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Märchen aus Polen Ungarn und der SlowakeiMärchen europäischer Völker Nach alten Vorlagen unter Heranziehung
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Dem Hecht ist's recht. Mein Wunsch ist Befehl. Drum soll jetzt ganz schnell dies und das geschehen.« |
»Dem Hecht ist's recht. Mein Wunsch ist Befehl. Drum soll jetzt ganz schnell Zwiebel, Wurst und Wein hier sein!« |
»Du hast dein Versprechen gehalten, doch sage mir, lieber Hecht, wird das auch immer so bleiben?«
»Gewiß«, antwortete der Fisch, »also jetzt lasse mich frei!«
Der Faule ließ den Hecht vorsichtig zurück ins Wasser gleiten, stellte sich neben seine vollen Wassereimer und sagte:
»Dem Hecht ist's recht. Mein Wunsch ist Befehl. Drum soll'n jetzt ganz schnell die Eimer selber zum Hause gehn!« |
Inder Küche angekommen, kroch er schnell wieder auf seinen Lieblingsplatz beim Ofen, und bald darauf konnte man sein lautes Schnarchen im ganzen Hause hören. Doch seine beiden Schwägerinnen ließen ihn nicht lange ruhen.
»Steh auf, Fauler, und hacke uns ein wenig Brennholz, wir wollen im Herde Feuer machen!« riefen sie.
»Braucht ihr denn mich dazu? Könnt ihr es denn nicht selbst tun?«
»Holzhacken ist keine Frauenarbeit, und wenn du es nicht tun willst, lassen wir dich auf deinem Ofen erfrieren. Und eine rote Mütze, Schuhe und Gürtel wirst du auch nicht bekommen!«
Janek hörte ihren Worten kaum zu, drehte um und murmelte nur vor sich hin:
»Dem Hecht ist's recht. Mein Wunsch ist Befehl. Drum soll jetzt ganz schnell geschehen, was sie wünschten!« |
»Janek«, riefen nach einigen Tagen wiederum die beiden Schwägerinnen. »Unser Holzvorrat ist erschöpft, und auch im Speicher sind keine Klötze mehr. Gehe in den Wald, um frisches Holz zu holen. Weigere dich nicht, denn du weißt ganz gut, daß du sonst deine rote Mütze, roten Schuhe und deinen roten Gürtel nicht bekommen wirst!«
Diesmal gehorchte der Faulpelz sogleich und ohne zu zögern, denn er wollte jedem im Dorfe zeigen, was er konnte. Er kroch deshalb schnell vom Ofen herunter, nahm Mantel und Mütze, ging in den Hof, zog den Schlitten aus dem Schuppen, vergaß auch nicht, einen reichlichen Vorrat von Zwiebeln, Wurst und Wein mitzunehmen, nahm die Peitsche zur Hand und machte sich's im Schlitten bequem. Er sagte sein Sprüchlein auf, und der Schlitten setzte sich sogleich in Bewegung und sauste mit Blitzesschnelle dem Walde zu.
Der Weg führte ihn durch eine kleine Stadt, in der gerade Markttag abgehalten wurde. Die Leute liefen neugierig herbei, um den wunderbaren Schlitten zu sehen, der ohne Pferdegespann dahinflog. Und da viele nicht schnell genug ausweichen konnten, wurden diese vom Schlitten zur Seite geschleudert. Frauen und Kinder liefen erschreckt in die Häuser zurück.
Janek aber fuhr unbekümmert weiter, und als er im Walde angekommen
war, ließ er sich gemächlich auf einem Baumstümpfe nieder und rief:»Dem Hecht ist's recht. Mein Wunsch ist Befehl. Drum soll jetzt ganz schnell das Holz gehackt und zu Bündeln geschnürt auf meinem Schlitten sich türmen!« |
»Dem Hecht ist's recht. Mein Wunsch ist Befehl. Drum sollen jetzt ganz schnell die Knüppel zuschlagen!« |
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich im Lande die Kunde von Janeks seltsamen Taten, und von weit und breit strömte neugieriges Volk
herbei, um den Wundermann zusehen. So groß war sein Ruhm, daß er sogleich bis zu den Ohren des Fürsten drang. Auch dieser war neugierig geworden und sandte deshalb seinen Wojwoden aus, um Janek zu holen. »Komm vom Ofen herunter, Janek!« rief ihm der Wojwode zu, als er in die Küche trat. »Mache dich fertig und folge mir zum Fürsten!«»Wozu sollte ich denn? Ich habe doch reichlich Zwiebeln, Wurst und Wein zu Hause, und mehr begehre ich nicht!«
Für diese kecken Worte gab ihm der erzürnte Wojwode einen Klaps hinter die Ohren, doch Janek lächelte ungerührt, und ohne seinen warmen Platz zu verlassen, murmelte er sein Sprüchlein:
»Dem Hecht ist's recht. Mein Wunsch ist Befehl. Drum soll jetzt ganz schnell der Besen sich eilen und ihn verhauen!« |
Einige Tage darauf sandte der Fürst einen anderen Boten, der viel vorsichtiger zu Werke ging. Er hörte bald von Janeks sehnlichem Begehren und sagte, sich tief zur Erde neigend, zu dem auf dem Ofen liegenden Faulen:
»Janek, komm und folge mir zum Fürsten! Er hat eine rote Mütze und einen roten Gürtel und ein Paar rote Schuhe für dich bereit.« Und Janek ließ sich überlisten:
»Wenn sich die Sache so verhält, wie Ihr sagt«, rief er, »will ich Euch gerne folgen. Fahrt nur voraus, ich werde Euch schon einholen!«
Der Bote gehorchte, und Janek ließ sich in seiner Lieblingsbeschäftigung nicht stören - er aß Zwiebeln und Wurst und trank den süßen Most dazu. Er streckte sich gemütlich beim Ofen aus, gähnte und
war bald darauf fest eingeschlafen. Seine beiden Schwägerinnen sahen diesem Treiben eine Weile zu, weckten ihn schließlich und trieben ihn zur Eile an. Doch der Faule hatte keine Eile, er öffnete seine Augen ein wenig, drehte sich zur Seite und murmelte:»Dem Hecht ist's recht. Mein Wunsch ist Befehl. Drum soll jetzt ganz schnell der Ofen mich zum Fürsten tragen!« |
»Ich heiße Janek und bin ein Fauler. Ich liebe es, Zwiebel und Wurst zu essen und Most zu trinken. Auf Euer Geheiß kam ich hierher, um mir die versprochenen roten Schuhe, den roten Gürtel und die rote Mütze zu holen!«
Die wunderschöne Tochter des Fürsten war inzwischen auch auf den Balkon getreten. Janek sah sie an und wußte sogleich, daß es um ihn geschehen war. Leise flüsterte er sein Zaubersprüchlein:
»Dem Hecht ist's recht. Mein Wunsch ist Befehl. Drum soll jetzt ganz schnell des Fürsten Tochter meine Braut werden!« |
wiederum in der Küche angelangt, und der Ofen stand an seinem gewohnten Platze.
Doch auch um die Ruhe der Prinzessin war es geschehen, denn auch ihr gefiel Janek gar sehr, und sie sehnte sich danach, ihn wiederzusehen. Sie bat und flehte ihren Vater so innig an, daß der Fürst schließlich ihrem Drängen nachgeben mußte und wiederum einen Boten aussandte, um den Faulen zu holen. Janek jedoch wollte von einer neuerlichen Fahrt zur Burg nichts wissen und weigerte sich hartnäckig. Dem Boten blieb nichts anderes übrig, als ihn zu überwältigen und ihn gefesselt vor den Fürsten zu bringen. All das erboste den Fürsten über alle Maßen. Er berief einen bösen Zauberer und befahl diesem, seine eigene Tochter und den Faulen zur Strafe in ein gläsernes Faß zu setzen und dieses dann festverschlossen durch die Lüfte fliegen zulassen. Das geschah, und leicht wie ein Vogel entschwebte der gläserne Käfig in die blaue Ferne. Die arme Prinzessin saß an Janeks Seite, weinte bitterlich und bat ihn inständig, sie zu befreien. »Mir macht das Fliegen viel Vergnügen, doch will ich mich deinem Wunsche fügen«, sagte der Faule, und leise setzte er hinzu:
»Dem Hecht ist's recht. Mein Wunsch ist Befehl. Drum, gastliche Insel, nimm uns bei dir auf!« |
Das Glück war ihnen hold, denn sie waren auf einer Insel gelandet, die die wunderbare Kraft besaß, jeden Wunsch ihrer Einwohner zu erfüllen. Die beiden freuten sich ihres Daseins und ließen es sich wohl ergehen. Essen und Trinken gab es in Hülle und Fülle. Die Tische waren jederzeit gastlich gedeckt und verschwanden lautlos, sobald die Mahlzeiten beendet waren. Dem Faulen gefiel es auf dieser
Insel, doch die Prinzessin begann sich nach einem Schlosse zu sehnen und bat Janek, ein solches herbeizuwünschen. Wiederum half das Zaubersprüchlein, und vor ihren erstaunten Augen erhob sich plötzlich ein weißes Marmorschloß, mit Fenstern von blitzendem Bergkristall. Die Wände und Decken waren aus durchsichtigem Meerschaum, und vergoldete Möbel schmückten die Säle.Nach einiger Zeit begann sich des Fürsten Töchterlein einsam zu fühlen, und sie bat Janek, eine Verbindung mit dem Schlosse ihres Vaters herzustellen. Er folgte willig ihrem Wunsche und sprach:
»Dem Hecht ist's recht. Mein Wunsch ist Befehl. Drum soll jetzt ganz schnell die Bitte der Prinzessin erfüllt werden!« |
Als sie am nächsten Morgen erwachten, spannte sich eine wunderbare Brücke auf weiten Bögen übers Meer und reichte bis zum Schloß des Fürsten.
Bevor sie den Weg über die Brücke antraten, kam es Janek in den Sinn, daß er ja gar nicht zu der klugen und vornehmen Tochter des mächtigen Fürsten passe. Er nahm sich vor, zum letzten Male die Hilfe des Hechtes zu erbitten. Er sprach:
»Dem Hecht ist's recht. Mein Wunsch ist Befehl. Drum will ich jetzt schnell klug und vornehm werden!« |
Da wurde gegessen, da wurde getrunken.
In Strömen floß der Wein beim fröhlichen Schmaus.
Es wurde getanzt, gelacht und gesungen -
—und damit ist nun die Geschichte aus.
Gott weiß zu bestrafen
Es war einmal ein Landmann, der einen großen Bauernhof sein eigen nannte und dem nichts zum Wohlleben fehlte. In seinen Ställen stand das schönste Vieh, seine Pferde waren die feurigsten im Dorfe, und in seinen Gärten und Feldern blühte und reifte alles aufs beste.
Eines Abends bewirtete er einige Freunde und sprach zu ihnen: »Selbst wenn mein Gut dem Feuer zum Opfer fallen sollte und in Schutt und Asche aufginge, wäre es mir gleich!«
Er dachte hierbei an den schönen Batzen Geldes, den er sich im Laufe der Jahre zurückgelegt hatte. Und siehe da: Er hatte das Schicksal mit seinen lästernden Worten beschworen!
Einer seiner Freunde, der gerade auf den Hof gegangen war, stürzte in die Stube zurück und rief erregt:
»Feuer! Feuer! Die Ställe brennen lichterloh!«
»Wenn's brennt, laß es nur brennen!«beruhigte ihn der Hausherr, und als alle helfen wollten, das Feuer zu löschen, hielt er sie davon ab. So brannten Haus und Hof bis zum Grunde nieder, und alles lag in Asche. Doch der Bauer nahm es auf die leichte Schulter. Er hatte doch seine Ersparnisse in der Erle am Bache versteckt und konnte sich von diesem Gelde ein neues und noch viel schöneres Gut aufbauen. Doch es kam anders! Durch einen Wolkenbruch angeschwollen, trat das Wasser aus den Ufern und riß die Erle mit sich. So geschah es, daß der wohlhabende, überhebliche Mann über Nacht zum Bettler geworden war und nun, um sein Brot zu verdienen, Botengänge verrichten mußte. Eines Abends wurde er auf einem dieser Botengänge von der hereinbrechenden Nacht überrascht. Er kehrte bei einem reichen und gutherzigen Bauern ein und bat ihn um ein Nachtlager. Nach dem Abendessen, als sie gemütlich um den Tisch
herum saßen, erzählte einer dem anderen seine Erlebnisse. Der Bote erzählte seinem Gastgeber und seiner Frau von jener Zeit, da auch er ein sorgenloses Dasein geführt hatte, und wie dann eine Feuersbrunst seinem Wohlstande ein Ende gesetzt hätte.»Ich hatte zwar«, fügte er hinzu, »eine hübsche Summe Geldes zurückgelegt, die ich fürsorglich in einer Erle beim Bache verwahrte. Doch das Wasser hat meine Erle fortgetragen und mit ihr all mein Hab und Gut. So muß ich denn nun als Bote mein Dasein fristen und bin auf die Güte und Freigebigkeit meiner Mitmenschen angewiesen.«
Als der Bauer dieses seltsame Geschick vernahm, schaute er bedeutungsvoll seine Frau an. Die Erle, von der der Bote gesprochen hatte, war ihnen eines Morgens vom Bache zugetragen worden. Als sie den Baum entzweisägten, um Spaltholz daraus zu machen, fanden sie im Stamme zu ihrer großen Überraschung das viele Geld. Der Bauer und seine Frau berieten nun in ihrer Kammer, was sie tun sollten und auf welche Weise sie dem armen Boten seine Habe am besten zurückerstatten könnten, so daß er nicht ahnen sollte, woher es tatsächlich gekommen war.
»Weißt du, wie wir es am besten anstellen?« rief der Bauer. »Wir werden von einem Laib Brot den Boden wegschneiden, werden das Brot aushöhlen, mit dem Gelde füllen und die Öffnung dann wieder mit der Rinde verschließen. Dieses Brot wollen wir dem Boten dann als Wegzehrung mitgeben.«
Die Frau war einverstanden, und der Plan wurde ausgeführt. In der Frühe, als der Bote zum Gehen bereit war, reichten sie ihm den Laib Brot und sagten:
»Hier ist etwas für unterwegs -Ihr werdet es sicherlich gut gebrauchen können!«
Der Bote nahm dankend das Brot in Empfang, steckte es in seine Tasche, die er über die Schulter geworfen hatte, und machte sich auf den Heimweg.
Unterwegs begegnete er einigen wandernden Kaufleuten, die von Dorf zu Dorf zogen, um Kühe und Schweine zu kaufen. Sie erkannten
den Boten, denn auch von ihm hatten sie einst manches grunzende Schweinchen gekauft, und sie fragten ihn, ob er wieder mal auf seinem Hofe etwas für sie zum Kauf habe. »Ich hatte -ich hatte«, seufzte der arme Mann. »Doch hat mich Unheil befallen, mein Gut brannte nieder, und ich bin ein Bettler und Landbote geworden.« Er erinnerte sich an den Laib Brot, den er in der Tasche trug, und fügte hinzu: »Hier kauft mir dieses frische Brot ab. Ich bin nicht hungrig, und es macht mir nur Mühe, es zu tragen. Die paar Groschen, die ihr mir dafür geben werdet, können mir auf meinem Wege gewiß nützlicher sein!«Die Kaufleute waren es zufrieden, gaben ihm einige Groschen und gingen ihres Weges. Sie kamen bald zu dem Gehöft des gutherzigen Bauern, bei dem der Bote übernachtet hatte, und fragten ihn, ob er in seinem Staue Vieh zum Verkauf habe.
»Ich habe nichts für euch«, antwortete der Bauer, »doch kommt in die Stube und ruht ein wenig aus. Ich will euch schnell einen Imbiß holen.«
»Macht Euch keine Mühe, Gevatter«, riefen die Kaufleute, »wir haben unterwegs von einem armen Boten diesen frischen Laib Brot erstanden und wollen ihn jetzt verzehren!«
Der Bauer und die Bäuerin erschraken gar sehr bei diesen Worten und ahnten wohl, was sich zugetragen hatte! Und als dann die Kaufleute das Brot auf den Tisch legten, sahen sie, daß ihre Befürchtung berechtigt war und hier das von ihnen so sorgfältig bereitete Brot, in dem sie dem armen Manne sein Eigentum hatten zurückgeben wollen, wiederum auf ihrem Tische lag. Der Bauer winkte seiner Frau zu und sagte zu den Kaufleuten:
»Folgt mir in den Stall, vielleicht wird sich doch das eine oder das andere Stück finden, das ihr kaufen könnt!«
»So laßt uns gehen!« riefen die Kaufleute und eilten aus der Stube. Die Frau, die nicht dumm war, hatte den Wink, den ihr Mann ihr noch vorm Verlassen der Stube gegeben hatte, wohl verstanden. Sie eilte in die Küche, holte schnell einen andren Laib Brot, legte ihn auf den Tisch und versteckte den anderen. Als die Gäste aus dem
Staue zurückkamen, ließen sie sich's gut schmecken, verabschiedeten sich bald und zogen ihres Weges. Nach einiger Zeit kam der Bote wiederum mit einem Schreiben in das Gehöft und wurde von dem Bauern und seiner Frau voll Freude empfangen. Die beiden waren glücklich, ihn wiederzusehen, und hofften, daß es ihnen gelingen werde, ihm diesmal das Geld unbemerkt zurückzuerstatten. Sie bewirteten ihn aufs beste, bereiteten ein bequemes Nachtlager für ihn vor, und als er am Morgen das Gehöft verlassen wollte, wickelten sie das Geld in ein Tuch und legten es in seine Tasche.Der Weg führte den Boten durch den Obstgarten des Bauern. Er sah die reifen, roten Äpfel einladend von den Ästen hängen und konnte der Versuchung nicht widerstehen.
»Oh, was für schöne Äpfel!« rief er. »Ich will mir einige mit auf den Weg nehmen!«
Er hängte seine Tasche auf einen Ast und streckte seine Arme nach den Äpfeln aus. Im selben Augenblicke erblickte er jedoch den Bauern, der ebenfalls in den Garten gekommen war. Voll Schreck, bei einem Diebstahl ertappt zu werden, lief der arme Bote davon und ließ die Tasche am Baume hängen. Der Bauer nahm sie vom Ast herunter, schüttelte traurig den Kopf und seufzte:
»Ach, der arme Kerl! Er erschrak so sehr, daß er seine Tasche vergaß !«
Nach einigem Überlegen fügte er hinzu:
»Er muß über den kleinen Steg gehen, der über unseren Bach führt! Wenn ich durchs Gestrüpp entlang des Baches eilen werde, vermag ich noch vor ihm dort anzulangen und kann ihm unbemerkt die Tasche auf den Steg legen, wo er sie sicherlich finden wird!«
Er führte sein Vorhaben aus, legte die Tasche nieder, sich selbst aber verbarg er in den Büschen, um zu beobachten, was nun geschehen werde. Es dauerte nicht lange, und der Bote kam zu der schmalen Brücke. Er blieb nachdenklich stehen und sprach laut zu sich selbst:
»Wie glücklich bin ich doch, daß ich gute, gesunde Augen habe und durch Botengänge meinen Lebensunterhalt verdienen kann! Wie furchtbar wäre es, wenn ich blind würde -wie könnte ich dann noch
über einen so schmalen Steg gehen? Ich will doch mal versuchen, ob es mir überhaupt gelänge, hinüberzukommen!«Und er schloß die Augen, tappte vorsichtig mit seinem Wanderstab vor sich hin, überschritt die Tasche mit dem Gelde und ging weiter, ohne sich auch nur umzusehen.
Der gute Bauer saß da wie vom Schlage gerührt und wollte seinen Augen nicht trauen! Dann aber sagte er: »Der hat sicherlich unseren Herrgott sehr verärgert und muß nun dafür büßen!«
MÄRCHEN AUS UNGARN
Die verwunschene Ente
Es war einmal ein armer Mann, der hatte so viele Kinder, wie das Sieb Löcher hat, und noch eins dazu. Und wiederum bekam seine Frau mit einem Schlage zwei Kinder. Da sagte der arme Mann zu seiner Frau:
»Na, Frauen im Dorf sind schon alle vom Niedrigsten bis zum Höchsten unsere Gevattern; ich habe mir nun gedacht, ich werde sie ins Nachbardorf zum Taufen tragen, denn wir laden zu Gevatter und haben nicht mal das, was wir für uns selber brauchen.«
Die Frau antwortete: »Tragt sie nur ins Nachbardorf, Vater, und laßt sie taufen! Gott wird uns deswegen nicht strafen, denn er sieht ja, daß wir in Not sind.«
Da packte der Arme die beiden Kinder in einen Rucksack, nahm sie auf die Schulter und trug sie fort. Als er am Ende der Stadt angelangt war, sah er, wie gerade ein Kaufmannsgraf mit vier Pferden daherkam. Und da der Graf sah, daß ein armer Mann kam, sagte er zum Kutscher:
»Sieh, dort kommt ein armer Mann; wenn wir bei ihm sind, dann halte an, damit ich ihm das Lamm abkaufe.« Und der Graf rief den armen Mann an:
»Nun, armer Mann, gib mir das Lamm, damit ich's dir abkaufe!« Der Arme sprach: »Ho ho, Vater Graf, treibt nicht Euren Spott mit mir, ich trage kein Lamm, sondern zwei Kinder zur Taufe.« Da fragte ihn der Graf: »Warum trägst du sie ins Nachbardorf zum Taufen?
»Weil meine Kinder so viele sind, wie das Sieb Löcher hat.«
»Nun, armer Mann, gib mir die beiden Kinder, damit ich sie dir abkauf e!«
»Lieber Vater Graf, habt die Güte und wartet ein bißchen, damit ich nach Hause gehe und meine Frau frage, ob ich sie verkaufen darf oder nicht.«
Der arme Mann eilte heim und fragte seine Frau. Sie antwortete ihm: »Geht, Vater, gebt sie hin! Gott wird uns nicht strafen, denn er sieht, daß wir kaum von einem Tag zum anderen zu leben haben.«
Der arme Mann rannte zum Grafen zurück. »Lieber Herr Graf, meine Frau hat gesagt, wir wollten Euch die beiden Kinder geben, für soviel Geld, wie sie wiegen.«
»Du armer Mann, laß uns in die Stadt gehen, um eine Waage zu erbitten, daß wir sie dort wiegen. Wenn ich dir nun aber beide Hälften deines Rucksacks mit Silber und Gold fülle, wär's dann recht?« »Es wäre schon recht, lieber Vater Graf!«
Da füllte der die beiden Hälften des Rucksacks, nahm die kleinen Kinder in den Wagen und sagte zum Kutscher:
»Kehre gleich um und eile dich so, daß du meinst, auf jeder Station werden vier Pferde verrecken; und wenn sie auch krepieren, so nehmen wir sofort andere.«
Die Gräfin hört, was für ein großes Gepolter da ist, läuft hinaus zum Tor und sieht, daß ihr Mann so jagen läßt, als wäre er blind. Gleich läßt sie das Tor öffnen, und mit verhängten Zügeln sprengt ihr Mann herein. Sofort aber hält er die Pferde auf dem Hofe an, und seine Gemahlin fragt ihn: »O mein Herzlieb, meine Augenweide, was ist die Ursache, daß du so schnell heimgejagt bist?«
»O liebe Frau, ich bringe, was uns mangelte, zwei kleine Kinder!« Die Gräfin greift zu, nimmt sie gleich vom Wagen herunter, und da sieht sie, daß eins ein Knabe, das andere ein Mädchen ist. Ungesäumt tauft sie sie, und zwar den Knaben »Blütensohn Janos«, das Mädchen hingegen »Grünhaarige Marzella«. Sie stellt auch gleich eine Amme für sie an.
Und die Kinder wuchsen so schnell heran, daß sie am dritten Tag
schon so groß waren, als ob sie dreizehn Jahre wären. Da schickte der Graf sie in die Schule. Als es drei Tage waren, daß sie in die Schule gingen, wußte Blütensohn Janos schon mehr als der Lehrer. Das Mädchen, die Grünhaarige Marzella, ging noch eine Woche länger zur Schule als ihr Bruder.Da sagte die Gräfin zu ihrem Mann:
»O mein Herzlieb, meine Augenweide, wie gern würde ich auch zur Messe gehen, um zu sehen, wer da alles ist.« Der Graf sagt: »Wem sollen wir die Läden überlassen?« Die Gräfin antwortet: »Wir setzen die beiden Kinder in die beiden Läden; denn sie verstehen sich aufs Verkaufen gut.« Der Graf sagt: »Wir wollen den beiden Kindern zwei Futtersäcke mit Geld geben; damit sollen sie spielen, bis wir zurückkommen; die beiden Läden aber schließen wir zu.« — Drauf reiste der Graf mit seiner Gemahlin zur Messe. Zu Hause fingen der Knabe und das Mädchen an, Karten zu spielen. So lange spielten sie, bis die Grünhaarige Marzella dem Blütensohn Janos alles Geld abgewonnen hatte. Da sagte Blütensohn Janos: »Liebe Schwester, sei so gut und leih mir ein Geldstück!«
Die Grünhaarige Marzella sagt: »Einem, der so gescheit ist wie du, gebe ich nicht mal einen Kreuzer!«
Blütensohn Janos sagt: »Nun, Schwester, dann leihe mir ein Geldstück auf meinen Rock.« Die Grünhaarige Marzella sagte: »Hier ist das Geldstück!«
Von neuem begannen sie zu spielen. Die Grünhaarige Marzella gewann wiederum dem Blütensohn Janos das Geldstück ab. Wiederum sagt Blütensohn Janos:
»Schwester, gib mir ein Geldstück auf meinen Hut!«
Nachdrücklich sagt sie: »Schau, hier ist dein Geldstück!«
Wiederum begannen sie zu spielen. Wiederum gewann die Grünhaarige Marzella das Geldstück Blütensohn Janos ab. Und jetzt sagt Blütensohn Janos:
»Grünhaarige Marzella, sei so gut und gib mir ein Geldstück auf meine Hosen!«
Die Grünhaarige Marzella gab wieder ein Geldstück. Wiederum begannen
sie zu spielen. Wiederum gewann die Grünhaarige Marzella das Geldstück.»Los, du Grünhaarige Marzella, du weißt doch, du bist meine Schwester.«
»Wie sollte ich das denn nicht wissen!«
»Also sei so gut und gib mir noch ein Geldstück!«
»Ich weiß gewiß, daß ich keinem eins gebe, der so gescheit ist wie du!«
»Gibst du's nicht, Schwester?«
»Nein, sicher nicht!«
»Na, wenn du's nicht gibst, dann mögen dich die Teufel holen!« Da holten sie die Teufel. Ihr Bruder aber schrie: »Na, na, tragt sie nicht fort! Ich habe es ja nicht gesagt, damit ihr sie fortträgt!«
Aber jetzt war's zu spät zum Reden, denn sie hatten sie bereits fortgeholt. Da grämte sich Blütensohn Janos, daß er allein geblieben war. »Und wenn nun der Graf heimkommt und das sieht, was wird dann aus mir?« Der Graf kam heim und sah, daß Blütensohn Janos allein war und in Hemd und Unterhosen. Der Graf sagt: »Nanu, Blütensohn Janos, wo ist deine Schwester?«
»Ich weiß nicht, lieber Vater Graf!«
»Wenn du nicht weißt, wo sie ist, so suche, bis du sie findest.« Blütensohn Janos grämte sich und zog durch siebenmal sieben Königreiche und noch weiter. Er kam zu einer Königsstadt. Vor dem königlichen Schloß waren, wie das so Brauch ist, Bänke zum Sitzen, und ersetzte sich da nieder. Alles, was ein König so zu haben pflegt: Windhunde, Esel und Jagdhunde bellten alle drinnen hinter dem Tor. Einen Kutscher verdroß es, daß die Hunde so bellten; er dachte bei sich, er wolle nachsehen, was für ein Tier die Hunde dort anbellten. Und da sah er, daß ein schmucker Bursche beim Tor saß. Der
Kutscher fragte ihn: »Wohin geht denn die Reise?«
»Ich bin ausgezogen, um mir einen Dienst zu suchen.«
»Wenn der erlauchte Vater König Euch bei zwei alten Pferden anstellte, würdet Ihr kommen?«
»Aber sehr gerne.«
Der Kutscher ging hinauf zum König.
»Erlauchter Vater König, mein Leben und Tod sind in Eurer Hand, draußen beim Tor sitzt ein schmucker Bursche; es wäre ganz gut, ihn bei den alten Pferden anzustellen.«
»Rufe den Burschen herauf!«
Der Bursche geht hinauf, grüßt den König:
»Guten Tag, erlauchter Vater König!«
»Willkommen, kleiner Bursche! Was führt dich her?«
»Mich führt nichts Schlimmes her. Ich bin ausgezogen, einen Dienst zu suchen, mein Glück zu versuchen.«
»Und wenn ich dich nähme, würdest du kommen?«
»Gewiß, erlauchter Vater König.«
»Was für Lohn forderst du jährlich?«
»Ich fordere nichts anderes als Kleidung und Essen. Am Jahresschluß mag mir der erlauchte Vater König das zahlen, was ich verdient habe.«
So wurden die beiden alten Pferde ihm in Hut gegeben. Und er begann, die beiden Pferde zu pflegen. Sie wurden so wie dreijährige Rosse. Na, und da hatte er also nichts zu tun; er dachte bei sich: >Wenn ich eine Flinte hätte, zöge ich hinaus ins Schneegebirge, schösse einen Hasen oder eine Taube und machte sie dem erlauchten Vater König zum Geschenk.<Und er dachte bei sich: >Ich werde hinaufgehen zum erlauchten Vater König und mir eine Flinte ausbitten.<
»Gott zum Gruß, erlauchter Vater König!«
»Was gibt's Neues, mein Kutscher?«
»Nichts als das, erlauchter Vater König: da ich nichts zu tun habe, möchte ich den erlauchten Vater König um eine Flinte bitten, daß ich ins Schneegebirge gehen und das Schneegebirge durchwandern kann. Wenn dann der erlauchte Vater König irgendwann einmal ins Schneegebirge schickte, so würde ich wissen, in welcher Richtung man gehen muß.«
»Nun, kleiner Knabe, dort ist das Gewehr, dort sind Patronen; nimm dir soviel mit, wie du brauchst.«
Da machte er sich auf ins Schneegebirge. Er schritt durch den Wald, fand aber keinerlei Getier. Plötzlich hörte er, wie ein Jagdhund anschlug. Da dachte er bei sich: >Was auch immer es sei, das dieser Jagdhund aufgespürt hat, ich werde es ihm wegschießen, denn niemand kann mir's verbieten!<Wie er dem Bellen des Hundes nachging, kam er auf eine kleine Wiese; auf der Wiese war ein Milchsee; er sah, daß zwölf Wildenten drin badeten, und dachte bei sich: Ich werde ein paar von ihnen erschießen; die bringe ich dann heim. Als er niedergekniet war am Milchseegestade, die Flinte bereit hielt und auf die schönste Ente zielen wollte, rief die Verwunschene Ente: »Hallo, du Blütensohn Janos, dies Gewehr, das du just eben zum Antlitz hebst, senke es und leg's auf die Erde!« Dann kam die Verwunschene Ente aus dem See, übersprang sich, und aus ihr wurde ein Demanten-Fräulein. Die Fee Ilona sprach:
»Wohlan, Blütensohn Janos, nun komm her zu mir!«
Dann dachte Fee Ilona einen Tisch für ein Paar, Speisen und Getränke darauf; es ward.
»Jetzt komm, Blütensohn Janos, setz dich neben mich, mein Herzlieb, meine Augenweide!«
Sie hielten nun das Mittagsmahl gemeinsam. Als die Mahlzeit vorüber war, sprach Fee Ilona:
»Merk auf, du Blütensohn Janos, rühme dich meiner nicht, was für eine Liebste du hast, sondern laß drei Tage so hingehen, ohne daß du dich zu jemanden meiner rühmst.«
»Ja, mein Herzlieb, meine Augenweide.«
»Und nun, Janos, hast du Geld für dich?«
»Ich habe ein paar Kreuzer.« Da sprach Fee Ilona: »Schau diesen Geldbeutel, darin bleibt das Geld, und wenn du nichts anderes tust und alles hinauswirfst, er bleibt doch voll bis in alle Ewigkeit. Nun, du Blütensohn Janos, morgen pünktlich zur Mittagsstunde, um zwölf Uhr sei hier am Milchseegestade.«
Dann griff Fee Ilona zwei Wildenten und gab sie dem Blütensohn Janos. »Nun, die nimm und schenke sie dem König; doch wenn du gehst, laß es dir ja nicht in den Sinn kommen, in ein Wirtshaus zu
gehen und dort zu trinken, daß du dich dort meiner rühmst, was für eine Liebste du hast.«»Fürchte nichts, denn ich werde nicht prahlen.«
Damit zog er von dannen. Als er beim Schloß des Königs angelangt war, hörte er, daß die Burschen im Wirtshaus sangen. Er dachte bei sich: >Ich werde hineingehen und wenigstens einen Becher Wein trinken.<
Als er eingetreten war, grüßte er: »Guten Tag, Herr Wirt, bitte, ein
Viertel Wein!« Der Wirt gab es ihm. Er trank es gleich an der Türe.
Da sprachen die andern Burschen:
»Das scheint ein Bettler zu sein, der kein Geld hat, denn er trinkt dort an der Tür das eine Viertel Wein.«
Blütensohn Janos entgegnete: »Wer hat kein Geld, he?«
»Na du!«
»Also ich hätte keins, he?«
»Na, du doch!«
»Herr Wirt, wieviel Wein habt Ihr wohl?« fragte Blütensohn Janos.
»Das weiß der Himmel, ehe ich's nicht ausrechne, zuvor weiß ich nicht, wieviel's ist.«
»Haben der Herr Wirt wohl einen leeren Keller?«
»Jawohl.«
»Wenn ich ihn mit Zwanzigern und Talern vollwerfe, wär's recht so?«
»Gut.«
»Nun, dann kommt gefälligst mit mir, öffnet die Tür!«Dann stellte er sich in die Tür und warf den Keller so voll mit Zwanzigern und Talern, daß auch kein Pritzelchen mehr Platz hatte.
»Nun, ihr Burschen, geht und wälzt die Fässer aus dem Keller und trinkt, soviel ihr mögt.«
Damit ging er fort und legte dem König das Wildentenpaar vor. Der König freute sich sehr, daß sein Kutscher ihm ein Paar Wildenten gebracht hatte.
Anderntags zwölf Uhr langte Blütensohn am Milchseegestade an.
Die Verwunschene Ente sprang aus dem Teich, übersprang sich, und aus ihr wurde ein Fräulein aus eitel Demant. Da sprach die Fee Ilona:
»Ich habe dir gesagt, du solltest dich meiner nicht rühmen, aber das ist nur eine Kleinigkeit, und wiederum bitte ich dich, rühme dich nicht und sei morgen mittag um zwölf Uhr hier.«Dann griff sie ein paar Wildenten. »Nun, die trage heim!« Er machte sich auf den Heimweg, und da hörte er, wie die Burschen im Wirtshaus sangen. >Ich werde hineingehen und einen Becher Wein trinken!<dachte er und sagte:
»Herr Wirt, bitte, einen Becher Wein!«
Der Wirt gab ihm gleich. Er trank ihn an der Tür. Die Burschen sprachen untereinander: »Wer ist deine Liebste?« —»Meine ist die von Dorfrichters.« —»Und deine?« — »Meine die von Notars.« —
»Und deine, Freundchen?« — »Meine die von Stuhlrichters.«
»Der hier scheint ein Zigeuner, denn er hat keine; denn wenn er eine hätte, würde er auch sagen, wer's ist.«
Da sprach Blütensohn Janos: »Wer hat keine Liebste, ha?«
»Na du!«
»Ich habe solch eine Liebste, daß meiner Liebsten Fußsohle weit schöner ist als eurer Königin Antlitz.«
Da stürzten sich die Burschen gleich auf ihn, und sie begannen ihn zu schlagen. Der König bemerkte, daß sie seinen Burschen schlugen; der König rief hinaus: »Heda, schlagt ihn nicht!«
»Laßt uns, erlauchter König; denn wenn Ihr wüßtet, warum wir ihn schlagen, würden der erlauchte Vater König ihn auch schlagen.«
»Na, haltet nur Frieden, bringt ihn herauf zu mir und erzählt mir, was er gefehlt hat.«
Und die Burschen sagten, jener habe gesagt, er habe solch eine Liebste, daß seiner Liebsten Fußsohle weit schöner sei als unserer Königin Antlitz. Da sagte der König, man solle ihn einsperren.
Nun entschloß sich Fee Ilona und schrieb ein Zettelchen und schickte es durch ein winziges Hündchen zum König. Der König las das Zettelchen. Drauf stand geschrieben:
»Merk auf, du König! Den du gefangensetzen ließest, der soll einen gemalten Tisch haben, und zwölf Kerzen sollen unaufhörlich vor ihm brennen, und von Speisen und Getränken das Auserlesenste soll ihm gebracht werden. Du jedoch laß morgen um acht Uhr deine zwölf Pferde vor die Demantkutsche spannen. Heiße deine Gemahlin und deine Tochter einsteigen, und jenen Gefangenen heiße hinten auf dem Bockende sitzen. Mit ihm zusammen erscheine morgen zur Mittagsstunde am Milchsee; denn glaube mir, du spielst mit deinem Haupt, wenn du nicht erscheinst.«
Das nahm der König nicht als Spaß, und Punkt acht Uhr waren die Pferde vor der Demantkutsche, sie saßen alle auf und fuhren zum Milchsee. Sie langten beim Milchseegestade an. Da rief ihnen die Verwunschene Ente zu: »Nun, Königin, schau in den Milchsee; was siehst du?«
Und da sah sie, daß er mit eitel Goldperlen ausgelegt war.
»Schau hinein, Prinzessin, und sage, was siehst du?«
Der König schaute hinein und sah, daß die Fußsohle der Verwunschenen Ente schöner war als seiner Gemahlin Antlitz. Die Verwunschene Ente sprach: »Wohlan, König, du kannst gehen, doch Janos bleibe hier! Nun, du König, wenn du in die Landstraße eingebogen bist, wandelt euch zur Steinsäule allesamt miteinander.« Drauf erwiderte der König: »Eselsgeschrei dringt nicht zum Himmel.«
Nun sprach Fee Ilona zu Blütensohn Janos:
»Ich hatte dir gesagt, du solltest dich meiner nicht rühmen, und wenn du nur noch einmal vierundzwanzig Stunden ausgehalten hättest, so wären wir einer des andern gewesen, doch so bleiben wir auf ewig voneinander geschieden.«
So nahm sie Abschied vom Blütensohn Janos: »Gott allein weiß, ob wir uns jemals, ob niemals begegnen werden.«
Dann flog die Verwunschene Ente selbzwölft auf und zog fort zum Sinaiberg.
Nun härmte sich Blütensohn Janos und dachte bei sich: >Solange will ich wandern, bis ich irgendwo Kunde höre von Fee Ilona!
Und so ging er fort und zog durch sieben Lande, durch sieben Welten. Erlangte beim Schwarzen Meer an; dort erblickte er eine Mühle. Er dachte bei sich: >Siebenzehn Jahre um und um, daß ich keinen Bissen gegessen! Ich werde hineingehen und um ein kleines Brot oder einen Bissen Maisbrei bitten.<
Er ging hinein, und da sah er, daß kein Müller da war.
»Heda, wo steckst du, Müller!»
»Heda, hier bin ich beim Mühltrichter!«
Wie er hingeht, um den Müller zu erspähen, sieht er ihn nirgends.
Wiederum ruft er: »Wo steckst du, Müller?«
»Zum Teufel mit deinen Augen! Siehst du denn nicht, daß ich hier beim Mühltrichter bin und den Weizen aufschütte?« Er schaut hin und sieht, daß ein Däumlingsmüller dort steht. Blütensohn Janos fragt:
»Hör, Däumlingsmüller, für wen mahlst du denn diesen Weizen?«
»Den mahle ich für die Verwunschene Ente!«
»Und wer trägt das Weizenmehl fort?«
»Drei Schwäne.«
»Worin tragen sie's?«
»In drei Tonnen.«
»Nun, du Müller, was soll ich dir bezahlen, daß du mich in einer der Tonnen versteckst?«
»Oh«, sagte er, »mir zahle nichts, ich verstecke dich schon so; aber wenn jene drei Schwäne dich hinaus auf den Gipfel des Glasberges getragen haben und wenn sie dann merken, daß du dich drinnen bewegst, werfen sie dich so zurück, daß deine Knochen feiner zermahlen sein werden als das feinste Mehl.«
»Fürchte nichts, denn ich werde mich nicht regen.«
Da half ihm der Däumlingsmüller und verbarg ihn in einer Tonne. Die drei Schwäne langten an und flogen mit den drei Tonnen von dannen und flogen hinaus zum Gipfel des Glas berges und legten sie an ihrem Rastort nieder. Es fragt der eine Schwan die andern:
»Sind eure diesmal schwerer als sonst?«
»Unsere sind nicht schwerer.«
»Nun, die meine ist aber um vieles schwerer als sonst.« Blütensohn Janos konnte es nicht mehr aushalten, den einen Fuß nicht zu rühren. Sie bemerkten ihn und schleuderten ihn vom Glasberg so zurück, daß sein Leib feiner zermahlen war als das feinste Mehl, als er unten war. Da ging der Müller hin und sammelte all seine Bröckchen und trug sie heim und formte einen Menschen. Dann berührte er ihn leicht mit einem Tüchlein, und auf der Stelle war er wieder lebendig. Wiederum sprach Blütensohn Janos:
»Wohlan, du Däumlingsmüller, sag mir, wie ich dorthin gelangen kann.«
Da sprach der Müller: »Nun, Blütensohn Janos, siehst du hier unten jenes Haus?«
»Jawohl.«
»Dort wohnt ein gottloser Schmied, der hat eine dreibeinige Stute; wenn du die kaufen und dann verkehrt beschlagen lassen und seinen Kutscher und seinen Wagen mitsamt Geschirr kaufen könntest, würdest du damit von dannen ziehen können.« Er ging hin:
»Guten Tag, du gottloser Schmied, was soll ich geben, damit du mir deine dreibeinige Stute und deinen Kutscher, deinen Wagen mitsamt Geschirr gibst? Ich möchte sie kaufen.«
»So viel Geld hast du gar nicht, um das zu kaufen.«
»Was forderst du denn?«
»Also packe mir jedes meiner Haare in Gold.«
Da sprach Blütensohn Janos: »Du, damit wollen wir keine Zeit verlieren; hast du eine leere Kammer?«
»Ja.
»Wenn ich sie nun mit Zwanzigern, mit Talern vollwerfe, wär's dann recht?«
Er sagte, es wäre ihm recht. Nun ließ er die Kammer mit Zwanzigern und Talern füllen. Dann stand er ihm bei und spannte die dreibeinige
Stute vor den Wagen. Da sagte die Zigeunerin zum Kutscher:
»Na«, sagte sie, »du siehst doch, wieviel Geld wir haben!«
»Jawohl.«
»Na, schau hier die Zigeunerwurzel! Wenn ihr auf des Glasbergs
Gipfel zum Rastplatz gekommen seid, da wird Blütensohn Janos sich dort an einer Stelle niederlegen. Diese Wurzel stecke ihm verkehrt in seinen Rock!«Und so geschah es auch. Als sie auf dem Gipfel angelangt waren, legte sich Blütensohn Janos unter einem Baum nieder, und der Kutscher steckte ihm die Wurzel verkehrt in seinen Rock. Da schlief Blütensohn Janos ein. Die Verwunschene Ente kam selbzwölft daher. Sie faßten Blütensohn Janos, spielten mit ihm Ball, zwölfmal, daß sie es gar nicht toller hätten treiben können, zwölfmal badeten sie ihn in ihren Tränen, zwölfmal trockneten sie ihn ab; aber trotzdem erwachte er nicht. Da sprach die Verwunschene Ente zu jenem Kutscher: »Sag deinem Herrn, ich hätte das gesagt: Morgen zur Mittagszeit, um zwölf Uhr, sei er hier; doch wenn er dann auch in so tiefem Schlummer läge wie jetzt, dann würde er mich fürderhin nicht wieder finden.«
Dann flog die Verwunschene Ente selbzwölft auf und zog von dannen. Da zog der Kutscher die Zigeunerwurzel aus seinem Rock, und Blütensohn Janos erwachte. Der Kutscher sprach: »Siehst du, wo sie fliegt?«
»Ich sehe es.«
»Nun, das sagte sie: du sollst morgen zur Mittagsstunde um zwölf Uhr hier sein, und wenn du dann auch so in tiefem Schlummer liegst wie eben, begegnest du ihr fürderhin nicht wieder.«
Dann kehrten sie zurück zum Schmied. Doch die Schmiedsfrau erwartete Blütensohn Janos mit einem prächtigen Nachtmahl. Blütensohn Janos jedoch in seinem Kummer brauchte kein Essen; er wartete nur, daß der andere Tag nahe, daß er noch einmal hinausgehen könnte zum Gipfel des Glasberges.
Am andern Tage mittags um zwölf Uhr waren sie draußen auf dem Gipfel des Glasberges. Wiederum legte er sich im Schatten nieder. Da mache sich der Kutscher an ihn heran und steckte ihm die Zigeunerwurzel verkehrt in seinen Rock; er schlief so fest ein, wie er fester gar nicht hätte schlafen können. Die Verwunschene Ente selbzwölft langte an. Sie warfen Ball, zwölfmal badeten sie ihn in ihren Tränen,
zwölfmal trockneten sie ihn ab; dennoch wachte er nicht auf. Da zog die Verwunschene Ente sein Schwert heraus, und auf die Schwertklinge schrieb sie: »Hänge dein Schwert vom kleineren Nagel auf den größeren Nagel.« Dann sprach die Verwunschene Ente: »Sag deinem Herrn, er solle sich nicht fürder um mich abmühen; jetzt hätten wir uns finden können, jetzt, dies eine Mal, doch von nun an werden wir uns nicht wieder begegnen.« Dann flatterte die Verwunschene Ente selbzwölft auf und flog von dannen. Der Zigeunerbursche zog die Wurzel aus seinem Rock. Da erwachte Blütensohn Janos. »Na, siehst du, wo die Verwunschene Ente fliegt? Die Verwunschene Ente sagte: du sollst ihr nicht weiter nachziehen, denn Gott allein weiß, ob ihr euch finden werdet oder nicht. Doch sie sagte, ich solle dir ausrichten, daß du dein Schwert vom kleineren Nagel auf den größeren hängen sollst.«Er ging zurück zum Schmied und nahm sein Schwert und metzelte den Schmied mitsamt seiner Familie nieder.
Dann machte er sich auf durch siebenmal sieben Königreiche und langte auf einem großen Schneegebirge an. Dort erblickte er einen Palast. Er dachte bei sich: >Ich werde hinaufsteigen in diesen Palast. Siebenzehn Jahre um und um sind's, daß keine Speise berührte meinen Mund; ich werde um einen Bissen Brot bitten oder um ein wenig Maisbrei, womit ich meine Seele laben kann.<
Ergeht hinauf in den Palast und sieht da, daß dort ein Tisch gedeckt ist mit Essen und Trinken für einen Menschen, doch er sieht nirgends jemanden, und er ruft, doch keiner antwortet. Er denkt bei sich: Wessen Essen dies auch sei, ich werde es aufessen; denn ich habe so viel Geld, daß ich es bezahlen kann! —Als er das Essen verzehrt hat, hört er ein wehmütiges Pfeifen. Er schaut zum Fenster hinaus, und da sieht er, wie eine riesige Schlange geradewegs ins Schloß hinaufkommt und ins Zimmer hinein, in dem er ist. Die Riesenschlange kroch unter den Tisch, legte den Kopf aufs Tischkreuz, begann sich einzurollen und bedeckte mit ihrem Rund den Fußboden des ganzen Zimmers: die Hälfte ihres Leibes war aber noch draußen. Sie fragte Blütensohn Janos:
»Fürchtest du dich vor mir?«
»Zuerst, als ich dich sah, da habe ich mich wohl ein bißchen gefürchtet; aber jetzt fürchte ich mich nicht mehr.«
»Wohlan, Blütensohn Janos, ich sage dir eins: bringe drei Nächte für mich zu; denn nach deiner guten Tat erwartet dich Gutes. Essen, Trinken wirst du haben, wann es dir gefällt, dort ist Tabak, Pfeife und Zündhölzer, dort das Spiel Karten, mit denen du dich nach Belieben unterhalten kannst; doch abends leg dich oben auf das zurechtgemachte Bett, nach der Wand zu. Zwölf Riesen werden hereinkommen; die werden hier nachtmahlen und zum kleinsten sagen: >Mach das Bett!<Und er wird gehen und das Bett machen und dich dort erwischen. Du aber sprich nichts, sage nichts, laß sie nur mit dir machen, was sie wollen.«
So geschah es auch. Er legte sich oben aufs Bett nach innen zu, und schon kamen die zwölf Riesen. Sie nachtmahlten und sagten zum kleinsten:
»Du, mach das Bett!«
Er machte es und fand Blütensohn Janos. Da sprach er: »Ich habe eine Erdmaus gefunden.«
Die andern sprachen: »Bring sie her!«
Er trug ihn hin, und sie spielten so mit ihm Ball, daß sie's ärger nicht hätten treiben können. Dann sagten sie zum kleinsten: »Na, nun schüttle ihn aus dem Fenster!«
Und er schüttelte ihn aus dem Fenster. Gleich langte Janos auf der Erde an, und er war siebenmal schöner geworden, als er vordem gewesen war.
Nun ging er wieder hinauf und aß und trank. Als er fertig war, hörte er den traurigen Gesang. Er blickte aus dem Fenster, und da sah er, daß die Schlange kam, aber bis zur Brust herab hatte sie schon einen Frauenleib. Die Schlange kam ins Zimmer und fragte Blütensohn Janos: »Hast du dich heut nacht gefürchtet?«
»Ich habe mich kein bißchen gefürchtet.«
»Mein Herzlieb, meine Augenweide, bring diese zwei Nächte für mich zu, und nach deiner guten Tat erwartet dich Gutes.«
Dann ging die Schlange wieder fort. Blütensohn Janos legte sich auf die innere Seite des zurechtgemachten Bettes. Die zwölf Riesen traten ein und nachtmahlten. Sie sprachen zum kleinsten: »Mach das Bett!«
Er ging hin und erblickte Janos. Wieder sagte er:
»Ich habe wieder eine Erdmaus gefunden.«
»Gib sie her, damit wir mit ihr Ball spielen können.« Und sie spielten wieder mit ihm Ball und sprachen zum kleinsten: »Schüttle ihn aus dem Fenster!«
Und er schüttelte ihn aus, und er war noch nicht auf der Erde, da war er ein siebenmal schönerer Mann geworden, als er vordem gewesen war.
Dann ging er wieder hinauf und aß zu Mittag. Während des Mahles hörte er den lauten Gesang. Er blickte zum Fenster hinaus und sah, daß die Schlange kam und schon bis herab zur Hüfte in Frauengestalt war. Dann kam die Schlange ins Zimmer hinauf und sprach: »Nun, mein Herzlieb, meine Augenweide, nun mußt du noch eine Nacht kein bißchen schlafen.«
Dann sprach sie: »Tür und Fenster öffne zuletzt; zwölf Banden werden herkommen, sich vor Tür und Fenster stellen und immerfort musizieren. Du geh im Zimmer spazieren. Sie werden dich durch Tür und Fenster hinausrufen, doch du nahe ihnen nicht, und wenn jemand hereintreten will, schlage ihn ungesäumt nieder.«
Der Abend nahte. Die zwölf Banden kamen, stellten sich an Tür und Fenster auf, begannen dort sehr lustig ihre Musik. Sie riefen Blütensohn Janos; doch er ging nicht hinaus. Um zwölf Uhr verstummte die Musik, und die Banden zogen von dannen. Da machte er sich das Bett zurecht und legte sich nieder und schlief auch ein.
Frühmorgens kam Fee Ilona zu ihm und herzte und küßte ihn wieder und wieder. Blütensohn Janos erwachte von den glühenden Küssen, und siehe da, vor ihm stand Fee Ilona. Da sprach Fee Ilona: »Nun, mein Herzlieb, meine Augenweide, ich bin dein, du bist mein.«
Dann aßen und tranken sie. Darauf bestrich Blütensohn Janos die
vier Ecken des Palastes mit einer goldenen Gerte, da wurde dieser zu einem goldenen Apfel, und den steckte er in seine Tasche. Sie machten sich auf und wanderten durch siebzehn Königreiche, siebzehn Welten. Sie langten bei einem riesigen Haus auf einer kleinen Wiese an, und sie gingen hinein. Dort sahen sie in einem Zimmer, daß sein Anzug auf einem Haken hing, und er erblickte die Grünhaarige Marzella, und sie umarmten und küßten sich.»Ach, meine Seele, meine Schwester, wie gut, daß wir uns noch im Leben getroffen haben; jetzt gehen wir zusammen heim.«
Da sprach Fee Ilona: »Dort sollen wir sein, wo ich's denke.« Und da waren sie auch schon zu Hause am Ende der Stadt. Blütensohn Janos holte den Goldapfel hervor und schleuderte ihn so hinauf, wie es besser gar nicht möglich gewesen wäre, und da wurde aus ihm ein zwölfstöckiger Palast auf einem Hahnenfuß, der war mit einer goldenen Kette an einen goldenen Stern gebunden und drehte sich darauf immerzu der lieben Sonne zu. Durch siebzehn Reiche ließen sie es künden; Herzöge und Grafen, Prinzen und erlesene Zigeunerburschen erschienen zur Hochzeit, Priester und Henker wurden gerufen. Der Priester traute sie, der Henker stäupte sie; noch jetzt dauert die große Hochzeit.
Der Jüngling, der seinen Traum verheimlichte
Es war dereinst Brauch in den Landen bei den Königen, daß ihnen am Morgen jeder seinen Traum erzählen mußte. Nun träumte ein Jüngling von einer großen Gefahr für den König -die dann später auch eintraf - und wollte darum seinen Traum nicht erzählen. Der König ließ ihn in seinem Ärger einmauern, aber so, daß er langsam dahinsieche und nicht schnell sterbe. Als die Maurer die Steine aufeinanderschichteten, schlich die Königstochter immer um sie herum und sagte zum Maurermeister: »Meister, könnte man hier nicht ein unsichtbares Loch in der Mauer lassen?«
»Gewiß kann man das, warum nicht!«
»So laßt eine Lücke«, sagte die Königstochter, »ich werde es euch gut vergelten.«
Die Maurer ließen ein Loch, und die Königstochter gab ihnen dafür einen ganzen Teller voll Geld. Der Jüngling wurde eingemauert, das Fräulein aber versorgte ihn insgeheim durch das Mauerloch. Sie brachte ihm Frühstück, Mittagessen und Abendbrot. So vergingen Jahre.
Nun drohte dem König die Gefahr, von der dieser Jüngling geträumt hatte. Der türkische Sultan schickte ihm einen Stab. Der war gedrechselt und bemalt, und der König selber sollte bestimmen, welches das untere Ende des Stabes sei; treffe er es nicht, so sei er des Todes. Weder der König noch seine Leute konnten es herausfinden, denn der Stab war völlig gleichmäßig geformt.
Als das Mädchen am Abend dem Jüngling das Essen brachte, weinte sie sehr. Als sie das Mauerloch öffnete, sprach der Jüngling zu ihr: »Warum weinst du? Ist vielleicht im Schloß ein Unglück geschehen?«
»Ja«, sagte das Fräulein, »der türkische Sultan hat meinem Vater einen Stab geschickt, und er soll bestimmen, welches dessen unteres Ende ist; aber niemand kann das feststellen, denn der Stab ist völlig gleichmäßig gedrechselt und bemalt.«
»Nun, mein Traum fängt an sich zu erfüllen. Sage deinem Vater morgen früh, du hättest einen Traum gehabt. Sage ihm aber nicht, daß du das, was ich dir jetzt mitteile, von mir gehört hast. Er soll die Länge des Stabes messen und genau in der Mitte einen Faden, eine Schnur oder so etwas befestigen. Darauf soll er den Stab aufhängen. Das Ende, das sich nach unten neigt, ist das untere, denn es ist schwerer. Der König kann es also getrost bezeichnen und dem Sultan den Stab zurückschicken.«
Das Mädchen konnte den Morgen kaum erwarten. In der Nacht konnte sie nicht schlafen. Ob die Sache mit dem Traum gelingen würde?
Bevor es noch hell wurde, ging sie zu ihrem Vater.
»Lieber Vater, höre, was ich geträumt habe. Ihr sollt die Länge des
Stabes messen und genau in der Mitte einen Faden oder eine Schnur befestigen und daran den Stab aufhängen. Dann wird das untere Ende sinken, weil es schwerer ist. Dieses könnt Ihr getrost bezeichnen und dem Sultan den Stab zurückschicken.«Der König befolgte die Weisungen des Traumes, ließ den Stab messen, und es stellte sich heraus, daß der Traum der Tochter sich bewahrheitete. Das eine Ende senkte sich - heißt es doch auch im Sprichwort: Unten dick und oben dünn. Sie bezeichneten das untere Ende und schickten den Stab zurück.
Da schrieb der Sultan an den König: »Na, du Hund, ich weiß nicht, welcher Kopf da für dich gedacht hat. Aber wer zuletzt lacht, lacht am besten.«
Der Sultan überlegte mit seinen Ministern, was er nun dem König aufgeben könnte. Da fiel ihnen die Sache mit dem Fohlen ein. »Laßt uns sieben Fohlen aussuchen.«
Die sieben Fohlen glichen einander alle aufs Haar. Das einjährige, das zweijährige, das drei-, vier-, fünf-, sechs- und siebenjährige waren nicht voneinander zu unterscheiden. »Ja, die wollen wir ihm schicken.«
Und im Brief schrieb der Sultan: »Höre, du Hund! Wenn du mir nicht bezeichnen kannst, wie alt jedes Fohlen ist, bist du des Todes.«
Man schickte dem König die Fohlen und überreichte ihm auch den Brief. Alle besahen sich die Fohlen, doch konnten sie nicht erraten, wie es um sie stand. Im Königsschloß brach großer Kummer aus.
Als das Fräulein dem Jüngling das Abendessen brachte, schluchzte sie und weinte zum Gotterbarmen. Sie öffnete das Mauerloch, und der Jüngling merkte an ihrer Stimme, daß sie Kummer hatte.
»Ist vielleicht im Schloß ein Unglück geschehen?«
»Ja, und zwar ein großes.«
»Wieso?«
So und so verhalte sich die Sache. »Der türkische Sultan hat sieben Fohlen von verschiedenem Alter geschickt, und niemand kann erraten, wie alt jedes einzelne ist.«
»Ja, ja, das ist mein Traum. Darum wollte ich ja nicht davon sprechen; denn wenn ich dem König damals gesagt hätte, was ihm bevorstand, wäre er noch wütender geworden und hätte mich sofort umbringen lassen. Das wäre aber auch sein Ende gewesen, denn er hätte die Rätsel nie lösen können.« Dem Mädchen aber trug der Jüngling auf: »Sage deinem Vater, du hättest geträumt, er solle Hafer von sieben Ernten nehmen, also einjährigen, zweijährigen und so weiter, genau dem Alter der Fohlen entsprechend. Der Hafer soll weit voneinander in sieben Haufen im Hof aufgeschüttet werden. Dann soll man die Fohlen freilassen, sich aber vorher genau merken, aus welcher Ernte jeder der sieben Haufen stammt. Die freigelassenen sieben Fohlen werden herumlaufen und kreuz und quer im Hof herumspringen. Man soll sich aber bereithalten, denn jedes Fohlen wird sich an den Hafer machen, der seinem Alter entspricht. Dann muß man ihnen schnell ein Zeichen aufbrennen und sie so dem Sultan zurückschicken. Verrate aber nicht, wer dir das gesagt hat; du hast es eben geträumt.«
Das Fräulein konnte den Morgen kaum erwarten; der Gedanke, ob auch alles gelänge, ließ ihr keine Ruhe. Ach, wenn doch der liebe Gott helfen wollte!
Am Morgen ging sie dann zu ihrem Vater.
»Höret, Vater, was ich geträumt habe.«
»Was, mein Töchterchen?«
»Ich träumte, Ihr sollt siebenerlei Hafer nehmen; einjährigen, zweijährigen -bis zu siebenjährigen. Den Hafer muß man genau auseinanderhalten und auf dem Hof in großen Abständen aufschütten. Dann laßt die sieben Fohlen frei, laßt sie auf dem Hof herumspringen, aber paßt genau auf, denn jedes Fohlen wird sich an den Haufen Hafer heranmachen, der so alt ist wie es selbst. Wenn sie dann fressen, laßt ihnen ein Zeichen aufbrennen.«
So geschah es. Schnell war der Hafer herbeigeschafft und im Hof aufgeschüttet. Die Fohlen wurden freigelassen. Sie sprangen herum, stiegen hoch, spielten miteinander und rannten umher. Mit einemmal aber stand ein jedes vor einem Haufen Hafer. Nun war's klar,
wie alt jedes war. Schnell nahm man das Brenneisen her und brannte ihnen ein Zeichen auf. »So, jetzt könnt ihr weiterfressen.«Die Fohlen fraßen den Hafer und wurden dann gekoppelt. Dem Sultan aber schrieb der König: dieses Fohlen sei so viele, jenes so viele Jahre alt -jedem hätten sie sein Alter auf gebrannt.
Die Fohlen wurden dem Sultan überbracht, und siehe - es stimmte mit dem Alter. Da schrieb der Sultan an den König: »Na, du Hund, ich weiß nicht, welcher Kopf da für dich gedacht hat, dein eigener oder ein fremder. Aber wer zuletzt lacht, lacht am besten. Du wirst noch von mir hören!«
Und nach einiger Zeit kam wieder ein Brief vom Sultan: »Höre, du Hund! Machen wir alles gleichzeitig: Wenn man bei mir aufsteht, soll man auch bei dir aufstehen; genau zur selben Stunde wie bei mir soll man auch bei dir das Holz zum Feuermachen bringen. Wir werden nachher die Bücher vergleichen, und wenn sie nicht übereinstimmen, ist es aus mit dir. Wenn das Feuer gelegt ist, soll man den Schlächter zur Fleischbank schicken, das Fleisch zu holen; der Koch setzt dann das Fleisch zum Mittagessen auf, und das soll bei dir genau in derselben Minute geschehen wie bei mir; in der Mittagsstunde wird der Tisch gedeckt - er soll auch bei dir in derselben Minute gedeckt werden; der Koch richtet an auch bei dir soll der Koch in derselben Minute anrichten. Geschieht das nicht so, stimmt auch nur eines nicht, dann mußt du sterben.«
Nun war die Not groß. Wer würde dieses Rätsel lösen? Auch die Königstochter las den Brief. Ein klein wenig Hoffnung hatte sie - doch nein, das war ja ein gar fernes Land. Wie konnte diese Aufgabe gelöst werden? Groß war die Bestürzung am Hof des Königs.
Weinend brachte die Tochter dem Jüngling das Abendbrot.
»Nun, was ist geschehen? Wußt' ich's doch, daß es so kommen würde. Also wie steht's?«
»Der Sultan hat wieder einen Brief geschickt . . .« Und sie erzählte von der neuen Aufgabe, die er gestellt hatte, und fügte dann hinzu: »Das kannst wohl auch du nicht lösen?«
»Mach dir nichts daraus. Jetzt brauchst du nicht mehr zu sagen, du
habest geträumt, sondern sage einfach: Diese Aufgabe kann kein anderer lösen, Vater, als der eine, den du hast einmauern lassen.« Als das Fräulein zu ihrem Vater sprach, erwiderte der König:»Oh, meine Tochter, von dem sind ja nicht einmal mehr die Knochen übrig.«
»Doch, Vater, er lebt, und er wird Euch retten.«
Der König ließ sich überreden und gab den Auftrag, die Mauern niederzureißen. Ei, was für ein Mann war aus dem Jüngling geworden! Es waren ja auch Jahre vergangen, und die Königstochter hatte ihn gut verpflegt.
Der Jüngling sprach zum König:
»Seht Ihr, mein König, das war mein Traum, den ich Euch nicht sagen wollte. Alles, was Euch zugestoßen ist, habe ich geträumt. Damals hättet Ihr mich kurzerhand verurteilt, weil Ihr nicht geglaubt hättet, daß Euch solche Dinge widerfahren könnten. Hättet Ihr mich aber umbringen lassen, dann wäre das auch Euer eigenes Ende gewesen.«
Sogleich nahm der König den Jüngling an Sohnes Statt an.
»Nun, mein Sohn, laß uns das Nötige veranlassen.«
»Dazu brauchen wir ein Gestell, von dem man in den Palast des Sultans sehen kann, denn dessen Vorderseite ist aus Glas.«
Unverzüglich wurden Ziegel herbeigeschafft, und die Maurer begannen mit dem Bau eines Turmes. Der Jüngling aber bat den König, dem Sultan zu schreiben, er möge sich gedulden, bis er Nachricht bekäme. Als der Turm hoch genug war, stieg der Jüngling hinauf und konnte nun hinübersehen. Da schrieb der König an den Sultan, er sei bereit, die Aufgabe zu lösen.
Der Tag wurde festgesetzt. Der Jüngling sah alles, was am Hof des Sultans geschah, und warf die Zettel mit den Weisungen, was zu tun sei, vom Turm herab. Es wurde notiert und sofort ausgeführt. Zur selben Zeit wie dem Sultan trug man auch dem König das Mittagessen auf. Als der Sultan mit der Gabel in den Braten stach, sagte er: »Ob der Hund wohl auch die Gabel so führt?«Dabei drehte er seine Gabel hin und her. Der Jüngling auf dem Turm aber nahm Pfeil und
Bogen, zielte und schoß den Braten von der Gabel herunter. Der Sultan ließ die Gabel fallen und wurde schrecklich wütend.»Warte, du Hund«, schrieb er dem König, »jetzt gibt es keinen Pardon mehr. Ob es nun dein eigener Kopf war oder ein anderer - wer mir das angetan hat, der soll hier vor mir erscheinen.«
Der Jüngling ließ durch den König schreiben, der Sultan möge ihn erwarten.
Er wählte zwölf Mann unter den Soldaten aus, die ganz so waren wie er selber. Er ließ gleiche Kleider besorgen, Pferde, Sattelzeug, alles ganz gleich, so daß man einen vom andern nicht unterscheiden konnte. Welchen immer man betrachtete, es war, als sähe man ein und denselben. Mit diesen zwölf Mann exerzierte dann der Jüngling. »Der Sultan wird uns fragen, welcher von uns der junge König ist. Darauf muß aus dreizehn Mündern auf einmal die Antwort erschallen: Ich! Die Antwort aus dreizehn Mündern soll wie aus einem Munde klingen.«
Das wurde gut eingeübt, und zu gegebener Stunde rüsteten sie zur Reise. Zu Hause befahl der Jüngling noch, daß an dem Tage, an dem über ihn das Urteil gesprochen und er gehenkt würde, zwölf Mann sich schwarz kleiden sollten, rabenschwarz solle alles an ihnen sein, auch die Pferde. Zwölf andere wiederum sollten weiß gekleidet werden, alles an ihnen solle so weiß wie Schwanenfedern sein, auch die Pferde. All das legte er schriftlich fest. Alles solle genau beachtet werden, damit kein Irrtum unterlaufe und die vierundzwanzig Mann an dem Tag, an dem man ihn zum Galgen führen werde, zugegen seien. Und auf die Minute genau, wenn man ihn am Galgen würde hinaufziehen wollen, sollten die Schwarzen von Westen und die Weißen von Osten kommen. »Wenn diese vierundzwanzig Mann mich nicht vom Galgen erretten, dann ist es aus mit mir.«
Dann brachen die dreizehn auf. Ein Brief hatte ihr Kommen angezeigt, und sie wurden erwartet. Nach ihrer Ankunft mußten sie nur vom Pferd steigen, sie brauchten sich um nichts weiter zu kümmern. Ein Zimmer mit dreizehn Betten war für sie vorbereitet. Dort trieben sie ihre Spiele, und täglich zweimal gingen sie zum Exerzieren
hinaus. Einmal, als sie vor dem Frühstück auszogen, fragte sie der Sultan:»Welcher von euch ist der junge König?«
Aus dreizehn Mündern erklang die Antwort: »Ich!«Der Sultan sah sie der Reihe nach an und konnte nicht klug aus ihnen werden. »Geht hinein!«
Sie bekamen Frühstück und ruhten bis in den Mittag. Nach dem Mittagessen gingen sie wieder hinaus zum Exerzieren wie die Soldaten. Der Sultan befahl ihnen, sich ihm zuzuwenden.
»Welcher von euch ist der junge König?«
Aus dreizehn Mündern erklang wie aus einem Munde die Antwort: »Ich!«
Na -dachte sich der Sultan -, mit denen werde ich nicht fertig! Das eine tat er aber: er schickte einen Spion in ihr Zimmer, der beobachten sollte, welchem Bett königliche Ehren erwiesen wurden. Der Spion versteckte sich also, die Jünglinge kamen, das Abendessen wurde ihnen aufgetragen, sie aßen und entledigten sich ihrer Kleider. Neben jedem Bett befand sich in der Mauer ein Nagel, an den sie ihre Kleider, Blusen und sonstiges hängten. Dem Spion aber hatte der Sultan aufgetragen, dem, dessen Bett mit königlichen Ehren umgeben werde, hinten aus der Joppe ein Stück Stoff herauszuschneiden, so groß wie ein Zweigroschenstück. Der Spion horchte und nahm wahr, wie die anderen dem Königssohn alle Ehren erwiesen. Plötzlich sagte einer:
»Guten Wein hat der Sultan.«
Worauf der junge König erwiderte:
»Er ist gut, weil er mit Menschenblut gekeltert ist.« Ein anderer sagte:
»Gutes Brot hat der Sultan.«
»Es ist gut«, antwortete der junge König, »weil es mit Frauenmilch geknetet ist.«
Der Spion merkte sich das alles.
Ein dritter sagte:
»Ein stattlicher Mann ist der türkische Sultan.«
»Ja, weil er ein Bastard ist.«
Eine Weile unterhielten sie sich noch; dann schliefen sie ein. Der Spion hatte aber alles notiert, was sie gesprochen hatten, und jetzt kroch er heraus, nahm die Joppe des jungen Königs vom Nagel und schnitt hinten fein säuberlich ein Zweigroschen großes Stück heraus. Er gab es dem Sultan und berichtete ihm auch, was der junge König gesagt hatte. »Vom Wein hat er gesagt, er sei mit Menschenblut gekeltert, vom Brot, es sei mit Frauenmilch geknetet, und von Euch, Sultan, hat er gesagt, Ihr wäret ein Bastard.«
Da wurde der Sultan noch wütender und schnaubte förmlich vor Zorn.
Kaum ward es Morgen, ließ er die Jünglinge antreten, denn nun würde er ja gleich erfahren, welcher von ihnen der junge König war.
Die Jünglinge rückten also aus, nachdem sie sich hübsch militärisch angezogen hatten. Der Sultan befahl ihnen, sich ihm zuzuwenden.
»Welcher von euch ist der junge König?«
Aus dreizehn Mündern erklang der Ruf:
»Ich!«
Der Sultan maß sie mit zornigem Blick und schnauzte sie dann an: »Kehrt euch!«
Jetzt standen sie mit dem Rücken zu ihm gewendet. Er sah sie an — und sie alle hatten ein Loch in der Joppe. Der junge König hatte nämlich gemerkt, daß seine Joppe ein Loch hatte. »Hopp«, hatte er da gerufen, »hier stimmt etwas nicht! Bringt mal geschwind eure Joppen her.« Und jedem hatte er ein gleiches Loch in die Jacke geschnitten. Die Zeugstückchen hatten sie verbrannt, damit im Falle einer Untersuchung nur das eine vorhanden war, das der Spion herausgeschnitten hatte.
Der Sultan rief: »Geht hinein!« Er war über alle Maßen wütend. Die Jünglinge bekamen ihr Frühstück, und während sie aßen, sagte der junge König: »Hört nur gut zu. Wir werden jetzt ausrücken. Wenn aber der Sultan diesmal fragt, wer von uns der junge König ist, soll keiner von euch antworten. Ich werde dann vortreten.« So
geschah es. Er trat vor, schlug die Hacken zusammen, salutierte und sagte: »Ich!«Der Sultan faßte ihn unter den Arm. »Na, komm mit hinein. —Ihr andern könnt gehen.« Der Sultan führte ihn in ein Zimmer und aß mit ihm gesondert zu Mittag. Dann begann er ihn auszufragen: »Woher weißt du, daß mein Wein mit Menschenblut gekeltert ist?« »Fragt den, der ihn gekeltert hat.«
Der Sultan ließ den Mann kommen. »Wie kamst du dazu, meinen Wein mit Menschenblut zu keltern?«
»Ich weiß nicht, wer bei der Weinlese eine Glasscherbe in die Trauben getan hat -ich habe mir beim Treten die Sohlen aufgeschnitten, und mein Blut floß. Was blieb mir übrig, ich trat weiter.«
»Woher weißt du, daß mein Brot mit Frauenmilch geknetet ist?« »Fragt die, die es geknetet hat.«
Die Mutter des Sultans war schon alt, drum kam zu ihr eine Aufwartefrau. Die hatte ein kleines Kind, und sie richtete es immer so ein, daß sie das Kind stillte, bevor sie zum Brotkneten gehen mußte. Einmal aber schlief das Kind und trank nicht. Die Frau aber mußte zum Kneten gehen. Als sie nun beim Kneten war, sickerte die Milch aus ihrer Brust und tropfte in den Teig. Der Sultan ärgerte sich über die Frau und auch über den Mann.
»Woher weißt du, daß ich ein Bastard bin?«
»Das fragt Eure Mutter.«
Der Sultan ließ seine Mutter rufen.
»Mutter, komm her. Wieso bin ich ein Bastard?«
»Ja, mein Sohn, dein Vater war lange im Krieg. Da kam hier der Kesselflicker, der Onkel Paul, vorbei. Der hat dich gemacht.«
Da ärgerte sich der Sultan nun auch über seine Mutter. Es wurde hin und her verhandelt und tags darauf das Urteil gesprochen: der junge König sollte gehenkt werden. Ja, man verurteilte ihn zum Galgen, das war bei der langen Verhandlung herausgekommen, umsonst war er unschuldig. Unrecht regiert eben, das ist so.
Zu der Stunde, die ihnen der Königssohn angegeben hatte, fanden sich die Jünglinge ein. Sie sahen, wie man den Königssohn heraus-
führte. Da gingen sie in den Stall, sattelten die Pferde, auch sein Pferd, und führten sie heraus.Viel Volk strömte zum Galgen, auch der Henker schritt im Gedränge einher. Der Königssohn aber spähte nach Westen und Osten, er hielt Ausschau nach der schwarzen und der weißen Schar, die ja nun kommen mußten. Da sprach der Sultan: »Gnade soll dir werden, wenn du mir sagst, was das Schwarze ist, das von dort kommt.«
»Das sind die schwarzen Teufel, die meinen, hier henke man ein eheliches Kind, und sie kommen, um sich seine Seele zu holen.« »Und wer sind die anderen?«
»Das sind die Engel, die meinen, hier henke man einen Bastard, und sie kommen, um sich seine Seele zu holen.«
Der Sultan stieß ihn beiseite, so froh war er, daß Engel die Seele eines Bastards holen kamen, und er rief dem Henker zu: »Mich sollst du henken!«
Und der Henker zog den Sultan am Strick in die Höhe. Die Weißen und die Schwarzen kamen heran und grüßten die Schar. Den Sultan ließ man am Galgen hängen. Die andern aber zogen freudig heim, und der König gab dem Jüngling seine Tochter und dazu sein Königreich, dafür, daß er all das zuwege gebracht hatte. Sie wurden getraut, und es gab eine große Hochzeit. Was sie verschlangen, kam als Unschlitt wieder zum Vorschein - von Henzida bis Bonzida floß der gelbe Saft. Die Zigeuner waren sehr schmuck, nur eben barfuß und barhaupt. Alle Hunde liefen herbei, um sich einmal satt zu fressen. Als die letzten endlich ankamen, waren die ersten schon wieder verhungert. In einem Sack waren Theiß und Donau eingefangen. Der Sack war mit einer Wagenstange geknotet und mit einem Seil gestützt. Auch ich tänzelte dort herum und drehte mich im Kreis. Ich war der große Brautführer, ein anderer der kleine. Ich tanzte und hopste, an den Stiefeln trug ich Sporen aus Stroh, das Rädchen dran war Hafer, und als ich dann an dem Sack vorbeiwirbelte, riß ich mit den Sporen den Sack auf, der Sack platzte, das Wasser strömte heraus, und die Flut hat mich hierhergebracht.
Panzimanzi
Es war einmal jenseits des großen Meeres eine arme Frau. Die hatte eine sehr schöne, aber sehr faule Tochter, die immer nur auf der Bank vorm Hause saß oder im Dorf herumspazierte; niemals half sie in Haus und Hof. Ihre Mutter schlug und prügelte sie deswegen, aber es nützte nichts. Einmal knuffte und puffte sie das Mädchen gerade, als der König mit seinem Gefolge dort vorüberkam. »Warum schlägst du das Mädchen so?«fragte der König. »Wie sollte ich sie nicht schlagen, großer König, da sie doch eine so schlechte, verstockte Natur hat, daß sie alles, was ihr in die Hände gerät, zu Goldfaden spinnt. Auch jetzt wieder, während ich in der Stadt war, um Brot zu kaufen, hat sie aus dem ganzen Bettzeug Goldfaden gesponnen. Nichts mehr ist da, wohin wir unser Haupt zur Ruhe legen könnten.«
Das machte den König nachdenklich. >Ei<, dachte er bei sich, >welch tüchtiges Mädchen! Die wäre gut als Frau für mich!<
Bald darauf spazierte der König wieder dort vorüber. Und wieder schlug und prügelte die arme Frau ihre Tochter.
»Warum schlägst du deine Tochter wieder?«fragte der König. »Wie sollte ich sie nicht schlagen, großer König, nachdem sie jetzt sogar aus dem alten Zaun Goldfaden gesponnen hat.«
Der König wurde noch nachdenklicher.
Das drittemal schlug er schon vorsätzlich den Weg zum Haus der armen Frau ein. Und wieder sah er, daß die Frau ihre Tochter prügelte. Da wurde er böse und fuhr auf:
»Zum Teufel noch mal! Was schlägst du das arme Mädchen wieder?«
»Wie sollte ich sie nicht schlagen, großer König, nachdem sie doch aus dem ganzen Dach Goldfaden gesponnen hat. Ich brauche doch die Goldfaden nicht.«
»Du sollst sie nicht schlagen, weil sie eine so gute Spinnerin ist. Ich werde sie zur Frau nehmen; bei mir wird sie genug Zeug bekommen, aus dem sie Goldfaden spinnen kann.«
Die arme Frau war sehr froh, ihre schlechte Tochter loszuwerden. Auch der König freute sich, denn das Mädchen war sehr schön, und er sagte sich auch, wenn sie hier aus dem Zaun Goldfaden machte, was würde sie erst bei ihm aus teurem, gutem Flachs für feines Goldgarn spinnen.
Sie schoben die Sache nicht auf die lange Bank, sondern heirateten bald und hielten einen so großen Hochzeitsschmaus, daß weit und breit in Stadt und Land der gelbe Saft floß.
Eine Woche nach der Hochzeit sagte der König zu seiner Frau: »Du langweilst dich wohl, liebe Gemahlin, weil du nicht spinnen kannst? Aber sei getrost, ich werde dir schon genug Flachs zum Spinnen verschaffen. Morgen ist in der Nachbarstadt großer Markt, da kaufe ich dir einen ganzen Wagen voll.«
Und der König kaufte einen so großen Wagen voll Flachs, daß acht Ochsen ihn kaum nach Hause ziehen konnten. »Jetzt kannst du spinnen, liebe Gemahlin«, sagte er.
Die arme Königin wagte nicht einzugestehen, daß sie gar nicht spinnen konnte. Sie schloß sich mit dem großen Haufen Flachs in ihrem Zimmer ein und weinte.
Drei Tage und drei Nächte lang weinte sie. In der dritten Nacht klopfte jemand ans Fenster: »Mach auf, Königin, mach das Fenster auf!«
Sie öffnete das Fenster, und da sprang ein winzig kleines Männlein herein. Es war drei Spannen hoch, sein Schnurrbart war zwei Fuß und sein Bart eine Eile lang. »Ich weiß, warum du dich kränkst, große Königin«, sagte das Männlein, »aber ich will dir helfen. Aus diesem Haufen Flachs Spinne ich dir in drei Tagen Goldgarn. Du mußt unterdessen mir meinen Namen erraten. Wenn du ihn errätst, kannst du zu Hause bleiben, errätst du ihn nicht, dann kommst du mit mir. Abgemacht?«
Die Königin überlegte, was sie tun sollte. Dann faßte sie den Entschluß, dem Männlein den Flachs zu geben. Entweder würde sie das Goldgarn bekommen oder mit dem Männlein gehen müssen. Das Männlein trug also den Flachs weg.
Nun wurde aber die Königin noch trauriger, denn sie zerbrach sich den Kopf völlig umsonst - sie konnte den Namen des Männleins nicht erraten.
Am nächsten Tage schickte der König seine Jäger in den Wald; er wollte gern Wildbret essen. Als sie mit der Beute heimkehrten, fragte sie der König:
»Nun, was habt ihr im Wald gesehen?«
»Oh, großer König«, begann einer der Jäger, »ich habe was gesehen, aber so was, daß Ihr es mir wohl gar nicht glauben werdet.«
»Wenn du es gesehen hast, warum sollte ich es dir dann nicht glauben? Erzähle nur getrost.« Und der Jäger erzählte:
»Als es Abend wurde, machten meine Gefährten im Wald ein Feuer, setzten sich darum und sangen. Ich aber war schläfrig und ging weiter in den Wald hinein, um mir eine weiche bemooste Stelle zu suchen, wo ich mich hinlegen wollte. Und wie ich dort umherstreifte, stach mir ein glimmendes Feuerchen in die Augen. Ich stahl mich hin, um zu sehen, wer sich dort wärmte. Und da sah ich ein winziges Männlein, das über dem Feuer hin und her sprang. Winzig klein war das Männlein, drei Spannen hoch, und sein Schnurrbart war zwei Fuß und sein Bart eine Eile lang. Während es da hüpfte, rief es fortwährend: >Ich bin Panzimanzi, meinen Namen weiß niemand, ich backe und koche, und übermorgen hole ich mir eine schöne Braut.< Da ging ich zu meinen Gefährten zurück, um ihnen das Männlein zu zeigen, aber sie waren nicht mehr da.«
Ober diesen sonderbaren Vorfall wunderten sich alle. Nur die Königin war sehr erfreut: sie wußte, daß der kleine Mann kein anderer gewesen sein konnte als jener, der den Flachs fortgetragen hatte.
Frohgemut saß sie am Abend in ihrem Zimmer und ließ sogar das Fenster offen. Mit einemmal sprang das Männlein herein.
»Nun, Königin«, rief das springende Männlein, »die drei Tage sind um. Ich habe die Goldfaden gesponnen. Und du? Hast du meinen Namen erraten?«
»Jawohl, ich habe ihn erraten, mein lieber Panzimanzi.« Dem
Männlein blieb vor Staunen der Mund offen. Er sagte kein Wort, holte nur still die Menge Goldgarn herein und sprang aus dem Fenster hinaus.
Am folgenden Morgen holte die Königin ihren Gemahl und ging mit ihm Arm in Arm in ihr Zimmer, um ihm zu zeigen, was sie geschafft hatte. »Sieh, mein lieber Gemahl«, sagte sie, »dieses viele schöne Goldgarn habe ich gesponnen.« Der König wurde von dem strahlenden Glanz fast geblendet, er mußte schier die Augen abwenden. Und wie er sich umdrehte, ging er gleich auf seine Frau zu und überhäufte sie mit Küssen.
Drei Tage darauf war in der Stadt, darin der König wohnte, großer Markt, und da kaufte er allen Flachs zusammen, der aufzutreiben war. Die Königin freilich weinte und jammerte, als sie diese Unmenge Flachs erblickte - was sollte sie jetzt nur tun?
Und als sie da saß und weinte, fiel ihr auf einmal ein, daß in ihrem Dorf drei häßliche Bettlerinnen wohnten. Die eine hatte einen Buckel, so groß wie ein Brot, der zweiten hing die Unterlippe bis auf die Brust herab, und die dritte hatte eine so lange Zunge, daß sie ihr aus dem Munde hing und um den Bauch schlotterte. Diese drei Bettlerinnen ließ die Königin zu sich rufen und befahl ihnen, zum König betteln zu gehen. Wenn er sie dann fragen würde, wovon sie so verunstaltet seien, sollten sie ihm sagen: vom vielen Spinnen.
Nach dem Mittagessen ging der König ein wenig im Hof spazieren. Und wie er so umherspazierte, hörte er, daß die Pforte knarrte. Er schaute hin und sah, daß eine arme Frau sich abmühte, hereinzukommen. Sie hatte einen so großen Buckel, daß sie sich kaum durch die Pforte zwängen konnte. Als es ihr endlich gelungen war, ging sie auf den König zu und bat ihn in Gottes Namen um ein Almosen. Er gab ihr einen Dukaten und fragte sie: »Oh, du arme Frau, wovon bist du denn so bucklig geworden? Oder bist du vielleicht so geboren?«
»Nein, großer König«, antwortete die Bettlerin, »geboren bin ich nicht so. In der ganzen Stadt gab es kein so schönes Mädchen wie mich. Aber ich war immer sehr fleißig, habe Tag und Nacht gesponnen,
und von dem vielen Gebücktsitzen bin ich dann so bucklig geworden.« «Da wurde der König nahdenklich. Sofort fiel ihm seine Gemahlin ein. Und nachsinnend ging er weiter auf und ab.
Nach einer Weile knarrte wieder die Pforte. Und abermals kam eine Bettlerin. Der hing die Unterlippe bis auf die Brust. Der König gab auch ihr einen Dukaten und fragte sie:
»Sag, du arme Frau, wovon hat sich denn deine Lippe so gedehnt? Oder bist du vielleicht so geboren?«
»Ach nein, großer König«, antwortete die Bettlerin, »sieben Komitate weit gab es kein Mädchen, das mir an Schönheit gleichkam. Aber ich habe mein Lebtag sehr viel gesponnen, ich habe den Flachs gekaut, und davon hat sich dann meine Lippe so gedehnt.«
Da nahm sich der König vor, seiner Gemahlin zu sagen, sie solle weniger spinnen, und er wollte sogleich ins Haus gehen. Doch in diesem Augenblick begannen die Hunde zu bellen. Er drehte sich um, wer da käme, und da kam durch die knarrende Pforte die dritte Bettlerin. Wie sie auf den König zuging, schaukelte ihre heraushängende Zunge hin und her und schlug ihr fortwährend auf den Bauch.
Als der König das sah, bekam er einen Schreck. Schnell gab er der Frau einen Dukaten und fragte sie: »Um Gottes willen, wovon ist denn deine Zunge so entsetzlich lang geworden?«
»Ach, großer König«, sagte die Bettlerin, »das ist vom vielen Spinnen gekommen. Man muß immer am Faden lecken, wenn man spinnt. Vom Lecken ist meine Zunge so lang geworden.«
Darauf lief der König ins Schloß, geradenwegs zu seiner Gemahlin. Er erzählte ihr, was er gesehen und gehört hatte, wie schrecklich die drei Bettlerinnen gewesen waren. Und dann setzte er hinzu: »Wirf den Spinnrocken fort, wirf die Spindel fort, nicht eine Spanne Goldgarn sollst du mehr spinnen!«
Die Königin stellte sich, als ob ihr das sehr leid tue. Sie begann zu weinen und zu bitten, aber das war vergeblich. Der König ließ den ganzen Flachs verbrennen, sogar die Asche ließ er vom Hof wegtragen
Von da an hatte die Königin keine Sorgen mehr.
Und wenn sie nicht gestorben ist, lebt sie noch heute glücklich mit ihrem Gemahl, dem König.
Die neun Fragen des Teufels
Einen armen Burschen packte die Lust zu heiraten, und er platzte vor seiner Mutter damit heraus, was er im Schilde führte.
»Oh, du Nichtsnutz, du unverbesserlicher! Wie kommst du dazu, zu heiraten!« sagte die Mutter höchst aufgebracht. »Schlage dir das aus dem Kopf, werde nur lieber vernünftig und mache dich an die Arbeit.«
»Ob es dir gefällt oder nicht, ich werde heiraten«, sagte der Bursche keck. »Es gehört sich nicht für mich, so herumzusitzen.« — »Das fehlte noch, daß du mir eine junge Frau ins Haus bringst«, sagte die Mutter. »Hier koche und backe und wasche ich, solange ich bei Kräften bin. Sieh dir nur an, wie das freche Frauenzimmer drüben beim Nachbarn mit ihrer Schwiegermutter umgeht! Wie sie die gute Frau ohne jeden Grund beschimpft und in der ganzen Straße verklatscht. Dabei ist sie selbst so voller Fehler wie der Gemüsegarten der Frau Dudás voll Unkraut! Und doch zerreißt sie sich das Maul, die Schwiegermutter sei schuld, obgleich doch das ganze Dorf weiß, daß es nicht so ist. So könnte auch deine Frau mit mir umgehen. Das fehlte mir gerade noch, eine großmäulige junge Frau im Haus, die ständig zetert! Drum sage ich dir, fange mit mir gar nicht wieder davon an, denn du wirst es bereuen, wenn du keine Ruhe gibst.«
Dem Burschen verging die gute Laune, er sah seine Mutter nur groß an und polterte los:
»Mach doch kein solches Geschrei, Mutter! Alle Burschen im Dorf, die in meinem Alter sind, haben schon geheiratet. Jetzt bin ich wohl an der Reihe.«
»Du machst mir umsonst große Augen«, sagte die Mutter, immer noch ärgerlich. »Ich weiß nicht, was für ein böser Geist in dich gefahren
ist, daß dir die Haut zu eng geworden ist; aber ich sage dir, es wäre besser, wenn du den Mund hieltest.«»In mich ist kein böser Geist gefahren«, sagte der Bursche schmollend, »es ist einfach an der Zeit, daß ich heirate.«
Und wieder fing die Mutter an:
»Nun, wenn du wirklich eine Frau haben willst, dann nimm sie und bringe sie, wohin du willst, meinetwegen in die Hölle, aber in unser Haus - so wahr mir Gott helfe -bringst du sie nicht; eher dreh' ich dir den Hals um, als daß ich das erlaube.«
Der Vater des Burschen sagte kein Sterbenswörtchen, denn die Hosen hatte die Frau an.
Der arme Bursche grämte sich sehr. Mürrisch ging er aus dem Haus, kam auch zum Abendessen nicht in die Stube, sondern legte sich im Hof auf ein wenig staubigem Heu zur Ruhe. Er konnte aber die ganze Nacht kein Auge schließen.
Beim Morgengrauen stand er auf und zog los, sich eine Braut zu suchen. Er ging ziemlich traurig und verärgert davon, weil seine Mutter so übel mit ihm umgegangen und ganz außer Rand und Band geraten war, nur weil er heiraten wollte.
Er wanderte mutterseelenallein mit einem leichten Stab und mit leerem Ranzen, denn die Mutter hatte ihm keine Wegzehrung mitgegeben. Er ging durch unbekannte Gegenden, über Berg und Tal, bis er schließlich nach langer, langer Zeit an eine blanke kupferne Brücke kam. Dort blieb er stehen und bewunderte die Brücke, wagte es aber nicht, sie zu betreten. Wie er so dastand, erblickte ihn ein alter Mann mit weißem Bart; der sagte zu ihm: »Geh doch, du armer Bursche, geh und hab keine Angst. Geh aber nur auf den Zehenspitzen über die Brücke, sonst geht es dir an den Kragen, denn diese Brücke nennt man die Teufelsbrücke. Geh also hinüber, aber so, daß deine Stiefel nicht knarren. Bisher sind hier neunundneunzig Menschen umgekommen, weil sie kecken Ganges und nicht fein still hinübergegangen sind. Einmal ist hier ein ganzer Hochzeitszug mit Wagen und Pferden, Bräutigam und Braut umgekommen, weil sie dröhnend und polternd über die Brücke jagten.«
Der arme Bursche scheute sich anfangs, die Brücke zu betreten; er hatte eine solche Angst, daß er am ganzen Leibe zitterte. Da man aber die Brücke von keiner Seite umgehen konnte, faßte er schließlich doch Mut und kam auch glücklich über die kupferne Brücke hinüber, genauso, wie es ihm der Alte mit dem weißen Bart geraten hatte. Kaum hatte er aber auf der anderen Seite zehn oder zwölf Schritte getan, da sprang ein Teufel unter der Brücke hervor und rief ihm zu: »Halt, halt, du armer Bursche! Hab keine Angst, ich möchte nur ein paar Worte mit dir reden.«
Der arme Bursche blieb gleich stehen, erschrak aber so sehr, daß ihm vor Angst der Atem stockte. Der Teufel trat an ihn heran und sprach zu ihm:
»Höre, du armer Bursche, ich weiß, weshalb du ausgezogen bist. Ich weiß, daß du heiraten willst, und auch, daß du arm bist. Und weil du so anständig über meine Brücke gegangen bist, mich nicht gestört und mir keinen Ärger verursacht hast wie andere Reisende, will ich dich belohnen, damit du, wenn du deine Braut heimführst, auch fürs Hochzeitsfest aufkommen kannst. Wenn du also mit deiner Braut zurückkommst, dann nimm keinen anderen Weg, sondern komm hier vorbei; dann gebe ich dir, was ich dir geben will. Nun aber geh, von dieser Stelle gerechnet, bis zum neunten Dorf; es heißt Frommdorf. Solltest du den Weg nicht wissen, dann frage nur alle Leute, denen du begegnest, wo Frommdorf liegt, sie werden dir schon Bescheid geben. In diesem Dorf wohnt gleich am Rande ein Bauersmann. Der hat drei Töchter. Freie um die Schönste. Wenn man sie dir nicht gibt, dann um eine andere.«
Der arme Bursche machte sich auf den Weg und rastete nicht, bis er Frommdorf erreicht hatte. Dort ging er in das Haus, in das ihn der Teufel gewiesen hatte. Der arme Bursche wurde freundlich aufgenommen. Die Mädchen ahnten, daß er auf der Brautschau war. Sie umgirrten ihn, zierten sich, verdrehten die Augen und bewirteten ihn mit Eierkuchen. Während sie sich dann unterhielten, rückte der Bursche damit heraus, daß er gekommen sei, weil er eine von den Töchtern zur Frau nehmen möchte, wenn man sie ihm gäbe.
»Welche von den dreien möchtest du denn haben?«fragte der Vater der Mädchen.
Der Bursche zeigte auf die Jüngste, denn sie war die Schönste, und sagte: »Diese möchte ich haben.«
»Ei, mein Junge«, antwortete der Vater, »und freite gar der reichste Prinz um meine Jüngste, ich gäbe sie ihm nicht, bevor ich nicht die beiden älteren unter die Haube gebracht hätte!«
»Dann gebt mir meinetwegen die Älteste, wenn es Euch so lieber ist«, sagte der Bursche.
Daraufhin versprachen ihm Vater und Mutter die älteste Tochter. Sie ließen gleich den Geistlichen holen, und der traute sie auf der Stelle. Nach der Trauung aßen sie zusammen zu Mittag. Dann machte sich das junge Paar auf den Weg. Als sie an die Teufelsbrücke kamen, gingen sie so fein still hinüber, wie es der Bräutigam getan hatte, als er allein über die Brücke gegangen war. Da sprang der Teufel unter der Brücke hervor und rief: »Halt, ihr da! Jetzt will ich euch geben, was ich versprochen habe.« Die jungen Leute blieben stehen, und der Teufel trieb neun fette Schweine unter der Brücke hervor und sagte zu dem Bräutigam: »Hier, diese neun Schweine schenke ich euch. Laßt sie schlachten, und aus einem Teil des Kleinzeugs richtet das Hochzeitsmahl. Den Speck von den neun Schweinen aber hängt auf den Boden und geht sparsam damit um. Dir aber, Bräutigam, sage ich nun: Heute in vier Wochen werde ich dich um Mitternacht heimsuchen, und wenn du mir auf meine neun Fragen nicht antworten kannst, verlierst du den Speck von den neun Schweinen und wirst auch noch sonstiges Ubel erfahren. Laß dir das gesagt sein!«
Dem Bräutigam ging diese Rede wie ein Mühlrad im Kopf herum. Nichtsdestoweniger nahmen die beiden die neun fetten Schweine und trieben sie nach Hause, aber nicht ins väterliche Haus, denn die Mutter hatte ja dem Bräutigam gesagt, er solle ihr keine Frau ins Haus bringen. Sie mieteten vielmehr im Dorf ein nettes Häuschen von dem Mitgebrachten der Braut, und da zogen sie ein. Sie ließen die neun fetten Schweine schlachten. Mit dem Kleinzeug von zweien
bereiteten sie das Festmahl, und den Speck von den neun Schweinen hängten sie auf den Boden. Dann gingen sie an die Feldarbeit.Als die vier Wochen nach der Hochzeit um waren, bekam es der Bräutigam mit der Angst. Der Gedanke an die neun Fragen des Teufels, die er vielleicht nicht würde beantworten können, beunruhigte ihn sehr. Während er sich so abhärmte, kam ein schrecklich zerlumpter, wie ein Bettler aussehender Fremder und bat um Unterkunft für die Nacht. Sie nahmen ihn auf und gaben ihm auch ein gutes Abendessen. Dann legte sich der Fremde neben den Ofen, und als er da in der Asche lag, fragte er den Bräutigam, warum er so traurig sei, während doch Jungvermählte meistens gut gelaunt seien. »Ich habe Sorgen, große Sorgen«, sagte der junge Mann. »Schweres steht mir bevor, denn ich soll heute auf neun Fragen antworten. Wenn ich nur wüßte, was für Fragen das sind, dann sähe alles anders aus. Ich würde mich längst nicht so grämen. Das Schlimmste ist ja gerade, daß ich nicht weiß, um was für Fragen es sich handelt. Und wenn ich sie nicht beantworten kann, wird es mir übel ergehen.« »Deswegen brauchst du dich kein bißchen zu grämen«, sagte der Bettler neben dem Ofen. »Ueberlaß mir die ganze Sache. Du sei ganz still und sprich kein Wort. Ich werde an deiner Statt alle Fragen beantworten.«
Das tröstete den jungen Mann einigermaßen. Er ging mit seiner Frau zu Bett; einschlafen aber konnten sie beide nicht. Sie wälzten sich hin und her vor Sorge, was nun wohl kommen würde.
Als sie so ruhelos dalagen, klopfte es um die Mitternachtsstunde ans Fenster. Draußen stand der Teufel und rief mit lauter Stimme:
»Schläfst du, Bauer?«
»Ich schlafe nicht«, antwortete an Stelle des Bauern der Bettler neben dem Ofen.
»Traust du dir zu, meine neun Fragen zu beantworten?«fragte der Teufel weiter.
»Das trau' ich mir zu«, sagte der Bettler.
»Nun, und wenn ich zuallererst frage: Wovon gibt es immer nur eins auf der Welt?«
»Es gibt einen Gott im Himmel, eine Sonne am Himmel, und jeder
Mensch hat nur einen Kopf«, antwortete der Bettler.
Nun fragte der Teufel:
»Kannst du etwas auf >zwei<sagen?«
»Wer zwei gesunde Augen hat, ist glücklich, weil er alles unter der Sonne klar sehen kann.«
»Was kannst du auf >drei<sagen?«
»Ein Haus mit drei Fenstern ist innen ziemlich hell.«
»Laß hören, was du auf >vier< zu sagen hast.«
»Vier Räder an einem Wagen sind gerade genug, mehr sind nicht nötig.«
»Nun sag etwas auf >fünf<.«
»Fünf Finger genügen, um den Knauf eines Säbels zu fassen.«
»Sag etwas auf >sechs<.«
»Wer sechs gute Ochsen hat, mag pflügen, säen, eggen und Holz einfahren ohne fremde Hilfe.«
»Ich glaube nicht, daß du etwas auf >sieben< zu sagen weißt.«
»Wer sieben Töchter hat, dem mag der Kopf schwirren, bis er alle sieben an den Mann gebracht hat.«
»Nun sag etwas auf >acht<.«
»Wer acht Fuder Weizen in der Tenne hat, ist nicht auf anderer Leute Gnade angewiesen.«
»Was sagst du zuletzt auf >neun<?«
»Wer Speck von neun Schweinen auf dem Boden hat, braucht den Nachbarn nicht um Schmalz zu bitten.«
Der Teufel staunte über die passenden Antworten, denn er glaubte, es sei der Bauer gewesen, der ihm geantwortet hatte, und darum sagte er:
»So bleib denn ungeschoren; ich sehe, du weißt mehr als ich.« Und damit ging er dahin, woher er gekommen war. Der junge Bauer bewirtete am nächsten Morgen den Bettler mit Speise und Trank und schenkte ihm überdies einen feinen Schinken, Haxen und noch anderes. Er gab es aus frohem Herzen, denn der Bettler hatte ihn ja vor großem Kummer bewahrt. Die jungen Leute aber stellten sich
so fleißig an, daß sie sich in kurzer Zeit einen hübschen Hof schaffen und sich ein Haus bauen konnten. Und die junge Frau half auch ihrer Schwiegermutter, als diese hinfällig wurde, und sie bäckt noch heute Palatschinken, wenn der Speck inzwischen nicht alle geworden ist.
Der starke János
Es war einmal eine Witwe. Die hatte einen Sohn, der war schon achtzehn Jahre alt und wollte immer noch nicht arbeiten. Er hieß János Seine Mutter war sehr traurig, denn was sollte aus ihrem Sohn werden, der kein Spierchen von der Stelle rücken wollte, immer nur im Ofenwinkel saß und in der Asche wühlte? Er war schon zwanzig Jahre alt, als man in der Nachbarschaft ein Haus baute. Sie waren eben dabei, die Balken aufzuziehen, da fragte Janos seine Mutter: »Was hämmern die da drüben so viel?«
»Sie bauen sich ein Haus, mein Junge. Jeder arbeitet, nur du nicht.« »Ich gehe hinüber und werde ihnen helfen«, sagte er. Und er ging wirklich. Da sah er denn, wie sie sich vergebens plagten, die Dachbalken hochzuziehen.
»Geht mal beiseite, ihr Jammerlappen, ich werde sie schon hinaufbringen, habt keine Angst!«
»Geh, du Aschenwühler, bist ja keine Zwiebel wert!« »Und ihr seid das Essen nicht wert!«
Er packte die Balken und warf sie hinauf aufs Dach. Von dieser Zeit an schätzte man ihn sehr; überall bekam er Arbeit für Tagelohn. Von dem, was er verdiente, konnten er und seine Mutter anständig leben. Der damalige Schulze des Dorfes, ein rechter Geizhals, sagte nun eines Tages zu Jänos:
»Komm zu mir, ich werde dich und deine Mutter ein Jahr lang erhalten. Lohn bekommst du nicht, wir wollen aber ausmachen, daß dem, der sich zuerst über den andern ärgert, Leder für ein Paar Schuhe und Schnürriemen aus dem Rücken herausgeschnitten werden.«
»Meinetwegen, Herr Schulze, so soll es sein.«
Der Schulze besaß ein großes, mit Weidengestrüpp bewachsenes Feld und eine Menge Schafe. »Nun, János du hast nichts anderes zu tun, als die Schafe hinauszutreiben und die Sträucher bis zum Herbst auszutilgen.«
Am ersten Tag, als János die Schafe auf die Weide trieb, fand er in seinem Ranzen nicht den kleinsten Bissen. Er wußte sich aber zu helfen: er schlachtete zwei Schafe, die allerbesten, zog sie ab, machte Feuer, briet sie und aß sie auf.
»Nun, János hast du viel vertilgt?«fragte der Schulze am Abend.
»O ja, zwei sogar, die allerbesten.«
Der Schulze meinte natürlich, er habe Sträucher, die zwei schönsten Sträucher, vertilgt.
Als János am nächsten Tage die Schafe hinaustrieb, hatte man wieder nichts in seinen Futtersack getan. Er schlachtete also abermals zwei Schafe, briet sie und aß sich satt. Am dritten Tage machte er es genauso. Am vierten Tag ging auch der Schulze mit hinaus, um zu sehen, wie János arbeitete. Da sah er denn, daß von den Schafen sechs fehlten, von den Sträuchern aber kein einziger.
»Na, János was hast du gearbeitet?« fragte der Schulze.
»Was Sie sehen, Herr Schulze! Ärgern Sie sich etwa deswegen?« Der Schulze fand sich damit ab, daß János zu essen haben müsse, sonst würde er nicht arbeiten und alle Schafe aufessen. Am nächsten Tag tat er Brot, Speck, Zwiebeln und auch ein wenig Schnaps in den Futtersack. János machte sich an die Arbeit; er riß alle Sträucher aus, kein Stengelchen ließ er stehen.
Gestrüpp gab es nun nicht mehr. Darum begannen der Herr Schulze und János am nächsten Tag mit dem Pflügen. Mittags, als die Ochsen und der Herr Schulze futterten, sagte Jänos: »Herr Schulze, ich springe mal schnell nach Hause. Wenn ich pflüge, kommt es immer über mich, dann muß ich herumrennen.« Und er rannte, was er konnte, nach Hause.
Als die Frau des Schulzen, die eben ihren Buhlen, den Kantor, bei sich hatte, János von weitem kommen sah, sagte sie:
»Herr Kantor, verstecken Sie sich schnell, sonst gibt es ein Unglück!«
Der Kantor versteckte sich hinter dem Ofen. Als János eintrat, fragte die Frau des Schulzen:
»Was ist geschehen, Jänos?«
»Der Herr Schulze hat gesagt, ich soll die Bohnenstangen hinter dem Ofen aufstapeln.«
Eben hatte man eine Menge Bohnenstangen vor dem Hause des Schulzen abgeladen. János machte sich eifrig daran, die fein zugespitzten Stangen mit der Spitze nach vorn hinter den Ofen zu schieben. Dem Kantor in seinem Schlupfwinkel erging es übel. Als alle Bohnenstangen verstaut waren, rannte János aufs Feld zurück.
»Na, hast du dich ausgetobt?«
»Ja, Herr Schulze, jetzt kann es wieder an die Arbeit gehen.«
Sie pflügten bis zum Abend. Zu Hause beklagte sich die Schulzin über Jänos; sie erzählte, wie er alle Bohnenstangen hinter den Ofen gesteckt hatte. Aber sie sagte nicht, daß der Kantor dabeigewesen war.
Am nächsten Tag gingen der Schulze und sein Knecht abermals aufs Feld, und um die Mittagszeit wurde János wieder rappelköpfig. Er rannte nach Hause, wo der Kantor bei der Schulzin war. Als sie ihn kommen sah, rief sie:
»Verstecken Sie sich schnell irgendwo, der János kommt schon wieder!«
»Der Teufel soll den Kerl holen! Entweder ist er ein Hellseher oder verrückt! Gestern hat er mich von oben bis unten zerstochen! Wer weiß, was mir heute blüht!«
»Verstecken Sie sich doch, er wird gleich hier sein! Schnell, hinter der Tür steht eine Wanne voll Wolle, kauern Sie sich da hinein, nur rasch!«
Als János eintrat, fragte die Frau: »Was gibt es?«
»Der Herr Schulze hat gesagt, ich soll zwei Kessel Wasser kochen und die Wolle in der Wanne hinter der Tür abbrühen.«
Und das tat er auch. Die Schulzin widersetzte sich, konnte aber nicht
verhindern, daß János das Wasser kochte und es auf die Wolle schüttete. Dann machte er, daß er fortkam.»Na, hast du dich ausgetobt?«
»Ja, Herr Schulze, jetzt kann es wieder an die Arbeit gehen.« Sie arbeiteten bis zum Abend und gingen dann heim. Diesmal beklagte sich die Frau, daß János die Wolle abgebrüht habe, und sie sagte, sie wolle ihn nun nicht länger im Hause haben.
»Wie aber kann ich ihn unschädlich machen? Wie kann ich ihn loswerden? Ich habe doch eine Abmachung mit ihm getroffen. Er wird mir unverzüglich Leder für ein Paar Schuhe und Schnürriemen aus dem Rücken schneiden.«
Der Schulze dachte sich nun aus, János in einen großen Wald zu schicken, und er sagte daher zu ihm: »Geh in den Wald, János ich habe dort eine Schweineherde und einen Hirten. Bringe ihm ein Hemd und eine weiße Pluderhose hinaus. Sage ihm, er soll das weiße Hemd und die weiße Pluderhose anziehen, denn er hat schon lange die Kleidung nicht gewechselt. Und dann treibt zusammen die Herde nach Hause.«
János machte sich auf den Weg. Der Schulze aber hatte gar keine Schweineherde im Wald; er hatte sich das nur ausgedacht, weil er hoffte, die wilden Tiere des Waldes würden János auffressen. János wanderte im Wald umher, fand aber nirgends eine Herde, nirgends einen Hirten, dem er doch Hemd und Pluderhose bringen sollte. Plötzlich erblickte er ein Rudel Wildschweine und einen Bären. Der Bär trieb die Wildschweine zusammen, und János meinte, der sei der Schweinehirt, und er sprach zu ihm:
»Warte, ich habe dir was mitgebracht: ein weißes Hemd und eine weiße Pluderhose. Hier, nimm und laß uns die Herde nach Hause treiben.«
Es fiel János ein, daß der Schulze ihm gesagt hatte, der Schweinehirt heiße Miklós.
»So warte doch, Onkel Miklós, wohin gehst du denn?«
Der Bär brummte: »Wrumm, wrumm, wrumm.«
»Darum, weil es der Schulze befohlen hat.«
Der Bär tapste hin und her. János packte ihn und sagte:
»Hier ist das Hemd und die Pluderhose, Onkel Miklós, zieh dich an, und dann treiben wir die Schweine heimwärts.«
Aber der Bär wollte nicht. János gab ihm zwei Ohrfeigen; da fing der Bär wieder an zu brummen: »Wrumm, wrumm, wrumm.«
»Darum, weil wir jetzt sofort die Schweine heimwärts treiben müssen.«
Als der Bär merkte, daß es noch mehr Ohrfeigen geben würde, kletterte er auf einen Baum.
»Komm herunter, Onkel Miklós, komm, laß uns die Schweine heimtreiben, es wird bald Abend.«
Der Bär dachte gar nicht daran, vom Baum herunterzukommen. Da nahm János eine lange Stange und stieß damit so lange nach ihm, bis er herunterkam.
>Na, willst du noch immer nicht mitkommen, Onkel Miklós?«
Und wieder begann der Bär:
>Wrumm, wrumm, wrumm.«
»Warum, warum! Darum!« sagte János packte ihn bei den Ohren, gab ihm noch eine tüchtige Ohrfeige und zog ihn mit sich fort. Mit der Stange trieb er die Schweine an, mit der freien Hand hielt er Onkel Miklós fest. Als die Schweine merkten, daß das eine oder andere von ihnen den Stock zu spüren bekam, hielt das Rudel zusammen und ließ sich treiben. Nur eins von ihnen wollte sich durchaus nicht fügen, es lief immer wieder zu János um ihn zu beißen. Als es ihm zuviel wurde, erschlug er es mit seiner Stange, zog ihm das Fell ab, briet es und gab auch Onkel Miklós davon zu essen. Als sie gegessen hatten, machten sie sich wieder auf den Weg. János ließ nun Onkel Miklós los und schrie ihm zu, er solle die Schweine treiben. Der Bär aber tapste hin und her, er wollte einfach nicht arbeiten. Da packte ihn János bei den Ohren und zog ihn wieder mit sich fort. »Ich werde die Schweine ja doch allein heimtreiben müssen, und dich nehme ich auch mit, so wie es der Herr Schulze befohlen hat.«
Als der Schulze nun sah, wie die Schweine zum Tor hereingetrieben wurden, sagte er zu seiner Frau: »Ach, du lieber Gott! Da ist dieser
János schon wieder, und er bringt auch noch einen Haufen Schweine mit!«János aber sagte:
»Dieser Onkel Miklós ist keinen roten Heller wert. Ich habe ihm das weiße Hemd und die Pluderhose angezogen, und er wollte doch nicht mitkommen. Aber essen -das kann er, das halbe Brot hat er schon aufgegessen. Geben Sie dem nur keinen Lohn, er verdient keinen roten Heller.«
»Gut, mein Sohn, er bekommt keinen Heller, der untüchtige Kerl.«
»Aber wo sperren wir die Schweine ein?«
»Sperr sie in die Scheune und Onkel Miklós in den Schweinestall.« János tat, wie ihm befohlen. Er sperrte die Schweine in die Scheune, Onkel Miklós aber in den Schweinestall.
Am andern Tag sagte der Schulze: »Was soll ich diesen Schweinen nur zu fressen geben? Die fressen mir ja die Haare vom Kopf, wenn wir sie nicht in den Wald zurücktreiben. Wir müssen sie zurückjagen.«
»Ich will kein Schweinehirt sein«, sagte János darauf. »Aber wenn es dem Herrn Schulzen so gefällt, bitte, jagen Sie sie selbst zurück; wenn nicht, dann lassen Sie die Schweine von Onkel Miklós zurücktreiben und schlagen Sie drein, wenn er nicht arbeiten will.«
Der Schulze aber wollte keins von beiden; er wollte weder zu den Schweinen noch zu Onkel Miklós gehen. Er sagte daher: »Weißt du was, mein Sohn, wir wollen sie schlachten, aber alle.«
Sie begannen sie zu schlachten. Zwei Tage schlachteten sie die Schweine und sengten die Borsten im Strohfeuer ab. Am dritten Tag ging ihnen das Stroh aus; es war nichts mehr da, die Borsten abzusengen.
»Jänos, mein Sohn«, sagte der Schulze, »lauf und bitte den Nachbarn, uns Stroh zu leihen.«
János ging zum Nachbarn und bat, ihnen Stroh zu borgen. Der Nachbar sagte: »Dort hinten neben der Scheune liegt Stroh. Nimm dir, soviel du brauchst.«
János packte sich den ganzen Schober auf und wollte ihn über den
Hof aus dem Garten schleppen. An der Ecke der Scheune aber blieb er hängen und konnte nicht weiter. Da fragte er den Nachbarn, ob er ihm erlaube, die Scheune ein wenig von der Stelle zu rücken. »Bitte, János nur zu!«Der Nachbar meinte wohl, er habe gefragt, ob er mit dem Stroh weiterrücken dürfe. János aber packte die Scheune, gab ihr einen Stoß und schleppte das Stroh weg.
Sie sengten nun auch die übrigen Schweine im Strohfeuer ab und dachten dann darüber nach, wohin sie das viele Fleisch und den vielen Speck tun sollten.
Der Schulze aber zerbrach sich immer nur den Kopf, wie er János am besten umbringen könne. Im Hof war ein großer, ausgetrockneter Brunnen. Der Schulze meinte nun, man könne das Fleisch in diesem Brunnen unterbringen. Er ließ also János in den Brunnen steigen und legte einen großen Mühlstein über die Öffnung, damit sein Knecht nicht wieder herauskönne. Als der nun sah, daß man kein Fleisch mehr herabließ, spreizte er die Beine und kletterte hinauf bis zum Brunnenrand, wo der große Mühlstein ihm den Ausgang versperrte. Nun, das war gar nichts für János
Er steckte seinen Kopf in das Loch im Mühlstein, stieg aus dem Brunnen, ging zum Schulzen und sagte ihm guten Tag. »Grüß Sie Gott, Herr Schulze! So einen Hut hat der Herr Schulze noch nie gehabt! Aber nun möchte ich wissen, warum man kein Fleisch mehr heruntergelassen hat.«
Da sagte der Schulze: »Das übrige habe ich verkauft, János
Da kam mit einemmal die Nachricht, daß sich zwanzig bis dreißig Männer aus dem Dorf stellen sollten. Ein großer Krieg war im Gange, Feinde wollten das Land besetzen. Der Schulze geriet außer sich vor Freude, weil er János nun in den Krieg schicken konnte. Er ließ ihn kommen und sagte zu ihm:
»Jänos, mein Sohn, du mußt in den Krieg ziehen.«
»Was muß ich dort tun, Herr Schulze?«
»Nichts anderes, János als dich herumschlagen.«
»Gut, Herr Schulze, ich gehe«, sagte János
Man packte ihm Maisbrei, Mehl und Schweinefleisch auf einer großen Pfanne in den Ranzen. Dann machte er sich auf den Weg.
Er kam dahin, wo Krieg geführt wurde, und sagte: »Zuerst koche ich Maisbrei, dann erst werde ich mich herumschlagen. Vorher muß ich noch tüchtig essen.«
Während er nun den Brei kochte, kamen die feindlichen Kanonenkugeln geflogen.
»Wenn ihr mich nicht in Ruhe laßt, wird es euch schlecht ergehen!« Aber der Feind schickte weiter seine Kugeln, die an ihm oder an dem Kessel vorbeiflogen.
»Die werden mir wahrhaftig noch meinen Breikessel umwerfen! Aber wartet nur, es wird euch schon an den Kragen gehen! Treibt nur ruhig euren Unfug!«
Und dann traf auch wirklich eine Kugel den Kessel. Der zerbrach in tausend Stücke, und es gab keinen Maisbrei mehr. Da wurde János böse. Inder Nähe stand ein Zelt. Er riß einen Zeltpflock heraus, warf sich auf den Feind und schlug ihn nach allen Regeln der Kunst. Der König hörte, daß da ein einzelner Mensch den Feind geschlagen hatte. Erließ ihn kommen, erwies ihm alle Ehren und gab ihm seine Tochter zur Frau.
Eine große Hochzeit wurde hergerichtet. Schüsseln und Löffel gab es genug, aber wer auch nur einen Tropfen Suppe bekam, konnte sich glücklich schätzen.
Ich bin auch hingegangen und habe um ein Stückchen Fleisch gebeten. Jemand warf mit einem Knochen nach meinem linken Bein - davon hinke ich heute noch. Hier in der Nähe wohnt ein Mann; der hat einen vollständig kahlen Kopf. Er heißt Marton Sámuel Fejér.. Der war auch da und bat um einen Tropfen Suppe. Jemand ärgerte sich darüber und goß eine Schüssel kochendheiße Suppe über ihn - davon ist er so kahl geworden, der arme Tropf.
Und wenn das junge Paar nicht gestorben ist, lebt es noch heute.
Der Zigeuner im Himmel und in der Hölle
Es waren einmal irgendwo auf der Welt, weiter weg als das große Meer, ein Zigeuner und zwei arme Männer. Die gingen zu dritt in den Wald Holz fällen. Als sie mitten bei der Arbeit waren, sagte der eine arme Mann: »Was würden wir uns wohl wünschen, wenn Gott uns einen Wunsch freigabe?«
»Ich wünschte mir«, sagte der andere arme Mann, »daß mich zu Hause auf dem Tisch eine Schüssel mit Wurst und ein Weißbrot erwartete.«
»Und ich«, sagte der erste, »wünschte mir, auf meinem Tisch solle eine Schüssel mit Quarkfladen bereitstehen.«
Der Zigeuner dachte sich, es sei sowieso unnütz, sich etwas zu wünschen, es würde ja doch nicht in Erfüllung gehen; darum wollte er sich einen Spaß erlauben und sagte: »Ich wünschte mir, daß meine Frau, die gerade in den Wehen liegt, mich mit zwölf Zigeunerbuben erwartete.«
Das war alles, was sie darüber sprachen.
Als sie am Abend das Holz eingefahren hatten und der eine arme Mann nach Hause kam, stand da eine Schüssel mit Wurst auf dem Tisch, und daneben lag ein Weißbrot. Auch der andere fand in seiner Hütte die gewünschte Schüssel mit Quarkfladen.
Als nun der Zigeuner nach Hause kam, war eben die Hebamme da, und als er das Holz in einer Ecke abladen wollte, rief sie: »Nicht dorthin, da liegt doch ein Kind!«
Nun wollte er das Holz in einer anderen Ecke ablegen, aber da ertönte es: »Auch dorthin nicht, da liegen doch zwei Kinder!« >Dann also hinter den Ofen mit dem Holz!< dachte der Zigeuner. Doch wieder rief man ihm zu: »Dorthin ganz gewiß nicht, denn dort liegen auch zwei Kinder!«
Wo immer er das Holz hinlegen wollte, es ging nicht, überall lagen Kinder. Schließlich wurde der Zigeuner böse.
»Verdammte Schweinerei! Wie viele Kinder gibt's denn in dem Haus?«
»Genau ein Dutzend!« sagte darauf die Hebamme.
Da erschrak der Zigeuner sehr.
»Als Dreizehnter will ich hier nicht bleiben, das ist eine Unglückszahl! Lieber gehe ich als Kesselheizer in die Hölle!« Kaum hatte er das ausgesprochen, war ein hinkender Teufel zur Stelle, packte ihn beim Kragen und brachte ihn als Kesselheizer in die Hölle.
Die zwölf Zigeunerbuben wuchsen heran und gediehen. Es kam die Zeit, zu der sie das Jünglingsalter erreicht hatten. Da fragte einmal der jüngste die Mutter: »Sag, Mutter, haben wir nie einen Vater gehabt? Oder wenn wir einen gehabt haben, wo ist er hingekommen? Wie geht es zu, daß wir niemals etwas von ihm gehört haben?«
»Doch, mein Sohn, ihr habt einen Vater gehabt. Aber als ihr zur Welt kamt, sagte er, die Dreizehn sei eine Unglückszahl, er wolle nicht als Dreizehnter hierbleiben, und er ging fort. Seitdem weiß man nichts von ihm.«
»Nun, Mutter, dann will ich ihn suchen und ihn nach Hause bringen.«
Der Zigeunerbube zog in die weite Welt, um seinen Vater zu suchen. Er suchte und suchte, er ging um die ganze Erde herum, fand ihn aber nicht.
Als er ihn gerade einmal wieder in einem Wald suchte, fand er eine große Pappel, die mit dem Wipfel in den Himmel und mit der Wurzel in die Hölle reichte. >Nun<, dachte sich der Zigeunerbube, >wenn mein Vater auf der Erde nicht zu finden ist, muß er wohl im Himmel sein. Ich will hinaufgehen und mich wenigstens mal umsehen da oben.. .< Er nahm sein Beil und begann, Stufen in den Baum zu hauen. Immer höher und höher schlug er die Stufen über sich, und schließlich gelangte er in den Himmel.
Als er da ankam, sah er sich um, und da standen schrecklich viele Seelen vorm Himmelstor. Ihm war das gleich; er stieß sie rechts und links beiseite, trat an das Tor und klopfte an.
»Wer ist da?«fragte Petrus hinter dem Tor.
»Ich bin es, der zwölfte Sohn des Zigeuners Zsiga.«
»Jetzt kannst du nicht herein, warte!«
»Ich denke nicht dran! Wie komme ich dazu, zuwarten?! Laßt mich gefälligst ein, ich will meinen Vater suchen!«
»Umsonst, mein Sohn, ich kann dich jetzt nicht hereinlassen, der liebe Gott ist nicht zu Hause. Wenn er nach Hause kommt, mußt du mit ihm reden.«
Der Zigeuner sah, daß er so nicht weiterkam. Er packte also seinen Hut und warf ihn über das Tor in den Himmel hinein.
»Ei, Herr Petrus, der Wind hat meinen Hut hineingeblasen, gebt ihn mir doch wieder.«
»Ich tät's recht gern, mein Sohn, aber er ist weit weggerollt. Ich kann ihn gar nicht mehr sehen. Während ich ihm nachliefe und ihn suchte, würden diese vielen verflixten Seelen alle durch den Hundeeingang unter dem Tor hereinkriechen.«
»So laßt mich ein, ich werde ihn mir schon suchen!«
»Ei, mein Sohn, ich sagte dir doch schon, daß es jetzt nicht geht.« »Wenn nicht, dann nicht! Aber das eine sage ich Euch: Ich werde Euch beim lieben Gott verklagen - er soll nur nach Hause kommen -, daß ihr das rechtmäßige Eigentum anderer Leute einbehaltet.«
Was blieb Petrus zu tun übrig? Er fürchtete, Gott würde ihn ausschimpfen. So ließ er denn den Zigeunerbuben ein, doch mußte dieser ihm versprechen, gleich zurückzukommen, sobald er den Hut gefunden habe. Das versprach der Bube, hatte aber nicht im Sinn, sein Versprechen zu halten. Was kümmerte ihn schon ein solches Versprechen! Die Hauptsache war ja, einmal drin zu sein im Himmel.
Er suchte seinen Hut, fand ihn bald, drückte ihn sich auf den Schädel und ging dann daran, seinen Vater zu suchen, sich aber auch zugleich ein wenig umzusehen. Als er so herumbummelte, kam er an einen Hügel, auf dem hoch oben ein großer, aus Stroh geflochtener Armstuhl stand und ringsherum viele kleine Schemel. Der große Stuhl war Gottes Sitz; von dem aus konnte man die ganze Welt, Himmel und Erde und Meere, überblicken. Die kleinen Schemel waren für die Engel bestimmt.
Der Zigeunerbube ging auf den Hügel zu, und als er den großen Armstuhl erreicht hatte, setzte er sich mir nichts, dir nichts auf Gottes Sitz und begann nun zu staunen, was da alles zu sehen war. Während er seine Augen schweifen ließ, erblickte er auch die väterliche Hütte, und als er genauer hinsah, um seine Mutter zu entdecken, bemerkte er, daß der Nachbarzigeuner gerade das einzige, mit vieler Mühe und Not gestohlene Ferkel seiner Mutter stehlen wollte. >Na warte, du Kerl<, dachte er bei sich, >dich will ich aber in Schrecken jagen!<Er packte einen von den kleinen Schemeln und schleuderte ihn nach dem Zigeuner, traf aber weit daneben. Da packte er einen zweiten, traf aber wieder nicht. Er griff nach dem dritten, dem vierten, dem fünften und warf so einen Schemel nach dem andern hinunter. Als er gerade im schönsten Schemelschleudern begriffen war, kam der liebe Gott nach Hause.
»Ei, du Nichtsnutz, was treibst du da?«
»Ich muß doch etwas tun, Göttliche Majestät, ich kann doch nicht zusehen, wie unser Nachbar das einzige Ferkel meiner Mutter stehlen will, das er inzwischen gewiß schon gestohlen hat. Ich wollte ihm einen Denkzettel geben, es ist mir aber nicht gelungen.«
»Ei, du Schlingel«, antwortete der liebe Gott, »wenn ich auf jeden Menschen, der ein Ferkel stiehlt, einen Schemel schleudern wollte, könnten mich alle Tischler und Schreiner der Welt nicht ausreichend mit Schemeln versorgen. Und nun scher dich aus dem Himmel, oder ich lasse dich hinauspeitschen!«
Da erschrak der Zigeunerbube und machte sich aus dem Staube. Er verschwand, als sei er niemals dagewesen. Als er das Himmelstor hinter sich hatte, begann er zu überlegen, wo wohl sein Vater sein könnte, wenn er weder auf der Erde noch im Himmel zu finden war. >Da kann er doch nur noch in der Hölle sein! Vielleicht haben ihn die Teufel geholt!<dachte er sich. >Nun, mit mir sollen sie nicht so leicht fertig werden, ich will hingehen und sie Mores lehren!<
Er machte sich also auf den Weg und blieb erst wieder stehen, als er die Höllengrenze erreicht hatte. Da begegnete er einem Regiment Soldaten. »Wohin gehst du, Zigeuner?«fragten sie ihn.
»In die Hölle, meinen Vater suchen.«
»Dahin gehst du umsonst. Wir kommen gerade von dort, weil die Teufel die einzige Tochter unseres Königs gestohlen haben. Die wollten wir zurückholen, aber die Teufel geben sie nicht heraus. Und unser König hat doch dem, der sie zurückbringt, seine Tochter zur Frau und sein halbes Königreich obendrein versprochen. Du tust also besser dran, gar nicht erst weiterzugehen, sondern machst lieber kehrt.«
»Das mache ich ganz gewiß nicht. Da ich nun einmal so weit gekommen bin, kehre ich nicht mehr um«, erwiderte der Zigeunerbube und ging seines Wegs. Er kam denn auch ans Höllentor und klopfte an.
»Ist Pluto zu Hause?«
»Nein.
»Nun, dann gebt ihr nur meinen Vater heraus, ich weiß, daß er hier ist.«
»Fällt uns gar nicht ein! Wir sind doch nicht verrückt!«
»Na schön, ihr werdet ihn mir schon noch gerne herausgeben wollen, das weiß ich gewiß; fragt sich nur, ob ich ihn dann noch haben will.«
Die Teufel lachten ihn aus. Der Zigeuner aber kümmerte sich nicht im geringsten um ihr Gelächter, sagte kein Wort, nahm einen Spaten und fing an, den Platz vor dem Höllentor abzuschreiten und mit dem Spaten eine Stelle der Länge und Breite nach abzugrenzen. Das sah ein Teufel, ging hin und fragte ihn:
»Was treibst du da, Zigeunerbube?«
»Ich baue hier mal eben eine Kirche, damit ihr weder rein noch raus könnt, solange ihr mir meinen Vater nicht herausgebt.«
Der Teufel erschrak, rannte hinein und holte den alten Zigeuner. »Hier hast du deinen Vater! Jetzt aber marsch, weg mit dir!«
»Ho, ho, so einfach ist das nicht! Vorhin wolltet ihr ihn mir nicht geben, und jetzt weiche ich so lange keinen Fußbreit von der Stelle, bis ihr mir nicht auch die Königstochter herausgebt.«
»O Zigeuner, verlange nur das nicht von uns! Wir wollen dir soviel Gold und Silber geben, wie du zu tragen vermagst.«
»Ich brauche euer Gold und Silber nicht, ich will die Königstochter haben!«
»So warte doch wenigstens, bis Pluto nach Hause kommt.«
»Ich warte keinen Augenblick. Gebt ihr sie heraus oder nicht? Wenn nicht, baue ich hier sogleich eine Kathedrale hin, und nicht einmal Pluto kann dann in seine Hölle hinein.«
Da erschraken die Teufel sehr, und sie gaben auch die Königstochter heraus. Die drei nahmen nun den Weg nach der Oberwelt.
Bald darauf kam Pluto nach Hause und merkte gleich, was da fehlte.
»Wo ist denn die Königstochter?«
»Tja, die mußten wir einem Zigeuner geben, denn er drohte, eine Kathedrale vor unser Tor zu bauen, wenn wir ihm die Königstochter nicht herausgaben, so daß wir weder herein noch hinaus gekonnt hätten.«
»O ihr Narren!«sagte Pluto. »Wie hätte der eine Kathedrale bauen können? Er hatte doch nichts, was dazu nötig ist. Geh ihm sofort nach, mein Läufer, und bringe die Königstochter zurück!«
Der Läufer lief davon und erreichte den Zigeuner bald. »Halt, Zigeuner! Gib die Königstochter zurück!«
»Einem Burschen, wie du einer bist, gebe ich sie noch lange nicht! Mit dir nehme ich es in allem auf!«
»So laß uns um die Wette laufen«, sagte der Teufel.
»O du armer Teufel«, sagte der Zigeuner aufgeblasen, denn er hatte im Gebüsch einen Hasen gesehen, »mit einem solchen Burschen, wie du einer bist, lasse ich mich gar nicht selbst ein, da tut's auch mein Brüderchen. Geh nur und rufe ihn, er rastet dort im Gebüsch.« Der Teufel ging auf den Busch zu, der Hase erschrak und lief davon. Der Teufel konnte natürlich nicht so laufen wie ein Hase, und er war nun überzeugt, daß der Zigeuner ein festerer Bursche sei als er; er wagte es nun auch gar nicht mehr, die Königstochter von ihm zu fordern, sondern ging beschämt in die Hölle zurück. »Wo ist die Königstochter?« fragte Pluto.
»Die ist geblieben, wo sie war«, denn ihm sei es so und so ergangen, und er erzählte, wie sich alles zugetragen hatte.
»O du Narr! Das war doch nicht sein Brüderchen, sondern ein Hase. Kein Zigeuner kann so gut laufen, daß du ihn nicht einholen könntest. Jetzt geh du, Keulenschwinger, und nimm du ihm die Königstochter weg.«Der Keulenschwinger rannte davon und erreichte den Zigeuner bald.
»Halt, Zigeuner! Gib die Königstochter zurück!«
»Einem Burschen, wie du einer bist, gebe ich sie noch lange nicht! Mit dir nehme ich es in allem auf!«
»Na, dann laß mal sehen, wer diese zwei Zentner schwere Keule höher hinaufwerfen kann: du oder ich.«
»Gut, wirf du zuerst.«
Der Teufel warf die Keule so hoch hinauf, daß sie kaum noch zu sehen war. Als sie herunterfiel, packte der Zigeuner sie am Stiel und begann zu schreien: »Bruder! Bruder!«
»Wen rufst du denn?« fragte der Teufel.
»Meinen Bruder, der auf der andern Welt Schmied ist. Ich will ihm die Keule hinaufwerfen, er wird das viele gute Eisen brauchen können.«
»Nein, nein, wirf sie lieber nicht! Behalte die Königstochter! Nimm mir nur ja meine Keule nicht weg!«
Auch dieser Teufel kehrte ohne die Königstochter in die Hölle zurück.
Wieder fragte Pluto:
»Wo ist die Königstochter?«
»Ich habe sie nicht mitgebracht«, denn so und so sei es ihm ergangen.
»O du Narr! Der Zigeuner hätte ja deine Keule nicht einmal von der Stelle rücken können! —Na, Peitschenknaller, mein Sohn, laufe du ihm nach und nimm du ihm die Königstochter weg.«
Der Teufel Peitschenknaller machte sich auf den Weg und erreichte den Zigeuner bald.
»Halt, Zigeuner! Gib die Königstochter zurück!«
»Das muß schon ein anderer Bursche sein als du, dem ich sie zurückgebe! Mit dir messe ich mich in allem!«
»Kannst du mit dieser Peitsche lauter knallen als ich?«
»Knall einmal, damit ich sehe, was du kannst.«
Der Teufel knallte mit der Peitsche, und es war, als habe man eine Kanone abgeschossen.
»Nun, Zigeuner, das mach mir nach.«
Der Zigeuner sagte kein Wort, nahm aber drei Reifen heraus, legte einen sanft um den Kopf der Königstochter, den zweiten um seines Vaters Kopf und den letzten um seinen eigenen.
»Was machst du da?«fragte der Teufel.
»Ich lege Reifen um unsere Köpfe, denn gleich werde ich so knallen, daß jedem, der keinen Reifen um den Kopf hat, der Schädel platzt.«
»Na, dann lege auch mir einen Reifen um den Kopf.«
Der Zigeuner begann nun einen Reifen um den Kopf des Teufels zu legen, zog aber so fest an, daß der arme Teufel zu betteln anfing:
»O weh! Nicht so fest! Behalte lieber die Königstochter!«
Da lockerte der Zigeuner den Reifen, und der Teufel zog beschämt ab.
Auch diesen fragte Pluto: »Wo ist die Königstochter?«
»Die habe ich nicht zurückbringen können«, denn so und so sei es ihm mit der Bereifung ergangen.
»O du Narr! Der Zigeuner hätte ja überhaupt nicht knallen können! —Fahre du ihm nach, mein Kutscher, und bringe du mir endlich die Königstochter zurück.« Und Plutos Kutscher nahm eine Forke und machte sich auf, den Zigeuner einzuholen.
»Halt, Zigeuner! Gib die Königstochter zurück, sonst ersteche ich dich sofort!«
»Du machst mir nicht bange«, antwortete der Zigeuner, »so auf ebener Erde zu kämpfen, ist doch keine Kunst. Wenn du ein richtiger Kerl bist, dann stell dich hinter diesen Zaun, und ich stelle mich davor, und dann wollen wir mal sehen, wer den andern durch den Zaun hindurch besser bearbeiten kann.«
Der Teufel hatte eine zweizackige Forke, der Zigeuner einen Spieß. Sie begannen nun, durch den Zaun aufeinander loszustechen. Aber der Teufel konnte mit seiner zweizackigen Forke den Zaun nicht
durchstechen, sie blieb immer im Zaun stecken. Der Zigeuner aber mit seinem Spieß durchbohrte den armen Teufel so gründlich, daß es dem zuviel wurde; er machte sich davon und rannte in die Hölle zurück.»Auch du hast mir also die Königstochter nicht zurückbringen können?« fragte Pluto.
»Es war nicht möglich«, denn so und so sei es ihm ergangen. Der Zigeuner habe ihn ganz arg zerstochen.
»Recht ist dir geschehen, du Narr! Einen Zaun kann man doch mit einer zweizackigen Forke überhaupt nicht durchstechen! —Lauf du ihm nach, Schneider, mein Sohn! Versuche du dein Glück!«
Der Teufel Schneider rannte los und erreichte den Zigeuner bei einem kleinen Haus.
»Halt, Zigeuner! Wenn du die Königstochter behalten willst, dann stelle dich mir!«
»Gern«, sagte der Zigeuner, »was ist denn dein Handwerk, werter Teufel?«
»Mein Handwerk ist die Schneiderei. Laß uns sehen, wer besser nähen kann: du oder ich. Komm, wir wollen in dieses kleine Haus gehen und um die Wette nähen.«
Sie gingen in das Haus und begannen zu nähen. Um nicht so oft einfädeln zu müssen, zog der Teufel einen derart langen Faden durch die Nadel, daß er bei jedem Stich durchs Fenster springen mußte. Der Zigeuner aber nähte mit einem kurzen Faden, was das Zeug hielt, und der Teufel hatte kaum zehn oder zwanzig Stiche gemacht, da war der Zigeuner bereits fertig. So hatte nun also auch dieser Teufel die Königstochter nicht zurückgewonnen und schlich mit leeren Händen in die Hölle zurück.
»So, du kommst also auch ohne die Königstochter zurück?«fragte Pluto.
»Ja, ohne sie! Dieser Zigeuner kann nämlich sehr gut nähen. Ich hatte einen so langen Faden eingefädelt, daß ich bei jedem Stich aus dem Fenster springen mußte. Er aber hatte einen kurzen Faden genommen und wurde früher fertig.«
»O du Narr! Gerade mit diesem Herumhopsen hast du ja die meiste Zeit verloren! —Laufe du ihm nach, Schweinehirt, mein Sohn! Vielleicht kannst du ihm die Königstochter wegnehmen.«
Heißa! Wie rannte da der Teufel Schweinehirt! Er erreichte den Zigeuner an der Höllengrenze.
»Halt, Zigeuner! Nicht dein ist die Königstochter!«
»Wem gehört sie denn?«
»Sie soll dem gehören, der das Schweinehüten besser versteht. Hier ist ein großer Schweinestall voll mit Schweinen. Wenn du in einer Stunde mehr Schweine heraustreiben kannst als ich, darfst du die Königstocher behalten.«
»Gut«, sagte der Zigeuner.
»Wie aber werden wir erkennen, welche Schweine ich und welche du herausgetrieben hast?«fragte der Teufel.
»Ich werde nur solche heraustreiben, die Ringelschwänzchen haben, du treibst die mit den geraden Schwänzen heraus«, sagte der Zigeuner.
Der Teufel war einverstanden.
Sie begannen also, die Schweine aus dem Stall zu treiben. Der Zigeuner trieb zwanzig oder dreißig heraus; dann legte er sich einfach hin. Der Teufel aber suchte eine volle Stunde lang nach Schweinen mit geraden Schwänzen. Er scheuchte die Schweine auf, und sie liefen alle aus dem Stall heraus. Als die Stunde um war, rief der Zigeuner dem Teufel zu: »Na, Teufel, jetzt wollen wir mal zählen, von welchen mehr da sind: von denen mit Ringelschwänzchen oder von denen mit geraden Schwänzen.«
Sie suchten und suchten, aber ein Schwein mit einem geraden Schwanz war nicht zu finden. Wieder hatte der Zigeuner gewonnen. Der Teufel Schweinehirt ließ den Kopf hängen und ging in die Hölle zurück. Der Zigeuner aber überschritt gemeinsam mit der Königstochter die Grenze der Hölle, und nun hatte Pluto keine Macht mehr über ihn. Als sie in der Oberwelt angekommen waren, gingen sie geradenwegs zum Vater der Königstochter. Als der König seine einzige, geliebte Tochter wiedersah und erfuhr, mit wieviel Mühe und
Not der Zigeuner sie aus der Hölle befreit hatte, löste er sogleich sein Versprechen ein, gab ihm die Tochter zur Frau und obendrein sein halbes Königreich.
Es wurde eine große Hochzeit gefeiert, es wurde gegessen und getrunken, und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute. Der alte Zigeuner aber ging zu seinen übrigen elf Zigeunerbuben nach Hause.
Vom Königssohn, der unsterblich sein wollte
Es war einmal irgendwo, siebenmal sieben Länder weit und noch weiter, jenseits des großen Meeres, hinter einem alten Herd in der Mauerspalte, in der siebenundsiebzigsten Falte vom Rock der Muhme -ein weißer Floh und in dessen Mitte eine prächtige Königsstadt. In der Stadt aber lebte ein alter König; der hatte einen recht wackeren Sohn, von dem er sich für die Zukunft viel erhoffte. Deshalb ließ er ihn auf allen Schulen studieren und schickte ihn nachher noch in fremde Länder, daß er die Welt kennenlerne. So blieb der Prinz gar manches Jahr in der Fremde, bis er schließlich dem Vater zuliebe zurückkehrte und sich in der Heimat niederließ. Die vielen Reisen hatten aber den Königssohn völlig verändert - er war nachdenklich und traurig geworden. Das verwunderte den alten König sehr, und er dachte nach, was für einen Grund diese große Veränderung wohl haben mochte. Er sagte aber niemandem etwas davon, sondern trug es mit sich selber aus, bis er schließlich auf den Gedanken kam, daß der Königssohn einfach verliebt und darum so versonnen sei. Als nun der König und sein Sohn einmal allein im Speisesaal der königlichen Residenz waren, faßte der König seinen Sohn am Arm und führte ihn in ein Nebenzimmer, dessen Wände mit einer Menge von Bildern allerschönster Mädchen geschmückt waren. Hier sprach der König zu seinem Sohn:
»Warum bist du so unlustig, mein lieber Sohn? Es erschiene mir gut, wenn du heiratetest. Sieh dich doch mal in diesem Zimmer um. Auf
den Bildern siehst du die Töchter sämtlicher Kaiser, Könige und Fürsten. Sage mir, welche dir am besten gefällt! Ich will dich mit ihr vermählen, denn ich wünsche, daß du fröhlich und glücklich wirst.«»Ach, mein lieber Vater und König«, antwortete darauf der Königssohn, »über Liebe und Ehe mache ich mir keine Sorgen. Mich bedrückt der Gedanke, daß jeder Mensch, auch jeder König, einmal sterben muß. Ich möchte ein Reich entdecken, in dem der Tod keine Macht hat. Und ich habe mir fest vorgenommen, so weit zu gehen — und wenn ich mir dabei die Beine bis zu den Knien abwetzen müßte -, bis ich ein solches Land gefunden habe.«
Der alte König versuchte, seinen Sohn von diesem Vorhaben abzubringen; er sagte ihm, daß es das nicht gebe, daß er nun schon seit fünfzig Jahren König in seinem Lande sei und immer zufrieden und glücklich gelebt habe. Nun biete er ihm an, statt seiner König zu sein, nur damit er fröhlich werde und in der Heimat bleibe. Der Königssohn aber hielt an seinem Vorhaben fest, umgürtete sich am nächsten Morgen mit seinem Schwert und machte sich auf den Weg.
Als er nach mehreren Tagereisen das Reich seines Vaters hinter sich gelassen hatte und auf der Straße dahinging, sah er von weitem einen riesengroßen Baum, in dessen Krone ein Adler schwebte. Beim Näherkommen sah er, daß der große Adler in die obersten Zweige des Baumes niederstieß, so daß sie auseinanderwirbelten. Während er noch erstaunt zusah, besann sich der Adler mit einemmal, flog zu ihm herunter, schlug einen Purzelbaum, verwandelte sich in einen König und fragte den staunenden Königssohn:
»Was gaffst du da, Jüngling?«
»Ich überlege mir gerade, warum du wohl die Baumkrone derart zerfledderst.
Darauf antwortete der Adlerkönig:
»Siehe, ich bin verflucht: weder ich noch irgendeiner von meiner Sippe kann sterben, solange ich diesen Baum nicht mit Stumpf und Stiel zerfleddert habe. Nun aber ist es schon wieder Abend -heute arbeite ich nicht mehr. Ich gehe heim und sehe dich, den Reisenden, gerne als Gast in meinem bescheidenen Haus.« Der Königssohn
sagte zu, und sie spazierten in die Residenz des Adlerkönigs. Dieser aber hatte eine wunderschöne Tochter, die ihren Vater und den Gast begrüßte, den Tisch decken und ihnen das Abendessen auftragen ließ. Während des Essens plauderte der Adlerkönig mit seinem Gast. Schließlich fragte er ihn, wohin er eigentlich reise, und der Königssohn gab kund, daß er so lange reisen wolle, bis er ein Reich gefunden habe, in dem der Tod keine Macht hat.»Na, lieber Sohn«, sagte der Adlerkönig, »da bist du ja gerade am rechten Ort. Hast du denn nicht gehört, daß der Tod weder über mich noch über meine Sippe Macht besitzt, solange ich den großen Baum nicht mit Stumpf und Stiel zerfleddert habe? Bis dahin aber werden noch gut sechshundert Jahre vergehen. Heirate also meine Tochter, und ihr könnt lange genug hier bei mir leben.«
»Ja, mein lieber Herr und König, das wäre alles gut und schön, wenn wir nicht nach sechshundert Jahren schließlich doch sterben müßten; ich aber suche einen Ort, wo der Tod niemals Macht hat.«
Auch die Königstochter bat ihn, doch bei ihnen zu bleiben, denn die beiden hatten sich bereits angefreundet; aber sie konnte ihn auf keine Weise überreden. Weil sie ihn nicht ohne Andenken ziehen lassen wollte, gab sie ihm schließlich eine Schachtel, die innen auf dem Boden ihr Bildnis trug, und sagte:
»Also, du Königssohn - da du nun einmal nicht bei mir bleiben willst, nimm wenigstens dieses Andenken. Es hat eine wunderbare Eigenschaft. Wenn du müde bist vom Umherziehen auf dieser Erde, dann nimm die Schachtel, sieh dir mein Bild an und wünsche dir dabei, wie du reisen möchtest. Gefällt es dir in der Luft, dann wird dort, wo du stehst, ein starker Luftzug entstehen, der dich in die Höhe trägt, rascher als der Gedanke oder der Wirbelwind.«
Der Königssohn bedankte sich schön für die Schachtel und steckte sie in die Tasche. Am andern Tag nahm er Abschied vom Adlerkönig und machte sich auf den Weg. Eine Weile ging er zu Fuß auf der Landstraße. Nach einiger Zeit begann er müde zu werden, und er besann sich auf die Schachtel. Er nahm sie heraus, öffnete sie, besah sich das Bild der Königstochter und dachte dabei: >Ich möchte eilen
wie der rasche Wind!< Im selben Augenblick wurde er in die Luft gehoben, und vorwärts ging's wie der rasche Wind.Als er eine gute Weile so durch die Lüfte geflogen war, kam er an einem sehr hohen Berg vorbei. Da sah er, wie ein kahlköpfiger Mann mit Hacke und Spaten Erde vom Gipfel des Berges in einen Korb schaufelte und zu Tale trug. Der Königssohn wunderte sich und hielt an. Auch der Kahlköpfige blieb stehen und fragte den Königssohn:
»Was gaffst du, Jüngling?«
»Ich möchte wohl wissen, wohin Ihr den Korb voll Erde tragt.«
»Ja, lieber Sohn«, sagte der Alte, »ich bin verflucht: weder ich noch irgendeiner von meiner Sippe kann sterben, solange ich diesen großen Berg nicht mit diesem Korb abgetragen und die Stelle völlig eingeebnet habe. Aber es geht bereits auf den Abend zu, heute arbeite ich nicht mehr.«Damit schlug er einen Purzelbaum und verwandelte sich in einen kahlköpfigen König, trat vor den fahrenden Königssohn und lud ihn ein, bei ihm zu nächtigen.
Sie gingen in die Residenz des Königs Kahlkopf, der eine noch hundertmal schönere Tochter hatte als der vorige. Sie empfing ihn herzlich und ließ ihm ebenfalls ein Abendessen vorsetzen. Während des Essens fragte der kahlköpfige König den fahrenden Königssohn, wie weit er denn noch zu reisen gedenke, worauf der Königssohn, ähnlich wie zuvor, antwortete, er suche ein Land, in dem der Tod keinerlei Macht hat.
»Da bist du ja gerade am rechten Ort«, sagte König Kahlkopf, »denn wie ich dir schon sagte, bin ich verflucht: weder ich noch irgendeiner von meiner Sippe kann sterben, solange ich den großen Berg nicht abgetragen habe, und darüber werden gut noch achthundert Jahre vergehen. Heirate meine Tochter - ich sehe ja, ihr seid euch nicht zuwider -, und achthundert Jahre sind Zeit genug zum Leben.«
»Das wohl«, sagte der Königssohn, »ich will aber dorthin, wo der Tod niemals Macht hat.«Und er schickte sich an, aufzustehen, sagte gute Nacht und ging schlafen. Am nächsten Morgen standen alle früh beizeiten auf, und die Königstochter bat den Königssohn noch
einmal, bei ihnen zu bleiben. Der aber wollte das nun und nimmer, und damit er nicht ohne jedes Andenken fortgehe, gab ihm die Königstochter einen goldenen Ring, der seinen Träger sofort an den Ort versetzte, an dem er zu sein wünschte, wenn er nur an ihm drehte. Der Königssohn bedankte sich für den Ring, nahm Abschied und machte sich auf den Weg.Eine Weile zog er auf der Landstraße dahin, da fiel ihm der Ring ein. Er drehte ihn am Finger und wünschte sich, am Ende der Welt zu sein. Er machte nur kurz die Augen zu, und als er sie wieder öffnete, fand er sich in der Mitte einer prächtigen Königsstadt. Da ging er in den Straßen auf und ab, sah viele wundervoll gekleidete und wohlgestalte Menschen und versuchte sich in siebenundzwanzig Sprachen - so viele Sprachen konnte der Königssohn -mit ihnen zu verständigen, aber niemand antwortete ihm. Da wurde er traurig. Was sollte er auch hier anfangen, wo er mit keinem sprechen konnte! Niedergeschlagen ging er hin und her, bis er plötzlich einen Mann bemerkte, der die in seinem eigenen Lande üblichen Kleider trug. Er redete ihn in seiner Muttersprache an. Der andere konnte ihn verstehen, und so fragte ihn denn der Königssohn, was das für eine Stadt sei. Der Mann erklärte, es sei die Hauptstadt vom Lande des blauen Königs, der zwar schon gestorben sei, aber eine schöne und liebreiche Königstochter zurückgelassen habe, die über sieben Länder herrsche, weil sonst niemand mehr von der königlichen Sippe lebe. Der Königssohn war mit der Auskunft zufrieden und fragte den Mann, ob er ihm diese königliche Residenz zeigen könne. »Recht gern«, sagte der Mann und führte den Königssohn zur Residenz, wo er Abschied von ihm nahm.
Der Königssohn ging ins Schloß. Da saß die Königstochter auf der Treppe und stickte. Er ging geradewegs auf sie zu. Die Königstochter erhob sich von ihrem Sitz, und als sie erkannte, daß er kein alltäglicher Mensch war, führte sie ihn in den Palast und bewirtete ihn königlich. Nachdem sie von verschiedenen Dingen gesprochen und die Königstochter die Absicht des Königssohns erfahren hatte, bat sie ihn, bei ihr zu bleiben und ihr beim Regieren zu helfen. Er aber erklärte,
er wolle sich nur in einem Lande niederlassen, in dem der Tod keine Macht habe. Da nahm die Königstochter seinen Arm und führte ihn bis an die Tür eines Nebenzimmers, in dem der Fußboden mit Nähnadeln derart über und über gespickt war, daß man auch nicht eine einzige mehr hätte hineinstechen können.»Ach, du Königssohn«, sagte nun die Königstochter, »siehst du diese Unzahl von Nähnadeln? Ich bin verflucht, denn weder ich noch jemand von meiner Familie kann sterben, solange ich diese vielen Nadeln nicht verwetzt habe. Bis dahin aber werden wohl gut tausend Jahre vergehen. Wenn du also bei mir bleibst, dann können wir lange genug leben und herrschen.«
»Das wohl«, sagte der Königssohn, »aber nach tausend Jahren müssen wir doch sterben. Ich aber suche ein Land, in dem der Tod niemals Macht hat.«
Wie sehr sich die Königstochter, die da sticken mußte, auch bemühte, dem Königssohn seine Absicht auszureden, so erklärte dieser schließlich doch, daß er nicht bleiben, sondern den einmal eingeschlagenen Weg fortsetzen wolle. Da trat sie zu ihm und sagte:
»Wenn ich dich auf keine Weise zurückhalten kann, so nimm wenigstens diese goldene Rute als Andenken. Sie hat die Eigenschaft, sich im Fall der Not genau in das zu verwandeln, was du gerade willst.« Er bedankte sich für die Gabe, steckte sie in die Tasche, verabschiedete sich und machte sich wieder auf den Weg. Kaum hatte er die Stadt hinter sich gelassen, als er an einen großen Fluß kam und sah, daß am andern Ufer bereits die Vorhänge des Himmels herabgelassen waren und man nicht weitergehen konnte, weil die Welt dort zu Ende war. So ging er nun stromaufwärts am Fluß entlang. Nachdem er schon eine gute Weile gegangen war, bemerkte er mit einemmal ein prächtiges Königsschloß, das über dem Fluß in der Luft hing und weder durch einen Weg noch durch eine Brücke mit der Erde verbunden war; so aufmerksam er auch ausschaute, er konnte nichts dergleichen entdecken. Und doch hätte er gar zu gern einen Blick in das großartige Schloß getan. Da fiel ihm die goldene Rute ein, die Gabe der Königstochter, die da sticken mußte. Er nahm sie heraus
und warf sie auf den Boden mit dem Wunsch, sie möge sich in einen Steg verwandeln, der in das wunderschöne Königsschloß führt. Sogleich wurde aus der Rute ein goldener Steg, der zu dem herrlichen Schloß hinaufführte. Er überlegte nicht lange, sprang auf den goldenen Steg und ging auf das Schloß zu.Als er aber durchs Tor ging, sah er allerlei Wundertiere, wie er sie nie zuvor gesehen hatte, die das Schloß hüteten und sicherten. Er erschrak und gab seinem Säbel den Befehl: »Säbel aus der Scheide!« Der Säbel flog aus der Scheide und schlug einigen den Kopf ab, aber sogleich wuchsen ihnen neue Köpfe. Da erschrak er noch mehr, befahl seinem Säbel: »Zurück in die Scheide!«und blieb völlig verdutzt stehen. Die Königin des Schlosses hatte vom Fenster aus alles gesehen. Sie schickte einen Diener, damit dem Fremden kein Leid angetan werde; auch befahl sie dem Diener, den Reisenden zu ihr zu führen. So geschah es. Der Diener lief rasch auf den Hof und führte den Königssohn durch die Wachen vor die Königin des Schlosses.
Als der Königssohn vor der Königin stand, fing diese an zu sprechen:
»Ich sehe, daß du kein gewöhnlicher Mensch bist. Aber ich will wissen, wer du bist und was dein Begehr ist.« Er sagte ihr, wessen Königs Sohn er sei und daß er aufgebrochen sei, ein Land zu entdecken, in dem der Tod keine Macht hat.
»Nun, da bist du am rechten Ort«, sagte die Königin, »denn ich bin die Königin des Lebens und der Unsterblichkeit. Hier bist du vor dem Tode in Sicherheit.«Sogleich ließ sie ihn niedersitzen, versorgte ihn auf freundlichste und lud ihn bald zu Tisch.
Volle tausend Jahre blieb der Königssohn in diesem großartigen Schloß. Diese lange Zeit verging aber so rasch wie sonst ein halbes Jahr.
Als die tausend Jahre um waren, schien es dem Königssohn eines Nachts im Traum, als wäre er zu Hause und ergötzte sich mit Vater und Mutter. Da packte ihn das Heimweh so heftig, daß er am Morgen, als er aufstand, der Königin der Unsterblichkeit sogleich kundtat, er wolle heim, um Vater und Mutter noch einmal zu sehen. Die
Königin der Unsterblichkeit wunderte sich über diese Rede und sagte:»Ach, du Königssohn, was läßt du dir einfallen? Dein Vater und deine Mutter sind ja seit mehr als achthundert Jahren tot! Kein Staubkorn ist von ihnen übriggeblieben, nichts da unten erinnert mehr an sie.«
Aber der Königssohn ließ sich von seiner Absicht nicht abbringen. »Nun, wenn du wirklich gehen willst«, sagte die Königin darauf, »dann komm zuerst mit mir, damit ich dich für den Weg ausrüsten lasse.«
Sogleich hängte sie ihm eine goldene und eine silberne Flasche um den Hals, führte ihn dann in ein kleines Nebenzimmer und wies auf eine Klappe in der Ecke; diese öffnete sie und sprach:
»Fülle deine silberne Flasche mit der Flüssigkeit, die du hier unter dem Deckel siehst. Sie hat die Eigenschaft, daß jeder, den du damit besprengst, sofort des Todes ist, und hätte er auch tausend Leben.«
Dann führte sie ihn in ein anderes Gemach. In der Ecke war eine ähnliche kleine Klappe zu sehen. Auch diese öffnete sie und füllte die goldene Flasche mit der Flüssigkeit, die sich darunter befand. Dann sprach sie: »Höre, du Königssohn, die Flüssigkeit, die dem Fels der Ewigkeit entspringt, hat die Eigenschaft, daß jeder Tote, den du damit besprengst - und wenn er auch vor viertausend oder fünftausend Jahren gestorben wäre und du nur ein kleines Knöchlein von ihm hättest-, sofort gesund zum Leben erwacht.«
Der Königssohn bedankte sich für die Gaben der Königin der Unsterblichkeit, verabschiedete sich von ihr und dem ganzen Hof und machte sich auf den Weg.
Bald kam er in die Stadt der Königstochter, die da sticken mußte; aber er erkannte die Stadt kaum wieder, so hatte sie sich verändert. Er eilte in die königliche Residenz; doch darin war es so still, als wohne niemand mehr darin. Er ging hinauf in das Schloß, und als er das Wohnzimmer betrat, sah er dort die Königstochter über ihre Handarbeit geneigt. Sie war wohl eingeschlafen. Leise schlich er sich zu ihr und rief sie an, aber sie antwortete nicht; er zupfte sie an ihrem
Kleid, aber sie bewegte sich nicht. Er lief in das Zimmer, das mit Nadeln gefüllt gewesen war, aber da war keine einzige Nadel mehr: die allerletzte stak zerbrochen in der Handarbeit der Königstochter - und so war sie also gestorben. Da nahm er die goldene Flasche und besprengte die Königstochter mit dem Lebenselixier. Sie regte sich sogleich, hob den Kopf und begann zu sprechen. Das erste, was sie sagte, war:»Oh, lieber Freund, es ist gut, daß du mich geweckt hast -ich muß lange geschlafen haben!«
»Du hättest wohl geschlafen, solange die Welt besteht«, sagte der Königssohn, »wenn ich dich nicht zum Leben erweckt hätte.« Da wußte die Königstochter, daß sie gestorben war und daß der Königssohn sie zum Leben erweckt hatte, und sie bedankte sich schön und versprach, ihm seine Wohltat mit Gutem zu vergelten.
Nachdem der Königssohn sich verabschiedet hatte, ging er geradenwegs zu König Kahlkopf, und schon von weitem sah er, daß er sich den Korb unter den Kopf geschoben, Hacke und Spaten neben sich gelegt hatte und gestorben war. Auch hier nahm er die goldene Flasche, besprengte König Kahlkopf mit der Flüssigkeit und erweckte ihn so zum Leben. Auch dieser versprach ihm Gutes für die Wohltat, und der Königssohn verabschiedete sich von ihm und machte sich auf zum Adlerkönig.
Da sah er, daß der Adlerkönig den großen Lebensbaum mit Stumpf und Stiel zerfleddert hatte, daß auch vom kleinsten Ast kein Stäubchen mehr übriggeblieben war. Der Adlerkönig selbst aber lag mit ausgebreiteten Flügeln da, die Nase in die Erde gedrückt, und war tot. Schon fraßen ihn die Fliegen. Der Königssohn nahm die goldene Flasche, goß einen Tropfen auf den Adlerkönig, und auch dieser begann sogleich, sich zu regen; dann rappelte er sich auf und sagte: »Huuu, wie lange ich geschlafen habe -Dank, daß du mich geweckt hast, lieber, guter Freund.«
»Du hättest wohl geschlafen, solange die Welt besteht«, sagte der Königssohn, »wenn ich dich nicht zum Leben erweckt hätte.« Da wußte der Adlerkönig, daß er tot gewesen war. Er erinnerte sich
des Königssohns und dankte ihm, daß er ihn hatte auferstehen lassen. Und er versprach, die Wohltat mit Gutem zu vergelten.Der Königssohn verabschiedete sich vom Adlerkönig, machte sich auf den Weg und kam bald in der königlichen Stadt seines Vaters an. Schon von weitem sah er, daß die königliche Residenz versunken und kein Staubkorn mehr davon übriggeblieben war. Er ging näher heran und fand einen Schwefelsee an ihrer Stelle, der mit blauer Flamme brannte wie ein guter Zwetschgenbranntwein. Da verlor der Königssohn alle Hoffnung, Vater und Mutter je wiederzusehen, und in seinem Kummer wandte er sich ab, um fortzugehen. Als er aber gerade die Stadt verlassen wollte, rief ihm jemand nach: »Halt, junger König, du bist am rechten Ort! Seit tausend Jahren suche ich dich ohne Unterlaß!«
Der Königssohn sah sich um und erkannte, daß es der alte Tod war, der ihn angerufen hatte. Da griff er schnell nach dem Ring an seinem Finger, drehte ihn und war so rasch wie der Gedanke beim Adlerkönig, von dort ebenso rasch beim König Kahlkopf und dann bei der Königstochter, die nun nicht mehr sticken mußte, und alle bat er, ihr ganzes Heer aufzubieten, um den Tod zurückzuhalten, bis er selber zur Königin der Unsterblichkeit gelangt sei. Aber der Tod war ihm so dicht auf den Fersen, daß er den Königssohn, der bereits mit einem Fuß im Schloß der Königin der Unsterblichkeit stand, noch am andern Fuß packen konnte. Er sagte zu ihm:
»Halt! Du bist mein!«
Die Königin der Unsterblichkeit bemerkte den Vorgang vom Fenster aus, rief hinunter und schimpfte mit dem Tod, was er denn in ihrem Lande suche, in dem er doch keine Macht habe.
Der Tod aber sagte:
»Das eine Bein ist in meinem Land und gehört mir.«
»Ja, aber das andere gehört unbedingt mir«, rief die Königin der Unsterblichkeit, »und was hast du davon, wenn wir ihn halbieren? Eine Hälfte hat weder für dich noch für mich Wert. Darum schlage ich dir vor, komm herein zu mir -dieses eine Mal will ich es dir gestatten -, und laß uns die Sache durch eine Wette entscheiden.« Der
Tod willigte ein, ging in das Schloß der Königin der Unsterblichkeit, und sie schlug ihm vor, sie wolle den Königssohn mit einem Fußtritt in den siebenten Himmel hinter dem Morgenstern befördern. Wenn sie ihn so gerade hinaufstoßen könne, daß er in die Burg zurückfalle, dann sollte er ihr gehören; falle er aber außerhalb der Burgmauer nieder, dann solle er des Todes sein. Der Tod war mit dieser Wette einverstanden.
Nun stellte die Königin den Königssohn in die Mitte der Burg, schob ihren Fuß unter seine Füße und stieß ihn hinauf in die Sterne, daß er nicht mehr zu sehen war. Aber bei der großen Anstrengung kam die Königin ein wenig ins Schwanken. Sie erschrak darüber sehr, denn sie fürchtete, der Königssohn könne dadurch vielleicht außerhalb der Burgmauer herunterfallen. Sie wartete deshalb gespannt auf den Augenblick, in dem er wieder zum Vorschein kommen würde. Bald sah sie ihn auch - so groß wie eine Wespe - und maß mit den Augen, wo er wohl hinfallen werde. Er aber fiel haargenau auf die Burgmauer. Wieder erschrak die Königin, aber ein schwacher Südwind half gerade noch so viel nach, daß der Königssohn nach innen, knapp neben die Mauer gefallen wäre, wenn der Tod nicht nach ihm gegriffen hätte. Die Königin aber sprang hinzu, hob ihn wie einen leichten Ball auf und trug ihn auf den Armen ins Schloß. Als sie sah, daß ihm ein bißchen schwindlig war, küßte sie ihn, damit er zu sich komme.
Dann befahl sie dem Volk des königlichen Hofes, Besen zu greifen, diese anzuzünden und mit diesen feurigen Besen den Tod aus ihrer Burg hinauszufegen. Dem Tod aber verbot die Königin der Unsterblichkeit, sich je wieder bei ihr blicken zu lassen.
Der Königssohn und die Königin leben noch heute in Glück und Ruhm, und wer es nicht glauben will, suche am Ende der Welt die in der Luft schwebende Burg der Königin der Unsterblichkeit, und wenn er sie gefunden hat, kann er sich auf der Stelle davon überzeugen, daß dieses Märchen die Wahrheit spricht.
Die alte Frau und der Tod
Es war einmal irgendwo, jenseits des großen Meeres, ja noch weit hinter dem gläsernen Berg und hinter jenem ganz verfallenen Backofen, der kein Stückchen Mauer mehr hatte und, wo er noch gut war, nicht schlecht war, und, wo er schlecht war, nicht gut war, dort also war einmal neben dem kahlen Hügel bei »Such nicht wo und frag nicht wo« ein Fluß. An dessen Ufer stand eine alte, morsche Weide, auf jedem Zweig dieser Weide hauste eine Herde Flöhe, und der Hirt dieser Flohherde soll derjenige sein, der meinem Märchen nicht aufmerksam zuhört. Und wenn er nur einen einzigen Floh wegspringen läßt, dann soll er auf ein grausiges Blutsaugen gefaßt sein und von den Flöhen zu Tode gebissen werden.
Es war einmal eine sehr, sehr alte Frau. Sie war älter als die Landstraße, älter sogar als die Gärten des lieben Herrgotts. Diese alte Frau dachte nie daran, daß sie einmal werde sterben müssen; auch als sie nur noch mümmeln konnte, dachte sie nicht daran, sie arbeitete nur immer, sie war wie besessen hinter dem Reichtum her. Sie holperte und stolperte herum, scharrte und raffte alles zusammen; am liebsten hätte sie die ganze Welt verschlungen, dabei war sie mutterseelenallein, hatte niemanden bei sich, kein einziges, noch so winziges Lebewesen. Aber ihr Eifer war nicht umsonst; man sah ihr an, was dabei herauskam: sie wurde dick und fett. Und sie hatte in ihrem Haus vom kleinsten Beil bis zum größten Beil alles, was man brauchte.
Einmal aber kreidete der Tod auch ihren Namen an, und er ging zu ihr, um sie zu holen. Die alte Frau aber wollte sich durchaus nicht von ihrem Reichtum trennen und bat den Tod flehentlich, ihr noch ein bißchen Zeit zulassen, nur zehn Jahre noch oder fünf, oder auch nur ein Jahr. Der Tod wollte aber nicht drauf eingehen, sondern sagte: »Mach dich schnell bereit und dann komm! Wenn du nicht kommst, schleppe ich dich einfach weg!«
Doch die alte Frau flehte und bettelte weiter, er möge ihr noch etwas Zeit lassen, wenn auch nicht viel, so doch ein ganz klein wenig. Mit
dem Tod ist nicht leicht zu reden; am Ende aber setzte die alte Frau es dennoch durch, daß er sagte:»Nun gut, ich lasse dir noch drei Stunden Zeit.«
»Das ist zu wenig«, sagte die Mümmelgreisin, »hol mich nicht heute, sondern schiebe es bis morgen auf.«
»Das geht nicht.«
»Doch, bitte, doch. Es wird schon gehen.«
»Nein, es geht nicht.«
»Sei doch nicht so!«
»Also, wenn du so sehr darauf bestehst«, sagte der Tod, »meinetwegen.«
»Und ich möchte dich noch um etwas bitten... schreibe draußen an die Tür, daß du morgen kommst. . Ich bin dann sicherer, wenn ich's auf der Tür geschrieben sehe.«
Der Tod wollte nicht noch mehr Zeit bei der Alten verbringen, stritt also nicht lange, sondern nahm die Kreide aus der Tasche, schrieb draußen auf den oberen Teil der Tür »Morgen« und ging seiner Wege.
Am nächsten Tag gleich nach Sonnenaufgang kam der Tod zu der alten Frau. Sie lag noch unterm Federbett, und der Tod sprach:
»So, jetzt komm mit!«
»Du irrst dich«, sagte die Alte, »sieh doch nach, was auf der Tür geschrieben steht.«
Der Tod blickte hin und sah, daß dort stand: »Morgen.« »Richtig!« sagte er. »Morgen hole ich dich aber bestimmt!« Damit zog er ab.
Der Tod hielt Wort: am folgenden Tag kam er wieder, als die alte Frau sich noch im Bett reckte und streckte. Doch wieder erreichte er nichts, denn sie zeigte nach der Tür, auf der geschrieben stand: »Morgen.«
So ging das eine Woche lang. Schließlich bekam der Tod den Spaß satt. Am siebenten Tage sagte er zu der Alten: »Noch einmal wirst du mich nicht überlisten! Ich brauche die Kreide und nehme sie mit.« Und erwischte die Schrift von der Tür ab. »Morgen«, sagte er, »versteh
mich recht, morgen komme ich und nehme dich mit!«Der Tod ging fort. Der alten Frau blieb vor Angst und Schrecken der Mund offen; es war ihr klar, daß sie morgen sterben müßte, ob sie wollte oder nicht. Sie zitterte wie ein Pudding, so sehr fürchtete sie sich. Als der Morgen graute, wußte sie sich vor Angst nicht mehr zu lassen; am liebsten hätte sie sich vor dem Tod in eine leere Flasche verkrochen, wenn das bloß möglich gewesen wäre. Sie überlegte hin und her, wo sie sich verstecken könnte. In der Vorratskammer hatte sie ein Faß Honig; dahinein setzte sie sich, nur Nase, Augen und Mund sahen noch aus dem Honig hervor. >Wenn er mich aber auch hier findet?<überlegte sie. >Ich krieche wohl besser ins Federbett hinein!<Sie kletterte also aus dem Honig heraus und kroch ins Federbett zwischen die Federn. Dann aber hielt sie auch das für kein gutes Versteck, darum wollte sie wieder heraus, um einen besseren Platz zu suchen. Und als sie gerade beim Herauskriechen war, kam der Tod. Der aber konnte sich nicht ausdenken, was für ein Wunderding da kroch. Er erschrak dermaßen, daß er das Gruseln bekam und davonlief. Er rannte, was er konnte, und macht vielleicht noch bis zum heutigen Tage einen großen Bogen um die alte Frau.
Der Fuchs, der Bär und der arme Mann
Es war einmal ein armer Mann. Der ging eines Morgens mit seinen zwei Kühen aufs Feld hinaus, um zu pflügen. Als er am Wald vorüberkam, hörte er mit einemmal ein lautes Gestampf und Gebrumm. Da ging er in den Wald hinein, um zu sehen, was das wohl sein könne. Und er sah, wie ein großer Bär sich mit einem kleinen Hasen balgte.
»Na, so etwas hab' ich mein Lebtag noch nicht gesehen!« sagte der arme Mann und mußte so herzhaft darüber lachen, daß er fast platzte.
»Ei, du Mensch, du verdammter! Wie kannst du es wagen, so über
mich zu lachen?« brummte der Bär ihn an. »Das sollst du büßen: mitsamt deinen Kühen fresse ich dich auf!« Da verging dem armen Mann das Lachen. Inständig bat er den Bären, er möge ihn doch nicht auffressen, oder wenn es durchaus sein müsse, möge er wenigstens bis zum Abend warten, damit er sein Feld noch umpflügen könne, denn seine Angehörigen seien arme Leute, und sie sollten nicht ohne Brot zurückbleiben.»Nun gut«, sagte der Bär, »bis heute abend tue ich dir nichts, dann aber fresse ich dich auf.« Damit ging der Bär seines Weges, und der arme Mann machte sich eifrig ans Pflügen.
Soviel er auch arbeitete und dabei grübelte, fiel ihm doch nichts ein, wodurch er den Bären hätte versöhnen können.
Gegen Mittag kam zufällig ein Fuchs aufs Feld. Dem fiel es auf, daß der arme Mann sehr bekümmert war, und er fragte ihn, was ihm denn fehle und ob er ihm vielleicht helfen könne. Der arme Mann erzählte ihm, wie es ihm mit dem Bären ergangen war. Drauf sagte der Fuchs: »Wenn das dein ganzes Unglück ist, so kann ich dir wohl helfen. Kein Haar wird dir gekrümmt werden, du bleibst am Leben und deine Kühe auch, und obendrein wirst du noch des Bären Fell bekommen. Aber was gibst du mir, wenn ich dir helfe?«
Der arme Mann wußte nicht, was er dem Fuchs versprechen sollte, denn er besaß ja nichts, und der Fuchs verlangte gewiß viel. Am Ende einigten sie sich darauf, daß der Fuchs neun Hühner und einen Hahn bekommen sollte. Der arme Mann entschloß sich nicht leicht dazu, weil er ja nicht wußte, woher er das Federvieh nehmen sollte, aber er versprach es schließlich doch.
»Nun denn, armer Mann, höre, was ich dir sage!«sprach der Fuchs. »Wenn der Bär gegen Abend hierherkommt, dann verstecke ich mich in einem Busch und tute genauso, wie die Jäger das Horn blasen. Drauf wird der Bär fragen: Was ist das? Und du mußt dann antworten: Es kommen Jäger! Dann wird der Bär Angst bekommen und dich bitten, du sollst ihn verstecken. Stecke ihn dann dort in den schmutzigen Sack und sage ihm, er solle sich nicht rühren. Ich werde dann aus dem Busch kommen und fragen: Was ist hier in dem Sack?
Darauf mußt du antworten: Ein verkohlter Baumstumpf! Ich werde das nicht glauben und dann zu dir sagen: Hau mit dem Beil hier oben in die Spitze! Darauf nimmst du das Beil, haust zu und spaltest dem Bären den Kopf. Dann ist der Bär mausetot.«
Der arme Mann freute sich sehr über den guten Rat und befolgte ihn auch. Alles geschah genau, wie der Fuchs es gesagt hatte: der Bär ging in die Falle, und der arme Mann kam mitsamt seinen Kühen mit dem Leben davon. »Siehst du«, sprach der Fuchs, »habe ich dir nicht gesagt, daß es so kommen wird? Ziehe daraus die Lehre, armer Mann, daß Verstand über Kraft geht. Aber jetzt muß ich nach Hause eilen. Morgen komme ich zu dir und hole mir die neun Hühner und den Hahn. Gib mir recht fette! Und sei zu Hause, sonst wirst du's bitter bereuen!« Der arme Mann warf den Bären auf seinen Karren und kehrte fröhlich heim. Zu Hause ließ er sich ein feines Abendessen schmecken und schlief danach gut und lange, ohne sich viel vor dem Fuchs zu fürchten, denn er hatte ja von ihm gelernt, daß Verstand über Kraft geht.
Am Morgen hatte er kaum die Augen geöffnet, als der Fuchs schon an die Tür klopfte und die neun Hühner und den Hahn forderte. »Gleich, Freundchen, gleich, ich ziehe mich nur eben an!« rief der arme Mann.
Rasch zog er sich an, öffnete dann aber nicht die Tür, sondern stellte sich mitten in der Stube hin und fing an zu bellen. »Du, armer Mann, was macht da so? Doch nicht etwa ein Hund?«
»Fürwahr, Freundchen, du hast's erraten -zwei Hunde sogar! Hier unterm Bett haben sie geschlafen. Der Teufel mag wissen, wie sie hereingekommen sind! Jetzt haben sie deinen Geruch gespürt und wollen sich rausstürzen, ich kann sie kaum noch halten!«
»Halte sie nur noch, bis ich rasch weggelaufen bin! Und behalte meinetwegen die Hühner und den Hahn!«
Als der arme Mann die Tür öffnete, war der Fuchs schon über alle Berge. Der arme Mann brach in ein lautes Gelächter aus, und vielleicht lacht er heute noch.
Das Hähnchen und sein demantener Heller
Es war einmal eine arme Frau. Die hatte einen jungen Hahn. Immerfort scharrte und pickte das Hähnchen im Mist herum, und einmal fand es einen demantenen Heller. Nun kam dort gerade der türkische Kaiser vorbei. Er sah das demantene Hellerstück und sagte zu dem Hähnchen:
»Du, Hähnchen, gib mir deinen demantenen Heller!«
»Nein, ich gebe ihn dir nicht, den braucht meine Bäuerin.«
Da nahm ihm der türkische Kaiser das demantene Geldstück mit Gewalt weg, nahm es mit nach Hause und legte es in seine Schatzkammer.
Das Hähnchen geriet darüber in Zorn, flog auf des Kaisers Gitter und krähte in einem fort: »Kikeriki, türkischer Kaiser, gib mir meinen demantenen Heller zurück!«
Um das Geschrei nicht anhören zu müssen, ging der türkische Kaiser ins Haus hinein. Da flog aber das Hähnchen vor sein Fenster und krähte dort: »Kikeriki, türkischer Kaiser, gib mir meinen demantenen Heller zurück!«
Das ärgerte den türkischen Kaiser, und er sprach zu seiner Magd: »Geh und fange den kleinen Hahn dort und wirf ihn in den tiefsten Brunnen, damit ich das Gekrähe nicht mehr höre!«
Die Magd fing das Hähnchen und warf es in den Brunnen. Im Brunnen aber sprach das Hähnchen: »Sauge, mein Kropf, das Wasser auf! Sauge, mein Kropf, das Wasser auf!« Und sein Kropf saugte das ganze Wasser im Brunnen auf.
Das Hähnchen aber flog wieder vor das Fenster des türkischen Kaisers. »Kikeriki, türkischer Kaiser, gib mir meinen demantenen Heller zurück!«
Wieder sprach der türkische Kaiser zu seiner Magd: »Geh und fange den kleinen Hahn dort und wirf ihn in den heißen Backofen.« Die Magd fing das Hähnchen wieder ein und warf es in den heißen Backofen. Im Backofen aber sprach das Hähnchen: »Laß, mein Kropf, das Wasser aus, lösche mir das Feuer! Laß, mein Kropf, das
Wasser aus, lösche mir das Feuer!« Und sein Kropf ließ das ganze Wasser herausfließen, und es löschte das Feuer aus.Da flog das Hähnchen wieder an das Fenster. »Kikeriki, türkischer Kaiser, gib mir meinen demantenen Heller zurück!«
Da aber wurde der türkische Kaiser noch viel zorniger: »Geh, du Magd, fange den kleinen Hahn und wirf ihn in den Bienenkorb, die Bienen sollen ihn zu Tode stechen.«
Die Magd warf das Hähnchen in den Bienenkorb. Im Bienenkorb aber sprach das Hähnchen: »Schluck, mein Kropf, die Bienen! Schluck, mein Kropf, die Bienen!« Und sein Kropf schluckte alle Bienen.
Dann flog das Hähnchen wieder vor das Fenster des türkischen Kaisers. »Kikeriki, türkischer Kaiser, gib mir meinen demantenen Heller zurück!«
Da wußte der Kaiser nicht, was er nun mit dem Hahn machen sollte.
»Geh, Magd«, sagte er schließlich, »hole den kleinen Hahn her, ich werde ihn in meine Pluderhose stecken.«
Die Magd fing das Hähnchen, und der türkische Kaiser steckte es in seine Pluderhose. Dort aber sprach das Hähnchen: »Laß, mein Kropf, die Bienen heraus, ihr Bienen, stecht ihn in den Hintern! Laß, mein Kropf, die Bienen heraus, ihr Bienen, stecht ihn in den Hintern!« Und sein Kropf ließ alle Bienen heraus, und die Bienen stachen den türkischen Kaiser in den Hintern. Da sprang der türkische Kaiser auf: »Au! Au! Der Teufel hole diesen Hahn! Bringt ihn rasch in die Schatzkammer, da soll er sich seinen demantenen Heller suchen!« Sie trugen das Hähnchen in die Schatzkammer, und dort begann es seinen Spruch zu sagen: »Schluck, mein Kropf, das viele Geld! Schluck, mein Kropf, das viele Geld!« Und da schluckte sein Kropf die drei Scheffel Geld des türkischen Kaisers.
Das Hähnchen flog mit dem Geld nach Hause und gab es der Bäuerin. So wurde diese eine reiche Frau. Und wenn sie nicht gestorben ist, lebt sie heute noch.
MÄRCHEN AUS DER SLOWAKEI
Salz ist wertvoller als Gold
E s war einmal ein König, der hatte drei Töchter mit Namen Agnes, Ludmila und Maruschka und liebte sie von Herzen. Er war schon alt und des Herrschens müde und sann oft darüber nach, welche der drei nach seinem Tode Königin werden sollte. Die Wahl fiel ihm schwer, denn er liebte sie alle drei gleichermaßen. Nach langem Überlegen entschloß er sich, jene zu seiner Nachfolgerin zu bestimmen, die ihn selber am innigsten liebte. Er rief die Prinzessinnen vor seinen Thron und sprach zu ihnen:
»Meine lieben Töchter! Ich bin alt und schwach geworden und werde nicht mehr lange unter euch weilen. Bevor ich nun sterbe, will ich eine von euch zu meiner Nachfolgerin ernennen. Zuvor aber will ich prüfen, welche von euch mich am liebsten hat. Sage du mir, Agnes, meine Älteste, wie liebst du deinen Vater?«
»Ach, liebster Vater, ich liebe dich mehr als Gold!« antwortete Agnes und küßte ihm die Hand.
»Und du, Ludmila, wie sehr liebst du mich denn?«
»Ach, mein gutes Väterchen«, rief das Mädchen und umarmte den König, »ich liebe dich wie meinen Brautschmuck.«
»Und nun du, meine Jüngste, sage mir, wie du mich liebst?«fragte der König und wandte sich mit dieser letzten Frage an Maruschka. »Ich, Vater, liebe dich -wie Salz!« antwortete sie nach kurzem Bedenken und sah den König mit allerliebsten Augen an.
»Wie, du böses Mädchen, du liebst deinen Vater bloß wie Salz! Schäme dich doch!« riefen da die beiden Schwestern empört.
»Ja, wie Salz liebe ich meinen Vater!« wiederholte Maruschka einfach.
Da wurde nun auch der alte König böse. Er konnte nicht verstehen, daß Maruschka ihre Liebe zu ihm mit einer so geringen Sache verglich, die jedermann, auch der ärmste Mensch besaß und für nur wenig Geld erwerben konnte.
»Geh mir aus den Augen, du undankbares Mädchen!« rief er. »Ich will dich erst dann wiedersehen, wenn den Menschen Salz wertvoller als Gold und Edelsteine erscheinen wird. Dann komme zurück - dann will ich dich gern zur Königin machen!«
Daß jemals eine derart schlimme Zeit kommen könne, daran glaubten weder der alte König noch seine beiden älteren Töchter.
Ohne ihm zu widersprechen, mit Tränen in den Augen, verließ die stets gehorsame Maruschka das Schloß ihres Vaters. Einsam und verlassen stand sie auf der Straße und wußte nicht, wohin sie ihre Schritte wenden sollte. Schließlich entschloß sie sich, einfach der Richtung des Windes zu folgen. Sie wanderte über Berge und Täler, bis sie zu einem dichten Birkenwäldchen kam. Dort trat eine alte Frau ihr in den Weg. Maruschka grüßte freundlich und wünschte der Alten einen guten Morgen. Die Alte sah die rotgeweinten Augen des Mädchens und sagte voller Mitgefühl:
»Was bedrückt dich denn, mein Kind, daß du weinst?«
»Ach, Mütterchen!« antwortete Maruschka. »Fragt nicht nach meinem Kummer! Ihr könnt mir doch nicht helfen!«
»Vielleicht doch!«sagte die Alte und lächelte. »Offne mir dein Herz und sage mir, was dich quält! Wo graue Haare sind, da ist auch Vernunft.«
Ermutigt erzählte Maruschka, was sich begeben hatte, und fügte weinend hinzu: »Ich will ja gar nicht Königin werden, aber ich möchte allzugern meinen Vater von der aufrichtigen Liebe, die mich zu ihm erfüllt, überzeugen!«
Die Alte ließ Maruschka ruhig zu Ende erzählen, obwohl sie von allem Anfang an gewußt hatte, welches der Grund ihres Kummers war, denn sie war keine gewöhnliche alte Frau -sondern eine gute
Fee. Freundlich faßte sie das Mädchen bei der Hand und forderte es auf, in ihre Dienste zu treten. Maruschka zeigte sich überglücklich und ging mit der Alten. Die gute Fee führte sie in ihr Waldhäuschen und gab ihr zu essen und zu trinken. Als sich Maruschka gesättigt hatte, fragte die alte Frau: »Kannst du Schafe hüten? Kannst du melken? Kannst du spinnen und weben?«»Nichts von alledem habe ich gelernt!« antwortete das Mädchen traurig. »Aber wenn Ihr es mir zeigen wollt, will ich's versuchen, und sicherlich werde ich rasch lernen!«
»Das will ich gerne tun und dich in allem unterweisen. Sei nur immer schön brav und tu, was ich dir sagen werde. Wenn sich die Zeit findet, wird dir Glück und Freude daraus wachsen!«
Maruschka versprach, folgsam zu sein, und da sie fleißig und guten Willens war, lernte sie rasch, und die Arbeit machte ihr viel Freude. Indessen lebten die beiden älteren Prinzessinnen auf dem Schloß beim Vater in Saus und Braus. Mit falschen Worten und vorgetäuschten Liebkosungen umgarnten sie den alten König und erbaten sich von ihm täglich neue und neue Geschenke. Die älteste Prinzessin stand den großen Teil des Tages vorm Spiegel und kleidete sich in prächtige Gewänder, während ihre Schwester sich mit Gold und Edelsteinen schmückte und des Tanzens nicht genug bekommen konnte. Ein festliches Mahl reihte sich ans andere, und die Mädchen hatten nichts weiter als nur ihr Vergnügen im Sinne.
Da gingen dem alten König die Augen auf, und er mußte erkennen, daß seinen Töchtern Prunk, Schmuck und Tanzen lieber waren als er. Er erinnerte sich der aufrichtigen Liebe seiner jüngsten Tochter, die ihn geherzt und geliebkost hatte, und verstand nun, daß er sie allein zur Königin hätte ernennen sollen. Wie gerne hätte er sie zurückgeholt, wenn er nur gewußt hätte, wo sie zu suchen wäre! Sobald er aber daran dachte, daß sie gesagt hatte, sie liebe ihn nur so, wie man Salz liebt, wurde er wieder ärgerlich und zweifelte erneut an ihr.
Eines Tages sollte ein Festmahl im Schloß gegeben werden. Da stürzte kurz davor der Koch vor des Königs Thron und rief:
»Herr, ein großes Mißgeschick hat uns befallen! Das Salz in der Küche und auch im ganzen Lande ist plötzlich ausgegangen. Es scheint wie aufgelöst. Womit soll ich denn nun die Speisen salzen?«
»Kannst du denn nichts anderes zum Würzen verwenden?«fragte der König ärgerlich.
»Oh, Herr, welches von allen Gewürzen könnte wohl das Salz ersetzen?« rief der Koch voller Verzweiflung.
Auf diese Frage nun wußte der König keine Antwort zu geben. Er wurde sehr böse und befahl dem Koch, das Festmahl ohne Salz zu bereiten.
>Wenn es dem Könige selber recht ist - mir soll es sicherlich recht sein!<dachte der Koch und ließ ungesalzene Speisen zur Königstafel bringen. Den Gästen wollten die Gerichte nicht munden.
Der König entsandte Boten nach allen Windrichtungen, um Salz zu holen, doch alle kehrten unverrichteterdinge und mit leeren Händen ins Schloß zurück. Das gleiche Mißgeschick nämlich hatte auch die Nachbarländer betroffen, und wer noch einen kleinen Salzvorrat besaß, wollte sich für alles Gold in der Welt nicht davon trennen.
Auf Befehl des Königs bereitete der Koch nun nur süße Speisen und Gerichte, für die kein Salz gebraucht wurde. Aber auch diese Speisen wollten den Gästen auf die Dauer nicht schmecken, und als sie sahen, daß keine Änderung abzusehen war, verließ einer nach dem anderen das königliche Schloß. Die beiden Prinzessinnen waren untröstlich, aber auch sie konnten nichts ändern und mußten die Gäste ziehen lassen.
Aber nicht nur die Menschen, auch das Vieh in den Ställen litt unter dem Salzmangel. Die Kühe, Ziegen und Schafe gaben nur noch wenig Milch - es war ein Unglück fürs ganze Land. Die Menschen wankten müde zur Arbeit und wurden schwach und krank. Auch den König und seine beiden Töchter verschonte die Krankheit nicht. Nun erst erkannten sie, welch eine treffliche Gabe des Himmels das Salz war und wie gering sie diese sehr zu Unrecht geschätzt hatten. Bittere Vorwürfe, daß er Maruschka unrecht getan habe, bedrückten des Königs Gewissen schwer.
Während dieser Zeit lebte das Mädchen in der Hütte im Walde glücklich und zufrieden. Sie konnte nicht ahnen, wie schlecht es ihrem Vater und den beiden Schwestern daheim erging. Die weise Fee freilich wußte genau, wa sich dort zutrug. Und eines Tages sagte sie zu Maruschka:
»Immer habe ich dir gesagt, daß einmal deine Stunde kommen wird. Deine Stunde hat nun geschlagen - kehre nach Hause zurück!«
»Ach, mein gutes Mütterchen, wie sollte ich denn je zurückkehren, da mich der eigene Vater aus dem Hause gewiesen hat«, antwortete das Mädchen und fing an zu weinen.
Da erzählte ihr die gute Fee getreulich alles, was sich während ihrer Abwesenheit im Lande begeben hatte, daß nun die Worte an ihren Vater wahr geworden und er erkannt habe, daß Salz wertvoller als Gold und Edelsteine sei.
Ungern schied Maruschka von der guten Fee, die sie so viele nützliche Dinge gelehrt hatte, doch ihre Sehnsucht nach dem Vater war erwacht, und sie konnte es kaum noch erwarten, ihn wiederzusehen.
Du hast mir treu gedient, Maruschka«, sagte die Alte beim Abschied, »und ich will dich gut entlohnen. Sage mir, was du dir wünschst!«
»Ihr wart gut zu mir und habt mich vieles gelehrt«, antwortete Maruschka, »ich will nichts weiter von Euch, Mütterchen, als ein bißchen Salz, das ich meinem Vater bringen will.«
»Und du hast sonst keinen Wunsch? Ich könnte jeden deiner Wünsche erfüllen«, fragte nochmals die gute Fee.
»Nein, nichts mehr begehre ich, Mütterchen, als das Salz«, beharrte Maruschka.
»Weil du das Salz so hoch zu schätzen weißt, möge es dir niemals daran fehlen!«sprach die Alte. »Nimm hier diese kleine Weidenrute, und wenn einmal der Mittagswind zu wehen beginnt, folge ihm. Geh durch drei Täler und über drei Berge, dann halte ein und berühre den Boden mit der Weidenrute. Die Erde wird sich vor dir öffnen, und du tritt getrost dann ein! Was du dort finden wirst, behalte - es sei dir zu eigen.«
Dankend nahm Maruschka die Weidenrute und bewahrte sie sorgfältig. Dann gab ihr die alte Frau noch ein Beutelchen, das sie mit Salz füllte. Schweren Herzens nahm das Mädchen Abschied von dem kleinen Waldhäuschen, das ihr zur zweiten Heimat geworden war, und begab sich, von dem Mütterchen begleitet, auf den Heimweg. Weinend versicherte Maruschka noch, daß sie gern wiederkommen wolle, um die alte Frau zu holen und sie für immer mit aufs Schloß zu nehmen.
»Bleibe nur stets gut und gehorsam«, sagte die Alte lächelnd, als sie den Rand des Birkenwäldchens erreicht hatten, »und es wird dir wohl ergehen!«
Als ihr Maruschka nochmals für ihre Güte danken wollte - war sie verschwunden.
Verwundert stand das Mädchen da, doch die Sehnsucht nach dem Vater ließ sie nicht lange verweilen, und sie eilte dem Schlosse zu. Sie war ärmlich gekleidet, und da sie den Kopf in ein Tuch gehüllt hatte, wurde sie von niemandem erkannt. Die Diener im Schlosse verweigerten ihr den Eintritt zum König, denn er läge krank und schwach im Bette. »Ach, laßt mich doch eintreten«, bat sie da, »ich bringe ein Geschenk, das dem König seine verlorene Kraft und Gesundheit wiedergeben wird!«
Als der König das hörte, befahl er, das Mädchen zu ihm zu bringen. »Gebt mir ein Stück Brot!« bat Maruschka, als sie vor dem Könige stand.
»Salz kann ich dir mit dem Brote aber nicht reichen lassen!« seufzte der König, »denn wir haben im Schloß kein Stäubchen davon.«
»Das Salz habe ich!« rief Maruschka und öffnete ihren Beutel, streute ein wenig aufs Brot und reichte es dem Könige.
»Salz! Hört, ihr Leute«, rief der König entzückt. »Wie soll ich dir nur für deine Gabe danken? Sage mir, was du dir wünschst!«
»Nichts wünsche ich mir sehnlicher, als daß du, mein geliebtes Väterchen, mich wiederum zu dir nimmst und mich ebenso liebst wie das Salz hier«, antwortete ihm Maruschka und enthüllte ihr liebliches Antlitz.
Der König war überglücklich, als er seine jüngste Tochter wiedersah. Er bat sie um Verzeihung, doch Maruschka küßte und streichelte ihren Vater nur und hatte auch schon alles Unrecht, das ihr geschehen war, vergessen.
Schnell verbreitete sich nun im Schlosse und auch im ganzen Lande die Botschaft, daß die jüngste Tochter des Königs heimgekehrt sei und Salz mitgebracht habe. Jeder, der im Schlosse erschien und um Salz bat, bekam etwas davon aus dem Beutelchen, das nie leer wurde.
Der König wurde gesund, und voller Freude berief er eines Tages seine Edelleute vor sich und verkündete ihnen, daß er Maruschka zu seiner Nachfolgerin bestimmen wolle.
Maruschka wurde gerufen und unter großem Jubel des Volkes zur Königin ernannt. Da strich ein warmer Windhauch leise über ihre Wange, und es war ihr, als höre sie die Stimme der alten Frau im Walde.
Sie erkannte das Zeichen, das ihr der Mittagswind gab, und beschloß, ihm zu folgen. Rasch vertraute sie sich ihrem Vater an, nahm die kleine Weidenrute zur Hand und schritt in der Richtung des Windes aus. Sie wanderte über drei Berge und durch drei Täler und blieb dann stehen, wie es ihr die alte Frau geboten hatte. Mit ihrer Rute schlug sie auf den Boden, und, siehe da, die Erde öffnete sich, und Maruschka trat ein. Sie stand inmitten eines großen Saales, dessen Wände und Boden wie aus Eis gebaut zu sein schienen. Von allen Seiten liefen winzige Männlein herzu, die alle hellstrahlende Fackeln trugen.
»Sei uns willkommen, o Königin!« riefen sie. »Wir haben deine Ankunft seit langem erwartet! Unsere Gebieterin befahl uns, dich in dieses unterirdische Reich einzuführen, denn es gehört dir!«
So sprach und wisperte es von allen Seiten, die kleinen Wesen hüpften und tanzten ihre Fackeln schwingend um Maruschka herum. Sie kletterten an den Wänden hinauf und sprangen über die glitzernden Kristalle, die wie Edelsteine im Fackellicht blitzten.
Die kleinen Männlein führten Maruschka durch weite Gänge, von
deren Decken silberschimmernde Eiszapfen hingen. Sie geleiteten sie in Gärten, in denen rote Eisrosen und andere wunderbare Blumen blühten. Dann brachen sie eine der schimmernden Blüten ab und reichten sie Maruschka -doch kein lieblicher Duft entströmte ihrem Kelche.»Was soll denn all das bedeuten?«fragte das Mädchen verwundert.
»Noch niemals habe ich solche Pracht gesehen!«
»All das ist Salz!«riefen die Männchen im Chor. »Nimm davon, soviel du magst -der Vorrat ist unerschöpflich!«
Maruschka dankte den kleinen Wesen von ganzem Herzen und kehrte ans Tageslicht zurück. Der Eingang zum unterirdischen Reiche aber schloß sich nicht wieder.
Als sie nach Hause zurückkehrte und ihrem Vater von diesem wunderbaren Erlebnis erzählte, erkannte dieser, mit welch unschätzbarem Reichtum seine Tochter von der alten Frau im Birkenwalde überschüttet worden war.
Maruschka sehnte sich sehr nach der alten Frau und eilte mit einem großen Gefolge zum Birkenwäldchen, um sie zu finden und für immer ins Schloß zu bringen, wie sie es ihr beim Abschied versprochen hatte. Aber sosehr sie sich auch bemühte und den Wald kreuz und quer durchsuchte - es wollte ihr nicht gelingen, die Hütte wiederzufinden, und das Mütterchen blieb verschwunden.
Nun erst wurde es Maruschka klar, daß die alte Frau niemand anders als ihre gütige Fee gewesen war. Sie kehrte heim und lebte, von ihren Untertanen geliebt und geehrt, noch viele lange Jahre.
Das Holzkindlein
Dicht am Walde beim Ende eines Dörfchens stand einst eine ärmliche Hütte. Darin lebte ein Holzfäller mit seiner Frau. Im Sommer arbeitete der Mann im Walde, und im Winter verrichtete er allerlei Hilfsdienste im Dorfe, um sich einen kargen Lohn zu verdienen. Seine Frau saß am Spinnrade und spann Garn, das sie dann zum
Markte trug. Die beiden waren rechtschaffene Leute und geachtet im ganzen Dorfe. Trotzdem waren sie nicht glücklich, denn ihr sehnlicher Wunsch, ein Kindlein zu besitzen, war ihnen unerfüllt geblieben. Man hörte sie oft bei der Arbeit seufzen:»Ach, wenn wir doch nur ein Kindlein hätten!«
»Ihr tätet besser, dem Herrn dafür zu danken, daß er Euch kein Kind beschert hat«, sagten die Nachbarn, »Ihr habt ja kaum genug, Euch selber satt zu essen!«
Aber auf solche Worte antworteten sie:
»Wenn es für uns reicht, wäre sicherlich auch noch genügend da für das Kind; wenn wir nur eines hätten!«
An einem schönen Sommermorgen, als der Mann im Walde gerade Baumstämme fällte, kam ihm eine Wurzel in die Hand, die vollkommen einem Kindlein glich. Sie hatte ein Köpfchen, ein Körperchen, Händchen, und sogar kleine Füßchen waren da. Der Holzfäller rundete bloß noch das Köpfchen mit seiner Säge ein wenig ab und schnitt kleine Fingerchen und Zehlein in die Wurzelenden ein, und —das Kindlein aus Holz glich einem lebendigen aufs Haar. Voller Freude trug es der Holzfäller nach Hause, reichte es seiner Frau und sagte:
»Hier bringe ich dir, was du dir so sehnlich gewünscht hast - ein Kindlein. Wenn's dir gefällt, kannst du es behalten.«
Die Frau war überglücklich. Fürsorglich hüllte sie das Holzkind in ein warmes Federbett ein, wiegte es in ihren Armen und sang dazu:
»Schlaf, mein Holzkind, schlaf ein. Wenn du aufwachst, Kindlein mein, wird dein Brei bereitet sein. Schlaf, mein Holzkind, schlaf ein!« |
»Mutter, ich habe Hunger - ich möchte essen!«
Die Frau wußte vor Freude kaum, was sie tun sollte. Behutsam legte
sie das Holzkind aufs Bett und lief in die Küche, um rasch einen Brei zu bereiten. Das Holzkind aß gierig den guten Brei auf und rief abermals:»Mutter, ich habe Hunger!«
»Warte, mein Liebling, warte ein Weilchen! Gleich will ich dir etwas zum Essen holen«, rief sie, lief zur Nachbarin, um sich von ihr einen Topf Milch auszuleihen.
Hastig ergriff das Holzkind den Topf und trank die Milch bis zum letzten Tropfen aus.
Dann klagte es wiederum, daß es Hunger habe und daß es zu essen wünsche.
»Bist du immer noch nicht satt?« rief da die Frau verdutzt.
Schnell eilte sie ins Dorf und kam bald mit einem Laib Brot wieder, den sie auf den Tisch in der Stube legte. Rasch lief sie zur Küche, um das Feuer unterm Suppentopf zu schüren. Kaum aber hatte sie die Stube verlassen, als sich das Holzkind schon von seinen Decken und Hüllen befreite, vom Bette glitt, das Brot ergriff und es im Nu verzehrte.
Dann rief es wiederum: »Mutter, ich bin hungrig, gib mir schnell was zu essen!«
Als die Frau sein Rufen hörte, kam sie in die Stube, um das Brot zu holen, das sie in die Suppe einbrocken wollte. Der Tisch aber war leer -das Brot war verschwunden! In der Stubenecke saß das Holzkind, groß, breit und rund wie ein Fäßchen und schaute die Mutter mit gierigen Augen an.
»Gott behüte uns, Kind, hast du etwa den Laib Brot auch schon aufgegessen?«
»Das habe ich, Mutter, — dich will ich auch noch verschlingen!« Es riß seinen Mund weit auf, und ehe sich's die arme Frau versah, war sie in seinem Schlunde verschwunden.
Kurze Zeit darauf kam der Holzfäller aus dem Walde heim, doch kaum hatte er die Schwelle überschritten, rief ihm das Holzkind zu:
»Vater, ich habe Hunger, gib mir was zu essen!«
Der arme Mann erschrak sehr, als er das Holzkind sah, das in der Ecke saß, groß wie ein Backofen war, heftig mit den Augen rollte und seinen Mund weit aufriß.
»Gott bewahre uns vor allem Bösen!« rief der Mann. »Wo ist denn die Mutter?«
»Ich habe sie aufgegessen, und auch dich werde ich gleich aufessen!«
Und im Augenblick schon hatte es den Holzfäller verschlungen.
Je mehr das Holzkind aß, um so hungriger und gieriger wurde es. Weil es im Hause nichts mehr fand, was es hätte essen können, machte es sich auf den Weg ins Dorf, um dort nach weiterem Futter zu suchen.
Unterwegs begegnete ihm eine Magd, die einen Karren mit Klee vom Felde nach Hause fuhr.
»Du hast aber viel essen müssen, um einen derart dicken Bauch zu haben«, rief sie und lachte. Und das Holzkind antwortete:
»Ich aß und verzehrte den Brei in der Schüssel, die Milch im Topf, auch einen Laib Brot, dazu die Mutter - den Vater und auch dich will ich essen!« |
Gleich darauf sah das Holzkind einen Heuwagen auf sich zukommen, der von zwei Pferden gezogen wurde und auf dem ein Bauer saß, der lustig die Peitsche schwang. Das Holzkind verstellte dem Gefährt den Weg, die Pferde hielten an, und der Bauer rief ärgerlich:
»Kannst du denn nicht ausweichen, du dickes Ungeheuer? Ich will dich lehren. . . !«
Er erhob seine Peitsche und wollte mit ihr nach dem Holzkinde schlagen. Dieses aber scherte sich nicht um ihn, sondern rief:
»Ich aß und verzehrte den Brei in der Schüssel, die Milch im Topf, auch einen Laib Brot, dazu die Mutter - den Vater, die Magd mit ihrem Klee und dem Karren und auch dich will ich essen!« |
Das Holzkind wanderte anschließend weiter. Der Weg führte entlang einer Weide, auf der ein Schweinehirt seine Herde weidete. Das unersättliche Ding stürzte sich auf die Herde und verschluckte ein Schweinchen nach dem anderen. Zum Schlusse aß es auch noch den Schweinehirten auf!
Am Fuß eines Hügels kam ihm ein Schafhirt mit seinen Schafen entgegen. Als ihn das Holzkind erblickte, sprach es zu sich: »Da ich ohnehin schon so viel verzehrt habe, kann ich doch diese nicht laufen lassen!«
Und es verschlang die Schafe, den Hirten und seinen treuen Hund auch noch dazu.
Das Holzkind war nun so groß und dick geworden, daß es sich nur schwer fortbewegen konnte. Es wankte bis zu einem Krautfelde, auf dem ein altes Mütterchen das Unkraut jätete. Das Holzkind überlegte nicht lange und begann die Krautköpfe aus dem Boden zu reißen und sie zu verschlingen.
»Warum fügst du mir denn solchen Schaden zu, du Holzklotz!« rief die Alte erzürnt. »Du scheinst mir schon mehr als reichlich gegessen zu haben und könntest wohl schon satt sein!« Das Holzkind lachte nur und rief:
»Ich aß und verzehrte den Brei in der Schüssel, die Milch im Topf, auch einen Laib Brot, dazu die Mutter - den Vater, die Magd mit ihrem Klee und dem Karren, den Bauern mit Pferden und Heuwagen, den Hirten mit seinen Schweinen, den Schäfer mit Hund und Schafen und auch dich will ich essen!« |
Und es machte sich daran, die Alte zu verspeisen. Doch diese war schneller als das unförmige Holzkind. Sie ergriff ihre scharfe Hacke und schlitzte mit einem Schlage seinen Bauch auf. Da fiel das Holzkind leblos zu Boden.
Ihr hättet sehen sollen, was jetzt geschah!
Aus dem Bauche sprang zuallererst der kleine Schäferhund, hinter ihm kam der Schäfer, dann sprangen die Schafe, eines nach dem anderen, ins Freie. Hierauf liefen die Schweinchen heraus, ihnen folgte der Schweinehirt, der lustig mit der Peitsche knallend hinter dem Schäfer hereilte. Dann kamen die Pferde mit dem Heuwagen. Der Bauer saß noch immer obenauf, und er fuhr nun, wegen der Verzögerung schimpfend, dem Hirten nach ins Dorf. Dem Wagen folgte die Magd mit ihrem Karren und dem Klee, und zuletzt stiegen aus dem Bauche der Holzfäller mit seiner Frau, und sie trugen unter dem Arm den ausgeliehenen Laib Brot. Von da an hat niemand sie mehr seufzen gehört: »Ach, wenn wir doch nur ein Kindlein hätten!«
Das Glück und der Verstand
Vor einem schmalen Steg, der über einen kleinen, reißenden Fluß führte, trafen sich an einem schönen Sommermorgen der Verstand und das Glück.
»Weiche mir aus!« rief das Glück.
Der Verstand, der zu jener Zeit noch recht unerfahren war, wußte nicht, wem der Vortritt gebührte, und sagte drum:
»Warum sollte denn ich dir aus dem Wege gehen? Du bist ja sicher nicht besser als ich!«
»Von uns beiden ist jener der bessere«, antwortete ihm das Glück, »der mehr zu erreichen vermag. Siehst du den jungen Bauernsohn da drüben auf dem Felde, der emsig hinter seinem Pfluge einherschreitet? Folge ihm, und wenn es ihm gelingen sollte, mit deiner Hilfe in der Welt besser vorwärtszukommen als mit der meinigen, will ich dir gerne den Weg freigeben, wann und wo immer noch unsere Wege sich kreuzen sollten.«
Dem Verstand leuchtete der Vorschlag ein. Er eilte dem jungen Bauern nach, der Vanek hieß, schlüpfte ihm ins Ohr und setzte sich in seinem Kopfe fest. Sogleich fing der junge Bauer zu sinnen und zu grübeln an und murmelte vor sich hin:
»Muß ich denn bis zu meinem Lebensende hinter dem Pfluge hertrotten? Vielleicht könnte ich doch auf andere Weise und leichter mein Glück erreichen!«
Er ließ Pflug Pflug sein und lief nach Hause.
»Vater«, sagte er, »die Bauernarbeit freut mich nicht mehr! Ich will lieber Gärtner werden!«
»Hast du denn den Verstand verloren, Vanek?« rief der Vater erschreckt. Aber er faßte sich schnell wieder und sprach: »Wenn du deinen Plan gefaßt hast, führe ihn auch aus! Doch wird dann dein Bruder an deiner Statt nach meinem Tode Haus und Hof erben!« So verlor der gute Vanek sein Erbteil! Er scherte sich jedoch nicht drum, und es war ihm einerlei. Er begab sich zum Gärtner des Königs und bat diesen, ihn in die Lehre zu nehmen. Er lernte schnell, und der Gärtner hatte keine Mühe mit seinem neuen Schüler. Bald wußte Vanek mehr, als sein Meister ihm zeigen konnte, und versah seine Arbeit, ohne groß um Rat und Beistand fragen zu müssen. Der Gärtner sah seinem Schüler mit Mißbilligung zu, doch als er an seinem Werke keinen Fehler finden konnte, sagte er:
»Ich sehe, daß du mehr Verstand hast als ich, arbeite also, wie du es für richtig hältst!«
Nach kurzer Zeit schon gelang es Vanek, den Garten so zu verschönern und zu veredeln, daß der König Wohlgefallen an ihm fand. Oft konnte man ihn mit der Königin und der Prinzessin im Garten lustwandeln sehen. Die Königstochter war ein wunderschönes Mädchen, aber seit ihrem zwölften Lebensjahre hatte keiner sie auch nur ein Wort sprechen hören. Der König war tief bekümmert und ließ verkünden, daß derjenige, der die Prinzessin wieder zum Sprechen bringen würde, sie zur Gemahlin bekommen sollte.
Aus allen Ländern kamen Könige, Prinzen und andere hohe Herren herbei. Doch allein, wie sie gekommen, verließen sie wiederum das Schloß. Keinem war es gelungen, das Mädchen zum Sprechen zu bringen!
>Warum sollte denn ich nicht auch mein Glück versuchen?< dachte Vanek. >Wer weiß, ob es mir nicht gelingen wird, der Prinzessin eine Antwort auf meine Fragen zu entlocken!<
Gesagt-getan! Erließ sich beim König melden und wurde bald darauf von diesem und seinen Edelleuten ins Gemach der Prinzessin geleitet.
Die Prinzessin besaß ein niedliches, kleines Hündchen, das sie über alles liebte. Dieser Spielgefährte verstand sie und konnte jeden Wunsch von ihren Augen ablesen. Als Vanek mit dem Könige und seinem Gefolge das Gemach der Prinzessin betrat, wandte er sich nur dem kleinen Hunde zu, ohne auch nur einen Blick auf die schöne Prinzessin zu werfen. Er sprach zu dem Tierchen:
»Es ist mir zu Ohren gekommen, daß du besonders klug und gelehrt bist, und ich komme daher, um deinen Rat einzuholen. Wir waren drei Handwerksburschen, und wir gingen in die Welt, um unser Glück zu suchen. Der älteste war ein Holzschnitzer, der zweite ein Schneider und ich ein Gärtner. Eines Abends kamen wir zu einem tiefen Walde, und als wir von der Dunkelheit überrascht wurden, beschlossen wir, unter den Bäumen zu übernachten. Um uns vor einem Überfall der Wölfe zu schützen, zündeten wir ein Feuer an, und
einer nach dem anderen sollte Wache halten. Der Holzschnitzer kam als erster an die Reihe. Um nicht einzuschlafen, nahm er einen Holzklotz zur Hand und schnitzte ein schönes Mädchen daraus. Als er seine Arbeit beendet hatte, weckte er den Schneider und bat ihn, die Wache fortzusetzen. Der schlaftrunkene Schneider bemerkte die Holzpuppe in den Armen des Holzschnitzers und fragte neugierig, was dies wohl zu bedeuten habe.>Wie du siehst, hatte ich vor, meine Wartezeit nützlich zu verbringen, und habe diese Puppe geschnitzt! Falls sie dir gefällt, kannst du für sie Kleider anfertigen!<
Der Schneider ließ sich nicht lange bitten, er nahm Nadel und Schere zur Hand und fing an zu schneidern. Als die Gewänder fertig waren, kleidete er die Puppe an und putzte sie fein heraus. Dann weckte er mich, damit ich die Wache antrete. Und auch ich stellte dieselbe Frage und wollte wissen, woher denn die prächtige Puppe komme. Der Schneider erzählte mir nun, was sich zugetragen hatte, und fügte hinzu:
>Sollte auch dir die Zeit zu lang werden, kannst du die Puppe sprechen lehren!<
Ich machte mich gleich ans Werk, und es gelang mir auch tatsächlich, bis zum Morgengrauen der Puppe das Sprechen beizubringen. Als meine beiden Gefährten früh erwachten, brach ein Streit zwischen uns dreien aus, denn jeder wollte die Puppe für sich behalten. Der Holzschnitzer sagte: >Ich habe sie aus rohem Holze geschnitzt, ich habe das meiste Anrecht an sie!<
Und der Schneider antwortete: >Ich habe sie bekleidet!< Und auch ich wollte meine Rechte wahren und die Puppe für mich behalten. Sage du mir, kluges Hündchen, wem soll die Puppe gehören?«
Das kleine Tier blieb stumm, doch an seiner Statt antwortete die Königstochter:
»Wem anders sollte sie denn gehören als dir? Was könnte denn der Holzschnitzer mit einer leblosen Puppe beginnen? Und was der Schneider? Du allein hast ihr das kostbarste Geschenk verliehen: die Sprache! Deshalb soll sie auch nur dir allein gehören!«
»Du hast dein eigenes Schicksal entschieden!« rief Vanek. »Denn auch dir habe ich neues Leben gebracht, und deshalb sollst auch du nur mir allein gehören!«
Als des Königs Hofmarschall diese Worte vernahm, rief er voller Zorn aus:
»Unser gütiger König wird dich gewiß für deinen Verdienst reich entlohnen, doch seine Tochter kann niemals deine Gemahlin werden, denn du bist kein Königssohn!«
Auch der König selber schloß sich seinem Marschälle an und sagte:
»Ich will dir Gold und Edelsteine geben -doch meine Tochter kann nur einen Prinzen zum Manne nehmen!«
Vanek aber wollte von Gold und Edelsteinen nichts wissen und rief:
»Du hast dein Wort gegeben und deine Tochter demjenigen zur Gemahlin versprochen, der sie wieder zum Sprechen bringen würde. Dein königliches Wort kann nicht gebrochen werden! Wie könntest du von deinen Untertanen Gehorsam und Ehrfurcht erwarten, wenn du selber deine Versprechen nicht einhalten würdest!«
Da rief der erzürnte Marschall die Wachen herbei und gebot ihnen, den kühnen Jüngling, der es gewagt hatte, dem Könige zu widersprechen, in Ketten zu legen und ins Gefängnis zu werfen.
»Er soll seine Kühnheit mit seinem Kopfe bezahlen!«fügte der König hinzu.
So wurde denn der arme Junge gefesselt, und bald schon war er auf seinem letzten Gang, der ihn zum Schafott führte.
Bis dahin hatte sich das Glück vom Verstande ferngehalten, doch nun wartete es bei der Richtstätte und sprach leise zu ihm:
»Sieh an, wohin du den armen Jungen mit deiner Hilfe gebracht hast! Nun soll er gar enthauptet werden! Weiche und mache mir Platz, damit ich deine Stelle einnehmen kann!«
Sobald das Glück in Vanek eingedrungen war, nahmen die Dinge einen anderen, unerwarteten Verlauf! Das Schwert des Henkers brach entzwei, und bevor noch ein zweites herbeigeschafft werden
konnte, kam auf einem feurigen Schimmel, lustig ins Horn blasend, ein Bote des Königs herbei. Er schwang eine weiße Fahne, die freudig im Winde flatterte. Ihm folgte der königliche Wagen, der von sechs feurigen Rappen gezogen wurde, um Vanek ins Schloß zu bringen.Der Königstochter hatte der schmucke Bauernjunge gefallen, und sie wollte ihn gerne zum Gemahl nehmen. Sie überzeugte ihren Vater, daß Vanek im Recht sei und daß ein gegebenes Wort niemals gebrochen werden dürfe.
»Du hast recht, meine Tochter, und für seinen Mut soll Vanek zum Fürsten ernannt werden!«
Sie sandten eilends ihr königliches Gespann, um Vanek vom Schafott zu holen, doch an seiner Stelle wurde der Hofmarschall, der an allem die Schuld trug, hingerichtet.
Und als dann Vanek die Königstochter vom Altare führte, begab es sich, daß auch der Verstand des gleichen Weges kam. Er senkte den Kopf und lief beschämt davon.
Seit jener Zeit aber, wenn der Verstand dem Glücke begegnet, geht er ihm schon von weitem aus dem Wege.
Vom Kater, vom Hahn und von der Sense
Es waren einmal drei Brüder. Martin, der älteste von ihnen, hatte vom Vater eine Sense geerbt, der mittlere, der auf den Namen Matej hörte, hatte einen Hahn bekommen, und der jüngste, der den Namen Michael trug, hatte als Erbstück einen Kater erhalten.
Sie lebten alle drei zusammen in einer armseligen Hütte, und diese sowie die drei Erbstücke waren ihr gesamtes Hab und Gut. Eines Morgens sagte Martin:
»Liebe Brüder, wir können nicht länger alle drei so daheim sitzen. Der karge Verdienst, den wir für unserer Hände Arbeit auf den Feldern von den wohlhabenden Bauern bekommen, reicht auf die Dauer nicht aus, wenn wir nicht des Hungers sterben wollen. Ihr
beiden bleibt also zu Hause, ich als der älteste aber will mit meiner Sense in die Welt ziehen und mein Glück versuchen.«Die Brüder liebten einander sehr, und was der eine wollte, war auch der Wunsch der anderen. Darum widersprach keiner, und sie ließen ihn davongehen. Martin nahm die Sense über die Schulter und zog los.
Er wanderte lange und weit, versuchte dies und das, aber es wollte sich keine Arbeit für ihn finden. Eines Tages schließlich erreichte er ein Land, von dem gesagt wurde, daß die Leute, die dort lebten, besonders einfältig seien. Als er näher zu einer größeren Stadt kam, trat ihm ein Mann in den Weg, der zuerst mal voller Neugier die Sense von allen Seiten betrachtete und dann zu wissen begehrte, was das denn sei, was Martin da auf der Schulter trage.
»Eine Sense ist das!« antwortete Martin.
»Was ist das für ein Ding, und wozu nutzt es?«
»Zum Gras mähen!« erwiderte Martin.
»Sie beißt das Gras?« rief der einfältige Mann. »Das ist doch ein erstaunliches Ding: Wir müssen das Gras mit unseren bloßen Händen rupfen, und das macht uns große Mühe! Wenn Ihr mit mir zu unserem Könige kommen wollt, dann bin ich gewiß, daß dieser Euch für Euren Grasbeißer eine gutes Stück Geld zahlen wird!«
»Warum nicht?« sagte Martin. »Laßt uns hingehen!«
Der König war baß erstaunt, als er das auch ihm völlig unbekannte Werkzeug sah, und er befahl Martin, sogleich auf die königlichen Wiesen zu gehen und dort alles Gras von dem Wunderdinge auffressen zu lassen. Rasch begab sich Martin dahin, und eine ganze Schar von Neugierigen folgte ihm. Der Bauernsohn aber war nicht auf den Kopf gefallen - er stieß den Schaft der Sense in die Erde hinein, rief einen königlichen Diener herbei, befahl diesem, zur Mittagsstunde Essen für zwei zu bringen, und trieb anschließend alle Zuschauer von der Wiese. Dann machte er sich an die Arbeit. Als der Diener die dampfenden Schüsseln brachte, wollte er seinen Augen nicht trauen, als er sah, welch ansehnlicher Teil der Wiese schon abgemäht war.
»Wird denn Euer Grasbeißer auch essen?«fragte er.
»Wer arbeitet, muß essen!« kam die Antwort. »Doch geht nun mit Gott und laßt uns hier allein!«
Der Diener entfernte sich, und Martin ließ sich die beiden Essensportionen gut schmecken.
»Was für eine glänzende Idee ist's doch gewesen, daß ich Speisen für zwei verlangt habe!« sagte er sich und wischte sich den Mund.
Am nächsten Tage wiederholte sich das gleiche Spiel und am dritten und vierten ebenfalls. Nachdem Martin alle königlichen Wiesen gemäht hatte, schulterte er seine Sense und ging zum König, um sein Geld zu fordern.
»Beißt dein Grasbeißer das Gras denn ganz alleine und ohne jede Hilfe?«fragte der König.
»Jawohl, königliche Hoheit, ganz allein!« antwortete der Schlaukopf.
»Würdest du ihn uns für tausend Gulden verkaufen?«
»Er hat zwar einen größeren Wert, aber ich will mich mit dieser Summe zufriedengeben«, antwortete Martin. Er nahm die Sense von der Schulter, legte sie zu Füßen des Königs nieder, nahm das Geld in Empfang und eilte freudig nach Hause.
Der König aber ordnete daraufhin an, das Wunderding in sein schönstes Gemach zu stellen, damit ihm auch ja nicht irgendein Leid geschehe.
Ein neues Jahr brach an. Das Gras wuchs wieder, und abermals kam die Zeit, es zu mähen. Da befahl der König, den Grasbeißer auf die Wiese zu tragen. Unter großem Jubel und Glockengeläute wurde sein Befehl ausgeführt und die Sense vorsichtig aus dem Schlosse herausgetragen, in der Mitte der Wiese aufgestellt und allein gelassen. Die guten Leute glaubten, der Grasbeißer liebe es nicht, wenn man ihm bei seiner Arbeit zusah. Die Mittagsstunde, um die der Sense ein köstliches Mahl gebracht werden sollte, konnten die Diener kaum erwarten, so neugierig waren sie zu sehen, wie weit das Wunderding mit seiner Arbeit nun wohl gekommen wäre. Sie waren höchst erstaunt, als sie die Sense genau dort stehen sahen, wo sie sie
in aller Herrgottsfrühe aufgestellt hatten. Sie legten Teller und Schüsseln nieder und rannten eiligst zum König.»Wie ist denn so was bloß möglich? Sie hat doch damals gleich am allerersten Tage gute Arbeit getan!«überlegte der König und schüttelte sorgenvoll seinen Kopf. »Warum will sie denn nicht beißen?« Am Abend kamen die Diener abermals und berichteten, daß der Grasbeißer weder seine Arbeit verrichtet noch seine Mahlzeit berührt habe.
»Ganz sicher ist das Ding verzaubert!« rief da der König. »Laßt es die Prügelstrafe erleiden und verabreicht ihm zwanzig kräftige Hiebe. Wenn es aber auch dann noch die Arbeit verweigert, soll es in die Erde vergraben werden!«
Feierlich wurde nun eine Bank auf die Wiese getragen, die Sense darauf gelegt, und der Scherge versetzte ihr zwanzig tüchtige Hiebe. Nach jedem Schlag sprang die Sense in die Höhe, als ob ihr die Hiebe sehr weh täten, und kratzte dabei jedesmal einem der neugierigen Gaffer Nase und Wangen wund.
»Es ist verzaubert!«riefen die Umstehenden. »Vergräbt das Unding tief unter die Erde, damit es niemanden mehr was zuleide tun kann!«
So also wanderte die Sense in ein tiefes und dunkles Grab -die törichten Leute aber rissen weiter das Gras mit bloßen Händen aus. Inzwischen ließen sich's die Brüder gutgehen und lobten ihren verstorbenen Vater, der ihnen ein so einträgliches Erbe hinterlassen hatte. Aber als nach einiger Zeit das Geld zu Ende ging, sagte Matej:
»Nun will ich mit meinem Hahn in die Welt gehen und mich etwas umschauen. Mag sein - vielleicht ist auch mir das Glück hold!«
»Geh nur ausreichend weit von hier, wo die Leute noch einfältig sind!« riet ihm Martin.
Matej nahm seinen Hahn unter den Arm und zog los.
Als er zu einer Stadt kam, begegnete er einem fremden Manne, der ihn fragte:
»Was tragt Ihr da?«
»Einen Hahn«, antwortete Matej.
»Wir haben noch nie einen solchen Vogel hier gesehen, wozu nutzt er?« wollte der Fremde wissen.
»Er ruft den Tag herbei«, sagte Matej.
»Was für ein wunderbarer Vogel! Wir alle, die wir hier in der Stadt wohnen, geleiten den Tag bis hinter jene fernen Hügel und müssen den neuen Tag wiederum von der anderen Seite herbeiholen. Das verursacht uns natürlich allerlei Unbehagen, besonders im Winter! Wenn Euer Hahn wirklich diese wunderbare Eigenschaft besitzt, von der Ihr da redet, dann wird unser König gewiß viel Geld für ihn geben!«
»Ihr könnt Euch selber davon überzeugen, ob ich die Wahrheit gesprochen habe!« rief Matej und ließ sich von dem Bürger der Stadt zum König führen.
»Gnädiger König«, rief der Mann, als sie vor dem Throne standen, »hier dieser Fremdling besitzt ein gar seltsames Tier, das die wunderbare Gabe hat, den Tag herbeizurufen. Doch wenn es auf den Abend hin müde wird und zur Ruhe geht, dann geht auch der Tag zur Neige.«
»Ich kann deinen Worten nicht Glauben schenken, wenn dein Bericht aber auf Wahrheit beruht, wäre dies ein sehr wertvolles Tier und mit Geld nicht zu bezahlen!« rief der König ungläubig. »So überzeugt Euch selbst!« fiel nun Matej in die Rede.
Ein goldener Käfig wurde gebracht und der Hahn vorsichtig hineingesetzt, und da ihm seine neue Behausung gefiel, fühlte er sich bald heimisch darin.
Es dauerte nicht lange, und das Tageslicht erlosch, ohne daß es jemand hinter die Berge geleitet hätte. Der König war voller Ungeduld und konnte die Morgenstunde kaum erwarten. Schon um Mitternacht war im Schlosse alles auf den Beinen, um nur ja nichts zu versäumen und um zu sehen, auf welche Weise der neue Tag von dem Hahn herbeigerufen wird.
Die Turmuhr schlug die erste Stunde nach Mitternacht, nichts rührte sich. Als die Uhr aber die zweite Stunde verkündete begann der
Hahn zu krähen. Im Schlosse versammelte sich alles um den Käfig, um die merkwürdigen Töne zu hören, die der Vogel ausstieß. Als es drei schlug, krähte der Hahn von neuem und krähte nun weiter zu jeder Stunde, bis das volle Tageslicht in die Fenster einströmte und der neue Tag hereingebrochen war. Da sah der König, daß der Bauernjunge die Wahrheit gesagt hatte, und er befahl seinem Schatzmeister, ihm fünftausend Golddukaten auszuzahlen. Dann wurde noch ein großes Fest gefeiert und Matej bis vor die Tore der Stadt begleitet.Zu Hause wurde er freudig von seinen beiden Brüdern begrüßt, und weil sie nun Geld in Hülle und Fülle hatten, ließen sie sich's gutgehen. Doch nichts dauert ewig - und so ging auch diesmal wieder der Goldvorrat zu Ende. Als im Geldbeutel nur noch wenige Goldstücke verblieben waren, sagte der jüngste Bruder:
»Nun, meine Brüder, will auch ich in die Welt ziehen und mich nach meinem Glücke umschauen. Vielleicht wird auch mir mein Kater dazu helfen können!«
Abermals warnten ihn die Brüder, nur ausreichend weit zu gehen, dorthin, wo die Leute noch unerfahren und einfältig wären. Michael steckte den Kater in einen Sack, umarmte seine Brüder und verließ das Haus. Er wanderte lange, bis er in ein Land kam, wo die Leute eine ihm unverständliche Sprache hatten. Er hörte aufmerksam zu, und bevor er noch die Hauptstadt erreicht hatte, konnte er sich ein wenig mit den Einwohnern verständigen. Vor den Toren der Stadt wurde er von einem Manne angehalten, der wissen wollte, was er denn in seinem Sack bei sich trage.
»Einen Kater!« antwortete Michael.
»Welch merkwürdiges Tier, was kann es denn?«fragte der Mann. »Mein Kater kann Mäuse fangen. Wenn Euer Haus auch voll von Mäusen wäre, mein Kater würde ihnen allen den Garaus machen!«
»Oh, steckt doch Euren Mäusefänger zurück in den Sack, damit ihm nichts geschehen möge, und folgt mir zu unserem Könige!« bat der Mann. »Wir haben im Schlosse derart viele Mäuse, daß wir nicht
mehr aus noch ein wissen. Der König wird sicher den, der ihn von dieser Plage befreit, reichlich entlohnen!«»Ich kann ihm leicht helfen!« rief Michael, steckte den Kater in den Sack und eilte dem Manne nach.
Als sie vor dem Könige standen, sagte der Mann:
»Gnädiger König, hier bringe ich Euch einen Fremdling, der ein ganz seltenes Tier besitzt -einen Mäusefänger! Er ist bereit, ihn an Euch zu verkaufen, falls Ihr das wünscht!«
»Wenn er die Wahrheit spricht und das Tier tatsächlich Mäuse fangen kann, will ich es gerne kaufen.«
»Sagt mir nur, gnädiger Herr, in welchem Raume Eures Schlosses die meisten Mäuse sind«, rief Michael, »und kommt und überzeugt Euch selber, wie mein Kater sie vertilgen wird!«
Michael wurde nun in eine Kammer geführt, in der es von Mäusen nur so wimmelte. Sie waren überall, auf den Tischen, auf den Stühlen, wohin das Auge nur sehen konnte -überall krochen und sprangen sie vergnügt umher.
Rasch öffnete Michael seinen Sack, der Kater sprang heraus und stürzte sich auf seine Beute. Er sprang mit Blitzesschnelle nach allen Seiten und erzielte bald eine vollständige Niederlage unter den armen Mäusen. Nicht einer einzigen gelang es, zu entschlüpfen!
Der König war überglücklich und befahl seinem Schatzmeister sogleich, Michael zehntausend Golddukaten auszuzahlen. Als Michael das viele Geld vor sich liegen sah, jauchzte er freudig auf und machte sich schnurstracks auf den Heimweg.
Als er zwei Tage lang gewandert war, fiel dem König plötzlich ein, was wohl der Mäusefänger essen werde, wenn er erst einmal allen Mäusen den Garaus gemacht haben wird. Er sandte schnell einen berittenen Boten dem Bauernsöhne nach, der ihn um Rat fragen sollte.
Michael schritt rüstig voran und pfiff ein lustiges Liedchen vor sich hin. Am vierten Tage hörte er plötzlich das Getrappel von Pferdehufen hinter sich, und als er sich neugierig umwandte, erblickte er einen Reiter, der ihm schon von weitem zuwinkte. Er blieb stehen
und wartete die Ankunft des Reiters ab. Als dieser nahe genug herangekommen war, rief er ihm zu:»Was wird denn der Mäusefänger essen, wenn er keine Mäuse mehr im Schlosse finden wird?«
Michael aber hatte bereits die fremde Sprache, die er ohnehin nur sehr wenig kannte, vergessen, und so antwortete er, ohne daß er den Redeschwall des Reiters verstanden hatte, mit dem einzigen Worte, das ihm zu Gebote stand: »Euch!«
Kaum aber hatte der Reiter dieses Wort vernommen, als er erschreckt sein Pferd herumwarf und wieder dem Schlosse zujagte. Michael stand da und hielt sich die Seiten vor Lachen.
Als der Reiter das Schloß erreicht hatte, sprang er vom Pferd, lief, so schnell ihn die Füße nur tragen konnten, zum Könige und rief: »Gnädiger König, mit uns ist es vorbei! Wenn der Mäusefänger alle Mäuse vertilgt haben wird, werden wir ihm zum Opfer fallen!«
»Wer hat dir denn das gesagt?«fragte der zu Tode erschrockene König.
»Ich bringe die niederschmetternde Botschaft von dem Manne, der uns den Kater verkauft hat. Auf meine Frage, was denn das Tier essen würde, wenn es keine Mäuse mehr geben wird, antwortete er mir kurz und bündig mit dem Wörtchen: Euch!«
Da berief der König seine weisen Ratgeber zu sich, und sie überlegten voller Angst, was zu tun sei. Nach langem Beraten beschlossen sie, den Kater in seiner Kammer gefangenzuhalten. Vor den Türen der Kammer sollten bewaffnete Wachen aufgestellt werden, die bei Tag und Nacht strengste Obacht halten müßten. Sogleich wurde den Generälen aufgetragen, die stärksten und mutigsten Männer unter ihren Soldaten zu wählen, die bereit wären, die gefährliche Wache zu übernehmen.
Bei Tag und Nacht stand nun an jeder Ecke ein bis an die Zähne bewaffneter Mann, der beim kleinsten Geräusch, das aus der Kammer zu hören war, wie Espenlaub zitterte. In der zweiten Nacht wurde es unheimlich ruhig in der Kammer des Gefangenen - der Kater hatte nämlich das letzte Mäuschen verschmaust und ruhte sich nun
aus. Am frühen Morgen, als noch immer nichts in der Kammer zu hören war, bekam es der Mann, der dicht bei dem Fenster auf Lauer stand, mit der Angst zu tun. Er hätte für sein Leben gern gewußt, was in der Kammer vor sich gehe! Er faßte Mut und blickte durchs Fenster hinein.Doch wehe! Der Kater saß am Fenster, und als er den bärtigen Kopf erblickte, auf dem eine struppige Bärenmütze saß, erschrak er, schlug das Fensterglas ein und sprang durch die Öffnung ins Freie. Der Mann schrie auf und fiel ohnmächtig zu Boden. Die zweite Wache, die den gräßlichen Aufschrei gehört hatte, rannte schnell zu seiner Hilfe herbei. Als er den Mann am Boden liegen sah, lief er, so schnell er nur konnte, ins Königsgemach und rief:
»Gnädiger König! Der furchtbare, blutdürstige Mäusefänger hat sein Gefängnis verlassen und hat meinen Freund, der beim Fenster Wache hielt, erwürgt. Niemand weiß, wo er nun wütet und wie viele Leute er bereits ins Jenseits befördert hat! Oh, was für ein schreckliches Unglück!«
Alsbald wurden alle Häuser fest verschlossen. Jeder versteckte sich, so gut er nur konnte, und der König befahl, daß ein Regiment der mutigsten Männer den Kater suchen und töten solle. Sein Befehl wurde sogleich ausgeführt, und obwohl das tapfere Heer drei volle Tage suchte -der gefährliche Mäusefänger blieb verschwunden und wurde nie wieder gesehen!
Die drei Brüder aber lebten in Glück und Eintracht, verwalteten getreulich ihren Besitz, und oft konnte man sie des Abends um den Tisch herum sitzen sehen und über die Torheit und Einf alt der Menschen von Herzen lachen.
Peter und der Zwerg
Vor vielen, vielen Jahren lebte einmal ein junger Bursche mit Namen Peter. Er besaß die Kräfte eines Riesen und beschloß, in die weite Welt zu gehen, um einen Mann zu suchen, der noch stärker wäre
als er. So zog er denn aus und sah eines Tages auf der Landstraße einen Mann, der ganze Felsblöcke mit seinen bloßen Händen zu feinem Staube zerdrückte.»He, du!« rief Peter. »Willst du deine Kräfte mit den meinen messen?«
Der Fremde war's zufrieden, und sie fingen an, miteinander zu ringen. Der Kampf endete mit Peters Sieg.
»Wie ist dein Name?« wollte nun Peter wissen.
»Ich heiße Ivan«, war die Antwort.
»Lasse uns Blutsbruder werden und einander Treue schwören!« schlug Peter vor, und Ivan willigte freudig ein. Von nun an zogen sie gemeinsam ihres Weges weiter.
Sie wanderten viele Tage und kamen zu einem Wald, in dem ein Mann bemüht war, die krummen Bäume aufzurichten und die geraden zu beugen.
»He, du!« rief Peter wieder. »Willst du mit uns kämpfen?«
Dem Fremden gefiel dieser Vorschlag, und er trat zunächst den Kampf mit Peter an, der ihn aber mit ungeahnter Leichtigkeit zu Boden zwang.
Als dann aber Ivan mit dem Fremden kämpfte, wurde er von ihm besiegt.
»Wie ist dein Name?«fragte Peter den Fremdling, als der Kampf zu Ende war.
»Ich heiße Milan.«
»Gut denn, Milan, willst auch du unser Blutsbruder sein?« fragte Peter, und alle drei schworen einander Treue.
Von nun an wanderten die drei Blutsbruder, Peter, Ivan und Milan, gemeinsam weiter durch den tiefen Wald, bis sie vor einer kleinen Hütte anlangten. Sie traten ein und fanden in der Stube eine Anzahl roh gezimmerter Stühle, einen Tisch, einen Kochtopf und ein schönes Stück Speck. Sie labten sich an diesen Leckerbissen und beschlossen, in der Hütte zu bleiben und hier ihre Wohnstätte aufzuschlagen. Zwei von ihnen wollten täglich auf Jagd gehen, und der dritte sollte das Haus hüten und das Mahl bereiten.
Am nächsten Morgen ging Peter mit Milan in den Wald, um zu jagen, und Ivan blieb zu Hause, um eine Hafergrütze anzurichten. Er stand am Herde und rührte emsig den brodelnden Brei im Topfe, als sich die Tür weit öffnete und ein kleiner häßlicher Zwerg eintrat. Er hatte einen weißen Bart, der so lang war, daß er ihn am Boden nach sich schleppte. Ohne auch nur ein Wort zu sprechen, schlug der Zwerg den starken Ivan zu Boden, aß die gute Hafergrütze bis aufs letzte Körnchen auf und lief davon.
Als sich Ivan von seiner Betäubung erholt hatte, setzte er rasch einen frischen Brei auf den Ofen, doch noch bevor dieser gar gekocht war, kehrten seine beiden Freunde aus dem Walde zurück. »Ist unser Mahl bereit?« riefen sie hungrig.
»Das Holz war grün, und das Feuer im Herde wollte nicht brennen«, entschuldigte sich Ivan, »und so ist auch die Grütze noch nicht ganz gar gekocht.«
Am nächsten Tage nun sollte Milan zu Hause bleiben und das Mahl bereiten. Und wiederum wie am Tage vorher, kam der böse Zwerg, schlug Milan zu Boden, verspeiste gierig den Brei und lief davon. Als die beiden anderen nach Hause kamen, benützte Milan die gleiche Ausrede und erzählte ihnen, daß das Feuer unter dem Topfe nicht brennen wollte.
Am dritten Tage blieb Peter in der Hütte. Am Abend, als die Grütze zum Essen bereit am Ofen dampfte, trat der Zwerg ein und verlangte sein Mahl. Als sich Peter weigerte, seinem Wunsche zu folgen, warf sich der Zwerg mit aller Wucht auf ihn und wollte ihn zu Boden werfen. Peter jedoch war stärker als der kleine Mann, er packte ihn bei seinem langen Barte, zerrte ihn aus der Hütte zu einem Baume und klemmte hier den Bart in eine Spalte im Stamme des Baumes. Dann überließ er den zappelnden und schreienden Zwerg seinem Schicksal und kehrte in die Hütte zurück.
Als Ivan und Milan heimkehrten, fanden sie die Grütze am Tische bereit und ließen sich das Mahl gut schmecken. Hierauf forderte Peter sie auf, ihm zu folgen, und er geleitete sie zu der Stelle, wo er den Zwerg gefangenhielt. Doch wie erstaunte er, als er weder den
Baum noch den Zwerg vorfand! Der kleine Mann hatte mit dem Aufwand seiner ganzen Kraft den Baum mit all seinen Wurzeln aus dem Boden gerissen und war mit ihm davongelaufen, wobei er den Baumstamm an seinem eingezwängten Barte nach sich gezogen hatte.
Die Blutsbruder folgten seiner Spur, und diese führte sie zu einer tiefen und dunklen Schlucht. Sie ließen sich am Rande nieder und begannen ein sehr langes Seil zu flechten. Das eine Ende schlang Peter um seine Hüften und gebot hierauf seinen Brüdern, ihn an diesem Seil in die Schlucht hinunterzulassen. »Doch bringt mich gleich wieder ans Tageslicht«, bat er sie, »wenn ich an dem Seile ziehe und euch so ein Zeichen gebe!«
Ivan und Milan taten wie ihnen geheißen und ließen ihn vorsichtig am Seil hinuntergleiten. Peter schwebte tiefer und immer tiefer, bis er sich schließlich, am Grunde angelangt, in einer neuen und völlig fremdartigen Welt befand. Hier folgte er wiederum der Spur des Zwerges und kam zu einer Hütte, vor der ein wunderschönes Mädchen saß.
»Einen recht guten Morgen wünsche ich dir, liebliches Mädchen!« rief er. »Hast du einen kleinen alten Mann mit langem, weißem Barte hier vorbeikommen sehen, den er in einem Baumstamm eingezwängt hatte?«
»Sicherlich habe ich ihn gesehen«, antwortete das schöne Mädchen, »es ist mein Vater, den du zu sehen verlangst. Er ist in der Hütte —doch warne ich dich, die Stube zu betreten, denn er ist ganz voller Zorn.«
Peter aber ließ sich nicht abschrecken, er öffnete die Türe und trat ein. Er sah den Zwerg im Bette liegen, und der Baumstamm, in dem sein langer Bart noch immer feststeckte, lag neben ihm am Boden. Als der Zwerg den näher tretenden Peter bemerkte, sprang er mit einem Satze unter den Tisch und durch ein Loch im Boden in den Keller hinunter. Peter zögerte keinen Augenblick und sprang dem Zwerge nach. Ein noch viel schöneres Mädchen saß in diesem Raume und blickte Peter erstaunt an. Der Zwerg aber wartete nicht und
sprang durch eine Öffnung im Boden in einen noch tiefer gelegenen Raum. Doch Peter folgte ihm wiederum nach.Nunmehr befanden sie sich in einem unterirdischen Hofe, in dessen Mitte ein kleines Häuschen stand. An seinen Stufen saß ein Mädchen, das noch viel schöner war als die beiden anderen. Auf Peters Frage, ob sie den bösen Zwerg gesehen habe, deutete sie ins Haus und sagte:
»Hüte dich ja einzutreten, Fremdling, mein Vater ist sehr voller Zorn.«
Peter jedoch ließ sich nicht einschüchtern, er stürzte ins Innere des Hauses, ergriff den Baumstamm, der immer noch an des Zwerges langem Barte hing, und erschlug mit ihm den Bösewicht. Dann führte er die drei schönen Mädchen zu der Schlucht, durch die er in dieses unterirdische Reich gelangt war, und gab den Freunden mit dem Seile das verabredete Zeichen. Die Blutsbruder zogen zuerst das erste Mädchen nach oben, dann das zweite und schließlich auch die dritte, die Allerschönste. Doch kaum waren die Mädchen oben angekommen, als Milan und Ivan schon um sie zu streiten begannen, und als Peter erneut an dem Seile zog, um nun selber von den Freunden heraufgezogen zu werden, taten sie dies zwar, doch ließen sie das Seil auf halbem Wege los in der Hoffnung, daß Peter beim Sturze zu Tode fallen werde. Aber nichts dergleichen geschah, und er blieb heil und unverletzt.
Er wanderte nun in der unterirdischen Welt umher, sah sich gut um und entdeckte schließlich am Gipfel eines Eichenbaumes ein Nest, in dem einige junge Greife saßen. Mit rauschendem Flügelschlag näherte sich ein wilder Adler dem Nest und wollte die jungen Greife entführen. So rasch er nur konnte, kletterte Peter zum Neste empor, um die Jungen zu retten, und kam eben im rechten Augenblick, um den Adler zu verjagen. Sie dankten ihm für ihre Errettung und versteckten ihn unter ihren Flügeln, damit er nicht ihrem gierigen Vater zum Opfer falle.
Als der alte Greif heimkehrte, erzählten sie ihm, was sich zugetragen hatte.
»Du hast meine Jungen vom sicheren Tode gerettet«, sagte der Greif, »begehre nun von mir, was dir beliebt, denn ich werde jeden deiner Wünsche erfüllen!«
»Willst du mich auf deinem Rücken in meine Welt zurücktragen?« fragte Peter.
»Das will ich gerne tun«, kam die Antwort, »doch mußt du neun Lämmer und ebenso viele Brote für mich als Wegzehrung mitnehmen, und wenn ich auf der Reise Hunger oder Durst verspüre, mußt du mich sättigen!«
Sie traten den langen Flug an, und Peter fütterte unterwegs den hungrigen Greif. Als sie sich dem Ende ihrer Reise näherten, war der Vorrat erschöpft, und Peter hatte nichts mehr, was er dem unersättlichen Tiere hätte zur Stärkung geben können. Doch da hatten sie auch schon die Oberwelt erreicht, und Peter sprang freudig zu Boden. Er dankte dem Greifen für seine Hilfe, und dieser flog zu seinen Kindern zurück.
Peter machte sich nun auf die Suche nach seinen beiden falschen Freunden. Bald fand er sie und an ihrer Seite die beiden schönen Mädchen. Die dritte aber, die Schönste von allen, saß ganz allein und verlassen abseits und weinte bitterlich.
»Ihr habt euren Eid schnöde gebrochen!«rief Peter. »Ihr seid meiner Freundschaft nicht würdig!«
Ivan und Milan erblaßten, als sie diese Worte vernahmen, und zitterten vor Furcht. Peter aber wandte sich voll Abscheu von ihnen ab, griff das weinende Mädchen bei der Hand und führte sie hinweg. Er geleitete sie zu seinem alten Heime, dort wurde Hochzeit gefeiert, und sie lebten in Glück und Zufriedenheit noch viele Jahre. Von den falschen Freunden haben sie nie wieder gehört.
Der Lange, der Dicke und der Scharfsichtige
Es war einmal ein alter König, der hatte einen einzigen Sohn. Eines Tages rief er ihn zu sich und sprach:
»Mein lieber Sohn! Du weißt, daß die reife Frucht vom Baume fällt, um für neue Früchte Platz zu machen. So ist es auch mit meinem Haupte. Es ist überreif, und die Sonne wird nicht mehr lange drauf scheinen. Doch bevor du mich ins Grab legst, würde ich noch gerne meine künftige Tochter, deine Braut, mit meinen Augen sehen. Heirate also, mein Sohn!«
Der Prinz antwortete:
»Ich würde gerne deinen Wunsch erfüllen, lieber Vater, doch habe ich bisher keine Braut gefunden.«
Da griff der alte König in seine Tasche, entnahm ihr einen goldenen Schlüssel und gab ihn seinem Sohne mit den Worten:
»Steige auf den Turm, gehe in das Gemach, das sich unter dem Dache befindet, blicke um dich und lasse mich hierauf deine Wahl wissen.«
Ohne Zögern gehorchte der Prinz den Worten seines Vaters. Niemals zuvor hatte er den Turm betreten und wußte daher auch nicht, was sich oben befand.
Als er die oberste Treppe erreicht hatte, erkannte er in der Decke eine Falltüre, die versperrt war. Er öffnete das Schloß mit dem goldenen Schlüssel, hob die Türe auf und schwang sich durch die Öffnung.
Er befand sich in einem großen, kreisrunden Raum, dessen dunkelblaue Decke mit silbernen Sternen übersät war. Sie glich völlig dem Himmel in einer klaren Winternacht. Der Boden war mit einem grünseidenen Teppich belegt, und zwölf hohe, schmale und goldumrahmte Fenster schmückten die Wände. Jedes dieser Fenster zierte das Bild eines jungen Mädchens, die sämtlich Königskronen im Haar trugen und von denen eines schöner war als das andere. Und als er die Bilder voller Bewunderung anblickte und überlegte, welches der Mädchen er zu seiner Braut erwählen solle, begannen sie sich zu bewegen, als ob sie lebten, neigten ihm ihre Köpfe zu, lächelten ihn an und schienen gar sprechen zu wollen.
Da bemerkte der Prinz, daß eines der Fenster mit einem weißen Vorhang verdeckt war. Neugierig zog er diesen zur Seite, um zu se
hen, was er verbarg. Er sah das Bild eines Mädchens in weißem Kleide, mit silbernem Gürtel und einer Perlenkrone auf dem Haupte. Sie erschien ihm lieblicher als alle anderen, aber sie war bleich und traurig, als wäre sie eben aus dem Grabe auferstanden.Der Prinz stand lange, in Gedanken versunken, vor diesem Bilde, und das Herz in seiner Brust tat ihm wehe.
»Diese und keine andere soll meine Braut werden!« rief er.
Kaum hatte er so gesprochen, als das Mädchen wie eine Rose errötete, ihren lieblichen Kopf senkte, und im selben Augenblick waren alle anderen Bilder von den Fenstern verschwunden.
Als der Prinz zu seinem Vater zurückkam und ihm erzählte, was er gesehen und welches Mädchen er sich gewählt hatte, schien der alte König bedrückt.
»Unklug hast du gehandelt, mein Sohn«, sprach er. »Du hast enthüllt, was verborgen bleiben sollte, und deine Worte haben dich in große Gefahr gebracht. Diese Prinzessin ist in der Macht eines bösen Zauberers, der sie in einem eisernen Schlosse gefangenhält. Wer immer es bisher gewagt hat, sie befreien zu wollen, ist nicht mehr zurückgekehrt. Doch was geschehen ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden, und du hast dein Wort verpfändet. Gehe nun also, versuche dein Glück und kehre mir wohlbehalten wieder!«
Der Prinz verabschiedete sich von seinem Vater, sattelte sein Pferd und ritt in die Welt hinaus, um das eiserne Schloß zu suchen. Sein Weg führte ihn durch einen weiten und tiefen Wald, und als er zwischen Felsen und dichtem Gestrüpp den Pfad verlor und erschöpft und müde umherirrte, hörte er mit einem Male jemanden rufen: »Halt ein und warte auf mich!«
Als der Prinz sich umwandte, erblickte er einen riesenlangen Burschen, der auf ihn zueilte.
»Warte und nimm mich mit, du wirst es nicht bereuen!«
»Wer bist du und was kannst du?«fragte ihn der Prinz.
»Der >Lange<werde ich genannt«, kam die Antwort, »und ich kann mich strecken. Siehst du das Vogelnest dort oben auf dem Tannenzweige?« und er deutete zum Gipfel des höchsten Tannenbaumes
im Walde. »Ich werde es herunterholen, ohne deswegen klettern zu müssen!«Und der Lange begann sich zu strecken, sein Körper wuchs, bis er so groß wie der Tannenbaum war, ergriff das Vogelnest, reichte es dem erstaunten Prinzen und schrumpfte dann zu seiner früheren Gestalt wieder ein.
»Du scheinst ein Meister deiner Kunst zu sein! Doch was nützt mir ein Vogelnest, wenn du mich nicht aus diesem Walde herausführen kannst!«
»Oho, das ist nur eine Kleinigkeit!« rief der Lange, und er begann sich zu strecken, bis er dreimal so hoch wie der höchste Baum im Walde war. Er sah um sich, deutete nach rechts und sagte:
»In dieser Richtung müssen wir gehen, dies ist der kürzeste Weg aus dem Walde.«
Dann nahm er wieder seine rechte Größe ein, griff das Pferd beim Zügel, und bald waren sie aus dem Walde.
Eine weite Ebene dehnte sich vor ihnen. Sie war von hohen grauen Felsen eingeschlossen, die den Mauern einer Stadt glichen. Hinter diesen Felsen ragten waldbedeckte Berge zum Himmel empor.
»Dort drüben, Herr, wandert mein Freund«, rief der Lange und wies auf eine Gestalt, die weit draußen in den Feldern zu sehen war. »Auch den, rate ich dir, in deine Dienste zu nehmen, er wird dir sicher sehr von Nutzen sein.«
»Rufe ihn herbei, damit ich ihn sehen und prüfen kann!«
»Er ist zu weit entfernt, Herr, und würde meinen Ruf nicht hören«, antwortete der Lange. »Auch würde es zu lange dauern, bis er uns erreichen würde, denn er hat viel zu tragen. Ich will ihn lieber holen.«
Der Lange streckte sich wieder, und diesmal so hoch, daß sein Kopf in den Wolken verschwand. Er machte zwei, drei Riesenschritte, nahm den Freund auf die Schultern und stellte ihn im Handumdrehen vor den Prinzen hin. Es war ein kleiner, dicker Bursche, der mehr einem Fasse als einem Menschen glich.
»Wer bist du«, fragte ihn der Prinz, »und was ist deine Kunst?«
»Man nennt mich den >Dicken<, und ich kann mich in die Breite dehnen«, antwortete dieser.
»Zeige es mir!« sagte der Prinz.
»Schnell, schnell, rette dich, Herr, reite in den Wald zurück!« rief der Dicke und fing an, sich aufzublasen.
Der Prinz verstand diesen Befehl zu Anfang nicht, doch als er sah, daß auch der Lange mit raschen Schritten dem Walde zulief, spornte er sein Pferd und galoppierte davon. Es war auch schon allerhöchste Zeit -denn der Dicke wuchs nach allen Seiten in einer solchen Masse, daß er ihn gewiß mitsamt seinem Pferde erdrückt hätte. Es schien, als ob da plötzlich ein Riesenberg aus dem Boden gewachsen sei. Endlich hielt der Dicke inne, er blies nur noch die restliche Luft aus seinen Lungen heraus, derart, daß sich die Bäume wie im Sturme bogen, und nahm seine frühere Gestalt wieder an.
»Du hast mich aber erschreckt!«rief der Prinz. »Aber ich muß gestehen, daß man so jemanden wie dich nicht alle Tage findet! Komme mit uns!«
Und sie machten sich auf den Weg. Als sie die Ebene durchschritten hatten, gelangten sie zu den grauen Felsen. Hier begegneten sie einem Manne, der seine Augen mit einem schwarzen Tuch verhüllt hatte.
»Sieh, Herr, das ist unser dritter Genosse«, sagte der Lange. »Auch ihn solltest du in deine Dienste nehmen, denn auch er wird dein Brot sicher nicht unnütz essen!«
»Wer bist du?«fragte der Prinz. »Und warum sind deine Augen verhüllt? Du kannst doch deinen Weg nicht sehen!«
»Oh, Herr, seid ohne Sorge! Ich sehe mit meinen verhüllten Augen weit mehr als andere Menschen mit offenen. Wenn ich meine Augen aber offen trage, dann bleibt vor mir nichts verborgen, und wenn ich ein Ding nur anstarre, geht es in Flammen auf, und was nicht brennbar ist, zerspringt glatt in Stücke. Deshalb nennen mich die Leute den >Scharfsichtigen<.«
Und er wandte sich zu dem nächsten Felsen hin, nahm das Tuch von seinen Augen und starrte unverwandt auf den Stein. Da begann der
Felsblock zu bersten, und Stücke von ihm flogen nach allen Windrichtungen. Es blieb nur ein Häufchen Sand übrig, in dessen Mitte etwas Glitzerndes lag. Der Scharfsichtige griff nach dem schimmernden Ding und reichte es dem Prinzen. Es war ein Stück von purem Golde.»Hoho, du bist aber ein Bursche, der nicht mit Geld zu bezahlen ist«, rief der Prinz. »Nur ein Narr würde deine Dienste verschmähen. Da deine Augen so scharf sind und du alles sehen kannst, so sage mir, wie weit wir noch vom eisernen Schlosse entfernt sind.«
»Wärest du allein, Prinz, würdest du noch gut ein volles Jahr reiten müssen, um das Schloß zu erreichen. Mit unserer Hilfe aber sollst du noch heute dort eintreffen. Auch sehe ich, daß man dort gerade das Abendessen für uns bereitet.«
»Und was macht meine Braut, die liebliche Prinzessin?«fragte der Prinz.
»Sitzt zitternd bei Tag und Nacht Vom bösen Zauberer bewacht Die holde Prinzessin voll Bangen Im eisernen Schlosse gefangen«, |
»Ihr guten Freunde«, rief da der Prinz, »wollt ihr mir helfen, sie zu befreien?«
Und die drei Freunde antworteten wie aus einem Munde: »Wir werden dir helfen!«
Mit seinen Blicken bohrte der Scharfsichtige alsbald einen Pfad durch die grauen Felsen, und sie wanderten über hohe Berge und durch tiefe Wälder weiter und immer weiter. Wo sich im Wege Hindernisse fanden, wurden diese leicht von den drei Freunden überwunden. Als es Abend wurde und die Sonne am westlichen Himmel stand, wurden die Berge immer kleiner, die Wälder lichteten sich, und die Felsen verloren sich im Gestrüpp. Vor sich erblickte der Prinz das eiserne Schloß.
Als die Sonne hinter den Abendwolken verschwand, ritt er über die
eiserne Zugbrücke dem Tore zu. Wie von unsichtbaren Händen gezogen, hob sich die Brücke auf, die Tore schlossen sich hinter ihm, und der Prinz und seine Gefährten waren im eisernen Schlosse gefangen.Der Prinz führte sein Pferd in den Stall und betrat mit seinen Gefährten das Schloß.
Wohin sie auch kamen, im Stalle, in den Höfen, auf den Gängen und in den Gemächern, überall sahen sie im Zwielicht reichgekleidete Höflinge, Edelleute und Diener reglos umherstehen. Sie alle waren versteinert.
Die Freunde gelangten schließlich in einen großen hellerleuchteten Speisesaal. Ein Tisch stand einladend in der Mitte. Er war mit den köstlichsten Speisen und Getränken beladen. Vier Gedecke waren bereit, und vier Stühle erwarteten die Gäste. Unentschlossen warteten sie einige Zeit, doch als niemand kam, um sie zu bewirten, setzten sie sich um den Tisch und aßen und tranken nach Herzenslust.
Als sie satt waren, schauten sie sich nach einer Ruhestätte um. Plötzlich sprang die Türe auf, und den Saal betrat der Zauberer, ein gebückter Greis in langem, schwarzem Gewande, mit kahlem Kopf und grauem, langem Barte, der ihm bis zu den Knien reichte. Drei eiserne Ringe umschlossen seine hagere Gestalt. An der Hand führte er eine wunderschöne Jungfrau. Ihr weißes Kleid zierte ein silberner Gürtel, und auf ihrem Haupte strahlte eine Perlenkrone. Sie war bleich und traurig, als sei sie soeben aus dem Grabe erstanden. Der Prinz erkannte sie sogleich, sprang auf und eilte ihr entgegen. Doch bevor noch ein Wort über seine Lippen gekommen war, drohte der Zauberer:
»Ich weiß, warum du gekommen bist, Jüngling! Du willst die Prinzessin entführen! Versuche es -doch mußt du erst drei Nächte lang bei ihr wachen, und sie darf dir nicht entschlüpfen. Nun höre meine Warnung! Entwischt sie dir, dann trifft dich und deine Gefährten das Los deiner Vorgänger, die sich erdreistet haben, die Prinzessin befreien zu wollen. Sie alle wurden zu Stein!«
Er führte die Prinzessin zu einem Stuhl, gebot ihr niederzusitzen und verließ den Saal.
Sie war derart lieblich anzusehen, daß der Prinz seine Augen nicht von ihr wenden konnte. Er sprach zu ihr, fragte sie nach vielen Dingen, aber sie antwortete nicht und blieb stumm. Sie lächelte nicht und sah ihn auch nicht an - sie schien leblos und wie aus Marmor zu sein. Er ließ sich an ihrer Seite nieder, um Wache zu halten. Und um ganz sicher zu sein, daß die Prinzessin nicht entwischen könne, streckte sich der Lange, bis er wie ein Riemen den ganzen Raum umspannte. Der Dicke setzte sich vor die Türe, blies sich auf, bis er mit seinem Körper die Türöffnung ausfüllte -nicht einmal einem Mäuschen wäre es geglückt, durchzuschlüpfen. Auch der Scharfsichtige war auf dem Posten, er nahm seinen Platz bei der Säule ein, die inmitten des Raumes stand.
Doch sosehr sie sich auch bemühten, wach zu bleiben, keinem gelang es. Ihre Augenlider wurden wie durch einen Zauber immer schwerer, fielen schließlich zu, und sie schliefen ein.
Als es zu dämmern begann, erwachte der Prinz, und es war ihm, als ob jemand ein scharfes Messer in sein Herz gestoßen habe, als er sah, daß die Prinzessin verschwunden war. Rasch weckte er seine Gefährten, und sie berieten, was nun zu tun sei.
»Sorge dich nicht, Herr«, rief der Scharfsichtige und schaute aus dem Fenster. »Ich sehe die Prinzessin schon! Hundert Meilen von hier entfernt ist ein tiefer Wald, in dessen Mitte eine alte Eiche steht. In ihrer Krone hängt eine Eichel - und diese Eichel ist unsere Prinzessin. Gebiete dem Langen, mich auf seine Schultern zu nehmen, und wir werden dir gemeinsam die Eichel bringen.«
Und der Lange hob ihn auf seine Schultern, streckte sich und eilte mit Meilenschritten dem Walde zu.
Bald waren sie zurück, und der Lange reichte dem Prinzen die Eichel:
»Laß sie zur Erde fallen, Herr!«sprach er.
Der Prinz tat, wie ihm geheißen, und im selben Augenblick schon stand die Prinzessin an seiner Seite.
Als die Morgenröte den Himmel zu färben begann, sprang die Türe krachend auf, und der Zauberer stand auf der Schwelle. Ein boshaftes Lächeln umspielte seine Lippen. Doch als er die Prinzessin vor sich stehen sah, verfinsterte sich seine Miene, er murmelte unverständliche Worte in seinen Bart, und, siehe da, einer der eisernen Ringe, die seinen Leib umspannten, zersprang und fiel klirrend zu Boden. Er faßte die Prinzessin bei der Hand und verließ mit ihr das Gemach.Der Prinz und seine Gefährten konnten tagsüber tun, was ihnen beliebte. Sie durchwanderten die Höfe und Hallen des eisernen Schlosses, und überall bot sich ihnen dasselbe eigenartige Bild. Es schien, als wäre plötzlich alles Leben aus den Räumen gewichen. In einem der Säle fanden sie einen jungen Ritter, der mit einem unsichtbaren Feinde kämpfte. Er schwang sein Schwert mit beiden Händen über seinem Kopfe, doch ehe er dem Feinde den tödlichen Schlag versetzen konnte, war er zu Stein geworden. In der Halle erblickten sie einen Edelmann, der vor etwas Grauenhaftem zu fliehen schien und dabei über die Schwelle stolperte. Doch bevor er noch zu Falle kam, war er versteinert. In der Küche neben dem Herde fanden sie den Koch, der eben dabei war, ein Stück Braten zum Munde zu führen. Doch auch er konnte sein Vorhaben nicht beenden, denn ihm war das gleiche Schicksal zuteil geworden, und er wurde mit offenem Munde zu Stein. Und viele andere merkwürdige Gestalten sahen sie, die alle in der gleichen Stellung verblieben waren, in der sie sich befanden, als sie der Fluch des Zauberers traf. Sogar versteinerte Pferde sahen sie im Stalle stehen, und in den Höfen und Gärten erschien alles wie stumm und tot. Die Bäume standen ohne Blätter da, auf den Wiesen wuchs kein Gras, das Wasser im Flusse war erstarrt, kein Vogel sang in den Ästen, keine Blume blühte, und kein Fischlein spielte in den Wellen.
Am Mittag und zum Abendessen fanden der Prinz und seine Begleiter den reich gedeckten Tisch bereit. Von unsichtbaren Händen wurden die Speisen aufgetragen und der Wein eingeschenkt.
Am Abend öffnete sich wiederum die Türe, und der Zauberer führte
die Prinzessin in den Saal. Die Freunde taten ihr Bestes, um dem Schlafe zu widerstehen, doch ihre Mühe war auch diesmal vergeblich. Wie sehr sie dagegen ankämpften, sie schliefen dennoch ein. Und als es zu dämmern begann und der Prinz aufwachte, sah er zu seinem Schrecken, daß die Prinzessin abermals verschwunden war. Er sprang auf, schüttelte den Scharfsichtigen bei den Schultern und rief:»Wache auf und hilf mir, die Prinzessin wiederzufinden! Wo ist sie denn heute?«
Der Scharfsichtige rieb seine Augen vom Schlafe frei und blickte aus dem Fenster:
»Ich sehe sie!«rief der. »Zweihundert Meilen von hier entfernt steht ein Berg, in diesem Berge ist ein Felsen eingebettet, und in diesem liegt ein Edelstein. Dieser Edelstein ist unsere Prinzessin! Wenn der Lange mich wieder tragen will, werden wir die Prinzessin rasch zu dir zurückbringen!«
Der Lange hob ihn auf seine Schultern, streckte sich und schritt aus — jeder Schritt zwanzig Meilen. Der Scharfsichtige starrte unverwandt mit seinen feurigen Augen den Berg an, der unter diesen Blicken plötzlich mit lautem Getöse entzweibrach. Die Felsen zerstoben in tausend Stücke, und inmitten des Gerölls glitzerte der Edelstein. Sie hoben ihn auf und brachten ihn dem Prinzen. Als dieser ihn zur Erde fallen ließ, stand wiederum die Prinzessin in ihrer lieblichen Gestalt vor ihnen da.
Als der Zauberer den Saal betrat und die Prinzessin sah, erglühten seine Augen vor Zorn. Klirrend zersprang der zweite eiserne Ring, der seinen Leib umspannte. Er murmelte unverständliche Worte in seinen Bart und führte die Prinzessin aus dem Raume.
Der Tag verging genau wie der vorangegangene, und der Prinz und seine Genossen durchwanderten das eiserne Schloß und dessen Umgebung. Als die Freunde ihr Abendessen beendet hatten, erschien der Zauberer mit der Prinzessin zum dritten Male auf der Schwelle. Voller Haß bohrte sich sein Blick in die Augen des Prinzen, und ein verächtliches Lächeln verzerrte seine Züge.
»Heute wird die Entscheidung fallen, und wir werden sehen, wer von uns beiden Sieger bleibt!«sprach der Greis und entfernte sich. »Diesmal dürfen wir nicht wieder einschlafen«, riefen die Freunde und wollten keinerlei Mühe scheuen, um wach zu bleiben. Unermüdlich gingen sie im Saale auf und nieder, vermieden es sogar, sich niederzusetzen, doch alle ihre Bemühungen blieben wiederum ohne Erfolg. Einem nach dem anderen fielen langsam im Gehen die Augen zu, sie schliefen ein, und die Prinzessin entschwand wie zuvor.
Als der Prinz als erster am Morgen erwachte und die Prinzessin nicht vorfand, weckte er den Scharfsichtigen. »He, Freund, wache auf und sage mir, wo sich die Prinzessin heute befindet!«
Lange starrte der Scharfsichtige aus dem Fenster.
»Oh, Herr«, sagte er endlich, »sie ist weit , weit weg von hier! Dreihundert Meilen entfernt rauscht das Schwarze Meer. Auf seinem Grunde liegt eine weiße Muschel. In dieser Muschel ist ein goldener Ring eingeschlossen - dieser Ring ist unsere Prinzessin. Sei ohne Sorge, wir werden sie auch diesmal wiederbringen! Doch es ist ein schwieriges Unterfangen, und heute muß der Lange auch noch den Dicken auf seine Schultern nehmen, denn wir werden seine Dienste brauchen.«
Der Lange schulterte die beiden, streckte sich und schritt aus -jeder Schritt dreißig Meilen. Als sie das Schwarze Meer erreicht hatten, deutete der Scharfsichtige auf eine Stelle im Wasser und sagte:
»Hier am Grunde liegt unsere Muschel. Strecke deine Hand aus, Langer, und bringe sie ans Tageslicht!«
Doch wie sich der Lange streckte und bemühte, den Grund zu erreichen, es wollte ihm nicht glücken.
»Haltet ein, Freunde, und wartet ein wenig, ich werde euch behilflich sein!«rief der Dicke und blies sich auf, so stark er es vermochte. Dann legte er sich am Ufer nieder und begann das Wasser in langen Zügen zu schlürfen. Rasch senkte sich die Wasseroberfläche, und der Lange konnte nun den Grund mit seinem ausgestreckten Arm erreichen und die Muschel ans Licht bringen. Er brach sie entzwei, entnahm
ihr den Ring, hob wiederum seine beiden Gefährten auf die Schultern und eilte mit Riesenschritten zurück, dem eisernen Schlosse zu.Doch das Gewicht des Dicken, der noch alles Seewasser im Leibe hatte, ermüdete ihn. In einem weiten Tale hielt er im Laufen inne und ließ den Dicken zur Erde gleiten. Kaum hatte dieser den Boden berührt, öffnete er seinen Mund, und das Wasser ergoß sich in Strömen ins Tal, das bald einem großen See glich. Nur mit Mühe konnten sich der Lange und der Scharfsichtige vor den Fluten retten, und selbst dem Dicken fiel es schwer, dem Tode des Ertrinkens zu entrinnen.
Mit Bangen wartete der Prinz im eisernen Schlosse auf die Rückkehr seiner Gefährten. Der Tag begann schon hinter den Bergen zu dämmern, doch von den dreien war noch keine Spur zu sehen. Als sich die ersten Strahlen der Sonne zeigten, wurde sein Herz immer schwerer, und kalter Schweiß bedeckte seine Stirne.
Bald zeigte sich im Osten die aufgehende Sonne, die gleich einer goldenen Kugel am klaren Himmel hing. Die Türe flog weit auf, und der alte Zauberer erschien wieder auf der Schwelle. Er blickte suchend um sich, und als er den Prinzen allein im Saale stehen sah, stieß er ein höhnisches Gelächter aus und trat ein. Doch seine Freude währte nicht lange, denn mit einem Male zerbrach das Fensterglas, und der goldene Ring flog in den Saal. Als er den Boden berührte, stand die Prinzessin vor ihnen.
Der Scharfsichtige hatte von weitem die Gefahr erkannt, in der sich der Prinz befand. Und als er sah, daß sie nicht mehr vor Sonnenaufgang das eiserne Schloß erreichen konnten, hatte er dem Langen geraten, seinen Arm auszustrecken und den Ring durchs Fenster zu schleudern.
Voll ohnmächtiger Wut kreischte der Zauberer auf, und sein zorniges Gebrüll ließ das eiserne Schloß in den Fugen erzittern. Klirrend fiel nun der letzte eiserne Ring, der seinen Leib umspannte, zu Boden. Im selben Augenblicke hatte er sich in einen schwarzen Raben verwandelt, der krächzend durchs zerschlagene Fenster flog.
Und allsogleich kam Leben in das bleiche Antlitz der lieblichen Prinzessin. Sie errötete wie eine erblühende Rose und dankte mit süßer Stimme dem Prinzen für ihre Befreiung.
Überall im ganzen Schlosse, in den Sälen, den Gängen, Höfen und im Garten erwachte nun alles zu neuem Leben. Die Bäume begannen zu sprießen, die Blumen zu blühen, die Vögel in den Ästen sangen wieder, und die Fische im Wasser schwammen lustig um die Wette.
Der Ritter, der den Schlag mit seinem Schwerte führen wollte, schwang es nun fröhlich mit beiden Händen über seinem Haupte und stieß es dann in die Scheide zurück. Der Edelmann, der über die Schwelle gestolpert war, fiel auf seine Nase, erhob sich, rieb sie und war hoch erfreut, sie unversehrt zu finden. Der Koch, der neben dem Herde saß und das gebratene Stück Fleisch zum Munde führte, verschlang es nun gierig und voller Lust. Jedermann vollendete die Tätigkeit, die er begonnen hatte, ehe er vom Fluche des bösen Zauberers getroffen worden war.
Von allen Seiten strömten Ritter und Edelleute herbei, um dem Prinzen für ihre Befreiung zu danken. Doch dieser sagte:
»Danket nicht mir, sondern meinen drei treuen Freunden, dem Langen, dem Dicken und dem Scharfsichtigen! Denn wären sie nicht gewesen und hätten mir nicht geholfen, so hätte auch mich das gleiche Los wie euch getroffen, und wir wären alle versteinert.« Bald darauf trat er mit seiner Braut, der lieblichen Prinzessin, dem Langen und dem Scharfsichtigen den Heimweg an. Unterwegs begegneten sie dem Dicken und nahmen auch ihn mit.
Der alte König vergoß Freudentränen, als er seinen schon totgeglaubten Sohn wohlbehalten zurückkommen sah. Es wurde ein prunkvolles Hochzeitsfest gefeiert. Es dauerte volle zwanzig Tage. Alle die Ritter und Edelleute, die der Prinz in dem eisernen Schlosse befreit hatte, waren als Ehrengäste eingeladen.
Als die Festlichkeiten zum Ende kamen, traten die drei treuen Gefährten vor den jungen König, um von ihm und seiner Gemahlin Abschied zu nehmen.
»Verlasset uns nicht«, bat er sie, »und bleibt für immer hier in meinem Königreiche. Ich will für euch bis an mein Lebensende gut sorgen, und nie mehr sollt ihr eine Arbeit verrichten müssen.«
Doch all seine Versprechungen halfen nicht, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Ein tatenloses Leben würde sie nicht freuen, versicherten sie dem jungen König, und so blieb diesem nichts anderes übrig, als sie ziehen zu lassen. Sie nahmen Abschied und gingen in die weite Welt hinaus, wo sie sich ganz sicherlich auch noch am heutigen Tage herumtreiben.
Das Schicksal
Auf einem Bauernhof lebten einmal zwei Brüder. Der eine arbeitete von Sonnenaufgang bis in die späten Abendstunden, der andere aber rührte keinen Finger, um seinem unermüdlichen Bruder zu helfen — er saß am Küchentische und aß und trank den ganzen lieben Tag. Das Schicksal war ihnen wohlgesinnt, Pferde, Kühe, Ochsen, Schweine und Schafe gediehen aufs beste, und auf ihren Feldern und Gärten blühte und reifte das schönste Obst und Korn.
Eines Morgens hielt der fleißige Bruder in seiner Arbeit inne und sprach zu sich:
>Warum arbeite ich nur immerzu für meinen faulen Bruder, der bloß an sein Essen und Trinken denkt! Ich täte sicherlich besser daran, mich von ihm zu trennen -soll er doch mal für sich allein sorgen!<
Er führte diesen Entschluß auch aus, und noch am gleichen Abend sagte er zu seinem Bruder:
»Bruder, ich mag nicht mehr allein die ganze Arbeit verrichten, und weil du dich weigerst, mir zu helfen, und nur an dein Essen und Trinken denkst, will ich mich von dir trennen.«
Sein Bruder versuchte ihn von diesem Vorhaben abzubringen und bat:
»Tue es nicht, lieber Bruder! Es geht uns doch auf diese Weise beiden recht gut. Du schaltest und waltest mit dem Deinen geradeso wie mit dem Meinen, und ich bin mit allem was du tust, zufrieden!«
Doch der fleißige Bruder wollte davon nichts hören und blieb hartnäckig bei seinem Entschlusse. Da mußte sich denn der andere fügen und sagte:
»Wenn du es denn nicht anders haben willst, so teile unser gemeinsames Hab und Gut nach deinem Gutdünken!«
Sein Bruder ließ sich nicht zweimal bitten und teilte ehrlich Vieh und Felder auf.
Der faule Bruder machte sich aber auch weiterhin keine Sorgen. Er fand bald einen guten Stallknecht, einen verläßlichen Schweinehirten und einen Schäfer, die er in seine Dienste nahm, und sagte zu ihnen:
»Ich lege meinen Besitz, alles was ich auf dieser Erde habe, in eure Hände - verwaltet es so gut ihr es vermögt!«
Er selber aber nahm seinen gewohnten Lebenswandel wieder auf - er saß am Küchentische und aß und trank nach Herzenslust.
Der zweite Bruder aber arbeitete und plagte sich wie zuvor. Er versah alle Arbeiten im Haus, Hof und Feld mit eigener Hand, doch trotz seiner großen Bemühungen war nirgends ein Fortschritt zu sehen -Schaden folgte auf Schaden, und er wurde von Tag zu Tag ärmer und ärmer, bis er eines Morgens so arm war, daß er keine Schuhe mehr an den Füßen hatte. Da sagte er zu sich:
>Ich will zu meinem Bruder gehen und nachsehen, wie es ihm ergangen ist!<
Sein Weg führte ihn über eine grüne Wiese, auf der eine Schafherde friedlich weidete. Am Wiesenrande saß eine wunderschöne Maid, die einen goldenen Faden spann.
»Schön guten Morgen, schönes Mädchen!« rief er, »wem gehören denn diese prächtigen Schafe?«
»Die Herde gehört demjenigen, dem auch ich gehöre!« antwortete sie.
»Und wem gehörst denn du?«fragte der arme Mann verwundert.
»Ich bin deines Bruders Glück!« antwortete das Mädchen.
»Wo ist mein Glück geblieben?«fragte er weiter.
»Dein Glück ist weit von dir!« kam die Antwort.
»Werde ich es jemals finden?«fragte er zaghaft.
»Sicherlich«, antwortete das schöne Mädchen, »geh und suche es!« Der arme Mann eilte nun schnurstracks zu seinem Bruder, und als ihn dieser ohne Schuhe und in zerrissenen Kleidern auf sich zukommen sah, rief er weinend: »Wie schlecht muß es dir ergangen sein, du Armer! Komm und bleibe bei mir!«
Und er eilte in die Kammer, um Schuhe, Kleider und auch Geld für seinen Bruder zu holen. Doch nach einiger Zeit kehrte der arme Bruder auf seinen verlassenen Hof zurück, nahm den Wanderstab zur Hand und machte sich auf, um sein Glück zu suchen. Als er in einen dunklen Wald kam, sah er eine alte Frau unter einem Baume liegen, die tief und fest schlief. Er erhob seinen Stab und schlug der Alten über den krummen Rücken. Sie erwachte, erhob sich langsam, sah den armen Mann vom Scheitel bis zur Sohle prüfend an und sagte schließlich mit heiserer, schriller Stimme:
»Danke Gott, daß ich mich verschlafen habe! Wenn ich wach gewesen wäre, hättest du keine Schuhe an deinen Füßen!«
»Wer bist du, daß du in dieser Weise zu mir sprichst?«fragte der Mann verwundert.
»Ich bin dein Glück!« antwortete die Alte.
Als er das hörte, sank der arme Mann in die Knie und rief:
»Wenn du mein Glück bist, dann will ich Gott bitten, er möge dich töten! Wer hat dich zu mir gesandt?«
»Wer anderer hätte mich zu dir senden sollen als das Schicksal?« antwortete die Alte und lachte höhnisch.
»Wo ist das Schicksal, wo kann ich es denn finden?«
»Gehe nur und suche es!« kicherte die Alte und verschwand.
So beschloß nun der arme Mann, das Schicksal zu suchen. Er wanderte lange und gelangte eines Tages in ein kleines Dorf, in welchem ein großer und reicher Bauernhof stand. Als er näher kam und zum Fenster hineinblickte, sah er ein gewaltiges Feuer im Herde prasseln.
»Hier wird wohl eine Hochzeit gefeiert«, sprach der arme Mann. Er trat in die Stube und sah einen großen Kessel am Herde stehen, in dem ein wohlriechendes Mahl einladend brodelte. Beim Feuer saß
der Bauer, und als er den eintretenden Fremden, der ihm einen guten Abend wünschte, erblickte, rief er:»Komm näher und sei das Glück mit dir!« Als der arme Mann an seiner Seite beim Feuer Platz genommen hatte, wollte der Bauer wissen, woher er komme und wohin er gehe. Der Arme erzählte dem Bauern wahrheitsgetreu, wie er selbst einst ein reicher Bauer gewesen war, wie er nun verarmt und auf dem Wege zum Schicksal wäre, um dieses zu fragen, warum es ihm so übel auf dieser Erde ergehen müsse.
Dann fragte auch er seinen Gastgeber, für wen er denn ein so reichliches Mahl am Herde bereite.
»Ach, Bruder!« antwortete der Bauer, »auch ich habe meinen Kummer! Obwohl ich reich bin und alles in Hülle und Fülle besitze, kann ich doch nicht mein Gesinde sättigen. Alles, was ich ihnen vorsetze, reicht nicht aus - sie essen und trinken so viel, als ob sie Drachen und nicht Menschen wären! Doch warte und siehe selbst, was sich ereignet, wenn sie sich zum Abendbrot versammeln werden!«
Und wie es der Bauer gesagt hatte, so geschah es auch. Die Leute fielen über die Speisen her, rauften sich um jeden Bissen, aßen und tranken so gierig, daß im Nu der riesige Kessel und alle Fässer leer standen. Nach der Mahlzeit kam eine Magd in die Stube, die alle übriggebliebenen Knochen und Knöchlein sammelte und sie auf einen Haufen hinter den Ofen warf. Der arme Mann sah verwundert ihrem Treiben zu und hätte gern gewußt, warum sie denn mit den Knochen so verfahre. Da öffnete sich die Türe, und in die Stube traten zwei dürre, alte Gestalten. Mühsam schleppten sie sich bis zum Herde, holten die hingeworfenen abgenagten Knochenreste wieder hervor, und begannen an ihnen zu nagen.
»Welch schaurige Gestalten hast du denn in deinem Hause, Bauer?« sagte der arme Mann.
»Dies sind meine Eltern!« antwortete der Bauer. »Sie weigern sich zu sterben und wollen nicht von dieser Welt Abschied nehmen! Sie wollen und wollen nicht sterben!«
Am frühen Morgen, beim Abschied, sagte der reiche Bauer:
»Bruder, solltest du dem Schicksal begegnen, dann gedenke auch meiner und frage, warum ich denn mein Gesinde nicht sättigen kann und warum meine alten Eltern nicht sterben können.«
Der arme Mann versprach's und ging seines Weges weiter.
Eines Abends, als er von der hereinbrechenden Nacht überrascht wurde, kehrte er in einem Bauernhause ein und bat um ein Nachtlager. Die Eigentümer wollten wissen, woher er komme und wohin er gehe, und er erzählte ihnen willig und sagte auch, daß er auf dem Wege sei, das Schicksal zu suchen. Da begannen sie ihn zu bitten und riefen:
»Lieber Bruder, erinnere dich unser und frage das Schicksal, warum denn unsere Ochsen und Kühe im Stalle nicht gedeihen wollen!« Er versprach auch ihnen, das Schicksal zu fragen, und ging am nächsten Morgen weiter.
Er gelangte zu einem Flusse, und als er keine Brücke sah, über die er das andere Ufer erreichen konnte, rief er:
»Ach Wasser! Ach Wasser! Trage mich hinüber!«
Da fragte das Wasser:
»Wohin gehst du denn?«
Und als er ihm alles erzählt hatte, trug es ihn zum anderen Ufer und sagte dort:
»Ich bitte dich, Bruder, frage das Schicksal, warum ich denn keine Früchte trage!«
Er versprach, das Schicksal fragen zu wollen, und eilte weiter. Er wanderte lange und kam eines Tages in einen Wald, in dem ein Einsiedler hauste. Diesen fragte er, ob er ihm den Weg zum Schicksal zeigen könne.
»Gehe nur weiter in dieser Richtung«, antwortete der Einsiedler, mit seiner Hand vorwärts weisend. »Hinter jenem Berge befindet sich das Haus des Schicksals. Doch folge meinem Rate, und wenn du vor dem Schicksale stehen wirst, bleib stumm und tue genau all das, was auch das Schicksal tun wird. Antworte erst, wenn das Schicksal eine Frage an dich stellen wird!«
Der arme Mann dankte dem Einsiedler für seinen Rat und ging weiter.
Als er Haus und Hof des Schicksals erreicht hatte, wollte er seinen Augen nicht trauen und stand wie geblendet vor der Pracht, die sich vor ihm ausbreitete. Es war ihm, als ob er im Schlosse des mächtigen Zaren stünde -prächtig gekleidete Diener und Dienerinnen schienen aus allen Ecken und Enden zu kommen. Das Schicksal saß in einer herrlichen, goldenen Halle beim festlich gedeckten Tisch und aß. Ohne zu zögern, dem Rate des Einsiedlers folgend, nahm der arme Mann an seiner Seite stillschweigend Platz, und auch er begann zu essen. Nach dem Mahle begab sich das Schicksal zur Ruhe, und auch er legte sich aufs Ohr und schlief bald ein. Um die Mitternachtsstunde erhob sich ein furchtbares Getöse. Lautes Klirren und Poltern war zu hören, durch welches eine Stimme zu rufen schien: »O Schicksal, o Schicksal! Es wurden heute viele Seelen geboren - beschere ihnen, was dir beliebt!«Das Schicksal erhob sich von seinem Lager, öffnete einen Schrank, der voll Golddukaten war, und begann die Golddukaten im Saale herumzustreuen. Dabei rief es:
»Wie mir heute nacht - so euch bis zu eurem Tode!«
Als das Morgengrauen anbrach, war aus dem herrlichen Haus und Hof des Schicksals ein kleines, aber reiches Bauerngut geworden. Am Abend setzte sich das Schicksal zum Nachtmahl nieder, und der arme Mann nahm wiederum stillschweigend an seine Seite Platz. Keiner von beiden sprach auch nur ein Sterbenswörtchen. Nach dem Mahle legten sie sich zur Ruhe, und alles wiederholte sich wie des Nachts zuvor. Ein furchtbarer Lärm hub an, und eine Stimme war zu hören, die rief:
»O Schicksal, o Schicksal! Es wurden heute viele Seelen geboren - beschere ihnen, was dir beliebt!«
Das Schicksal erhob sich von seinem Lager, öffnete den Geldschrank, in dem sich heute jedoch nur Silbermünzen und nur wenige Golddukaten befanden. Wiederum, wie in der vorhergehenden Nacht, streute das Schicksal die Münzen im Raume umher und rief:
»Wie mir heute nacht - so euch bis zu eurem Tode!«
Am nächsten Morgen war der schöne Bauernhof zu einem kleinen
Gehöft zusammengeschrumpft. Und so geschah es jede Nacht, und jeden Morgen war das Haus kleiner und kleiner, bis eines Tages eine ganz kleine, halbverfallene Hütte dastand. An diesem Morgen ergriff das Schicksal eine Hacke und fing zu graben an, und auch der arme Mann folgte seinem Beispiele und grub den ganzen Tag. Als es Abend wurde, nahm das Schicksal ein Stück Brot aus der Tasche, brach es entzwei und reichte eine Hälfte dem armen Manne. Nach diesem spärlichen Mahle begaben sie sich zur Ruhe. Und abermals um die Mitternachtsstunde hub das furchtbare Getöse an, aus welchem eine Stimme zu hören war, die rief:
»O Schicksal, o Schicksal! Es wurden heute viele Seelen geboren - beschere ihnen, was dir beliebt!«
Das Schicksal erhob sich von seinem Lager, ging zum Schranke, dem es aber diesmal nur Sägespäne entnahm und diese, mit einigen Kupfermünzen vermischt, im Raume verstreute.
»Wie mir heute nacht - so euch bis zu eurem Tode!« rief es dabei. Als die Sonne früh am morgendlichen Himmel aufging, stand aber wiederum das herrliche Haus und Gut wie am ersten Tage an Stelle der kleinen, halbverfallenen Hütte.
An diesem Tage fragte das Schicksal den armen Mann: »Was begehrst du denn von mir?«
Und der arme Mann klagte ihm sein Leid und erzählte dem Schicksal, wie es ihm ergangen war und daß er gekommen sei, um das Schicksal zu fragen, warum es ihm so viel Mißgeschick hatte zuteil werden lassen.
Das Schicksal antwortete:
»Du hast mit deinen eigenen Augen gesehen, wie ich in der ersten Nacht mit vollen Händen Golddukaten verstreut habe und warst ebenfalls Zeuge der weiteren Ereignisse. Du bist in einer der armen Nächte zur Welt gekommen und mußt daher arm bis an dein Lebensende bleiben. Dein Bruder jedoch wurde in einer glücklichen Nacht geboren, in der Nacht, in der ich Golddukaten verstreute, und wird bis zu seinem Tode reich und glücklich sein. Da du jedoch soviel Schweres ertragen mußtest und doch Mut fandest, mich
aufzusuchen, will ich dir meinen Rat nicht verweigern. Deines Bruders Tochter Milica ist ebenfalls, wie ihr Vater, in einer glücklichen Nacht geboren. Kehre nach Hause zurück und bitte sie, mit dir zu kommen und in deinem Hause zu bleiben. Was immer du im Laufe der Zeit erwerben wirst, lasse ihr Eigen sein und sage so jedem, der dich danach fragen wird!«Der arme Mann dankte dem Schicksal und sagte:
»In einem Dorfe lebt ein reicher Bauer, der mit allen Gaben dieser Erde wohl gesegnet ist. Nur eines bereitet ihm Kummer - er kann sein Gesinde nicht sättigen, obzwar er riesige Kessel voll der besten Speisen für sie bereitet. Sie stürzen sich gierig über das Mahl, leeren die Kessel bis zum Grund und haben weiter Hunger. Vater und Mutter dieses Bauern, die beide ein gar hohes Alter erreicht haben und mehr wandelnden Vogelscheuchen als menschlichen Wesen ähneln, können nicht sterben und die wohlverdiente Ruhe finden. Als ich auf meiner Suche nach dir bei diesem Bauern ein Nachtlager fand, bat er mich, dich um Rat zu fragen!«
»Der Bauer weigert sich, seinen Vater und seine Mutter zu ehren!« antwortete das Schicksal. »Daher erleidet er diese Strafen. Wenn er seinen Eltern den besten Platz an seinem Tische anweisen würde, wenn er ihnen stets die besten Bissen und das erste Gläschen Wein reichen würde, dann würde sein Gesinde nicht mehr unersättlich sein und die Seelen der beiden Alten würden sich friedlich zur ewigen Ruhe begeben!«
Und abermals fragte der Bauer:
»In einem anderen Gehöfte, in welchem ich ebenfalls für eine Nacht Aufnahme fand, beklagte sich der Landwirt, daß sein Vieh im Stalle nicht gedeihen wolle, dahinsieche und er bald arm wie eine Kirchenmaus sein werde. Kannst du auch hier Abhilfe schaffen?«
»Sage dem Bauern, daß sein Vieh deshalb nicht gedeiht und dahinsiecht, weil er geizig ist und zu seinem Geburtstage nur das schlechteste Stück, das er im Stalle finden kann, für die Festtafel opfert. Wenn er sich aber das beste Stück, das in seinem Stalle steht, gönnen wird, dann wird der ganze Stall gedeihen wie nie zuvor!«
Nun wollte noch der arme Mann wissen, warum denn das Wasser keine Früchte in sich trüge, und das Schicksal antwortete:
»Das Wasser ist deshalb ohne Frucht, weil es noch niemals einen Menschen verschlungen hat. Doch scherze nicht mit dem Wasser und sage ihn nicht, was ich dir soeben anvertraut habe, ehe es dich nicht ans andere Ufer gebracht hat - denn sagst du es ihm früher, würde es dich verschlingen!«
Der arme Mann dankte dem Schicksal und machte sich auf den Heimweg. Als er zum Wasser kam, fragte es ihn:
»Was hat das Schicksal gesagt?«
»Trage mich ans andere Ufer«, erwiderte er, »und dann will ich es dir sagen!«
Das Wasser willigte ein, und als es ihn herübergebracht hatte, fing er, so schnell ihn seine Beine nur tragen konnten, zu laufen an, und als er weit genug entfernt war, rief er zurück:
»O Wasser, o Wasser! Du hast noch keinen Menschen verschlungen — deshalb trägst du keine Früchte!«
Als das Wasser dies hörte, trat es aus seinen Ufern, ergoß sich über die Felder und versuchte, den Davoneilenden zu fangen, dem es nur mit Mühe gelang, zu entkommen.
Als er zudem Gehöft kam, in dessen Ställen das Vieh nicht gedeihen wollte, wurde er vom Bauern sogleich mit der Frage begrüßt:
»Um Himmels willen, Bruder, hast du das Schicksal gefragt?«
»Sicherlich!« antwortete er, »und das Schicksal sagte, daß du an deinem Geburtstage statt des schlechtesten Stückes aus deinem Stalle das beste schlachten und bei deiner Festtafel verzehren solltest - dann wird dein Vieh gesunden und gedeihen wie nie zuvor.«
Als der Bauer dies hörte, bat er: »Bleibe bei mir zu Gaste, Bruder —bis zu meinem Geburtstage sind es nur noch drei Tage! Wenn sich erfüllt, was du sagst, will ich dich reich beschenken!«
Der arme Mann willigte ein und blieb. An seinem Geburtstage schlachtete der Bauer die schönste Kuh, die im Staue stand, und sogleich gesundeten die anderen Tiere. Als Belohnung aber führte der arme Mann fünf Kühe und Ochsen mit sich nach Hause.
Dann kam er zu jenem Bauern, dessen gieriges Gesinde nicht satt werden konnte. Ungeduldig rief dieser ihm entgegen:
»O Bruder! Ich kann ja deine Rückkehr kaum erwarten! Was hat denn das Schicksal gesagt?«
»Das Schicksal sagte, daß du deinen Vater und deine Mutter nicht ehrst!« antwortete der arme Mann. »Du wirfst ihnen ihr spärliches Essen vor, als ob sie Hunde wären! Wenn du deine Eltern an den besten Platz an deinem Tische setzen, ihnen stets die besten Bissen und das erste Gläschen Wein anbieten würdest, dann würde dein Gesinde nicht mehr unersättlich sein, und dein Vater und deine Mutter würden bald ewige Ruhe finden!«
Als der Bauer dies vernahm, befahl er seiner Frau, die alten Eltern herbeizuholen und sie fein säuberlich auszustatten. Und als der Abend heranbrach, setzte er sie auf die besten Plätze an seinem Tische, gab ihnen die besten Bissen und reichte ihnen das erste Gläschen Wein. Von dieser Zeit an hörte das Gesinde auf, unersättlich zu sein, und schon am nächsten Tage legten sich die alten Eltern nieder und schlossen für immer die müden Augen.
Zum Danke gab der Bauer dem armen Manne zehn schöne Kühe und Ochsen mit. Als sich dieser seinem Hause näherte, fragten ihn seine Freunde, die ihm unterwegs begegneten:
»Wem gehört denn das schöne Vieh?«
Und er erwiderte, wie ihm das Schicksal geraten hatte: »Es ist Milicas, meines Bruders Tochter!«
Als er nach Hause kam und das Vieh im Stalle heimisch geworden war, eilte er zu seinem Bruder und bat:
»Bruder, gib mir Milica, ich will sie zu meiner Tochter machen, du siehst, daß ich einsam und verlassen bin!«
Der Bruder war's zufrieden, und Milica ging mit dem armen Manne. In kurzer Zeit gelang es ihm, großes Hab und Gut zu erwerben, doch stets beharrte er darauf, daß alles Milica gehöre.
Eines Tages ging er aufs Feld, um sein reifes Getreide, welches so schön wie kein zweites war, zu bewundern.
Da trat ein Wanderer an seine Seite und fragte:
»Wem gehört denn dieses prächtige Feld?«
Der Mann antwortete, ohne auf seine eigenen Worte zu achten:
»Dies ist mein Feld und mein Getreide!«
Kaum aber hatte er diese Worte ausgesprochen, als das Getreide Feuer fing und lichterloh zu brennen begann. Als er das Unheil sah, lief er schnell dem Fremden nach und rief:
»Warte, Bruder, warte! Ich habe dir was zu sagen! Das Getreide und das Feld gehört nicht mir - es ist Milicas Eigen!«
Im Nu erstickte das Feuer, das Getreide war gerettet, und er lebte mit Milica glücklich bis an ihr Lebensende.
Der Schafhirt und der Drache
Hoch in den Bergen, auf einer einsamen Alm, lebte einst ein Schafhirt. An schönen, warmen Sommertagen liebte er es, auf einem Baumstumpf zu sitzen und, von seinen friedlich weidenden Schafen umgeben, auf einer Flöte lustige Weisen zu spielen. Wenn er dann des Spielens müde geworden war, legte er sich aufs weiche grüne Moos, sah zum blauen Himmel empor und verglich die weißen kleinen Wölkchen, die in den Höhen schwebten, mit seinen Schafen, die zu hüten ihm ein kleiner Schäferhund half.
Eines Tages, als die warmen Tage ihrem Ende zugingen und die Zeit kam, um welche herum die Schlangen sich unter der Erde zur Ruhe begeben, lag der Schäfer wie gewöhnlich auf dem Boden, hatte die Arme hinter dem Kopfe verschränkt und sah verträumt um sich. Da plötzlich erblickte er eine große Menge von Schlangen, die alle langsam in einer Richtung demselben Ziele zustrebten. Das Ziel war ein Felsblock. Dort angelangt, riß jede ein Blättchen von einer Pflanze, die unter dem Felsen wuchs, ab. Mit ihren gespaltenen Zünglein hielten sie das Blättchen, berührten damit den Felsen, der sich öffnete und die Schlangen, eine nach der anderen, einließ.
Voll Staunen sah der Hirte diesem Treiben zu. Als auch die letzte Schlange in dem Felsen verschwunden war, erhob er sich vom Boden,
rief seinen treuen Hund herbei und befahl ihm, die Schafe in den Stall zu treiben.>Ich will einmal nachsehen, welch merkwürdiges Kräutchen die Schlangen denn eigentlich pflückten und wohin sie dann verschwunden sind<, dachte der Schafhirt und ging zu dem geheimnisvollen Felsen.
Bald fand er die kleine Pflanze, die bisher seiner Aufmerksamkeit entgangen war, riß eine vom Boden ab und berührte mit ihr, dem Beispiel der Schlangen folgend, den Felsblock. Der Felsen öffnete sich und ließ ihn ein. Er befand sich nun in einer weiten Grotte, deren Wände von Gold, Silber und Edelsteinen funkelten. Inmitten der Grotte stand ein goldener Tisch, und auf ihm lag, in tiefem Schlafe zu einem Knäuel zusammengerollt, eine riesige Schlange, die eine Krone auf dem Kopfe trug. Auch um den Tisch herum lagen schlafende Schlangen.
Dem Hirten gefiel die prächtige Grotte, er schritt einigemal im Kreise herum, doch dann gedachte er seiner Herde und wäre gern zu ihr ans Tageslicht zurückgekehrt.
»Ich habe gesehen, was ich sehen wollte«, sprach er zu sich, »nun kann ich befriedigt nach Hause gehen!«
Dieser Entschluß war leicht gefaßt -doch war er schwer auszuführen! Wie sollte er denn den Eingang wiederfinden? Der Felsen hatte sich hinter ihm, als er eintrat, geschlossen, und es war ihm nicht in den Sinn gekommen nachzudenken, wie er wohl wiederum ans Tageslicht zurückgelangen könne! Was sollte er denn nun beginnen - wen fragen? Es war ja niemand da, der ihm seine Fragen hätte beantworten können, und so mußte sich denn der Schafhirt fügen und im Felsen eingeschlossen bleiben!
>Da ich ohnehin nicht heraus kann, will auch ich schlafen gehen!< dachte er, hüllte sich in seinen warmen Mantel ein, legte sich auf den Boden und war bald sanft eingeschlummert. Durch ein merkwürdiges Summen und Zischen im Schlafe gestört, öffnete er die Augen und sah die helleuchtenden Wände, er sah den goldenen Tisch, auf dessen Platte noch immer die große Schlange lag, um die herum es
nun von großen und kleinen Schlangen wimmelte. Sie alle krochen um den Tisch herum, den sie mit ihren spitzen Zünglein von allen Seiten leckten, und von Zeit zu Zeit riefen sie: »Ist unsere Zeit schon gekommen, Königin?«Die riesige Schlange, die auf dem Tisch lag, blieb stumm. Geraume Zeit verstrich, und sie hob den Kopf und zischte: »Die Stunde ist da!«
Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, als sie wie ein Pfeil in die Höhe schnellte, vom Tische herunterglitt und sich, gefolgt von allen anderen Schlangen, zum Eingang der Grotte schlängelte.
Der Schafhirte rieb sich die Augen, streckte sich und gähnte. Dann erhob er sich und wollte den Schlangen ins Freie folgen.
>Wohin sie gehen, dorthin will auch ich gehen!<dachte er. Doch dies war leichter gesagt als getan! Die große Schlange berührte mit ihrer Krone den Felsen, der sich sogleich öffnete und die Schlangen herausließ. Als auch die letzte Schlange die Grotte verlassen hatte, gedachte der Schafhirt denselben Weg zu nehmen. Aber der Felsen schloß sich, ohne ihn durchschlüpfen zu lassen. Die Schlangenkönigin aber, die in der Grotte zurückgeblieben war, zischte mit pfeifender, wütender Stimme: »Oh, du neugieriger Menschenwurm! Du mußt hier eingeschlossen bleiben!«
»Was soll ich denn hier beginnen?« rief der Schafhirt. »Eine Herde Schafe, die ich für Euch hüten könnte, habt Ihr nicht, und schlafen kann ich auch nicht länger! Laßt mich ins Freie -ich muß nach meinen Schafen sehen, und ein böses Weib habe ich auch zu Hause, das mich sicherlich für mein langes Ausbleiben schelten wird!«
»Du darfst diese Grotte nicht früher verlassen, bevor du nicht einen Schwur geleistet hast, daß du niemandem auch nur ein Sterbenswörtchen davon erzählen wirst, was du gesehen hast und wie du Einlaß gefunden!« zischte die Schlange.
Was sollte der Schafhirt nun tun? Um seine Freiheit wiederzuerlangen, schwor er, dem Befehle der Schlange zu folgen und versprach ihr, niemals auch nur ein Sterbenswörtchen von seinem Abenteuer verlauten zu lassen.
»Wenn du deinen Schwur nicht einhältst, wird es dir schlecht ergehen!« warnte ihn die Schlange, als sie ihn ins Freie ließ.
Welch eine Veränderung hatte sich draußen vollzogen! Dem armen Mann zitterten die Beine vor Schrecken, als er sah, daß rings alles in Blüte stand, und er wollte seinen Augen nicht trauen. Es war ja Herbst, als er die Grotte der Schlangen betreten hatte!
»Wehe mir!«jammerte er, »welch ein Dummkopf bin ich doch - was habe ich getan? Ich habe mit den Schlangen den Winter durchgeschlafen! Oh, meine Schafe! Wo soll ich euch nur wiederfinden! Und meine Frau! Wie wird sie mit mir schelten!«
Als er sich seiner Hütte näherte, sah er seine Frau beim Waschtroge stehen. Er schlüpfte unbemerkt in den Stall, um ein wenig Zeit zu gewinnen und um nachzudenken, wie er sein langes Ausbleiben erklären könnte. Da sah er, wie zu seiner Frau ein stattlicher junger Mann trat, und er hörte, wie der Fremde sie ausfragte und wissen wollte, wo denn ihr Mann wäre.
Die Frau fing an zu weinen und erzählte ihm, wie eines Tages im Herbste ihr Mann die Schafe in die Berge getrieben hätte und nicht mehr zurückgekehrt sei. Der Hund brachte zwar die Herde heim, doch vom Schafhirten hatte sie nie wieder gehört.
»Vielleicht haben ihn die Wölfe überfallen, oder die Waldelfen verschleppt!« fügte sie traurig hinzu.
»Ach, weine nicht, meine liebe Frau!« rief der Schafhirt, der es vor Mitleid mit ihr nicht mehr in seinem Verstecke aushalten konnte. »Ich lebe ja! Mich haben die Wölfe nicht überfallen und auch haben mich die Waldelfen nicht verschleppt -ich habe den ganzen Winter hier im Stalle verschlafen!«
Doch da hatte er sich eine schöne Suppe eingebrockt! Im Nu hörte die Frau zu weinen auf, begann böse zu schelten und rief:
»Das habe ich mir denken können, du Faulpelz! Du bist aber ein schlechter Held und ein noch schlechterer Hirte! Läßt Schafe - Schafe sein und legst dich im Stalle wie eine Schlange zum Winterschlafe nieder!«
Der arme Hirte mußte seiner Frau im Geiste recht geben, doch da
er die Wahrheit nicht sagen konnte, mußte er alles über sich ergehen lassen und die Zunge im Zaume halten. Da fiel der stattliche Fremde, der bisher aufmerksam zugehört hatte, der Frau in die Rede und sprach:»Glaubet doch seinen Worten nicht, gute Frau! Euer Mann hat sicherlich die Zeit woanders als hier im Stalle zugebracht! Ich will ihm gerne eine schöne Summe Geldes für sein Geheimnis geben! Gebietet ihm, alle meine Fragen, die ich an ihn richten werde, wahrheitsgetreu zu beantworten!«
Die Frau wurde noch viel böser, als sie sah, daß ihr Mann nicht die Wahrheit gesprochen hatte, und wollte nun wissen, wo er denn so lange gewesen wäre.
»Gehet ins Haus, liebe Frau«, beruhigte sie der Fremde, »ich werde Euren Mann zum Reden bringen!«
Die Frau war zufrieden und ließ die beiden allein. Jetzt gab sich der Fremde dem Schafhirten zu erkennen und nahm seine wahre Gestalt an. Es war der böse Zauberer, der in den Bergen hauste. Mit seinem dritten Auge, das mitten in seiner Stirne saß, sah er den Hirten drohend an und schrie:
»Wo warst du und was hast du erlebt?«
Dem Schafhirten war vor Angst und Bangen die Brust wie zugeschnürt, und er wußte keine Antwort. Er durfte ja doch den Schwur nicht brechen und die alte Schlangenkönigin verärgern! Doch auch der dreiäugige Zauberer flößte ihm Schrecken ein. Und als dieser zum zweiten, zum dritten Male mit wutverzerrter, furchtbarer Donnerstimme fragte, wo er denn gewesen und was er gesehen hätte, und als er auch noch wahrnehmen mußte, daß die Gestalt des Zauberers vor ihm wuchs und immer größer und größer wurde, da vergaß er seinen Schwur. Er erzählte mit zitternder Stimme von seinen Erlebnissen in der Grotte und beschrieb auch haargenau, auf welche Weise er Einlaß gefunden hatte.
»Gut denn«, sagte der Zauberer, als der Hirte mit seiner Erzählung zu Ende war, »komm mit mir und zeige mir den Felsen und auch das Zauberkraut!«
Kein Wehren und Widersprechen half -der Hirte mußte gehen. Als sie zu dem Felsblock kamen, riß er die kleine Pflanze vom Boden ab, berührte mit ihren Blättchen den Felsen, der sich im Nu vor ihnen öffnete. Der Zauberer jedoch ließ den Hirten nicht die Grotte betreten. Er zog ein großes dickes Buch hervor, das er unter seinem Mantel verborgen hatte, öffnete es und begann laut zu lesen. Der Schafhirte konnte sich vor Angst kaum auf den Beinen halten. Da, mit einem Male, verdunkelte sich der Himmel und die Erde begann zu beben. Immer näher und näher kam aus dem Felseninnern ein greuliches Schnauben und Zischen. Plötzlich brach der Felsen in Stücke, und hervor kroch ein riesiger, geflügelter Drache. Dies war die alte Schlange in neuer Gestalt. Aus den Nüstern des Untieres kam Feuer, mit dem Schweife schlug es nach allen Seiten, und wo ein Baum im Wege stand und getroffen wurde, sank er entwurzelt zu Boden.
»Schnell! Wirf dieses Band dem Ungeheuer um den Hals!« rief der Zauberer und reichte dem Hirten eine Schlinge, ohne jedoch seinen Blick von dem Buch, das er in der Hand hielt, abzuwenden.
Der Hirte ergriff das Band, doch wagte er es nicht, dem furchtbaren Drachen näher zu treten; erst als der Zauberer den Befehl wiederholte, gehorchte er zitternd. Doch wehe, wehe! Das Ungeheuer warf seinen mächtigen Körper zur Seite, und ehe sich's der Schafhirte versah, saß er auf seinem Rücken. Der Drache breitete seine Schwingen aus und flog mit dem unglücklichen Manne hoch in die Lüfte. Es wurde dunkel ringsumher, und nur das grelle Feuer, das dem Drachen aus den Nüstern sprühte, beleuchtete den Weg.
Die Erde zitterte und bebte, ein furchtbarer Wind erhob sich, der Steine und Geröll ins Tal schleuderte und durch dessen Wucht ganze Wälder entwurzelt wurden. Wütend schnaubte das Untier und hieb mit seinem Schweife um sich, alles vernichtend, was in seinem Wege stand. Aus seinem Rachen kamen Ströme siedenden Wassers, die sich tosend ins Tal ergossen.
Nach und nach verebbte die furchtbare Wut des Untiers, sein Schweif hörte zu peitschen auf, der Wasserstrom versiegte, und aus
seinen Nüstern sprühte kein Feuer mehr. Der Hirte, der mehr tot als lebendig war, sah diese Veränderung und hoffte, daß sich nun der Drache mit ihm wiederum zur Erde senken werde. Doch nichts dergleichen geschah! Es schien, als ob das Ungeheuer den armen Mann noch weiter strafen wollte - es flog höher und immer höher, bis es hoch über dem höchsten Gipfel der Berge schwebte, die nur noch wie kleine Ameisenhaufen aussahen. Und noch immer flog der Drache höher, bis der Hirte nichts mehr von der Erde sah, und Sonne, Mond und Sterne immer näher rückten.»Ach, du lieber Himmel, was soll ich nur beginnen!« seufzte der arme Schafhirt. »Ich kann ja doch nicht hinunterspringen, denn ich würde mich beim Auffallen erschlagen, und hinauf in den Himmel kann ich auch nicht fliegen!« So klagte und jammerte er und weinte bitterlich. »Gnädiger Drache! Höret mich!« flehte er. »Erbarmet Euch meiner und bringet mich wiederum zur Erde nieder! Ich will Euch sicherlich bis an mein Lebensende nicht wieder verärgern!«
Doch der Drache fauchte nur und schnaufte und scherte sich nicht um die Bitten und Klagen des Mannes, die sicherlich ein steinernes Herz erweicht hätten. Da plötzlich schien es dem Hirten, als ob er von weitem den Gesang einer Nachtigall hören würde. Und näher und immer näher schien der kleine Vogel zu kommen, bis er sich über dem fliegenden Drachen in den Lüften wiegte.
»Kleine, süße Nachtigall!« rief der Hirte verzweifelt, »fliege zu unserem Herrgott und erzähle ihm von meiner Not. Sage ihm, daß ich ihn grüße und um seine Hilfe flehe!«
Die kleine Nachtigall folgte seiner Bitte, sie flog zum lieben Gott in den Himmel hinauf und erzählte ihm, was sie gesehen hatte. Der liebe Gott erbarmte sich des armen Hirten, er nahm ein grünes Birkenblättchen, schrieb einige goldene Buchstaben darauf und gebot der Nachtigall, das Blättchen auf des Drachen Kopf zu legen. Vorsichtig nahm der kleine Vogel das Blättchen in seinen Schnabel, und als er über dem Untiere schwebte, ließ er es auf dessen Kopf hinunterflattern. Im gleichen Augenblick stürzte der Drache tot zur Erde nieder.
Als der Hirte aus seiner Ohnmacht, in die er nach dem furchtbaren Sturze gefallen war, erwachte, sah er, daß er vor seiner eigenen Hütte lag, er sah seinen kleinen Hund die Schafe in den Stall treiben - er sah seine Frau beim Waschtroge stehen -, und er sah auch eine kleine Glocke, die in einem Eichenbaume hing und die zu läuten begann, als ob sie das Ende dieses Märchens ankündigen wollte.
Das Märchen von Rarasch, dem Kobold
In einem Dorfe lebte ein Bauer, der Palicka hieß. Als er eines Tages in die nahe Stadt zum Markte ging, sah er am Wege unter einem Birnbaum ein schwarzes Huhn sitzen. Sein Gefieder war durchnäßt, es zitterte vor Kälte und piepste jämmerlich. Der gutmütige Bauer erbarmte sich des armen Wesens, nahm es unter seinen Mantel und trug es nach Hause. Dort setzte er es hinter den warmen Ofen, und als es wiederum trocken war, ließ er es zu den anderen Hühnern auf den Hof hinauslaufen.
In der Nacht, als alles friedlich schlief, hörte der Bauer plötzlich in der Kammer ein seltsames Geräusch, und eine schrille, durchdringende Stimme rief:
»Wacht auf, Gevatter Palicka, ich habe Euch Kartoffeln gebracht!« Schwups war der Bauer aus seinem Bette draußen, lief zur Kammer und riß die Türe auf. Welch sonderbarer Anblick bot sich ihm da! —Am Boden lag ein Haufen Kartoffeln, und über ihnen flatterte von einem Flammenkranz umgeben das schwarze Huhn.
»Hinweg, du Bösewicht!«schrie der erschrockene Bauer, schlug eilig die Türe zu und legte sich aufs Ohr. Doch mit seiner Ruhe war's vorbei, denn es war ihm klargeworden, welch bösen Gast er ins Haus gebracht hatte. In aller Herrgottsfrühe sprang er auf, nahm einen Sack, füllte ihn mit den unerwünschten Kartoffeln und warf ihn, voll Abscheu, auf den Düngerhaufen.
In der folgenden Nacht wurde er wiederum von der kreischenden Stimme geweckt:
»Gevatter Palicka, ich habe Euch heute Gerste, Korn und Weizen gebracht!«
Doch diesmal stand der Bauer nicht mehr auf, um nachzusehen. Er lag im Bette, zitterte vor Angst wie Espenlaub und betete laut.
Und als es zu dämmern begann, nahm er Besen und Schaufel, warf das Getreide in die Jauchegrube und fegte die Stube fein säuberlich aus, so daß auch nicht ein einziges Körnchen am Boden zurückblieb.
Gevatter Palicka wußte sich keinen Rat und war sehr niedergeschlagen. Er hätte gerne die Ereignisse, die sich auf seinem Hofe zutrugen, vor den Nachbarn geheimgehalten, doch es gelang ihm nicht. Die Bauern hatten nämlich in den beiden vergangenen Nächten eine brennende Fackel in Palickas Haus gleiten sehen, doch keine Flammen schlugen aus, und das Haus blieb unversehrt. Überdies hatte eine Nachbarin das fremde, schwarze Huhn auf Palickas Geflügelhofe bemerkt. All dies erschien ihnen höchst sonderbar, und es erhoben sich Stimmen im Dorfe, die munkelten, daß sich Gevatter Palicka dem Teufel verschrieben hätte.
Seine Freunde jedoch, die den Bauern als ehrlichen und gottesfürchtigen Mann kannten, beschlossen, ihm zu helfen und ihn vor der drohenden Gefahr zu warnen. Als sie zu ihm kamen, erzählte ihnen Palicka alles und bat sie inständig, ihn von dem Übel zu befreien. »Überlegt doch nicht so lange«, riet ein junger Hitzkopf, »tötet den Bösewicht!«
Und er selbst ergriff einen Stock und wollte auf das schwarze Huhn losschlagen. Doch im gleichen Augenblicke sprang das Huhn auf seinen Rücken, hackte mit dem Schnabel auf seinen Kopf los und rief dazu:
»Ich bin Rarasch, der Kobold! Ich bin Rarasch, der Kobold! Ich bin Rarasch, der Kobold!«
Da war guter Rat teuer! Zu guter Letzt rieten die Freunde Palicka, sein Gehöft zu verkaufen, wegzusiedeln und auf diese Weise den Unhold loszuwerden. Dem Bauer gefiel der weise Vorschlag, und er sah sich sogleich nach einem Käufer um. Sosehr er auch suchte - -
es fand sich keiner, der den Hof mitsamt dem Kobold haben wollte, und so blieb dem armen Palicka nichts anderes übrig, als sein Hab und Gut stückweise zu verkaufen. Er verschleuderte Getreide, Vieh und Geräte, kaufte für den schmalen Erlös ein kleines Gut im Nachbardorfe und zog aus. Und wie er zum letzten Male zu seiner alten Wohnstätte kam, um noch Waschtrog, Eimer und anderes Hausgerät aufzuladen, zündete er ein Bündel Stroh an und setzte mit eigener Hand sein altes Gehöft in Brand.Dann sprang er schnell auf den Wagen, knallte mit der Peitsche und rief:
»Verbrenne, du Bösewicht, der mich von meinem Hofe vertrieben hat, auf dem ich so lange glücklich und zufrieden gelebt habe!« »Hihihi«, kicherte da eine wohlbekannte, kreischende Stimme hinter seinem Rücken. Erschrocken wandte er sich um und erblickte am Wagen, auf einem Schafte sitzend, das schwarze Huhn. Es schlug mit den Flügeln und sang dazu:
»Wir gehen fort, wir ziehen aus, wir ziehen weg aus diesem Haus. Wir gehen fort, wir ziehen aus, wir ziehen weg aus diesem Haus.« |
Eines Abends, als Jirka, der Stallknecht, müde von seiner schweren Arbeit nach Hause kam, erblickte er auf der Schwelle die drei Stück Kuchen, die hierfür den Kobold bereitlagen. Da er hungrig war, ergriff er ein Stück und aß es gierig auf. Im selben Augenblick jedoch
saß auch schon das schwarze Huhn auf seinem Rücken, hämmerte mit dem Schnabel auf ihn los und rief:»Erster Bissen - zweiter Bissen, für den dritten wirst du büßen müssen!« |
»Hihihi«, kicherte der Bösewicht und rief:
»Willst du deine Ruhe wieder, setz mich unterm Birnbaum nieder!« |
Von dieser Stunde ab ließ ihn Rarasch, der Kobold, in Frieden.
Der Schuster und der Teufel
Es war einmal ein Schuster, der war so arm, daß er nicht aus noch ein wußte. Er saß bei Tag und Nacht bei seinem Leisten und arbeitete emsig, doch trotz allen Fleißes reichte sein Verdienst kaum für ein karges Mahl aus. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich mitsamt seiner Frau und seinen Kindern dem Teufel zu verschreiben. Gesagt -getan! Der arme Schuster rief den Teufel herbei, verschrieb sich ihm mit Haut und Haaren und unterzeichnete den Pakt mit seinem eigenen Blute. Der Teufel lächelte zufrieden und fragte: »Was verlangst du nun von mir?«
»Gib mir soviel Geld, daß ich und meine Frau sorgenfrei leben und unsere Kinder großziehen können.«
Der Teufel versprach das, und von diesem Tage an lagen allmorgendlich fünf silberne Dukaten auf des Schusters Türschwelle.
Es begab sich um diese Zeit, daß Unser Herr mit dem heiligen Petrus auf der Erde wandelte. Eines Spätnachmittags, als die Abendschatten zu fallen begannen, kamen sie zu dem Hause des Schusters, der sich und die Seinen dem Teufel verschrieben hatte. Sie klopften an die Tür und traten ein. Der Schuster wußte nicht, wer seine Gäste waren, noch woher sie kamen, doch als sie ihn um ein Nachtlager baten, gewährte er es ihnen gerne, und auch seine Frau trug das Ihrige dazu bei, um die Fremden zu bewirten. Sie kochte ein köstliches Mahl und bewirtete sie aufs beste. Als sich die Gäste gelabt hatten, bereitete sie für sie in ihrer eigenen Kammer ein weiches Lager vor, und sie selbst und der Schuster legten sich in der Scheune zur Ruhe. In aller Herrgottsfrühe war die Frau wiederum auf den Beinen, um den Fremden eine schmackhaftes Frühstück vorzusetzen. Als es zum Abschiednehmen kam, fragte Unser Herr:
»Was schulden wir dir, Schuster, für deine gute Bewirtung?«
»Mir?« fragte der Schuster verwundert. »Ich will kein Geld von Euch nehmen!«
»Doch wir wollen dich für deine Mühe entlohnen!« sagte auch der heilige Peter.
»Gut denn!« antwortete der Schuster, »wenn ihr es unbedingt wollt — erfüllt mir meine drei Wünsche!« Denn er dachte, daß dies die Fremden ohnehin nicht werden tun können! »Zu allererst wünsche ich, daß jedermann, der sich auf meinen, mit Schusterpech beschmierten, dreibeinigen Stuhl setzt, auf welchem ich zu sitzen pflege, wenn ich meine Arbeit verrichte, nicht früher aufstehen kann, bevor ich nicht dazu meine Erlaubnis gegeben habe. Mein zweiter Wunsch ist, daß jeder, der sich an mein Fenster lehnt und in meine Stube schaut, an seinen Platz gebunden bleibt, bis ich ihn befreie. Und als letztes wünsche ich mir, daß jedermann, der Kirschen von meinem Kirschbaume oder Birnen von meinem Birnbaume
schüttelt, nicht früher vom Stamme loskommen kann, bis ich ihn erlöse!«Da sagte der Sohn Gottes: »Es geschehe, wie du es wünschest!«Und er verließ, vom heiligen Peter gefolgt, das Haus des Schusters. Als die Zeit des Schusters gekommen war, kam der Teufel, um ihn zu holen. Er rief:
»Komm, Schuster, folge mir zur Hölle! Du weißt doch, daß deine Zeit um ist!«
»Ich weiß, ich weiß!« rief der Schuster. »Doch eile nicht so sehr! Warte doch noch so lange, bis ich und die Meinen das Abendbrot verzehrt haben. Setze dich dort auf meinen dreibeinigen Stuhl und ruhe dich ein wenig aus!«
Der Teufel war nicht ungeduldig und folgte der Einladung. Nach dem Abendbrote bereitete sich der Schuster mit seiner Frau und Kindern für die Reise zur Hölle vor. Als sie soweit waren, riefen sie den Teufel, um sie zu geleiten. Der Teufel versuchte sich vom Stuhle zu erheben, doch er klebte fest. Er krümmte sich nach allen Seiten, bis ihn sein Rücken jämmerlich schmerzte -doch all sein Bemühen blieb vergeblich, und er klebte fest. Endlich rief er:
»Hei, Schuster, was hast du für einen Stuhl in deiner Werkstatt? Ich kann ja nicht von ihm loskommen! Komm und hilf mir, ich will dir dafür etwas mehr Zeit geben, ehe ich dich mit zur Hölle nehme!« »Wenn du mir mehr Zeit auf der Erde versprichst, will ich dich befreien!« antwortete der Schuster.
Der Teufel versprach's und gewährte dem Schuster weitere sieben Jahre, nach deren Ablauf jedoch er ihn und seine Familie zu holen versprach.
Als nun die sieben Jahre um waren, kam der Teufel wiederum herbei. Er betrat diesmal die Stube nicht, sondern verharrte vor dem Hause, lehnte sich ans Fenster und schaute in die Stube hinein. Er sah den Schuster bei seiner Arbeit sitzen und rief ihm zu:
»Hei, Schuster, ich komme, um dich zu holen! Mach dich und die Deinen fertig!«
Der fleißige Schuster war eben daran, einen alten Schuh zu sohlen,
und seine Frau stand beim Herd und kochte. Als er den Teufel beim Fenster sah und seine Stimme hörte, rief er:»Ach, gib uns doch noch ein Weilchen Zeit, bis wir uns satt gegessen haben!«
Der dumme Teufel wartete geduldig beim Fenster. Als der Schuster und die Seinen zum Gehen bereit waren, rief er dem Teufel zu: »Gut denn, Teufel, komm und führe uns!«
Doch siehe da! Der Teufel konnte vom Fenster nicht loskommen! Seine Füße standen am Boden wie angewurzelt, und seine Arme lagen am Fensterbrett, und er konnte sie nicht wegziehen. Er begann den Schuster flehentlich zu bitten, ihm doch zu helfen, und rief: »Lieber Bruder, lasse mich frei! Ich will dir wiederum eine Spanne Zeit auf dieser Erde dafür geben!«
»Gut, gib mir noch ein wenig Zeit«, sagte der Schuster, »und schere dich hinweg. Aber eines sage ich dir - wenn du zum dritten Male kommst und ich nicht sogleich zur Reise bereit bin, wenn ich aber dann sage, ich wäre soweit und du nicht gehen willst, dann, ja dann will ich dir nie mehr folgen! Ich lasse mich nicht mehr von dir zum Narren halten!«
Der Teufel gab ihm weitere sieben Jahre Frist und ging nach Hause. Als auch diese Zeit um war, kam er von neuem und ging diesmal schnurstracks in des Schusters Stube. Der Schuster begrüßte ihn freundlich und rief:
»Wie freue ich mich, dich wiederzusehen! Du bist eben im rechten Augenblick gekommen! Unsere Früchte im Garten sind reif und süß und lecker wie Honig. Geh in den Garten und schüttle dir Kirschen und Birnen von den Bäumen. Iß, soviel dir beliebt! Meine Frau wird den Rest in einen Korb geben, und wir alle werden eine feine Wegzehrung für die Reise zur Hölle haben.«
Voll Freude sprang der Teufel auf, lief in den Garten und begann die Obstbäume zu schütteln. Er rüttelte und zerrte an den Stämmen aus Leibeskräften, so daß nicht nur die Früchte, sondern auch alle Blätter und Äste von den Bäumen fielen und nur die nackten Baumstämme übrig blieben. Inzwischen bereiteten sich der Schuster und
seine Familie zum Verlassen des Hauses vor, und als sie das Treiben des Teufels im Garten sahen, rief der Schuster erbost:»Was machst denn du? Willst du denn den ganzen Baum mitnehmen? Ich habe dir doch nur gesagt, die Früchte abzuschütteln, doch du tobst und wütest, als ob du in deiner Hölle wärest! Komm und geleite uns dorthin! Wir sind bereit, dir zu folgen!«
Der Teufel versuchte den Baum loszulassen, er zerrte und zog nach allen Seiten -doch seine Arme umschlangen den Stamm, als ob sie angenagelt wären! Da rief der Schuster höhnisch:
»Sagte ich dir denn nicht, wenn du zu bald kämest und dann, wenn ich zum Gehen bereit wäre, immer noch zögerst, du deine Ansprüche an mich aufgeben mußt? Ich bin nun bereit, mit dir zu gehen, und du willst nicht! Glaubst du denn, ich lasse mich von dir zum Narren halten? Warte nur, ich will's dir heimzahlen!«
Und er lief in die Stube, ergriff einen Lederriemen und eilte in den Garten zurück. Ihr hättet die Hiebe sehen sollen, die nun auf den armen Teufel von allen Seiten niederprasselten! Er schrie und brüllte so laut er nur konnte, bis die Nachbarn zusammengelaufen kamen und bald das ganze Dorf versammelt war. Wie erstaunt waren die Leute, als sie mit eigenen Augen sahen, wie der Schuster des Teufels Rücken bearbeitete! Als der arme Kerl blau und grün geschlagen war und kaum mehr einen Teufel glich, ließ der Schuster den Riemen fallen:
»Zurück zur Hölle mit dir!« rief er. »Und sieh nur, ob sie dich da unten wiedererkennen werden!«
Der Teufel lief, so schnell er nur konnte, davon, und ließ von nun an den Schuster unbehelligt.
Ehe des Schusters letzte Stunde gekommen war, bat dieser, man möge ihn in seiner Lederschürze zu Grabe tragen. Sein Wunsch wurde auch befolgt. Als er das Erdenreich verlassen hatte, begab er sich zum Himmel, klopfte an die Himmelspforte und begehrte Einlaß. Der heilige Peter öffnete mit seinem goldenen Schlüssel das goldene Tor, besah sich den Schuster genau und sprach:
»Oh, Schuster, hier ist kein Platz für dich und deinesgleichen! Was
du gewählt hast -wurde dir gewährt! Wenn du das Himmelreich gewählt hättest, wäre es nun offen für dich! Doch jetzt ist es zu spät! Fort mit dir!« rief er und schloß die Himmelspforte wieder zu.»Was soll ich denn nun beginnen?«sprach der Schuster zu sich. Er dachte ein Weilchen nach und beschloß, in der Hölle sein Glück zu versuchen. Doch sobald ihn die Teufel von weitem erblickt hatten, begannen sie aufgeregt zu schreien und zu rufen:
»Der Schuster ist am Wege zur Hölle! Schließt die Tore fest zu! Lasset ihn nicht herein, denn sonst ist es um uns geschehen!«
Der Schuster klopfte und klopfte, doch das Tor blieb verschlossen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich wiederum auf den Rückweg zum Himmel zu machen. Er klopfte an die Himmelspforte, der heilige Peter öffnete und sagte:
»Schere dich hinweg -ich habe dir schon einmal gesagt, daß hier kein Raum für dich ist!«
So mußte denn der arme Schuster wiederum zurück zur Hölle wandern, und als ihn die Teufel von weitem kommen sahen, verschlossen sie die Tore und riefen:
»Wir dürfen den Schuster nicht einlassen! Wir dürfen den Schuster nicht einlassen!«
Nun eilte der Schuster zum dritten Male zum Himmel, und als der heilige Peter die Pforte mit seinem goldenen Schlüssel geöffnet hatte, nahm der pfiffige Schuster schnell seine Schürze ab und warf sie durch die Spalte in den Himmel.
»Wenn Ihr mich nicht einlassen wollt, so soll wenigstens meine Schürze im Himmel sein!«und er selbst wanderte zur Hölle zurück. Doch wie sehr er auch klopfte und an die Tore schlug, nichts half, die Hölle war mäuschenstill und schien wie ausgestorben.
»Ich muß nochmals zum heiligen Peter gehen, und dies soll mein letzter Versuch sein!« sagte der Schuster zu sich.
Als der heilige Peter die Pforte öffnete, schlüpfte der Schuster unter seinem Arm in den Himmel, breitete schnell seine Schürze aus und setzte sich darauf nieder. Der heilige Peter wies ihn zurück, denn es sei kein Raum für ihn im Himmel, und er müsse dorthin gehen, wohin
er gehöre. Doch der schlaue Schuster blieb auf seinem Platze sitzen und rührte sich nicht von der Stelle.»Siehe«, rief er, »ich nehme niemandes Platz ein, ich sitze auf meinem Eigentum!«
Da eilte der heilige Peter zum Herrn, um ihn um Rat zu fragen. »Herr, der Schuster will nicht von der Stelle weichen, obzwar er nicht in den Himmel gehört!«
Der Herr antwortete lächelnd: »Laß ihn ein! Er möge auf seiner Schürze beim Tore sitzen!«
Prinzessin Goldhaar
Es war einmal ein König, der war so klug und weise, daß er sogar die Sprache der Tiere verstand. Und wie er dies lernte, sollt ihr nun hören:
Eines Tages kam zu den Toren seines Schlosses eine sehr alte Frau und bat um Einlaß. Sie verlangte, vor den König geführt zu werden, da sie mit ihm unter vier Augen zu sprechen wünsche. Sie bat die Wachen inständig, und da ihre Botschaft eine gar wichtige zu sein schien, wurde ihr schließlich Einlaß gewährt, und ein Höfling geleitete sie vor den Königsthron.
Als die Alte allein vor dem König stand, öffnete sie langsam und bedächtig einen kleinen Bastkorb, den sie am Arme trug und entnahm ihm zum nicht geringen Erstaunen des Königs einen Fisch, der einem Aale glich.
»Lasset diesen Fisch von Eurem Koche zubereiten«, sagte sie, »und wenn Ihr ein Stückchen davon gegessen habt, dann werdet Ihr die Sprache aller Lebewesen verstehen. Das Gezwitscher der Vögel in den Bäumen, das Gesumme der Insekten auf Gräsern und Blüten, die Sprache der Tiere in den Felsen und im Walde -alles werdet Ihr verstehen, und nichts wird Euch verborgen bleiben!«
Hocherfreut nahm der König das Geschenk entgegen, das ihm die
Fähigkeit geben sollte, die niemand außer ihm auf der Welt besaß. Doch als er sich mit bewegten Worten dafür bedanken wollte, fand er den Saal leer - das alte Mütterchen war verschwunden.Der König rief Jirik, seinen besten Küchenjungen, zu sich, gab ihm den Bastkorb mit dem wundersamen Fisch und sagte:
»Bereite mir diesen Fisch zum Mittagessen vor, doch unterstehe dich nicht, auch nur einen Bissen davon zu kosten. Du würdest deine Neugier mit dem Leben büßen müssen!«
Jirik fand es sehr absonderlich, einen solchen Befehl vom König zu erhalten, doch schwieg er und ging in die Küche, um das Mahl zu bereiten.
»Welch merkwürdiger Fisch, der sieht ja fast wie eine Schlange aus«, sprach er zu sich. »Doch wäre ich ein schlechter Koch, wollte ich nicht von der Speise kosten, die ich zubereitet habe!«
Und als der Fisch fein gar gebraten in der Pfanne lag, nahm er ein winziges Stückchen und verzehrte es.
Im selben Augenblicke summte etwas um seine Ohren, und es war ihm, als höre er die Worte:
»Gib uns auch ein Stückchen! Gib uns auch ein Stückchen!«
Jirik blickte erstaunt um sich, doch sah er niemanden, der die Worte gesprochen haben könnte. Nur ein paar Fliegen summten um den Ofen herum.
Da hörte er durchs offene Küchenfenster von der Straße eine heisere Stimme rufen:
»Wohin des Wegs? Wohin des Wegs?« Und eine kreischende Stimme antwortete:
»Zu des Müllers Gerstenfeld! Zu des Müllers Gerstenfeld!«
Als sich Jirik aus dem Fenster beugte, sah er einen Gänserich, der mit seiner Gänsefamilie quer über die Straße wechselte.
>Aha!<sagte Jirik zu sich, >nun weiß ich, warum mir der König verboten hatte, von dem Fisch zu kosten!<
Flugs nahm er noch einen zweiten Bissen und trug dann das Gericht zur Tafel des Königs.
Nach beendeter Mahlzeit rief der König:
»Jirik, sattle die Pferde! Ich will ausreiten, und du sollst mich begleiten!«
Der König ritt voraus, und Jirik folgte auf seinem Rappen hintendrein. Als sie eine Weile geritten waren, bäumte sich Jiriks Pferd und wieherte:
»Hohohoho, Bruder, ich fühle mich leicht und frei wie ein Vogel und könnte über Berge springen!«
»Das ist alles schön und gut«, antwortete des Königs Schimmel, »ich würde gerne mit dir um die Wette springen, doch sitzt ein alter Mann auf meinem Rücken, der sicherlich wie ein Sack herunterfallen und sich das Genick brechen würde!«
»Laß ihn doch herunterfallen«, riet Jiriks Pferd, »du würdest dann bald einen jungen König an seiner Stelle im Sattel tragen!«
Jirik, der das Gespräch belauscht hatte, lächelte vor sich hin. Doch auch der König hatte die Unterhaltung der beiden Pferde vernommen, und als er das Lächeln bemerkte, das Jiriks Lippen umspielte, fragte er mißtrauisch:
»Warum lächelst du denn so, Jirik?«
»Ach, es kam mir nur eben was Lustiges in den Sinn!«entschuldigte sich dieser.
Doch der Verdacht des Königs war erweckt, er traute auch seinen Pferden nicht mehr, warf sein Roß herum und ritt im Galopp dem Schlosse zu.
Im Schlosse angelangt, befahl der König dem Küchenjungen, ihm einen Becher Wein einzuschenken und ihn bis zum Rande zu füllen.
»Dein Kopf ist verwirkt«, fügte der König hinzu, »wenn du auch nur einen einzigen Tropfen zuviel oder zuwenig einschenkst!«
Jirik erhob die Karaffe und begann den Becher zu füllen. Im gleichen Augenblicke kamen durchs offene Fenster zwei Vöglein hereingeflattert. Eines schien das andere zu jagen, und das verfolgte hielt drei goldene Haare im Schnabel.
»Gib sie mir, gib sie mir!« zwitscherte der eine Vogel. »Du weißt genau, daß sie mir gehören!«
»Ich will nicht, ich will nicht!«piepste der andere, »sie gehören mir, —ich habe sie vom Boden aufgelesen, als sich die goldhaarige Prinzessin kämmte!«
»Mir gehören sie! Gib mir zwei von ihnen!«
»Auch nicht eines sollst du haben!«
Erbost griff der eine Vogel seinen Gegner an, er hackte mit dem Schnabel nach ihm und bemühte sich, ihm die goldenen Haare zu entreißen. Sie zerrten so lange an ihnen herum, bis schließlich einem jeden ein Haar im Schnabel blieb und das dritte mit glockenhellem Klang zu Boden fiel. Als Jirik diesen Klang vernahm, drehte er sich um, und ein Tropfen roten Weines floß über den Becherrand.
»Dein Leben ist verloren!« rief der König, »doch will ich Gnade walten lassen und es dir schenken, wenn du mir die goldhaarige Prinzessin, die meine Braut werden soll, finden und bringen wirst!«
Dem armen Küchenjungen wurde angst und bange. Wo sollte er denn das Mädchen mit den goldenen Haaren suchen? Er bestieg sein Pferd und verließ das Schloß.
Lange irrte er umher und gelangte schließlich an den Rand eines dichten, dunklen Waldes. Als er mit Mühe seinen Weg durchs Dickicht bahnte, bemerkte er am Fuße eines Baumes zwei junge Raben, die jämmerlich klagten:
»Ach, wir armen Waisenkinder! Unsere Eltern haben uns schnöde verlassen, und wir haben kein Futter mehr. Unsere schwachen Flügel tragen uns kaum, und wir müssen hier nun Hungers sterben. Hilf uns, Jirik, hilf uns!«
Jirik zögerte keinen Augenblick, er hatte Mitleid mit den armen Vögeln, sprang vom Sattel, zog sein Schwert und stieß es dem Pferd durchs Herz. Dann warf er das tote Tier den jungen Raben zum Fraße vor.
»Dank dir, Jirik«, riefen die Vögel, »wir wollen deine Tat nicht vergessen. Auch du wirst vielleicht einmal unserer Hilfe bedürfen -rufe uns nur, wir werden zur Stelle sein!«
Nun mußte Jirik seinen Weg zu Fuß fortsetzen, und es währte viele,
viele Tage, bevor er sich dem anderen Ende des Waldes näherte. Doch allmählich lichteten sich die Bäume, und vor Jirik lag ein weiter, glitzernder See ausgebreitet. Zwei Fischer standen am Ufer, die sich zu streiten schienen. Ein großer goldener Fisch hatte sich in ihrem Netze gefangen, und jeder wollte ihn für sich behalten.»Mir gehört das Netz!« rief der eine, »deshalb soll auch der Fisch mir allein gehören!«
»Dein Netz wäre zu nichts nutze, wenn uns nicht mein Boot getragen hätte!« antwortete zornig der andere.
»Der nächste Fisch, den wir fangen werden, soll dir gehören!« »Nein, gib mir diesen und warte du auf den nächsten Fang!« »Ich will euren Streit schlichten!« mischte sich Jirik ein.
»Verkauft mir den Fisch, ich will euch reichlich entlohnen, und ihr könnt den Erlös gerecht teilen!«
Er entnahm seiner Tasche das Geld, das ihm der König für seine Reise mitgegeben hatte, und reichte es den beiden Männern, ohne auch nur das kleinste Geldstück für sich zu behalten.
Die beiden Fischer waren's zufrieden und ergriffen hastig die Börse, die ihnen der Fremdling reichte; Jirik nahm den Fisch und ließ ihn vorsichtig zurück ins Wasser gleiten. Der Goldfisch zappelte lustig, als er die kühlen Wellen berührte, und verschwand in der Tiefe. Doch plötzlich tauchte sein Kopf wiederum an der Oberfläche auf, und er rief:
»Ich danke dir, Jirik! Solltest auch du einmal meine Hilfe benötigen, dann erinnere dich meiner, denn auch ich will dir behilflich sein!« »Wohin führt dich dein Weg?« fragten nun die beiden Fischer. »Ich bin auf dem Wege, um für meinen Herrn, den König, die goldhaarige Prinzessin zu freien, doch weiß ich nicht, wo ich sie finden soll.«
»Oh, wir können dir den Weg zeigen!«riefen die Fischer, »du suchst ja die Prinzessin Goldhaar, die Tochter unseres Königs, der da drüben in dem prächtigen Kristallschlosse auf der Kristallinsel wohnt! Allmorgendlich, vor Sonnenaufgang, kämmt sie ihr goldenes Haar, und sein Schein erleuchtet den Himmel und die See. Wenn es dir beliebt,
werden wir dich zu der Kristallinsel hinüberrudern, da du unseren Streit so weise geregelt hast. Doch sei gewarnt, und suche dir die richtige Prinzessin aus, unser König hat zwölf Töchter, doch nur eine hat goldene Haare!«Als Jirik die Insel erreichte, begab er sich schnurstracks ins Schloß und bat den König, die goldhaarige Prinzessin seinem Herrn zur Gemahlin zu geben.
»Dies will ich gerne tun«, antwortete der König, »doch mußt du sie erst für deinen Herrn gewinnen! Ich werde dir drei Aufgaben stellen, von denen du täglich eine erfüllen mußt. Heute will ich dir einen Ruhetag gewähren!«
Am nächsten Morgen sprach der König:
»Als meine Tochter, die Prinzessin Goldhaar, vor kurzem im See badete, verlor sie ihr goldenes Armband. Dieses sollst du finden und mir wiederbringen!«
Jirik begab sich zum See und schritt traurig am Ufer entlang. Das Wasser war zwar klar, doch der See war so tief, daß man den Grund nicht erblicken konnte. Wie sollte er da das kleine, goldene Armband finden?
>Ach, wenn doch nur mein goldener Fisch hier wäre<, dachte Jirik, >der würde mir sicherlich helfen!<
Da glitzerte etwas in den Wellen, und aus den Tiefen schoß der Goldfisch an die Oberfläche.
»Hier bin ich, um dir zu helfen, Jirik«, rief er, »was begehrst du denn?«
»Ich soll ein goldenes Armband finden, das am Grunde des Sees liegt«, seufzte Jirik, »doch wie könnte mir das gelingen, da ich doch nicht einmal bis zum Grunde sehen kann?«
»Nichts ist leichter, als dir zu helfen«, rief der Goldfisch. »Ich weiß, wo sich dein Armband befindet! Soeben habe ich meinen Freund, den Hecht gesehen, der mit deinem Armband seine Flosse geschmückt hatte. Warte nur ein Weilchen, ich will ihn zu dir bringen.«
Es währte nur einen Augenblick, und der goldene Fisch tauchte aus
den Tiefen wiederum auf, und an seiner Seite schwamm der Hecht mit dem goldenen Armband.»Du hast deine Aufgabe erfüllt«, sprach der König lobend, als ihm Jirik das Armband überreicht hatte, »morgen früh will ich dir eine zweite stellen.«
Am frühen Morgen rief der König den Küchenjungen und sagte zu ihm: »Wenn du meine Tochter, die Prinzessen Goldhaar, für deinen König gewinnen willst, mußt du ihr das Wasser des Lebens und des Todes bringen!«
Jirik wußte nicht aus noch ein, es schien ihm unmöglich, diesen Wunsch des Königs erfüllen zu können. Er irrte ziellos umher und gelangte schließlich an den Rand des tiefen Waldes.
»Ach, wenn doch nur meine beiden Raben von meinen Nöten wüßten, sie würden mir sicherlich zu Hilfe eilen!«
Im selben Augenblick hörte Jirik Flügelschlagen in den Lüften, und er sah seine beiden ersehnten Freunde über seinem Haupte schweben. »Krah, krah«, krächzten sie, »hier sind wir, um dir beizustehen. Sage uns, was du wünschest!«
»Oh, ihr lieben Vögel, ich soll dem Könige das Wasser des Lebens und des Todes bringen und weiß doch nicht, wo ich es finden kann!«
»Wir können dir helfen, denn wir wissen, wo sich die Quellen befinden. Warte ein Weilchen, wir wollen dir's bringen.«
Nach kurzer Zeit kamen die beiden Raben wieder zurückgeflogen, und jeder hielt einen Behälter im Schnabel. In einem war das Wasser des Lebens, und der andere enthielt das Wasser des Todes.
Jirik dankte seinen beiden gefiederten Freunden und eilte zum Schloß zurück. Als er sich durchs Gestrüpp seinen Weg bahnte, bemerkte er einen Spinngewebe, das von einem Baumstamm zum nächsten gespannt war. In seiner Mitte saß eine große, häßliche Spinne, die gerade dabei war, eine kleine Mücke zu verzehren.
Schnell ergriff Jirik den Behälter, der das Wasser des Todes enthielt, besprengte damit die böse Spinne, die sogleich die Mücke freiließ und tot zu Boden fiel. Die Mücke aber besprengte er mit dem Wasser
des Lebens, und sogleich kam wieder Leben in das winzige Wesen. Es begann sich zu bewegen, breitete seine Flügel aus und flog in die Höhe.»Wie sehr danke ich dir für meine Errettung«, summte es in Jiriks Ohren, »doch soll auch dies zu deinem Glück sein, denn ohne meine Hilfe würdest du die dritte Aufgabe, die dir morgen der König stellen wird, niemals erfüllen können. Du würdest kaum erraten, welche von den zwölf Töchtern des Königs die Prinzessin Goldhaar ist!«
Am nächsten Morgen führte der König ihn in einen großen, prunkvollen Saal, in dem um einen runden Tisch herum zwölf wunderschöne Mädchen saßen. Eine glich der anderen, wie ein Ei dem anderen gleicht. Jedes dieser Mädchen hatte ihr Haupt mit Schleiern verhüllt, die in dichten Falten bis zur Erde fielen und ihr Haar vollkommen verbargen.
»Dies sind meine Töchter«, sprach der König. »Wenn du errätst, welche von ihnen Prinzessin Goldhaar ist, darfst du sie als Braut zu deinem Herrn geleiten. Ist dir jedoch das Glück nicht hold, und deine Wahl trifft eine andere, dann mußt du allein das Schloß verlassen und deinem harten Schicksale entgegengehen!«
Jirik war's schwer ums Herz, er wußte nicht aus noch ein. Da summte etwas leise in sein Ohr:
»Bst -Bst! Geh langsam um den Tisch herum, ich will dir helfen, die goldhaarige Prinzessin zu finden!«
Jirik blickte auf, und zu seinem Erstaunen sah er die kleine Mücke, die er vom Tode im Spinngewebe errettet hatte, neben sich fliegen. »Diese ist es nicht -diese auch nicht -nein, diese ebenfalls ist nicht die rechte«, flüsterte ihm die Mücke ins Ohr - »doch diese hier ist Prinzessin Goldhaar!«
»Diese und keine andere will ich für meinen Herrn wählen«, rief Jirik.
»Du hast richtig geraten«, rief der König, »du sollst Prinzessin Goldhaar zu deinem König führen!«
Das Mädchen erhob sich vom Tisch und schlug langsam den Schleier
zurück, der ihr Haupt verdeckte. Ihr herrliches goldenes Haar fiel in reichen Wellen über ihre Schultern und glänzte wie die Strahlen der aufgehenden Sonne, daß Jirik bei diesem Anblick die Augen übergingen.Der König verabschiedete sich von seiner Tochter, gab ihr seinen Segen, und sie trat mit Jirik den Heimweg an.
Der alte König strahlte vor Freude, als er seine wunderschöne Braut sah und ordnete sogleich die Hochzeit an. Zu Jirik aber sagte er:
»Ich wollte dich im Walde erhängen lassen, damit du deine Neugierde gehörig büßen sollst, doch da du mir so gute Dienste geleistet hast, sollst du durchs Schwert enthauptet werden!«
Sein Befehl wurde unverzüglich ausgeführt. Die goldhaarige Braut bat den König, er möge ihr Jiriks toten Körper geben, und da der alte König keinen Wunsch des schönen Mädchens unerfüllt lassen wollte, willigte er ein.
Die Prinzessin ließ Jirik in ihr Gemach bringen, besprengte ihn mit dem Wasser des Todes, und der Kopf wuchs sogleich an den Körper an. Dann nahm sie das Gefäß mit dem Wasser des Lebens und besprengte Jiriks Stirn. Und siehe da! Der Junge öffnete seine Augen, sprang frisch und munter auf seine Füße, und neue Lebenslust und Freude strahlte aus seinen Blicken.
»Ach, wie tief und fest habe ich geschlafen«, rief er und rieb sich die Augen.
»Du hast wahr gesprochen«, seufzte die Prinzessin, »und wenn ich nicht zur Stelle gewesen wäre, wärest du wohl nie wieder erwacht!«
Als der König sah, daß Jirik wiederum am Leben war und sogar jünger und munterer zu sein schien als zuvor, wollte auch er gerne verjüngt sein. Er befahl seinen Dienern, ihn zu enthaupten und ihn dann mit dem Wasser des Lebens zu erwecken.
Doch wie sehr auch die eifrigen Diener sich bemühten -der Kopf wollte nicht wieder anwachsen. Als jedoch später mit Hilfe des Wassers des Todes des Königs Kopf am Rumpfe saß, war der Vorrat vom Wasser des Lebens erschöpft, und keine Macht der Welt konnte den alten Mann wieder lebendig machen.
Und da doch kein Königreich lange ohne einen König bleiben kann und sich keiner fand, der so klug gewesen wäre, daß er sogar die Sprache der Tiere verstanden hätte, wurde Jirik vom Volke zum König und die Prinzessin Goldhaar zur Königin erkoren.
Die gute Fee und die zwölf hilfreichen Monate
Es war einmal eine böse Stiefmutter, die ihre liebliche Stieftochter Marica aus ganzer Seele haßte. Ihre eigene Tochter aber liebte sie abgöttisch.
Die arme Marica war fleißig und arbeitsam und mühte und plagte sich vom frühen Morgen bis spät in die Nacht. Doch all dies war vergeblich -sie konnte ihrer Stiefmutter auch gar nichts recht machen. Die grausame Frau schalt und peinigte Marica unaufhörlich, sie mußte in einem Holztroge schlafen, und die spärlichen Mahlzeiten wurden ihr wie einem Hunde vorgeworfen.
Als die Stiefmutter sah, daß trotz aller Demütigungen das Mädchen gut und geduldig blieb und überdies von Tag zu Tag schöner wurde, kannte ihr Zorn keine Grenzen.
Eines Tages sandte sie die beiden Mädchen zum Flusse, um Wolle zu waschen. Ihrer eigenen Tochter gab sie weiche, weiße Strähnen mit, doch Marica warf sie einen großen Knäuel schwarzer Wolle zu und drohte ihr:
»Wenn du diese schwarze Wolle nicht schneeweiß waschen kannst, dann komm mir nie wieder vor die Augen -ich werde dich glatt davonjagen.«
Das arme Mädchen weinte und bat die Stiefmutter, doch nichts Unmögliches von ihr zu verlangen. Aber ihr Bitten und Flehen blieb erfolglos und fand nur taube Ohren. Und so mußte sie denn traurig ihrer Halbschwester zum Flusse folgen.
Unter einer Weide packten die beiden Mädchen ihre Bündel aus und fingen zu waschen an. Da, ganz unvermittelt stand ein wunderschönes, weißgekleidetes Mädchen neben ihnen. Ein Weilchen sah sie
den fleißigen Wäscherinnen mit freundlichem Lächeln zu und sprach hierauf:»Guten Morgen, ihr beiden! Kann ich euch behilflich sein?«
Höhnisch antwortete die wahre Tochter der Stiefmutter:
»Ich brauche deine Hilfe nicht, denn meine Wolle ist weiß und sauber, aber unser Stiefkind hier wird deine Hilfe sicher nicht verschmähen. Ihre Wolle wird wohl so bald nicht weiß werden!«
Als das fremde Mädchen dies hörte, trat sie zur schluchzenden Marica hin und sagte:
»Komm, Kind, wir wollen gemeinsam versuchen, die schwarze Wolle weiß zu waschen!«
Beide fingen nun emsig zu arbeiten an, und als sie eine Weile die schwarzen Strähnen im fließenden Wasser gewaschen hatten, sahen sie, daß ihre düstere Farbe langsam schwand, die Wolle immer blasser wurde, bis sie schließlich weiß wie frisch gefallener Schnee vor ihnen lag.
Und lautlos, wie sie gekommen war, verschwand die fremde Maid wieder. Da wußte Marica, daß eine gute Fee ihre hilfreiche Hand schützend über sie hielt.
Als die beiden Mädchen nach Hause zurückkamen und die Stiefmutter sah, daß Marica die unmöglich scheinende Aufgabe erfüllt hatte, steigerte sich ihr Zorn nur noch mehr. Sie mußte nun Marica im Hause behalten, und sie sann über neue Bosheiten nach.
Der Winter kam ins Land - es war grimmig kalt. Wiesen und Felder waren eingeschneit, und lange Eiszapfen hingen von Dächern und Bäumen. Da rief die Stiefmutter Marica zu sich und befahl ihr:
»Nimm dieses Körbchen und gehe in die Berge, um für mich reife Erdbeeren zum neuen Jahre zu holen! Wage nicht, mit leeren Händen zurückzukommen, denn mein Haus wäre dir dann verschlossen!«
Das arme Mädchen wußte nicht aus noch ein, sie weinte und flehte die Stiefmutter um Gnade an:
»Wie könnte ich, Arme, denn jetzt im Winter reife Erdbeeren finden?«
»Tue, wie dir geheißen!« schrie die böse Frau - und Marica mußte gehorchen.
Als sie schluchzend über die Berge wanderte, kamen ihr zwölf Jünglinge entgegen. Es waren die zwölf Monate des Jahres. Sie wünschte ihnen guten Morgen und trat zur Seite, um ihnen den Weg freizugeben. Die jungen Männer dankten und fragten Marica, was sie so einsam in den Bergen suche.
Marica faßte Mut und erzählte ihnen, was ihr widerfahren sei und wie sie nun die böse Stiefmutter auf die Suche nach frischen Erdbeeren in die Berge gejagt hatte. Da sprach einer der Männer:
»Wir wollen dir behilflich sein, doch mußt du uns erst eine Frage beantworten. Sage uns, Marica, welcher Monat ist der beste des Jahres?«
»Alle Monate sind gut«, antwortete Marica, »doch scheint mir der Monat März der beste zu sein, denn er bringt neue Hoffnung.« Die zwölf Jünglinge waren mit ihrer Antwort zufrieden und sagten:
»Folge weiter diesem Pfade! Er führt in ein weites Tal, auf dessen östlichen Hängen du so viele reife Erdbeeren finden wirst, wie du nur wünschest.«
Marica dankte den freundlichen Jünglingen und wanderte dem Tale zu. Und es geschah, wie die Monate es gesagt hatten. Sie fand die Beeren am Osthange des Tales, füllte ihr Körbchen und machte sich auf den Heimweg.
Die erstaunte Stiefmutter ließ sich genau von Marica erzählen, was sich in den Bergen zugetragen hatte.
Als die Fröste nachließen und Tauwetter eintrat, sagte die Stiefmutter zu ihrer eigenen Tochter:
»Geh in die Berge, um Erdbeeren für mich zu holen! Vielleicht wirst auch du den zwölf Jünglingen begegnen, und sie werden auch zu dir so gütig und großherzig sein, wie sie es zu Marica waren.«
Die Tochter stattete sich fein aus, nahm das Körbchen auf den Arm und lief lachend hinaus. Es dauerte nicht lange, und auch ihr kamen die zwölf jungen Männer entgegen. Doch kein freundlicher Gruß
kam über des Mädchens Lippen, sie sah sie nur hochmütig an, und vorlaut rief sie ihnen zu:»Zeigt mir, wo die reifen Erdbeeren wachsen, unserem Stiefkinde habt ihr auch den Weg gewiesen!«
»Wir wollen auch dir helfen«, entgegnete einer der Männer, »doch sage uns erst, welcher der beste Monat des Jahres ist.« Sie antwortete schnell, ohne zu zögern:
»Welcher der beste Monat des Jahres ist, wollt Ihr wissen? Keinen habe ich gerne, alle sind schlecht, doch der Monat März ist der schlimmste von allen!«
Im selben Augenblicke verfinsterte sich der Himmel, schwarze Wolken senkten sich tief herab, bis sie Berg und Tal verhüllten. Ein furchtbarer Sturm brach los, und der Wind heulte, und eisiger Regen peitschte die Erde. Hastig kehrte das zu Tode erschreckte Mädchen um und lief, so schnell es seine Beine nur tragen konnten, unverrichteterdinge nach Hause zurück.
Inzwischen hatte sich die Kunde von Maricas Schönheit und Güte im ganzen Lande verbreitet. Ein hübscher und wohlhabender Bauernbursche wollte um ihre Hand anhalten. Doch die Stiefmutter gönnte ihrem Stiefkinde solches Glück nicht und spann wiederum einen bösen Plan.
Als der Abend herankam, für den der junge Mann seinen Besuch und seine Eltern angekündigt hatte, jagte die böse Frau Marica aus dem Hause und zwang sie, sich im Hühnerstalle ihr Nachtlager zu richten. Hierauf reinigte und schmückte sie das Haus, bereitete eine festliche Mahlzeit vor und putzte ihre eigene Tochter aufs beste heraus. Dann begrüßte sie die Gäste freundlich, führte sie ins Haus und sagte, auf ihre eigene Tochter weisend:
»Dies ist meine geliebte Stieftochter Marica.«
Doch kaum hatten diese Worte ihre trügerischen Lippen verlassen, als draußen im Hofe ein Hahn laut zu krähen begann:
»Kikeriki, kikeriki, im Hühnerstalle ist die schöne Marie! Kikeriki!«
Die Gäste sahen einander fragend an. Der junge Mann stürzte aus
der Stube, fand bald Marica in ihrem Versteck und brachte sie ins Haus zurück.Der Betrug der Stiefmutter kam nun ans Tageslicht, und sie und ihre Tochter wurden zum Gespött des ganzen Dorfes.
Maricas Anmut bezauberte den jungen Mann, und er führte sie noch am selben Abend heim. Eine fröhliche Hochzeit wurde gefeiert, und Marica lebte seither glücklich und zufrieden mit ihrem Manne noch lange, lange Zeit -kein Wunder, denn die gütige Fee und die zwölf hilfreichen Monate waren ja ihre treuen Freunde!
Der Wolf und der alte Hund
Ein Schafhirt hatte einen alten Hund, der auf den Namen Bodrik hörte. Er war in den Diensten des Hirten sehr alt und gebrechlich geworden, er hinkte, hatte keinen Zahn mehr im Maule, und sein Körper war voll Narben, die von zahllosen Kämpfen mit den Wölfen erzählten. Bodrik war ein treuer Freund seines Herrn und ein furchtloser Hüter seiner Herde! Doch er war alt .
»Ein alter Hund gehört auf den Dunghaufen!« sagte eines Morgens der undankbare Schafhirte, »warum soll ich denn ein so altes Tier halten, da doch ein junger Hund die Schafe sicherlich besser hüten wird?«
Gesagt -getan. . . der arme alte Bodrik wurde auf den Dunghaufen gejagt und dem Hungertode preisgegeben. Ein junger Hund nahm seine Stelle an, er nistete sich in Bodriks warmer Hütte gemütlich ein, bekam reichlich zu fressen und wurde dann ins Freie gelassen, um seine Pflicht, die Herde zu hüten, zu erfüllen.
Dem armen, alten Bodrik wollte das Herz im Leibe vor Kummer brechen, als er das ihm widerfahrene Unrecht wahrnahm. Er legte sich auf den Dunghaufen nieder und schluchzte jämmerlich.
Die Nacht brach an. Der junge Hund kroch in seine warme Hütte und war bald eingeschlafen. Der alte Hund aber, der einen leichten Schlaf hatte und auch noch im Schlafe auf jedes Geräusch aufpaßte,
konnte auf seinem harten Lager keine Ruhe finden. Da plötzlich, um die Mitternachtsstunde, hörte er, wie sich ein Wolf dem Staue näherte. Er erhob sich und schlich zum Zaune, um das Raubtier zu verjagen. Doch als er über den Zaun springen wollte, versagten ihm, da er vor Hunger ganz schwach geworden war, seine Beine den Dienst. Traurig kehrte er auf den Dunghaufen zurück, streckte sich wiederum aus und sprach zu sich:>Wenn der Hirte mir nicht einmal die wenigen Bissen gönnt und mich hinausgejagt hat, dann soll sich nur der Wolf sein Schäfchen holen!<
Er blieb ruhig liegen und stieß nicht einmal ein warnendes Bellen aus. Der junge Hund schlief tief und fest, witterte die Ankunft des Feindes nicht, und so schlich das Raubtier ungehindert in den Stall und trug seine Beute davon.
In aller Herrgottsfrühe, als der Hirte in den Stall kam, um die Schafe zu melken, bemerkte er, daß eines fehlte, und er sah auch, daß ein Wolf dagewesen und das Tierchen geholt hatte. Da wurde ihm klar, wie schlecht der junge Hund gehütet hatte und welch böses Unrecht er dem alten Hunde hatte zuteil werden lassen.
Er sprach zu sich: »Wenn Bodrik gehütet hätte, wäre es dem Wolfe nicht gelungen, ein Schaf zu rauben!«
Er rief den alten Hund zu sich, streichelte sein struppiges Fell und setzte einen Teller voll der besten Leckerbissen vor ihn hin. Bodrik war vor Freude außer sich, er preßte seinen Kopf gegen die Beine seines Herrn und bellte freudig.
Als es Abend wurde, lag er nicht wieder auf dem Dunghaufen, doch kroch er auch nicht in seine Hütte - er schlich vorsichtig um den Stall herum, als ob er wüßte, daß der gefräßige Wolf wiederkommen würde. Und siehe da! der Wolf kam wieder! Doch diesmal mußte er unverrichteter Dinge das Weite suchen.
»Was begehrst du hier?« fuhr ihn Bodrik an, als er sich dem Stalle näherte.
»Was anderes sollte ich denn wünschen als ein Schaf?« antwortete der Wolf.
»Schere dich hinweg, du Nichtsnutz! —Ich werde dir sicherlich kein Schäfchen geben!« sagte Bodrik.
»Lasse dich erweichen!« bat der Wolf. »Und gib mir ein einziges - wir können es ja gemeinsam verzehren!«
»Ich will keine Gemeinschaft mit dir haben! Gestern, als mir der Hirte keine Nahrung gab, war ich schwach und hungrig und mußte dich gewähren lassen -doch heute hat mich mein Herr reichlich gefüttert, und ich fühle mich stark -, du wirst daher ohne Beute abziehen müssen!«
»Wenn du mir freiwillig kein Schaf geben willst, werden wir darum kämpfen!« warnte der Wolf zornig.
»Wie es dir beliebt!« sagte Bodrik, »warte nur, bis ich mit meiner Wache hier fertig bin, dann will ich zu dir in den Wald kommen, und wir werden dort den Kampf austragen!«
Als der Wolf sah, daß er im guten sein Schaf nicht bekommen könne, kehrte er um -doch er beschloß, sich an Bodrik zu rächen. Er eilte in den Wald und bat den Bären und den Fuchs, ihm zu helfen.
Aber der alte Hund war klug, und da er die Schliche des Wolfes kannte, ging auch er nicht allein in den Wald, sondern nahm seine beiden Freunde, einen alten Kater und ein Schwein mit sich. Als der Bär und der Fuchs den hinkenden Hund, den alten Kater und das Schwein von ferne kommen sahen, erschraken sie über alle Maßen. »Sieh doch, Bruder«, rief der Bär, »wie der erste sich ständig bückt, um Steine zu sammeln, mit denen er uns zu töten gedenkt!«
Bodrik kam hinkend daher, und der dumme Bär dachte, daß er sich bücke, um Steine aufzuheben.
»Sieh doch nur den zweiten!« rief der Fuchs, »wie er mit seinem scharfen Säbel um sich schlägt!«
Der alte Kater wedelte mit seinem buschigen Schweife, und der einfältige Fuchs dachte, daß er einen Säbel durch die Luft schwinge. Als sie aber zu guter Letzt noch das Grunzen des Schweines vernahmen, da war es um ihren Mut geschehen! Der Bär kroch, so schnell er nur konnte, bis zum Gipfel des höchsten Baums, und der Fuchs sprang, ohne zu überlegen, mitten in eine Brennesselstaude.
Als die Haustiere näherkamen, hörte man den Kater schnurren: Brrbrrbrrbrrbrrbrr
Dem vor Furcht zitternden Fuchs schien es, als ob der Kater Brrennessel, Brr-ennessel, Brr-ennessel sagte. Er sprang aus seinem Versteck und lief eilends davon.
Das Schwein blieb vor dem Baum, in dessen Spitze sich der dumme Bär versteckt hatte, stehen und grunzte Chch, Chch, Chch, Chch. . . Der Bär in seiner Angst dachte, daß das fremde Tier hoch, hoch, hoch sage und beabsichtige, ihm hinauf zu folgen. Zitternd kroch er vom Baume herunter und rannte dem Fuchse nach.
Als der verlassene Wolf seine Helfer laufen sah, nahm auch er Reißaus.
Der alte Bodrik blieb Sieger und kehrte lustig und vergnügt mit seinen beiden treuen Freunden nach Hause zurück.
Raduz und Ludmilla
Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne und eine Tochter. »Du, mein Weib«, sprach er eines Tages zur Königin, »wir sind zu zahlreich, wir müssen etwas unternehmen, sonst werden wir es nicht weit bringen. Weißt du was? Wir wollen einen unserer Söhne in die Welt schicken, er mag nach einem Dienst suchen und sich zurechtfinden, so gut er eben kann.«
»Ja, ja«, nickte darauf die Königin, »das leuchtet auch mir ein. Das beste wäre wohl, wenn wir Raduz ziehen ließen.«
»Recht hast du«, erwiderte der König, »auch ich habe an ihn gedacht. Statte ihn also für die Reise aus, vielleicht bringt er es in der Fremde zu etwas.«
So geschah es dann auch.
Raduz nahm von seinen Eltern Abschied und wanderte viele Tage über Berg und Tal. Schließlich gelangte er in einen dichten Wald, und dort stand ein Haus. Er dachte sich: hier will ich anklopfen, vielleicht finde ich eine Arbeit. In dem Haus aber wohnten drei Menschen:
eine Hexe, ihr Mann, der Hexenmeister, und außerdem noch ein schönes Mägdelein, das hieß Ludmilla.»Gott zum Gruß, gute Leute!«sprach Raduz, als er in die Stube trat.
»Gott zum Gruß! Wo kommst du denn her?«erwiderte die Hexe. »Ich bin bei euch eingekehrt, weil ich Arbeit suche. Möchtet ihr mich nicht in Dienst nehmen?«
»O weh, mein Söhnchen«, sprach die Hexe, »ein jeder möchte gerne sein Brot essen, doch verdienen kann es sich kaum einer. Welche Arbeit hast du gelernt?«
»Jede, die ihr mir geben wollt. Ich werde tun, was in meinen Kräften steht, und ich will mich auch wirklich sehr bemühen.«
Die Hexe hatte keine große Lust, ihn aufzunehmen, der Hexenmeister jedoch redete ihr gut zu, und so ließ sie sich schließlich umstimmen.
Inder ersten Nacht ruhte sich Raduz von seiner Wanderung aus. Als er dann am Morgen erwachte, begab er sich zur Hexe.
»Frau, was für eine Arbeit wollt Ihr mir heute geben?«
Die Hexe maß ihn vom Scheitel bis zur Sohle und führte ihn dann zu einem Fensterchen.
»Schau da hinaus«, sprach sie, »und sag mir, was du siehst!«
»Was soll ich schon sehen? Eine Waldlichtung sehe ich.«
»Ja. Da, nimm diese hölzerne Hacke, du gehst jetzt auf die Lichtung, hackst den Boden auf und pflanzt Bäume, aber so, daß sie über Nacht wachsen, blühen und Früchte tragen. Morgen früh mußt du mir das reife Obst bringen. So, und nun spute dich!«
Während sich Raduz auf die Lichtung begab, zerbrach er sich den Kopf, was er nun beginnen solle. Hat der Mensch schon so etwas gehört? So eine Arbeit mit einer hölzernen Hacke verrichten, und dazu auch noch in so kurzer Zeit! Er machte sich ans Werk. Doch kaum hatte er ein paarmal richtig zugeschlagen, da ging die Hacke auch schon in Stücke. Er erkannte, daß er da nicht viel ausrichten würde. Er warf also den Hackenstiel fort, setzte sich unter eine Eiche und blickte stumpf vor sich hin.
Inzwischen hatte die Hexe Frösche gekocht und befahl Ludmilla, sie dem Jüngling als Mittagessen zu bringen. Ludmilla wußte freilich, was hier gespielt wurde, sie wartete also, bis die Hexe aus der Stube ging, nahm dann die Gerte, die auf dem Schemel lag, merkte sich aber genau, wie sie vorher gelegen hatte. Dabei dachte sie sich: >Wie soll dieser arme Kerl Frösche essen? Ich will mein Mittagessen mitnehmen und es ihm geben.<
Dann begab sie sich zu Raduz und traf ihn mit bekümmerter Miene unter der Eiche an.
»Ach«, sprach sie zu ihm, »mach es dir nicht so schwer! Freilich, die Hausfrau hat dir gekochte Frösche zum Mittagessen geschickt, ich aber habe sie fortgeschüttet, denn ich habe mir gedacht, sie taugen nicht als Speise für dich. An ihrer Statt habe ich dir mein Mittagessen gebracht. Und vor deiner Arbeit brauchst du keine Angst zu haben«, fuhr sie nach einer Weile fort. »Sieh diese Gerte! Wenn ich den Boden hier mit ihr berühre, wird bis zum Morgen alles wachsen, blühen und reifen, wie es die Frau von dir verlangt hat.«
Da wußte Raduz nicht, wie er dem Mädchen danken sollte.
Ludmilla berührte den Boden mit der Gerte, und gleich sprossen Bäumchen hervor, schlugen aus, wuchsen, blühten und setzten Früchte an. Da war es Raduz freilich leichter ums Herz, und er aß, was ihm Ludmilla gebracht hatte. Dann begann er mit ihr zu reden. Und er hätte sich gerne bis zum Abend mit ihr unterhalten, sie jedoch mußte bald wieder nach Hause eilen.
Am Morgen brachte Raduz das Obst heim und gab es der Hexe. Die hatte natürlich nicht gedacht, daß er seine Aufgabe erfüllen würde, und schüttelte nur den Kopf.
»Nun, und was für eine Arbeit gebt Ihr mir heute?«fragte Raduz nach einer Weile.
Die Hexe führte ihn zu einem anderen Fenster und fragte ihn, was er hier sähe.
»Was sollte ich schon sehen? Da ist nichts als ein steiniger, mit Dornengestrüpp bedeckter Hang.«
»Nun gut. Nimm die Hacke, die hinter der Tür steht, und geh hin!
Rode den Hang, pflanze Weinstöcke, und morgen früh bringst du mir die reifen Trauben.«
Raduz tat, wie ihm geheißen, und begann den Hang zu roden. Doch kaum hatte er mit der hölzernen Hacke zugeschlagen, da ging sie auch schon in Stücke.
>Ach, ich Unglückseliger, was soll ich nun beginnen?<dachte er sich. Er warf den Stiel fort und setzte sich bekümmert auf einen Stein, denn es war nicht einmal daran zu denken, daß er die Arbeit bis zum Morgen vollbringen könnte. So saß er lange Zeit in Gedanken versunken da und wartete, was nun wohl geschehe.
Daheim hatte die Hexe inzwischen einen Topf Schlangen gekocht, und als es Mittag wurde, sprach sie: »Ludmilla, geh und bring das dem Diener.«
Ludmilla gehorchte und nahm auch gleich die Gerte und ihr eigenes Mittagessen mit. Raduz hatte ihr Kommen kaum mehr erwarten können, und sein Herz begann freudig zu schlagen, als er sie von ferne sah.
»Gut, daß du kommst!« sprach er, als sie bei ihm war, »ich sitze schon seit dem Morgen bekümmert hier. Die Arbeit will mir nicht glücken, auch ist die Hacke in Stücke gegangen. Wenn du mir nicht hilfst, steht es schlimm um mich.«
»Ach, mach dir nur keine Sorgen«, erwiderte Ludmilla. »Die Hausfrau hat dir zwar gekochte Schlangen geschickt, ich habe sie jedoch weggeschüttet und habe dir mein Mittagessen gebracht. Auch die Gerte habe ich mitgenommen. Wir werden den Weinberg schon schaffen, und bis zum Morgen wirst du der Frau die Trauben bringen können.«
Sie reichte ihm das Essen und berührte den Boden mit der Gerte. Sogleich begann es zu sprießen, zu wachsen und zu blühen, und schon setzten die Weinstöcke auch Trauben an.
Ein Weilchen unterhielten sie sich noch miteinander, dann nahm Ludmilla das Eßgeschirr und die Gerte und ging nach Hause.
Am Morgen kam Raduz mit den Trauben. Die Hexe wollte ihren Augen nicht trauen. Er jedoch verlangte eine neue Arbeit. Da führte
sie ihn unverzüglich zum dritten Fenster und sagte ihm, er solle hinausschauen und ihr sagen, was er da sehe.»Was sollte ich schon sehen? Da ist nichts als ein großes steiniges Brachfeld.
»Gut, und von dort mußt du mir bis zum Morgen Mehl bringen und daraus Brot backen. Wenn du es nicht tust, wirst du was erleben!«
Raduz erschrak ein wenig, als er diese Drohung vernahm, doch was sollte er machen? Er ging kurz entschlossen an die Arbeit.
Das Obst und die Trauben aber wollten der Hexe nicht aus dem Kopf.
»Alter«, sprach sie zum Hexenmeister, »das geht nicht mit rechten Dingen zu! Unser Mädchen steckt mit diesem Diener unter einer Decke, denn er selber hätte das alles nie fertiggebracht. Ich muß der Sache auf den Grund gehen, und dann will ich es den beiden schon zeigen! Heute bringe ich ihm das Mittagessen selbst.«
»Ach du«, erwiderte darauf der Hexenmeister, »was redest du da? Ludmilla ist ein braves Mädchen. Wir stellen doch ihre Treue schon seit langer Zeit auf die Probe. Sie ist über jeden Zweifel erhaben. Gib also Ruhe, wozu willst du den beiden nachspionieren?«
»Warte nur, warte nur, Alter, du wirst schon noch sehen! Mir jedenfalls läßt die Sache keine Ruhe.«
»So oder so«, erwiderte nun der Hexenmeister, »jetzt ist's genug! Ich dulde nicht, daß du hier Unheil stiftest!« Die Hexe verstummte.
Inzwischen hatte sie Eidechsen gekocht und schickte Ludmilla mit dem Mittagessen fort. Das Mädchen freilich ahnte bereits, daß die Alten über sie gestritten hatten und daß der Hexenmeister für sie eingetreten war. Deshalb nahm sie die Gerte ganz vorsichtig vom Tisch, versteckte sie unter der Schürze und ging mit dem Eßgeschirr fort, als sei nichts geschehen.
Raduz hatte inzwischen einige Steine auf dem Feld gesammelt, doch wie sollte er daraus Mehl und Brot machen? So erwartete er Ludmilla schon sehnsüchtig, und endlich sah er sie eiligen Schrittes nahen.
»Ich hätte dir gekochte Eidechsen bringen sollen«, rief sie ihm schon von weitem zu, »doch mich hat es geärgert, daß sie dir so ein widerliches Mittagessen schicken, so habe ich dir lieber meines gebracht« — und sie reichte es ihm mit einem freundlichen Lächeln.
»Die Hausfrau hat Verdacht geschöpft, daß ich dir helfe. Der Alte hat sie aber umzustimmen gewußt. Wenig hat gefehlt, und sie wäre selbst mit dem Essen gekommen, dann hätte sie sogleich herausgekriegt, wie wir das machen. Das hätte dich wie mich das Leben gekostet.«
»Ach, du mein Alles, ich sehe schon, wie sehr du mir geholfen hast«, sprach Raduz. »Wie soll ich dir das jemals vergelten?«
So hätten sie gerne noch länger miteinander gesprochen, doch da erinnerte ihn Ludmilla daran, daß noch die Arbeit verrichtet werden mußte.
Und als sie den steinigen Boden mit der Gerte berührte, stand auch schon eine Mühle da, und das Mühlenrad drehte sich polternd. Das Mehl rann in den Trog, der Brotteig ging auf, und im Backofen brannte Feuer.
Ludmilla sah noch einmal nach dem Rechten, dann eilte sie nach Hause.
Am Morgen brachte Raduz das frisch gebackene Brot, und die Hexe wäre vor Zorn fast zersprungen. Sie ließ sich jedoch nichts anmerken, sie sagte lediglich: »Ich sehe, daß du alles wohl verrichtet hast, was ich dir anbefohlen habe. Nun ruh dich tüchtig aus.«
Der Abend kam. Die Alte hatte mit dem Alten etwas ausgeheckt, und nun befahl sie Raduz, den großen Kessel mit Wasser zu füllen. Als das geschehen war, stellte sie den Alten zum Kessel, er solle das Wasser heiß werden lassen, wenn es dann kochte, solle er sie rufen. Ludmilla brachte dem Alten aber sehr starken Wein, von dem er einschlief. Dann ging sie zu Raduz und sprach zu ihm: »Siehst du, so liegen die Dinge: du sollst in diesem Kessel gekocht werden, wenn man dich am Morgen noch hier antrifft. Ich jedoch will dich retten und will mit dir gehen, wenn du mir schwörst, mich niemals zu verlassen.«
Nur allzugerne schwor ihr Raduz Treue, denn er hätte sie ohnehin für nichts auf der Welt mehr hergegeben. Nun spuckte Ludmilla auf ein Holzscheit im Ofen, steckte die Zaubergerte ein, und dann eilten beide von hinnen.
Bald darauf erwachte der Zaubermeister.
»Diener«, rief er, »schläfst du noch?«
»Ich schlafe nicht«, erwiderte der Speichel, »ich räkele mich nur noch ein wenig.«
Nach einem Weilchen rief der Zaubermeister abermals: »Diener, steh auf, bring mir die Stiefel!«
»Gleich, gleich«, antwortete der Speichel. »Warte nur noch einen Augenblick, bis ich mir die Pantoffeln anziehe.«
Da erwachte auch die Hexe: »Ludmilla, steh auf, reich mir den Rock und die Schürze!«
»Gleich, gleich«, antwortete der Speichel, »ich will mich nur schnell zurechtmachen.«
»Was ist denn los mit dir«, sagte die Hexe, »daß du dich so langsam ankleidest?«
»Sofort«, antwortete der Speichel.
Da riß der Hexe die Geduld, sie hob den Kopf und sah das leere Bett.
»Der Teufel soll das holen! Alter, schau an! die beiden sind nicht da!
Schau die leeren Betten! Sie sind davongelaufen!«
»Daß sie die Hölle verschlinge«, erwiderte der Hexenmeister.
Sie erhoben sich, und die Hexe begann zu schimpfen: »Da hast du nun deine treue Ludmilla! Schön hat sie dich an der Nase herumgeführt! Schenk du nur noch einmal einem Mädchen Glauben, du alter Hohlkopf!«
Betreten schwieg der Alte.
»So, und jetzt eilst du ihnen nach, und daß du sie so bald wie möglich erwischst und zurückbringst!«
Der Alte brach auf und flog davon.
Da sprach Ludmilla zu Raduz: »Ach, wie brennt mir doch die linke Wange! Blick zurück, Liebster mein, siehst du etwas?«
»Ich sehe nichts«, erwiderte er. »Nichts außer einer schwarzen Wolke, die fliegt hinter uns her.«
»Wehe, wehe, das ist der Alte auf einem schwarzen Roß«, sprach Ludmilla. »Bleib stehen, wir müssen uns vorsehen.« Sie berührte mit der Gerte den Boden, und dieser verwandelte sich in einen Acker, sie wurde zu Gerste und verstreute sich auf dem Acker, ihn stellte sie hin und hieß ihm tun, als mähe er das Korn. Wenn der Alte käme, solle er ihm klug antworten.
Da kam der Alte auch schon in der schwarzen Wolke mit Donner und Hagelschlag herbeigebraust, fast hätte er das ganze Korn vernichtet.
»Ach, Alter«, sprach der Schnitter zu ihm, »vernichtet mir nicht das ganze Korn, ein wenig davon soll doch noch für mich übrigbleiben.«
»Ich will es dir lassen«, erwiderte der Alte und sprang vom Pferd, »sag mir aber, ob du hier zwei junge Leute auf der Flucht gesehen hast!«
»Nein, seitdem ich hier mähe, ist keine Menschenseele des Weges gekommen. Doch als das Korn hier gesät wurde, sollen zwei junge Leute, wie du sie beschreibst, gesehen worden sein.«
Der Hexenmeister schüttelte den Kopf, verschwand in der Wolke und begab sich nach Hause.
Raduz und Ludmilla aber setzten ihren Weg fort. »Nun, was hast du ausgerichtet, mein Herr und Gebieter«, sprach die Alte zum Hexenmeister, »da du so schnell zurückgekehrt bist?«
Und er erwiderte: »Weiß der Teufel, wo die beiden stecken! Ich habe keine Menschenseele gesehen außer einem Schnitter und viel Korn.«
»Ach, du Dummkopf, das waren sie doch! Wie hast du dich so täuschen lassen können? Warum hast du von diesem Korn nicht wenigstens eine einzige Ähre heimgebracht? Auf der Stelle eilst du ihnen nach!«
Der Alte schwieg betreten und flog davon.
»Ach«, sprach Ludmilla nach einer Weile, »wie brennt doch meine linke Wange, blick zurück, Raduz, schau nach, was da hinter uns los ist!«
»Nichts«, antwortete er, »nur eine graue Wolke fliegt hinter uns her.«
»Wehe, wehe, das ist der Alte auf seinem Apfelschimmel. Hab aber keine Angst und gib ihm nur eine kluge Antwort!« Dabei berührte sie mit der Gerte ihr Hütchen, und dieses verwandelte sich im Nu in eine Kapelle.
Sie selbst wurde eine Fliege, und sie schuf noch viele andere Fliegen um sich herum. Raduz aber machte sie zum Einsiedler in dieser Kapelle, und er sollte nun den Fliegen predigen.
Da kam auch schon die graue Wolke mit Schnee und Eis herangepfiffen und verbreitete eine Kälte, daß das Dach nur so krachte. Der Hexenmeister sprang vom Pferd und begab sich in die Kapelle zum Einsiedler.
»Habt Ihr«, sprach er, »hier nicht zwei Wanderer gesehen, ein Mädchen und einen Jüngling?«
»Wo sollen sie denn herkommen?« erwiderte der Einsiedler, »seit ich hier lebe, predige ich nur den Fliegen da. Doch damals, als diese Kapelle erbaut wurde, sollen zwei junge Menschen hier vorübergekommen sein. Aber ich bitte Euch«, fügte er hinzu, »laßt mir die Kälte nicht herein, sonst erfrieren noch meine Zuhörer.«
»Hab nur keine Angst, ich geh ja schon. Bin ich doch ganz vergeblich bis hierher geeilt!«
Und mit diesen Worten flog er davon.
Die Alte erwartete ihn schon im Hof. Und als sie sah, daß er allein zurückkehrte, schrie sie ihn sofort an: »Ach, du Nichtsnutz, wieder bringst du niemanden zurück, wo hast du denn die beiden gelassen?«
»Wo soll ich sie denn gelassen haben, da ich sie doch nirgends gesehen habe? Nur eine Kapelle stand dort, und in dieser predigte ein Einsiedler den Fliegen. Ich habe so eine Kälte gegen sie losgelassen, daß alle fast erfroren wären!«
»Ach, du Schafskopf, das waren sie doch! Konntest du nicht wenigstens eine Dachschindel mitnehmen? Aber warte, ich kriege sie schon!«
Mit diesen Worten raffte sie sich auf und flog davon.
»Ach«, sprach da Ludmilla wieder, »wie brennt doch meine linke Wange! Dreh dich um, Raduz, schau, ob uns jemand verfolgt!« »Ja, eine rote Wolke ist hinter uns her.«
»Das ist die alte Hexe auf ihrem Rotfuchs. Bis jetzt ist alles ein Kinderspiel gewesen. Nun mußt du dich aber sehr zusammennehmen, damit wir mit ihr fertig werden. Schau, ich verwandle mich in eine goldene Ente und werde auf diesem Meer hier herumschwimmen. Du tauche im Wasser unter, sonst verbrennt sie dich. Wenn sie mich aber haschen wird, eile zu ihrem Pferd, ergreif es am Zügel, alles Weitere wird sich dann ergeben.«
Da kam die Alte schon herangebraust, und sie verbreitete so eine Glut, daß alles rundherum verbrannte. Am Ufer des Meeres sprang sie vom Pferd und begann die Ente zu haschen. Diese jedoch lockte sie immer weiter hinaus, bis sie sich ein gutes Stück von ihrem Pferd entfernt hatten.
Da sprang Raduz aus dem Meer und ergriff die Zügel des Pferdes. Sogleich kam auch die Ente zu ihm geflogen und verwandelte sich wieder in ein Mädchen. Beide schwangen sich auf das Pferd und flogen über das Meer davon.
Als die Hexe das sah, begann sie fürchterlich hinter den beiden herzufluchen. Sie verwünschte Raduz, daß er Ludmilla vergesse, sobald ihn jemand küßte. Ludmilla aber rief sie nach: »Du nichtsnutziges Ding du, sieben Jahre lang sollst du diesen Kerl nicht sehen!«
Die Hexe mußte den ganzen Heimweg zu Fuß zurücklegen. Nun hatte sie ihre Zauberkraft restlos eingebüßt, und ihr Mann lachte sie tüchtig aus, weil sie sich so hatte an der Nase herumführen lassen.
Raduz und Ludmilla flogen nun auf dem Pferd dahin, bis sie zu der Stadt gelangten, in der die Eltern des Jünglings lebten.
»Was gibt es hier Neues?«fragte Raduz einen Bürger, dem sie auf der Straße begegneten.
»Was sollte es schon Neues geben?« erwiderte der Mann, »unser König, seine Söhne und die Töchter sind gestorben, nur die alte Königin ist noch am Leben und weint ununterbrochen ihrem letzten Sohn nach, der sich irgendwo in der Welt herumtreibt. Wir aber haben nichts als Streit und Hader, weil wir nicht wissen, wer nun König werden soll.«
»Gestorben sind sie?«meinte Raduz. »Ja, das ist wahrlich eine traurige Nachricht!«
Erließ den Bürger stehen und nahm Ludmilla zur Seite. »Weißt du, was wir nun tun? Du bleibst hier bei diesem Brunnen, denn in den zerrissenen Kleidern, die du jetzt trägst, kannst du nicht vor meine Mutter hintreten. Versteck dich hinter dem dichten Baum da und warte, bis ich zurückkehre. Ich will mich inzwischen ins Schloß begeben, und wenn man mich erkannt und zum König ausgerufen hat, kehre ich zurück und bringe dir schöne Kleider.«
Ludmilla war damit einverstanden.
Raduz begab sich ins Schloß. Die Mutter erkannte ihn sofort. Mit ausgebreiteten Armen eilte sie ihm entgegen, umschlang ihn überglücklich und versuchte ihn zu küssen. Er jedoch ließ es nicht geschehen. Auch die übrigen erkannten ihn, sie riefen ihn zum König aus, ein großes Festmahl wurde bereitet, und da ging es hoch her wie schon lange nicht.
Raduz, der von der langen Reise müde war, legte sich früher als die anderen zur Ruhe, und während er schlief, kam seine Mutter und küßte ihn auf beide Wangen. Von diesem Augenblick an hatte er seine Ludmilla ganz und gar vergessen. Ja, er nahm sogar eine andere zur Frau.
Die verlassene Ludmilla jammerte und klagte lange, was nun beginnen. Die Arme wußte nicht, wohin sie sich wenden sollte, also stellte sie sich unweit des Schlosses neben einen Bauernhof hin und verwandelte sich in eine wunderschöne Pappel. Diese Pappel war eine Zierde für den ganzen Hof, ja für das ganze Land, nur dem König selber wollte sie nicht gefallen. Es ärgerte ihn, daß sie die Aussicht aus seinem Fenster verstellte. Schließlich verlor er die Geduld und
befahl, den Baum zu fällen. Der Bauer bat ihn sehr, die schöne Pappel doch stehen zu lassen, aber all sein Flehen fruchtete nicht, der König ließ den Baum fällen.Kurze Zeit später begann genau vor dem Schloß ein schöner Birnbaum zu wachsen, der goldene Birnen trug. Und wenn man sie auch am Abend pflückte, waren bis zum Morgen wieder neue herangereift. Der König ließ sie jeden Tag holen, und er mochte diesen Baum sehr gern. Die Königin jedoch konnte und konnte ihn nicht leiden. »Ach«, sprach sie immer wieder zum König, »wenn die Birne doch bald verdorrte! Wie sehr ärgert mich dieser Baum!«
Der König versuchte sie immer wieder umzustimmen und bat sie, endlich Ruhe zu geben, der Baum wäre doch so schön. Die Königin jedoch redete und redete auf ihn ein, bis der König schließlich ihren Willen erfüllte und den Birnbaum fällen ließ.
Da gingen die sieben Jahre auch schon zu Ende. Ludmilla verwandelte sich also in eine goldene Ente und schwamm vor den Fenstern des Königsschlosses auf und ab und schnatterte dabei. Schließlich bemerkte sie auch der König, und da war es ihm, als hätte er diese Ente schon irgendwo gesehen. Er befahl also, sie zu fangen. Doch niemand vermochte die Ente zu erhaschen. Er ließ Fischer und Vogelfänger aus dem ganzen Lande kommen, doch auch diesen glückte es nicht. Das ärgerte den König von Tag zu Tag mehr.
»Da dem nun so ist«, sprach er einmal, »daß niemand meinen Wunsch erfüllen kann, will ich selbst mein Glück versuchen.«
Und er begab sich auf den See und verfolgte die Ente. Die Ente schwamm lange hin und her; er ihr immer nach. Schließlich fing er sie dennoch. Kaum hielt er sie in seinen Händen, verwandelte sich die goldene Ente in die wunderschöne Ludmilla, und diese sprach: »Schlecht hast du mir meine Treue vergolten! Ich aber vergebe dir, da es anders gar nicht hatte kommen können.«
Der überglückliche Raduz brachte seine Ludmilla ins Schloß und führte sie schnurstracks zur alten Königin. »Das ist sie«, sprach er, »die mir so viele Male das Leben gerettet hat. Sie soll mein Weib sein und keine andere.«
Die erste Frau ließ er auf der Stelle ziehen und heiratete Ludmilla. Ach, war das eine prunkvolle Hochzeit! Und von nun an lebten sie glücklich und zufrieden, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch.
Die hölzerne Kuh
Vor Zeiten lebte einmal eine Königstochter, die um keinen Preis der Welt lachen wollte. Nicht einmal für ihre Freier hatte sie ein Lächeln übrig, und dabei hätte sie auf jeden Finger leicht zehn Bewerber finden können, so schön und so reich war sie. Die Eltern wußten sich keinen Rat mehr mit ihr. Schließlich ließen sie im ganzen Land verkünden, daß sie den, der sie zum Lachen brächte, mit Gold aufwiegen wollten. Da strömten die Spaßmacher aus allen Himmelsrichtungen herbei: doch sie alle mußten wieder mit Spott und Schande von hinnen ziehen. Bald versuchte es keiner mehr.
Der Herr König persönlich saß voller Sorgen bei seiner Tochter, um sie ein wenig zu erheitern, als plötzlich die Tür aufging und jemand seinen Wuschelkopf in die Stube steckte: »Bitte untertänigst fragen zu dürfen, ob Herr König zu Hause sind?«
»Ja, wer bist du denn, und was willst du hier, du Galgenstrick?« schrie ihn der König an.
»Bitte untertänigst, ich komme, um mir mein Recht bestätigen zu lassen!«
»Was für ein Recht, zum Teufel? Gibt es bei euch zu Hause keinen Dorfschulzen oder Richter?«
Und der König hätte den sauberen Gast sicher davongejagt, wenn da nicht das bisher so ernste Fräulein Tochter zum ersten Mal seit drei Tagen den Mund aufgetan hätte, um zu erklären, so einfach ginge das nicht, der König sei schließlich auch dazu König, daß er jeden anhöre und niemanden abweise.
»He, du dort!« rief sie, »erzähl uns, wo dich der Schuh drückt!«
»Eben, eben, deshalb bin ich ja schließlich gekommen«, sagte nun Jakob, denn er war es, Jakob, der Kuhhirt aus dem Dorf.
Dann nahm er die Schaffeilmütze von seinem Wuschelkopf, hängte sie an seinen Schäferstock, und so wie er war, im Hemd mit seinem Gürtel, in seinen groben Leinenhosen und in Bundschuhen trat er vor den König und sein Töchterchen hin und trug seine Sache vor, einfach und unverblümt, wie er es eben verstand. Der Herr König hörte jetzt zu, weil auch sein Töchterchen zuhörte, die ja sonst jeden hinauswerfen ließ, sobald er nur den Mund auftat.
Es war im Dorf ausgetrommelt worden, daß ein jeder, ob er nun eine Kuh besaß oder nicht, dem Kuhhirten zahlen müsse, damit Gleichheit und Gerechtigkeit herrsche.
>Zum Teufel mit so einer Gleichheit und Gerechtigkeit<, dachte sich da der Herr Krajec, >was soll mir das, da ich doch gar keine Kuh habe, ja nicht einmal ein armseliges Kälbchen? Warte nur, Gevatter, mit dir werde ich schon fertig! Es fällt mir auch nicht im Traum ein, dir für nichts und wieder nichts gebratene Tauben ins Maul zu stopfen!< Er schnitzte aus Holz eine Kuh und ließ sie vom Hirten auf die Wiese führen. Er ermahnte ihn auch noch, er solle sie gut hüten und sie am Abend wie die anderen Kühe nach Hause bringen.
»Das könnte dir so passen«, überlegte der Kuhhirt und kratzte sich hinter den Ohren. Übernehmen mußte er sie freilich, bekam er doch auch für sie bezahlt. So blieb ihm nichts anderes übrig, als die hölzerne Kuh schön brav auf seinem Buckel hinter der Herde herzutragen und sie jeden Abend dem Herrn Krajec wieder nach Hause zu bringen.
Nachher kamen der Herbst und die Fröste, und dem Kuhhirten begannen die Finger zu frieren. Auf der Wiese war weit und breit kein Holz zu finden. Da nahm er am Ende die hölzerne Kuh, schlug sie mit der Axt in Stücke, machte daraus ein Feuer und wärmte sich.
»Wo ist meine Kuh?« rief der alte Krajec am Abend, als die Kuh nicht heimkehrte.
»Wo sie ist? Damit Ihr es genau wißt, ich habe sie auf dem Feld erschlagen«, sagte der Kuhhirt.
»Na warte nur, Jakob, das wird dich teuer zu stehen kommen!« Der Kuhhirt zuckte nur mit den Achseln, irgendwie wird es schon werden, dachte er sich. Der alte Krajec aber lief schnurstracks zum Herrn Dorfrichter: »Herr Richter«, sprach er, »ich hatte eine Kuh. Für diese Kuh habe ich bezahlt, wie Ihr befohlen habt, und Jakob hat sie auch brav mit den anderen Kühen den ganzen Sommer über auf die Weide geführt. Heute aber hat er die Kuh auf dem Feld geschlachtet, aber er hat mir nicht einmal ein Ohr von ihr heimgebracht. Nun, was sagt Ihr dazu?«
»Je nun, mein lieber Herr Krajec, darauf kann ich nur eines sagen: Kuh für Kuh!«
Alsbald wurde der Büttel ausgeschickt, der dem Kuhhirten auf trug, seine eigene Kuh dem hohen Gericht vorzuführen.
»Ach, edler Herr Büttel, unwürdig ist sie, ganz und gar unwürdig, vor dem hohen Gericht zu erscheinen. Richtet bitte aus, man möge sich doch ein wenig gedulden, bis ich sie gebürstet und gestriegelt habe!«
Damit tat der Kuhhirt den Büttel ab, und weil er wußte, woher der Wind wehte, dachte er sich: >Wehe, wenn man so einem hohen Herrn Richter in die Hände fällt. Mit meinem Kälblein werdet ihr euch nicht die Bäuche füllen. Ich will euch einen anderen Braten unter die Nase stecken!<
Er führte die Kuh auf die Tenne und schlachtete sie. Das Fleisch hing er mit Haken an die Balken, um es am nächsten Tag zu verkaufen, die Haut aber zog er über vier hölzerne Stelzen, weil die Kuh des Krajecja auch nur auf hölzernen Beinen gestanden hatte. Da ließ nun der Richter einen Beschluß verkünden, daß jeder, der es wagen sollte, vom Kuhhirten auch nur für einen Kreuzer etwas zu kaufen, das Fleisch mitsamt dem Geld verlieren solle, und außerdem werde man ihn auch noch ins Gefängnis sperren. So bekam der arme Kuhhirt nichts für seine Kuh, denn die Leute hatten Angst, gegen das Gebot des Richters zu handeln. Freilich fanden sich auch etliche, die davor nicht zurückschreckten. Und so tat auch der Hund aus dem Pfarrhaus mitsamt seiner munteren Meute. Sie stellten sich in der
Scheune unter den Balken hin, starrten das Fleisch an, wedelten mit den Schweifen und leckten sich die Mäuler.
»Aha«, sagte der Kuhhirt, »ihr möchtet gern einkaufen, doch ihr habt kein Geld, nicht wahr? Das tut nichts, bei mir habt ihr Kredit, Hauptsache, ihr seid bereit, die Schuld anzuerkennen und sie zu bezahlen, wenn ich das Geld holen komme.«
Mit diesen Worten nahm er ein ganzes Schulterstück vom Balken. Die Meute bleckte die Zähne.
»Aha«, sagte er, »ihr könnt es wohl gar nicht mehr erwarten, daß ich es euch gebe? Gut so, wir sind also handelseinig, ja?«
Er warf ihnen das Stück hin, und der Hund aus dem Pfarrhaus schlug als erster die Zähne hinein. Da ließen sich die übrigen auch nicht bitten.
Was aber sollte Jakob mit dem übrigen Fleisch tun? Nichts leichter als das! >Ich will es<, dachte er sich, >kochen, dünsten, braten lassen und alle Nachbarn zum Schmaus einladen. Dann werden sie schon ein Auge zudrücken und mich auch der Reihe nach mit Frau und Kind bewirten. So kann ich den Winter gut überstehen.<
Als die Gäste um den Tisch saßen, nötigte er sie:
»Eßt nur, meine lieben Herren Nachbarn, eßt, als ob ihr zu Hause wärt, nehmt, als wäre es euer! Ich habe mich mit Fleisch versorgt, drum will ich nun auch euch versorgen.«
Die lieben Nachbarn aßen, tranken, bedankten sich und gingen. Und dann scherten sie sich nicht mehr um den Kuhhirten. So hatte er also vor den Nachbarn Ruhe, daheim aber sang die Frau Tag für Tag das gleiche Lied: »Leg mir etwas in den Kochtopf, weil du doch deine Kuh geschlachtet hast! Sieh doch die Kinder dort auf der Ofenbank, sie haben Hunger!«
So hatte der liebe Kuhhirt bald mehr Sorgen als Haare auf dem Kopf. Nach einiger Zeit besann er sich, daß er ja einen Schuldner im Pfarrhof hatte. Er ging hin und hielt Ausschau; er suchte den Hund auf dem ganzen Hof, im Holzschuppen, in der Scheune, im Stall, in allen Winkeln. Doch der brave Hund schien vom Erdboden verschwunden.
« Gut denn, wenn du dich nicht blicken lassen willst«, sagte sich der Hirte, »muß ich wohl andere Saiten aufziehen. Damit du es weißt, ich werde vor deinem Herrn Klage gegen dich erheben!«
Kaum hatte er den Kopf durch die Tür in die Pfarrstube gesteckt, sah er den Hund, der auf einem Auge blind war, ausgestreckt faul unter dem Tisch liegen.
»Hier steckst du also, du blinder Hund!«rief er. »bezahlst du jetzt, was du mir schuldest?«
Am Tisch aber saß der Herr Pfarrer persönlich. Und nun müßt ihr wissen, daß auch dieser Pfarrer auf einem Auge blind und auf dem anderen kurzsichtig war. Er mußte also glauben, daß die Worte ihm gegolten hätten. Wie besessen stürzte er auf den Kuhhirten los: »Was, du wagst es, mich einen blinden Hund zu schimpfen? Weißt du denn nicht, wer ich bin? Und was bin ich dir schuldig, du Habenichts, du Haderlump?«
Eilends verschwand der Hirte aus der Tür der Pfarrstube. Hals über Kopf rannte er aus dem Haus, und der Hunger hinter ihm drein; ein Glück, daß er ihn nicht erwischen konnte.
Aber nicht genug, daß er wegen seiner gerechten Forderung mitsamt dem Hund aus dem Haus gejagt wurde: der Herr Pfarrer hätte den Kuhhirten wegen seiner Respektlosigkeit wohl noch ganz anders gezüchtigt, wenn dieser nicht Reißaus genommen hätte.
»Warte nur, du Galgenstrick!« schrie der Herr Pfarrer. »Du entwischst mir nicht!«
Und er begab sich unverzüglich vors Hohe Gericht und hörte nicht zu klagen auf, bis der Herr Amtmann den Kuhhirten zu hundert Stockhieben verurteilt hatte.
Der arme Kuhhirt erfuhr davon erst, als der Büttel mit sechs starken Gehilfen vor seiner Hütte erschien, um ihn unter Bewachung dem Gericht vorzuführen. Da blieb ihm nichts anderes übrig, als durch die Hintertür in die Felder und von den Feldern in die weite Welt zu entfliehen. Lange wanderte er so dahin, von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt. In einer Stadt hielt er dann einmal an, stützte sich auf seinen Hirtenstab und staunte, staunte: denn er hatte noch nie ein
derart hohes Haus gesehen, und außerdem war dieses Haus auch noch grün!>So etwas!<dachte er kopfschüttelnd. >Ob hier wohl ein so besonderer Kalk gedeiht, daß man die Häuser grün streicht?<Und die Fenster, die waren so groß wie zu Hause die Türen! Und eines über dem anderen. Wie hier die Hühner wohl auf ihre Stangen hinaufgelangen, wenn doch alles so hoch ist? Und wo gibt es hier Ställe für die Schweine und für die Kühe, wenn es nirgends ein ordentliches Tor gibt oder einen Hof oder sonst etwas!
Und da begannen die Leute, die sich um ihn zusammengerottet hatten, hinter seinem Rücken zu kichern, weil er staunend dastand wie die Kuh vorm neuen Tor und weil sie gehört hatten, was für einen Unsinn er da vor sich hinmurmelte.
»Was, du Dummkopf«, riefen sie ihm zu, »weißt du denn nicht, wo du bist? Du stehst doch vor dem königlichen Palast!« »Was sagt ihr? Nun, dann könnt ihr mir ja auch etwas über den König selber erzählen!«
Ach, da hättet ihr sie nun hören sollen, wie die lachten, weil hier ja bereits jedes kleine Kind wußte, daß der König versprochen hatte, jenen mit Gold aufzuwiegen, dem es gelänge, die Prinzessin zum Lachen zu bringen. Sie ließen ihn ratlos stehen und gingen von dannen.
>Mit Gold aufgewogen werden, das wäre gar nicht übel, zu Hause habe ich nichts, und die Kinder jammern!<dachte sich der Kuhhirt, und dann: >Nichts wie hinein ins Schloß!<
Das Tor war breit genug -doch was sollte das wieder bedeuten? Vor dem Tor ging ein Recke mit blankem Säbel auf und ab, die Klinge blitzte wie Feuer, so scharf war sie geschliffen, und unser Hirte hatte schon oft gehört, daß so ein Recke seinem Säbel nur zu sagen brauchte: »Säbel, schlag zu!« und sofort ist jedermann um einen Kopf kürzer. Ach nein, dieses Tor hätte er um keinen Preis der Welt durchschritten!
Das hieß freilich noch lange nicht, daß er sein Vorhaben aufgegeben hätte.
Soll der Kerl sein Loch hier bewachen, dachte er sich, ein Vögelchen schlüpft überall durch!
Und er ging einfach um das Gebäude herum, es mußte ja irgendwo einen Hof oder einen Garten geben, dort würde er mühelos über den Zaun klettern können, und mochten dann auf dem Hof auch hundert Hunde sein, vor denen erschrickt ein tüchtiger Hirte nicht. Er braucht nur einmal durch die Zähne zu pfeifen, schon wedeln die Hunde mit den Schwänzen. Aber je weiter er ging, um so hoffnungsloser sah die Sache aus.
Denn es gab weit und breit keinen rechtschaffenen Zaun, wie das in einem Dorf zu sein hat, sondern nur Tore und wieder Tore, und auch hier standen überall sogar gleich zwei Recken mit blitzenden Säbeln. Dann aber, als Jakob schon sehr weit gegangen war, fand er hinter der zehnten Schildwache endlich eine unbewachte Mauer.
>Nun, auf irgendeine Weise werde ich schon zum Herrn König gelangen<, sagte er sich, und schon war er über die Mauer. Wirklich stand er nun in einem Garten, aber was für ein Garten war das? Stellt euch nur diesen Unsinn vor: nirgends auch nur die Spur von Petersilie oder Mohrrüben, wie sie ordentliche Hausfrauen brauchen, gar nichts weiter als Blumen und Rasen und Sträucher! Und wieviel Sand man da überall verstreut hatte! Den hätte unser ganzes Dorf nicht herbeischaffen können! Und wie schön man diesen unnützen Sand auch noch geglättet hatte!
>He<, dachte er sich, >da ist nicht zu spaßen, mit deinen verstaubten Schuhen kannst du hier unmöglich herumgehen.<
So ging er also über den Rasen und durch die Blumenbeete. Nicht zu glauben ist's, wie sich drei Kerle darüber aufregten, die bei den Blumen hockten und taten, als täten sie was, vielleicht klaubten oder pusteten sie gerade Staubkörnchen von den Blättern, wer weiß das schon? Wie Hunde kläfften sie von drei Seiten auf den Kuhhirten ein: »Du Lümmel, du Flegel, du wirst auf unseren Blumen herumtrampeln?«
Ja, sie hätten ihn mit ihren Knüppeln schön zugerichtet, wenn der Kuhhirte Jakob nicht zehnmal schnellere Beine gehabt hätte als diese
drei Muttersöhnchen hier zusammengenommen. Wenn sie es rechts versuchten, wich er nach links aus und war fort. Versuchten sie es von drei Seiten, entwischte er ihnen nach der vierten. Er ließ die Verfolger mühelos weit hinter sich, und sobald er ihren Blicken entschwunden war, schlüpfte er durch ein Türchen aus dem Garten. Zum Glück wußte er gar nicht, daß er sich nun bereits auf dem königlichen Hofe befand. Nichts wie weiter! Aber was war das wieder für ein Hof? Nicht der kleinste Kehrichthaufen weit und breit! So sauber hielt daheim seine Frau nicht einmal die Stube. Irgendwo muß doch aus einem so großen Haus der Kehrricht hinkommen, nicht? Man wird ihn doch nicht in Schränken aufbewahren? Und, mit Verlaub, die Jauche, wohin schafft man sie? Die konnte man sicher nicht verstecken, als wäre sie eine Stecknadel! So begann er in allen Ecken und Winkeln den Kehricht und den Düngerhaufen zu suchen. Doch da wäre es ihm fast wieder schlecht ergangen. Plötzlich war er von fünf Kerlen umringt, die packten ihn beim Schopf und schrien: »Du Landstreicher, du dreckiger, was spionierst du hier im königlichen Schloß herum? Erschießt den Spion! An den Galgen mit ihm!«Aber, aber, war das denn eine Art, einen Unschuldigen so mir nichts, dir nichts an den Galgen zu bringen?
»So hört doch, ihr guten Leute«, sprach er, »ihr habt wohl Tollkirschen gegessen, wie? Ich bin doch der Kuhhirt aus dem Dorf, und da hab ich mir gedacht, wenn du schon bei so einem großen Herrn wie einem Herrn König bist, mußt du doch nachsehen, was mit der Jauche geschieht. Und dann möchte ich zum Herrn König, damit ich sein Fräulein Tochter zum Lachen bringe.«
Sofort änderten die Kerle ihren Ton. Alle traten zur Seite, nur einer blieb bei ihm, gerade jener, der am vornehmsten gekleidet war.
»Nichts für ungut, braver Mann, es soll dir kein Leid zustoßen«, so begann er dem Kuhhirten zuzureden. »Und ich will dich auch«, fuhr er fort, »zum Herrn König bringen, wenn du mir den vierten Teil von dem versprichst, was du bekommst, wenn du die Prinzessin zum Lachen bringst.«
»Warum nicht?« meinte der Kuhhirt. »Warte hier auf mich.« Da setzte sich der Mann hin, um zu warten, aber zuerst zeigte er dem Kuhhirten den richtigen Weg, und dann verriet er ihm auch noch, wie er an den drei Türwachen vorbeikommen könne.
Frohen Mutes machte sich der Kuhhirt auf den Weg. Doch er wäre vor Schreck fast umgefallen, als ihn plötzlich die Wache mit Donnerstimme anschrie: »Halt, Kerl! Was willst du da?«
Er nahm allen Mut zusammen und antwortete jedesmal: »Ich gehe zur königlichen Fräulein Jungfer von wegen des Lachens!«
Da begann ihm die Wache jedesmal schönzutun, jede verlangte für sich den vierten Teil dessen, was er bekommen werde, wenn er's fertigbrächte, die Königstochter zum Lachen zu bringen.
»Und so bin ich nun also hier, Herr König«, sagte er jetzt. »Denn Jakob, der Kuhhirt aus unserem Dorf, ist kein anderer als ich, so wie ich hier stehe. Nun habe ich Euch wahrheitsgetreu berichtet, wie es mir ergangen ist, und ich bin glücklich, daß Euer Fräulein Tochter wenigstens hie und da bei meiner Erzählung mit einem Mundwinkel gelächelt hat.«
»Vortrefflich hast du das gemacht, mein Sohn«, sagte der Herr König und klopfte ihm auf die Schulter, »jetzt sage mir nur noch, was du als Belohnung für deine Erzählung haben willst!«
»Ich habe Euch doch schon am Anfang gesagt, daß ich nur gekommen bin, um mir mein Recht bestätigen zu lassen, mein Recht, Herr König, mein Recht sollt Ihr mir bestätigen, alles was recht ist: die mir vom hochlöblichen Gericht zugesprochenen Stockhiebe!«
»Jakob, Jakob«, sagte der König, »hör nur auf zu spaßen! Es ist mein voller Ernst, daß ich dich mit Gold aufwiegen lasse, da du doch meine Tochter erheitert hast.«
»Ach ja, Herr König, auch ich meine es ernst, daß Ihr mir, und zwar mit Unterschrift und Siegel, meine hundert Stockschläge bestätigen sollt, als mein Teil dafür, daß ich Euer Fräulein zum Lächeln gebracht habe. Denn ich will den Kerlen dort draußen, die mich jeweils um den vierten Teil meiner Belohnung erleichtern wollten, nichts schuldig bleiben.«
»So ist's recht, so ist's recht, lieber Vater, bestätige es ihm!« rief die Königstochter, lachte hell auf und klatschte in die Hände. »Diese Erpresserbande hat so eine Lehre längst verdient!«
Und so geschah es auch. Der König bestätigte das Gerichtsurteil gegen den Spaßvogel Jakob, lautend auf hundert Stockschläge, mit Unterschrift und Siegel, zahlbar jedoch auf den Hosenboden jener vier Wachen, die den vierten Teil von seiner Entlohnung gefordert hatten, weil sie unseren Jakob sonst nicht zum König gelassen hätten. Und Jakob, der Kuhhirte aus dem Dorf, lachte sich ins Fäustchen, als man den Kerlen tüchtig den Hosenboden straffzog.
Dann aber wollte man den guten Jakob nicht mit leeren Händen heimziehen lassen. Der König gestattete ihm, seine Stallungen zu besichtigen und alles, was dazu gehörte, also auch - ich bitte tausendmal um Vergebung -den Misthaufen. Vierspännig fuhr Jakob durch die Felder. Dort am Waldesrand stand der königliche Stall, und darin die Herde, hundert prachtvolle Kühe! Nun sagte man ihm, daß er von heute an der Oberste Kuhhirte der königlichen Herden sein solle und daß er auch Frau und Kinder hinbringen dürfe. Jetzt ging es Jakob, seiner Frau und seinen Kindern sehr gut. Ja, der König ließ ihn unter den hundert Kühen die schönste für sich selbst aussuchen, und als das die Kinder sahen, klatschten sie vor Freude in die Hände, und auch unser Märchen ist nun zu Ende.