es einen großen Schrecken, als sie sahen, daß nur sein Kopf im Bett lag. Nun merkten sie, wie die ganze Sache zugegangen war, und rannten vom Essen weg an den Strand. Aber da fuhr Ederland schon weit draußen auf dem Meer. Da kamen die Trolle in die höchste Wut und riefen ihr nach: »Ederland! Ederland! du hast unsere alte Mutter umgebracht, du hast unseren Leuchter genommen, du hast unser Pferd gestohlen, und nun hast du unseren alten Vater umgebracht und unser Schwein gestohlen! Wenn du noch einmal kommst, werden wir uns bitter rächen!«Aber Ederland rief zurück: »Ich komme nicht wieder, doch will ich euch zwei schicken, an denen ihr ebensoviel Freude haben sollt wie an allem, was ich euch gestohlen habe.«

So fuhr Klein Ederland heim, und der Herr empfing sie mit großer Freude, und bald darauf hielten sie Hochzeit und lebten in Glück und Zufriedenheit. Die Schwestern blieben bei ihr und grämten sich von Tag zu Tag mehr über Ederlands Glück. Da sagte eines Tages Ederland zu ihnen: »Wenn ihr Lust habt zu segeln, so könnt ihr gern meinen Trog haben!« Und die Schwestern wollten es gleich probieren. Sie stiegen in den Trog und fuhren drauflos und kamen auch auf die Trollinsel. Aber da packten die Trolle sie und kochten und brieten sie und freuten sich des guten Fanges.


Der Hirschprinz

Es war einmal ein Witwer und eine Witwe, die einander heirateten. Jedes von ihnen hatte eine Tochter. Die Tochter des Mannes war anmutig und hübsch, die Tochter der Frau aber war sehr häßlich. Die Frau war neidisch auf die Tochter des Mannes, weil sie so viel schöner



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war als ihre eigene. Sie überlegte früh und spät, was sie ihr Arges antun könne, und zeigte sich sehr böse gegen sie. Nun war der Mann fast jeden Tag fort vom Morgen bis zum Abend, und weil er nie zu Hause war, merkte er gar nicht, wie es seiner Tochter erging. Eines Abends, nachdem die Tür geschlossen war und alle schon im Bett lagen, klopfte es an die Tür. Da sagte die Frau zu ihrer Tochter, sie solle gehen und aufschließen und sehen, wer draußen sei. Dazu hatte die Tochter keine Lust, und da wollte die Tochter des Mannes gehen und aufschließen; aber sie durfte nicht, denn die Frau wollte durchaus, daß ihre Tochter aufmachen sollte. Das Mädchen ging hin und schloß auf; da stand ein großer Bock oder ein Hirsch oder etwas derart vor der Tür. Sie packte einen Besenstiel und wollte das Tier damit prügeln; aber es war bereits fort. Dann ging sie wieder hinein und erzählte ihrer Mutter, was da gewesen war. Am nächsten Abend, als die Tür schon geschlossen war, klopfte es wieder, und diesmal traute sich die Tochter der Frau nicht hinzugehen und aufzumachen. Da mußte nun die Tochter des Mannes gehen. Als sie die Tür aufschloß, sah sie den Hirsch draußen stehen und sagte zu ihm: »Wo kommst du denn her, du armer Kerl?« Er antwortete: »Kleines Mädchen, setz dich auf meinen Rücken!«Nein, das wollte sie nicht, sagte sie, das sei ja die reine Sünde, der arme Kerl habe an sich selber genug zu schleppen. Ja, aber auf andere Weise könne sie nicht mitkommen, sagte der Hirsch. Da setzte sie sich auf den Rücken des Hirsches, denn zu Hause wollte sie doch nicht bleiben, und er lief mit ihr davon. Sie kamen an eine Wiese, und dort sagte er zu ihr: »Wie wäre es, wenn wir uns hier einmal etwas vergnügen könnten?«

Das Mädchen dachte nach, wie es wohl zugehen solle, daß sie beide sich hier mal vergnügen könnten. Dann kamen sie an einen Wald; und auch da sagte der Hirsch wieder: »Wie wäre es, wenn wir einmal in diesem Wald spazierengehen und uns vergnügen könnten?« Aber sie konnte nicht verstehen, wie das wohl zugehen sollte. Schließlich kamen sie an ein riesig großes Schloß; da führte sie der Hirsch hinein und sagte ihr, hier solle sie nun ganz allein leben; aber alle ihre Wünsche würden ihr erfüllt werden, und sie möge zusehen, wie sie sich am angenehmsten die Zeit vertreibe, er werde sie schon wieder einmal



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besuchen. Aber einen Platz gäbe es, wo sie nicht hindürfe, nämlich einen Ort mit drei Türen, eine von Holz, eine von Kupfer und die dritte von Eisen. Diese dürfe sie um keinen Preis öffnen - er aber dachte bei sich, daß sie ganz gewiß am eiligsten eben das tun werde, was er ihr verboten hatte.

So schlug sie denn den Tag tot, so allein wie sie war; die Nacht kam, und am anderen Morgen sah sie sich um. Nun bekam sie große Lust, die eiserne Tür zu öffnen, sie konnte nicht widerstehen und tat es auch; da sah sie zwei Männer stehen, die rührten mit bloßen Händen und Armen in einem Kessel voll Teer. Sie fragte die Männer, warum sie denn mit bloßen Händen und Armen rührten. Sie sagten, sie könnten nicht anders, bis ihnen ein Christenmensch etwas zum Rühren gäbe. Da nahm sie eine Axt und schnitzte eine Art flachen Rührlöffel und gab ihn den Leuten zum Rühren. Der Tag ging hin und die Nacht kam, und am nächsten Morgen hörte sie großen Lärm im Hof. Überall liefen Männer herum, da waren Knechte, die Pferde fütterten, und Diener, die Silberzeug putzten, und alle waren sehr eifrig, und der ganze Hof war voller Männer. Nun bekam sie auch Lust, die zweite Tür zu öffnen, und sie schloß die kupferne Tür auf. Da sah sie zwei Mädchen stehen, die in glühendem Feuer mit bloßen Händen schürten. Sie fragte, warum sie das täten. Da sagten die Mädchen, sie dürften nicht anders, bis ihnen ein Christenmensch etwas zum Schüren gäbe. Nun gab sie ihnen eine Stange, und die Mädchen bedankten sich dafür sehr. Am nächsten Morgen war das Schloß ganz voll von Mädchen, die fegten und wuschen und putzten alles. Sie aber ließ den Tag hingehen, aber sie konnte nicht anders, sie mußte auch die hölzerne Tür öffnen. Da lag der Hirsch auf einem Strohwisch, und sie fragte ihn, warum er so daliege. Er sagte, er müsse so liegen bleiben, bis ein Christenmensch ihm den Schmutz abwische. Sie nahm eine Handvoll Stroh und wischte ihm den Schmutz ab. Und während sie das tat, verwandelte er sich in den schönsten Prinzen, den man sich denken kann. Dann erzählte er, daß er und das ganze Schloß verzaubert waren, nun aber sei alles gut, und sie wollten Hochzeit machen. Es war eine schöne Hochzeit, und sie dauerte mehrere Tage.

Als einige Zeit vergangen war, fragte der Prinz seine Frau, ob sie



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nicht Lust habe, ihre Mutter und Schwester zu Besuch einzuladen. Sie hatte Lust dazu. Da sagte der Prinz zu ihr, wenn sie nun kämen, so würde er nicht gleich dasein, aber wenn sie ihnen mit Wein aufwartete, solle sie einen Tropfen auf ihren Schuh verschütten, dann würde er kommen und ihn auf trocknen. Auch dürfe sie ihrer Mutter nichts geben, was ein oder drei Dinge seien, sondern nur vielerlei Dinge, wie Korn oder so etwas. Als nun die Mutter und die Schwester kamen, war die Prinzessin -denn nun war sie ja eine Prinzessin —sehr freundlich zu ihnen, und als sie ihnen Wein einschenkte, verschüttete sie einen Tropfen auf ihren goldenen Schuh; im Augenblick kam der Prinz herein und trocknete den Fleck mit seinem Taschentuch ab; und wenn die anderen nicht schon zuvor Mund und Nase aufgesperrt hatten, so taten sie das jetzt, als sie ihn kommen sahen. Sie gingen hinaus in den Garten, und da wollte die Mutter durchaus einen Apfel haben, aber die Prinzessin gab ihr keinen. Die Mutter bestand darauf, sie wolle Äpfel haben, und wenn es nur drei wären, aber nein, die Prinzessin sagte bloß, wenn sie reif wären, könnte sie eine ganze Menge bekommen. Da wurde die Mutter furchtbar zornig, und als sie mit ihrer eigenen Tochter fortging, war sie ganz voller Neid, daß nicht ihre Tochter zu diesem Glück gekommen war. Sie konnte nicht anders und ließ es sie auch hören, daß sie selbst daran schuld sei, und die Tochter gab trotzig Antwort, und wie es so geht -ein Wort gab das andere, und sie kamen einander ordentlich in die Haare: zuletzt zersprangen sie alle beide in lauter Kieselsteine; und das ist der Grund dafür, daß es in der Welt so viele Kieselsteine gibt.


Die kleine Wildente

Es war einmal eine Frau, die hatte drei Kinder; von zweien war sie die Stiefmutter, nur das dritte war ihr rechtes Kind. Der Sohn zog fort, um sich einen Dienst zu suchen, und kam zum König an den Hof, wo er sehr geschätzt wurde.

Die Töchter aber blieben daheim bei der Mutter. Sie war derart böse gegen die Stieftochter, wie sie es nur sein konnte, und ihr letztes Ziel



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war, ihr das Leben zu nehmen. Aber das Mädchen selber war stets brav und gut und ein liebes kleines Ding. Eines Tages nun nahm die Mutter sie, setzte sie auf den Brunnenrand und hieß sie Garn winden. Als sie nun treulich an ihrer Arbeit saß, kam die Mutter von rückwärts heran und stieß sie kopfüber in den Brunnen. Aber es war nicht so viel Wasser darinnen, daß sie ertrinken konnte; so suchte sie unten im Brunnen lange herum, bis sie ein altes rostiges Tor fand. Da hinein ging sie und fand Leute darin, die hatten viel zu tun, denn sie waren gerade beim Backen, und waren übel dran, denn sie hatten ein kleines Kind, das krank und schwächlich war, und sie konnten es nicht richtig pflegen, weil sie so viel zu tun hatten. Da sagte sie, ob sie nicht das Kind für eine Weile hüten solle, denn es tue ihr leid, wie es weine. Ja, wenn sie das wolle, sagten sie, sei es ihnen ganz recht. Also hütete sie das Kind den ganzen Tag, spielte mit ihm und brachte es zur Ruhe, und das Kind war sehr gern bei ihr.

Am Abend sagten die Leute, nun dürfe sie drei Wünsche tun, weil sie mit dem Kind so lieb gewesen sei. Sie aber wollte sich nichts anderes wünschen, als daß sie wieder aus dem Brunnen herauskäme. Da sagte die Frau, wenn sie sich selbst nichts wünsche, so wolle sie die Wünsche für sie tun, und aus dem Brunnen werde sie schon herauskommen. Der erste Wunsch war, jedesmal, wenn sie ihre Haube abnähme und ihr Haar löste, sollte es hell werden, wenn es auch sonst noch so dunkel wäre. Der andre Wunsch sollte sein, daß jedesmal, wenn sie ausspuckte, sie einen goldnen Ring spucken sollte; und der dritte war, wenn sie einmal in Wassersnot sei, so solle sie nicht ertrinken können, sondern wie eine kleine Wildente auf dem Wasser schwimmen. Als diese Wünsche ausgesprochen waren, sorgten die Leute dafür, daß sie wieder aus dem Brunnen herauskam, und so kam sie wieder zu ihrer Mutter.

»Was! Kommst du wieder?« rief diese. Da spuckte das Mädchen auf den Boden, und es kam eine Menge schöner Goldringe aus ihrem Mund und lagen und glänzten am Boden. Als die Stiefmutter sie sah, kam sie gerannt und wollte sie auflesen, aber das Mädchen las sie selber eilig zusammen und steckte sie in die eigene Tasche. Am Abend, als es dunkel wurde, nahm sie ihre Haube ab und machte ihr Haar auf. Da wurde es so hell im Zimmer, als ob es hellichter Tag wäre.



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Die Frau wurde nun noch neugieriger und fragte das Mädchen aus, was sie bei den Leuten unten im Brunnen getan habe, weil diese sie so beschenkt hätten. »Das will ich Euch sagen«, sagte sie, »sie waren beim Backen da unten und hatten auch ein kleines Kind, das habe ich gehütet, und dafür taten sie drei gute Wünsche über mich.«

»Da soll meine eigne Tochter gleich morgen auch hinunter und drei Wünsche erfüllt bekommen«, sagte die Frau. Am Morgen schickte sie ihr eigne Tochter auch an den Brunnen, und als sie am Brunnenrand saß und spann, rannte die Frau hin und stieß sie hinunter. Das Mädchen suchte so lang, bis es das rostige Tor fand und zu den Leuten hineinkam. Heute waren sie beim Schlachten und hatten viel damit zu tun. Als sie hörte, daß das Kind schrie, bot sie sich an wie ihre Schwester, daß sie es gerne ein wenig hüten wolle. Aber es war sehr unruhig, und sie war böse und zornig mit ihm, so daß es ganz verärgert wurde und die ganze Zeit weinte, und je ärger sie weinte, um so ungeduldiger wurde sie und schlug und knuffte das Kind. Am Abend durfte sie auch drei Wünsche tun, und als sie nur bat, aus dem Brunnen herauszukommen, weil sie genug hatte von da unten, da sagten sie: »Du kommst ganz sicher wieder heraus.« Aber dann wünschten sie ihr erstlich, daß jedesmal, wenn sie ihre Haube abnähme und ihr Haar aufmachte, es um sie herum dunkel werden solle, und wenn es auch hellichter Tag wäre, und weiter, daß ihr am Kopf ein Fuchsschwanz wachsen solle, und je öfter man ihn abschnitte, desto länger solle er werden. Zuletzt sagte die Frau: »Und mein dritter Wunsch soll sein, daß jedesmal, wenn sie spuckt, eine graue Kröte ihr aus dem Mund springt.« Die Wünsche waren getan, und daraufhin waren die Leute darüber einig, daß man ihr aus dem Brunnen helfen müsse, und so kam sie wieder zu ihrer Mutter.

»Aber was ist das für ein Schwanz, der dir da am Kopf hängt?«fragte die Mutter sie; »den wollen wir doch abschneiden.« Sie holte eine Schere und schnitt den Schwanz ab, aber da wurde er länger; sie schnitt noch einmal zu, aber da wurde er so lang, daß er auf dem Boden nachschleppte, und so wie er war, mußte sie ihn behalten. Seit der Zeit nannten die Leute sie Fuchsschwanz.

Des anderen kleinen Mädchens Bruder diente beim König und war recht gut angeschrieben bei ihm. Jeden Tag nach Tisch bat er um Erlaubnis,



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in den Wald gehen zu dürfen. Da wurde der König neugierig, und eines Tages schlich er ihm nach, um zu sehen, was wohl der Grund sei, daß er jeden Tag in den Wald ging. Da hatte der Bursche ein wunderschönes Bildnis in einen Baum geschnitzt, und das war das Bild seiner Schwester. Der König fragte ihn, was das für ein Bild sei, das er da habe, ob es etwa ein Götze wäre, zu dem er bete? Nein, sagte er, das sei seine Schwester, die sei daheim und es gehe ihr sehr schlecht, denn ihre Stiefmutter sei gar böse zu ihr, und nun gehe er jeden Tag da heraus und bitte den lieben Gott, er möchte ihr doch helfen, und es möge ihr besser gehen. Zugleich erzählte er auch, wie schön sie sei, und der König sagte zuletzt, wenn sie so schön sei, so solle der Bursche heimreisen und sie holen, es könne sein, daß er sie zur Frau haben wolle.

Der Bursche machte sich auf den Weg und kaufte unterwegs schöne Kleider für seine Schwester, denn er wußte sehr genau, daß sie viel zu geringe Kleider hatte. Mit diesem Einkauf hatte er Glück, denn die Kleider paßten ihr ausgezeichnet, und sie sah schön aus darin. Er richtete seinen Auftrag aus, daß er sie mit an den Hof nehmen werde, sie solle dem König dienen. Ja, sagte da die Mutter, sie und Fuchsschwanz wollten auch mit. Er konnte ihnen die Reise nicht gut verbieten, und so machten sie sich zu viert auf den Weg.

Als sie aufs Meer hinaus kamen - denn sie mußten zu Schiff zum Königsschloß fahren -, war das Wetter so stürmisch, daß der Bruder auf Deck ging und zu seiner Schwester sagte: »Hüte dich!« Denn die Wellen schlugen erschrecklich über Bord hinein. Aber sie konnte nicht hören, was ihr Bruder sagte, denn ihre Stiefmutter hatte sie so sehr aufs Ohr geschlagen, daß sie davon schwerhörig geworden war. Da fragte sie die Mutter: »Was hat mein Bruder da gesagt?«

»Er sagt, du sollst dein Kleid ausziehen und es meiner Tochter zum Anziehen geben.« Was ihr Bruder ihr befahl, das tat sie gerne. Also zog sie ihr Kleid aus und tauschte das ein, das Fuchsschwanz getragen hatte. Bald darauf rief ihr Bruder wieder: »Schwester, hüte dich!«

»Was sagt mein Bruder da?« fragte sie. »Er sagt, du sollst den Schmuck von deinem Kopf nehmen und ihn meiner Tochter aufsetzen.« Ja, was ihr Bruder befahl, das täte sie gerne, antwortete sie und



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nahm den Schmuck von ihrem Kopf und setzte ihn Fuchsschwanz auf. Aber er stand dieser nicht sonderlich gut, weil sie den Schwanz an ihrem Kopf hatte. Da rief ihr Bruder wieder: »Schwesterlein, hüte dich doch!«

»Was sagt mein Bruder da?«

»Er sagt, du sollst deinen Kopf in meinen Schoß legen, daß ich dich lausen kann«, sagte die Mutter; und sie tat es auch, denn was ihr Bruder befahl, das tat sie gerne. Im gleichen Augenblick aber warf die Mutter sie hinaus ins Meer.

Doch sie ertrank nicht, sondern wurde eine kleine Wildente, die hinter dem Schiff herschwamm.

Als sie an Land kamen, ging der König vom Schloß herunter ihnen entgegen und fragte, ob das seine Schwester wäre. Jetzt hatte er keine andre Schwester mehr als diese. Da wurde der König zornig und sagte, er müsse hinunter ins Schlangenverlies, und die Schlangen sollten ihn fressen. Das war damals die Strafe, wenn sich jemand etwas Schweres zuschulden hatte kommen lassen. Also wurde er auf des Königs Befehl hinunter ins Schlangenverlies geworfen.

Als es nun Abend wurde, kam eine kleine Wildente und schwamm in den Rinnstein hinein, so daß sie in des Königs Küche kam: dort warf sie alle ihre Federn ab und wärmte ihren nackten Körper am Feuer. Ein kleiner Hund saß in der Küche. Zu dem ging die Ente hin und sagte:

»Rupfer, Zupfer unter der Bank!
Schläft der König in seinem Hof?
Schläft der alte Schelm hinterm Ofen?
Schläft im Schlangenverlies der Bruder?
Schläft Schwester Fuchsschwanz und schläft
ihre Mutter?«


***
Dann gab sie dem Hund ein Reis, das er ihrem Bruder hinreichen sollte, damit er die Schlangen abwehren könne, und zuletzt spuckte sie einen goldenen Ring für das Küchenmädchen, weil diese ihr erlaubt hatte, sich am Feuer zu wärmen. Nun lag da wirklich ein alter Schelm hinterm Ofen, und die ganze Zeit über war er wach und hörte zu. Schließlich, als die Ente alle ihre Federn wieder angezogen


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hatte, sagte sie noch: »Jetzt komme ich noch zweimal, wenn ich dann nicht erlöst werde, muß ich mein Leben lang am Strande gehen.«Das hörte der Knecht auch; aber er traute sich nicht, es dem König zu sagen, denn wenn es nicht stimmte, fürchtete er, auch ins Schlangenverlies zu kommen.

Am nächsten Abend kam die Ente wieder und schwamm in den Rinnstein wie vorher; als sie hineinkam, schüttelte sie ihre Federn ab und sagte zu dem Hund:

»Rupfer, Zupfer unter der Bank!
Schläft der König in seinem Hof?
Schläft der alte Schelm hinterm Ofen?
Schläft im Schlangenverlies der Bruder?
Schläft Schwester Fuchsschwanz und schläft
ihre Mutter?«


***
und dabei warf sie ihm ein Reis hin, das er ihrem Bruder geben sollte, damit er die Schlangen abwehren könne, und dann spuckte sie einen Goldring für das Küchenmädchen, zum Dank, weil diese ihr erlaubt hatte, sich zu wärmen. Endlich sagte sie noch: »Jetzt komme ich noch einmal, und wenn ich da nicht erlöst werde, muß ich mein Leben lang am Strande bleiben.« Da lag der alte Schelm wieder und hörte das alles, und am folgenden Tag erzählte er dem König alles, wie es zugegangen war und was er gehört hatte. Nun wollte der König sich die nächste Nacht selber hinter den Herd legen und hören, und wenn es nicht stimmte, was der Knecht gesagt hatte, so solle er ins Schlangenverlies wandern.

Als es wieder Abend wurde, kam sie wie zuvor durch das Rinnsteinloch hereingeschwommen und sagte zu dem Hund:

»Rupfer, Zupfer unter der Bank!
Schläft der König in seinem Hof?
Schläft der alte Schelm hinterm Ofen?
Schläft im Schlangenverlies der Bruder?
Schläft Schwester Fuchsschwanz und schläft
ihre Mutter?«


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***
Da warf sie dem Hund ein Reis zu, das er ihrem Bruder geben solle, damit er sich die Schlangen fernhalten könne, und spuckte einen Goldring für das Küchenmädchen, weil die ihr erlaubt hatte, sich zu wärmen. »Jetzt komme ich niemals mehr und muß mein Leben lang am Strand gehen«, sprach sie und watschelte hin und her auf dem Boden mit ihrem bloßen Körper, denn ihre Federn hatte sie abgeschüttelt wie gewöhnlich, als sie kam; aber die hatte der König heimlich an sich genommen, während sie auf und ab ging, und als sie nun fort wollte, brauchte sie ihre Federn, aber sie konnte sie nicht finden.

Da begann sie gar heftig zu klagen: Jetzt habe sie nicht einmal ihre Federn mehr und müsse ganz gewiß erfrieren, denn sie könne nicht mehr kommen und sich wärmen. Jedoch der Augenblick kam, wo sie fort mußte, und da wollte sie zum Rinnstein hinausschwimmen wie gewöhnlich; aber der König packte sie, und da sie ihm entfliehen wollte, griff er fest zu. Da wurde sie in einen Käse verwandelt, und als erden ein wenig in die Asche legen wollte, wurde daraus ein Aal. Er nahm ein Messer und wollte ihm den Kopf abschneiden, aber da verwandelte er sich in die schönste Jungfrau, die er je gesehen hatte. Nun wurde zu allererst hinunter zu ihrem Bruder geschickt, daß er aus dem Schlangenverlies befreit werde, und die Schlangen hatten ihm nichts zuleide getan, weil er unschuldig hineingekommen war. Dann wurden Fuchsschwanz und die Stiefmutter ergriffen und mußten bekennen, was sie gegen ihre Schwester und ihren Bruder unternommen hatten. Zur Strafe dafür wurden sie in eine Tonne mit Stacheln darin gesteckt, und davor wurden vier wilde Pferde gespannt. Die rannten nach allen Himmelsrichtungen mit ihnen, und so kamen sie elend ums Leben. Der König aber nahm das kleine Mädchen zur Frau, und ihr Bruder dient ihnen noch heute.


Die Schlange

Es war einmal ein alter Mann, der wohnte in einem Wald und hatte kein Brennholz mehr. Nur noch die alten faulen Bäume blieben ihm zum Umhauen. Eines Tages nun stand seine alte Frau vor der Hütte



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und spaltete das faule Holz klein. Da kroch eine junge Schlange heraus. >Ach<, sagte die Frau zu sich selber, >seht nur das stumme Getier an, das da am Boden kriecht; das kann Junge haben, und wir Menschen können keine Kinder bekommen!< Da sagte die Schlange: »Wenn ihr so gern Kinder haben wollt, nehmt doch mich und zieht mich auf!« — »Was!« schrie die Frau, »du kannst reden?« Dann ging sie mit der Schlange in ihre Stube und richtete ihr unterm Ofen eine Lagerstatt. Da kam der Mann nach Hause. Die Frau erzählte ihm, daß eine kleine Schlange aus dem Baum herausgekrochen sei und schließlich gesagt habe, sie möchten sie aufziehen. Also behielten sie sie unterm Ofen, bis sie sieben Jahre alt war. Da kam ihr der Gedanke, daß sie heiraten wolle. Da sagte der Mann: »Nun, da muß ich wohl sehen, daß ich draußen im Walde eine Schlangenfrau für dich finde.« Die Schlange sagte: »Nein, Pflegevater, ich will keine Schlange, ich will eine Prinzessin haben! Will der Pflegevater morgen zeitig gehen und mir die Prinzessin holen?« —»Nein, das getraue ich mir nicht«, sagte der Pflegevater, »denn ich habe Angst, der König könnte mich ins Gefängnis werfen.« Die Schlange sagte, er könne getrost gehen, wenn er es nur richtig anfinge. Also ging er denn hinauf ins Schloß und fiel auf der Treppe auf die Knie. Dann kam er in ein Gemach, und da fiel er wieder auf die Knie und bat, der König möge ihn nicht strafen, wenn er eine Bitte vor ihn brächte. Der König sagte: »Rede nur frei heraus! Es soll dir nichts geschehen?« Da sagte der Mann: »Ich habe eine Schlange unter meinem Kachelofen, die habe ich jetzt schon seit sieben Jahren; und die möchte nun gerne heiraten und verlangt die Prinzessin zur Frau.« — »Ja«, sagte der König, »wenn sie es fertigbringt, daß alle meine Obstbäume im Garten goldene Äpfel und silberne Äpfel und goldene Blätter und silberne Blätter tragen, dann kann sie die Prinzessin bekommen.«

Als der Mann heimkam, fragte die Schlange: »Wie ist es gegangen, Pflegevater?« Da sagte er: »Du sollst machen, daß alle seine Obstbäume in seinem Garten goldene Äpfel und silberne Äpfel und goldene Blätter und silberne Blätter tragen.« — »Das kann ich leicht, Pflegevater!« sagte die Schlange, »jetzt müßt Ihr hinausgehen und alle Arten Obststeine, Zwetschgensteine, Kirschensteine und alle



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anderen in Euer kleines Körbchen sammeln. Am Abend geht Ihr dann hinauf in den Garten und werft in jeden Baum eine Handvoll davon, so lange, bis Ihr bei allen Bäumen gewesen seid. Wenn Ihr dann an die Gartentür kommt, so schaut Euch um und seht, was daraus geworden ist.« Als er dann an die Tür kam und sich umschaute, sah es aus, als ob alle Bäume im Feuer stünden: sie waren von purem Gold.

Am nächsten Tag ging der Mann frühmorgens zum König und fragte, ob er seinen Garten gesehen habe. Der König sagte, er habe ihn gesehen, und die Schlange habe seine Tochter wohl verdient, aber sie müsse noch eine Probe bestehen, nämlich alle seine Gartenbänke und alle seine Gartenwege mit Perlen und Edelsteinen auslegen. Als der Mann heimkam, fragte die Schlange: »Wie ist es gegangen, Pflegevater?« Er antwortete: »Du sollst alle seine Gartenbänke und alle seine Gartenwege mit Perlen und Edelsteinen auslegen. Wie fangen wir denn das an?«

Die Schlange sagte: »Ach, das können wir ganz leicht machen, Pflegevater! Ihr müßt ausgehen, aller Art Scherben sammeln und sie ganz klein schlagen und am Abend in Euern kleinen Korb tun, und wenn alles dunkel ist, müßt Ihr ins Schloß gehen und die Scherben rundum werfen, auf die Bänke, auf die Wege und überall hin. Wenn Ihr dann aus dem Garten geht, so müßt Ihr Euch umschauen, wie schön es geworden ist.« —Als er heimkam, fragte die Schlange, ob er etwas gesehen habe. Er antwortete, ja, alles sei wie vergoldet gewesen, die Wege und die Bänke. Da sagte die Schlange: »Wollt Ihr nun morgen in aller Frühe aufs Schloß gehen und den König fragen, ob er mir jetzt seine Tochter geben will?«

Am Morgen in aller Frühe ging er hinauf und fragte den König: »Habt Ihr Euren Garten gesehen?« Er antwortete: »Ja, ich hab ihn gesehen, und die Schlange hat wohl meine Tochter verdient, aber sie muß noch eine Probe bestehen, sie soll mein ganzes Schloß vergolden.« Da ging der Mann wieder heim zu der Schlange. »Nun, was sagt der König jetzt?«fragte sie. »Er sagt, du bist noch nicht am Ende: du sollst ihm sein ganzes Schloß vergolden.« — »Das können wir ja leicht tun«, sagte die Schlange. »Der Pflegevater braucht nur in den Wald zu gehen und allerlei Grün zu holen, das sich in ein



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Bündel binden läßt. Dann nehmt Ihr das in Eurem Korb, geht hinauf ins Schloß und reibt mit dem Bündel die Wände ab, so weit Ihr reichen könnt. Bevor Ihr dann zur Tür hinausgeht, seht Ihr Euch um.« Da war das ganze Schloß wie vergoldet. — Da sagte die Schlange zu ihrem Pflegevater: »Wollt Ihr jetzt hinaufgehen und fragen, ob der König mir jetzt seine Tochter geben will?« Da sagte der König: »Ja, sie hat es verdient, nun soll sie sie auch haben.«

Da ging der Pflegevater heim zu der Schlange und sagte zu ihr: »Jetzt bekommst du die Prinzessin, nun kannst du hinauf ins Schloß kriechen.« Aber die Schlange sagte, nein, sie wolle im Wagen fahren, und der Pflegevater mußte in die Stadt gehen und einen Wagen auf den und den Tag bestellen und mit der Schlange aufs Schloß fahren.

Als sie durch die Straßen fuhren, waren alle Leute neugierig, rannten auf die Straße und wollten die Schlange sehen. Aber als sie sie sahen, bekamen sie solche Angst, daß sie wieder in ihre Häuser liefen und nicht mehr hinzusehen wagten. Sie kamen vor dem Schloß an, die Schlange drückte die Wagentür auf und kroch auf die Treppe zu. Da standen Vater und Mutter am Fenster und sahen das greuliche Tier. Und sie riefen ihrer Tochter zu: »Nimm dich in acht! Sonst frißt sie dich!«Sie sagte, nein, die Schlange habe sie teuer verdient. Da rannten die Eltern hinaus in ein anderes Gemach und schlossen die Tür hinter sich zu. Aber die Tochter blieb ganz allein im Saal stehen. Die Schlange kam herangekrochen und glitt an ihr hinauf, über die Füße und über die Beine und kam mit dem Mund bis hinauf zu ihrem Gesicht. Und da fiel auf einmal die Schlangenhaut von ihr ab, der schönste Prinz stand da. Sie umarmte ihn voller Freude und war außer sich vor Glück. Er berichtete, aus welchem Königreich er sei, und welches Königs Sohn und auf welchem Wege man dahin käme.

Wie sie nun so dastanden und lachten und vergnügt waren, dachten Vater und Mutter, es sei offenbar doch keine Gefahr dabei, da sie Lachen hörten. Da machten sie die Tür auf und kamen herein, Vater und Mutter, und sahen den schönen Prinzen, der vor ihren Augen stand. Da waren sie voller Freude. Der Vater sah die Schlangenhaut, die auf der Erde lag, warf sie ins Feuer und verbrannte sie. Auf einmal schaute der Prinz zu Boden, und da war seine Schlangenhaut weg. Da sagte er: »Wo ist meine Schlangenhaut geblieben?« Der Vater



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sagte: »Die habe ich verbrannt.« Da sagte der Prinz: »Nun bin ich wieder im Unglück.« Denn die Haut hätte er jenen geben müssen, die ihm geholfen hatten. Da aber die Haut nun verbrannt war, hatte er diesen nichts zu geben und wurde wieder in alle möglichen Tiergestalten verwandelt. Zuletzt wurde er eine Taube. Da flog er nun im Saal herum und konnte nicht hinaus, weil Fenster und Türen geschlossen waren. Er flog an ein Fenster, stieß die Scheibe ein und kam durch das Loch ins Freie. Aber das zerbrochene Glas war scharf und schnitt scharfe Wunden in seinen Kopf.

Wie er draußen war, flog er nach Hause in das Schloß seines Vaters. Dort lag er im Bett und war so krank und schwach, daß man Ärzte zu ihm holte, aber keiner konnte ihn heilen. Elend lag er und in Schmerzen, und niemand konnte ihm helfen.

Daran dachte die Prinzessin und war sehr unglücklich, daß sie ihn auf diese Weise verlieren sollte. Da fiel ihr ein: >Kannst du denn nicht zu ihm reisen?< Am Abend, als alles ruhig und stille war, nahm sie ihr ganzes Gold und wollte zu ihm wandern. Sie hatte auch ein kleines Riechfläschchen mit ein wenig feiner Essenz darin, das nahm sie mit, um daran zu riechen, wenn es ihr schlecht werden sollte. Sie hatte das kleine Päckchen unterm Arm und schlich sich in den Wald hinunter. Als sie in den Wald kam, begegnete sie einem Fuchs. Der sagte zu ihr: »Wo willst du hin?« Sie sagte, sie wolle da und da hin, in das Königsschloß zu dem Prinzen, sie habe gehört, daß er krank wäre. Und sie fragte den Fuchs: »Willst du mir den Weg zeigen?« —denn sie war fremd und kannte den Weg nicht. Da ging der Fuchs mit ihr und ging voraus. Sie gingen immer weiter, bis sie an eine grüne Lichtung kamen, durch die ein Bächlein floß. Da sagte der Fuchs: »Hier mußt du dich niederlegen und von diesem Wasser trinken« — denn das war ein heilkräftiges Wasser, von dem man frisch wurde, und die Prinzessin war sehr erschöpft von der Wanderung.

Der Fuchs fragte sie, ob sie den schönen Vogelgesang höre, der in der Nacht im Walde erschalle. Sie sagte ja. Da fragte der Fuchs wieder: »Aber du verstehst nicht, was die Vögel singen?« — »Nein«, sagte sie, das wisse sie nicht. »Sie singen: Wenn man dem Prinzen, der jetzt krank liegt, den Kopf mit ihrem Blut einreibt, so wird er



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wieder gesund.« — »Kannst du mir nicht solches Vogelblut beschaffen?« fragte sie den Fuchs. »Was willst du mir geben, wenn ich es dir verschaffe?«sagte der Fuchs. »Ich will dir den ganzen Pack Gold geben, den ich hier bei mir habe, wenn du mir das Vogelblut verschaffst«, sagte die Prinzessin. »Aber ich kann es nicht, ehe sie hinter ihre grünen Gardinen geschlüpft sind«, sagte darauf der Fuchs.

Wie nun alle Vögel zur Ruhe gegangen waren, kletterte der Fuchs in die Bäume hinauf, biß einem Vogel nach dem anderen den Hals ab und warf sie alle der Prinzessin hinunter. Sie hatte aber nichts, um das Blut damit aufzufangen; da nahm sie ihr Riechfläschchen, leerte es aus und ließ das Blut von allen Vögeln hineintropfen. Da sagte der Fuchs: »Nun meinst du wohl, du seist am Ziel, weil du das Vogelblut hast; aber du müßtest auch noch von meinem Blut haben.« Und damit nahm er Abschied: »Jetzt will ich nicht mehr weiter mit dir gehen.« Da sagte die Prinzessin: »Ach, du mußt mir doch den Weg durch den Wald zeigen!« — »Was willst du mir dafür geben?«fragte der Fuchs. Da sagte sie: »Ich habe nichts mehr für dich, denn mein Gold hast du schon; aber willst du vielleicht den kleinen Goldring von meinem Finger haben?« Er bekam den Goldring und zeigte ihr den Weg durch den Wald. Sie ging und überlegte, wie sie es anstellen könnte, um auch von dem Fuchs Blut zu bekommen.

Der Fuchs ging voraus, und sie folgte ihm. Da stieß sie mit dem Fuß an einen Kieselstein, der im Weg lag; den hob sie auf. Der Fuchs trug den Kopf zurückgebogen, weil er den Pack Gold im Maul hielt. Da nahm sie den Kieselstein, an den sie gestoßen war, und hieb ihn damit in den Nacken, daß das Blut heraussprang. Dann lief sie hin, hielt ihr Fläschchen unter und füllte es mit dem Blut des Fuchses. Dann nahm sie all ihr Gold, das sie ihm als Lohn für die Führung durch den Wald gegeben hatte, wieder an sich.

Nun ging sie weiter, bis sie an das Schloß kam. Sie trat ein und ließ sich als eine kluge Frau melden, die den Prinzen gesund machen könne. Das wurde dem König ausgerichtet. Da kam der König heraus zu ihr und fragte sie, ob sie wirklich glaube, sie könne seinen Sohn heilen. »Ja«, sagte sie, »aber ich will eine Übereinkunft mit dir machen, nämlich, wenn ich ihn heile, will ich ihn zum Mann haben.«



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»Das sollst du auch, meine Tochter!« sagte der König, »wenn du ihn gesund machen kannst, so bekommst du ihn zum Mann.« Da sagte sie: »Willst du mir nun das Gemach zeigen, wo er liegt?« Als sie hineinkam, war das Fenster verhängt, denn sein Kopf war so schwach, daß er das Licht nicht ertragen konnte. Da ging sie zu ihm hin, nahm sein Haupt, entfernte das Haar von den Wunden und ließ das Blut aus ihrer Flasche hineintropfen. Dann klopfte sie ihm auf den Kopf, so stark sie konnte, damit das Blut auch gut in die Wunden hineinsickern konnte.

Als es gut in den Kopf eingedrungen war, kamen ihm die Kräfte wieder und er konnte sich im Bett aufrichten. In wenigen Minuten war er ganz gesund. Da schlüpfte sie hinter den Vorhang, daß er sie nicht sehen sollte. Sein Vater kam herein, weil er hörte, daß sich etwas in dem Gemach rührte. Da fragte er den Vater, wer ihn denn geheilt habe. Der Vater sagte, es sei ein kleines kluges Mädchen, die wolle ihn zum Manne haben, wenn er gesund würde. Da antwortete er: »Ach nein, Vater! Ich habe meine Liebste in dem und dem Königreich und habe so hart um sie gekämpft, und sie hat mich aus der Schlangenhaut erlöst.« Als sie hörte, daß er so treu zu ihr stand, trat sie hinter dem Vorhang hervor und sagte zu dem Prinzen: »Hier bin ich, hier bin ich, die dich aus der Schlangenhaut erlöst hat!«

Da waren sie froh und glücklich miteinander wie noch nie. Sie erzählte ihm, womit sie ihn gesund gemacht hatte, nämlich mit dem Blut von Vögeln und einem Fuchs. Er fragte seinen Vater, den König, ob er das Königreich und die Prinzessin bekommen dürfe, die er heiraten wollte. Sie sei die und die Königstochter aus dem und dem Königreich. Ob er nun mit ihr zu ihrem Vater reisen dürfe und Hochzeit halten? Da machten sie sich alle auf die Fahrt, der Königssohn und die Prinzessin und der König und die Königin in zwei Wagen: die Alten in dem einen und die Jungen in dem anderen. Sie reisten, bis sie zu seinem Pflegevater und seiner Pflegemutter in den Wald kamen. Die baten sie, doch mit zum Schloß zu fahren und die Hochzeit mitzufeiern; und nach der Hochzeit luden sie die Pflegeeltern ein, mit auf ihr Schloß zu kommen, dort sollten sie es ebenso gut haben, wie er es bei ihnen gehabt hatte.



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Hans mit den goldenen Haaren

Es war einmal ein Fischer, der von seinem Fischerhandwerk lebte. Eines Tages war er draußen beim Fischen und geriet in ein böses Wetter. Da kam ein Meermann zu ihm und fragte ihn, ob er gerne heim wolle. Ja, das wolle er wohl, sagte er, aber es sehe nicht danach aus, denn das Wetter war schlimm, und er war in seinem kleinen Boot allein. —Nun, sagte der Meermann, wenn er ihm das Jüngste in seinem Hause geben wolle, wenn er heimkomme, so könne er gutes Wetter und Fischerglück haben; und das Jüngste wolle er erst in zwölf Jahren haben. Der Mann sagte: Ja, das wolle er ihm gern überlassen, denn er dachte sich, an dieser Bedingung ließe sich wohl noch manches ändern. Da wurde das Wetter wieder schön, und der Mann fing so viele Fische, daß es ganz unerhört war; dann fuhr er in eine Handelsstadt, verkaufte sie und fuhr abermals aus, um zu fischen. Er kam noch mehrere Male in die Handelsstadt zurück, verkaufte seine Fische und nahm viel Geld dafür ein. Als er zuerst zum Fischen ausgefahren war, war seine Frau schwanger gewesen; aber sie hatte im Kindbett einen großen Kummer: ihr Mann kam nicht mit den anderen Fischern heim, und sie glaubte, er wäre tot. Die anderen Fischer fuhren wieder hinaus, als das Wetter wieder gut war, und da trafen sie ihn, wie er im Boot stand und Fische einheimste, soviel er nur konnte. Da sagten sie zu ihm: »Ach Gott! Da bist du! Deine Frau ist ins Kindbett gekommen und macht sich große Sorgen um dich; sie glaubt, du wärest ertrunken!« —»Ja, sie soll sich keine Sorgen machen«, sagte der Mann, »ich komme jetzt bald wieder heim zu ihr.«Geld hatte er, Fische hatte er auch und sonst alles mögliche, was er in der Stadt gekauft hatte, und so kam er heim. Aber er sagte nichts davon, daß das Kind irgendwohin sollte. Er hatte beständig Glück beim Fischen und verdiente viel Geld. Mit der Zeit kaufte er sich einen kleinen Hof und hielt sich zwei Pferde.

Der Bub, der während seiner Abwesenheit auf die Welt gekommen war, wuchs auf und wurde groß. Er hieß Hans, und als er groß genug war, um den Pflug zu führen, tat er das; aber so oft der Vater mit dem Knaben allein ging, mußte er weinen.

Als der Bursche bald zwölf Jahre alt war, wollte er einmal von seinem



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Vater wissen, warum er so weinte. Der Vater sagte, es helfe doch nichts, wenn er es länger verschweige; er sei in bösem Wetter draußen gewesen und habe einem Meermann das Jüngste versprechen müssen, das in seinem Hause sei, wenn er heimkomme. Aber der Meermann wolle ihn erst haben, wenn er zwölf Jahre alt wäre.

Der Tag, an dem sie den Knaben hergeben mußten, kam näher, und er mußte es seiner Frau sagen. Sie war ganz untröstlich; sie hätten nur das eine Kind, und das sollten sie verlieren, und noch dazu auf diese Art! Aber Hans sagte: »Ich habe gar nichts dagegen; wenn er mich haben will, wird er mir wohl nichts zuleide tun.« Als er am Fortgehen war, meinte seine Mutter, er solle doch seine guten Kleider anziehen; aber Hans sagte: »Nein, wenn er mich haben will, soll er mich auch nähren und kleiden.« Der Vater fuhr aufs Meer hinaus mit ihm an die bestimmte Stelle, wo ihn der Meermann in Empfang nehmen sollte. Der Meermann kam auch und nahm den Knaben mit, und der Vater fuhr wieder heim; er hatte forthin immer Glück und Erfolg beim Fischen.

Als Hans nun hinunter zu dem Meermann kam, hatte er keine andere Aufgabe, als ein Pferd und einen Löwen zu hüten; er sollte ihnen Feuer vor die Nase und Hafer hintenhin legen. Der Meermann trieb seine Ziegen jeden Tag in den Wald, und mittlerweile war Hans allein und mußte, wie gesagt, die Tiere hüten. Da sprach das Pferd zu ihm: »So mußt du es nicht machen; du mußt das Feuer hintenhin und den Hafer vor unsere Nasen legen.« —»Was! Du kannst reden?« rief Hans dem Pferd zu. —»Ja«, sagte das Pferd, »das habe ich schon viele Jahre gekonnt; aber wenn du uns treu sein willst, kannst du uns und dich befreien.« —»Ja, das will ich schon«, sagte Hans. Da sagte das Pferd: »Geh in die große Stube; da stehen drei Flaschen auf dem Tisch, und da hängt ein großes Schwert an der Wand. Trink zuerst aus der einen Flasche, dann aus der anderen und schließlich aus der dritten! Und dann sieh zu, ob du das Schwert heben kannst. Es liegt auch ein Kamm auf dem Tisch, damit mußt du deine Haare kämmen. «

Hans tat, wie das Pferd gesagt hatte; er ging in die Stube und erblickte die Flaschen; auf der ersten stand: »Trinkst du von dieser Flasche, so wirst du stark!« Da trank er einen guten Schluck daraus;



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nun konnte er das Schwert an der Wand ein wenig von der Stelle rücken. Dann nahm er die andere Flasche; darauf stand: »Wer aus mir trinkt, wird stärker!« Als er daraus getrunken hatte, konnte er das Schwert von seinem Platz an der Wand herabheben. Darauf nahm er die dritte Flasche; darauf stand: »Trinkst du aus mir, so wirst du unermeßlich stark!« Als er daraus getrunken hatte, ging er hin und versuchte sich an dem Schwert; und nun konnte er es mit Leichtigkeit schwingen. Dann nahm er den Kamm und kämmte sich damit die Haare; da bekam er Haare so lang, daß sie ihm bis zu den Fersen reichten und glänzten wie Gold. Dann ging er hinunter und sagte dem Pferd, er habe nach seinem Auftrag getan, und nun könne er das Schwert schwingen. Da sagte das Pferd: »Nun mußt du alle Eßwaren zusammentragen und Gold und Silber, so viel wir mitnehmen können, und dann mußt du den Kittel anziehen, der dort an der Wand hängt, und das Schwert umgürten.« Hans tat so, setzte sich auf das Pferd, machte den Löwen los und ritt davon, und der Löwe lief hinterdrein.

Am Abend kam der Meermann mit seinen Ziegen heim; da war Hans fort und das Pferd und der Löwe auch. Nun wurde der Meermann so wütend, wie er nur sein konnte, und wollte ihnen nachlaufen. Da sprach das Pferd zu Hans: »Wende dich um und schau zurück!« —»Es kommt mir vor, als ob es ganz schwarz und grau hinter uns würde«, sagte Hans. »Ja, das ist der Meermann, der hinter uns drein kommt«, sagte das Pferd, »reiß ein Haar aus meinem Schwanz und eines aus meiner Mähne und sag, daß hinter uns ein so großer Wald wachsen soll, daß der Meermann nicht durchkommen kann und heimgehen muß und erst Axt und Säge holen, um sich durchzuhauen.«

Da kam der Meermann an den Wald; und wenn er nicht schon zuvor wütend gewesen wäre, so wurde er es jetzt; denn er mußte wieder umkehren und sich Axt und Säge holen, um sich einen Weg durchzuhauen. Nun hatten sie einen langen Vorsprung; aber auf einmal sagte das Pferd: »Dreh dich um und schau zurück!« — »Ja«, sagte Hans, »nun kommt es mir wieder vor, als ob es hinter uns schwarz und grau würde, noch viel schlimmer als das erstemal.« — »Reiß ein Haar aus meinem Schwanz und eines aus meiner Mähne!« sagte das



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Pferd, »und sag, es soll ein solches Meer hinter uns werden, daß der Meermann nicht durch kann, ehe er nicht mit seinen Geißen kommt, daß sie es austrinken.« Als der Meermann an den See kam, wurde er noch viel wütender, rannte heim und brachte seine Geißen mit, damit sie ihn austränken. Nun hatten sie wieder einen langen Vorsprung. Dann sprach das Pferd: »Schau einmal zurück, ob du etwas siehst!« —»Ja«, sagte Hans, »nun kommt es mir vor, als ob hinter uns oben in der Luft ein Feuer brenne.« — »Ja«, sagte das Pferd, »jetzt ist der Meermann erst recht wütend; jetzt ist er so wütend, daß man Funken aus seinen Augen schlagen kann. Reiß ein Haar aus meinem Schwanz und eines aus meiner Mähne und sag, daß hinter uns ein solches Feuer brennen soll, daß der Meermann nicht darüberkommen kann, wenn er nicht heimgeht und seine Stahlstange holt, um darüberzuspringen.« Also mußte der Meermann wieder umkehren und seine Stahlstange holen, und die hätte er fast nicht gefunden; er suchte in allen Winkeln und in allen Ecken und Enden; schließlich kam er zu seiner alten Mutter, die saß in einer Ecke. »Was hast du denn, mein Söhnchen?«fragte sie, »warum bist du denn gar so böse?« Denn er fuhr überall herum und teilte Püffe und Hiebe aus. Ja, sagte er, das sei auch kein Wunder: der Bursche, den er habe aufziehen lassen, habe ihm sein ganzes Hab und Gut gestohlen; und wenn er ihm auch nachlaufe, so könne er doch nie zu ihm gelangen; das erstemal habe er ihm einen Wald vor die Nase hingepflanzt, das zweitemal einen See, und diesmal ein Feuer, und da könne er nicht hinüberkommen, wenn er nicht die Stahlstange finde, um hinüberzuspringen. »Ach Gott, mein Söhnchen!«sagte da die Alte. »Soll ich denn nicht mitgehen? Ich glaube, ich springe leichter als du.« Da nahm er sie auf den Buckel und schleppte sie mit. Wie sie an das Feuer kamen, setzte er die Stange mitten hinein, damit die Alte sich daran halten und hinüberspringen könne; und sie sprang zu und sprang mitten ins Feuer; da saß sie und schrie: »Ach Gott, mein Söhnchen, komm doch und hilf mir aus dem Feuer!« Er sprang zu ihr ins Feuer, und da saßen sie beide und verbrannten.

Da sagte das Pferd: »Nun sind wir den Meermann los, denn jetzt sitzt er im Feuer und verbrennt. Kannst du uns wohl etwas zu essen geben? Denn wir haben Hunger, und was du essen kannst, das können



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wir auch essen.« Als sie nun gegessen hatten, sagte das Pferd: »Hier, bei diesem Wald ist ein Königsschloß, da kannst du hingehen und in Dienst treten; aber jeden Abend mußt du hier herauskommen und uns etwas zu essen bringen.«

Hans ging in das Schloß und wurde da als Stallbursche angenommen. Er mußte die Pferde waschen, striegeln und putzen, und der Stallmeister war sehr zufrieden mit ihm. Wie er sein Abendbrot bekam, ging er damit hinaus in den Wald zu dem Pferd, und das fragte ihn: »Nun, wie ist dir's gegangen, Hans?« —»Ich bin im Stall«, sagte Hans, »und ich habe es ganz ungeheuerlich gut.« — »Das taugt nichts«, sagte das Pferd, »da kannst du nicht bleiben; morgen, wenn du die Pferde gewaschen hast, mußt du sie mit Mist beschmieren.« Und so tat Hans auch. Als er am nächsten Morgen die Pferde gewaschen und gestriegelt hatte, nahm er Mist und beschmierte sie wieder. Da kam der Stallmeister und sah es; darüber wurde er zornig, nahm eine Peitsche und prügelte Hans ganz erschrecklich. Als der Koch auf dem Schloß das sah, dauerte ihn der Bursche, und er sagte: »Das ist doch sündhaft, den kleinen Buben so unbarmherzig zu schlagen. —»Nein«, sagte der Stallmeister, er habe sich auch danach aufgeführt: zuerst die Pferde gestriegelt und dann wieder mit Mist beschmiert. »Gib mir den Burschen!« sagte der Koch, »ich kann so einen Kleinen gut brauchen.«Also kam Hans in die Küche; da hatte er es noch besser; er bekam Reste und Brocken von Fleisch und Brot, und noch dazu sein Vesperbrot; das konnte er alles dem Pferd hinausbringen.

Am Abend ging er hinaus in den Wald und erzählte ihm, wie es ihm ergangen war; er sei nun in der Küche, und da habe er es sehr gut. Aber das Pferd sprach: »Das taugt auch nichts; da kannst du auch nicht bleiben; morgen, wenn du aufgewaschen und gespült hast, mußt du die Schüsseln wieder schmutzig machen, damit du davongejagt wirst.« —»Aber da bekomme ich so viel Prügel«, sagte Hans. »Darum darfst du dich nicht kümmern«, sagte das Pferd, »du wirst schon noch entschädigt werden für deine Prügel.« Hans tat, wie das Pferd gesagt hatte. Am nächsten Tag, als er gespült hatte, machte er das Geschirr wieder schmutzig. Wie der Koch das sah, kam er in Wut, packte den Schürhaken und prügelte den Jungen gehörig



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durch. Hans schrie und jammerte. Da kam der Gärtner dazu und hörte das. »Aber, wie kannst du den armen Kerl so schlagen!« rief er. »Ach, der ist böse«, sagte der Koch, »erst spült er das Geschirr, und dann macht er es wieder schmutzig.« — »Gib mir den kleinen Burschen hinunter in den Garten!« sagte der Gärtner, »ich könnte ihn gut brauchen.«Also kam Hans in den Garten zum Gärtner, und am Abend, als er sein Abendbrot bekommen hatte, lief er hinaus in den Wald zu dem Pferd. »Nun, wo bist du jetzt, Hans?«fragte das Pferd. »Nun bin ich im Garten, und da habe ich es sehr gut«, sagte Hans. »Ja, du mußt nun sehen, daß du auch dort bleibst«, sprach das Pferd. Und Hans war froh, denn er hatte keine Lust, noch einmal auf diese Weise den Dienst zu wechseln.

Nun blieb Hans auch bei dem Gärtner, hatte es recht gut und ging jeden Abend hinaus zu dem Pferd. Der König hatte drei Töchter, und es war Sitte, daß der Gärtner an jedem Samstag für jede von ihnen einen Blumenstrauß binden mußte. Am ersten Samstag, als Hans da war, bat er, ob er nicht auch einen davon binden dürfe. Aber der Gärtner wollte es nicht wagen; er hatte Angst, Hans könnte es nicht richtig machen, und er hatte nicht mehr Blumen, als er gerade brauchte. Aber Hans bat so lange, bis er schließlich doch durfte, und nun band er ein Sträußchen, das war viel schöner als irgendeines, das der Gärtner je gebunden hatte. Nun mußten sie die Sträußchen hinauftragen, denn Hans wollte das seine persönlich abliefern, oben an einer Tür, wo die Prinzessinnen zu einer bestimmten Stunde herauskamen und die Blumen in Empfang nahmen. Hier sah Hans die Prinzessinnen das erstemal und paßte auf, welcher von ihnen er am liebsten seinen Strauß geben wollte, und da war es die jüngste von ihnen. Hans hatte eine alte schmutzige Kappe auf und sein prächtiges Haar daruntergestopft, und diese Kappe nahm er niemals ab. Als er an die Tür kam, wo die Prinzessinnen und vornehmen Herren standen, sagte man ihm, er solle seine Kappe abnehmen. »Ich bin grindig«, sagte Hans, und von der Zeit an hieß man ihn nur Grindhans. (Wenn die königliche Familie in den Garten herunterkam und spazierenging, machten sie sich oft den Spaß, zu Hans zu sagen: »Nimm deine Kappe ab!«, denn dann sagte er immer: »Ich bin grindig.«) Er gab also der jüngsten Prinzessin seinen Blumenstrauß, und



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sie gab ihm Goldstücke als Trinkgeld. Die zeigte er dem Gärtner und sagte, es sei doch komisch, daß sie ihm Rechenpfennige gegeben habe.

Da nahm ihm der Gärtner die Goldstücke ab und gab ihm Kupfermünzen dafür, denn die kannte er. Als es nun wieder Samstag war, wollte der Gärtner, daß Hans alle drei Blumensträuße binden solle. Aber Hans wollte nur den einen binden, und den gab er der jüngsten Prinzessin. Sie sagten wieder zu ihm, er solle seine Kappe abnehmen, und er sagte wieder nein, er sei grindig. Auch Goldstücke bekam er wieder als Trinkgeld, und der Gärtner gab ihm wieder Kupfermünzen dafür. Die Zeit verging, und indessen fingen die Leute an, die Prinzessin mit Grindhans aufzuziehen, und sie mußte zu jeder Stunde seinen Namen hören.

Nun traf es sich, daß ein Krieg ausbrach, und das ganze Land wurde von dem feindlichen Heer belagert. Alle, die nicht mit in den Krieg gezogen waren, wollten auch ausrücken, und jeder bekam ein Pferd. Auch Grindhans bat um ein Pferd; aber es war keines mehr da außer einer alten Mähre, die nur noch auf drei Beinen gehen und stehen konnte. Die bekam Hans. Also ritt er auf dem Dreibeinigen davon, und alles lachte und grinste hinter ihm drein. Er kam abseits von den anderen in den Wald, wo das Pferd und der Löwe sich aufhielten und wo er sein Schwert und seinen Kittel hatte. Da versteckte er seine alte lumpige Jacke und die alte Kappe, band den Dreibeinigen an einen Baum und setzte sich auf das Pferd des Meermannes; seine goldenen Haare hingen ihm über den Rücken hinunter, das Schwert hatte er an seiner Seite, und der Löwe wandelte hinter ihm drein, und so ritt er gegen den Kampfplatz, machte in geringer Entfernung halt und sah, wie die Sache stand. Der Feind war so stark, daß er nahe daran war, die Oberhand zu behalten. Da sprach das Pferd zu Hans: »Blas in den Handgriff deines Schwertes!«Und da kamen so viele Soldaten zu Fuß und zu Roß, daß man den Boden nicht mehr sehen konnte. Hans hieb und schlug mit seinem Schwert, der Löwe biß und kratzte, und so töteten sie eine Menge Feinde.

Als der Feind dann besiegt war, sprach das Pferd zu Hans: »Nun blas in das andere Ende deines Schwertes!« Da waren sie verschwunden, alle die Soldaten. Nun gab es einen Waffenstillstand bis



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zum nächsten Tag - da sollte der Kampf weitergehen. Der König rief seinen Leuten zu, sie sollten ihm den bringen, der die Schlacht gewonnen hatte. Aber Hans ritt wieder in den Wald, und man wurde seiner nicht habhaft. Wie er in den Wald kam, sattelte er das Pferd ab, versteckte sein Gewand und sein Schwert und stopfte sein schönes Haar unter seine Kappe, setzte sich auf den alten Dreibeinigen und ritt wieder ins Schloß. Er war der erste, der heimkam, und konnte erzählen, wie es gegangen sei: es sei einer gekommen mit vielen, vielen Soldaten und habe den Feind geschlagen.

Am anderen Tag ging es ebenso. Hans kam und wollte auch ein Pferd haben und hinausreiten und zusehen. Ja, sagte der König, da er nun doch einmal sein Schwiegersohn werden wolle, so könne er nicht anders, als ihm ein Pferd geben. Das war nämlich der Spaß, den sie immer mit der jüngsten Prinzessin trieben, sie sagten, sie solle den Grindhans heiraten. Also bekam er wieder den alten Dreibeinigen, ritt hinaus in den Wald, band ihn an einen Baum, kleidete sich um und bestieg sein eigenes Pferd, das Schwert an der Seite, das goldene Haar über den Rücken und den Löwen hinterdrein.

So ritt er hin, hielt beim Heer des Königs und sah zu, wie die Feinde des Königs Soldaten erschlugen. Da sprach das Pferd zu ihm: »Blas in den Griff deines Schwertes!« Da kamen so viele Soldaten zu Fuß und zu Pferd, daß man es gar nicht zählen konnte. Hans hieb und schlug, und der Löwe biß und kratzte so viele, daß sie den Feind besiegten wie gestern. Da sprach das Pferd: »Blas in das andere Ende deines Schwertes!« Da verschwanden sie wieder bis auf den letzten Mann.

Der König und seine Leute merkten wohl, daß ihnen derselbe wieder geholfen hatte, und sie ritten ihm nach; aber keiner konnte ihn einholen, bevor er wieder im Wald war. Der König verstand nicht, wo die Leute hergekommen sein könnten, denn er hatte kein anderes Volk gebeten, ihm beizustehen. Hans sattelte sein Pferd wieder ab, versteckte sein Gewand und sein Schwert, stopfte sein Haar unter die Kappe, zog seine alten Lumpen wieder an und ritt auf dem Dreibeinigen nach Hause. Er kam am ersten nach Hause, und alle drängten sich um ihn, um zu hören, wie es gegangen sei.

Hans berichtete, es seien wieder fremde Truppen gekommen, hätten



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ihnen geholfen und den Feind besiegt. Nun gab es einen Waffenstillstand bis zum dritten Tag, dann sollte der Kampf weitergehen.

Als die anderen fortritten, wollte Hans auch mit und zusehen. Der König sagte dasselbe wie das letztemal: Hans solle ein Pferd bekommen, da er doch sein Schwiegersohn werden wolle. Es war nur noch der Dreibeinige da, und den bekam er. Er ritt in den Wald hinaus, zog seinen alten Kittel aus und den Kriegsmantel an, setzte sich auf sein eigenes Pferd, das Schwert an der Seite, das goldene Haar über den Rücken und den Löwen hinterdrein, so hielt er bei dem Heer und sah zu. An diesem Tag war der König selbst mit in der Schlacht, denn der Krieg sollte beendet werden. Da hätten sie fast den König gefangengenommen.

Da sprach das Pferd: »Blas in deinen Schwertgriff!« Gleich kamen da so viele Soldaten zu Fuß und zu Roß, daß man den Boden nicht mehr sehen konnte. Hans ritt auf den Feind zu, hieb und schlug, und der Löwe biß und riß in Stücke, was ihm in die Nähe kam. Das ging so lange, bis keiner von den Feinden mehr übrig war; sie waren alle gefallen. Da sprach das Pferd: »Blas in das andere Ende deines Schwertes!« Da waren die Soldaten alle verschwunden bis auf den letzten Mann. —Der König ließ Alarm blasen, sie sollten ihn einkreisen, wer es auch sei; denn es wäre der gleiche, der nun zum drittenmal erschienen war. Und sie schlossen einen so dichten Ring um Hans, daß er keinen Ausweg mehr sah. Doch er meinte neben dem König eine kleine Lücke zu erspähen; da wollte er ausbrechen; aber der König hieb so kräftig nach ihm, daß er ihn am Bein verwundete. Doch ritt Hans rasch in den Wald, sattelte das Pferd ab, verbarg sein Schwert, zog seine alten Kleider an, stopfte sein Haar unter die Kappe, stieg wieder auf den Dreibeinigen und kam als erster ins Schloß zurück.

Wie er heimkam, stand die jüngste Prinzessin unter der Tür und fragte, wie es ihrem Vater gegangen sei; denn sie wußte wohl, daß es schlimm stehen mußte, weil er selber in die Schlacht gezogen war. Hans berichtete, daß derselbe, der schon zweimal gekommen war, auch heute dagewesen sei und die Feinde bis auf den letzten Mann vernichtet habe; aber niemand wisse, wer er sei. Hansens Bein blutete, und er fragte, ob sie nichts habe, das man darumbinden



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könne? Der alte Dreibeinige sei mit ihm im Wald angerannt, sagte er. Die Prinzessin hatte ein seidenes Taschentuch in der Hand, in dem ihr Name stand; das gab sie ihm, um sein Bein zu verbinden. Dann kamen die anderen aus dem Krieg zurück, der König auch. Und jetzt war der Krieg aus.

Der König wußte nun durchaus nicht, wo er den suchen sollte, der ihm geholfen hatte, denn er wollte doch wissen, wer es war. Da ließ er im Land und in anderen Reichen ausrufen, wer am Bein verwundet sei, solle seine Tochter und das halbe Reich haben, und nach seinem Tode das ganze, wenn er in dem Aufzug erscheinen könne, in dem der Unbekannte gekommen war. Da kam hoch und niedrig aus seinem Land und aus den fremden Ländern. Manche verwundeten sich am einen Bein, andere am anderen; sie dachten, es könne vielleicht stimmen, und sie bekämen die Prinzessin und das ganze Reich und könnten König werden.

Nun hatten sich alle gezeigt; aber keiner konnte die Wunde aufweisen, die von des Königs Hand herrührte. Nun wußte man niemanden mehr außer Grindhans, der hatte ja auch zugesehen und war auf dem Dreibeinigen geritten. Also hieß man ihn auch sich zu zeigen; Hans sagte zwar, das habe doch keinen Sinn; er habe ja nur gehalten und zugesehen auf dem alten Dreibeinigen. Aber er mußte sich doch zeigen.

Als er hinauf ins Schloß kam, sagten die Leute zu ihm: »Hans, nimm deine Kappe ab!« — »Ich bin grindig!« sagte Hans. Er ging weiter und kam näher zum König. »Nimm deine Kappe ab, Hans!« sagten die Leute, »du sollst mit dem König reden!« — »Ich bin grindig«, sagte Hans. Die Prinzessinnen waren in dem gleichen Saal, wo er sich zeigen sollte; die beiden älteren pufften einander in die Seiten und lachten die jüngste aus: hier käme Grindhans, der sei es gewiß gewesen, der den Feind besiegt hätte, und nun könne er seine Prinzessin bekommen. Der König begrüßte Hans und sagte, hier komme sein Schwiegersohn, er sei ja auch mit im Krieg gewesen und solle sich nun auch sehen lassen. Ein paar Leute standen dabei und halfen ihm sein Bein vorzeigen. Ja, sagte er, er habe wohl ein schlimmes Bein, der alte Dreibeinige sei mit ihm im Wald an einen Baumstamm angerannt. Der König wollte die Wunde sehen, und als sie



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sie bloßlegen wollten, war das Taschentuch der Prinzessin darum gewickelt. Hatte man sie vorher noch nicht genug mit Grindhans aufgezogen, so geschah das jetzt gründlich, und jeder hatte etwas zu lachen.

Als der König das Bein sah, merkte er, daß es die gleiche Wunde war, die er gemacht hatte. Da gab er Hansens Kappe einen Puff, daß sie bis an die Tür fortrollte, und das goldene Haar wallte über seinen Rücken hinunter. Da sagte der König: »Du bist auch nicht der, für den wir dich gehalten haben!«

Nun wurde sein Bein richtig verbunden, daß es wieder heilen konnte, und der König sagte, er solle doch in demselben Anzug kommen, wie er im Krieg gewesen war. Denn er sah, daß der sein Befreier gewesen war; und er könne sich von seinen Töchtern aussuchen, welche er wollte. Hans bat sich eine kleine Frist aus, er wolle ein wenig in den Wald gehen, er sei gleich wieder da. Nun ging er hinaus in den Wald und warf seine alten Lumpen weg, denn die brauchte er nun nicht mehr. Dann ging er zu dem Pferd und erzählte ihm, wie alles zugegangen sei. Das sagte ja, es wisse schon. Dann fragte er das Pferd, welche von den Königstöchtern er nehmen solle? »Die jüngste mußt du nehmen«, sagte das Pferd, »sie ist deinetwegen ausgelacht worden; die mußt du nehmen.« Darauf zog er sein Gewand an und setzte sich auf das Pferd. Das Schwert an der Seite, das Goldhaar über den Rücken hinunter und den Löwen hinterdrein, so kam er ins Schloß. Und nun konnte jeder sehen, daß er es war, der das Heldenstück im Krieg vollbracht hatte. Alle gingen ihm entgegen, und der König fragte, welche von seinen Töchtern er nun haben wolle. Hans antwortete, wie das Pferd ihn geheißen hatte, er wolle die jüngste haben; sie habe sich seinetwegen solange auslachen lassen, daß sie ihm nun die liebste sei. Die Hochzeit wurde festgesetzt, und Hans wurde König.

Das Pferd und der Löwe wurden in den Stall geführt, und Hans kam jeden Tag zu dem Pferd und unterhielt sich mit ihm, und es bekam dasselbe Essen wie Hans. Am Hochzeitstag war Hans auch unten bei dem Pferd, da sagte es: »Nun habe ich dich von dem Meermann erlöst und dir dazu verholfen, daß du König geworden bist. Willst du nun auch mich erlösen?«Ja freilich, sagte Hans, wenn er irgend



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könne. »Nun mußt du mir den Kopf abhauen und ans Schwanzende ansetzen und den Schwanz abhauen und ihn da ansetzen, wo der Kopf war!« — »Das kann ich nicht«, sagte Hans, »du bist so gut mit mir gewesen, daß ich dir das nicht antun kann.« — »Wenn du das nicht tust«, sagte das Pferd, »sollst du wieder so unglücklich werden, wie du warst, als der Meermann hinter uns her war.« Da mußte Hans es tun.

Kaum war es geschehen, so verwandelte sich das Pferd in den schönsten Prinzen, den man sich denken kann. Er ging mit Hans ins Schloß hinauf und zum König, und der König erkannte ihn gleich, er war nämlich ein Erbprinz seines Reiches. Der König erschrak sehr, denn nun hatte er das Reich Hans gegeben. »Das macht nichts«, sagte der Prinz, »denn wäre Hans nicht gewesen, so wäre ich nie erlöst worden. Und wenn ich nicht gewesen wäre, so wäre Hans nicht König geworden; also gönne ich Hans gern das Reich.« Also blieb der Prinz sein Freund und treuer Berater. Der Löwe war ein Löwe und blieb ein Löwe, der mit ihnen in den Krieg zog; und er überwand alle, mit denen er kämpfte. Seit der Zeit traute sich niemand mehr, mit ihnen Krieg zu führen, denn des Schwertes wegen waren sie in einen erschrecklichen Ruf gekommen, und sie lebten ihr Leben lang in Ruhe und Frieden.


Die drei guten Ratschläge

Es lebte einmal weiter im Norden ein Mann, der hatte nur einen einzigen Sohn, der einmal alles erben sollte, was er besaß. Vor seinem Tod ließ er seinen Sohn vor sich kommen und gab ihm drei Ratschläge. Wenn er sie befolgen würde, solle es ihm gutgehen. Zum ersten: wenn er seine Freunde besuchen wolle, so solle er es nicht zu oft tun; zum zweiten: wenn er etwas verkaufen wolle, solle er nicht zuviel dafür verlangen; und zum dritten: wenn er heiraten wolle, solle er sich die Braut nicht von weit her holen. Damit starb der Alte.

Der Sohn blieb nun einige Zeit allein auf dem Hof, aber schließlich wurde es ihm zu trübselig, und da er in einem anderen Dorfe Verwandte



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hatte, fuhr er dorthin zu Gast. Er wurde sehr freundlich aufgenommen; sie freuten sich so über seinen Besuch, daß sie nicht wußten, was sie ihm zuliebe tun sollten. Sie traktierten ihn aufs allerbeste, und am Abend, als er heimfuhr, baten sie ihn, ja recht bald wiederzukommen, je eher je lieber.

Am nächsten Tag fuhr er wieder zu Gast zu ihnen. Sie nahmen ihn sehr gut auf, aber doch nicht so gut wie das letzte Mal. Sie traktierten ihn auch gut, aber als er wegfuhr, hießen sie ihn wiederkommen, wann es ihm passe. Aber es lag ihnen doch nicht so viel daran, daß er so bald wiederkommen sollte, und kaum war er fort, so sagte der Herr des Hauses, es sei wohl das beste, wenn sie selbst nun irgendwohin zu Gast führen, dann träfe er niemanden zu Hause, wenn er morgen kommen sollte. Das taten die Leute auch, und als er zum drittenmal kam, war niemand zu Hause. Da mußte er den ganzen Tag bei der Dienerschaft bleiben und bekam von ihnen Essen, und als er abends heimfuhr, erhielt er, wie es in der Gegend Brauch war, ein Stück trockenes Brot und drei gesalzene Heringe. Das nahm er mit nach Hause, und die drei Heringe hängte er auf seinem Speicher auf. So oft er sie sah, wollte er daran erinnert sein, daß er den Rat seines Vaters nicht befolgt hatte.

Dann fiel es ihm ein, daß er einen Hengst verkaufen wollte, und er fuhr damit zum Markt. Unterwegs begegnete er einem Mann, der fragte, was er mit dem Hengst wolle; er wolle zum Markt und ihn verkaufen. Der Mann sagte, er wolle ihm hundert Taler dafür geben. Nein, sagte der Mann, darauf gehe er nicht ein, er wolle erst hören, was auf dem Markt für Preise geboten würden. Kurze Zeit darauf traf er einen anderen Mann, der bot ihm zweihundert Mark, aber nein, er wolle warten, bis er auf den Markt käme; und schließlich traf er noch einen Mann, der bot ihm hundert Mark; aber darauf wollte er erst recht nicht eingehen.

Schließlich kam er auf den Markt; aber er wartete den ganzen Tag, und es kam auch nicht einer und bot etwas für seinen Hengst, und am Abend mußte er wieder auf ihm heimreiten, ohne ihn verkauft zuhaben. Und als er am nächsten Morgen in den Stall ging, um nach dem Tier zu sehen und es zu füttern, da lag es da und war tot. Da zog er ihm das Fell ab und hängte es auf seinen Speicher neben die



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drei gesalzenen Heringe. Das war nun der zweite Rat seines Vaters, den er nicht befolgt hatte.

Nach einiger Zeit, im Winter, kam er auf den Gedanken zu freien. Er ging hinüber zu seinen Dreschknechten und fragte sie, ob sie ihm nicht jemand wüßten. Jawohl, einer von ihnen kannte ein Mädchen, sie war die Tochter eines Wirtes in einer weitentfernten Gegend. Das leuchtete ihm ein, und er ritt hin und stellte sich an, als ob er um Kälber handeln wollte. Er schaute sich den ganzen Viehbestand an, aber der war nicht nach Wunsch, und schließlich kam er auch ins Haus. Da saßen drei Töchter am Tisch, und als sie sich eine Weile unterhalten hatten, fragte er, ob noch eine von ihnen zu haben wäre? Ja, die jüngste war noch frei, die beiden anderen waren versprochen. Sie gefiel ihm, und es wurde ausgemacht, daß er sie heiraten sollte, und er ritt wieder heim und ging hin und her und besuchte sie, und sie war sanft und froh und machte ein großes Wesen mit ihm.

Einmal aber geschah es, daß im Wirtshaus ein Tanz sein sollte. Sie hatte ihm sagen lassen, er solle doch ja kommen. Aber er konnte es nicht einrichten, er hatte andere Geschäfte. Sie ließ ihm noch einmal sagen, er solle doch kommen, sonst würde sie an dem ganzen Fest keine Freude haben. An dem Tag, wo der Tanz stattfinden sollte, ging der Mann hinüber auf die Tenne; da hatte er unter den Dreschern auch einen Bettler. Den bat er, mit ihm die Kleider zu tauschen und ihm seinen Stock und den Bettelsack zu leihen; aber der Bettler wurde böse und gab zur Antwort, er solle Gott danken, daß er kein wirklicher Bettler sei, und ihn nicht zum Narren halten. Aber als der Mann ihm erklärte, es sei sein voller Ernst, er wolle wirklich Stock und Bettelsack für einen Tag haben, sobald er heimkomme am Abend, solle der Bettler das Seine wieder haben, erreichte er schließlich doch, was er wollte. In den Bettlerkleidern ging er in das Wirtshaus, wo seine Liebste wohnte und wo das Tanzfest sein sollte; das war am Nachmittag. Er setzte sich in der Wirtsstube an einen Tisch und verlangte einen Schnaps und ein Glas Bier, und dann blieb er sitzen und trank in aller Gemütlichkeit. Aber da kam die jüngste Tochter heran und war sehr ungehalten, daß ein Bettler am Tisch saß. Ihr Vater wollte sie zur Ruhe weisen und sagte, solange der Mann seine Zeche bezahle, könne man ihn doch nicht hinausjagen.



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Als es nun dunkel geworden war und die Gäste anfingen zu kommen, fragte der Bettler, ob er nicht da über Nacht bleiben könne. Da wurde die Tochter noch böser, aber der Wirt sagte, sie hätten kürzlich gebacken und der Ofen sei noch warm; man würde ihm Decken hinlegen, und da könne er übernachten. So wurde es auch gehalten, und der Bettler lag hinter dem Backofen und hörte, was für ein derbes Mundwerk seine Liebste hatte. Gegen Morgen kam sie in die Kammer, wo er lag, zog ihr Hemd aus und ein frisches an und rief zur Tür hinaus nach dem Knecht, er solle kommen, sie gehe jetzt ins Bett. Er kam auch und legte sich zu ihr. Der Bettler schlich inzwischen aus seinem Winkel heraus, nahm das Hemd, das sie ausgezogen hatte, und steckte es in seinen Bettelsack. Am Morgen bezahlte er seine Schuldigkeit, ging heim und hängte das Hemd auf seinen Speicher neben die drei Heringe und das Pferdefell, ließ anspannen und fuhr zu seiner Liebsten.

Als er kam, fand sie vor lauter Freude kein Ende und sagte, sie habe an dem Fest gar keine Freude gehabt, weil er nicht dagewesen war; sie habe so sehr Sehnsucht nach ihm gehabt. Ehe er heimfuhr, lud er sie, ihren Vater, ihre Mutter und ihre Schwester zu sich ein. Sie wollten gern kommen, und es dauerte nicht lange, so kamen sie angefahren. Er nahm sie freundlich auf, traktierte sie aufs allerbeste, und zuerst gingen sie in den Stall und sahen das Vieh an, dann schloß er ihnen alle seine Kisten und Kasten auf, und schließlich gingen sie auf den Speicher, um die Kornvorräte zu sehen. Auf der Treppe sagte die Mutter zu ihrer Tochter: »Eia, cia, Tochter, was kommst du in ein reiches Haus!« Und die Tochter sagte: »Eia, ja, Mutter!« Auf dem Speicher lag ein Kornhaufen größer als der andere, und sie bewunderten alles. Schließlich fiel der Blick des Wirts -der schaute in jeden Winkel -auch auf die drei Heringe und das Pferdefell und das Hemd, die am Giebelbalken hingen. »Aber was ist denn das da?« fragte er. »Das will ich euch sagen«, sagte der Hausherr, und er erzählte ihnen die Ratschläge seines Vaters und wie er zu den Heringen und dem Pferdefell gekommen war. »Aber was hat es mit dem Hemd für eine Bewandtnis?«fragte der Wirt. — »Erinnert ihr euch an den Abend, wo Tanz bei euch war, da kam doch ein Bettler, den ihr hinter dem Ofen übernachten ließet?«



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Ja, er erinnerte sich noch gut. —»Ja, der Bettler war ich« —und nun erzählte der Hausherr, was er gesehen und gehört hatte und wie er zu dem Hemd gekommen war, und zum Schluß sagte er, das Mädchen könne dahin gehen, von wo sie gekommen sei, er wolle sie nicht haben.

Es dauerte nun eine Weile, da fragte der Mann wieder seinen Knecht, ob er ihm nicht eine Frau wisse. Ja, hier in der Nähe auf einem Hof sei eine, die ihm vielleicht zusage. Der Mann fuhr hin und stellte sich an, als ob er Kälber kaufen wollte; aber sie kamen zu keinem Handel; er wurde ins Haus geführt, trank ein Glas Bier, und da saßen drei Mädchen am Tisch. Als sie sich eine Weile unterhalten hatten, fragte er, ob eines von den Mädchen noch zu haben sei. —Ja, die jüngste sei noch zu haben, die beiden älteren seien schon verlobt. Sie wurden bald einig, und sie gefiel ihm gut, nur war sie ein wenig bedächtig. Es dauerte nicht lange, so hielten sie auf dem Hof ihres Vaters Hochzeit.

Als er zur Hochzeit fuhr, hatte er seinen Leuten anbefohlen, wie sie sich verhalten sollten. Am Abend bei der Heimfahrt kamen sie durch ein kleines Wäldchen. Da rief der Mann auf einmal: »Halt, spring ab und schneide mir ein paar Zweige ab, aber schnell!« Der Knecht sprang mit Windeseile ab und ritschratsch, eins zwei drei, da hatte er auch schon einen Armvoll Zweige, eins zwei drei, so war er auch schon wieder auf dem Wagen und fuhr weiter. Da rief der Mann wieder: »Halt!«Da mußte der Knecht noch einmal Reiser abschneiden; das ging so schnell wie der Blitz. »Aber was willst du denn mit all den Stöcken«, fragte die junge Frau ganz erschrocken. Der Mann fluchte und sagte: »Ich will, daß bei mir im Haus alles blitzschnell geht!«

Als sie zu Hause vorfuhren, kamen die Dienstboten von allen Seiten angerannt. Der Mann sprang vom Wagen, und die Pferde wurden ausgespannt, noch ehe die junge Frau sich hatte umdrehen und ihre Sachen zusammensuchen können, um selbst auszusteigen; so rasch ging das alles.

Ihr Mann war freundlich gegen sie, und als ungefähr acht Tage vorbei waren, fragte er sie, ob sie nicht Lust habe, ihre Eltern zu besuchen. Ja, sie habe sehr Sehnsucht nach den Eltern, sagte sie. — »Also



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zieh dich an, ich lasse anspannen«, sagte der Mann, und einen Augenblick darauf hielt der Wagen vor der Tür, und der Mann rief: »Bist du fertig?« —»Nein, ich habe mich ja kaum erst ausgezogen!« —»Ja, dann geht es diesmal nicht; spannt wieder aus!« —und gleich war der Wagen wieder ausgespannt. Acht Tage darauf fragte er wieder, ob sie nicht heim wolle. Sie sagte ja; aber es ging wieder ebenso: sie wurde nicht zur Zeit fertig, und es ging nicht, obgleich sie weinte und sich beklagte. Da kam eine alte Frau und fragte, ob sie denn nicht mit ihrem Mann ausfahren wolle? Ja freilich wolle sie, sagte die Frau, aber sie könne nie zur Zeit fertig werden. »Wenn du meinen Rat hören willst«, sagte sie, »so will ich dir sagen, wie du fertig werden kannst.« Das wollte die Frau gern wissen. »Du mußt alle deine Kleider in Ordnung übereinander legen, damit du gleich nehmen kannst, was du brauchst; und wenn du nicht alles anziehen kannst, so mußt du das übrige in die Hand nehmen und erst im Wagen anlegen.«

Als wieder acht Tage vergangen waren, fragte der Mann wieder, ob sie nicht Lust habe, ihr altes Heim wieder aufzusuchen. Ja, sie habe große Sehnsucht danach. »Zieh dich rasch an, ich lasse anspannen.« Es dauerte nur einen Augenblick, da stand der Wagen schon vor der Tür. »Bist du fertig?« rief der Mann. »Ja«, rief sie und rannte die Treppe hinunter mit all ihren Kleidern über dem Arm, sprang auf den Wagen und zog erst da das letzte an, während sie schon fuhren. Da war der Mann zufrieden.

Ihre Eltern nahmen sie sehr gut auf, da waren auch die anderen Schwiegersöhne zu Besuch, und der Schwiegervater wollte die Mitgift verteilen. Die Männer saßen im Wohnzimmer, während die Frauen im guten Zimmer plauderten. Das Geld war in drei Teile geteilt und lag auf dem Tisch. Da schlug einer der Schwiegersöhne vor, daß das ganze Geld derjenigen Frau gehören solle, die am raschesten zur Stelle wäre. Das gefiel den anderen sehr gut, und nun rief er zuerst seiner Frau, sie solle schnell kommen. »Du kannst wohl warten, das hat doch Zeit!« war die Antwort. Dem anderen Mann ging es nicht besser: seine Frau meinte auch, es eile nicht. Da rief der dritte: »Komm rasch, Frauchen!« —gleich kam sie gerannt und sagte: »Hier bin ich, was soll ich?« —»Ach, du sollst nur das Geld da nehmen«,



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sagte der Mann und strich ihr alle drei Geldberge in ihre Schürze.

Er fuhr wieder heim mit seiner Frau und war sehr freundlich gegen sie; und sie lebten viele Jahre glücklich zusammen. Nun hatte sie ja gelernt, rasch zu sein, und seither brauchten sich die Dienstboten nicht mehr so sehr zu eilen.


Der Topf

Es war einmal ein Mann, der ging auf den Markt und wollte seine einzige Kuh verkaufen. Als er ein Stück Weg gegangen war, traf er einen Mann, der ein Schaf bei sich hatte. Da wurden sie tauscheinig, und der Mann mit der Kuh bekam statt dessen das Schaf. Er ging weiter zum Markt hin mit dem Schaf, da aber kam einer, der hatte eine Gans. Sie tauschten wieder: der Mann mit dem Schaf bekam die Gans und zog mit ihr weiter zum Markt. Da kam er zu einer Hexe, die hatte einen Topf, und sie machten wieder einen Tausch: der Mann bekam den Topf und die Hexe die Gans.

Dann ging der Mann zu seiner Frau nach Hause mit dem Topf. »Nun, hast du die Kuh verkauft?«fragte sie. »Ja«, sagte der Mann, »ich habe einen Topf dafür bekommen.« — »Einen Topf?« sagte die Frau. »Das ist aber wenig für eine Kuh.« —»Ja«, sagte der Mann, »nun ist der Handel geschlossen, und ich will ihn nicht wieder rückgängig machen.«Also wurde der Topf auf das Brett zu den anderen Töpfen gestellt. Aber als er eine Weile gestanden hatte, sagte er: »Jetzt tripple-trapple ich!« — »Wo trippel-trappelst du denn hin?« fragte die Frau. »Ich tripple-trapple hinauf zum Herrn!« sagte der Topf und trippel-trappelte davon. Als er hinaufkam, ging er in die Küche. Da meinte die Köchin, das sei ein schöner Topf, um Grütze zu kochen, und schüttete die Grütze hinein. Da sagte der Topf: »Jetzt tripple-trapple ich!« — »Wo trippel-trappelst du denn hin?« fragte die Köchin. »Ich tripple-trapple hin zu dem armen Mann mit der Grütze.« Und damit wackelte er davon.

Als der arme Mann die Grütze gegessen hatte, wurde der Topf gespült und wieder aufs Wandbrett gestellt. Wie er nun eine Weile dagestanden



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hatte, sagte er: »Jetzt tripple-trapple ich!« — »Wo trippel-trappelst du denn hin?«fragte die Frau. »Hinauf zum Herrn«, sagte der Topf und trippel-trappelte fort. Als er hinaufkam, ging er wieder in die Küche. Da dachte das Mädchen, das wäre ein hübscher Topf, um Butter hineinzutun, und sie tat Butter hinein. Da sagte der Topf: »Nun tripple-trapple ich!« — »Wo trippel-trappelst du denn hin?«fragte das Mädchen. »Zu dem armen Mann, ich bringe ihm die Butter«, sagte der Topf und trippel-trappelte davon. Der arme Mann nahm die Butter aus dem Topf, und er wurde gespült und wieder auf das Wandbrett gestellt.

Als er eine Weile oben gestanden war, sagte er: »Jetzt tripple-trapple ich!« — »Wo trippel-trappelst du denn hin?«fragte die Frau. »Auf den Herrenhof«, sagte der Topf und trippel-trappelte davon. Da kam er wieder in die Küche. Das Mädchen dachte, das wäre ein schöner Topf, um Silberzeug darin zu waschen, und legte eine Menge Silberlöffel hinein. »Jetzt tripple-trapple ich«, sagte der Topf und trippel-trappelte davon. Da nahm der arme Mann die silbernen Löffel heraus und stellte den Topf wieder aufs Wandbrett. Da sagte der Topf wieder: »Jetzt tripple-trapple ich!« — »Wo trippel-trappelst du denn hin?«fragte die Frau. »Auf den Herrenhof«, sagte der Topf und trippel-trappelte davon. Da dachte der Herr, das wäre ein schöner Topf, um Geld hineinzutun, und tat all sein Geld hinein. »Jetzt tripple-trapple ich«, sagte der Topf. »Wo trippel-trappelst du denn hin?«fragte der Mann. »Zum armen Mann mit dem Geld«, sagte der Topf und trippel-trappelte davon. Der arme Mann nahm das Geld aus dem Topf und stellte ihn wieder aufs Wandbrett. »Nun trippletrapple ich!« sagte der Topf. »Wo trippel-trappelst du denn hin?« fragte die Frau. »Zum Pfarrer«, sagte der Topf und trippel-trappelte davon. Der Pfarrer dachte wie der Herr, das wäre ein schöner Topf, um Geld hineinzutun, und tat all sein Geld hinein. »Nun trippletrapple ich«, sagte der Topf. »Wo trippel-trappelst du denn hin?« fragte der Pfarrer. »Zu dem armen Mann mit dem Geld«, sagte der Topf und trippel-trappelte davon. Der arme Mann nahm das Geld heraus und stellte den Topf wieder aufs Wandbrett. »Nun trippletrapple ich«, sagte der Topf. »Wohin?«fragte die Frau. »Zum Pfarrer«, sagte der Topf und trippel-trappelte davon.



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Als er in den Pfarrhof kam, verwandelte er sich in ein Scheffelmaß; da wollte der Pfarrer Korn hineinmahlen. Als er voll Korn war, sagte er: »Nun tripple-trapple ich.« — »Wohin?«fragte der Pfarrer. »Zu dem armen Mann mit dem Korn«, sagte der Scheffel und trippeltrappelte davon. Der arme Mann nahm das Korn heraus, und da verwandelte er sich wieder in einen Topf und wurde auf das Wandbrett gestellt. »Nun tripple-trapple ich«, sagte der Topf nach einer Weile. »Wo trippel-trappelst du denn hin?«fragte die Frau. »Zum Pfarrer«, sagte der Topf. Aber diesmal wollte der Pfarrer den Topf zum Narren halten und der Topf den Pfarrer. Der Pfarrer tat, als wolle er wieder Korn hineinmahlen, aber er wollte ihn mit Mist füllen. Wie er sich nun bückte und den Mist hineinschaufeln wollte, machte der Topf sich so groß, so daß der Pfarrer kopfüber in ihn hineinfiel. »Nun tripple-trapple ich«, sagte der Topf. »Wohin?« fragte der Pfarrer. »In die Hölle«, sagte der Topf.


Das kluge Mädchen

Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die hatten nur eine Tochter. Eines Tages kam ein Freier für sie. Da schickte ihre Mutter sie in den Keller hinunter, um Bier vom Faß zu holen. Wie sie nun den Zapfen heraus hatte, fiel ihr ein: »Wenn ich ihn nun kriege - und kriegen werde ich ihn schon - und wir haben einen kleinen Buben, und der hat Kopfweh -in was sollen wir ihn dann einwickeln?«Und sie hielt den Krug unter, und das Bier lief über, und sie saß darin bis an die Knöchel.

Da kam ihre Mutter und fragte sie: »Was sitzest du denn da?« — »Ach, ich sitze hier und denke darüber nach: wenn ich ihn nun kriege —und ich werde ihn schon kriegen - und wir haben einen kleinen Buben, und der hat Kopfweh - in was sollen wir ihn dann einwickeln?« —»Ja, in was könnten wir ihn nur einwickeln?« Und sie hielten den Krug unter, und es lief, und sie saßen im Bier bis an die Knie.

Da ging der Mann hinunter und wollte sehen, wo sie steckten. »Was sitzt ihr denn da?« sagte er. Da sagte die Frau: »Ach, wir sitzen und



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denken darüber nach: Wenn sie ihn nun kriegt - und sie wird ihn schon kriegen - und sie haben einen kleinen Buben, und der hat Kopfweh - in was sollen sie ihn dann einwickeln?« — »Ja, in was könnten wir ihn nur einwickeln?« Also blieb er auch bei ihnen sitzen. Und sie hielten den Krug unter, und es lief, und sie saßen bis an die Hüften im Bier.

Wie nun alle drei nicht mehr kamen, ging schließlich der Freier selbst hinunter, und wie er zu ihnen kam, fragte er: »Aber was sitzt ihr denn hier?« Da sagte der Mann: »Ach, wir sitzen hier und denken darüber nach, wenn sie dich nun kriegt - und sie wird dich schon kriegen - und ihr habt einen kleinen Buben, und der hat Kopfweh; in was sollt ihr ihn dann einwickeln?« Aber als der Freier das hörte, ging er kühl seines Weges und kam nie wieder.


Der Hund und der Hahn

Der Hund und der Hahn gingen eines Tages im Hof. Der Hahn war munter, schlug mit den Flügeln und krähte aus vollem Hals. Der Hund ließ den Schwanz hängen und ging in sorgenvollen Gedanken. Er ärgerte sich über die Lustigkeit des Hahnes und sagte endlich: »Ich kann nicht verstehen, wie du so wohlgemut sein kannst!« — »Warum denn nicht?«fragte der Hahn. »Siehst du denn nicht«, sagte der Hund, »daß unser Herr nun schon ein paar Tage mit sorgenvollem Gesicht herumgeht? Ich meine doch, wir sollten an seiner Sorge Anteil nehmen!« —»Worüber sorgt er sich denn?«fragte der Hahn. »Ober seine Frau«, sagte der Hund, »sie ist so böse, daß er kein gutes Wort von ihr bekommt; er mag tun und sagen, was er will, sie ist nicht zufrieden; so eine kann einen Mann unter den Boden bringen!« — »Mich brächte das nicht unter den Boden«, antwortete der Hahn, »ich habe siebzig Frauen; und wenn ich immer den Kopf hängen lassen müßte, wenn irgend etwas nicht recht ist, sollte der Teufel Hahn sein, ich nicht. Nein, ich nehme sie von einer andern Seite: wenn meine Frauen widerspenstig sind und nicht hören wollen, so kriegen sie Prügel; und wenn sie sich in die Haare kommen, so bringe ich sie wieder auseinander. Auf diese Art werde ich mit



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meinen siebzig Frauen prächtig fertig, und wenn der Herr mit seiner nicht fertig wird, ist er ein ganz trauriger Kerl!«

Und damit stolzierte der Hahn davon und war guten Mutes. Aber der Herr, der das ganze Gespräch mit angehört hatte, ging hinein zu seiner Frau, und da sie wieder böse Worte gab, gab er ihr eine gehörige Tracht Prügel, und seit der Zeit war sie so zahm und fügsam wie nie zuvor.


Mann und Frau

Es war einmal ein Mann, der zog mit einem Wagen voll Eier und mit einer Koppel Pferde in der Welt herum. Die Eier gab er in den Häusern her, wo die Frau den Mann regierte; die Pferde wollte er da abgeben, wo der Mann Herr im Hause war. Bis jetzt war er mit lauter Eiern ausgekommen. Aber endlich kam er in ein Haus, wo es ihm vorkam, als ob der Mann das Regiment führte; und er beschloß, die Nacht über dazubleiben.

Am anderen Morgen wollte er weiter. Er dankte für das Nachtlager und die gute Bewirtung und ließ dem Mann die Wahl zwischen zwei von den Pferden, einem Braunen und einem Rappen. »Ja, ich nehme den Braunen«, sagte der Mann. —»Nein, da wärst du ja ein Narr«, rief die Frau, »der Rappe ist ja viel besser.« — »Nun ja«, sagte der Mann, »wenn du es sagst, Frauchen, so will ich den Rappen nehmen.« —Da nahm der Fremde ein Ei vom Wagen und gab es ihm und zog ab. Und nun durften sie dem Braunen und dem Rappen sehnsüchtig nachschauen.


Die klugen Studenten

Es waren einmal drei junge Leute, die waren auf der hohen Schule, aber sie waren arm, und da ging ihnen das Geld zu früh zu Ende. So konnten sie auf gar keine Art aus eigenen Mitteln fertigstudieren. Sie baten schließlich ihre Lehrer, ob sie nicht auf den Pfarrhöfen und Herrenhöfen und Küstereien eine Zeitlang herumziehen dürften,



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um solche mitleidige Seelen um Hilfe und Unterstützung anzugehen, damit sie fertigstudieren könnten. Es wurde ihnen auch erlaubt, und sie zogen ihres Weges.

An einem der ersten Abende kamen sie an ein Wirtshaus und fragten um Unterkunft. Der Wirt war freundlich und nahm sie gut auf, als er hörte, wie es mit ihnen stand. Also blieben sie über Nacht da. Als sie nun am Abend noch plauderten, sagte der Wirt: »Wenn ihr schon so viel studiert habt, so habt ihr gewiß allerhand gelernt, was andere Leute nicht können?« — »Ja freilich«, sagten sie, es sei schon so.

»Da könntet ihr wohl heute abend meinen Söhnen das eine und das andere erzählen, das ist ihnen vielleicht von Nutzen.« Das wollten sie gerne, sagten sie. Der Wirt hatte drei Söhne, und die freuten sich sehr, daß sie den drei Studenten zuhören durften, und als der Morgen kam, wollten sie sie kaum fortlassen. Sie sprachen mit ihrem Vater und baten ihn, die drei noch einen Tag länger zu behalten. Als nun die Studenten zum Frühstück kamen, fingen sie davon an, sie wollten sich wieder auf den Weg machen und ihr Nachtlager bezahlen, aber viel hätten sie nicht im Beutel. Das verstand der Wirt recht gut, nach der Art zu urteilen, wie sie herumzogen. Er sagte nun, seine Söhne hätten solchen Gefallen an ihnen gefunden, daß sie sie gerne noch einen Tag behalten möchten. Das könnten sie nicht, sagten die Studenten, denn ihr Geld reiche nicht für einen so langen Aufenthalt in Wirtshäusern.

»Darum braucht ihr euch gar nicht zu sorgen«, sagte der Wirt, »wenn ich euch bleiben heiße, so könnt ihr euch doch denken, daß ich nichts von euch annehme.«

Also blieben die Studenten bis zum nächsten Tag und ließen sich's wohl sein, und die jungen Leute hatten ihren großen Spaß mit ihnen. Als sie nun weiterziehen wollten, gab der Wirt jedem von ihnen fünf Dukaten; das war ihnen schon ein schöner Brocken, und weiter sagte er, er könne sie auf einen Herrenhof weisen - ich weiß nicht, wie weit er entfernt war -, da wohne ein junger Herr, er sei nicht verheiratet, habe aber große Lust, sich mit solchen studierten Leuten zu unterhalten. »Ja, den wollen wir schon besuchen«, sagten die Studenten und wanderten auf den Hof zu.

Eine Weile nach Mittag kamen sie dort an und gingen in die Küche,



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wo die Haushälterin vor dem Herd stand. Sie fragten, ob der Herr daheim sei. Sie sagte ja, aber er schlafe gerade; wenn sie ein wenig Platz nehmen wollten, so werde sie mit ihm reden.

Als sie ein wenig gewartet hatten, ging sie hinein und erzählte dem Herrn, so und so, es seien drei junge Leute in der Küche. Er kam dann zu ihnen heraus und fragte, was sie seien und was sie wollten. Sie sagten ihm die reine Wahrheit, sie seien drei Studenten und zögen herum und bäten um eine kleine Unterstützung, damit sie fertigstudieren könnten. Als der Herr das hörte, ließ er sie eintreten und lud sie zu einem Imbiß ein, die Haushälterin sollte etwas herrichten, und er wolle inzwischen bei ihnen bleiben und sich mit ihnen unterhalten. Er ging hinaus und hieß die Haushälterin ein Schwein an den Spieß stecken, denn er wollte ein stattliches Abendessen geben, da er solche Gäste hatte.

Die Haushälterin hatte nun gehörig Arbeit, um die Mahlzeit herzurichten, und als sie drinnen war, um den Tisch zu decken und das und jenes in der Stube in Ordnung zu bringen, sollte das Küchenmädchen auf den Braten achtgeben. Aber das ging hinaus und holte Brennholz; und sie hatten einen großen Bullenbeißerhund, der lief in die Küche und fraß das halbe Schwein auf, während das Mädchen draußen war. Als die Haushälterin wiederkam, wurde sie furchtbar böse, und das Mädchen war ganz verzweifelt über das Unglück. Sie wagten es gar nicht dem Herrn zu sagen. Nun hatte sich ein kleiner fremder Hund schon einige Tage im Hof herumgetrieben, und sie wußten nicht, wo er hingehörte, aber er war schön fett. Da kam das Küchenmädchen auf den Gedanken, man könne ihm die Haut abziehen, ihn an den Spieß stecken und ihn statt des Schweines auf den Tisch bringen. Der Vorschlag leuchtete der Haushälterin ein, und in einem Augenblick hatten sie dem Hund den Garaus gemacht.

Inzwischen unterhielt sich der Herr mit den drei Studenten. Er sagte: »Wenn ihr schon so viel studiert habt, so versteht ihr euch doch gewiß auch auf besondere Künste, auf Erscheinungen und solche geheimnisvollen Sachen?« —»Ja freilich«, sagten sie, »ein wenig schon, wir haben noch nicht viel von derartigen Sachen gehört, aber ein wenig verstehen wir uns schon darauf.« — »Ich sehe genau, was für eine Sorte Essen ich bekomme, ob es echt ist oder verfälscht«,



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sagte der eine. —»Und ich sehe an allem, was ich trinke, ob der Trank echt ist oder nicht«, sagte der zweite. Und schließlich sagte der dritte, er könne sehen, unter was für Leuten er sei, ob sie ehrlich geboren seien oder nicht.

Ja, das sei schon eine Wissenschaft, sagte der Herr.

Nun war das Essen fertig, und es war an der Zeit, sich zu Tisch zu setzen. Der Braten wurde aufgetragen, und er duftete ausgezeichnet und sah prächtig aus. Der Herr hieß sie sich bedienen, aber der, der dem Essen ansah, ob es echt sei oder nicht, wollte nicht den kleinsten Bissen essen. Die anderen sagten, es sei doch schade, daß er nicht essen wolle, aber er sagte nur, er wolle lieber ein Stück Butterbrot haben. Als sie nun zu Tisch saßen, hieß der Herr seinen Diener in den Keller gehen und drei Flaschen Wein vom größten Faß holen; darin sei der beste Wein, den er besitze, sagte er. Der Diener kam auch mit den Flaschen, und jedem wurde sein Glas vollgeschenkt. Aber der, der die Getränke kannte, wollte den Wein nicht versuchen. Darüber wunderte sich der Herr sehr. Nun hatten sie doch seinen besten Wein vor sich, und er mußte denken, daß sein Essen und sein Wein nicht in Ordnung sei.

Schließlich mußten sie auf die Gesundheit des Herrn trinken — wahrscheinlich in Branntwein, das weiß ich aber nicht —und sie sollten mit dem Wirt anstoßen. Aber der dritte Student, der merkte, unter was für Leuten er sei, wollte nicht mit anstoßen. Da war der Herr halb und halb gekränkt und dachte im stillen: >Wenn ihnen mein Essen und mein Getränk und ich selber nicht gut genug sind, so soll der Teufel solche Gäste sich zu Tische laden. Das ist doch zu wunderlich!<

Als die drei Studenten ins Bett wollten, wurde ihnen eine Kammer mit drei Betten angewiesen. Aber der Herr war nun fürchterlich neugierig und wollte hören, was sie miteinander redeten, wenn sie unter sich wären; denn er dachte sich, sie würden wohl über das sprechen, was am Abend vorgefallen war, und er könne herausbringen, was an seinem Braten und an seinem Wein und an ihm selber nicht in Ordnung sei. Also schlich er bald nach ihnen auf bloßen Strümpfen hin zur Kammertür.

Kaum war die Türe zu, so sagten die zwei anderen zum ersten:



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»Warum hast du denn nicht von dem schönen Braten gegessen, er schmeckte so gut!« Er habe keine Lust, Hundebraten zu essen, gab er zur Antwort. Das hörte der Herr. Dann sagten die beiden anderen zum zweiten: »Es war so schade, daß du nicht von dem guten Wein hast trinken wollen, es war ein starker Wein.«Nein, er habe keine Lust nach Wein, in dem Kinder ertrunken sind, gab er zur Antwort.

Das hörte der Herr auch.

»Es war aber wirklich gar nicht recht von dir, daß du nicht aufs Wohl des Herrn trinken wolltest«, sagten die beiden anderen zum dritten. »Er war doch so freundlich gegen uns.« —»Ja, in einer Art hätte man schon denken können, es sei ein Unrecht«, sagte er, »aber es paßt sich nicht für unseren zukünftigen Stand, mit einem Bastard anzustoßen.«

Als der Herr das auch noch gehört hatte, hatte er genug. Er dachte, den beiden ersten Dingen könne er wohl auf die Spur kommen, aber der dritte Punkt war gar nicht so einfach.

Das erste, was er tat, war, daß er hinunter in die Küche ging und solange im Guten und im Bösen auf die Mädchen einredete, bis sie endlich zugaben, einen Hundebraten auf den Tisch gebracht zu haben. Er hatte ihnen versprechen müssen, daß sie ohne Strafe ausgingen, wenn sie nur die Wahrheit sagten. —Dann ging er und hieß den Diener ein Licht anzünden und mit ihm in den Keller gehen. Da ging er auf das große Faß zu, zog den Spund heraus und fuhr mit einem Sucher bis auf den Grund. Ganz richtig, er fischte mit dem Sucher ein Kind herauf, ein nacktes Kind, das in dem Faß ertrunken war. Nun war er also sicher, daß die beiden ersten Teile wahr waren, und es ging ihm jetzt noch darum, auch den dritten Spruch aufzuhellen. Seine Mutter lebte noch und wohnte auf einem anderen kleinen Hof einige Meilen entfernt. Aber er wollte die Sache bis zum folgenden Tag aufschieben, und in der Nacht überlegte er, wie er es schlau anfangen könne, um das dritte Ding auch noch zu erfahren.

Am Morgen kamen die Studenten zum Frühstück und ließen es sich wohl sein. Da sagte der Herr zu ihnen, ob sie nicht Zeit hätten, noch einen Tag zu bleiben. Sie dankten sehr, sie hätten es ja wunderschön hier und wollten gern bleiben. Er wolle heut über Tag verreisen,



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sagte der Herr, aber am Abend komme er wieder zurück, und da wolle er sie gerne noch antreffen, sie sollten sich indessen die Zeit vertreiben, so gut sie könnten.

Nun hatte der Herr eine Schwester, die war mit einem Pfarrer verheiratet, sie wohnten einige Meilen entfernt, und die wollte er erst besuchen. Er fuhr mit Kutsche und Diener nach dem Pfarrhof, und der Pfarrer und seine Frau kamen heraus und nahmen ihn mit aller Höflichkeit und Freundlichkeit auf. Er sagte, eigentlich wolle er gerne mit seiner Schwester unter vier Augen sprechen. Ja, das könne er ja leicht, sagten sie. Er trat ein und wurde mit Backwerk bewirtet, wie es sich gehört, und dann ging er mit seiner Schwester in eine Kammer. »Willst du mir den Dienst erweisen«, sagte der Herr, »und mir deine Pferde und Wagen und Burschen und Diener leihen an Stelle des meinigen? Aber das ist noch nicht alles, ich möchte auch gerne deine Kleider entleihen, hilf mir sie anzulegen.«

»Was!« sagte sie, »was soll denn das bedeuten?«

Das wolle er ihr später schon zu wissen tun, sagte er. Da gab sie ihm auch die Kleider, und er zog sie an. Es traf sich sehr gut, daß er ein kleiner Mann war, da paßten ihm die Kleider recht gut. Zudem waren sich die beiden Geschwister gar nicht so unähnlich. »Aber wo willst du denn hin?«fragte die Schwester.

Ja, er wolle zur Mutter, sagte er. Seine Leute und sein Wagen sollten hierbleiben, bis er zurück sei, und dann wolle er ihr auch richtig Bescheid sagen über die ganze Sache.

Also fuhren sie im Gefährt des Pfarrers davon, und als er in den Hof seiner Mutter einbog, saß die Alte am Fenster. Sie sah gleich, daß es der Wagen der Tochter war, und lief hinaus, um sie in Empfang zu nehmen. Sie begrüßten sich, und die Alte faßte die Tochter unterm Arm, und sie taten einander sehr schön. Sie saßen und plauderten, während das Hausmädchen Wasser zum Tee heiß machte. Da sagte die Alte: »Nun, wie geht es dir?«

»Ach danke, so so«, sagte die Junge.

»Wie, ist denn dein Mann nicht gut gegen dich?«

»O doch, sehr«, sagte die Junge.

»Aber«, sagte die Mutter, »es ist etwas nicht in Ordnung mit dir, ich sehe doch, daß du nicht froh bist.«



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Die Junge wollte nicht recht mit der Sprache heraus.

»Du mußt es mir sagen, ich sehe ja doch, daß etwas fehlt«, sagte die Mutter eindringlich.

»Ja, Mutter«, sagte die Tochter und druckste an der Antwort herum,

»ihr wißt doch, daß wir keine Kinder haben.«

»Ach was«, sagte die Alte, »du solltest es machen, wie ich es gemacht habe, Mads der Viehpfleger ist deines Bruders Vater.«

Da hatte denn der Herr die Perücke voll und war rasch mit dem Besuch fertig. Als er wieder in den Pfarrhof kam, tauschte er seine Kleider und seinen Wagen wieder ein, fuhr heim und wußte nun, was er hatte wissen wollen.

Nun standen die Studenten sehr hoch in seiner Achtung, denn sie hatten bewiesen, daß sie tüchtige Leute waren und daß an ihren Reden etwas dran war. Als sie nun am dritten Tag weiterziehen wollten, gab er jedem von ihnen zwanzig Dukaten als Reisepfennig und wies sie an Orte, wo sie gewißlich reichliche Unterstützung bekommen würden. Eine Zeitlang darauf wanderten sie wieder zurück an die hohe Schule, denn nun hatten sie so viel zusammengebracht, daß sie fertigstudieren konnten. Schließlich kamen sie von der Schule weg und in eine Pfarrei und sind alle tüchtige und kluge Pfarrer geworden.


Der starke Hans

Es war einmal ein Mann, dem gebar seine Frau einen Sohn, und da er gehört hatte, daß Kinder, die man lang an der Brust behält, besonders stark werden, so ließ er diesen Sohn zehn volle Jahre bei seiner Mutter trinken.

Als die zehn Jahre um waren, nahm er ihn mit in den Wald, um zu erproben, wie stark er sei. Er hieß ihn einen Baum anpacken und sagte: »Nun probiere, Hans, ob du ihn ausreißen kannst?«Der Bursche gab dem Baum einen gehörigen Ruck, daß er wankte von oben bis unten, aber ausreißen konnte er ihn doch nicht. Da ging der Vater wieder mit ihm nach Hause und ließ ihn noch einmal zehn Jahre lang bei seiner Mutter trinken, und als auch diese um waren, nahm er ihn wieder mit hinaus in den Wald, und nun konnte er den Baum mit



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Leichtigkeit ausreißen. Da dachte der Mann, nun sei sein Sohn stark genug und solle ihm bei der Arbeit helfen.

Aber kein Mensch wollte mehr auf dem Hof bleiben, als man sah, wie stark Hans war. Wenn er Korn mähte, warf er es so weit umher, daß man es gar nicht mehr zusammenlesen konnte, und so ging es mit aller Arbeit. Da sagte der Vater eines Tages zu Hans: »Halt! Das kann nicht auf die Art fortgehen! Ich kann dich nicht zu Hause behalten; du mußt in die Welt hinaus und dir einen Dienst suchen, wo mehr Platz ist und die Leute mehr zu brechen und zu beißen haben als wir hier.«Also zog Hans in die Welt hinaus, um sich einen Dienst zu suchen, und kam an einen Ort, wo er hörte, daß des Pfarrers Ackerknecht kürzlich weggegangen sei und er da wohl eine Stelle finden könne; aber der Pfarrer sei furchtbar geizig, sagten die Leute. Darum kümmerte sich Hans weiter nicht, sondern ging zum Pfarrer und fragte, ob er nicht als Ackerknecht bei ihm in Dienst treten könne. Er wolle weiter keinen Lohn, nur nach Ablauf des Jahres wolle er dem Pfarrer drei hinten drauf geben. Als der Pfarrer hörte, daß er nicht mit Geld herauszurücken brauche, willigte er gleich ein.

Am ersten Tag, als Hans im Dienst war, sollte er Wasser und Brennholz in die Küche tragen. Aber die Eimer kamen ihm zu klein vor, damit ließ sich nichts ausrichten, sagte er, und nahm zwei große Bräukessel und brachte darin das Wasser, und vom Brennholz nahm er ein ganzes Klafter auf einmal. Als die Köchin das sah, erschrak sie sehr, lief hinein zum Pfarrer und sagte, das sei ein kurioser Kerl, den sie da in Dienst genommen hätten, und erzählte, wie er sich anstellte. Da fiel dem Pfarrer das Herz in die Hosen, als er an den ausgemachten Lohn dachte, und er sagte: »Wart nur, ich will ihn in den Teufelswald schicken, da wird er schon nicht mehr heimkommen, und wir sind ihn los.«Und erging hinaus und sagte zu Hans: »Morgen mußt du hinaus in den Wald fahren und Brennholz holen.« —

»Jawohl, Herr!«sagte Hans und spannte am nächsten Morgen zeitig an und fuhr in den Wald.

Als er an Ort und Stelle war, hieb er zuerst einen Baum um, spaltete ihn in Stücke und verlud ihn auf den Wagen. Wie er mitten in der Arbeit war, da wimmelten von allen Ecken und Enden Teufel daher



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und wollten ihm auf den Leib rücken. Er wußte sich aber zu helfen: neben ihm stand ein großer Baum mit mächtiger Krone, den riß er mit der Wurzel aus, drehte ihn um, benützte ihn als Besen und fegte damit alle Teufel weg. Und als er damit fertig war, lud er auch diesen Baum auf seinen Wagen; aber nun war die Last zu schwer geworden, daß die Pferde den Wagen nicht mehr von der Stelle bringen konnten. Da spannte er sie aus, lud sie ebenfalls auf den Wagen und zog selber das ganze Fuhrwerk heim. War der Pfarrer zuvor nicht erschrocken, so erschrak er jetzt, als er den Hans wiederkommen sah, und noch dazu auf diese Weise. Er mußte sich nun auf einen anderen Ausweg besinnen und sagte zu Hans, er habe mit dem Teufel einen Vertrag geschlossen, und den solle Hans aus der Hölle holen. Wenn er das fertigbringe, wolle er ihm einen Wagen voll Geld geben. Denn er dachte bei sich: >Wenn er nur erst in der Hölle ist, wird er schon nicht mehr herauskommen.< Hans tat, wie ihm gesagt war, er ging in die Hölle und verlangte, der Teufel solle ihm den Vertrag des Pfarrers herausgeben. Aber da brachte der Teufel einen eisernen Ring herbeigeschleppt und sagte zu Hans: »Nun wollen wir sehen, wer von uns beiden diesen eisernen Ring am höchsten werfen kann, wenn du ihn am höchsten wirfst, so gebe ich dir den Kontrakt heraus, werfe aber ich am höchsten, dann behalte ich den Kontrakt, und du mußt auch hier bleiben.« Da schleuderte zuerst der Teufel den Ring in die Luft, und er flog eine ganze Weile, aber schließlich kam er doch wieder herunter.

Nun war Hans an der Reihe, aber er merkte wohl, daß seine Kräfte nicht ausreichen würden, um sich mit dem Teufel zu messen. Er ließ sich nichts merken, nahm den Ring in beide Hände, spreizte die Beine, als ob er ihn wirklich in die Luft schleudern wollte, aber auf einmal blieb er stehen und drehte ihn hin und her, als ob er sich etwas überlegte. »Was überlegst du dir?«fragte der Teufel. —»Ach«, sagte Hans, »ich dachte nur, ob ich den Ring wohl richtig hochschleudern sollte, hinauf bis zu dem Alten -du weißt ja, wer da oben sitzt; aber dann siehst du deinen Ring nie wieder.« —»Nein, nein, das darfst du nicht tun!«schrie der Teufel, »lieber gebe ich dir den Kontrakt heraus!« So bekam Hans den Kontrakt und ging damit wieder zu dem geizigen Pfarrer, der es mit der Angst bekam, als er Hans wiedersah.



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Aber ob er wollte oder nicht, so mußte er ihm nun einen Wagen voll Geld geben, und damit fuhr Hans davon.

Unterwegs kam er an eine Schmiede, hielt und fragte an: »Ob der Schmied ihm einen Spazierstock verfertigen wolle?« —»Nein«, sagte der Schmied, »das ist nicht meine Sache, ich bin kein Kleinschmied, müßt ihr wissen.« — »Das ist auch nicht nötig«, sagte Hans, »denn der Stock, den ich haben möchte, muß vierhundert Pfund schwer sein, dreihundert Pfund der Schaft und hundert Pfund der Knauf.« — »So viel Eisen habe ich meiner Lebtag noch nicht gehabt«, sagte der Schmied. »Nun ja«, sagte Hans, nahm eine Handvoll Geld vom Wagen und bot sie dem Schmied: »Hier hast du Geld, um das Eisen zu kaufen; in acht Tagen komme ich wieder, um den Stock zu holen.« Darauf fuhr er heim zu seinem Vater, der sich sehr freute, ihn wiederzusehen, und auch über das viele Geld nicht traurig war. Hans schenkte ihm alles, denn ihm selber war wenig daran gelegen. Der Vater hätte es gern gesehen, wenn Hans nun bei ihm zu Hause geblieben wäre und es sich hätte wohl sein lassen, aber dazu hatte er keine Lust. Als die acht Tage um waren, nahm er Abschied von seinem Vater, holte bei dem Schmied seinen Stock ab und begab sich wieder auf die Wanderschaft durch die weite Welt.

Als er eine Weile gewandert war, kam er an eine Brücke, da stand ein Mann und klopfte Steine, und bei jedem Schlag zerhieb er einen Stein so groß wie ein Mühlstein. >Der ist gar nicht so übel<, dachte Hans und ging zu dem Mann hin und fragte: »Warum stehst du hier und klopfst Steine?« —»Nun«, sagte der Mann, »man muß doch irgendwie sein Brot verdienen.« —»Aber das ist kein besonderes Pläsier«, sagte Hans, »komm lieber mit mir, da sollst du es besser haben.« Der Steinhauer hatte nichts dagegen, Weib und Kinder hatte er nicht, und so schloß er sich Hans an. Als sie nun eine Weile gewandert waren, kamen sie an einen Wald. Da stand ein Mann und machte Holz, und mit jedem Schlag spaltete er einen mächtigen Klotz. >Der ist auch nicht so übel<, dachte Hans, ging zu dem Mann hin und fragte, warum er hier stehe und Holz mache. »Irgend etwas muß man doch tun«, sagte der Holzhauer. —»Ja, aber das ist eine harte Arbeit«, sagte Hans, »komm lieber mit mir, da sollst du etwas Besseres bekommen.« Und er ging auch mit.



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Als sie eine gute Weile zusammen gewandert waren, kamen sie in einen dichten Wald, und mitten in dem Wald stießen sie auf ein schönes Schloß. »Das gefällt mir gut«, sagte Hans, »wir wollen hineingehen.« Also gingen sie hinein und kamen in ein schönes Gemach nach dem anderen, aber es war kein Mensch darin. Schließlich kamen sie auch in ein Zimmer, das hing voll der schönsten Büchsen und Waffen. »Wir wollen jeder eine Büchse nehmen«, sagte Hans, »und hinausgehen und Wildbret schießen, das können wir dann essen, denn für die Bewirtung müssen wir wohl selber sorgen.«Jeder nahm sich eine Büchse, und sie zogen aus, und als sie eine reichliche Menge Wildbret erlegt hatten, einigten sie sich dann, daß der Holzhauer zu Hause bleiben sollte und das Essen herrichten, während die beiden anderen noch weiteres Wild beschaffen wollten. Also blieb der Holzhauer zu Hause, kochte die Suppe, briet den Braten und richtete alles her, bis die anderen nach Hause kämen. Aber auf einmal kam ein altes Weib zur Tür herein, und als sie das Essen sah, sagte sie zu dem Holzhauer: »Ach, gib mir ein wenig zu essen!« —»Ja, gerne«, sagte der Holzhauer, schöpfte ihr Suppe heraus und legte ihr Braten vor, und sie aß.

Aber als sie gegessen hatte, zog sie einen Stock heraus und fing an, auf den Holzhauer loszudreschen. Zuerst schlug er wieder, aber sie war stärker als er und prügelte ihn so lange, bis er auf der Erde lag und nicht mehr mucksen konnte. Dann schloß sie eine Falltür auf, die sich im Boden befand, warf den Holzhauer hinunter und schloß die Falltür wieder zu. Als nun die anderen wieder heimkamen, sahen sie wohl das fertige Essen, aber der Holzhauer war nirgends zu finden. Da glaubten sie, er sei der Sache überdrüssig geworden und davongelaufen. Sie aßen, und dann legten sie sich zum Schlafen hin. Am folgenden Tag sollte der Steinhauer zu Hause bleiben und kochen, während Hans sich draußen herumtrieb. Und es erging ihm, um es kurz zu sagen, ebenso wie dem ersten, und als Hans heimkam, war das Essen fertig, aber kein Steinhauer war da. »Das waren mir zwei saubere Kameraden«, sagte Hans.

Am nächsten Tag mußte er dann selber für das Essen sorgen und auch kochen. Als er fertig war, kam das alte Weib und bat um ein wenig zu essen. Er habe nichts dagegen, sagte er; sie setzten sich zusammen



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an den Tisch und aßen; aber als sie fertig waren, zog die Frau ihren Stock heraus und fing an auf Hans loszuprügeln. Er war aber nicht faul, nahm seinen Spazierstock und schlug gehörig auf sie ein. Aber er merkte bald, daß er von jedem ihrer Schläge eine Beule bekam, und daß auch sie von jedem seiner Schläge eine Beule bekam, aber sie hatte eine Büchse mit einer Salbe unter ihrer Schürze verborgen, und wenn sie diese auf die Wunde strich, heilte sie auf der Stelle. Da sah er wohl ein, daß er unter diesen Umständen auf die Dauer den kürzeren ziehen müsse. Deshalb rückte er ihr auf den Leib, riß ihr die Büchse weg, und nachdem sie noch ein paar tüchtige Hiebe mit dem Spazierstock bekommen hatte, war sie am Ende ihrer Kraft und mußte um gut Wetter bitten. Da aber sagte Hans, er werde nicht eher aufhören, sie zu prügeln, bis sie ihm sage, wo sie seine Kameraden hingeschafft habe. Da mußte sie mit der Sprache heraus und ihm die Falltür zeigen. Er schloß auf und zog die beiden heraus, zwar lebendig, aber jämmerlich zugerichtet. Er nahm die Salbe und rieb sie damit ein, und da wurden sie gleich wieder heil. Inzwischen hatte sich die Hexe aus dem Staub gemacht. Als die Kameraden nach dem Schrecken wieder etwas zu sich gekommen waren, sagte Hans: »Wir wollen uns doch ein bißchen genauer im Schloß umsehen, denn es kann mehr hier sein, als wir geahnt haben.« Sie gingen von einem Gemach in das andere, und schließlich kamen sie an eine Stelle, wo ein tiefes Loch in der Erde war, wie ein Abgrund. »Wir müssen herausbringen, was das ist«, sagte Hans, und sie nahmen ein langes Seil, banden einen Korb daran und machten aus, daß der Holzhauer zuerst und dann der Steinhauer hinuntergelassen werden sollten; dann sollten sie wieder heraufkommen und Hans berichten, was da unten sei.

Als sie nun unten waren und sich ein wenig umsahen, kamen sie an eine Tür, machten sie auf und kamen in ein Gemach, worin zwei schöne Prinzessinnen saßen. Aber als diese die Fremden gewahr wurden, riefen sie, sie sollten sich in acht nehmen, die Hexe sei jetzt ausgegangen, aber wenn die zurückkäme, werde es ihnen schlecht gehen. Da bekamen sie Angst, liefen wieder zu dem Korb und gaben Hans das Zeichen, sie wieder hinaufzuziehen; als sie wieder hinaufkamen, erzählten sie Hans, was sie gesehen hatten. »Da muß ich



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hinunter«, sagte Hans, und ließ sich hinunterseilen, ging zu der Tür und machte sie auf. Inzwischen war die Hexe heimgekommen, aber das machte Hans wenig aus. Er hieb so lange auf sie ein, bis sie ihm erlaubte, die beiden Prinzessinnen mitzunehmen. Dann gingen sie zu dem Korb, und zuerst wurde die eine Prinzessin aufgezogen und dann die andere. Aber als sie oben waren, beschlossen der Steinhauer und der Holzhauer, sie wollten Hans unten lassen. Denn wenn er heraufkäme, dachten sie, würde er eine von den Prinzessinnen haben wollen, und einer von ihnen müßte leer ausgehen. Also ließen sie den Korb hinunter. Als sie ihn aber halbwegs in die Höhe gezogen hatten und merkten, daß er schwer war und also Hans wohl drinnen säße, schnitten sie das Seil ab und ließen ihn fallen. Aber sie waren doch an den Unrechten gekommen; denn Hans hatte nur seinen Spazierstock in den Korb gelegt, und der fiel nun wieder hinunter, ihm vor die Füße.

Als er nun merkte, woran er war, und daß er nicht hinaufkommen könne, kehrte er wieder um und machte sich auf weitere Entdeckungsreisen. Da kam er an ein schweres Eisengitter, und dahinter saß eine dritte Prinzessin und lauste einen Troll mit sieben Köpfen. Der Troll schlief, aber Hans schlug mit seinem Spazierstock so stark an das Gittertor, daß es aufsprang und der Troll erwachte. Hans war nicht faul: er stürzte sich auf ihn und hieb ihm mit einem Schlag alle sieben Köpfe ab. Dann nahm er die Prinzessin bei der Hand und sagte, sie solle ihm folgen, und das tat sie gern. Die beiden gingen zurück zu der Hexe, und Hans prügelte sie so lange, bis sie ihm versprach, ihn und die Prinzessin wieder auf die Erde hinaufzuschaffen. Die Prinzessin wollte nun zu ihren Eltern heimgebracht werden, und das mußte die Hexe auch besorgen, aber Hans wollte nicht mitgehen. Bevor sie sich trennten, gab ihm die Prinzessin zwei Goldstücke, das eine wie eine halbe Sonne, das andere wie ein Halbmond.

Dann zog Hans wieder in die weite Welt hinaus, und als er eine Zeitlang gewandert war, kam er in eine Stadt, wo er hörte, daß der König eine große Belohnung ausgesetzt habe für denjenigen, der ihm eine halbe Sonne und einen halben Mond machen könne. Da ging Hans zu einem alten Goldschmied, gab sich als Goldschmiedgeselle aus



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und sagte, eine halbe Sonne und einen halben Mond könne er leichtlich machen. Der Goldschmied solle nur zum König gehen und ihm sagen, er werde die Arbeit übernehmen, und in drei Tagen sollten die Stücke fertig sein. Das tat der alte Goldschmied, und Hans sollte nun anfangen zu arbeiten; aber davon wollte er nichts wissen: er lief herum und vertrieb sich die Zeit, und abends kam er singend heim. Das erzählte der alte Goldschmied seiner Frau und war sehr bekümmert darüber; denn er glaube sicher, Hans sei ein Schwindler, der ihn zum besten haben wolle. Aber am letzten Morgen hörte er auf einmal etwas dröhnen und donnern in seiner Werkstatt, daß es ein Graus war. »Nun fängt er, scheint's, doch noch an zu arbeiten«, sagte der Goldschmied, »ich muß hinauf und nachsehen, wie er es macht.«Als er nun in die Werkstatt kam, stand Hans da und schlug mit seinem Stock auf den Boden, daß die Funken stoben und die ganze Werkstatt in hellichten Flammen zu stehen schien. »Was treibst du da?« sagte der Goldschmied ganz entsetzt. »Jetzt bin ich fertig«, sagte Hans, »wollt Ihr nun mit dem halben Mond und der halben Sonne aufs Schloß gehen?« —»Nein, dafür danke ich«, sagte der Goldschmied, »ich habe mit der Sache schon genug Angst ausgestanden; du gehst am besten selber.« —»Ja, das kann ich auch«, sagte Hans, und ging hinauf ins Schloß, und als er sagte, er sei der mit der halben Sonne und mit dem halben Mond, wurde er gleich zum König hineingeführt, der mit der Königin bei Tische saß, und mit den drei Prinzessinnen, die in dem Trollschloß gewesen waren.

Aber das erste, das Hans erblickte, als er hereinkam, das waren seine guten Freunde, der Holzhauer und der Steinklopfer, die auch mit am Tische saßen, große Herren geworden und mit den beiden Prinzessinnen verheiratet waren. Hans zeigte nun die beiden Goldstücke, die ihm die Prinzessin gegeben hatte. Und als die dritte Prinzessin, die die schönste von allen war, sie sah, erkannte sie gleich ihren Befreier wieder, erzählte dem König und der Königin die ganze Geschichte, und sagte, sie wolle keinen anderen Mann haben als diesen. So bekam Hans die Prinzessin, und es wurde eine große Hochzeit gefeiert, wobei es im Schloß sehr lustig zuging. Hans und die Prinzessin wohnten im Schloß, und vielleicht wohnen sie heute noch dort.



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Der Zauberhut

Ein Hirtenbub saß eines Tages auf einem Hügel. Gerade an diesem Tag war ein großes Fest im benachbarten Dorf; und als es Mittag läutete -wie es immer in alten Zeiten geschah -, hörte er einen großen Tumult und Lärm drunten im Hügel und vernahm immer den gleichen Ruf: »Wo ist mein Hut? Wo ist mein Hut?« Das kam ihm sonderbar vor, und auf einmal fiel es ihm ein, auch zu rufen: »Ist nicht auch einer für mich da?« —»Nein!« rief eine Stimme. »Doch«, rief eine andere, »hier ist Vaters alter Hut!« und damit kam ein alter verschlissener Hut aus dem Hügel herauf für den Burschen. Er setzte ihn gleich auf, und nun konnte er sehen, daß eine unzählige Menge Zwerge auf das Dorf zu lief. Er begab sich auch heimwärts, um zu Mittag zu essen. Aber er konnte nicht begreifen, wie das zuging: alle Leute, denen er begegnete, gingen dicht neben ihm vorbei und traten ihn beinahe nieder; und wenn er einen anredete, so sah der sich verwundert um und gab ihm keine Antwort. Schließlich fiel ihm der Hut ein, und er vermutete, daß der schuld daran sein könne, daß ihn die Leute nicht sahen.

Kaum war ihm das aufgegangen, so fiel es ihm auch schon ein, daß es doch nett wäre zu sehen, wie es in dem Hause zuging, wo das Fest gefeiert wurde. Also ging er hin und konnte frei unter den Gästen herumgehen und alles sehen, ohne daß jemand ihn sah oder beobachtete. Wie sich nun die Gäste zu Tisch setzten, sah er eine unheimliche Menge Trolle zwischen ihnen sitzen und den Gerichten kräftig zusprechen, so daß die Leute durchaus nicht begreifen konnten, wo all das Essen hinkam, das aufgetragen wurde und das ihnen gleichsam unter den Händen verschwand. Der Bursche hielt sich nun auch dazu, wo es etwas gab, und verschaffte sich eine tüchtige Mahlzeit von den besten Speisen, die er auftreiben konnte.

Wie er schließlich für nichts mehr Platz in seinem Magen hatte, dachte er, seiner alten Mutter daheim könne ein bißchen gutes Essen auch nicht schaden. Er steckte Kuchen, Braten und Wein und andere gute Sachen zu sich und trug sie heim zu ihr. Sie freute sich natürlich sehr, als sie alle die guten Dinge sah, und dachte wie der Bursche, es wäre doch schön, wenn man am nächsten Tag auch noch von dem



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feinen Essen hätte. Also machte sich der Bursche daran, heimzutragen, was er nur vom Besten erwischen konnte; und wo er zugriff, da gab's ein Loch auf der Schüssel, so daß der Festgeber bald aufs Trockene kam; aber das kümmerte den Burschen nicht; er hatte nur seine Sache im Kopf.

Schließlich gegen Abend sollte der Tanz beginnen. Der Bursche, der sich eben wieder einen gehörigen Arm voll Vorrat geholt hatte, bekam auch Lust zuzusehen und ging mit den anderen Leuten hinauf ins obere Stockwerk. Hier mußte er sich in den Ecken herumdrücken, wie es gehen wollte, und aufpassen, daß niemand ihn zertrete. Schließlich mußte er sich vor die anderen hinstellen, weil er sich in den dicken Menschenknäuel nicht hineingetraute. Da stand er und schaute zu und vergnügte sich sehr dabei; aber gerade als die Braut vorbeitanzte, flog ihr Rock recht munter und riß ihm den Hut vom Kopf, und als der Hut weg war, war es auch mit seiner Unsichtbarkeit aus. Da stand er nun, reich beladen mit allerlei Speisen; und als das Erstaunen der Leute sich gelegt hatte, mußte er ihnen genau erklären, wie das alles zusammenhing; und als er damit fertig war, mußte er eine gehörige Tracht Prügel in Empfang nehmen und sich fein still darein ergeben, das gestohlene Essen wiederzubringen; ausgenommen das gute Mittagessen, das er schon im Leib hatte, hatte er von der ganzen Mühe keinen weiteren Gewinn. Und von dem Hut hat man nie mehr was gesehen.


Wie der faule Lars die Prinzessin bekam

Es war einmal ein Paar sehr arme Leute, die wohnten nicht weit vom Schloß des Königs. Sie hatten nur einen Sohn, und mit dem war nicht viel los, denn er war so erschrecklich faul, daß unter seinen Füßen das Gras gemächlich Zeit hatte zu wachsen; wo man ihn sitzen ließ, konnte man gewiß sein, ihn wiederzufinden. Er hieß Lars, und deshalb wurde er niemals anders als der faule Lars genannt.

Seine Eltern waren jeden Tag auf Arbeit im Schloß oben. Die Mutter half in der Küche und der Vater im Garten. Die ganze Zeit über blieb Lars daheim und wurde ein richtiger Faulpelz.



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Da geschah es eines Mittags, daß seine Mutter nach Hause kam, um das Essen für sich und den Burschen zu richten. Sie wollte gerade den Topf übers Feuer hängen, aber da fehlte das Wasser im Haus. Einen Brunnen hatten sie nicht, sondern mußten das Wasser von einer Quelle drüben auf der anderen Seite des Schlosses holen.

Da sagte die Mutter: »Hör, du fauler Lars, spring schnell hinüber und hole ein bißchen Wasser von der Quelle, sonst bekommst du kein Mittagessen.«

»Ich gehe schon, Mutter«, sagte Lars; aber er blieb genau da sitzen, wo er saß. Da sagte sie es noch einmal, und er gab dieselbe Antwort, aber rührte sich durchaus nicht vom Fleck. Da wurde die Mutter zornig und griff nach dem Schnürhaken, um dem faulen Lars eins überzuziehen, und da mußte er sich doch erheben. Er nahm einen alten breitrandigen Hut und einen alten eisernen Kessel, dem die Füße abgeschlagen waren, und zog ab. Aber es ging nur langsam, denn es war sehr heiß an dem Tag, und alle Augenblicke drehte er den Kessel mit dem Boden nach oben und setzte sich eine Weile darauf.

Wie er nun am Schloß vorbeizog, traf es sich, daß die Königstochter, die junge muntere Prinzessin, oben am Fenster saß, und als sie den faulen Lars erblickte, den sie gut kannte, und die Reise sah, die er mit seinem Kessel aufführte, mußte sie sehr lachen und rief ihm hinunter:

»Wo willst du hin, fauler Lars?«

»Zur Quelle, Wasser holen«, rief er.

»Eil dich, fauler Lars, sonst läuft dein Kessel ohne Beine dir voraus!« rief sie wieder.

Nein, damit hätte es keine Gefahr, meinte Lars.

»Du brauchst bald einen Buben, der dir hilft den Kessel tragen, du fauler Lars!« rief sie übermütig.

Da ärgerte sieh Lars, daß sie ihn so zum Narren hatte, und sah zum Fenster hinauf. Aber ein so schönes Mädchen hatte er noch nie gesehen. Er war so verblüfft, daß er stehenblieb und mit offenem Munde zu ihr hinaufglotzte. Aber da lachte sie noch viel mehr über ihn und rief: »Mach deinen Mund zu, fauler Lars, dein Herz wird sonst kalt!« —Da nahm Lars die Beine unter den Arm und ruhte nicht, bis



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er zur Quelle kam. Hier nahm er einen Strick, band ihn an die Henkel des Kessels und senkte ihn in den Brunnen. Der Kessel füllte sich auch mit Wasser, aber als er ihn wieder heraufzog, da war ein Frosch darin, und der konnte reden. So etwas hatte Lars noch nicht gesehen. Er setzte den Kessel zu Boden und schaute verwundert den Frosch an. Der bat ihn gar schön, ob er nicht wieder in die Quelle hinunter dürfe. Doch der faule Lars sagte, daraus könne nichts werden, denn das sei ihm die doppelte Mühe. Aber der Frosch bat noch einmal gar fein und versprach dem Lars, daß ihm ein Wunsch erfüllt werden solle, wenn er ihn wieder hinunter ins Wasser ließe. Der faule Lars dachte, das sei so übel nicht. Er nahm seinen alten breitrandigen Hut, warf ihn aufs Gras und sagte, er wolle soviel Wünsche erfüllt haben, als Grashalme unter dem Hut verborgen seien, denn er dachte, das kommt aufs gleiche heraus, wenn man sich schon mal die Mühe macht.

So durfte also der Frosch wieder in den Brunnen und war froh darüber.

Aber der faule Lars setzte sich neben seinen Krug, den er wieder gefüllt hatte, um in guter Ruhe darüber nachzudenken, was er sich wünschen sollte. Natürlich, dachte er, wollte er sich zu allererst wünschen, sein Kessel solle Beine bekommen und laufen, so brauchte er ihn nicht zu tragen. Dann würde die Königstochter auch nicht mehr über den Krug lachen und sagen, er habe keine Füße, und könnte auch ihn selbst nicht mehr aufziehen, daß er noch einen Burschen brauche, um den Kessel zu tragen. Kaum hatte er seinen Wunsch ausgesprochen, so hatte auch der Krug schon Füße und tat, als ob er davonlaufen wollte; aber Lars ließ sich Zeit, er wollte sich nämlich auf noch einen Wunsch besinnen. Es wollte ihm aber nicht glücken, und so trottelte er samt dem Kessel denn davon. Er hielt sich an dem Strick fest, den er an den Kessel gebunden hatte, so daß er sich zur Hälfte ziehen ließ, und da sein großer breitrandiger Hut ihm zu schwer und warm wurde, hängte er ihn wie einen Deckel über den Kessel, der auf diese Art wie ein rechtschaffener Kessel Füße und einen Deckel bekam.

Wie er so wieder vor die Fenster des Schlosses kam, saß die junge Prinzessin immer noch da, und als sie den Aufzug mit dem Kessel



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und dem Hut sah, der da mit dem faulen Lars ankam, mußte sie lachen und lachte so furchtbar, daß ihr fast schlecht geworden wäre. »Jetzt läuft dein Kessel von selbst, fauler Lars, und den Hut brauchst du auch nicht zu tragen!« rief sie, »jetzt solltest du nur noch einen Buben haben, der hinten schiebt!« — »Du selbst sollst einen Buben haben«, fuhr es dem Lars heraus, ohne daß er groß darüber nachdachte, was er sagte, weil er diese Neckerei satt hatte. Da machte die Prinzessin das Fenster zu, denn jetzt wollte sie nicht mehr mit dem faulen Lars sprechen.

Lars kam also gut heim mit seinem Kessel und bekam auch sein Mittagessen; aber er machte sich kein Kopfzerbrechen über weitere Wünsche; er fand, daß er nichts nötig habe, und es blieb alles beim alten.

So verging die Zeit wie sonst auch, aber als fast ein Jahr vorbei war, da ging es auf dem Schloß kurios zu, denn die Prinzessin bekam eine schwere Krankheit. Man rief die Ärzte, aber die schüttelten ihre Köpfe und schrieben Rezepte, einer immer länger als der andere; aber das half auch kein bißchen. Da nahm die Mutter der Prinzessin sich das Mädchen unter vier Augen vor und redete lange mit ihr, aber die Prinzessin weinte und beteuerte ihre Unschuld, und die Königin glaubte ihr auch.

Darauf verging einige Zeit, und dann war gar kein Zweifel mehr, denn da kam, wie man so sagt, ein kleiner Junge barfüßig zur Prinzessin gelaufen. Der rechtschaffene alte König war nahe daran, aus der Haut zu fahren, daß eine solche Schande über sein Haus kommen sollte, und es wurde auch nicht besser davon, daß die Prinzessin schlechterdings nichts von einem Vater des kleinen Prinzen wissen wollte.

Wohl oder übel verging noch eine weitere Zeit, bis der vaterlose Prinz drei Jahre alt war; aber da sagte der König, daß er jetzt die Schande nicht länger dulden wolle, jetzt solle es bekannt werden, wer des Kindes Vater sei, und wer es auch sein möge, den solle die Prinzessin zum Mann bekommen.

Der König ließ also über das ganze Reich kundtun, daß alle Männer, die in seinem Land seien, groß und klein, an einem bestimmten Tag vor seinem Schloß zusammenkommen sollten; dann würden sie die



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Stimme des unschuldigen Kindes vernehmen, das da selbst seinen Vater herausfinden solle.

Der Tag kam, und ein großer Haufe Menschen strömten zusammen; es war ganz schwarz vor Leuten um das Schloß herum.

Die Mutter des faulen Lars kam an diesem Tag ein wenig früher als gewöhnlich heim, um das Mittagessen zu richten, und sie fand Lars wie gewöhnlich auf der Türschwelle sitzend, wie er sich's im Sonnenschein wohl sein ließ.

»Ich sag's ja«, rief sie aus, »hat mir mein fauler Lars an so einem Tag nichts andres zu tun, als hiersitzen und Maulaffen feilhalten!« Lars dehnte sich erst noch und fragte, warum sie das sage; und da mußte sie ihm erzählen, was oben am Schloß vor sich ging. Da meinte Lars, er sei so gut wie jeder andre, und schlenderte auch hin.

Als oben im Schloß der König den faulen Lars daherkommen sah, dachte er, jetzt könne man gewiß anfangen, denn man konnte sichergehen, daß Lars der letzte war, obgleich er am nächsten wohnte. Der kleine Prinz bekam also einen goldenen Apfel in die Hand, und der, dem er den Apfel gab, sollte sein Vater sein. Das Kind ging lange hin und her mit dem goldenen Apfel in der Hand zwischen den vielen Leuten, als ob es nicht wüßte, was damit anfangen; aber schließlich erblickte es Lars, der zuhinterst in der Menge stand mit beiden Händen in den Hosentaschen, es ging auf ihn zu und streckte ihm den Apfel entgegen. Lars übereilte sich nicht, sondern zog gemächlich die eine Hand aus der Hosentasche und nahm den Apfel. Aber da entstand ein Lärm ohnegleichen, so mißgönnten alle, groß und klein, arm und reich, dem Lars das Glück, das ihm zugefallen war. »Ja, die haben immer Glück, die weder lesen noch schreiben können«, hieß es, und der arme Lars wäre fast niedergetrampelt worden aus purem Neid. Aber er hielt doch den Apfel gut fest und kam endlich vor den König und die Königin und alle Minister.

Als der König sah, daß es der faule Lars war, der den Apfel bekommen hatte, da fand er, daß die letzte Blamage noch ärger sei als die erste. Er nahm die Prinzessin, schob sie hin zu ihm und sagte, daß er niemals mehr etwas von ihnen in seinem Haus sehen wolle -wäre es ein schöner, feiner Mann gewesen, so hätte alles gut werden können, aber der faule Lars -



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Der König befahl also seinen Leuten, sie sollten Lars und die Prinzessin und das Kind nehmen und in einem Boot aufs Meer aussetzten, das östlich vom Schloß war, dann könnten sie ihren eigenen Kurs segeln und reisen, in welches Land sie wollten.

Des Königs Befehl wurde auch richtig ausgeführt, und Lars und die Prinzessin trieben, ohne zu wissen wohin, hinaus aufs wilde Meer. Der Abend kam, und die Prinzessin weinte herzhaft; aber Lars lag unten im Boot und konnte nur an sich selber denken, denn es war das erstemal, daß er Wasser unter sich hatte, und es war ihm gar nicht um eine Seefahrt zu tun.

»Aber was sollen wir denn tun?« rief die Prinzessin.

»Sag' doch, Lars, was wir machen sollen!«

»Ja, was sollen wir wohl machen?« antwortete Lars, »ich weiß nicht, was wir machen sollen«, und so segelten sie weiter.

Nach einer Weile sagte die Prinzessin: »Aber so sag' doch etwas, du fauler Lars, du liegst ja da und sagst kein Wort.«

»Ja, was soll ich denn sagen?«brummte Lars, »ich kann nichts sagen, als daß ich wollte, wir wären bald an Land!«

Kaum hatte er den Wunsch ausgesprochen, so lag eine schöne Insel mit Wäldern, Häusern, Menschen und Vieh vor ihnen.

Die Prinzessin war froh darüber, daß Lars endlich den Mund aufgemacht hatte, und jetzt, meinte sie, sei ja alles ganz einfach, da er so gut mit Wünschen umgehen könne. Jetzt brauchte sie ihm nur die Worte in den Mund zu legen, und er brauchte den Wunsch nur auszusprechen. Zu allererst mußte er wünschen, daß er ein richtiger Mensch würde und kein solches Faultier bliebe, wie er bisher gewesen war. Dann mußte er sich ein schönes Schloß wünschen, mit allem, was dazu gehört. Kaum hatte er diese Wünsche ausgesprochen, so war es, als käme auf einmal ein neues Leben in Lars, und mitten auf der Insel stand ein schönes Schloß, das schimmerte wie helles Gold. Darauf mußte Lars sich prächtige Kleider wünschen, Wagen und Pferde. Soldaten und vieles andre, und das war auch gleich zur Hand. —Ja, die Prinzessin wußte schon, was sie wollte.

Am nächsten Morgen, als der alte König aufgestanden war, ging er wie gewöhnlich ans Fenster, um übers Meer hinauszusehen. Das hatte er immer gern getan. Da erblickte er die schöne Insel, die da



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östlich von seinem Königsschloß lag, mit dem Schloß, das schimmerte wie helles Gold. Aber ob er seinen alten Augen traute? Nein, er nahm seine Brille und schaute noch einmal hin.

Freilich, die Insel und das Schloß lagen immer noch da, und das ging weit über des alten Königs Verstand. Er rief seine Leute und fragte, ob sie jemals zuvor etwas davon gesehen hätten. Sie rissen auch die Augen auf und meinten, das habe der Teufel in eigener Person ausgedacht, um sie zu narren, denn früher sei da ebensowenig eine Insel gewesen wie Rosen auf einem Misthaufen.

Um Gewißheit über das Ding zu bekommen, ließ der König sein Schiff bereitmachen und fuhr mit seinen Leuten hinüber auf die Insel. Wie er dort an Land stieg, stand da gleich vom Ufer bis ans Schloß hinauf eine ganze Reihe Soldaten, die präsentierten das Gewehr vor dem alten König, und das gefiel ihm nicht übel.

Als der König mit seinen Leuten endlich vor das Schloß kam, da trat ihm seine Tochter lächelnd entgegen. Sie fiel ihm zu Füßen und bat, er möge sie beide wieder in Gnaden aufnehmen, und sie wollten ihm auch gehorsame Kinder sein. Der König war sehr verwundert, und seine Tochter mußte ihm berichten, wie das alles zugegangen war. Sie erzählte, wie sie gestraft worden sei, weil sie in ihrem Leichtsinn den faulen Lars verspottet hatte, ohne zu überlegen, daß vielleicht doch etwas mit ihm los sein könne; aber jetzt sei es ihr ganz recht, daß es so gekommen sei, denn jetzt wolle sie keinen anderen mehr haben als Lars: er sei jetzt nicht mehr wie früher, denn es sei Leben in ihn gekommen.

Da kam Lars heraus, und in den schönen Kleidern sah er so stattlich aus wie irgendein Königssohn. Er bestätigte, was die Königstochter gesagt hatte, und bat ebenfalls den König um Gnade.

»Ende gut, alles gut«, sagte der König, »die Welt ist wunderlich eingerichtet, aber die einander bekommen sollen, die bekommen einander doch.«

Also war alles in Ordnung. Sie feierten Hochzeit viele Tage lang und lebten glücklich miteinander. Und als der alte König starb, wurde Lars König und regierte viele Jahre mit seiner Königin das Reich.



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MÄRCHEN AUS NORWEGEN


Wie die Sterne entstanden sind

Wißt ihr, wie die Sterne entstanden sind? Einmal erzählte ein alter Mann: Hoch oben über der Welt der Menschen wölbt sich der Himmel. Dort leuchtet ewiges Licht, und durch alle Räume tönt ein tausendstimmiger Chor. Das ist der Gesang der Geister. Und das Licht dort oben ist so gewaltig, wie es in unserer Welt nur die Sonne ist.

Von der Erde aus können wir bloß die Außenseite des Himmelsbodens sehen. Der aber ist auf der Innenseite so glatt und blank, daß Gottvater sich auf einen langen Stock stützen muß, wenn er darüber schreitet. Während seiner jahrtausendelangen Wanderung sind in der Diele lauter Löcher entstanden. Das sind die Sterne.


Vom Schlaf der Riesen

In Urzeiten haben Riesen das Land bewohnt. Davon gibt es noch mancherlei Denkmale: Tore in den Felswänden, Geröllhalden, Fußspuren im Gestein, Axteinschläge in den Bergen. In den Tälern liegen Jutul-Steine herum, die größer sind als die Häuser. Die wurden nach den Kirchtürmen geschleudert, denn die Riesen mochten das Geläute der Glocken nicht.

Einst hatten sich drei Riesen still und sehr abseits schlafen gelegt. Siebenmal schon waren die Bäume hochgewachsen und wieder vermodert. Da brüllte eine Kuh von der Weide her. Einer der Riesen drehte sich im Schlaf um und brummte: »Eine Kuh hat gemuht.« Wieder wuchsen die Bäume siebenmal hoch, da drehte sich der



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zweite Riese um und sagte: »Ein Ochse ist's gewesen.« Und noch einmal überschliefen sie die Zeit, in der siebenmal die Bäume wuchsen und zusammensanken. Da sagte der dritte Riese: »Wenn ihr immer so schwatzt, muß ich mir anderswo einen Schlafplatz suchen.«


Die Bergtrolle

Der Bergtroll ist ein riesengroßer Kerl. Wenn er durch die Wälder geht, überragt er auch die allerhöchsten Bäume. Oftmals hat er mehrere Köpfe. Die stärksten und größten werden immer Könige der Bergtrolle, und diese haben mitunter sogar sieben Köpfe oder noch mehr. Das Seltsamste an ihnen aber ist: sie besitzen nur ein Auge, das sie herausnehmen, putzen und polieren können, so daß sie wieder besser zu sehen vermögen.

Im allgemeinen sind nun diese Bergtrolle recht unangenehme Burschen. Früher hatten sie es an sich, daß sie menschliche Wesen wie dich und mich einfingen, ins Innere des Gebirges verschleppten und sie zwangen, dort für sie zu schrubben und zu waschen, zu putzen und zu schuften. Aber das war vor sehr langer Zeit. Heutzutage, da sind selbst die stärksten Trolle vor den Menschen bange, und selten wagen sie sich aus ihrem Wohnsitz im Gebirge weit fort. In alten Zeiten, als Menschen noch von den Trollen verschleppt wurden, fanden die Leute in den Dörfern schließlich ein Mittel, ihnen zu entkommen. Sie stellten fest, wenn sie eine Kirchenglocke ins Gebirge hinauftrugen und sie dort so laut läuteten, daß ihr Echo meilenweit rings in den Tälern widerhallte, dann vermochten die Trolle ihr Opfer nicht mehr festzuhalten und mußten es nach Hause zurückbringen. Denn seht, in den Kirchenglocken schwang eine Fülle von Frömmigkeit und Güte, vor der die Trolle erschraken, weil sie ihnen wie die Stimme eines Engels klang, eine machtvolle Stimme, so daß sie angstbebend ihre Gefangenen zurückgaben.

Etwas anderes, was sie nicht ertragen konnten, war das Licht der Sonne, denn wenn ein Troll der Sonne ins Gesicht sah, löste er sich augenblicklich in nichts auf, so wie Dunkelheit vergeht, sobald ein helles Licht aufleuchtet. Oft aber beobachtete man etwas Seltsames



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an solchen, die von Trollen erst eingefangen und dann wieder freigelassen wurden. Sie waren von dem Erlebten ganz verstört, sie wurden die Lieder der Trolle nicht wieder los, sie begannen zu Freunden und Nachbarn von merkwürdigen Dingen zu reden und saßen manchmal mit einem so gespannt lauschenden Gesichtsausdruck da, als horchten sie auf das Hämmern der Trolle tief drunten im Innern der Berge.

Das alles ließ sie ihren Freunden, die nicht wissen konnten, was sie erlebt hatten, recht sonderbar vorkommen und man hielt sich von ihnen fern, weil sie so anders als früher geworden waren. Man schüttelte den Kopf und flüsterte: »Armes Ding, etwas verrückt geworden, glaube ich.«Allgemein herrschte die Überzeugung, daß einer, der im Reich der Trolle gewesen war, selten als der gleiche zurückkam und immer so aussah, als sei er ein bißchen durchgedreht. Mit ganz besonderer Freude bemächtigten sich die Trolle der Schönsten unter den Sterblichen, und eine liebliche Prinzessin galt ihnen als höchster aller Gewinne.

Da gab es einmal einen König und eine Königin, die in dem schönen Lande Norwegen glücklich miteinander lebten. Doch eine große Sorge bedrückte sie: sie hatten keine Kinder, die später einmal das Volk regieren und für das Land sorgen würden, wenn sie selbst alt und grau geworden wären. An einem sonnigen Morgen wanderte der König durch seine Gärten, schaute trüben Auges auf die Blumen und war voller Leid, weil er keine Kinder hatte, die in dem schönen, stillen Schloß lachen, herumlaufen und spielen konnten. Plötzlich stand ein kleiner alter Mann mit einem weißen Bart, der bis zum Boden reichte, mitten auf dem Weg vor ihm.

»Guten Tag, Majestät«, sagte er und verbeugte sich tief, »seid nicht so traurig. Ich weiß, was euch bedrückt, doch verbannt euren Kummer, denn bald werdet ihr drei Töchter, die schönsten Mädchen auf der ganzen Welt, haben. Aber ich warne euch, sie dürfen nicht einen Schritt aus dem Palast heraus tun, bevor nicht die jüngste Tochter fünfzehn Jahre alt ist, denn wenn ihr das zulaßt, wird ein plötzlicher Sturm sie hinwegführen und ihr werdet sie niemals wiedersehen. Lebt wohl, Majestät, seid glücklich -doch vergißt meine Warnung nicht!«



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Und damit verschwand er.

Der König war derart froh und erstaunt, er wagte es kaum zu glauben, daß er den kleinen alten Mann wirklich gesehen und gehört hatte. Er eilte ins Schloß, um der Königin die gute Nachricht zu bringen, die vor Glück darüber in Weinen ausbrach.

Das Versprechen des kleinen alten Mannes ging in Erfüllung. Drei wunderschöne Töchter wurden dem König und der Königin geschenkt, und den stillen Palast erfüllte Lachen und Leben. Aber sorgfältig wurde des alten Mannes Warnung beachtet, und wenn auch die Fenster des Palastes weit offen standen, um Sonnenschein und Schmetterlinge einzulassen, so wurde es den drei Prinzessinen doch nie erlaubt, auch nur einen einzigen Schritt vor die Tore des Schlosses zu tun, weil sie sonst in einem Sturmesbrausen entführt werden sollten. Ein großer kräftiger freundlicher Wächter stand an jedem der Ausgänge.

An einem schönen Sommernachmittag, kurz vor dem fünfzehnten Geburtstag der jüngsten Prinzessin, war jeder im Palast müde von der Hitze und fast alle waren nahe am Einschlafen. Nur die drei Prinzessinnen und die Torhüter waren hellwach. Die Prinzessinnen fühlten sich so munter, daß sie nur den einen Wunsch hatten, hinaus in den sonnigen Garten zu kommen. Und schon eilten sie lautlos auf Zehenspitzen die Treppe hinunter. Unten angelangt, lief die älteste Prinzessin mit Namen Maria zum nächsten Wächter und sagte bittend:

»Es ist ein so schöner Tag, da kann es im Augenblick bestimmt keinen Sturm geben. Meinst du nicht, wir könnten nur für ein paar Minuten draußen sein? Bitte, laß uns hinaus!«

»Nein«, sagte der baumlange Wächter sehr freundlich, aber sehr fest und stellte sich mitten in den Türeingang, so daß sie nicht hinaus konnten.

Also gingen sie weiter bis zum nächsten Wächter und baten diesen. »Bitte«, sagte die zweitälteste Prinzessin mit Namen Elisabeth, »möchtest du uns nicht bis zum Goldfischteich laufen lassen - das ist doch nur ein so kurzer Weg, und wir würden bestimmt nicht lange bleiben? Der Garten sieht heute nachmittag so besonders schön aus.« — »Nein, das darf ich leider nicht«, antwortete der



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Wächter und lächelte sie an, denn er konnte sich gut vorstellen, wie schwer es sein mußte, an einem so herrlichen Nachmittag drinnen zu bleiben; aber er wagte es nicht, die Prinzessinnen herauszulassen.

Recht mutlos wandten sich diese wieder und schlichen betrübt durch den Gang. Gerade als sie den nächsten Wächter erreichten, wurde die Tür geöffnet, die in den Garten führte, und herein kam der alte Gärtner mit einem großen Blumenstrauß für das Zimmer der Prinzessinnen. Vor der offenen Tür lag ausgebreitet der Garten in sommerlicher Verzauberung. Die warme Luft, erfüllt vom Duft Hunderter Blumen, strömte in den Palast, indessen alle Wesen im Garten, die Vögel, die Bäume, die Blumen, die schläfrigen Bienen, die tanzenden Schmetterlinge, die kleinen Bäche, die Hasen, die Eichhörnchen, der Hirsch und alle die anderen Tiere, den drei jungen Prinzessinnen zuzurufen schienen, sie sollten doch herauseilen und draußen spielen.

»O seht nur, seht nur, seht nur!« rief Gerda, die jüngste Prinzessin und zeigte aufgeregt auf alles da draußen. »Bitte, bitte, bitte, laß uns hinaus - nur für zwei Minuten laß uns hinaus.«

»Es tut mir so leid, aber ich darf es nicht«, sagte der Wächter und schloß vorsichtig die Tür. Da brach die kleine Prinzessin in Tränen aus. Schließlich konnte der weichherzige Bewacher es nicht länger ansehen, wie bitterlich sie schluchzte, und er sagte:

»Also gut, wenn ihr alle drei versprecht, nicht eine Sekunde außer Sicht zu bleiben, will ich euch für ein paar Minuten hinauslassen.« Eifrig versprachen die drei, sich auch nicht für einen Augenblick aus dem Blickfeld des Wächters und aus der Nähe des Schlosses zu begeben - und dann spürten sie zum ersten Mal in ihrem Leben das frische weiche Gras unter ihren Füßen und warfen die Köpfe zurück, um, statt gegen die Decke des Saales, in den weiten blauen Himmel über sich zu schauen. Wie unendlich er sich ausbreitete! O wie glücklich sie sich fühlten! Sie tanzten, lachten und sprangen, pflückten sich die Arme voll Blumen, jauchzten und sangen vor Freude. Hin und wieder wandten sie sich um und winkten dem Wächter zu, um zu zeigen, daß sie ihn nicht aus den Augen verlören, und lächelnd winkte er dann zurück. Als sie ihre Arme so voll von Blumen hatten, daß sie keine mehr tragen konnten, sagte Prinzessin Maria:



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»Kommt jetzt, wir müssen zurück!«

Aber in diesem Augenblick entdeckte Prinzessin Gerda die schönste rote Rose, die sie je in ihrem Leben gesehen hatte.

»Seht doch!«rief sie und zeigte auf einen schlanken Rosenstamm am Ende der Rasenfläche.

»Oh!« riefen Elisabeth und Maria gleichzeitig, »wie schön die ist! Die müssen wir noch haben!« und sie liefen um die Wette, wer von ihnen sie zuerst erreichen würde, und verloren dabei so manche der bisher gepflückten Blüten.

Plötzlich aber verdunkelte sich der Himmel, und bevor die Prinzessinnen Zeit hatten, umzukehren oder den Wächter zu rufen, war es schwarz wie die Nacht. Ein schreckliches Donnergetöse brach an und die Erde erbebte. Geradeso plötzlich, wie er gekommen war, legte sich aber der Sturm und der Garten ruhte wieder sonnenüberflutet. Doch die drei Prinzessinnen waren wie vom Erdboden verschwunden. Jeder Winkel und jede Ecke wurde durchsucht, jeder nur mögliche Teil des Gartens und des Schlosses. Tagelang wurde nichts als gesucht und gesucht, und durch Palast und Gärten hallte es: »Maria, Elisabeth, Gerda, wo seid ihr?«

Aber keine Antwort kam von den drei Mädchen. Der alte König wurde vor Kummer krank und die arme Königin so schwach und blaß, daß sie nicht mehr ihr Bett verlassen konnte.

Dann ließ der König eine Bekanntmachung aushändigen: wer die drei Prinzessinnen fände und sie heil nach Hause brächte, dürfe diejenige, die ihm am besten gefiele, heiraten und außerdem bekäme er noch das halbe Königreich.

Die drei Prinzessinnen waren im ganzen Land durch ihre Schönheit, Sanftmut und Freundlichkeit bekannt. Daher machte sich alles auf, junge und alte Männer, reiche und arme, große und kleine, dicke und dünne, kräftige und schwächliche, um sie zu suchen und zu finden. Aber obgleich sie monatelang suchten, konnte keiner entdecken, was mit den lieblichen Königstöchtern geschehen war . .

Nicht weit vom Schloß wohnte ein Jüngling namens Olaf. Er war ein verträumter Bursche, der den größten Teil der Sommertage damit verbrachte, ausgestreckt im frischen Gras zu liegen und in den blauen Himmel zu starren, während er im Winter die meisten



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Nächte damit zubrachte, lesend an der häuslichen Feuerstelle zu hocken. Seine Mutter hielt ihn für recht faul. Olaf hatte viele Geschichten von den goldhaarigen und blauäugigen Prinzessinnen gehört und viel darüber nachgedacht. Eines Tages sagte er zu seiner Mutter:

»Liebe Mutter, packe mir doch bitte etwas zu essen ein, denn ich will fortgehen und nachzuforschen versuchen, was aus den drei Prinzessinnen geworden ist.«

»Du, Olaf?«erwiderte seine Mutter, ganz erstaunt und zugleich sehr stolz und glücklich über ihren bisher so trägen Sohn. »Gut, ich wünsche dir viel Glück, mein Kind, und möge Gott dich segnen!«

Dann machte sie ihm ein Päckchen mit den besten Dingen zurecht, die sie im Hause hatte, und küßte ihn herzlich zum Abschied.

Mit seinen Eßwaren, die er in ein Tuch geknüpft am Ende eines Wanderstocks über der Schulter trug, machte sich Jung Olaf auf den Weg, seinen Vorsatz auszuführen. Kräftig ausschreitend, durchmaß er das heimatliche Tal und erreichte den nächsten Gebirgszug. Er kletterte hinauf und hinunter, kreuz und quer, hierherum und daherum, und dann abwärts, immer weiter abwärts bis ins nächste Tal. So ging das tage- und wochenlang. Manchmal wanderte er durch hohe schweigende Wälder, manchmal kam er an gewaltigen tosenden Wasserfällen vorbei, manchmal führte sein Weg am Strand eines lieblichen Fjords entlang, der halb im Schatten aufragender Berge lag. Hier und da mußte er einmal Pause machen, um sich an einem Gebirgsbach zu waschen und zu erfrischen; oder er mußte in einem einsamen Gehöft um ein Glas Milch oder etwas zu essen bitten, denn sein Bündel war längst schon leer. Aber wohin er auch kam, überall waren die Leute freundlich und hilfsbereit, denn jeder hatte von dem Aufruf des Königs gehört und alle wünschten Olaf Erfolg bei seinem Unternehmen.

An einem Abend, es war schon spät, kam Olaf zu einem großen alten Hof. Da es schon dunkel wurde, beschloß er, um ein Nachtlager zu bitten. Er trat ein und klopfte an die Haustür, aber niemand antwortete. Da keinerlei Geräusch zu hören war, klopfte er wieder und wieder. Schließlich drückte er die Klinke herunter und betrat den Raum. Niemand war drinnen.



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'Das ist drollig, dachte Olaf, >ich möchte bloß wissen, wo hier jemand ist?< Da hörte er sich nähernde Schritte, und ein kleiner alter Mann mit einem langen weißen Bart kam humpelnd heran. Er war so schwach und alt, daß er sich beim Vorwärtsbewegen auf zwei Stöcke stützen mußte.

>Guten Abend, Olaf«, sagte der Mann, als er eintrat.

»Guten Abend«, sagte Olaf, ganz erstaunt, daß der alte Mann seinen Namen wußte.

»Darf ich mich hier wohl etwas hinsetzen und meine müden Beine ausruhen?«fragte dieser.

»Aber gern«, erwiderte Olaf, »doch, weißt du, ich bin hier selber fremd.«

»Ja, ich weiß«, lächelte der alte Mann und steckte seine Hand in die Tasche, um eine kleine Pfeife herauszuholen. Nachdem er sie gestopft hatte, bewegte er seinen Finger in der Luft, von rechts nach links streichend, und zu Olafs Erstaunen tanzte sofort eine helle Flamme an der Fingerspitze, mit der die Pfeife angezündet werden konnte.

Nach einer kleinen Pause sagte das alte Männlein: »Junger Mann, bitte gib mir einen Silberschilling, damit ich mir etwas zu essen kaufen kann, denn ich bin sehr alt, sehr müde und sehr hungrig.«

»Ja.« erwiderte Olaf, der nun so ein Gefühl hatte, als wisse der kleine alte Mann mehr als gewöhnliche Leute, »Geld habe ich noch nie gehabt, aber Essen kann ich dir geben, wenn du mir helfen willst, etwas Holz zu hacken, so daß wir ein Feuer anmachen können, um darauf zu kochen.«

Der alte Mann sagte, er wisse nicht, wie man Holz hacke.

»Nun, du wirst es schon lernen«, sagte Olaf. »Komm mit, und ich will dir zeigen, wie das gemacht wird« — und er führte den alten Mann hinaus zum Holzschuppen. Dort suchte er einen langen dicken Klotz aus, nahm dann die Axt, die an der Wand lehnte, schwang sie im Kreis über seinen Kopf und schlug sie mit scharfem Schwung in das Holz.

»Nun«, sagte er zu dem alten Mann, »komm her und sieh, ob ich mit meiner Axt nicht fein hineingeschlagen habe und der Block richtig aufgespalten ist, denn das sollte er.«



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Der alte Mann humpelte durch den Schuppen hinzu, und da er ziemlich kurzsichtig war, beugte er sich tief über den Klotz, um ihn richtig betrachten zu können. Dabei hing sein langer weißer Bart in den Spalt hinein, den Olaf mit der Axt gehauen hatte. Schnell wie der Blitz, riß Olaf seine Axt heraus, der Spalt klappte zu und klemmte den Bart des alten Mannes ein.

»O,o,o,«, schrie dieser und stampfte auf vor Wut, »laß mich heraus, laß mich heraus!«

»Gewiß, gern«, antwortete Olaf, »wenn du mir sagst, was aus den drei Töchtern unseres Königs geworden ist, denn ich weiß genau, daß du es mir sagen kannst.«

Zuerst tobte und wütete der alte Mann und leugnete, daß er irgend etwas wisse. Aber schließlich zeigte es sich, wie richtig Olaf vermutet hatte. Und als das Männlein mit der Zeit zu müde wurde, um dauernd tief über den Haublock geneigt dazustehen, und weil es ihm trotz allem Ziehen und Zerren nicht gelang, seinen Bart freizubekommen, gab er nach und sagte: »Nun gut, ich will dir sagen, wo sie sind, wenn du mir fest versprichst, mich freizulassen. Wenn du drei Tage lang genau gen Osten gehst, kommst du auf den Gipfel eines hohen Berges. Dort wirst du einen flachen runden Stein sehen, den du von da, wo er steht, fortschieben mußt. Er ist sehr groß und sehr schwer. Wenn du ihn bewegt hast, wird vor dir eine tiefe, tiefe dunkle Höhle liegen, und durch diese mußt du hinunter. Aber du brauchst dich nicht zu fürchten. Der Weg abwärts führt durch Feuer und Wasser. Es ist ein schwerer und gefährlicher Weg; aber wenn du dich nicht fürchtest, wird dir auch nichts Böses geschehen.« Olaf wartete nicht einen Augenblick. Er befreite den alten Mann und ging ostwärts, ununterbrochen, so schnell ihn seine Beine nur tragen konnten.

Und richtig, nachdem er drei Tage und drei Nächte gewandert war, befand er sich auf dem Gipfel eines großen hohen Berges, genauso, wie es ihm der alte Mann gesagt hatte. Bald schon entdeckte er den gewaltigen runden Stein: er war wirklich sehr groß und sehr rund, aber Olaf ließ sich dadurch nicht abschrecken und machte sich gleich ans Werk. Er zerrte und zog, er zog und zerrte mit aller Kraft, bis er den Stein zuletzt mit einem plötzlichen Ruck bewegen und vom



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Eingang der Höhle, einer tiefen dunklen Höhle die abwärts führte, hinwegrollen konnte. Geduckt und auf Händen und Füßen kriechend, drang Olaf ein. Abwärts, abwärts, abwärts erstreckte sie sich. Es war so finster, daß alles ringsum schwarz zu sein schien. Da fiel Olaf das Wort des alten Mannes ein: »Fürchte dich nicht - und nichts Böses wird dir geschehen«, und er dachte an die drei Prinzessinnen mit Haaren wie Sonnenlicht und Augen wie blauer Sommerhimmel, und schon war er wieder guten Muts. Weiter ging es abwärts, abwärts, abwärts. Zuerst war nichts wie tiefste Finsternis, dann kam ein greller Lichtschein, und schon schwamm er in brennendem Feuer und lodernden Flammen, und dann, ganz plötzlich, stürzte er in schäumendes eiskaltes Wasser.

Das erste, was er wieder von sich wußte, war, daß er auf dem Boden einer riesengroßen dämmrigen Halle saß. Und, seltsam genug, obwohl er durch Feuer und Wasser gekommen war, sah er keine Spur davon an seiner Kleidung. Nachdem sich seine Augen an das trübe Dämmerlicht gewöhnt hatten, erkannte Olaf in einer Ecke der Halle etwas blinken und glänzen. Er stand langsam auf, ging darauf zu und war erstaunt, als er dort einen riesengroßen Pfahl aus Gold und Silber entdeckte, dreimal so groß wie er selber. Während er dieses Wunder noch bestaunte, fand er rechts daneben eine Tür. Er faßte sie vorsichtig an, sie ging auf, und man konnte einen großen düsteren Raum erkennen. Aber da begann sein Herz vor Erregung bis in den Hals hinauf zu schlagen, denn in der Mitte des Raumes saß Gerda, die jüngste der drei Prinzessinnen, und weinte still vor sich hin. Von ihren wunderschönen goldenen Haaren kam das einzige Leuchten in die Dunkelheit. Beim Aufgehen der Tür drehte sie sich ängstlich um. Wie groß war ihr Erstaunen, als sie Olaf erblickte!

»Oh!« brachte sie mühsam mit einer Stimme voll Freude und voll Furcht hervor. »Wer bist du? Wie bist du nur hierhergekommen? Haben auch dich die Trolle hergeschleppt?«

»Nein«, sagte Olaf, »ich komme, weil ich dich und deine Schwestern suchte. Ich heiße Olaf.«

Gerda sprang auf und lief zu ihm. »Du kamst uns suchen?« wiederholte sie völlig verwundert. »Also ist wirklich jemand so mutig, hier herunterzukommen? O wie herrlich ist das! Ich glaubte schon, wir



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würden nie, nie wieder aus diesem schrecklichen Ort befreit werden.« «

Plötzlich ergriff sie Olafs Arm und rief: »Aber nein, du darfst ja nicht hier bleiben<, du mußt sofort wieder gehen, denn wenn der riesige Troll dich bei seiner Rückkehr findet, frißt er dich auf. Fliehe, fliehe, schnell, ich bitte dich!«

Aber Olaf ergriff sanft ihre Hand und sagte:

»Prinzessin, ich bin gekommen, um dich und deine Schwestern zu befreien und euch wieder nach Hause zu bringen. Nachdem ich euch so lange gesucht und nun endlich gefunden habe, kann ich nicht weglaufen. Ich will den verruchten Troll töten, der dich so lange gefangenhielt.« «

Prinzessin Gerda wurde von Dank und Freude erfüllt. »Wie tapfer du bist«, sagte sie. »Was ich nur tun kann, um dir zu helfen, das will ich tun. Wir müssen nur sehr schnell sein, weil der Troll bald zurückkommen wird. Nimm das große Schwert, das du dort an der Wand hängen siehst, und, wenn du es vermagst, schwing es rund um deinen Kopf!«

Eifrig griff Olaf mit beiden Händen nach dem Schwert; doch zu seinem Schrecken konnte er es nicht einmal einen Fingerbreit von der Stelle bewegen noch gar über seinen Kopf herumschwingen. Er versuchte es wieder und wieder und strengte sich so sehr an wie nur möglich, aber das Schwert blieb unbeweglich dort, wo es war, ohne sich auch nur eine Kleinigkeit nach rechts oder nach links zu verschieben. Gerade als Olaf daran verzweifeln wollte, das Schwert von der Wand herunterreißen zu können, rief Gerda eifrig:

»Oh, nun fällt es mir ein, trink einen Schluck aus dem Horn, das neben dem Schwert hängt! Das wird dir Kraft geben, es zu ergreifen.« Olaf nahm einen großen Schluck, faßte dann das Schwert noch einmal und konnte es nun mit einer Hand halten. Glücklich schwang er es über seinen Kopf und rief:

»Sieh nur, Prinzessin, ich kann es, ich kann es!«

In diesem Augenblick war von draußen ein furchtbares Schnauben zu hören, so als ob drei Gewitter zu einem einzigen würden.

»Schnell, schnell!«, rief Gerda, »versteck dich hinter der Tür, Olaf!« Im nächsten Augenblick erzitterte die Tür und herein stampfte ein



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riesiger Troll mit drei Köpfen, jeder einzelne noch gräßlicher als der andere. Die Köpfe stießen an die Decke, und das ganze Haus schwankte unter seinem Schritt.

»Oh!«, brüllte er, »ich rieche einen Fremden hier.«

»Ja«, rief Olaf und sprang hinter der Tür hervor, »und nun sollst du ihn auch zu spüren bekommen.« Und damit sprang er auf den Tisch, und als der gewaltige Troll sich vorwärts bewegte, um ihn zu greifen, schwang Olaf das Schwert über seinem Haupt und schlug mit einem mächtigen Schlag dem Troll alle drei grausigen Köpfe ab.

Prinzessin Gerda war so glücklich, daß sie ihre Arme um Olafs Hals schlang und ihn küßte, und sie tanzten lachend vor Freude im Raum herum. Dann schauten sie einander an und sagten:

»Und nun zu den anderen.«

»Sage mir, wo kann ich deine beiden Schwestern finden, sind sie weit von hier?«

»Ach ja, das sind sie. Wenn du drei Tage und drei Nächte genau ostwärts gehst, kommst du zu dem Haus, in dem meine Schwester Elisabeth gefangengehalten wird -aber bitte, Olaf, kann ich nicht mit dir kommen?«

»Nein, Prinzessin«, sagte er und hoffte, sie würde verstehen, daß es sicherer für sie wäre, hier zu warten, bis er zurückkehrte, um sie abzuholen.

»Du mußt hierbleiben und uns erwarten. Inzwischen sammle alles Eßbare, dessen du habhaft werden kannst, zusammen und vergiß auch nicht Gold und Silber, denn wir haben eine lange Reise vor uns, bevor wir wieder zu Hause sind. Ich will mit deinen beiden Schwestern so schnell wie nur irgend möglich zu dir zurückkommen.«

»Nun gut«, sagte Gerda traurig, denn es war ihr gar nicht recht, Olaf fortzulassen. Doch dann fiel ihr ein, daß sie ja ihre lieben Schwestern wiedersehen sollte, und darüber wurde sie nun ganz aufgeregt und sehr froh. »Dann leb wohl, Olaf, leb wohl und guten Erfolg. Ich kann dir ja nie genug danken.« Und sie stand am Fenster und sah ihm nach und winkte, solange sie ihn noch sehen konnte.

Drei Tage und drei Nächte hindurch wanderte Olaf wieder ostwärts. Aber irgendwie verging ihm die Zeit schnell, denn er war glücklich, daß er die Prinzessin gefunden und daß er den Troll getötet hatte.



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Und er war ganz erregt, wenn er an die nächste Begegnung dachte. Auch war er begierig, recht bald zu der jungen Prinzessin zurückkehren zu können. Darum eilte er schnell dahin, voller Mut, Tatkraft und voll guter Gedanken.

Am Ende seiner Wanderschaft kam Olaf zu einer anderen hohen Tür, ähnlich der, die in den Raum führte, in dem er Prinzessin Gerda gefunden hatte, doch noch viel größer und gewaltiger. Er stieß kräftig dagegen, sie öffnete sich, und da lag ein sehr großer, sehr, sehr düsterer Raum. Diesmal war Olaf nicht erstaunt darüber, in der Mitte eine goldhaarige Prinzessin sitzen zu sehen, die still vor sich hin weinte. Es war Prinzessin Elisabeth. Als die Tür aufging, wandte sie sich mit einem Ruck um, und als sie Olaf sah, rief sie aus:

»Wer bist du? Was willst du hier?«

»Ich bin Olaf, und ich bin hergekommen, um dich zu befreien. Deine jüngste Schwester habe ich schon befreit.«

»Oh!« rief Elisabeth, sprang auf und lief ihm entgegen, »wie herrlich! Hast du den Troll totgeschlagen, der meine Schwester gefangenhielt?«

»Ja«, antwortete Olaf, »und nun will ich auch dich befreien.«

»Oh, du darfst aber nicht bleiben«, rief Elisabeth, »denn wenn dich der Troll bei der Heimkehr findet, frißt er dich auf. Schnell, schnell, geh, ich bitte dich!«

»Nein, ich kann und will nicht fliehen. Ich bin ja hier, weil ich den bösen Troll töten will, der dich schon so lange gefangenhält.«

»Wie tapfer du bist«, sagte die Prinzessin. »Ich will alles tun, was ich nur irgend vermag, um dir dabei zu helfen. Doch wir müssen uns beeilen, denn der Troll wird bald zurückkommen. Nimm das große Schwert, das du an der Wand hängen siehst, und versuche dann, es über deinem Kopf im Kreise zu schwingen.«

Eifrig griff Olaf mit beiden Händen nach dem Schwert. Er versuchte es wieder und wieder, er strengte alle Kräfte an, aber das Schwert blieb unbeweglich, wo es war, ohne sich auch nur eine Spur nach rechts oder links zu rühren.

Gerade als Olaf daran verzweifeln wollte, es je herunterholen zu können, rief Elisabeth plötzlich aus:

»Ach ja, jetzt fällt es mir ein, nimm einen Schluck aus dem Horn,



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das neben dem Schwert hängt. Das wird dir die Kraft geben, es aus der Scheide zu ziehen.«

Olaf nahm einen großen Schluck, und als er nun das Schwert mit beiden Händen faßte, konnte er es von der Wand herunterholen. Doch es war noch viel schwerer, als daß er es über seinem Kopf hätte herumschwingen können. Deswegen nahm er nochmals einen tiefen Schluck aus dem Horn, und nun konnte er gleich das Schwert so leicht bewegen, wie du einen Federhalter bewegen kannst. Aber schon erscholl von draußen ein so fürchterliches Toben, als ob die gewaltigsten Berge der Welt ineinanderkrachten.

»Schnell, schnell«, rief Elisabeth, »lauf hinter die Tür!«

Olaf hatte gerade noch Zeit, hinter die Tür zu schlüpfen, als sie auch schon aufsprang und ein füchterlicher Troll hereinstampfte, noch größer, als der erste gewesen war, und mit sechs statt nur mit drei Köpfen. Als er eintrat, mußte er diese Köpfe beugen, wenn er mit ihnen nicht an die Decke anstoßen wollte.

»Oho!«brüllte er, und sein Atem sprengte fast die Fenster, »ich rieche einen Fremden.«

»Ja«, schrie Olaf und sprang hinter der Tür vor, »aber nun sollst du ihn auch fühlen.« Und schon war er mit einem Satz auf dem Stuhl, von dort auf dem Kaminsims, schwang das gewaltige Schwert über seinem Kopf im Kreise herum, und mit diesem einen wuchtigen Schlag hieb er dem Troll alle sechs gräulichen Köpfe ab.

Nun war auch die zweite Prinzessin frei. Elisabeth war so glücklich, daß sie Olafs Hände ergriff und beide zusammen um den Tisch tanzten. Dann aber fragte Olaf: »Nun muß ich noch deine andere Schwester finden. Sag mir, Prinzessin, ist sie weit von hier?«

»Ach ja, das ist sie. Wenn du drei Tage und drei Nächte genau ostwärts gehst, kommst du zu dem Haus, in dem meine Schwester Maria gefangengehalten wird. Oh, schrecklich daran zu denken -doch du bist ja so tapfer!«

Olaf sagte der Prinzessin, daß er gar keine Furcht habe und so schnell wie möglich zu ihr zurückkommen werde. Voller Rührung dankte Elisabeth ihm immer wieder und wieder. Schließlich aber nahm er Abschied und ging fort, um auch die letzte Prinzessin zu befreien.



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Drei Tage und drei Nächte wanderte er ostwärts. Er beeilte sich, so sehr er konnte, denn die Erfüllung seiner Aufgabe rückte näher.

Endlich war Olaf am Ziel und kam wieder zu einer Tür, ähnlich denen, die zu den Räumen der beiden jüngeren Prinzessinnen geführt hatten. Aber diese hier drohte riesengroß. Olaf stemmte sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen, und es öffnete sich die Tür, die in einen unheimlich großen Raum führte, der unsagbar hoch und ganz unsagbar düster war. Es war so finster, daß Olaf erst nach einiger Zeit die älteste Prinzessin erkennen konnte, die still weinend in der Mitte des Raumes saß. Prinzessin Maria war ganz außer sich, als sie Olaf sah, und rief:

»Wer bist du? Und warum bist du an diesen schrecklichen Ort gekommen?«

»Ich heiße Olaf, und ich bin gekommen, um dich zu befreien. Deine zwei Schwestern habe ich schon befreit, und sie warten auf dich.«

»Oh«, rief Maria aus, »ist es denn wirklich wahr, daß jemand sich bis hierher getraut hat? Was ist mit den schrecklichen Trollen geschehen, die meine Schwestern gefangenhielten? Und wie geht es meinen armen Schwestern?«

»Die Trolle sind tot, ich habe sie getötet«, erwiderte Olaf. »Deinen Schwestern geht es gut, und sie warten sehnsüchtig auf dich.«

»Oh, was bist du für ein Held! Ich bewundere dich, aber höre mir nur ja gut zu! Ich darf dich hier nicht einen Augenblick länger dulden«, rief Maria dann völlig verstört, »denn wenn der grausige Troll dich bei seiner Heimkehr findet, frißt er dich mit Haut und Knochen auf. Ich bitte dich: fliehe, fliehe, schnell!«

»Nein«, sagte Olaf ruhig. »Ich verlasse dich nicht. Bin ich doch gekommen, um den Troll zu töten, der dich gefangenhält.«

»Wie unglaublich tapfer du bist«, sagte Maria, »ich will alles tun, was ich kann, nur um dir zu helfen.« Dann riet Prinzessin Maria dem Olaf, ebenso wie es ihre zwei Schwestern getan hatten, das an der Wand hängende Schwert zu nehmen. Maria war noch viel aufgeregter, als es ihre Schwestern gewesen waren. Vor lauter Verstörtheit und Erregung rang sie dauernd die Hände. Dieses Schwert aber war riesengroß. Es war zweimal so lang wie jenes, das Olaf zuletzt gehalten hatte, und das war schon wuchtig genug gewesen. Trotzdem



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ergriff er es voller Zuversicht, und jeder Muskel seines Körpers schwoll bis zum Platzen, als er es von der Wand zu reißen versuchte.

Aber das Schwert blieb unverrückt an seinem Platz. Olaf versuchte es wieder und wieder, und als er am Ende völlig verzweifelte, es je bewegen zu können, schrie mit einmal Maria auf:

»Oh, nun weiß ich es wieder! Trinke aus dem Horn, das neben dem Schwerte hängt. Dadurch wirst du die Kraft bekommen, es zu bewegen.«

Olaf tat einen ganz großen Zug, doch als er das Schwert erneut faßte, gelang es nur, es anzuheben, es war viel zu schwer, um es herunterzuholen. Deshalb nahm er noch einen großen Schluck und versuchte es erneut. Diesmal vermochte er es an sich zu nehmen, aber er mußte erst noch einen dritten Trunk tun, ehe er es über seinem Kopf konnte kreisen lassen. Gerade als Olaf das Schwert triumphierend hochschwang, kam ein furchtbares Tosen von draußen her. Olaf glaubte, die ganze Welt zerbräche. Prinzessin Maria sprang zu ihm, schob ihn hinter die Tür und schrie ihm dann ins Ohr, denn nur so konnte sie sich in dem Aufruhr verständlich machen:

»Bleib hier stehen, Olaf, und bewege dich nicht! Ich will dem Troll einen Schlaftrunk brauen, und dann kannst du ihm die Köpfe abschneiden.«

Sie lief schnell in die Mitte des Raumes zurück, und schon stampfte ein fürchterlicher Riese herein. Olaf hatte noch nie etwas so Grausiges gesehen. Es war ein Troll mit neun Köpfen, neun langen entsetzlichen Nasen, neun furchtbaren Mäulern und einem gespenstigen Auge. Als er sich hereinschob, zitterte und wankte der Raum so heftig, daß Olaf glaubte, die Decke wollte zusammenstürzen.

»Oho!«brüllte das Monstrum schnaufend, und Olaf klammerte sich an den Teppich, um nicht fortgefegt zu werden. »Ich rieche einen Fremden.«

»Ja«, sagte Maria so ruhig wie möglich, »ein kleiner Junge kam an diesem Nachmittag hierher, und ich koche ihn dir gerade als Abendsuppe. Aber du bist gewiß sehr müde, und deshalb ruhe dich erst etwas aus, während ich alles fertig mache.«

Der alte Troll grunzte Einverständnis, leckte sich im Gedanken an eine gute Suppe seine schrecklichen Lippen und legte sich auf sein



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Bett. Schnell war er fest eingeschlafen und schnarchte gewaltig durch alle neun Nasen. Maria winkte Olaf, und rasch sprang er aus seinem Versteck und ans Kopfende des Bettes, in dem der Troll lag. Dann hob er mit kühnem Schwung das unförmige Schwert und ließ es sausend auf die neun Köpfe des schnarchenden Giganten niederfallen. Acht Köpfe wurden durch diesen einen fürchterlichen Hieb abgeschlagen, aber ein unheimlicher Kopf lebte noch. Unter röhrendem Gebrüll wachte dieser letzte Kopf auf, und der Troll griff nach Olaf, gierig, ihn in seine riesige blutrote Kehle zu stecken. Aber mit Blitzesschnelle schwang Olaf das Schwert rundherum und tötete mit einem letzten Schlag auch noch den neunten Kopf.

Nun waren alle drei Prinzessinnen frei, Maria, Elisabeth und Gerda. Ohne jetzt auch nur noch einen Augenblick zu warten, ergriff Olaf die Hand der ältesten Prinzessin, und schnell wie der Wind rannten sie davon in Richtung des Hauses, in dem Elisabeth auf sie wartete. Als Elisabeth sie kommen sah, wollte sie ihren Augen kaum trauen, und vor Freude weinend und lachend fielen sich die Prinzessinnen in die Arme.

Es kann mit Worten gar nicht gesagt werden, wie dankbar sie Olaf waren. Dann machten sich alle drei auf den Weg zu Gerda, und Olaf fühlte sich seltsam glücklich. Als Gerda sie kommen sah, lief sie ihnen entgegen, und nachdem sie ihre beiden Schwestern umarmt hatte, umfaßte sie Olaf und schmiegte sich fest an ihn an. Dann zeigte Gerda ihnen alles Gold und Silber, das sie gesammelt hatte, und sie stopften sich die Taschen voll, ehe sie sich auf den Weg nach Hause begaben. Olaf erzählte ihnen, daß sie bei ihrer Wanderung durch Feuer und Wasser hindurch müßten, und widerholte ihnen die Worte des kleinen alten Mannes mit dem langen weißen Bart: »Habe keine Furcht, dann wird dir nichts Böses geschehen!«

Die drei Prinzessinnen waren bei dem Gedanken, ihre geliebten Eltern bald wiederzusehen, so glücklich, daß sie fest glaubten, jeder Gefahr mutig ins Angesicht sehen zu können. Olaf führte sie in die Halle, in der er sich zuerst befunden hatte, und dort entdeckten sie im Hintergrund eine schmale gewundene Stiege. Sich an den Händen haltend und von Olaf geführt, kletterten sie aufwärts und immer weiter aufwärts. Um sie war pechschwarze Nacht, sie aber lachten



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furchtlos. Dann stürzten sie plötzlich in eiskaltes Wasser. Im nächsten Augenblick trieben sie durch loderndes Feuer und züngelnde Flammen; danach folgte wieder völlige Dunkelheit, und das Nächste, wovon sie wußten, war, daß sie sich Hand in Hand auf dem Gipfel eines hohen Berges befanden. Olaf schrie vor Feude auf, denn er erkannte den Platz, und gleich fand er auch den großen runden Stein, den er auf seine alte Stelle zurückrollte und so die schreckliche finstere Höhle verschloß.

Nun hatte all ihr Leid ein Ende, und singend und springend ging es heimwärts, dem väterlichen Schlosse zu.

Ein Wächter auf dem Wachtturm der Königsburg war der erste, der vier winzige Gestalten am fernen Horizont auftauchen sah. Als sie näher und näher kamen, erkannte er die drei Prinzessinnen, und als diese das Schloß erreichten, da läuteten die Glocken, da wehten die Fahnen, schmetterten die Trompeten, und jedermann im Palast war außer sich vor Freude. Der alte König und die Königin, die schon alle Hoffnung aufgegeben hatten, jemals ihre geliebten Töchter wiederzusehen, weinten vor Glück und zitterten vor Erregung.

Volle drei Wochen lang wurde im ganzen Lande getafelt und getanzt und voller Freude gejubelt. Olafs Name war in aller Munde, und bis heute kannst du in ganz Norwegen Geschichten von seiner Tapferkeit erzählen hören. Seine alte Mutter war so stolz auf ihn, daß sie vor lauter Glück kaum zu sprechen vermochte. Aber ganz sicher war niemand so stolz auf ihn wie die Prinzessin Gerda. Und nichts, nicht das halbe Königreich, nicht alle ihm zu Ehren veranstalteten Banketts und Feiern, nicht die lauten Lobpreisungen haben Olaf so glücklich gemacht wie seine Heirat mit der jüngsten Prinzessin. Von nun ab lebten Olaf und Gerda in ungetrübter Herrlichkeit.


Die Waldtrolle

Die Waldtrolle sind völlig anders als die bösartigen Bergtrolle, wie etwa jene, von denen dereinst die drei Prinzessinnen geraubt wurden. Wenn du von den mächtigen, rauhen und doch so zauberischen Höhen norwegischer Gebirge herab kommst, erreichst du die weiten



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Strecken des Waldgebietes, voll hoher, grüner, dunkler Kiefernwälder. Hier leben Fuchs und Hase und alle die anderen Tiere. Hier bauen die Vögel ihre Nester. Hier kann dir vielleicht eine Huldin begegnen, und hier kannst du auch einen der freundlichen alten Waldtrolle treffen. Er ist ein gewaltiger Bursche, wenn auch nicht so groß wie der Bergtroll. Er hat nur einen Kopf, mitunter aber hat er zwei Augen, genau wie du und ich, doch manchmal auch nur eines. Es gibt natürlich böse, grausame, wilde Waldtrolle - genauso wie es böse, grausame und wilde Menschen gibt -aber die meisten von ihnen sind wirklich freundlich und gutmütig, meist gefällig und friedliebend, bereit, den Menschen zu helfen, wo es nur angeht.

Es war einmal ein kleiner Junge, der hieß Per. Er war sehr arm. Seine Eltern lebten nicht mehr, und in alten Zeiten mußte in Norwegen ein Waisenkind von Hof zu Hof gehen und dort für seinen Lebensunterhalt arbeiten. Manche Menschen waren wohl freundlich zu ihm, andere waren das gar nicht, sondern ließen ihn für Kost und Unterkunft hart arbeiten. Wohin Per auch kam, eines spürte er überall: er gehörte nirgends richtig hin und wurde eben von allen nur als fremdes Waisenkind betrachtet. Eines Sommers, Per war so ungefähr neun Jahre alt, mußte er auf einem Hofe arbeiten, dessen Bäuerin ihn ganz abscheulich behandelte. Vom frühen Morgen bis spät in die Nacht hinein hieß es arbeiten, und niemals hatte die Frau ein freundliches Wort für ihn übrig, sondern dauernd gab es nur Scheltworte: »Das Feuer ist fast aus. Lauf schnell und haue mehr Holz, du Nichtsnutz! Es gibt zu wenig Milch, du achtest zu schlecht auf die Kühe, du fauler Bengel! Die Eier sind zu klein, du fütterst die Hühner nicht richtig, du nachlässiger Wicht! Hol Wasser vom Brunnen; du hast etwas auf dem Flur verschüttet, du mußt ihn nochmals schrubben, du Unnütz!«

Und so ging es vom Morgen bis zum Abend, bis es Per eines Tages nicht länger aushielt und er im Morgengrauen aus dem Haus flüchtete und in die tiefen dunkelgrünen Wälder lief, um dort irgendwie sein Leben zu fristen. Er nahm nichts mit sich als einen kleinen hölzernen Eimer, den er beim Fortgehen mit Beeren füllen konnte, so daß er wenigstens etwas zu essen hatte. Als die Nacht anbrach, suchte er sich einen hübsch trockenen Platz unter einem großen Felsen



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oder die Höhlung eines alten Baumstammes. Da rollte er sich dann zusammen und schlief sofort ein. Nur die weise alte Eule und die scheuen Nachtgeschöpfe des Waldes wußten, wo er lag. So verrannen ihm die Tage; kreuz und quer streifte er durch das herrliche norwegische Land und war ganz glücklich darüber, daß er zum ersten Mal in seinem Leben frei und völlig unabhängig leben konnte. Doch so sehr sich Per seiner Freiheit freuen mochte, so einsam fühlte er sich mitunter, weil niemand da war, mit dem er sprechen oder einmal in den schönen großen Wäldern spielen konnte.

Eines Nachmittags nun, als Per im warmen Sonnenschein dahinschlenderte und sich dabei ein paar Beeren pflückte, gelangte er plötzlich zu einer Lichtung, und da saß, so richtig sich in der Sonne dehnend und gegen einen mächtigen von Moos überzogenen Findling gelehnt, ein riesengroßer Troll. Per war zuerst so überrascht und erschrocken, daß ihm die Haare zu Berge standen und er sein Eimerchen auf den Boden fallen ließ, so daß ihm alle Beeren davonrollten. Dann wollte er schnell wegschleichen und lautlos verschwinden, ehe der Troll aufwachte. Er hatte aber kaum einen Schritt getan, als er eine dröhnende Stimme hörte:

»Ach bitte, lauf doch nicht fort, kleiner Junge!«

Obwohl es eine Donnerstimme war, schwang doch so viel Freundlichkeit in ihr, daß Per innehielt und sich umdrehte. Der alte Troll lächelte ein breites, behäbiges, gütiges Lächeln und rief:

»Komm näher, Kerlchen! Hab doch nur keine Angst! Können wir zwei, du und ich, nicht Freunde sein? Ich bin so einsam, und jedermann hat immer nur Furcht vor mir.«

Der nette alte Troll tat Per leid. Er hatte nicht mehr das kleinste bißchen Angst vor dem Riesen, und ehe er sich's versah, saß er schon auf dem Knie seines neuen Freundes und schwatzte drauf los.

»Ich bin nun schon so alt, daß ich gar nicht mehr gut sehen kann«, sagte er alte Troll.

Per hatte inzwischen festgestellt, daß sein neuer Freund nur ein einziges Auge hatte, und da er wußte, daß die Trolle ihre Augen ohne große Mühe aus dem Kopf herausnehmen können, sagte er:

»Gib mir dein Auge und laß es mich einmal ansehen! Vielleicht kann ich dir helfen.«



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Der alte Troll nahm sein Auge heraus, das beinahe so groß wie Pers Kopf war, und gab es dem Jungen.

»Natürlich!« rief Per, nachdem er es sich genau betrachtet hatte, »kein Wunder, daß du mit diesem Auge nicht mehr gut siehst. Denk nur, lauter kleine Ästchen und Steinchen stecken darin, und außerdem ist es ganz von Moos überzogen.«

Sorgfältig zog Per alle Äste und Steine heraus, kratzte das Moos ab, lief dann zum nahen Bach, um es zu waschen, und polierte es dann ganz blitzblank. Als es wieder glänzte und klar wie ein Wassertropfen schimmerte, gab er es dem Troll zurück, der es wieder in der Mitte seiner Stirne einsetzte, genau dort, wo es hingehörte.

»Oh, ist das aber großartig«, schmunzelte der alte Troll, »nun kann ich gleich wieder so gut sehen wie vor ein paar hundert Jahren.«

»Vor ein paar hundert Jahren?« staunte Per. »Ja, wie alt bist du denn?«

»Nun, so genau weiß ich das nicht mehr«, antwortete ihm sein Freund, »aber gut dreitausend Jahre bin ich wenigstens alt.«

Verwundert und staunend sah Per ihn an.

»Dann mußt du ja fast so alt sein wie Norwegen selber«, meinte er nach einer kleinen Pause.

Der Troll lachte sein dröhnendes, tiefes, volles Lachen, das wie ein Donnerrollen durch die Berge klang. Dann schaute er aus, wie hoch wohl die Sonne stand, und sagte: »Mein Junge, die Sonne wird bald untergehen, und dann können wir uns schnell in einem Fluß auf der anderen Gebirgsseite einen prächtigen Fisch zum Abendessen fangen. Das ist der beste Fisch im ganzen Lande. Eben nach Sonnenuntergang springt er aus dem Wasser hoch, um Fliegen zu schnappen, und da ist er leicht zu fassen.«

»Aber in der kurzen Zeit können wir die andere Gebirgsseite nicht mehr erreichen«, sagte Per. »Wir brauchen ja mindestens zwei Tage dafür.«

»Nein, das brauchen wir nicht«, lachte grölend der alte Troll. »Klettere nur rasch auf meine Schulter und halte dich gut fest.«

Also stand Per auf, und der Troll tat das auch. Höher und höher kletterte Per, bis es ihm zuletzt war, als habe er die Spitze eines Berges erklommen.



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»Fertig?«fragte der Troll.

»Ja, fertig«, antwortete Per.

»Also gut. Halte dich ja fest!« Und er schritt aus. Ein Schritt vorwärts, und Per sah sich auf halber Bergeshöhe. Und die war soeben noch meilenweit entfernt gewesen. Himmel, Berge, Bäume, Seen, Wasserfälle und Ströme gingen ineinander über und wurden zu einer bewegten Masse, als die beiden vorübersausten. Per verging fast der Atem. Im nächsten Augenblick schon waren sie jenseits des Gebirges in einem freundlichen Tal, das von einem Fluß durchzogen wurde. Als er wieder zu Atem kam, rief Per aus:

»So schnell kann gewiß kein anderer sein. Es war mir beinahe schon zu schnell! Und jetzt spüre ich einen mächtigen Hunger.«

»In fünf Minuten ist unser Abendessen bereit«, sagte der Troll. Und schon kniete er am Ufer, bereit, einen großen silbrigen Fisch zu greifen, wenn er auf der Jagd nach Fliegen aus dem Wasser hochspränge. Inzwischen sammelte Per einen ganzen Korb voll der süßesten und reifsten Beeren, die er je gekostet hatte. Bald saßen sie beim herrlichsten Abendschmaus, den Per je erlebte.

An diesem Abend fand der Troll für Per eine prächtige kleine Höhle und frischduftendes Heu, während er selber dicht daneben, den Kopf an einen großen Stein gelehnt, schlief. Noch nie bisher war Per so glücklich gewesen.

Von da an blieben nun Per und der Troll immer zusammen. Der Troll lehrte Per Fische fangen, lehrte ihn die größten und reifsten Beeren und die wärmsten und behaglichsten Schlafplätze finden. Er lehrte Per die Sterne kennen und viele, viele andere wunderbare Dinge. Und die sommerlichen Tage und Nächte gingen glücklich dahin.

Als der Winter kam und der Eiswind blies, wurde eine dicke, weiche, weiße Decke über die Berge geworfen, über Hügel und Täler und Bäume; die Erde barg sich darunter und schlief fest ein. Ein großes Schweigen sank hernieder. Die Vögel verstummten, und selbst die Wasserfälle schienen nur noch zu flüstern. Der Troll führte Per zu einem hohen Gebirge, suchte ein Weilchen in seiner Tasche herum, zog einen Riesenschlüssel heraus, der zweimal so groß war wie Per, und steckte ihn in etwas, das wie ein mächtiger Spalt aussah, in



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Wirklichkeit aber ein Schlüsselloch war. Der Troll drehte den Schlüssel einmal herum, und eine große steinerne Tür tat sich auf, die in einen dunklen Gang führte.

»Wohin geht es denn da?«

»Komm nur, Per, ich werde es dir schon zeigen!«

Per kletterte auf die Hand seines Freundes. Da fühlte er sich sicherer, weil der Weg zu Anfang recht finster drohte. Aber schon wenige Minuten später stockte Per der Atem vor Verwundern und Staunen, als sie in eine große mit Silber ausgeschlagene Halle kamen. Die Wände, die Decke und der Fußboden waren ganz und gar von Silber. Es sah aus, als schimmere Mondlicht überall im Raum.

»Ist das aber schön!«, rief Per.

»Warte nur«, sagte der Troll, ging durch die große Halle und betrat am anderen Ende eine zweite. Da war es, als scheine plötzlich Sonnenlicht von den Wänden, Decken und Fußböden, denn die gewaltige Halle, die sie jetzt betreten hatten, war von oben bis unten mit Gold ausgelegt.

»Ist das aber schön!« jubelte Per.

»Ach, warte nur ab!« meinte der Troll, ging durch das goldene Leuchten hindurch und betrat am anderen Ende eine dritte Halle. Per mußte heftig blinzeln, so sehr wurden seine Augen geblendet. Die Wände, die Decken, der Boden, alles schien sich wie im Tanze zu bewegen, denn alles war mit glitzernden Diamanten verkleidet. »Das ist ja wunderbar!« flüsterte Per ganz benommen von dieser Pracht und Schönheit. »Wer lebt denn hier?«

»Diese Hallen bewohnte einst der Bergkönig«, antwortete sein Freund. »Die Trolle mußten sie damals bauen. Aber nun lebt der König in einem anderen Teil der Berge, und die Hallen liegen verlassen da. Sobald der erste Schnee gefallen ist, komme ich immer hierher und bleibe, bis der Frühling die Erde wieder aufweckt.«

Nachdem sie ein paar Stunden durch dieses Wunderland mitten im Berginneren gewandert waren, führte der Troll Per in einen kleineren Raum. Der war mit Tannenholz verkleidet. In der Ecke stand ein großer Ofen, und hier richteten sich Per und der Troll während des Winters ein und freuten sich über die anheimelnde Glut und Wärme des Feuers. Manchmal, an schönen sonnigen Tagen, schlossen



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sie die steinerne Tür auf, gingen durchs Gebirge, auf den feinen knirschenden Laut unter den sausenden Schneeschuhen lauschend, und Spuren wie von langen Bändern hinter sich lassend. Eines Tages fertigte der Troll ein Paar herrliche Schneeschuhe für Per, so daß auch der jetzt über den funkelnden Teppich aus Schnee dahingleiten konnte, und sein kleiner Körper glühte nur so vor Gesundheit.

»Nun kann ich es mit dir aufnehmen, wenn du sehr langsam gehst«, lachte Per, als er auf seinen neuen Schneeschuhen einen Berghang hinunterjagte. Wenn er stürzte, dann beugte sich der alte Troll von seiner großen Höhe herab und stellte ihn wieder sanft auf die Füße, und Per wußte sich vor frohem Lachen kaum noch zu halten. Wenn ihr jemals weit droben im Gebirge ein paar einsame nicht endende Skispuren entdeckt und daneben komische Vertiefungen oder Löcher im Schnee, immer zwei oder drei Meilen von einander entfernt, dann müßt ihr wissen: das sind die Skispuren und die Fußstapfen von Per und seinem Freund.

Die Winternächte in Norwegen sind dunkel und lang, und um die Zeit abzukürzen, fing der Troll damit an, Per ganz wunderschöne Geschichten zu erzählen. Da er mehr als dreihundert Jahre alt war, kannte er deren eine ganze Menge. Und dies hier war eine von Pers Lieblingsgeschichten, die ihm sein Freund nicht oft genug erzählen konnte:

Es waren einmal drei kleine Jungen, Tor, Jon und Ole. Die wohnten mit ihrer Mutter am Rande eines großen Waldes. Ihr Vater war tot, und sie hatten nur wenig Geld. Deshalb mußte ihre Mutter jeden Tag schwer arbeiten, um alle zu kleiden, zu ernähren und ihre Hütte nett, hell und sauber zu halten. Mitunter hatte sie schwer dabei zu kämpfen. Eines Tages schickte sie ihre drei Söhne fort, um auf einem wenige Meilen entfernten Hof Eier und Milch zu holen und auf dem Rückweg etwas Feuerholz und Beeren für das Abendessen zu sammeln. Tor, Jon und Ole zogen also früh am Morgen los und erreichten mittags den Hof. Die Bauersfrau war sehr freundlich zu ihnen. Sie gab ihnen große Stücke Kuchen zu essen und viel warme Milch zu trinken. Dann nahmen sie Eier und Milch, die sie holen sollten, vorsichtig auf und machten sich am Nachmittag wieder auf den Heimweg. Überall im Walde fanden sie reife Beeren. Sie rannten



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hierhin und dorthin, und während sie ihre Körbe füllten, jauchzten sie:

»Oh! seht nur hier, Ole, Jon, die sind aber groß!«

»Ja, aber sieh erst die hier, Tor!« — »Und diese erst, sieh nur, sieh hier, Ole, schau erst mal hierher, Tor!«

Der Nachmittag verging, und es begann zu dämmern. »Wir müssen uns jetzt aber sputen«, sagte Tor, »denn es ist schon spät und Mutter wird schelten, wenn wir nicht rechtzeitig zu Hause sind.« In dem Augenblick aber hörten sie von ferne ein seltsames Geräusch. Ein Rumpeln, danach ein gewaltiges Krachen, und das wieder und wieder. Dann verklang es. Langsam versank die Sonne hinter den Berggipfeln, und Dunkelheit breitete sich schon aus. Das Rumpeln und Krachen setzte von neuem ein, und diesmal verging es nicht wieder, sondern kam näher und näher. Die drei Jungen fürchteten sich sehr und drängten sich dicht aneinander. Krach, bum, bum, krach! Näher und immer näher, und nun war das Geräusch von brechenden Zweigen und ein Ton wie das Heranstampfen eines Elefanten zu unterscheiden. Und plötzlich schrien Tor, Jon und Ole gleichzeitig auf: »Da!«Sie zeigten auf etwas, das wie ein mächtiger Baum aussah und schnell näher kam. Im gleichen Augenblick erscholl wieder ein fürchterliches Krachen, dem das Geräusch brechender Aste, zurückschnellender Zweige und ein Aufschreien folgte.

Der wandernde Berg stand einen Augenblick lang still, und als die kleinen Jungen an ihm hinaufschauten, erkannten sie, daß er ein Bein war, ein riesengroßes Bein. Und als sie ihre Köpfe noch weiter in den Nacken zurücklegten, konnten sie höher und noch etwas höher schauen und erblickten einen Waldtroll. Der hatte gerade vor ihnen haltgemacht. Sie standen vor Angst wie festgewurzelt. Dann tat der Troll den nächsten Schritt und setzte eines seiner riesigen Beine vorwärts, mitten in eine hohe Tanne hinein, brach dabei zwei mächtige Zweige ab und schrie laut auf vor Schmerz.

Trotz all seiner Größe stolperte der arme alte Troll so tolpatschig mitten in die brechenden Äste hinein, daß die drei kleinen Buben einfach nicht anders konnten, als in Lachen auszubrechen.

»Wer ist da?« brüllte der Troll.

Die Jungen standen mucksmäuschenstill und hielten den Atem an.



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»Ist da jemand?« rief der Troll wieder.

Diesmal konnte Ole einfach nicht anders, als lauthals zu rufen:

»Ja, kannst du uns denn nicht sehen?«

»Nein, das kann ich eben nicht«, brüllte der Troll, »denn ich habe mein Auge verloren«, und damit versuchte er wieder einen Schritt zu tun und bumste an einen großen Felsen an.

Da aber tat den drei Jungen der stolpernde, dahinirrende alte Troll leid, und Klein Ole rief ihn nochmals an:

»Wo hast du denn dein Auge verloren?«

»Ach, da irgendwo hier im Walde«, antwortete der Troll. »Ich nahm es heute nachmittag heraus, um einen Splitter zu entfernen, und dabei habe ich es fallen lassen.«

»Ach du meine Güte!«rief Ole. »Dann setze dich nur eine Weile hin, und wir wollen es inzwischen rasch suchen gehen, ehe es zu finster wird und nichts mehr zu erkennen ist.«

»Seid ihr aber nett«, sagte darauf der alte Troll, den das sehr rührte; und er tappte, bis er eine Lichtung fand, wo er sich ausruhte, während die drei Jungen gingen, sein Auge zu suchen.

»Es muß ein sehr großes Auge sein«, sagte Tor.

»Dann werden wir es leichter finden«, sagte Jon.

Und die Buben begannen überall im Gesträuch und am Boden das Auge des großen Waldtrolls zu suchen. Plötzlich schrie Ole, der ein wenig abseits geraten war:

»Hallo! Tor, Jon, kommt schnell her, ich hab's gefunden!«

Tor und Jon rannten zu ihm und sahen eine große leuchtende Kugel, gewaltig wie ein Straußenei, und als sie nahe daran waren, erkannten sie, daß es wirklich ein großes Auge war, das da auf der Erde lag und sie glänzend und ausdruckslos anstarrte. Es war ziemlich schwer, und Ole trug es vorsichtig mit beiden Händen. Inzwischen war es so dunkel geworden, daß er ganz langsam gehen mußte, um ja nicht zu fallen. Als er bei dem alten Troll ankam, rief er:

»Hier ist dein Auge, alter Troll!«

»Ja«, riefen die anderen beiden erregt, »hier ist es, Ole hat es gefunden.«

Der alte Troll war ganz bewegt. Nachdem er es wieder in den Kopf eingesetzt hatte, sagte er:



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»Nun laßt euch erst einmal ansehen!« Er mußte sich dazu weit vorbeugen, weil es schon so finster war, und obwohl er recht grausig ausschaute, hatten die Jungen gar keine Angst mehr vor ihm, weil er sich so freundlich benahm.

»Hm«, sagte der Troll. »Drei nette kleine Jungen. Und welcher von euch ist Ole?«

Als sie sich kennengelernt hatten, meinte der Troll: »Nun erzählt erst mal, wo ihr wohnt, denn so kleine Jungen bleiben doch im Dunkeln für gewöhnlich nicht mehr im Walde.«

Sie berichteten, wo sie wohnten, und der Troll erklärte: »Schön, dann klettert mal auf meine Schulter, und ich will euch rasch nach Hause bringen, denn eure Mutter wird schon in Sorge sein.«

»Oh, vielen Dank«, freuten sich Tor, Jon und Ole und krabbelten auf die breiten Schultern des Troll. Da war für sie alle Platz genug. Tor und Jon saßen auf der einen, Ole auf der anderen. Dann schritt der Troll aus, und eins, zwei, drei, waren sie daheim. Vorsichtig ließ der Riese seine drei kleinen Passagiere vor der Haustür herabgleiten, und noch bevor sie sich bedanken konnten, richtete er sich hoch auf und war in der Dunkelheit verschwunden.

Ganz aufgeregt stürzten die drei Jungen zu ihrer Mutter hinein, um ihr von dem großen Abenteuer zu berichten. Das schien eine gar seltsame Geschichte; die arme Frau konnte sie ihren Kindern kaum glauben. Aber wenn sie auch noch daran gezweifelt hatte, bekam sie schon am nächsten Morgen einen Beweis. Denn als sie alle zum Frühstück vom Boden herunterkamen und Ole die Haustür auftat, um ein paar Kloben Holz aus dem Holzschuppen zu holen, da sah er zu seinem Erstaunen zwei dicke Säcke stehen, an jeder Seite der Haustür einen. Er öffnete den ersten, und heraus fiel Silber über Silber, das im morgendlichen Sonnenschein nur so flimmerte und glänzte.

»Mutter, Mutter, Tor, Jon, kommt schnell!« schrie er, und alle stürzten aus der Hütte, um zu sehen, was es da gäbe. Inzwischen öffnete Ole den anderen Sack. Und heraus strömte Gold, das mit dem Glanz der Sonne selber schier um die Wette strahlte. Wie sie nun fast atemlos waren bei diesem Anblick, entdeckten sie einen Zettel, auf dem in großen krausen Buchstaben zu lesen stand:



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»Mit herzlichem Dank für mein wiedergefundenes Auge.«

»Der Troll«, jubelten sie, »ein Geschenk vom alten Troll!«

Sie waren so ganz außer sich, daß sie vor Freude gar nicht wußten, was tun. Nun waren sie ihr Leben lang reich, und die Mutter brauchte nicht mehr Tag und Nacht zu schuften und zu arbeiten. Von nun an lebten sie alle sehr glücklich. Mitunter kam der alte Troll an schönen Sommerabenden, um seine kleinen Freunde zu besuchen. Da er aber natürlich viel zu groß war, um in ihre Hütte eintreten zu können - er vermochte ja nicht einmal sein rechtes Bein durch die Tür zu stellen - setzte er sich draußen in eine benachbarte Lichtung, und sie kamen zu ihm, kletterten auf seine Knie und plauderten voller Freude mit ihm. —

Siehst du, auf diese Art verbrachten Per und sein Trollfreund die langen Wintermonate. Soviel ich weiß, leben sie noch jetzt in einem wunderschönen weltabgelegenen Tal im Innern von Norwegen, und wenn du Glück hast, begegnest du ihnen dort vielleicht eines Tages noch selber.


Der Nöck

Inmitten der Wälder, Hügel und Berge Norwegens gibt es zahlreiche Seen und Teiche, die wie Juwelen mitten zwischen grauen Felsen, grünen Kiefern und funkelnden Schneeflächen eingebettet ruhen. Sie sind fischreich, vor allem gibt es Forellen, und an den Ufern nisten viele Wasservögel. Häufig sind das Schnattern einer Ente oder der einsame Ruf eines Tauchers die einzigen Laute in dieser großen Stille. Die kleinen ruhigen Teiche vor allem sind es, in denen der Nöck gern lebt. Er ist ein qualliges, glitschiges, phosphoreszierendes und überaus scheues Geschöpf. Nur in schönen Nächten und bei Mondenschein steigt er herauf bis zur Oberfläche des Sees. Dort verharrt er stundenlang, starrt stumm in den Mond, voller Trauer, weil er tief drunten im Wasser ein einsames Leben führen muß.

Aber nicht immer ist er harmlos, das müßt ihr wissen.

Da lebte zum Beispiel einmal ein junges bildhübsches Mädchen. Ihre Augen leuchteten blau wie der sommerliche Himmel, ihr Haar



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strahlte primelgolden, ihre Haut schimmerte weiß wie Schnee und war pfirsichzart, und in ihrer Stimme schwang stets ein helles Lachen mit.

Eines Abends, als sie singend heimwärts ging -der Tag war herrlich und von Vogellauten erfüllt gewesen, die Wälder bedeckt mit duftenden Blumenteppichen, und ein sanfter Wind hatte in ihrem Haar gespielt und die Spitzen der hohen Gräser bewegt - da kam sie an einem stillen kleinen See vorbei. Die Sonne wollte soeben hinter den hohen Berggipfeln verschwinden und badete den See nochmals über und über in goldenem Licht.

Alles lag so träumerisch da, so friedvoll, die Luft war so erfrischend kühl; das Mädchen lief ans Ufer, um Hände und Gesicht ins Wasser zu tauchen. Dann kämmte sie, über den Wasserspiegel geneigt, ihr langes blondes Haar und betrachtete sich nochmals weit vorgeneigt, bevor sie den Heimweg antreten wollte. Im gleichen Augenblick aber begann das Wasser seltsam zu rauschen, anzuschwellen, und ehe sie um Hilfe rufen oder fortlaufen konnte, hatte ein gewaltiger, unförmiger und triefender Nöck ihre langen Flechten gepackt und zog sie hinab, tiefer und tiefer, bis auf den dunklen Grund des Sees. Der Nöck hatte nämlich den Widerschein des Mädchengesichtes für den Mond gehalten und sich darangemacht, zur Oberfläche hinaufzusteigen. Doch als er ihr schönes Antlitz näher und näher sah, ergriff ihn eine unwiderstehliche Sehnsucht, etwas so Liebliches für immer zu besitzen. Und so war er schnell an die Oberfläche gekommen und hatte das unglückselige Mädchen ergriffen, bevor es zu fliehen vermochte. Wenn von da ab ein Wanderer nach Sonnenuntergang an dem See vorbeikommt, kann er oftmals über der Wasserfläche eine weiße geisterhafte Gestalt schweben sehen und das leise Klagen einer zarten Frauenstimme vernehmen.

In den großen Wasserfällen lebt wieder eine ganz andere Art des Nöck. Dieser ist ein wilder Bursche, in nichts seinen Verwandten ähnlich, die in stummen Seen und stillen Teichen hausen. Im Frühling, wenn die Flüsse von tauendem Schnee anschwellen und Holzflöße aus den dichten Wäldern zu den Sägewerken am Wasser herabgeschwemmt werden, erlebt der Nöck der Wasserfälle seine schönste Zeit. Kommen die Baumstämme angeschwommen und



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stürzen durch den Gischt herab, dann lacht und schreit er vor Freude. Mitunter gibt er den Hölzern einen Fußtritt, so daß einige hoch in die Luft geschleudert werden, ein andermal fängt er sie so schnell auf, daß du inzwischen nicht mal ein Streichholz durchbrechen könntest. Und manchmal greift er eine Menge Baumstämme und hält sie fest, so daß alle weiteren Hölzer, die angeschwommen kommen, sich ineinander verkeilen und die Holzfäller ihr Leben wagen müssen, um sie wieder zu trennen und zum Weiterschwimmen zu bringen. Ja, dann brüllt der Nöck vor Lachen hellauf, läßt die Hölzer los, und wenn der Flößer nicht rasch genug fortgesprungen ist, wird nie einer ihn wiedersehen.

Es gab einmal einen Mann, der in ganz Norwegen wegen seines Pferdeverstandes, seiner Pferdezucht und Reitkunst berühmt war. Unter seinen Händen wurden die wildesten und ungestümsten Pferde sanft. Nie gebrauchte, nie trug er überhaupt eine Peitsche bei sich. Es war einfach so, daß er die Pferde kannte und verstand, als gehöre er zu ihnen.

Eines Tages kaufte er auf einem Nachbargut ein ganz junges Füllen. Es war ein süßes kleines Pferdchen mit großen sanften dunklen Augen; das Tierchen und sein Herr hingen so sehr aneinander, man möchte sagen: wie Vater und Sohn.

Als das Füllen ein Jahr alt war, kam sein Herr an einem schönen Frühlingsnachmittag zu ihm und sagte:

»Heute werden wir mit dem neuen Wagen erstmals den Hof besuchen, auf dem du geboren bist.«

Obgleich es jung und noch nicht erzogen war, hatte das Pferdchen nicht das geringste dagegen, vor den buntbemalten kleinen Wagen gespannt zu werden. Vielmehr trug es den Kopf so hoch und hob die Füße so eifrig, daß man unverkennbar sah, wie stolz es ihn machte, seinen Herrn zu fahren, wie stolz es auf den neuen Wagen und nicht zuletzt auf sich selber schien. So fuhren sie durch die Wälder, fuhren am Rande des Gebirges entlang und erreichten schließlich das Tal, in dem der Hof lag, den sie besuchen wollten. Alles ging gut. Der Wagen ratterte vergnüglich des Wegs, das Fohlen trabte flink, und der Mann pfiff vergnügt. Jetzt kamen sie zu einer Brücke, die über einen tiefen reißenden Fluß, am Fuße eines gewaltigen



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Wasserfalls, führte. Der Mann zog die Zügel etwas an und verlangsamte die Fahrt, um das ununterbrochene Herabstürzen des Wassers anzuschauen.

Während er so in das wogende, weiße Strömen hineinsah, das aus großer Höhe herabdonnerte, als ob Hunderte von schlanken Wasserskiern fröhlich einen gläsernen Hang herabkamen, und dabei dem erregenden Brüllen dieser Lawine aus Wasser lauschte, stellte er sich einen Nöck vor, der hinter dem wehenden Vorhang des Wasserfalls sitzen und auf einem fremdartigen Instrument Weisen von seltener Schönheit spielen könnte. Musik, die ein Nöck in solchen Stunden ersinnt, ist sanft wie der Sang des Sommerwindes in den Föhren, beruhigender als das Murmeln der Meereswogen, süßer als das Lied der Drossel und zärtlicher als die Erinnerung an glücklichste Tage der Vergangenheit. So sehr ergreift diese Musik, daß viele, die sie vernehmen, unwiderstehlich von ihr in die brausenden Wasser gelockt werden, und niemals sieht man sie wieder.

Plötzlich fühlt der Mann, mitten aus solchen Gedanken aufgeschreckt, wie die Zügel, durch einen jähen Ruck, seiner Hand entgleiten, wie das Fohlen sich ängstlich wiehernd steil auf die Hinterhand stellt, die Nüstern weit offen, die Augen furchtstarrend, um dann in fliegender Hast über die Brücke davonzujagen. Weiter und weiter galoppiert es, ist durch nichts zu halten. Ein tief über den Weg geneigter Baum zertrümmert den hübschen neuen Wagen in tausend Stücke -aber das Pferd, in seinem panischen Schrecken, jagt weiter. Auf der Brücke lag indessen der Mann völlig verwirrt und starrte hoch. Eine ganze Zeit lang war er noch viel zu betäubt, um sich bewegen zu können. Schließlich, langsam und schmerzhaft, gelang es ihm, sich aufzusetzen und bis an das Brückengeländer zu schieben, um nachzuschauen, was wohl sein Pferd derart erschreckt habe. Da stutzte er und war nicht wenig verstört, als er ein mächtiges, berstendes Gelächter vernahm, wieder und wieder und immer wieder, so als ob jemand vor Lachen fast platzen wollte.

>Wie seltsam!<dachte der Mann, denn eben noch war ihm dieser Ort völlig einsam vorgekommen. Deshalb lehnte er sich noch weiter vor, und da sah er nun unter der Brücke einen Nöck sitzen, dem vor Lachen die Tränen über die Backen rollten.



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»Ach, du also warst es, der mein armes Fohlen so erschreckt hat!« rief der Mann wütend aus. Aber der Klang seiner Stimme ging im Toben des Wasserfalls unter, und der Nöck lachte nur noch mehr, als er das wütende Gesicht des Mannes sah. Dieser versuchte nun aufzustehen, aber er schwankte nur so, und sein rechtes Bein schmerzte fürchterlich. Mühsam schleppte er sich bis an das Ende der Brücke, um dem Spottgelächter des Nöck zu entkommen.

Kurz darauf fanden ihn einige Leute aus dem benachbarten Dorf, die Hilfe brachten. Es war ihnen gelungen, das wildgewordene Pferd einzufangen, und sogleich hatten sie sich aufgemacht, den verunglückten Eigentümer zu suchen. Der Mann erzählte ihnen seine Geschichte, und die Helfer liefen eilig bis auf die Mitte der Brücke, um auch den Nöck zu sehen -aber sie sahen unter der Brücke nichts als schäumendes Wasser. Der Nöck war verschwunden. Doch als sie sich, während sie den verletzten Mann trugen, auf den Weg zurück ins Dorf begaben, da hörten sie von ferne wieder eine dröhnende Lachsalve, diesmal aber klang sie von droben, von der Höhe des Wasserfalls.

Das Fohlen wuchs zu einem stattlichen Pferd heran und diente seinem geliebten Herrn treulich bis ans Ende seiner Tage. Doch nichts auf der Welt hätte es noch ein einziges Mal zwingen können, jene kleine Brücke zu betreten.


Der Draug

Der Draug ist ein entfernter Verwandter des Wassermanns und lebt auch wie dieser draußen in der See. Ein Draug ist etwas kleiner als ein gewöhnlicher Mensch und von Kopf bis Fuß mit Seetang, Muscheln und allerlei Wasserpflanzen bedeckt. Bei Flut und in der Dämmerung kann man ihn zwischen den Booten des Fischerdorfes sehen, während die Männer damit beschäftigt sind, ihren Fang zu sortieren und ihre Netze zu flicken. Soweit es eben geht, wagt er sich in Häfen, Buchten und Flußmündungen hinein und tut alles, was er nur kann, um die Fischer auf das Meer hinauszulocken. Wo immer man einen Draug sieht, weiß man, daß es am nächsten Tag Sturm



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geben wird. Wenn er da war, liegt nachher oft etwas Erstickendes in der Luft, und der friedvollste Abend scheint gefahrdrohend. Am nächsten Tag erscheint der Draug dann auch plötzlich mitten im Sturmestoben auf See, wenn die Wellen überschäumen und der Wind in den Wogenkämmen wühlt. Gerät ein Fischer mit seinem Boot in einen solchen Sturm, so kann er nichts tun, als die Segel einholen und nur ein kleines Notsegel belassen, damit das Boot bewegungsfähig bleibt und weiter vor dem Wind läuft. Wenn ihm in diesem Augenblick aber ein Draug erscheint, weiß er, daß sein Schiff untergehen muß. In frühen Zeiten kam der Draug selbst in einem Boot -das heißt, Boot konnte man es kaum nennen -, und zwar, gegen Wind und Sturm segelnd, in Blitzesschnelle auf den Wellenbergen reitend und teuflisch lachend, wenn der erschreckte Fischer alle Kräfte aufbot, um sein Boot in der Gewalt zu behalten und das eindringende Wasser wieder und wieder auszuschöpfen. So schnell er aufgetaucht war, so rasch verschwand der Draug auch, doch nur, um kurz darauf mit noch schrecklicherem Hohngelächter wiederzukommen. Und so quälte er den armen Mann immerfort, kommend und gehend, kommend und gehend, bis zuletzt eine Woge, größer und gewaltiger als alle zuvor, sich krachend auf das kleine Boot niederstürzte, das nun von der schäumenden See verschlungen wurde. Seit langem schon pflegten die Fischer, das Kreuzeszeichen als Schutz gegen den Draug einzubrennen oder aufzumalen, wenn sie sich ein neues Boot bauten. Es beschützte sie wirklich, denn das Zeichen des Kreuzes wirkte auf den Draug geradeso wie der Ton der Kirchenglocken auf die Bergtrolle: er wurde machtlos.

Da war einmal ein Fischer, der in einem kleinen Inseldorfe vor der Westküste Norwegens lebte. Meilenweit war er als der beste Bootsbauer bekannt, und von weither suchten ihn die Fischer auf, um ihre Boote von ihm bauen zu lassen. Eines Tages nun beschloß er, auch für sich selbst ein neues Boot zu machen, und das sollte das schönste und stärkste von allen werden, die je in See stachen. Es sollte ganz leicht und wendig sein und wie ein Vogel dahinfliegen. Wochen wandte er daran, dieses Boot zu bauen und es immer vollkommener zu machen, und als er es vollendet hatte, war es wirklich das stärkste und schönste, das man je gesehen hatte. Alle bewunderten es. Manche



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mißgönnten es ihm. Und viele boten hohe Summen dafür, aber der Fischer weigerte sich standhaft, diesen köstlichen Besitz zu verkaufen.

Eines Tages kam der Priester, der auf der Insel wirkte, zu unserem Fischer und fragte, ob er ihn wohl zu dem einige Meilen entfernten Kirchspiel einer Nachbarinsel hinüberfahren würde. Der Fischer sagte gern zu, stolz darauf, sein prächtiges Boot dem Priester anbieten zu dürfen, denn dieser war auf der Insel sehr geachtet und verehrt. Also fuhren sie am frühen Morgen ab und erreichten am Nachmittag ihr Ziel. Der Fischer entschloß sich, sofort zurückzufahren, denn er glaubte, noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder zu Hause zu sein. Der freundliche Priester bat ihn zwar, nicht mehr zurückzufahren, sondern mit ihm auf der Insel zu bleiben, denn der Himmel war dunkel, und ein Sturm drohte. Aber der Fischer lehnte die Einladung ab und setzte die Segel heimwärts.

Bald aber gingen die Wogen hoch, und der Sturm brach so furchtbar los, daß er die Segel fast ganz reffen mußte. Aber er wurde nicht ängstlich, war er doch stark und seiner Kraft gewiß. Nach und nach wurden die Wogen immer gewaltiger, wuchsen höher und höher und trieben ihr Spiel mit dem Boot, als wäre es nur eine Nußschale. Einzig mit Hilfe seiner großen Erfahrung gelang es dem Schiffer, es zwischen den Wellenbergen hindurchzulenken. Plötzlich aber drang durch das Brüllen des Sturmes, das Heulen des Windes ein seltsam greller und schriller Schrei. Er schaute suchend in den sprühenden Gischt, konnte aber niemanden entdecken. Auf einmal sah er genau vor sich etwas in rasender Fahrt auf sich zujagen. Schneller und schneller flog es heran, und voller Grauen erkannte er den Draug, ein schrecklich schielendes, wild gestikulierendes Wesen. Immer näher kam es, starrte dabei hohnlachend auf den Fischer und warf triumphierend die Arme in die Luft. Während der Mann seine Furcht zu überwinden versuchte und gegen den tobenden Orkan ankämpfte, packte ihn jäh ein entsetzlicher Gedanke. Auf einmal wußte er, daß sein Meisterstück unvollkommen war. Etwas hatte er vergessen, nämlich: das Zeichen des Kreuzes auf den Kiel zu malen oder es einzubrennen. Voller Verzweiflung schaute er aus, ob der Draug wohl verschwunden wäre. Ja, er war verschwunden, doch für



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wie lange? In Todesangst raste der Fischer weiter, nur weiter, hoffend und betend, daß er die Küste, irgendwelche Küste, erreichen könne, ehe der Draug wiederkäme. Aber schon im nächsten Augenblick hetzte dieser, noch schneller als das erstemal, noch lauter, siegesgewiß kreischend, auf das hilflose kleine Fischerboot zu. Und im Nu verschwand er erneut. Nun wußte der verzweifelte Mann, daß seine letzte Stunde, vielleicht sein letzter Augenblick nahte. Er neigte den Kopf und betete, betete um Mut und Kraft. Und da sah er auf dem Boden des Bootes etwas Winziges und Glänzendes. Er hob es auf - es war ein goldenes Kreuz, das Kreuz des Priesters. Der Fischer wagte kaum seinen Augen zu trauen. Der gute Priester mußte es dagelassen haben, als er ausgestiegen war. Der Fischer hatte kaum Zeit, es näher anzusehen, als auch schon der gehende Schrei des Draug von neuem zu hören war. Aufheulend im Siegesrausch, seines Opfers sicher, tobte er geradewegs auf den Bug des Bootes zu. Hoch aufgerichtet, seinen Feind festen Blicks erwartend, stand der Fischer und hielt das goldene Kreuz dem jäh glotzenden Draug entgegen. Brüllend vor Enttäuschung und Wut, vor Haß und Entsetzen, verschwand der Unhold und kehrte nicht zurück. Als ob sie von Zorn und Grauen des Draug angesteckt wären, gingen die Wogen noch immer höher; Donner und Blitz durchtobten den Himmel. Keinerlei Wunder ließ den Fischer in dieser Nacht Land erreichen. Doch er segelte und segelte, das goldene Kreuz fest in seiner Rechten haltend und aus tiefstem Herzen den guten Priester segnend. Schließlich flaute der Sturm ab, und als der Fischer völlig erschöpft zu Hause ankam, hatte das Unwetter sich gelegt, und alles war wieder friedlich und hell.

Das erste, was der Fischer am nächsten Tage tat, als er sich von seinem Abenteuer erholt hatte, war: in den Kiel seines geliebten Bootes ein weithin sichtbares Kreuz einzubrennen. Und niemals wieder vergaß er das Zeichen des Kreuzes klar und groß an dem Kiel jedweden Schiffes anzubringen, das er von nun an baute.



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Der Zwerg

Der Zwerg ist ein naher Verwandter des Knecht Ruprecht. Er ist ein kleiner Kerl, nur zwei oder drei Fuß hoch. Nie habe ich feststellen können, was so ein Zwerg wohl in seiner Jugend tut, denn niemals bekommt man andere als alte zu Gesicht, solche mit großen spitzen und roten Mützen und mit langen weißen Bärten. Sich mit einem Zwerg gut zu stellen ist für den Bauern sehr wichtig, wenn sein Feld tragen und sein Vieh gesund und kräftig sein soll. Denn ein verärgerter Zwerg kann Menschen wie Tieren eine Menge Schaden zufügen. Ist ein Zwerg freundlich gesinnt, dann schaut er nach dem Vieh, füttert es, wenn es hungert oder wenn er selber glaubt, der Bauer habe ihm nicht genug gegeben. Außerdem schützt er die Tiere auch vor Krankheit. Meist sieht man ihn in der Nähe des Bauern oder der Mägde, wenn sie das Heu in die Scheune einbringen. Plötzlich lugen da zwei glänzende Äuglein aus einem Heubündel, oder ein schemenhaftes Etwas flitzt durch die Tenne, verschwindet im Tor oder droben hinter den Sparren. Manchmal kommt ein Zwerg auch in das Bauernhaus selbst.

Da waren einmal zwei Mägde auf einem reichen Hof. Sie hatten gerade nach dem Abendessen das Geschirr abgewaschen und gingen nun in ihre Schlafkammer, die neben der großen Küche lag. Plötzlich hörten sie ein fürchterliches Klirren und Krachen, so als habe jemand alle Teller und Tassen und alles Geschirr von der Anrichte auf den Boden geworfen. Sie erschraken sehr, und es dauerte ein paar Minuten, bis eine von ihnen Mut faßte und die Kammertür einen Spalt öffnete, um vorsichtig in die Küche zu schauen und zu sehen, was da wohl geschehen sei. Als sie die Tür aufmachte, erblickte sie mitten auf dem Küchentisch einen Zwerg. Alles kostbare Porzellan aber war von der Anrichte zur Erde geworfen worden.

Als nun der Zwerg das erschrockene Gesicht der jungen Magd sah, lachte und lachte er unaufhörlich, bis ihm die Seiten weh taten, und wenn er vor und zurück schwang, stießen immer abwechselnd die Spitze seines roten Hutes und die seines weißen Bartes gegen die Tischplatte. Kaum war er jedoch wieder zu sich gekommen, da verschwand er mit einem Husch durchs Fenster. Ängstlich lief nun das



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Mädchen herzu, um alle Scherben aufzusammeln. Wie staunte es: denn da war nicht ein Teller, nicht eine Tasse, kein einziges Geschirrstück zerbrochen.

Ein paar Tage später schickte der Bauer seinen Sohn in den Stall, um den Pferden Heu zu geben. Es war schon spät am Abend, und in der beginnenden Dunkelheit konnte der Bursche eben noch sehen, was er tat. Beim Aufnehmen eines Heubundes streiften seine Hände an etwas Haariges, und einen Augenblick lang starrten ihn zwei helle kleine Augen an.

»Das also ist der Kerl. Er weiß genau, daß er hier nicht sein soll.« Der Jungbauer gab den Pferden ihr Heu, griff dann nach einem kurzen Stock und kam damit zurück, um den Zwerg zu vertreiben. Doch soviel er auch suchte, nirgends konnte er die geringste Spur entdecken. >Nun gut, da ich ihn weder sehen noch hören kann, ist er wohl schon hinausgeschlüpft<, dachte er im stillen, wandte sich um und wollte ins Haus zurückgehen. Doch an der Scheunentür angelangt, wickelte sich der Strick, den er noch in der Hand hielt, um seine Beine, und er fiel glatt auf den Rücken. Voller Wut aufstehend, sah er den Zwerg auf der Kante des Scheunentores sitzen und so vergnügt lachen, daß er fast seine rote Mütze verlor.

Wenn ein Zwerg etwas lieber als alles andere mag, so ist das bestimmt der Weihnachtspudding, und da er selber nicht weiß, wie man ihn zubereitet, muß das die Bäuerin für ihn tun, und an jedem Weihnachtsabend hat die Magd eine ziemlich große, heiß dampfende Schüssel voll Pudding zu füllen und für den Zwerg in die Scheune zu stellen. Dieser Weihnachtspudding ist nämlich etwas ganz anderes als ein gewöhnlicher Pudding. Er besteht aus Sahne, saurer Sahne, mit Zimt, Zucker und Rosinen mit obendrauf herrlichen süßen Plätzchen und darüber nochmals Zucker. Goldbraun glänzt er. Wenn du ihn erst einmal gekostet hast, wirst du gewiß oft noch davon träumen, genauso wie der Zwerg selbst. Wenn es eine Bäuerin vergißt, ihm seinen Anteil vom Weihnachtspudding zuzuteilen, wird er sehr böse. Alle Tiere auf dem Hofe werden krank, und in dem Jahre geht dem Besitzer alles, was er tut, verquer.

Da lebte einmal ein Bauer, der hatte einen schönen wohlbestellten Hof. Seine Tiere waren gesund, seine Kühe gaben viel Milch, seine



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Pferde waren groß und stark und hatten ein glänzendes dichtes Fell. Was er auch tat, alles gelang ihm. Er war ein erfolgreicher, zufriedener Mann, der zudem ein fröhliches Weib und glücklich lachende Kinder sein eigen nannte.

Nach vielen Jahren entschloß er sich fortzuziehen. Deshalb verkaufte er seinen Hof, und ein neuer Mann kam an seine Stelle. Zwerg und Bauer hatten gute Freundschaft gehalten, und nun war der Zwerg recht neugierig, wie wohl der neue Hof besitzer sein würde. Voller Wut und Ärger hörte er gleich am ersten Abend, wie der neue Eigentümer über den Hof kam und zu der Frau sagte: »Denk nur, meine Gute, der Vorgänger, dieser närrische alte Knabe, erklärte mir vorhin, ich müsse bei allem, was ich hier täte, auch immer an den Zwerg denken. So etwas Lächerliches habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehört. Was für ein Aberglaube von dem alten Mann! Solche Wesen gibt es doch überhaupt nicht.«

Und jedesmal wenn der Mann nun in die Scheune trat -der Zwerg war meistens unsichtbar darin, rief er spöttisch: »Husch, husch, raus hier!«oder: »Los, weg von hier! Mach daß du rauskommst, Kerl!« Darüber wurde der Zwerg allmählich immer zorniger, und eines Abends beschloß er, das nicht länger zu dulden, sondern dem Ungläubigen eine gründliche Lehre zu erteilen.

Es war genau eine Woche vor Weihnachten, als der Mann abends wie gewöhnlich in die Scheune ging, um Heu zu holen. Er bückte sich, um ein Bündel aufzuheben. Im gleichen Augenblick aber wurde er in den Nacken geschlagen. Er schaute sich um, konnte aber niemanden sehen. Dann bekam er Schläge in den Rücken, auf den Kopf, auf die Arme, die Beine, die Zehen, die Brust, überallhin. Er schrie vor Schmerzen auf, sprang hoch und versuchte vergebens, die Schläge abzuwehren. Plötzlich erblickte er einen kleinen alten Mann mit langem weißen Bart und einer roten Mütze, der in jeder Hand einen Strick hielt. Trotz seiner Kleinheit schlug er kräftig und hart zu. Sosehr der Mann es auch versuchte, er konnte nicht entfliehen. Bei jedem Schlag aber rief der Zornige:

»Komm und sieh den Zwerg, komm und sieh den Zwerg, du dummer Tropf, du dummer Tropf!«

Schließlich ließ er von seinem Opfer ab. Der Mann konnte kaum in



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sein Haus hinüberhumpeln, und, mit Mühe dort angelangt, kroch er in sein Bett und mußte mehrere Tage unbeweglich liegen.

Der Zwerg freute sich, daß der Mann nun wohl keinen Zweifel mehr an seinem Vorhandensein haben könne, und begann schon die Tage bis Weihnachten - und das hieß für ihn bis zu dem süßen Weihnachtspudding - zu zählen. Der Weihnachtsabend kam, und erwartungsvoll eilte der Zwerg in die Scheune -aber da war nirgends etwas von einem Weihnachtspudding zu entdecken. Durch die Fensterscheiben blickte er nachher in das festlich erleuchtete Haus und sah alle vergnügt drinnen sitzen, feiern und trinken. Die Tische waren beladen mit allen nur denkbaren schönen Dingen - einschließlich eines wunderbaren, prächtig dampfenden goldfarbenen Puddings -, aber niemand schien an den Zwerg auch einen einzigen Gedanken zu verschwenden.

Das ganze folgende Jahr nun geriet dem neuen Hofbesitzer alles daneben. Das Gras wollte nicht wachsen, die Pferde magerten ab, die Kühe wurden krank oder sie gaben wenig und nur dünne Milch. Der Bauer verlor Geld, und von überallher traf ihn Unheil. Verzweifelt schrieb er an den früheren Besitzer und teilte diesem seine Not mit. »Hast du auch immer gut für den Zwerg gesorgt?« Das war darauf die ganze Antwort des klugen alten Mannes.

Der neue Besitzer wunderte sich sehr. Dieser wütende kleine Mann, der in der Scheune so hart auf ihn eingeschlagen hatte, sollte das etwa wirklich ein echter Zwerg gewesen sein?

Jedenfalls als der nächste Christabend kam, bat er sein Weib, eine große Schüssel voll besonders gutem Pudding zu kochen; und als der fertig war, trug er selbst ihn in die Scheune und stellte ihn dort auf ein sauberes weißes Tuch für den Zwerg hin. Und von dem Tage an tat er alles, womit er den Zwerg nur erfreuen konnte. Und selbstverständlich ging es ihm nun im nächsten Jahr gut. Sein Hof wurde bald wieder der beste, der reichste und glücklichste von allen Höfen ringsum im weiten Tal.



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Der Hahn und der Fuchs

Auf einem Misthaufen stand ein Hahn, krähte laut und schlug mit den Flügeln. Da kam der Fuchs vorbei. »Guten Tag«, grüßte der Fuchs, »ich habe gehört, wie schön du gekräht hast. Ich glaube fast, du bist gerade so tüchtig wie dein Vater, der stand immer auf einem Bein und krähte mit geschlossenen Augen.«

»Das kann ich auch«, sagte der Hahn, stellte sich auf ein Bein und krähte. Aber er schloß nur ein Auge. Danach brüstete er sich und schlug mit den Flügeln, als habe er etwas ganz Besonderes vollbracht.

»Das war aber prächtig«, meinte der Fuchs, »fast so prächtig, wie wenn der Pfarrer in der Kirche die Messe liest. Aber kannst du auch auf einem Bein stehen und krähen und zugleich beide Augen schließen? Fürwahr, ich glaube nicht, daß du das fertigbringst. Dein Vater freilich, das war ein ganzer Kerl.« Der Hahn wollte gewiß nicht weniger sein als sein Vater, stellte sich auf ein Bein, schloß beide Augen und -schwupp packte ihn der Fuchs und schleppte ihn in den Wald. Unter einer alten Tanne wollte er ihn auffressen.

»Du bist aber nicht so gottesfürchtig, Fuchs, wie dein Vater«, sagte der Hahn, »der ging nie zu Tisch, ohne sich zu bekreuzigen und ein Tischgebet zu sprechen.« Der Fuchs ließ von seiner Beute ab und wollte sich bekreuzigen. Im Nu aber flog der Hahn auf einen Baum. »Du wirst mir doch nicht entgehen«, sagte sich der Fuchs. Er ging etwas abseits und holte sich einige frische Späne. Damit kehrte er zurück. Der Hahn spähte neugierig hinunter.

»Was hast du denn da?«fragte er.

»Das ist ein Brief vom Papst in Rom«, sagte der Fuchs, »er schreibt mir, daß jetzt Frieden zwischen allen Tieren geschlossen wurde.« Da blieb der Hahn auf seinem Ast sitzen und streckte den Hals, als ob er in der Ferne was sähe.

»Was siehst du?« wollte der Fuchs wissen.

»Oh, mir schien gerade, die Hunde des Land jägers wären da«, sagte der Hahn.

»Ausgerechnet, dann ist's höchste Zeit, mich aus dem Staube zu machen«, rief der Fuchs.



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»Aber ist denn kein Frieden geschlossen worden?«

»Frieden schon, aber ich fürchte, die dummen Hunde wissen noch nichts davon«, sagte der Fuchs und suchte das Weite.


Warum der Bär einen Stummelschwanz hat

Der Bär begegnete einmal dem Fuchs, der mit einem Bund Fische herangeschlichen kam, das er gestohlen hatte. »Wo hast du das her?« fragte der Bär.

»Ich bin beim Angeln gewesen, Herr Bär!« antwortete der Fuchs. Da bekam der Bär auch Lust, das Angeln zu erlernen, und er bat den Fuchs, ihm zu sagen, wie er es anstellen solle.

»Das ist für dich eine einfache Kunst«, antwortete der Fuchs, »und sie ist bald gelernt. Du brauchst nur aufs Eis zu gehen, dir ein Loch zu hauen und den Schwanz hineinzustecken, und dann mußt du ihn schön lange so halten. Du mußt dich nicht darum kümmern, ob es darin prickelt: denn dann beißt der Fisch an; je länger du ihn so halten kannst, desto mehr Fische bekommst du. Und ganz plötzlich mußt du ihn dann mit einem Ruck heraufziehen!«

Ja, der Bär tat, wie ihm der Fuchs gesagt hatte, und hielt den Schwanz lange, lange ins Loch hinein, bis er schön festgefroren war. Dann zog er mit einem Ruck - den Schwanz ab, und heutzutage noch geht er mit einem Stummelschwanz umher.


Wohlgetan und schlecht gelohnt

Es war einmal ein Mann, der wollte in den Wald fahren, um Holz zu holen. Da begegnete ihm ein Bär. »Gib mir dein Pferd her, sonst schlage ich im Sommer alle deine Schafe tot«, sagte der Bär.

»Ach Gott erbarm!«sagte der Mann, »ich habe kein Stückchen Holz mehr im Hause; du mußt mich doch mit einer Fuhre Brennholz nach Hause fahren lassen, sonst werden wir noch völlig totfrieren; ich will dir morgen das Pferd bringen.«

Ja, das durfte er dann, darüber einigten sie sich; aber falls er nicht



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wiederkäme, solle er im Sommer alle Schafe verlieren, sagte der Bär.

Der Mann lud das Holz auf und fuhr langsam nach Hause; aber er freute sich gar nicht besonders über diesen Vertrag, das kann man verstehen. Da begegnete ihm ein Fuchs.

»Warum bist du denn so trübsinnig?« fragte der Fuchs.

»Ach, mir ist dort oben der Bär begegnet«, sagte der Mann, »und dem habe ich versprechen müssen, daß er morgen um diese Zeit mein Pferd haben soll; denn bekäme er es nicht, sagte er, so wolle er im Sommer alle meine Schafe zerreißen.«

»Pah, gibt's nichts Schlimmeres?« sagte der Fuchs. »Willst du mir deinen fettesten Bock geben, so will ich dich schon davon befreien.«

Ja, das versprach er, und das wollte er auch halten, sagte der Mann.

»Wenn du morgen mit deinem Pferd zu dem Bären kommst«, sagte der Fuchs, »dann werde ich oben auf dem Geröll jodeln, und wenn der Bär dich fragt, was das ist, dann mußt du nur sagen, es ist Peter der Schütze, der beste Schütze der Welt, und danach wirst du dir selber helfen müssen.«

Am nächsten Tag zog der Mann aus, und als er den Bären traf, fing es oben auf dem Geröll zu jodeln an.

»Scht, was ist das?« sagte der Bär.

»Ach, das ist Peter der Schütze, der beste Schütze der Welt«, sagte der Mann. »Ich kenne ihn an seiner Stimme.«

»Hast du einen Bären hier oben gesehen, Erich?« rief es im Wald.

»Sag nein!« sagte der Bär.

»Nein, ich habe keinen Bären gesehen«, sagte Erich.

»Was ist denn das, was neben deinem Schlitten steht?« rief es im Wald. — »Sag, es ist ein alter Kienstamm«, flüsterte der Bär.

»Oh, es ist nur ein alter Kienstamm«, sagte Erich.

»Solche Kienstämme pflegen wir bei uns auf den Schlitten zu wälzen«, rief es oben im Wald, »schaffst du es nicht allein, so will ich zu dir kommen und dir helfen.«

»Sag, du kannst dir schon selber helfen, und wälze mich auf den Schlitten«, sagte der Bär.

»Nein, danke, ich kann mir schon selber helfen«, sagte der Mann und wälzte den Bären auf den Schlitten.



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»Solche Kienstämme pflegen wir bei uns festzubinden«, rief es da oben im Wald. »Willst du Hilfe haben?« fragte es.

»Sag, du hilfst dir schon selber und binde mich fest!« sagte der Bär.

»Nein, danke, ich kann mir schon selber helfen«, sagte der Mann und machte sich daran, den Bären mit allen Stricken, die er hatte, festzubinden, so daß er nicht einmal eine Tatze rühren konnte.

»In solche Kienstämme pflegen wir bei uns die Axt zu hauen, wenn wir sie festgebunden haben«, rief es im Wald, »dann können wir an den großen Abhängen besser steuern.«

»Tue, als ob du die Axt in mich haust!« flüsterte der Bär.

Da nahm der Mann die Axt und spaltete dem Bären den Schädel, daß er auf der Stelle tot war; und er und der Fuchs waren Freunde und vertrugen sich gut, aber als sie in die Nähe des Hofes kamen, sagte der Fuchs:

»Ich hätte schon Lust, mit dir hineinzugehen, aber ich mag deine Hunde nicht. Ich werde hier auf dich warten. Hole du jetzt den Bock; nimm aber einen, der fett ist.«Ja, das versprach der Mann und dankte für die Hilfe. Als er das Pferd in den Stall gebracht hatte, ging er zum Schafstall hin.

»Wo willst du hin?«fragte seine Frau.

»Ach, ich will in den Schaf stall und einen fetten Bock für den guten Fuchs holen, der unser Pferd gerettet hat«, sagte der Mann, »denn das habe ich ihm versprochen.«

»Der Henker soll dem diebischen Fuchs einen Bock geben«, sagte die Frau. »Das Pferd haben wir ja und den Bären dazu, und der Fuchs hat uns wohl schon mehr Gänse gestohlen, als der Bock wert ist, und wenn er es nicht getan hat, so kann er es noch tun«, sagte sie. »Nein, nimm ein paar von den schärfsten Hunden in deinen Sack und hetze die auf ihn, dann werden wir vielleicht den schlimmen Dieb loswerden«, sagte die Frau.

Das schien nun dem Mann ein guter Rat, und er nahm zwei scharfe rote Hunde, steckte sie in den Sack und zog damit los.

»Hast du den Bock?«fragte der Fuchs.

»Ja, komm und nimm ihn«, sagte der Mann; er machte das Sackband auf und hetzte die Hunde auf ihn.

»Huch!«sagte der Fuchs und machte einen Sprung; »es ist wahr, was



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ein altes Sprichwort sagt: wohigetan wird schlecht gelohnt, und nun sehe ich, daß es auch wahr ist; je enger die Verwandtschaft, desto ärger die Feindschaft«, sagte er - denn er spürte, daß die roten Hunde hinter ihm her waren.


Der große und der kleine Peter

Es waren einmal zwei Brüder, die hießen beide Peter. Der ältere wurde der große Peter genannt, und der jüngere der kleine Peter. Nach dem Tode des Vaters übernahm der große Peter den Hof und nahm sich eine reiche Frau. Der kleine Peter aber blieb daheim bei seiner Mutter und lebte von deren Leibgeding, bis er mündig wurde. Als er dann soweit war, wurde ihm sein Erbteil ausgezahlt, und der große Peter sagte ihm, er dürfe nun nicht länger mehr auf dem Hofe sein und aus der Tasche seiner Mutter leben. Es wäre richtiger, wenn er in die Welt hinausginge und irgendwo eine Arbeit annähme.

Das leuchtete dem kleinen Peter auch ein; er kaufte sich ein schönes Pferd und eine Fuhre voll guter Fettigkeiten und zog damit in die Stadt, und für das Geld, das er daraus löste, kaufte er Branntwein und andere Getränke. Kaum war er wieder zu Hause, so richtete er eine große Gasterei aus und bewirtete und traktierte Verwandte und Bekannte, und die bewirteten und traktierten ihn von sich aus wieder. So lebte er in Saus und Braus, solange sein Geld reichte. Als aber das Geld alle war und der kleine Peter auf dem trockenen saß, ging er einfach wieder zu seiner alten Mutter. Er besaß nichts mehr als ein Kalb.

Im Frühjahr führte er das Kalb zur Weide, auf die Wiese des großen Peter. Der aber ärgerte sich darüber und schlug das Kalb tot. Der kleine Peter zog ihm die Haut ab, hing diese in der Badestube auf, daß sie richtig trocknete, rollte sie dann zusammen, steckte sie in einen Sack und ging damit im Ort herum, um sie so zu verkaufen. Wo er aber damit hinkam, lachten ihn die Leute aus und sagten ihm, daß sie keine geräucherte Kalbshaut brauchen könnten. Als er weit gewandert war, kam er gegen Abend an einen Hof. Er ging hinein und erbat Unterkunft für eine Nacht.



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»Nein, ich kann dich nicht hereinlassen«, sagte die Bäuerin, »mein Mann ist auf die Alp gegangen, und ich bin alleine zu Hause. Du mußt schon versuchen, im nächsten Hofe unterzukommen; wenn dir das nicht gelingt, kannst du wieder herkommen, denn über Nacht sollst du nicht im Freien bleiben.«

Als Peter am Fenster der guten Stube vorbeiging, sah er, daß ein Priester in der Stube saß, mit dem die Frau wohl besonders einig zu sein schien, denn sie bewirtete ihn mit Bier und Branntwein und setzte ihm eine große Schüssel mit Rahmgrütze vor. Als der Priester mitten beim Essen und Trinken war, kam der Bauer nach Hause. Die Frau hörte ihn aber im Hausgang und zeigte sich schlau -sie stellte die Schüssel mit Grütze unter die Ofenbank, Bier und Branntwein in den Keller und versteckte den Priester in einer großen Kiste. Während das geschah, stand der kleine Peter draußen und sah alles. Als aber der Mann eingetreten war, ging auch er ins Haus und bat um Unterkunft. »Ja«, sagte der Mann, »du kannst hier übernachten«, und er hieß ihn, an den Tisch zu kommen und zu essen. Der kleine Peter setzte sich an den Tisch, nahm die Kalbshaut mit und legte sie unter seine Füße.

Als sie eine Weile dasaßen, fing er an, der Haut Tritte zu versetzen. »Was sagst du jetzt schon wieder? Kannst du nicht stillschweigen?« sagte der kleine Peter. — »Mit wem redest du denn?« fragte der Mann. »Ach, das ist eine Wahrsagerin, ich habe sie in der Kaibshaut«, gab Peter zur Antwort. »Was sagt sie denn?«wollte der Mann wissen. »Sie sagt, es stehe wohl eine Schüssel Rahmgrütze unter der Ofenbank«, sagte der kleine Peter. »Mit ihrer Wahrsagekunst ist es nicht weit her«, meinte der Mann, »hier ist seit Jahr und Tag keine Rahmgrütze mehr im Hause gewesen.« Aber Peter sagte, er möge doch nachsehen; das tat der Mann, und da fand er die Rahmgrütze. Nun fingen sie an, sich daran gütlich zu tun, und als sie mitten im Essen waren, gab Peter der Kalbshaut wieder einen Tritt. »Bst«, sagte er, »kannst du denn gar nicht den Mund halten?« — »Was sagt die Wahrsagerin denn?«fragte der Mann. »Sie sagt, es stehe wahrscheinlich Bier und Branntwein unter der Kellertreppe«, gab Peter zur Antwort. »Und wenn sie noch niemals falsch prophezeit hat - diesmal stimmt's sicher nicht«, sagte der Mann, »Bier und Branntwein?



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Das haben wir überhaupt nie im Haus gehabt.« — »Sieh nur nach!« sagte Peter. Der Mann tat es, fand die Getränke und freute sich sehr darüber.

»Wie hoch hast du die Wahrsagerin bezahlt? Die möchte ich haben, du magst verlangen dafür, was du willst!« sagte der Mann. »Ich habe sie von meinem Vater geerbt und nicht für besonders wertvoll gehalten«, gab Peter zurück. »Freilich habe ich keine große Lust, sie herzugeben, aber schließlich kannst du sie haben, wenn du mir die alte Kiste geben willst, die da in der guten Stube steht.« —»Aber der Schlüssel dazu ist verloren!« schrie die Bäuerin. »Ich nehme sie auch ohne Schlüssel«, meinte Peter; und er einigte sich mit dem Bauern rasch über den Handel. Peter bekam einen Strick statt des Schlüssels, und der Mann half ihm noch die Kiste auf den Rücken laden. Dann trottete er mit ihr davon. Als

er eine Weile gegangen war, kam er auf eine Brücke; darunter lief ein reißender Strom, der schäumte, gurgelte und toste, daß die Brücke nur so bebte. »Der Branntwein! Der Branntwein!« sagte Peter. »Ich merke schon, ich habe davon zu reichlich genommen! Warum sollte ich denn die Kiste hinter mir herschleppen? Wäre ich nicht betrunken und närrisch gewesen, hätte ich sie gewiß nicht gegen die Wahrsagerin eingetauscht. Jetzt die Kiste in den Fluß, und zwar schnell!«Er fing an, den Strick loszumachen. »O weh, laß mich um Gottes willen heraus! Ich bin der Priester vom hiesigen Pfarrhof, den du in deiner Kiste hast«, schrie der in der Kiste. »Das wird wohl der Teufel selber sein, der mir weismachen will, er sei Priester geworden«, sagte der kleine Peter, »aber ob er sich nun als Priester oder Küster ausgibt, in den Fluß muß er doch!«

Darauf rief der Priester: »Ach nein, ach nein, ich bin wirklich der Gemeindepriester, ich war zur Seelsorge bei der Bäuerin. Der Bauer ist böse und wild, drum mußte sie mich in der Kiste verstecken. Ich habe eine silberne Uhr bei mir und eine goldene Uhr, die sollst du haben und achthundert Taler dazu. Laß mich bloß heraus!« Darauf meinte Peter: »Nein, nein, seid ihr es wirklich?«Er nahm einen Stein und schlug den Deckel der Kiste in Stücke, der Priester kroch heraus, rannte eilig und leichtfüßig heim nach dem Pfarrhof, denn seine Uhren und sein Geld drückten ihn nun nicht länger.



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Der kleine Peter ging nun selber auch nach Hause und sagte zum großen Peter: »Heute stehen die Kalbshäute hoch im Preis auf dem Markt.« —»Was hast du denn für das jämmerliche Fell bekommen?« fragte der große Peter. »Gerade so jämmerlich, wie es war«, sagte der kleine Peter darauf, »habe ich achthundert Taler dafür bekommen; aber die Haut von größeren und fetteren Kälbern gilt das Doppelte«, sagte der kleine Peter und zeigte das Gold vor. »Das ist schön, daß du mir das sagst«, sagte der große Peter. Er brachte alle seine Kälber und Kühe um und ging mit den Fellen in die Stadt. Als er auf den Markt kam und die Gerber ihn fragten, was er für die Felle wollte, sagte er: »Achthundert für die kleinen und für die großen im Verhältnis mehr.«Aber die Leute lachten nur, hielten ihn zum Narren und sagten, er brauche es nicht gerade so anzufangen, er könne auch billiger ins Tollhaus kommen; da merkte er, wie alles gelaufen war und daß der kleine Peter ihm einen Streich gespielt hatte. Als

er wieder nach Hause kam, war er wenig froh, sondern schwor und fluchte, er wolle in der Nacht den kleinen Peter umbringen. Der kleine Peter stand da, hörte alles, und als er sich mit seiner Mutter ins Bett gelegt hatte und es Abend wurde, bat er seine Mutter, ihm ihren Platz zu lassen, er friere so sehr und an der Wand sei es wärmer. Die Mutter tauschte den Platz. Bald darauf kam der große Peter mit einem Beil in der Hand, schlich sich zu dem Bette hin und hieb mit einem Schlag der Mutter den Kopf ab. Am

folgenden Morgen ging der kleine Peter zum großen Peter hinein. »Gott tröste und bessere dich, du hast unsere Mutter umgebracht«, sagte er, »der Henker wird es nicht richtig finden, daß du ihr auf diese Art das Leibgedinge auszahlst. Da bekam es der große Peter gewaltig mit der Angst und bat den kleinen Peter, er solle um Gottes willen nichts sagen. Wenn er aber stillschweigen wolle, bekäme er achthundert Taler. Der kleine Peter strich das Geld ein, setzte seiner Mutter den Kopf wieder an, legte sie auf einen Karren und fuhr mit ihr auf den Markt. Dort setzte er sie hin und gab ihr einen Korb mit Äpfeln an jeden Arm und einen Apfel in jede Hand. Ein Schiffer kam des Weges daher, der hielt sie für eine Marktfrau und fragte, was die Äpfel kosten sollten. Aber die Alte gab keine



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Antwort. Der Schiffer fragte noch einmal. Sie gab wieder keine Antwort. »Wieviel Apfel bekomme ich für den Schilling?« schrie er zum drittenmal, aber die Frau saß da, als ob sie ihn nicht sehe und höre. Da geriet der Schiffer in Zorn und gab ihr eine Ohrfeige, daß ihr der Kopf über den Markt rollte. In dem Augenblick kam der kleine Peter gerannt; er jammerte und drohte dem Schiffer, er werde ihn ins Unglück bringen, weil er ihm seine alte Mutter umgebracht habe. »Lieber Freund, sei nur still und sag nicht, was du weißt, dann will ich dir achthundert Taler geben«, sagte der Schiffer, und so wurden sie einig.

Als der kleine Peter wieder nach Hause kam, sagte er zum großen Peter: »Alte Weiber stehen heute hoch im Preis auf dem Markt; ich habe für unsere Mutter achthundert Taler bekommen«, und er zeigte ihm das Geld. »Das ist recht, daß du mich das wissen läßt«, sagte der große Peter. Er hatte eine alte Schwiegermutter, die brachte er um und zog aus, um sie zu verkaufen. Aber als die Leute hörten, daß er eine Tote feilbot, wollten sie ihn ins Gefängnis stecken, und er konnte nur mit genauer Not entkommen. Als der große Peter nun wieder nach Hause kam, war er derart voller Wut auf den kleinen Peter, daß er drohte, ihn ohne Gnade und Barmherzigkeit sofort auf der Stelle umzubringen. »Ja, ja, diesen Weg müssen wir ja alle gehen, und zwischen heute und morgen ist nur die Nacht. Aber wenn ich jetzt dran glauben muß, habe ich nur noch eine Bitte an dich: steck mich in den Sack, der hier hängt, und trag mich an den Fluß!« sagte der kleine Peter, und der große hatte nichts dagegen. Er stopfte ihn in den Sack und machte sich so auf den Weg. Aber als er kaum ein kleines Stück gegangen war, fiel ihm ein, daß er etwas vergessen hatte, das er rasch noch holen wollte. Inzwischen stellte er den Sack an den Straßenrand. Da kam ein Mann des Wegs mit einer großen ansehnlichen Schafherde.

»Ins Himmelreich! Ins Paradies!
Ins Himmelreich! Ins Paradies!«

rief da der kleine Peter im Sack, und die ganze Zeit über summte und brummte er diese Worte weiter. »Darf ich nicht auch mit?«fragte



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ihn der mit der Schafherde. »Ja, wenn du den Sack aufbinden und statt meiner selbst hineinkriechen willst, dann kannst du auch hinkommen«, antwortete der kleine Peter, »ich kann gut warten auf ein andermal. Aber du mußt immer rufen, wie ich gerufen habe, sonst kommst du nicht an den rechten Ort!«Der Mann band den Sack auf und setzte sich an die Stelle des kleinen Peters. Peter band den Sack wieder zu, und der Mann fing an zu rufen:
»Ins Himmelreich! Ins Paradies!
Ins Himmelreich! Ins Paradies!«


***
und sagte immerzu den Spruch vor sich hin. Nachdem Peter ihn glücklich im Sack untergebracht hatte, zog er rasch mit der Herde davon und machte einen weiten Umweg.

Indessen kam der große Peter wieder, nahm den Sack auf den Rücken und trug ihn an den Fluß, und während er ging, saß der Schafbauer drinnen und rief immerzu:

»Ins Himmelreich! Ins Paradies!«


***
»Ja, ja, versuch nur selber, ob du den Weg findest!« sagte der große Peter und warf ihn ins Wasser.

Nachdem der große Peter das getan hatte und wieder heimwärts ging, kam ihm sein kleiner Bruder entgegen, der die Schafherde vor sich hertrieb. Der große Peter wunderte sich sehr und fragte, wie denn der kleine Peter wieder aus dem Fluß herausgekommen sei und wo er die schöne Schafherde aufgelesen habe. »Das war ein brüderlicher Freundschaftsdienst von dir, daß du mich ins Wasser geworfen hast«, sagte darauf der kleine Peter. »Ich bin gleich auf den Grund gesunken wie ein Stein, und da sah ich viele Schafherden, das kannst du mir glauben. Da drunten gehen sie zu Tausenden, die eine Herde schöner als die andere. Und hier kannst du gleich sehen: prächtige Wolle haben sie!« Der große Peter antwortete ihm: »Das ist schön von dir, daß du mir das erzählst«; er lief heim zu seiner Frau, nahm sie mit ans Ufer des Flusses, kroch in einen Sack und ließ sie den Sack eiligst zubinden und über eine Brücke ins Wasser werfen. »Ich will



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eine Schafherde holen; aber sollte ich zu lange da unten bleiben, so ist es nur, weil ich mit der Herde nicht zurechtkomme. Dann mußt du auch ins Wasser springen und mir helfen«, sagte der große Peter.

»Ja, bleib nur nicht so lange aus, ich warte so sehr auf die Schafe«, gab die Frau zur Antwort. Sie blieb stehen und wartete eine Weile, aber schließlich dachte sie, ihr Mann könne wohl die Schafherde nicht richtig zusammentreiben, und sprang selbst auch ins Wasser. Nun war der kleine Peter sie alle los, erbte Haus und Hof, Pferde und Einrichtung und hatte selber Geld genug, um sich Rinder dazuzukaufen.


Der Pfannenkuchen

Es war einmal eine Frau, die hatte sieben hungrige Kinder, und denen backte sie einen Pfannenkuchen. Es war ein Milchteigkuchen, und er lag in der Pfanne, ging dick und behäbig auf, und die Kinder standen ringsherum, und der Großvater saß dabei und sah zu.

»Ach, laß mich ein bißchen vom Pfannenkuchen bekommen, Mutter, ich bin so hungrig«, sagte das eine Kind.

»Ach, liebe Mutter«, sagte das zweite.
»Ach, liebe, süße Mutter«, sagte das dritte.
»Ach, liebe, süße, gute Mutter«, sagte das vierte.
»Ach, liebe, schöne, süße, gute Mutter«, sagte das fünfte.
»Ach, liebe, schöne, süße, nette, gute Mutter«, sagte das sechste.

»Ach, liebe, schöne, süße, nette, gute, goldige Mutter«, sagte das siebente, und so baten sie alle um Pfannenkuchen, eins immer noch schöner als das andere, denn sie waren sehr hungrig und so artig.

»Ja, Kinder, wartet nur, bis er sich umdreht«, sagte die Mutter -bis ich ihn umgedreht habe, hätte sie sagen sollen -, »dann werdet ihr alle Pfannenkuchen bekommen; seht nur, wie dick und zufrieden er daliegt.«

Als der Pfannenkuchen das hörte, bekam er's mit der Angst, und plötzlich drehte er sich von selber um und wollte aus der Pfanne heraus; er fiel aber wieder auf die andere Seite, und als er sich auf der anderen Seite auch ein bißchen gebacken hatte, so daß sein Leib fester



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wurde, hüpfte er auf den Fußboden herunter und rollte wie ein Rad zur Tür hinaus und den Weg entlang.

»Heißa!« lief die Frau hinterher mit der Pfanne in der einen Hand und dem Kochlöffel in der anderen, so rasch sie konnte, und die Kinder ihr nach, und zuletzt kam noch der Großvater nachgehumpelt.

»Hei, willst du wohl warten! Packt ihn, faßt ihn, heißa!« schrien sie durcheinander und wollten ihn im Sprung einholen und wieder einfangen. Aber der Pfannenkuchen rollte und rollte, und im Nu war er soweit weg, daß sie ihn nicht mehr sehen konnten, denn der Pfannenkuchen war flinker zu Fuß als sie alle zusammen.

Als er eine Weile gerollt war, begegnete er einem Mann.

»Guten Tag, Pfannenkuchen«, sagte der Mann.

»Grüß Gott, Mann Brann«, sagte der Pfannenkuchen.

»Mein lieber Pfannenkuchen, rot! nicht so schnell, warte doch ein wenig und laß mich dich aufessen«, sagte der Mann.

»Wenn ich schon der Frau Grau, dem Großvater und den sieben Schreihälsen davongelaufen bin, dann kann ich dir wohl auch davonlaufen, Mann Brann«, sagte der Pfannenkuchen und rollte und rollte, bis er einem Huhn begegnete.

»Guten Tag, Pfannenkuchen«, sagte die Henne.

»Guten Tag, Henne Penne«, sagte der Pfannenkuchen. »Mein lieber Pfannenkuchen, roll nicht so schnell, warte ein wenig und laß mich dich aufessen«, sagte die Henne.

»Wenn ich schon der Frau Grau, dem Großvater und den sieben Schreihälsen und dem Mann Brann davongelaufen bin, dann kann ich dir wohl auch davonlaufen, Henne Penne«, sagte der Pfannenkuchen und rollte wie ein Rad den Weg entlang weiter. Da begegnete er einem Hahn.

»Guten Tag, Pfannenkuchen«, sagte der Hahn.

»Guten Tag, Hahn Pahn«, sagte der Pfannenkuchen.

»Mein lieber Pfannenkuchen, roll nicht so schnell, warte ein wenig und laß mich dich aufessen«, sagte der Hahn.

»Wenn ich schon der Frau Grau, dem Großvater und den sieben Schreihälsen, dem Mann Brann und der Henne Penne davongelaufen bin, dann kann ich dir wohl auch davonlaufen, Hahn Pahn«,



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sagte der Pfannenkuchen und rollte und rollte weiter, so schnell er nur konnte. Als er eine lange Weile gerollt war, begegnete er einer Ente.

»Guten Tag, Pfannenkuchen«, sagte die Ente.

»Guten Tag, Ente Wente«, sagte der Pfannenkuchen.

»Mein lieber Pfannenkuchen, roh nicht so schnell, warte ein wenig und laß mich dich aufessen«, sagte die Ente.

»Wenn ich schon der Frau Grau, dem Großvater und den sieben Schreihälsen, dem Mann Brann, der Henne Penne und dem Hahn Pahn davongelaufen bin, dann kann ich dir wohl auch davonlaufen, Ente Wente«, sagte der Pfannenkuchen und rollte weiter, so schnell er nur konnte. Als er eine lange, lange Weile gerollt war, begegnete er einer Gans.

»Guten Tag, Pfannenkuchen«, sagte die Gans.

»Guten Tag, Gans Wans«, sagte der Pfannenkuchen.

»Mein lieber Pfannenkuchen, roll nicht so schnell, sondern warte ein wenig und laß mich dich aufessen«, sagte die Gans.

»Wenn ich schon der Frau Grau, dem Großvater und den sieben Schreihälsen, dem Mann Brann, der Henne Penne, dem Hahn Pahn und der Ente Wente davongelaufen bin, dann kann ich dir wohl auch davonlaufen, Gans Wans«, sagte der Pfannenkuchen und rollte wieder los.

Als er wieder eine lange, lange Weile gerollt war, begegnete er einem Gänserich.

»Guten Tag, Pfannenkuchen«, sagte der Gänserich.

»Guten Tag, Gänserich Wänserich«, sagte der Pfannenkuchen.

»Mein lieber Pfannenkuchen, roll nicht so schnell, warte ein wenig und laß mich dich aufessen«, sagte der Gänserich.

»Wenn ich schon der Frau Grau, dem Großvater und den sieben Schreihälsen, dem Mann Brann, der Henne Penne, dem Hahn Pahn, der Ente Wente und der Gans Wans davongelaufen bin, dann kann ich dir wohl auch davonlaufen, Gänserich Wänserich«, sagte der Pfannenkuchen und rollte und rollte weiter.

Als er eine lange, lange Weile gerollt war, begegnete er einem Schwein.

»Guten Tag, Pfannenkuchen«, sagte das Schwein.



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»Guten Tag, Schwein Schinkenbein«, sagte der Pfannenkuchen und rollte und rollte weiter, so schnell er nur konnte.

»Nein, warte ein wenig«, sagte das Schwein, »du brauchst dich nicht so zu hetzen, wir beide können ganz gemächlich zusammen durch den Wald gehen, dort soll es nicht ganz geheuer sein«, sagte es. Der Pfannenkuchen meinte, daran könne schon was sein, also hielten sie es so. Als sie eine Weile gegangen waren, kamen sie an einen Bach. Das Schwein schwamm obenauf, weil es so fett war, ihm machte es keine Schwierigkeiten; aber der Pfannenkuchen konnte nicht hinüberkommen.

»Setze dich auf meinen Rüssel«, sagte da das Schwein, »so will ich dich hinüberfrachten.« Der Pfannenkuchen tat es.

»Nöff-uff!« sagte das Schwein und fraß den Pfannenkuchen mit einem Haps auf; und weil der Pfannenkuchen nicht weiter kam, hört hier die Geschichte auf.


Der Bursche und der Teufel

Es war einmal ein junger Bursche, der ging auf einem Weg und knackte Nüsse. Da fand er eine wurmstichige darunter, und im selben Augenblick begegnete ihm der Teufel. »Ist es wahr«, fragte der Bursche, »was die Leute sagen, daß der Teufel sich so klein machen kann, wie er will, und sich auch durch ein Nadelloch zwängen?«

»Ja!« antwortete der Teufel.

»Ach, laß mich's mal sehen und krieche in diese Nuß!« sagte der Bursche, und der Teufel tat's auch.

Als er nun durch das Wurmloch gekrochen war, schlug der Bursche rasch einen Pflock hinein. »Nun habe ich dich«, sagte er vergnügt und steckte die Nuß in die Tasche.

Als er ein Stück weitergegangen war, kam er zu einer Schmiede. Er ging hinein und bat den Schmied, er möge ihm doch die Nuß entzweischlagen.

»Ja, das ist doch nur eine Kleinigkeit«, meinte der Schmied und nahm seinen kleinsten Hammer, legte die Nuß auf den Amboß und



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schlug zu; sie wollte aber nicht entzweigehen. Da nahm er einen etwas größeren Hammer, aber der war auch nicht schwer genug. Der Schmied wurde wütend und nahm den großen Vorschlaghammer.

»Ich werde dich schon kleinkriegen!« —sagte er und schlug aus Leibeskräften zu. Da ging die Nuß in tausend Stücke, das halbe Schmiededach flog in die Luft, und es krachte, als ob die Hütte selber gar einstürzen wollte.

»Ich meine gar, da war der Teufel selber in der Nuß!« sagte der Schmied.

»Ja, das war er auch«, antwortete der Bursche.


Weshalb der Fuchs eine weiße Schwanzspitze hat

Es war einmal eine Bauersfrau, die machte sich auf den Weg, um einen Hirten zu suchen. Da traf sie einen Bären. »Wohin geht es, Gevatterin?« fragt der Bär.

»Ich will mir einen Hirten suchen«, antwortet die Frau.

»Willst du nicht mich als Hirten haben?«

»Doch, wenn du nur imstande bist, das Vieh schön zu locken.«

»Ho - o!« ruft der Bär.

»Nein, dich kann ich nicht brauchen«, sagt die Frau. Ein Stück weiter trifft sie einen Wolf.

»Wohin geht es, Gevatterin?«fragt der Wolf.

»Ich will mir einen Hirten suchen«, antwortet die Frau.

»Willst du nicht mich als Hirten haben?«

»Doch, wenn du nur imstande bist, das Vieh schön zu locken.«

»Hu - u - u!« ruft der Wolf.

»Nein, dich kann ich nicht brauchen«, sagt die Frau. Ein Stück weitergegangen, trifft sie einen Fuchs.

»Wohin geht es, Gevatterin?«fragt der Fuchs.

»Ich will mir einen Hirten suchen«, antwortet die Frau.

»Willst du nicht mich als Hirten haben?«

»Doch, wenn du nur imstande bist, das Vieh schön zu locken.«

»Dill -dall -holon!« sagt der Fuchs so schön und fein, wie er nur konnte.



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»Ja, dich will ich gerne zum Hirten nehmen«, sagt die Frau. Und so setzt sie den Fuchs als Hüter über ihre Herde.

Am ersten Tag, als der Fuchs die Herde hütete, fraß er alle ihre Ziegen. Am zweiten Tag bereitete er allen Lämmern ein Ende, und am dritten machte er sich an ihre Kühe heran. Als er heimkam, fragte ihn die Frau, was mit ihrer Herde sei.

»Die Haut ist im Fluß, und der Rumpf ist im Wald«, sagte der Fuchs. Die Frau war gerade beim Buttern. Das aber schien ihr verdächtig, und sie lief davon, um nachzuschauen. Während sie fort war, schlüpfte der Fuchs in den Buttertrog und schleckte den ganzen Rahm auf. Wie die Frau nun zurückkam und den Fuchs im Bottich entdeckte, wurde sie so zornig, daß sie den Rest des Rahms nach dem Fuchs schleuderte. Sie traf aber nur die Schwanzspitze. Die ist seither weiß geblieben.


Das Wunderkästchen

Es war einmal ein kleiner Junge, der ging auf einem Weg. Als er ein Stück des Weges gegangen war, fand er ein Kästchen. »Es muß wohl etwas recht Merkwürdiges in dem Kästchen sein«, sagte er zu sich selbst. Aber wie er es auch wandte und drehte, er konnte es nicht aufkriegen. >Es ist bestimmt etwas recht Merkwürdiges darin<, dachte er.

Als er noch ein Stück gegangen war, fand er einen kleinen Schlüssel. Da wurde er müde und setzte sich nieder, und nun dachte er, daß es wohl spaßig wäre, wenn der Schlüssel zu dem Kästchen paßte, denn ein kleines Schlüsselloch hatte es auch. Er nahm also den kleinen Schlüssel aus seiner Tasche, zuerst blies er in den Schlüsselhals und dann in das Schlüsselloch. Dann steckte er den Schlüssel in das Schlüsselloch und drehte ihn um; »knacks!« sagte es im Schloß, und sowie er den Deckel anfaßte, war das Kästchen auf.

Könnt ihr wohl raten, was in dem Kästchen lag? — Ein Kalbschwänzchen lag darin. . . ein ganz ganz kleines; und wenn dieses Kalbschwänzchen länger gewesen wäre, könnte wohl auch das Märchen länger sein. So aber ist das Märchen nun aus und vorbei.



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Der Mann, der die Hauswirtschaft besorgen sollte

Es war einmal ein Mann, der war immerzu zornig und mürrisch, und die Frau tat ihm nie genug im Hause. Eines Abends in der Heuernte kam er nach Hause und murrte und murrte und schimpfte und fluchte, daß es nur so wetterte.

»Ach, lieber Mann«, sagte die Frau, »sei doch nicht so böse, morgen wollen wir mit der Arbeit tauschen: ich gehe mit den Schnittern auf die Wiese, und du kannst die Hauswirtschaft besorgen.«

Das war dem Manne schon recht, und er ging auch gleich darauf ein. Früh am nächsten Morgen nahm die Frau die Sense auf die Schulter und ging auf die Wiese, um zu mähen. Der Mann sollte nun den Haushalt besorgen. Zuerst wollte er Butter machen. Als er aber eine Weile gebuttert hatte, wurde er durstig und ging in den Keller, um sich einen Schluck Bier zu zapfen. Während er nun Bier in den Krug zapfte, hörte er plötzlich, daß das Schwein ins Haus gekommen war. So schnell er konnte, rannte er mit dem Zapfen in der Hand die Kellertreppe hinauf, damit das Schwein nicht das Butterfaß umkippte.

Als er aber sah, daß das Schwein das Butterfaß schon umgeworfen hatte und von dem Rahm schmatzte, der auf dem Fußboden schwamm, geriet er in eine so gewaltige Wut, daß er das Bierfaß ganz vergaß und wie wild hinter dem Schwein herrannte. An der Tür holte er es ein und versetzte ihm einen so kräftigen Fußtritt, daß es auf der Stelle liegenblieb. Nun fiel ihm ein, daß er immer noch mit dem Bierzapfen in der Hand herumlief; als er schließlich in den Keller kam, war das Bierfaß leer.

Darauf ging er in die Milchkammer und fand dort so viel Rahm, daß er das Butterfaß wieder voll kriegte, und er fing von neuem an zu buttern; denn Butter wollte er zum Mittag haben. Nachdem er eine Weile gebuttert hatte, fiel ihm ein, daß die Milchkuh noch im Stall stand und noch nichts zu saufen und zu fressen bekommen hatte, obwohl es doch hoch am Tage war. Sie nach der Koppel zu führen schien ihm zu weit, er wollte sie lieber aufs Dach lassen; das Haus hatte nämlich ein Rasendach, auf dem hohes üppiges Gras stand. Das Haus lag an einem steilen Abhang, und er traute sich schon zu,



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die Kuh hinaufzubringen, wenn er von oben her eine Planke aufs Dach legte. Das Butterfaß durfte er aber auch nicht stehenlassen, denn sein kleines Kind kroch und krabbelte auf dem Fußboden herum und konnte es leicht umstoßen. Darum nahm er das Butterfaß auf den Rücken. Bevor er aber die Kuh aufs Dach ließ, wollte er ihr noch zu saufen geben. Er nahm also einen Eimer und wollte damit Wasser vom Brunnen holen; als er sich über den Brunnenrand beugte, strömte der Rahm aus dem Butterfaß und lief ihm den Nacken hinunter.

Es ging gleich auf Mittag, und Butter hatte er noch nicht. Da nahm er sich vor, Grütze zu kochen, und hängte deshalb einen Kessel mit Wasser übers Feuer. Als er das getan hatte, kam er auf den Gedanken, daß die Kuh vom Dach herunterstürzen und Hals und Beine brechen könne. Er stieg also aufs Dach, um sie festzubinden. Das eine Ende vom Strick band er der Kuh um den Hals, das andere ließ er durch den Schornstein hinunter und band es sich selber um den Schenkel, denn das Wasser kochte schon im Kessel, und er mußte die Grütze hineinrühren. Während er damit beschäftigt war, fiel die Kuh vom Dach herunter und zog den Mann am Strick durch den Schornstein hinauf. Da saß er nun fest, und die Kuh hing draußen an der Wand zwischen Himmel und Erde und konnte auch nicht loskommen.

Die Frau hatte schon eine Ewigkeit darauf gewartet, daß der Mann sie zum Mittagessen rufen sollte, aber immer vergebens. Schließlich dauerte es ihr zu lange, und sie ging nach Hause. Als sie sah, in welcher Gefahr sich die Kuh befand, ging sie hin und hieb den Strick mit der Sense durch. Im selben Augenblick fiel der Mann durch den Schornstein hinunter, und als die Frau in die Küche kam, stand er auf dem Kopf im Grützkessel.


Die wohlhabenden Leute

Es war einmal ein Bursche, der ging aufs Freien aus. Unter anderem kam er auch zu einem Hof, wo die Leute in großer Armut lebten. Als aber der Freier kam, wollten sie gern wohlhabend scheinen, das



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versteht sich von selber. — Der Mann hatte einen neuen Ärmel in seine Jacke bekommen. »Nimm Platz!« sagte er zum Freier. »Aber hier ist es überall so staubig!« Damit ging er umher und putzte und wischte mit seinem neuen Jackenärmel auf Bänken und Tischen herum. Den anderen Arm hielt er auf dem Rücken.

Die Frau hatte einen neuen Schuh bekommen. Damit hüpfte sie überall umher und schob Schemel und Stühle beiseite. »Es liegt so viel herum«, sagte sie, »es sieht hier so unordentlich aus!«

Dann riefen sie die Tochter, sie möge hereinkommen und aufräumen. Die hatte eine neue Mütze bekommen; deshalb steckte sie den Kopf zur Tür herein und nickte nach allen Seiten. »Ich kann doch nicht überall zugleich sein!« sagte sie.

Ja, so ist es, da war der Freier also wahrhaftig zu wohlhabenden Leuten gekommen.


Giske

Es war einmal ein Witwer, der hatte eine Haushälterin mit Namen Giske; sie wollte ihn gern zum Manne haben und bedrängte ihn ständig, daß er sie heiraten solle. Zuletzt hatte der Mann es so satt, daß er nicht wußte, was er anstellen solle, um sie loszuwerden.

Nun war es um die Zeit, da der Hanf reif war, die Heuernte war schon vorbei, und bald würde das Korn an die Reihe kommen. Zuerst sollte aber der Hanf gerupft werden. Giske meinte immer, sie sei sehr schön und auch-sehr tüchtig, und rupfte nun den Hanf so lange, bis ihr von dem strengen Geruch schwindlig wurde und sie umfiel. Da blieb sie nun auf dem Hanffeld in festem Schlaf liegen. Während sie schlief, kam der Mann mit einer Schere und schnitt ihr den Rock ab, dann schmierte er sie erst mit Talg und danach mit Ruß aus dem Schornstein ein, so daß sie schlimmer aussah als der Teufel selber.

Als Giske erwachte und sah, wie häßlich sie war, erkannte sie sich selbst nicht mehr wieder. »Bin ich es wirklich?«fragte sich Giske.

»Nein, ich kann es nicht sein, denn so häßlich bin ich doch nie gewesen, es muß der leibhaftige Teufel sein.«

Sie wollte wissen, wie das zusammenhing, ging hin und fragte ihren



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Hausherrn durch den Türspalt: »Ist eure Giske zu Hause, mein Herr?«

»Gott, ja, die Giske ist zu Hause«, sagte der Mann, denn er wollte sie gern loswerden.

>Ach, so kann ich also nicht die Giske sein<, dachte sie, und machte sich schleunigst davon, und der Mann war froh, daß sie fort war. Als sie ein Stück gegangen war, kam sie in einen großen Wald; dort begegneten ihr zwei Diebe. >Denen kann ich mich ja anschließen<, dachte Giske; >denn weil ich nun einmal der Teufel bin, ist eine Diebesbande wohl gerade die rechte Gesellschaft für mich.<

Die Diebe dachten aber nicht so. Als sie Giske erblickten, machten sie sich aus dem Staub, so schnell sie nur konnten, denn sie glaubten, der Böse selbst sei hinter ihnen her und wolle sie holen. Das half ihnen freilich nicht viel, denn Giske hatte lange Beine und war flink zu Fuß, und schon hatte sie die beiden eingeholt.

»Wollt ihr stehlen, dann gehe ich mit und helfe euch«, sagte Giske, »denn ich weiß hier gut Bescheid.«

Als die Diebe das hörten, meinten sie, das sei eine gute Gesellschaft und hatten gar keine Angst mehr.

Sie hätten vor, ein Schaf zu stehlen, sagten sie, sie wüßten aber nicht recht, wo sie eins fassen sollten.

»Ach, das ist doch nicht schwer«, sagte Giske; »denn ich habe bei einem Bauern dort hinten im Walde lange gedient und würde den Schafstall auch im Finstern leicht finden.«

Das fanden die Diebe vortrefflich; und als sie ans Ziel kamen, sollte Giske in den Schafstall gehen und das Schaf herauslangen, sie selber wollten es draußen in Empfang nehmen. Der Schafstall lag dicht bei der Stube, wo der Mann schlief, und Giske ging darum ziemlich still und vorsichtig in den Stall hinein; als sie aber erst drinnen war, rief sie zu den Dieben hinaus: »Wollt ihr einen Bock oder ein Mutterschaf haben? Hier ist große Auswahl!«

»Scht, scht!« sagten die Diebe, »nimm nur was recht Fettes.«

»Ja, aber wollt ihr einen Bock oder ein Mutterschaf? Hier ist alles in Hülle und Fülle!« schrie Giske.

»So schweig doch still!« sagten die Diebe, »nimm nur etwas recht Fettes, dann ist es einerlei, ob es ein Bock oder ein Mutterschaf ist.«



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»Ja, aber wollt ihr einen Bock oder ein Mutterschaf? Wollt ihr einen Bock oder ein Mutterschaf? Hier ist alles in Hülle und Fülle!« fuhr Giske hartnäckig fort.

»So halt doch dein Maul, und nimm nur was recht Fettes, sei es ein Bock oder ein Mutterschaf«, sagten die Diebe.

Indessen wurde der Mann in der Stube von dem Gebrüll wach und kam im bloßen Hemd heraus, um zu sehen, was los war. Die Diebe nahmen Reißaus, und Giske lief hinter ihnen her, wobei sie den Mann über den Haufen rannte.

»Wartet doch, Kerle! Wartet doch, Kerle!« schrie sie.

Der Mann, der nichts weiter als das schwarze Biest gesehen hatte, erschrak derart, daß er fast nicht wieder aufzustehen wagte, denn er glaubte, der Teufel selber sei im Schafstall gewesen. Er wußte sich keinen anderen Rat mehr, ging ins Haus, weckte alle seine Leute und fing mit ihnen an, in der Schrift zu lesen und zu beten, denn er hatte gehört, daß man so den Teufel austreiben könne.

Der nächste Abend kam. Die Diebe wollten nun eine fette Gans stehlen, und Giske sollte ihnen den Weg zeigen. Als sie zum Gänsestall kamen, sollte Giske hineingehen und herausreichen, denn sie wußte Bescheid, und die Diebe wollten die Gans in Empfang nehmen.

»Wollt ihr eine Gans oder einen Gänserich? Hier ist alles in Hülle und Fülle!« schrie Giske, als sie in den Gänsestall gekommen war. »Scht, seht! Nimm nur ein recht schweres Ding!« sagten die Diebe.

»Ja, aber wollt ihr eine Gans oder einen Gänserich? Hier ist alles in Hülle und Fülle!« rief Giske.

»Still, still! Nimm nur ein recht schweres Ding, dann ist es einerlei, ob es eine Gans oder ein Gänserich ist; und halt deine Schnauze!« sagten sie.

Während nun Giske und die Diebe hin und her schimpften, fing eine von den Gänsen an zu schreien, dann noch eine, und bald schrien sie alle aus vollem Halse. Der Mann kam herausgeeilt, um zu sehen, was los war; die Diebe liefen auf und davon, so schnell sie nur konnten, und Giske raste hinter ihnen her, so daß der Bauer glaubte, es sei der schwarze Teufel selber; denn langbeinig war sie, und sie wurde durch keinen Rock aufgehalten.



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»Wartet doch ein bißchen, Kerle!«schrie Giske, »ihr könnt ja haben, was ihr wollt, eine Gans oder einen Gänserich.«

Sie hatten es aber zu eilig; und auf dem Hof, wo sie gewesen waren, fingen die Leute an zu beten, groß und klein, denn sie alle meinten bestimmt, der Teufel sei dagewesen.

Am dritten Tag, als es spät wurde, waren die Diebe und Giske so hungrig, daß sie sich nicht zu helfen wußten. Sie kamen auf den Gedanken, ins Vorratshaus eines reichen Bauern zu gehen, der am Waldrand wohnte, und sich dort etwas zu essen zu stehlen. Sie gingen also hin; aber weil die Diebe es nicht wagten, sollte Giske in das Vorratshaus steigen, und sie wollten draußen stehen und die Eßwaren in Empfang nehmen.

Als nun Giske hinaufkam, war da reichlich Auswahl, Fleisch und Speck und Wurst und Erbsenbrot. Die Diebe hießen sie still sein und sagten, sie solle nur etwas zu essen herauswerfen; denn sie wüßte wohl gut, wie es ihnen an den beiden vorigen Abenden ergangen wäre. Aber Giske war immer noch dieselbe: »Wollt ihr Fleisch oder Speck oder Wurst oder Erbsenbrot?« schrie sie, daß es nur so schallte, »ihr könnt haben, was ihr wollt, denn hier ist alles in Hülle und Fülle, in Hülle und Fülle!«

Durch diesen Lärm war der Mann auf dem Hofe wach geworden, und kam nun heraus, um zu sehen, was los war. Die Diebe liefen davon, so schnell sie konnten. Auf einmal kam auch Giske in großen Sprüngen dahergerannt, genauso schwarz und scheußlich wie vorher. »Wartet doch, wartet doch, Kerle!«schrie sie, »ihr könnt haben, was ihr wollt, denn hier ist alles in Hülle und Fülle!« Als der Mann das garstige Ungeheuer sah, glaubte er ebenfalls, der Teufel sei los, denn er hatte schon gehört, was an den beiden vorigen Abenden geschehen war. Er fing an zu beten, und dasselbe taten sie auf allen Höfen in der ganzen Gegend, denn sie wußten, daß man so den Teufel austreiben konnte.

Am Samstagabend wollten die Diebe einen fetten Ziegenbock als Festmahl für den Sonntag stehlen, und sie mußten es wohl auch nötig haben, denn sie hatten nun schon seit mehreren Tagen gehungert. Diesmal wollten sie aber nicht Giske mitnehmen; sie mache nur Lärm und richte Unheil an mit ihrem Maulwerk, sagten sie.



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Während nun Giske am Sonntagmorgen auf sie wartete, bekam sie selber einen entsetzlichen Hunger; denn drei Tage lang hatte auch sie wenig zu beißen gehabt. Darum ging sie auf ein Rübenfeld, zog einige Rüben aus und aß sie auf.

Als der Bauer, dem das Rübenfeld gehörte, aufgestanden war, fühlte er sich unruhig und mußte unbedingt rasch hinaus, um nach seinem Rübenfeld zu sehen, obwohl es doch Sonntag war. Also zog er seine Hose an und ging auf das Moor zu, das kurz vor dem höher gelegenen Rübenfeld lag. Als er so weit gekommen war, sah er etwas Schwarzes, das in seinem Rübenfeld herumwühlte, und sofort glaubte er auch, es sei der Teufel. Er sah zu, daß er nach Hause kam, so rasch er nur konnte, und erzählte, der Teufel sei in dem Rübenfeld. Die Leute auf dem Hof wurden fast von Sinnen, als sie das hörten; sie meinten aber, es sei das beste, nach dem Pfarrer zu schicken, damit er den Teufel binden könne.

»Nein, das geht nicht an«, sagte die Frau, »heute, am Sonntagmorgen, zum Pfarrer zu gehen; er steht nicht so früh auf, und wenn er schon auf ist, muß er seine Predigt studieren.«

»Oh, ich verspreche ihm einen fetten Mastkalbsbraten, dann wird er schon kommen«, meinte der Mann.

Er machte sich auf den Weg zum Pfarrhof; aber als er dort ankam, war der Pfarrer noch nicht aufgestanden. Das Dienstmädchen hieß nun den Mann in die Stube eintreten und ging hinauf zum Pfarrer und sagte, der Bauer warte unten und wolle ihn sprechen. Als der Pfarrer hörte, daß ein so achtbarer Mann unten in der Stube saß, zog er sich eilends die Hose an und kam sofort in Pantoffeln und Nachtmütze nach unten.

Der Mann trug ihm sein Anliegen vor, daß der Teufel in seinem Rübenfeld los sei. Wenn nun der Pfarrer mitkommen wolle, würde er ihm gern einen fetten Mastkalbsbraten schicken.

Der Pfarrer war gar nicht abgeneigt, rief seinen Knecht und bat ihn, dem Pferd den Sattel aufzulegen, während er sich ankleidete.

»Nein, Hochwürden, das geht nicht«, sagte der Mann, »denn der Teufel hält sich wohl nicht lange auf, und wenn er erst einmal los ist, kann schwer einer wissen, wo man ihn später suchen soll. Du wirst schon auf der Stelle mitkommen müssen.«



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Der Pfarrer kam also mit, wie er ging und stand, mit Nachtmütze und Pantoffeln an. Als sie aber zum Moor kamen, war es so sumpfig, daß der Pfarrer in seinen Pantoffeln nicht hinübergehen konnte. Da nahm der Mann ihn auf den Rücken und wollte ihn hinübertragen. Zuerst trat er ganz vorsichtig auf Äste und Baumwurzeln; als sie aber bis in die Mitte gekommen waren, bemerkte Giske die beiden und dachte, es seien die Diebe, die mit dem Bock kämen.

»Ist er fett? Ist er fett? Ist er fett?« schrie sie, daß es im Walde nur so hallte.

»Weiß der Teufel, ob er fett oder mager ist«, sagte der Mann, wie er das hörte, »willst du es aber genau wissen, kannst du selbst kommen und urteilen«, sagte er; vor Schrecken warf er den Pfarrer mitten in die Moorbrühe hinein und lief davon. Und wenn der Pfarrer nicht wieder herausgekommen ist, liegt er wohl sicher noch dort.


Der Pfarrer und der Küster

Es war einmal ein Pfarrer, der war so ein Grobian, daß er von weitem, wenn ihm jemand auf der Landstraße entgegengefahren kam, zu schreien anfing: »Aus dem Weg, aus dem Weg! Hier kommt der Pfarrer persönlich!«

Einmal, als er daherfuhr und sich wieder so gebärdete, begegnete er dem König. »Aus dem Weg, aus dem Weg!« schrie er schon von weitem. Aber der König fuhr, wie es ihm paßte, und diesmal mußte der Pfarrer sein Pferd zur Seite führen, und als der König Seite an Seite mit ihm war, sagte er: »Morgen sollst du dich auf dem Königsschloß einfinden, und kannst du nicht drei Fragen beantworten, die ich dir stellen will, so sollst du wegen deines Hochmuts Rock und Kragen verlieren.«

Das war eine andere Art, als der Pfarrer gewohnt war. Schreien und Brüllen und sich schlimmer als schlimm gebärden, das konnte er wohl; aber Frage und Antwort war nicht seine Sache. Da ging er zum Küster, von dem gesagt wurde, daß er besser in den Priesterrock passe als der Pfarrer selbst. Zu dem sagte er, er habe keine Lust hinzugehen, »denn ein Narr kann mehr fragen, als zehn Weise antworten



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können«, sagte er, und so bekam er den Küster dazu, an seiner Stelle zu gehen.

Ja, der Küster ging und kam zum Königshof mit des Pfarrers Rock und Krause angetan. Der König empfing ihn auf dem Söller mit Krone und Zepter und war so prächtig, daß er nur so leuchtete und glitzerte. »Na, bist du da?« sagte der König. Ja, er sei da, allerdings. »Nun sag mir zuerst«, sagte der König, »wie weit ist es von Osten bis Westen?«

»Das ist eine Tagesreise«, antwortete der Küster.

»Wieso das?« sagte der König.

»Ja doch, die Sonne geht im Osten auf und im Westen unter, und das schafft sie gut in einem Tag«, sagte der Küster.

»Nun gut«, sagte der König. »Aber sag mir jetzt, wieviel meinst du wohl, daß ich wert bin, so wie du mich hier siehst?«

»Ach, Christus wurde auf dreißig Silberlinge geschätzt, da darf ich dich wohl nicht höher als neunundzwanzig einsetzen«, sagte der Küster.

»Na, na!« sagte der König. »Aber weil du nun in allen Dingen so klug bist, so sag mir, was ich jetzt denke?«

»Ach, du denkst wohl, es ist der Pfarrer, der vor dir steht, aber Gott straf' mich, wenn du dich da nicht irrst, denn es ist der Küster«, sagte er.

»Na, da sollst du doch gleich -nach Hause fahren, und sei du Pfarrer und laß ihn Küster werden«, sagte der König, und so geschah es auch.


Peter und Paul und Espen Aschenhans

Es war einmal ein Mann, der hatte drei Söhne, Peter und Paul und Espen Aschenhans; aber weiter als die drei Söhne hatte er auch nichts, denn er war so arm, daß er kein Hemd auf dem Leibe hatte, und deshalb sagte er oft und immer zu ihnen, sie sollten fort in die Welt gehen und zusehen, daß sie sich selber ihr Brot verdienten; denn zu Hause bei ihm würde es sowieso nichts anderes als den Hungertod geben.

Ein gutes Stück von seinem Häuschen entfernt lag das Königsschloß,



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und gerade vor den Fenstern des Königs war eine Eiche gewachsen, die war so groß und breit, daß sie das ganze Licht im Königsschloß wegnahm. Der König hatte demjenigen sehr viel Geld versprochen, der die Eiche fällen könnte; aber keiner war dazu imstande, denn sobald man nur einen Span vom Eichenbaum abgeschlagen hatte, wuchs gleich doppelt soviel wieder nach. Nun wollte der König auch einen Brunnen gegraben haben, der sollte das ganze Jahr Wasser geben; denn alle seine Nachbarn hatten einen Brunnen, nur er hatte keinen, und das, fand der König, sei doch eine Schande. Demjenigen, der einen solchen Brunnen graben konnte, daß er das ganze Jahr hindurch Wasser hielt, hatte der König Geld und andere Dinge versprochen. Es gab aber keinen, der es fertigkriegte, denn das Königsschloß lag hoch, hoch oben an einem Abhang, und kaum hatten sie ein paar Zoll tief in die Erde gegraben, da stießen sie auf den harten Felsen. Aber weil nun der König es sich in den Kopf gesetzt hatte, daß diese Arbeiten gemacht werden sollten, ließ er weit und breit auf allen Kirchplätzen ausrufen, daß derjenige, der die große Eiche auf dem Königshof fällen und ihm einen Brunnen verschaffen könnte, der das ganze Jahr hindurch Wasser hielt, die Königstochter und das halbe Reich dazu bekommen solle.

Es gab genug, die es versuchen wollten, das kann man sich denken; aber wie sie auch klopfen und hauen, wühlen und graben mochten, es half alles nichts; die Eiche wurde bei jedem Hieb immer dicker, und der Felsen wurde auch nicht weicher. Nach einiger Zeit wollten nun auch die drei Brüder los und ihr Glück versuchen. Damit war der Vater wohl zufrieden, denn bekämen sie nicht die Königstochter und das halbe Reich, so könnte es wohl sein, daß sie bei einem ehrbaren Manne in den Dienst kämen, dachte der Vater, und mehr wünschte er nicht. Als nun die Brüder andeuteten, daß sie zum Königshof wollten, sagte der Vater auf der Stelle ja, und Peter, Paul und Espen Aschenhans machten sich auf den Weg.

Als sie nun ein Stück gegangen waren, kamen sie an einen Waldabhang, und etwas weiter oben war ein steiler Hügel. Dort hörten sie etwas hauen und splittern oben auf dem Hügel.

»Ich bin wohl neugierig, was dort oben auf dem Hügel so haut«, sagte Espen Aschenhans.



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»Du bist immer so klug mit deiner Neugierde«, sagten der Peter und der Paul, »ist das ein Grund zum Wundern, daß dort auf dem Hügel ein Holzhacker steht und haut!«

»Es würde mir trotzdem Spaß machen zu sehen, was dort los ist«, sagte Espen Aschenhans und ging los.

»Nun ja, wenn du so ein Kind bist, dann wird es höchste Zeit, daß du laufen lernst!«riefen ihm die Brüder nach; aber Espen kümmerte sich nicht darum, sondern ging schnell den Berg hinauf, wo er das Hauen hörte, und als er dort ankam, sah er eine Axt, die dastand und ununterbrochen auf einen Kiefernstamm einhieb.

»Guten Tag!« sagte Espen Aschenhans, »was stehst du hier und haust?«

»Ja, nun stehe ich hier seit langer, langer Zeit und haue und warte auf dich«, antwortete die Axt.

»Nun ja, hier bin ich«, sagte Espen; er nahm die Axt, schlug sie vom Schaft und steckte Axt und Schaft in seinen Schnappsack.

Als er wieder zu seinen Brüdern herunterkam, lachten sie und machten sich lustig über ihn. »Was hast du denn für Merkwürdiges oben auf dem Hügel gesehen?« sagten sie.

»Ach, es war nur eine Axt, die wir hörten«, sagte Espen.

Als sie wieder eine Weile gegangen waren, kamen sie an eine Felsenkuppe; dort hörten sie etwas hacken und graben. »Ich bin neugierig, was unter diesem Felsen hackt und gräbt?« sagte Espen Aschenhans.

»Du bist immer so klug mit deiner Neugierde«, sagten Peter und Paul wieder, »hast du denn nie gehört, wie die Vögel an den Bäumen hacken und picken?«

»Ja, aber es würde mir doch Spaß machen, zu sehen, was es ist«, sagte Espen; und wie sie auch lachten und höhnten, er kümmerte sich nicht darum, sondern ging schnell zur Bergkuppe hinauf, und als er dort ankam, sah er eine Hacke dastehen und hacken und graben. »Guten Tag!« sagte Espen Aschenhans, »was stehst du hier und hackst und gräbst so ganz allein?«

»Ja, das tue ich«, sagte die Hacke, »nun stehe ich hier seit langer, langer Zeit und hacke und grabe und warte auf dich«, sagte sie.

»Nun ja, hier bin ich«, sagte Espen wieder; er nahm die Hacke und



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schlug sie vom Stiel, steckte sie in seinen Schnappsack, und so rannte er wieder zu seinen Brüdern hinunter.

»Es war wohl etwas besonders Merkwürdiges, das du oben an der Felsenkuppe gesehen hast?« sagten der Peter und der Paul.

»Ach, es war nichts weiter, es war nur eine Hacke, die wir hörten«, sagte Espen.

Dann gingen sie wieder ein gutes Stück zusammen, bis sie an einen Bach kamen; Durst hatten sie nun alle drei, weil sie so weit gegangen waren, und so legten sie sich nieder, um zu trinken.

»Ich bin wirklich neugierig, wo dieses Wasser herkommt«, sagte Espen Aschenhans.

»Ich bin neugierig, ob du richtig im Kopf bist«, sagten der Peter und der Paul. »Wenn du nicht schon verrückt bist, wirst du wohl so lange neugierig sein, bis du es wirklich bist. Wo der Bach herkommt? Hast du denn nie gesehen, wie das Wasser aus der Erde quillt?«

»Ja, aber ich hätte trotzdem Lust zu sehen, wo es herkommt«, sagte Espen; damit ging er an dem Bach aufwärts, und wie die Brüder ihn auch riefen und über ihn lachten, so half das alles nichts, er ging weiter.

Als er weit hinaufgekommen war, wurde der Bach immer kleiner, und als er noch ein Stück weiter kam, sah er eine große Walnuß liegen, aus der sickerte das Wasser heraus.

»Guten Tag!« sagte Espen wieder, »was liegst du hier und sickerst und rieselst so ganz allein?«

»Ja, das tue ich«, sagte die Walnuß. »Hier liege ich seit langer, langer Zeit und sickere und riesele und warte auf dich.«

»Nun ja, hier bin ich«, sagte Espen; er nahm ein Moosbüschel und stopfte es in das Loch, so daß das Wasser nicht heraus konnte, und damit legte er die Walnuß in den Schnappsack und rannte wieder herunter zu seinen Brüdern.

»Nun hast du wohl gesehen, wo das Wasser herkommt; es sah wohl sehr merkwürdig aus, kann ich mir denken«, höhnten der Peter und der Paul.

»Ach, es war bloß ein Loch, wo es herauslief«, sagte Espen, und da lachten die anderen und machten sich lustig über ihn; aber Espen Aschenhans kümmerte sich nicht darum.



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Als sie noch ein Stück gegangen waren, kamen sie zum Königsschloß. Aber da nun alle im ganzen Königreich gehört hatten, daß sie die Prinzessin und das halbe Reich gewinnen konnten, falls sie die große Eiche fällen und dem König einen Brunnen graben könnten, waren so viel gekommen, die ihr Glück versucht hatten, daß die Eiche jetzt doppelt so groß und dick war wie am Anfang; denn es wuchs zweimal soviel an, wie mit der Axt abgeschlagen wurde, wie du dich wohl erinnerst. Deshalb hatte nun der König die Strafe ausgesetzt, daß diejenigen, die versuchten, die Eiche zu fällen und es nicht konnten, auf eine Insel gesetzt und ihnen beide Ohren abgeschnitten werden sollten.

Aber die beiden Brüder ließen sich dadurch nicht abschrecken, sie meinten, sie würden die Eiche schon herunterkriegen, und Peter, der der älteste war, sollte es zuerst versuchen. Aber es ging ihm genau wie allen anderen, die an der Eiche gehauen hatten; denn für jeden Span, den er abschlug, wuchs zweimal soviel wieder nach, und so nahmen die Leute des Königs ihn und schnitten ihm beide Ohren ab und setzten ihn auf die Insel. Nun wollte Paul sich daranmachen, aber es ging ihm genauso; als er zwei bis drei Hiebe getan hatte und die Leute des Königs sahen, wie die Eiche dicker wurde, nahmen sie ihn auch und setzten ihn auf die Insel und schnitten ihm die Ohren noch dichter ab, denn sie meinten, er habe wohl lernen können, etwas vorsichtiger zu sein.

Nun wollte Espen Aschenhans sich daranmachen.

»Wenn du unbedingt so aussehen willst wie ein gezeichnetes Schaf, können wir dir gerne sofort die Ohren abschneiden, dann sparst du dir die Mühe«, sagte der König; er war ihm böse wegen seiner Brüder.

»Ich könnte schon Spaß daran haben, mich trotzdem zuerst mal zu versuchen«, sagte Espen; und das mußten sie ihm erlauben.

Er nahm seine Axt aus dem Schnappsack und steckte sie wieder auf den Schaft. »Hau selber!« sagte Espen zur Axt, und die fing an zu hauen, daß die Späne nur so flogen, und da dauerte es nicht lang, bis die Eiche herunter war. Nachdem das getan war, nahm Espen die Hacke vor und steckte sie auf den Stiel. »Grabe selber!« sagte Espen, und die Hacke fing an zu graben und zu wühlen, daß Erde



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und Steine nur so herumstoben, und da mußte es mit dem Brunnen schon etwas werden, wie ihr euch vorstellen könnt. Als er ihn so groß und tief bekommen hatte, wie er ihn haben wollte, nahm Espen Aschenhans seine Walnuß hervor und legte sie in eine Ecke auf den Grund; dann nahm er das Moosbüschel wieder heraus. »Sickere und riesele!«sagte Espen, und die Nuß fing an zu rieseln, daß das Wasser nur so aus dem Loch strömte, und nach einer Weile war der Brunnen bis zum Rande gefüllt.

Nun hatte Espen Aschenhans die Eiche umgehauen, die vor dem Fenster des Königs das Licht wegnahm, und einen Brunnen auf dem Königshof gegraben, und da bekam er auch die Prinzessin und das halbe Reich, wie der König gesagt hatte; und gut war es für Peter und Paul, daß sie ihre Ohren verloren hatten, denn sonst hätten sie zu jeder Zeit und Stunde hören können, was alle Leute sagten, daß Espen Aschenhans doch nicht zu Unrecht so neugierig gewesen war.


Aschenhans, der mit dem Troll um die Wette aß

Es war einmal ein Bauer, der hatte drei Söhne; er lebte in kleinen Verhältnissen und war alt und gebrechlich, und die Söhne wollten nichts Ordentliches anfangen. Zum Hof gehörte ein großer, schöner Wald, und der Vater wollte, daß die Burschen in diesem Wald Holz hauen sollten, damit sie etwas von den Schulden abzahlen könnten.

Endlich brachte er sie auch auf den Trab, und der Älteste sollte zuerst hinaus, um zu hauen. Als er in den Wald gekommen war und anfing, eine bärtige Fichte umzuhauen, kam plötzlich ein riesiger Troll auf ihn zu. »Falls du in meinem Walde haust, werde ich dich töten!« sagte der Troll. Als der Bursche das hörte, warf er die Axt weg und lief nach Hause, so schnell er konnte. Er kam völlig atemlos zu Hause an und erzählte, was ihm begegnet war. Aber der Vater sagte, er sei ein Hasenherz; als er jung war, hätte er sich nie durch die Trolle beim Hauen abschrecken lassen.

Am nächsten Tag sollte der zweite Sohn los, und da ging es genauso. Als er ein paar Hiebe an der Fichte gemacht hatte, kam der Troll auch zu ihm und sagte: »Falls du in meinem Walde haust, werde ich dich



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töten!« Der Bursche wagte kaum, ihn anzusehen, warf die Axt weg und machte sich aus dem Staub wie der Bruder und vielleicht gar noch schneller. Als er zu Hause ankam, wurde der Vater böse und sagte, er hätte sich nie durch die Trolle abschrecken lassen, als er jung war.

Am dritten Tag wollte Aschenhans sich aufmachen. »Ja du«, sagten die beiden Ältesten, »du wirst es wohl schaffen, der du noch nie vor der Stubentür gewesen bist!«

Aschenhans antwortete nicht viel darauf, sondern bat nur darum, tüchtig Proviant mitzukriegen. Die Mutter hatte kein Fleisch fertig und hängte den Kessel über das Feuer, um ihm etwas zu schmoren. Das bekam er in den Schnappsack und machte sich auf den Weg.

Als er eine Weile gehauen hatte, kam der Troll auf ihn zu und sagte:

»Falls du in meinem Walde haust, werde ich dich töten!«

Aber der Bursche war nicht faul, er lief hin und holte den Käse und quetschte ihn, daß die Molke nur so spritzte. »Wenn du nicht schweigst«, schrie er den Troll an, »werde ich dich drücken, wie ich das Wasser aus diesem weißen Stein drücke!«

»Nein, Bester, schone mich«, sagte der Troll, »ich will dir auch beim Hauen helfen.«

Ja, unter der Bedingung schonte der Bursche ihn, und der Troll war so tüchtig beim Hauen, daß sie an dem Tage viele Klafter fällten und zuschnitten.

Als es gegen Abend ging, sagte der Troll: »Nun kannst du mit mir nach Hause gehen, denn das ist näher als bis zu dir.«

Da ging der Bursche mit, und als sie in das Haus des Trolls kamen, wollte er auf dem Herd Feuer machen, während der Bursche Wasser für den Kessel holen sollte. Da standen aber zwei Eiseneimer, so groß und so schwer, daß er sie nicht einmal lüpfen konnte. Da sagte der Bursche: »Es ist nicht der Mühe wert, diese Fingerhüte mitzunehmen, ich gehe lieber hin und hole den ganzen Brunnen.«

»Nein, lieber Freund«, sagte der Troll, »ich kann den Brunnen nicht entbehren; mach du lieber Feuer an, dann will ich Wasser holen.«

Als er mit dem Wasser kam, kochten sie einen Kessel voll Grütze.

»Mir ist es gleich«, sagte der Bursche, »willst du wie ich, so wollen wir um die Wette essen.«



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»Ach ja!« antwortete der Troll; denn darin, dachte er, könnte er schon seinen Mann stehen.

Sie setzten sich also zu Tisch; aber der Bursche nahm heimlich seinen Ledersack und knüpfte ihn vor sich, und nun löffelte er mehr in den Sack, als er selbst aufaß. Als der Sack voll war, zog er sein Messer und schlitzte einen Spalt in den Sack. Der Troll sah ihn an, aber er sagte nichts.

Als sie noch eine gute Weile gegessen hatten, legte der Troll den Löffel hin. »Nein, jetzt kann ich nicht mehr«, sagte er.

»Du sollst essen!« antwortete der Bursche; »ich bin kaum erst halb satt. Mach es wie ich und schneide ein Loch in deinen Bauch, dann kannst du so viel essen, wie du willst.«

»Aber tut das nicht grausam weh?«fragte der Troll.

»Ach, das ist nicht der Rede wert«, antwortete der Bursche.

Da tat der Troll, wie der Bursche sagte, und nun könnt ihr wohl schon verstehen, daß der Troll ums Leben kam. Der Bursche aber nahm all das Silber und Gold, das in dem Berge war, und ging damit nach Hause. Und so konnte er wohl etwas von den Schulden abzahlen.


Aschenhans und die guten Helfer

Es war einmal ein König, und dieser König hatte von einem Schiff reden hören, das ebenso schnell zu Lande wie zu Wasser ging. Nun wollte er auch ein solches Schiff haben, und demjenigen, der es bauen konnte, versprach er die Königstochter und das halbe Königreich, und das ließ er auf den Kirchplätzen des ganzen Landes ausrufen. Es waren viele, die es versuchten, das ist zu verstehen; denn das halbe Reich wäre gut zu haben, meinten sie wohl, und es wäre auch ganz nett, die Königstochter obendrein zu bekommen; aber den meisten erging es übel.

Es waren drei Brüder dort in einer Waldgegend; der älteste hieß Peter, der zweite hieß Paul, und der jüngste hieß Espen Aschenhans, weil er ständig dasaß und in der Asche wühlte und scharrte. Aber an dem Sonntag, als die Sache von dem Schiff bekanntgegeben wurde, das der König haben wollte, war er durch einen Zufall auch



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bei der Kirche. Als er nach Hause kam und es erzählte, bat Peter, der der älteste war, seine Mutter um Mundvorrat; denn jetzt wollte er sich auf den Weg machen und versuchen, ob er nicht das Schiff bauen könne und die Königstochter und das halbe Reich gewinnen.

Als er seinen Schnappsack auf den Nacken bekommen hatte, zog er los. Auf dem Wege begegnete ihm ein alter Mann, der ganz krumm und zum Erbarmen war. »Wo willst du hin?« sagte der Mann.

»Ich will in den Wald und meinem Vater einen Trog machen, er mag nicht mit uns anderen zusammen essen«, sagte Peter.

»Ein Trog soll es werden!« sagte der Mann.

»Was hast du in deinem Sack?« fragte der Mann.

»Mist«, sagte Peter.

»Mist soll es werden!« sagte der Mann.

So ging Peter in den Eichenwald und fing an zu hauen und zu zimmern, alles, was er konnte; aber wie er auch hieb und wie er auch zimmerte, es wurde doch nichts anderes als ein Trog und nochmals ein Trog. Als es gegen Mittag ging, wollte er etwas zum Leben haben und machte seinen Schnappsack auf. Aber das, was im Schnappsack war, war kein Essen. Da er nun nichts zum Leben hatte und es mit dem Zimmern auch nicht besser ging, hatte er die Arbeit satt, nahm die Axt und den Sack auf den Nacken und zog wieder nach Hause zu seiner Mutter.

Da wollte Paul sich auf den Weg machen und versuchen, ob es ihm nicht glücken würde, ein Schiff zu bauen und die Königstochter und das halbe Königsreich zu gewinnen. Er bat seine Mutter um Mundvorrat, und als er den bekommen hatte, nahm er seinen Sack auf den Nacken und zog hinaus in den Wald. Auf dem Wege begegnete ihm ein alter Mann, der war ganz krumm und war rein zum Erbarmen.

»Wo willst du hin?« sagte der Mann.

»Ach, ich will in den Wald und unserem kleinen Ferkel einen

Schweinetrog machen«, sagte Paul.

»Ein Schweinetrog soll es werden!« sagte der Mann.

»Was hast du in deinem Sack?« fragte der Mann.

»Mist«, sagte Paul.

»Mist soll es werden!« sagte der Mann.

Da ging Paul in den Wald und machte sich ans Hauen und Zimmern,



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soviel er konnte; aber wie sehr er auch hieb und wie sehr er auch schaffte, es wurde nichts anderes als Trogformen und Schweinetröge daraus. Er gab es doch nicht auf, sondern blieb eifrig dabei bis weit in den Nachmittag hinein, ehe er daran dachte, sich etwas zu essen zu nehmen; da wurde er mit einemmal so hungrig, daß er den Schnappsack hervorholen mußte; aber als er ihn aufmachte, war nicht eine Brotkrume im Sack. Paul wurde so zornig, daß er den Sack um und um stülpte und ihn gegen einen Baumstumpf warf; dann nahm er die Axt und zog sofort aus dem Wald und wieder nach Hause.

Als Paul nach Hause gekommen war, wollte Aschenhans sich auf den Weg machen und bat seine Mutter um Mundvorrat. »Vielleicht könnte ich der Kerl dazu sein, das Schiff zu bauen und die Königstochter und das halbe Reich zu gewinnen«, sagte er.

»Ja, so kommt es mir vor«, sagte die Mutter, »du siehst danach aus, als könntest du die Königstochter und das halbe Reich gewinnen, will ich meinen, der du niemals etwas anderes tust, als in der Asche wühlen und scharren! Nein, du kriegst keinen Proviant!« sagte die Frau.

Aschenhans ließ trotzdem nicht nach, er bat so lange, bis er gehen durfte. Mundvorrat bekam er nicht, das war selbstverständlich; aber er nahm unbemerkt ein paar Haferfladen und einen Tropfen schales Bier mit, und damit machte er sich davon.

Als er eine Weile gegangen war, begegnete ihm derselbe Greis, der so krumm und rein zum Erbarmen war.

»Wo willst du hin?« sagte der Mann.

»Ach, ich wollte in den Wald, wenn es sich gerade so fügt, und da wollte ich ein Schiff bauen, das zu Lande und zu Wasser gleich gut geht«, sagte Aschenhans, »denn der König hat bekanntgemacht, daß derjenige, der ein solches Schiff bauen kann, die Königstochter und das halbe Reich bekommen soll«, sagte er.

»Was hast du in deinem Sack?«fragte der Mann.

»Ach, es ist nicht der Rede wert, es sollte nur Proviant sein«, antwortete Aschenhans.

»Gibst du mir etwas von deinem Proviant, so werde ich dir helfen«, sagte der Mann.



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»Gern«, sagte Aschenhans, »aber ich habe nichts anderes als zwei Haferfladen und einen Tropfen Bier.«

Das wäre ganz gleich, was es sei; wenn er nur das bekäme, würde er ihm schon helfen.

Als sie an die alte Eiche im Wald kamen, sagte der Mann: »Nun sollst du einen Span abschlagen, und den sollst du wieder hineinsetzen, so wie er gesessen hat, und wenn du das getan hast, kannst du dich schlafen legen.«Ja, Aschenhans tat, wie er sagte, er legte sich schlafen, und im Schlaf schien es ihm, als hörte er es bauen und hämmern und zimmern und sägen und hobeln, aber wach konnte er nicht werden, bis der Mann ihn geweckt hatte; da stand das Schiff vollkommen fertig neben der Eiche. »Nun sollst du einsteigen, und alle, die du triffst, sollst du mitnehmen«, sagte der Greis. Espen Aschenhans dankte für das Schiff, segelte los und sagte, das werde er tun.

Als er ein Stück gesegelt war, kam er an einem langen, mageren Strolch vorbei, der lag an einem Felsabhang und aß Feldsteine.

»Was bist du für ein Kerl, der du hier liegst und Feldsteine ißt?« sagte Aschenhans.

Ja, er hätte so einen Fleischhunger, daß er nie satt werden könnte, deshalb wäre er gezwungen, Feldsteine zu essen, sagte er, und nun bat er, ob er auf dem Schiff mitkommen dürfe.

»Ja, willst du mit, dann steig ein!« sagte Aschenhans.

Ja, das wollte er schon, und damit nahm er ein paar große Feldsteine mit als Mundvorrat.

Als sie noch ein Stück gesegelt waren, trafen sie einen, der lag an einem sonnigen Abhang und lutschte an einem Bierzapfen.

»Was bist du denn für einer?«sagte Espen Aschenhans, »und wofür soll das gut sein, daß du daliegst und an diesem Bierzapfen lutschst?«

»Ach, wenn man nicht das Faß hat, muß man mit dem Zapfen vorliebnehmen«, sagte der Mann, »ich habe ständig einen solchen Bierdurst, daß ich mich an Bier und Wein niemals satt trinken kann«, und damit bat er, ob er auf dem Schiff mitkommen dürfe.

»Willst du mit, dann steig ein!« sagte Aschenhans.

Ja, das wollte er; er stieg ein und nahm den Zapfen für den Durst mit.



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Als sie noch ein Stück gesegelt waren, trafen sie einen, der mit dem einen Ohr auf dem Erdboden lag und horchte.

»Was bist du denn für einer, und wofür soll es gut sein, daß du auf dem Erdboden liegst und horchst?« sagte Espen Aschenhans.

»Ich horche auf das Gras, denn ich habe ein solch gutes Gehör, daß ich hören kann, wie es wächst«, sagte er, und damit bat er, ob er auf dem Schiff mitkommen dürfe.

Dafür gab es kein Nein. »Willst du mit, dann steig ein!« sagte Aschenhans.

Ja, das wollte er, und er stieg auch ein.

Als sie noch ein Stück gesegelt waren, kamen sie an einem vorbei, der stand und zielte und zielte.

»Was bist du für einer, und wofür soll es gut sein, daß du so stehst und zielst?« sagte Aschenhans.

»Ich sehe so scharf«, sagte er, »daß ich ganz bis zum Ende der Welt schießen kann«, und damit bat er, ob er auf dem Schiff mitkommen dürfe.

»Willst du mit, dann steig ein!« sagte Aschenhans.

Ja, das wollte er, und er stieg ein.

Als sie noch ein Stück gesegelt waren, kamen sie an einem vorbei, der hüpfte auf einem Bein umher, und an dem anderen hatte er sieben Zentnergewichte hängen.

»Was bist du für einer?« sagte Aschenhans, »und wofür soll es gut sein, daß du auf einem Bein umherhüpfst und an dem anderen sieben Zentnergewichte hängen hast?«

»Ich bin so leichtfüßig beim Laufen«, sagte er. »Wenn ich auf beiden Füßen ginge, würde ich in weniger als fünf Minuten bis zum Ende der Welt kommen«, und damit bat er, ob er auf dem Schiff mitkommen dürfe.

»Willst du mit, dann steig ein!« sagte Aschenhans.

Ja, das wollte er, und er stieg in das Schiff zu Aschenhans und seinen Gefährten ein.

Als sie noch ein Stück gesegelt waren, trafen sie einen, der stand und hielt sich die Hand vor die Schnauze.

»Was bist du für einer?« sagte Aschenhans, »und wofür soll es gut sein, daß du so stehst und dir die Hand vor die Schnauze hältst?«



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»Ach, ich habe sieben Sommer und fünfzehn Winter im Leib«, sagte er, »also habe ich es wohl nötig, mir die Hand vor die Schnauze zu halten; denn ließe ich sie alle heraus, so würden sie sofort die ganze Welt verwüsten«, sagte er, und damit bat er, ob er mitkommen dürfe.

»Willst du mit, dann steig ein!« sagte Aschenhans.

Ja, er wollte mit, und da stieg er in das Schiff zu den anderen ein. Als sie noch eine gute Weile gesegelt waren, kamen sie zum Königshof. Aschenhans ging geradenwegs zum König hinein und sagte, jetzt stehe das Schiff fertig auf dem Hofplatz und nun wolle er die Königstochter haben, wie es der König versprochen hatte.

Dem König gefiel das nicht besonders, denn Aschenhans sah nicht hübsch aus; er war schwarz und rußig, und der König wollte ungern einem solchen Strolch seine Tochter geben. Da sagte er, er würde schon etwas warten müssen; er könnte nicht die Königstochter bekommen, bevor er eine Fleischkammer mit dreihundert Tonnen Fleisch, die dem König gehörte, leer gefressen hätte. »Es ist mir gleich, kannst du es bis morgen um diese Zeit tun, so sollst du sie haben«, sagte der König.

»Ich werde es wohl versuchen müssen«, sagte Aschenhans, »aber ich darf wohl einen von meinen Kameraden mitnehmen?«

Ja, das dürfe er, auch wenn er alle sechs mitnehmen wollte, sagte der König; denn er meinte, es sei völlig unmöglich, auch wenn es sechshundert wären.

Aschenhans nahm nur denjenigen mit, der Feldsteine aß und dauernd Fleischhunger hatte, und als sie kamen und die Kammer aufmachten, hatte er alles zusammen aufgegessen, so daß nicht mehr als sechs kleine gepökelte Hammelkeulen übrig waren; das war nur eine für jeden der übrigen Kameraden. Nun ging Aschenhans zum König hinein und sagte, jetzt sei die Kammer leer und jetzt bekäme er wohl die Königstochter.

Der König ging auf die Vorratskammer, und die war leer, das war ganz sicher. Aber Aschenhans war schwarz und rußig, und der König meinte, es sei doch zu schlimm, daß ein solcher Strolch seine Tochter haben sollte. Da sagte er, er habe einen Keller voll Bier und altem Wein, dreihundert Fässer von jeder Sorte, die wollte er zuerst



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ausgetrunken haben. »Und es ist mir gleich, bist du imstande, sie bis morgen um diese Zeit auszutrinken, dann sollst du meine Tochter bekommen«, sagte der König.

»Ich werde es schon versuchen müssen«, sagte Aschenhans, »aber ich darf wohl einen von meinen Kameraden mitnehmen?« sagte er.

»Ja, gerne«, sagte der König; denn er meinte, er hätte so viel Bier und Wein, daß sie alle sieben den Hals volikriegen könnten.

Aschenhans nahm denjenigen mit, der am Bierzapfen lutschte und ständig solchen Bierdurst hatte. Und damit schloß der König sie in den Keller ein. Da trank er das eine Faß nach dem anderen aus, solange noch etwas übrig war; aber im letzten ließ er einen Tropfen zurück, damit jeder der Kameraden ein paar Maß haben könnte. Am anderen Morgen machten sie den Keller auf, und Aschenhans ging sofort zum König hinein und sagte, er sei mit dem Bier und mit dem Wein fertig, und nun bekäme er wohl seine Tochter, wie er versprochen hatte.

»Nun ja, erst muß ich in den Keller hinunter und nachsehen«, sagte der König, denn er glaubte es nicht. Als er in den Keller kam, war da nichts weiter als leere Fässer. Aber Aschenhans war schwarz und rußig, und dem König schien es unpassend, so einen Kerl als Schwiegersohn zu haben. Da sagte er, es sei ihm gleich, aber wenn er Wasser vom Ende der Welt in zehn Minuten für den Tee der Prinzessin schaffen könne, so solle er sie und das halbe Reich bekommen; denn das, meinte er, sei völlig unmöglich.

»Ich werde es schon versuchen müssen«, sagte Aschenhans. Da bekam er den zu fassen, der auf einem Bein hüpfte und sieben Zentnergewichte am anderen hängen hatte, und sagte zu ihm, jetzt müsse er die Gewichte abschnallen und beide Beine gebrauchen, so schnell er könne, denn er müsse in zehn Minuten Wasser vom Ende der Welt für den Tee der Königstochter haben.

Er nahm die Gewichte ab, bekam einen Eimer und machte sich davon, und im selben Augenblick war er fort. Aber es währte und dauerte des langen und breiten, und er kam nicht wieder; zuletzt waren nur noch drei Minuten übrig, bis die Zeit um war, und der König war so vergnügt, als habe er einen Taler bekommen.

Da aber rief Aschenhans den, der das Gras wachsen hörte, und sagte



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zu ihm, er solle horchen, wo er steckte. »Er ist am Brunnen eingeschlafen«, sagte er, »ich kann ihn schnarchen hören, und die Trolle lausen ihn.«

Da rief Aschenhans den, der bis zum Ende der Welt schießen konnte, und bat ihn, eine Kugel in den Troll zu jagen. Ja, das tat er, erschoß ihn mitten ins Auge; der Troll hob ein Gebrüll an, daß der, der das Teewasser holen sollte, sofort erwachte; und als er zum Königsschloß kam, war von den zehn Minuten nur noch eine übrig. Aschenhans ging zum König hinein und sagte, das Wasser sei da und jetzt bekäme er doch die Königstochter, darüber gäbe es wohl kein Reden mehr. Aber dem König schien er ebenso schwarz und rußig wie vorher, und er mochte ihn nicht als Schwiegersohn haben. Da sagte der König, er habe dreihundert Klafter Holz, damit wolle er in der Darre Korn dörren. »Und es ist mir gleich, bist du imstande, drinnen zu sitzen und das Holz zu verbrennen, so sollst du sie haben, darüber ist kein Wort mehr zu verlieren«, sagte er.

»Ich werde es schon versuchen müssen«, sagte Aschenhans, »aber ich darf wohl einen meiner Kameraden mitnehmen?«

»Ja, auch wenn es alle sechs wären«, sagte der König, denn er dachte, es könne warm genug für alle sein.

Aschenhans nahm den mit, der die fünzehn Winter und die sieben Sommer im Leib hatte und ging am Abend ins Darrhaus; aber der König hatte tüchtig aufgelegt, und es war ein Feuer, daß man darin hätte Eisenofen gießen können. Hinaus konnten sie nicht wieder kommen; denn kaum waren sie hereingekommen, da machte der König den Riegel vor und hängte noch ein paar Vorhängeschlösser dazu. Da sagte Aschenhans: »Du wirst wohl sechs, sieben Winter herauslassen müssen, damit es so gerade sommerlich wird.« Nun wurde es so, daß sie es dort aushalten konnten; aber als es noch tiefer in die Nacht ging, wurde es ein bißchen zu kühl. Da sagte Aschenhans, er solle es mit ein paar Sommern etwas molliger machen, und dann schliefen sie bis weit in den Tag hinein. Als sie den König draußen herumschlurfen hörten, sagte Aschenhans: »Nun mußt du noch ein paar Winter herauslassen, aber mache es so, daß der letzte ihm direkt ins Gesicht fliegt.«

Ja, das tat er; und als der König die Darrhaustür aufmachte und



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meinte, sie würden auf gebrannt daliegen, saßen sie da und schüttelten sich vor Frost, daß die Zähne aufeinanderklapperte; und der mit den fünfzehn Wintern im Leib ließ den letzten dem König gerade ins Gesicht fliegen, so daß sich eine große Frostbeule aufblähte.

»Bekomme ich jetzt die Königstochter?« sagte Aschenhans.

»Ja, nimm sie und behalte sie und nimm das Reich obendrein!« sagte der König. Er wagte nicht länger nein zu sagen.

So hielten sie Hochzeit und tranken und lärmten und schossen mit Donnerbüchsen. Dabei wühlten sie herum und suchten nach Vorladungen; da nahmen sie mich dafür, gaben mir Grütze in einer Flasche und Milch in einem Korb, und dann schossen sie mich ganz bis hierher, damit ich erzählen sollte, wie es zugegangen ist.


Freunde auf Leben und Tod

Es waren einmal zwei Burschen, die waren so gute Freunde miteinander, daß sie geschworen hatten, sich weder im Leben noch im Tode zu trennen. Der eine wurde nicht alt, sondern starb früh; und eine Zeit darauf freite der andere um eine Bauerntochter, bekam sie zur Braut und wollte heiraten. Als zur Hochzeit geladen wurde, ging der Bräutigam selbst zum Kirchhof, auf dem der Freund lag, klopfte aufs Grab und rief ihn. Nein, er kam nicht. Er klopfte wieder und rief wieder, aber keiner kam. Das dritte Mal klopfte er heftiger und rief lauter, er möge kommen, damit er mit ihm sprechen könne. Endlich hörte er etwas rasseln, und schließlich kam der Tote aus dem Grab.

»Gut, daß du endlich gekommen bist«, sagte der Bräutigam, »ich habe hier lange gestanden, geklopft und gerufen.«

»Ich war weit weg«, sagte der Tote, »und erst beim letztenmal hörte ich es deutlich.«

»Nun ja, heute soll ich Bräutigam sein«, sagte der Bursche, »du erinnerst dich wohl, daß wir früher davon gesprochen haben, wir wollten zusammenhalten und einer auf die Hochzeit des anderen kommen.«

»Ich weiß«, sagte der Tote, »aber du wirst ein wenig warten müssen,



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bis ich mich ein bißchen gerichtet und geputzt habe; ich bin nicht drauf vorbereitet, in einem Hochzeitszug zu gehen.«

Der Bursche hatte wenig Zeit, denn er wollte heim auf den Hochzeitshof, und sie sollten bald zur Kirche; aber nun mußten sie sich alle etwas gedulden und dem Toten einen Raum für sich geben, wie er gebeten hatte, damit er sich richten konnte und Sonntagsputz anziehen gleich den anderen, denn er sollte mit zur Kirche gehen.

Ja, der Tote ging mit zur Kirche und auch von der Kirche wieder heim; aber als die Hochzeitsfeier so weit gekommen war, daß sie der Braut schon die Krone abgenommen hatten, wollte er fort. Um der alten Bekanntschaft und Freundschaft willen wollte der Bräutigam ihn wieder zum Grab begleiten. Als sie zum Kirchhof gingen, fragte ihn der Bräutigam noch, ob er viel Merkwürdiges gesehen habe oder sonst etwas, das wert zu wissen sei.

»Ja, das habe ich«, antwortete drauf der Tote, »ich habe allerhand gesehen«, sagte er.

»Das wäre hübsch zu sehen«, meinte der Bräutigam, »ich hätte auch Lust mitzukommen und alles zu sehen.«

»Das kannst du schon«, sagte der Tote, »aber es kann eine Weile dauern, die du wegbleiben wirst.«

Das sei ihm recht, meinte der Bräutigam und ging mit. Aber bevor sie in das Grab hineinstiegen, riß der Tote einen Grasbüschel im Kirchhof ab und legte ihn dem Burschen auf den Kopf. Sie wanderten weit durch stockfinstere Nacht, durch Gestrüpp und Moorland, bis sie an eine riesige Pforte kamen. Die tat sich auf, als der Tote sie berührte. Drinnen fing es an, hell zu werden, zu Anfang wie Mondschein; aber je weiter sie kamen, desto heller wurde es. Schließlich kamen sie an eine Stelle, da waren grüne Hügel mit prächtigem, fettem Gras, und eine große Viehherde weidete dort; aber wie sehr sie auch fraßen, die Kühe sahen alle sehr häßlich, verhungert und elend aus.

»Was soll das heißen?«fragte der Bursche, der Bräutigam war, »daß sie so mager sind und so schlecht aussehen, obwohl sie fressen, als kriegten sie dafür bezahlt?«

»Es ist ein Gleichnis von denen, die nie genug bekommen, mögen sie auch noch soviel zusammenraffen«, erklärte der Tote.



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Sie wanderten weit und weiter als weit, bis sie auf eine Berghalde kamen; da gab es nichts anderes als nur Kuppen und nackte Felsen und hier und dort ein paar kleine Grasflecke dazwischen. Hier ging eine große Viehherde, und die Tiere waren derart schön und fett und blank, daß sie nur so glänzten.

»Was?«sagte der Bräutigam, »diese, die so eine magere Weide haben und doch so gut aussehen, was soll denn das wieder heißen?«

»Das ist ein Gleichnis von denen, die mit dem wenigen, was sie haben, wohl zufrieden sind«, sagte der Tote.

Nun gingen sie wieder weit und weiter als weit, bis sie zu einem großen See kamen. Der war so hell und blank, daß der Bräutigam es nicht ertragen konnte, ihn anzusehen.

»Nun mußt du dich hier hinsetzen, bis ich wiederkomme«, sagte der Tote, »ich werde für eine Weile wegbleiben.«

Damit machte er sich fort, und der Bräutigam setzte sich hin; und während er dasaß, überkam ihn der Schlaf, und es war, als ob ihm alles in einem ruhigen und festen Schlaf versank.

Nach einer Weile erschien der Tote wieder.

»Gut, daß du sitzen geblieben bist, daß ich dich hier wiederfinde«, sagte er. Aber als der Bräutigam aufstehen wollte, war er so von Moos und Sträuchern überwachsen, daß er wie in einem Nest von Zweigen und Gestrüpp saß. Er befreite sich davon; sie reisten zurück, und der Tote begleitete ihn denselben Weg bis zum Grab. Dort trennten sie sich und sagten einander Lebewohl; und als der Bräutigam heraufkam, ging er geradewegs zum Hochzeitshof. Als er dort ankam, wo er meinte, daß es sein sollte, konnte er sich nicht auskennen. Er sah sich überall um und fragte alle, die er traf; aber er hörte und vernahm nirgends was von Braut oder Hochzeit, Sippe oder Eltern, ja, er konnte nicht einmal jemanden erfragen, den er kannte. Alle wunderten sich über diese Gestalt, die da ging und wie eine Vogelscheuche aussah. Weil er niemanden finden konnte, den er kannte, machte er sich auf den Weg zum Pfarrer und erzählte diesem von seinen Verwandten und wie es damals zuging, als er Bräutigam gewesen, und daß er von der Hochzeit fortgegangen war. Der Pfarrer wußte nichts darüber; aber nachdem er seine alten Kirchenbücher durchsucht hatte, fand er heraus, daß die Hochzeit vor langer,



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langer Zeit gehalten worden war und daß die Leute, von denen der Mann redete, vor vierhundert Jahren gelebt hatten.

Seit der Zeit war eine riesige Eiche auf dem Pfarrhof gewachsen. Als er die sah, kletterte er hinauf und wollte sich umschauen; aber der Alte, der vierhundert Jahre im Himmelreich gesessen und geschlafen hatte und nun endlich heimgekehrt war, kam nicht unbeschadet von der Eiche herunter. Er war starr und steif, wie man sich wohl denken kann; und als er wieder herunter wollte, griff er fehl, stürzte ab und brach sich das Genick und war tot.



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MÄRCHEN AUS SCHWEDEN


Der Hirte

Es war einmal ein armer Hirtenknabe, dem niemand in der Welt hold oder verwandt war, außer seiner Stiefmutter. Die Stiefmutter aber war ein böses Weib und gönnte ihm weder etwas im noch am Leibe. Der arme Knabe litt so manche Not. Den ganzen Gottes langen Tag mußte er mit dem Vieh auf der Weide umherziehen; erhielt aber nicht das geringste, außer morgens und abends einen kleinen Bissen Brot.

Eines schönen Tages ging die Stiefmutter fort, ohne irgendeine Speise zurückzulassen. Der Hirtenknabe mußte auf diese Art nüchtern das Vieh zum Walde treiben, und als er sehr hungrig wurde, weinte er bitterlich. Als aber der Mittag kam, trocknete er seine Tränen ab und ging auf einen grünen Hügel hinauf, wo er nach seiner Gewohnheit ausruhte, wenn im Sommer die Sonne heiß brannte. Auf dem Hügel, unter den belaubten Bäumen, pflegte es immer frisch und tauig zu sein, jetzt aber war der Tau fort, der Boden dürr und das Gras niedergetreten. Dies kam dem Hirtenknaben seltsam vor, und er wunderte sich, wer in das grüne Gras getreten sein mochte. Wie er so recht in Gedanken saß, bemerkte er etwas Flimmerndes.

Der Knabe sprang hin, um nachzusehen, und fand ein paar kleine, kleine Stücke von verwittertem, überaus weißem Glase. Da ward er wieder vergnügt und spielte den ganzen Tag mit den kleinen Glasstücken.

Am Abend, als die Sonne in den Wald ging, lockte der Hirtenknabe sein Vieh und trieb es heim. Als er nun ein Stück Weges gegangen war, begegnete ihm ein kleiner, kleiner Knabe. Der grüßte freund-



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lich: »Guten Abend!« —»Guten Abend!«grüßte wieder der Hirtenknabe. Der Kleine fragte: »Hast du meine Glasstücke gefunden, die ich am Morgen im grünen Grase verloren habe?« Der Hirtenknabe gab zur Antwort: »Ja, ich habe sie gefunden. Aber, Lieber, laß mich die kleinen Stücke behalten; ich hatte im Sinne, sie meiner Stiefmutter zu geben, vielleicht bekomme ich dafür ein wenig Speise, wenn ich heimkomme.«

Der Knabe bat nun sehr dringend: »Gib mir meine Glasstücke zurück, ein anderes Mal will ich dir wieder dienen.« Da gab ihm der Knabe die kleinen Glasstücke zurück, der Kleine aber war sehr froh, nickte vertraulich und sprang fort.

Der Hirtenknabe rief sein Vieh zusammen und begab sich auf den Heimweg. Als er zum Hofe kam, war es schon sehr finster, und die Stiefmutter schalt, daß er so spät komme. »Es ist noch Brei übrig in der Schüssel, iß nun und leg dich zu Bett, daß du früh morgens mit dem Vieh hinauskommen kannst.« Der arme Hirtenknabe durfte auf diese harten Worte nicht antworten, sondern aß und schlich sich hierauf zum Heuboden, wo er zu schlafen pflegte. Die ganze Nacht aber träumte er von nichts anderem als von dem kleinen Knaben und seinen kleinen Glasstücken.

Am Morgen, bevor die Sonne im Osten erschien, wurde der Knabe vom Rufe seiner Stiefmutter aufgeweckt: »Auf, spute dich, du Faulenzer, es ist heller Tag, und die Tiere sollen deinetwegen nicht daheim bleiben und hungern.« Er stand nun sogleich auf, erhielt einen Bissen Brot und trieb sein Vieh auf die Weide. Als er zu dem grünen Hügel kam, wo es immer kühl und schattig war, schien es ihm wunderbar, daß der Tau vom Grase abgeschüttelt und der Boden dürr war, ja beinahe mehr noch als am Tage vorher. Als der Knabe nun so recht in tiefen Gedanken saß, sah er etwas, was im grünen Grase lag und an der Sonne schimmerte. Er lief sogleich hin und fand eine kleine, kleine Mütze: aber die Mütze war von roter Farbe, und kleine goldene Glöckchen waren an allen Seiten daran befestigt. Da freute sich der Knabe, so daß er seinen Hunger vergaß, und spielte den ganzen Tag über mit der schönen Mütze.

Am Abend, als die Sonne in den Wald ging, versammelte der Hirtenknabe sein Vieh und machte sich bereit, es heimzutreiben. Als er



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nun aber den Weg antrat, begegnete ihm eine sehr kleine und noch dazu schöne Jungfrau. Sie grüßte freundlich: »Guten Abend!« — »Guten Abend!«grüßte auch der Hirtenknabe. Die Kleine fragte: »Hast du meine Mütze gefunden, die ich am Morgen im Grase verloren habe?« Der Knabe antwortete: »Ja, ich habe sie gefunden. Aber, Liebe, laß mir die kleine Mütze, ich dachte sie meiner bösen Stiefmutter zu geben, so erhalte ich vielleicht ein wenig Speise, wenn ich heimkomme.«Die Jungfrau bat nun sehr schön: »Gib mir meine Mütze zurück, ein andermal will ich dir wieder dienen.«Da gab der Hirtenknabe ihr die kleine Mütze, die Jungfrau aber freute sich sehr, nickte ihm freundlich zu und lief ihres Weges.

Der Knabe versammelte sein Vieh und begab sich nach Hause. Als er zum Hof kam, war es schon finster, und die Stiefmutter hatte ihn schon lange erwartet. Sie war sehr mißlaunig und sagte: »Komme mir nie mehr so spät nach Hause, daß ich die halbe Nacht aufsitzen und melken muß. Dort steht noch Brei übrig in der Schüssel, iß jetzt und lege dich zu Bett, damit du frühmorgens mit dem anderen Vieh hinauskommen kannst.« Der arme Knabe durfte auf die harten Worte nichts antworten, sondern aß und schlich sich hierauf auf den Heuboden, wo er zu schlafen pflegte. Die ganze Nacht aber träumte er von nichts anderem als von der kleinen Jungfrau und ihrer roten Mütze.

Am Morgen, bevor der Tag graute, wurde der Knabe mit dem gewöhnlichen Rufe von seiner Stiefmutter geweckt: »Steh auf, du Faulenzer! Die Tiere dürfen deinetwegen nicht warten und hungern.« Der arme Knabe stand sogleich auf und machte sich bereit, die Tiere auf die Weide zu treiben; ehe er aber ging, bat er seine Stiefmutter um einen Bissen Brot. »Brot«, sagte das böse Weib, »ein Taugenichts wie du verdient kein Brot.« Der Knabe mußte sogleich fortgehen, ganz hungrig, was ihm schwer zu Gemüte ging.

Als er nun zum grünen Walde hinauskam und sich auf den Hügel niedersetzte, wo er in der Sonnenhitze zu ruhen pflegte, kam es ihm seltsam vor, daß der Boden noch mehr abgedorrt war als die vergangenen Tage und das Gras in großen Kreisen niedergetreten war. Da erinnerte er sich, was er von den kleinen Elfen gehört hatte, daß sie in den Sommernächten im tauigen Grase ihren Reigen beginnen,



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und er ahnte, daß dieses ein Elfenring oder ein Elfentanzplatz sein mo ge.

Als er nun so in tiefen Gedanken saß, stieß er mit dem Fuße an eine kleine Klingel, die da im Grase lag. Die kleine Schelle aber klang so angenehm, daß alles Vieh zusammenlief und sich anstellte, aufzuhorchen. Da ward der Knabe gar fröhlich und spielte mit der kleinen Schelle, daß er darob seinen Schmerz vergaß und die Kühe ihre Weide verließen. Und so verging auch der Tag weit schneller, als er gedacht hatte.

Als der Abend kam und die Sonne mit den Wipfeln des Waldes gleichstand, rief der Hirtenknabe sein Vieh und machte sich bereit, wieder heimzukehren. Wie er aber auch schreien und rufen mochte, das Vieh wollte sich nicht von der Weide trennen, denn dort war ein schöner und grasreicher Ort. Da dachte der Knabe bei sich: >Vielleicht gehorchen sie der kleinen Schelle besser.<Er nahm daher seine Schelle hervor und klingelte, als er den Weg betrat. Sogleich kam die Schellenkuh ihm nachgelaufen, und mit ihr folgte das übrige Vieh. Da ward der Hirtenknabe frohen Sinnes, denn er wußte nun wohl, wie er die kleine Schelle benützen könne. Als er fortging, begegnete ihm ein kleiner, kleiner Greis. Der Greis grüßte freundlich: »Guten Abend!« — »Guten Abend!« entgegnete der Knabe. Der Kleine fragte: »Hast du meine Klingel gefunden, die ich am Morgen im grünen Grase verlor?« Der Hirtenknabe erwiderte: »Ja, ich habe sie gefunden.« Der Greis sagte: »Gib sie mir zurück!« — »Nein«, antwortete der Knabe, »ich bin nicht so dumm, wie du denkst. Vorgestern fand ich zwei kleine Glasstücke, die forderte mir ein kleiner Knabe ab. Gestern fand ich eine Mütze, die gab ich einer kleinen Jungfrau wieder, und nun kommst du und willst mir die kleine Klingel nehmen, die so gut ist, um das Vieh damit zu locken. Andere Finder bekommen einen Finderlohn, aber ich bekomme nie etwas.« Der Kleine gab nun manches schöne Wort, daß er ihm seine Klingel wieder zurückgeben solle; aber nichts half. Da sagte der Greis: »Gib mir die Klingel wieder, und ich will dir etwas anderes geben, womit du dein Vieh locken kannst, dabei sollst du dir drei Dinge wünschen.« Dem Knaben gefiel der Antrag, und er stimmte gerne zu. Er nahm nun das Wort: »Nachdem ich mir wünschen kann, was ich



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will, so wünsche ich, daß ich König werde; so wünsche ich, daß ich einen großen Königshof bekomme, und so wünsche ich, daß ich eine schöne, schöne Königin gewinne.« — »Du wünschest dir nichts Geringes«, entgegnete der Kleine, »behalte aber wohl, was ich dir nun sage. Nachts, wenn alle schlafen, sollst du vom Hause gehen, bis du zu einem Königshof kommst, der rechts im Norden liegt. Hier hast du eine Pfeife von Bein. Wenn du in Not kommst, so blase darauf. Kommst du ein zweites Mal in große Not, so blase nochmals. Kommst du aber das dritte Mal in große Gefahr, dann zerbrich die Pfeife, und ich will dir helfen, wie ich es versprochen habe.« Der Knabe dankte sehr für das Geschenk des Greises, und so ging der Elfenkönig seines Weges. Der Hirtenknabe aber zog heim und freute sich, daß er jetzt davon befreit werden sollte, das Vieh seiner bösen Stiefmutter auf die Weide zu treiben.

Als der Knabe zur Wohnung heimkam, war es schon finster, und die Stiefmutter hatte seine Heimkunft schon lange erwartet. Sie war jetzt sehr erbittert, so daß der arme Knabe Schläge statt zu essen bekam. >Dieses dauert wohl nicht mehr so lange<, tröstete sich der Knabe, als er zum Heuboden fortschlich. Er legte sich hierauf zur Ruhe und fiel in einen kurzen Schlummer.

Nach Mitternacht aber, lange ehe der Hahn krähte, stand der Hirtenknabe auf, schlich vom Hofe fort und begann seinen Weg rechts nach Norden, wie der Greis gesagt hatte. Er wanderte so ohne Rast und Ruhe über Berge und Täler, und zweimal ging die Sonne unter, während er noch auf dem Wege war.

Am dritten Tage gegen Abend kam der Hirtenknabe zu einem Königshof, der so groß war, daß er nie desgleichen gesehen zu haben sich erinnerte.

Der Knabe ging in die Küche und bat um einen Dienst. »Was weißt du oder welches Gewerbe treibst du?« fragte der Küchenmeister. »Ich kann mit dem Vieh auf die Weide gehen«, entgegnete der Knabe. Der Küchenmeister sagte: »Der König bedarf eines tüchtigen Hirten, aber es geht wohl mit dir, wie es mit den andern ging, daß du jeden Tag ein Stück von deiner Herde verlierst.« Der Knabe antwortete: »Ich habe noch nie ein Tier verloren, das ich auf die Weide trieb.«Er wurde nun in den Dienst am großen Königshof genommen



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und weidete die Tiere des Königs; nie aber raubte ihm der Wolf irgendein Tier, und so war er wohlangesehen unter allen Dienern des Königs.

Eines Abends, als der Hirte sein Vieh nach Hause trieb, bemerkte er eine kleine Jungfrau, die am Fenster stand und auf seinen Gesang lauschte. Der Knabe ließ sich nichts merken, obschon es ihm ganz warm unter dem Wams wurde.

So ging es einige Zeit, und der Hirtenknabe freute sich jedesmal, sooft er die kleine Jungfrau sah; er wußte aber noch nicht, daß sie die Tochter des Königs war. Da ereignete es sich eines Tages, daß die junge Maid zu ihm gegangen kam, wo er sein Vieh auf die Weide trieb. Sie hatte ein kleines, schneeweißes Lamm mit sich und bat ihn so freundlich, daß er das kleine Lamm vor den Wölfen im Walde behüten möge. Hierbei ward dem Hirten so wunderlich zumute, daß er weder sprechen noch antworten konnte. Er nahm nun das Lamm mit sich und hatte seine größte Lust daran, es zu hüten. Das Tier huldigte ihm aber auch wie ein Hund, der mit seinem Herrn spielt. Von dem Tage an sah der Hirtenknabe die schöne Königstochter oft.

Des Morgens, wenn er auf die Weide trieb, stand die Jungfrau am Fenster und lauschte auf seine Gesänge. Des Abends aber, wenn er aus dem Walde heimkam, ging die Prinzessin hinab, um ihr kleines Lamm zu liebkosen und einige freundliche Worte mit dem Hirtenknaben zu sprechen. So ging es eine geraume Zeit. Der Hirtenknabe wurde zu einem schmucken Jungen, die Königstochter aber blühte heran und ward die schönste Jungfrau, die nah und fern zu finden war. Gleichwohl kam sie jeden Abend, um ihr Lamm zu liebkosen. Eines Tages aber war die Prinzessin fort und konnte nicht wiedergefunden werden.

Da herrschte große Betrübnis und Unruhe am ganzen Königshofe, denn alle liebten sie; der König aber und die Königin trauerten am allermeisten. Der König ließ deshalb ein Aufgebot über das ganze Land ergehen, daß derjenige, der seine Tochter wiederbringen würde, die Prinzessin und dazu das halbe Königreich erhalten solle. Da kamen die Königssöhne und Jünglinge und Kämpen sowohl von Osten als auch von Westen; sie kleideten sich in Eisen und zogen



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mit Waffen und Gefolge hinaus, um die geraubte Jungfrau zu suchen. Deren aber waren nicht viele, die von der Fahrt zurückkehrten, und die, welche heimkamen, hatten weder etwas gehört noch erkundet. Der König und die Königin trauerten nun über die Maßen und meinten, daß sie einen Schaden erlitten, der nie mehr geheilt werden könne. Der Hirte trieb wie früher sein Vieh in den Wald, er war aber nicht mehr froh, denn die schöne Königstochter lag ihm im Sinn, jeden Tag und jede Stunde.

Eines Nachts erschien es dem Hirten im Schlafe, als stehe der kleine Elfenkönig vor seinem Bett und sage: »Nach Norden! Nach Norden! Dort findest du deine Königin.« Da freute sich der Junge und sprang in die Höhe, und als er erwachte, siehe, da stand noch der Kleine da und winkte: »Nach Norden, nach Norden!«Hierauf verschwand der Greis; der Hirte aber wußte nicht recht, ob es nicht doch eine Täuschung gewesen. Als es nun tagte, ging der Junge auf die Burg und begehrte, mit dem König zu sprechen. Hierüber wunderten sich alle Diener des Königs, und der Küchenmeister sagte: »Du hast so viele Jahre geweidet, daß du wohl eine Zulage des Lohnes und der Kost erhalten magst, ohne daß du gerade mit dem König selbst zu sprechen brauchst.«Der Hirte aber bestand fest auf seinem Begehren und verkündete ihnen, daß er etwas ganz anderes im Sinn habe. Als er nun in den Saal hineinkam, fragte der König nach seinem Anliegen. Der Junge nahm das Wort: »Ich habe viele Jahre treu gedient, und nun bitte ich um Erlaubnis, fortzuziehen und die Prinzessin aufzusuchen.« Da ward der König erzürnt und sagte: »Wie willst du, der du mit den Tieren auf die Weide gehst, das zu unternehmen denken, was kein Kämpe oder Königssohn auszurichten vermochte?«Der Hirte aber antwortete freimütig, daß er die Prinzessin aufsuchen oder für sie das Leben opfern wolle. Da mäßigte der König seinen Zorn und gedachte des alten Spruches: >Oft schlägt unter einem Bauernmantel ein adelig Herz.<

Er gab daher Befehl, daß der Hirte auf das beste ausgerüstet werden solle, mit Habe und mit Pferden und mit allem, dessen er sonst noch bedürfe. Der Junge aber sagte: »Ich passe nicht auf ein Pferd, gebt mir bloß eure Einwilligung und Urlaub samt hinlänglicher Wegzehrung.« Der König wünschte ihm hierauf Glück auf den Weg; alle



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Pagen und andere Diener am Königshofe aber lachten über das gewagte Unternehmen des Hirten.

Der Junge wanderte nun gegen Norden, wie der Elfenkönig es ihn gelehrt hatte, und ging so lange fort, daß er wohl nicht mehr weit zum Ende der Welt haben konnte.

Nachdem er so über Berge und öde Steige gereist war, kam er zuletzt zu einem großen See; mitten in dem See war eine schöne Insel, und auf der Insel lag ein Königshof, noch weit ansehnlicher als der, von welchem der Hirte gekommen war. Der Junge ging zum Seestrande hinab und beschaute den Königshof von allen Seiten. Als er sich so um und um sah, gewahrte er eine Jungfrau mit schönem goldenem Haar, die am Fenster stand und mit einem Seidenband winkte, wie es das Lamm der Königstochter zu tragen pflegte. Da hüpfte dem Jungen das Herz im Leibe, denn ihm fiel ein, daß keine andere als die Prinzessin dieses Mädchen sein könne. Er setzte sich nun, um nachzusinnen, wie er über das Wasser zum großen Königshof kommen könne; aber er wußte keinen Rat. Endlich erinnerte er sich, daß er wohl versuchen könnte, ob die kleinen Elfen ihm helfen wollten. Er nahm daher seine kleine beinerne Pfeife hervor und blies einen weithin hallenden Ton. »Guten Abend!« sagte im selben Augenblick eine Stimme hinter ihm. »Guten Abend!«grüßte der Junge zurück und wandte sich um. Da stand vor ihm der kleine Knabe, dessen Glasstücke er einmal im grünen Grase gefunden hatte. »Was willst du von mir?« fragte der Elfenknabe. Der Hirte sagte: »Ich bitte, führe mich einmal über den See zum Königshof.« Der Knabe erwiderte: »Setze dich auf meinen Rücken.« Der Junge tat, wie ihm geheißen; im selben Augenblicke aber veränderte der Knabe seine Gestalt und ward zu einem großen, großen Habicht, der durch die Luft flog und nicht früher ruhte, bis sie zur Insel gekommen, wie es der Hirte verlangt hatte.

Der Junge ging nun in die Burg hinauf und begehrte Dienst. »Was verstehst du und was ist dein Gewerbe?«fragte der Küchenmeister. »Ich kann mit dem Vieh auf die Weide gehen«, entgegnete der Hirte. Der Küchenmeister sagte: »Der Riese bedarf wohl eines tüchtigen Hirten, vielleicht aber ergeht es dir, wie es den anderen ergangen ist; denn wenn du irgendein Vieh verlierst, gilt es dein Leben.« Der



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Junge erwiderte: »Dies scheint mir eine bedenkliche Bedingung zu sein, ich will sie aber dennoch eingehen.« Da hieß ihn der Küchenmeister willkommen und sagte, daß er seinen Dienst am anderen Tag antreten könne.

Der Junge ging mit dem Vieh auf die Weide und sang seine Lieder und klingelte mit der Schelle, wie er es gewohnt war; die Königstochter aber saß am Fenster und lauschte und winkte ihm zugleich, er solle sich nichts merken lassen. Am Abend trieb der Hirte wieder das Vieh aus dem Walde heim.

Da kam der Riese ihm entgegengegangen und sagte: »Du stehst mir mit deinem Leben für das fehlende Stück ein«; kein Tier aber fehlte, wie der Riese auch zählen mochte. Nun ward der Riese freundlich und sprach: »Du sollst mein Hirte bleiben, dein Leben lang.« Er ging hinauf zum Seestrande, machte seinen verzauberten Kahn los und ruderte dreimal um die Insel. Während der Riese fort war, stellte sich die Königstochter ans Fenster und sang:

»Zu Nacht! Zu Nacht! du Hirtenknab',
Da wird sich verdunkeln mein Stern.
Und kommst du dann, so bin ich dein,
Die Krone gebe ich dir gern.«

Der Hirte horchte auf den Gesang und begriff, daß er nachts kommen und die Königstochter befreien müsse. Er ging fort, ohne daß er sich etwas merken ließ. Als es aber spät war und alle in tiefstem Schlaf lagen, schlich er sich wieder zum Turm, stellte sich unter das Fenster und sang:

»Zur Nacht erwartet dich der Hirt',
Am Gitter dort er traurig hält;
Und kommst du dann, so wirst du mein,
Wenn schon der Schatten weithin fällt.«


***
Die Königstochter flüsterte: »Ich bin mit goldenen Ketten gebunden, komm und zerbrich sie.« Da wußte sich der Hirte keinen Rat, sondern nahm seine kleine Pfeife und blies einen weithin hallenden


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Ton. »Guten Abend!« sagte im selben Augenblick eine Stimme hinter ihm. »Guten Abend!«erwiderte der Hirte den Gruß und sah sich um. Da stand vor ihm der kleine Elfenmann, von dem er einmal die Klingel und die beinerne Pfeife bekommen hatte.

»Was willst du von mir?«fragte der Greis. Der Hirte erwiderte: »Ich bitte, daß du mich und die Prinzessin hinwegführst.« Der Kleine sagte: »Folge mir.« Sie gingen zum Turme hinauf, zum Käfig der Jungfrau. Die Tür der Burg öffnete sich von selber, und als der Greis die Kette berührte, brach sie in Stücke entzwei. Hierauf gingen sie alle drei zum Strande hinab. Da sang der Elfenmann:

»Du kleiner Hecht! es birgt den Mond
Das Schilf; o komme, komme gleich;
Auf dir dann die Prinzessin thront,
Dazu ein König auch, so reich.«


***
Im selben Augenblick kam die kleine Jungfrau, deren Mütze der Hirte im grünen Grase gefunden hatte. Sie hüpfte in den See und ward zu einem großen Hecht, der lustig im Wasser umherschwamm. Da sagte der Elfenkönig: »Setzt euch auf den Rücken des Hechtes. Die Prinzessin aber darf sich nicht fürchten, wenn etwas geschieht, denn dann ist meine Macht zunichte.« So sprach der Alte und verschwand. Der Hirte aber und die schöne Königstochter taten, wie er gesagt hatte, und der Hecht führte sie schnell durch die Wogen.

Während sich dies alles zutrug, hielt der Riese Wacht auf dem Dachboden, sah durch das Windauge und bemerkte, wie der Hirte auf dem Wasser mit der jungen Königstochter davonfuhr. Sogleich nahm er seine Adlergestalt an und flog ihnen nach. Als der Hecht aber das Geräusch des Flügelschlages des Adlers vernahm, tauchte er tief in das Wasser hinab, worüber die Königstochter sich zu fürchten begann, so daß sie laut schrie. Da war die Macht des Elfenkönigs zunichte, und der Riese ergiff beide Flüchtlinge mit seinen Krallen.

Als er wieder zum Königshof gekommen war, ließ er den Hirten in ein dunkles Loch werfen, wohl fünfzig Klafter unter der Erde; die



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Prinzessin aber setzte er in den Jungfernzwinger, und sie wurde so bewacht, daß sie nicht entkommen konnte.

Der Junge lag nun im Turme gefangen, und es war ihm gar schlimm zumute, da er die Königstochter nicht befreien konnte und zugleich sein eigenes Leben verspielt hatte. Da erinnerte er sich dessen, was der Elfengreis gesagt hatte: »Wenn du das dritte Mal in große Gefahr kommst, zerbrich dann die kleine Pfeife, und ich will dir helfen.« Weil nun der Hirte wohl wußte, daß er nie mehr das Tageslicht sehen werde, nahm er die kleine beinerne Pfeife hervor und zerbrach sie in Stücke. »Guten Abend!« hörte er im selben Augenblicke eine Stimme hinter sich. »Guten Abend!«grüßte der Hirte zurück und sah sich um. Da stand vor ihm der kleine Greis und fragte: »Was willst du, daß du mich rufst?« Der Hirte antwortete: »Ich will die Prinzessin befreien und sie zu ihrem Vater heimführen.« Nun nahm ihn der Greis mit sich, und sie gingen durch verschlossene Türen und durch viele prächtige Zimmer. Zuletzt kamen sie in einen großen Saal, der mit allerhand Waffen, Schwertern, Spießen und Äxten angefüllt war, von denen einige wie blanker Stahl und einige wie reines Gold glänzten. Der Greis machte ein Feuer an der Feuerstätte und sagte: »Entkleide dich.« Der Hirt tat es, und der Kleine verbrannte seine alten Kleider. Hierauf ging der Greis zu einer großen Eisenkiste und nahm eine kostbare Rüstung heraus, die vom reinsten Golde schimmerte. »Kleide dich an!«sagte er. Der Hirte tat es. Als nun der Junge vom Kopf bis zum Fuß in voller Rüstung stand, band der Greis ein scharfes Schwert an seine Seite und sprach: »Es ist bestimmt, daß der Riese von diesem Schwerte falle, und in diese Rüstung schneidet kein Stahl.« Der Hirte aber fühlte wohl Mut in der goldenen Rüstung, und er bewegte sich darin, als wäre er der tapferste Königssohn. Hierauf kehrten sie wieder zu dem dunklen Gefängnisloch zurück. Der Hirte dankte dem Elfenkönig für seinen guten Beistand, und so schieden sie voneinander.

Gegen Morgen entstand ein großer Lärm und Geräusch im ganzen Hof, denn der Riese feierte seine Hochzeit mit der schönen Königstochter und hatte seine Verwandten zu einem Gastmahl geladen. Die Prinzessin war nun auf das allerprächtigste gekleidet, mit Goldkrone, roten Ringen und anderem kostbarem Schmuck, den die



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Mutter des Riesen selbst getragen. Hierauf wurde die Hochzeit mit Lustbarkeiten begangen, und es fehlte weder an Speise noch an Trank. Die Braut aber weinte ohne Unterlaß, und ihre Tränen waren so heiß, daß sie wie Flammen auf der Wange brannten.

Als es nun bis in die Nacht gedauert hatte und der Riese seine Braut zur Brautkammer führen wollte, schickte er seinen Pagen, den Hirten zu holen, der im Gefängnis lag. Als sie aber in den Turm hinabkamen, war der Gefangene fort, und statt seiner stand dort ein tapferer Krieger mit Schwert, Panzer und vollen Waffen. Bei diesem Anblick erschraken die Jungen und flohen, der Hirte aber folgte ihnen nach und kam so zum Burghof hinauf, wo die Brautschar versammelt war, sein Lebensende zu schauen. Als nun der Riese den rüstigen Kämpen erblickte, ward er erzürnt und sagte: »Schande über dich, du arger Troll!«Als er sprach, waren seine Augen so wild, daß sie mitten durch die Rüstung sahen. Der Junge aber fürchtete nichts, sondern antwortete: »Hier sollst du mit mir um deine schöne Braut streiten.« Der Riese wollte nicht warten, sondern entwich. Der Hirte aber zog sein Schwert, und es flammte wie eine feurige Flamme. Als nun der Riese das Schwert erkannte, durch das er fallen sollte, erschrak er und sah bleich zur Erde; der Hirte aber ging keck auf ihn zu, schwang sein Schwert und führte einen gewaltigen Hieb, so daß der Kopf des Riesen vom Körper getrennt wurde. Dies war das Ende des Riesen.

Als die Hochzeitsgäste dies sahen, wurden sie von Furcht befallen und fuhren jeder in sein Loch; die Königstochter aber lief hin und dankte dem tapferen Hirten für ihre Befreiung. Sie gingen hierauf zum Seestrande, lösten das verzauberte Schiff des Riesen und ruderten von der Insel fort. Als sie zum Königshofe kamen, entstand eine große Freude, und der König war entzückt, als er seine einzige Tochter wiedergefunden, die er so lange betrauert hatte. Hierauf wurde eine prächtige Hochzeit veranstaltet, und der Hirte erhielt die schöne Königstochter. Sie lebten nun glücklich und vergnügt noch viele, viele Jahre und sahen ihre Kinder heranblühen. Die Schelle aber und die zerbrochene beinerne Pfeife wurde zum Angedenken noch heutzutage auf dem Königshofe aufbewahrt.



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Prinz Andrea und Prinzessin Meseria

Es war einmal ein mächtiger König, der viele kostbare Dinge sein eigen nannte. Von ihnen allen schätzte er wiederum nichts so sehr wie eines seiner großen Schiffe, einen mächtigen Segler mit hohen Masten und silbrigen Segeln. Dieses Schiff hatte eine Mannschaft von hundert Matrosen, die aus den besten und tapfersten Männern des Landes zusammengestellt war. Doch das Wichtigste davon war: immer hatte der König günstigen Wind, wenn er damit in See stach. Kein Wunder, daß er gern die Ozeane durchkreuzte, um fremde Länder zu besuchen, wenn ihm seine königlichen Pflichten dazu Zeit ließen.

Einmal aber, mitten auf dem weiten Meer, hielt sein Schiff jählings an, obwohl es genausogut im Winde lag wie sonst. Weder der König noch seine Begleitung vermochten irgend etwas zu entdecken, das die Unterbrechung ihrer Fahrt verursacht haben konnte. Das Wasser war tief, kein Felsen unter der Oberfläche erkennbar, und es schien unmöglich, daß das Schiff auf Grund geraten sei.

Der König blickte auf das Wasser hinab und rief: »Hallo, wer auch immer es ist, der mich hier festhält! Ich verspreche dir alles, was in meiner Macht liegt, wenn du nur mein Schiff wieder freigibst, daß ich in mein Königreich zurückkehren kann.«

Er erwartete eigentlich keine Antwort, doch zu seiner Überraschung hörte er von drunten eine Stimme laut rufen:

»Einverstanden! Einverstanden mit dem Handel! Als Tribut dafür, daß du meine Ozeane befahren darfst, fordere ich das erste lebende Wesen, auf das dein Auge fällt, sobald du an Land kommst.« Er

hatte ja sein Wort gegeben, drum konnte der König nichts anderes tun als dem Tribut zustimmen. Und er rief: »Ich werde mein Versprechen halten und dir den geforderten Zoll entrichten.« Sofort nahm das Schiff wieder Fahrt auf und flog auf den blauen Wogen dahin wie zuvor.

Bald schon vergaßen der König und seine Begleiter den Zwischenfall. Sie wußten, daß die Stimme, die aus der Tiefe des Meeres heraufgeklungen war, nur die der Seekönigin gewesen sein konnte, von der sie schon so viele Geschichten gehört hatten.



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Zwei Tage danach tauchte fern am Horizont die Küste ihres Heimatlandes auf. Die Entfernung wurde kürzer und kürzer, und als sie sich dem Ufer näherten, bemerkte der König einen dunklen Punkt, der sich dem Hafen zu bewegte. Bald stellte er fest, daß es ein lebendes Wesen, bald auch, daß es ein Kind war. Und dann erkannte er seinen eigenen geliebten Sohn Andrea, der vorwärts lief und seinem Vater zuwinkte.

Da erinnerte sich der König jäh des Versprechens, das er der Seekönigin gegeben hatte. Schnell wandte er den Kopf zur Seite und sah eine auf dem Wasser schwimmende Ente. Dann wandte er den Kopf auf die andere Seite und sah dort ein Schwein im Grase, nahe beim Bach, wühlen.

Diese zwei Tiere dürften wohl als Tribut für die Seekönigin gut genug sein, dachte der König und befahl seinen Leuten, sie zu töten und ins Meer zu werfen. Dann, überzeugt, daß er seiner Pflicht genügt habe, ging er an Land, um seinen Sohn und die Königin zu umarmen, die auch hergekommen war, um ihren Mann zu begrüßen. Aber der König sollte erfahren, daß die Seekönigin nicht so einfach zufriedenzustellen war. Bevor die königliche Familie das Portal des Schlosses erreicht hatte, rollte eine riesige Woge gerade auf das Schloßtor zu und schwemmte die tote Ente und das Schwein mit sich heran. Die Woge hätte wahrscheinlich den kleinen Prinzen ergriffen und mit zurück in die See gerissen, wenn der König nicht auf ihn aufgepaßt und ihn im letzten Augenblick noch hinter die Schloßmauer gerettet hätte. Denn hinter den Mauern des Schlosses konnten ihn keine Wellen mehr erreichen.

Der König überlegte, es wäre wohl besser, Frau und Sohn die ganze Geschichte zu erzählen; also berichtete er von seinem Erlebnis mit der Seekönigin draußen im offenen Meer. Andrea wurde befohlen, nie mehr nahe ans Ufer zu gehen. Er versprach fest, daß er es ganz gewiß nicht tun werde.

Die Jahre rannen dahin, und eines Tages, als Prinz Andrea achtzehn Jahre alt war, forderten ihn einige Freunde auf, mit ihnen an den Strand zu gehen.

»Komm mit hinunter!« sagten sie. »Wir wollen die heranbrausenden Wellen und die weißen Schaumköpfe beobachten.«



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Andrea dachte sich, nach so langer Zeit bestehe wohl keine Gefahr mehr, und er willigte ein. Aber kaum hatten sie das Ufer erreicht, als eine große Woge kam und eine Hand, die weiß war wie Gischt, mit Juwelen an jedem Finger, sich heraushob, Andrea ergriff und in die Meerestiefe zog. Er ertrank nicht, sondern wurde durch die Fluten weitergeleitet, vorüber an großen Wiesen und Feldern, bis er zu einem Garten gelangte, der schöner als alles war, was er je an Land gesehen hatte.

Inmitten der Gartenanlage stand ein Palast, der, wie er glaubte, wohl der Seekönigin gehören mußte. Da erinnerte er sich, was ihm von dem Schloß der Seekönigin erzählt worden war. »Ihr Haus schimmert außen und innen von Perlen, Diamanten und anderen köstlichen Juwelen.« Und so war es auch.

Andrea ging durch die Tür des Palastes und fand sich einer dürren, bösblickenden Frau gegenüber, die ein grünes Gewand trug und mit Perlen und vielfarbigen Juwelen geschmückt war. Auf ihren schwarzen Haaren trug sie einen Blumenkranz aus Perlmutt und Juwelen.

»So, endlich bist du hier, Prinz Andrea!« rief sie mit bösem Lächeln. »Ich habe allerlei Jahre auf dich warten müssen. Von morgen an hast du zu arbeiten, aber heute magst du dich noch mit den anderen Burschen und Mädchen vergnügen.«

Mit diesen Worten führte sie ihn in eine andere große Halle, wo viele junge Menschen waren, die sich miteinander unterhielten. Prinz Andrea stellte fest, daß die »Burschen und Mädchen«der Seekönigin fast alle Prinzen und Prinzessinnen waren, die ihren Eltern durch die Seekönigin gestohlen wurden. Ein junges Mädchen von besonderer Schönheit, so jedenfalls erschien es ihm, kam auf ihn zu.

»Ich bin Prinzessin Meseria«, sagte sie, »und ich muß der Seekönigin hier sieben Jahre dienen. Inzwischen habe ich die meisten ihrer Ränke und Zaubereien erforscht, und ich will dir anvertrauen, daß es nicht leicht ist, sie zu überlisten. Doch du siehst mir wie ein tüchtiger junger Mann aus, und wenn wir beide fest zusammenhalten, gibt es für uns vielleicht einige Aussicht, wieder zu entkommen.«

Prinz Andrea erwiderte, daß er sich nichts Schöneres vorstellen könne, als mit Meseria zusammen zu sein, und da er sie vom ersten



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Augenblick an geliebt hatte, gelobte er ihr für sein ganzes Leben unlösliche Treue zu; und sie setzten sich zusammen in eine Ecke der großen Halle. Dort nun erzählte jeder dem andern von seinem Heimatland droben in der Welt, droben überm unendlichen Meer.

Am nächsten Morgen wurde Prinz Andrea zu der Seekönigin befohlen, die so zu ihm sagte: »Ich habe bemerkt, daß du dir von allen meinen hübschen Mädchen die klügste ausgesucht hast, die bildschöne Meseria. Von heute ab verbiete ich dir, sie je wiederzusehen, sofern du nicht drei Aufgaben lösen kannst, die ich dir stelle. Falls du sie erfüllst, magst du Meseria heiraten; gelingt es dir nicht, mußt du hierbleiben und mir dein ganzes Leben lang dienen.«Und wieder lächelte sie ihr böses, tückisches Lächeln.

Dann führte sie ihn auf eine Wiese hinaus und sagte, seine erste Aufgabe wäre, hier das Gras zu mähen und danach jede einzelne Grasspitze wieder an ihrem Halm festzumachen. »Das ist für heute alles«, schloß sie und übergab ihm eine Sichel. Dann ging sie ins Schloß zurück und ließ ihn allein.

Prinz Andrea nahm die Sichel und fing an, die Wiese zu mähen. Aber bald merkte er, daß es schon völlig unmöglich war, sie in einem Tag zu mähen, um wieviel mehr, jede Grasspitze wieder an ihrem Halm festzumachen. So gab er den Versuch auf, setzte sich mit dem Kopf zwischen den Händen nieder und brütete über sein schlimmes Geschick. Als er da so hockte, sah er die Prinzessin Meseria auf sich zukommen.

»Warum sitzt du hier so allein und schaust so unglücklich drein?« fragte sie ihn.

»Sollte ich das etwa nicht, nachdem mir die Seekönigin befohlen hat, erst die Wiese zu mähen und nachher wieder jeden einzelnen Halm an seinen Stengel zu befestigen, und das alles, ehe der Tag zu Ende geht? Wenn ich es nicht schaffe, muß ich hierbleiben und ihr mein ganzes Leben lang dienen. Und außerdem hat sie mir verboten, dich wiederzusehen.«

»Aber ich werde jedenfalls dich wiedersehen, sonst bist du für immer verloren«, antwortete Meseria. »Wenn du mir nur versprichst, treu zu sein, dann will ich dir wohl helfen.«

»Ich gelobe dir, dich nie zu enttäuschen«, erwiderte Andrea.



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Da faßte Meseria die Sichel, bewegte sie auf eine ganz besondere Weise und berührte so das Gras. Und, nicht zu glauben, ein Wunder geschah! In einem einzigen Augenblick war die ganze Wiese gemäht und alles Gras lag abgeschnitten auf dem Boden. Dann drehte Meseria die Sichel wieder, und schon sah Andrea ein neues Wunder. Die Halme fügten sich ganz von selbst wieder an ihre Stengel, und die Wiese sah aus so wie zuvor. Nein, nicht ganz; wenn du genau hinschautest, war deutlich zu erkennen, daß jeder Grashalm dicht bei der Wurzel, dort wo er abgeschnitten gewesen war, eine Narbe hatte.

Nun setzten sich Prinz Andrea und die schöne Prinzessin zusammen hin und plauderten miteinander. Sie hatten nun ja sehr reichlich Zeit, ehe der Tag zu Ende war und die Seekönigin wiederkam. Am Nachmittag ging Meseria rechtzeitig fort -gerade rechtzeitig genug, bevor die Seekönigin zurückkehrte, um zu sehen, was Andrea wohl gemäht hatte.

»Hast du meine Wiese abgemäht?«fragte die Königin.

»Ja, meine Königin, das habe ich.«

»Und ist wieder jeder Halm an seinem Stengel?«

»Ja, meine Königin, das ist er.«

»Schön, das will ich gleich feststellen«, sagte die Königin zweifelnd und beugte sich zu dem Gras nieder. Zu ihrer großen Überraschung mußte sie zugeben, daß Andrea recht hatte.

»Hm, das wundert mich aber, wie du allein darauf kommen konntest, wie es gemacht wird«, sagte sie beim Weggehen.

Am nächsten Morgen wurde Prinz Andrea wieder zu der Seekönigin gerufen. Diesmal führte sie ihn in den riesigen Stall, in dem sie hundert der schönsten Pferde stehen hatte.

»Heute will ich dir eine andere Aufgabe geben«, sagte sie. »Du siehst diesen Stall. Darin sind hundert Pferde, und seit Menschengedenken ist er nicht gefegt und gesäubert worden. Jetzt sollst du ihn reinigen, und, denke mir daran, er hat zu blitzen und zu glänzen wie der blankpolierte Fußboden meiner eigenen Halle. Und vorm Dunkelwerden muß die Arbeit getan sein.« Damit verließ sie ihn, und er überlegte, wie er die Aufgabe am besten zu lösen vermöchte.

Nahe bei der Tür fand er einen Besen und ging damit tapfer gegen



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den Schmutz und den kaum ertragbaren Gestank an. Aber bald schon war ihm klar, daß es unmöglich wäre, diese Arbeit bis zum Abend allein zu vollbringen. Also setzte er sich todmüde mit dem Kopf in den Händen vor die Stalltür und grübelte nach über sein hartes Geschick. Da sah er Meseria auf sich zukommen.

»Warum bist du traurig?«fragte sie.

»Wie könnte ich glücklich sein, da die Seekönigin mir befohlen hat, den Stall in einem einzigen Tag zu säubern?« antwortete er.

»Nichts leichter als das! Versprich mir, mir stets treu zu sein, und ich will auch treu zu dir halten und dir hier und bei allem, was kommt, immer helfen.«

Und nachdem Andrea ihr das versprochen hatte, freute sie sich sehr und ging geradewegs durch die Tür, an der eine goldene Peitsche hing. Sie knallte mit der Peitsche gegen eine alte graue Stute in der Ecke und rief:

»Liebe, alte Stute mein,
mach den Stall recht frisch und fein!«


***
Und sofort kam die Stute aus ihrer Box und hieb mit den Hufen so hart gegen den verkrusteten Schmutz, daß er durch Türen und Fenster flog. Andrea und Meseria konnten kaum schnell genug laufen, um aus dem Weg zu gehen. Bald aber kamen sie zurück, und da war nichts mehr von Schmutz zu sehen. Meseria ergriff ein Stück Tuch und wischte damit über den Boden. Im Nu wurde der Fußboden blitzend und glänzend wie in der Halle der Königin.

Jetzt konnte sich Prinz Andrea wieder mit der schönen Prinzessin Meseria hinsetzen und sich mit ihr freuen; denn nun hatten sie reichlich Zeit, bis die Königin kommen würde. Am Nachmittag sagte Meseria, jetzt müsse sie gehen. Kurz darauf kam die Seekönigin und wollte sehen, wie es um Andrea stand.

»Hast du den Stall gesäubert?«fragte sie.

»Ja, meine Königin, das habe ich getan.«

»Ist er so blitzend und glänzend wie der Fußboden in meiner eigenen Halle?«

»Ja, meine Königin, das ist er.«



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»Das wollen wir gleich sehen«, sagte die Seekönigin und trat in den Stall ein, um nachzuprüfen, ob ihr Befehl genau ausgeführt worden war. Sie war sehr enttäuscht, als sie feststellte, daß Andrea ihr die Wahrheit gesagt hatte. Da standen die Pferde zufrieden wiehernd in ihren sauberen Boxen, und alles war wie anbefohlen.

»Hm, ich muß mich nur wundern, wie du das alles so ganz allein fertiggebracht hast«, murmelte sie beim Fortgehen.

Am nächsten Morgen wurde Prinz Andrea wieder zu der Seekönigin gerufen. Diesmal führte sie ihn in ihren Schweinestall, in dem tausend Schweine standen, und dieser Stall war noch nie gereinigt worden. Man konnte das schon von weitem riechen. Und als sie näher kamen, sah Andrea, daß sich drinnen der Schmutz schon wie ein Gebirge aufgehäuft hatte.

»Nun gehe hin und reinige den Stall! Er muß so sauber wie eine neue Stecknadel werden, das ist deine Aufgabe für heute«, so sprach die Seekönigin und verließ Andrea.

Ach, der arme Andrea machte gar nicht erst den Versuch, diese schmutzige Aufgabe zu lösen. Er wußte, es war glatt unmöglich. Doch als er draußen vor dem Stall saß, verzweifelt, was er anfangen solle, sah er Meseria auf sich zukommen.

»Hallo«, rief sie. »Warum sitzt du so traurig da? Was für einen Auftrag hat dir die Königin denn heute gegeben?«

»Diesen Schweinestall bis zum Abend zu säubern, und zwar soll er so blank sein wie eine neue Nadel - und das alles noch heute«, sagte Andrea, indem er die Sprechweise der Königin nachahmte.

»Sorge dich nicht, das will ich schon erledigen«, antwortete Meseria. »Sei mir nur treu, und ich werde dir helfen wie bisher.«

Und Andrea versicherte ihr seine Treue. Nun ging Meseria hinein und ergriff einen langen Besenstiel, der hinter der Tür hing. Damit berührte sie eine alte Sau, die in einer Ecke im Schlamm lag. Und sie rief:

»Sau, wenn du mir hilfst, laß ich dich frei!« Sie faßte Andreas Hand und lief mit ihm, so schnell sie nur konnte, ein ganzes Stück fort. Es war auch schon höchste Zeit, denn die Sau war aus dem Schlamm aufgesprungen und wühlte den ganzen Schmutzhügel hoch, so daß alles über die Wände des Schweinestalles hinausflog. Es dauerte



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keine fünf Minuten und aller Dreck war beseitigt, und Meseria brauchte nur noch mit einer Bürste über den Boden zu wischen, und der Schweinestall blitzte vor Sauberkeit wie eine neue Nadel. Die alte Sau lief aber auf und davon und ward nicht mehr gesehen.

Prinz Andrea setzte sich nun mit seiner schönen Prinzessin noch eine Weile hin, um zu plaudern, denn er dachte, daß er sie nun nach Erfüllung aller drei Aufgaben heiraten dürfe, und schwärmte schon davon, wie glücklich sie zusammen sein würden.

»O, freue dich nicht zu früh!« sagte sie. »Du weißt gar nicht, was diese böse Hexe, die Seekönigin, sich als nächstes ausdenken wird. Wir müssen aufpassen, denn sie kann ganz gefährlich werden.« Am Nachmittag ging Meseria wie gewöhnlich, und kurz darauf kam die Seekönigin.

»Was hast du mit meinem Schweinestall angefangen?« fragte sie. »Hast du den Schmutz weggeschafft?«

»Ja, meine Königin, das habe ich. Der Stall glänzt wie eine neue Nadel«, antwortete Andrea.

Als sie hineinsah, konnte sie es nicht ableugnen, daß er recht hatte, und böse murmelte sie: »Das hast du nicht allein vermocht. Doch da du die drei Aufgaben gelöst hast, die ich dir aufgab, will ich mein Versprechen halten und dir mein feines Mädchen Meseria geben. Doch ehe du sie heiratest, mußt du erst zu meiner Schwester, der Waldkönigin, gehen und einige Dinge für die Hochzeit holen. Morgen früh sollst du dich auf den Weg machen.« Und nach diesen Worten verließ sie ihn wieder.

>Vielleicht weiß Meseria doch nicht recht Bescheid<, dachte Prinz Andrea im stillen, denn das klang eben doch nicht so übel.

Am folgenden Morgen kam die Seekönigin zu ihm und erklärte ihm genau, wie er ihre Schwester finden könne und wie er zu gehen habe. Gerade als Prinz Andrea seine Tageswanderung antreten wollte, kam Prinzessin Meseria ihm entgegen.

»Hallo, mein Prinzeßchen!« rief Andrea ihr zu, »gute Nachricht für dich! Ich mache jetzt eine Tageswanderung zu der Waldkönigin, um allerlei für unsere Hochzeit zu holen.«

»Das habe ich mir schon gedacht, und deswegen bin ich ja hergekommen. Die Waldhexe ist geradeso gefährlich wie ihre Schwester,



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und du mußt sehr vorsichtig sein, wenn du lebendig von einem Besuch in ihrem Haus zurückkehren willst.«

»O, die Waldhexe ist sie!« rief Andrea erschrocken. Nun wußte er genau, wer sie war; sie war's, die vor langen Jahren einmal einen von seines Vaters Jägern in den tiefen Wald gelockt hatte, und nie mehr wurde der wiedergesehen. Er hatte erzählen hören, daß sie sich den Menschen gewöhnlich als eine schöne Frau mit rotgelocktem Haar zeigte, doch sobald sie sich umdrehte, sah man, daß sie hohl war, und deswegen ließ sie ihr langes Haar über den Rücken herabfallen.

»Ohne meine Hilfe würdest du für immer verloren sein«, fuhr Meseria fort. »Nun, ich habe hier ein paar Sachen für dich, die dir auf deiner Wanderung nützen werden. Hier sind zwei Messer, und hier zwei Äxte von hartem Stahl, zwei Laib Brot und zwei wollene Mützen. Verschenke sie auf deinem Wege zur Hexe, wenn du siehst, daß sie wo gebraucht werden!« Sie gab ihm alles, und Andrea dankte ihr für alles Liebe und wollte gleich gehen.

»Warte noch einen Augenblick, wir sind noch nicht fertig!« sagte sie. »Das war nur für die Wanderung. Doch für deinen Aufenthalt bei der Hexe habe ich dir noch allerlei mehr zu sagen. Hier ist ein seidenes Kissen für die scheußliche Schlange, das zahme Tier der Hexe, das auf dem Fußboden in der Halle haust. Und dann mußt du wissen, daß du dich in der Halle nur mit größter Vorsicht auf einen Stuhl setzen darfst. Da gibt es einen roten Stuhl, und wenn du dich auf den setzst, werden feurige Flammen dich zu Asche verbrennen. Da gibt es einen weißen Stuhl, und wenn du dich auf den setzst, werden weißschäumende Wogen über dir zusammenschlagen und du wirst ertrinken. Und da gibt es einen blauen Stuhl, und wenn du dich auf den setzst, werden die Adern in deinem Körper anschwellen und platzen, und du wirst sterben. Und schließlich ist da noch ein gelber Stuhl, und wenn du dich auf den setzt, wirst du von einer Krankheit befallen und mußt auch sterben. Doch da ist noch ein schwarzer Stuhl, der unauffällig im Hintergrund steht, und das ist der einzige, auf den du dich unbeschadet setzen darfst. Und denke während der ganzen Zeit dort daran, daß du keinerlei Nahrung anrührst. Wenn du es tust, wird sie dich in einen schrecklichen Drachen verwandeln, der dich in Stücke reißt. Wenn du dir das alles nicht genau einprägst,



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fürchte ich, werden wir uns nie wiedersehen«, schloß Meseria mit Tränen in den Augen.

»Es ist allerdings viel, was ich mir merken muß, doch werde ich mir gewiß Mühe geben, deine Anweisungen zu befolgen«, antwortete Prinz Andrea. Dann nahm er Abschied von ihr und begann seinen langen und gefahrvollen Weg.

Dieser Weg ging gerade durch das Meer und hinauf in einen tiefen Wald. Als er mehrere Stunden durch den Wald geschritten war, sah er, wie Bauern Holz zerschnitten. Sie waren langsame Arbeiter, aber das war kein Wunder, denn sie hatten nur ein Messer, und zwar ein schlechtes, so taten hier die zwei stählernen Messer not, und er rief ihnen zu:

»Hallo, ihr zwei da! Mit eurem Messer könnt ihr aber nicht viel schaffen. Ich habe hier bessere Klingen für euch.« Und er reichte ihnen die zwei stählernen Messer, die Meseria ihm gegeben hatte. Die beiden Männer schauten ihn dankbar an, nahmen die Messer und versuchten sie. Wie überrascht waren sie, als sie sahen, wie sehr viel rascher ihnen die Arbeit jetzt von der Hand ging! Sie dankten ihm tausendmal, und Prinz Andrea setzte seine Wanderung fort, glücklich darüber, eine so gute Verwendung für die Messer gefunden zu haben. Nach einiger Zeit sah er zwei Holzfäller, die eine hohe Tanne umzuhauen versuchten, doch sie kamen kaum damit vorwärts, denn sie hatten nur eine Axt, und es war eine schlechte Axt, denn sie war aus Holz.

»Hallo, ihr zwei Holzfäller dort!« rief er. »Glaubt ihr wirklich, daß ihr mit eurer Axt jemals den Baum werdet fällen können? Hier, ich habe besseres Werkzeug für euch!« Und er gab ihnen die zwei Äxte aus Stahl, die er von Meseria erhalten hatte. Nirgends, glaubte er, würde er jemanden finden, der sie notwendiger gebrauchen konnte als die beiden Holzfäller.

Sie dankten ihm sehr und versuchten ihr neues Gerät. Wie herrlich diese Äxte waren! Nun konnten sie ihre Arbeit in ganz kurzer Zeit schaffen. Und tausendmal dankten auch sie dem hilfreichen Wandersmann. Andrea ging weiter und war froh darüber, daß er eine so gute Verwendung für die Äxte gefunden hatte, die Meseria ihm mitgegeben hatte.



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Nachdem er einige Zeit gewandert war, sah er hoch oben auf einem Hügel eine Windmühle stehen. Als er näher kam, sah er zwei Männer dort eifrig arbeiten. Der kalte Wind und der durch die Windmühlenflügel bewirkte Zug blies ihnen ständig die Haare ins Gesicht. Als Andrea das sah, dachte er, daß hier die wollenen Mützen der Prinzessin wohl angebracht wären.

»Hallo, ihr da, ihr zwei Müller! Stört euch nicht der Wind bei der Arbeit, weil er euch dauernd die Haare ins Gesicht pustet?« rief er ihnen zu.

»Bist du ein törichter Bursche!« riefen sie zurück. »Der Wind hilft uns, die Mühle in Gang zu halten. Wir müssen uns mit der Kälte abfinden.«

»Ja, das sehe ich, aber ihr braucht warme Mützen, damit eure Köpfe warm werden und euer Haar in Ordnung bleibt«, sagte er und gab ihnen die zwei wollenen Kappen.

>Was für ein guter Freund ist das doch, und wie unfreundlich sind wir zu ihm gewesen<, dachten sie beschämt und sagten dann laut: »Vielen tausend Dank, lieber Herr, für euer Geschenk!«

So ging also Prinz Andrea ganz beglückt weiter und war froh darüber, daß er mit Meserias Geschenken so viel Nutzen stiften konnte.

Mehrere Stunden wanderte er weiter durch den Wald. Zuletzt sah er da, wo die dicksten Bäume waren, das Haus der Waldkönigin stehen, das aus großen schweren Baumstämmen errichtet war. Durch das Tor stürzten ein Wolf und ein Bär mit aufgerissenem Rachen, um ihn zu verschlingen. Er aber nahm eilends einen Brotlaib, brach ihn in zwei Hälften und warf jede in einen der hechelnden Rachen, ehe die Bestien ihn angreifen konnten. Da krochen sie, das Brot kauend, in ihre Höhlen hinter dem Tor zurück, und Andrea konnte ungestört weitergehen.

Dann betrat er das gefahrdrohende Haus der Waldhexe und sah sich in einer großen Halle. Da saß die Hexe auf einem Thron, ihr rotes Haar hing lose über den Rücken. Sie hatte den gleichen tückischen Blick in den Augen wie ihre Schwester. Es schüttelte Andrea, als sie ihn ansah und fragte, was er wolle. Er verbeugte sich und erwiderte:



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»Ich bringe Grüße von deiner Schwester und soll einige Sachen für meine Hochzeit von dir abholen.«

»Ach ja, ich weiß schon«, sagte sie mit einem bösen Lächeln, das Andrea an ihre Schwester erinnerte. »Du hast einen langen Weg hinter dir und wirst müde sein. Setz dich ein Weilchen und iß etwas, während ich die Sachen für die Hochzeit zusammenpacke.«

Sie zog einen roten Stuhl heran und forderte Andrea zum Sitzen auf. Aber er schüttelte nur den Kopf und sagte, er sei gar nicht müde. Dann zeigte sie auf einen weißen Stuhl, doch Andrea wehrte wieder ab, da er ja nicht müde sei. »Warum nimmst du nicht Platz, wie es doch üblich ist?«fragte sie und schob ihm den blauen Stuhl zu. Er aber schüttelte nur den Kopf und hielt nach dem schwarzen Stuhl Ausschau, weil er nach dieser Tageswanderung wirklich müde war —das stimmte schon. Dann entdeckte er den schwarzen Stuhl in einer Ecke, ging hin und setzte sich.

Als sie das sah, wurde die Waldhexe grün vor Wut, aber sie sagte nur: »Da du noch etwas warten mußt, wirst du es mir doch nicht ablehnen, etwas zu essen, was ich dir vorsetzen werde. Meine Schwester würde es mir nie verzeihen, wenn ich dich von hier wieder gehen ließe, ohne daß du meine gute Wurst gekostet hast«, und damit ging sie hinaus. Andrea sah sich in der Halle um, ob er die Schlange, von der Meseria gesprochen hatte, irgendwo sehen könnte. Doch gerade, als er das scheußliche Reptil entdeckte, das schon hochzüngelte, kam die Hexe mit dem Essen.

»Nimm«, sagte sie und gab ihm eine Wurst. »Iß sie auf, während ich die Sachen für die Hochzeit packe«, und dann ging sie an der Schlange vorbei und flüsterte ihr zu:

»Schlange, hör' zu!
Wache ohne Ruh.«


***
Sobald Andrea in der Halle wieder allein war, stahl er sich zu der Schlange hin, trat ihr auf ihren Schuppenleib und schob ihr das seidene Kissen unter den Kopf. In Sekundenschnelle war sie eingeschlafen. Nun überlegte Andrea, was er wohl mit der Wurst anfangen solle, die zu essen, wie er wußte, gefährlich war. Und so


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versteckte er sie schließlich in der Ecke hinter dem schwarzen Stuhl, auf den er sich wieder setzte. Im nächsten Augenblick aber trat schon die Hexe in die Tür und fragte:
»Wurst, hörst du mich?
Sprich, ich frage dich.«


***
Und hinter dem Stuhl kam die Antwort der Wurst hervor:
»Königin, ich sag es hier:
der Stuhl verbirgt mich jetzt vor dir.«

Nun aber wurde die Hexe überaus böse. Sie kam zu dem Stuhl, auf dem Andrea saß, hob die Wurst auf und legte sie vor Andrea hin: »Was für ein unhöflicher Mensch bist du, daß du die kleine Mahlzeit, die ich dir anbiete, verschmähst! Ich bitte dich aber, wenigstens diese eine Wurst zu essen«, sagte sie und verließ sehr aufgeregt den Raum. Andrea wußte nun wirklich nicht, was er mit der Wurst anfangen sollte. Lange Zeit überlegte er, an welchem Platz er sie wohl sicher verbergen könne. Plötzlich hörte er sich nähernde Schritte und steckte die Wurst schnell in seine Jacke. Kaum getan, stand die Hexe wieder in der Tür mit einem Kästchen in der Hand. Sie blickte ringsum und fragte wie zuvor:

»Wurst, hörst du mich?
Sprich, ich frage dich.«


***
Und aus Andreas Jacke heraus antwortete die Wurst:
»Königin, ich sag es dir,
bin in seiner Jacke hier.«


***
Da freute sich die Hexe und sagte:
»In der Jacke, Herzchen mein,
wirst bald in seinem Magen sein.«


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***
Dann gab sie Prinz Andrea das Kästchen und sprach: »Hier sind die Hochzeitsgeschenke. Ich wünsche dir einen recht guten Tag, und viele schöne Grüße an meine liebe Schwester!«

Andrea verließ das Haus durch die große Tür und atmete erleichtert auf, als sie sich hinter ihm schloß. Doch er war kaum in dem Hof, da fühlte er, wie sich die Wurst in seiner Jacke bewegte. Er machte die Jacke schnell auf, und heraus drängte die Wurst. Sie schwoll und schwoll, bis sie zuletzt ein riesiger Drache geworden war, der in die Wolken hinauffiog. Andrea konnte es sich lebhaft vorstellen, was aus ihm geworden wäre, wenn er dieses Ungeheuer verschlungen hätte. Aber die Hexe ließ ihm keine Zeit, darüber nachzudenken. Denn sobald sie merkte, daß Andrea ihr entkommen war, lief sie aus dem Haus und schrie:

»Greift ihn, meine Wächter!
Mit den Klauen müßt ihr ihn zerreißen,
Mit den Kiefern müßt ihr ihn zerbeißen!«


***
Heraus stürzten Bär und Wolf mit weit aufgerissenen Rachen, um ihn zu verschlingen. Doch Andrea hatte noch ein Stück Brot zurückbehalten, das er nun schnell auseinanderbrach und jede der Hälften einer der Bestien zuwarf. Und der Bär brummte:
»Hungrig war ich sehr,
nun kann ich nicht mehr.«


***
Und der Wolf jaulte das gleiche. Ohne Andrea etwas zuleide zu tun, krochen beide in ihre Höhlen hinter den Zaun zurück. Prinz Andrea gab Fersengeld und rannte fort, so schnell er konnte. Aber die Hexe verfolgte ihn, und als er an der Mühle vorbeilief, schrie sie:
»Aufgepaßt, ihr Müller zwei,
mahlt ihn mir zu Staub und Brei!«


***
Sie wollten gerade den Befehl ausführen, als sie ihn erkannten und sagten:


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»Nein, diesem können wir nichts Böses tun. Als wir froren, gab er uns wollene Mützen, seitdem sind wir warm und zufrieden.« Sie kehrten zu ihrer Mühle zurück, und Andrea rannte weiter, doch die Hexe kam näher und näher.

Als er die beiden Holzfäller erreichte, hörte er sie hinter sich schreien:

»Ihr Holzfäller, herbei, herbei!
Schneidet mir den in Stücke entzwei!


***
Schon wollten sie der Königin gehorchen, doch als sie sahen, um wen es hier ging, riefen sie:

»Nein, dieser junge Mann ist unser Freund. Wir mußten schwer mit schlechtem Werkzeug arbeiten, doch seit er uns neue Äxte gab, fliegt die Arbeit nur so.« Und sie ließen ihn ungehindert vorüber.

Als Andrea in Sicht der beiden Holzschneider kam, hörte er wieder hinter sich die Stimme der Hexe:

»Ihr Holzschneider, ihr beide,
zerschneidet ihn, mir zur Augenweide!


***
Sie wollten ihn gerade packen, als sie den jungen Mann erkannten, der ihnen die guten Stahlmesser geschenkt hatte. Da ließen sie ihn weitergehen und riefen:

»O nein, der ist ja unser Freund! Er hat uns gute Stahlmesser gegeben, damit wir nicht mehr das stumpfe hölzerne brauchen. Dem können wir nichts antun!«

Von da an lief Prinz Andrea auf seinem Weg durch den Wald, ohne noch neue Abenteuer bestehen zu müssen. Und er kam an die Stelle der Meeresküste, von der aus er das Schloß der Seekönigin sicher erreichen konnte.

Selbstverständlich war seine Rückkehr für die Seekönigin eine sehr unliebe Überraschung. Sie konnte nur mit Mühe ihre Wut beherrschen, als er ihr die Schachtel mit den Hochzeitssachen übergab und dazu Grüße ihrer Schwester ausrichtete. Doch sie nahm sich zusammen und sagte:



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»Wie klug du nur bist! Nun wollen wir also eine prächtige Feier vorbereiten. Es kommt nicht oft vor, daß einer meiner jungen Leute so viel Glück hat.« Und Prinz Andrea ward über diese Worte sehr froh.

Gegen Abend kam Prinzessin Meseria, um ihn zu sprechen. Obwohl sie glücklich war, ihren Prinzen lebendig wiederzusehen, war sie doch von Angst erfüllt. »Unsere Königin hat eine furchtbare Wut«, sagte sie, »wir hätten besser daran getan, so rasch wie möglich fortzulaufen.«

»Das ist nicht so leicht getan«, antwortete Andrea, »ich habe es jetzt erfahren, was es heißt, wenn man einer Hexe zu entkommen versucht.«

»Bis jetzt ist uns alles gut gelungen«, meinte Meseria, »und wenn wir vorsichtig sind, werden wir doch noch unser Ziel erreichen. Wir müssen in tiefer Nacht aufbrechen, wenn die Königin schon zu Bett gegangen ist. Du gehst in den Stall und sattelst das schwarze Pferd mit dem goldenen Sattel und die schwarze Stute mit dem silbernen Sattel und wartest dort, bis ich komme. Ich habe noch einiges vorzubereiten.«

Dann ging Meseria in ihr Schlafzimmer, nahm ein Kleid und zerriß es in drei Stücke. Jedes davon band sie zu einer Schleife. Dann stach sie sich mit einer Nadel in den Finger und ließ auf jede der drei kleinen Schleifen einen Blutstropfen fallen. »Nun müßt ihr statt meiner antworten«, sagte sie und legte eine neben ihr Bett, die zweite mitten ins Zimmer und die dritte auf die Türschwelle. Sie wartete, bis sie die Königin im Nebenzimmer schnarchen hörte. Dann eilte sie in den Stall hinunter.

Andrea stand schon mit den zwei Pferden bereit. »Schnell, schnell, besteige das schwarze Pferd«, sagte sie, »ich nehme die Stute. Und nun nichts als fort!«

Als die Seekönigin früh am nächsten Morgen erwachte, rief sie: »Meseria, Mädchen, schläfst du noch?«

»Nein, meine Königin, ich stehe eben auf«, antwortete die Schleife neben dem Bett.

Die Seekönigin drehte sich auf die andere Seite und schlief weiter. Nach einer Stunde wachte sie von neuem auf und rief:



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»Meseria, mein Mädchen, bist du nun auf?«

»Ja, meine Königin, ich scheuere gerade den Boden«, antwortete die Schleife, die mitten im Zimmer lag, und die Seekönigin schlief nochmals ein. Nach einer weiteren Stunde rief sie erneut:

»Meseria, mein Mädchen, scheuerst du noch immer den Boden?«

»Nein, meine Königin, ich mache das Feuer an«, erwiderte die Schleife, die auf der Türschwelle lag, und die Königin schlief ein drittes Mal ein.

Als die Königin das nächste Mal aufwachte, rief sie wieder:

»Meseria! Meseria! Hörst du nicht, daß ich dich rufe?«

Aber da kam keine Antwort. Schließlich stand die Königin auf, um zu sehen, was es denn gäbe. Sie trat in Meserias Stube und sah die drei Schleifen mit den drei Blutstropfen.

»Oh, dieses gescheite Ding!« rief sie aus, »alle meine Tricks hat sie mir abgelauscht! Aber sie soll ihren Prinzen nicht bekommen, soweit ich es nur verhindern kann!« Sie lief in den Stall hinunter und fand, wie sie es schon erwartet hatte, daß das schwarze Pferd und die schwarze Stute fort waren und mit ihnen Prinz Andrea und Prinzessin Meseria.

Sie rief ihren Stallburschen: »Schnell, nimm meine Geis, setze dich auf sie und verfolge die beiden. Was du an lebenden Wesen auf deinem Wege findest, das bring her, und nun spute dich!«

Prinz Andrea und Prinzessin Meseria waren die ganze Nacht hindurch geritten und daher schon weit fort, als der Stallbursche die Verfolgung aufnahm. Aber die Zaubergeis der Königin war schneller als der Wind und sauste über die Wogen.

Und plötzlich sagte Meseria zu Andrea: »Hörst du das laute Schnauben hinter uns? Nun heißt es aufpassen, denn die eigene Geis der Königin verfolgt uns.« Und sie verwandelte sich und Andrea in ein paar kleine Mäuse und die beiden Pferde in Sträucher am Weg. Als der Stallbursche herangaloppiert kam, sah er weder Pferd noch Stute, weder Andrea noch Meseria, er sah nur zwei kleine Mäuse im Gebüsch spielen.

>Die kann meine Königin ja nicht gemeint haben<, dachte er, und da er ringsum nichts Verdächtiges feststellte, kehrte er nach Hause zurück.



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»Nun, hast du sie gefunden?«fragte die Königin aufgeregt.

»Nein, Herrin, ich sah nur ein paar Mäuse im Gebüsch spielen, und die kannst du ja nicht gemeint haben.«

»Du dummer Kerl, gerade die hättest du greifen müssen. Kehre sofort dorthin zurück und bringe jedes lebendige Wesen, dem du begegnest, ganz gleich, ob es winzig oder groß ist.«

Also saß der Bursche wieder auf und ritt übers Meer.

Und wieder hörte Meseria schon von weitem das Schnauben der Geis. Nun verwandelte sie die zwei Pferde in Bäume und sich und Andrea in Vögel, die im Gezweig herumflatterten.

Und als der Bursche auf der Geis heranjagte, sah er keine Mäuse und kein Gesträuch - sondern nur ein paar Bäume und darinnen zwei kleine Vögel. Und er kam völlig erschöpft mit leeren Händen zurück.

»Hast du sie gefaßt?« schrie die Hexe ihm schon entgegen, als sie ihn kommen sah.

»Nein, Herrin, ich sah nichts von Mäusen, nur ein paar ganz kleine Vögel, und die kannst du ja wirklich nicht gemeint haben.«

»Du dummer Kerl! Befahl ich dir nicht jedes Lebewesen, ob klein oder groß, herzubringen?« brüllte die Königin vor Wut. »Lauf hinunter und sattle die Geis neu, jetzt will ich selber mal nachsehen.« Sie sprang auf ihre Geis, und fort ging es mit Blitzesschnelle.

»Oh!«rief Meseria aus, als sie diesmal die Geis hörte. »Am Ton höre ich, daß da nun die Hexe selber kommt. Ihr ist nicht zu entgehen. Aber sieh, in diesem Augenblick sind wir gerettet, denn jetzt haben wir die Grenze ihres Königreiches überschritten.«

Und als Meseria und Andrea aus den Wogen auftauchten, sahen sie die zornige Seekönigin, die sie nun nicht mehr erreichen konnte und vor Wut die Fäuste gegen sie schüttelte. Sie mußte in ihr Zauberschloß ohne die kluge Meseria und den jungen Prinzen zurückkehren. Andrea stellte fest, daß sie an der gleichen Stelle aus dem Meer aufgetaucht waren, an der die weiße Hand ihn einst hinabgezogen hatte. Nicht weit entfernt erkannte er seines Vaters Schloß. Er hatte Meseria versprochen, daß sie zuerst in ihr Land gehen und dort heiraten würden, um dann erst in seines Vaters Königreich zurückzukehren.



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Aber er hatte natürlich nicht gewußt, daß er so nah von zu Hause sein würde.

»Komm, gehen wir schnell zum Schloß und begrüßen erst meine Eltern!« sagte er zu Meseria.

»O nein! Das dürfen wir nicht, ehe wir verheiratet sind. Denn ich weiß genau, daß wir vorher noch von der Rache der Seekönigin bedroht werden.«

»Aber ich bin doch so nahe, ich kann nicht anders, ich muß zuerst schnell meine Eltern sehen.«

»Wenn du so sehr danach verlangst, mag ich dich nicht hindern. Doch du mußt alleine gehen. Ich will hier auf dich warten. Und was du auch tust, das eine, versprich es mir, darfst du auf keinen Fall: du darfst zu niemanden sprechen, sonst vergißt du mich sofort, und alles, was wir zusammen durchgemacht haben, versinkt im tiefen Meer.

»Wie kannst du glauben, daß ich dich und alles, was du für mich getan hast, je im Leben vergessen könnte? Ich verspreche dir fest, zu keiner Menschenseele auch nur ein einziges Wort zu sagen. Warte nur wenige Minuten, ich bin gleich zurück!«, so Andrea.

Was für eine Aufregung über seine Heimkehr gab es in seines Vaters Schloß! Niemand hatte mehr daran geglaubt, ihn lebend wiederzusehen. König und Königin umarmten ihn und waren glücklich, ihn wieder zu Hause zu haben. Doch wie verändert er war! Er sprach mit niemandem, er wollte gleich nochmals davongehen. Soviel sie es auch versuchten, keiner konnte ihn zum Bleiben überreden. Er schüttelte nur den Kopf und wollte wieder forteilen.

Doch gerade, als er hinausging, kamen seine beiden Doggen gerannt, sprangen an ihm hoch und jaulten vor Freude.

»Aus, aus! Ruhig!« rief er, sein Versprechen völlig vergessend. Und sofort war ihm, als sei er soeben aus einem schweren Traum erwacht.

>Warum bin ich hier draußen? Wieso will ich von Hause fortgehen? Es wartet doch niemand auf mich. Was ist denn nur?<Alle diese Fragen gingen ihm durch den Kopf, aber er wußte keine Antwort und kehrte in das Schloß zurück.

Wie freuten sich seine Eltern; denn nun erst war er wieder ganz ihr



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lieber Sohn. >Wie gut<, dachten sie, >daß er jetzt wieder wie früher ist und das Sprechen nicht verlernt hat.<

Am Meeresufer aber saß einsam Prinzessin Meseria und wartete auf ihren Prinzen. Sie wartete Stunden um Stunden, aber keiner kam. Was sie befürchtet hatte, mußte geschehen sein: sie war von ihm vergessen worden. Sie stürzte zu Boden und weinte bitterlich.

Zuletzt faßte sie sich wieder und überlegte, was wohl zu tun wäre. >Ehe ich etwas anderes unternehme<, sagte sie sich, >werde ich erst einmal mein Gesicht waschen, damit niemand sieht, daß ich geweint habe.<

Sie ging in einen nahen Wald, wo sie eine Quelle fand. Nachdem sie ihr Gesicht gekühlt hatte, sah sie, wie ein junges Mädchen aus einer kleinen Hütte trat. Es hielt einen Krug in der Hand, den es wohl an der Quelle mit Wasser füllen wollte. Meseria schlüpfte hinter ein paar Sträucher und wartete ab.

Als das Mädchen sich bückte, um seinen Krug zu füllen, schaute Meseria durch die Zweige, und ihr Gesicht spiegelte sich im Wasser. Und das nach unten blickende Mädchen sah das Gesicht von Meseria im Wasser. Weil es noch nie in einen Spiegel geschaut hatte, glaubte es nun, es erblicke sein eigenes Gesicht, und war erstaunt, eine solche Schönheit zu sein.

»Wie töricht wäre ich, hierzubleiben und meinen blinden Vater zu bedienen!« rief es aus. »Ich will in die Welt hinausgehen und mein Glück versuchen.« Es ließ den Krug stehen und ging davon.

Meseria nahm den Krug, füllte ihn mit Wasser und ging zu dem blinden Mann in die Hütte. Der Blinde glaubte, es sei seine Tochter, und wunderte sich, was wohl geschehen sei, weil sie plötzlich so freundlich und liebevoll zu ihm war. Nun blieb Meseria in der Hütte des Blinden und sorgte für ihn. Und wer an der Hütte vorüberkam, staunte, was für eine schöne Tochter der blinde Bauer hatte, und wunderte sich, daß noch niemand je von ihr gesprochen hatte.

Viele junge Leute kamen nun zu der Hütte, um das reizende Mädchen zu sehen, und es waren nicht wenige, die sie gern heiraten wollten. Aber sie wies alle zurück. Man fing an, über sie zu reden, und es hieß, sie sei genau so stolz wie schön. Die Dienerschaft in dem königlichen Schloß hörte auch von den Gerüchten, und selbst die



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Höflinge redeten schon von dem stolzen Bauernmädchen. Da waren besonders drei, die saßen eines Nachts beieinander und sprachen über sie. Und der eine sagte: »Morgen will ich zu der Hütte des Blinden hinuntergehen und mich mit dem schönen Mädchen unterhalten. Dann werde ich ja sehen, ob sie so stolz und unnahbar ist, wie es immer heißt.«

Die anderen hielten das für einen guten Plan. Und am nächsten Tag ging der Höfling zu der Hütte des blinden Mannes, um Meseria selbst zu sehen. Als er kam, öffnete sie und war freundlich und liebenswürdig. >Sie ist tatsächlich so schön, wie immer gesagt wird, doch ob sie auch so stolz und abweisend ist?<dachte der Höfling im stillen. Er blieb auch noch am Abend ruhig sitzen, und es sah aus, als wolle er die ganze Nacht dableiben. Meseria wußte nicht recht, wie sie ihn loswerden sollte. Zuletzt sagte sie:

»Ach, ich glaube, ich habe vergessen die Tür zuzumachen.«

»Nun, damit brauchst du dich nicht aufzuhalten«, antwortete ihr Gast, »das will ich schon besorgen.«

»Willst du es mir bitte sagen, wenn du die Klinke zu fassen hast?« fragte sie. Und der Höfling ging zur Tür und rief:

»Ich bin da, ich habe die Klinke zu fassen.«

»Mann, halte den Griff, Griff, halte den Mann, bis die Sonne am Morgen aufgeht«, sprach Meseria.

Und der Höfling schloß die Tür, aber sie ging sofort wieder auf, und er hing fest an der Klinke und kam nicht wieder los. Die Tür ging auf und schloß sich wieder, ging auf und schloß sich wieder, die ganze Nacht hindurch - und der arme Mann mußte immer mit ihr dauernd hin und her. Der Morgen kam, die Sonne stieg am Horizont auf, und da endlich wurde der Höfling von der Klinke freigegeben und rannte, so schnell er nur konnte, nach Hause.

Als er die anderen beiden Höflinge traf, waren diese sehr neugierig und fragten ihn, ob ihm sein Besuch bei dem schönen Bauernmädchen viel Spaß gemacht habe. »Vielleicht ist sie gar nicht so stolz, wie immer gesagt wird?«fragten sie ihn.

»Ja, warum geht ihr nicht hin und stellt es selber mal fest?« war alles, was er antwortete, denn er schämte sich, ihnen zu verraten, wie er die Nacht hatte zubringen müssen.



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»Schön, heute werde ich mal hingehen und über Nacht dortbleiben«, sagte der zweite Höfling.

Als er zur Hütte kam, stand Meseria in der Tür und grüßte freundlich. >Sie ist wirklich eine Schönheit<, dachte der Mann und freute sich, daß er hergekommen war. Er trat ein, plauderte mit ihr und konnte gar kein Ende finden, so daß man annehmen mußte, er wolle überhaupt nicht wieder fortgehen.

Schließlich rief Meseria aus: »Oh, ich glaube fast, ich habe die Ofenklappe zu schließen vergessen.«

»Laß nur«, sagte ihr Besucher, »das will ich schon für dich tun.«

»Ja, aber wir haben eine Ofenklappe, die draußen am Haus angebracht ist und mit einem langen Stock zugestoßen werden muß, der an der Rückseite der Hütte hängt. Bitte rufe es mir zu, wenn du ihn gefunden hast und in der Hand hältst!« rief sie ihm zu.

Der Höfling ging hinaus zur Rückseite der Hütte und faßte den Stock von der Ofenklappe. »Jetzt bin ich da und habe den Stock«, rief er.

»Mann, halte den Stock, und Stock, halte den Mann, bis die Sonne am Morgen aufgeht«, sagte Meseria.

Der Höfling schloß die Klappe, doch die ging wieder auf. Er klebte am Stock und kam nicht davon los. Rauf und runter, rauf und runter, so ging der Stock und mit ihm der Mann, die ganze Nacht hindurch. Erst als am Morgen die Sonne aufging, war er endlich befreit und lief davon, so schnell er konnte.

Er schämte sich des nächtlichen Abenteuers sehr, und als er seine beiden Freunde wiedersah und der dritte Höfling ihn fragte, ob es ein angenehmer Besuch bei der Tochter des blinden Mannes gewesen sei, erwiderte er:

»Du selber bist ja noch nicht dort gewesen. Warum willst du dein Glück bei dem Mädchen nicht selbst mal versuchen?«

Da wurde nun der dritte Höfling auf seine beiden Freunde eifersüchtig und sagte: »Ich werde heute nacht hingehen.«

»Viel Vergnügen!« riefen die beiden anderen ihm nach.

Als er die kleine Hütte erreichte, stand Meseria in der Türöffnung.

»Guten Tag, junge Frau, kann ich mich etwas mit dir unterhalten?« fragte er.



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»Gern, bitte tritt ein!« antwortete sie höflich. Der Mann dachte, sie wäre ja überhaupt nicht stolz. Sie schien ein nettes Mädchen zu sein, und er blieb und sprach mit ihr. Als Meseria glaubte, nun wäre er aber lange genug da, sagte sie:

»Oh, ich habe ja auch mein Kalb vergessen, das noch im Freien vor der Hütte ist.«

»Da brauchst du nicht hinauszugehen, ich tue es für dich.«

»Vielen Dank, es muß in den kleien Schuppen gleich neben der Hütte eingeschlossen werden. Du kannst es am besten fangen, wenn du es am Schwanz greifst. Bitte rufe es mir zu, wenn du es gefaßt hast.«

Kurz darauf hörte Meseria den Zuruf ihres Besuchers: »Ich habe es, ich halte es jetzt am Schwanz!«

»Gut so, Mann, halte den Schwanz, und Schwanz, halte den Mann, bis die Sonne am Morgen aufgeht!« rief Meseria.

Und nun begann ein Rennen bergauf und bergab, und der arme Höfling hing die ganze Nacht fest an dem Kalbsschwanz und konnte nicht loskommen. Er glaubte, die wilde Jagd würde für immer so weitergehen bis ans Ende der Welt. Doch als am Morgen die Sonne aufging, da stand das Kalb stille. Zu seiner großen Überraschung sah der Mann, daß er sich vor der Hütte befand und von dem Kalb befreit war.

Mehr tot als lebendig humpelte er heim. Als er später seine beiden Freunde traf, erfuhr er, daß deren Abenteuer nicht anders als sein eigenes verlaufen war. Keiner der drei hatte den Wunsch, das schöne Bauernmädchen noch einmal zu besuchen.

Während dies alles geschah, vergnügte sich Prinz Andrea auf den Festen, die der König zur Feier seiner Heimkehr gab. Aber nach einigen Wochen sagte der König zu Andrea, er wünsche, daß sein einziger Sohn nun heirate, und deswegen habe er viele Prinzessinnen aus anderen Ländern zu Gast geladen. Andrea brauche ihm dann nur zu sagen, welche von ihnen er am liebsten möge.

Andrea fand den Vorschlag seines Vaters sehr vernünftig, er hätte keinen Grund gewußt, nicht damit einverstanden zu sein, also wählte er sich eine nette und hübsche Prinzessin; und es wurde beschlossen, daß die Hochzeit einen Monat später stattfinden solle.



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Einige Tage vor der Hochzeit kam Prinz Andrea auf den Einfall, seiner Braut das ganze Land zu zeigen. Er wollte ihr vor Augen führen, ein wie mächtiger König sein Vater sei. Also befahl er für sie beide die schönste Staatskarosse und einige weitere Kutschen, in denen der Hofstaat folgen sollte.

Aber der Zug war noch nicht weit gekommen, als ein Unfall geschah. Die Pferde der Staatskutsche scheuten und gingen durch, eine der Deichseln brach, der Boden der Kutsche brach durch und fiel auf die Erde und mit ihm der Prinz und die Prinzessin.

Was gab das für eine Aufregung! Der Prinz befahl, andere Pferde zu holen, eine neue Deichsel und einen neuen Kutschenboden. Die Diener liefen und holten neue Teile. Aber sobald ein frisches Pferd vor die Kutsche gespannt wurde, brach es aus, sobald eine neue Deichsel angebracht war, zerbrach sie, und jeder neue Kutschenboden zerschellte.

Alle waren ratlos.

Doch als die drei Höflinge sich in der Gegend umsahen, erkannten sie, daß sie ganz dicht bei der kleinen Hütte hielten, in der das schöne Mädchen lebte, und nun gingen sie sofort zum Prinzen, und einer sagte:

»Mein Prinz, es mag ungewöhnlich sein, eine Tür als Kutschenboden zu benützen, aber wenn wir uns diese dort leihen könnten« — und er zeigte auf die Hüttentür -, »könntet ihr sie als Kutschenboden benutzen, und ich bin sicher, daß sie halten wird.«

Und der zweite sagte: »Mein Prinz, wenn wir uns die lange Stange, dort von der Ofenklappe« — und er zeigte auf die Hütte - »leihen würden, ich bin fest überzeugt, daß wir dann eine Deichsel hätten, die unzerbrechlich wäre.«

Und der dritte sagte: »Mein Prinz, es mag wohl etwas seltsam aussehen, aber wenn wir uns das Kalb von dort drüben leihen könnten und es vor die Kutsche spannten, es würde sie besser ziehen, als vier Pferde es vermöchten.«

Der Prinz fand alle ihre Vorschläge reichlich verrückt, aber es blieb keine andere Wahl. Deshalb sandte er einen Diener aus, um das schöne Bauernmädchen zu bitten, ihnen die drei Dinge zu leihen, und ließ fragen, was sie dafür verlange. Das Mädchen sagte, sie wolle



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dem Prinzen gern ihre Sachen leihen und ihre Bedingung sei nur, daß sie an die königliche Tafel geladen werde, noch vor der Hochzeit.

Der Prinz hatte nichts dagegen, das schöne Mädchen einzuladen, doch fand er ihren Wunsch sehr seltsam. Er nahm die drei Gegenstände von ihr an. Die Tür und die Stange der Ofenklappe paßten genau in die Kutsche, und niemand hätte daran etwas Seltsames entdecken können.

Das Kalb - nun ja, es war nicht eben die Tierart, die man vor eine prächtige Staatskarosse zu spannen pflegt -, es lief aber wacker los, vielleicht schneller, als es für den Prinz und die Prinzessin vergnüglich war. Doch nun konnte Prinz Andrea ihr das ganze Königreich zeigen.

Als der Hochzeitstag näher kam und es für Meseria Zeit wurde, sich auf das große Diner im königlichen Schloß vorzubereiten, zog sie ein so bezauberndes Kleid an, wie es zuvor noch nie gesehen wurde. Es war ein Kleid aus weißer Seide, mit Goldfaden durchwirkt und mit Perlen und Diamanten verziert. Auf dem Kopf trug Meseria eine zierliche goldene Krone, von kostbaren Juwelen durchsetzt. Sie war froh, sich wie eine richtige Prinzessin kleiden zu können. Als sie das Schloß betrat, wollten die Gäste sich gerade an die Tafel setzen. Doch da sie in die große Halle eintrat, war jeder von der schönen fremden Prinzessin derart gefesselt, daß alle darüber die Braut vergaßen. Nachdem man sich gesetzt hatte, zog Meseria ein kleines Kästchen hervor, und jedermann sah neugierig zu ihr hin. Sie öffnete das Kästchen, und darin waren drei kleine Vögel und drei kleine goldene Körner. Zwei der Vögel ergriffen ein Korn und flogen zu dem Platz, wo Andrea saß, und der dritte folgte ihnen, doch er trug nichts im Schnabel. Dann sprachen die Vögel miteinander:

»Wo ist dein Korn?«wurde der Vogel gefragt, der kein Korn hatte.

»Du bist genauso vergeßlich wie der Prinz Andrea, als er seine treue Meseria vergaß.«

Als Andrea das vernahm, blickte er auf, und jetzt erkannte er Meseria wieder, die auf der anderen Seite der Tafel saß. Es war, als sei er aus einem langen Schlaf erwacht, und plötzlich wußte er wieder alles, was er im Schloß der Seekönigin erlebt hatte. Er sprang von der Tafel auf, ging zu Meseria und schloß sie in seine Arme. Dann



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wandte er sich an die Gäste, die sich voller Erstaunen anschauten und nicht wußten, was hier eigentlich vor sich ging.

»Diese hier ist meine wahre Braut und keine andere«, sprach er. »Und die Prinzessin, die ich beinahe geheiratet hätte, möge meiner Erzählung lauschen und selbst beurteilen, ob es nicht bitteres Unrecht gewesen wäre, wenn ich sie geheiratet hätte.«

Und nun erzählte Prinz Andrea die ganze Geschichte von allen seinen Abenteuern drunten auf dem Meeresgrund und von all den Gefahren, aus denen ihn Meseria gerettet hatte; er erzählte auch, wie oft er ihr Treue geschworen hatte. Da war nicht ein Mensch in der großen Halle, auch nicht die frühere Braut selber, die Andrea nicht bestätigten, daß er vollkommen recht habe und daß diese wunderschöne Prinzessin Meseria die echte Braut wäre.

So endete denn alles mit einer Hochzeit; und die reizende Meseria heiratete ihren Prinzen, und sie lebten froh und glücklich lange Zeit miteinander.


Die Prinzessin auf dem Glasberg

Da lebte einmal vor vielen vielen Jahren ein mächtiger König, der nebenher auch ein großer Jäger war. Nichts liebte er mehr, als draußen in den Wäldern mit seinen Männern vom frühen Morgen bis in die Nacht hinein zu jagen. Mit Pfeil und Bogen erlegte er so manches wilde Tier, denn davon gab es zu jenen Zeiten sehr viele in den Wäldern. Seine Jäger priesen ihn laut, sie sagten, niemals habe es wohl auf der Welt einen größeren Nimrod gegeben als ihren tapferen König. Der fühlte sich geschmeichelt, wenn sie so sprachen, und er schwor, daß er nie von einer Jagd ohne Beute heimkehren wolle.

Aber eines Tages geschah es dann doch, daß er vom Morgengrauen bis tief in die Dämmerung hinein draußen blieb, ohne auf irgendein Tier zu stoßen, das zu jagen gelohnt hätte. Da, als sie schon den Heimweg angetreten hatten, sah er, wie etwas sich zwischen den Bäumen bewegte. Sofort befahl er die Verfolgung, und als er und seine Leute näher und näher an das Fliehende herangekommen waren, erkannten sie einen seltsam ausschauenden Zwerg mit wirrem



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langem Bart und Haar; wirr, stachlig sah er aus wie ein Heuschober. Er war nur mit einem über die Schultern gelegten Bärenfell bekleidet. Der König befahl seinen Leuten, dieses merkwürdige Männchen nicht zu töten, sondern es einzufangen und ins königliche Schloß mitzunehmen.

Es war Brauch, daß der König und sein Gefolge jedesmal, wenn sie vom Jagen heimkehrten, den Abend festlich begingen. Als nun nach dem Essen das Trinkhorn kreiste, unterhielten sich alle von den Abenteuern des verflossenen Tages. Aber in dieser Nacht merkten die Männer, daß ihr König nicht so heiter war wie sonst und daß er viel zuviel trank. Deutlich spürten alle, daß er schlechter Laune war.

Schließlich fragte er laut: »Konnte bisher je von mir gesagt werden, daß ich mit leeren Händen von der Jagd zurückkäme?« »Wer könnte das behaupten! Nie bist du ohne Beute heimgekehrt!« riefen alle zugleich voller Entrüstung.

»Du bist der größte aller Jäger! Heute hast du sogar einen Zwerg, etwas ganz Seltenes eingefangen«, meinte einer von ihnen. »Ist das nicht viel wertvoller als ein Eber oder ein Bär?«

»Hast du schon einmal gehört, daß sonst irgendwer einen solchen Gefangenen gemacht hat?«fragte ein anderer. Nun begannen die Männer sich einander vorm König in Schmeicheleien zu überbieten. »Ich habe nichts weiter als so einen komischen Kerl gefangen«, sagte der König, »und was sollte der mir schon nützen?«

»Warum ihn nicht so unterbringen, daß jeder ihn besichtigen und daran erkennen kann, was für ein mächtiger Jäger du bist?« meinte einer der Leute.

»Das ist ein guter Gedanke«, erwiderte darauf der König und leerte sein Horn bis zum letzten Tropfen. »Ich will für ihn einen Käfig oder eine kleine Hütte einrichten und ihn darin hinter Schloß und Riegel halten. Wehe, wenn irgend jemand es einmal wagen sollte, ihn herauszulassen! Er wird mit dem Tode bestraft, und wäre es selbst mein eigener Sohn.« Bei diesen Worten schlug der König mit der Faust auf den Tisch, damit seine Leute auch überzeugt wären, daß er unweigerlich zu seinem Schwur stehen werde. Verblüfft sahen diese sich an. Nie hatten sie ihren König so sprechen hören.



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Am nächsten Tag fiel dem Herrscher wieder ein, was er in der vorigen Nacht gesagt hatte. Er befahl einigen Handwerkern, eine kleine Hütte aus Baumstämmen zusammenzuschlagen. Es gab darin keinerlei Fenster, sondern nur eine kleine runde Öffnung, durch die dem fremdartigen kleinen Mann Nahrung gereicht werden konnte. Die Tür hatte sowohl Schloß wie auch Riegel, und den Schlüssel dazu trug der König selber bei sich.

Als die Hütte fertig war, wurde der Zwerg darin eingesperrt, und es bestand für ihn keinerlei Aussicht, je zu entkommen, denn davor wurden bei Tag und Nacht zwei Wachen aufgestellt. Der König und seine Leute gingen dann und wann zu der Hütte, um sich das kleine Geschöpf anzuschauen. Auch so mancher Reisende hielt an und guckte durch die Öffnung, um einen Blick auf den fremdartigen Zwerg werfen zu können. Aber nie hörte jemand ihn klagen oder auch nur ein einziges Wort von sich geben.

So verging die Zeit, und eines Tages kam ein Bote von einem anderen König, um Hilfe gegen einen grausamen Feind zu erbitten, der sein Land zu verwüsten drohte. Der König, der Abenteuer sehr liebte, rief sogleich seine Krieger zusammen und erklärte ihnen, daß es gelte, in den Krieg zu ziehen. Als sein Schiff Segel gesetzt hatte, rief er die Königin zu sich und sprach: »Nun lege ich das Ergehen von Volk und Land in deine Hand, und ich weiß, daß ich mich dabei wie stets und bei allem auf dich verlassen kann. Aber auf etwas mußt du nun ganz besonders achten. Passe ja gut auf den Zwerg auf, während ich fort bin! Hüte du selber den Schlüssel zu seiner Hütte!« Und mit diesen Worten bändigte er ihr diesen aus. Sie nahm ihn und befestigte ihn bei den anderen Schlüsseln an dem großen Schlüsselbund, das sie stets an ihrem Gürtel trug. Und sie versicherte ihm, er könne gewiß sein, daß der Zwerg sorglich bewacht werde.

Sie begleitete ihn noch zum Schiff und winkte zum Abschied so lange, bis die Flotte am fernen Horizont verschwand.

Der König und die Königin hatten nur ein einziges Kind, einen kleinen Sohn, den sie über alles liebten. Er war ein hübsches fröhliches Kerlchen, das besonders gern auf seinem Pony ritt oder in den königlichen Gärten spielte, die sich rund um das Schloß hinzogen.



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Eines Tages spielte er nahe der Zwergenhütte mit einem goldenen Apfel. Er warf immerzu den Apfel hoch in die Luft und fing ihn wieder auf. Dann entdeckte er, daß es noch viel mehr Spaß machte, den Ball gegen die Hüttenwand zu werfen und aufzufangen. Dabei geschah es nun überraschend, daß der Ball genau die Öffnung traf und in die Hütte hineinfiel. Doch fast im gleichen Augenblick warf ihn das Zwerglein dem Knaben wieder nach draußen. >Oh, das ist aber mal ein hübsches Spiel<, dachte der kleine Prinz und warf den goldenen Apfel wieder durchs Loch hinein. Und sofort wurde er von dem Männlein zurückgeworfen, und der Prinz fing ihn draußen auf, ehe er zu Boden fallen konnte.

Wieviel Spaß machte ihm jetzt das Spiel! Doch schon im nächsten Augenblick wechselte seine Freude in Kummer, denn mit einem Male warf der Zwerg ihm den Apfel nicht mehr zu.

»Wirf mir meinen goldenen Apfel her! Wirf meinen goldenen Apfel heraus!« rief der Prinz. Aber der Zwerg stand nur vor der Öffnung in der Wand, sprach kein Wort und starrte den Prinzen regungslos an.

»Das ist aber nicht recht von dir, daß du meinen kostbaren Apfel behältst«, rief der kleine Junge und schluchzte.

»Ist es etwa recht von deinem Vater, mich hier wie ein Tier eingesperrt zu halten?«fragte der Zwerg. »Ich sage dir, nie wirst du deinen goldenen Apfel wiederbekommen, wenn du mich nicht freiläßt.«

»Oh, mein schöner, mein herrlicher goldener Apfel, ich muß ihn wiederhaben, ich muß ihn wiederhaben!«rief der Prinz. »Aber wie kann ich dich denn herauslassen? Da ist ja ein Schloß und ein Riegel an der Tür, und ich habe keinen Schlüssel.«

»Höre, was ich dir sage, aber komm näher an die Öffnung, damit die Wächter uns nicht hören können.«

Der Prinz trat dicht heran, und der Zwerg sprach zu ihm: »Geh zu deiner Mutter und bitte sie, dir die Haare zu kämmen. Während sie dabei ist, lehne deinen Kopf an ihren Schoß, so daß du genau sehen kannst, an welcher Stelle sie den Schlüssel aufbewahrt, und dann mache ihn von ihrem Schlüsselbunde los! Versteck ihn unter deinen Kleidern und komm rasch hergelaufen! Sobald du siehst, daß die



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Wachen gerade kehrtmachen, kannst du aufschließen und nachher genauso wieder abschließen und alles wie vorher richten.«

»Nein, nein, das kann ich nicht, das wäre nicht recht«, sagte der Prinz.

»Ja meinst du denn, daß es recht ist, mich hier gefangenzuhalten? Aber wie du willst, wenn du deinen goldenen Apfel nicht wiederhaben magst, bleibt eben alles genauso, wie es ist.«

Der kleine Prinz wollte aber seinen goldenen Apfel nicht verlieren, und außerdem dachte er, es wäre doch wirklich nicht so schlimm, den armen Zwerg, der so lange Zeit schon eingesperrt war, frei zu lassen.

Er lief zu seiner Mutter hinein und bat sie, ihm die Haare zu kämmen, die beim Spielen ganz zerzaust worden waren. Er fand den Schlüssel an ihrem Bund, hakte ihn leise ab und verbarg ihn unter seinem Wams. Kaum hatte seine Mutter ihm die Haare geordnet, lief er hinaus; und da die Wachen in lebhafte Unterhaltung über ein Schachspiel vertieft waren, konnte er sich an die Hütte heranschleichen. Er zog den großen Schlüssel unter seinem Wams hervor und schloß auf. Dann schob er den Riegel zurück, und der Zwerg schlüpfte heraus. Er gab dem Prinzen seinen goldenen Apfel und sagte: »Habe Dank, Prinz! Ich werde niemals vergessen, was du für mich getan hast. Vielleicht kommt einmal die Zeit, in der du meine Hilfe brauchst. Du mußt nur sehr stark an mich denken und, sei versichert, ich werde sofort zu dir kommen und alles, was ich nur vermag, für dich tun, um dir zu helfen. Bis dahin lebe wohl!«Und schon eilte das Zwerglein dem Walde zu.

Es gelang dem Prinzen, den Schlüssel unbemerkt dahin zurückzubringen, woher er ihn genommen hatte, und er hoffte, es würde noch einige Zeit dauern, bis man die Flucht des Zwerges entdeckte. Aber mit dem goldenen Apfel zu spielen, das machte ihm nun gar keine Freude mehr.

Es dauerte gar nicht lange, und es wurde bemerkt, daß der Zwerg entkommen war. Als ein Diener wie gewöhnlich mit dem Essen zu der Hütte des Männleins ging, war niemand mehr da, dieses entgegenzunehmen. Er rief laut: »Kleiner Mann! Kleiner Mann!« und klopfte an die Tür, aber er bekam keinerlei Antwort. Es waren drinnen



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keine Schritte zu hören. Er bekam es mit der Angst, daß der Mann nicht mehr drinnen wäre oder ihm etwas zugestoßen sei. Deswegen lief er eiligst zur Königin, um ihr zu berichten: er fürchte, der kleine Mann wäre entflohen.

»Unmöglich«, lächelte die Königin, »hier an meinem Bund ist der Schlüssel, und draußen stehen die Wachen. Hab keine Sorge! Wir wollen gleich einmal nachsehen, was mit ihm geschehen ist.« Sie hieß den Diener, ihr zur Hütte des Zwerges zu folgen, und ein paar kräftige Knechte schlossen sich noch an. Die Königin öffnete die Tür, und sie schauten alle hinein. Da war nichts mehr von dem Zwerg zu sehen.

Nun wurde die Königin sehr zornig. Sie rief alle Dienerschaft zusammen, teilte sie in Gruppen ein und sandte sie in den verschiedensten Richtungen waldwärts, um nach dem kleinen Mann zu suchen. Aber alle kehrten zurück, ohne die geringste Spur von ihm entdeckt zu haben. Nach mehreren Tagen ständigen Suchens mußten sie aufgeben und kehrten zu ihren täglichen Pflichten zurück.

Bald darauf erhielt die Königin Nachricht, daß ihr Mann dem anderen König erfolgreich geholfen habe, dessen Feind aus dem Lande zu vertreiben, und nun seine Heimkehr jeden Tag vor sich gehen könne. Im Grunde hätte die Königin über diese gute Nachricht sehr erfreut sein müssen, aber sie war schwer bedrückt von dem Gedanken, was wohl geschehen werde, sobald der König das geheimnisvolle Verschwinden des Zwerges erführe. Als sie hörte, daß das Schiff des Königs sich der Küste nähere, nahm sie ihren kleinen Sohn an die Hand und ging mit ihm zum Hafen hinunter, um den Gatten willkommen zu heißen. Da hatte sich schon eine große Menschenmenge angesammelt, die auch ihren siegreichen König begrüßen wollte.

Der König kam an Land, winkte dem Volke freundlich zu und küßte Königin und Sohn. Dann fragte er die Königin, ob im Lande alles in Ordnung sei. Sie antwortete, ja, alles sei in Ordnung. Dann fragte der König noch, was denn der Zwerg mache. Die Königin wurde auf der Stelle schneeweiß und mußte nun berichten, was sich ereignet hatte. Sie erzählte, daß niemand schuldig sei, daß sie stets den Schlüssel an ihrem Bund gehabt habe und die Wächter jederzeit ihrer



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Pflicht nachgekommen seien. Sie könne sich einfach nicht vorstellen, wie es geschehen sei.

»Oh, das werden wir schon sehen«, war alles, was der König antwortete.

Am folgenden Tag mußte ein jeder zum Kreuzverhör in die große Halle kommen. Auch der kleine Prinz mußte sich, wie alle anderen, einfinden.

»Aber selbstverständlich weißt du ja nichts von der ganzen Sache, nicht wahr?« sagte der König zu ihm. Zuerst gab der Knabe keine Antwort, dann aber bekannte er offen:

»Selbst wenn ich deswegen sterben muß, ich kann nicht lügen. Ich war es, der den kleinen Mann frei ließ, und niemand außer mir ist dafür verantwortlich.«

Die Königin und ebenso der König wurden jählings weiß wie Leinen. Alles war totenstill, liebte doch jeder den kleinen Prinzen. Schließlich sprach der König: »Niemals soll von mir gesagt werden, daß ich mein Wort nicht halte. Ich habe gesagt, derjenige müsse sterben, der dem Zwerg zur Flucht verhelfe, und wäre es mein eigener Sohn. So geschehe es also.«

Er rief zwei Diener und befahl ihnen, den Knaben in den Wald zu führen und dort zu töten. »Und bringt mir sein Herz, damit ich sehe, daß ihr meinen Befehl ausgeführt habt!«

Die zwei Männer mußten gehorchen, so ungern sie auch diesen Auftrag ausführten. Sie nahmen den kleinen Prinzen zwischen sich und verließen das Schloß. Sie gingen in den Wald, um dem Befehl des Königs nachzukommen, aber von Zeit zu Zeit hielten sie immer wieder einmal an; sie brachte es einfach nicht übers Herz, den kleinen Jungen zu töten. Tiefer und tiefer kamen sie in den Wald, ohne noch ein einziges Wort zu sprechen. Zuletzt sahen sie einen Schweinehirten, der seine Herde entlangtrieb, und da sagte einer der Männer zu dem anderen:

»Laß uns zu dem hingehen und ihm eins der Schweine abkaufen. Wir können es töten und sein Herz herausnehmen, um es dem König vorzuweisen, während wir den Prinzen freilassen.«

»Das ist ein guter Gedanke«, sagte der andere.

Sie gingen zu dem Schweinehirten, kauften von ihm ein Schwein, töteten



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das Tier und nahmen sein Herz heraus. Dann wandten sie sich zu dem Prinzen und sagten: »Nun lauf schnell fort, junger Prinz! Wir mögen den Befehl des Königs nicht ausführen. Aber du darfst dich in deines Vaters Königreich nie wieder sehen lassen. Du mußt weit weg wandern, damit hier keine Seele es erfahren kann, daß du noch am Leben bist. Uns kannst du trauen, wir verraten nichts; wenn man es je erführe, würden auch wir einen Kopf kürzer gemacht werden, weil wir dem König nicht gehorcht haben.«

Der kleine Prinz bedankte sich bei den gutherzigen Dienern und wandte sich rasch dem tiefsten Walde zu, während die beiden zum Schloß des Vaters zurückkehrten. Er wanderte immerzu und immerzu. Der dichte Wald schien nie zu enden. Zu essen hatte er nichts als Beeren und einige Nüsse, die an den Haselsträuchern hingen. Die Nacht kam, er kroch dicht an eine große alte Kiefer heran und schlief auf dem Moosboden. So wanderte er volle zwei Tage lang durch den schier endlosen Wald. Mitunter hatte er rechte Furcht, daß die wilden Tiere ihn finden und in Stücke reißen würden; aber glücklicherweise schien es, als nähmen diese gar keine Notiz von dem Jungen. Eines Tages gelangte er an einen ziemlich großen Hügel, auf dem mehrere hohe Bäume wuchsen. >Ich will hinaufgehen und auf einen dieser hohen Bäume klettern, um Ausschau zu halten, ob nicht irgendein Weg zu entdecken ist, der aus dem Wald hinausführt<, dachte er. Also kletterte er auf die höchste Kiefer, und als er deren Gipfel erreicht hatte, konnte er die Gegend weithin überblicken. In ziemlicher Entfernung sah er etwas, das wie ein großes, von Wällen umgebenes Schloß wirkte. >Dorthin muß ich gehen<, dachte er.

So machte er sich also in Richtung des Schlosses auf den Weg. Er wanderte fort und fort, und schließlich kam er aus dem Wald heraus. Als er an einem Feld vorüberging, sah er einen kleinen Jungen, der zwei Kühe hütete. Der Junge schien etwa in seinem Alter zu sein. Er trug einfache bäuerliche Kleidung. Der Prinz schaute an seinen eigenen Kleidern herab: sie waren, das muß man zugeben, ein bißchen mitgenommen, sahen aber doch noch recht ordentlich aus. Sein samtenes Wams, mit Peizwerk eingefaßt, verlieh ihm ein reiches Aussehen, wenn auch seine silberfarbenen Strümpfe bereits voller Löcher waren. >Ich kann nicht so vornehme Kleider anhaben, wenn



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ich versuchen will, auf dem Schloß irgendeine Arbeit zu bekommen<, überlegte er.

»Hallo, du!« rief er zu dem andern hinüber. Der Bauernjunge machte kugeirunde Augen, als er einen so vornehm angezogenen

Knaben sah. Der Mund blieb ihm vor Staunen offen.

Und der Prinz sagte:

»Gefallen dir meine Kleider?« Der Junge lächelte scheu: »Die sind einfach großartig.«

»Willst du sie gegen deine vertauschen?«fragte der Prinz.

»Du machst dich über mich lustig«, antwortete der Junge.

»Nein, ich meine es wirklich so. Magst du mit mir tauschen?«

»Oh, wie gerne!« sagte der Junge.

So tauschten sie also ihre Kleider. Und obgleich seine neuen Kleider zerrisen und gar nicht sehr sauber waren, freute sich der Prinz, sie zu haben. Er verabschiedete sich von dem Bauernjungen und wanderte auf das Schloß zu. Als er es schließlich erreichte, erfuhr er, daß es ein Königsschloß war, und er fragte, ob man irgendwelche Arbeit für ihn habe. Man antwortete ihm: »Wir würden noch einen Schafhirten gebrauchen, falls du das Handwerk verstehst.«Und der Prinz sagte ja, denn er dachte, das wäre wohl eine Arbeit, die er verrichten könne. So blieb er auf dem Königsschloß als einer der königlichen Schafhirten.

Jahre vergingen, und er wurde ein starker und schöner Jüngling. Hier und da kehrten seine Gedanken in seine frühe Kindheit zurück, und dann träumte er von großen Taten, die er doch nie würde ausführen dürfen. Doch die meiste Zeit hatte er viel zuviel zu tun, um noch an das Einst zurückzudenken, in dem er ein verwöhnter kleiner Prinz gewesen war.

Die Frau des Königs, in dessen Diensten der Prinz stand, starb und ließ ihren Gatten mit einer kleinen Tochter zurück. Der junge Schafhirt hatte sie oft in den Gärten und auf den Feldern in der Nähe des Schlosses spielen sehen. Er dachte -wie jeder, der sie sah -, sie wäre das süßeste kleine Mädchen, das es überhaupt gäbe. Sie hatte auch für den armen Jungen, der die königliche Herde hütete, stets ein freundliches Lächeln. Als sie heranwuchs, sprach ein jeder ebenso von ihrer Klugheit wie von ihrer Güte und Schönheit. Und jeder



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meinte, der Prinz, der sie einmal zur Frau bekäme, wäre glücklich zu preisen.

Als die Prinzessin sechzehn Jahre alt war, kamen Ritter, Prinzen und selbst Könige von nah und fern auf das Schloß, um die Hand der Prinzessin zu gewinnen. Aber sie verweigerte sie allen. Trotzdem blieben ihre Freier, die die Hoffnung nicht aufgaben, im Schloß. Und täglich kamen neue Freier hinzu. Bald waren es derart viel, daß der König nicht mehr wußte, was er mit ihnen allen anfangen sollte. Endlich verlor er die Geduld, ging zur Prinzessin und sagte: »Meine liebe Tochter, wenn du keinen dieser Prinzen wählen willst, dann werde ich es für dich tun. Aber tadle mich dann nicht, wenn es nicht der ist, den du selber dir gewünscht hast.«

»O nein, nein! Tu das nicht!« rief die Prinzessin aus. »Wenn du darauf bestehst, daß ich einen von ihnen heiraten soll, so habe ich eine weit bessere Idee. Ich will die Gewißheit haben, daß mein Gatte der tapferste und edelste von allen Rittern ist. Damit ich das feststellen kann, muß er es fertigbringen, in voller Rüstung den Glasberg, der nahe beim Schlosse liegt, hinaufzureiten und einen goldenen Apfel aus meiner Hand entgegenzunehmen. Nur denjenigen, der diese Probe besteht, will ich heiraten und keinen anderen.« Als er das hörte, war der König sehr froh und meinte, seine Tochter habe gut und klug gesprochen.

Und nun mußte alles für den großen Wettkampf vorbereitet werden. Der König hatte im eigenen Lande wie in vielen anderen Ländern bekanntmachen lassen, daß derjenige Ritter die Prinzessin heiraten dürfe, dem es gelänge, in voller Rüstung den Glasberg hinaufzureiten.

Am Tage des Wettkampfes trug die Prinzessin ihre schönsten Kleider. Sie trug ein scharlachrotes, mit Hermelin eingefaßtes Gewand und auf dem Haupt eine goldene Krone. Es war ein wunderschönes Bild, wie sie auf dem Gipfel des Glasberges, einen goldenen Apfel in der Hand, auf schimmerndem Throne saß.

Drunten auf dem Feld versammelten sich die Bewerber. Sie hatten herrliche Pferde bestiegen, und ihre Rüstungen glänzten im Sonnenschein. Viel neugieriges Volk war von nah und fern herbeigeströmt, um das wunderbare Schauspiel mitzuerleben.



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Als alle bereit waren, stießen die Herolde in ihre Trompeten, und die Ritter gaben ihren Pferden die Sporen, um den Glasberg zu bezwingen. Doch sowie die Pferdehufe das glatte Eis berührten, glitten sie wieder zurück, und die Reiter purzelten herunter. Das war ein ohrenbetäubendes Krachen von Pferdehufen auf dem Glas und vom Klappern der aufschlagenden Rüstungen. Das Stöhnen der gestürzten Ritter und das wilde Schnauben ihrer Pferde mischte sich mit den erregten Schreien der Zuschauer.

Der Lärm war so groß, daß ihn auch der junge Schafhirt hören konnte, der draußen im Hügelgelände seine Schafe hütete. Und er dachte bei sich: >Ich bin ja auch ein Prinz. Warum darf ich mich nicht an dem Wettkampf beteiligen und die Prinzessin gewinne? Wenn damals nicht der Zwerg gewesen wäre, könnte ich jetzt gut einer der Freier sein.< So dachte er. Und im gleichen Augenblick hörte er Schritte.

Er blickte auf, und vor ihm stand der kleine Zwergenmann.

»Guten Morgen. Warum bist du so traurig?«fragte der Zwerg. »Was, du bist es?«rief der junge Schafhirte erstaunt aus. »Wenn das damals mit dir nicht gewesen wäre, könnte ich jetzt auch am Glasberg sein und versuchen, die schöne Prinzessin zu gewinnen. Nun aber habe ich weder Rüstung noch Pferd.«

»Ach, dem kann leicht abgeholfen werden«, war des kleinen Mannes Antwort. »Dafür wollen wir schon sorgen. Folge mir nur, und du wirst erhalten, was du dir wünschst.« Und der Zwerg führte den Schäfer in den Wald. Er hielt inne vor einem mächtigen Felsen, der wie ein Wall vor ihnen lag. Dreimal klopfte er gegen den Felsen, und dieser öffnete sich, als ob eine Tür aufginge. Er nahm den Schäfer am Arm und führte ihn durch einen dunklen Gang, der bald in eine weite Höhle mündete, mit Wänden aus Silber und Gold. Sie gingen in eine andere Höhle, wo der Zwerg innehielt und dem Schäfer eine Ecke zeigte, in der ein prächtiges graues Pferd stand, das mit silbernem Geschirr an der Wand festgebunden war. Neben dem Pferd hing die herrlichste Rüstung, dazu Helm, Schwert und Schild, alles stählern glänzend. Harnisch und Waffen schimmerten matt im gedämpften Licht der Höhle.

In die Ecke zeigend, sagte der Zwerg:



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»Schau dir's an, junger Mann, all diese Sachen sind für dich! Lege die Rüstung an, besteige das Pferd und zieh in den Wettkampf! Und während du fort bist, will ich gern auf deine Herde achten.«

Nun, es dauerte nicht lange, da hatte der junge Mann die Rüstung genommen und war schnell von Kopf bis Fuß geharnischt. Er gürtete das Schwert um, hob den Schild und führte das Pferd aus der Höhle. Endlich war der Augenblick gekommen, an dem der junge Prinz seinen Platz unter denen einnehmen durfte, zu denen er gehörte. Er sprang so schnell auf sein Pferd, daß der Harnisch klirrte. Er fühlte sich frei wie die Luft, als er dem Zwerglein einen Abschiedsgruß zuwinkte und wie ein Blitz aus dem Wald herausschoß, auf den Glasberg zu.

Auf dem Feld unterhalb des Berges waren die Bewerber gerade so weit, ihre Versuche für diesen Tag aufzugeben, denn obgleich alle ihr Bestes getan hatten, war es doch keinem gelungen, mehr als ein paar Fuß den Berg hinaufzukommen, ehe sie wieder abglitten und ihre Pferde sich überschlugen. So mancher tapfere Ritter war mit gebrochenem Arm oder Bein hinweggetragen worden, aber gern hätte er um der lieblichen Prinzessin auf dem Glasberg willen noch viel mehr gewagt.

Gerade als der König den Herolden das Zeichen geben wollte, das Ende des Kampfes zu vermelden, sah er einen fremden Reiter in vollem Galopp aus dem Walde sprengen. Der Neugekommene ritt vor den König und grüßte ihn mit erhobenem Schwert. Dann wandte er sein Roß und gab ihm die Sporen. Wie ein Pfeil schoß er den Glasberg hinauf. Alle beobachteten ihn mit angehaltenem Atem, aber zu ihrer Überraschung wandte er sein Pferd jäh wieder abwärts, ehe er den Gipfel erreicht hatte, während Funken von den Hufen seines Pferdes stoben. Und schon verschwand er in derselben Richtung, aus der er gekommen war. Ein bewunderndes Murmeln ging durch die Menge, und der König rief voller Begeisterung aus: »Das ist wahrhaftig ein großer Reiter!«Jeder war überzeugt, daß es auf der ganzen Welt kein herrlicheres Pferd und keinen kühneren Ritter geben könne, desgleichen die Prinzessin.

Wenige Tage später bestimmte der König, daß ein zweiter Wettkampf abgehalten werden solle. Die Prinzessing zog wieder ihre



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schönsten Kleider an und begab sich, vom Hofstaat gefolgt, auf den Glasberg. Als sie auf dem Gipfel saß, fiel ihr Blick auf das Feld drunten und auf die dort versammelten Ritter, die mutig und froh ausschauten wie beim vorhergegangenen Mal. Neugekommene ersetzten jene, die von ihren Verletzungen noch nicht wieder geheilt waren. Doch der wunderbare Reiter vom letzten Mal, den die Prinzessin zu sehen gehofft hatte, war nicht unter ihnen.

Währenddessen saß der Schäfer auf dem Hügel und bewachte seine Herde. Er horchte auf den Lärm und fragte sich, ob denn der kleine Zwerg meine, er habe ihm genug geholfen, oder ob er ihm die Teilnahme auch an diesem Wettkampf möglich machen werde. Kaum war dieser Gedanke in ihm aufgetaucht, da hörte er Schritte und sah das bärtige Gesicht des Zwergleins vor sich.

»Wie bin ich froh, dich wiederzusehen«, rief der Prinz hochblickend aus. »Es ist ja schrecklich, untätig hier zu sitzen, nicht Pferd und Rüstung zu haben und sich zu den anderen Bewerbern gesellen zu können.« «

»Nichts einfacher als das«, sagte der kleine Mann, und wieder forderte er den Prinzen auf, ihm zu folgen.

Der Zwerg führte ihn wiederum zu dem Felsen und tat diesen auf. Indem er den jungen Prinzen beim Arm ergriff, führte er ihn durch den dunklen Gang, durchschritt die Höhle mit den silbernen und goldenen Wänden und hielt in der zweiten Höhle inne. Diesmal wies er auf eine andere Ecke, und da stand, an die Wand gebunden, ein schwarzer Hengst mit goldenem Geschirr. Und an der Wand hing eine Rüstung von glänzendem Silber und ein Schild, ganz aus Silber und mit Gold eingelegt. Auch der Helm war mit Gold eingelegt und mit kostbaren Federn geschmückt. Und ein Schwert hing da mit einem juwelenbesetzten goldenen Griff. Es waren Waffen, die eines mächtigen Königs oder Kaisers würdig schienen. Der kleine Mann wies auf alles das hin und sagte: »Hier dein Pferd und deine Waffen! Eile, lege die Rüstung an, besteige das Roß und reite! Diesmal bist du noch besser ausgestattet. Inzwischen achte ich auf deine Schafe.«

In einem Nichts an Zeit war der junge Prinz gerüstet. Das Schwert an der Seite, den Schild am Arm, den Helm auf dem Kopf, sah er



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wie ein strahlender junger König aus. Schnell führte er den Hengst aus der Höhle. Frei fühlte er sich wie ein Fisch im Wasser, wie ein Vogel in der Luft, als er in den Sattel sprang und durch den Wald davon jagte.

Am Fuß des Glasberges hatten die Bewerber alle Versuche, die steile Glasfläche hinaufzureiten, aufgegeben. Diesmal waren noch viel mehr mit gebrochenen Armen und Beinen hinweggetragen worden, doch der König hatte noch nicht das Zeichen zur Beendigung des Wettkampfes gegeben. Denn alle warteten darauf, ob der fremde Ritter wiederum in den Kampf eingreifen werde. Zuletzt war der König doch schon nahe daran, dem Herold das Zeichen zum Abbruch zu geben, als er einen fremden Ritter auf schwarzem Hengst aus dem Walde herausstürmen sah.

Ein jeder bestaunte den Ritter auf seinem herrlichen Pferd und fragte sich, was für ein mächtiger Prinz das wohl sein möge. Geradewegs ritt er auf den König zu, grüßte ihn mit dem Schwert, und alle erkannten nun den tapferen Reiter vom letzten Wettkampf. Dann gab der Fremde seinem Pferd blitzschnell die Sporen und schoß wie ein Pfeil bis auf den Gipfel des Berges hinauf. Er hielt vor der Prinzessin, stieg ab und beugte vor ihr das Knie. Sie erhob sich von ihrem Thron und reichte ihm den Apfel. Er nahm ihn, und ohne sie noch ein zweites Mal anzublicken, bestieg er schnell sein Roß und ritt wieder den Glasberg hinab. Feuer sprühte um die Hufe des Hengstes, so daß beide, Roß und Reiter, wie ein einziges Leuchten aufflammten, als sie herabritten und im Walde verschwanden.

Die ganze Zeit hindurch hatte die Menge drunten am Fuß des Berges schweigend den wunderbaren Reiter bewundert. Nun plötzlich brach ein gewaltiges Tosen aus; laute Schreie, Hurrarufe. Und ohne einen Befehl abzuwarten, stießen die Herolde in ihre Trompeten. Der König erhob sich und verkündete laut, daß der kühne fremde Ritter den Preis gewonnen habe. Die Prinzessin selbst sagte kein einziges Wort, doch alle konnten ihr ansehen, wie sehr sie mit der Erklärung ihres Vaters einverstanden war. Aber etwas blieb nun noch zu tun, nämlich festzustellen, wer denn der fremde Prinz oder König sein könne. Doch alle Nachforschungen waren vergeblich, niemand hatte die geringste Ahnung, wer er war und woher er kam.



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Die Tage vergingen, aber niemand kam, um den Preis, die Hand der Prinzessin, zu fordern. Diese war sehr niedergedrückt. >Will er mich denn nicht zur Frau, dieser herrliche, dieser edle Ritter?<fragte sie sich im stillen. Vielleicht wollte er nur zeigen, was für ein großartiger Reiter er war. Sollte sie, die von allen so sehr bewunderte Prinzessin, von dem einzigen Mann verschmäht werden, der ihr doch alles bedeutete? Sie konnte nicht mehr schlafen und auch nicht mehr essen. Sie wurde blaß und schmal.

Der König wußte nicht, was tun. Zuletzt beschloß er, daß, wenn es nun einmal unmöglich zu erfahren schien, wer dieser geheimnisvolle fremde Ritter war, so wollte er ein Treffen aller jungen Männer des Landes, Hoch-wie Niedriggeborene, festsetzen. Sie sollten sich auf dem großen Platz vor der Schloßfront aufstellen, und die Prinzessin sollte einen auswählen, den sie heiraten würde.

Als man diesen Erlaß bekanntgab, war jeder Mann bereit zu kommen, und zwar ebenso um der schönen Prinzessin willen wie aus Anhänglichkeit für den König. Am Tage des Treffens war eine Riesenmenge zusammengeströmt, Prinzen und Ritter, Bürger und Bauern, und weit weg in einer Ecke stand die Dienerschaft des königlichen Schlosses.

Die Prinzessin ging von einem zum andern, schüttelte den Kopf und wurde trauriger und immer trauriger.

Der Mann, nach dem sie Ausschau hielt, schien nicht dazusein. Zuletzt kam sie in die Ecke, wo die Dienerschaft stand. Unter ihnen sah sie einen schönen jungen Schäfer in einem weiten Mantel und mit einem breitkrempigen Hut, der Tracht, die des Königs Schafhirten in jenen Tagen trugen. Als die Prinzessin ihn erblickte, ging sie auf ihn zu und nahm ihm den Hut vom Kopf, so daß sie sein Gesicht offen sehen konnte. Und dann schrie sie auf:

»Hier ist er endlich! Hier ist der Ritter, der auf den Glasberg ritt!«

Doch alle, die ringsum standen, begannen laut zu lachen. Denn war dieser Mann nicht schon seit vielen Jahren nur einer von den Schafhirten des Königs? Sie hielten es für einen rechten Spaß, daß dieser, den sie alle so gut kannten, der edle fremde Ritter und der Gewinner der Hand der Prinzessin sein sollte.



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Der König, der zu der Prinzessin getreten war, hörte das alles. Verzweifelt rang er die Hände und rief:

»Mein Kind, wen willst du dir da bloß zum Gatten erwählen?« Doch der Schäfer warf seinen Mantel ab - und da stand der Ritter, der den Kampf gewonnen hatte, im Glanz seiner Rüstung. Er lächelte und sprach:

»Seid nicht erschreckt, Majestät, ich bin ein Prinz aus edlem Hause.

Und mein Vater ist geradeso König wie Ihr.«

Dann erzählte er dem König die ganze Geschichte, wie er den Zwerg befreit hatte und aus seines Vaters Königreich hatte fliehen müssen. Nun konnte der König nichts mehr gegen eine Hochzeit seiner schönen Tochter mit einem Schäfer einwenden, der in Wirklichkeit ein Prinz war. Und nicht lange danach heirateten sie mit großer Feierlichkeit. Die Festlichkeiten dauerten eine volle Woche, und danach nahm der Prinz seine reizende Braut und fuhr mit ihr in das Königreich seines Vaters.

Als der alte König und die Königin erfuhren, daß ihr Sohn nicht getötet worden war, sondern nun mit einer jungen und schönen Braut heimkam, weinten sie beide vor Freude. Er wurde mit offenen Armen aufgenommen, und es gab ein endloses Feiern und Freuen am väterlichen Hofe.

Der junge Prinz wurde zum König zweier Reiche ausgerufen, denn beide, sein Vater und sein Schwiegervater, waren alt und wollten nicht länger regieren. So lebte der neue mächtige König und seine liebreizende Königin nun überaus glücklich nach alldem, was jetzt endlich hinter ihnen lag.


Die kleine Maus

Es lebte einmal ein König, der hatte drei Söhne. Er war nicht etwa ein mächtiger König, denn er besaß nur ein ganz winziges Königreich; doch er liebte es über alle Maßen, seine goldene Krone und sein königliches Gewand zu tragen. Aus der Krone waren schon viele Edelsteine herausgefallen, und sein Königsmantel, ja das ist leider wahr, sah allmählich recht abgenutzt aus. Er hatte schon allerlei



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Flecke, und der Hermelin schimmerte bereits gelb. Trotzdem, er war ein König, und das machte ihn sehr stolz.

Er hätte seine Söhne wie andere Prinzen erziehen müssen, ihnen Diener geben, die aufwarteten, und Pferde, um reiten zu können. Aber ach, für drei reichte es nicht. Die beiden ältesten -kräftige, stämmige Burschen -rissen alles, was sie nur konnten, an sich und trieben ihren Schabernack mit jedem, der kleiner und schwächer war als sie selber. Daher blieb nur selten etwas für den jüngsten Prinzen übrig, und die Diener hatten sich reichlich zu sputen, um dessen ältere Brüder zufriedenzustellen.

Der kleine Prinz mied die Brüder nach Möglichkeit; und um ihren höhnenden Reden zu entgehen, floh er zur Feuerstelle, setzte sich dort nahe an die Glut und lockerte die Schlacken. Wenn ihn die Brüder dort entdeckten, riefen sie spöttisch aus: »Sieh dir den nur an. In den Schlacken herumwühlen! Ist ja der reinste Schmutzfink!« Und so kam es, daß, als die drei Prinzen heranwuchsen, der jüngste den Spottnamen behielt, der ihm als Kind angehängt worden war: Schmutzfink. Da er immer kleiner und schwächer blieb als seine Brüder, verhöhnten sie ihn weiter wie einst.

Eines Tages ließ der König die drei Prinzen vor seinen Thron kommen und sprach zu ihnen:

»Meine lieben Söhne, ihr seid nun alle drei erwachsen, und deshalb ist es für euch an der Zeit zu heiraten. Ihr sollt in die Welt hinausziehen und nach einer hübschen und edlen Prinzessin - oder wenigstens nach einem hochgeborenen Fräulein -Ausschau halten. Und wenn ihr eine gefunden habt, die euere Werbung annimmt, dann gebt ihr diesen goldenen Apfel.« Und er überreichte einem jeden seiner Söhne einen goldenen Apfel.

Die Prinzen waren hocherfreut und verloren keine Zeit, um aufzubrechen und sich eine Frau zu suchen.

Die beiden Ältesten riefen ihre Diener und eilten in den Stall hinunter. Sie dachten, wenn sie mit einem großen Gefolge reisten, dann würde jedermann sie für die Söhne eines mächtigen Königs halten. Sie teilten alle im Stall stehenden Pferde unter sich und befahlen ihren Dienern aufzusitzen und loszureiten.

Schmutzfink hatte es nicht so eilig. Erst einmal wusch er sich ganz



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und gar, dann kämmte er seine Haare, und zuletzt bürstete er seine Kleider. Danach ging auch er zum Stall hinunter, öffnete die Tür und trat ein. Doch, armer Schmutzfink, da stand er nun und -der Stall war leer. Nicht ein einziges Pferd hatten seine Brüder für ihn zurückgelassen. Er sprang hinaus und konnte gerade noch die Brüder und ihre Dienerschaft in einer Staubwolke am äußersten Ende des Weges verschwinden sehen.

>Nun gut<, sagte er zu sich selber, >da bleibt mir nichts anderes übrig, als zu Fuß zu gehen.<

Und so machte er sich auf den Weg. Er marschierte bis zum Abend und kehrte dann in einem kleinen bescheidenen Wirtshaus ein. Schon früh am nächsten Morgen setzte er seinen Weg fort. So wanderte er, nur wenig ausruhend, mehrere Tage hindurch weiter.

Eines Mittags war es ganz ungewöhnlich heiß, und anstatt weiter auf der glühenden Landstraße zu marschieren, beschloß er, einen Pfad einzuschlagen, der in einen großen und schattigen Wald führte. Nach kurzer Zeit erreichte er diesen, und es war hier wirklich angenehmer zu wandern als in der heißen Sonne. Der Wald schien sehr groß zu sein, und allmählich fragte sich Schmutzfink, ob er denn überhaupt kein Ende nähme.

Der Abend brach an, und es wurde dunkel. Furcht wollte ihn überkommen. Und um sich selber Mut zu machen, holte er den goldenen Apfel aus der Tasche, um ihn schnell einmal anzusehen. Dann warf er ihn in die Luft, fing ihn und warf ihn wieder hoch. Doch dieses Mal glitt er ihm aus der Hand und rollte davon. Er lief, so schnell er konnte, hinterher, doch je schneller er lief, desto rascher rollte der Apfel fort. Zuletzt sah er ihn in einem Haufen von trockenem Laub verschwinden. Er suchte unter den Blättern, aber da war nichts von dem goldenen Apfel zu sehen. >Es wird besser sein, ich räume alle Blätter beiseite<, sagte er zu sich selber, >dann muß ich ja den Apfel finden.<Also kehrte er alle Blätter auf eine Seite. Und da sah er nun etwas sehr Seltsames. Auf dem Grund, genauer, unter dem Blätterhaufen, befand sich eine kleine hölzerne Tür.

Ja, dachte Schmutzfink, es ist wirklich recht merkwürdig, mitten im Wald auf der Erde eine Tür zu entdecken. Da möchte ich doch wissen, wohin die führt. Er klopfte an, die Tür öffnete sich, und darunter



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erkannte er eine Höhle. Obgleich seine Brüder sich stets über ihn lustig gemacht hatten, war Schmutzfink mutig und abenteuerlustig. Weil er gern sehen wollte, was es wohl in der Höhle gäbe, sprang er hinunter. Er fiel mehrere Fuß tief bis auf ihren Grund, und da konnte er im Dämmerlicht gerade noch eine andere Tür erkennen, eine größere, mit einem sehr niedrig angebrachten Türgriff. Er drückte den Griff herunter und öffnete. Vor ihm lag ein winziger Raum mit einer niedrigen Decke. Der Raum war so blitzeblank, er glänzte wie eine neue Nadel, doch alles darin war ganz winzig. Da liefen klitzekleine Bänke rings um die Wände, auf denen ebenso winzige Kissen lagen. Und die Wände waren mit gewebten Tapeten geschmückt. Im Kamin brannte ein helles Feuer. Mitten im Raum stand ein Tisch mit winzigen Tellern und Tassen; aber nirgends war jemand zu sehen.

>Wo mag ich hier nur sein?< dachte Schmutzfink. >Ob ich mich einmal umsehe? Vielleicht finde ich hier meinen goldenen Apfel.< Er kniete nieder und schaute in jede Ecke, doch er konnte nichts entdecken. Dann aber fuhr er vor Staunen hoch. Denn neben dem Feuer stand eine kleine Maus. Sie sah ganz anders aus als alle die Mäuse, die er bisher gesehen hatte, denn sie trug ein blaues mit Spitzen besetztes Kleid. Sie war ganz überaus niedlich und reizend anzusehen. Ihre großen braunen Augen blitzten, und ihr Fell war von einem warmen Braun. Nun lief sie zum Tisch und sagte lächelnd:

»Willkommen in meinem Haus, junger Mann! Aber weshalb schaust du so traurig aus? Was gibt es denn? Hier in meinem Hause sollst du alles bekommen, was du haben möchtest!

Bist du müde, magst du sitzen;
bist du hungrig, magst du essen;
bist du durstig, magst du trinken.«


***
Als Schmutzfink die kleine Maus so sprechen hörte, glaubte er seinen Ohren nicht zu trauen. Er kniff sich in den Arm, um sicher zu sein, daß er nicht träume. Er kniff sich noch stärker, aber die Maus war nicht verschwunden. Er sah sie noch immer am Tisch stehen und hörte sie nochmals sagen:


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»Nun, mein Lieber, du schaust so traurig drein. Was hast du denn nur?«

»Wie könnte ich anders als traurig sein?« antwortete er. »Von meinem Vater erhielt ich einen goldenen Apfel als Morgengabe für meine zukünftige Braut. Nun habe ich den Apfel verloren und keine Braut gefunden. Glaubst du nicht, daß das genug ist, um traurig zu sein?«

»Oh, ist das alles?« sagte die kleine Maus. »Deswegen brauchst du dich nicht zu sorgen. Warum willst nicht mich zur Braut nehmen? Hab nur Vertrauen zu mir, und alles wird gut ausgehen.« Während sie so sprach, neigte sie ihr Köpfchen zur Seite und sah ihn mit ihren glänzenden Äuglein an. Schmutzfink konnte kaum sein Lachen zurückhalten, zugleich hörte er sich aber schon höflich antworten: »Ganz wie du möchtest, meine Liebe!«

Über diese Worte schien die Maus recht glücklich zu sein, und sie blickte ihn so strahlend an, daß Schmutzfink nicht anders konnte, als ihr zuzulächeln und sie überaus süß zu finden. Dann lief sie eilig vom Tisch fort auf den Gang und bückte sich in eine Ecke. Im nächsten Augenblick war sie auch schon wieder zurück und trug den goldenen Apfel in ihrem Mund.

»Hier sind sie beide, dein goldener Apfel und deine Braut«, sagte sie. »Doch warum jetzt nicht erst mal was essen und ausruhen, bevor du wieder gehst?«

Also setzte er sich an den Tisch, und die kleine Maus brachte ihm zu essen und zu trinken. Nach beendetem Mahl zeigte sie ihm einen anderen kleinen Raum, in dem ein wundervolles Bett mit weichen Kissen stand. Sie wünschte ihm eine gute Nacht und versprach, ihn am nächsten Morgen zu wecken und an die Tür zu klopfen.

Am andern Tag begleitete ihn die kleine Maus, nachdem er gut gefrühstückt hatte, nach draußen, um ihm den nächsten Weg aus dem Walde zu zeigen. Und als sie sich verabschiedeten, sagte sie noch: »Auf Wiedersehen, mein Lieber, bitte vergiß mich nicht!«

»Oh, wie könnte ich meine kleine Braut vergessen!« erwiderte Schmutzfink und schied herzlich von ihr.

Als er endlich seines Vaters Königreich wieder betrat, begegneten ihm viele Reiter. Manche drehten sich nach ihm um, sobald sie den



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jungen Prinzen erkannten, doch die meisten ritten vorüber, ohne auch nur die geringste Notiz von ihm zu nehmen.

Als er weiter wanderte, traf er doch wirklich auf seine beiden Brüder mit ihrem ganzen Gefolge. Aber die waren viel zu stolz, um von gewöhnlichen Leuten, die zu Fuß unterwegs waren, irgendwelche Kenntnis zu nehmen, und so ritten sie vorbei, ohne ihn auch nur zu sehen.

Als alle drei Prinzen wieder zu Hause waren, ließ der König sie vor seinen Thron kommen. Nun mußten sie ihm von ihren Abenteuern berichten und ihm sagen, ob sie auch vornehme Bräute gefunden hätten. Der älteste Prinz, so erzählte er seinem Vater, war zwar in ein Königreich gekommen, doch die Tochter des Königs war bereits verheiratet. »Aber«, so meinte er, »ich fand eine ihrer Hofdamen, die sehr hübsch und von vornehmer Familie war, und so ist das also auch in Ordnung.«

»Nun, meinetwegen«, antwortete der König, ziemlich enttäuscht, »hoffentlich gibt sie wenigstens eine gute Hausfrau ab.« Und, sich zu dem zweiten Sohn wendend, fragte er: »Und was für eine Braut hast du gefunden?«

»Der König, den ich aufsuchte, hatte nur eine einzige Tochter, und die war schon mit einem steinreichen Prinzen verlobt; aber statt ihrer fand ich ein bildschönes Fräulein, die Tochter eines vornehmen Ritters, und das genügt ja.«

»Was für ein Elend!« rief da der König, »daß meine Söhne, die ich zu feinen Prinzen erzog, nicht fähig sind, Prinzessinnen aus königlichem Geblüt zu heiraten. Doch auch die hübscheste und vornehmste Prinzessin muß backen und weben können. Und ich hoffe, daß eure Fräuleins in diesen nützlichen Künsten nicht unerfahren sind.«

Zuletzt wandte er sich an den jüngsten Sohn, der beiseite stand und reichlich unglücklich aussah. Doch bevor der König überhaupt etwas sagen konnte, schrien schon die beiden älteren Prinzen los: »Sieh dir doch bloß Jung-Schmutzfink an! Hast du wohl ein Bräutchen gefunden, Junker Schmutzfink?«

»Doch, ja«, sagte der zögernd. »Doch sie ist bei weitem nicht so reich und schön wie die euren.«



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»Oh, ich sag' es ja, wenn Schmutzfink eine Braut gefunden hat, dann muß sie häßlich sein wie die Sünde und arm wie eine Kirchenmaus!« prustete der ältere Bruder.

»Ja, du hast so ziemlich recht. Sie hat mehr von einer Maus als von einem anderen Wesen an sich und wohnt auch in keinem Palast.« Die beiden Brüder schüttelten sich vor Lachen. Aber er achtete nicht darauf.

Nachdem einige Zeit vergangen war, ließ der Vater seine Söhne eines Tages zu sich kommen und sprach: »Nun habe ich allmählich genug von euren jungen Fräuleins gehört, wie schön sie sind und aus was für vornehmen Familien sie kommen. Jetzt möchte ich lieber einmal den Beweis haben, daß sie auch gute Hausfrauen sind. Jede eurer Bräute soll jetzt einen Kuchen backen, und den habt ihr mir hierher zu bringen.«

Die beiden älteren Brüder eilten wieder mit ihren Bedienten in den Stall und sattelten so schnell wie nur möglich sämtliche Pferde. Schmutzfink aber mußte wie das vorige Mal zu Fuß gehen. Wieder wanderte er die Landstraße entlang, bis er an den Wald kam. Dann schlug er den Waldweg ein und dachte dabei: >Ich will jetzt zu meiner kleinen Maus gehen und sie wiedersehen. Doch wie sollte sie einen Kuchen backen können? Sie ist viel zu winzig, als daß sie so etwas wie einen Kuchen zustande bringen könnte.< Er

fand den Haufen trockenen Laubes und auch die versteckte Tür, drückte die Klinke nieder und trat in den kleinen Raum. Da stand das Mäuslein am Tisch, schaute ihn mit ihren glänzenden Augen an und sagte mit ihrer sanften freundlichen Stimme: »Willkommen, mein Lieber! Warum aber schaust du schon wieder so traurig aus?

Bist du müde, magst du sitzen;
bist du hungrig, magst du essen;
bist du durstig, magst du trinken.«


***
»Ich danke dir, Liebes«, antwortete Schmutzfink, »doch so froh ich darüber bin, dich wiederzusehen, wie sollte ich nicht zugleich traurig sein, denn mein Vater verlangt, daß ich ihm einen Kuchen bringe, den du gebacken hast, damit er sehen kann, ob du eine gute Hausfrau


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bist. Du lieber Himmel, wie solltest du, die du so klein bist, einen Kuchen backen können?«

»Ach, wenn es weiter nichts ist!« lachte die kleine Maus. »Deswegen brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Uberlaß das nur mir, und ich will dir einen Kuchen backen, geradesogut, wie eine andere ihn backen kann.«

Und sie lief durch die Tür hinaus zu einem flachen Stein und rief laut: »Hierher, alle meine kleinen Dienerinnen. Jede von euch bringe ein paar Gran vom feinsten Mehl.« Und in Sekundenschnelle sah Schmutzfink Dutzende von kleinen zierlichen Mäusen aus allen Richtungen herbeieilen und jede auf ihrem Näslein etwas Mehl herantragen. Sie schütteten alles in einen kleinen Trog, der auf den Stein gestellt worden war, während andere winzige Mäuslein ein Feuer unter dem flachen Stein entzündeten. Dann zog sich Schmutzfinks Bräutchen eine weiße Schürze über und begann, den Teig in den Trog zu kneten. Sie knetete und knetete und rollte ihn und rollte ihn, und zuletzt buk sie ihn auf dem flachen Stein und ruhte nicht, bevor sie den herrlichsten Kuchen fertig hatte, weiß wie Schnee und so schön und süß, wie man sich ihn nur wünschen konnte. Dann packte sie ihn ein und gab ihn Schmutzfink.

Er nahm ihn voller Freude und dankte ihr viele Male. Nun konnte er ohne Sorge sein, hatte er doch seinem Vater einen Kuchen vorzuzeigen! Also setzte er sich und aß und trank, was die kleine Maus ihm auftischte, und lauschte ihren Scherzen und heiteren Erzählungen. Und nachher führte sie ihn wieder zu dem kleinen Raum, wo er nach diesem anstrengenden Tag sofort einschlief.

Wieder ging sie am nächsten Morgen nach dem Frühstück ein Stück Wegs mit ihm durch den Wald und bat ihn, sie nicht zu vergessen. Dann mußte er hinaus auf die staubige Landstraße, um weiter in sein Heimatland zu wandern. Als er seines Vaters Königreich betrat, hörte er Huf geklapper und heiteres Stimmengewirr. Er schaute auf und erkannte seine Brüder und ihren Troß, die alle vorüberritten, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen.

Als er zu Hause eintraf, hatte der König die Prinzen bereits an den Thron gerufen. Er war eben dabei, die Kuchen zu probieren, die deren Bräute gebacken hatten. Als Schmutzfink kam, hörte er gerade



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noch, wie seine älteren Brüder sich damit brüsteten, was für gute Hausfrauen ihre Verlobten seien. Nichts gäbe es, was sie vom Backen nicht wüßten.

»Schaut mal Schmutzfink an!« schrien sie, als sie sahen, wie er sein Päckchen hervorzog. »Nicht wahr, du hast da wohl einen Kuchen mitgebracht, den deine Mäusebraut gebacken hat?«

»Ja, das habe ich«, antwortete Schmutzfink ruhig, »aber gewiß wird er nicht so köstlich sein wie die euren.«

»Mal sehen, was mit dem los ist! Der muß ja in der Asche gebacken worden sein, damit er zu dir paßt«, spotteten sie.

»Da habt ihr recht, denn sie machte ein Feuer unter einem flachen Stein mitten im Walde.«

Die beiden Brüder wollten sich vor Lachen ausschütten, doch als sie den Kuchen dann sahen, den Schmutzfink aus seinem Paket wickelte und dem Vater überreichte, blieb ihnen gar schnell das Lachen im Halse stecken. Er war schöner, als sie je einen Kuchen gesehen. Und nachdem alle davon gekostet hatten, war es gar keine Frage mehr, wessen Kuchen der beste war. Selbst die beiden älteren Brüder mußten zugeben, daß sie einen solch köstlichen Kuchen bisher noch nie geschmeckt hätten.

»Er muß im Walde ein altes Bäckerweib getroffen haben!« riefen sie. Aber Schmutzfink beachtete sie gar nicht.

Nun, einige Zeit danach, rief der König seine Söhne wieder zu sich und sagte: »Jetzt will ich einmal sehen, ob eure jungen Fräuleins auch so gut weben, wie sie backen können -das heißt Schmutzfinks Braut hatte ja am besten gebacken. Geht und laßt euch von euren Bräuten ein Stück selbstgewebten Stoffes geben und bringt es mir!« Und so zogen die drei Brüder wiederum hinaus.

Schmutzfink war sehr bedrückt, denn daß seine kleine Maus nicht zu weben vermochte, dessen war er sicher. Zwar konnte sie backen, doch wie sollte sie, die so zierliche und winzige, an einem Webstuhl sitzen und weben? Als er durch den Wald schritt, war ihm ganz elend zumute. Schließlich kam er zu dem trockenen Blätterhaufen und fand die Tür darunter. Er öffnete sie, sprang in die Höhle, drückte drunten die Klinke der zweiten Tür und betrat den kleinen Raum des Mäusleins. Genau wie sonst erwartete sie ihn, lächelte und



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sprach: »Sei willkommen, liebster Schatz! Ich hoffe, daß deine Leute meinen Kuchen mochten. Doch weshalb bist du schon wieder traurig?
Bist du müde, magst du sitzen;
bist du hungrig, magst du essen;
bist du durstig, magst du trinken.«


***
»Ich danke dir, meine Liebe. Aber mir ist nicht nach Essen und Trinken zumute. Wie sollte ich nicht traurig sein? Mein Vater hat mich beauftragt, ihm ein Stück Stoff zu bringen, das du gewebt hast, damit er sehen kann, ob du genausogut weben wie backen kannst. Wie aber sollte ein so winziges Wesen wie du am Webstuhl sitzen und weben können?«

»Oh, da sorge dich nicht! Vertrau mir nur, ich will genausogut weben, wie ich gebacken habe - du wirst es gleich sehen.«

Und wieder rief sie ihre Dienerinnen, und eine Menge kleine Mäuse rannten herzu, einige trugen silberne Fäden, andere Spinnräder und Spindeln. Andere wieder stellten eiligst einen Webstuhl auf. Und nun setzte sich Schmutzfinks kleine Braut an den Webstuhl und begann so schnell zu weben, daß seine Augen dem Schiffchen nicht zu folgen vermochten. Sie hielt nicht inne, ehe sie nicht fertiggewebt hatte, und zeigte ihm dann einen Stoff, so weiß wie Schnee, so weich wie Seide und so hauchzart wie Spinnweben, und er war größer als das größte Tafeltischtuch. Die kleine Maus faltete es und faltete es so viele Male, daß es klein genug wurde, um in einer Walnußschale Platz zu finden. Und dann gab sie Schmutzfink die Waldnußschale. Er steckte sie in seine Tasche und fühlte sich so innig glücklich wie ein Sandmännchen, weil er nun ein handgewebtes Stück seinem Vater vorweisen konnte.

Die kleine Maus deckte den Tisch, brachte ihm zu essen und zu trinken, und er setzte sich hin und freute sich des trefflichen Mahls. Und während er aß, erzählte sie ihm die reizendsten Geschichten und erwies sich wirklich als die vollendeteste Wirtin. Als Schmutzfink gegessen hatte, mußte er feststellen, daß es ihm noch nie so gutgegangen war wie jetzt eben hier. Die kleine Maus führte ihn wiederum



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in den Raum, wo er während der Nacht schlafen konnte. »Gute Nacht, ich wecke dich morgen früh wie sonst«, sagte sie.

Am nächsten Tag bedankte er sich für alle ihre Güte und vor allem für das herrliche Gewebe, das er in seiner Tasche mitnahm. Wie gewöhnlich begleitete die kleine Maus ihn ein Stück durch den Wald. Dann mußte er wieder den langen und ermüdenden Weg auf der Landstraße, die in seine Heimat führte, hinter sich bringen. Wieder sah er seine Brüder mit allem ihrem Gefolge an sich vorüberziehen. Er konnte sogar hören, was sie von ihren vornehmen Bräuten sprachen. Falls sie ihn sahen, ließen sie es sich doch keineswegs anmerken.

Als er das Schloß betrat, erfuhr er, daß seine beiden Brüder schon zum König gerufen wurden, um ihm zu zeigen, was ihre Bräute gewebt hatten. Als er in die große Halle eintrat, in der sein Vater auf dem Thron saß, sah er ihn schon die Webereien auseinanderbreiten, die seine Brüder gebracht hatten.

»Gut«, sagte der König. »Ich finde nichts daran auszusetzen. Eure Bräute haben sehr hübsch gewebt.« Und nun fanden seine älteren Brüder kein Ende mit Lobpreisungen ihrer so überaus tüchtigen Bräute. Sie brüsteten sich: niemand vermöchte je besser zu weben als diese.

Dann bemerkten sie Schmutzfink an der Tür und schrien lauthals, ob sein Bäckerweib wohl auch etwas gewebt habe.

»Ja, das hat sie«, erwiderte Schmutzfink ruhig. »Doch wird es wohl nicht so gut wie das eure sein.«

»Das wird sie wohl aus Zweigen und Spinnweben gemacht haben, wenn sie auch das wieder im Wald gemacht hat«, lachten sie los. »Gewiß, sie hat keinen sehr guten Webstuhl, und der Stoff sieht tatsächlich eher Spinnweben als was anderem ähnlich, und so habt ihr vielleicht recht.« Und Schmutzfink nahm die Walnuß aus seiner Tasche, und seine beiden Brüder prusteten vor Lachen über ihn; er aber kümmerte sich nicht darum. Er öffnete die Nußschale und faltete den Stoff auseinander, den die kleine Maus gewebt hatte. Voller Staunen blickten ihn alle an, denn er war weich wie Seide und hauchdünn wie Spinngeweb. Es war in der Tat die herrlichste Weberei, die man je gesehen hatte. Selbst die beiden Brüder konnten es nicht



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ableugnen. Und noch lange Zeit danach sprach jedermann im Schloß von dem wundersamen Webwerk, das Schmutzfinkens Braut geschaffen hatte, denn wirklich war etwas Derartiges noch nie gesehen worden.

>Aber selbst wenn sie weben und backen kann, auf keinen Fall kann sie so vornehm sein wie unsere Bräute<, dachten die Brüder.

Nun, jedenfalls ein paar Monate später sagte der Vater zu seinen Söhnen: »Jetzt weiß ich, daß eure Bräute backen und weben können —das heißt, Schmutzfinkens Braut war die beste, beim Backen wie beim Weben. Jetzt will ich aber auch wissen, wie sie aussehen. So geht also und holt sie her, damit ich sie begutachten kann.«

Als Schmutzfink den Wald betrat, freute er sich schon auf seine kleine Maus. Wie aber sollte er es anfangen, sie mit nach Hause zu bringen und dem Vater und den Brüdern zu zeigen? >Ob ich lieber doch wieder umkehre?<, und je länger er darüber nachdachte, um so schwerer wurde ihm eine Entscheidung. Er war immer noch beim Überlegen, als er schon vor dem Laubhügel stand. So sprang er schließlich doch in die Höhle, öffnete unten die Tür und trat in das Zimmerchen ein. Da stand die kleine Maus am Tisch, begrüßte ihn wie sonst und fragte, ob seine Leute mit ihrem Weben zufrieden gewesen seien. Doch als sie sein trauriges Gesicht sah, fragte sie weiter, was ihn wohl so bedrücke. Und er antwortete:

»Könnte ich denn anders als bedrückt sein, da mein Vater eine stattliche Hochzeit für meine Brüder und mich ausrichtet und wir ihm jeder unsere Bräute vorstellen sollen? Was glaubst du wohl, was sie zu Hause sagen werden, wenn sie sehen, daß du nur ein winziges Mäuslein bist?«

»Oh, deswegen sei ja nicht traurig! Da wird schon Rat werden. Wenn du mir nur vertraust, kann ich mich so herrlich kleiden, daß du dich ganz gewiß nicht deiner Braut zu schämen brauchst. Komm, setze dich und iß, was ich für dich vorbereitet habe! Ich will inzwischen mein Hochzeitskleid anziehen.«

Also setzte sich Schmutzfink hin und fing an zu essen, denn der lange Weg durch den Wald hatte ihn hungrig gemacht. Die kleine Maus rief ihre Dienerinnen und ließ sich ihr Hochzeitskleid bringen. Und Dutzende sehr junger Mäuslein rannten herzu, jede ein Mause



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feil im Munde. Und alle diese Pelzchen zogen sie der Braut an. Als Schmutzfinks Herzliebste sie sämtlich übergestreift hatte, sah sie wie ein runder Peizball aus und konnte sich kaum mehr bewegen. Dann schleppten andere Mäuslein einen silbernen Löffel herbei, hoben die Braut hoch und setzten sie hinein. Am Löffelgriff banden sie zwölf dicke Käfer an, und davor setzten sie noch vierzehn Flöhe als Vorgespann. Und zuletzt kamen noch sechs Mäusekinderchen, drei an jeder Löffelseite, um die Braut zu begleiten. Nachdem alles fertig war, gab diese ein Zeichen, und der Brautzug setzte sich in Bewegung.

Die Käfer begannen zu traben, die Flöhe zu hüpfen und die kleinen Mäuschen zulaufen, was sie nur konnten, und so ging es über Stock und Stein. Schmutzfink folgte; er wußte nicht, ob er weinen oder lachen sollte. Gleich würden sie die Landstraße erreichen und auf seine Brüder und deren Gefolge stoßen. >Lieber möchte ich auf der Stelle tot sein, als ihr hämisches Lachen hören zu müssen<, dachte er. Plötzlich hielt der ganze Zug vor einem Steg, der über einen kleinen Bach führte. Die Braut rollte sich in all ihren Pelzen aus dem Löffel auf den Steg hinab und sagte zu Schmutzfink:

»Schwinge nun dein Schwert und schlage den Löffelgriff ab!«

>Nun<, dachte da Schmutzfink, >das ist ja eine seltsame Bitte!<Aber er tat, was sie wollte, schwang sein Schwert und durchschnitt so den Löffel. Da geschah etwas überaus Seltsames. Der Löffel fiel in den Bach, und im selben Augenblick stand am Ufer des Baches die kostbarste Staatskarosse, wie die eines Kaisers oder Königs nicht prächtiger hätte sein können. Sie schimmerte silbern und golden, und in den Glasscheiben spiegelte sich die Sonne derart, daß der Glanz fast blendete. Zwölf grauscheckige Schimmel waren vor die Kutsche gespannt, und vierzehn Reitknechte in prächtigen Uniformen ritten voran. Schmutzfink war sprachlos vor Überraschung und sah nur verwirrt die kleine Maus an, die in allen ihren Pelzen, umgeben von ihren sechs kleinen Mäuschen, mitten auf dem Steg saß.

»Nun«, sagte sie, »schwinge dein Schwert noch einmal und schlage mir den Kopf ab!« Schmutzfink erblaßte bei diesem Ansinnen. Er brachte das einfach nicht fertig, denn er liebte sie viel zu sehr, um ihr etwas anzutun, wenn sie auch im Grunde nur eine Maus war.



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Doch sie bat ihn nochmals darum und sagte: »O bitte, bitte, lieber Schmutzfink, sei doch so lieb! Tue doch ja, worum ich dich bitte, und schlage mir den Kopf ab!« Schmutzfink aber weigerte sich. Da weinte und jammerte sie so lange, bis er nicht weiter widerstehen konnte, sein Schwert zog und es mit aller Kraft schwang. Und es schnitt durch alle Pelze hindurch, die sie trug, der Kopf sprang heraus und rollte hinunter in den Bach. Im selben Augenblick aber stand am Ufer des Baches die bezauberndste Prinzessin, die er sich je hätte vorstellen können. Sie war schöner als irgendein menschliches Wesen, so glaubte er, überhaupt sein könnte. Ihr Gewand war silbern, Purpurseide, mit Hermelin eingefaßt, umhüllte sie. Auf dem Haupt trug sie eine goldene Krone, die mit kostbar schimmernden Juwelen besetzt war, und in ihrer Hand hielt sie einen goldenen Apfel. Ihr zur Seite standen sechs liebliche Brautjungfern mit Blumenkränzen im Haar, um ihr zu dienen.

Schmutzfink mochte seinen Augen nicht trauen. Er kniff sich wieder in den Arm, so wie er es damals getan hatte, als er die kleine Maus zum erstenmal gesehen und gehört hatte, daß sie sprechen konnte. Aber sie waren wirklich da: die Prinzessin und ihre Brautjungfern, die Kutsche und auch die Vorreiter.

»Wie danke ich dir, Liebster, daß du mir den Kopf abgeschlagen hast!«sprach die Prinzessin mit der gleichen wohlbekannten Stimme der kleinen Maus. »Hättest du es nicht getan, so wäre nie der Zauber von mir gewichen. Ich habe mich nämlich früher einmal geweigert, einen gräßlichen Troll zu heiraten. Aus Rache verwandelte er mich in eine Maus. Und ich konnte davon nicht wieder befreit werden, wenn sich nicht jemand fände, der mich so sehr liebte, daß er mir auf mein Flehen hin sogar den Kopf abschlagen würde.«

Dann lud die Prinzessin Schmutzfink zu sich in den Wagen ein. »Nun wollen wir zur Hochzeit in euer Schloß fahren«, sagte sie, »so daß sie dort deine Braut sehen können. Und dann wollen wir wieder zu uns heimfahren in den Wald.«

So fuhren sie nun schnell des Wegs. Inzwischen waren die beiden älteren Brüder schon auf dem Schloß angekommen und hatten ihre Bräute dem König vorgestellt. Natürlich war dieser immer noch recht enttäuscht, daß er keine Prinzessinnen zu Schwiegertöchtern



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bekam, doch freute ihn ihr feines Benehmen und ihr angenehmes Äußere ->das war<, dachte er, >alles in allem nicht hübscher und auch nicht häßlicher als das von allen jungen Mädchen<.

Die älteren Prinzen setzten sich dann, um Schmutzfink zu erwarten, und malten sich aus, wie wohl seine Braut sich neben ihren reichen und feinen Bräuten ausnehmen werde. Mitten in ihre Unterhaltung drang das Geräusch vieler Pferdehufe - so vieler Hufe, daß man es glatt hätte für fernen Donner halten können. Sie blickten zum Fenster hinaus und sahen, wie sich in einer Staubwolke der prächtigste Zug dem Schlosse näherte, den sie je erblickt hatten. Als er näher kam, unterschieden sie die bunten Wämse der Vorreiter, dahinter die von Gold und Silber strotzende Karosse, die von zwölf herrlichen Schimmeln gezogen wurde. Sie fragten sich, ob da wohl der Kaiser höchstselber oder ein mächtiger fremder König zu ihrer Hochzeitsfeier käme.

Staatskutsche und Gefolge hielten vor dem Schloß, und heraus stieg eine so bildschöne, eine so lieblich ausschauende Prinzessin, daß niemand die Augen von ihr lassen konnte. Zuletzt bemerkten sie auch den schönen Prinzen an ihrer Seite, und da konnten die beiden Brüder wieder nichts anderes sagen, als was sie von jeher gewohnt waren: »Sieh bloß, der junge Schmutzfink!« Bescheiden wie stets, sagte der: »Ich wollte euch nur meine Braut vorstellen.«

Nun, die Bräute waren überhaupt nicht miteinander zu vergleichen. Schmutzfinkens Braut strahlte wie der Mond zwischen den Sternen an wolkenlosem Himmel.

Es gab im ganzen Schloß eine unvorstellbare Aufregung, niemand konnte sie je wieder vergessen.

Doch nach kurzem Verweilen sagte die Prinzessin zu Schmutzfink, daß sie nun wieder gehen und nach Hause fahren müßten. Sie fuhren auch am selben Tage wieder zurück. Jetzt aber führte eine breite Allee durch den Wald - und dort, wo der trockene Blätterhaufen gelegen hatte, stand ein ganz herrliches Schloß. Alle kleinen Mäuse waren nun wieder Menschen, die froh und eifrig ihrer Arbeit nachgingen. Denn sie bereiteten alles für eine ganz wunderbare Hochzeit vor - und es war ja nicht nur eine Hochzeitsfeier, sondern auch die ihrer aller Befreiung aus dem bösen Zauberbann.



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So wurde der von seinen Brüdern stets höhnisch »Schmutzfink« Genannte ein mächtiger König, der nun, nach allen Abenteuern, auf lange Zeit mit seiner bildschönen Königin zusammen ein glückliches Leben führen konnte.


Silberweiß und Liliwacker

Es war einmal ein König, der hatte eine Königin, die er sehr liebte. Aber nach einer Weile starb die Königin, und es blieb ihm nur seine einzige Tochter. Wie nun der König Witwer war, wandte sich sein ganzes Herz der kleinen Prinzessin zu, und er hatte sie lieb wie seinen Augapfel. Die junge Königstochter wuchs heran und wurde die schönste Jungfrau, von der man je gehört hat.

Als die Prinzessin fünfzehn Jahre alt war, traf es sich, daß eid großer Krieg ausbrach, und ihr Vater mußte gegen den Feind ausziehen. Der König hatte aber keinen Menschen, dem er seine Tochter während dieser Kriegsfahrt anvertrauen konnte, und da ließ er draußen im Wald einen großen Turm bauen, versah ihn mit reichlich Vorräten und setzte seine junge Tochter mit ihrer Magd hinein. Schließlich ließ er noch ein Verbot ausgehen, daß bei Todesstrafe sich kein Mann, wer es auch sein möge, dem Turm nähern dürfe, in dem seine Tochter mit ihrer Magd zusammen gefangengehalten wurde.

Nun glaubte der König, daß er alles getan habe, um seine Tochter zu schützen, und zog fort in den Krieg. Unterdessen saß die Prinzessin in dem Turm mit ihrer Magd zusammen. Aber in der Stadt hielten sich viele tapfere Königssöhne und andere junge Männer auf, denen der Sinn nach dem schönen Mädchen stand und die gerne einmal mit ihr reden wollten. Als sie merkten, daß ihnen das verwehrt war, wurden sie dem König bitter gram und sannen auf Rache.

Schließlich pflegten sie Rat mit einem alten Weib, das mehr verstand als andere Leute, und trugen ihr auf, es einzurichten, daß die Königstochter und die Magd in Unehre kämen, ohne daß sie von einem Manne Gewalt erlitten hätten. Die Alte versprach ihren Beistand und verzauberte einige Äpfel, legte sie in einen Korb und besuchte



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damit den einsamen Turm, wo die beiden Jungfrauen festgesetzt waren.

Als die Königstochter und ihre Magd die Alte erblickten, die vor dem Fenster saß, bekamen sie große Lust, die schönen Äpfel zu versuchen. Sie riefen die Frau und fragten sie, was sie für die köstlichen Apfel verlange; aber die Alte sagte, sie wolle jeder einen Apfel schenken, sie sollten nur ein Körbchen am Turm hinunterlassen. Die Prinzessin und ihre Magd dachten an nichts Böses, sondern taten, wie das Troliweib gesagt hatte, und jede bekam ihren Apfel. Aber die verzauberte Frucht hatte eine wundersame Wirkung; die beiden Mädchen wurden schwanger, und ehe das Jahr um war, brachte jede einen Knaben zur Welt. Die Königstochter nannte ihren Sohn Silberweiß, und der Sohn der Magd bekam den Namen Liliwacker. Die beiden Knaben wuchsen auf und wurden größer und stärker als andere Kinder. Dazu waren sie von großer Schönheit und glichen einander wie zwei Kirschen, und man konnte wohl sehen, daß sie Geschwister waren.

Sieben Jahre waren vergangen, und der König sollte von seinem Kriegszug heimkommen. Da bekamen die beiden Mädchen große Angst und fürchteten, er möchte ihre Schande erfahren. Sie überlegten miteinander, wie sie ihre Kinder verstecken könnten. Als sich nun kein anderer Ausweg fand, nahmen sie mit großer Trauer Abschied von ihren Kindern und ließen sie in der Nacht vom Turm hinab, damit sie in der Welt ihr Glück versuchten. Beim Abschied schenkte die Königstochter dem Silberweiß ein kostbares Messer als Andenken an seine Mutter, aber die Magd hatte nichts für ihren Sohn. Die beiden Pflegebrüder wanderten nun in die Welt hinaus. Als sie eine Weile gereist waren, kamen sie in einen dunklen Wald. In diesem Wald begegneten sie einem Mann, der war hochgewachsen und sah wundersam aus. Er trug zwei Schwerter an der Seite und führte sechs große Hunde mit sich. Er grüßte freundlich: »Guten Tag, ihr Kleinen, wo kommt ihr her und wo wollt ihr hin?« Die Knaben erzählten, sie kämen von einem hohen Turm und wollten in die Welt hinaus, um ihr Glück zu versuchen. Da sagte der Mann: »Wenn es ist, wie ihr sagt, so kenne ich eure Herkunft besser als irgendein anderer. Und deshalb sollt ihr etwas zur Erinnerung an euren Vater



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haben, ich will jedem von euch ein Schwert und drei Hunde geben. Aber eins müßt ihr mir versprechen, daß ihr euch niemals von euren Hunden trennt, sondern sie mitnehmt, wo ihr auch seid.« Die Knaben dankten dem Mann für seine guten Gaben und versprachen, es zu halten, wie er gesagt hatte. Darauf nahmen sie Abschied und zogen ihres Weges weiter.

Als sie weit gewandert waren, kamen sie an einen Kreuzweg. Da sagte Silberweiß: »Mir scheint, es würde uns besser gehen, wenn jeder für sich sein Glück versuchen könnte. Darum laß uns scheiden.« Liliwacker gab zur Antwort: »Dein Rat ist gut; aber wie soll ich von nun an wissen, ob es dir wohl geht in der Welt?« —»Ja«, sagte Silberweiß, »das soll dir ein Zeichen sein: solange das Wasser in dieser Quelle klar fließt, so lange lebe ich; wenn es aber rot und trübe wird, dann bin ich tot. Und ich weiß gewiß, daß du meinen Tod rächen wirst.« Silberweiß schrieb nun mit seinem Messer in die Quelle, dann nahm er Abschied von seinem Bruder, und jeder zog seines Weges. — Liliwacker kam bald darauf an einen Königshof und trat dort in Dienst. Aber jeden Morgen wanderte er zu der Quelle, um zu sehen, wie es seinem Pflegebruder ginge.

Silberweiß setzte nun allein seine Wanderschaft fort über Berg und Tal, bis er eine große Stadt erblickte. Aber in der Stadt sah es gar trübselig aus, denn die Häuser waren schwarz verhangen, und die Einwohner gingen traurig und sorgenvoll umher, als ob ein großes Unglück geschehen wäre. Silberweiß ging durch die Stadt und fragte, was denn an dieser Betrübnis schuld sei. Die Leute sagten: »Du kommst gewiß sehr weit her, daß du nicht weißt, wie der König und die Königin in Seenot waren und ihre drei Töchter verpfänden mußten. Gerade morgen soll der Meertroll kommen und die älteste Prinzessin morgen holen.« Ober diese Neuigkeit freute sich der Bursche und dachte, das sei eine schöne Gelegenheit, um Reichtum und Ruhm zu erringen, wenn ihm das Glück günstig wäre.

Als der Tag gekommen war, band Silberweiß sein Schwert an die Seite, rief seine Hunde und wanderte einsam hinunter ans Meer. Wie er nun am Meeresstrand saß, sah er, wie die Königstochter aus der Stadt geführt wurde, und mit ihr ging ein Höfling, der versprochen hatte, er wolle sie retten. Aber die Prinzessin war sehr traurig und



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weinte bitterlich. Da trat Silberweiß auf sie zu und grüßte sie höflich. Als die Königstochter und ihr Gefolgsmann diesen tapferen Jüngling erblickten, erschraken sie sehr, weil sie dachten, das sei der Meertroll. Der Höfling lief aus lauter Angst davon und brachte sich auf einem Baum in Sicherheit.

Als Silberweiß ihren Schrecken merkte, sagte er: »Schöne Jungfrau, fürchtet Euch nicht vor mir, ich tue Euch nichts Übles.« Die Königstochter gab zur Antwort: »Bist du nicht der, der mich holen will?« —»Nein«, sagte Silberweiß darauf, »ich bin gekommen, um Euch zu befreien.« Da freute sich die Prinzessin, daß ein so tüchtiger Kämpfer für sie eintreten wollte, und sie sprachen lang und freundlich miteinander. Dabei bat Silberweiß, die Königstochter möge ihm einen Gefallen tun und ihn lausen. Die Königstochter tat, wie er wollte, und Silberweiß legte seinen Kopf in ihren Schoß; aber währenddessen zog die Prinzessin einen goldenen Ring vom Finger und knüpfte ihn unbemerkt in die Locken des Burschen.

Auf einmal kam der Meertroll aus der Tiefe heraufgefahren, daß Schaum und Wogen weit herumwirbelten. Als der Troll Silberweiß sah, wurde er zornig und sagte: »Warum sitzest du bei meiner Prinzessin?« Der Jüngling sagte: »Ich denke, sie ist meine Prinzessin, nicht deine.« Der Meertroll sagte: »Das wollen wir erst sehen, aber zuerst sollen unsere Hunde kämpfen.« Silberweiß war auch nicht säumig, sondern hetzte seine Hunde gegen die des Trolls, und es gab einen harten Kampf. Aber am Ende hatten doch die Hunde des Burschen die Oberhand und bissen die Meerhunde tot. Da zog Silberweiß sein Schwert in hohem Schwung, stürzte auf den Meertroll los und führte einen mächtigen Hieb, daß das Haupt des Ungeheuers auf den Sand rollte. Aber der Troll schrie entsetzlich und stürzte hinaus ins Meer, daß das Wasser himmelhoch aufspritzte. Darauf zog der Jüngling sein silberbeschlagenes Messer, schnitt dem Trollkopf die Augen aus und steckte sie zu sich. Dann grüßte er die schöne Prinzessin und ging hastig seines Weges.

Als nun der Kampf vorbei war und der Jüngling seines Weges gegangen war, kroch der Höfling wieder von seinem Baum herunter und bedrohte die Prinzessin mit dem Tod, wenn sie nicht vor allen Leuten sage, daß er und kein anderer sie befreit hätte. Die Königstochter



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getraute sich nicht nein zu sagen, denn sie fürchtete für ihr Leben. Also ging sie mit dem Höfling heim in das königliche Schloß, und sie wurden mit großen Ehren empfangen. Auch im Lande war die Freude groß, als man erfuhr, daß die älteste Prinzessin vor dem Meertroll gerettet sei.

Am nächsten Tage ging alles wieder genauso. Silberweiß ging hinunter an den Strand und traf die mittlere Prinzessin, wie sie dem Troll ausgeliefert werden sollte.

Aber als die Königstochter und ihr Begleiter ihn erblickten, erschraken sie sehr, denn sie dachten, er sei der Meertroll. Der Höfling kletterte wieder auf den Baum; aber die Prinzessin erfüllte die Bitte des Burschen und lauste ihn, wie ihre Schwester getan hatte. Und dabei band sie ihm ihren goldenen Ring in seine langen Haare.

Nach einer Weile kam vom Meer her ein großes Getöse, und heraus stieg ein Meertroll, der hatte drei Hunde und drei Köpfe. Aber die Hunde von Silberweiß siegten über die Meerhunde, und der Bursche selbst schlug den Troll mit dem Schwerte tot. Darauf nahm er sein silberbeschlagenes Messer, schnitt dem Troll die Augen aus und ging seines Weges. Aber der Höfling war nicht faul, kletterte von seinem Baum herunter und zwang die Prinzessin, einen Eid abzulegen, daß er und kein anderer sie befreit hätte. Sie gingen dann zurück ins Schloß, wo der Höfling mit großen Ehren empfangen und wie der größte Held gefeiert wurde.

Am dritten Tag band Silberweiß sein Schwert an die Seite, rief seine drei Hunde und wanderte wiederum ans Meer. Als er am Strand saß, erblickte er die jüngste Prinzessin, wie sie aus der Stadt herausgeführt wurde, und mit ihr ging der tapfere Höfling, der behauptete, er habe ihre Schwestern gerettet. Aber die Prinzessin war sehr betrübt und weinte bitterlich. Da trat Silberweiß auf sie zu und begrüßte die schöne Jungfrau höflich. Als nun die Königstochter und ihr Gefolgsmann den stattlichen Jüngling erblickten, erschraken sie sehr, denn sie glaubten, es wäre der Meertroll. Aber der Höfling lief davon und versteckte sich auf einem hohen Baum, der am Meer wuchs. Als Silberweiß ihre Angst merkte, sagte er: »Schöne Jungfrau, erschreckt nicht vor mir, ich werde Euch nichts Übles tun.«Die Königstochter sagte: »Bist du denn nicht der, der mich holen will?«



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»Nein«, gab Silberweiß zurück, »ich komme, um Euch zu befreien.« Da freute sich die Prinzessin sehr, daß ein so tapferer Held für sie kämpfen wollte, und sie redeten lang und freundlich miteinander. Dabei bat Silberweiß, die schöne Jungfrau solle ihm einen Gefallen tun und ihn ein wenig lausen. Die Königstochter wollte das gern tun, und Silberweiß legte seinen Kopf in ihren Schoß. Aber als die Prinzessin die goldenen Ringe erblickte, die ihre Schwestern dem Silberweiß ins Haar geknüpft hatten, wunderte sie sich sehr und band ihm unbemerkt noch einen in die Locken.

Da kam auf einmal der Meertroll aus der Tiefe geschossen mit schrecklichem Getöse, daß Schaum und Wellen hoch zum Himmel spritzten. Das Ungeheuer hatte diesmal sechs Köpfe und neun Hunde. Als der Troll sah, wie Silberweiß bei der jungen Königstochter saß, kam er in Wut und schrie: »Was hast du mit meiner Prinzessin zu schaffen?« Der Jüngling gab zur Antwort: »Ich denke, sie ist eher meine als deine Prinzessin.« Da sagte der Troll: »Das wollen wir erst sehen, aber zunächst sollen unsere Hunde miteinander kämpfen.«

Silberweiß war nicht faul, sondern hetzte seine Hunde gegen die Meerhunde, und es gab einen harten Kampf. Aber es ging so aus, daß die Hunde des Burschen die Oberhand gewannen und alle neun Meereshunde totbissen. Schließlich zog Silberweiß sein blankes Schwert, stürzte auf den Meertroll los und führte einen Hieb, daß alle seine sechs Köpfe im Sande rollten; das Untier schrie fürchterlich und stürzte ins Meer hinaus, daß das Wasser himmelhoch aufspritzte. Da nahm der Jüngling sein silberbeschlagenes Messer und schnitt aus den Köpfen alle zwölf Augen aus. Dann grüßte er die junge Königstochter und zog eilig seines Weges.

Wie nun der Kampf vorbei und der Jüngling seiner Wege gegangen war, kletterte der Höfling von seinem Baum herunter, zog sein Schwert und bedrohte die Prinzessin mit dem Tod, wenn sie nicht sagen wolle, daß er sie vor dem Troll errettet hätte, wie ihre Schwestern. Die Königstochter getraute sich nicht, nein zu sagen, denn sie hatte Angst für ihr Leben. Darauf gingen sie zusammen in das Schloß zurück. Aber als der König sie beide heil und lebendig vor sich sah, war am ganzen Hofe große Freude, und sie wurden mit



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großen Ehren empfangen. Der Höfling war nun ein ganz anderer Kerl, als der dort droben auf dem Baum verkrochen saß. Der König ließ ein prächtiges Mahl herrichten, mit Lust und Spiel und Saitenklang und Tanz, und gab dem Höfling seine jüngste und liebste Tochter als Lohn für seine Tapferkeit.

Mitten während des Hochzeitsfestes, als der König mit allen seinen Leuten zu Tisch saß, tat sich die Tür auf, und herein kam Silberweiß mit seinen Hunden. Der Jüngling trat dreist in den Festsaal und grüßte den König. Aber als die drei Königstöchter merkten, wer er war, wurden sie voller Freude, sprangen vom Tisch auf und liefen auf ihn zu. Darüber wunderte sich der König sehr und fragte, was das zu bedeuten habe. Da erzählte ihm die jüngste Prinzessin alles, was sich zugetragen hatte, von Anfang bis zu Ende, und daß Silberweiß sie gerettet habe, während der Höfling auf dem Baum saß. Zur genauesten Bestätigung zeigten ihm seine Töchter noch jede ihren Ring, den sie in Silberweißens Haar gebunden hatten. Aber der König wußte doch noch nicht recht, was er von der Sache zu halten hatte; da sagte Silberweiß: »Herr König! Damit du an deinen Töchtern nicht zweifelst, sollst du hier die Augen des Meertrolles sehen, den ich erschlagen habe.«Da sah der König und alle seine Leute, daß die Prinzessinnen die Wahrheit gesagt hatten. Der falsche Höfling mußte seine verdiente Strafe erleiden, aber Silberweiß wurde mit großen Ehren aufgenommen und bekam die jüngste Königstochter und mit ihr das halbe Reich.

Nach der Hochzeit zog Silberweiß mit seiner jungen Frau in ein großes Königsschloß und lebte da mit ihr ruhig und glücklich. Da geschah es einmal nachts, als alles schlief, daß es ans Fenster klopfte und eine Stimme sich vernehmen ließ: »Silberweiß, komm, ich habe mit dir zu reden.« Der König wollte seine junge Frau nicht aufwecken, stand eilig auf, band sein Schwert an die Seite, rief seine Hunde und ging hinaus.

Als er unter freiem Himmel war, stand ein Troll vor ihm, der sah schrecklich und grimmig aus. Der Troll sagte: »Silberweiß, du hast meine drei Brüder erschlagen, und ich bin gekommen, um ihren Tod zu rächen. Wir wollen an den Meeresstrand gehen und dort miteinander kämpfen.« Dieser Vorschlag war dem Jüngling recht, und er



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ging mit dem Troll ohne Widerrede. Als sie nun ans Meer kamen, lagen da drei große Hunde, die dem Troll gehörten. Gleich hetzte Silberweiß seine Hunde auf die Trollhunde, und es gab einen harten Kampf; aber schließlich mußten die Trollhunde weichen. Da zog der König sein Schwert, ging tapfer auf den Troll los und versetzte ihm manch prächtigen Hieb, und es war ein gewaltiger Kampf. Als aber der Troll merkte, daß es ihm übel gehen würde, bekam er Angst und lief eiligst auf einen hohen Baum zu und kletterte hinauf. Silberweiß und seine Hunde rannten hinterdrein, und die Hunde bellten sehr. Da bat der Troll um sein Leben und sagte: »Lieber Silberweiß, ich will Wergeld nehmen für meine Brüder; heiß nur deine Hunde schweigen, daß wir miteinander reden können.« Der König hieß seine Hunde stille sein, aber es half nichts, sie bellten noch ärger als zuvor. Da riß der Troll drei Haare von seinem Kopfe, reichte sie Silberweiß und sagte: »Leg ein Haar über jeden Hund, dann werden sie schon stille sein.« Der König tat so, und gleich waren die Hunde still und lagen unbeweglich, als wären sie am Boden festgewachsen. Nun merkte Silberweiß, daß er betrogen worden war, aber es war zu spät. Schon stieg der Troll von seinem Baum herunter und zog sein Schwert und fing von neuem zu kämpfen an. Aber sie hatten noch nicht viel Hiebe gewechselt, da hatte Silberweiß schon die Todeswunde und lag in seinem Blut auf der Erde.

Nun müssen wir von Lillwacker berichten. Er ging am Morgen zu der Quelle am Kreuzweg und fand sie ganz blutig. Da wußte er, daß Silberweiß tot war, und dachte an sein Gelübde, seinen Tod zu rächen. Er rief seine Hunde, band sein Schwert an die Seite und wanderte, bis er an eine große Stadt kam. In der Stadt herrschte große Freude, die Leute standen auf den Gassen, und die Häuser waren mit Scharlach und prächtigen Teppichen ausgeschlagen. Liliwacker fragte, warum die Leute so fröhlich seien. Die Leute sagten: »Gewiß kommst du von weither, daß du nicht weißt, daß ein berühmter Held hierher gekommen ist, er heißt Silberweiß; er hat unsere drei Prinzessinnen befreit und ist nun des Königs Schwiegersohn.« Liliwacker fragte weiter, wie das alles zugegangen sei, dann zog er seines Weges fort und kam am Abend in das königliche Schloß, wo Silberweiß mit seiner schönen Königin wohnte.



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Als nun Liliwacker zur Schloßpforte hineintrat, grüßten ihn alle als den König. Denn so ähnlich war er seinem Pflegebruder, daß man die beiden nicht unterscheiden konnte. Als der Bursche nun ins Schlafgemach kam, hielt ihn auch die Königin für Silberweiß. Sie ging auf ihn zu und sagte: »Herr König, wo bist du so lang geblieben, ich habe mit Sorgen auf dich gewartet.« Liliwacker sagte nicht viel und war wortkarg und schweigsam. Dann ging er mit der Königin zu Bett, aber er legte ein blankes Schwert zwischen sich und sie. Die junge Frau wußte nicht, was sie von alldem denken sollte, denn sonst war ihr Gemahl nicht so wunderlich gewesen. Aber sie dachte: >Man muß nicht nach anderer Leute Geheimnissen fragen< und sagte nichts.

In der Nacht, als alles schlief, klopfte es ans Fenster, und eine Stimme ließ sich vernehmen: »Liliwacker, komm, ich habe mit dir zu reden!« Der Jüngling stand eiligst auf, nahm sein gutes Schwert, rief seine Hunde und ging hinaus. Als er unter freien Himmel kam, stand derselbe Troll vor ihm, der Silberweiß erschlagen hatte. Er sagte: »Lillwacker, geh mit mir, dann sollst du deinen Pflegebruder sehen.«Dazu war Lillwacker gleich bereit, und der Troll ging voraus. Als sie an den Meeresstrand kamen, lagen da die drei großen Hunde, die der Troll mitgebracht hatte. Ein Stück davon weg, wo sie gekämpft hatten, lag Silberweiß in seinem Blut, und neben ihm lagen seine Hunde wie an der Erde festgewachsen. Da merkte Lillwacker, wie das alles zugegangen war, und dachte, er wolle gern sein Leben wagen, um für seinen Bruder Rache zu nehmen. Gleich hetzte er seine Hunde gegen die Trollhunde, und es gab einen harten Kampf. Aber schließlich blieben Lillwackers Hunde Sieger. Darauf zog der Bursche sein Schwert und hieb gewaltig auf den Troll ein. Als aber der Troll merkte, daß das Glück ihm nicht günstig war, flüchtete er sich auf einen hohen Baum. Lillwacker mit seinen Hunden lief hinterdrein, und die Hunde bellten sehr. Da bat der Troll demütig um sein Leben und sagte: »Lieber Lillwacker, ich will dir Wergeld für deinen Bruder geben, aber heiß deine Hunde still sein, damit wir reden können.«Zugleich reichte der Troll ihm drei Haare von seinem Kopfe und sagte: »Lege über jeden Hund ein Haar, dann werden sie schon still sein.« Aber Lillwacker merkte seine List, deshalb



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nahm er die drei Haare und legte sie über die Trollhunde. Gleich fielen die zu Boden und blieben wie tot liegen.

Als nun der Troll sah, daß sein Anschlag mißglückt war, bekam er große Angst und sagte: »Liebster Liliwacker! Ich will dir Wergeld für deinen Bruder geben, wenn du mich nur in Frieden läßt.« Der Jüngling gab zur Antwort: »Was kannst du mir geben, das meines Bruders Leben aufwiegt Der Troll gab zurück. »Hier hast du zwei Flaschen. In der einen ist Wasser, das die Kraft hat, wenn du einen Toten damit bestreichst, er wieder lebendig wird; das Wasser in der anderen Flasche aber hat die Eigenschaft, daß, wenn du etwas damit bestreichst und jemand die Stelle berührt, er sich nicht mehr vom Fleck rühren kann. Ich meine, daß man größere Kostbarkeiten nicht leicht finden kann.«

Lillwacker sagte: »Dein Vorschlag gefällt mir, und ich will ihn annehmen. Aber noch etwas mußt du mir versprechen: daß du meines Bruders Hunde wieder losmachst.« Der Troll ging darauf ein, kletterte vom Baum herunter und blies die Hunde an, daß sie wieder los wurden. Dann nahm Lillwacker die beiden Flaschen und ging mit dem Troll vom Strande weg.

Als sie eine Weile gegangen waren, kamen sie an eine große steinerne Platte, die nahe am Weg lag. Da ging II wacker eilig voraus und bestrich sie unbemerkt mit dem Wasser aus der einen Flasche. Als der Troll nun daran vorbeiging, hetzte Lillwacker alle seine sechs Hunde auf einmal auf ihn, der Troll wich zurück und berührte den Stein. Da blieb erhängen und konnte sich weder vor-noch rückwärts rühren. Aber nach einer Weile ging die Sonne auf und schien auf den Stein. Als der Troll die Sonne sah, zerplatzte er und war mausetot. Lillwacker lief darauf zu seinem Bruder zurück und besprengte ihn mit dem Wasser aus der anderen Flasche, daß er wieder lebendig wurde. Das war eine große Freude, wie man sich wohl denken kann. Die beiden Pflegebrüder gingen darauf zum Schloß und erzählten sich unterwegs ihre Schicksale und Abenteuer. Liliwacker berichtete, wie er seines Bruders Not erfahren hatte und wie er ins Schloß gekommen war und für den König gehalten wurde. Er scherzte, daß er mit der jungen Königin zu Bett gegangen war, ohne daß sie merkte, daß er nicht ihr rechter Gemahl war. Aber als Silberweiß das



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hörte, kam ihm der Gedanke, Liliwacker habe der Königin etwas angetan; da wurde er aufgebracht, und in seinem Zorn zog er sein Schwert und stieß es seinem Bruder in die Brust. Liliwacker sank tot zu Boden, und Silberweiß ging allein heim in sein Schloß. Aber Liliwackers Hunde wollten ihren Herrn nicht verlassen und lagen winselnd um ihn herum und leckten seine Wunde.

Am Abend, als der junge König und seine Gamahlin zu Bette gingen, fragte ihn die Königin, warum er so wortkarg und ernsthaft gewesen sei. Silberweiß gab nur knapp Antwort. Da sagte die Königin: »Es hat mich sehr wunder genommen, was du wohl in den letzten Tagen erlebt hast, aber am liebsten möchte ich doch wissen, warum du diese Nacht ein nacktes Schwert zwischen uns gelegt hast?« Nun wurde es hell vor Silberweiß, und er begriff, daß er seinen Bruder unschuldig erschlagen hatte, und es reute ihn bitterlich, daß er ihm seine Treue so schlecht gelohnt hatte. Der König stand gleich auf und ging zu der Stelle, wo sein Bruder lag. Da goß er Lebenswasser aus seiner Flasche und benetzte die Wunde damit. Gleich wurde Liliwacker wieder lebendig, und die beiden Brüder gingen mit viel Freuden wieder ins Schloß zurück.

Als sie zurückkamen, erzählte Silberweiß seiner Königin, wie Liliwacker ihn vom Tod errettet hatte und was ihnen sonst noch für Abenteuer geschehen waren. Da war große Freude am ganzen Königshof, und der Jüngling wurde von allen mit großen Ehren und Huldigungen empfangen. Als er eine Zeitlang da war, freite er die mittlere Prinzessin und bekam ihr und ihrer Verwandten Jawort. Darauf wurde die Hochzeit mit großem Staat gefeiert, und Silberweiß teilte das halbe Reich mit seinem Pflegebruder. Die beiden Brüder lebten in Frieden und Einigkeit zusammen, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch.


Torre Jeppe

Im Schiff einer Kirche saß jede Nacht ein Gespenst mit Namen Torre Jeppe. Es war ein vertrockneter Leichnam, der nicht verwesen konnte. Eines Abends waren drei Schneider an ihrer Arbeit in einem



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Bauernhof dort in der Nähe. Sie schwatzten und scherzten, und unter anderm fragten sie das Mädchen im Hause, die als gar nicht furchtsam bekannt war, was man ihr geben müsse, damit sie in die Kirche gehe und Torre Jeppe hole. Das traue sie sich wohl, war die Antwort, aber sie wolle für ihre Mühe ein Kleid aus handgewebter Wolle haben. Das solle sie gewiß bekommen, sagten die Schneider, denn sie glaubten nicht, daß das Mädchen eine solche Sache wagen werde. Aber sie nahm die Schneider beim Wort und ging wirklich. Als sie in die Kirche kam, nahm sie Torre Jeppe auf den Rücken, trug ihn heim und setzte ihn auf die Bank neben die Schneider. Die drückten sich ängstlich zur Seite, aber Torre Jeppe rückte ihnen nach und schaute sie mit seinen großen Augen an, daß sie fast den Verstand verloren. In ihrer Angst baten sie das Mädchen, sie solle sie um Gottes willen von dem Gespenst befreien. Sie wollten ihr gerne noch ein Kleid dazugeben, wenn sie nur den Toten wieder wegtragen wolle. Das ließ sie sich nicht zweimal sagen, sondern nahm Torre Jeppe auf den Rücken und schleppte ihn wieder davon.

Als sie ihn wieder dorthin setzen wollte, wo sie ihn geholt hatte, wollte er sie nicht loslassen, sondern schlang seine Arme fest um ihren Hals. Sie bat ihn mehrmals vergebens: »Laß mich los, Torre Jeppe!« Schließlich sagte er: »Ich lasse dich nicht eher, bis du mir versprichst, daß du noch in dieser Nacht an den Steg am Bach gehen willst und dreimal fragen: >Anna Perstochter, verzeihst du Torre J eppe<?« Das Mädchen versprach nach seinen Worten zu tun, und sogleich ließ er sie los. Es war eine ganze Meile bis zum Bach, aber sie ging hin und fragte dreimal mit lauter Stimme, wie sie versprochen hatte: »Anna Perstochter, verzeihst du Torre Jeppe?« Als sie das zum drittenmal gerufen hatte, antwortete eine Frauenstimme aus dem Wasser: »Wenn Gott ihm verzeiht, so vergebe ich ihm auch!«

Als das Mädchen wieder in die Kirche kam, fragte Torre Jeppe eifrig: »Was hat sie gesagt?« —»Ja, wenn Gott euch verzeiht, so will sie euch auch verzeihen!« Da dankte Torre Jeppe ihr und sagte: »Komm wieder, bevor die Sonne aufgeht, da sollst du den Lohn bekommen für den Dienst, den du mir geleistet hast.« Das Mädchen kam bei Sonnenaufgang wieder, und da fand sie auf der Stelle, wo das Gespenst



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gesessen hatte, einen Scheffel Silbergeld. Dazu bekam sie noch von den Schneidern die zwei Kleider, die sie versprochen hatten. Aber Torre Jeppe ließ sich nie mehr sehen.


Der unterirdische Nachbar

Es war einmal ein Bauer, der wohnte in Telemarken und hatte einen großen Hof, aber er hatte nur Mißwachs und Unglück mit seinem Vieh, und zuletzt kam er um Haus und Hof. Es blieb ihm fast nichts mehr, und um das wenige kaufte er sich ein Fleckchen Land, das ganz abseits lag, weit weg von der Stadt, im wilden Wald und in der Einöde. Eines Tages ging er durch den Hof, da begegnete er einem Mann.

»Guten Tag, Nachbar«, sagte der Mann.

»Guten Tag«, sagte der Bauer, »ich meinte, ich sei allein hier; bist du mein Nachbar?«

»Da siehst du meinen Hof«, sagte der Mann, » er ist gar nicht weit von dem deinigen.«Und da lag ein Hof, wie er noch nie einen gesehen hatte, schön und stattlich und gut im Stand. Nun merkte er wohl, daß das einer von den Unterirdischen war, aber er fürchtete sich nicht; er lud den Nachbarn ein, sein Bier zu versuchen, und der Nachbar ließ sich's wohl schmecken. »Hör einmal«, sagte der Nachbar, »ein Ding solltest du mir zu Gefallen tun.«

»Laß mich zuerst hören, was das ist«, sagte der Bauer.

»Du mußt deinen Kuhstall verlegen, denn er steht mir im Weg«, gab er dem Bauern zur Antwort.

»Nein, das tue ich nicht«, sagte der Bauer. »Im Sommer erst hab' ich ihn neu gebaut, und nun geht es gegen den Winter. Was soll ich denn dann mit meinem Vieh machen?«

»Ja, tu nur, wie du willst, aber wenn du ihn nicht niederreißest, so wird dich's noch gereuen«, sagte der Nachbar. Und damit ging er. Der Mann wunderte sich darüber und wußte nicht, was er tun sollte. Daß er sich gegen die Winternacht hin daran machen sollte, den Stall niederzureißen, das schien ihm ganz unsinnig, und Hilfe hatte er auch fast keine.



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Eines Tages, als er im Stall stand, sank er in den Boden hinein. Da unten, wo er hinkam, war es unerhört schön. Alles war aus Gold und Silber. Da kam auch der Mann, der sagte, er sei sein Nachbar, und hieß ihn niedersitzen. Nach einer Weile wurden Speisen auf silberner Platte und Bier in silbernem Kruge hereingetragen, und der Nachbar lud ihn ein, sich an den Tisch zu setzen und zu essen. Der Bauer wagte keinen Widerspruch und ließ sich am Tisch nieder, aber gerade, als er mit dem Löffel in die Schüssel langen wollte, fiel von der Decke etwas herunter ins Essen, so daß ihm der Appetit verging. —»Jawohl«, sagte der Mann aus dem Berg, »da kannst du sehen, was deine Kühe uns schenken. Wir können nie in Ruhe essen, denn sobald wir uns zu Tisch setzen, fällt Unrat herunter, und wenn wir auch noch so hungrig sind, so vergeht uns der Appetit, und wir können nicht essen. Aber, wenn du mir den Gefallen tun willst, den Stall zu verlegen, so soll es dir niemals an Futter und guten Ernten fehlen, und wenn du noch so alt wirst. Wenn du aber nicht willst, so sollst du nichts als Mißwachs haben, solange du lebst.«

Als der Mann das hörte, ging er schleunigst daran, seinen Stall niederzureißen und an einem andern Platz wieder aufzubauen. Aber er mußte nicht allein bauen, denn zur Nacht, wenn alles schlief, wuchs der Bau geradeso wie am Tag, und er merkte wohl, daß der Nachbar ihm half.

Er bereute es auch später nicht, denn er hatte Futter und Korn genug, und sein Vieh gedieh prächtig. Einmal war ein schlimmes Jahr und das Futter so knapp, daß er mit dem Gedanken umging, seinen halben Viehstand zu schlachten oder zu verkaufen. Aber eines Morgens, als die Kuhmagd in den Stall kam, war der Hüterhund fort und mit ihm alle Kühe und das ganze Jungvieh. Sie fing an zu weinen und sagte es dem Bauern. Aber der dachte bei sich selber, das werde wohl der Nachbar sein, der die Tiere auf die Weide genommen habe. Und das war auch so, denn gegen den Frühling, als es grün wurde im Wald, da sah er eines Tages den Herdenhund bellend und springend am Waldrand daherkommen, und hinter ihm kamen alle Kühe und alles Jungvieh, und die ganze Herde war so blank, daß es eine Freude war, sie anzusehen.



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Der weiße Bär König Valemon

Es war einmal ein König, der hatte zwei Töchter, die waren böse und häßlich, aber die dritte war so schön und freundlich wie der helle Tag, und der König und alle Leute hatten sie gern. Sie träumte einmal von einem goldenen Kranz, der war so schön, daß sie meinte nicht leben zu können ohne diesen Kranz. Aber da sie ihn nicht bekommen konnte, wurde sie trübsinnig und konnte es vor Trauer nicht aushalten, und als der König erfuhr, daß sie sich wegen des Kranzes so härmte, schickte er eine Vorlage herum, die war geradeso, wie es die Königstochter geträumt hatte, und der König ließ bei allen Goldschmieden im Lande anfragen, ob sie wohl einen solchen Kranz anfertigen könnten. Sie arbeiteten Tag und Nacht, aber manche Kränze warf die Königstochter beiseite, und andere wollte sie nicht einmal ansehen.

Eines Tages, als sie im Walde war, sah sie einen weißen Bären, der hatte denselben Kranz, von dem sie geträumt hatte, zwischen den Tatzen und spielte damit. Da wollte sie ihm den Kranz abkaufen. Aber er war ihm nicht für Geld feil, sondern nur, wenn sie selber seine Frau werden wollte. Sie könne nun einmal nicht ohne den Kranz leben, gab sie zur Antwort, und da sei es einerlei, wohin sie käme und wen sie heiratete, wenn sie nur den Kranz hätte; also einigten sie sich darauf, daß er sie in drei Tagen holen sollte, und das war ein Donnerstag.

Als sie mit dem Kranz nach Hause kam, freuten sich alle, weil sie wieder froh war, und der König meinte, es könne nicht so schwer sein, einen Bären von seinem Vorhaben zurückzuhalten. Am dritten Tag mußte das ganze Kriegsheer sich rund um das Schloß aufstellen, um ihn in Empfang zu nehmen. Aber als der weiße Bär kam, konnte niemand etwas gegen ihn ausrichten, denn keine Waffe konnte ihm etwas anhaben. Er schlug die Leute rechts und links nieder, so daß sie haufenweise dalagen. Das fand der König denn doch zu arg, und er schickte seine älteste Tochter hinaus; der weiße Bär nahm sie auf den Rücken und zog mit ihr ab. Als sie schon lange unterwegs waren, fragte der Bär: »Hast du jemals weicher gesessen? Hast du jemals klarer gesehen?« —»Ja, auf meiner Mutter Schoß habe ich weicher



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gesessen, und in meines Vaters Schloß habe ich klarer gesehen«, gab sie zur Antwort.

»Dann bist du nicht die Rechte«, sagte der Bär und jagte sie wieder heim.

Am nächsten Donnerstag kam er wieder, und da ging es genauso; das Kriegsheer sollte dem weißen Bären gegenübertreten, aber Eisen und Stahl hatte keine Macht über ihn, und er schlug die Leute nieder wie Gras, so daß der König ihn bitten mußte, innezuhalten, und ihm die zweitälteste Tochter hinaussandte; die nahm der weiße Bär auf den Rücken und zog mit ihr ab. Als sie lange unterwegs waren, fragte er: »Hast du jemals weicher gesessen, klarer gesehen?«

»Ja«, sagte sie, »in meines Vaters Schloß habe ich klarer gesehen, und auf meiner Mutter Schoß habe ich weicher gesessen.«

»Dann bist du nicht die Rechte«, sagte der Bär und jagte sie wieder heim.

Am dritten Donnerstag kam er wieder; da schlug er noch mächtiger zu als das letztemal; nun dachte der König, sein ganzes Heer dürfe er doch nicht erschlagen lassen, und gab ihm in Gottes Namen die dritte Tochter. Er nahm sie auf den Rücken und machte sich auf den Weg, und sie wanderten lange, und als sie in den Wald kamen, fragte er sie, wie er die anderen gefragt hatte, ob sie jemals weicher gesessen und klarer gesehen habe.

»Nein, niemals!« sagte sie.

»Ja, du bist die Rechte«, sagte er.

Schließlich kamen sie in ein Schloß, das war so prächtig, daß das Schloß ihres Vaters wie die jämmerlichste Behausung daneben erschienen wäre. Da sollte sie nun bleiben und sich's wohl sein lassen und hatte nichts weiter zu tun als aufzupassen, daß das Feuer nicht ausginge. Der Bär war am Tage nicht da, aber nachts war er bei ihr, und da war er ein Mensch. Das ging gut und schön drei Jahre lang; aber jedes Jahr bekam sie ein Kind, und das nahm er immer mit sich fort, sobald es zur Welt gekommen war. Da wurde sie immer trauriger und bat ihn, ob sie nicht einmal heimreisen dürfe und ihre Eltern besuchen. Er hatte nichts dagegen; aber zuerst mußte sie ihm geloben, daß sie darauf hören wollte, was ihr Vater sage, aber was die Mutter wolle, dürfe sie nicht tun.



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Dann reiste sie heim, und als sie allein mit ihr waren und sie erzählt hatte, wie sie lebte, wollte die Mutter ihr ein Licht mitgeben, damit sie sehen könnte, wie der Bär in Wirklichkeit aussehe. Aber der Vater sagte: »Nein, das darf sie nicht tun, denn das bringt nur Schaden und keinen Segen.« Aber trotzdem nahm sie das Lichtstümpfchen mit, als sie ging. Kaum war er eingeschlafen, so war ihr erstes, das Licht anzuzünden und ihn zu betrachten; er war so schön, daß sie sich nicht satt sehen konnte. Aber wie sie das Licht hielt, fiel ein Talgtropfen auf seine Stirn, und er erwachte.

»Was hast du da getan?« sagte er, »jetzt hast du uns alle beide unglücklich gemacht; es wäre nur noch ein Monat gewesen, wenn du nur den noch ausgehalten hättest, dann wäre ich erlöst gewesen, denn eine Hexe hat mich verzaubert, daß ich ein Bär sein muß am Tage, aber jetzt ist es aus mit uns, jetzt muß ich zu ihr gehen und sie heiraten.«

Sie weinte und jammerte, aber er mußte auf alle Fälle fort. Schließlich fragte sie, ob sie nicht mitgehen dürfe. Das sei nicht möglich, sagte er, aber als er in Bärengestalt fortging, packte sie ihn am Fell, schwang sich auf seinen Rücken und hielt sich fest. Es ging über Berg und Halden, durch Gestrüpp und niederes Holz, bis ihr die Kleider vom Leib gerissen wurden und sie so todmüde war, daß sie losließ und nichts mehr von sich wußte. Als sie wieder zu sich kam, war sie in einem großen Wald und wanderte weiter, aber sie wußte nicht, wo es hinging. Schließlich kam sie an eine kleine Hütte, darin waren zwei Frauen, eine Alte und ein schönes kleines Mädchen. Die Königstochter fragte, ob sie nichts vom weißen Bären König Valemon gesehen hätten.

»Ja, heute früh am Morgen ist er hier vorbeigekommen, aber er war so schnell, daß du ihn gewiß nicht mehr einholst«, sagten sie. Das kleine Mädchen lief herum und klapperte und spielte mit einer goldenen Schere, die hatte die Eigenschaft, daß Seiden- und Samtstücke um sie herumflogen, wenn man nur mit ihr klapperte. Wo die Schere war, hatte man keinen Mangel an Kleidern.

»Aber die Frau, die noch so weit und so schlimme Wege gehen muß, wird es schwer haben«, sagte das kleine Mädchen. »Sie braucht meine Schere nötiger als ich, um sich Kleider zu schneidern«, sagte



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sie und bat, ob sie ihr nicht ihre Schere schenken dürfe. Das wurde ihr auch erlaubt.

Also ging die Königstochter wieder weiter durch den Wald, der gar kein Ende nehmen wollte, und am nächsten Morgen kam sie wieder an eine Hütte. Darin waren auch zwei Frauen, eine Alte und ein kleines Mädchen.

»Guten Tag«, sagte die Königstochter. »Habt ihr etwas gesehen von einem weißen Bären König Valemon?«fragte sie.

»Bist du die, die ihn hätte freien sollen?« sagte die Frau.

»Ja«, sagte sie. — »Ja, er ist gestern hier vorbeigekommen, aber er hatte es so eilig, daß du ihn kaum mehr einholen kannst!«

Das kleine Mädchen lief herum und spielte mit einer Flasche, die hatte die Eigenschaft, daß man aus ihr einschenken konnte, was man wollte.

»Aber die arme Frau, die noch so weit und so schlimme Wege gehen muß, wird wohl Durst und viele andere Strapazen aushalten müssen«, sagte das Mädchen, »sie hat die Flasche nötiger als ich«, und sie fragte, ob sie ihr die Flasche schenken dürfe. Das wurde ihr auch erlaubt.

Da bekam die Königstochter die Flasche, dankte und wanderte wieder weiter durch denselben Wald den ganzen Tag und die ganze Nacht. Am dritten Morgen kam sie zu einer Hütte, darin war auch eine alte Frau und ein kleines Mädchen.

»Guten Tag«, sagte die Königstochter.

»Guten Tag«, sagte die Frau.

»Habt ihr etwas vom weißen Bären König Valemon gesehen?« sagte sie. »Bist du es vielleicht, die ihn freien sollte?« sagte die Frau. »Ja«, sagte sie. »Ja, vorgestern ist er hier vorbeigekommen; aber er hatte es so eilig, daß du ihn kaum mehr einholen kannst«, sagte sie. Das Mädchen lief herum und spielte mit einem Tuch, das hatte die Eigenschaft, daß, wenn man zu ihm sagte: »Tuch, leg dich und deck dich mit allen guten Gaben!«, so deckte es sich, und wo es war, fehlte es nie an guten Speisen.

»Aber die arme Frau, die noch so weit und so schlimme Wege gehen muß, wird wohl Hunger und viel andere Not erdulden müssen, sie braucht das Tuch wohl nötiger als ich«, sagte das kleine Mädchen



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und fragte, ob sie ihr nicht das Tuch schenken dürfe. Das wurde ihr auch erlaubt.

Da nahm die Königstochter das Tuch, dankte und wanderte wieder weiter und weiter durch denselben finsteren Wald, Tag und Nacht, und am Morgen kam sie an einen Berg, der war so steil wie eine Wand und so hoch und breit, daß sie kein Ende absehen konnte. Da war auch eine Hütte, und als sie eintrat, war das erste, was sie sagte: »Habt ihr vom weißen Bären König Valemon nichts gesehen?«

»Bist du es vielleicht, die ihn hätte freien sollen?« sagte die Frau.

»Ja«, sagte sie. —»Ja, er ist vor drei Tagen über den Berg gezogen; aber da kann man nicht hinauf, wenn man keine Flügel hat«, sagte sie.

In der Hütte wimmelte es von kleinen Kindern, und alle hingen der Mutter an der Schürze und schrien nach Nahrung. Die Frau setzte einen Kessel voll Kieselsteine aufs Feuer.

Die Königstochter fragte, was das bedeuten sollte. Ach, sie seien so arm, sagte die Frau, daß sie weder Essen noch Kleider hätten, und es sei so traurig, die Kinder um einen Bissen Brot schreien zu hören; aber wenn sie den Kessel aufs Feuer setzte und sagte: »Nun sind die Kartoffeln bald fertig«, so stillte das ein bißchen den Hunger und sie gäben eine Weile Ruhe, sagte sie. Da dauerte es nicht lange, so hatte die Königstochter das Tuch und die Flasche herausgezogen, das kann man sich vorstellen, und als die Kinder satt und vergnügt waren, schnitt sie ihnen Kleider mit der goldenen Schere.

»Ja«, sagte die Frau in der Hütte, »weil du so herzlich gut gegen mich und meine Kinder gewesen bist, so wäre es eine Schande, wenn ich nicht alles täte, was ich kann, um dir über den Berg zu helfen. Mein Mann ist einer von den besten Schmieden. Nun mußt du dich ausruhen, bis er heimkommt, dann will ich ihm sagen, er soll dir Klauen an die Hände und Füße schmieden, dann kannst du es probieren und hinaufklettern.« Als der Schmied kam, machte er sich sofort an die Klauen, und am andern Morgen waren sie fertig. Sie hatte keine Zeit, sich länger zu verweilen, sondern dankte, hakte sich fest in die Felswand ein und kletterte mit ihren Stahiklauen den ganzen Tag und die ganze Nacht hinauf, und als sie so müde war, so müde, daß sie keine Hand mehr rühren konnte und wieder herunterfallen wollte,



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da war sie oben. Da war eine Ebene mit Äckern und Wiesen, so groß und weit, daß sie sich niemals so etwas Weites und Ebenes vorgestellt hatte, und gleich daneben war ein Schloß voll Arbeitsleute aller Sorten, die schafften wie die Ameisen. »Was geht denn hier vor?« fragte die Königstochter.

Ja, hier wohne die Hexe, die den weißen Bären König Valemon verzaubert hätte, und in drei Tagen sollte sie Hochzeit mit ihm halten. Sie fragte, ob sie nicht mit ihr sprechen könnte. Nein, das sei rein unmöglich. Also setzte sie sich vor dem Fenster nieder und fing an, mit der goldenen Schere zu klappern, daß die Seiden- und Samtstücke nur so herumflogen. Als das die Hexe sah, wollte sie die Schere kaufen. »Denn wenn auch die Schneider noch so fleißig sind, so bringen sie doch nichts fertig«, sagte sie, »es sind gar so viele Leute, die ausstaffiert werden müssen.«

Für Geld sei die Schere nicht feil, sagte die Königstochter, aber sie könne sie haben, wenn sie sie eine Nacht bei ihrem Liebsten schlafen lasse. Ja, darauf wolle sie gern eingehen, sagte die Hexe, aber sie wolle ihn selber in Schlaf bringen und selbst wieder wecken. Als er sich gelegt hatte, gab die Hexe ihm einen Schlaftrunk, so daß er nicht aufwachen konnte, wie sehr auch die Königstochter weinen und jammern mochte.

Am nächsten Tag ging die Königstochter wieder vor das Fenster hinaus und ließ die Flasche einschenken; sie sprudelte wie ein Bach mit Bier und Wein und wurde niemals leer. Als das die Hexe sah, wollte sie sie kaufen, »denn wenn man auch noch so viel braut und brennt, so genügt es doch nicht, es sind viel zu viele, die trinken wollen«, sagte sie. Für Geld sei die Flasche nicht zu haben, sagte die Königstochter, aber wenn sie heute nacht bei ihrem Liebsten schlafen dürfe, so könne sie sie haben. Ja, darauf wolle sie eingehen, sagte die Hexe, aber sie wolle ihn selber in Schlaf bringen und selbst aufwecken.

Als er sich gelegt hatte, gab die Hexe ihm einen Schlaftrunk, so daß es diese Nacht genauso ging wie in der letzten; er konnte nicht aufwachen, wie sehr auch die Königstochter weinen und jammern mochte.

Aber in dieser Nacht arbeitete einer von den Handwerkern im Zimmer



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daneben. Der hörte das Weinen und dachte sich, wie das wohl zusammenhinge, und am nächsten Tag sagte er zu dem Prinzen, die Königstochter sei gekommen, die ihn befreien wolle. An diesem Tag ging es genauso mit dem Tuch, wie es mit der Schere und mit der Flasche gegangen war; um die Mittagszeit ging die Königstochter vor das Schloß, nahm das Tuch heraus und sagte: »Tuch, leg dich und deck dich mit allen guten Gaben!«, und da stand so viel Essen darauf, daß hundert Mann sich satt hätten essen können; aber die Königstochter setzte sich allein zu Tisch. Als die Hexe das Tuch sah, wollte sie es kaufen: »Denn wenn man noch so fleißig kocht und brät, so reicht es doch nicht; denn es sind viel zuviel hungrige Mäuler«, sagte sie. Für Geld sei es nicht zu haben, sagte die Königstochter; aber wenn sie heute nacht bei ihrem Liebsten schlafen dürfte, so könne sie es haben. Damit war die Hexe einverstanden, aber sie wollte ihn selber in Schlaf bringen und selbst aufwecken. Als er sich ins Bett gelegt hatte, kam sie mit dem Schlaftrunk, aber diesmal war er auf seiner Hut und schlug ihr ein Schnippchen. Die Hexe traute ihm diesmal auch nicht mehr über den Weg; denn sie nahm eine Stopfnadel und stach ihn zweimal in den Arm, um zu probieren, ob er auch wirklich schliefe. Aber ob es auch noch so weh tat, er rührte sich nicht, und da durfte die Königstochter hereinkommen.

So ging alles zum Besten, und wenn sie nur die Hexe hätten beiseite schaffen können, wäre er frei gewesen. Da stiftete er die Zimmerleute an, in die Brücke, über die der Hochzeitszug gehen mußte, einen losen Balken einzulassen, denn es war damals Sitte, daß die Braut zuvorderst ritt.

Als sie dann darüber ritten, senkte sich der Balken mit der Braut und allen Hexen, die ihre Kranzeljungfern waren. Aber König Valemon und die Königstochter und alle übrigen Hochzeitsleute gingen zurück in das Schloß und nahmen von dem Gold und den Reichtümern der Hexe mit, was sie nur tragen konnten, und zogen heim in ihr Land und wollten da rechte Hochzeit halten. Aber unterwegs ging König Valemon hinein und nahm die drei kleinen Mädchen mit, und da sah die Königstochter, warum er ihr die Kinder weggenommen und ausgesetzt hatte; das war, damit sie ihr zu ihm hinhelfen sollten. Dann feierten sie eine prächtige Hochzeit.



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Südlicher als Süden und nördlicher als Norden und in dem großen Goldberg

Es war einmal ein Bauer, der hatte einen Weizenacker, und der wurde in jeder Samstagnacht niedergetreten. Nun hatte der Bauer drei Söhne, und jeden hieß er eine Samstagnacht auf dem Acker zubringen und aufpassen, wer ihn denn niedertrample. Zuerst sollte der älteste es versuchen. Er legte sich oben an den Ackerrain, und als er eine Weile gelegen hatte, schlief er ein. Am Morgen war der ganze Acker niedergetreten, und der Bursche konnte überhaupt keinen Bescheid geben.

Nun mußte es der zweite Sohn versuchen; aber dem ging es ebenso. Als er eine Weile gelegen hatte, schlief er ein, und am Morgen konnte er nicht sagen, wie der Acker niedergetreten worden war.

Jetzt kam der Aschenhans an die Reihe. Er legte sich nicht oben an den Feldrain, sondern unten hin und hielt sich wach. Als er eine Weile gelegen hatte, kamen drei Tauben geflogen. Sie ließen sich auf dem Acker nieder, und im selben Augenblick schüttelten sie alle Federn von sich. So wurden sie zu den schönsten Jungfrauen, die man sehen kann. Sie tanzten miteinander über den Acker hin, und während sie das taten, sammelte der Bursche alle Federn. Als es gegen Morgen ging, wollten sie ihre Federn wieder anziehen, konnten sie aber nirgends finden. Da bekamen sie Angst und weinten und suchten und suchten und weinten. Schließlich entdeckten sie den Burschen und baten ihn, er möge ihnen die Federn wiedergeben. »Warum tanzt ihr denn in unserm Weizenfeld?«fragte der Bursche. »Ach, daran sind wir nicht schuld«, sagten die Mädchen, »der Troll, der uns verzaubert hat, schickt uns jeden Samstagabend hierher, damit wir den Acker zertreten. Aber nun gib uns unsere Federn, es geht gegen Morgen!« Und sie baten so wunderschön darum. »Ich weiß doch nicht«, meinte der Bursche, »ihr habt den Acker gar so häßlich zertreten; vielleicht wenn ich eine von euch wählen und bekommen dürfte?« — »Das wollten wir ja recht gerne«, gaben die Mädchen zurück, »aber es wird nicht gehen, denn drei Trolle hüten uns, einer mit drei Köpfen, einer mit sechs Köpfen und einer mit neun Köpfen, und sie bringen alle Menschen um, die den Berg be



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treten.« Aber der Bursche sagte, die eine von ihnen gefalle ihm so ausnehmend, daß er es doch versuchen wolle. Also wählte er sich die mittlere aus, denn die schien ihm die schönste, und sie gab ihm ihren Ring, und er steckte ihn an seinen Finger. Gleich darauf legten die Jungfrauen das Taubengewand wieder an und flogen zurück in Wald und Berg.

Als der Bursche heimkam, erzählte er, was er gesehen hatte. »Und jetzt muß ich ausziehen und mein Glück versuchen«, sagte er, »ich weiß nicht, ob ich wiederkomme, aber versuchen muß ich es doch.«

—»Ach, du Aschenhans«, sagten seine Brüder und lachten ihn aus.

»Oh, das ist einerlei, wenn ich auch zu nichts tauge«, gab der Aschenhans zurück, »versuchen muß ich mein Glück.«

Der Bursche zog aus und wollte nach dem Ort wandern, wo die Jungfrauen wohnten. Sie hatten gesagt, er liege südlicher als Süden und nördlicher als Norden und in dem großen Goldberg. Als er eine Zeitlang gegangen war, begegnete er zwei armen Burschen, die stritten sich um ein Paar alte Schuhe und einen Rohrstock, die sie von ihrer Mutter geerbt hatten. Der Bursche sagte, es sei doch nicht der Mühe wert, um diese Dinge zu streiten, er habe bessere Schuhe und bessere Stöcke zu Hause. »Das darfst du nicht sagen«, gaben die Streitenden zurück, »denn wer diese Schuhe anhat, kann in einem Schritt tausend Meilen zurücklegen, und was man mit diesem Rohrstock anrührt, muß sogleich sterben.« Der Bursche fragte weiter, ob sie die Sachen verkaufen wollten. Sie sagten, da müsse man ihnen schon sehr viel Geld dafür geben. »Aber das ist ja gar nicht wahr, was ihr da behauptet«, meinte der Bursche darauf. »Doch freilich, das ist wahr und gewiß«, gaben sie zurück. »Laßt mich einmal versuchen, ob die Stiefel mir passen!« sagte der Bursche. Sie erlaubten, daß er sie anzog. Aber kaum hatte der Bursche die Stiefel an den Füßen und den Stock in der Hand, so machte er einen Schritt, und weg war er, tausend Meilen weit.

Eine Weile darauf traf er zwei junge Leute, die stritten sich um eine alte Fiedel, die sie geerbt hatten. »Ist das auch der Mühe wert?« fragte der Bursche, »ich habe eine blitzbianke neue Fiedel daheim.« — »Aber sie hat wohl keinen solchen Ton wie die unsere«, meinten die jungen Leute darauf, »denn wenn einer tot ist und du auf dieser



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Fiedel spielst, so wacht er gleich wieder auf.« —»Das ist freilich viel«, sagte der Bursche, »darf ich einmal einen Strich darauf tun?« Das wurde ihm zugestanden, aber kaum hatte er die Fiedel in der Hand, so machte er einen Schritt - und da war er auf einmal tausend Meilen weit weg.

Eine Weile darauf traf er einen alten Mann; den fragte er, ob er wisse, wo der Ort sei »südlicher als Süden und nördlicher als Norden und in dem großen Goldberg.« Der Mann meinte, ja, das wisse er schon, aber es werde dem Burschen nicht viel nützen, wenn er hinkomme, denn der Troll dort bringe alle Leute um. »Ach, ich muß es doch versuchen, ob es nun zum Leben oder zum Tod führt«, sagte der Bursche, denn er hatte die mittlere von den drei Jungfrauen so über alle Maßen gern. Also erfuhr er von dem alten Mann den Weg und kam schließlich an den Berg. Da mußte er durch drei Gemächer gehen, bis er in den Saal zu den Jungfrauen kam, und es waren starke Schlösser an allen Türen, und an jeder stand ein Wächter. Aber der Bursche machte sich auf den Weg. »Wo willst du hin?«fragte der erste Wächter. »Hinein zu den Jungfrauen«, sagte der Bursche. »Hinein kannst du schon kommen, aber heraus kommst du nicht mehr«, sagte der Wachtmann, »denn jetzt kommt bald der Troll.« Der Bursche meinte, er wolle es doch versuchen, und ging weiter. Da kam er zum zweiten Wächter. »Wo willst du hin?«fragte der. »Hinein zu den Jungfrauen«, sagte der Bursche. »Hinein kannst du schon kommen, aber heraus nicht mehr«, sagte der Wächter, »denn jetzt kommt gleich der Troll.« —»Ich will es doch versuchen«, sagte der Bursche, und der Wächter ließ ihn durch. Da kam er zum dritten Wächter. »Wo willst du hin?« fragte der. »Hinein zu den Jungfrauen«, sagte der Bursche. »Hinein kannst du schon kommen, aber heraus kommst du nicht mehr, denn jetzt kommt gleich der Troll«, sagte der Wächter. »Ich will es doch versuchen«, sagte der Bursche, und auch dieser Wächter ließ ihn durch. Da kam er in das innerste Gemach, wo die Jungfrauen saßen. Und sie waren so schön und fein, und das Gemach war so voller Gold und Silber, wie es dem Burschen nie in den Sinn gekommen wäre. Da zeigte er den Ring und fragte, ob die Mädchen ihn kannten. Freilich erkannten sie ihn und auch den Ring. »Aber du Ärmster, nun ist es aus mit dir und mit uns auch«,



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sagten sie. »Jetzt kommt gleich der Troll mit den drei Köpfen, da ist es am besten, du verkriechst dich hinter die Tür!« —

»Ach, ich fürchte mich so, ich fürchte mich so«, jammerte die Jungfrau, die der Bursche haben wollte. »Hör nur auf zu weinen«, sagte der Bursche, »ich denke, es soll uns schon glücken.«

In dem Augenblick kam der Troll und steckte seine drei Köpfe zur Tür herein. »Uff, hier riecht's nach Christenblut!« sagte er. Der Bursche hieb mit dem Rohrstock nach den Köpfen, und gleich war der Troll tot. Da trugen sie den Leichnam hinaus und versteckten ihn. Eine Weile darauf kam der Troll mit den sechs Köpfen nach Hause. »Uff, hier riecht's nach Christenblut!« sagte er. »Da hat sich wohl einer hereingeschlichen! Aber wo ist denn der andere Troll hingekommen?«sagte er, als er den Troll mit den drei Köpfen nicht sah. »Er ist noch nicht heimgekommen«, sagten die Jungfrauen. »Er muß doch gekommen sein«, sagte der Troll, »er ist vielleicht gegangen und sucht den, der sich eingeschlichen hat.« In dem Augenblick schlug der Junge alle sechs Köpfe mit dem Rohrstock, und gleich fiel der Troll tot zu Boden. Dann schleppten sie den Leichnam hinaus. Eine Weile darauf kam der Troll mit den neun Köpfen. »Uff, hier riecht's nach Christenblut!« sagte er und war sehr zornig. »Wo sind denn die zwei anderen?«sagte er. »Die sind noch nicht heimgekommen«, sagten die Jungfrauen. »Freilich sind sie gekommen«, sagte der Troll, »aber die suchen wohl nach dem Christenmenschen, der sich hier eingeschlichen hat.« Sofort sprang der Bursche hinter der Tür hervor und schlug mit dem Rohrstock einen Kopf nach dem anderen. Aber er kam nur bis zum achten, da schien es ihm, als ob der Troll die Oberhand gewinne, und er rannte zur Tür hinaus. Der Troll war so wütend, daß er gleich alle Jungfrauen packte und sie umbrachte und dann hinausfuhr hinter dem Burschen drein. Der Bursche hatte sich hinter einem großen Stein versteckt, und als der Troll herbeigeschossen kam und vor Zorn Funken sprühte, da schlug er auch nach dem neunten Kopf, und der Troll fiel tot auf den Rücken. Dann sprang der Bursche wieder hinein, nahm seine Fiedel und spielte, und da wurden alle Jungfrauen gleich wieder lebendig. Nun wollten sie heimwärts ziehen, aber sie wußten nicht, wie sie den langen Weg finden sollten. »Ich weiß schon, was zu tun ist«, sagte



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der Bursche, »ich werde euch auf den Rücken nehmen, eine nach der anderen, dann wird uns der Weg nicht lang werden.«Und so tat er's nun. Alles Silber und Gold, das er im Berge fand, trug er auch nach Hause, und dann hielt er mit der mittleren Jungfrau Hochzeit, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch.


Vom Hasen, der verheiratet gewesen war

Es war einmal ein Hase, der ging im Grünen spazieren. »Hurrah, hei hopp!« schrie er, hüpfte und sprang und schlug einen Purzelbaum und machte ein Männchen im Grase. Da kam ein Fuchs angeschlichen.

»Guten Tag! Guten Tag!« sagte der Hase. »Ich bin so froh heute, denn ich hatte mich verheiratet, mußt du wissen«, sagte er. »Das ist ja recht schön«, sagte der Fuchs.

»Nein«, sagte der Hase, »das war nicht so besonders schön, denn die Frau hatte Haare auf den Zähnen, und ein Drache war sie noch dazu.«

»Das ist schlimm«, sagte der Fuchs.

»Ach, das war doch nicht so schlimm«, sagte der Hase, »denn sie hatte ordentlich Geld und dazu ein Haus.«

»Das ist ja recht schön«, sagte der Fuchs.

»Ach nein, das war gar nicht so schön«, sagte der Hase, »denn das

Haus verbrannte und alles, was wir hatten.«

»Das ist aber wirklich schlimm«, sagte der Fuchs.

»Ach nein, ganz so schlimm war's nicht«, sagte der Hase, »denn die Alte ist auch mitverbrannt!«


Reisepelle

Reisepelle war ein merkwürdiger Kerl; er war in vielen Ländern gewesen und nun heimgekehrt. Seine Mutter und alle seine Tanten waren sehr froh, als sie ihn so gesund wiedersahen. Die Mutter fragte ihn, ob er nichts von seinen Reisen mitgebracht habe, aber er



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antwortete: »Nichts als einen riesigen Hunger!«Die Mutter merkte, daß er Speckpfannkuchen haben wollte; sie setzte daher die Bratpfanne auf den Herd, und bald prasselte der Speck und siedete das Schmalz. Und dann taten sie sich alle zusammen gütlich.

Sobald der schlimmste Hunger gestillt war, drang sie in Reisepelle, daß er seine Abenteuer erzählen möge. Reisepelle strich sich ein paarmal um den Mund und fing so an: »Also - es geht sehr wunderlich in der Welt zu, viel wunderlicher, als ihr, die ihr immer am Ofen sitzt, euch vorstellen könnt. Und ein Paar tüchtige Stiefel muß man haben, wenn man sie durchwandern will; dessen wisset, sie ist gewaltig groß, sowohl vorn wie hinten und an allen Seiten. Während der drei Jahre meines Herumstreichens habe ich viele Abenteuer erlebt, und die will ich euch nun erzählen.

Wohin ich zuerst kam, da war ein großer Krieg. Die Trompeten schmetterten, und die Kanonen donnerten. Da hielt ich es für das beste, mich davonzumachen; ich trollte mich daher fort und kam in einen großen Wald. Anfangs hörte ich keinen Ton; aber eins, zwei, drei vernahm ich eine Stimme, die sehr demütig um ein Almosen bat. Als ich mich umsah, bemerkte ich einen zerlumpten Kerl dicht hinter mir stehen, der ein ganz bärtiges Gesicht hatte. Ich zog meine Börse, um ihm ein paar Geldstücke zu geben; denn der Ärmste tat mir leid. Ich fragte ihn, was er in diesem großen, wilden Walde vorhatte. >Ja, süßer, kleiner Herr<, sagte er, >ich bin Bettler von Beruf und schlage mich ganz gut durch<.

Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, da entriß er mir in einem Hui meine ganze Börse.

>Seid so reizend nett<, sagte er weiter, >und nehmt Eure neuen, schönen Kleider ab; Ihr sollt meine dafür bekommen. Es gibt so viele Bettler im Walde, und man läßt Euch eher in Ruhe, wenn Ihr meinen fadenscheinigen und leichten Rock anhabt.<

Eine solche Art zu betteln war mir noch nie vorgekommen. Ich sann eine Weile nach, was ich tun sollte, als er aber meine Unschlüssigkeit bemerkte, bat er mich noch einmal in der ihm eigenen beredeten Sprache und zog ein großes Messer hervor. Da konnte ich mich nicht länger enthalten, seinem Wunsche zu willfahren, und wir trennten uns als gute Freunde. Er mit meinen neuen Kleidern und ich mit seizerlumpten



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Rocke und ohne Geld. Daß er recht hatte, merkte ich bald, denn ich begegnete über hundert Bettlern; aber alle grüßten mich äußerst höflich, als sie meinen zerlumpten Rock bemerkten, und so kam ich glücklich durch den Wald.«

Reisepelles Mutter war's todesangst zumute, bis sie hörte, daß er wohlbehalten aus dem Walde gekommen sei. Sie und alle Tanten umarmten ihn darauf und sagten, er sei mächtig klug und verständig.

Reisepelle erzählte weiter: »Als ich eine Zeitlang in meiner schlechten Reisetracht umhergestrichen war, sah ich eines schönen Tages zur Mittagszeit eine mächtige Staubwolke auf mich zukommen. Als sie näher gekommen war, entdeckte ich, daß es eine Reiterschar war, bewaffnet vom Kopf bis zur Zehe; alle hatten ein so finsteres Aussehen, als wollten sie jemanden umbringen. Das war auch wirklich ihre Absicht. Denn kaum hatten sie mich bemerkt, da umringten sie mich, und der Anführer fragte:

>Hast du einen Kerl mit einem kleinen Kinde gesehen? Ein Troll hat den jüngsten Sohn unseres Grafen gestohlen, und den suchen wir gerade. Wir sind zwei ganze Tage umhergeritten und haben nach dem Troll gesucht, ohne eine Spur finden zu können.<

Es kam mir fast so vor, als hätte ich vor einer Weile einen Kerl mit einem kleinen Kinde im Busch versteckt liegen sehen. Das Kind hatte so jämmerlich geschrien, und der Kerl sah mir wie ein Schelm aus. Dies erzählte ich den Reitern. Einer hob mich daher gleich auf sein Pferd, und nun mußte ich mit, um ihnen beim Suchen zu helfen.

Nach Verlauf einer Stunde fand ich richtig dieselben Büsche wieder. Wir stiegen ab und suchten überall, aber vergebens. Während ich so herumstöberte, gewahrte ich ein Stück weiter zwischen zwei Steinen ein Loch. Es war mit Laub und Zweigen so gut zugedeckt, daß es nicht leicht zu erkennen war. Sogleich schob ich das Laub und die Zweige zur Seite und - hat man je so was gehört - wer saß wohl darin? Ja, just der Troll mit dem kleinen Kinde. Voll Schrecken fiel er mir zu Füßen und bat mich, ihn um Gottes willen nicht zu verraten, sonst nähme man ihm das Leben, und das wolle er nicht gern verlieren. Aber wenn ich mich seiner erbarmte, würde er mich alle



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seine Künste lehren und mir obendrein einen tüchtigen Beute! voll Geld geben.

Aber ich antwortete ihm: >Ein solcher Schelm wie du muß notwendig gehängt werden; gib sogleich das Kind her und warte dein Schicksal ab!< Als er merkte, daß ich kein Mitleid mit ihm hätte, wurde er gelb und grün im Gesicht vor Todesangst. >Du elender Bettler<, sagte er zu mir, >das soll dein Unglück sein, dich werde ich schon kleinkriegen.<Damit wollte er mich zur Seite puffen und sich mit Gewalt einen Weg aus dem Loche bahnen. Er war furchtbar stark; aber ich nahm alle meine Kräfte zusammen und schrie, so laut ich konnte, damit mir die Reiter zu Hilfe kämen. Diese fanden sich auch gleich ein und legten ihm Handschellen und Fußfesseln an, die hatten sie für diesen Zweck mitgenommen. Der Troll war ganz außer sich vor Verzweiflung, aber es half ihm nichts; er mußte mit. Der Graf war ein reicher und vornehmer Herr und wohnte in einem prächtigen Palaste; er war so froh, seinen Sohn wiederzubekommen, daß er sogleich befahl, mir neue schöne Kleider zu geben. Darauf wurde ich auf das Schloß geführt, und alle Hofleute bückten sich vor mir und baten, ich möchte ein gutes Wort beim Grafen für sie einlegen. Als ich so geputzt und fein zu ihm kam, kannte ich mich selbst kaum wieder, so schön war ich. Dann durfte ich ihm erzählen, wer und woher ich wäre, wie ich den Troll gefunden hätte und so weiter.

Als ich zu Ende war, ergriff der Graf meine Hand und sagte: >Mein lieber Reisepelle, diesen Dienst sollst du mir nicht umsonst erwiesen haben. Du kannst gern immer bei mir bleiben, bis an dein Lebensende, du sollst alles, was du brauchst, vollauf haben, und hast du einen Wunsch, so sage es nur geradeheraus, denn du allein hast mein Kind gerettet und kein anderer!<

Das war ein sehr anständiges Angebot, aber ich dankte ergebenst, da ich mir vorgenommen hatte, ein richtiger Reisepelle zu sein und zu bleiben, und wenn ich mich ordentlich in der Welt umgesehen hätte, in meiner Heimat zu leben und zu sterben.

>Nun gut<, sagte der Graf freundlich, nachdem ich mich offen ausgesprochen und ihn gebeten hatte, meine Ablehnung nicht übel zu vermerken, >dann will ich dich reichlich bedenken, daß du für alle



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deine Lebtage keine Not zu leiden brauchst!< Mit diesen Worten führte er mich in seine Schatzkammer. Da lag Gold und Silber in großen Haufen, und eine solche Menge Edelsteine blitzten mir in die Augen, daß es mir ordentlich weh tat.

Außerdem gab es da eine Menge schöner Sachen, wie sie Könige und Kaiser zu haben pflegen. Aber in einem Winkel stand neben einem köstlichen Kleinod ein Stock aus Holz. Anfangs konnte ich nicht begreifen, wie der Stock unter alle diese Kostbarkeiten gekommen war; denn er sah genauso aus wie ein gewöhnlicher Eichenstock; aber er schien sehr stark zu sein und passend für Fußreisen.

Der Graf führte mich überall herum, damit ich mich ordentlich umsähe; und darauf sagte er zu mir: >Jetzt befehle ich dir, daß du dir aussuchst, was dir am besten gefällt!< Ich schämte mich ordentlich, mich für meinen unbedeutenden Dienst so bezahlen zu lassen. Und da ich gerade einen Stock brauchte, wenn ich auf meinen Wanderungen einem Bettler begegnen sollte, so bat ich den Grafen um den Stock, der in der Ecke stand.

>Den sollst du haben<, sagte er, >und du hast vielleicht besser gewählt, als man glauben sollte. Vor langer Zeit ließ ihn ein weiser Mann meinem seligen Vater und sagte ausdrücklich, daß er einen besonderen Wert habe und gewisse wunderbare Eigenschaften. Ich weiß nichts darüber, aber ich habe ihn aufbewahrt, und wer weiß, vielleicht ist es ein Glück, daß du ihn einmal probierst.<

Darauf schenkte mir der Graf den Stock, und ich fühlte eine unbeschreibliche Freude über seinen Besitz, obwohl ich keinen Unterschied zwischen ihm und anderen Stöcken bemerken konnte.

Ich verbrachte so eine ganze Woche in Saus und Braus am Hofe des Grafen. An demselben Tage, an dem ich abreiste, wurde der Troll hingerichtet. Da fand man in seinen Taschen einen kleinen Schlüssel, der ein höchst sonderbares Aussehen hatte. Als der Graf sah, daß ich ihn so aufmerksam betrachtete, schenkte er ihn mir gleich, und als ich Abschied nahm, standen drei Pferde, mit einer Menge Gold, Silber und prächtigen Kleidern beladen, vor meiner Tür, und sechs Diener hatten den Befehl, mir drei Tage lang das Geleit zu geben und mich nicht eher zu verlassen, als bis ich meine Sachen in Sicherheit gebracht hätte.



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Der Graf hatte sich gewiß nicht vorgestellt, daß mich seine Güte in schwere Lebensgefahr bringen könnte. Die Diener, die er mir zur Reisegesellschaft mitgegeben hatte, waren nämlich große Kanaillen. Als sie sich hinreichend weit von der Residenz des Grafen entfernt hatten, wollten sie mich ermorden, um meine Reichtümer untereinander teilen zu können. In meinem Schrecken hielt ich ihnen ihre Treulosigkeit vor und bedrohte sie mit dem Zorn des Grafen, der sie früher oder später töten würde, aber den fürchteten sie nicht mehr, da sie vorhatten, mit dem Raube weit weg zu fliehen. Ich konnte nur erreichen, daß sie mir das Leben ließen; aber all mein Geld und meine Kleider nahmen sie mit sich, so daß ich eben so arm auf der Landstraße dastand, wie ich zur Welt gekommen. Den Stock und den Schlüssel ließen sie mir jedoch, da sie diese Dinge für ganz wertlos ansahen.«

Als Reisepelles Mutter und Tanten hörten, daß die Diener ihn all seines Geldes beraubt hatten, fingen sie schrecklich zu zetern an. Sie schlugen die Hände vor die Brust und fanden es ganz schauderhaft; es tröstete sie nur einigermaßen, daß ihr Zuckerjunge, der süße Reisepelle, mit dem Leben davongekommen war. Aber nun wollten sie allesamt den Stock und den Schlüssel sehen; diese beiden Reste von Reisepelles Vermögen mußten doch gewisse wunderbare Eigenschaften haben, die er selber nicht bemerkt hatte; aber der Stock sah ganz so aus wie ein anderer Stock und der Schlüssel wie ein gewöhnlicher Schlüssel.

Reisepelle erzählte nun weiter eine Menge wunderbarer Dinge, die ihm während seiner dreijährigen Reise passiert waren. Aber Reisepelles Mutter hatte Mitleid mit ihm, da die Nacht schon weit vorgeschritten war und er nach allen seinen Strapazen ausruhen mußte. Das tat Reisepelle auch wirklich, er schlief bis in den hellen Tag. Als er wieder munter war und seinen Kaffee getrunken hatte, stellten sich alle Tanten von neuem ein, und nun mußte er erzählen, was er am vorhergehenden Tage noch übriggelassen hatte.

Manches Mal sträubten sich die Haare und klopften die Herzen dieser guten Menschen, so angst war ihnen, daß er sich all den scheußlichen Gefahren, in denen er schwebte, nicht würde entziehen können; manches Mal glaubten sie auch, daß er ihnen etwas vorflunkern



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wollte; aber da er versicherte, daß alles so wahr sei, als hätte es im Kalender gestanden, so konnten sie nicht länger an der Wahrheit seiner Worte zweifeln.

Als sich die Gesellschaft so ein paar gute Tage gemacht hatte, bekam Reisepelle schließlich Ruhe. Als sie nun endlich einmal unter vier Augen waren, sagte seine Mutter zu ihm mit einem arglistigen Lächeln: »Aber sag mir mal aufrichtig, kleiner Pelle, wieviel Geld hast du mit nach Hause gebracht? Ein kleines Kapital ist ein guter Anfang, und du tust ganz klug daran, daß du nicht allen dein Geheimnis verraten hast!« Von solchen Fragen hielt Reisepelle nicht viel, sondern antwortete seiner lieben Mutter ganz kurz: »Mit nach Hause gebracht? Genügt es nicht, daß ich mich selbst frisch und gesund nach Hause gebracht habe? Ihr wißt ja, daß die Schelme mir alles nahmen, was ich besaß! Aber das Glück kommt noch, wenn man ihm nur nicht nachläuft. Wer weiß, ob nicht mein Stock einmal den Ausschlag gibt!«

Aber die Mutter sah bekümmert aus und sagte: »Alles das macht sich sehr schön, wohlgemerkt, in Gedanken. Aber wir müssen bald Hungerpfoten saugen!«Und bei sich dachte sie: >Wenn Pelle bis tief in den Mittag schläft und dann noch obendrein wie ein Wolf ißt, welches Ende soll das nehmen für mich armes Weib?<Aber Pelle ließ es sich nicht anfechten, sondern dachte: >Kommt Zeit, kommt Rat.< Dem war auch so. Denn am vierten Tage hielt ein prächtiger Wagen vor der Tür; gold- und silberbedreßte Diener standen hinten drauf, und auf dem Bock saß ein Kutscher, der wie ein König aussah. Das war er freilich nicht; aber der Wagen gehörte dem Könige selbst. Jetzt liefen die Nachbarn zusammen; alle wollten sie den schönen Wagen und die großen Pferde anstaunen. Reisepelles Mutter setzte sogleich ihre schönste Haube auf und beeilte sich, die vornehme Herrschaft in Empfang zu nehmen. In der Tür begegnete sie einem Diener, der fragte, ob hier nicht der junge Herr Peter wohnte, der vor ein paar Tagen aus der Fremde heimgekommen sei.

Reisepelles Mutter verneigte sich vor dem Diener so tief, daß ihre Knie knackten, und sie beantwortete die Frage mit einem »Ja«, während sich ihr Herz wie ein Mühlrad drehte. Sie bat den Diener einzutreten und mit dem Wenigen vorliebzunehmen, was ein so geringes



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Haus wie das ihrige zu geben vermöchte, denn es war gerade Zeit zum Mittagessen; aber der Diener antwortete, er habe schon tüchtig gefrühstückt und außerdem keine Zeit zum Bleiben; Reisepelle müsse sofort aufs Schloß kommen.

Reisepelle stieg darum sogleich ohne weitere Umstände und Komplimente in den Wagen, warf sich rücklings in den mit Sammet überzogenen Sitz und fuhr so zum Könige.

Der König saß in einem großen Saale auf einem goldenen Throne, mit dem Zepter in der Hand, und neben ihm saß die Königin. Alle Wände waren mit schwarzem Tuch bekleidet, an den Fenstern hingen schwarze Gardinen, Stühle und Tische und alles, was sich in dem Raume befand, war schwarz überzogen. Auch der König und die Königin waren schwarz gekleidet, und man sah es ihnen deutlich an, daß sie traurig und betrübt waren und viele Nächte nicht geschlafen hatten.

Als Reisepelle hineinkam, blieb er in der Tür stehen und bückte sich so tief, daß seine Nase den Boden berührte. Aber der König winkte ihm, näher zu kommen, und die Königin sah ihn so freundlich an, wie sie es bei ihrem Kummer vermochte. Da faßte Reisepelle Mut. Der König schüttelte anfangs den Kopf, als grübelte er über etwas, darauf fragte er: »Bist du Reisepelle?«

»Ja, so heiße ich mit Eurer Majestät gütiger Erlaubnis«, antwortete Reisepelle.

»Du scheinst auf deinen Reisen ein kluger Kerl geworden zu sein«, sagte der König weiter.

»Ja, nicht sowenig«, antwortete Reisepelle, »ich habe schon sehr viel auf dieser Welt gesehen und erlebt!«

»Sage mir denn, ob du mich wirklich gern hast«, fragte der König und betrachtete Reisepelle mit gespannter Aufmerksamkeit.

Da wurde Reisepelle ziemlich verblüfft, denn er begriff nicht, worauf es hinaus sollte: aber er dachte bei sich: >Stell dich nur nicht dumm an, Pelle!< —Daher legte er die Hand aufs Herz und drückte sich so schön aus, wie er konnte, und versicherte Seine Majestät, daß er die wärmsten Gefühle für sein Wohl hege, und bat ihn, nicht daran zu zweifeln. Da nickten der König und die Königin einander zu und sahen höchst vergnügt aus.



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»Ja, ich bin überzeugt, daß du mir gern dienen willst, selbst wenn es dein Leben kostet.«

Reisepelle bekam einen heißen Kopf, als er hörte, daß sein Leben auf dem Spiele stände. >Das ist ein Mordskerl von einem König<, dachte er. >Der will, daß ich mein Leben für ihn aufopfern soll.< Er versicherte darum den König noch einmal seiner großen Liebe und Treue, aber machte dabei tausend Umschweife und sagte, was das Leben beträfe, so sei es eine kitzlige Frage, auf die er sich wahrhaftig im Augenblick nicht einlassen könne, so leid es ihm auch täte, seinem gnädigen Könige etwas verweigern zu müssen. Über diese Worte wurde der König so böse, daß er mit dem Zepter auf den Boden stieß, so daß Reisepelle hoch in die Luft fuhr. Aber nun legte sich die Königin ins Mittel und sagte: »Nein, sterben sollst du nicht, aber heiraten sollst du, aus Liebe zu uns!«

»Ja, das sollst du sogleich tun, mein lieber Reisepelle! Sei nicht so schrecklich bange, sondern höre erst, was ich dir zu erzählen habe«, sagte der König.

»Es sind nun zwei Jahre her, da wurde unser Glück durch ein trauriges Ereignis mit einem Schlage zerstört. Wisse nämlich, mein lieber Reisepelle, wir haben eine Tochter gehabt, die bildschön gewesen ist. Wer sie sah, konnte sich nicht satt sehen an ihrem lieblichen, in Schnee und Purpur wechselnden Gesicht, ihren Korallenlippen und himmelblauen Augen. Wir liebten sie so sehr, daß wir sie vielleicht verhätschelten; ich kann nicht leugnen, daß sie etwas naseweis war, aber ihre Schalkhaftigkeit war niemals boshaft. Vor zwei Jahren vollendete sie ihr vierzehntes Jahr; wir feierten ihren Geburtstag mit einem prächtigen Fest.

Am Nachmittag, gerade als wir vom Tisch aufstehen wollten, hörten wir ein Rasseln und Klappern auf der Straße, und in einem Nu stand ein Wagen vor dem Schlosse. Als ich hinunterkam, um zu sehen, wer es sei, geriet ich ganz außer mir vor Schrecken; aber was half es! Wisse nämlich, mein lieber Reisepelle, ich habe eine Tante, die war immer boshaft und abscheulich. Sie ist schon von Jugend an eine arge Hexe gewesen, und ihr höchstes Vergnügen besteht darin, den Menschen Böses zu tun. Ich habe mein Leben lang große Furcht vor ihr gehabt, und sooft sie mir begegnete, versuchte ich immer, ihr auszuweichen;



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aber dann glotzte sie mich immer mit ihren grünen Augen an, so daß ich jeden Augenblick fürchtete, ein Buckel würde mir aus dem Rücken wachsen oder meine Nase sich zu einem langen Horn verlängern; es tat mir bald hier, bald da weh, als hätte mich ein Hexenschuß getroffen. Daß ich keineswegs über ihren Besuch erfreut war, verstehst du jetzt wohl. Aber doch wagte ich ihr nur ein freundliches Gesicht zu zeigen; und obwohl mein Herz vor Furcht klopfte, sprang ich zu, um ihr aus dem Wagen zu helfen, damit sie nicht ihre dünnen Spindelbeine bräche. Sie nahm auch diese meine Artigkeit sehr wohl auf; und nachdem sie eine Viertelstunde gehustet und geprustet hatte, sagte sie sehr freundlich: >Du bist in letzter Zeit ja so reizend nett, mein lieber Vetter, ich wünsche dir auch alles Gute!<—>Wenn nur ihre gute Laune lange dauern wollte<, dachte ich. Aber neben ihr im Wagen saß ein anderes, anscheinend junges Frauenzimmer, das ganz und gar in Schleier gehüllt war, so daß man das Gesicht nicht sehen konnte.

Als sie aufs Schloß gekommen waren, stellte meine Tante das jüngere Frauenzimmer als ihre Tochter vor und befahl ihr, ihren lieben Verwandten eine recht artige Verbeugung zu machen. Das tat sie auch, sagte aber kein einziges Wort dabei und nahm auch ihre Schleier nicht ab. Darüber war ich recht froh; denn ich dachte: >Wenn sie häßlich ist, brauche ich nicht aus Furcht vor der alten Hexe ihre Schönheit zu preisen.<Darauf ließ ich den Tisch decken und bat die Gäste vorliebzunehmen. Da sagte die Alte: >Nun, liebe Tochter, kannst du deine Schleier ablegen, denn hier ist keine Mannsperson gegenwärtig außer Seiner Majestät, und der ist dein Onkel.<

Ich und die Königin und meine Tochter gerieten alle außer uns vor Schrecken, als wir das entschleierte Ungetüm zu sehen bekamen. Die Nase war ganz sicher eine viertel Ehe lang und bog sich wie eine Sichel weit über den Mund hinab, der bis zu den Ohren hinaufging. Sie hatte genau ebensolche Augen wie ihre reizende Mutter; das heißt, sie waren grüngelb und voller Bosheit. Alles, was sie zu fassen kriegte, verschlang sie, als hätte ihr Magen ein Loch.

>Nu, wie gefällt euch meine Tochter<, fragte die Alte, >habe ich nicht ein schönes und munteres Kind?<

>Sehr munter, sehr munter<, antwortete ich, so schnell ich konnte,



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denn ich fürchtete immer, daß sie meine geheimsten Gedanken durchschauen könnte.

>Sie ist auch ein sehr vernünftiges Kind<, fuhr die alte Hexe fort; >sie ist so verständig, daß sie sich jeden Tag verheiraten könnte, und es wird auch wohl nicht lange mehr dauern!< Ein bescheidenes und wohlerzogenes Mädchen wäre ohne Zweifel verlegen geworden und hätte bei solchen Worten die Augen niedergeschlagen; aber das >muntere<und >verständige<Mädchen saß ganz ruhig da und aß immerzu, gerade als hätte die Mutter gesagt: >Beeile dich, liebe Tochter, dann kannst du noch einen halben Ochsen essen!<

Aber dann fragte sie plötzlich meine Teodolinda, warum diese lache; und dabei sah sie so böse aus, daß ihre Augen ordentlich vor Tücke funkelten und ihr Kinn vor Zorn zitterte.

>Ich muß wohl lachen<, antwortete meine Tochter, >es ist zu komisch, daß meine Base heiraten will; wenn ich Freier wäre, möchte ich sicher kein so häßliches Ding haben!<

>Und was scheint dir denn so häßlich an ihr, meine kleine süße Prinzessin?< fragte die Hexe.

>Die lange Nase, liebe Tante; eine so köstliche Nase habe ich wahrhaftig noch nie gesehen.<

>Ja so, also die Nase<, murmelte die Hexe. >Und was denn noch?< >Der breite Mund, liebe Tante; es ist der schlimmste Mund, den ich je gesehen habe.<

>Ja so, also den Mund magst du nicht, mein kluges Kind!<murmelte die Hexe weiter.

>Die Ohren auch nicht; sie sehen wie richtige Eselsohren aus<, fuhr die unvorsichtige Teodolinda fort.

>Da du selbst so schön bist und meine Tochter so häßlich, so ist sicher noch mehr da, was du nicht leiden magst. Sag es nur geradeheraus, mein kleines Mädchen; ich meine es gut mit dir!< sagte die Hexe. Ich und mein Gemahl hatten die ganze Zeit wie auf heißen Kohlen gesessen und zitterten an allen Gliedern über die Unvorsichtigkeit unseres Kindes. Wir gaben wohl Teodolinda einen Wink, daß sie schweigen möchte; aber da warf uns die Alte ein paar schreckliche Blicke zu, und unsere Prinzessin antwortete, ohne sich weiter zu besinnen:



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>Ja, meine beste Tante, ihre Augen sind ganz schrecklich häßlich, genauso wie Eure; ich möchte nicht mit Euch im Dunkeln allein sein.< Bei diesen Worten wurde die alte Hexe so böse, wie ich sie nie zuvor gesehen hatte.

>Ich sehe, ich muß dir deinen Willen lassen<, sagte sie zornesmutig. >Du hast mir wirklich mit deinem Geschwätz Spaß gemacht, und darum sollst du auch ein Andenken von deiner häßlichen Tante bekommen!<

Mit der einen Hand packte sie mein armes Kind und mit der andern strich sie ihm übers Gesicht, daß es aufschrie und überlaut jammerte.

>So sollst du aussehen<, sagte die alte Hexe, >bis jemand kommt, der sich mit meiner Tochter verheiraten will und drei Proben besteht, die ich ihm vorlege.<

Darauf nahm sie ihre Tochter an der Hand und lief mit ihr in fliegender Hast die Treppe hinunter und warf sich in den Wagen. Wir eilten ihr nach, aber sie war schon über alle Berge.

Erst als wir wieder in unser Zimmer kamen, erkannten wir die ganze Größe unseres Unglücks. Die Prinzessin weinte bitterlich -wie sehr hatte sie sich verändert! Nase und Ohren waren jetzt dreimal so lang wie vorher. Der Mund war bis an die Ohren aufgerissen. Und die Augen waren fast ebenso häßlich wie bei der Hexe, nur sahen sie nicht so böse aus; denn über ihr Herz hatte der Zauber keine Macht, und das ist das einzige, was uns in unserem Unglück zu trösten vermag. Wie traurig und betrübt wir waren, das kann sich nur der vorstellen, der ein so schönes und liebenswürdiges Kind wie unsere Teodolinda gehabt hat.

Eine Hoffnung bleibt uns trotzdem noch; aber wer weiß, ob sie je in Erfüllung gehen wird.

Da die alte Hexe sagte, daß die Prinzessin vom Zauber erlöst werden würde, wenn sich jemand mit ihrer Tochter verheiraten wollte und drei Proben bestände; so schickten wir gleich einen unserer Hofleute aus mit dem strengen Befehl, er solle sich mit dem Untier verheiraten und die drei Proben ausführen. Das gelobte er auch. Aber als eine lange Zeit verflossen war, ohne daß er von sich hören ließ, schickten wir einen anderen; dem ist es ebenso ergangen und allen folgenden



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auch, die wir zur alten Hexe geschickt haben; daher haben wir fast unseren ganzen Hofstaat verloren. Daß sie ihnen etwas Böses angetan hat, glaube ich nicht, aber vielleicht sind sie von Entsetzen gepackt worden, als sie die Braut zu sehen bekamen, oder sie haben die vorgelegten Proben nicht bestehen können; und da sie sich fürchteten, unverrichteterdinge heimzukehren, haben sie sich lieber in die weite Welt begeben.

Zwei Jahre sind jetzt in fruchtloser Sorge verflossen. Da hörten wir gestern von deiner Ankunft erzählen und daß du ein so kluger und verständiger Kerl sein sollst; und wie ein Blitz fuhr uns der Gedanke durch den Kopf: >Das ist gerade der Rechte, um uns und unser armes Kind zu retten!<Das ist der Grund, mein lieber Reisepelle, warum ich dich rufen ließ, und ich hoffe, du hast jetzt genug gehört, um zu wissen, wie die Sache steht.«

Reisepelle war die ganze Zeit, während der König sprach, mäuschenstill gewesen, die Königin aber weinte bitterlich und sagte: »Ja, mein lieber Reisepelle, jetzt kennst du unsere Not, und wenn du ein menschliches Herz in deiner Brust hast, dann erbarmst du dich über uns und verheiratest dich mit der Tochter der Hexe, damit unsere Teodolinda erlöst wird.« Darauf nahm sie Reisepelle an der Hand und blickte ihn mit tränenvollen Augen an, so daß ihm ganz warm ums Herz wurde vor Rührung. Die Prinzessin selbst vereinte darauf ihre Bitten mit denen der Königin. Sie trug ihr Antlitz mit einem dichten Schleier verhüllt, so daß er es nicht sehen konnte. Aber ihre Stimme klang mild und rührend. Alle drei baten nun Reisepelle so herzlich, daß er ihre Bitte nicht abschlagen konnte.

»Die gnädige Prinzessin will und muß ich von ihrem Zauber erlösen«, sagte er, »selbst wenn ich gezwungen werde, mich selbst mit der alten Hexe zu verheiraten.«

Da konnten sich der König und die Königin kaum beherrschen vor lauter Freude, und sie dankten Reisepelle aufs innigste. Sie wären ihm beinahe um den Hals gefallen und hätten ihn geküßt, so froh waren sie.

Als Reisepelle nach Hause kam und seine Mutter erfuhr, daß er sich auf ein so schauerliches Abenteuer einlassen wolle, weinte sie heftig und stellte sich furchtbar an: »Nun bekomme ich dich nie mehr zu



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sehen, kleiner Pelle; du bist nur drei Tage zu Hause gewesen, und nun willst du wieder fort und noch obendrein zu einem so abscheulichen Hexenpack!«

Reisepelle hatte selbst ein Gefühl der Angst, als er sich darauf besann, was er dem König und der Königin versprochen hatte. >Aber<, dachte er bei sich, >es hilft nun nichts mehr; jetzt ist es zu spät. Und nicht den Mut zu verlieren ist immer das beste, was man tun kann, wenn man nicht weiß, was man tun soll. Wer weiß außerdem, ob es nicht mein Glück ist; denn kein Mensch kennt die Wege Gottes.<

Reisepelles Mutter gab sich auch bald zufrieden; sie überlegte sich nämlich, daß ihr lieber Herr Sohn ein großer Esser war und ihr Mundvorrat bald auszugehen drohte; und daß Pelle je in Verlegenheit geraten könnte, das kam ihr nie in den Sinn; denn sie glaubte steif und fest, er sei der klügste Mann in der ganzen Stadt, abgesehen vom König selber, den sie des Respekts wegen ausnahm. Sie fand es zwar ärgerlich, daß er sich mit einer Hexe verheiraten müsse. >Aber<, dachte sie, >eine häßliche Prinzessin mit viel Geld ist besser als ein armes und schönes Mädchen, und wenn sie hier ins Haus kommt, werde ich sie schon im Zaume zu halten wissen.<

Am folgenden Tage mußte Reisepelle aufbrechen; da wiederholte sie all die Lehren, die ihr das zärtliche Mutterherz diktierte, und beim Abschiednehmen machte sie Reisepelle folgende wichtige Mitteilung:

»Mein lieber kleiner Pelle, du weißt nicht, daß du noch einen Paten hast; der ist ein mächtig kluger Kerl; er kann sogar hören, wie der Wurm im Schlafe schnarcht. Er heißt von Puckelmann; aber ich nenne seinen Namen nicht gern, denn es ist nicht recht geheuer, daß er so klug ist.

Er tat deinem seligen Vater viel Gutes und hat versprochen, auch dir zu helfen. Zu allem Unglück war ich einmal so unvorsichtig, ihn zu beleidigen, und seit dem Tage habe ich ihn nie wieder gesehen. Damals lagst du noch in der Wiege. Wo er ist, weiß ich nicht; aber es ahnt mir, daß du ihn irgendwo auf deiner Reise treffen wirst. Begrüße ihn nur recht höflich und sage ihm, daß du der kleine Peter seist, den er am Walpurgisabend vor zweiundzwanzig Jahren zur



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Taufe trug; du wirst sehen, daß er sich sogleich auf dich besinnt. Er ist so gelehrt, daß er ganz sicher dir und dem Könige helfen kann, wenn er nur will.«

Darauf packte sie in Reisepelles Ränzel einige reine Hemden und ein paar Speckpfannkuchen, die sie in Papier wickelte, damit ihr Pelle wenigstens nicht am ersten Tage verhungere. Dann folgte der Abschied unter vielen Tränen und Liebkosungen.

Aber sie hätte sich gar nicht um seine Reisezehrung zu kümmern brauchen, denn für alles, was er nur irgend gebrauchen konnte, hatte der König und seine Gemahlin Sorge getragen. Als Reisepelle aufs Schloß kam, fand er nämlich alles fertig vor; ja er bekam so viel Geld mit, daß er nicht wußte, was mit dem allen anfangen. Beim Abschied waren alle tief erschüttert, und die Prinzessin weinte hinter ihrem Schleier so bitterlich, daß es einen Stein rühren konnte. Reisepelle sagte darum mit Tränen in den Augen: »Beruhigt Euch, gnädigste Prinzessin, ich will Euch retten oder auch mein Leben aufopfern!« Mit diesen Worten ging er seines Wegs.

Aber man darf nicht glauben, daß der König die alte gute Mutter vergaß; nein, das wäre nicht königlich gewesen! Am selben Tage, als ihr Sohn seine Reise antrat, kam ein königlicher Läufer zu ihr mit einem großen Geldbeutel, und die Königin schickte ihr jeden Tag Essen von ihrem eigenen Tische.

Reisepelle ging nun mit tüchtigen Schritten den geraden Weg vorwärts; aber die Wege wurden immer verlassener und die Wirtshäuser immer spärlicher; schließlich sah er nichts mehr dergleichen, sondern befand sich in einer großen Einöde. Nicht die geringste Spur von Weg oder Steg war noch zu bemerken; er wußte auch nicht, ob er vorwärts oder zurück ging, so leicht konnte man sich verirren. Aber Reisepelle verlor gleichwohl nicht den Mut, sondern marschierte rasch darauf los; denn er glaubte steif und fest, daß er sich auf dem richtigen Wege befände. Und als die freundlichen Sonnenstrahlen zwischen dem grünen Laub hervorguckten und die Vögel des Waldes ihren fröhlichen Gesang anstimmten, da kam es Reisepelle vor, als hätte er einen lieben Gruß von Hause erhalten, und alle Furcht war verschwunden. Den dritten Tag am Abend, als es schon



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dunkel war, glaubte Reisepelle ein Licht zwischen den Zweigen schimmern zu sehen; bei näherer Untersuchung fand er, daß er sich nicht getäuscht hatte. Das Licht kam von einer Hütte, die tief im Walde versteckt stand zwischen ein paar ungeheuer großen Bäumen. An der einen Seite des Hauses bemerkte Reisepelle ein kleines Fenster; er meinte daher, die Vorsicht erfordere, daß er sich in acht nehme und nachsähe, wer da drinnen wohne. Aber wie überrascht war er über den Anblick, der sich ihm da bot!

An einem kleinen Holztisch saß ein kleiner Mann auf einer Holzbank; vor ihm lag ein ungeheuer großes Buch, in dem er eifrig zu lesen schien. Der kleine Mann mußte sehr alt sein, denn sein Gesicht war ganz gelb und verschrumpelt, und über den großen Buckel, den er am Rücken hatte, fiel langes silberweißes Haar hinab.

Nach einer Weile schlug der kleine Mann das Buch zu und blickte um sich. Es kam Reisepelle merkwürdig vor, daß seine Augen noch so glänzend waren. Nun fing der kleine Alte an, laut vor sich hin zu sprechen:

»Ich habe gelebt schon dreihundert Jahr'
Und gelernt immer mehr und mehr;
Meine Zeit ist vorbei und weiß mein Haar,
Ich zähle die Tage nicht mehr.
Ach, wäre der letzte Tag mir bestellt,
Und könnt' ich verlassen mein irdisches Zelt!
Doch keiner ist da, der begraben kann
Den armen, armen von Puckelmann!«


***
Darauf faltete er seine ausgemergelten Hände und betete mit inbrünstiger Andacht. Reisepelle wollte ihn während seines Gebetes nicht stören; aber sein Herz klopfte vor Freude, seinen Freund und Gönner von Puckelmann gefunden zu haben, und gleich nach Beendigung seines Gebetes schlug Reisepelle die Tür auf und rief: »Ist es wirklich wahr, daß Ihr von Puckelmann heißt?«

»Ja, gewiß heiße ich so«, erwiderte der kleine Alte und betrachtete Reisepelle neugierig; »genauso ist mein Name und nicht anders!«



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»Jaha, wenn Ihr von Puckelmann heißt, so seid Ihr mein Pate; denn ich bin derselbe Peter, den Ihr am Walpurgisabend vor zweiundzwanzig Jahren zur Taufe trugt!«

Von Puckelmann sann eine Weile nach, dann begrüßte er Reisepelle sehr freundlich und hieß ihn willkommen. Darauf setzte er ihm Essen vor. Es bestand zwar nur aus Milch und Brot, aber Reisepelle fand, daß es vortrefflich schmecke; und das war kein Wunder, da er so viele Strapazen durchgemacht hatte. Nachdem Reisepelle ganz satt geworden, fragte ihn von Puckelmann, wie er in den großen Wald gekommen sei, in welcher Absicht usw. Reisepelle gab ihm auf all seine Fragen guten Bescheid und bat ihn um der alten Freundschaft willen, ihm mit Rat und Tat bei seinem gefährlichen Unternehmen beizustehen. Er erzählte ihm, daß er sich auf dem Weg in der sicheren Hoffnung begeben, seinen Paten von Puckelmann zu treffen.

Der alte Mann antwortete hierauf: »Es war mir schon vorher nicht unbekannt, daß die Prinzessin verzaubert sei, und das hat der allweise Gott gefügt; denn sie war ein naseweises Ding, das sich über alle lustig machte, die nicht so schön waren wie sie. Die Schönheit ist ein vergängliches Ding, kein Mensch darf darauf eitel sein, und die Heimsuchung gereicht ihr wahrscheinlich später zu großem Nutzen.«

Reisepelle versicherte, daß die Prinzessin ihren Fehler tief bereue und daß sie weine und sich demütige, soviel sie nur irgend könne. »Nun wohl denn«, sagte der kleine Mann, »ich will sehen, ob ich dir mit einem guten Rat helfen kann, wenn du von mir Abschied nimmst; du hast dir ja nun mal vorgenommen, die Prinzessin von ihrer Verzauberung zu erlösen, obwohl - das muß ich dir sagen - die alte Hexe ein boshaftes und tückisches Wesen ist; sie kann dir leicht einen Possen spielen, daß du all deine Lebtage daran denkst. Leg dich nun schlafen, daß du morgen frühzeitig auf den Beinen sein kannst!«Reisepelle legte sich mit dem Ränzel unter dem Kopfe auf ein Bett von Stroh und Moos. Er schlief süß und träumte von dem Paten von Puckelmann; er sah ihn noch dasitzen und in dem großen Buche lesen und dabei eine Menge wunderlicher Grimassen schneiden.



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Kaum begann der Tag zu grauen, da wurde Reisepelle durch von Puckelmann aus seinem Schlafe geweckt, der ihm ins Ohr rief: »Jetzt ist es Zeit, aufzustehen, du hast noch eine weite Reise vor dir.«

Reisepelle stand gleich auf. Nachdem von Puckelmann eine Weile ganz still gewesen, sagte er zu Reisepelle:

»Mein lieber Pelle, da du mein Patenkind bist, so will ich dir helfen, soweit es in meinem Vermögen steht. Das ist jedoch nicht so leicht, wie du glaubst. Du mußt drei Proben bestehen und dich obendrein mit der Tochter der Hexe verheiraten; aber hiervor brauchst du nicht so schrecklich bange zu sein. Bei den beiden ersten Proben kann ich dir schlechterdings nicht helfen. Aber für die dritte gebe ich dir eine Pfeife. Sei nur ohne Furcht; wenn du dreimal auf ihr geblasen hast, dann hast du alles durchgemacht, und der Zauber der bösen Hexe ist gebrochen. Aber hüte dich wohl, mein lieber Pelle, vor der dritten Probe auf der Pfeife zu blasen, sonst bleibt die Prinzessin ein Scheusal bis an ihren Tod; und wenn du die beiden ersten Proben nicht bestehen kannst, dann verzaubert dich die Hexe sofort, und dann ist es aus - mit dem ganzen Reisepelle.«

Der Alte gab ihm nun eine kleine Pfeife, die nicht weiter merkwürdig zu sein schien; denn sie war weder aus Gold noch aus Silber, sondern aus einfachem Ton. Reisepelle dankte seinem Paten tausendmal und fragte ihn nach dem nächsten Weg zur Hexe.

»Es ist nicht schwer, hinzukommen«, sagte von Puckelmann; »erst gehst du eine Weile geradeaus, bis du an einen ungeheuer großen Baum kommst; darauf biegst du nach rechts ab, bis du an einen Sumpf kommst; dann wendest du dich nach links, bis du an einen hohlen Baum kommst, und dann biegst du nach rechts ab und dann wieder nach links.

Und höre jetzt, was ich dir noch weiter sage. Wenn du die Prinzessin erlöst hast und dich auf den Heimweg begibst, dann schaue in meiner Hütte vor, und wenn du mich tot anfindest, was ich von Gottes Gnaden erhoffe, dann begrabe mich christlich, damit mein Leib vor den wilden Tieren des Waldes geschützt bleibt.« Darauf winkte er ihm, daß er sich auf den Weg begebe.



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Reisepelle war jetzt guten Mutes und hatte keine andere Furcht, als daß er den von Puckelmann gewiesenen Weg verfehlen könnte. Aber es ging besser, als er erwartet hatte. Schon am folgenden Tage bemerkte er von einem kleinen Hügel ein Haus, das mitten in einem tiefen und düsteren Tale stand. Kein Sonnenstrahl konnte dahin gelangen, und das ungeheure Haus machte mit seinen schwarzen Mauern und dunklen Fenstern einen unheimlichen und abschreckenden Eindruck.

Als Reisepelle dem Hause näher kam, begriff er sogleich, daß es die Wohnung der Hexe sei. Rund um das Haus sah man weithin nichts anderes als Heidekraut und Disteln, die so hoch wie kleine Bäume waren, und einige Blumen, die hier und da hervorguckten, sahen so bleich und verwelkt aus, als wären sie nie von einem Sonnenstrahl erwärmt worden. Nirgends zeigte sich ein lebendes Wesen. Wäre nun Reisepelle nicht so tapfer gewesen, wie er war, so wäre er gleich umgekehrt-aber das tat er nicht, sondern ging mit schnellen Schritten weiter. Auf der schmutzigen, verfallenen Treppe trat ihm niemand entgegen; nur ein paar tote Eulen, die an der Wand hingen, glotzten ihn mit ihren goldgesprenkelten Augen an. Als er auf die oberste Treppenstufe gekommen war, bemerkte er eine große Tür, die halb offenstand; mutig trat er ein.

Drinnen saß ein altes, verschrumpeltes Weib, garstiger als alle, die Reisepelle je gesehen hatte. Die Beschäftigung, die sie vorhatte, mußte ihr besonderes Vergnügen machen; denn ihre Augen funkelten vor Freude, und ihr Kinn wackelte vor Wollust hin und her. Es war auch eine Beschäftigung, die für eine Hexe paßte. Sie fütterte nämlich eine große schwarze Katze mit ein paar unschuldigen Vögeln, die sie lebend rupfte. So sehr war sie in ihre Augenweide vertieft, daß sie erst nach geraumer Zeit Reisepelle bemerkte und mit boshaften Blicken durchbohrte.

Reisepelle, der auf die Alte wegen ihrer Grausamkeit gegen die kleinen Vögel zornig war und es für das beste hielt, sich sogleich bei ihr in Respekt zu setzen, fragte barsch:

»Seid Ihr die alte Hexe, die unsere Prinzessin verzaubert hat?« Bei dieser naseweisen Frage sperrte die Alte die Augen auf, daß sie fast doppelt so groß waren wie zuvor.



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»Was seid Ihr für ein Grünschnabel, und was geht's Euch an?«fragte sie mit heiserer und rauher Stimme. »Wartet nur ein bißchen, ich werde schon Eure Höflichkeit beantworten!«

»Was ich will?«rief Reisepelle aus. »Wißt Ihr's nicht? Ich will meine Prinzessin von der Verzauberung erlösen und die junge Hexe heiraten; ich meine Eure Tochter. Quengelt jetzt nicht weiter, sondern sagt mir sofort, was ich tun soll, um den Bann zu brechen. Es riecht so übel bei Euch, daß ich nicht länger bleiben will, als unbedingt nötig ist; beeilt Euch daher!«

Man kann sich leicht vorstellen, wie die alte Hexe diese Rede aufnahm! Ihr ganzes Gesicht zog sich zusammen, und ihre mageren Muskeln zitterten, so böse war sie. Sie schluckte jedoch ihren Verdruß hinunter, da sie sich auf andere Weise zu rächen gedachte.

»So, du bist also ein solcher Teufelskerl, daß du die Prinzessin erlösen willst!«brach sie aus. »Dann darf ich dich wohl mal genau ansehen. Ja, du siehst mir gerade aus, als ob du der Rechte wärst. Ich bin jedenfalls eine gute Alte und will dich gern deine Proben bestehen lassen; aber die Prinzessin, meine Tochter, gebe ich dir nicht gleich auf einmal. Sie ist zu gut, um den ersten besten Landstreicher zu heiraten. Aber wir werden schon übereinkommen, wenn du alles getan hast, was ich dir aufgebe!«

Aber Reisepelle antwortete ihr schlagfertig auf ihre bissigen Worte: »Was die Heirat mit Eurer Tochter betrifft, so dürft Ihr Euch nicht einbilden, daß ich mich ihretwegen aufhängen würde. Jedenfalls soll sie meinetwegen niemandem einen Korb geben!«

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als die junge Hexe sich einstellte. Denn sooft sie eine fremde Mannsstimme hörte, war sie schnell zur Stelle. Reisepelle gefiel ihr nicht schlecht; und daß er ein neuer Freier sei, merkte sie gleich; denn alle anderen Leute mieden ihre Wohnung mehr als die Pest.

»Du gefällst mir, mein kleiner Junge«, sagte sie frech zu Reisepelle. »Sieh nur zu, daß du die Proben bestehst; dann will ich mich morgen mit dir verheiraten!«

Reisepelle wußte ja im voraus, daß sie nicht schön sei. Aber ein solch garstiges Aussehen und eine solche Frechheit hätte er nie für möglich gehalten. Sie kam ihm so widerwärtig und ekelhaft vor, daß er ganz



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sicher gleich umgekehrt wäre, wenn ihm nicht die arme Prinzessin und ihre Eltern leid getan hätten. Außerdem hatte er ja sein Ehrenwort gegeben, alles zu wagen, sogar sein Leben.

»Er will dich nicht haben«, sagte die alte Hexe. »Das muß ein merkwürdiger Mensch sein, der ein solch liebes Mädchen nicht haben will!«

Darauf durchbohrten sie ihn mit ihren grüngelben Augen, so daß es Reisepelle kalt über den Rücken lief; denn es kam ihm so vor, als ob die Nasen der beiden Ungeheuer immer länger und länger würden, und er fürchtete jeden Augenblick, daß die beiden Rüssel ihm ins Gesicht stoßen würden. Sein einziger Trost war der Stock, den er vom Grafen bekommen hatte, >im Notfalle verlass' ich mich auf dich<, dachte er bei sich selbst. Er rief daher mit barschem Tone den Hexen zu: »Bekomme ich nun bald die Proben zu wissen, die ich bestehen soll? Kann ich dadurch die Prinzessin befreien, so fürchte ich mich nicht, selbst des Teufels Großmutter zu heiraten; aber ich würde sie auch warm halten, darauf könnt ihr euch verlassen. Nun heraus mit den Proben und spielt nicht länger mit mir!«

Eine solche Sprache hatten die Hexen noch nie gehört. Die alte Hexe meinte, es habe keine Eile; »aber willst du denn durchaus die hoffärtige Prinzessin befreien, so komm«, sagte sie. Die beiden Hexen gingen nun voran, und Reisepelle folgte ihnen. Sie gingen treppauf, treppab und durch eine Menge dunkler Gänge, bis sie endlich an eine Tür kamen; die schlossen sie auf, und darauf traten sie in einen großen Saal. Reisepelle bot sich jetzt ein Anblick, dessen Wirklichkeit er bezweifelt hätte, wenn er sich nicht mit eigenen Augen von der Wahrheit überzeugt hätte.

Eine Menge Personen befanden sich in dem Saale in allen möglichen Stellungen. Es sah genauso aus, als wären sie eben noch am Leben gewesen. Einige schienen aufstehen, andere sich setzen zu wollen, und wieder andere standen mit offenem Munde da. Aber allesamt waren sie steif, unbewegt wie Holzbilder. Keiner konnte auch nur einen Finger rühren, denn sie waren alle verzaubert. Aber als Reisepelle sie genauer betrachtete, wurde es ihm klar, daß es die vielen Hofleute waren, die der König ausgeschickt hatte, um die Prinzessin zu retten, und daß sie von der alten Hexe in Stöcke und Steine verwandelt



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waren. Reisepelle konnte sich nicht enthalten, innerlich vor Furcht zu zittern bei dem Gedanken, daß es ihm ebenso ergehen könnte; vielleicht würde ihn die Hexe gar im Winter ins Feuer werfen, als wäre er ein gewöhnliches Stück Holz.

Die beiden Hexen merkten wohl Reisepelles Angst, denn sie betrachteten ihn mit höhnischen und schadenfrohen Blicken, und die junge Hexe grinste so, daß er glaubte, sie wolle ihn verschlucken.

Und nun sagte die alte Hexe zu Reisepelle: »Du siehst, daß ich es gut mit dir meine. Ich will dir für den Anfang eine leichte Aufgabe stellen, das soll dein erstes Probestück sein. Du siehst hier eine Menge Personen, die weder Hand noch Fuß rühren können. Ich will dir sagen, wie das zusammenhängt. Sie erstarrten mir alle im Winter vor Kälte; geh zu ihnen und sag ihnen ein gutes Wort und bitte sie freundlich, sie möchten sich bewegen. Es ist ganz schändlich von ihnen, daß sie so hartnäckig sind. Geh und hilf ihnen auf die Beine. Das soll dein erstes Probestück sein!«

Reisepelle sah wohl ein, daß die alte Hexe nur ihren Spott mit ihm treiben wollte, denn er hatte gleich bemerkt, daß die Personen verzaubert waren.

»Ich weiß schon ein Mittel«, sagte er, »sie wieder auf die Beine zu bringen, aber ich will es zuerst im guten versuchen.« Er ging darauf bei allen Figuren herum, und da kam es ihm vor, als sähen sie ihn mit wehmütigen Blicken an. Er versuchte ihre Beine und Finger zu heben; aber es war unmöglich. »Ja so, steht es so damit«, sagte Reisepelle. »Wenn ihr nicht gutwillig wollt, so will ich euch schon zu helfen wissen, aber nehmt nur eure Knochen in acht!«

Zwischen Hoffnung und Furcht schwebend, fing er an, mit dem Stocke, den er vom Grafen hatte, aus allen Kräften auf die Herren vom Hofe loszuschlagen. Schon beim ersten Schlag bekamen sie wieder Leben und fingen an, sich zu rühren; aber sie waren über die gewaltigen Schläge Reisepelles so erschrocken, daß sie schleunigst die Flucht ergriffen, so schnell sie nur konnten, ohne auch nur ihrem Befreier zu danken. »Das ist ein herrlicher Stock«, sagte Reisepelle, der nicht wenig stolz auf sich war, als er sah, daß alles so gutging. Er fragte darum sogleich die alte Hexe, worin die zweite Probe bestände. Er brauche sich gar nicht auszuruhen, sagte er, sondern wolle



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sich so sehr wie möglich beeilen. Die Hexen sperrten ihre Augen auf und wunderten sich, wie das nur in aller Welt zugegangen sei; aber soviel sahen sie doch, daß kein einziger der verzauberten Hofherren noch da war.

»Du hast noch zwei Proben zu bestehen; ich freue mich sehr, daß die erste so gutging, aber sie war auch ganz leicht. Komm jetzt mit, ich will dir eine andere geben, die viel, viel besser als die erste ist. Ein so kluger Mann wie du ist lange nicht hier gewesen. Ich habe dich wirklich gern!«Nun gingen sie wieder treppauf, treppab, kreuz und quer.

Sie kamen durch viele Räume, die nichts Merkwürdiges zu enthalten schienen; aber Reisepelle lag auch nichts daran, sich umzusehen, so neugierig war er darauf, was die alte Hexe jetzt mit ihm machen würde. Schließlich sagte sie: »Nun sind wir da; sperre jetzt deine Augen auf und sieh, was vor dir steht!«

Reisepelle sah und sah, aber er konnte nichts anderes entdecken als eine ungeheuer große und schwere Tür mit einer Menge eiserner Schranken, die eine hinter der andern, und die Tür hatte nicht weniger als sieben Schlösser. Ein solches Kunstwerk hatte Reisepelle nie zuvor gesehen. Als er noch so dastand und grübelte, was für Raritäten es sein könnten, die die Hexe dahinter verberge, stieß sie folgende Worte hervor: »Gucke dir nur die Tür genau an, denn dies ist das zweite Probestück. Hier ist die Tür mit den sieben Schlössern! Die sollst du augenblicklich aufschließen!«

»Ja, das werde ich sicher tun«, antwortete Reisepelle, »wenn ich nur die Schlüssel zu den Schlössern habe!«

Die alte Hexe wäre beinahe vor Lachen erstickt, und die junge lachte aus Leibeskräften mit.

»Ja so, du willst Schlüssel haben!« riefen beide mit einem Munde aus. »Ja, das wußten wir, daß du ein Schlaukopf bist! Aber das will ich dir sagen, wenn du die Schlösser nicht aufschließen kannst, dann bleibt deine Prinzessin so, wie sie ist, und du selbst wirst verzaubert!«

Seinetwegen war Reisepelle gar nicht bange, aber wenn er jetzt seine Pfeife hervorgezogen hätte, so wäre es mit der Befreiung der Prinzessin aus der Verzauberung vorbeigewesen.



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>Da mir der Stock schon einmal geholfen hat, so ist es wohl möglich, daß er mir noch einmal beisteht<, dachte Reisepelle und fing an, mit allen Kräften auf die Tür und die Schlösser loszuschlagen; aber all sein Bemühen war vergebens.

Die junge Hexe hohnlachte und sagte: »Ja, ja, du Prahlhans, jetzt sitzt du fest!«

Da war Reisepelle betrübt und dachte an den guten Grafen; wieviel besser wäre es doch gewesen, bei ihm zu bleiben, als nach Hause zu gehen, um später von einer alten Hexe verzaubert zu werden. Aber während er in seiner Verzweiflung auf Auswege sann, fiel ihm der Schlüssel ein, den er von dem Troll geerbt hatte, der des Grafen Kind gestohlen. Kaum war ihm der Schlüssel in den Sinn gekommen, schwapp! war er auch schon aus der Tasche.

Der Schlüssel war auch kein gewöhnlicher Schlüssel; wohl sah er ganz einfach aus, aber er war trotzdem mehr wert als das feinste Kleinod. Kaum hatte er den Schlüssel in das Schloß gesteckt, da sprang es auf; ebenso ging es mit dem zweiten und den anderen, bis alle sechs geöffnet waren. Aber als er an das siebente rührte, erfolgte ein so starker Knall, daß das ganze Haus in seinen Grundmauern erzitterte und die Tür mit einem furchtbaren Krach aufsprang. Diesmal war die alte Hexe ganz baff über Reisepelle; ihre Augen sprühten Feuer, und Geifer zischte um ihren Mund, so aufgebracht war sie, daß die Prinzessin jetzt erlöst würde; denn sie haßte sie von ganzem Herzen, wenn man überhaupt annehmen kann, daß sie ein menschliches Herz in ihrer Brust hatte; wahrscheinlich ist es wohl, daß ein harter Kieselstein die Stelle ihres Herzens einnahm.

Als nun Reisepelle in den großen Raum eintrat, bekam er viele sonderbare Dinge zu sehen. Die Wände und das Dach waren voll bemalt mit den buntesten und wunderlichsten Figuren. Auf dem Boden lagen große Haufen von Gold und edlen Steinen; aber sie hatten ein so unheimliches Aussehen, daß sie an die Schätze Luzifers erinnerten, mit denen dieser die unglücklichen Seelen verblendet und verführt.

Die alte Hexe scharrte nun so viel Gold zusammen, als ihre Schürze halten wollte, und reichte es Reisepelle: »All dies will ich dir geben, wenn du von der dritten Probe abstehst; denn ich will lieber sterben,



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als die Prinzessin erlöst sehen. Stehe deinem Glücke nicht im Wege; wenn du nimmst, was ich dir jetzt biete, so wirst du ein steinreicher Mann, und was brauchst du dich um den König und die Prinzessin zu kümmern?«

»Nein, ich danke vielmals«, antwortete Reisepelle. »Ein solch verächtliches Wesen bin ich nicht, daß ich mein Gelübde breche und die arme Prinzessin im Stich lasse, nur um reich zu werden! Das Gold würde Tag und Nacht wie glühende Kohlen auf meiner Seele liegen, solange ich lebte, und mich wie ein Gespenst noch in mein Grab verfolgen!«

Die alte Hexe glaubte, er führe nur eine so stolze Sprache, weil er noch mehr haben wollte.

»Sage nur geradeheraus, wieviel du haben willst. Ich will dir so viel geben, wie du wünschest; nur darfst du dich nie mehr vor meinen Augen sehen lassen; und das sage ich dir im voraus, wenn du die dritte Probe nicht bestehst, so verzaubere ich dich auf der Stelle, und du wirst nie mehr das Licht des Tages erblicken!«

Aber Reisepelle lachte ganz ruhig über ihre Drohungen; denn er wußte sehr wohl, daß er jetzt nichts mehr zu fürchten hatte. »Ich habe Euch schon gesagt, daß ich mir nichts aus all Eurem Gold mache; denn ich habe mir steif und fest vorgenommen, die Prinzessin zu retten«, war die einzige Antwort, die sie erhielt.

Als die alte Hexe sah, daß er so stolz war und nicht mehr mit sich reden lassen wollte, wäre sie beinahe vor Arger geplatzt. Schließlich machte sie ihrer Bosheit in folgenden Worten Luft: »Ich wundere mich wahrhaftig nicht, daß du so eingebildet bist. Aber warte nur, mein kleiner Junge, noch bist du nicht zu Ende. Obwohl du noch nicht ganz trocken hinter den Ohren bist, so bildest du dir gewiß ein, der Teufel selbst müsse nach deiner Pfeife tanzen; versuche, ob du's kannst, wir werden ja sehen, wie es geht!«

»Ja, ich will's versuchen«, antwortete Reisepelle. »Und das soll meine dritte Probe sein!«

Sogleich zog er die kleine Pfeife hervor, die er vom Paten Puckelmann bekommen hatte, und blies aus allen Kräften darauf, so daß die Wände dröhnten. Die beiden Hexen zitterten an allen Gliedern, und als Reisepelle noch einmal die Pfeife an den Mund setzen wollte,



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fingen sie an zu rufen und zu schreien, daß es für diesmal genug sei und keiner weiteren Probe bedürfe.

Aber Reisepelle ließ sich durch ihr Jammergeschrei nicht abhalten; und als er zum zweiten Male die Pfeife an den Mund setzte, wirkte sie noch entsetzlicher, er erschrak beinahe selbst darüber. Die Wände dröhnten noch heftiger als das erste Mal, und die Erde zitterte und bebte.

Es kam Reisepelle vor, als ob eine Menge blauer Flammen aus dem Boden aufstiegen und überall im Raum umherirrten.

»Hör auf im Namen des Furchtbaren Geistes, dem ich angehöre«, rief die alte Hexe, während sie wie Espenlaub zitterte. Die junge Hexe jammerte nicht weniger und bedrohte Reisepelle mit den furchtbarsten Gebärden.

Reisepelle war selbst ziemlich bange; denn er hätte nie geglaubt, daß eine so kleine Pfeife ein so entsetzliches Wesen machen könne. Er mußte daher allen seinen Mut sammeln, um noch einmal die Pfeife an den Mund zu setzen.

Da ließ sich ein furchtbarer Donnerknall hören, die Erde tat sich auf, und ein großer schwarzer Abgrund öffnete sich, aus dem dicke Rauchwirbel aufstiegen. Man kann sich leicht Reisepelles Bestürzung vorstellen; sein Entsetzen überwältigte ihn, und er fiel bewußtlos zu Boden.

Eine gute Weile mußte verflossen sein, als er sein Bewußtsein wiederbekam; denn als er erwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel, und die herrlichste Morgenluft umwehte seine brennenden Backen. Aber wie groß war sein Erstaunen, als er sich auf derselben Bergeshöhe befand, von der er am vorigen Tage die Wohnung der Hexe entdeckt hatte! Alles kam ihm wie ein schrecklicher Traum vor; die Hexe und ihre Tochter, die große Tür mit den Hängeschlössern, alles drehte sich in seinem verwirrten Hirn.

Er rieb sich die Augen, aber vergebens. Das Schloß der Hexe schien nur noch ein gewaltiger Trümmerhaufen zu sein, aus dem brennende Balken hier und da hervorragten.

Nach und nach ordneten sich die Bilder seines Innern. Er besann sich jetzt darauf, wie er selbst bewußtlos niedergesunken; es kam ihm



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so vor, als ob eine große schwarze Gestalt zwischen den Flammen aufgestiegen sei und die beiden Hexen gepackt und mitgeführt hätte. Wie er aber jetzt selbst so frisch und gesund auf dem Berge stehen konnte, das hat er sein ganzes Leben lang niemals begreifen können.

Sein guter Stock lag unbeschädigt neben ihm; auch der Schlüssel war in seiner Tasche; aber die Pfeife, die ihm der Pate Puckelmann gegeben hatte, mußte er in der Verwirrung verloren haben. Reisepelle war nicht sehr traurig darüber, denn er dachte, mit einer solchen Pfeife sei nicht zu spaßen. Nun begab sich Reisepelle mit schnellen Schritten auf den Heimweg. Es war ganz herrlich, in der frischen Morgenluft zu wandern, und die Vögel sangen so schön. Reisepelle tanzte im Weitergehen.

Er vergaß nicht, was er dem Paten Puckelmann versprochen hatte. Als er an dessen Hütte kam, rief er in die Tür: »Guten Morgen, Pate Puckelmann; Dank sollt Ihr für Eure Hilfe haben; ich bin wieder da, frisch und gesund!«Aber kein Puckelmann antwortete ihm; dieser saß mit vornübergebeugtem Kopfe am Tisch und schien zu schlafen. Aber es war der Schlaf des Todes, der seine Augen geschlossen hielt. Reisepelle nahm nun einen Spaten, der in Bereitschaft stand, grub damit eine Grube unter einem dichtbelaubten Baume und bettete den Verstorbenen in die Erde.

Reisepelle wagte nichts von dem zu berühren, was in der Stube war; die Hausgeräte waren außerdem so dürftig, denn ein so großer Gelehrter wie von Puckelmann macht nicht viel Staat.

Nach einem schnellen Marsch von drei Tagen sah Reisepelle endlich seine Vaterstadt wieder. Eine ungeheure Menge Menschen hatte sich am Stadttor versammelt und schien auf jemand zu warten. Aber als er so nahe kam, daß man ihn sehen konnte, brach sie in lauter schallende Jubelrufe aus. Die Kanonen donnerten, und Reisepelle wurde im Triumph durch eine Ehrenpforte geführt, die mit Blumen und Eichenlaubkränzen geschmückt war. Ober diesen prächtigen Empfang war er so gerührt, daß er seine Gefühle nicht mit Worten ausdrücken konnte und heiße Freudentränen über seine Backen hinabrollten. Aber eine noch größere Ehre erwartete ihn; denn der König und die Königin samt der Prinzessin und allem Hofstaat kamen ihm



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entgegen. Alle Herren vom Hofe, die er erlöst hatte, drückten dankbar seine Hand; die Freude und die Dankbarkeit der Prinzessin und ihrer Eltern überstiegen alle Grenzen. Reisepelle erstaunte jetzt über die Schönheit der Prinzessin; und sie sah so mild und gut aus, daß er auch sehr wohl bemerkte, wie nützlich ihre Probezeit auf sie gewirkt hatte.

Sobald die Prinzessin aus ihrer Verzauberung befreit war, hatte die Königin sogleich befohlen, daß ein großes Festmahl stattfinden sollte; aber da man nicht wußte, wie lange Reisepelle ausbleiben würde, hatte man beschlossen, die Feierlichkeiten acht Tage zu verschieben; man hoffte nämlich, daß der ersehnte Befreier unterdessen zurückkommen werde.

Als Reisepelle erzählte, daß er sich nicht mit der Tochter der Hexe verheiratet habe, da stand der König von seinem Thron auf, faßte die schöne Prinzessin, die ihre himmelblauen Augen niederschlug, an der Hand und sagte: »Mein lieber Reisepelle, ich weiß nicht, wie ich dich belohnen soll; aber ich gebe dir das Teuerste, was ich habe, meine Tochter, zur Gemahlin und mit ihr mein halbes Königreich!«

Nun fand eine großartige Hochzeit statt; alle waren froh und glücklich; aber keiner war glücklicher als Reisepelles Mutter. Und nun ist die Geschichte von Reisepelle zu Ende.


Die kleine Rosa und die lange Leda

Es war einmal ein König und eine Königin, die hatten eine einzige Tochter. Man nannte sie die kleine Rosa, weil sie so lieblich und verständig war; alle, die sie sahen, hatten sie gern.

Nach einiger Zeit aber starb die Königin, und der König heiratete eine andere Gemahlin. Die neue Königin hatte ebenfalls eine einzige Tochter, aber diese war hochfahrend von Gemüt und häßlich von Ansehen; sie mußte sich daher gefallen lassen, daß man sie die lange Leda nannte. Die beiden Stiefschwestern wuchsen nun zusammen an dem Königshof auf; aber jeder, der sie sah, merkte den großen Unterschied zwischen ihnen.



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Die Königin und die lange Leda waren sehr neidisch auf die kleine Rosa und taten ihr alles erdenkliche Unrecht an. Aber die Königstochter war immer freundlich und ergeben und tat alle Arbeit, wenn sie auch noch so schwer war. Das erbitterte die Königin noch mehr, und sie wurde immer böser, je mehr Klein-Rosa es ihr in allem recht zu machen suchte.

Eines Tages gingen die Königin und die beiden Prinzessinnen im Garten spazieren, der neben dem Königssaale lag. Da hörte sie, wie der Gärtner mit seinem Burschen sprach und ihn bat, eine Axt zu holen, die zwischen den Bäumen liegengeblieben war. Als die Königin das hörte, sagte sie, Klein-Rosa solle die Axt holen. Der Gärtner sträubte sich und meinte, so geringe Dienste schickten sich nicht für eine Königstochter; aber die Königin ließ nicht nach und bekam ihren Willen.

Als nun Klein-Rosa in den Hain gegangen war, wie die Königin ihr befohlen hatte, sah sie dort die Axt liegen; aber drei weiße Tauben hatten sich auf den Stiel gesetzt, um auszuruhen. Da nahm die Königstochter ein Stück Brot, zerbröckelte es in der Hand, reichte es den kleinen Tauben und sagte freundlich:

»Meine armen kleinen Tauben! Geht jetzt bitte von hier fort, denn ich muß die Axt meiner Stiefmutter bringen.«

Die Tauben aßen der Jungfrau aus der Hand und gaben willig den Stiel frei; Klein-Rosa nahm die Axt, wie man ihr befohlen hatte. Aber sie war noch nicht weit gekommen, da fingen die Tauben untereinander ein Gespräch an und überlegten sich, welchen Lohn sie dem jungen Mädchen geben sollten, das so freundlich zu ihnen gewesen.

Die eine sagte: »Mein Geschenk soll sein, daß sie doppelt so schön wird, wie sie schon ist.«

Die andere sagte: »Mein Geschenk soll sein, daß ihr Haar sich in Goldhaar verwandelt.«

Und die dritte fügte hinzu: »Jedesmal, wenn sie lacht, soll ein roter Goldring aus ihrem Munde kommen.«

Nachdem sie so gesprochen, flogen die Tauben davon; aber alles ging in Erfüllung, wie sie gesagt hatten.

Als nun Klein-Rosa zu ihrer Stiefmutter zurückkam, staunten alle



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über ihre unvergleichliche Schönheit, über ihr leuchtendgelbes Haar und die roten Goldringe, die ihr immer aus dem Munde kamen, wenn sie lachte. Aber die Königin ließ sich genau erzählen, wie alles zugegangen sei, und von Stund' an hegte sie noch tieferen Haß gegen ihre Stieftochter als zuvor. Die böse Stiefmutter dachte nun Tag und Nacht nur daran, wie ihre eigene Tochter ebenso schön werden könne, wie Klein-Rosa war. Deshalb ließ sie heimlich den Gärtner rufen und gab ihm Anweisung, wie er es machen sollte. Darauf ging sie mit den beiden Prinzessinnen im Garten spazieren, wie sie zu tun pflegte. Als sie nun an dem Gärtner vorbeikam, sagte er, er habe seine Axt im Hain vergessen. Der Bursche solle sie holen. Da sagte die Königin, die lange Leda solle die Axt suchen. Der Gärtner widersetzte sich dem natürlich und meinte, so geringe Dienste ständen einer vornehmen Jungfrau nicht an; aber die Königin beharrte auf ihren Worten und setzte ihren Willen durch.

Als nun die lange Leda in den Hain gekommen war, wie die Königin ihr befohlen hatte, da sah sie die Axt dort liegen; aber drei strahlend weiße Tauben hatten sich auf den Stiel gesetzt, um auszuruhen. Da konnte die böse Jungfrau ihre Schlechtigkeit nicht unterdrücken, sondern warf Steine auf die Vögel, schalt sie und sagte:

»Fort mit euch, häßliche Vögel! Was untersteht ihr euch, dazusitzen und die Axt zu beschmutzen, die ich mit meinen weißen Händen anfassen soll?«

Bei diesen Scheltworten flogen die Tauben davon, und die lange Leda nahm die Axt, wie ihr befohlen war. Aber sie war noch nicht weit gekommen, da fingen die Tauben untereinander ein Gespräch an und überlegten, welchen Lohn sie der häßlichen Jungfrau für ihre Bosheit geben sollten. Da sagte die eine: »Mein Geschenk soll sein, daß sie doppelt so häßlich wird, wie sie schon ist.«

Die andere hinwieder sagte: »Mein Geschenk soll sein, daß ihr Haar wie Dornen aussieht.«

»Und ich«, fügte die dritte hinzu, »schenke ihr, daß immer ein Frosch aus ihrem Munde hüpft, wenn sie zu lachen anfängt.«

Nachdem sie so gesprochen, flogen die drei Tauben davon; aber alles ging in Erfüllung, wie sie gesagt hatten.

Als nun die lange Leda wieder zu ihrer Mutter zurückkam, wunderten



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sich alle über ihr abstoßend häßliches Aussehen, über ihr Haar, das einem Dornenbusch glich, und über den Frosch, der jedesmal aus ihrem Munde hüpfte, wenn sie lachen wollte. Aber die Königin war sehr betrübt über dies große Unglück, und die Leute erzählen sich, daß sie und ihre Tochter seit diesem Tage selten gelacht hätten.

Die Stiefmutter konnte jetzt Klein-Rosa nicht länger vor Augen sehen, sondern trachtete danach, sie zu verderben und umzubringen. In dieser Absicht ließ sie heimlich einen Schiffer rufen, der sollte sie in ein fernes Land fahren, und sie versprach ihm viel Gold, wenn er die Königstochter an Bord nehmen und sie in die Tiefe des Meeres versenken würde.

Der Schiffer wurde vom Golde betört, das ja immer so viel Unheil in dieser Welt anrichtet, und entführte Klein-Rosa des Nachts, wie es die Stiefmutter gewünscht hatte. Aber als das Fahrzeug in See gegangen und weit auf das trügerische Meer hinausgekommen war, entstand ein heftiger Sturm, und das Schiff ging mit Mann und Maus unter; ausgenommen allein Klein-Rosa. Sie wurde von den Wellen getragen, bis sie an eine grüne Insel kam, fern im Meer. Hier fristete sie eine Zeitlang ihr Leben, ohne einen Menschen zu sehen oder zu hören; ihre Nahrung bestand aus wilden Beeren und Wurzeln, die im Walde wuchsen.

Als Klein-Rosa eines Tages am Meeresstrande wanderte, fand sie Kopf und Gebein eines Hirschkalbes, das von wilden Tieren zerrissen war. Weil aber noch frisches Fleisch daran saß, nahm die Königstochter das Gerippe und steckte es an eine Stange, damit die kleinen Vöglein es sehen und sich daran satt essen könnten.

Darauf legte sie sich auf den Boden und tat einen kleinen Schlaf. Aber sie hatte nicht lange geschlafen, da wurde sie von einem lieblichen Gesange geweckt, der war viel schöner, als man sich vorstellen kann. Klein-Rosa lauschte und glaubte zu träumen; denn sie hatte niemals etwas so Liebliches empfunden oder gehört.

Als sie sich nun umblickte, da hatte sich das Gerippe, das sie den kleinen Vögeln des Himmels zur Nahrung hingestellt hatte, in eine grüne Linde verwandelt, und der Kopf des Hirschkalbes war zu einer kleinen Nachtigall geworden; die saß ganz oben in der Krone der Linde. Aber jedes einzelne kleine Lindenblatt fing an in seltsamer



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Weise zu klingen, so daß die Töne eine wunderbare Harmonie gaben; und die kleine Nachtigall oben im Wipfel sang; wer es hörte, der mußte wähnen, im Himmel zu sein.

Nach diesem Tage schien es der Königstochter nicht mehr so schwer zu sein, einsam auf der grünen Insel zu leben. Wenn sie traurig war, brauchte sie nur zu der klingenden Linde zu gehen, und ihr wurde wieder froh zu Sinne. Und doch konnte sie ihre Heimat nicht ganz und gar vergessen, sondern setzte sich oft an den Strand und blickte mit großer Sehnsucht übers Meer, dessen Wellen von Land zu Land wandern. Als Klein-Rosa eines Tages wie gewöhnlich am Strande saß, bemerkte sie ein schönes Fahrzeug, das über das weite Meer segelte. Auf dem Schiff befanden sich viele frische Jünglinge, deren Häuptling ein Königssohn war. Als sich nun das Fahrzeug der Insel näherte und die Schiffsleute den lieblichen Gesang hörten, der über das Wasser erklang, da dachten sie, es müsse ein verzaubertes Land sein, und wollten gleich wieder in See gehen. Aber ihr Häuptling sagte, sie dürften nicht wegfahren; erst müsse er wissen, woher der wunderbare Gesang käme. Da ließen sie ihm seinen Willen.

Als nun der Königssohn an Land gekommen war und das Spiel der Linde und den Gesang der Nachtigall hörte, da wurde ihm wunderlich zumut. Und es kam ihm vor, als wenn er etwas so Liebliches und Schönes nie vernommen. Aber noch seltsamer wurde er bewegt, als er näher kam und unter der grünen Linde eine Jungfrau sitzen sah, deren Haar wie Gold glänzte und deren Antlitz strahlte wie der weißeste Schnee. Der Königssohn grüßte die schöne Jungfrau und fragte, ob ihr die Insel gehöre. Klein-Rosa bejahte es. Der Königssohn fragte darauf, ob sie eine Seejungfrau sei oder ein menschliches Wesen. Da erzählte ihm die Jungfrau die Abenteuer, die sie erlebt hatte, und wie sie vom Sturm an die einsame Insel geworfen sei; zugleich sagte sie, woher sie stamme und aus welchem Geschlecht. Da wurde der Königssohn frohen Sinnes und konnte die Schönheit und Anmut des jungen Mädchens nicht genug preisen. Sie sprachen lange miteinander; schließlich fragte der Königssohn, ob Klein-Rosa ihn nach Hause begleiten und seine Königin werden wolle; sie gab ihr Jawort und ihre Einwilligung. Darauf segelten sie von der Insel fort und kamen zum Reiche des Königssohnes.



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Aber Klein-Rosa nahm die grüne Linde mit sich und pflanzte sie auf den Königshof. Und das Laub der Linde klang, und die Nachtigall sang, daß die ganze Gegend ihre Lust und Freude daran hatte. Als Klein-Rosa eine Zeitlang verheiratet war, wurde sie Mutter eines schönen Jungen. Da dachte sie an ihren alten Vater und schickte ihm Nachricht von allem, was sie erlebt hatte. Aber sie wollte ihn nicht wissen lassen, daß die Königin schuld an ihrem Unglück sei. Über diese Nachricht freute sich der König sehr und mit ihm seine Mannen; denn alle hatten Klein-Rosa lieb. Aber die Königin und die lange Leda waren sehr aufgebracht, daß Rosa noch am Leben sei, und beratschlagten untereinander, wie sie der Königstochter ein Leid antun könnten.

Die falsche Stiefmutter machte sich darauf zurecht und sagte, sie wolle zu Klein-Rosa fahren und sie besuchen. Als sie hinkam, wurde sie aufs allerbeste empfangen; denn die Königstochter wollte nicht an all das Böse denken, das ihr die Stiefmutter zugefügt hatte; die Königin aber stellte sich sehr freundlich und sagte viele schöne Worte.

Eines Tages sagte die Stiefmutter zu Klein-Rosa, sie wolle ihr eine Liebesgabe geben zur Erinnerung an ihre Verwandten. Die Stieftochter hatte kein Arg daraus, sondern bedankte sich für das Geschenk. Da zog die Königin ein seidenes Hemd hervor, das mit Gold bestickt war. Aber das schöne Hemd war auf die scheußlichste Weise verzaubert; als Klein-Rosa es anzog, wurde sie plötzlich in eine Gans verwandelt, die flog zum Fenster hinaus und warf sich ins Meer. Aber da die Königstochter schönes gelbes Haar hatte, so bekam die Gans goldene Federn. Im selben Augenblick hörte die Linde auf zu klingen und die Nachtigall zu singen, und der ganze Königshof wurde von Sorge und Kummer befallen. Am meisten von allen aber trauerte der Gemahl Klein-Rosas, der junge König, und er wollte sich gar nicht trösten lassen.

Wenn nachts der Mond schien und die Fischer des Königs auf dem Meere waren, um ihre Netze einzuziehen, bemerkten sie eine schöne Gans mit goldenen Federn, die schaukelte sich auf den Wellen. Darüber wunderten sie sich sehr, und es schien ihnen ein merkwürdiges Wahrzeichen zu sein. Aber eines Nachts schwamm die schöne Gans



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zum Boot des Fischers hin und begann ein Gespräch mit ihm. Sie grüßte und fragte ihn:

»Guten Abend, Fischer! Wie steht es zu Hause auf dem Königshof?

Klingt meine Linde noch?
Singt meine Nachtigall?
Weint mein Bübchen klein?
Freut sich mein Herr Gemahl?«


***
Als der Fischer das hörte und die Stimme der Königin erkannte, wurde ihm wunderlich zumut, und er antwortete:
»Zu Hause auf dem Königshof steht es schlecht:
Deine Linde klingt nicht mehr,
Deine Nachtigall singt nicht mehr,
Dein Bübchen weint bei Tag und Nacht,
Nichts deinem Herren Freude macht.«


***
Da seufzte die schöne Gans und schien sehr betrübt zu sein. Sie sagte:
»Ach, ich Arme!
Hin ist all mein Glück,
Nie komm' ich nach Hause zurück!
Gute Nacht, Fischer! —
Ich komme noch zweimal her
Und dann niemals mehr.«


***
Im selben Augenblick verschwand der Vogel. Aber der Fischer fuhr nach Hause und erzählte dem jungen König, seinem Herrn, was er gesehen und gehört habe.

Der König gab jetzt Befehl, man solle die goldene Gans fangen, und versprach den Fischern eine große Belohnung, wenn sie seinen Auftrag ausführen würden.

Da machten die Männer ihre Schlingen zurecht und ihre anderen Fischergeräte und begaben sich auf die See, um ihre Netze zu prüfen. Als der Mond aufgegangen war, kam die schöne Goldgans wieder



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auf den Wellen zu ihrem Boot geschwommen. Sie grüßte und sagte: »Guten Abend, Fischer! Wie steht es zu Hause auf dem Königshof?
Klingt meine Linde noch?
Singt meine Nachtigall?
Weint mein Bübchen klein?
Freut sich mein Herr Gemahl?«


***
Der Fischer antwortete wie voriges Mal:
»Zu Hause auf dem Königshof steht es schlecht:
Deine Linde klingt nicht mehr,
Deine Nachtigall singt nicht mehr,
Dein Bübchen weint bei Tag und Nacht,
Nichts deinem Herren Freude macht.«


***
Da wurde die schöne Gans sehr traurig und sagte:
»Ach, ich Arme!
Hin ist all mein Glück,
Nie mehr komm' ich nach Hause zurück!
Gute Nacht, Fischer! —
Ich komme noch zweimal her
Und dann niemals mehr.«


***
Bei diesen Worten wollte der Vogel wieder fortschwimmen; aber die Fischer warfen schnell ihre Schlingen über sie. Da fing die Gans an, mit den Flügeln zu schlagen und kläglich zu schreien:
»Laßt los oder haltet fest!
Laßt los oder haltet fest!«


***
Zugleich vertauschte sie ihre Gestalt und wurde zu Schlangen, Drachen und anderem furchtbaren Getier. Als die Fischer das merkten, da bangten sie um ihr Leben und ließen die Schlingen los, so daß der Vogel entkam.


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Aber als der König den Ausgang ihrer Fahrt vernahm, da wurde ihm schlecht zumut, und er sagte, sie dürften sich nicht durch ein Blendwerk erschrecken lassen. Er ließ darauf neue und stärkere Schlingen herstellen, um die goldene Gans zu fangen, und verbot den Fischern bei Lebensstrafe, sie entkommen zu lassen, wenn sie sich nächstes Mal wieder zeigen würde.

Als in der dritten Nacht der Mond aufgegangen war, ruderten die Fischer des Königs wieder aufs Meer, um ihre Netze zu prüfen. Sie warteten lange, aber keine Goldgans kam. Endlich kam sie wieder über die Wellen gefahren und schwamm zu ihrem Boot hin. Der Vogel grüßte wie zuvor:

»Guten Abend, Fischer! Wie steht es zu Hause auf dem Königshof?

Klingt meine Linde noch?
Singt meine Nachtigall?
Weint mein Bübchen klein?
Freut sich mein Herr Gemahl?«


***
Der Fischer entgegnete:
»Zu Hause auf dem Königshof steht es schlecht:
Deine Linde klingt nicht mehr,
Deine Nachtigall singt nicht mehr,
Dein Bübchen weint bei Tag und Nacht,
Nichts deinem Herren Freude macht.«


***
Da seufzte die schöne Gans und sagte:
»Ach, ich Arme!
Hin ist all mein Glück,
Nie mehr komm' ich nach Hause zurück!
Gute Nacht, Fischer! —
Ich komme noch zweimal her
Und dann niemals mehr.«


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Die Gans wollte darauf fortschwimmen, aber die Fischer warfen ihre Schlingen und hielten sie fest. Da wurde der Vogel sehr ängstlich, schlug heftig mit den Flügeln und schrie:

»Laßt los oder haltet fest!
Laßt los oder haltet fest!«


***
Sie wechselte darauf ihre Gestalt und wurde zu Schlangen, Drachen und anderen gefährlichen Tieren. Aber die Fischer fürchteten den Zorn des Königs und hielten getreulich die Schlingen fest. Da gelang es ihnen, die goldene Gans zu fangen, und sie brachten sie zum Königshof, wo man sie streng bewachte, daß sie nicht entkommen könnte. Aber der Vogel war still und mürrisch und wollte nicht sprechen; da wurde der Kummer des Königs noch größer, als er vorher gewesen. Einige Zeit später geschah es, daß ein altes Weib von seltsamem Aussehen auf den Königshof kam und den König zu sprechen wünschte. Die Wache antwortete, wie ihr befohlen war, der König sei aus Kummer und Betrübnis für niemanden zu sprechen; aber die Alte ließ sich nicht abweisen, und da wurde sie vorgelassen.

Der König fragte sie, was sie wünsche. Die Alte antwortete: »Herr König! Man hat mir erzählt, daß deine Königin in eine goldene Gans verwandelt sei und daß du Tag und Nacht über dieses große Unglück trauerst. Jetzt bin ich hergekommen, um den Zauber zu lösen und dir deine Gemahlin wiederzugeben; nur mußt du mir versprechen, eine Bedingung zu erfüllen.«

Als der König das hörte, wurde er sehr froh und fragte, was es denn für eine Bedingung sei, die sie stelle.

»Ich habe ein Haus auf dem Berge, der auf der andern Seite des schwarzen Flusses liegt. Ich bitte dich darum, du mögest eine Steinmauer rund um den Berg ziehen lassen, damit deine Rinder mich nicht erschrecken, wenn sie auf die Weide gelassen werden.« Dieser Wunsch schien dem König gering zu sein, und er versprach der Alten, er wolle ihn gern erfüllen. Aber doch zweifelte er noch, ob die Alte ihr Wort halten würde. Die Alte fing nun an, umständlich alles zu erzählen, was Klein-Rosa von ihrer bösen Stiefmutter



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erlitten hatte. Aber der König wollte es erst nicht glauben, denn er konnte sich gar nicht denken, daß die alte Königin so falsch sei. Da bat ihn die Alte, er möge ihr das schöne Seidenhernd zeigen, das Klein-Rosa von ihrer Stiefmutter zum Geschenk erhalten hatte.

Der König ließ das Hemd holen, und darauf gingen sie zusammen in das Zimmer, wo die Goldgans eingeschlossen war. Als sie dort hingekommen waren, ging die Zauberin zur schönen Gans und zog ihr das Hemd an. Da löste sich der Zauber. Klein-Rosa bekam ihre rechte Gestalt wieder, und statt der goldenen Gans stand eine schöne Frau da, mit goldgelbem Haar wie ehedem. Aber im selben Augenblick begann die Linde wieder zu klingen und die Nachtigall in ihrem Wipfel zu singen, daß es eine Lust war. Jetzt herrschte Freude am ganzen Königshof; und der König erkannte, daß ihm die alte Frau die Wahrheit gesagt habe, und hielt ehrlich sein Versprechen, das er ihr gegeben.

Klein-Rosa und ihr Gemahl rüsteten sich darauf, um zu dem alten König, dem Vater Rosas, zu fahren.

Als sie dort angekommen waren, freute sich der König so sehr, daß er von neuem jung wurde, und mit ihm freute sich sein ganzes Reich; denn alle hatten zu ihrer Betrübnis von dem Unglück erzählen hören, das die Königstochter betroffen hatte. Aber eine war da, die wurde nicht froh, und das war die alte Königin; denn sie merkte sehr wohl, daß ihre Falschheit entdeckt und ihre Zeit vorüber sei. Als nun der alte König alles Böse erfuhr, das seine Tochter von ihrer bösen Stiefmutter erlitten hatte, wurde er sehr zornig und verurteilte die Königin zum Tode. Aber Klein-Rosa bat um das Leben ihrer Stiefmutter, und da ließ der König ihr den Willen und warf seine Gemahlin auf Lebenszeit in den Turm. Die Tochter der Königin, die lange Leda, mußte dieselbe Strafe auf sich nehmen wie ihre Mutter. Aber der junge König und Klein-Rosa kehrten in ihr eigenes Reich zurück.

Und da klingt die Linde,
Da singt die Nachtigall,
Da weint der Prinz weder bei Tag noch bei Nacht,
Und der König freut sich alleweil und lacht.


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Das Schloß, das auf Goldpfählen stand

Es war einmal ein Kötner mit seiner Frau, die wohnten in einem tiefen Walde. Er hatte zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen. Sonst war er sehr arm; eine Kuh und eine Katze bildeten seinen ganzen Reichtum.

Der Kötner und seine Frau lebten beständig in Zank miteinander; wenn der Mann etwas wollte, so wollte die Alte ganz sicher gerade das Gegenteil.

Eines Tages nun hatte die Alte Grütze zum Abendessen gekocht. Als die Grütze fertig war und jeder sein Teil erhalten, wollte der Mann zuletzt den Topf ausschrappen. Aber die Alte widersetzte sich heftig; sie glaubte nämlich, sie allein und kein anderer habe das Recht, den Topf auszuschrappen. Sie gerieten in heftigen Streit, und keiner wollte dem andern nachgeben. Schließlich nahm die Alte Topf und Kelle und lief ihrer Wege; aber der Körner ergriff den Quirl und lief hinterher. So ging es über Wald und Berg, die Frau voran und der Mann hinterher; aber das Märchen erzählt nicht, wer endlich den Topf ausgeschrappt habe.

Als einige Zeit vergangen war und die Alten nichts von sich hören ließen, wußten sich die Kinder nicht zu helfen; sie wollten daher in die Welt hinaus, um ihr Glück zu suchen, jedes auf seine Weise. Sie kamen überein, die Habe zu teilen und jedes sein Erbteil mitzunehmen. Aber wie es zu gehen pflegt, war die Teilung eine furchtbar schwere Sache. Es war nämlich nichts vorhanden außer einer Kuh und Katze, und die Kinder wollten beide die Kuh haben. Als sie gerade miteinander ratschlagten, kam die Katze zu der jungen Kötnerstochter, tat schön, schmiegte sich an ihr Knie und miaute: »Nimm mich! Nimm mich!«

Da nun der Junge von der Kuh nicht lassen wollte, so ließ ihn das Mädchen gewähren und begnügte sich mit der Katze. Die Geschwister nahmen darauf voneinander Abschied. Der Junge nahm die Kuh und zog seiner Wege. Aber das Mädchen und ihre Katze wanderten den Waldsteig entlang, und es begegnete ihnen nichts Merkwürdiges, bis sie an einen großen und prächtigen Königshof gelangten, der am Wege lag.



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Als sich die beiden Wanderer dem schönen Königshof näherten, begann die Katze ein Gespräch mit ihrer Herrin und sagte:

»Wenn du jetzt meinem Rat folgst, so wird es dir Glück bringen!« Das Mädchen hatte viel Vertrauen zu der Klugheit ihrer Begleiterin und versprach deshalb, ganz nach ihrem Wunsche zu tun. Da sagte die Katze:

»Lege deine alten Kleider ab und steige auf einen hohen Baum. Ich will unterdessen auf den Königshof gehen und erzählen, eine Königstochter sei da; sie sei von Wegelagerern überfallen und all ihrer Habe und Kleider beraubt worden.«

Die Kötnerstochter tat, wie die Katze ihr sagte; sie legte ihre alten Lumpen ab und kletterte auf den Baum. Darauf lief die Katze ihres Weges; aber das Mädchen wartete in großer Angst, ob ihr Plan gelingen werde.

Als der König, der über das Land gebot, hören mußte, daß eine fremde Prinzessin solche Not und Gewaittat erlitten habe, war er sehr erbittert und schickte seine Diener aus, um sie zu sich einzuladen. Die junge Maid wurde erst reichlich mit Kleidern ausgestattet und allem, was sie sonst nötig hatte, und folgte darauf den Sendboten des Königs. Auf dem Königshof waren alle von ihrer Schönheit und ihren höfischen Manieren bezaubert; die größten Huldigungen aber brachte ihr der Königssohn selbst dar, und er meinte, nicht mehr ohne sie leben zu können. Aber die Königin witterte Unrat und fragte, wo die liebe Prinzessin ihren Königshof habe. Das Mädchen antwortete, wie die Katze ihr gesagt hatte:

»Ich wohne weit weg auf einem Schlosse, das heißt die Katzenburg. «

Die alte Königin war jedoch nicht zufrieden, sondern nahm sich vor, weiter auszuforschen, ob die fremde Jungfrau wirklich eine Königstochter sei oder nicht. Deshalb ging sie abends in das Fremdenzimmer, bereitete das Bett der Kötnerstochter mit weichen Seidenkissen, aber legte heimlich eine Bohne unter das Laken. Sie dachte nämlich bei sich: >Ist es eine Prinzessin, so wird sie es sicher merken.<

Die schöne Jungfrau wurde darauf unter großen Ehrenbezeigungen in ihr Schlafgemach geleitet. Aber die Katze merkte die List der Königin



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und erzählte es ihrer Herrin. Als der Morgen dämmerte, trat die Königin ein und fragte, wie der Gast in der Nacht geschlafen habe. Das Mädchen antwortete, wie die Katze ihr gesagt:

»O ja, ich habe ganz gut geschlafen, denn ich war sehr müde von meiner Wanderung. Aber es kam mir so vor, als läge ich auf einem großen Berge. In meinem Bett auf der Katzenburg schlief ich viel besser.

Die Königin glaubte jetzt zwar, daß die Jungfrau sehr vornehm erzogen sei, aber sie sagte im stillen zu sich selbst, sie wolle noch einmal die Wahrheit ihrer Aussage auf die Probe stellen.

Am andern Abend ging die Königin wieder in das Fremdenzimmer, bereitete das Bett des Kötnermädchens mit weichen, seidenen Kissen und legte ein paar Erbsen unter das erste Kissen; sie dachte nämlich bei sich: >Wenn sie wirklich eine Königstochter ist, wie sie behauptet, so wird sie es sicher merken.<

Das junge Mädchen wurde darauf unter großen Ehrenbezeigungen in ihr Schlafgemach geleitet. Aber die Katze hatte den Anschlag der Königin gemerkt und erzählte es ihrer Herrin.

Als der Morgen dämmerte, trat die Königin wieder ein und fragte ihren Gast, wie er die Nacht geschlafen habe. Das Mädchen antwortete, wie die Katze ihr gesagt:

»Ach ja, ich habe ganz gut geschlafen, denn ich war sehr müde; aber ich hatte das Gefühl, als ob ich auf großen Steinen läge. In meinem Bett in der Katzenburg schlief ich viel besser.«

Die alte Königin fand jetzt zwar, daß die Jungfrau ihre Probe bestanden habe. Aber doch konnte sie ihre Zweifel nicht ganz unterdrücken und nahm sich vor, noch einmal zu erproben, ob die fremde Jungfrau so vornehm sei, wie sie selbst sagte.

Als nun der dritte Abend kam, ging die Königin wieder in das Fremdenzimmer. bereitete das Bett der Kötnerstochter mit weichen Seidenkissen und legte einen Strohhalm unter das zweite Kissen. Sie dachte nämlich bei sich: >Wenn sie eine Königstochter ist, so wird sie es ganz gewiß merken.<

Das junge Mädchen wurde darauf unter großen Ehrenbezeigungen in ihr Schlafgemach geleitet. Aber die Katze merkte die List der Königin und warnte ihre Herrin.



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Als der Morgen dämmerte, trat die Königin ein und fragte ihren Gast, wie er die Nacht geschlafen habe. Das Mädchen antwortete, wie die Katze ihr gesagt:

»Oh, ich habe ganz gut geschlafen, denn ich war sehr müde; aber mir war so, als läge ich auf einem großen Baum. Als ich in meinem Bett auf der Katzenburg schlief, sorgte man besser für mich.«

Die Königin merkte jetzt wohl, daß sie auf solche Weise niemals die Wahrheit herauskriegen könne; deshalb beschloß sie, achtzugeben, wie sich die Jungfrau in allem übrigen benehmen würde.

Am folgenden Tage schickte die Königin ihrem Gaste ein prächtiges Kleid; das war mit Seide gestickt und hatte eine lange, lange Schleppe, wie sie vornehme Frauen zu tragen pflegen. Die Kötnerstochter dankte für das liebe Geschenk und machte sich keine weiteren Gedanken darüber. Aber die Katze war gleich zur Stelle und warnte ihre Herrin, die alte Königin wolle sie von neuem auf die Probe stellen.

Als einige Zeit vergangen war, fragte die Königin, ob die Prinzessin einen Spaziergang mit ihr machen wolle. Die Kötnerstochter erklärte sich gern bereit, und sie machten sich auf den Weg. Als sie nun in den Garten gekommen waren, nahmen die Hofdamen sich sehr in acht, daß sie nicht den Saum ihrer Kleider beschmutzten. Es hatte nämlich in der Nacht geregnet; aber die fremde Jungfrau wanderte ihres Weges, ohne sich darum zu kümmern, ob ihre lange Schleppe auf dem Boden schleife. Da sagte die Königin:

»Liebe Prinzessin, gebt auf Euer Kleid acht!«

Die Kötnerstochter antwortete stolz:

»Oh, Ihr habt wohl mehr Kleider als dies eine. Als ich noch in meinem Schloß auf der Katzenburg war, da hatte ich es viel besser.«

Jetzt war die alte Königin ganz überzeugt, daß die Jungfrau immer nur seidene Kleider getragen habe, und sie zog daraus den Schluß, sie müsse eine Königstochter sein. Die Königin legte darum der Werbung ihres Sohnes kein weiteres Hindernis in den Weg, und die Kötnerstochter gab schließlich auch ihr Jawort und ihre Einwilligung.

Einmal saßen der Prinz und seine Braut zusammen und sprachen miteinander. Da blickte die Jungfrau zum Fenster hinaus und bemerkte



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ihre beiden Eltern, wie sie aus dem Walde gelaufen kamen; die Alte mit dem Topf voran und der Alte mit der Kelle hinterdrein.

Da konnte das Mädchen sich nicht halten, sondern brach in lautes Lachen aus. Der Prinz fragte, worüber sie so herzlich lache.

Da antwortete die Jungfrau, wie die Katze ihr gesagt: »Ich kann nichts dafür, ich muß lachen, wenn ich daran denke, daß Euer Schloß nur auf Steinpfählen steht, aber mein Schloß steht auf Goldpfählen.«

Als der Prinz das hörte, wunderte er sich sehr und sagte:

»Immer steht dein Sinn nach der schönen Katzen burg. Da mußt du ja alles besser und reicher haben als hier bei uns. Wir müssen mal hinfahren und deine schöne Katzenburg sehen, mag der Weg noch so weit sein.«

Bei diesen Worten war der Kötnerstochter schlecht zumut. Sie glaubte, in die Erde versinken zu müssen; sie wußte ja sehr wohl, daß sie keinen Hof habe, viel weniger noch ein Schloß. Aber es war nichts zu machen; sie ließ deshalb nichts merken, sondern sagte, sie wolle sich überlegen, welcher Tag sich am besten für die Reise eigne.

Als nun die Jungfrau für sich allein war, gab sie sich ganz ihrer Verzweiflung hin und weinte bitterlich; denn sie dachte daran, was für eine Schande es für sie sein würde, wenn man ihre Eitelkeit und Falschheit entdeckte. Während sie noch so weinte, kam die kluge Katze herein, schmiegte sich an ihr Knie und fragte, warum sie so traurig sei. Die Kötnerstochter erwiderte: »Ich kann ja nicht anders, ich muß traurig sein. Der Königssohn hat mir gesagt, wir wollten nach der Katzenburg reisen, und nun muß ich es teuer entgelten, daß ich deinem Rat gefolgt bin.«

Aber die Katze hieß sie guten Mutes sein; sie würde es so einrichten, daß alles besser ausliefe, als sie sich vorstellen könnte. Zugleich erklärte sie ihrer Herrin, sie müßten sich sofort auf den Weg begeben, je eher, desto besser. Da nun die Jungfrau schon so viele Beweise von der Klugheit der Katze hatte, so war sie gern einverstanden, aber diesmal doch mit schwerem Herzen; denn sie konnte sich nicht anders denken, als daß ihre Fahrt ein schimpfliches Ende nehmen würde. Früh am Morgen ließ der Königssohn Wagen und Pferde



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zurüsten und alles, was man sonst noch für die lange Reise nach der Katzenburg nötig hatte. Darauf setzte sich der Zug in Bewegung. Der Prinz und seine Braut fuhren voran, in einem vergoldeten Wagen mit sieben Glasscheiben; viele Ritter und Pagen begleiteten sie, und die Katze lief voraus, um den Weg zu zeigen, wie sie es selbst gewünscht hatte. Als sie so eine Weile gefahren waren, da sah die Katze einige Hirten, die eine große Schar der allerprächtigsten Ziegen auf der Weide hüteten. Da ging sie zu den Hirten, grüßte sie freundlich und sagte:

»Guten Tag, ihr Hirten! Wenn der Königssohn vorbeifährt und fragt, wem die schönen Ziegen gehören, so sollt ihr antworten, sie gehören der jungen Prinzessin auf der Katzenburg, die an der Seite des Prinzen fährt. Wenn ihr das tut, werdet ihr reich belohnt werden. Tut ihr es nicht, so werde ich euch in Stücke reißen.«

Als die Hirten solche Worte vernahmen, waren sie sehr erstaunt und versprachen der Katze, ihren Wunsch zu erfüllen. Sie lief darauf ihres Weges.

Aber nach einer Weile kam der Königssohn mit seinem ganzen Hof vorbeigefahren. Als er nun die schönen Ziegen auf der Weide bemerkte, hielt er seinen Wagen an und fragte die Hirten, wem die prächtige Herde gehöre. Die Ziegenhirten antworteten, wie die Katze es ihnen gesagt: »Die Ziegen gehören der jungen Prinzessin auf der Katzenburg, die an Eurer Seite fährt.«

Da wunderte sich der Königssohn sehr und dachte bei sich, seine Braut müsse eine stolze Prinzessin sein; aber die Kötnerstochter wurde frohen Sinnes und fand, sie habe bei der Erbteilung mit ihrem Bruder keinen schlechten Tausch gemacht. Sie zogen nun weiter, und die Katze lief voran, wie sie es zu tun pflegte. Als sie eine Weile gefahren waren, trafen sie eine Menge Leute, die auf einer Wiese Heu einfuhren. Da ging die Katze hin, begrüßte sie freundlich und sagte: »Guten Tag, liebe Leute. Wenn der Königssohn vorbeifährt und fragt, wem die schöne Wiese gehört, so sollt ihr antworten: sie gehört der Prinzessin auf der Katzenburg, die an der Seite des Prinzen fährt. Wenn ihr das tut, werdet ihr reich belohnt werden; tut ihr nicht so, wie ich gesagt habe, so werde ich euch in tausend Stücke reißen.«



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Als die Männer das hörten, waren sie sehr betroffen und gelobten der Katze, ihren Wunsch zu erfüllen. Darauf lief sie ihres Weges. Aber als eine Weile vergangen war, kam der Königssohn mit seinem Gefolge gefahren. Als er nun die fruchtbare Wiese bemerkte und die vielen Leute, ließ er seinen Wagen halten und fragte, wem das Land gehöre. Die Männer antworteten, wie die Katze es ihnen gesagt: »Die Wiese gehört der jungen Prinzessin auf der Katzenburg, die an Eurer Seite fährt.«

Da wunderte sich der Königssohn noch mehr und dachte bei sich, seine Braut müsse über die Maßen reich sein.

Sie zogen nun weiter; und die Katze lief wie immer voran. Als sie eine Weile gefahren waren, kamen sie zu einem mächtig großen Ackerland; aber auf dem Acker war ein Gewimmel von Männern und Frauen, die gerade beim Mähen waren.

Da ging die Katze zu dem Schnittervolk hin und grüßte und sagte: »Guten Tag, liebe Freunde! Glück zur Arbeit! Wenn der Königssohn hier gleich vorbeigefahren kommt und fragt, wem die großen Kornfelder gehören, dann sollt ihr antworten: sie gehören der Prinzessin auf der Katzenburg, die an der Seite des Prinzen fährt. Wenn ihr das sagt, werdet ihr reich belohnt werden; handelt ihr aber wider mein Gebot, so werde ich euch in so kleine Stücke reißen wie die Blätter, die im Herbst auf dem Boden liegen.«

Als die Schnitter solche Worte hörten, waren sie sehr bestürzt und versprachen, so zu antworten, wie die Katze es verlangte. Darauf lief sie ihrer Wege.

Aber nach einer Weile kam der Königssohn mit seinem Hof vorbeigefahren. Als er die großen Felder sah, ließ er seinen Wagen halten und fragte, wem das schöne Ackerland gehöre.

Die Schnitter antworteten, wie die Katze es ihnen gesagt: »Die Felder gehören der jungen Prinzessin auf der Katzenburg, die an Eurer Seite fährt.«

Jetzt wurde der Königssohn über die Maßen froh, aber die Kötnerstochter wußte nicht recht, was sie von all ihren Reiseerlebnissen halten sollte.

Es war schon spät am Abend, und der Prinz machte mit seinem Hof halt, um zu übernachten.



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Aber die Katze ruhte nicht, sondern lief immer weiter, bis sie eine prächtige Burg sah; die war hoch aufgebaut mit Türmen und Zinnen und stand auf goldenen Pfählen. Die prächtige Burg gehörte einem grausamen Troll, der herrschte über die ganze Gegend. Aber er war gerade nicht zu Hause. Die Katze lief daher zum Burgtor hinein und verwandelte sich in ein großes Stück Brot. Darauf steckte sie sich in das Schlüsselloch und wartete, bis der Riese wieder nach Hause käme. Früh am Morgen, vor Tagesgrauen, kam der häßliche Riese aus dem Walde getrottet; er war so groß und schwer, daß der Boden zitterte, wo er hintrat. Als er jetzt an das Burgtor kam, konnte er es nicht aufkriegen wegen des großen Brotes, das im Schlüsselloch steckte. Da wurde er furchtbar zornig und rief:

»Mach auf! Mach auf!«

Die Katze erwiderte:

»Warte nur ein kleines Weilchen, erst will ich dir meine Geschichte erzählen:

Erst dörrten sie mich und dörrten mich fast zu Tode

»Mach auf! Mach auf!« schrie der Riese wieder.

Aber die Katze antwortete wie vorher:

»Warte nur ein kleines Weilchen, erst will ich dir meine Geschichte erzählen:

Erst dörrten sie mich und dörrten mich fast zu Tode; dann mengten sie mich und mengten mich fast zu Tode

»Mach auf! Mach auf!«schrie der Riese erbittert; aber die Katze fuhr von neuem fort:

»Warte nur ein kleines Weilchen, erst will ich dir meine Geschichte erzählen:

Erst dörrten sie mich und dörrten sie mich fast zu Tode; dann mengten sie mich und mengten mich fast zu Tode; dann piekten sie mich und piekten mich fast zu Tode

Jetzt wurde der Riese zornig und brüllte so laut, daß die ganze Burg wackelte:

»Mach auf! Mach auf!«

Aber die Katze ließ sich nicht stören, sondern sagte wie vorher:

»Warte nur ein kleines Weilchen, erst will ich dir meine Geschichte erzählen:



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Erst dörrten sie mich und dörrten mich fast zu Tode; dann mengten sie mich und mengten mich fast zu Tode; dann piekten sie mich und piekten mich fast zu Tode; dann buken sie mich und buken mich fast zu Tode!« —

Da wurde dem Riesen ängstlich zumut, und er bat so schön, ach, so schön:

»Mach auf! Mach auf!«

Aber es half ihm nichts, das Brot saß noch immer wie vorher im Schlüsselloch. Im selben Augenblick rief die Katze: »Ach, sieh da, die schöne Jungfrau, die zum Himmel hinaufreitet!«

Als der Troll sich umdrehte, ging gerade die Sonne über dem Walde auf. Aber als der Riese in die Sonne sah, fiel er rücklings um und platzte, und da war er tot.

Das Brot verwandelte sich jetzt wieder in eine Katze, und sie beeilte sich, alles für ihre Gäste in Ordnung zu bringen. Als dann eine Weile vergangen war, kam der Königssohn mit seiner jungen Braut und seinem ganzen Hofe angefahren. Die Katze lief ihnen entgegen und hieß sie auf der Katzenburg willkommen. Sie wurden jetzt auf das allerprächtigste bewirtet, und es fehlte weder an Speise und Trank noch anderer köstlicher Verpflegung.

Aber das schöne Schloß war so voll Gold, Silber und allerhand Kostbarkeiten, daß niemand weder vorher noch nachher je dergleichen gesehen hat.

Kurz darauf fand die Hochzeit des Prinzen mit der schönen jungen Maid statt, und alle, die ihren Reichtum sahen, fanden es vollauf berechtigt, daß sie gesagt hatte: »In meinem Schloß auf der Katzenburg hatte ich es viel besser.«

Der Königssohn und die Kötnerstochter lebten jetzt viele, viele Jahre lang glücklich zusammen; aber wie es der Katze ergangen ist, habe ich nicht in Erfahrung bringen können; es läßt sich aber wohl denken, daß sie keine Not gelitten hat.