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Märchen vom Balkan und den Mittelmeerinseln
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Lizenzausgabe mit Genehmigung von Interbooks, Zürich für Verlag Olde Hansen, Hamburg und Bertelsmann Reinhard Mohn OHG. Gütersloh die Europäische Bildungsgemeinschaft Verlags-GmbH, Stuttgart und die Buchgemeinschaft Donauland, Kremayr &Scheriau, Wien Diese Lizenz gilt auch für die Deutsche Buch-Gemeinschaft C. A. Koch's Verlag Nachf., Berlin - Darmstadt - Wien Umschlag- und Einbandgestaltung R. Metke Gesamtherstellung Mohndruck Reinhard Mohn OHG, Gütersloh Printed in Germany Buch-Nr. 08695 2 |
ZUR EINFÜHRUNG
Wenn hinten weit in der Türkei die Völker aufeinander schlagen«, dann konnten vor gut 150 Jahren die Zeitgenossen Goethes noch geruhsam ihre Zeitung lesen; und auch zur Zeit der berüchtigten Balkankriege im Anfang unseres Jahrhunderts haben unsere Großväter darüber wohl lebhaft diskutiert und mit stockendem Atem den Schauergeschichten montenegrinischer Herrscherintrigen gelauscht, bis schließlich im Sommer 1914 dröhnend der Einbruch der k. u. k. Truppen der österreichisch-ungarischen Armee in Serbien zum Beginn des ersten Weltkriegs führte und der berüchtigte Balkan seinen Einzug in die moderne Geschichte vollzog. Neben dem vormaligen Serbien, das mit dem Ende des zweiten Weltkriegs sich unter der Herrschaft Titos zum heutigen Jugoslawien erweitert hat, sind seither auch Bulgarien, Rumänien und Albanien unter russisch-sowjetische Beeinflussung geraten. Vom alten »mazedonischen«Reich ist damals staatspolitisch lediglich und nur höchst kurzfristig einmal gesprochen worden, bevor sich das von den Deutschen anfangs unterjochte Bulgarien auf die Seite der Alliierten stellte.
Das von alten Bäuerinnen, Bauern und Hirten dort heute noch einzeln und vor lauschenden Volksgruppen auf dem Lande, in den Häfen und Städten erzählte Märchengut ist volks- und stammesmäßig nur höchst beschwerlich voneinander zu trennen. Uralte hellenische Stoffe mischen sich in farbiger Fülle mit orientalischen, mazedonischen und türkischen Überbleibseln. Der Balkan ist eine anziehend schöne Landschaft, besitzt hohe Berge und sehr fruchtbare Täler. Klare Flüsse von grüner und tief dunkelblauer Färbung und fischreiche Seen zeichnen ihn aus. Das Klima ist durchweg warm, und neuerdings erschließt sich die Gegend auch dem modernen Touristenverkehr. Mais und Tabak gedeihen reichlich. Auf Bergen und Hügeln werden Schafe gezüchtet —trotzdem lebt das Volk ärmlich und bescheiden. Heimlich und hintergründig künden die Märchen des Balkans noch heute von den Sehnsüchten,
mit denen jahrhundertelang die Menschen dort sich über alles Elend zu trösten versuchten, das immer wieder durch wechselnde Eroberer und Eindringlinge ihr Glück getrübt und zerstört hat. Doch auch Humor und List sind dabei großgeworden. Ohne deren Hilfe können auf die Dauer Völker nicht gedeihen. Auch zeigen die hier heimischen Märchen von der Türkenzeit her mancherlei islamische Züge. Oft sind auch italienische und von Norden und Westen her österreichische und deutsche Einflüsse von ungarisch-madjarischen nicht zu trennen.Zum besseren Verständnis der folgenden Texte sei angemerkt, daß die »Lamia«in den slawischen und albanischen Märchen aus dem Griechischen stammt. Bulgarischem Volksglauben zufolge entsteht sie aus einem abgehauenen Schlangenkopf, der sich in einen Ochsen- oder Büffelhorn verkrochen hat. Nach vierzig Tagen sind Kopf und Horn zusammengewachsen, und die Lamia ist fertig. Sie hat einen Hundekopf mit großen spitzen Zähnen, vier Füße mit scharfen Krallen, einen Schwanz, an dessen Ende das angewachsene Horn sitzt. Ihr Körper ist mit großen, roten, fischartigen Schuppen bedeckt. »Para«ist eine kleine Kupfermünze von geringem Wert. »Somavila« ist eine in Bulgarien übliche Bezeichnung nymphenartiger Wesen; bei den Serben nennt man sie Vila, und vielerorts werden sie als schöne Frauen vorgestellt, die in Wäldern und Bergen, vornehmlich an Seen, hausen, während die Nachtigall Gisar von türkischen Bräuchen herrührt. (Sie wird auch, ans Persische anknüpfend, Bülbül genannt.) Die gelegentlich vorkommende »Kutschedra«entspricht als albanischer Ausdruck der griechischen Lamia, ist also ein menschenfressender Dämon.
Im zweiten Teil des Bandes bringen wir in fabelfreudiger Auslese Märchen von Mittelmeerinseln, wobei wir uns aus Raumgründen auf solche von griechischen Inseln und Malta beschränken. Das Märchengut der großen italienischen Inseln Sizilien und Sardinien wurde in Band 7 — Märchen aus Italien, Spanien und Portugal -, das von Korsika in Band 2 —Märchen aus Frankreich und den Niederlanden -einbezogen.
Acht Balkanmärchen sind dem Band »Mazedonische Märchen« aus dem Verlag Der Greif, Wiesbaden, entnommen; sieben Märchen von Zypern und anderen griechischen Inseln sowie vier von Malta stammende
wurden den »Inselmärchen des Mittelmeeres«entlehnt, denen der Eugen Diederichs Verlag, Düsseldorf, in seiner stattlichen, von Prof. Friedrich von der Leyen besorgten Reihe »Märchen der Weltliteratur« einen eigenen Band widmete. Den genannten Verlagen danken wir für die freundlichst gestattete Abdruckgenehmigung.Die bereits innerhalb unserer Gesamteinführung »Von den europäischen Volksmärchen«erwähnte »Gesellschaft zur Pflege des Märchengutes der europäischen Völker« erteilte uns dankenswerterweise die Erlaubnis, aus dem zweiten Band der von ihr veröffentlichten Sammlung bisher unerschlossenen Märchengutes das vortreffliche Märchen vom »Schicksal von Jannáki«aufzunehmen, das Marianne Klaar auf der Insel Apàno-Nissi gehört und aufgezeichnet hat. Es wurde ihr von einem gewissen Jànnis Skobelitís erzählt, über den es heißt: »Der Mann ist etwa 65 Jahre alt, kann lesen und mit orthographischen Fehlern schreiben. Doch schreibt er nur selten Briefe. Sein Leben lang war er Kapitän auf einem eigenen Kutter, als Beförderer von Waren und Personen; außerdem besitzt er Weinberge, Felder, Schafe und kleine Häuser, die er klug verwaltet. Er ist verhältnismäßig wohlhabend, aber er hat viele Kinder, so daß auch seine Töchter - wie es bei den meisten Familien der Insel der Fall ist -Dienstmädchen in Athen sein müssen, doch sorgt er für sie aus der Ferne. Seine Märchen erzählt er wunderbar lebendig.«
K.R.
MÄRCHEN VOM BALKAN
Von drei Schwestern wird eine Zarin
Es waren einmal drei Schwestern, die an jedem Morgen, sobald die Sonne aufging, in den Garten gingen und sie fragten: »Sonne, liebe Sonne, du herrliches Ei Gottes, sage uns an, welche von uns ist die schönste?«Jedesmal antwortete darauf die Sonne: »Die ältere ist schön, die zweite ist schön, aber eine schönere als die jüngste wird in aller Welt nicht gefunden.« Das mißfiel den beiden älteren sehr; sie empfanden einen großen Neid auf die jüngste und suchten nach einer Gelegenheit, sie zu verderben. An einem Sonnabend kochten sie Weizenkörner, als ob sie für ihre Mutter die Totenfeier halten wollten, richteten am Abend die Speise zum Totenmahl (aus gekochtem Weizen, Zucker und Nüssen), füllten einen Korb mit Brot und zogen alle zusammen zum Friedhof. Als sie dort angekommen waren, fragte die älteste: »Sind wir denn ganz von Gott verlassen? Wo ist die Hacke? Was nun, womit sollen wir hacken?« und wandte sich dann zur jüngsten: »Bleib du hier, Schwester, wir beide wollen gehen und die Hacke holen, oder, wenn du nicht bleiben magst, geh du selber und hole sie.« Es war um Mitternacht, die jüngste sagte ja, und die beiden anderen gingen nach Hause, als ob sie die Hacke herholen wollten. Das arme Kind, die jüngste, blieb allein auf dem Friedhof zurück und wußte vor aller Angst nicht, wo gehen und wo bleiben; sie wartete und wartete voller Verlangen auf die Rückkehr der Schwestern, aber die kamen nicht. Zuletzt stieg sie auf eine Pappel und dachte sich, mag nun kommen, was da will.
Bei Anbruch des nächsten Morgens erschien der Sohn des Zaren und wollte sein Pferd in dem Flusse tränken, der am Friedhof vorbeifloß. Er erstaunte sehr, weil das Pferd nicht trank, sondern nur wieherte und den Kopf in die Höhe streckte. Seine Diener trieben es wieder in den Fluß hinein, weil sie meinten, es begehre klareres Wasser, aber das Pferd ließ sich nicht zum Trinken bewegen. Da nun richtet der Prinz den Kopf in die Höhe, blickt scharf hinauf und sieht: Strahlen wie von der Sonne kommen aus der Spitze der Pappel, und oben steht etwas,
das einer Frauengestalt ähnelt. Er rief: »He, Jungfrau, was bist du, bist du ein Mädchen oder eine Samovila oder eine Heilige? Dein Gesicht hat meine Augen fast geblendet. Wenn du ein Mädchen bist, so steig herab, und ich will dich zur Zarin machen.« —»Ich bin keine Samovila, großer Zar, auch keine Heilige, sondern nur eine arme Waise ohne Vater und Mutter.« — »Komm herab zu mir und fürchte dich nicht.« —Da stieg das Mädchen herab, der Prinz nahm sie auf sein Pferd, und sie zogen samt den Dienern nach Hause. Als dort der alte Zar das Mädchen sah, war auch er erstaunt über ihre Schönheit und wartete nicht erst auf die Bitte des Sohnes, sondern erteilte ihm mit seinem Segen die Erlaubnis, sie zur Frau zu nehmen. Er schickte seinen Herold aus und ließ alle Bewohner der Hauptstadt, groß und klein, zum Feste laden. Dann wurde Hochzeit gefeiert, und es gab Schmause und Tänze, von denen noch lange erzählt wurde.Wie aber nahmen die Schwestern der Prinzessin das auf? Als sie hörten, welch glückliches Geschick ihre Schwester erwählt hatte, fraß der Neid nur noch stärker an ihnen und ließ ihnen keine Ruhe. Sie machten sich auf den Weg und wanderten als Bettlerinnen von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf, von Haus zu Haus. So kamen sie auch ans Schloß des Zaren und stellten sich da, als bäten sie um Gottes willen um eine Gabe. Die Prinzessin, ihre Schwester, saß um die Zeit gerade am Fenster, sah sie am Tore stehen und erkannte sie auf der Stelle. Sie taten ihr sehr leid, als sie sie in solchem Zustande sah, und sie schickte eine Dienerin und ließ sie zu sich heraufrufen. Und die Prinzessin fragte sie nach dem und jenem, endlich aber tat sie sich ihnen kund und lud sie ein, bei ihr zu bleiben. Die beiden blieben nun da und benahmen sich so liebevoll, als ob sie ihre Schwester wirklich liebhätten. Eines Tages im Winter traten alle drei Schwestern zusammen hinaus auf den Altan und setzten sich dort in die Sonne. Da sprachen die beiden älteren zu der Prinzessin: »Komm, wenn du magst, wollen wir dich lausen.« Sie war ganz vertrauensvoll und legte ihren Kopf in den Schoß der einen, aber die teuflischen Schwestern hatten gar nicht die Absicht, sie zu lausen, sondern als die Prinzessin so dalag, stachen sie ihr eine Nadel ins rechte Ohr, und sogleich wurde sie zu einem Vogel und flog davon. Darauf zogen die beiden Schwestern die Kleider der Prinzessin an und benahmen sich abwechselnd eine nach der andern, als wären sie die Prinzessin. Der Prinz verwunderte sich, wie es zugeht, daß seine Frau anders ist, machte sich aber keine großen Gedanken darüber, wie es zugehe.
Der Vogel, in den die Prinzessin verwandelt war, hatte sich nicht vom Hause entfernt, sondern kam ständig bei Nacht in den Garten, setzte sich auf einen Baum und rief: »Gärtner, Gärtner, schläft der Prinz?« — »Er schläft.« —»Schlafen meine bösen Schwestern?« — »Sie schlafen.« —»Schläft mein Söhnchen?« —»Es schläft.« —»Möge der Baum, auf dem ich sitze, sich verzehren, wie ich mich verzehre vor Sehnsucht nach meinem Söhnchen.« —Und sogleich vertrocknete der Baum, als sei er verbrannt. Genauso vertrockneten noch weiter des Nachts die schönsten Bäume im Garten des Zaren. Da nun der Gärtner einsah, daß es ihm selbst nicht gelingen könne, den Vogel zu fangen, meldete er es dem Prinzen. Der ging am Abend in der Dunkelheit hin und versteckte sich hinter einem Baum. Um Mitternacht kam auch wirklich der Vogel, setzte sich auf einen Baum und fing wieder zu rufen an: »Gärtner, Gärtner, schläft der Prinz?« — »Er schläft.« — »Schlafen meine bösen Schwestern?« —»Sie schlafen.« —»Schläft auch mein Söhnchen?« — »Es schläft.« —Aber kaum hatte der Vogel angefangen: »Möge der Baum verdorren«, da ergriff ihn der Prinz und brachte ihn zu sich ins Zimmer, und als er ihn bei Licht betrachtete, um zu sehen, was für ein Vogel das wäre, bemerkte er, wie eine Nadel in dessen Ohr flimmerte, zog sie heraus, und zu seiner großen Verwunderung stand auf einmal statt des Vogels die Prinzessin vor ihm. Da umarmte er sie mit Tränen in den Augen und fragte sie, warum sie das getan habe. Sie aber konnte vor Schluchzen nicht sprechen und antwortete nur: »Meine Schwestern!« Alsbald befahl der Prinz seinen Dienern, die Schwestern je an zwei Pferde zu binden, und die Pferde mit der Peitsche auseinanderzutreiben. Das geschah, und die Schwestern der Prinzessin wurden so in zwei Stücke gerissen. Prinz und Prinzessin aber lebten fortan ohne jeglichen Schaden und Gefahr.
Wie Adam die Tiere mit Namen benannte
Als Gottvater den Adam geschaffen und ihm den Namen Mensch verliehen hatte, schuf er auch alle Tiere, die es auf Erden gibt, groß und klein, aber Namen gab er ihnen nicht, sondern wollte hören, wie Adam die Tiere benennen werde. Gott selber wußte wohl um die Namen aller Tiere, aber er erwies dem Vater Adam die Ehre und brachte alle Tiere vor ihn, daß er einem jeglichen den Namen gäbe. »Sohn Adam«, sprach
Gott, »ich gebe dir etwas zu tun mit den Tieren da, die ich geschaffen habe; ich trage dir auf, ihnen Namen zu geben, denn alle Tiere sollen dir dienen, und darum mußt du auch jedes Tier bei Namen rufen können.« Nach Gottes Befehl traten nun alle Tiere vor Adam, verneigten sich vor ihm wie vor ihrem Zaren, und Adam gab einem jeden seinen Namen. Als derart alle Tiere beim Vater Adam vorbeimarschiert waren, ordneten sie sich, verneigten sich abermals vor ihm und gingen jedes an die Arbeit, wie Gott sie ihm verordnet hatte.Adam richtete sich auf und sprach zu den Obersten der Tiere: »Hört mich an, ihr Obersten, ich befehle euch, darauf bedacht zu sein, jeder für seine Untergebenen, daß jedes Tier ein Handwerk lernt und darin seine Arbeit findet; eins mag singen, eins pfeifen, eins mit den Flügeln rauschen, andre mit Armen und Beinen etwas verrichten. Mit einem Wort, jedes soll lernen, was es kann, aber irgend etwas muß es verstehen: mag es das niedrigste Handwerk sein, lernen muß es. Nach vierzig Tagen erwarte ich euch hier an dieser Stelle, daß jedes Tier seine Kunst vor mir zeige. Und ihr Untergebenen, habt ihr gehört, was ich euren Obersten befohlen habe? Jedes von euch soll gehorsam das Handwerk lernen, das sein Oberster lehren wird. Wer nicht bis zum vierzigsten Tage irgendeine Kunst gelernt hat, soll wissen, daß er dann vor der ganzen Versammlung beschämt werden soll, weil er nichts gelernt hat.«
Drauf gingen die Tiere fort, und jeder Oberste bemühte sich, seine Untergebenen irgendein Handwerk zu lehren. Nachdem neununddreißig Tage vergangen waren, fingen sie an, die Tiere herbeizurufen und in Herden zu versammeln, jede Art gesondert, um zum Vater Adam zu gehen und das Handwerk zu zeigen, das jedes Tier von seinem Obersten gelernt hatte.
Der Oberste der Störche allein hatte vergessen, seine Störche irgend etwas zu lehren, aber zum Glück für die Störche hatte er davon gehört, wie man die anderen Tiere zusammenrief, daß sie zum Vater Adam gehen und zeigen sollten, was sie in den vierzig Tagen gelernt hatten. >Daß Gott erbarm<, dachte er bei sich, als er merkte, daß er Adams Befehl vergessen hatte, >ich esse da immer Frösche und Schlangen und vergesse, meine Störche ein Handwerk zu lehren; das ist ja eine schöne Geschichte! Wie wird das vor Vater Adam ausgehen? Ich werde da mit Schanden bedeckt!< In solchen Gedanken flog er zu seinem Nest und überlegte, wie er es anfangen solle, noch eine Kunst zu erlernen und
seine Störche zu lehren, daß er sich vorm Vater Adam nicht zu schämen brauche.Zu der Zeit spazierte der Specht von Baum zu Baum und klopfte an die Bäume, damit die Ameisen herauskämen und er sie verzehren könne. Er wollte auch mit den Seinen zum Vater Adam und dies sein Handwerk vorführen.
Während nun der Storch nachdenklich dastand, hörte er das Klopfen des Spechts: tak, tak, tak!, und versuchte gleich, mit seinem Schnabel das Klopfen nachzumachen, aber so wie der Specht brachte er's nicht heraus, denn er vernahm nur, wie dessen Klopfen von einem nahen Berge widerhallte, und statt tak, tak hörte er klak, klak. Dies Geklapper versuchte er mehrmals, lernte es, versammelte sofort die Störche und lehrte sie klappern, wie er es selber konnte, und am nächsten Morgen machten sie sich auf zum Vater Adam, ihre Kunst zu zeigen.
Am vierzigsten Tage waren alle Tiere bei Vater Adam versammelt, und als sie sich in Herden aufgestellt hatten, fragte er jeden, was er gelernt habe. Da fingen alle nach der Reihe an ihre Kunst zu zeigen. Zuerst brüllte der Löwe mächtig, so daß alle Tiere erschraken. Da verlieh ihm Adam, daß er Zar über alle Tiere sein solle. Als der Esel das sah, beneidete er den Löwen und brüllte ebenfalls aus Leibeskräften, aber kein Tier erschrak vor seinem Gebrüll, und Adam verlieh zwar dem Esel, daß er brüllen dürfe, aber so, daß niemand vor seinem Gebrüll und Geschrei erschrecke. Daher kommt es, daß der Esel immer brüllt, um die Tiere zu erschrecken, weil er meint, er sei genausogut wie der Löwe. Nach ihnen zeigten alle Tiere ihre Künste: einer singt, einer pfeift, einer kann mit den Flügeln, andere mit Armen und Beinen etwas ausrichten, und so zeigte jeder, was er konnte, zuletzt auch die Störche ihr Klappern. Die aber, die nichts gelernt hatten, verurteilte Vater Adam, für alle Zeit stumm zu sein. Und wirklich, so verblieben alle Tiere bei den Namen, wie Adam sie ihnen gegeben, und bei den Künsten, die er ihnen damals verliehen hatte, so daß von dann an bis heute und in alle Ewigkeit einige singen und auf die Weise miteinander reden und sich untereinander verstehen, andere aber stumm bleiben und sich nur durch Zeichen verständigen.
Das Glück kommt von Gott
Es waren einmal zwei Brüder, beide sehr reiche Leute. Als sie nun alle ihre Angelegenheiten in Ordnung hatten und nichts mehr brauchten, beschlossen sie zu erforschen, ob das Glück der Menschen von Gott kommt oder von Menschen. Eines Tages stritten sie sich darüber, der ältere meinte, das Glück komme von den Menschen, der jüngere aber, von Gott. Um nun zu erfahren, was richtig ist, begaben sie sich zusammen auf die Reise und nahmen viel Geld mit. Als sie so unterwegs waren, kamen sie in ein Dorf und fragten dort, wer der ärmste sei; den ließen sie zu sich rufen, und als sie sahen, daß es ein ganz armer Kerl war, der gar nichts hatte, gaben sie ihm zwanzig Goldstücke und sagten: »Nimm dies Geld, aber du darfst niemals sagen: Gott sei Dank! Und nun leb wohl!«
Darauf zogen sie weiter. Der arme Mann, der so viel Geld in seiner Hand sah, konnte sich gar nicht genug freuen und ging eilends nach Hause, um vor seiner Frau damit zu prahlen. Die aber, statt sich zu freuen, schalt ihn, er sei dumm gewesen, daß er fremdes Geld angenommen habe, denn wenn er es verbraucht habe, werde er es nicht zurückzahlen können, und so trieb sie ihn an, das Geld den Leuten wiederzugeben. Er hörte aber nicht auf sie, sondern ging auf den Markt, zu sehen, was da für Waren ausliegen, um etwas anzukaufen, damit zu handeln und Geld zu verdienen. Als er so in Gedanken dahinging, geriet er an eine Fleischerei, und weil er so lange arm gewesen war, dachte er: >Ich will wenigstens jetzt eine Leber nehmen und meine Kinder einmal Fleisch essen lassen.< Er kaufte die Leber und begab sich auf den Heimweg. Unterwegs aber bemerkte er, daß über seinem Kopfe ein Rabe flog, und überlegte sich, daß der ihm die Leber rauben wolle. Deshalb verbarg er sie unter seinem Gewand. Als er nun nahe bei seinem Hause war, flog der Rabe herab, riß ihm die Mütze vom Kopfe und verschwand. Inder Mütze aber hatte der Mann das Geld geborgen, und all sein Geschrei wollte nichts helfen. Damit nicht genug; als er nach Hause kam und seiner Frau erzählte, was ihm geschehen war, fing die an mit ihm zu schelten und zu zanken: so einer sei er, sie habe schon gewußt, daß er das Geld an Adler und Raben verschwenden wird. Zuletzt fingen sie vor Gram an zu weinen und dachten mit Sorgen daran, woher sie das Geld nehmen sollten, wenn es zurückgefordert würde.
Ein Jahr war vergangen, da kamen die beiden Brüder wieder in das Dorf, um zu sehen, was der Arme mit dem Gelde gemacht hatte, ließen ihn zu sich rufen und fragten ihn. Er erzählte ihnen sein Unglück, und sie gaben ihm drauf dreißig Goldstücke mit den Worten: »Nimm auch dies Geld, aber du darfst den Namen Gottes nicht nennen, und nun leb wohl.« Der Arme nahm das Geld mit nach Hause, sagte aber seiner Frau nichts, sondern verbarg es in einem Topf, wo sie Kleie aufzubewahren pflegten, und ging auf den Markt, um Waren zu suchen und damit Handel zu treiben.
Während er dort war, kam auf der Straße vor seinem Hause ein Apfelhändler vorbei, und die Kinder wollten durchaus Äpfel haben. Da die Mutter zum Kaufen kein Geld hatte, brachte sie die Kleie und nahm dafür Äpfel. Weil aber der Apfelhändler nichts bei sich hatte, wo er die Kleie hineintun konnte, gab er der Frau auch für den Topf einige Äpfel und ging so mit Kleie und Topf davon. Am Abend kam der Mann und ging gleich zu dem Topfe, fand aber nichts, fragte dann die Frau, und die sagte ihm, daß sie den Topf dem Apfelhändler für Äpfel gegeben habe. Da begann der Mann zu schreien und die Hände zu ringen, aber der Apfelhändler war nicht mehr da.
Ein Tag verging nach dem andern, und als wieder ein Jahr um war, kamen auch die beiden Brüder wieder, um zu sehen, was der Arme mit dem Gelde gemacht habe. Der erzählte ihnen, wie es ihm damit ergangen war. Darauf gaben sie ihm zwei Bleikugeln, eine für ihn selbst, eine für seine Frau. Als er nun nach Hause kam und seiner Frau erzählte, was sie ihm gegeben hatte, warf die vor Ärger und Zorn darüber die Kugeln irgendwohin aufs Wandbrett.
Ihr Haus lag aber am Flußufer; dahin kamen einmal Fischer, denen die Bleikugeln vom Netze abgerissen waren, und sie fragten die Frau, ob sie kein Blei im Hause habe, dann möchte sie es ihnen geben, daß sie ihr Netz wieder instand setzen könnten. Die Frau erinnerte sich der beiden Kugeln, sie suchte sie und gab sie den Fischern. Als diese ihr Netz wieder in Ordnung hatten, versprachen sie ihr, das Netz in den Fluß zu werfen und ihr den ersten Fang, was es auch sei, für die Kugeln zu geben. Sie warfen das Netz aus, es fing sich nur ein einziger Fisch, den gaben sie der Frau und gingen davon. Am Abend schnitt die Frau den Fisch auf, wusch ihn aus und wollte ihn fürs Abendessen zubereiten, aber zu ihrer großen Verwunderung zog sie aus seinem Bauche ein Steinchen heraus, das leuchtete wie die Sonne. Sie wußte nicht, daß es
ein sehr kostbarer Stein war und benutzte ihn als Lampe. Ihrem Hause gegenüber wohnte ein Jude; der bemerkte, daß das Haus die ganze Nacht über hell war, und wunderte sich, woher der Arme Geld für eine Lampe habe, da er doch kein Brot hatte und die Kinder tagelang hungerten. Zuletzt wollte er doch sehen, was an der Sache ist, besuchte eines Abends den Armen und erstaunte sehr, als er sah, daß das, was da leuchtete, ein Diamant war. Bald darauf wollte der Jude den Stein kaufen und sagte zu den Armen: »Fordere, was du willst, nur gib mir das Steinchen.« Der arme Mann, der nicht wußte, daß der Stein einen hohen Wert hatte, antwortete: »Gib, soviel du magst.« Der Jude gab ihm zehn Goldstücke. Der Arme dachte, daß der Jude Spaß mache, und sagte wieder: »Gib, soviel du magst.« Darauf bot der Jude zwanzig, fünfzig und zuletzt hundert Goldstücke. Da nun begriff der Arme, wie die Sache stand, und gab den Stein dem Juden nicht, sondern sagte, er wolle ihn zum Zaren bringen und dem zum Geschenk machen.Das tat er und sagte dabei: »Zar, ich habe diesen Stein gefunden, und da ich erfahren habe, daß er sehr kostbar ist, habe ich mir überlegt, daß es nur dem Zaren zukommt, ihn zu besitzen; darum habe ich ihn hergebracht und mache ihn dir zum Geschenk.« Der Zar nahm den Stein an und fragte den Armen, was er sich als Gegengeschenk wünsche. Der aber wollte nichts. Zuletzt sagte ihm der Zar, er müsse etwas für den Stein nehmen, und der Arme antwortete, er sei mit allem zufrieden, was der Zar ihm geben wolle. Darauf fragte ihn der Zar, was und woher er sei, und schenkte ihm sein Heimatland, darin solle er sein wie ein zweiter Zar, die Abgaben für sich einziehen und tun, was ihm beliebt. Dann schickte er Leute dahin, die verkünden sollten, daß ein neuer Zar käme und sie diesem fortan gehorchen sollten.
Alles das hatte sich im Lauf eines Jahres ereignet. Der arme Mann war jetzt Zar über sein Heimatland. Die beiden Brüder, die jedes Jahr gekommen waren, um nachzusehen, was der Arme mit dem Gelde gemacht hatte, kamen auch dieses Jahr, um zu sehen, was er mit den Bleikugeln angefangen habe. Der Zar, der gerade am Fenster stand, sah die beiden kommen und ließ sie zu sich rufen. Sie wollten nicht gern gehen, konnten aber doch das Wort des Zaren nicht mißachten, sie gingen also, verneigten sich vor ihm und baten, ihnen zu sagen, weshalb er sie habe rufen lassen. Der Zar fragte sie, ob sie ihn nicht erkennten. Es kam ihnen nun gar nicht in den Sinn, daß jener arme Mann Zar geworden sei, und sie antworteten, daß sie ihn nicht kennten. Da gab er sich ihnen
kund und sagte: »Ich bin jener Arme, dem ihr Geld gabt, um ihn reich zu machen ohne Gottes Willen, aber ihr habt nichts ausgerichtet. Als ihr mir die zwei Kugeln gabt, damit meine Frau und ich uns umbringen sollten, da hat Gott mich erhoben und zu dem gemacht, was ihr seht. Darum erwartet auch ihr alles von Gott.«Da erkannte der ältere Bruder seine Sünde, bat um Vergebung und glaubte fortan, daß alles von Gott kommt und daß ohne Gottes Willen nichts ist.
Gutes wird mit Gutem vergolten
Es war einmal eine Mutter, die hatte auch einen Sohn; der Junge hatte aber keine Lust zu arbeiten. Er war zu faul. Die Mutter sagte ihm: »Aber Sohn, wenn du schon nichts anderes arbeitest, geh wenigstens mit dem Esel Holz holen.« Der Sohn aber antwortete: »Hol mir ihn doch, wenn du willst, daß ich nach Holz gehen soll.« Die Mutter holte ihm den Esel und sprach: »Da, ich habe dir den Esel geholt, nun geh also!« — »Setz mich auf den Esel, wenn du willst, daß ich nach Holz gehen soll!« sagte der Junge weiter. Da setzte sie ihn auf den Esel und sagte wieder: »Da, ich habe dich daraufgesetzt, mach vorwärts und geh!« Sie legte ihm auch noch das Beil auf den Esel und brachte ihn schließlich mit aller Mühe dazu, daß er ging.
Der Junge zog seines Weges, Holz zu holen. Nach einiger Zeit kam er ans Meer, da fiel ihm das Beil herunter. Er war zu faul, abzusteigen und es aufzunehmen, sondern blieb auf dem Esel sitzen und wartete. Da war aber ein Fisch aufs Trockene geraten und konnte nicht wieder ins Wasser kommen. Als der den Jungen sah, bat er ihn: »Du, Junge! Trag mich ins Meer, und was du willst, gebe ich dir.« — »Gib mir das Beil da«, antwortete der Junge, »wenn du willst, daß ich dich ins Wasser trage.«Der Fisch bewegte den Schwanz, hob den Stiel des Beils in die Höhe, so konnte der Junge es fassen, dann sagte er zu dem Fisch: »Was willst du mir nun geben, daß ich dich ins Meer trage?« »Was ich dir gebe?« antwortete der Fisch, »ich habe nichts, was ich dir geben kann, nur das kann ich machen: wenn du sagst: >Lengo und Sawe und das Meer<, dann wird dir alles zuteil, was du willst.«Da warf der Junge den Fisch ins Meer, der schwamm gleich fort, und der Junge blieb am Ufer stehen. Nun fing er an nachzudenken, was er tun und sich wünschen solle. Zuletzt fiel ihm ein, er wolle sagen, daß ihm ein Tisch mit Essen
hingestellt werden soll, und so sagte er: »Lengo und Sawe und das Meer! Es soll mir ein Tisch mit allerlei Speisen dastehen.«Und sogleich stand da der Tisch mit schönen Speisen vor ihm. Der Junge aß sich satt und ging dann ins Gebirge nach Holz. Wer sollte ihm aber nun das Holz sammeln? Er war zu faul dazu. Da sagte er wieder: »Lengo und Sawe und das Meer! Es soll mir Holz aufgelesen und auf den Esel geladen werden!«Sogleich war das Holz aufgelesen und dem Esel auf geladen. Der Junge ging mit dem Holz nach Hause.Unterwegs kam er am Zarenschloß vorüber. Die Zarentochter stand am Fenster, der Bursche sah sie und sagte: »Lengo und Sawe und das Meer; dies Mädchen soll schwanger werden.« Da wurde sie gleich schwanger ohne Mann. Das Kind in ihrem Leibe wuchs und wuchs, und sie wunderte sich: »Wie ist denn das gekommen? Und was soll ich meinem Vater sagen, wenn er es merkt?« Die Zarentochter war nämlich sehr schön, und ihr Vater hatte sie im Palast eingeschlossen, daß sie mit keinem Mann verkehre. Endlich merkte der Vater, daß seine Tochter schwanger war, rief sie ganz allein zu sich und sprach: »Aber, Tochter! Was machst du mir da für Scham und Schande? Von wem hast du's? Wohin bist du gegangen, oder wer ist zu dir gekommen?« Das Mädchen war sehr erschrocken und antwortete mit Zittern: »Ich bin nirgends hingegangen, Vater, auch ist keiner zu mir gekommen, ich habe gar keinen Mann gesehen.«Ihr Vater aber glaubte ihr nicht, ließ sie in den Block spannen und ihr die Bastonade geben; sie aber blieb dabei: »Ich weiß nicht und weiß nicht!« Zuletzt sagte sie ihm: »Ein Bursche mit einer Last Holz kam am Schloß vorüber, sah mich am Fenster und murmelte etwas vor sich hin, und von der Zeit an fühlte ich, daß ich schwanger sei!« —»Wie kann es sein, daß eine vom bloßen Ansehen her schwanger wird?« erwiderte der Vater; er wollte und wollte ihr das nicht glauben, sie aber schwur, schlug sich an die Brust und sagte: »Wenn du willst, Vater, glaube mir; wenn nicht, nimm mein Leben - wirf mich ins Meer!« Da ließ der Zar den Burschen holen und fragte ihn, ob er das Mädchen zur Frau nehmen wolle. Der sagte ja, und der Zar gab sie ihm, setzte die beiden in ein Schiff, gab seiner Tochter einige Kränze Feigen und ließ das Schiff treiben.
Sie trieben nun lange auf dem Meere. Schließlich sagte die Zarentochter zu ihrem Mann: »Mann, sage doch, daß wir an Land kommen.« —»Gib mir eine Feige, wenn du willst, daß ich es sage«, antwortete der Mann. Sie gab ihm einen Kranz Feigen, und er sagte: »Lengo und Sawe und
das Meer! Wir wollen an Land.«Und sogleich waren sie am Lande und setzten sich am Ufer nieder. Wiederum sagte die Frau zu ihm: »Sag wieder etwas, daß sich hier ein Schloß aufbaue, in dem wir wohnen und leben können.«Der antwortete wieder: »Gib mir eine Feige, wenn du willst, daß ich es sage.« Da gab sie ihm noch einen Kranz Feigen, und er sagte wieder: »Lengo und Sawe und das Meer!«Sogleich stand ein Schloß da, schön, mit allem Nötigen, mit allen möglichen schönen Teppichen und allem Hausgerät. Sie gingen hinein und wohnten dort. Eines Tages gingen die Leute des Zaren auf die Jagd, und als sie auf dem Heimwege waren und das Schloß erblickten, gerieten sie in großes Erstaunen: bis gestern war nichts da, und wie war da nun ein so schönes Schloß entstanden? Sie erzählten dem Zaren von dem Schloß am Meeresufer, der wunderte sich auch und sagte gleich, er wolle gehen und es anschauen.Als der Zar kam und es sah, ging er hinein, und die beiden, die da wohnten, seine Tochter und sein Schwiegersohn, empfingen ihn, wie es einem Zaren gebührt. Dann sagte der Schwiegersohn: »Lengo und Sawe und das Meer! Es sollen dem Zaren goldene Tische, goldenes Geschirr und kaiserliche Gerichte vorgesetzt werden.« Und sogleich erfüllte sich sein Wunsch. Die Zarentochter hatte sich bis dahin ihrem Vater noch nicht zu erkennen gegeben. Sie hatte ihn gleich, als er eintrat, erkannt, er sie aber nicht. Dann gab sie sich ihm zuerst kund, und er erkannte sie nun auch und fragte sie, wie sie zu einem solchen Palast gekommen wäre und zu so schönen Geräten und Speisen und all solchem Reichtum. Da erzählte sie ihm alles von Anfang bis zu Ende, was und wie es gewesen war. Der Zar nahm seinen Schwiegersohn, den ehemaligen Holzsammler, und seine Tochter mit sich und setzte ihn auf den Thron.
Die beiden Brüder
Es waren einmal zwei Brüder. Solange ihr Vater lebte, arbeiteten sie nach dessen Befehl, der eine ging aufs Landgut, der andere hütete die Schafe. Als nachher der Vater gestorben war, wurde der älteste Hausherr, und der jüngste arbeitete immer außer Hause, war dem Bruder gehorsam und kam selten heim. Der ältere arbeitete gar nicht, sondern saß zu Hause und bewirtete seine Freunde, hielt schöne Pferde, Jagdhunde und Jagdfalken und führte das Leben eines großen Herrn.
Mit der Zeit wurden sie noch reicher; der ältere war verheiratet, der jüngere nicht, und er kam nur alle großen Festtage nach Hause. Als er einmal an einem solchen Festtag ins Dorf kam, begegneten ihm einige Bauern, die den Brüdern neidisch waren und sie auseinanderbringen wollten. Sie sagten zu ihm: »Bist du deines Vaters Sohn oder nicht?« —»Wie denn nicht?« antwortete er. —»Nun, wenn es so ist, warum bist du denn den ganzen Tag an der Arbeit, bei den Schafen, auf dem Felde, im Gewitter, Sturm und Sonnenbrand? Eine Plage machst du dir, wie sonst keiner; und dein Bruder, der ältere, lebt wie ein großer Herr, hat Kleider, Essen Trinken in Fülle, wird geehrt und gepriesen, und du wirst behandelt wie sein Diener. Geh mal und sag ihm, er soll deine Arbeit tun, und du möchtest zu Hause bleiben, da wirst du gleich sehen, ob er dein wahrer Bruder ist oder nicht.«
Der jüngere antwortete ihnen darauf nicht, aber es fraß ihm am Herzen. Er ging zur Nacht nach Hause, übernachtete dort, und als er am anderen Morgen aufgestanden war, sagte sein Bruder ihm: »Wie hast du die Nacht zugebracht, Bruder, hast du gut geschlafen?« —Der aber antwortete ihm: »Ach, Bruder, kein Auge habe ich zugetan.« — »Warum?« fragte der ältere. —»Ja, sieh! So viele Jahre, seit der Vater tot ist, lebe ich Tag und Nacht außer Hause unter freiem Himmel; nach Hause komme ich einmal im Jahre; mit keinem Menschen bin ich bekannt, habe weder Freund noch Feind. Wenn die Zeit kommt, daß ich mir einen Hausstand gründen und mich verheiraten will wie du, wie soll ich da das Haus besorgen, da ich niemand kenne und von Hausarbeit nichts verstehe? Eben daran habe ich gedacht und die ganze Nacht nicht geschlafen und mich entschlossen, dich zu bitten, daß wir mit den Arbeiten tauschen, daß ich einige Jahre zu Hause bleibe und du meine Arbeit tust.«
»Sehr wohl, Bruder«, erwiderte der ältere und stellte sich, als ob er nicht ärgerlich wäre, »du sollst jetzt hier bleiben, und ich will auf deine Arbeit gehen, nur heute will ich noch zur Jagd gehen, und wir wollen noch zusammen essen, morgen wollen wir dann tauschen.« Dabei wollte er schier platzen vor Ärger, ging sein Pferd satteln, rief seine Frau in den Stall und sagte zu ihr: »Hör zu! Ich will heute auf Jagd gehen und habe meinem Bruder gesagt, ich würde zum Essen kommen; aber du sollst wissen, daß ich nicht kommen werde; brate du ein Lamm und stecke Gift hinein, und zur Mittagszeit deckst du den Tisch und forderst den Bruder auf zu essen. Und paß auf! Wenn ich zum Abendessen
zurückkomme und höre dich nicht die Totenklage singen, dann ist es um dein Leben geschehen.« Das befahl er der Frau, bestieg sein Pferd, gab ihm die Sporen, und fort war er mit den Jagdhunden und Jagdfalken.Die Frau war ganz entsetzt und blieb lange Zeit wie versteinert am selben Platz stehen. Als sie wieder zu sich kam, überlegte sie hin und her, was sie anfangen solle: sterben oder den Schwager vergiften? Endlich beschloß sie, es Gott anheimzustellen: kann sie sich retten, gut! Wenn nicht, lieber sterben, als ihren Schwager vergiften. Sie briet nun das Lamm, bereitete das Mittagessen, und als die Essenszeit kam, deckte sie den Tisch und nötigte den Schwager zum Essen: der aber antwortete: »Wie könnte das sein? Ich sollte ohne meinen Bruder essen? Er hat mir doch versprochen, daß wir zusammen essen wollen.« Die Frau wurde nun sehr traurig, da sie sah, wie der Schwager ihren Mann, seinen Bruder liebte, und wie dagegen ihr Mann seinen Bruder haßte - so sehr, daß sie dem Schwager um den Hals fiel, Ströme von Tränen vergoß, schluchzte und nicht zu sprechen vermochte. Ihr Schwager war sehr verwundert, hielt sie fest, daß sie nicht fiele, und bat sie, ihm zu sagen, weshalb sie so weine. »Ach, Bruder«, antwortete sie, »heute ist es mit mir aus!« —»Warum, meine Liebe«, fragte er weiter, »sprichst du so!« — »Du sehnst dich nach meinem Manne und willst ohne ihn nicht essen. Und er? Er hat mir befohlen, dich zu vergiften, und geschworen, mich zu töten, wenn er von der Jagd zurückkommt und im Hause keine Totenklage und Jammergeschrei hört.«
Als das der Schwager hörte, sagte er zu ihr: »Sei unbesorgt, liebe Schwägerin, ängstige dich nicht, du wirst nicht sterben. Aber wir wollen einmal sehen, was mein Bruder tun wird, wenn er mich tot sähe; so wollen wir Leute an den Kreuzweg schicken, um aufzupassen und uns Bescheid zu sagen, wenn er sich zeigt. Wir wollen jetzt ordentlich essen, und wenn er kommt, breitest du ein Leinentuch über mich, zündest am Kopfende ein Licht an und beginnst, mir die Totenklage zu halten.« Was sie so besprochen hatten, führten sie dann alles aus.
Der ältere Bruder war nun aus dem Hause fort und auf die Jagd gegangen, dahin, wo er immer zu jagen pflegte. Er mühte sich den ganzen Tag ab, aber was noch nie vorgekommen war und ihn sehr verwunderte, er konnte nichts erlegen. Auf dem Rückwege sah er einen Adler hoch inden Wolken und ließ die beiden Falken los, die er bei sich hatte. Die flogen wie der Blitz in die Höhe, nahmen den Adler in die Mitte
und kämpften mit ihm. Nach kurzer Zeit brachten sie ihn nach und nach zu Fall, und als er nahe genug war, daß man ihn erreichen konnte, ergriff ihn der Jäger und sagte zu ihm: »Siehst du, auch du, der du so hoch fliegst bis zu den Wolken, kannst meinen Händen nicht entgehen.« — Der Adler vergoß Tränen und antwortete: »Ah! Wäre mein Bruder am Leben, deine beiden Falken, ja selbst deren zwanzig hätten mir nichts tun können; daß doch die Hand dem verdorre, der ihn getroffen und erschlagen hat.« — »Wer hat ihn erschlagen?« fragte der Jäger. — »Ach«, antwortete ihm der Adler, »bei Frost, Schneewetter und heftigem Sturm gerieten wir aufs Schwarze Meer, und der Sturm verschlug uns auf ein Schiff. Mein Bruder trat gerade auf ein Tau, als ein Schiffer -möge seine Hand verdorren! —ihn traf und er ins Meer fiel. Und ich, da ich ihn nicht mehr habe, bin in böser Zeit ohne Hilfe, wie jetzt, wo ich mich deiner beiden Falken nicht erwehren konnte.« Als das der Jäger hörte, fiel ihm sein Bruder ein, und er wurde sehr bekümmert, ließ den Adler los und spornte sein Pferd. Das Pferd rannte los und fiel aus übermäßiger Anstrengung tot hin. Da ließ er das Pferd liegen und lief zu Fuß weiter. Als er sich dem Hause näherte, sahen ihn die Diener und meldeten es. Der jüngere Bruder legte sich nun und stellte sich wie tot; die Schwägerin deckte ihn mit einem Leichentuch zu, zündete ein Licht an und stimmte die Totenklage an. Als der ältere Bruder das Jammergeschrei hörte, beeilte er sich noch mehr, und sobald er ins Haus trat, zog er seinen Säbel, stürzte sich auf die Frau und wollte sie erstechen: »Ach, du elendes Weib, du hast meinen Bruder vergiftet!« Als das der Bruder hörte, sprang er auf und sprach: »Rühr meine Schwägerin nicht an! Nicht sie hat mich vergiftet, sondern du wolltest mich vergiften.« Da sprach der ältere Bruder kein Wort, fiel dem andern um den Hals und sagte: »Ach, Bruder, bist du noch am Leben, bist du wirklich noch am Leben?«, bedeckte ihn mit Tränen, küßte ihn, bekannte seine Schuld und erzählte ihm alles, was sich mit dem Adler zugetragen hatte. Dann brachen sie beide in Tränen aus, weinten miteinander und herzten sich. Von da an lebten sie wieder brüderlich und lagen niemals mehr im Streit.
Gute Tat geht nie verloren
Es war einmal ein Zar, ein großer Geizhals, der hatte einen Sohn, und als dieser erwachsen war, gab er ihm eine Saumlast Gold und schickte ihn fort mitsamt dem Wesir, um noch mehr zu erwerben. Nach drei Jahren möge er drei Lasten zurückbringen, erklärte er ihm, wenn nicht, wolle er ihm den Kopf abschlagen.
Sie gingen nun in ein anderes Reich, und als sie in eine Stadt kamen, sahen sie, wie man einen Menschen mit zusammengebundenen Füßen die Straßen entlangschleifte, und fragten: »Was hat dieser Mensch denn Böses getan, daß er so mißhandelt wird?« Ihnen wurde geantwortet, das sei bei ihnen Sitte; wenn einer gestorben sei, binde man ihm die Füße zusammen und schleife ihn vor die Stadt hinaus, jeder helfe ein wenig, als Seelenopfer für den Toten. Der Zarensohn, der sehr mitleidig war, kaufte ihn los, richtete eine Bahre her, führte ihn hinaus vor die Stadt, bereitete ein Grab, begrub ihn und veranstaltete einen Totenschmaus, ohne auf den Wesir zu hören. Weil aber der Zarensohn alles Geld verschwendete, verließ er ihn; und wirklich gab der Junge mit Wohltaten alles Geld aus. Er kehrte nun in die Stadt zurück, und weil er sich fürchtete, wieder nach Hause zu gehen, verdang er sich am Rande der Stadt bei einem alten Gastwirt, bei dem niemand mehr einkehrte. Der Junge brachte es aber mit seiner Bedienung rasch dahin, daß alle wieder dort einkehrten, und in kurzer Zeit wurde der Alte reich. Einmal fragte ihn der Alte, was er für seine Arbeit haben wollte. Der Junge antwortete: »Etwas Geld, das mir die Möglichkeit schafft, in die Fremde zu gehen.« —»Schön«, sagte der Alte, wollte ihn aber nicht allein gehen lassen und suchte ihm einen Gefährten. Da begegnete ihm ein Neger, der sagte, er möge ihn nehmen. »Nein«, erwiderte der Alte, »du wirst ihm nicht gefallen.« — »Nimm mich nur«, sagte der Neger, »und wenn er mich nicht mag, werde ich schon von selber wieder gehen.«So nahm der Alte ihn mit, und als der Junge ihn sah, gefiel er ihm. Am nächsten Morgen machten sie sich auf die Reise. Als sie zu einem Brunnen kamen, sagte der Neger zu ihm: »Höre, Bruder, wir wollen jetzt in die Fremde gehen; laß uns hier einander schwören, daß keiner dem andern etwas verheimlichen wird, daß wir immer zusammenbleiben, Tag und Nacht, und wenn wir künftig mit Gottes Hilfe zurückkehren, daß wir bei diesem Brunnen alles, was wir erworben haben, aufs Haar genau und brüderlich teilen.«
Das beschworen sie und zogen weiter. Unterwegs kamen sie an eine Einöde, und die Leute, die ihnen begegneten, rieten ihnen, sie möchten nicht da hineingehen, sie würden umkommen. Aber der Neger hörte auf niemanden. Am Abend kehrten sie in einer verlassenen Herberge ein, der Junge legte sich in eine Stube und versank schnell in Schlaf.
Der Neger aber ging durch alle Stuben und fand eine furchterregende Lamia mit drei Köpfen, welche die Menschen fraß, die sich dort aufhielten, ihr Geld nahm und die ganze Stube damit anfüllte. Der Neger erschlug sie, verschloß das Zimmer mit dem Gelde und sagte dem Jungen nichts. Am Morgen zogen sie weiter und kamen in die Hauptstadt eines Zaren.
Dort war eine Tochter des Zaren, die war schon viele Male verheiratet gewesen, aber die Männer waren nicht am Leben geblieben, sie waren alle schon in der ersten Nacht gestorben. Der Neger ging nun zu dem Zaren und bewarb sich im Namen des Jungen um die Tochter. Der Zar sah sich den Jungen an und richtete sogleich die Hochzeit an. Viele Leute sagten ihm, er möge sie nicht nehmen, denn er werde dann in seinen jungen und blühenden Jahren sterben müssen -der Junge war nämlich sehr schön -, aber der Neger sagte ihm, er möge unbesorgt sein, er sei ja bei ihm. In der ersten Nacht, als das junge Ehepaar sich schlafen legte, verlangte der Neger, in der gleichen Stube zu schlafen. Der junge Mann bat ihn, für sich allein zu schlafen, aber der Neger erinnerte ihn an den Schwur, und er schwieg.
Sie waren eben eingeschlafen, da machte die junge Frau den Mund auf und fing an zu schnarchen. Der Neger stand auf, zog seinen Säbel und stand über sie gebeugt still. Nach kurzer Zeit schon kam eine große Schlange aus dem Munde der Frau heraus und schickte sich gerade an, den Mann zu beißen, als der Neger ihr ein Stück abhieb, ungefähr eine Spanne lang, so weit sie herausgekommen war, samt dem Kopf. Das übrige Stück aber kroch wieder hinein. Als sie am Morgen aufgestanden waren, freute sich das ganze Schloß, daß der Schwiegersohn am Leben geblieben war.
Nach einiger Zeit rüsteten sie sich zur Abreise und nahmen von dem Zaren nichts als vierzig Maultiere und vierzig leere Säcke. Als sie zu der verlassenen Herberge kamen, belud der Neger die Maultiere mit dem Gelde der Lamia, und sie zogen nun mit der jungen Frau der Heimat zu. Eines Tages gelangten sie an jenen Brunnen. »Jetzt«, sagte der Neger, »müssen wir teilen.« Da teilten sie die Maultiere und alles andere
zur Hälfte. »Jetzt also«, sagte darauf der Neger, »wollen wir auch die Frau teilen. Faß du das eine Bein, ich nehme das andere, und wie du willst, teilen wir quer durch oder der Länge nach.« »Bewahre Gott«, antwortete der junge Mann, »laß ab, nimm du sie ganz, wir wollen sie doch nicht umbringen.« — »Nein«, sagte der Neger, »denk an den Schwur!«Es blieb nichts übrig, der Mann ergriff das eine Bein, und sowie der Neger das Messer zog, schrie die Frau auf, erbrach sich vor Schrecken und spie das restliche Stück der Schlange aus. »Da hast du sie jetzt«, sprach der Neger, »das wollte ich gerade, daß auch dieses Stück der Schlange herauskäme.« Dann erzählte er ihm alles und auch daß er der Mensch sei, den er ehrenvoll begraben hatte. Damit verschwand er.Der junge Mann bekreuzigte sich und sprach: »Fürwahr, eine gute Tat geht niemals verloren.« Dann stieg er zu Pferde und brachte seinem Vater vierzig Lasten Gold. Später ist er selber Zar geworden und in der ganzen Welt berühmt.
Der Schatz des Kaisers Konstantin
Es waren einmal ein Vater und ein Sohn, die hatten einen Acker mit Weizen besät. Da kamen Sperlinge geflogen und pickten den Samen weg. Der Vater schickte den Sohn auf den Acker, um ihn vor den Sperlingen zu hüten. Der Sohn ging auch einige Tage nach der Reife dahin und paßte auf, aber zuletzt wollte er nicht mehr gehen. Der Vater versuchte mit aller Gewalt, ihn anzutreiben, daß er ginge, aber er ging nicht. Endlich gerieten Vater und Sohn in Streit und Schlägerei, der Sohn nahm einen Stein und verwundete seinen Vater am Kopf. Der Vater ging und klagte vor Gericht. Der Richter ließ den Sohn rufen und fragte ihn, warum er seinen Vater verwundet habe. Der antwortete: »Weil er mich auf den Acker schickte, um ihn gegen die Sperlinge zu hüten. Ich bin auch ein-, zweimal gegangen und habe aufgepaßt; aber da ich einmal den großen Sperling zu seinen Sperlingsjungen sagen hörte: >Pickt nur die Körner, die nicht aufgehen<, bin ich am nächsten Tag, als mich der Vater wieder schicken wollte, nicht gegangen; deswegen prügelte mich der Vater, und ich habe ihn am Kopf verwundet.« Da sagten der Richter und der Zar zu ihm: »Na! wenn du verstehst, was die Sperlinge reden, dann mußt du auch wissen, wo der Schatz des
Kaisers Konstantin ist.«Er antwortete, er wisse nichts anderes, als was er ihnen gesagt habe, und schwur darauf; sie glaubten ihm aber nicht, setzten ihm weiter zu, und endlich gab er nach und sagte: »Ja!«Darauf bat er um drei Tage Bedenkzeit; die ihm gewährt wurden. Nach den drei Tagen ließen sie ihn wieder rufen, und er sagte dann zum Zaren: »Bringt mir fünfhundert Pferde, tausend Kühe und dreihundert Schafe, häutet sie ab und bringt sie an den und den Ort im Gebirge.« Der Zar befahl sogleich, daß ihm dieser Wunsch erfüllt werde, und das geschah ohne Zögern. Dann forderte er noch, daß man an denselben Ort auch andere Nahrungsmittel bringen solle und ein Schutzdach zur Wohnung für ihn für sechs Wochen, denn er wollte so lange dort leben und aufpassen. Er saß nun dort einige Zeit bei Tag und Nacht, und allerlei Tiere kamen und fraßen von dem Pferde-, Kuh- und Schaffleisch; er aber saß verborgen und hörte zu, was die Tiere miteinander sprachen. Sie fraßen so lange, bis alles Fleisch aufgefressen war und nur noch Knochen übrigblieben. Bis zum letzten Abend vor Ende der sechs Wochen hatte er nichts erfahren. Aber am folgenden Morgen früh kamen die Königsadler, pickten an den Knochen herum und sprachen untereinander; dabei fragten sie, wer von den dreien der älteste wäre und sich an eine alte Begebenheit erinnern könnte. Der älteste Adler sagte: »Ich kann mich erinnern, als ich ein kleines Kind war, fiel einmal Schnee, der bis zum Gürtel reichte.« — »Und ich«, sagte der zweite, »kann mich erinnern, wie zu meiner Zeit eine große Hungersnot war und viele Menschen Hungers starben.« — »Und ich«, sagte der dritte, »kann mich erinnern, zu meiner Zeit, als ich ein Kind war, wurde der Schatz des Kaisers Konstantin vergraben.« — »Also bist du der älteste von allen«, anworteten ihm die beiden anderen Adler. —»Da, unter der Steinplatte dort«, fuhr der dritte fort, »sind dreihundert Lasten Gold vergraben.« Der verborgene Mann hörte das Gespräch der Adler und verhielt sich völlig still. Am nächsten Morgen kamen die Leute des Zaren, ihn zu rufen: »Komm, der Zar läßt dich rufen.«Darauf antwortete er: »Sagt dem Zaren, er soll dreihundert Maultiere und sechshundert Säcke schicken.«Die Boten kehrten zum Zaren zurück und richteten ihm aus, was ihnen der Mann befohlen hatte. Der Zar befahl sogleich, ihm die gewünschten Maultiere und Säcke zu schicken, und es sollten viele von seinen Leuten mitgehen, ihm zu helfen. Als die Leute bei dem Manne angekommen waren, sagte er zu ihnen: »Hebt die Platte da auf.«Das taten sie und was sahen sie? Einen Brunnen voll
Gold. Sie schöpften und schöpften und füllten genau sechshundert Säcke voll, beluden damit die Maultiere und brachten sie dem Zaren, aber so heimlich, daß es niemand anders erfuhr außer den vom Zaren gesandten Leuten, dem aber, der das Gold gefunden hatte, gaben sie nicht einen roten Heller, ja kümmerten sich nicht weiter um ihn. Der Arme wartete und wartete, daß der Zar ihn rufen und ihm etwas geben möge, aber sein Warten war vergebens, der Zar hatte ihn schon ganz vergessen. Zuletzt, als ihm das Warten zu lange wurde, schickte er seinen Vater zum Zaren, um wenigstens eine Mütze voll Gold von ihm zu verlangen. Der Vater ging also zum Zaren und sagte: »Erhabener Zar, mein Sohn schickt mich, du möchtest ihm eine Mütze voll Gold geben.«—» Was für ein Sohn?«fragte der Zar. —»Na, der dir den Schatz gefunden hat«, antwortete der Vater. Der Zar aber rief: »Mach, daß du von hier fortkommst! Was für einen Schatz? Wer hat einen Schatz gefunden?« Der Zar hatte nämlich Angst, es könne einer erfahren und ein anderer Zar, der damals lebte, größer und stärker als er, könne davon hören. Am anderen Tage schickte der Sohn seinen Vater wieder zum Zaren, eine Mütze voll Gold zu fordern; da aber hielten ihn die Leute des Zaren auf seinen Befehl an und schlugen ihm den Kopf ab. Als der Sohn hörte, daß man seinen Vater getötet hatte, ging er selber zum Zaren und sagte zu ihm: »Erhabener Zar, der und der Zar«(der nämlich, vor dem er Angst hatte), »läßt dich vielmals grüßen, du solltest mir meinen Vater wiedergeben, aber er will ihn lebend und gesund; oder aber, wenn du willst, töte auch mich; nur glaube nicht, daß es so geht wie bei meinem Vater; ich bin von einem größeren Zaren gesandt. Also merke dir, daß ich meinen Vater lebendig wiederhaben will!« Da standen der Zar und seine Leute in Bedenken, was sie nun machen sollten: der Mann, der Vater, ist tot, und sein Sohn will ihn lebendig haben; endlich sagten sie zu ihm: »Warte, wir wollen sehen, was das Gesetz sagt; der Mann ist tot und kann nicht wieder lebendig werden.« Im Gesetz fanden sie geschrieben: soviel der Kopf des getöteten Mannes wiegt, so viel Gold soll dem Sohne, der klagt, gegeben werden. Damit gab der sich zufrieden. Gut, sie legten nun den Kopf in eine Waagschale und in die andre, sagen wir, ein Kilo Gold. Aber die Schale mit dem Kopf kam nicht in die Höhe; sie verdoppelten und verdreifachten das Gold, aber die Schale wollte nicht hochkommen, der Kopf war schwerer. Da legten sie fünf zigmal, hundertmal, tausendmal soviel Gold darauf, aber die Schale mit dem Kopf stieg nicht in die Höhe. Alle wunderten sich, was das wohl bedeuten möge. Sie legten nun das ganze gefundene Gold, die dreihundert Lasten dazu, aber die Schale mit dem Kopf blieb stehen. Wieder wunderten sich alle, was aus dieser so sonderbaren Sache werden sollte. Es kamen nun gelehrte und belesene, weise und kluge Leute zusammen, um herauszufinden, warum die Waagschale mit dem Kopfe nicht aufsteige; aber sie konnten es nicht herausbringen.Da sagte der selbst, der den Schatz gefunden hatte und seinen Vater lebendig wiederhaben wollte, zu ihnen: »Ich will euch zeigen, weshalb der Kopf nicht hochkommt.«Einstimmig riefen alle: »Wenn du auch das noch triffst, dann wollen wir dich von jetzt an zum Zaren haben«; und auch der Zar selber sagte: »Ich steige von jetzt an vom Throne, und du sollst dich darauf setzen, wenn du es triffst.« Der Mann aber sagte: »Bringt mir ein Tuch!«Als sie es ihm gebracht hatten, verband er dem Totenkopf die Augen damit und sagte zu ihnen: »Wägt jetzt!« Sie legten ihn nun auf die Waagschale, und zwei Kilo reichten aus. — »Wie kommt es«, fragten sie, »daß der Kopf sich gegen zwei Kilo hebt?« — »Das kommt daher«, antwortete der Mann, »daß er mit offenen Augen sich niemals heben kann, denn solange das Auge sieht, könnt ihr alle Lasten Gold darauf legen, es wird sich nicht heben. So ist es auch mit dir, erhabener Zar, so viele Lasten Gold habe ich dir gegeben, von mir hast du sie bekommen, aber du hast immer noch nicht genug davon, und mir hast du nicht einen roten Heller abgegeben; du willst aber immer noch mehr. So konnte auch die Waagschale mit meines Vaters Kopf, solange er die Augen offen hatte, sich nicht heben; erst zuletzt, als wie sie verbunden hatten, hob die Schale sich gegen nur zwei Kilo. So ist das Auge des Menschen -gierig und unersättlich.«
Tu Gutes, es wird dich nicht gereuen
Es war einmal eine alte Frau, die hatte einen Sohn, den schickte sie jeden Tag aus, Holz zu sammeln und zu verkaufen. Auch spann sie jeden Tag eine Spindel voll und gab ihm das Garn zum Verkauf. Er verkaufte auch jedes Gebinde für einen Para, aber das Geld gab er nicht seiner Mutter, sondern tat Gutes damit.
Einmal, als der Bursche Holz holen ging, traf er einige Kinder, die einen kleinen Hund schlugen. Das Hündchen tat ihm leid, er kaufte es ihnen
für einen Para ab und rettete es so vor den Schlägen. Das Hündchen zog nun mit ihm.Ein andermal, als er wieder Holz holen ging, begegnete er anderen Kindern, die ein Kätzchen schlugen und es totschlagen wollten. Er hatte Mitleid mit dem Kätzchen, gab den Kindern einen Para und rettete es so vor den Schlägen. Da zog auch das Kätzchen mit ihm, und von da an gingen Hund und Katze immer mit dem Holzverkäufer zusammen, wohin er auch ging.
Einmal aber, als er im Gebirge war und Holz sammelte, erblickte er eine brennende Buche; auf der Buche zischte eine Schlange und rief um Hilfe. Der Bursche trat herzu, und die Schlange bat ihn, ihr zu helfen, sie aus dem Feuer zu retten. »Ich habe Angst, daß du mich beißt«, antwortete er.
»Nein«, sagte darauf die Schlange, »habe nur keine Angst, ich tu dir nichts Böses, sondern ich will dir geben, was du wünschest.« Da streckte er eine Stange an die Buche, die Schlange wickelte sich um die Stange und rettete sich so aus dem Feuer. Darauf sagte sie zu ihm: »Jetzt bringe mich zu dem Drachen, dem Zaren der Schlangen; der wird dir einen Beutel mit Geld anbieten, du darfst ihn aber nicht nehmen, sondern fordere von ihm den Ring, den er unter der Zunge trägt, und sowie er ihn dir gibt, stecke auch du ihn unter die Zunge und behalte ihn immer dort; mit dem Ringe wird dir dann alles zuteil, was du wünschest.«
Der Holzsammler ging nun mit der Schlange zu dem Drachen, dem Schlangenzaren, und forderte den Ring von ihm, wie sie ihn gelehrt hatte. Der Zar gab ihm den Ring, er steckte ihn sich unter die Zunge und ging nach Hause.
Dort sagte er zu seiner Mutter: »Mutter, geh zum Zaren und verlange seine Tochter für mich.«Die Mutter ging und tat so; aber der Zar jagte sie fort und sprach: »Mach, daß du fortkommst, soll ich meine Tochter einem Burschen geben, der Holz sammelt und verkauft? Laß deinem Sohn ein Schloß errichten, das dem meinen gleicht, dann will ich sie ihm geben.«Die Mutter ging nach Hause und erzählte ihrem Sohne, was der Zar geantwortet hatte. Da sagte der zu dem Ringe: »Ich wünsche mir ein Haus wie das Zarenschloß«, und sogleich stand eins da wie das Zarenschloß. Da schickte er seine Mutter zum zweiten Mal zum Zaren, um dessen Tochter zu verlangen und ihm zu sagen, daß ihr Sohn ein Schloß errichtet habe wie seines, ob er sie ihm nun geben wolle oder
nicht? Die Mutter tat, wie ihr Sohn es anbefohlen hatte; der Zar aber antwortete ihr: »Laß deinen Sohn die Straße, in die meine Tochter ziehen soll, mit Gold pflastern, dann will ich sie ihm geben.« Die Mutter ging wieder nach Hause und berichtete ihrem Sohne, was der Zar gesagt hatte: »Du sollst die Straße vom Tor des Zarenschlosses bis zu deinem, in die seine Tochter ziehen soll, mit Gold pflastern, dann will er sie dir geben; so befiehlt der Zar.« Der Bursche pflasterte nun mit Hilfe des Ringes den ganzen Weg vom Tore des Zaren bis zu seinem mit Gold und schickte abermals seine Mutter zum Zaren, ihm das zu berichten und die Tochter zu verlangen. Sie ging und sagte dem Zaren: »Erhabener Zar! Du siehst, mein Sohn hat den ganzen Weg von deinem bis zu unserem Tor mit Gold gepflastert; wie nun, willst du ihm jetzt deine Tochter geben?«Der Zar antwortete ihr: »Laß deinen Sohn einen Garten herrichten wie meinen, darin sollen die Nachtigallen singen und die Falken schreien wie im Mai; dann will ich sie ihm geben.« Die Mutter ging nach Hause und berichtete ihrem Sohne die Antwort des Zaren. Der Bursche aber sprach zu dem Ringe: »Ich wünsche morgen, wenn ich aufstehe, einen Garten vorzufinden wie den des Zaren mit Nachtigallen und Falken!« Und am nächsten Morgen war's nach seinem Wunsche geschehen. Die Mutter ging nun wieder zum Zaren und verlangte seine Tochter. Da antwortete der Zar: »Dein Sohn soll mit dem Hochzeitsgefolge kommen, alle auf weißen Pferden und in weißen Kleidern.«Der Sohn tat so, zog zum Zaren, bekam dessen Tochter und ging mit seiner jungen Frau nach Hause.Der Zar aber hatte einen Diener, einen Neger; der sagte eines Tages zu der jungen Frau: »Kannst du nicht herausbringen, womit dein Mann alles ausführt, was er sich nur denkt?«Sie antwortete ihm: »Er hat einen Ring, den er unter der Zunge hält, mit dem macht er die Sache.« Der Neger sagte weiter: »Kannst du ihm den Ring denn nicht auf irgendeine Weise wegnehmen und ihn mir geben? Er hat ja schon alles und braucht ihn nicht mehr.« — »Ich kann ihn nicht wegnehmen, er hält ihn immer unter der Zunge fest.« —»Mach deinen kleinen Finger im Wasser naß«, riet der Neger, »stecke ihn dann in die Pfefferbüchse und fahre deinem Mann damit in die Nase, wenn er schläft; er wird dann niesen, der Ring wird ihm aus dem Munde und ins Bett fallen; dann nimm ihn und gib ihn mir.«Die Frau tat so und gab dem Neger den Ring; der nahm ihn und legte ihn sich unter die Zunge. Eines Tages sprach der Neger zu dem Ring: »Ich wünsche, daß du mich ins Gebirge versetzest mit dem
Schloß des Holzsammlers, daß das mein Schloß wird und er wieder in seiner alten Hütte wohnt.« Sofort geschah das. Am andern Morgen wunderte sich der Bursche, des Zaren Schwiegersohn, wie es gekommen wäre, daß er sich wieder in einer ärmlichen Hütte befand, und sagte zu seiner Mutter: »Mutter, ich will den Esel nehmen, den Hund und die Katze, will gehen und überall herumwandern, mein Schloß zu suchen.« Wie er gesagt hatte, so tat er auch.So wanderten sie dahin und kamen an einen Fluß mit starkem Strom. Am Ufer fand der Bursche einen Fisch, der rücklings auf dem Trocknen lag, ergriff ihn und warf ihn ins Wasser. Der Fisch dankte ihm für seine Güte und sagte zu ihm: »Für das Gute, das du mir getan hast, will ich dir auch alles Gute tun, was du wünschest; schneide mir eine Flosse ab, und wenn du irgend etwas von mir brauchst, brenne sie an, ich komme dir dann gleich zu Hilfe.« Der Bursche schnitt dem Fisch eine Flosse ab und steckte sie zu sich.
Nach kurzer Wanderung erblickte er das Schloß. Da schickte er Hund und Katze aus, daß sie in das Schloß gehen, dem Neger den Ring wegnehmen und ihm bringen sollten. Sie gingen; die Katze stieg in die Stuben hinauf, der Hund blieb unten am Tor. Die Mäuse im Schlosse hielten gerade Hochzeit; als die Katze hereingetreten war, fing sie den Bräutigam; da sammelten sich alle Mäuse um die Katze und versprachen ihr alles, was sie nur haben wolle; nur solle sie ihnen den Bräutigam freilassen.
Die Katze willigte ein, den Bräutigam freizulassen, wenn die Mäuse dem Neger den Ring wegnahmen und ihr ihn brächten; sie gab ihnen auch an, wie sie ihn bekommen könnten: »Macht euch die Schwänze mit Wasser naß, dann pfeffert sie in der Pfefferbüchse ein, und wenn er schläft, steckt sie ihm in die Nase; dann wird er niesen, und der Ring wird ihm herausfallen. Ihr nehmt ihn und bringt ihn mir, dann gebe ich euch den Bräutigam!« Die Mäuse taten das, brachten der Katze den Ring, die gab ihnen den Bräutigam frei und ging mit dem Ring davon. Der Hund wartete unten am Tore auf sie, und sie rief ihm zu: »Laß uns schnell laufen, ich habe den Ring«, und so machten sie sich fort. Als sie an den Donaufluß kamen, sagte die Katze zu dem Hunde: »Jetzt will ich auf dir reiten, damit wir über die Donau kommen.« Der Hund duckte sich, sie stieg auf, und so wollten sie über den Fluß schwimmen. Aber als sie in der Mitte waren, sagte der Hund zur Katze: »Gib mir den Ring, ich will ihn tragen; wenn nicht, laß ich dich ins Wasser
plumpsen.« Die Katze nahm den Ring aus dem Maul, um ihn dem Hunde zu geben, aber als sie ihn hinreichte, fiel er in den Fluß. Was nun? Sie gingen weiter zu ihrem Herrn, dem Holzsammler, und die Katze erzählte ihm alles, wie es sich zugetragen hatte.Da fiel dem Burschen der Fisch ein, er brannte die Flosse an, die er eingesteckt hatte, und als der Fisch die Hitze merkte, eilte er sogleich zu ihm hin und fragte: »Wozu brauchst du mich? Ich bin da.«Der Bursche antwortete: »Mir ist ein Ring mitten in den Fluß hineingefallen; kannst du mir ihn nicht wieder herausholen?« — »Das kann ich«, sagte der Fisch, »ich bringe ihn dir jetzt gleich.«Sofort tauchte er auf den Grund des Flusses, fand den Ring und brachte ihn herbei. Der Bursche nahm ihn und ging seines Weges. Als er nun den Ring hatte und nach Hause gekommen war, sprach er zu dem Ring: »Ich wünsche zu sein, wie ich früher gewesen bin, das Schloß soll wieder meins sein, und der Neger und meine Frau sollen zusammen in einer Stube sein.«Das geschah sogleich. Dann lud der Bursche seinen Schwiegervater, den Zaren, zum ersten Besuch nach der Hochzeit ein; der kam auch, aber solange er da saß, fragte er nicht nach seiner Tochter. Endlich stand er auf und ging durch das Schloß seines Schwiegersohnes. Der öffnete ihm auch die Tür der Stube, wo der Neger mit seiner Tochter schlief, und erzählte ihm alles, was die gemacht hatten. Als der Zar das sah und alles vernommen hatte, was sein Schwiegersohn ihm erzählte, zog er seinen Säbel und hieb dem Neger und seiner Tochter den Kopf ab, seinem Schwiegersohn aber sagte er: »Ich werde dir meine zweite Tochter zur Frau geben.«
Drei Brüder
Es waren einmal drei Brüder; der jüngste von ihnen war ein sehr schönes Kind und sehr dem bösen Blick ausgesetzt. Damit ihm ein böser Blick nicht schade, zog ihm seine Mutter einen Rindsmagen über den Kopf, und so saß der Junge immer zu Hause am Herde mit dem Rindsmagen auf dem Kopfe; davon gaben sie ihm den Beinamen Grindskopf.
Sie hatten eine Scheune voll Heu, und ein wildes Pferd kam des Nachts daher und fraß ihnen das Heu auf. Die Brüder wunderten sich, was das für ein sonderbares Wesen sein könne, das ihnen das Heu auffrißt. Sie
beschlossen daher, in der Scheune zu wachen und aufzupassen. Am ersten Abend ging der älteste Bruder wachen. Während er so in der Scheune saß, kam wirklich das wilde Pferd, fraß sich tüchtig satt und ging davon, ohne daß der Wächter ihm hatte etwas tun können. Am nächsten Abend kam die Reihe zu wachen an den zweiten Bruder, aber auch der blieb nicht wach; das wilde Pferd kam wieder, fraß sich satt am Heu und ging fort, ohne von dem Wächter etwas erlitten zu haben. Nachdem die beiden Brüder nicht hatten wach bleiben können, bat sie am dritten Abend der jüngste, der Grindskopf, daß er an dem Abend wachen dürfe. Sie aber lachten ihn nur aus und sagten: »Ach, du Grindskopf, wir haben nicht wach bleiben können, wie solltest du das können? Bleib du hier sitzen, du sitzest da schön am Herd in der Asche.«Er bat sie immer mehr, doch wollten sie ihn nicht gehen lassen. Zuletzt aber ging er ohne ihre Erlaubnis zum Wachen, und die Brüder ließen ihn: mag er tun, was er will.Der Grindskopf ging nun in die Scheune, wartete und wartete, und sieh! da kommt das wilde Pferd wieder, um Heu zu fressen. Sogleich stürzte er sich auf das Pferd, packte es und wollte es totschlagen. Aber das Pferd rief aus: »Ich bitte dich, schlag mich nicht tot; ich will dir etwas geben und werde auch niemals wiederkommen.« — »Was willst du mir geben?«fragte der Grindskopf. — »Ich will dir drei Haare geben«, antwortete das Pferd, »ein weißes, ein rotes und ein schwarzes, und wenn du irgend in Not kommst, wirf eins von den Haaren in die Höhe, und was du wünschest, wird dir geschehen.« Da ließ der Grindskopf das Pferd los; das gab ihm die drei Haare, und sie gingen ihres Weges. Als der Grindskopf nach Hause gekommen war, sagte er zu seinen Brüdern: »Seht ihr wohl, wie ich wach geblieben bin, und ihr wolltet mich nicht gehen lassen.« — »Ach, du Grindskopf«, antworteten sie, »wir konnten nicht wach bleiben, und du solltest das gekonnt haben?« — »Geht nur und seht, wie das ganze Heu noch da ist«, erwiderte er. Sie gingen hin, und da sie sahen, daß von dem Heu nichts genommen war, wunderten sie sich und standen ganz starr. Der Grindskopf aber zog sich wieder den Rindsmagen über den Kopf und setzte sich an den Herd.
Da ereignete es sich, daß der Zar einige sehr tiefe und breite Gräben ziehen ließ und Herolde anstellte, die ausrufen mußten: »Wer ein Held aller Helden ist, der soll kommen und über die Gräben springen, dem will ich meine älteste Tochter geben.«Da kamen alle Helden herbei und
bemühten sich hinüberzuspringen, aber keiner konnte es. Auch die Brüder des Grindskopfes waren hingezogen, und er war ihnen heimlich nachgegangen, blieb verborgen an einer Stelle stehen, versteckte den Rindsmagen und warf das weiße Pferdehaar in die Luft. Sogleich kamen vor ihm ein Schimmel heraus und ein weißer Anzug. Er zog die Kleider an, bestieg das Pferd und übersprang mit gewaltiger Kraft die tiefen und breiten Gräben. Die älteste Zarentochter, die das von einer Stelle mit angesehen hatte, warf ihm als Zeichen ihrer Billigung einen Apfel zu, und er fing ihn auf. Darauf ging er schnell an den früheren Platz, ließ Pferd und Kleider da und zog wieder den Rindsmagen über den Kopf. Pferd und Kleider verschwanden sogleich, er aber ging mit dem Apfel, den er zu sich gesteckt hatte, nach Hause und setzte sich an den Herd, als ob er von allem, was geschehen war, nichts wisse. Nach einiger Zeit riefen die Herolde wieder aus: »Wer ein Held aller Helden ist, der soll kommen und über die Gräben springen, der Zar will ihm seine zweite Tochter geben.« Da kamen große Helden herbei, einer stärker als der andere, um den Sprung zu versuchen; auch die Brüder des Grindskopfes kamen, gaben sich große Mühe, aber keiner konnte hinüberspringen. Auch diesmal ging der Grindskopf heimlich mit und blieb an dem früheren Orte stehen, verbarg den Rindsmagen und warf das rote Haar in die Luft. Sogleich stand ein Rotfuchs vor ihm und dabei ein roter Anzug. Der Grindskopf zog die roten Kleider an, bestieg den Fuchs und sprang mit gewaltiger Kraft über die Gräben. Die zweite Tochter des Zaren aber, die den Sprung mit angesehen hatte, warf ihm zum Zeichen einen Apfel zu, und er fing ihn auf und steckte ihn ein. Dann eilte er schnell wieder an den alten Platz, stieg vom Pferd, legte die roten Kleider ab und zog den Rindsmagen wieder über den Kopf; Pferd und Kleider verschwanden. Er ging nun schnell nach Hause und setzte sich an den Herd, als ob er von nichts wisse. Bald darauf kamen auch seine Brüder und erzählten Vater und Mutter, was geschehen war und was sie gesehen hatten: »Sieh mal, Vater, es kam da ein Held auf einem Rotfuchs und ganz in Rot gekleidet; der sprang über die Gräben, und die Zarentochter, die zweite, warf ihm einen Apfel zu.«Da fuhr auch der Grindskopf mit der Frage drein: »Was, Bruder, was?«Die aber sagten zu ihm: »Ach, du Grindskopf, du bist nur gut, zu Hause zu sitzen am Herd in der Asche; was hast du zu fragen? Schweig du hier still!«Nach einiger Zeit riefen die Herolde wieder aus: »Wer ein Held aller
Helden ist, der soll kommen und über des Zaren Gräben springen, der Zar will ihm seine jüngste Tochter geben.« Da versammelte sich eine Menge Helden, um den Sprung zu versuchen, aber keiner konnte über die Gräben kommen. Auch die Brüder des Grindskopfes waren gekommen, aber nur um von ferne zuzusehen, denn den Sprung konnten sie durchaus nicht machen, wollten aber wenigstens sehen, wer hinüberkommen wird. Ihnen war auch ihr Bruder, der Grindskopf, heimlich gefolgt, blieb wieder an dem früheren Ort stehen und warf das schwarze Haar in die Luft. Sogleich erschienen vor ihm ein Rappe und ein schwarzer Anzug. Er verbarg den Rindsmagen, zog die schwarzen Kleider an, bestieg den Rappen, sprengte mit gewaltiger Kraft und Schnelligkeit fort und sprang über die Gräben, und die jüngste Zarentochter warf ihm einen Apfel zu. Den fing er auf, steckte ihn zu sich und kehrte schnell an den früheren Ort zurück. Dort stieg er ab, zog die schwarzen Kleider aus und zog den Rindsmagen wieder über den Kopf; Pferd und Kleider verschwanden, er ging nach Hause und setzte sich an den Herd, als wisse er von nichts. Als nun die Brüder zurückkamen, erzählten sie dem Vater: »Sieh mal, Vater, heute kam ein Held ganz in Schwarz und auf einem Rappen, der sprang über die Gräben, und die Zarentochter, die jüngste, warf ihm einen Apfel zu.« Da kam auch der Grindskopf mit der Frage: »Was, Bruder, was?« Sie aber antworteten ihm nur: »Ach, du Grindskopf, bleib du nur am Herd in der Asche, zu anderem bist du nicht da.«Kurze Zeit verging, da riefen die Herolde wieder aus: »Was der erste Held war, der soll zum Zaren kommen und sich die älteste Zarentochter nehmen.« Da sagte der Grindskopf zu seinem ältesten Bruder: »Bruder, ich habe was gefunden, möchtest du, daß ich es dir gebe?« — »Was, du Grindskopf«, antwortete der, »du willst was gefunden haben? Wohin bist du aus dem Hause gegangen, daß du etwas finden konntest?« — »Was geht dich das an?«fuhr der Grindskopf fort, »kann ich dir nicht etwas geben, was ich gefunden habe?« —»Na, gib her, laß sehen, was du gefunden hast.« —Darauf zog der Grindskopf den Apfel heraus, den ihm die älteste Zarentochter zugeworfen hatte, und gab ihn seinem Bruder. Der ging zum Zaren und bekam die älteste Zarentochter zur Frau. Der Zar aber gab ihm zugleich mit der Tochter auch einen besonderen Palast.
Nach einiger Zeit riefen wieder die Herolde aus: »Was der zweite Held war, der über die Gräben sprang, der soll kommen und sich die zweite
Zarentochter nehmen.« Da sagte wieder der Grindskopf zu seinem zweiten Bruder: »Bruder, möchtest du, daß ich dir etwas gebe, was ich gefunden habe?« —»Na, du Grindskopf, kannst du etwas hier gefunden haben, in der Asche?« —»Was geht dich das an?«fuhr der Grindskopf fort, »kann ich dir nicht etwas geben?« — »Na, so gib, laß sehen, was du gefunden hast!« — Da zog der Grindskopf den Apfel der zweiten Zarentochter heraus und gab ihn seinem Bruder. Der nahm ihn, ging zum Zaren und heiratete dessen zweite Tochter. Der Zar aber gab ihm mit der Tochter auch einen besonderen Palast.Zuletzt, wieder nach einiger Zeit, riefen die Herolde aus: »Was der letzte Held war, der über die Gräben sprang, der soll kommen und sich die jüngste Zarentochter nehmen.« Da ging der Grindskopf mit dem Rindsmagen auf dem Kopf und dem Apfel der jüngsten Zarentochter zum Zaren, um sich die versprochene Braut, die Zarentochter, zu holen. Als aber der Zar ihn in dem Zustande sah, mit dem Rindsmagen auf dem Kopfe, wollte er sie ihm nicht geben: »Soll ich meine Tochter einem Grindigen geben?« Die Tochter aber sagte zu ihrem Vater: »1, Vater! der war mir zugedacht, den will ich nehmen.« — »Nein«, fuhr der Zar fort, »das darf nicht geschehen.« — »Der war mir vom Schicksal bestimmt«, sagte sie weiter, »den wünsche ich mir, den will ich nehmen und keinen andern.« Da gab sich der Zar, ihr Vater, zufrieden und sagte: »Nun, wenn du ihn willst, nimm ihn dir.«
So nahm sie ihn zum Manne, und der Zar gab ihnen auch eine kleine Stube zur Wohnung, am Pferdestall, nahe bei den Pferden.
Bald darauf kam der Zar in Sorge, ein anderer Zar hatte ihm Krieg erklärt, daher ließ er die Herolde ausrufen: »Wer dem Zaren im Kriege zu Hilfe kommt, dem wird er ein Geschenk geben, was er sich nur wünscht.«Da zogen viele Helden zu Hilfe; auch hatte er die beiden älteren Schwiegersöhne aufgefordert, und sie gingen. An den jüngsten dachte er nicht einmal so weit, daß er überhaupt da war, und ließ ihn nicht einmal wissen, daß er mit jemandem Krieg führte und in Not war.
»Na!«sagte der Grindskopf zu seiner Frau, »dein Vater hat seine beiden andern Schwiegersöhne zum Krieg aufgerufen, mir hat er nicht einmal angezeigt, daß er Krieg führt und Not hat. Meinetwegen, aber wenn ich auch zu nichts anderem tauge, hätte er mich wenigstens zum Zusehen einladen können.«
Da ging die Frau zu ihrem Vater, weinte ihm etwas vor und sagte:
»Vater, warum tust du das? Deine beiden andern Schwiegersöhne hast du zum Krieg aufgerufen, warum nicht auch den jüngsten? Und wenn du ihn schon nicht dazu aufrufst - er taugt ja auch nicht für den Krieg -, warum hast du es nicht so gemacht, daß du ihm irgendeinen elenden Gaul gibst, damit er wenigstens mitziehen und aus der Ferne zusehen kann.«Da befahl der Zar seinen Dienern, ihm den alten Gaul zu geben. »Mag er denn auch gehen und zusehen, wenn er will.«
Der Grindskopf nahm den alten Gaul, stieg auf und zog mit dem Rindsmagen auf dem Kopfe fort. Als er so dahinzog, blieb der Gaul in einem Graben stecken, und er konnte nicht mit ihm herauskommen. Alle, die das sahen, lachten ihn aus; endlich aber kam er mit großer Mühe wieder aus dem Graben heraus. Darauf versteckte er irgendwo den Rindsmagen und warf das weiße Pferdehaar in die Luft. Sogleich, hast du nicht gesehen, erschienen vor ihm ein Schimmel und ein weißer Anzug; er zog die weißen Kleider an, bestieg den Schimmel und machte sich auf, das Heer, das weitergezogen war, einzuholen. Er holte es auch ein und sprengte vor dem ganzen Heer so mächtig einher, daß keiner ihn aufhalten konnte. Sie schlugen sich nun mit dem Feinde herum, besiegten ihn und kehrten am Abend zurück; auch der Zar kam zurück. Am nächsten Morgen kamen zum Zaren alle seine Großen, ihn zu dem Siege zu beglückwünschen, darunter auch der Held mit dem Schimmel, der Sieger. Sie stiegen hinauf, und alle standen stramm vor ihm; dann setzten sie ihn an den obersten Platz, ganz oben. Als sie nun tüchtig getrunken hatten, wie es damals Sitte war, sagte der Zar zu ihm:
»Nun, was wünschest du dir von mir? Wünsche, was du magst, ohne Scheu.« Er aber antwortete: »Nichts wünsche ich, erhabener Zar.« — »Wieso nichts? Ich habe doch gelobt, dem Sieger alles zu geben, was er nur wünscht.« Der Held wiederholte: »Ich wünsche nichts, erhabener Zar, als nur das Becken, das du zum Waschen brauchst, nur das gib mir.« —»Das Waschbecken«, antwortete der Zar, »kannst du leicht haben, aber wünsche dir noch etwas.« — »Nichts anderes wünsche ich«, sagte der Held noch einmal, »als das Becken.« Da gab man ihm das Waschbecken, und er ging damit nach Hause; das Pferd aber und die weißen Kleider verschwanden, und er zog wieder den Rindsmagen über den Kopf, das Waschbecken aber hängte er in der Stube an die Wand. Zum Glückwünschen kamen ja auch des Zaren Töchter, so auch die jüngste, die Frau des Grindskopfs. Die fragte ihren Vater: »Vater, was für ein Geschenk hast du dem Helden gegeben, der in dem Kriege
gesiegt hat?« —Der Vater antwortete: »Er wollte nichts, meine Tochter, als nur mein Waschbecken, und das habe ich ihm gegeben.« — »Was«, sagte sie, »wie kannst du ihm das Waschbecken gegeben haben? Das ist ja da bei uns im Hause, hängt an der Wand in unserer Stube.« — »Nein«, erwiderte der Zar, »wie kann das sein? Mein Waschbecken ist Gott weiß wo; der Held war nicht von hier; er nahm das Waschbecken und ging damit fort.« —»Nein, Vater, das Waschbecken ist bei uns zu Hause.« — »So geh und hole es, daß ich es sehe.« — Die Tochter eilte nun nach Hause, um das Waschbecken zu holen und es ihrem Vater zu bringen, daß er es sehe und ihr glaube; aber ihr Mann ließ es nicht zu, sondern sagte: »Laß das Waschbecken hier; mir ist es recht da, wo es ist.«Bald darauf wurde dem Zaren wieder Krieg erklärt; die Herolde riefen überall aus: »Wer ein tüchtiger Held ist, der soll dem Zaren zu Hilfe kommen, er will ihm zum Geschenk geben alles, was er nur wünschen mag.« Da kamen viele Helden; der Zar hatte auch seine beiden älteren Schwiegersöhne aufgerufen, und die waren gekommen. Dem jüngsten aber, dem Grindskopf, gab man wieder den alten Gaul, er solle auch ziehen, aber nur, um aus der Ferne zuzusehen. Da sagte er zu seiner Frau: »Was soll ich mit dem Gaul? Besser, ich gehe zu Fuß und sehe so von ferne zu.«Darauf ging er zu Fuß an den früheren Ort, versteckte dort den Rindsmagen und warf das rote Haar in die Luft; sogleich kamen vor ihm ein Rotfuchs heraus und ein roter Anzug. Den zog er an, bestieg das Pferd, sprengte fort, dem Heer voran und schlug sich heldenhaft. Sie kämpften lange mit dem Feinde, aber durch den Heldenmut des Grindskopfes gewann das Heer des Zaren den Sieg. Als sie heimgekehrt waren, kamen alle Großen zum Zaren, ihm zu dem Siege Glück zu wünschen, darunter auch der sieghafte Held. Der Zar aber fragte ihn: »Was wünschest du dir von mir? Wünsche, was du willst, ich gebe es dir, denn ich habe es gelobt, und du hast meine Ehre gerettet.« Aber der Held antwortete: »Nichts anderes wünsche ich von dir, erhabener Zar, als nur das Tuch, mit dem du dir das Gesicht nach dem Waschen abtrocknest.« Der Zar gab es ihm, und er ging damit nach Hause; auch die anderen gingen fort, er ging aber zuerst an den Ort, wo er den Rindsmagen gelassen hatte; dort tat er wie früher, setzte den Rindsmagen auf und machte sich wieder zum Grindskopf; Pferd und Kleider verschwanden. Zu Hause angekommen, hängte er auch das Tuch an die Wand wie früher das Waschbecken.
Als nun die Schwestern gingen, ihrem Vater Glück zu wünschen zu dem Siege, ging auch die Frau des Grindskopfes, und als sie ihren Glückwunsch angebracht hatte, fragte sie den Vater: was er dem Sieger für ein Geschenk gemacht habe. »Er wollte nichts«, antwortete der Vater, »als nur das Tuch, womit ich mir das Gesicht abtrockne, und das habe ich ihm gegeben.« —»Wie, das Tuch?«fragte sie weiter, »dein Tuch ist ja bei uns zu Hause, hängt in der Stube an der Wand.«Der Zar wollte es nicht glauben: »Wie kann es bei euch im Hause sein?« —»Jawohl, es ist bei mir im Hause«, wiederholte sie. — »So geh und hole es, daß ich es sehe.« —Da ging sie, das Tuch des Zaren zu holen, aber ihr Mann ließ es nicht zu, sondern sagte: »Laß es da, mir ist es recht, wo es ist.« Bald darauf wurde dem Zaren zum drittenmal Krieg erklärt; die Herolde riefen überall aus und forderten die Helden auf, dem Zaren im Kriege zu Hilfe zu kommen; der Zar würde dem Sieger alles geben, was er nur wünschen möge. Da kamen alle großen auserwählten Helden, auch die beiden älteren Schwiegersöhne des Zaren kamen, und zuletzt der jüngste, der Grindskopf. Wie früher, versteckte er den Rindsmagen und warf das schwarze Haar in die Luft. Sogleich erschienen ein Rappe und schwarze Kleider.
Die zog er an, bestieg das Pferd, sprengte fort und kam dem ganzen Heere des Zaren voran, schlug sich heldenhaft und siegte zum drittenmal.
Als so der Krieg zu Ende war, kamen wieder die Großen zum Zaren, ihm Glück zu wünschen, dabei auch der Held, der Sieger, und wieder fragte ihn der Zar, was er ihm für ein Geschenk geben solle für den Heldenmut, mit dem er das feindliche Heer vernichtet hatte. Der Held aber antwortete: »Ich wünsche nichts, erhabener Zar, als daß du mir sagst, wer ich bin«; dann sagte er aber selbst: »Ich bin dein jüngster Schwiegersohn, dem du deine jüngste Tochter nicht geben wolltest und den du in einer Stube dicht bei den Pferden wohnen ließest.«
Von da an ehrte ihn der Zar mehr als die beiden andern Schwiegersöhne und machte ihn zum Ersten von allen seinen Leuten.
So wurde der verachtete Grindskopf der Erste von allen und kam mehr zu Würden und Ehren als alle.
Der Herrgott und die vier Brüder
Es waren einmal vier Brüder, die zogen aus, um Geld zu verdienen. Auf ihrem Wege begegnete ihnen der Herrgott in Gestalt eines alten Mannes und redete sie an: »Guten Tag, Kinder.« Sie antworteten: »Gott vergelt's, Alter.« —»Wohin des Wegs?« — »Auf Gelderwerb, Alter.« — »Kann ich mit euch gehen?«fragte der Alte. Sie antworteten: »Komm nur mit, Alter.« So zogen sie zusammen weiter; unterwegs kamen sie an eine Quelle und setzten sich dort, um auszuruhen, zu essen und Wasser zu trinken. Als sie auf standen, sagte der älteste Bruder: »Wenn doch der Herrgott geben möchte, daß sich das Wasser dieser Quelle in Wein verwandle; wie wäre das schön; ich würde dann der Verkäufer und könnte auch mal was für die Armen tun.«Sogleich verwandelte sich das Wasser in Wein, und er blieb bei der Quelle, tat einen Laden auf und verkaufte Wein an die Reisenden.
Die andern Brüder ließen ihn dort zurück und setzten mit dem Alten ihre Reise fort. Unterwegs kamen sie an ein Grab mit zwei großen Pappeln an beiden Seiten. Als die der zweite Bruder sah, sagte er: »Wenn doch Gott gäbe, daß dies Grab und die Pappeln zu Getreidehaufen und Ochsen würden, wie wäre das schön; da könnte ich auch für die Armen sorgen.« Das hörte der Alte und sagte: »Gott soll geben, mein Sohn, daß es so geschieht.« Da verwandelten sich die Grabsteine in Getreideschober und die beiden Pappeln in zwei Ochsen; der zweite Bruder blieb da, richtete eine Dreschtenne her und drosch mit den Ochsen. Die beiden übrigen Brüder verließen ihn und setzten die Reise mit dem Alten fort. Unterwegs kamen sie an einen Friedhof, auf dessen Grabsteinen viele Krähen hockten und krächzten. Da sagte der dritte Bruder: »Wenn doch Gott gäbe, daß die Krähen, die da hocken, alle zusammen schwarze und weiße Schafe würden, wie wäre das schön.«Als das der Alte hörte, sprach er: »Gott soll geben, mein Sohn, daß es so geschieht.« Sogleich verwandelten sich die Krähen und begannen ringsherum zu blöken; der dritte Bruder blieb nun dort und hütete und besorgte die Schafe. Nur der jüngste Bruder blieb noch übrig, um mit dem Alten die Reise fortzusetzen. Auf ihrer Wanderung näherten sie sich einem Dorf; da sagte der Alte: »Komm, mein Sohn, ich will dich zu einer Hochzeit in diesem Dorfe bringen, daß wir uns ausruhen und einen Bissen essen.« Der Bursche antwortete: »Laß uns hingehen, Alter!«Und sie machten sich dahin auf. Im Dorfe angekommen, gingen
sie zum Hochzeitshaus und trafen den Traupaten mit den Hochzeitsgästen, die ihn bewirteten, auf dem Hofe am Tische sitzen; sie wurden eingeladen, sich zu setzen und einen Bissen zu essen und zu trinken. Der Alte und der Bursche setzten sich zusammen und verzehrten, was Gott gab. Nach kurzer Zeit brachte man die Braut heraus an den Tisch, daß sie dem Traupaten und den Gästen die Hand küsse -denn sie wollten sie jetzt zur Trauung mit dem Bräutigam geleiten - und daß sie die Gäste beschenke. Wie sie so nach der Reihe die Hand küßte, kam sie auch zu dem Alten, der aber rief: »Ihr Traupaten und Hochzeitsgäste, diese Braut ist nicht eure, sondern unsre, sie gehört diesem Burschen.« Die fuhren auf und sagten: »Was redest du da, Alter; wie ist so etwas möglich, nachdem alles nach Ordnung und Gesetz vor sich gegangen ist?« —»Wie sollte es nicht möglich sein«, erwiderte der Alte, »möglich ist es. Wenn ihr es nicht glauben wollt, daß die Braut unser ist, so laßt uns drei Rebenschößlinge in die Erde stecken, ihr auf eurer, wir auf unsrer Seite, und auf wessen Seite die Schößlinge ansetzen und Trauben zum Nachtisch geben, dem soll die Braut gehören.« — »Gut«, sagten Traupate und Hochzeitsgäste, und sie steckten die Schößlinge ein. Nach kurzer Zeit setzten die des Alten an, gaben Trauben, alle aßen davon, und die der andern verdorrten. Als nun die Hochzeitsleute mit ihren Reden gegen den Alten nichts ausrichten konnten, gaben sie dem Burschen die Braut, trauten ihn mit ihr, und er blieb in ihrem Dorfe wohnen. Der Alte aber ging seines Weges. Nachdem einige Zeit nach der Erfüllung der Wünsche der vier Brüder vergangen war, wollte der Herrgott erfahren, ob sie sich der Armen angenommen hatten, wie sie es versprochen hatten. Er verwandelte sich in einen sehr alten, armen, zerlumpten Bettler mit dem Stab in der Hand und begab sich auf den Weg zu jedem der Brüder, um dessen Herz zu prüfen. Zuerst ging er gegen Abend zu dem Händler und bat ihn: »Sohn, ich habe kaum mit meinem Stab in der Hand bis zu deinem Laden kommen können, laß mich diese Nacht ohne Bezahlung hier übernachten und gib mir zu essen und zu trinken, denn nach dem weiten Weg habe ich nichts mehr übrig.«Der aber antwortete: »Ach, Alter, du siehst doch, daß ich großen Zudrang habe; die Leute muß ich zuerst bedienen, nachher kann ich auch dich aufnehmen, aber so ohne Geld, mein Alter, kann ich es nicht.«Der Alte bat zum zweiten- und drittenmal, er möge ihm wenigstens etwas Brot und Wein zur Stärkung geben, aber er gab es ihm nicht. Da machte sich der Alte wieder auf den Weg, und als er ein wenig von dem Orte weg war, sagte er: »Gott gebe, daß dieser Wein sich in Wasser verwandle, wie es früher in der Quelle war.«Sogleich strömte das Wasser da heraus, und der Händler blieb ganz verwirrt stehen, als er kam, um Wein zu schöpfen und den Gästen zu verkaufen, denn da war nur Wasser.Darauf kam der Alte zu dem Landmann auf der Tenne, die war ganz umgeben von Getreideschobern, und in der Mitte lagen noch ungeworfelte Haufen. Da bat ihn der Alte, er möge ihm ein wenig Korn und Brot geben, damit er einen Bissen essen könne. Der aber antwortete: »Ach Alter, siehst du nicht, daß von nirgend her ein Wind geht, daß ich worfeln und dir etwas geben könnte; da nichts geworfelt ist, kann ich dir nichts geben.« Der Alte bat zum zweiten- und drittenmal um etwas von dem, was da war, aber der Landmann gab ihm nichts, und er ging weiter; aber als er sich etwas von der Tenne entfernt hatte, sagte er: »Gott gebe, mein Sohn, daß dies so werde, wie es gewesen ist«, und sogleich verwandelten sich Getreideschober und Tenne in das Grab mit seinen Steinen und den beiden Pappeln, der Landmann aber blieb beschämt zurück und hatte nichts, wie früher. Von da ging der Alte zu dem dritten Bruder, dem Schafhirten, auf dessen Tränkeplatz, als er gerade die Schafe melken wollte, und bat ihn: »Mein Sohn, gib mir ein wenig Brot, Käse und Milch, daß ich einen Bissen essen und einen Schluck trinken kann, denn ich bin von dem langen Weg sehr hungrig und schwach geworden.« Der Hirt antwortete ihm: »Ach, Alter, siehst du nicht, daß jetzt keine Zeit dazu ist? Du bist bitten gekommen, wo ich gerade die meiste Arbeit habe, ich kann meine Schafe nicht ungemolken lassen, um dir das und das zu geben.«Der Alte bat das zweite- und drittemal, aber der Hirt wollte ihn nicht einmal anhören, und er ging weiter. Als der Alte ein wenig von ihm fort war, sagte er: »Sohn, Gott gebe, daß diese Schafe wieder werden, was sie gewesen sind.«Und sogleich verwandelten sich die Schafe in die stummen Grabsteine mit den darauf bockenden schwarzen Krähen, die krächzten und mit den Flügeln schlugen; der Hirt aber blieb ganz erschrocken stehen und hatte nichts, wie er früher nichts gehabt hatte.
Darauf begab sich der Alte zu dem Hause des vierten Bruders; der war den Tag über zum Viehhüten aus, und im Hause traf er nur die Frau an, die gerade dabei war, in der heißen Asche einen Fladen zu backen aus Kuhdünger; damit wollte sie die Kinder täuschen und sie hinhalten, daß sie nicht nach Brot verlangten. Der Alte begrüßte sie, sie nahm ihn
freundlich auf, nötigte ihn, sich auf die Matte zu setzen, gab ihm ein Kissen, und er setzte sich. Als er so eine Weile gesessen hatte, sagte er zu der jungen Frau, sie solle den Fladen aus dem Feuer nehmen, da er schon ausgebacken sei. Darauf erwiderte sie: »Alter, wenn ich ihn auch herausnehme, er ist kein wirkliches Brot, sondern besteht aus Dünger; wir hatten heute kein Mehl, darum habe ich das so gemacht, damit die Kinder nicht vor Hunger vergehen, bis wir Brot bekommen; nimm's mir nicht übel.«Er aber sagte zu ihr: »Nimm das Brot nur heraus, mein Kind, es ist nicht das, was du denkst, sondern es ist wirkliches Brot; Gott hat angeordnet, daß es so werden soll.«Die Frau gehorchte ihm, nahm den Fladen heraus, wischte ihn ab, und als sie ihn zerbrach, zeigte er sich weiß, wie aus Weizenmehl angerührt. Da gab sie den Kindern Brot, deckte den Tisch für den Alten mit ein wenig Käse und nötigte ihn zuzulangen. Als der Alte tüchtig gegessen hatte, sagte er zu der Frau, sie solle gehen und ihm ein wenig Wein aus dem Fasse einschenken. Sie antwortete ihm: »Alter, es ist lange her, daß wir nichts hineingefüllt haben, es ist leer und ausgetrocknet.«Er aber sagte wieder zu ihr: »Geh nur, Kind, und sieh zu, es ist nicht leer, sondern voll; Gott hat gegeben, daß Wein da ist.«Da ging sie, sah, daß das Faß voll war bis ans Spundloch, und wunderte sich; dann füllte sie etwas ab und brachte es dem Alten zum Trinken.
Da es dunkel geworden war, blieb der Alte zur Nacht und aß mit ihnen zu Abend; sie aßen und tranken, was Gott gab, und am nächsten Morgen sagte der Alte, der sehr früh aufgestanden war: »Schlachtet mir eins von euren Kindern zum Opfer, bratet es mir in der Pfanne und gebt es mir zu essen.« Mann und Frau warfen sich Blicke zu, ob sie recht gehört hätten oder nicht; aber auf das Drängen des Alten blieb ihnen nichts übrig, sie schlachteten das Kind, richteten es zu, heizten den Ofen und legten es zum Braten hinein. Als die Zeit kam, daß es fertig gebraten sein konnte, sagte der Alte zu ihnen: »Geht und seht nach, ob das Kind in dem Ofen gebraten ist, und bringt es mir zum Essen; ich will dann weitergehen.«Als sie nun den Ofen aufmachten, um es herauszunehmen, erstaunten sie, als sie das Kind munter und gesund mit goldnen Äpfeln spielen sahen und um es herum den Ofen voll von Goldstücken. Da nahmen sie das Kind heraus und gingen wieder zu dem Alten; der ermahnte sie, einander nachzugeben und sich gegenseitig in Ehren zu halten, wenn sie wollten, daß Gott ihnen gewähre, um
was sie bäten. Er erklärte ihnen auch, daß sie, wenn sie einig lebten, das allerfeinste Haar spalten und, falls sie wollten, hindurchgehen könnten und daß sie den allergrößten Stein sprengen und durch ihn hindurchgehen könnten; wenn sie aber einander nicht nachgaben und in Ehren hielten, Gott ihnen nicht helfen könne. Darauf ging der Alte fort, und sie geleiteten ihn dankbar. Als sie zurückkamen, sammelten sie das Geld aus dem Ofen, hoben die Matte auf, darauf der Alte gelegen und geschlafen hatte, und fanden auch darunter noch Goldstücke; auch die legten sie beiseite und kamen zu Wohlstand, so daß der Mann vom Rinderhirten zum Reichsten im Dorfe wurde. Die Leute wunderten sich über sein Glück und sein schnelles Emporkommen, wußten aber nicht, daß Gott ihn für seine Frömmigkeit und seinen Gehorsam belohnt hatte.
Der heilige Georg, die Lamia und die Schlange
Einstmals, als der heilige Georg noch als Mensch auf Erden wandelte, hatte er zwei Brüder. Er war Schäfer, ein stiller, verständiger Mann und wandelte auf Gottes Wegen, war aber dabei sehr stark wie ein Löwe. Er hatte eine sehr schöne Frau, um die beneideten ihn seine Brüder und suchten eine Gelegenheit, ihm das Leben zu nehmen, damit ihnen die Frau zufiele.
Nahe bei ihrem Dorfe führte ein Loch in die Erde hinein wie ein Brunnen, und niemand wußte, was darin war, denn wenn man jemanden da hineinließ, kam er nie wieder heraus, weder lebendig noch tot. Auf dem Grund der Höhle standen zwei Widder, ein schwarzer und ein weißer, auch waren dort noch zwei Höhlen mit eisernen Türen, die eine führte in die Dunkelwelt, die andere in die Lichtwelt. Wenn man irgendeinen hineinwarf und er fiel auf den schwarzen Widder, so brachte der ihn in die Dunkelwelt und ließ ihn dort; fiel er aber auf den weißen, so brachte der ihn in die Lichtwelt.
Als der heilige Georg einmal seine Schafe nahe bei diesem Brunnen hütete, schlief er unter einem schattigen Baume ein. Die Brüder hatten schon lange auf eine Gelegenheit gelauert, und jetzt hatten sie eine. Sie hoben ganz leise den heiligen Georg im Schlafe auf und schleuderten ihn in den Brunnen. Als er auf dem Grunde auffiel, erwachte er, erschrak, merkte aber gleich, daß ihm diesen Freundschaftsdienst seine
Brüder angetan hatten. Zufällig war er auf den schwarzen Widder gefallen, und der brachte ihn nun in die Dunkelwelt. Dort herrschte ein Zar; alles war dort schwarz, die Menschen, die Tiere, auch der Zar selber. Der heilige Georg fand dort auch schwarze Schafe und wurde Hirt wie vorher. Zu dem Palast des Zaren führte von weit her eine Wasserleitung, an deren Quelle war eine Lamia, die nährte sich nur von Menschenfleisch. Wenn sie einen Menschen verzehrt hatte, floß die Leitung einen Tag, wenn sie zwei gefressen hatte, zwei Tage. So fraß sie viele Menschen, und der Zar konnte keinen Menschen mehr finden, um ihn der Lamia zu überliefern und so das Wasser zum Fließen zu bringen, denn es war in der Dunkelwelt kein Wasser außer diesem. Der Zar suchte und suchte, konnte aber keinen finden, und so schickte er seine Tochter zu der Lamia.Die Zarentochter ging zu der Quelle, setzte sich unter einen Baum, weinte und wartete, daß die Lamia komme und sie fresse. Der heilige Georg war aber in der Nähe, sah das Mädchen einsam unter dem Baum sitzen und weinen, trat zu ihr und fragte sie, warum sie weine. Das Mädchen erzählte ihm alles, der heilige Georg hatte Mitleid mit ihr und sagte ihr, sie möge keine Angst haben, er wolle ihr beistehen und sie erretten. Da bat ihn das Mädchen weinend, er möge nicht fortgehen, sondern bei ihr bleiben. Das tat er; da er aber schläfrig wurde, legte er seinen Kopf in ihren Schoß, um ein wenig zu schlafen, und sagte, sie solle ihn wecken, sobald die Lamia erscheine. So schlief der heilige Georg in ihrem Schoße ein, und bald darauf erschien die Lamia. Als die ihn sah, rief sie aus: »Ha! Ich wollte nur einen, jetzt kann ich gleich zwei essen.« Das Mädchen fing an zu weinen, wagte aber nicht, den heiligen Georg zu wecken, doch fiel eine Träne aus ihren Augen auf sein Gesicht, er sprang auf und sah die Lamia auf sie zukommen. Darauf schob er das Mädchen hinter sich, bot der Lamia sein Knie dar und sagte zu ihr: »Ich sehe, wir sind in deiner Hand, aber am besten fängst du vom Knie hier an zu fressen, denn sonst ist es für uns zu schrecklich.« Da schnappte die Lamia nach dem Knie des heiligen Georg, er aber streckte mit aller Kraft das Bein aus und zerschmetterte ihr den Mund, so daß sie starb. Als das Mädchen sah, daß sie gerettet war, sagte sie zudem heiligen Georg: »Du bist von jetzt an mein Bruder, ich gehe zu meinem Vater; der wird mich fragen, wie es zugegangen ist, daß ich am Leben geblieben bin, und ich werde ihm erzählen, wie du mich errettet hast; darauf wird er dich suchen lassen. Ich will dir aber vom Blut
der Lamia ein Merkmal aufdrücken, daß ich dich wiedererkennen kann; denn mein Vater wird alle Leute seines Landes zusammenrufen, um dich herauszufinden.« Damit benetzte sie ihre Handfläche mit dem Blut der Lamia und strich es ihm aufs Gewand. Dann ging sie fort, der Heilige machte sich ebenfalls auf und ging zu seinen Schafen.Einmal setzte er sich unter eine sehr dicke Buche, um in deren Schatten ein wenig auszuruhen. Da bemerkte er oben in dem Baum ein großes Nest, darin piepten junge Vögel. Das Nest aber war das eines riesigen Vogels, und sooft er Junge ausbrütete, fraß eine Schlange sie ihm auf, so daß er sie niemals großziehen konnte; denn da die Schlange gleich, wenn sie die Jungen gefressen hatte, sich zu verbergen pflegte, wußte er nicht, wer sie gefressen hatte. Als nun der heilige Georg unter dem Baume lag, sah er eine gewaltige Schlange an dem Baum zu dem Nest hinaufsteigen; auch die jungen Vögel sahen sie und piepten vor Angst. Da erhob der heilige Georg seinen Hirtenstab und traf die Schlange so, daß sie vom Baum fiel und tot war; er aber blieb unter dem Baume sitzen. Als nun der Vogel kam und ihn dort sitzen sah, wurde er wütend — er glaubte nämlich, es wäre der heilige Georg, der ihm seine Jungen verzehrt hätte -, wollte auf ihn niederfahren und ihn töten, aber gerade als er schon hinabstürzte, piepten die Jungen auf: Pi, pi, pi! und erzählten ihm, daß der Mensch da sie gerettet habe, und wenn er die Schlange nicht erschlagen hätte, sie sie aufgefressen hätte. Als die Vogelmutter nun erfahren hatte, wie sich die Sache verhielt, sagte sie zu dem heiligen Georg: »Ich habe so viele Jahre Junge ausgebrütet, und immer hat die Schlange sie mir aufgefressen; daß du nun gerade herkommst und mich und meine Kinder von ihr befreist, das kann ich dir mit nichts jemals vergelten; ich bitte dich aber, sage mir, was du von mir wünschest.« Darauf antwortete der heilige Georg: »Ich wünsche nichts, als daß du mich zu der Lichtwelt hinausbringst, denn ich bin nicht aus diesem Lande.« —»Gut, ich will dich hinbringen, aber die Lichtwelt ist sehr weit; darum backe Brot, soviel wie man in fünf Ofen backen kann, schlachte fünf gelbe Kühe und fülle einen Schlauch mit Wasser; das bringe alles allein hierher, und ich bringe dich dann fort.«
Als die Zarentochter nach Hause kam und ihr Vater sie sah, wurde er ganz irre und fragte sie: »Wie kommt es, Tochter, daß du lebendig daherkommst und daß die Wasserleitung läuft?« Sie erzählte ihm alles, und der Zar schickte überallhin Leute aus, die alle seine Untertanen zu ihm führen sollten. Unter denen war auch der heilige Georg, und als
der Zar alle in der Reihe aufgestellt hatte, erkannte die Tochter den Heiligen, sagte es ihrem Vater und zeigte ihm das Merkmal von dem Blute der Lamia, so daß er es glauben mußte. Da verneigte sich der Zar vor ihm und sagte ihm: »Wünsche jetzt, was du nur willst, und ich gebe es dir.«Darauf antwortete der heilige Georg: »Ich will nichts, mir genügt das Gute, das ich getan habe, doch laß mir fünf Ofen voll Brot backen, fünf gelbe Kühe braten und gib dazu einen Schlauch Wasser.« Das tat der Zar und bot ihm auch Geld an, aber das wollte der Heilige nicht nehmen. Er nahm nur das Brot, das Fleisch und das Wasser und ging damit unter den Baum, wo das Nest war. Da sagte ihm der Vogel: »Lade jetzt Brot, Fleisch und Wasser auf meinen Rücken, und steige dann selber auf. Wenn ich dir sage: ein Stück Fleisch, dann gib mir von dem Fleisch zu essen; sage ich: ein Stück Brot, gib von dem Brot, und wenn ich einen Schluck Wasser will, gib mir, aber gib ja nicht mehr, denn wenn es nicht reicht, bis wir ankommen, dann ist es schlimm, denn hungrig können wir nicht bis zur Lichtwelt kommen.«Der heilige Georg tat, wie ihm der Vogel befahl, und der flog zu den Wolken auf. Wochen und Monate vergingen, und er flog immer noch. Wenn er Fleisch wollte oder Brot oder Wasser, gab ihm der Heilige. Aber auf einmal war das Fleisch zu Ende, der Vogel wollte welches, und keins war mehr da. Der heilige Georg bekam Angst, der Vogel möge stehenbleiben und nicht mehr fliegen können, schnitt sich aus der Mitte jeder Fußsohle ein Stück heraus und gab es ihm, damit er nicht hungere. Der Vogel merkte aber, daß es vom Körper des heiligen Georg war, schlang es nicht, sondern behielt es im Munde und gab es wieder von sich, als sie in der Lichtwelt angekommen waren. Dort verließ er den Heiligen und kehrte durch das Erdloch zurück. Darum sind von jener Zeit an die Fußsohlen der Menschen zwischen den Zehen und der Ferse wie kleine ausgehöhlte Tröge.Der heilige Georg ging nun nach Hause und nahm seine Brüder mit in einen Wald, um Holz zu fällen. Er schlug eine alte große Buche von oben bis unten auseinander, so daß es einen langen Spalt gab und nötigte die Brüder, die Hände in den Spalt zu stecken, um den Baum ganz zu zerteilen, er selbst hielt die eine Hälfte. Als sie die Hände darin hatten, ließ der heilige Georg seine Hälfte los, die beiden Hälften der Buche fuhren wieder zusammen und drückten den Brüdern die Hände breit. Bis zu der Zeit, sagt man, waren die Hände der Menschen wie Fäuste, von da an aber wurden sie zu Handflächen, wie sie jetzt sind.
Der Drache und der Zarensohn
Es war einmal ein Zar, der hatte drei Söhne. Einmal ging der jüngste auf die Jagd, und wie er aus der Stadt heraus war, sprang ein Hase aus dem Gebüsch; er ihm nach, bald hierhin, bald dahin, bis der Hase in eine Wassermühle lief, und der Zarensohn hinter ihm her. Aber sieh da, dort war es kein Hase, sondern ein Drache, der dastand, den Zarensohn zu verschlingen. Als danach einige Tage vergangen waren und der Zarensohn nicht nach Hause kam, wurden sie unruhig, was es zu bedeuten habe, daß er nicht wieder da ist. Darauf ging der zweite Sohn auf die Jagd, und sowie er aus der Stadt heraus war, sprang der Hase aus dem Gebüsch, er ihm nach, bald hierhin, bald dahin, bis der Hase in die Wassermühle lief, und sieh da, dort war es kein Hase, sondern ein Drache, der stand da, den Zarensohn zu verschlingen. Als darauf wieder einige Tage vergangen waren und keiner der beiden Zarensöhne zurückkam, wurde der ganze Hof besorgt. Darauf ging auch der dritte Sohn auf die Jagd, ob er nicht seine Brüder finden möchte. Als er aus der Stadt heraus war, sprang wieder der Hase aus dem Gebüsch, er ihm nach, hierher und dahin, bis der Hase in die Wassermühle lief. Der Zarensohn aber mochte ihm nicht weiter folgen, sondern ging weiter, ein andres Wild zu suchen, und dachte bei sich: >Wenn ich zurückkomme, werde ich dich schon finden.< Er wanderte nun lange im Gebirge hin und her, fand aber nichts, ging dann zurück zu der Wassermühle und traf darin eine alte Frau. Die rief er an: »Gott helfe, liebe Alte!«Sie erwiderte: »Gott helf dir, mein Sohn.« Darauf fragte er sie: »Wo ist mein Hase, liebe Alte?«Und sie antwortete: »Mein Sohn, das ist kein Hase, sondern ein Drache; der hat schon viele Leute umgebracht.« Als der Zarensohn das hörte, wurde er etwas besorgt und sagte zu der alten Frau: »Was machen wir nun? Da sind wohl auch meine beiden Brüder umgekommen?«Die Alte antwortete: »Freilich, aber da ist nichts zu tun, sondern geh nach Hause, mein Sohn, ehe es dir geht wie ihnen.« Da sagte er zu ihr: »Weißt du was, liebe Alte? Ich weiß, du möchtest auch gern von diesem Elend freikommen.« Die Alte unterbrach ihn: »O mein Sohn, wie sollte ich nicht; auch mich hat der Drache geraubt, aber jetzt gibt es kein Fortkommen.« Da fuhr er fort: »Höre gut zu, was ich dir sage. Wenn der Drache kommt, frage ihn, wohin er zu gehen pflegt und wo seine Stärke ist; dann küsse immerfort die Stelle, wo er sagt, daß sie ist, als hättest du sie besonders lieb; das
versuchst du so lange, bis du es herausgebracht hast, und dann sagst du's mir, wenn ich herkomme.« Darauf ging der Zarensohn in sein Schloß, und die Alte blieb in der Mühle. Als nun der Drache kam, fragte ihn die Alte: »Aber sag doch, wo um Gottes willen bleibst du? Wohin gehst du so weit weg? Du willst mir nie sagen, wohin du gehst.« Der Drache antwortete: »Ach, meine Alte, ich gehe weit weg.« Da begann die Alte ihn zu umschmeicheln: »Aber warum gehst du so weit weg? Sag mir, wo ist deine Stärke? Wenn ich das wüßte, was würde ich da nicht vor Entzücken tun, ich würde immerfort die Stelle küssen.« Darauf fing der Drache an zu lachen und sagte: »Da ist meine Stärke in dem Feuerherd«, und die Alte drückte sich an den Herd, herzte und küßte ihn. Der Drache aber, als er das sah, brach in Gelächter aus und rief: »Dummes Weib, da ist meine Stärke nicht; sie ist in dem Baum da vor dem Hause.« Da machte sich die Alte an den Baum, herzte und küßte ihn, der Drache aber fing wieder an zu lachen und sagte: »Geh, dummes Weib, da ist meine Stärke nicht.«Als sie nun noch einmal fragte: »Aber wo ist sie denn?« antwortete der Drache: »Meine Stärke ist weit weg, dahin kannst du nicht kommen. Weit fort in einem andern Reiche bei der Zarenstadt ist ein See, in dem gibt es einen Drachen, in dem Drachen einen Eber, in dem Eber einen Hasen, in dem Hasen eine Taube, in der Taube einen Sperling, und in dem Sperling ist meine Stärke.« Als die Alte das hörte, sagte sie zu dem Drachen: »Das ist freilich weit, die Stelle kann ich nicht küssen.« Am nächsten Tage, als der Drache aus der Mühle fort war, kam der Zarensohn zu der Alten, und die sagte ihm alles, was sie von dem Drachen vernommen hatte. Darauf ging er nach Hause und verkleidete sich, zog Hirtenkleider an, nahm einen Hirtenstab in die Hand, machte sich so zum Hirten und zog in die Welt. Als er so von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt wanderte, kam er in ein andres Reich und in die Zarenstadt, neben der in einem See der Drache war. In der Stadt fragte er hin und her, wer einen Hirten brauche. Die Einwohner sagten ihm, der Zar brauche einen. Da ging er geradewegs zu dem Zaren, und als man ihn gemeldet hatte, ließ ihn der Zar vor sich und fragte ihn: »Du willst die Schafe hüten?« Er antwortete: »Ja, erlauchte Krone.« Da nahm ihn der Zar in Dienst und gab ihm noch Rat und Lehre: »Es gibt hier einen See, an dem See sehr schöne Weiden, aber sowie man die Schafe austreibt und sie dahin kommen, laufen sie auseinander rings um den See; kein Hirt aber, der da hinausging, ist je zurückgekommen; deswegen, mein Sohn, sage ich dir, laß den Schafen nicht ihren Willen, wohin sie wollen, sondern lenke sie, wohin du willst.«Der Zarensohn dankte dem Zaren und schickte sich an, die Schafe auszutreiben, mit sich nahm er zwei Windhunde, die einen Hasen in freiem Felde einholen konnten, und einen Falken, der jeden Vogel abfangen konnte, dazu noch einen Dudelsack. Als er die Schafe ausgetrieben hatte, ließ er sie gleich an den See, und die Schafe liefen auseinander rings um den See. Der Zarensohn aber setzte den Falken auf einen Baumstumpf, die Windhunde und den Dudelsack daneben, streifte dann Hose und Ärmel auf, watete in den See und rief: »Ho! Drache, Drache, komm doch heut zum Zweikampf mit mir, wenn du kein Weib bist.«Der Drache antwortete: »Gleich, Zarensohn, gleich!« Bald stand er auch da, groß, furchtbar, scheußlich; sie faßten sich zum Ringkampf und rangen den Sommertag bis Mittag. Als aber die Mittagshitze anfing zu brennen, sagte der Drache: »Laß mich doch einmal los, Zarensohn, daß ich meinen wüsten Kopf in den See tauchen kann; dann werfe ich dich himmelhoch.« Der Zarensohn antwortete: »Ach was, Drache, schwatze kein dummes Zeug! Wenn mich die Zarentochter auf die Stirn küssen würde, würfe ich dich noch höher.« Darauf machte sich der Drache gleich von ihm los und ging in den See. Gegen Abend wusch sich der Zarensohn schön und machte sich zurecht, setzte den Falken auf die Schulter, ließ die Hunde neben sich gehen, nahm den Dudelsack unter den Arm, trieb dann die Schafe zusammen und ging, auf seinem Dudelsack spielend, in die Stadt. Dort lief die ganze Stadt zusammen, als wäre ein Wunder geschehen, daß er wiederkommt, da doch früher kein Hirt von dem See hatte zurückkommen können. Am nächsten Tage machte der Zarensohn sich wieder auf und ging mit den Schafen geradewegs zu dem See. Der Zar aber schickte ihm zwei Reiter nach, die ihm heimlich folgen und nachsehen sollten, was er macht; und die stiegen auf einen hohen Berg, von wo aus sie gut sehen konnten. Als der Hirt angekommen war, stellte er Hunde und Dudelsack neben den Baumstumpf, den Falken darauf, streifte Hose und Ärmel auf, watete in den See und rief: »Ho, Drache, Drache! Komm heraus zum Zweikampf mit mir, wir wollen uns noch einmal miteinander messen, wenn du kein Weib bist.«Der Drache antwortete: »Gleich, Zarensohn, gleich!« Bald stand er auch da, groß, furchtbar, scheußlich; sie packten sich zum Ringkampf und rangen den Sommertag bis Mittag. Als aber die Mittagshitze anfing zu brennen, sagte der Drache: »Laß mich doch einmal los, Zarensohn, daß ich meinen wüsten Kopf in den See tauchen kann; dann werfe ich dich himmelhoch.« Der Zarensohn aber antwortete: »Ach was, Drache, schwatze kein dummes Zeug! Wenn mich die Zarentochter auf die Stirn küssen würde, würfe ich dich noch höher.« Darauf machte sich der Drache gleich von ihm los und ging in den See. Gegen Abend trieb der Zarensohn die Schafe zusammen wie früher und ging, seinen Dudelsack spielend, heim. Als er in die Stadt eintrat, geriet die ganze Stadt in Aufregung und wunderte sich, wie der Hirt jeden Abend nach Hause kommen konnte, was vorher keiner gekonnt hatte. Die beiden Reiter aber waren vor ihm ins Schloß gekommen und hatten dem Zaren alles der Reihe nach erzählt, was sie gehört und gesehen hatten. Als nun der Zar den Hirten nach Hause kommen sah, ließ er sogleich seine Tochter rufen, sagte ihr, was und wie sich alles zugetragen hatte und befahl ihr: »Also morgen gehst du mit dem Hirten an den See und küßt ihn auf die Stirn.« Da brach sie in Tränen aus und bat ihren Vater inständig: »Du hast niemanden außer mir allein und machst dir nichts daraus, wenn ich umkomme?« Da suchte sie der Vater aufzurichten und ihr Mut zu machen: »Hab keine Angst, meine Tochter; siehst du, wir haben schon so viele Hirten gewechselt, und keiner, der zu dem See hinausging, ist zurückgekommen; der hier aber hat schon zwei Tage mit dem Drachen gekämpft, und es hat ihm nichts geschadet. Ich hoffe zu Gott, daß er den Drachen überwinden kann; geh nur morgen mit ihm, vielleicht befreit er uns von diesem Übel, durch das so viele Menschen umgekommen sind.«Als am nächsten Morgen der helle Tag anbrach und die Sonne aufging, stand der Hirt auf, auch das Mädchen stand auf, und sie schickten sich an, zum See zu gehen. Der Hirt war vergnügt, vergnügter als je, das Mädchen aber weinte; der Hirt tröstete sie: »Fräulein Schwester, ich bitte dich, weine nicht, tu nur, was ich dir sage: wenn es Zeit ist, lauf herzu und küsse mich, und hab keine Angst.« Als sie aufgebrochen waren und die Schafe in Bewegung gesetzt hatten, war der Hirt unterwegs immer vergnügt, blies vergnügt auf seinem Dudelsack, das Mädchen aber ging neben ihm und weinte in einem fort; er nahm bisweilen die Dudelsackpfeife aus dem Munde und wandte sich ihr zu: »Weine nicht, meine Goldne, hab keine Angst.« Am See liefen die Schafe gleich auseinander um den See herum, der Zarensohn setzte den Falken auf dem Baumstumpf, Hunde und Dudelsack daneben, streifte Hose und Ärmel auf, watete ins Wasser und rief: »Ho, Drache, Drache! Komm zum Zweikampf mit mir heraus, wir wollen uns noch einmal messen, wenn du kein Weib bist.«Der Drache antwortete: »Gleich, Zarensohn, gleich!« Bald stand er auch da, groß, furchtbar, scheußlich; sie packten sich zum Ringkampf und rangen den Sommertag bis Mittag. Als nun die Mittagshitze anfing zu brennen, sprach der Drache: »Laß mich doch einmal los, Zarensohn, daß ich meinen wüsten Kopf in den See tauchen kann; dann werfe ich dich himmelhoch.« Der Zarensohn antwortete: »Ach was, Drache, schwatz kein dummes Zeug! Wenn mich die Zarentochter auf die Stirn küssen würde, würfe ich dich noch höher.« Sowie er das gesagt hatte, lief das Mädchen herzu und küßte ihn auf Wangen, Augen und Stirn. Da hob er den Drachen und warf ihn himmelhoch, und als der Drache auf die Erde herunterplatzte, zersprang er in Stücke, und aus ihm heraus kam ein wilder Eber, der lief in voller Fahrt davon, aber der Zarensohn rief seine Hirtenhunde: »Faßt! Laßt ihn nicht los!« Die Hunde sprangen hinter dem Eber her, holten ihn ein und zerrissen ihn auf der Stelle. Aber aus dem Eber sprang ein Hase heraus und fuhr übers Feld. Der Zarensohn aber ließ die Hunde los: »Faßt! Laßt nicht los!«Die hinter dem Hasen her, packten ihn und zerrissen ihn auf der Stelle. Aber aus dem Hasen flog eine Taube auf, der Zarensohn ließ seinen Falken los, der fing die Taube und brachte sie ihm, er schnitt sie auf, und sieh da, in der Taube war ein Sperling. Den packte er und sagte zu ihm: »Jetzt sagst du mir, wo meine Brüder sind.« Der Sperling antwortete: »Ja, nur tu mir nichts; gleich hinter der Stadt deines Vaters ist eine Mühle, darin sind drei Gerten, schneide sie ab und schlage damit auf ihre Wurzel; dann wird sich sogleich die eiserne Tür eines großen Kellers öffnen, darin sind so viel Menschen, alte und junge, reiche und arme, kleine und große, Frauen und Mädchen, daß man ein ganzes Land damit besiedeln kann; dort sind auch deine Brüder.« Als der Sperling mit seiner Aussage zu Ende war, drehte ihm der Zarensohn den Hals um. Der Zar aber hatte sich in Person herausbegeben und war auf den Berg gestiegen, von wo die Reiter den Hirten beobachteten, und hatte so alles gesehen, was sich ereignet hatte. Nachdem nun der Hirt mit dem Drachen ein Ende gemacht hatte, war schon die Dämmerung eingetreten, da wusch er sich schön, nahm den Falken auf die Schulter, die Hunde neben sich, den Dudelsack unter den Arm, spielte darauf, trieb die Schafe zusammen und ging zum Zarenhofe, das Mädchen ihm zur Seite, noch voll Schrecken. Als sie in die Stadt kamen, lief die ganze Stadt zusammen, als wäre ein Wunder geschehen. Der Zar aber, der von dem Berge aus das Heldenstück des Zarensohnes gesehen hatte, ließ ihn zu sich rufen und gab ihm seine Tochter; so zogen sie auf der Stelle in die Kirche zur Trauung und feierten dann eine ganze Woche lang Feste. Darauf erzählte der Zarensohn, wer und woher er sei: da freute sich der Zar und die ganze Stadt noch mehr, und als der Zarensohn darauf drang, in seine Heimat zu ziehen, gab der Zar ihm viele Begleiter und stattete ihn für die Reise aus. Als sie nun bei der Mühle ankamen, ließ der Zarensohn alle seine Begleiter haltmachen, ging hinein, schnitt die drei Gerten ab und schlug damit auf die Wurzel; alsbald tat sich die eiserne Tür auf, und sieh da, in dem Keller waren eine Menge Menschen. Da befahl der Zarensohn, sie sollten einer nach dem andern herauskommen und gehen, wohin sie wollten; er aber stellte sich an der Türe auf. Wie so einer nach dem andern heraustrat, da kamen auch seine Brüder, und er umarmte und küßte sie. Als die ganze Menge heraus war, dankten sie ihm, und jeder ging in seine Heimat. Er aber ging mit seinen Brüdern und seiner jungen Frau heim zu seinem Vater, lebte dort und herrschte bis an sein Lebensende.
Der Bettler und das Paradies
Als noch unser Herrgott auf Erden wandelte, kam er einmal als Bettler in ein Dorf auf einem zweirädrigen Karren mit einem elenden Gaul und zog bettelnd von Schwelle zu Schwelle, von Haus zu Haus. Als er so das ganze Dorf abgemacht hatte, bat er bei einem reichen Mann um Nachtlager. Aber da war kein Platz für sein Pferd, die Ställe des reichen Mannes waren übervoll von Vieh. Der Bettler geht zu einem andern; es ist überall so. Schon wird es dunkel, und der Bettler hat noch keine Unterkunft für sich selber, seinen Gaul und seinen Karren gefunden, steht auf der Straße und sieht sich um; dabei weht ein kalter Wind, die Luft sieht nach Schnee aus, und schon geht das Schneegestöber los. Da kommt ein armer Mann vom Felde nach Hause, sieht den Bettler auf der Straße stehen und fragt ihn: »Freundchen, was stehst du in dem schlechten Wetter so spät draußen und gehst nicht ein Unterkommen suchen?« — »Ich habe danach gesucht«, antwortete der Bettler, »kann aber keins finden, wo ich mein Pferd unterbringen könnte; alle Ställe im Dorfe sind voll Vieh.«Darauf sagte der Mann: »Komm nur mit mir in mein Haus, Freund. Ich habe nicht viel Vieh, habe zwar auch keinen großen Stall, aber wir werden uns behelfen, wie es Gott gegeben hat.«
Darauf nahm der arme Mann den Bettler mit in sein Haus, zog seinen eigenen Wagen halb aus dem Wagenschuppen ins Freie, um den Karren des Bettlers unterzubringen, stellte dessen Pferd zu seinem Esel in den Stall und stopfte die Krippen voll Grummet, damit Pferd und Esel zusammen schmausen könnten. Den Bettler nahm er zu sich in die warme Stube und bewirtete ihn mit allem, was er hatte, so gut er konnte. Dazu breitete er ihm eine Strohschütte am Ofen aus und bereitete ihm ein weiches Lager. Vor der Mahlzeit und nachher und vor dem Schlafengehen betete der Arme mit Frau und Kindern mit lauter Stimme zu Gott, und der Bettler stimmte ein. So beherbergte und bewirtete der Arme den Bettler freundschaftlich.Am andern Morgen sagte der Bettler zu dem Armen: »Höre, Bruder, komm auch einmal zu mir in mein Haus, damit ich dir die Liebe vergelten und dich bewirten kann, wie du mich freundschaftlich bewirtet und beherbergt hast.« — »Wie soll ich dein Haus finden?«fragte der arme Mann den Bettler. —»Das wirst du leicht finden, geh nur an den Fahrweg, wo mein Karren gegangen ist, das Geleise ist daran zu erkennen, daß es breiter ist als jede andre Wagenspur und niemals zuwächst.« — »Schön, Bruder, ich danke dir, ich komme, wenn ich Zeit habe, ich oder eins von den Meinigen. Ich habe noch zwei Stiefbrüder von Mutterseite im Dorf, die sind reicher als ich.« — »Komme, wer da will, es soll mir lieb sein«, sagte der Bettler und ging fort.
Als er fort war, ging der arme Mann in den Stall, um ihn zu kehren. Drinnen sieht er etwas in der Streu glänzen, bückt sich danach und hebt vier goldne Hufeisen auf. Die müssen von dem Pferde des Bettlers sein. Er gerät ins Nachdenken: »Lieber Gott, was ist das für ein Bettler, beschlägt sein Pferd mit Gold! Das ist eine Versuchung. Ich will die Hufeisen verwahren, damit ich sie dem Bettler zurückgeben kann, wenn er wieder hierherkommt oder ich zu ihm gehe.«Darauf geht er unter den Wagenschuppen, da liegen auf der Erde zwei silberne Schrauben. »Sieh an«, denkt er, »die müssen von des Bettlers Karren sein. Wie konnten ihm die nur herausfallen; da kann ihm unterwegs ein Unfall passieren, ein Rad kann ihm ablaufen, und die Achse kann brechen.«Und wieder versank er in Gedanken: »Mein Gott, ein sonderbarer Bettler, der an seinem Karren silberne Schrauben hat. Es ist vielleicht ein verkleideter großer Herr, vielleicht ein Prinz oder gar der König.«Auch die Schrauben legte der arme Mann zu den Hufeisen. Als er nun unter dem Schuppen näher nachsieht, wo die Räder des Karrens eingeschnitten
haben, da glänzt die Wagenspur wie versilbert, und so erscheint sie auch weiter durch den Hof und im Felde. »Mein Gott, ein sonderbarer Bettler«, muß er wieder bei sich denken.Als er dann mit seinen Stiefbrüdern zusammenkam, erzählte er ihnen von dem Bettler, seinem Pferde, seinem Karren, von den goldnen Hufeisen und von den silbernen Schrauben. Die Brüder gingen auch hin und besahen die Wagenspur, die von dem Karren des Bettlers geblieben war. Nach einiger Zeit machte sich der ältere Bruder auf den Weg, spannte zwei prächtige Pferde vor, sagte aber keinem, wohin er reist, nur seinem armen Stiefbruder sagte er, er wolle der silbernen Wagenspur nachfahren: »Ich gehe, wohin mich die Spur leitet.« Der Arme antwortete: »Glück auf, Bruder, ich möchte auch gehen, aber ich kann das Haus nicht verlassen, ich habe kleine Kinder, für die muß ich Brot schaffen.«Der Stiefbruder fuhr nun im Geleise des Bettlers einige Tage durch Wald und Feld, über Berg und Tal, immer auf dem silbernen Geleise. Er war gerade aus einem Walde heraus auf ein weites ebenes Gefilde gekommen, da sieht er von ferne einen Flußlauf sich durch die Ebene schlängeln, darüber eine Brücke, er darauf zu, und da sieht er, über den Fluß ist eine Brücke aus Holz gebaut, künstlich und schön, wie man sie nur träumen mag. Der Reisende bleibt stehen und betrachtet die Brücke. Eine solche hat er noch nie gesehen. Dann geht er hinüber und kommt auf ein freies Feld, das von Wald umgeben ist. Dort, nahe an der Straße mit dem versilberten Geleise, befindet sich ein Schweinekoben, an der einen Seite mit einem Maistrog, an der andern mit einem Wassertrog. Bei dem Koben sind zwei häßliche Säue. Die haben sich über das Futter entzweit und hauen aufeinander ein; eine rupft die andre mit den Zähnen an den Borsten, sie reißen sich das Fleisch vom Leibe, daß das Blut davonfließt. Der Reisende bleibt ein wenig stehen und schaut sich die Säue an. Schrecken faßt ihn, während er dem Greuel zusieht; er versetzt seinem Pferd einen Peitschenhieb und fährt weiter. So war er eine kurze Strecke gefahren, da kommt er wieder an eine Brücke über einen Bach. Die ist ganz von Stein, schön, wie im Traum geschaut, als wäre sie nicht zusammengebaut, sondern aus einem einzigen Stein gehauen. Der Reisende fährt hinüber und kommt auf eine Wiese; nahe an seiner Straße liegt ein kleiner Heuschober; um den herum laufen zwei Ochsen und stoßen sich mit ihren starken Hörnern; sie haben sich schon ganz blutig gestoßen und fahren noch immer aufeinander los; es ist schrecklich zu sehen, wie sie sich stechen
und stoßen, und schrecklich zu hören, wie sie brüllen und brummen; das Blut rinnt auf allen Seiten vom einen wie vom andern. Der Reisende sieht lange zu und wundert sich, daß niemand da ist, der die Säue und die Ochsen auseinanderbringen könnte. Sie werden tot hinfallen, so wütend wie sie aufeinander losgehen. Darauf fährt er eine Zeitlang weiter, und wieder kommt eine Brücke über einen Bach. Sie ist von Eisen, wunderbar, wie geträumt. Auch die Brückenbohlen sind eisern, dick, breit und lang. Der Reisende wundert sich. Sie donnert unter seinem Wagen, als er hinüberfährt.Auf dem Felde drüben nahe an seiner Straße liegt ein grünes Gebüsch auf einem Hügel. Um das herum jagen sich zwei Böcke und stoßen sich mit den Köpfen, daß die Hörner krachen, man möchte glauben, sie müßten abfallen. Sie sind schon beide mit Blut übergossen, und es ist schrecklich zu sehen, wie sie sich stoßen. Der Reisende blieb einige Zeit dabei stehen, ging dann weiter und fuhr eine Zeitlang vorwärts. Da kommt wieder ein Bach, darüber eine Brücke, die leuchtet und flimmert schon von ferne. Als er dahin kommt, muß er vor Verwunderung die Augen aufreißen, die Brücke ist von Kupfer, auch die Brückenbohlen sind kupfern; ein Werk, wie im Traum geschaut. Ober die Brücke kommt der Reisende in ein breites und langes Tal, von Hügeln umgeben. Neben seiner Straße ist ein Gabelholz in die Erde getrieben, darin sind Nägel eingeschlagen; an einem hängt ein Kalbsviertel, an dem zweiten ein Lammsviertel, am dritten ein Schweineviertel. Bei dem Gabelholz sind zwei große Hündinnen, eine schwarz, die andre gefleckt, wie zwei große Windhunde anzusehen. Die kämpfen um das Fleisch, reißen einander das Fleisch vom Leibe und beißen sich fürchterlich; das Blut rinnt ihnen aus dem Gebiß, schrecklich anzusehen. Der Reisende sah etwas zu und zog dann weiter. So fährt und fährt er, immer im Trabe, dahin; da kommt er wieder an einen Bach; von weitem bemerkt er die Brücke; sie glänzt, man kann nicht darauf hinsehen. Als er herankommt, sieht er, die Brücke ist von Silber, schön, wie im Traum gesehen. Da hält er seine Pferde an und steigt ab, um die silberne Brücke zu betrachten: alles ist von Silber, wie gegossen, die Brückenbohlen, die Pfeiler und das Geländer. Er betrachtet alles, faßt es an, streicht mit der Hand über Geländer und Bohlen, wackelt und zieht daran. Die Bohlen sind lang, breit und dick. Er zieht hierhin und dahin und zieht eine Bohle heraus, sie ist schwer, er kann sie kaum heben. Der Reisende überlegt hin und her und sieht sich nach allen Seiten um, sieht aber nirgends
einen und denkt sich bei sich: »Ich will zwei, drei Bohlen aus der Brücke hübsch herausziehen, sie auf den Wagen laden, mit Heu und Pferdedecken zudecken und dann rasch zurück nach Hause. Es wird mir für Lebenszeit reichen.«Was er beschlossen hatte, führte er aus und sprengte dann nach Hause zurück. Als er so einige Tage in aller Eile gereist war, nur daß er bisweilen die Pferde fütterte, kam er an und versteckte die silbernen Brückenbohlen im Stall. Er war in der Nacht angekommen; als er am andern Morgen in den Stall ging, um nach seinen silbernen Brückenbohlen zu sehen, hatten sie sich in hölzerne verwandelt, das Holz morsch und halb verfault. Da nahm er sie und spaltete sie zu Brennholz.Schon lange hatte auch der zweite Stiefbruder des armen Mannes den Wunsch gehabt nachzuspüren, wie weit das silberne Geleise von dem Karren des Bettlers führt. So spannte er gute Pferde an und fuhr ab. Seinem Stiefbruder, dem Armen, hatte er gesagt: »Ich gehe und will der Spur des silbernen Geleises folgen, wie weit und wohin sie führt.« Wie der erste Bruder kam er auf dem silbernen Geleise über die hölzerne Brücke, dann über die eiserne, die kupferne und die silberne. Alles sah er, was sein Bruder gesehen hatte, wie die Säue bei dem vollen Koben aufeinanderhauen, wie die Ochsen sich bei dem Heuhaufen stoßen, wie die Böcke sich um das Gebüsch herum jagen und stoßen, wie die Hündinnen sich um die Fleischstücke beißen. Als er über die silberne Brücke hinüber war, befand er sich auf einer großen Ebene. Da weiß er nicht, wohin er zuerst schauen soll: an einer Stelle neben dem Wege mit dem silbernen Geleise steht ein Mensch und schlägt mit den Armen um sich; eine Schar Raben stürzt sich auf ihn und will ihm die Augen auspicken; schon haben sie ihn im Gesicht verwundet und wollen ihm an die Augen; er kann sich nicht wehren. Etwas weiter sitzt auf einem Hügel ein alter Mann; Kopf- und Barthaar weiß wie Schnee. An ihn drängt sich ein Joch Ochsen, die rupfen sein Haar wie Heu aus einem Schober; soviel sie abrupfen, soviel wächst gleich wieder nach. Der Mann jammert und klagt und bittet Gott um den Tod; wo ihn die Ochsen rupfen, rinnt ihm das Blut aus Kopf und Bart. Etwas weiter von da steht ein Apfelbaum voll Früchte; die Zweige biegen sich von der Last zu Boden; unter dem Baum ein Mensch, der will Äpfel pflücken; er ist hungrig und möchte essen. Sobald er nun nach einem Apfel langt und ihn pflückt, platzt ihm der Apfel in der Hand und zerstäubt wie ein Bovist. Wieder an einer andern Stelle rennt ein Mensch hinter
einem Brunnen her; er möchte trinken, aber der Brunnen samt dem Eimer läuft vor ihm weg. Noch viele andre wunderbare Anstalten sah der Reisende auf diesem Felde; wer könnte erzählen, was es da alles gab. Der Reisende fuhr nun weiter. Da sieht er plötzlich aus der Ferne etwas glänzen; alles blitzt und funkelt wie Strahlen der Sonne. Er geht dahin, und was erblickt er? Eine Brücke über einem Bach, golden, aus reinem Gold, daß einem beim Hinsehen die Augen übergehen. Er hält an und steigt ab, um die goldne Brücke näher zu besehen, geht entlang, faßt Geländer und Bohlen an, und zieht an den Bohlen hierhin und dahin. Eine Bohle nach der andern wackelt er los und zieht drei, vier heraus. Sie sind schwer, er kann kaum eine bewältigen. Jetzt schaut er sich um, ob einer ihn sehen kann, und verstaut die Brückenbohlen in seinem Wagen; bei sich denkt er: »Ich wäre dumm, wenn ich noch weiterginge«, setzt sich auf den Wagen und fährt eilends zurück. Nach einigen Tagen kam er nachts zu Hause an. Die goldenen Brückenbohlen verwahrt er unter Schloß und Riegel im Stall, und geht am nächsten Morgen hin, seine Augen an dem Golde zu weiden. Aber wie er dahin kommt, haben sich die goldnen Bohlen in morsche hölzerne Bretter verwandelt. Aus denen spaltete er Feuerholz und verriet keinem, wo er gewesen war und was er gesehen hatte, so schämte er sich wegen der Brückenbohlen.Seitdem war lange Zeit vergangen. Der arme Mann, der den Bettler mit seinem Pferd und seinem Karren aufgenommen und beherbergt hatte, hatte seine Kinder großgezogen und auf eigene Füße gestellt, seine Frau war ihm gestorben; alt war er auch geworden. So sitzt er einmal da und denkt darüber nach, was er schon hinter sich hat und was er alles erlebt hat. Da fällt ihm auch der Bettler mit seinem Pferd und Karren ein; er sieht nach der silbernen Wagenspur; sie ist noch nicht verwachsen, glänzt noch wie neu, und er beschließt, dem Geleise nachzugehen und den Bettler aufzusuchen, nimmt seinen Wagen, spannt seinen Esel vor, und nun vorwärts. Die goldenen Hufeisen und die silbernen Schrauben nimmt er mit, um sie dem Bettler wiederzugeben, wenn er ihn finden sollte. Der arme Mann kam nun der Reihe nach über alle die Brücken und sah alles, was seine Brüder gesehen hatten; es war alles noch so wie damals. Er ist ein ehrlicher Mann; um nichts in der Welt würde er seine Hand nach fremdem Gut ausstrecken, sein Sinn steht nicht auf Diebstahl wie der gierige Sinn seiner Brüder nach den silbernen und goldenen Brückenbohlen. Langsam zog er auf seinem Wagen weiter und kam
an eine wunderbare Mauer, ein Ringmauer, die sich weithin erstreckte, so daß man mit dem Auge das Ende nicht ersehen konnte. Die Mauer ist hoch, aus kostbarem Gestein erbaut, man kann nicht darauf hinsehen, so glänzt und funkelt sie. Die Mauer hat ein großes Tor, an dem ist alles von Gold und Edelsteinen, weißen, schwarzen, gelben und grünen und sonst von allerlei Farben, wie man es im Traum schauen mag.Der arme Mann reißt die Augen auf, er kann sich nicht satt sehen und nicht genug wundern. Das Tor ist zu. Er steigt vom Wagen, läßt seinen Esel weiden, zieht den Wagen unter die Mauer, nahe bei dem Tor, und nimmt seinen Ranzen vom Wagen. Darin hat er die goldenen Hufeisen und die silbernen Schrauben. Darauf geht er zu dem Tor, zieht den Riegel, und das Tor geht auf. Hundert Augen könnte einer haben und könnte nicht alles übersehen, was es da gibt; ein großer Garten, man kann ihn nicht überschauen, darin Obstbäume aller Art, einige in der Blüte, andere reif, mit so schönem Obst, daß man sich nicht daran satt sehen konnte, und in zahlloser Menge, dazu lieblich duftende Blumen. Haine gibt es, Wiesen, Hügel und Quellen. Aus den Brunnen fließt das Wasser, klar wie Tränen, durch Röhren aus Edelstein. Auf den Bäumen singen prächtige Vögel, wie sie der arme Mann noch niemals gesehen hatte. Essen und Trinken konnte man beim Anhören ihres Gesanges vergessen. Der arme Mann steht da in größter Verwunderung, weiß nicht, ob er träumt oder wacht, ob er tot oder lebendig ist. Er sieht sich nach allen Seiten um, geht langsam durch den Garten weiter und hält sich immer an dem silbernen Geleise. Lange geht er so weiter, durch Obstgärten, Blumengärten, durch Wäldchen und Haine, durch Wiesen und Pflanzungen. Er fühlt nicht Hunger noch Durst, noch Müdigkeit; so erfreut ist er über all das Schöne und Liebe, Tränen vergießt er vor Freude. Bald hier, bald da bleibt er stehen, betrachtet bald dies, bald das, horcht, geht weiter - da auf einmal tritt aus den Bäumen und Büschen der Bettler vor ihn, den er einst mit Pferd und Karren bei sich aufgenommen hatte. »Gelobt sei Jesus Christus, Freund«, rief der arme Mann. Der Bettler antwortete »In Ewigkeit, amen!« »Gott sei Dank, Freund«, sagte nun der arme Mann, »daß ich dich gefunden habe und jetzt hier sehe. Aber zuerst muß ich dir die Hufeisen und Schrauben abliefern, die du verloren hast, als du bei mir übernachtet hast.«Damit greift er in seinen Ranzen, holt Hufeisen und Schrauben heraus und übergibt sie dem Bettler; der wirft sie ins Gras und führt den armen
Mann weiter durch den Garten. Der bat ihn nun, er möge ihm sagen, was das ist, was er alles unterwegs bis hierher gesehen hatte; und der Bettler erklärte ihm auf dem Spaziergange durch den Garten alles der Reihe nach: »Als du über die hölzerne Brücke auf das offene Feld gekommen warst, sahst du einen Schweinekoben voll Mais und Wasser. Die beiden Säue, die dort aufeinander einhauen, sind zwei Schwägerinnen, die auf Erden in einem wohlversorgten Hause wohnten, aber sie haßten sich, zankten und schlugen sich immer. Als du über die steinerne Brücke gekommen warst, sahst du, wie sich um einen Heuhaufen zwei Ochsen stießen. Es sind zwei Nachbarn, die auf Erden in Streit lebten. Darum leben sie so in dieser Welt hier. Als du über die eiserne Brücke gekommen warst, sahst du, wie sich zwei Böcke stießen. Es sind zwei Nachbarn. Sie lebten auf Erden in Haß und trachteten einander nach dem Leben. Darum leben sie so auch in dieser Welt hier. Als du über die kupferne Brücke gekommen warst, sahst du im Tal ein Gabelholz mit Fleisch. Um das Fleisch bissen sich zwei Hündinnen; das sind zwei leibliche Schwestern, die entzweiten und stritten und schlugen sich um die Habe der Eltern; daher so auch in dieser Welt hier. Als du über die silberne Brücke gekommen warst, kamst du auf ein großes ebenes Feld und sahst, wie Raben einen Menschen anfallen, ihm ins Gesicht hacken und die Augen auspicken. Das ist ein Sohn, der Vater und Mutter schlecht behandelt hat, er schlug sie und ließ sie Hunger leiden. Da hat er nun seinen Lohn. Der Alte ferner, dem die Ochsen das Haar abrupfen, ist ein Bauer, der beim Pflügen seine Ochsen immer auf fremden Ackern und Wiesen weiden ließ. Der Mann, der durstig dem Brunnen nachläuft, war ein Säufer.«Während der Bettler dem armen Manne so alles erklärte, führte er ihn weiter durch den schönen Garten. »Was ich da alles an schönen Dingen gesehen und gehört habe«, sagte er selbst, »könnte ich nicht erzählen und wenn man mich totschlüge.«Endlich bat er den Bettler: »Ich bitte dich, Freund, ich möchte gehen, nach meinem Esel zu sehen und ihn zu tränken, daß mir mein Fahrer keinen Durst leide; satt gefressen hat er sich schon an dem schönen Gras. Dann will ich dich bitten, daß ich noch ein wenig im Garten bleiben und mich an seiner Schönheit satt sehen darf.«Der Bettler lächelte dem armen Manne freundlich zu und geleitete ihn bis ans Tor. Als er draußen war, wo er Esel und Wagen gelassen hatte, sagte er dem Bettler Lebewohl, der aber gab ihm die Hand und sagte: »Komm wieder, ich erwarte dich zum Abend.« Der
Arme sieht sich nun auf dem Felde um, sein Esel ist nirgends; er geht über die Brücke und sucht, geht über die zweite und dritte, immer weiter, der Esel ist nicht da. Schon ist er über die letzte hölzerne Brücke gekommen, findet aber nicht, was er sucht. Nun macht er sich weiter auf den Weg, immer das silberne Geleise entlang bis zu seinem Dorfe.Als er da ankommt, erkennt er weder Dorf noch irgendeinen Menschen darin, alles hat sich verändert, andre Häuser, andre Leute. Er erkundigt sich nach seinem Häuschen, seinen Kindern und seinen Stiefbrüdern. Keiner kann ihm etwas darüber sagen, alle Leute sehen ihn fremd an und wundern sich über ihn. Was will der arme Mann machen? Er kann nur auf dem silbernen Geleise zu dem Bettler wieder zurückkehren, ihn zu fragen, was das mit ihm ist. Als er wieder in den schönen Garten kam, nahm ihn der Bettler freundlich auf, und er ging niemals wieder von da weg, sondern blieb bei dem Bettler im Paradies.
Die Nachtschwärmerin
Es war einmal ein Zar, der hatte eine sehr schöne Tochter; die verdarb jede Nacht ein Kleid und zerriß ein Paar gelbe Schuhe. Das verdroß den Zaren, und er fragte alle Dienerinnen aus, ob sie wüßten, daß vielleicht seine Tochter jede Nacht irgendwohin aus dem Hause ginge und so Kleider und Schuhe zerrisse. Die Dienerinnen versicherten ihm, daß die Zarentochter nicht ausginge. Er glaubt ihnen aber nicht und stellte eine Wache auf, die die ganze Nacht vor der Tür stehen und aufpassen sollte, ob seine Tochter in der Nacht aus dem Zimmer ginge. Aber auch das half nichts. Schuhe und Kleider waren jeden Morgen, den Gott gab, zerrissen und wieder zerrissen.
Da wurde der Zar zornig, und um irgendwie auf die Spur zu kommen, schickte er einen Boten aus und ließ im Volke verkünden: wer ihm sagen könnte, wohin seine Tochter jede Nacht geht und wie sie ihre Kleider zerreißt, dem würde er sie zur Frau geben.
Als diese Botschaft sich im Reiche verbreitete, kamen von allen Seiten tapfere Burschen herzu, um die Zarentochter zu bewachen. Aber keiner konnte herausbringen, wo sie in der Nacht bleibt. Nur so viel erfuhr man, daß sie sich jeden Abend schön anzieht, dann mit einmal weg ist, ohne daß jemand sehen konnte, wann und wohin sie geht; in der Frühe
traf man sie wieder in ihrer Stube mit verdorbenen Kleidern und zerrissenen Schuhen.Endlich machte sich ein armer Bursche auf den Weg, um die Zarentochter zu bewachen, ob ihm vielleicht das Glück hold wäre, daß er was erfährt. Unterwegs kam er auf ein weites Gefilde und traf dort drei Brüder, die drauf und dran waren, sich bis aufs Blut zu schlagen. Er rief sie als Bundesbrüder an und fragte sie, warum sie sich schlagen. Die Brüder antworteten: »Was fragst du uns, da du uns doch nicht helfen kannst?« —»Es kann wohl sein, daß ich es kann«, meinte der arme Bursche, »sagt mir nur, um was ihr euch schlagt.«Da erzählte ihm der älteste Bruder, wie ihnen nach dem Tode ihres Vaters drei Dinge hinterblieben wären: ein kleiner Teppich, eine Kappe und ein Stock, sie aber auf keine Weise das unter sich aufzuteilen vermöchten. Der Bursche lachte und sagte zu ihnen: »Und um solche Kleinigkeiten schlagt ihr euch?« —Darauf antworteten die Brüder: »Das sind keine Kleinigkeiten, Bruder, sondern Dinge von sehr großem Wert. Jedes von ihnen hat eine besondere Kraft: wenn man sich auf den Teppich setzt, kann man hinkommen, wohin man wünscht; wenn man die Kappe auf den Kopf setzt, kann einen niemand sehen, und mit dem Stock kann man Stein und Eisen durchschlagen.«
»Na, wenn es so steht, kann kein Friede zwischen euch sein, und ihr selbst könnt die Sachen nicht verteilen. Aber wenn ihr mir folgt, werde ich im Augenblick Frieden unter euch stiften und so teilen, daß es allen recht ist.« —»Da sag nur wie!« riefen alle drei zugleich. — »Nun so, ihr geht weg auf den Hügel da und stellt euch dort in einer Reihe auf. Wenn ich dann mit der Hand winke, rennt ihr los, und wer zuerst zu mir kommt, dem gebe ich den Teppich, wer zu zweit anlangt, dem gebe ich die Kappe, und der letzte kriegt den Stock.«
Die entzweiten Brüder bedachten sich etwas, einigten sich aber zuletzt und gingen darauf ein. Sie übergaben ihr Vatererbe dem Burschen und zogen ab auf den Hügel. So wie sie weg waren, setzte der Bursche geschwind die Kappe auf, setzte sich auf den Teppich, nahm den Stock in die Hand und dachte sich, er wolle im Zarenpalast sein, und im Augenblick war er weg. Als er vor den Zarenpalast geflogen war, nahm er die Kappe vom Kopfe, stieg von dem Teppich ab wickelte beides hübsch zusammen und steckte es in den Busen. Dann zeigte er dem Zaren an, er sei gekommen, seine Tochter zu bewachen. Der Zar gab ihm die Erlaubnis. Als nun der Abend kam und alle im Hofe zur Ruhe
gingen, legte sich der Bursche vor die Tür der Zarentochter, zog die Kappe aus dem Busen, setzte sie auf den Kopf und begann so unsichtbar aufzupassen und zu horchen. Zu einer Nachtstunde ging die Stubentür leise auf und aus dem Zimmer guckte die Zarentochter heraus, schön wie eine Bergesvila. Das neue Kleid schimmerte nur so an ihr. Als sie über die Schwelle getreten war, zog sie die gelben Schuhe an, machte die Tür hinter sich zu und kam unhörbar wie ein Schatten durch den Palast ins Freie, ohne daß sie einer sah, außer dem armen Burschen. Der zog gleich auch den Teppich aus dem Busen, setzte sich darauf, faßte den Stab fest an und wünschte sich, er möchte bei ihr sein.Als sie nun aus dem Palast heraus waren, gingen sie lange Zeit eins hinter dem andern her, die Zarentochter schwebte voran und der Bursche unter der Tarnkappe hinterdrein. So kam die Zarentochter an eine schöne Wiese und sprach: »Gras, mach Platz, daß ich durchkann.« Darauf rückte das Gras auseinander, und die Zarentochter ging hindurch, der Bursche hinter ihr. Der griff nach dem Grase und pflückte davon ab, dann steckte er sich's in den Busen. Darauf fing das Gras an zu sprechen: »Bis jetzt bist du durchgegangen, Zarentochter, und hast uns keinen Schaden getan.« Die Zarentochter wunderte sich, was das bedeuten sollte, und sah sich um, aber hinter sich sah sie nichts, und ging weiter. Danach kam sie in einen wunderschönen Garten, darin wuchsen mancherlei Bäume mit Früchten aus Gold und Edelstein. Da rief die Zarentochter: »Macht Platz, ihr Bäume, daß ich durchkann.« Sogleich rückten die Bäume zur Seite und ließen ihr einen Pfad frei; der Bursche blieb immer hinter ihr, griff nach den Zweigen und pflückte Früchte von Gold und Edelstein; die steckte er sich in den Busen. Die Bäume aber begannen darauf gleich zu sprechen: »Bis jetzt bist du durchgegangen, Zarentochter, und hast uns keinen Schaden getan.«Die Zarentochter verwunderte sich wieder, was das sein könnte, und sah sich um, wurde aber hinter sich keine lebendige Seele gewahr und ging weiter. Bald darauf kam sie ans Meer und sprach: »Mach Platz, Meer, daß ich durchkann.« Das Wasser wich sogleich auseinander, und die Zarentochter ging hindurch wie auf trockenem Lande, der Bursche hinter ihr. Da sah er auf dem Grunde schöne Perimuscheln, nahm einige Perlen auf und steckte sie in den Busen. Da sprach das Meer: »Bis jetzt bist du durchgegangen, Zarentochter, und hast mich nicht beschädigt.« Darauf fuhr die Zarentochter vor Schrecken zusammen und dachte, was das bedeuten sollte, da sie doch keinen Schaden getan hatte.
Sie sah sich wieder um, aber da sie niemanden bemerkte, beruhigte sie sich und ging weiter. Als sie ans Ufer kamen, lag ein Gefilde vor ihnen ausgebreitet, mittendrin stand ein hoher Apfelbaum, und an seiner Wurzel war eine Steinplatte; die Zarentochter klopfte dreimal mit dem Schuh auf die Platte, die hob sich, und unter ihr tat sich ein unterirdischer Gang auf. Die Zarentochter ließ sich hinab, und die Platte schloß sich über ihr. Da holte der Bursche mit seinem Stabe aus, tat einen Schlag auf die Platte, und als sie sich aufgetan hatte, stieg er auch hinab und ging in kurzer Entfernung hinter der Zarentochter her. Da unten gab es was zu sehen! Schöne Paläste, hoch und weit, Stuben und Säle fügten sich unübersehbar eins ans andre, und in ihnen schimmerte alles von Gold und Edelstein; Leuchter wie die Sonne erhellten die Paläste, alles glänzte und funkelte, daß man nicht darauf hinsehen konnte. Der Palast war ganz voll von Leuten, alles nur Vilen und ihre Genossen. Diener eilten wie beflügelt hin und her und bedienten die Gäste.In einigen Stuben waren Tische aufgestellt, reich besetzt, für die Gäste; die schönsten Speisen und Getränke in goldenem Geschirr standen in der größten Fülle auf den Tischen. Die Gäste setzten sich zu Tisch und taten sich gütlich an Speise und Trank. Der arme Bursche sah das alles an und dachte bei sich, warum er so hungrig bei dem Essen dabeistehen soll; da langte er selber zu, nahm vom Tisch die besten Bissen, ganz wie sein Herz begehrte, und trank den funkelnden Rotwein. Die Gäste sehen, wie die Speisen vor ihnen verschwinden, wie die vollen Becher sich leeren, wundern sich, denn sie können nicht sehen, wer das tut. Noch mehr erstaunen sie, als auch die goldenen Becher aus denen sie trinken, vor ihren Augen verschwinden. Während sie so verwundert dastanden, stopfte der Bursche sich die Kostbarkeiten in den Busen. Schon an der Tür hatte ein junger Mann, schön wie gemalt, die Zarentochter erwartet; es war der Sohn des Vilenzaren. Sowie sie eintrat, nahm er sie bei der Hand und setzte sich mit ihr in eine Ecke; dort unterhielten sie sich, scherzten und lachten, während die andern aßen und tranken; sie brauchten nicht Speise noch Trank, wenn sie nur einander sehen konnten, ob auch hungrig und durstig. Da erscholl von irgendwoher himmlisches Flötenspiel. Alle Gäste standen von den Tischen auf und gingen dem Flötenklange nach; auch die Zarentochter mit dem Sohne des Vilenzaren und hinter ihnen der arme Bursche. Sie traten nun in einen großen, großen Saal, ringsum Säulen aus Elfenbein, auf ihnen erhob sich ein Gewölbe wie der Himmel, mitten daran leuchtete eine
Sonne, um sie Mond und Sterne. Von oben ertönte die Flöte, als wenn die Engel des Himmels Harfe spielten. Die Vilen und Vilengenossen faßten sich zum Reigen an und begannen zu tanzen.Der Vilenreigen hob an, erst langsam, dann immer schneller und schneller; es sah aus, als stünden die Tänzer nicht auf dem Erdboden, als schwebe der Reigen, als wiegten ihn die Töne der Flöte hin und her. Die Flöte tönte immer eindringlicher, und Tänzer und Tänzerinnen tanzten immer heftiger. Zuletzt kam es wie Tollheit über sie, und sie fingen an zu springen, unter ihnen die Zarentochter, als wäre sie unsinnig geworden. Sie und der Sohn des Vilenzaren umschlangen sich fest und sprangen, sprangen, bald nach rechts, bald nach links. Der Zarentochter platzte das Kleid, und die Schuh gingen in Stücke; von dem schönen Gewand, das sie zu Hause angezogen hatte, hingen nur noch Fetzen herab.
So wurde fortgetanzt bis an den lichten Tag; als aber die ersten Hähne krähten, hörte die Flöte plötzlich auf, der Reigen löste sich auf, die Vilen und Vilengenossen gingen aus dem Saal in die Zimmer daneben und waren in kurzer Zeit alle irgendwohin verschwunden. Auch die Zarentochter ging fort, und ihr Tänzer begleitete sie; beim Herausgehen aus dem unterirdischen Palast umarmten und küßten sie sich; sie ging durch den Gang ins Freie hinaus, und der arme Bursche hinter ihr her. Auf demselben Wege, den sie gekommen waren, kehrten sie zurück und kamen, gerade als es Tag wurde, in den Zarenpalast. Die Zarentochter ging unhörbar in ihr Zimmer und legte sich todmüde ins Bett. Der Bursche nahm seine Kappe ab, wickelte sie und den Teppich zusammen und steckte sie in den Busen, den Stock vor sich, und legte sich an seinen alten Platz vor der Tür nieder. Am Morgen ließ der Zar den Burschen vor sich rufen und fragte ihn, ob er was entdeckt habe. Der berichtete ihm alles, was er gesehen, und erzählte ihm, wohin seine Tochter in der Nacht geht, was sie anstellt, woher ihre Kleider zerrissen sind und wie er ihr auf ihrer Nachtreise gefolgt war. Der Zar wunderte sich nicht wenig, als er all das hörte, ließ seine Tochter rufen und befragte sie, wo sie die Nacht gewesen wäre und woher ihre Kleider zerrissen wären. Sie antwortete, sie sei die ganze Nacht in ihrem Zimmer gewesen. Da gab der Zar dem Burschen einen Wink, und der hielt dem Mädchen alles vor.
Als die Zarentochter das hörte, war sie im ersten Augenblick sehr bestürzt, dachte aber, das alles könne nur ein Fallstrick sein, denn wie
sollte der arme Bursche oder irgendein Mensch auf der Welt ihr auf ihrem nächtlichen Spaziergang folgen und in den unterirdischen Palast gelangen können. Darum leugnete sie und blieb dabei, sie sei nicht aus dem Palast gegangen. Da rechnete der Bursche ihr alles einzeln her, wohin sie gegangen war, was sie gesagt hatte, was Gras, Bäume und Meer gesprochen hatten; dann zog er aus dem Busen die Zeugnisse hervor, daß er auf demselben Wege hinter ihr hergegangen war, zeigte ihr auch Becher und Geschirr von dem Gastmahl und sagte ihr, wie sie auf dem Tanzgelage in dem unterirdischen Palast gewesen war und mit wem sie getanzt hatte. Nun erkannte die Zarentochter, warum Gras, Bäume und Meer sich beklagt hatten, was sie in der Nacht vorher nicht verstanden hatte, und sah, daß man ihr auf die Spur gekommen war und daß es keinen Ausweg gab. Da schämte sie sich und ging in ihr Zimmer. Der Zar aber überzeugte sich, daß alles, was der arme Bursche gesagt hatte, wahr sei, hielt sein Versprechen und gab ihm seine Tochter zur Frau.
Das lügst du
Es war einmal ein König, der hatte eine kluge, aber schelmische Tochter. Als sie ins heiratsfähige Alter gekommen war, sagte sie zu ihrem Vater, dem König: »Ich will keinen andern heiraten als den, zu dem ich sagen muß, wenn er sich mit mir unterhält, daß er lügt. Wer mir so zu erzählen versteht, daß ich ihm sagen muß: du lügst, den will ich nehmen.«Der König, ihr Vater, war seiner Tochter nicht entgegen und ließ in der weiten Welt ausrufen, die Leute möchten zum Versuch mit der Unterhaltung kommen und zusehen, was sie mit der klugen Königstochter machen könnten. Da kamen Kaisersohne und Königssöhne, Grafen und Barone und unterhielten sich mit ihr, und wenn einer recht tief in der Lüge steckte, so daß man ihm hätte sagen müssen: du lügst, sagte die Königstochter nur zu ihm: »Das ist ja kein Wunder, das kann alles sein«, oder sie sagte: »Das ist gut«, oder: »Das ist schlimm.«Keiner konnte ihr so erzählen, daß sie genötigt war zu sagen: du lügst. So waren einige Jahre vergangen, und viele vornehme Herren hatten sich herzugedrängt und sich mit der Königstochter unterhalten, aber keinem hatte das genützt, obwohl sie auf jede Weise schwindelten und logen, aufschnitten und Flausen machten und sich jegliche Mühe gaben, daß die Königstochter zu einem sagen müsse: du lügst. Aber alles
vergeblich; sie unterhielt sich mit jedem, wunderte sich über nichts, hörte alles an und nahm es kaltblütig hin.Einmal verabredeten sich zwei reiche Edelleute, daß auch sie ihr Glück versuchen möchten, ob es nicht einem von ihnen gelänge und er des Königs Schwiegersohn würde. Nahe bei der Hauptstadt des Königreiches war ein See, durch den man bisweilen mit dem Wagen durchfahren konnte, wenn man den Weg gut kannte. Der Weg um den See war weit. Die beiden reichen Edelleute fuhren auf einem herrschaftlichen Wagen mit herrschaftlichen Pferden an den See. Gegenüber gleich am Ufer lag das Königsschloß. »Fahren wir durch«, meinten die Reisenden, »unsre Pferde sind gut, sie werden schon durchkommen.« Als sie darüber sprachen, sahen sie einen jungen Hirten zu dem See kommen und riefen ihn an: »He, wackrer Bursche, kann man mit der Kutsche durch den See kommen?« —»Das kann man schon, Herr«, antwortete der Hirt, »aber der Weg um den See ist näher.« —»Wieso?«fragten die Reisenden. — »Versucht's, dann werdet Ihr sehen, daß man beim Herumfahren eher an das Schloß kommt.« — »Ist es denn wirklich wahr?«fragten sie weiter, »was wir über die Königstochter gehört haben, daß sie den jungen Mann heiraten wird, der ihr eine Geschichte so zu erzählen versteht, daß sie zu ihm sagen müßte: du lügst.« »Das stimmt, ihr Herren, und das Mädchen ist klug und schön, man findet wohl schwer ihresgleichen.« —»Und du meinst wirklich«, sprachen die Reisenden weiter zu dem Hirten, »daß wir wohl mit unsern guten Pferden den See durchwaten können?« — »Das könnt Ihr, aber wenn Ihr schneller dahin kommen wollt, nehmt den Weg herum.« Die Reisenden hörten nicht auf den Burschen, sondern schlugen den geraden Weg quer durch den See ein; aber so wie sie die Pferde ins Wasser trieben, versank der Wagen im Schlamm. Da hatten sie die Bescherung. Der Bursche half ihnen den Wagen zurückziehen, und nun ging's um den See herum.
Im Gespräch mit dem Hirten hatten sie gemerkt, daß er ein kluger, aufgeweckter Bursche war und voller Teufeleien steckte, und einer sagte zum andern: »Höre, Freund, wir wollen den Burschen mitnehmen, er kann uns beistehen bei der Königstochter. Der Bursche steckt voll Witz und Teufelei.«Also taten sie und fragten den Hirten, ob er wohl Lust habe, sich in ein Gespräch mit der Königstochter einzulassen, sie würden ihn schön kleiden, herrschaftlich. »Willst du? Wir werden dir gut zahlen.« — »Ich will schon, aber wenn ich allen früheren Freiem im
Lügen über werde, hilft Euch das nichts.« —Die Reisenden gingen nun zum Schloß; den Burschen hatten sie herrschaftlich angezogen und schön herausgeputzt. Er war ohnehin ein hübscher Bursche, auch im Bauernkittel, aber jetzt im Dolman sah er aus wie ein Königssohn. So ging's zu dem Königshof, und er fand den König in Person vor dem Hofe. Der Bursche kannte den Herrn König nicht und bat ihn: »Herr! Ich bin ein fremder Reisender und bin zum Gespräch mit dem Fräulein Königstochter gekommen, wo kann ich sie finden!« Der König antwortete: »Geht ans Gartentor, mein Freund, meine Tochter geht gerade im Garten spazieren; da könnt Ihr gleich mit ihr sprechen.« Der Bursche verneigte sich vor dem König und dankte ihm, dann ging er in den Garten. Dort stand die Königstochter bei den Kohlbeeten mit einem Buch in der Hand. Er verbeugte sich und begrüßte sie. Sie grüßte wieder. »Ihr habt da schönen Kohl, Fräulein.« —»Und die Stauden sind heuer groß«, erwiderte sie. — »Mein Vater hatte voriges Jahr Kohl, wie ihn noch nie einer gehabt hat; jede Staude so groß, daß zwölf Schmiede ihre Werkstätten darunter aufstellen konnten und schmieden, ohne daß einer den andern hörte.« — »Das war einmal gut.« — »Oder auch nicht gut, denn als das Kraut zum Wintervorrat zugerichtet und gehobelt werden sollte, konnte mein Vater kein Faß finden, es einzumachen.« — »Das war schlimm.« — »Schlimm gerade nicht; mein Vater kam auf den Gedanken, was zu tun sei; er ließ eine Staude zurück, die übrigen verkaufte er. Für das Geld kaufte er einen ganzen Eichwald und nahm tausend Böttcher, jeden mit drei Gesellen und zwei Lehrlingen. Die hieben den Wald um und machten Faßdauben und stellten ein Faß her, drei Tagereisen im Umfang, eine halbe Tagereise hoch. Darauf boten mein Vater und ich die Nachbarn zur Hilfe auf, wir hobelten das Kraut und füllten das Faß voll.« —»Das war ja sehr gut, da hattet ihr ja wenigstens Kraut genug.« — »Es war doch nicht recht gut, wir mußten uns quälen, bis wir das Kraut mit Steinen gepreßt hatten; einen Monat lang fuhren wir Steine auf hundert Wagen, hundert Pferde fielen um, und hundert Leute wurden beim Steinegraben und -fahren lahm oder verletzten sich.« —»Das war ja schlimm.« —»Doch nicht ganz so schlimm, beim Steinegraben fanden die Leute eine Salzquelle und kamen so zu Salz.« — »Das war ja gut.« — »Das Salz war schon gut, aber schlimm stand's mit dem Faß, das Kraut darin verdarb und faulte.« — »Das war schlimm.« —»Es war nicht einmal schlimm, mein Vater und ich machten uns an das Faß, er an dem einen, ich am andern Ende; wir wälzten es auf den Acker, schütteten das verfaulte Kraut aus und düngten ihn so.« —»Das war doch gut.« — »Es war nicht recht gut, denn als wir das verfaulte Kraut auf den Acker schütteten und es sich über den Acker von einem Ende bis zum andern ausbreitete, merkte mein Vater, daß wir uns geirrt und einen fremden Acker gedüngt hatten. Da hoben wir den Acker wie eine Decke hoch, mein Vater an einem, ich am andern Ende, trugen so das verfaulte Kraut von dem fremden Acker auf unsern hinüber und luden es dort ab.« — »Das war ja gut.« — »Doch nicht gerade gut, denn von dem verfaulten Kraut wurde die Luft so verpestet, daß hundert Dörfer auswandern mußten.« — »Das war schlimm.« — »Nicht gerade schlimm, denn das Kraut witterte aus und das Land war damit so gut gedüngt, daß mein Vater, als er den Acker umgepflügt und mit Weizen besät hatte, so viel Korn baute, daß hunderttausend Leute es nicht bewältigen konnten.« — »Das war aber gut.« —»Doch nicht recht, denn mein Vater wurde so reich, daß er nicht wußte, wohin er mit all dem Reichtum sollte, und der Mann ganz närrisch wurde vor Überfluß an Geld und Gut. Ich will Euch nur eins erzählen. Mein Vater suchte in der ganzen weiten Welt nach dem allergrößten Pferd, und endlich fand er eine Stute, die war eine Tagesreise lang und hatte eine Blesse, einen halben Tag lang.« — »Das war mal gut.« — »Doch nicht so recht gut, denn für eine so große Stute, wie der Bleß meines Vaters, mußte man auch einen großen Wagen haben. Mein Vater mühte und quälte sich, bis er einen Wagner und einen Schmied fand, die ihm einen Lastwagen machten gut zwei Tagereisen lang und eine breit, aber dabei hatte er sich bis auf den letzten Heller verausgabt.« — »Das war schlimm.« —»Doch nicht so schlimm, wenigstens quälte sich mein Vater nicht mehr mit dem Reichtum, sondern lebte mehr in Ruhe. Was er auf hundert Wagen mit zweihundert Pferden nicht hatte verrichten können, das verrichtete er jetzt mit seiner Stute auf seinem Lastwagen mit der halben Mühe.« — »Das war aber gut.« — »Doch nicht gerade gut, denn mein Vater tat sich viel auf sein Pferd zugute und glaubte schon, es gäbe nichts, was er nicht fahren könnte, und keinen Weg, der ihm zuviel wäre. Mein Vater und ich gingen einmal in den Wald Holz holen. Die Äxte gingen klipp, klapp! Wir fällten zehn Eichen, sägten und spalteten sie und luden sie auf den Wagen. Damit hatten wir kaum den Boden bedeckt. Also wieder daran mit dem Fällen, noch zehn Buchen und noch zehn; man sieht aber kaum, daß Holz auf dem Wagen ist. So fällten wir noch Eschen, Weißbuchen, Ulmen und Eichen und hatten schon den halben Wald geschlagen, bis wir den Wagen voll mit Holz beladen hatten; dann ging es hierher in die Stadt. Wir konnten die ganze Stadt für den Winter mit Holz versehen.« — »Das war ja gut.« — »Doch nicht gerade gut, denn meinem Vater ließ sein Übermut keine Ruhe, er wollte nicht um den See herumfahren, sondern geradedurch und so eher zur Stadt gelangen. Als er die Stute in den See trieb, blieb der Wagen im Sumpf boden und im Schlamm stecken, die Stute stand still und konnte nicht weiter. Wir hieben mit unsern Peitschen auf die Stute ein, mein Vater von der einen, ich von der andern Seite. Die Stute zog aus allen Kräften an, und es platzte ihr an meiner Seite die Flanke, und das Eingeweide trat heraus. Es krachte wie ein Donnerschlag. Aus dem Bauch der Stute fiel ein Papier heraus; ich greife schnell danach, öffne es und lese, was darin stand: Euer Vater, Königstochter, der jetzige König, habe bei meinem Vater sieben Jahre als Hirt im Dienst gestanden.« —»Du lügst«, fiel ihm das Mädchen schnell in die Rede, »das lügst du, das ist nicht wahr.« —»Nun, wenn es so steht, gebt mir Eure Hand, Ihr seid meine Braut.«Das Mädchen reichte ihm die Hand, und sie gingen zum Vater König. Da gab es Verlobung, Ringwechsel und Festtrunk, dann war die Hochzeit, der Hirt wurde des Königs Schwiegersohn, und als der König gestorben war, wurde er selber König.
Das goldene Gürtelschloß
Es war einmal ein junger König, der wollte sich verheiraten und suchte nach einem sehr schönen Mädchen. Er hatte einen Vogel, den schickte er in den Garten einer Frau, die reich war und drei Töchter hatte. Jeden Morgen kam der Vogel in den Garten und sagte: »Die älteste Tochter verheirate, die zweite verheirate auch, aber die jüngste verheirate nicht.«Die Mädchen saßen dabei und arbeiteten am Stickrahmen. Eines Tages, als die Mutter wieder den Vogel sah und ihn dieselben Worte sagen hörte, ging sie zu einer Nachbarin, erzählte, was geschah, und die Nachbarin fragte sie: »Was sagst du zu dem Vogel, wenn er sagt, daß du die jüngste Tochter nicht verheiraten sollst.« Sie antwortete: »Gar nichts.«Darauf sagte die Nachbarin: »Frage ihn, was du mit deiner Tochter machen sollst.« Am Morgen kam der Vogel nach seiner Gewohnheit und sagte dieselben Worte; darauf fragte sie ihn, und er antwortete: »Laß sie mit einer Dienerin ins Gebirge gehen, denn dorthin
wird der König kommen und sie zur Frau nehmen.« Sie schickte nun die Tochter mit einer Dienerin dahin, und sie sollten warten, bis der König käme, wie es der Vogel gesagt hatte. Aber was tat die Dienerin? Als sie im Gebirge angekommen waren, stieß sie das Mädchen und stieß sie so heftig, daß sie hinabrollte und in den Brunnen einer Königin fiel. Das war aber eine Negerin, denn es war dort eine Stadt, in der Neger und Negerinnen wohnten, und die waren sehr reich. Als das Mädchen in den Brunnen gefallen war, ertrank es nicht, sondern konnte sich in eine Höhlung in der Brunnenwand setzen. Die Negerin, die Herrin des Brunnens, schickte eine Dienerin, Wasser zu holen, und als sie den Eimer hinabließ, ergriff das Mädchen das Seil und ließ es nicht los. Die Dienerin fing an, den Eimer zu ziehen, konnte ihn aber nicht aufziehen, ließ das Seil hängen, eilte zu ihrer Herrin und sagte: »Dort im Brunnen ist ein weißes Mädchen und läßt mich den Eimer nicht ziehen.« Darauf ging die Herrin hin und fragte in den Brunnen hinab: »Wer bist du da indem Brunnen?«Das Mädchen antwortete: »Ich bitte dich sehr, zieh den Eimer ganz langsam auf, und wenn ich draußen bin, will ich dir erzählen, wie ich hier in den Brunnen gefallen bin.« Da zog die Negerin sie aus dem Brunnen und nahm sie mit nach Hause; dort erzählte das Mädchen ihr alles, was ihr geschehen war, und da sie weiß und sehr schön war, gewann die Negerin sie sehr lieb und überließ ihr die Schlüssel zu Kisten, Kasten und Schränken.Der König hatte nun die Dienerin geheiratet, denn die hatte er im Gebirge gefunden, wunderte sich aber, daß sie nicht so schön war, wie ihm der Vogel gesagt hatte. Nach zwei oder drei Jahren kam sie in Hoffnung und faßte ein Gelüste nach einem goldenen Gürtelschloß. Der König nahm alle Goldstücke zusammen, die er hatte, berief die Goldschmiede und sagte zu ihnen: »Schätzet diese Goldstücke und sagt mir, ob sie zu einem goldenen Gürtelschloß reichen oder nicht.« Die Goldschmiede antworteten, daß sie nicht hinreichten. Darauf ging der König in viele Städte und wollte Goldstücke haben, aber man gab sie ihm nicht. So kam er auch in die Stadt, wo die reichen Neger wohnten, und sagte zu der Königin, da er ja wußte, daß sie sehr reich war: »Ich bitte dich sehr, gib mir einige Goldstücke, denn meine Frau hat ein Gelüste nach einem goldenen Gürtelschloß.«Darauf rief sie das weiße Mädchen: »Lauf zu meinem Glücksengel, back aber vorher einen Kuchen, bring ihm den und sprich: gib einige Goldstücke.« Als der König das Mädchen sah, fragte er die Negerin: »Wo hast du das weiße
Mädchen her?« Sie antwortete: »So und so, sie war mit einer Dienerin ins Gebirge gegangen, denn dahin sollte ein König kommen und sie zur Frau nehmen, aber die Dienerin stieß sie um, und sie fiel in meinen Brunnen; die Dienerin blieb da und der König nahm sie zur Frau.«Als nun das Mädchen mit einer Goldbarre ankam, sagte der König zu ihr: »Du bist meine Frau, wie deine Herrin mir erzählt hat, komm, wir wollen nach Hause gehen und ich will dich heiraten.« Er erbat sie von der Negerin, und diese gab sie ihm. Danach gingen die beiden nach Hause, und der König ließ die Dienerin töten.
Das Mädchen im Kasten
Es war einmal eine arme alte Frau, die hatte einen Sohn. Als er herangewachsen war, sprach sie zu ihm: »Mein Sohn, wir sind kleine Leute; jetzt, wo du erwachsen bist, mußt du dich umsehen, einen Dienst zu finden, damit wir leben können; denn ich kann dir nicht mehr zu essen geben.« Der Sohn sah ein, daß seine Mutter recht hatte, und sagte zu ihr: »Mütterchen, für schwere Arbeit bin ich nicht; aber wir wollen meinem Paten schreiben, der Kaufmann in Smyrna ist, er soll mich aufnehmen, damit ich gut leben und auch dir schicken kann, daß du durchkommst.« Also schrieben sie an den Paten, und der war von ganzem Herzen einverstanden, den Jüngling aufzunehmen. Die Mutter machte ihm Kleider und schickte ihn mit einem Schiffe nach Smyrna. Als er zu seinem Paten kam, nahm der ihn freundlich auf und stellte ihn in seinem Laden an; und da er ledig war, gab er ihm Geld, und der Jüngling ging einkaufen und kochte das Essen.
Eines Tages, als er in der Ladentür saß, sah er einen Lastträger, der einen Kasten trug und rief: »Ich verkaufe diesen Kasten; wer ihn kauft, wird es bereuen, und wer ihn nicht kauft, wird es auch bereuen.« Als der Jüngling das hörte, dachte er: >Was sagt der Mann da? Was ist das mit dem Kasten? Ich will ihn nehmen.<Und sprach zu dem Lastträger: »Für wieviel gibst du den Kasten?« Der antwortete: »Für fünfhundert Piaster.« Der Jüngling hatte so viel Geld nach und nach von seinem Lohn erspart, gab es dem Lastträger und bekam den Kasten; den stellte er ohne Wissen seines Paten in einen Winkel des Ladens.
Am folgenden Tage war Sonntag, und der Jüngling machte sich auf und ging einkaufen; darauf ging er in die Kirche und dachte bei sich: >Wenn
ich aus der Kirche komme, gehe ich und bereite das Essen.< Als er aus der Kirche nach Hause kam, fand er das Essen fertig, und zwar so gut, wie es der beste Koch nicht hätte machen können, und er sprach bei sich: »Sieh an, der Pate hat selbst das Essen bereitet, als ich nicht da war.«Sowie der Pate kam, richteten sie an und setzten sich zum Essen; und der Pate, als er das gute Essen sah, sprach zu Konstantin - so hieß der Jüngling: »Mein Sohn, ich wette, heute hat nicht einmal der König ein so gutes Essen. Du bist der beste Koch im Lande geworden.« Der Jüngling aber dachte bei sich: >Aha! Der Pate hat das Essen selbst bereitet und jetzt neckt er mich<, errötete ein wenig und schwieg.Am nächsten Tage kaufte er wieder ein, Fische, ließ sie zu Hause und ging in den Laden; sobald die Mittagszeit käme, wollte er wiederkommen und sie kochen. Als er dann seine Geschäfte erledigt hatte, ging er nach Hause und fand die Fische gekocht, und zwar so schön, daß die ganze Nachbarschaft davon duftete. >Aha<, dachte er, >der Pate hat wieder meinen Dienst verrichtet.<Der Pate kam zu Mittag, sie setzten sich zum Essen, und ihm gefiel das Essen so gut, daß er nicht wußte, wie er den Jüngling loben sollte. Da nun der Jüngling sah, daß sein Pate tat, als wisse er von nichts, geriet er in Zweifel; am nächsten Tage ging er wieder einkaufen und trug es nach Hause, aber anstatt in den Laden zu gehen, versteckte er sich in einem Schrank. Da sah er, wie aus dem Kasten ein Mädchen herauskam, so schön, daß das ganze Haus von ihrer Schönheit erglänzte. Sowie sie draußen war, schürzte sie sich und fing an zu kochen. Von ihrem Anblick wurde er so hingenommen, daß er sich nicht halten konnte; er kam leise heraus, fiel ihr zu Füßen und sprach: »Bist du ein Engel oder ein Mensch, wie du hier stehst?« Sie antwortete: »Ich bin ein Mensch, fürchte dich nicht! Als ich in dies Land kam, sah ich dich und verliebte mich in dich, weil du so schön bist. Ich bin die Tochter des Königs von Ägypten, und eines Tages, als ich nach Smyrna gekommen war, um dort den Sommer zuzubringen, sah ich dich und liebte dich sehr. Als ich wieder zu meinem Vater nach Ägypten kam, wollte er mich verheiraten; da ich aber dich liebte und wußte, daß mein Vater mich dir niemals geben würde, sagte ich zu ihm : >Ich will mich nicht verheiraten.< Da wurde er zornig und befahl einem seiner Leute, mich in einem Kasten zu verstecken und mich heimlich weit von Ägypten zu verkaufen. Ich sagte aber dem Manne, er solle mich nach Smyrna bringen und mich an dich verkaufen. Nun wollen wir warten und sehen, was mein Vater tun wird, denn er hat kein andres Kind.«
Als Konstantin so erfuhr, daß das Mädchen eine Königstochter sei, fiel er ihr zu Füßen, sie aber hob ihn auf und küßte ihn, und sie heirateten heimlich, ohne daß der Pate es wußte. Am andern Tage suchte Konstantin ein Schiff und sprach zu dem Kapitän: »Ich werde dir einen Kasten geben; auf den gib gut acht wie auf deinen Augapfel und bringe ihn meiner Mutter.«So gab er ihm den Kasten, und der Kapitän brachte ihn zu Konstantins Mutter mit einem Brief, in den er geschrieben hatte, daß in dem Kasten seine Frau sei. Die Mutter nahm sie freundlich auf und liebte sie sehr. Eines Tages stand ein Jude vor dem Hause der Alten, und als er das schöne Mädchen sah, ergriff ihn die Versuchung, sie zu gewinnen, und eines Tages, als er sah, daß sie unter die Tür trat, kam er mit Waren zum Kauf; aber als das Mädchen ihn sah, ging sie hinein. Der Jude kam nun Tag für Tag vorbei, um sie zu sehen: sie verbarg sich; er schickte Leute, die mit ihr reden sollten, sie aber wies sie ab. Da wurde der Jude ärgerlich und schrieb einen Brief an Konstantin: »Deine Frau läßt ohne Wissen deiner Mutter alle jungen Männer ins Haus und ist ein schlechtes Weib.« Als Konstantin das vernommen hatte, geriet er in so großen Zorn, daß er sogleich Smyrna verließ und zu seiner Mutter ging. Das Mädchen sah ihn vom Fenster aus, kam schnell herab, machte die Tür auf und küßte ihn. Dort bei der Tür floß ein großer Strom vorbei. Als nun die Tür aufging und Konstantin seine Frau sah, ward er so zornig, daß er nicht abwartete, sie zu fragen, ob es wahr wäre, was der Jude ihm geschrieben habe, sondern er packte sie gleich und warf sie in den Fluß. Darauf ging er hinein zu seiner Mutter und fragte sie über die Frau. Die erzählte ihm dann, was der Jude gemacht hatte, um die Frau zu bekommen, daß die ihn aber verhöhnt habe. Da war Konstantin nahe daran, sich das Leben zu nehmen, ging aber zum Flusse und stellte Leute an, nachzusehen, ob seine Frau ertrunken sei; doch nirgends entdeckte man sie. Da wandte er sich ab und floh wie wahnsinnig ins Weite.
Als das Mädchen in den Fluß fiel, hatten Fischer ihre Netze ausgeworfen, zogen sie halbtot heraus und hüllten sie in einen Mantel. Dort kam ein Türke vorbei und fragte die Fischer, ob sie keine Fische hätten. Sie antworteten, sie hätten nichts gefangen, nur eine Frau. Als der Türke sie sah, gewann sie sein Herz, und er kaufte sie von den Fischern für fünf zigtausend Piaster. Als sie zu sich gekommen war, sah sie neben sich einen Türken; dann erinnerte sie sich, was sie erlitten hatte, und sprach zu dem Türken: »Was willst du jetzt mit mir machen? Wenn
du mich nimmst und es sieht mich ein andrer, der stärker ist als du, so wird der mich nehmen. Aber weißt du, was wir tun wollen? Gib mir Kleider von dir, damit ich mich als Mann anziehen, und keiner mich als Frau erkennen kann; so kannst du mich behalten.« Er willigte ein, sie nahm seine Kleider, trat hinter einen Busch und kleidete sich um. Dort stand das Pferd des Türken, und als sie sich umgekleidet hatte, stieg sie auf und sprengte davon. Der Türke merkte, daß sie lange brauchte, und ging nachsehen; fort war sie. Da ging der Arme auch von dannen, noch dazu halb nackt und ohne Pferd.Sie ritt nun Stunde um Stunde von Berg zu Berg, bis sie in der Nacht, ohne es zu wissen, nach Ägypten kam, dem Lande, darin ihr Vater gebot. Da die Tore der Hauptstadt verschlossen waren und es schneite und regnete, sank sie draußen vor dem Tore nieder. Nun war in Ägypten in den Tagen der König gestorben, und da er keinen Thronfolger hinterlassen hatte, versammelten sich die Minister und sandten aus, die Tochter des Königs zu suchen, die verlorengegangen war, wie der König fälschlich gesagt hatte. So suchten sie einige Tage, fanden sie aber nicht, und da das Land einen König brauchte, sprachen sie: »Da einmal kein Kind aus dem Blut des Königs vorhanden ist, so soll man nach dieser schlimmen Nacht voll Schnee und Kälte, in der einer, der draußen liegt, umkommen müßte, den zum König machen, den man zuerst außerhalb des Tores der Hauptstadt findet.« Am andern Morgen nun sah das Mädchen, das von gar nichts wußte, als Mann gekleidet und halbtot vor Kälte war, wie sich das Tor auftat und die Zwölf herauskamen. Da stieg sie gleich zu Pferd und hielt sich zur Seite, um sie vorbeizulassen. Sie aber, als sie einen schönen jungen Mann sahen, fielen ihm zu Füßen, brachten ihn in den Palast und setzten ihn zum König ein.
Da sie weise war und niemand wußte, daß sie eine Frau war, regierte sie das Königreich so gut, daß alle sie liebten wie den lieben Gott, und sie war bei dem Volke so beliebt, daß man ihr Bild an allen Quellen des Landes anbrachte, damit es alle sähen, die kämen, Wasser zu schöpfen. Nun befahl das Mädchen heimlich ihren Leuten, sie sollten auf jeden achten, der käme, Wasser zu holen, und wenn sie einen bemerkten, der seufze, sobald er ihr Bild sähe, den ergreifen und in den Palast bringen und ihn bewachen, bis sie es ihnen sagte. Eines Tages kam der Jude vorüber, der den Brief an ihren Mann geschrieben hatte, und als seine Augen auf das Bild fielen, seufzte er. Als das die Leute des Königs bemerkten, ergriffen sie ihn und brachten ihn in den Palast. Am andern
Tage kamen die Fischer vorbei, auch die seufzten, als sie das Bild sahen, und man brachte sie in den Palast. Darauf kam nach einigen Tagen der Türke da vorbei, und auch den ergriff man, als er seufzte. Wieder nach einigen Tagen kam auch ihr Mann vorbei, und als er das Bild sah, rief er aus: »Ach, wie gleicht es ihr! Ach, daß ich dich verloren habe«, brach in Tränen aus und wehklagte, und so brachte man auch ihn in den Palast.Als nun das Mädchen sah, daß alle, die sie haben wollte, beisammen waren, befahl sie eines Tages, daß die Minister zusammenkommen sollten, um ihnen ein Urteil zu verkünden, das sie fällen werde. Also versammelten sich alle, und sie als König saß in der Mitte. Darauf ließ sie alle die herbringen, die man gefangengenommen hatte, und befahl, daß keiner reden sollte, dem sie es nicht sagte. Nun fing der König an und sprach: »Jude, warum hast du geseufzt, als du das Bild an der Quelle sahst? Gib acht, lüge nicht, sonst lasse ich dir sogleich den Kopf abschlagen. «Der Jude antwortete: »Was soll ich dir sagen, Herr König; ich erkannte, daß das Bild eine Frau ist.« Danach erzählte er die volle Wahrheit, wie er den Brief geschrieben habe, weil das Mädchen ihn nicht zum Manne nehmen wollte. Als er fertig war, sagte sie zu ihm: »Gut, daß du die Wahrheit gesagt hast, setz dich auf die Seite.« Da wollte ihr Mann, als er aus dem Munde des Juden hörte, welche Verleumdung der auf seine Frau geworfen hatte, auf ihn losstürzen; aber der König sagte zu ihm: »Bleib zur Seite und rühre dich nicht, sonst geht es dir schlecht.« Da zog er sich zurück. Darauf fragte der König die Fischer: »Was hattet ihr denn, daß ihr seufztet?«und sie antworteten: »Wir haben diese Frau aufgefangen und sie an einen Türken verkauft.«
»Und du«, sprach der König zu dem Türken, »was hattest du?« »Ich«, antwortete er, »bin der, der sie gekauft hat, aber sie ging mir davon und ließ mich sogar, ehe ich sie recht gesehen hatte, ohne Kleider stehen und nahm mir auch mein Pferd weg.« Da wurden die Minister stutzig und betrachteten den König, der aber gab ihnen ein Zeichen, sie möchten sich nicht rühren. Darauf sprach sie zu ihrem Mann: »Und du, warum hast du geseufzt?«
»Ach, ich Unglücklicher«, antwortete er mit Tränen in den Augen, »ich war ihr Mann und jetzt ist sie für mich verloren.«
»Nein«, sagte sie, »du hast sie nicht verloren. Wartet ein wenig, ich komme gleich wieder.«Sie ging hinein und kleidete sich in Frauenkleider,
wie sie sie hatte, als sie bei ihrem Mann war, und kam so wieder heraus. Als sie sie erblickten, rissen alle die Augen weit auf, die Minister erkannten die Tochter des Königs, ebenso auch ihr Mann und die übrigen das Mädchen. Zuerst kam der Mann, fiel ihr zu Füßen und bat sie, ihm zu verzeihen. Sie hob ihn auf, küßte ihn und setzte ihn an ihre Seite. Den Fischern gab sie Geld, dem Türken sein Eigentum und dem Juden, den die Minister hängen lassen wollten, verzieh sie, befahl ihm aber, binnen vierundzwanzig Stunden ihr Reich zu verlassen. Nun verkündete der Ausrufer, daß die Königstochter gefunden sei; es wurden große Feste gehalten, Konstantin wurde König, und sie aßen und tranken bis zum heutigen Tag.
Die zwei neidischen Schwestern
Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die waren sehr arm, und die Frau erwartete ein Kind; auch hatte sie eine Schwester, die erwartete auch, sie war aber sehr reich und liebte die andere gar nicht, weil sie arm war, und mochte sie nicht vor Augen sehen. Es kam nun die Zeit der Armen, und da sie vor Armut gar keine Einrichtungen im Hause hatten, sagte der Mann: »Bringt sie ins Bad«, obwohl das Bad zwei Stunden weit weg war, »dort mag sie das Kind bekommen, man wird dort schon für sie sorgen.« So brachte man sie dorthin, und sie gebar mitten in der Nacht ein Mädchen. In derselben Nacht gebar auch die andere Schwester ein Mädchen. Zu der armen Schwester kamen die drei Feen, um das Schicksal des Mädchens zu bestimmen, und fingen an untereinander darüber zu sprechen. Die jüngste sagte: »Ich will machen, daß diesem Mädchen, wenn man sie kämmt, Diamanten aus dem Haar fallen.« Die zweite sagte: »Ich will machen, daß, wenn sie weint, ihr Perlen aus den Augen fallen.« Die dritte sagte: »Und ich will machen, daß, wenn sie lacht, ihr eine leuchtende Rose aus den Wangen kommt und daß der Sohn des Königs sie zur Frau nimmt.« Diese Worte hörte die Mutter; sie brach auf, um nach Hause zurückzukehren, und unterwegs begegnete sie dem Sohn des Königs, ohne zu wissen, wer er ist; er war mit großem Gefolge zu einer Reise ausgezogen. Er bemerkte, wie das Mädchen, das in der Wiege lag, geweint hatte und ihr Perlen über die Wangen gelaufen waren, und bat die Mutter, ihm das Mädchen zu geben. Die Mutter aber sagte, das Mädchen, dem Diamanten aus den
Haaren, Perlen aus den Augen fielen, wenn sie weinte, und Rosen aus den Wangen, solle der Sohn des Königs zur Frau nehmen. Und er antwortete ihr: »Ich bin gerade der Königssohn.«Darauf sagte sie: »Wenn du das bist, so gebe ich sie dir.«Darauf nahm er seinen Fingerring, gab ihn der Mutter und befahl ihr an, ihr Wort zu halten. Sie gelangte nun zu Hause an, und es verbreitete sich das Gerücht, daß sie ein wunderbares Mädchen geboren habe, das sogar der Sohn des Königs zur Frau nehmen werde.Als die Schwester, die niemals das Haus der Armen betreten hatte, von diesem Glück hörte, kam sie eilig zu ihr, um das Mädchen zu sehen, scheinbar mit großer Freude. Als das Mädchen herangewachsen war, kam die Zeit, wo es dem Schwiegersohn gebracht werden sollte, und wiederum kam die Schwester zu der Mutter und sagte zu ihr: »Laß uns beide zusammengehen und das Mädchen hinbringen.« Und sie machten sich beide mit ihren Töchtern auf den Weg. Auf ihrer Wanderung kamen sie an ein Dorf und machten dort halt, denn sie gedachten, dort etwas zum Essen zu kaufen. Da sagte die Schwester: »Geh du hin und kauf etwas im Dorf, ich will die Mädchen behüten.« Und die andere vertraute ihr und ging. Da nahm die Schwester das Mädchen her und stach ihr beide Augen aus und warf das Mädchen auf einen Misthaufen des Dorfes. Als dann die Mutter zurückkam, sagte sie zu ihr: »Deine Tochter ist irrsinnig geworden und davongelaufen; ich lief ihr nach, um sie einzufangen, so eilig, daß ich stolperte, und ich habe sie nicht gefangen.« Die beiden Augen des armen Mädchens hatte sie in ihrem Busen versteckt. Die unglückliche Mutter glaubte ihr und fing an zu weinen; die andere seufzte auch, als ob sie betrübt wäre. Endlich sagte die arme Mutter: »Wir haben jetzt nichts mehr bei dem Königssohn zu tun, komm, laß uns umkehren.« Darauf sagte die Schwester zu ihr: »Wir haben ja mein Mädchen hier, laß uns ihm die bringen an Stelle deiner Tochter.«Die war einverstanden, sie machten sich von neuem auf und gelangten in die Stadt des Königs. Dort stellte die böse Schwester die andre zum Gänsehüten an.
Das unglückliche Mädchen, das auf dem Misthaufen geblieben war, ging von da weg, und es fand sie ein Eseltreiber; als der sah, daß ihr Perlen aus den Augen strömten, nahm er sie mit nach Hause und gab ihr zuerst zu essen, daß sie etwas zu sich käme. Da er und seine Frau das Mädchen gut behandelten, lachte sie eines Tages, und da kam ihr eine Rose aus dem Gesicht, die leuchtete wie der Blitz, und sie erstaunten.
Da sagte die Frau zu dem Eseltreiber: »Nimm die Rose und geh in die Stadt und bringe sie bis an den Königspalast, dort sollst du sie um einen teuren Preis verkaufen, aber du darfst sie nicht um Geld verkaufen, sondern um ein Menschenauge.« Er ging dahin, und da die Rose leuchtete wie ein Sonnenstrahl, kam die Tante des Mädchens gleich auf die richtige Vermutung, ging eilig hinaus und kaufte die Rose für das eine Auge, das von dem Mädchen, das sie heimlich im Busen trug. Sie ging gleich mit der Rose zu dem Königssohn und zeigte ihm auch einige Perlen, die sie von den Tränen des Mädchens hatte. Sie trachtete, ihn zu betrügen und ihm ihre eigene Tochter zu geben, als ob diese seine wirkliche Verlobte wäre. Aber er glaubte ihr nicht, denn er erinnerte sich sehr gut des Mädchens, das er bekommen hatte, und des Ringes, den er der Mutter gegeben hatte. Der Eseltreiber brachte dem Mädchen das Auge und setzte es ihr sehr gut ein, und das Mädchen freute sich so sehr, daß sie vor Freude lachte und ihr noch eine Rose entfiel, ebenso leuchtend; und die Frau schickte sogleich den Eseltreiber in die Stadt, um auch diese Rose zu verkaufen, wie er die erste verkauft hatte, für ein Menschenauge. Er ging und verkaufte wieder der Tante des Mädchens die Rose für das andre Auge; das brachte er schleunigst dem Mädchen und setzte es ihr so gut ein, daß sie ihre Augen wieder hatte wie früher.Da nun der Eseltreiber und seine Frau das Mädchen mit so wunderbaren Gaben ausgestattet sahen, sprachen sie: »Ihr gebührt nichts andres, als daß der Sohn des Königs sie zur Frau nimmt.«Sie machten sich mit ihr auf und brachten sie in den Palast, und als der Königssohn das Mädchen sah, erkannte er sie und erinnerte sich auch, daß er den Verlobungsring gegeben hatte. Darauf nahm er das Mädchen zur Frau, beschenkte auch den Eseltreiber, der sie gerettet hatte, mit königlichen Geschenken. Nach einigen Tagen, als er all das Böse vernommen hatte, das die Tante dem Mädchen angetan hatte, daß sie ihr die Augen ausgerissen und die Arme auf den Misthaufen geworfen hatte, befahl er, das Weib in Stücke zu hauen und sie den Hunden vorzuwerfen. Darauf schickte er hin und ließ die Mutter des Mädchens, seine Schwiegermutter, holen, die ließ er als Mutter der Königin in kostbare Gewänder kleiden, und so lebten sie zuletzt zusammen in Liebe und bei leckerer Speise und verbrachten ihr Leben mit Freuden und guten Dingen.
Die drei Gesellen
Ein Mann hinterließ bei seinem Tode seine Frau in Hoffnung, und nach sechs Monaten gebar sie einen Knaben. Sie zog trotz aller ihrer Armut den Knaben auf, bis er fünfzehn Jahre wurde. Als der Knabe verständig geworden war, fragte er seine Mutter, ob sie nicht etwas vom Vater hätte. Die Mutter antwortete ihm, der Vater hätte viele Dinge hinterlassen, aber sie hätte alles verkauft, um seine Erziehung bis jetzt zu bestreiten. Aber der Knabe lag seiner Mutter immerfort in den Ohren, indem er um irgend etwas vom Vater bat, was es auch sei. Endlich sagte sie zu ihm: »Mir kommt es vor, als ob irgendwo auf dem Boden des Hauses ein Säbel liege.«Und der Knabe sprach zu ihr: »Heb mich auf deine Schultern, damit ich hinaufkomme und ihn herunterwerfen kann.«Der Knabe nahm den Säbel, der seit Jahren nicht gereinigt und daher verrostet war, reinigte ihn, daß er wieder glänzte, und hängte sich ihn um den Hals. Dann sprach er zu seiner Mutter: »Mutter, ich will in ein fremdes Land ziehen.« Da begann die Mutter zu weinen und zu klagen, bat ihn, er solle doch nicht fortgehen, und sagte schließlich zu ihm: »Schlag mir mit dem Säbel deines Vaters erst den Kopf ab, und dann zieh fort.«Aber der Knabe sprach: »Welcher Sohn hat jemals seiner Mutter den Kopf abgeschlagen? Ich bitte dich, grolle mir nicht, brich mir nicht das Herz, sondern wünsche mir Glück und hab mich lieb, denn mit Gottes Hilfe werde ich bald zurückkehren.«Nach diesen Worten änderte er seinen Namen, indem er den »Säbel« annahm, und nahm den Säbel und schrieb seinen Namen darauf. Endlich legte er die Arme um den Hals seiner Mutter, damit sie sich vor der Trennung noch recht küssen möchten, und sie konnten lange Zeit nicht aufhören zu weinen. Beim Scheiden küßte der Knabe den Säbel, damit er ihm Glück bringe, und als er zum Hause herausging, sprach er zu seiner Mutter: »Bleib gesund und sei mir nicht böse, denn länger als sechs Monate werde ich nicht ausbleiben.«
Als er sich von seinem Dorfe fünf oder sechs Stunden entfernt hatte, kam er an einen Berg, ganz einsam; er setzte sich an einem ebenen Platze hin, zog den Säbel heraus, küßte ihn und steckte ihn wieder in den Gürtel. Es verging keine halbe Stunde, da kam ein Jüngling in seinem Alter und sprach zu ihm: »Guten Tag, Freund!« Er antwortete: »Sei willkommen, Bruder!« Der Fremde fragte ihn: »Woher kommst du und wohin gehst du?«Und er sagte: »Ich bin ausgezogen nach meinem
Glück.« —»Ich auch«, sprach der andre, »und wenn du willst, wollen wir Brüder werden und zusammen nach unserem Glück ausziehen.« Da schlang der Sohn der Witwe die Hände um seinen Hals, küßte ihn und fragte ihn nach seinem Namen, und er sagte, er hieße »Stern«. Dann sagte er ihm auch den seinigen, »Säbel«.Hierauf machten sich die beiden auf und zogen geradeaus ihres Weges, bis die Nacht hereinbrach; da machten sie Rast, und nachdem sie ein wenig geplaudert hatten, legten sie sich wieder schlafen, ohne gegessen und getrunken zu haben. Am andern Tage zogen sie wieder geradeaus ihre Straße; nach etwa einer halben Stunde trafen sie einen Jüngling in ihrem Alter und sprachen zu ihm: »Guten Weg, Dörfler.« Und der antwortete: »Mögt ihr Glück haben, meine Brüder.« Sie sagten: »Woher sind wir deine Brüder?«; und er sprach: »Ihr wart nicht meine Brüder, aber jetzt und in Zukunft sollt ihr es sein.« — »Wenn wir deine Brüder sein sollen«, antworteten sie, »so sollst auch du unser Bruder sein.« Sie fragten ihn nach seinem Namen, und er sagte ihnen, man nenne ihn »Meer«. Sie sagten ihm auch ihre Namen, und dann umarmten und küßten sich die drei wie wirkliche Brüder und verpflichteten sich feierlich, zusammen zu sterben, wenn ihnen etwas zustoßen sollte.
So zogen die drei weiter und kamen in die Nähe einer Stadt. Dort herrschte ein König, der hatte gerade in den Tagen einen breiten Graben ziehen und ausrufen lassen: wer über diesen Graben springen könne, solle die Tochter des Königs zur Frau bekommen; wer nicht hinüberkäme, dem solle der Kopf abgeschlagen werden. Viele Leute versuchten den Sprung in der Hoffnung hinüberzukommen, aber sie fielen hinein und wurden zum Scharfrichter geschickt, der allen die Köpfe abschlug. In dieser Zeit kamen auch die drei dahin, und als sie die ganze Menge sahen, sprachen sie: »Laßt uns näher gehen und sehen, was hier vorgeht.«
Als sie näher kamen und sahen, daß es sich um die Aufgabe handle, über den Graben zu springen, überlegten die drei miteinander und sprachen: »Sollen wir uns ein Herz fassen, über den Graben zu springen? Vielleicht kommen wir hinüber. Und wenn wir nicht hinüberkommen, laßt uns sterben.«Meer sagte: »Der Graben ist sehr breit, und wir können nicht hinüberspringen.«Da nahm Säbel einen Stein von der Erde, gab ihn an Meer und sagte zu ihm, er solle ihn hinüberwerfen; und als der das getan hatte, fragte er ihn »War der Stein sehr schwer?« Meer sagte:
»Er war nicht schwerer als fünf Drachmen.« —»So schwer ist auch unser Springen«, sprach Säbel, und ohne lange zu zögern, stellte er sich zwischen beide, Stern und Meer, umarmte sie fest mit beiden Armen und sprang mit ihnen auf die andre Seite hinüber, ohne irgendwelche Schwierigkeit, und die ganze Menge dort, als sie das sah, verwunderte sich. Der König ließ die drei auf einen Wagen setzen, in den Palast bringen und vor sich führen. Dort fragte er sie: »Wer von euch will meine Tochter zur Frau nehmen?« Säbel erwiderte, Stern wolle sie nehmen. Und der König gab Befehl, die Hochzeit zu rüsten. Dann fragte er auch Säbel und Meer, was sie für eine Stellung wünschten. Säbel sagte, der König möge Meer eine geben, denn er wolle für sich nichts.
Einige Tage nach der Hochzeit nahm Säbel Abschied von Stern und Meer, um sich auf zumachen und weiterzuziehen. Die aber sprachen mit großem Mißmut zu ihm: »So wenig also bedeutet unsere Brüderschaft, daß du das Herz hast, fortzugehen und uns zu verlassen?« Da antwortete Säbel: »Unsere Brüderschaft ist unvergänglich, und darum lasse ich euch jetzt, wo ich fortziehen will, diese Feder zurück. Gebt wohl acht, wenn sie anfängt Blut zu tropfen, dann macht euch sogleich auf und sucht mich so lange, bis ihr mich findet, denn dann bin ich in Gefahr.« Darauf küßte er sie, machte sich auf und zog fort.
Als er so drei, vier Tage seine Straße gezogen war, kam er an eine Stelle, wo sich sieben Wege teilten. Dort stand ein Turmhaus, in dem eine alte Frau wohnte. Säbel bat die Alte, sie möge ihm sagen, wohin die Wege führten, und als er es erfahren hatte, schlug er den Weg zu der Schönen der Erde ein. Da sprach die Alte zu ihm: »Mein Sohn, setz nicht deinen Kopf und dein junges Leben umsonst aufs Spiel, denn auf diesem Wege sind Könige mit starken Heeren gezogen und sind nicht dahin gelangt, wohin du ganz allein gehen willst.«Da schrieb er an die Mauer des Turmes und gab der Alten den Auftrag: »Wenn zwei junge Männer nach mir fragen, so zeige ihnen diese Schrift und den Weg, den ich einschlage.« Hierauf schlug er den Weg ein, den er schon betreten hatte, und zog dahin.
Als er ein Stück weitergekommen war, traf er eine Kutschedra mit sechs Jungen auf dem Wege, die stürzten sich auf ihn, um ihn zu fressen. Er aber zog seinen Säbel und tötete sie samt ihren Jungen. Als er weiterzog, sah er von weitem den Palast der Schönen der Erde, und auf dem Wege dahin fand er eine Quelle, bei der er ein wenig verweilte. Die Schöne der Erde sah ihn und sprach zu der Kutschedra, die bei ihr war:
»Es kommt ein junger Held, gekleidet in ein weißes Gewand«, und die antwortete: »Beobachte aus dem Fenster, wie er Wasser trinken wird, mit der Hand oder auf den Knien.« Der Jüngling ließ sich auf ein Knie nieder, legte seinen Kopf an das Becken der Quelle und trank. Da sprach die Kutschedra zu der Schönen der Erde: »Vor diesem Manne habe ich Furcht.«Dort außerhalb des Palastes stand ein Apfelbaum mit Früchten, und als der Jüngling sich näherte, beobachtete ihn die Kutschedra, ob er springen würde, um den größten Apfel zu nehmen. Und der Jüngling sprang und nahm den Apfel mit den Zähnen, nicht mit der Hand. Als sie das sah, rief sie: »Wehe, vor diesem Mann gibt es für mich keine Rettung.«
Der Jüngling kam an die Tür des Palastes, ging geradeswegs hinein und sagte zu ihnen: »Guten Tag.«Die Kutschedra sprach zu ihm: »Wie hast du es gewagt, hierherzukommen?«, und er antwortete: Ebenso wie du es gewagt hast.«Da entbrannte sie in Zorn und versuchte sich auf Säbel zustürzen; der aber zog sofort seinen Säbel und hieb sie in zwei Stücke; und so gewann er die Schöne der Erde. Als einige Wochen vergangen waren, hörten die Könige, daß ein Held die Kutschedra erschlagen und die Schöne der Erde zur Frau genommen hatte. Da machten sie sich eilig auf und gingen zu den sieben Wegen und fragten die Alte: »Was für ein Mann ist hier vorbeigegangen zur Schönen der Erde?«Und sie sagte ihnen: »Ein junger Mann von etwa 16 Jahren.«Da beschlossen sie, gegen ihn zu ziehen, und machten sich auf und bekämpften ihn vierundzwanzig Tage, aber mit aller ihrer Macht vermochten sie ihm nichts anzuhaben, sondern kehrten unverrichtetersache wieder um. Nachdem nun die Könige Säbel nicht hatten besiegen können, kamen sie auf dem Rückwege zu der Alten und trugen ihr auf, sie solle zur Schönen der Erde gehen und sie fragen, mit welcher Heldentat und Kraft der junge Mann sich ihrer bemächtigt hatte. Und die Schöne der Erde antwortete der Alten: »Als er angekommen war, tötete er die Kutschedra mit Leichtigkeit und bemächtigte sich meiner.« Hierauf sagte die Alte, sie solle den Jüngling fragen, worin seine Heldenkraft liege. Und nach einigen Tagen fragte sie Säbel: »Wo hast du alle deine Kraft?«Und der Arme enthüllte ihr aus Liebe zu ihr alles, indem er sagte, seine ganze Kraft sei sein Säbel, und wenn ihm den jemand wegnähme, so wäre er verloren. Sie sagte das der Alten weiter, und die fand nach einigen Tagen Gelegenheit, dem Jüngling den Säbel zu stehlen, und warf ihn ins Meer.
Nachdem Säbels Säbel ins Meer geworfen war, verfiel er sogleich in eine Krankheit und lag auf den Tod. Die Alte kehrte erfreut in ihren Turm zurück und rief den Königen zu, wer die Schöne der Erde ohne Kampf gewinnen wolle, der möge hingehen, denn der Tag sei gekommen. Als die Könige das hörten, machten sie sich auf, gegen Säbel zu ziehen. Aber Säbels Brüder hatten gesehen daß seine Feder Blut tropfte, und waren eiligst ausgezogen, ihren Bruder zu suchen. Stern nahm Meer auf die Arme, und sie kamen viel eher an als die Könige und fragten die Schöne der Erde: »Wo hast du unseres Bruders Säbel?«Sie antwortete: »Man hat ihn ihm genommen und ins Meer geworfen.« Da erhob sich Meer sogleich, tauchte ins Meer, fand den Säbel und brachte ihn dem Bruder; der rieb sich sogleich die Augen, erwachte und stand gesund auf wie vorher. Und während er sich die Augen rieb, sprach er zu ihnen: »Ach, wie lange habe ich geschlafen.« Als er aber seine Brüder bei sich sah, begriff er, daß er in Gefahr gewesen war.Hierauf kamen auch die Könige, um ihn zu bekämpfen, und fielen tapfer über ihn her, aber da Säbel wieder genesen war, unterlagen sie auch diesmal und mußten besiegt umkehren. Als Säbel auch diese Schlacht gewonnen hatte, nahm er die Schöne der Erde samt allem, was sie hatte, und machte sich auf, um mit seinen Brüdern zu seiner Mutter in seine Heimat zu ziehen. Sie zogen wieder ihre Straße, und als sie zu den sieben Wegen kamen, beschenkte er dort die Alte reichlich, indem er zu ihr sagte: »Das schenke ich dir für das Gute, das du mir getan hast, indem du meinen Säbel ins Meer warfst. Jetzt bitte ich dich, laß die Könige, die kamen und mich bekriegten, die Botschaft wissen, daß ich, der ich die Schöne der Erde gewonnen habe, nun in meine Heimat ziehe. Wenn sie wollen und wenn sie Groll gegen mich hegen, sollen sie kommen, mit mir zu kämpfen, ich will sie dann in tausend Stücke hauen.«Dann sprach er zu der Alten: »Ich grüße dich, bleib gesund«, und sie trennten sich.
Indem sie weiterzogen, kamen sie zu dem König, der Sterns Schwiegersohn war, denn Stern hatte seine Tochter zur Frau genommen, und baten ihn um Erlaubnis, mit seiner Tochter in ihre Heimat zu ziehen. Aber der König antwortete ihnen: »Ihr zieht, wohin ihr wollt, aber mein Schwiegersohn und meine Tochter bleiben hier.« Da sprach Stern zu ihnen vor den Augen des Königs: »Ich trenne mich um nichts, auch nicht um die Tochter des Königs, von euch, meine Brüder.«Der König sprang auf und rief: »Mag er wollen oder nicht, ihr werdet euch trennen.«
Säbel erhob sich und sprach zu ihm: »Was soll das heißen: Mag er wollen oder nicht? Stern, unsern Bruder, willst du mit Gewalt zurückhalten? Der Mann, der einen von uns dreien mit Gewalt zurückhielte, ist nicht geboren.« Hierauf befahl der König seinem Türhüter: »Nimm diese Männer und wirf sie ins Gefängnis.« Aber Säbel erwiderte dem König: »Laß deiner Tochter sagen, sie solle hierher kommen, damit wir sehen, was sie sagt.« Und der König befahl, man solle seine Tochter zu ihm bringen. Da sprach Säbel zu Stern: »Nimm auf einen Arm deine Frau und auf den anderen Meer und geh fort, indem du dem König Lebwohl sagst.« Der König hörte diese Worte mit Erstaunen; er rief seine Türhüter und befahl ihnen, es sollten an jeder Tür nicht weniger als vier Hüter stehen. Stern aber erhob sich, blieb in der Mitte des Zimmers stehen und sagte zum König: »Ich grüße dich, leb wohl, mein Schwiegervater.« Dann sprang er samt seiner Frau und Meer durchs Fenster hinaus, und die drei entkamen, während Säbel allein zurückblieb. Als der König das sah, eilte er ans Fenster, um zu sehen, ob sie nicht zerschmettert wären, da sie so hoch hinabgesprungen waren, und als er sah, daß ihnen nichts Schlimmes zugestoßen war, wußte er nicht, was er tun sollte.Er befahl hierauf, Säbel zu töten. Säbel erwiderte ihm: »Und warum willst du mich töten?« —»Weil du schuld bist, daß mich meine Tochter verlassen hat.« Da erhob sich auch Säbel, nahm die Schöne der Erde, um fortzugehen, und als die Türhüter ihn nicht herauslassen wollten, zog er seinen Säbel, tötete alle vier und entkam zu seinen Brüdern. Als der König das alles sah, und wie er ihm auch seine Türhüter erschlug, da ließ er in Eile sein Heer sich versammeln und ihnen nachsetzen, und wenn sie sich nicht lebend fangen ließen, sollten sie sich auf sie stürzen und sie töten. Als die Brüder das Heer sahen, das ihnen nachkam, blieben sie stehen und warteten, bis es sich näherte. Da schickte man aus dem Heere einen Gesandten zu den Brüdern, der ihnen sagte: »Entweder ihr kehrt gutwillig zum König zurück, oder das Heer wird über euch kommen und euch niederhauen.« Die Brüder antworteten: »Tut ihr, wie euer Herr euch befohlen hat, denn wir kehren nicht zurück.« Der Abgesandte kehrte ins Lager zurück und meldete, sie wollten nicht gutwillig umkehren. Da zog ihnen das Heer entgegen, und sie erwarteten es furchtlos. Als sie die ganze Menge sahen, die gegen sie losstürzte, erhob sich Säbel und rief: »Laßt ab vom Kampfe! Was habt ihr im Sinn, und was erwartet ihr? Wollt ihr alle hier niedergestreckt werden oder
wieder umkehren?«Aber obgleich diese Worte wie Bleikugeln auf sie fielen, gehorchten sie doch nicht, sondern versuchten über die Brüder herzufallen. Da sprach Säbel zu den Brüdern: »Nehmt ihr die Frauen und zieht weiter.«Und er, ganz allein, zog seinen Säbel, stürzte sich auf die Feinde und erschlug siebenhundert von ihnen, darunter ihren Anführer. Als das unglückliche Heer sah, daß auch ihr Anführer gefallen war, da flohen sie in großer Verwirrung, so daß einer den andern nicht sah. Da machte sich auch Säbel auf, zog seines Weges und traf mit seinen Brüdern da zusammen, wo sie auf ihn warteten.Nun zogen sie alle zusammen ihre Straße, und nach drei Tagen kamen sie bei Säbels Hause an. Indem sie seine Mutter begrüßten, sprachen sie zu ihr: »Wir grüßen dich, liebe Mutter.«Und sie erwiderte höchst erstaunt: »Wer seid ihr, daß ihr mich Mutter nennt?«Sie sprachen: »So hat uns dein Sohn geheißen, der auch in diesen Tagen kommen kann. Wir haben eine Wette mit deinem Sohn gemacht, daß du ihn, wenn er kommt, nicht erkennen wirst.«Und sie sagte: »Meinen Sohn werde ich erkennen, auch wenn er erst in fünfhundert Jahren kommt.« Aber bei diesen Worten ergriff sie die Sehnsucht, und sie weinte. Da sprach Stern zu ihr: »Welcher von uns dreien ist dein Sohn?« Nun fing sie an, sie genauer zu betrachten, und als sie sich gesammelt hatte, verglich sie die Söhne und erkannte den ihrigen; da fiel sie auf die Knie und weinte, ohne auf zuhören. Dann umarmte sie ihren Sohn und küßte ihn zärtlich; darauf küßte sie auch die beiden andern und die beiden Frauen. Als sie sich nun dort niedergelassen hatten, sprachen sie nach einige Zeit untereinander: »Sind wir drei Brüder oder zwei?« Stern sagte: »Wir sind drei.« — »Wenn wir drei sind, warum sollen wir nur zwei Frauen haben?« Meer erhob sich und sagte: »Das macht nichts.« Da sprach Säbel: »Wir wollen dich zum König über unser ganzes Land machen.«Und sie machten ihn zum König, und er regierte sein ganzes Leben lang, und solange die drei lebten, blieben sie immer Brüder und hatten sich lieb.
Gisar, die Nachtigall
Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne; sein Verlangen war immer nach Moschee und Gebet. So baute er eine schöne Moschee, und als die Bauleute fertig waren, ging er hin, zu beten. Während er betete, kam ein Derwisch und sagte zu ihm: »Die Moschee ist schön, aber das
Beten ist unwirksam.« Als der König das gehört hatte, riß er die Moschee von Grund aus nieder und baute anderswo eine noch schönere. Als sie fertig war, ging er wieder hin, zu beten; der Derwisch kam und sagte dasselbe wie vorher. So riß der König auch diese Moschee wieder ab und baute eine andre; darauf verwendete er so viel Geld, daß er sein ganzes Vermögen ausgegeben hatte, das ganze Königreich. Als auch die dritte Moschee fertig war, ging er wieder hin, zu beten. Während seines Gebets kam der Derwisch und sagte wieder dieselben Worte. Da erhob sich der König, ging in seinen Palast und saß betrübt da, denn um nochmals die Moschee abzureißen und eine neue zu bauen, hatte er nichts mehr, und falls er beten ginge, wäre das Gebet unwirksam. Seine Söhne bemerkten, daß er so in Gedanken und sehr betrübt dasaß und sprachen: »Was hast du, Vater, daß du so betrübt bist? Wir haben noch Vermögen, wir sind ja Könige; warum bist du so in Gedanken versunken?« Der König antwortete ihnen: »Ich habe mein ganzes Vermögen auf die Moschee verwendet, und das Beten gelingt mir nicht.«Darauf sagten die Söhne: »Warum bleibt dir das Gebet unwirksam?« Er antwortete: »Jedesmal, wenn ich in der Moschee bete, kommt ein Derwisch und spricht zu mir: >Das Beten ist unwirksam.« Darauf sagten die Söhne: »Geh morgen in die Moschee und bete, wir wollen draußen bleiben und aufpassen, daß wir den Derwisch greifen, damit wir sehen, was das auf sich hat.« So geschah es, der Derwisch kam wie sonst und sagte zu dem König: »Die Moschee ist schön, aber das Beten ist unwirksam.« Als nun der Derwisch sich anschickte, aus der Tür zu gehen, ergriffen ihn die Söhne und sagten zu ihm: »Warum sprichst du die Worte: die Moschee ist schön, und das Beten ist unwirksam?«Der Derwisch antwortete: »Diese Moschee ist sehr schön, wie sonst keine in der Welt, aber sie müßte noch die Nachtigall Gisar haben und die müßte darin singen, dann würde sie etwas sein, was es sonst in der Welt nicht gibt.« Die Söhne fragten: »Wo ist die Nachtigall Gisar? Wir wollen gehen und sie holen.« Der Derwisch antwortete: »Ich habe davon gehört, aber wo sie ist, weiß ich nicht.« Da ließen sie den Derwisch gehen, gingen in den Palast und sagten zu ihrem Vater: »Der Derwisch hat uns gesagt, daß die Nachtigall Gisar fehlt, aber wo die ist, weiß er auch nicht; jetzt wollen wir gehen und sehen, daß wir herausfinden, wo sie ist.«So machten sich die drei Söhne auf, die Nachtigall Gisar zu suchen. Als sie etwa zwanzig Tagereisen gemacht hatten, kamen sie an einen Ort, wo sie auf drei Wege trafen, an jedem war ein Stein, auf dem
etwas geschrieben stand; an zwei Wegen besagte die Schrift: »Wer diesen Weg geht, kommt zurück«, und an einem stand geschrieben: »Wer diesen Weg geht, kommt nicht mehr zurück.«Die drei Brüder blieben nun stehen und berieten sich, und der jüngste sagte: »Wir wollen uns hier trennen und jeder seinen Weg einschlagen; hier wollen wir unsere drei Ringe lassen, und wer zuerst zurückkommt, soll gehen und die andern suchen.« Sie ließen die Ringe unter einem Stein, umarmten sich und gingen auseinander. Der jüngste nahm den Weg, wo geschrieben stand: »Wer diesen Weg geht, kommt nicht mehr zurück.« Die beiden andern gingen die Wege, auf denen man zurückkommen konnte.Der eine der beiden älteren Brüder ging in eine Stadt und wurde Barbier, der andere in eine andre Stadt und machte ein Kaffeehaus auf; dort blieben sie und besorgten ihre Geschäfte. Der jüngste, der den Weg genommen hatte, auf dem man nicht zurückkommen sollte, geriet in eine Wildnis, wo es kein Dorf, kein Gasthaus und nirgends einen Menschen gab, nur wilde Tiere und andre wilde Geschöpfe. Unterwegs traf er auf eine wilde Frau, die kämmte ihr Haar mit Ginster; der Bursche ging hin, kämmte sie mit einem Kamm und nahm ihr den Schmutz und die Läuse ab, die sie auf dem Kopf hatte; und als er sie so davon befreit hatte, sagte sie zu ihm: »Was möchtest du von mir dafür, daß du mir diese Wohltat getan und mich von den Läusen befreit hast?« Er antwortete: »Ich möchte nicht, daß du mir etwas gibst, aber ich möchte dich etwas fragen, und wenn du es weißt, sag's mir.« Sie fragte darauf: »Was willst du mich fragen?« Der Bursche antwortete: »Ich suche die Nachtigall Gisar; hast du irgendwo von ihr gehört, da du doch im Gebirge herum wanderst?« Darauf sagte sie: »Hier ist der Vogel, den du suchst, nicht; kehr nur wieder um, denn hier sind lauter wilde Tiere; auch ich, der ich doch ein wilder Mensch bin, bin niemals über das Gebirge gegangen, denn dort sind sehr große wilde Tiere.« Der Bursche erwiderte: »Ich gehe, und wie es Gott gibt, möge es geschehen.« Damit ging er von ihr fort und stieg auf einen Berg. Dort sah er ein Haus, das war das Haus des Tigers; dahin ging er. Der Tiger war nicht zu Hause, nur seine Frau, die war beim Brotbacken. Der Bursche redete sie an, und sie antwortete: »Was wolltest du hier? Mein Mann kommt jetzt, und der wird dich fressen.« Er sagte darauf: »Da ich jetzt einmal da bin, macht mit mir, was ihr wollt.« Als nun die Zeit kam, daß die Tigerfrau das Brot in den Backofen schieben sollte, verstand sie die Kohlen nicht anders auszubreiten als mit ihren Brüsten; dabei verbrannte
sie sich jedesmal und war zehn Tage krank. Als der Bursche das sah, sprach er zu ihr: »Laß mich die Kohlen ausbreiten«, schnitt einen Zweig ab und breitete sie damit aus. Als die Frau so gelernt hatte, Brot zu bereiten, ohne krank zu werden, freute sie sich sehr, aber der Bursche tat ihr leid, da der Tiger kommen und ihn fressen würde. Als sie nun das Brot aus dem Ofen genommen hatte, gab sie dem Burschen zu essen und versteckte ihn dann in einer Kiste.Darauf kam der Tiger nach Hause, fand seine Frau nicht krank, sondern auf den Füßen und sagte ärgerlich zu ihr: »Warum hast du heute kein Brot bereitet?« Sie antwortete: »Ich habe Brot bereitet.« Und er: »Wenn du das Brot bereitetest, wurdest du immer krank, warum bist du jetzt nicht krank geworden?« Sie antwortete: »Ich habe ein Mittel gefunden, mich nicht zu verbrennen, wenn ich Brot bereite.« Darauf zeigte sie es ihm und sagte: »Wenn ich hier einen Menschen hätte, der mich lehrte, mich beim Brotbereiten nicht zu verbrennen, was würdest du mit ihm machen?« Der Tiger antwortete: »Mit dem Menschen würde ich mich verbünden.« Da ließ sie den Menschen aus der Kiste heraus und sagte zu ihrem Manne: »Der ist's, der mich belehrt hat«, und so umarmten sich der Mensch und der Tiger und schlossen Freundschaft, und der Tiger fragte ihn: »Weshalb bist du hergekommen?« Der Mensch antwortete: »Ich suche einen Vogel, den man die Nachtigall Gisar nennt, hast du etwas von dem gehört oder nicht?« Darauf sagte der Tiger: »Hier ist dieser Vogel nicht, aber ich habe einen Bruder, der ist sehr alt, die Augenlider sind ihm heruntergefallen und decken die Augen zu, so daß er nicht sehen kann; dahin sollst du gehen.« Auch zeigte er ihm den Weg zu dem Hause und befahl ihm an: »Wenn du nahe zu dem Hause kommst, wirst du die Frau des Löwen, meines Bruders, treffen; sie ist alt, sie hat sich gerade umgewandt und sieht auf das Haus zu; ihre Brüste hat sie über die Schultern zurückgeworfen. Du mußt nun von rückwärts kommen und die Brust in den Mund nehmen; dann wird sie zu dir sagen: >Wer bist du, der da meine Brust nimmt?<, und du antworte: >Ich bin dein Sohn, ich erkenne dich als meine Mutter.< Dann wird mein Bruder von drinnen fragen: >Wer ist da?<Und du sagst darauf sogleich: >Ich bin der Freund deines Bruders, des Tigers, und er schickt mich zu dir wegen einer Angelegenheit, die mich angeht.<Er wird dann sagen: >Komm herein!<Du gehst hinein und hebst ihm die Augenlider auf, daß er dich sehen kann. Er kann wissen, wo die Nachtigall Gisar ist; wenn er es aber nicht weiß, geh nicht
weiter, sondern kehre um.« Darauf umarmten sich der Tiger und der Bursche und gingen auseinander. Der Bursche tat, wie ihn der Tiger geheißen hatte, und fragte den Löwen, ob er wisse, wo die Nachtigall Gisar sei. Der Löwe antwortete: »Der Vogel ist nirgends, kehre um, denn von hier weiter sind wilde Geschöpfe aus der Geisterwelt, so daß auch ich da nicht durchkommen kann, der ich doch der König der wilden Tiere bin.«Aber der Bursche kehrte nicht um trotz allem, was ihm der Löwe sagte, sondern nahm Abschied von ihm und ging den Weg, von dem ihm der Löwe gesagt hatte, er solle ihn nicht gehen. So ging er eine lange Strecke, da erschienen drei Adler und machten den Mund auf, um den Burschen zu fressen. Er aber zog den Säbel, hieb dem einen den Flügel, dem andern das Bein, dem dritten den Schnabel ab. Darauf gingen sie ihres Weges, und der Bursche setzte auch seinen Weg fort. Nach einer Weile sah er plötzlich ein Haus auf einer großen Ebene und ging darauf zu; dort traf er eine alte Frau, die einen Kringel auf die Glut gelegt hatte und ihn buk. Als sie ihn sah, rief sie aus: »Was wolltest du hier, mein Sohn? Meine Töchter werden kommen und dich fressen.« Der Bursche antwortete: »Da ich nun einmal hier in deiner Hand bin, mach mit mir, was du willst.« Da nahm die Alte den Kringel vom Feuer und gab ihm zu essen. Darauf deckte sie den Tisch mitten im Hause, stellte mitten darauf eine Schüssel mit Wasser, setzte rings um den Tisch die Speise auf und schloß dann den Burschen in einen Schrank ein, ließ ihm aber ein Loch, damit er sehen könne, was geschähe. Da sah der Bursche nach kurzer Zeit den Adler kommen, dem er den Flügel abgehauen hatte, der kam zum Fenster herein, ging zu der Wasserschüssel auf dem Tisch, badete sich und wurde ein Mädchen. Bald darauf kamen auch die andern Adler, die er verwundet hatte, badeten sich und wurden zu Mädchen. Die sagten nun zu der Alten, ihrer Mutter: »Es riecht uns nach Menschen.« Die Alte antwortete: »Ihr kommt von Menschen, darum riecht es euch danach.« Als nun die Mädchen gegessen hatten, sagte die Alte: »Wenn ich hier einen Mann hätte, was würdet ihr mit ihm machen?« Darauf sagte die älteste: »Bei der Seele des Mannes, der mir den Flügel abgehauen hat, ich werde ihm kein Leid antun.«Und die zweite sagte: »Beider Seele dessen, der mir das Bein abgehauen hat, ich werde ihm kein Leid tun.«So sprach auch die jüngste; darauf ließ die Alte den Burschen heraus, und er sagte: »Ich bin der, der euch verwundet hat.« Da freuten sie sich sehr, daß sie dem Burschen wieder begegnet waren,
und fragten ihn: »Weshalb bist du hierhergekommen?« Er antwortete: »Ich suche die Nachtigall Gisar, und wen ich auch gefragt habe, bis ich hierhergekommen bin, keiner wußte etwas von ihr.« Sie aber sagten: »Wir wissen, wo die Nachtigall Gisar ist, aber wenn du zu Fuß gehen willst, geschweige, daß du nicht durchkommst bis dahin, aber auch wenn du durchkommst, sind es drei Jahre Reise, bis du an den Ort kommst.«Darauf sagte er: »Aber was soll ich tun?«Und sie sprachen: »Du sollst uns etwas Gutes erweisen, was wir von dir wünschen, dann wollen wir dich in einer Stunde dahin bringen, und du kannst die Nachtigall nehmen.« Der Bursche fragte: »Was wünscht ihr von mir, was soll ich euch erweisen?« Und sie sagten: »Du sollst drei Monate bei uns bleiben, bei jeder von uns einen Monat.«Nach den drei Monaten brachten sie ihn an den Ort, wo die Nachtigall Gisar war. Aber die Besitzerin der Nachtigall war die Schöne der Erde und Königin; an ihrem Hofe hatte sie fünfhundert Wächter, an der äußeren Tür wachte der Wolf, an der zweiten der Tiger, an der Tür ihres Gemaches der Löwe. Dorthin brachten den Burschen seine Freundinnen und setzten ihn im Hofe ab gerade zu der Zeit, als alle die Männer, der Wolf, der Tiger, der Löwe und auch die Schöne der Erde eingeschlafen waren, und er ging hindurch und in ihr Gemach. Dort hatten sie vier Kerzen angezündet, und andere vier standen auf dem Tisch nicht angezündet; die angezündeten waren beinahe zu Ende. Als nun der Bursche hineinkam, zündete er die vier frischen Kerzen an, löschte die brennenden aus, nahm den Käfig mit der Nachtigall Gisar und ging hinaus. Aber als er aus der Tür trat, erwachten alle, doch ehe sie ihn ergreifen konnten, nahmen ihn seine Freundinnen auf und brachten ihn in ihr Haus. Dort blieben sie einige Zeit zusammen, dann sagte der Bursche: »Jetzt bringt mich in mein Land«, und sie brachten ihn an den Ort, wo er sich von seinen Brüdern getrennt hatte.
Dort ging er zu dem Stein, wo sie die Ringe gelassen hatten, und fand die Ringe seiner Brüder. Nun schlug er den Weg ein, den seine Brüder genommen hatten, fand den einen als Barbier, den andern als Kaffee-Wirt und sagte zu ihnen: »Kommt, wir wollen zum Vater gehen; ich habe die Nachtigall Gisar gefunden und mitgebracht.«So machten sich die drei Brüder zusammen auf den Weg zu ihrem Vater. Unterwegs bekamen sie Durst; eine Quelle fanden sie nicht, trafen aber auf einen Brunnen, doch hatten sie nichts, womit sie Wasser schöpfen konnten. Da sagten die beiden älteren zu dem jüngsten Bruder: »Steig du hinein
und schöpfe uns Wasser, daß wir trinken können.« Damit banden sie ihn an ein Seil und ließen ihn hinab, schnitten aber das Seil durch und gingen davon. Aber der Brunnen hatte kein sehr tiefes Wasser, so daß der Bursche hätte ertrinken können, sondern es reichte ihm nur bis an den Hals, so daß der Kopf draußen blieb. Als so die beiden den jüngsten Bruder in den Brunnen geworfen hatten, hörte die Nachtigall Gisar auf zu singen. So nahmen sie den Vogel und brachten ihn zu ihrem Vater. Der fragte nach dem jüngsten: »Was habt ihr mit ihm gemacht?« Sie antworteten: »Er ist ein Gauner geworden und treibt sich überall in den Städten herum.«Da zog nun die Königin, die Schöne der Erde, aus; sie kam, den König zu bekriegen und den Mann zu fordern, der den Vogel genommen hatte. Da machte sich der älteste Bruder auf und ging zu ihr; sie fragte ihn: »Du bist gekommen und hast die Nachtigall Gisar genommen?« Er antwortete: »Ja.« Darauf sagte sie: »An welcher Stelle hast du sie gefunden?« Er antwortete: »Auf einer Zypresse.«
Da ließ sie ihn niederwerfen, und ihre Leute mußten ihn prügeln, bis er unter den Schlägen starb. Als der zweite Bruder vernahm, daß sie den ältesten getötet hatte, und als sie die Kanonen auf den Königspalast richtete und auch die Stadt und den Palast halb zerstört hatte, da ging er dann aus Furcht zu seinem Vater und sagte ihm die Wahrheit, was sie getan hatten. Der König schickte sogleich Leute hin, die holten den jüngsten Sohn halb tot aus dem Brunnen, er konnte gerade noch atmen, aber kein Wort hervorbringen. Nach einigen Tagen kam er zu sich und sprach wieder. Sobald er sprach, fing die Nachtigall Gisar an zu singen und sang so schön, daß alle Leute von Sinnen kamen. Als die Schöne der Erde die Stimme der Nachtigall hörte, schickte sie sogleich Leute, die von dem Tor des Königspalastes bis zu ihrem Dampfschiff ein rotes Tuch ausbreiten mußten. Nun stieg der Königssohn zu Pferde, nahm die Nachtigall in die Hand und ritt über das Tuch. Als die Leute ihn so reiten sahen, erschraken sie sehr und dachten: >Jetzt wird die Schöne der Erde die Stadt um und um kehren.< Aber sie irrten sich. Als der Königssohn nahe bei dem Dampfschiff war, kam die Schöne der Erde heraus und empfing ihn: »Wo hast du die Nachtigall Gisar genommen?« Und er erzählte ihr getreulich, wie er den Vogel genommen hatte. Nun wurden sie einig und heirateten einander; so bekam der Königssohn die Schöne der Erde, und sie leben noch heute, freuen sich ihres Lebens und herrschen als Könige.
Ein Bursche erlöst zwölf verwunschene Mädchen
Es war einmal ein Vater, der hatte zwölf Söhne. Jeden Tag gab er jedem je einen Groschen. Dafür kauften sie sich Speise und Trank, soviel sie brauchten. Einmal aber hatten alle einen Groschen zuviel ausgegeben und sagten zum Wirt, der Vater werde zahlen. Da sahen sie plötzlich den Vater zum Wirtshaus kommen und bekamen Angst, er würde sie schlagen; darum liefen sie dem Vater weg und ließen sich bei den Husaren anwerben. Dort gefiel es ihnen aber nicht, und sie beschlossen, mit ihren Pferden und ihrer ganzen Ausrüstung zu entlaufen. Auf ihrer Wanderung kamen sie an ein verwunschenes Schloß, dort fanden sie für zwölf gedeckt, für zwölf Pferde Heu und alles für zwölf. Nun aßen sie. Auf einmal kamen zwölf verwunschene Mädchen, alle schwarz. Die wollten die zwölf Brüder töten. Da es aber Brüder waren, taten sie es nicht, nur sollten die zwölf Brüder sie erlösen. Die zwölf fragten gleich, wie sie das machen sollten, und die Mädchen antworteten, sie dürften sieben Jahre lang nicht sprechen; auch gaben sie an, wo sie sich jedes Jahr treffen wollten, um zu sehen, ob sie noch am Leben wären. Darauf gingen die Brüder fort, und keiner sprach ein Wort mehr. Nach dem ersten Jahr kamen sie wieder zusammen und sahen, daß den Mädchen die Köpfe weiß geworden waren; im nächsten Jahr fanden sie Kopf und Hals weiß, im dritten Kopf, Hals und Schultern, im vierten Kopf, Hals, Schultern und Arme, im fünften Kopf, Hals, Schultern, Arme und Leib, im sechsten Kopf, Hals, Schultern, Arme, Leib und die Beine bis zum Knie abwärts. Im siebenten Jahre kamen sie wieder zusammen. An ihrer Schweigezeit fehlte nur noch eine Viertelstunde, aber jetzt rief der älteste: »Ich kann nicht länger schweigen«, und nach ihm fingen alle an zu sprechen, außer dem jüngsten. Da kamen die Mädchen ganz schwarz, jede hatte ein Schwert und erstach den Burschen, der zu ihr gehörte, nur die jüngste erstach ihren nicht. Die elf Brüder verwandelten sich zugleich in Stein, und der jüngste fragte das Mädchen, wie er sie erlösen könnte. Sie antwortete, er müsse dreimal sterben, dann einen Drachen töten, aus dem würde ein Hase herausspringen, den müsse er fangen; aus dem Hasen würde eine Taube herauskommen, auch die müsse er fangen; die Taube würde ein Ei legen, das müsse er nehmen und damit zu dem Glasberge gehen; dort sei nur ein kleines Loch, so daß gerade das Ei hinein könne, durch das Loch müsse er dem Ei nachkriechen.
Darauf ging er fort und traf unterwegs einen Löwen, eine Ameise und einen Adler, die hatten ein Pferd erbeutet und konnten es nicht verteilen. Der Löwe rief den Burschen an, er möge die Teilung machen. Er nahm das Pferd, gab die Hinterviertel dem Löwen, den Rumpf dem Adler, den Kopf der Ameise. Damit waren die Tiere zufrieden, und der Löwe fragte: »Was sollen wir dir geben, daß du uns die Beute geteilt hast?«Der Bursche antwortete: »Was könnt ihr mir geben?« Und der Löwe sagte: »Reiß mir ein Haar aus dem Fell, wenn du das anrührst, wirst du zum Löwen, und wenn du es noch mal anrührst, wirst du wieder Mensch.« Darauf gab ihm die Ameise ein Ei von sich und sagte: »Wenn du das anrührst, wirst du zur Ameise.«Dann gab ihm der Adler eine Feder und sagte: »Wenn du die anrührst, wirst du zum Adler.« Damit ging der Bursche weiter und kam ans Meer. Dort war ein Teufel, den bat er hinüberzufahren. Der Teufel antwortete: »Wenn du mich dir den Kopf abschneiden läßt, will ich dich hinüberfahren.« Darauf meinte der Bursche, er solle ihm den Kopf abschneiden, wenn er drüben wäre. Darauf ging der Teufel ein und fuhr ihn hinüber. Der Bursche aber berührte das Löwenhaar, wurde zum Löwen, packte den Teufel und warf ihn ins Meer. Das war das erstemal, wo er hätte sterben sollen. Nun zog er weiter und kam zu einem zweiten Teufel, der fragte ihn gleich: »Wie bist du hierhergekommen mit deinem Kopf? Hierher kann man nur ohne Kopf kommen.« Der Bursche aber antwortete: »Fahr mich nur über, dann lasse ich mir von dir Kopf, Arme und Beine abschneiden.«Darauf ging der Teufel ein und fuhr ihn hinüber, und wieder wie das erstemal verwandelte sich der Bursche in einen Löwen, packte den Teufel und warf ihn ins Meer. Das war das zweitemal, wo er hätte sterben sollen. Er ging weiter und kam zu einem dritten Teufel, der fragte ihn: »Wie kommt das, daß du mit Kopf, Armen und Beinen hierhergekommen bist? Hierher kommt man nur mit dem Rumpf.«Darauf sagte er zu dem Teufel, er solle ihn nur hinüberfahren, dann wolle er sich alles abschneiden lassen. Der Teufel tat es, der Bursche verwandelte sich wieder in einen Löwen und warf den Teufel ins Meer. Das war das drittemal, daß er hätte sterben sollen. Nun ging er weiter und kam zu einem König; der hatte Schweine und mußte jeden Tag einem Drachen sieben Schweine geben. Der Bursche bat den König, er möge ihn als Hirten annehmen, der König aber antwortete: »Wie kann ich dich als Hirten annehmen, da ich nur einundzwanzig Schweine habe, und die wird der
Drache auffressen.« Der Bursche sagte darauf: »Ein guter Hirt treibt seine Schweine wieder heim.«So ging er den ersten Tag auf die Weide. Der Drache wollte, er solle ihm Schweine geben, aber er verwandelte sich in den Löwen und gab ihm keine. Am Abend trieb er die Schweine heim, und der König verwunderte sich, wie das zugegangen war. Ebenso begab es sich am nächsten Tage, am dritten Tage aber schickte der König einen Diener aus, um aufzupassen. Jetzt kam der Drache wieder und wollte Schweine haben, der Bursche aber verwandelte sich in den Löwen, und sie fingen an zu ringen. Da sagte der Drache: »Wenn ich nur drei Tropfen Blut hätte, würdest du etwas anderes zu wissen kriegen.«Und der Löwe sagte: »Wenn ich nur eine Halbe Wein und einen Braten hätte, würdest du etwas anderes zu wissen kriegen.« Das hörte der Diener, lief sofort nach Hause und brachte eine Halbe Wein und eine gebratene Truthenne. Jetzt packte der Löwe den Drachen und tötete ihn; sogleich sprang ein Hase heraus, den fing er; dann flog aus dem Hasen eine Taube auf; er berührte die Adlerfeder, wurde zum Adler und fing die Taube; die Taube bracht ihm ein Ei, das steckte er zu sich.Darauf trieb er die Schweine heim, und der König wollte ihm seine Tochter zur Frau geben. Er aber dachte immer an die zwölf Schwestern und an seine zwölf Brüder. Darum ging er weiter zu dem gläsernen Berge; dort warf er das Ei hin, berührte das Ameisenei, wurde zur Ameise und kroch durch das Loch hinein. Sowie er drin war, zersprang das Glas, und die zwölf Brüder und die zwölf Schwestern kamen herangeritten. Da küßten sie sich, und jeder von ihnen nahm die seine zur Frau.
Vom wunderbaren Haar
Es war einmal ein sehr armer Mann, der hatte das Haus so voll Kinder, daß er sie nicht ernähren konnte und mehrmals schon daran gedacht hatte, sie eines Morgens umzubringen, damit er nicht den Kummer erlebe, sie Hungers sterben zu sehen; aber seine Frau wehrte ihm. Eines Nachts erschien ihm im Traum ein Kind und sprach: »Mann, ich sehe, du hast den Gedanken gefaßt, deine armen Kindlein umzubringen, und ich weiß, daß du in Not bist, aber in der Frühe wirst du unter deinem Kopfkissen einen Spiegel, ein rotes Taschentuch und ein gesticktes Kopftuch finden; alles drei nimm heimlich, sag es niemand, und geh
in den Wald; da wirst du einen Bach finden, den geh entlang bis zur Quelle; dort wirst du ein Mädchen finden, leuchtend wie die Sonne, nackt, wie die Mutter sie geboren hat, das aufgelöste Haar fällt ihr über den Rücken; hüte dich aber, daß dich die böse Schlange nicht verstricke. Du darfst kein Wort sagen, denn sowie du einen Laut sprichst, wird sie dich verzaubern und dich in einen Fisch oder sonst etwas verwandeln und dich dann fressen. Wenn sie aber sagt, du sollst sie lausen, tu es; wenn du dann ihr Haar auseinanderlegst, merk auf, du findest dann ein Haar rot wie Blut, das reiß aus und lauf davon. Wenn sie es dann merkt und hinter dir herrennt, wirf ihr zuerst das gestickte Kopftuch hin, dann das Taschentuch und zuletzt den Spiegel. Damit wird sie sich aufhalten und zurückbleiben. Du verkaufe das Haar einem reichen Mann, aber laß dich nicht betrügen, das Haar ist unzählbares Geld wert. So wirst du reich werden und kannst deine Kinder ernähren.«Als der Arme aufwachte, fand er alles unter seinem Kopfkissen, wie das Kind es ihm im Traum gesagt hatte, und machte sich auf in den Wald. Dort fand er den Bach, ging an ihm bis zur Quelle, und als er sich dort umsah, wo das Mädchen sein könnte, sah er sie am Seeufer sitzen und Sonnenstrahlen einfädeln und auf einem Stickrahmen einen Stoff besticken, der aus Heldenhaaren gewebt war. Sowie er sie erblickt hatte, verneigte er sich vor ihr; sie sprang auf und fragte ihn: »Woher bist du, unbekannter Held?« Er blieb stumm. Sie fragte ihn nochmals: »Wer bist du? Wozu bist du hergekommen?« und manches andre. Er aber blieb stumm wie ein Stein, zeigte nur mit der Hand, daß er stumm sei und Hilfe suche. Darauf sagte sie ihm, er solle sich ihr auf den Schoß setzen; das tat er gleich, und sie hielt ihm den Kopf hin, daß er sie lause. Er legte nun die Haare auseinander, lauste sie und fand endlich das rote Haar, trennte es von den anderen Haaren, riß es aus, sprang von ihrem Schoße auf und lief fort, so schnell er konnte. Sie merkte es, und auf der Stelle in vollem Lauf ihm nach. Als er sich umsah und bemerkte, daß sie ihm schon ganz nahe war, warf er das gestickte Kopftuch auf den Weg. Sie sah es, bückte sich danach und betrachtete es hin und her, verwundert über die Stickerei. Währenddessen hatte er sich ein gutes Stück entfernt. Aber das Mädchen nahm das Kopftuch an sich und rannte wieder hinter ihm her. Als er nun sah, daß sie ihn gleich einholen würde, warf er das Taschentuch hin. Sie hielt sich wieder so lange mit dem Besehen auf, bis der arme Mann ein Stück weitergekommen war. Da wurde das Mädchen zornig, warf Kopftuch und Taschentuch weg
und jagte ihn in vollem Laufe nach. Als er wieder bemerkte, daß sie ihm nahe war, warf er den Spiegel hin. Als das Mädchen auf den Spiegel stieß, ein Ding, das sie noch niemals gesehen hatte, hob sie ihn auf, und als sie sich darin sah, wußte sie nicht, daß sie es ist, sondern dachte, es sei ein ihr ähnliches Mädchen, und sah starr in den Spiegel. Dabei kam der Mensch so weit fort, daß sie ihn nicht mehr einholen konnte. Sie kehrte um, und der Mann ging gesund und munter nach Hause. Dort zeigte er seiner Frau das Haar und erzählte ihr alles, was ihm widerfahren war. Sie lachte und spottete nur über ihn. Er hörte aber nicht auf sie, sondern ging in eine Stadt, um das Haar zu verkaufen. Dort versammelten sich allerlei Leute, auch Kaufleute, um ihn; einer bot einen Dukaten, ein anderer zwei, und so immer höher, bis sie auf hundert Dukaten kamen. Währenddes hörte der Zar von dem Haar, ließ den Mann zu sich rufen und bot ihm tausend Dukaten dafür. Da verkaufte er es dem Zaren. Und was hatte es mit dem Haar auf sich? Der Zar spaltete es der Länge nach von einem Ende bis zum andern und fand darin geschrieben viele wichtige Dinge, was alles und wann es geschehen war von Erschaffung der Welt an. So wurde der Mann reich und konnte mit Frau und Kindern sein Leben fristen. Das Kind aber, das im Traum zu ihm gekommen war, war ein Engel von Gott dem Herrn gesandt, der da wollte, daß dem armen Manne geholfen werde und daß Geheimnisse, die bis dahin verborgen waren, offenbar würden.
Der Schwiegersohn aus der Fremde
In alten Zeiten lebte ein reicher und mächtiger König, der glücklich und friedlich regierte. In hohem Alter erkrankte er, und da er merkte, daß es mit seinem Leben zu Ende gehe, rief er seine Frau, seine beiden Söhne und seine Tochter zu sich, um ihnen seinen Letzten Willen kundzutun. Alle brachen in Tränen aus, er aber sprach zu ihnen: »Lebt miteinander in Liebe und Eintracht, die Tochter aber gebt dem ersten Fremden, der um sie anhält.« Damit starb der König.
Seit seinem Tode waren schon drei Jahre vergangen, als eines Morgens im Königspalast ein Mensch erschien, der etwas sonderbar und wild aussah und verlangte, die Brüder sollten ihm ihre Schwester zur Frau geben. Der ältere, der jetzt König war, wollte ihm schon eine Tracht Prügel geben, aber der jüngere erinnerte sich dessen, was der Vater ihnen
befohlen hatte. So führte der Fremde die Schwester davon und sagte noch, er werde die Brüder bald besuchen. Sobald sie fort waren, ließ der König überall herumfragen, ob man wisse, was und woher der sonderbare Mensch sei. Aber niemand wußte es.So waren drei Jahre vergangen, und der Schwager hatte sie noch nicht besucht, wie er versprochen hatte. Dem König war es leid, daß er die Schwester nur so weggeworfen hatte, Gott weiß wohin, darum ging er zu seiner Mutter: »Mutter, ich gehe die Schwester suchen.« Sie wollte ihn nicht lassen, aber er gab nicht nach und ging. Schon hatte er viele Länder und Städte durchwandert, aber von seinem Schwager nichts gesehen und gehört. Als er nun immer weiter wanderte, kam er auf eine große wüste Ebene, schon hungrig und durstig, aber er konnte nirgends weder Stadt noch Haus finden. Ganz ermüdet, erblickte er auf einmal in der Nacht ein Licht, auf das ging er zu und gelangte zu einer kleinen Hütte. Eine alte Frau öffnete ihm die Tür und redete ihn an: »Königssohn, du hast nicht klug getan, daß du dich auf eine so weite Reise begeben hast; du hättest besser getan, deiner Mutter zu gehorchen und zu Hause zu bleiben.« »Und woher weißt du, Alte, daß ich der Königssohn bin?« —»Ich«, antwortete sie, »weiß auch, wie es dir gehen wird. Du wirst freilich deine Schwester finden, aber erst in drei Tagen. Dann wirst du viel Übles und viel Not erleiden. Darum höre auf mich und bleibe einige Tage bei mir, bis du dich erholt hast, und dann geh hübsch wieder hin, wo du hergekommen bist. Das sagt dir die Alte; hier bei mir wird dir nichts geschehen, nur geh niemals weiter als zweitausend Schritt vom Hause weg.«
Eines Tages spazierte der König um die Hütte der Alten herum und erblickte einen Baum mit schönen Früchten; davon wollte er pflücken und ging dahin, aber sobald er dem Baume nahe kam, wich der zurück. Er hatte sich nun in den Kopf gesetzt, er müsse von der Frucht des Baumes essen, und ging ihm weiter nach. So lief er den ganzen Tag. Auf einmal blieb der Baum stehen, und er kam an ihn heran. Sowie er sich anschickte, die Frucht zu pflücken, stieg ein Alter von dem Baum herab und fragte ihn: »Was machst du da?« Der König antwortete: »Ich bin ein Hirt und hatte Lust zu dem schönen Obst, jetzt will ich wieder zurück dahin, woher ich gekommen bin.« Darauf sagte der Alte zu ihm: »Mein Sohn, dahin, woher du heute gekommen bist, wirst du nicht mehr zurückkehren. Die Gegend dort ist von einem bösen Geist verzaubert, und die Alte, bei der du gewesen bist, ist eine seiner Dienerinnen.
Wärst du länger bei ihr geblieben, hätte sie dich sicherlich ausgeliefert. Jetzt danke Gott und erhole dich ein wenig.« Darauf tat der Alte einen Pfiff, und vor dem Könige erschien ein Tisch mit mancherlei Speisen. Als er sich erquickt hatte, fragte ihn der Alte: »Willst du mit mir, mein Sohn?« —»Ja, lieber Alter.«So gingen sie, aber auf dem langen Wege wurde der König so müde, daß er nicht mehr weiterkonnte. Da nahm ihn der Alte auf den Rücken und erhob sich in die Luft. Nach einer Weile setzte er ihn ab vor einer schönen Burg und verschwand. Der König ging um die Burg herum, aber nirgends war ein Tor, und er war nun so müde geworden, daß er sich vor der Burg niederwarf. Da sah ihn eine Magd aus dem Fenster und meldete es ihrer Herrin; die ließ ihn in die Burg tragen, und sowie er die Augen aufschlug, erkannte er seine Schwester. Sie küßten sich und begannen zu erzählen, und er berichtete ihr alles von seiner Wanderung. Da wurde die Schwester betrübt und sagte zu ihm: »Der Alte ist ja kein andrer als mein Mann; er hat dich nur darum hierhergebracht, um dich hier umzubringen.« Sie waren noch in der besten Unterhaltung, als sie auf einmal ein Geräusch hörten; es war der Geist, ihr Mann, der ankam. Der König versteckte sich, aber sobald der Geist in die Stube trat, rief er sogleich seiner Frau zu: »Wo ist mein lieber Schwager, daß ich ihn bewirte und ihm Vergnügen mache?« Da mußte die Schwester den Bruder herzeigen. Sie verbrachten nun drei Tage mit Schmausen und Lustbarkeit; als der vierte Tag anbrach, gingen König und Geist auf einen Spaziergang. Der Geist aber kam allein zurück und ging dann gleich wieder vom Hause fort. Die Schwester wartete und wartete betrübt auf den Bruder, aber er kam nicht. Da wußte sie, daß der Geist ihn aus der Welt geschafft hatte. Unterdes war des Königs Mutter erkrankt und gestorben, und der jüngere Bruder wurde König, denn alle dachten, der wirkliche König wäre umgekommen.
Der neue König beschloß nun, Bruder und Schwester zu suchen, durchwanderte viele Städte, fand aber nichts. Am Ende kam er zu einer Stadt, die war ganz aus Eisen; er ging hinein, aber es war keine lebende Seele darin; alle Häuser waren geschlossen, und auf der Straße war niemand. Nur vor ein großes Haus kam er, das offen war; als er hineintrat, sah er auf einmal einen großen Drachen ein Lamm am Spieß braten, zu dem ging er hin und begrüßte ihn mit Gott helfe. Der Drache antwortete darauf nicht. Da wurde der junge König zornig und versetzte dem Drachen einen Hieb, und nun erhob sich zwischen ihnen ein blutiger
Kampf. Der König zog sein Schwert und brachte dem Drachen eine böse Wunde bei. Der lief in die Burg, der König auf der Blutspur hinter ihm her. Oben im Zimmer warf der Drache sich aufs Bett, in der Ecke aber saß ein junges Mädchen und weinte. Der König sprang noch einmal auf den Drachen los und gab ihm noch einen tüchtigen Schlag, dann fragte er das Mädchen, was mit ihr sei. Sie antwortete ihm: »Mein Vater war König dieser Stadt, und der Drache war ein Zauberer; er bewarb sich bei meinem Vater um mich, und da der Vater mich ihm nicht geben wollte, machte er die ganze Stadt eisern, und mich entführte er. Um den Hals hängt ihm eine kleine Schachtel, darin ein Vögelchen; töte das, dann wird die ganze Stadt wieder lebendig.« Das tat der König, die Stadt lebte wieder auf, die Häuser taten sich auf, und die Leute gingen in den Straßen auf und ab. Von da ging nun der König weiter und kam zu einer großen Wüste, zu derselben alten Frau, bei der sein Bruder gewesen war. Sie begrüßte ihn ebenso wie seinen Bruder und gab ihm denselben Rat. Er hörte aber nicht auf sie, sondern ging weiter bis zu einer andern Hütte, darin war der Alte, der seinen Bruder entführt hatte. Von dem ließ er sich verleiten, und der Alte brachte ihn zu derselben Burg, dann verschwand er.Der König suchte lange nach dem Tor, fand es glücklich und ging in die Burg. Als er da durch die Stuben ging, fand er seine Schwester; die fing gleich an zu weinen und erzählte ihm, wie der ältere Bruder verlorengegangen war. Als er nun den Geist kommen hörte, versteckte er sich nicht, sondern erwartete ihn. Den Tag über verbrachten sie die Zeit sehr vergnügt, am Abend aber versteckte sich der König in der Schlafstube des Geistes. Als der Geist eingeschlafen war, schlich er sich heran und wollte ihm den Kopf abhauen. Da bemerkte er aber am Halse des Drachen etwas Rotes, das nahm er; das war eine kleine Schachtel, und darin ein Vögelchen. Sowie er das Vögelchen in die Hand nahm, erwachte der Drache, und als er das Vögelchen in der Hand des Königs sah, bat er ihn, er möge ihn nicht umbringen. Darauf fragte ihn der König, wo sein Bruder sei; der Geist gab ihm eine Salbe, damit solle er in den Pferdestall gehen und dort das Pferd damit bestreichen. Der König ging und tat alles so, wie ihm der Geist gesagt hatte, und plötzlich stand statt des Pferdes sein Bruder vor seinen Augen. Sie begrüßten sich und gingen beide in die Stube und weckten ihre Schwester. Darauf drehte der jüngere Bruder dem Vogel den Hals um, sogleich verschwand der Geist, und plötzlich trat ein schöner junger Mann in die
Stube. Der sprach: »Ich bin der Geist, der eben verschwunden ist. Es war mir verhängt, ein Übeltäter zu sein, bis mich jemand in dem Geisterleib erschlagen würde. Ihr habt mich erlöst, nun gebt mir eure Schwester zur Frau.« Die Brüder willigten ein, und darauf zogen sie alle zusammen in ihr Reich. Als sie durch die Wüste kamen, war die Alte nicht mehr da. Der jüngere Bruder blieb nachher in der eisernen Stadt und heiratete die junge Königin, die er erlöst hatte, der ältere und die Schwester lebten friedlich und ruhig in der Vaterstadt.
Die zwölf Brocken
Es war einmal ein Zar, dem starb seine Frau, und er blieb als Witwer zurück mit einem kleinen Knaben, der, wie alle kleinen Kinder, viel weinte. Einmal schickte sich der Zar an, auf die Jagd zu gehen, aber der Kleine hing sich an seinen Hals und verfiel noch stärker ins Weinen. Dem Zaren tat das sehr leid, und er beschloß, des Kindes wegen wieder zu heiraten, daß die zweite Frau für das Kind in seinem Palaste Sorge trage. Dann beruhigte er das Kind, so gut es gehen wollte, und ging auf die Jagd. Unterwegs traf er im Gebirge an einer Quelle eine schöne und kräftige Frau, die Wasser schöpfte in zwölf Kürbisflaschen. Der Zar verwunderte sich darüber und fragte die Frau, warum sie das täte. Sie antwortete: »Das tue ich, um mich damit zu ernähren; für jede Flasche Wasser bekomme ich einen Brocken Brot, und so verdiene ich jeden Tag zwölf Brocken.« Der Zar fragte weiter, ob sie daran genug hätte, und sie antwortete: »Es wäre das sogar zuviel, aber ich lasse erst meine junge Tochter davon essen, dann nehme ich selbst, und so reicht es gerade für uns aus.« Da wunderte sich der Zar noch mehr, und da sie jung und hübsch war, kam er auf den Gedanken: »Die wäre gut für mein Haus und mein Kind.«
Darauf gab er sich ihr kund, daß er der Zar des Landes sei, und fragte sie, ob sie seine Frau werden wolle. Sie ging sogleich darauf ein, und so führte sie der Zar in seinen Palast und heiratete sie, und sie wurde so die Zarin. Ihre Tochter war noch jünger als der Sohn des Zaren, die Kinder aber vertrugen sich gut miteinander und hatten sich sehr lieb. Wenn der Zar etwas besonders Schönes bekam, schenkte er es den Kindern, und die teilten es redlich und lieb unter sich. Der Zarin aber wurde ein solches Leben unlieb, denn sie hatte den Gedanken gefaßt:
»Warum soll neben meinem Kinde auch noch das fremde Kind alles Gute mitgenießen?« Darum beschloß sie, den Vater mit dem Sohne zu verfeinden, ob dann der Vater ihn vielleicht aus dem Hause jagen würde. Das Böse, das sie ersonnen hatte, führte sie auch bald aus. Sie fing an, dem Zaren vorzuerzählen, wie sie jede Nacht schreckliche Träume hätte: sein Sohn sei auf einmal groß gewesen, habe den Zaren vom Thron gestoßen und sie alle zu Tagelöhnern gemacht. Der Zar geriet auf dieses Gerede hin in Unruhe, und als die Frau nicht aufhörte, ihm den Kopf voll zu reden, entschloß er sich, seinen Sohn aus dem Hause zu jagen. Und so mußte der Erbprinz, der schon ein ziemlich großer Junge war, Bettlerkleider anziehen und in die Fremde gehen, es tat ihm aber sehr weh, daß sein Vater so mit ihm verfahren war. Auf seiner Wanderung machte er einmal zum Nachtlager halt bei einer Höhle, in der ein Einsiedler lebte, ganz alt und weißbärtig. Um Mitternacht hörte er ein Wehklagen aus der Höhle und erschrak darüber, faßte sich aber schnell und überlegte: »Wer es auch sei, er klagt nicht aus Mutwillen, sondern aus schlimmer und großer Not.« Darum ging er zu der Höhle und sah den Einsiedler, wie er ächzte, krank und durstig. Da lief der Zarensohn schnell an den Bach, schöpfte Wasser in die hohle Hand und stieg wieder zu der Höhle hinauf. Auf dem Wege fiel er hin und zerschlug sich das Knie, brachte aber doch dem Alten etwas Wasser in der hohlen Hand. Da freute sich der Alte sehr und sprach: »Mein Sohn, ich seufzte nicht deswegen, weil ich krank und durstig bin, sondern weil ich weiß, wieviel Bosheit und Elend es in der Welt gibt, jetzt aber freue ich mich, weil ich sehe, daß es noch Leute gibt, sogar in dieser Einöde, die menschliche Leiden mitfühlen. Darum verlange, was du willst, ich gebe es dir, wenn ich es irgend habe und kann.« Darauf antwortete der Zarensohn: »Mich hat ein Kummer getroffen, und wenn du dagegen ein Mittel weißt, sage es mir, ich bitte dich.« Der Einsiedler aber reichte ihm ein kleine Flöte und sagte: »Nichts ist leichter. Dies kleine Ding wird dich immer froh machen, und wenn dein Herz vor Freude zu tanzen anhebt, wird alles Lebendige um dich herum tanzen, solange die Flöte ertönt.« Der Zarensohn bedankte sich bei dem Einsiedler, ging weiter und konnte kaum erwarten, bis er allein sein würde und anfangen könnte zu flöten. So ging er weiter und weiter, und als er sah, daß er ganz allein war, nahm er die Flöte und probierte; vor Freuden begann ihm das Herz zu tanzen, und er bemerkte in der Ferne, wie ein Eichhörnchen nach seiner Flöte tanzte. Darauf wanderte er weiter, und die Zeit verging, bis er sich endlich bei einem reichen Mann zum Schaf hüten verdang. Oft kam die Sehnsucht ihn an, aber er hütete sich zu flöten, wenn er mit den Schafen auf der Weide war, denn die Schafe würden die Weide liegen lassen, wenn sie die Flöte hörten, und alle herumtanzen. Als er eines Abends mit seinen Schafen auf dem Wege nach Hause war, hörte er von weitem Klagegesang, und als er zu Hause ankam, was mußte er sehen: sein Herr war in der vergangenen Nacht auf einen Vilentanzplatz getreten, und die Vilenzarin hatte ihm beide Augen ausgestochen; darum sangen er und alle die Seinigen, soviel ihrer waren, Klagelieder. Da beschloß der Zarensohn auszuziehen, und die Augen seines guten Herrn zu suchen. Seine Schafe ließ er zurück, nahm eine Tasche, tat Brot, Salz und Zwiebeln hinein, dazu die Flöte und ging der Spur nach, wie er es von seinem Herrn gehört hatte, sagte aber niemand, was er vorhabe und wohin er gehe. Als er dort ankam, erschrak er, die Vilenzarin hatte sich mitten im Gebirge auf einer Lichtung niedergelassen, und zwölf Vilen flochten und lösten ihr das Haar, das aber leuchtete im Mondenschein wie lauter Gold. Er ging noch näher heran, die Vilen hörten auf, das Haar zu flechten, und die Zarin, die halb geschlafen hatte, schlug die Augen auf. Da erkannte er, daß sie ihn bemerkt hatten, fuhr schnell mit der Hand in die Tasche, zog die Flöte heraus und fing an zu spielen, erst leise, dann immer stärker und stärker. Vor Angst drehte sich ihm das Herz im Leibe um, aber die Vilen sahen sich an, brachen dann in ein lautes Lachen aus, zuletzt stellten sie sich zum Reigen zusammen und fingen an zu tanzen wie rasend. Er flötete unaufhörlich, und ihnen ging schon ganz der Atem aus.Das ging so weiter, bis die Zarin ausrief: »Ach, ich kann nicht mehr!« Aber mach einmal einen aufhören, wenn er überhaupt nicht will; sie konnten ihn nicht zum Nachlassen und Anhalten bringen. Da merkten sie, daß sie bös angekommen waren, und riefen laut: »Wer du auch bist, wir bitten dich, hör auf!« Er aber antwortete ihnen: »Sagt mir, wo die Augen meines Herrn sind.«Die Vilenzarin verschwor sich bei Himmel und Erde, daß sie es nicht getan habe, aber er ließ sich nichts vormachen. Da sagte sie ihm, er solle zu der Tanne gehen, über der der Mond am hellsten schiene, und von der eine goldene Umhängetasche herabschütteln; darin würde er eine silberne Dose finden, in der reine Watte und in der Watte die Augen, die er suche. Er tat so, wandte aber die Augen nicht von den Vilen, und sobald sie sich rührten, blies er die Flöte, und
.sie fingen wieder an, rasend herumzuspringen. So kam er an die Tanne, schüttelte die goldne Tasche herab, fand in ihr die silberne Dose, in der Dose die Watte, und in der Watte die Augen seines Herrn. Darauf begab er sich, vergnügt die Flöte spielend, nach Hause. Dort gab er seinem Herrn das Augenlicht wieder, und der, als er wieder sehen konnte, umarmte seinen Diener und überschüttete ihn mit Gold und allerlei Kostbarkeiten. Der Diener aber sagte, er begehre nichts als ein gutes Pferd und tüchtige Waffen, denn er habe Lust, in die Welt zu ziehen und Gutes zutun. Der Herr gab ihm all das sehr gern, und so zog er wieder in die Welt. Da verbreitete sich sein Ruf weithin, als eines Helden, der Kämpfe bestehe und die Armen beschütze. Daher begann man jetzt, ihn bald hierhin, bald dahin zu Hilfe zu rufen, und einmal kam ein solcher Ruf an ihn von dem Zaren, seinem Vater; der ließ ihm sagen: »Wir haben von dir und deinem Ruhm gehört, unbekannter Held, und bitten dich, uns um Gottes willen zu helfen; ein feuriger Drache ist gekommen und begehrt, daß wir ihm unsere Tochter geben und mit ihr unser ganzes Reich.«Als der Zarensohn das gehört hatte, ging er hin und überlegte dabei in einem fort, was das für eine Tochter des Zaren sein könne, und vermutete, es sei keine andre, als die seine Stiefmutter ins Haus gebracht hatte und die so gut mit ihm gewesen war. In solchen Gedanken kam er zuletzt in das Reich seines Vaters und begab sich gerade vor den Zarenpalast. Dort fand er alles, wie er es verlassen hatte, nur sein Vater war sehr gealtert, und so auch die Diener und die Stiefmutter. Ihre Tochter aber war zu einem wunderschönen Mädchen erwachsen. Da auf einmal kam der feurige Drache heran, und als er den Zarensohn erblickte, fuhr er auf ihn los und rief schon von weitem: »Du bist gerade der, den ich schon lange suche.«Feurige Pfeile gingen von ihm aus, aber das Pferd des Zarensohnes kniete nieder, und die Pfeile flogen über ihn weg. Da warf der Zarensohn seine Lanze, aber sie brach mitten entzwei und tat dem Drachen nichts.
So wurden ihm seine sämtlichen Waffen verdorben, und er stand mit leeren Händen da, der Drache aber lachte auf und ging gerade auf ihn zu. Da ergriff der Zarensohn seine Flöte und begann zu spielen. Alles Lebendige ringsum fing an zu tanzen, der Drache zischte und begann zu zittern und allmählich immer kleiner zu werden, bis er nur noch wie ein kleine Blase war, die auf und ab sprang. Da lief der Zarensohn schnell hinzu, drückte ihn mit dem linken Fuß nieder, die Blase zerplatzte,
und die Teufeismacht war damit zu Ende. Als die Leute sahen, was geschehen war, freuten sie sich sehr, der Zar umarmte ihn und fragte ihn aus, wer und woher er sei. Der Zarensohn gab sich darauf kund und erzählte alles, was ihm widerfahren war; der Zar aber, als er das hörte, wurde zornig auf seine Frau und wollte sie gleich töten, aber der Zarensohn bat um ihr Leben, und darauf entschied der Zar, sie solle auf das Gebirge gehen, woher sie gekommen war, dort an der Quelle wieder zwölf Kürbisflaschen nehmen und sich von den Brocken, die sie damit verdiene, ernähren. Ihre Tochter aber gab er seinem Sohne zur Frau, und der kam so zu dem Thron seines Vaters, wie denn jede Fügung Gottes zuletzt sich so erfüllen muß, wie es bestimmt und wie es recht und gut ist.
Das Froschmädchen
Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die waren schon ziemlich bejahrt und hatten kein Kind. Sie beteten immer zu Gott, er möge ihnen doch ein Kind geben; zuletzt gingen sie auf eine Wallfahrt und baten wieder Gott, er möge ihnen auch ein Kind schenken, und wenn es auch ein Frosch wäre. Sie kehrten dann nach Hause zurück, und wirklich merkte die Frau, daß sie in Hoffnung sei, und gebar nach neun Monaten ein Kind. Aber was für eins? Einen Frosch! Aber auch damit waren sie zufrieden, als wenn sie nichts gehabt hätten. Der Frosch hielt sich immer im Weinberg auf und kam selten nach Hause; der alte Mann arbeitete immer in dem Weinberg, und die Frau brachte ihm jeden Tag das Mittagessen dahin. Aber da sie schon alt war, fing sie eines Tages an zu klagen, daß sie nicht mehr von der Stelle könne, erst recht nicht dem Manne das Essen bringen könne, ihre Füße wollten nicht mehr.
Da kam die Froschtochter von draußen -sie war schon vierzehn Jahre —und sagte: »Mutter, ich sehe, Ihr seid alt und könnt nicht mehr fort, könnt auch dem Vater nicht das Essen bringen, gebt es her, ich geh damit.« —»Meine liebe Froschtochter, wie könntest du mit dem Essen gehen, da du's doch nicht tragen kannst, du hast ja keine Hände, den Topf anzufassen»« —»Ich kann ihn tragen«, antwortete der Frosch, »setzt mir nur den Topf auf den Rücken und bindet ihn mir an den Beinen fest, dann seid unbesorgt.« — »Nun, so versuch's, ob du's kannst.« Darauf setzte die Alte dem Frosch den Topf auf den Rücken, band ihn an den
Beinen fest und schickte ihn ab. Der Frosch trug seine Last den Weg entlang, aber als er an das Gittertor des Weinbergs kam, wo der Vater war, konnte er es nicht öffnen und auch nicht hinübersteigen. Da rief er seinem Vater zu, der kam, nahm ihm den Topf ab und aß. Darauf sagte ihm der Frosch, er solle ihn auf einen Kirschbaum heben. Der Vater hob ihn hinauf, und der Frosch fing an zu singen; sang, daß alles widerhallte, und das so schön, daß man hätte sagen mögen, die Vilen singen dort. Da kam dort ein Königssohn vorüber, der auf die Jagd gegangen war, und hörte lange auf den Gesang; und als der Gesang nicht mehr zu hören war, ging er zu dem Alten und fragte ihn, wer da so schön sänge. Der Alte antwortete, er wisse nicht, habe keinen gesehen noch gehört, nur die Krähen über sich fliegen sehen. »Aber sagt mir doch, wer es ist; wenn es ein Mann ist, soll er mein Kamerad sein, wenn ein Mädchen, soll es mein Liebchen sein.« Aber der Alte schämte und scheute sich und sagte, er wisse es nicht. Darauf ging der Königssohn nach Hause.Am andern Tage brachte wieder der Frosch dem alten Vater das Mittagessen, der setzte ihn wieder auf den Kirschbaum, und er fing wieder an zu singen; und sieh da! wieder kam der Königssohn absichtlich dorthin auf die Jagd, nur um wieder den Gesang zu hören und zu sehen, wer es ist. Der Frosch sang auf dem Kirschbaum, daß das ganze Tal widerhallte. Als der Gesang aufgehört hatte, kam wiederum der Königssohn zu dem Alten, er solle ihm sagen, wer da singt. Der Alte antwortete, er wisse es nicht. »Wer hat dir denn das Mittagessen gebracht?« fragte ihn der Königssohn. »Ich bin selber nach Hause gegangen«, antwortete der Alte, »war aber so müde, daß ich nicht essen mochte, und habe es deswegen selbst mitgebracht.« —»Aber der Gesang ergreift mir das Herz, Ihr wißt sicherlich, Alter, wer da singt, sagt es mir, wenn es ein Mann ist, soll er mein Kamerad sein, wenn ein Mädchen, soll es mein Liebchen sein.« Da antwortete der Alte: »Ich möchte es Euch wohl sagen, aber ich schäme mich, und es würde Euch auch verdrießen.« —»Habt nur keine Angst, sagt es mir nur.« —Darauf erzählte der Alte ihm, daß es ein Frosch ist, der da singe, und daß es seine Tochter sei. —»So sagt ihr, daß sie herabkommen soll.« —Da kam der Frosch herab und hub noch einmal an zu singen. Dem Königssohn hüpfte das Herz vor Vergnügen, und er sagte zu ihr: »Sei mein Liebchen! Morgen kommen die Liebchen meiner beiden Brüder, und welche von ihnen die
schönste Rose bringt, der hat der König versprochen, ihr und ihrem Verlobten das Königreich zu hinterlassen. Geh du als mein Liebchen dahin und bringe eine Rose, wie du sie ausgesucht hast.« Der Frosch antwortete: »Ich werde kommen, wie du wünschest, aber du mußt mir vom Hofe einen weißen Hahn schicken, auf dem will ich hinreiten.«Darauf ging er und schickte ihr vom Hause den weißen Hahn. Sie aber ging zur Sonne und bat um Sonnenkleider. Am nächsten Morgen bestieg der Frosch den Hahn und nahm die Sonnenkleider mit. Als sie in diesem Aufzug an die Stadtwache kam, wollte die sie nicht hereinlassen, aber als sie sagte, sie werde sich bei dem Königssohn beklagen, wenn man sie nicht hereinlasse, ließ man sie gleich ein. Sowie sie die Stadt betrat, verwandelte sich ihr Hahn gleich in eine weiße Villa, und aus dem Frosch wurde das schönste Mädchen von der Welt; sie zog die Sonnenkleider an, statt einer Rose aber trug sie eine Weizenähre und ging so in den Königspalast. Da kam der König erst zu dem Liebchen des ältesten Sohnes und fragte sie, was für eine Rose sie gebracht habe. Sie zeigte ihm eine wirkliche Rose. Darauf ging er zu dem Liebchen des zweiten Sohnes und fragte sie, was für eine Rose sie denn gebracht habe. Sie zeigte ihm eine Nelke. Dann wandte er sich zu dem Liebchen des jüngsten, bemerkte gleich an ihr die Weizenähre und sagte: »Du hast uns die schönste und nützlichste Rose gebracht; man sieht, du weißt, daß man ohne Weizen nicht leben kann und daß du zu wirtschaften verstehst. Was sollen uns andre Rosen und solches Gepränge? Werde die Frau meines jüngsten Sohnes, dessen Liebchen du bist, und ich will ihm mein Königreich hinterlassen.« Und so wurde die Froschtochter Königin.
Der Igeibräutigam
Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die waren schon lange verheiratet, hatten aber kein Kind bekommen. Endlich rief die Frau in ihrem Kummer: »Gib mir, lieber Gott, doch ein Kind, und wenn es auch wie ein Igel wäre.« Und diesmal erhörte Gott ihren Wunsch und gab ihr ein Kind wie ein Igel. Was sollte sie aber nun mit dem Igel anfangen? Umbringen konnte sie ihn doch nicht und getraute sich auch nicht. Sie hatte aber einen Eber und eine Sau, mit denen schickte sie ihn in den Wald auf Eichelmast, vielleicht würde er da mit ihnen verlorengehen
oder es würde ihn einer totschlagen. Der Igel machte sich mit den Schweinen auf in den Wald zur Eichelmast und war dort volle neun Jahre, und seine Mutter war schon ganz froh, daß er nicht mehr zu Hause war. Er mästete dort im Walde die Schweine, und viele Schweine wurden ihm dort geworfen, die suchten sich Eicheln, und er kroch in einen Baumstumpf wie ein richtiger Igel.Einmal, im neunten Jahre, kam dort an dem Walde ein Waldhüter vorbei, der sah die Menge Schweine, aber nirgends einen Hirten. Da rief er: »Schweinehirt, he, Schweinehirt!«Und aus dem Stumpf antwortete ihm der Igel: »Was ist denn?« Darauf sagte der Waldhüter: »Komm heraus, ich fürchte mich, deine Schweine fallen mich an.«Der Igel kam heraus, aber der Waldhüter konnte ihn unter den Schweinen nicht sehen, sondern hörte ihn nur. Da fürchtete er sich, weiter unter die Schweine zu gehen, und ging nach Hause. Dort erzählte er seinem Herrn, was er im Walde gesehen und gehört hatte.
Darauf ging der Herr des Waldes selbst nachsehen, sah auch die Menge der Schweine, aber nirgends einen Hirten, rief ebenfalls den Hirten: »Schweinehirt, he, Schweinehirt!«, und der Igel antwortete ihm aus dem Stumpf heraus: »Was gibt's denn?« Darauf sagte der Herr: »Komm heraus, ich fürchte mich, deine Schweine fallen mich an.« Der Igel kam heraus, der Herr sah sich nach ihm um, wo er sein könne; da bemerkte er einen Igel und sagte zu ihm: »Bist du denn der Hirt?«Der antwortete ihm: »Ja, das bin ich.«Darauf sagte der Herr weiter: »Wenn du der Hirt bist, mußt du mich aus dem Walde führen, ich habe mich verirrt.« Wirklich führte der Igel den Herrn aus dem Walde, und die Schweine ließ er währenddessen darin, und der Herr gab ihm dafür hundert Gulden.
Als er nun die hundert Gulden hatte, dachte er bei sich: >Was soll ich mit dem Gelde, ich will es meinen Eltern bringen<, und machte sich mit seinen Schweinen auf nach Hause. So kam er zum Gehöft seines Vaters, dort bemerkte ihn keiner zwischen den Schweinen. Da kam seine Mutter auf den Hof hinaus und rief: »Lieber Gott, woher kommt all die Menge Schweine?«Dann rief sie ihren Mann, er solle kommen und die Schweine wegtreiben. Der Mann kam heraus und wollte die Schweine vom Hofe treiben, aber der Igel rief aus der Mitte der Schweine heraus: »Nicht, Vater, jagt sie nicht weg, es sind eure Schweine!« Mann und Frau sahen sich um, wer da zu ihnen spricht; da kommt der Igel aus der Schar der Schweine heraus. Die Mutter bemerkte ihn und sagte:
»Ach, mein Sohn, bist du's denn?«Und er antwortete: »Ja, Mutter, ich bin es.«
Die Mutter bereitete gleich das Mittagessen, und beim Essen unterhielten sie sich. Dabei sagte ihnen der Igel: »Ich habe euch jetzt hundert Gulden gebracht, jetzt verheiratet mich, Mutter!« Sie antwortete ihm: »Mein Sohn, du bist noch zu jung, und wie könntest du heiraten, du bist doch ein Igel, welches Mädchen möchte dich nehmen?« Darauf sagte er: »Darum sorgt euch nur nicht, werdet schon ein Mädchen für mich erfreien.«
Als die Mutter sah, daß er darauf bestand, zu heiraten, ging sie auf Brautwerbung. Die Leute verlangten immer, daß auch der junge Mann sich zeigen solle, aber der zeigte sich nicht und bekam so auch kein Mädchen. Zuletzt gab doch an einem Orte ein Mädchen der Bewerbung der Mutter nach. Als das Mädchen den Igel sah, bekam sie gar keine Angst, sondern sie gingen zusammen zur Trauung, und sie hatte ihn so lieb, als wäre er der schönste junge Mann.
Als sie nun schlafen ging, streifte er das Igelfell ab, warf es unters Bett und wurde ein schöner junger Mann, wie es keinen schöneren unter der Sonne gab. Am Morgen ging sie zu ihrer Mutter und bedankte sich bei ihr: »Liebe Mutter, wie ist mein Igel in der Nacht schön; er zieht das Igelfell ab und wird ein schöner junger Mann, wie es keinen schöneren unter der Sonne gibt.«Darauf riet ihr die Mutter: »Nimm du sein Fell, wenn er es ausgezogen hat, wirf es dann in den brennenden Ofen, und er wird dir für allezeit so schön bleiben.«Die Tochter gehorchte ihr und verbrannte sein Fell. Am nächsten Morgen stand er auf und suchte sein Fell, konnte es aber nirgends finden. Da fragte er seine Frau nach dem Fell, die aber sagte: »Ich weiß nicht, wo es ist.« Er merkte aber doch, daß sie es verbrannt hatte, und sagte: »Betrüge mich nicht, ich weiß, du hast es verbrannt und hast gut daran getan, nur, wenn du noch ein wenig länger ausgehalten hättest, wäre es mein Glück gewesen.«
Das Mädchen von nirgend her
Es war einmal ein König, der hatte nur einen einzigen Sohn. Als der Sohn erwachsen war, lag ihm der Vater beständig an, sich zu verheiraten. Darauf antwortete er: »Ich möchte mich wohl verheiraten, aber hier gibt es keine Mädchen für mich, ich muß in die Welt ziehen, ein
Mädchen suchen, das von nirgend her ist. Gib mir ein gutes Pferd, einen Diener und Geld, dann will ich suchen.« Auf seiner Reise kam er in einen großen Wald und traf dort auf einen schönen Brunnen; da befahl er seinem Diener, das Pferd zu tränken. Der wollte das gerade tun, aber zufällig sah er in den Brunnen hinein, und darin leuchtete es so schön, daß es lieblich anzusehen war. Da rief der Diener seinen Herrn, er möge doch auch sehen, was da in dem Brunnen leuchtet. Der Herr verwunderte sich und blickte in die Höhe, über dem Brunnen, da sah er ein schönes Mädchen auf einer Eiche sitzen, wie es schöner nicht sein konnte, goldenes Haar bis zu den Knien und funkelnd wie die Mittagssonne. Als er sie ordentlich betrachtet hatte, rief er sie herab: er wolle sich ein wenig mit ihr unterhalten, und als sie unten war, fragte er sie, woher sie sei und worauf sie da warte. Sie antwortete ihm, sie gehöre niemand an, sie sei von nirgend her und warte hier auf ihr Glück. Darauf sagte er: »O! So eine suche ich gerade, die von nirgend her ist; aber willst du mein werden?« — »Ich will.« — Da nahm er den Ring von seinem Finger und gab ihn ihr, und sie gab ihm ihren. »Jetzt bleib du hier«, sprach er weiter, »bis ich wiederkomme und das Hochzeitsgefolge mitbringe.«Während so der Prinz nach Hause ging, tappte eine Zigeunerin zu dem Brunnen heran, sah hinein, und es leuchtete ihr hell daraus entgegen. Als sie nun hinaufblickte, bemerkte sie das Mädchen und sagte zu ihr: »Aber nein, Herrin, bist du schön! Komm herab, gib mir deine Kleider, ich gebe dir meine, dann wollen wir in den Brunnen gucken und sehen, wessen Bild schöner ist.« Das Mädchen kam herab, zog die Kleider der Zigeunerin an und die Zigeunerin ihre. Darauf bückten sie sich und sahen in den Brunnen, die Zigeunerin aber packte das Mädchen, warf sie in den Brunnen und setzte sich an ihren Platz, um abzuwarten, was nun wird. Da hörte sie auf einmal Musik spielen, und es kommt ein Hochzeitszug. Als die Herren an die Stelle kamen, betrachteten sie das Mädchen von nirgend her, was das für eine ist, und alle wunderten sich, wie schwarz sie ist, auch der Prinz selbst wunderte sich, wie häßlich sie ist. Aber was will er machen? Jetzt müssen sie sie schon mitführen. Da befahl der Prinz einem Diener, die Pferde zu tränken; der läßt den Eimer in den Brunnen hinab, und hinein springt ein Goldkarpfen. Der Diener rief seinen Herrn, der sah den Karpfen an und befahl dem Diener, ihn in ein Tuch zu wickeln und in einen Kasten zu legen. Das tat der Diener, und darauf begaben sie sich nach Hause.
Dort wurde die junge Frau krank. Doktoren kamen, konnten ihr aber nicht helfen, doch fragten sie, was sie essen möchte, und sie antwortete, sie möge nichts als den Karpfen. Der Prinz redet ihr ab: »Laß doch, du siehst ja, es gibt nichts so Schönes wie den.« Aber vergebens, sie wollte nichts als den Karpfen. Da man jetzt nicht aus noch ein wußte, mußte man ihr den Karpfen schlachten, und der Prinz befahl demselben Diener, der ihn gebracht hatte, das zu tun. Gerade neben ihrem Garten war ein kleiner Bach, und dort schlachtete er ihn. Er hatte ihn schon abgeschuppt und wollte ihn ausnehmen, als ein altes Weib durch den Garten da vorbeikam und ihn fragte, was er mache. Er antwortete ihr: »Du siehst ja, ich nehme einen Fisch aus.« Dabei bewegte sich innen das Herz in dem Fische. »Gib mir doch das Herz, ich bitte dich.« Darauf antwortete er: »Das wage ich nicht, denn wenn der Prinz es merkt, hängt er mich auf.« Die Alte fing wieder an: »Ich bitte dich, gib es mir doch! Niemand wird davon erfahren, ich verberge es.« Da gab er es ihr, sie nahm es mit nach Hause und warf es hinter den Ofen, daß es niemand sehen sollte.
Als der Fisch gekocht war, aß die Prinzessin ihn, und ihr wurde besser, der Prinz aber hatte dem Diener befohlen, Flossen und Schuppen in den See zu werfen. Er hatte auch alles hineingeworfen, nur eine Schuppe war draußen geblieben; und sieh da! am nächsten Morgen war aus der Schuppe ein großer Birnbaum erwachsen, himmelhoch, mit goldenen Ästen und Blättern. Als der Diener am Morgen aufgestanden war, verwunderte er sich sehr, ging gleich zu seinem Herrn, es zu melden, und auch der Herr erstaunte sehr. Als aber die Frau aufgestanden war und sah, was war, sagte sie gleich: »Das ist gar zu hell, das muß abgehauen und in den Ofen geworfen werden.« Der Prinz anwortete: »Laß es doch so, wie schön ist es doch, niemand hat etwas so Schönes.« Sie blieb aber dabei: »Das ist gar zu hell, das muß abgehauen werden.« Da mußte denn der Diener den Baum abhauen, und als er dabei war, kam wieder das alte Weib und wollte ein Stück von einem Zweiglein haben. Er antwortete aber: »Ich wage es nicht, denn wenn's der Prinz hört, läßt er mich aufhängen.« — »Gib nur, ich bitte dich, es wird niemand davon erfahren, ich werde es gut verstecken.« Darauf gab er ihr ein Stück von einem Zweiglein, sie nahm es mit nach Hause und warf es dahin, wo das Karpfenherz lag. Der Diener aber hieb alles ab und warf es in den Ofen.
Eines Morgens, als die Alte aus dem Schlaf erwachte und einen Blick
hinter den Ofen warf, sah sie dort ein schönes Mädchen, wie es nicht schöner sein kann. Die Alte erschrak, aber das Mädchen sagte: »Hab keine Angst; ich danke dir, daß du das Herz und das Zweiglein verlangt hast. Hättest du es nicht bekommen, würdest du von mir nichts gewußt haben. Ich bitte dich, laß mich bei dir bleiben, ich will dir alle Arbeit tun, die du brauchst.«In dem Jahre war dem König viel Korn gewachsen, und schon zeigte sich der Kornwurm darin. Da ordnete er an, daß aus jedem Hause eins kommen solle zum Kornworfeln. Die Reihe kam auch so an die Alte, und das Mädchen sagte zu ihr: »Ich will für dich gehen, geh du nicht selbst.« Die Alte ließ sie gehen: »Also geh, Töchterchen!« Als sie so beim Kornsieben waren, kam der Prinz, nahm einen Sessel, setzte sich zu ihnen und sagte: »Jetzt muß jede eine Geschichte erzählen.« Da erzählten alle, aber als die Reihe an das Mädchen kam, sagte sie: »Ich weiß nichts.« Der Prinz befahl ihr aber: »Du mußt, du weißt schon irgendwas.« —»Nun, ich bin ein Mädchen von nirgend her und war im Walde über dem Brunnen da. Da kam ein Prinz und wollte sein Pferd tränken, bemerkte mich und rief mich herab. Er gab mir gleich seinen Ring und ich ihm meinen, dann stieg ich wieder hinauf. Danach kam eine Zigeunerin, sah in den Brunnen und bemerkte mich. Dann bat sie mich, ich möchte ihr meine Kleider geben, sie wollte mir ihre geben, wir sollten uns dann in dem Brunnen spiegeln und sehen, wie es jeder von uns ließe. Ich kam herab, und wir spiegelten uns, als sie mich auf einmal in den Brunnen stieß.«
Als der Prinz das gehört hatte, wollte er sehen, ob sie die goldenen Haare hätte; sie nahm ihr Tuch ab, und alles erglänzte von lauter Gold. Da nahm sie der Prinz zur Frau, und die Zigeunerin ließ er hinrichten.
Teufelsblendwerk und Gottesmacht
Eines Morgens ging ein Zarensohn auf die Jagd. Als er durch den Schnee watete, bekam er Nasenbluten, bemerkte, wie das rote Blut auf dem weißen Schnee schön aussah, und dachte bei sich: >Wenn ich doch ein Mädchen heiraten könnte, das so weiß ist wie Schnee und so rot wie Blut.< In diesem Gedanken ging er weiter und begegnete einer alten Frau. Die fragte er, ob es solche Mädchen gäbe. Die Frau antwortete, weiter weg in dem Walde, da sei ein Haus ohne Tür und nur ein Fenster
darin, durch das man ein und aus gehe. In dem Hause sei ein solches Mädchen. »Aber, mein Sohn«, sagte sie, »wer da hingeht, sie zu freien, keiner ist mehr wiedergekommen.« — »Bei Gott«, anwortete der Zarensohn, »wenn auch nicht, ich gehe; ist das hier der Weg?« Als die Alte das hörte, tat er ihr leid, sie griff in den Busen, zog ein Stück Brot heraus, gab es dem Zarensohn und sagte: »Nimm das Brot hier, aber hüte es wie deinen Augapfel!« Er nahm es und zog weiter, und bald begegnete er einer zweiten alten Frau. Sie fragte ihn, wohin, und er erzählte ihr, daß er ginge, das und das Mädchen zu freien. Die Alte suchte ihn davon abzubringen und sagte dasselbe wie die erste, er aber antwortete: »Bei Gott, Alte, ich gehe, wenn ich auch nicht wiederkommen sollte.« Da gab ihm die Alte eine Haselnuß und sprach: »Verwahre diese Nuß bei dir, sie wird dir von Nutzen sein.« Er nahm die Nuß und zog weiter, und wieder nach kurzer Zeit traf er eine dritte Alte am Wege sitzen, die fragte ihn auch, wohin, und er erzählte ihr, daß er ginge, das und das Mädchen zu freien. Da fing sie an zu weinen und ihn zu beschwören, er möge von dem Mädchen lassen, sagte ihm auch dasselbe wie die beiden ersten, er wollte aber nicht darauf hören. Da gab sie ihm eine Walnuß und sprach: »Nimm diese Nuß und verwahre sie, bis du sie nötig hast.« Er verwunderte sich über diese Geschenke und fragte die dritte Alte, was es bedeute, daß die erste ihm ein wenig Brot, die nächste eine Haselnuß und sie eine Walnuß gegeben hatte. Die Alte antwortete: »Wenn du da vors Haus kommst, wirf das Brot den Tieren vor, daß sie dich nicht fressen, und wenn du in der größten Not bist, befrage erst die Haselnuß, dann die Walnuß.« Danach zog der Zarensohn weiter, bis er in einen dichten Wald geriet, und dort erblickte er das Haus. Vor dem Hause sprang eine Menge allerlei Tiere auf ihn los. Er warf ihnen aber nach dem Rat der Alten das Stück Brot hin, und sobald sie daran gerochen hatten, legten sie sich auf den Bauch und zogen den Schwanz unter sich. Jetzt - das Haus hatte keine Tür und war hoch - konnte er nicht hinaufklettern, bis er auf einmal bemerkte, daß eine Frau ihr goldenes Haar zum Fenster hinaushängen ließ. Da sprang er hinzu, ergriff es und zog sich daran ins Haus. Und was sieht er? Es ist wirklich das Mädchen. Da wurden sie froh eins über das andre, das Mädchen aber sagte: »Gott sei Dank, daß du meine Mutter nicht zu Hause getroffen hast, sondern daß sie fort ist, um im Walde Kräuter zu suchen, mit denen sie die jungen Leute verzaubert und in Tiere verwandelt, wie sie es mit allen denen da gemacht hat, meinen Freiem, die dich beinahe zerrissen hätten, wenn Gott dir nicht beigestanden hätte. Aber nun laß uns fliehen.« Darauf flohen sie durch den Wald so schnell wie möglich. Aber als sie sich einmal umsahen, war des Mädchens Mutter hinter ihnen her. Sie erschraken sehr, denn die Alte war schon nahe bei ihnen. Aber in der Not fiel dem Zarensohn die Haselnuß ein. Er zog sie heraus und fragte: »Ach, um Gottes willen, was jetzt?«Die Nuß antwortete: »Offne mich!«Als er das tat, strömten reißende Flüsse aus der Nuß heraus und schnitten der Mutter den Weg ab. Die aber berührte mit ihrem Stabe das Wasser, das zerteilte sich, und sie wieder hinter ihnen her. Als sie nun sahen, daß sie ihnen wieder ganz nahe kam, zog der Zarensohn die Walnuß heraus und rief: »Sage, was jetzt!«Die Nuß antwortete: »Zerschlage mich!« Und als er das tat, brach ein Feuer aus ihr hervor, daß fast der ganze Wald verbrannt wäre. Aber die Mutter des Mädchens spuckte in das Feuer, das erlosch im selben Augenblick, und sie immer wieder hinter ihnen her. Da erkannte der Zarensohn, daß es teuflisches Blendwerk sei, bekreuzigte sich nach Osten gewandt und rief zum allmächtigen Gott um Hilfe. Da fuhr ein Blitz aus dem Himmel und verbrannte die Mutter des Mädchens, unter ihr tat sich die Erde auf und verschlang ihre Gebeine. So entkam der Zarensohn mit dem Mädchen glücklich nach Hause, ließ es taufen und nahm es zur Frau. — Und Gott möge dir Freude geben!
Wem Gott hilft, dem kann niemand schaden
Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die hatten drei Söhne. Der jüngste war der schönste und ein sehr guter Junge, und so hielten ihn die andern für einen Dummkopf. Alle drei waren schon ins Heiratsalter gekommen, der Vater wollte aber keinen verheiraten, weil er arm war. Da sagte der älteste zum Vater: »Vater, du mußt mich verheiraten.«Als das der zweite hörte, sagte auch der: »Auch mich, Vater, denn ich bin auch in dem Alter, zu heiraten.« Als das der jüngste hörte, sagte der auch: »Auch mich, Vater, denn ich bin auch in dem Alter zu heiraten.« Da war der Vater in Verlegenheit und beriet mit seiner Frau, was er tun sollte. Endlich kamen sie zum Entschluß, er rief seine Söhne zu sich und sagte ihnen: »Geht in irgendeine Stadt, nehmt dort einen Dienst für ein Tuch, und wer das schönste Tuch heimbringt, den werde ich
verheiraten.«Danach gingen sie alle drei zusammen fort, aber die beiden ältesten legten sich unterwegs darauf, den jüngsten in einem fort zu verspotten und zu verlachen, und zuletzt jagten sie ihn fort, so daß er einen andern Weg einschlug, wobei er zu Gott betete, er möge ihm Glück geben. Bei seiner Wanderung kam er an ein Wasser. Auf dessen andrer Seite lag eine große Stadt und darin der Palast des Zaren. Dieser Zar war sehr böse und verworfen gewesen, war vor kurzem gestorben, und in seinem Palast war nur seine einzige Tochter zurückgeblieben. Um die hatten sich viele beworben, aber von allen Freiem, die in den Palast gekommen waren, war keiner am Leben geblieben, denn der Zar hatte sich in einen Vampir verwandelt, war nachts gekommen und hatte sie erwürgt. Während nun der jüngste Bruder an dem Wasser hin und her ging und überlegte, wie er wohl auf die andre Seite kommen könne, sah die Zarentochter ihn aus dem Fenster und befahl ihren Dienern, ihn herbeizuholen und vor sie zu führen. Als er vor die Zarentochter trat, wurde er ein wenig verwirrt und ängstlich, sie aber, sowie sie ihn erblickte, versah sich in ihn und fragte ihn, woher er sei und wohin er wolle. Da sagte er ihr, woher er sei, und erzählte ihr alles der Reihe nach, daß er noch zwei Brüder habe, daß alle drei heiraten wollten, ihr Vater aber ein armer Mann sei und ihnen gesagt habe, jeder solle ein Tuch heimbringen, und wer das schönste bringe, den werde er verheiraten. Als das die Zarentochter hörte, sprach sie: »Du wirst heut abend hier bei mir bleiben und hier übernachten, am nächsten Morgen werden wir dann nach dem Tuch sehen.«Gegen Abend gab sie ihm schön zu essen und zu trinken, führte ihn dann in ein Zimmer, das war ganz grün, und sagte: »Hab keine Angst, in der Nacht wird etwas kommen und um dich herumpoltern, um dich zu erschrecken, aber du brauchst nichts zu befürchten.«Einfältig, wie er war, konnte er vor Verwunderung nicht einschlafen, sondern es war ihm immer ganz wunderlich, wohin er geraten sei. Aber plötzlich um Mitternacht erhob sich ein Gepolter und Geschrei: »Der ist gekommen, das Reich zu empfangen, dem können wir nichts anhaben.« Er betete dabei in einem fort zu Gott; so verging die Nacht, und er blieb frisch und gesund. Bei Tagesanbruch stand er auf und setzte sich hin; alle Hofleute dachten, sie müßten ihn tot aus dem Zimmer schleppen wie alle die andern Freier. Die Zarentochter aber schickte einen von den Hof leuten hin, nachzusehen, ob er am Leben sei, und wenn, ihn vor sie zu führen. Der Bote war verwundert, als er ihn im Zimmer sitzen fand, munter und gesund, und sagte zu ihm: »Komm, unsre Zarin läßt dich rufen.«Als er vor sie trat, wunderte sie sich selbst, wie er hatte am Leben bleiben können, gab ihm dann Frühstück und danach ein goldgesticktes seidenes Tuch in ein Papier gewickelt: »Das hier bringe deinem Vater, und wenn er dir noch was befiehlt, komm wieder hierher zu mir.« Da bedankte er sich bei ihr für Tuch und Nachtlager und ging nach Hause; dort waren auch die beiden andern Brüder schon angekommen. Darauf holte jeder sein Tuch heraus; die der beiden andern waren so, als er aber seins herauszog, erstaunten alle, und die Brüder sprangen auf ihn ein: »Woher hast du das? Das hast du wo gestohlen.« Zuletzt sagte der Vater, um sie zu beruhigen: »Wißt ihr was? Geht noch einmal in die Welt, und wer eine Kette heimbringt, die sich neunmal um unser Haus winden läßt, den werde ich verheiraten.«So beruhigten sich die Brüder, und die beiden ältesten gingen, wohin sie Lust hatten, der jüngste geradewegs zu der Zarentochter, und als er vor sie trat, fragte sie ihn: »Was hat dein Vater dir befohlen?« Er antwortete: »Ich soll eine Kette bringen, die sich neunmal um unser Haus winden läßt. Darauf gab sie ihm wieder schön zu essen und zu trinken, führte ihn in ein gelbes Zimmer und sagte: »Hab keine Angst, die Nacht wird wieder etwas kommen, dich zu erschrecken; aber morgen früh werden wir nach der Kette sehen.« So kamen auch diese Nacht die Gespenster und vollführten um ihn herum allerlei schreckliche Dinge, er aber blieb munter und gesund. Am andern Morgen kam wieder einer von den Hofleuten, ihn zu holen, und brachte ihn vor die Zarin; die gab ihm wieder Frühstück und dann eine kleine Schachtel: »Das hier bringe deinem Vater, aber öffne es ja nicht, ehe du zu Hause bist, und wenn dein Vater dir noch was befiehlt, komm wieder hierher zu mir.«Er bedankte sich schön bei ihr, ging nach Hause und fand seine Brüder schon dort. Die beiden älteren brachten je eine Kette, die nicht einmal um das Haus herumging. Darauf brachte der jüngste dem Vater die Schachtel, der öffnete sie und zog eine goldene Kette heraus; sie verwunderten sich darüber, und die älteren Brüder sprangen auf den jüngsten zu und wollten ihn beinahe totschlagen: »Du wirst unser Haus zugrunde richten, du hast das wo gestohlen.« Der Vater suchte wieder zum Frieden zu reden und sie zu beschwichtigen und sagte zuletzt: »Geht und bringt jeder ein Mädchen her, dann werde ich euch alle drei verheiraten.« Da gingen die beiden älteren Brüder, wohin sie Lust hatten, der jüngste geradewegs zu der Zarentochter und sagte ihr, was ihnen der Vater befohlen habe. Sie antwortete: »Jetzt brauchst du nur noch in einem Zimmer zu übernachten, dann werden wir nach dem andern sehen.«Darauf gab sie ihm wieder zu essen und zu trinken und führte ihn in ein rotes Zimmer zum Übernachten. Dort hatte er in dieser Nacht noch größeren Schrecken zu erdulden als in den beiden früheren; es war dort ein furchtbares Poltern, Schreien, Kettenklirren und schreckliche Stimmen: »Der will mein Reich an sich nehmen.«Sie rissen ihm die Kleider vom Leibe, aber ihn selbst wagten sie nicht anzurühren; er betete in einem fort zu Gott, und Gott bewahrte ihn gesund auch in dieser Nacht. Am nächsten Morgen brachte man ihn frisch und gesund vor die Zarentochter, die ließ gleich Barbiere kommen, die ihn barbieren und waschen mußten, brachte dann Herrenkleider und ließ ihn umziehen; dann setzte sie sich mit ihm in eine Kutsche, fuhr zur Kirche und ließ sich mit ihm trauen.
Danach blieben sie in ihrem Palast noch drei Tage zur Hochzeitsfeier, dann machten sie sich auf zu seinem Vater und kamen gerade in der Nacht in dessen Dorfe an. Vor seinem Hause hörten sie Lärm darin und merkten, daß ein Fest sei. Die beiden Brüder verheirateten sich nämlich. Da rief er von draußen hinein: »He, Hausvater!« Der Vater hörte das, lief hinaus und verwunderte sich, solche Gäste vor seinem Hause zusehen. Darauf fragte der Sohn: »Können wir hier übernachten?«Der Vater antwortete ihm: »Gern, aber wir haben eine Hochzeit im Hause und nicht viele Stuben; da werden euch die gemeinen Leute die Ohren vollschreien und durch ihr Geschrei lästig sein.« Darauf erwiderte der Sohn: »Das macht nichts. Ich habe das gern und habe es noch nie gehört, und meine Frau hat es noch lieber.« So traten sie ein in die eine Stube, in der andern war das Fest. Bei ihrem Eintritt und als sie Platz nahmen, verbeugte sich seine Mutter vor ihnen wie vor Herrschaften, und er sagte zu ihr: »Heil dir, daß du zwei Hochzeiten auf einmal hast.« Sie aber antwortete: »Ach, meine Herrschaften! Eins ist mir ein Fest, andres ein Kummer; ich habe noch einen Sohn, der ist in die Welt gegangen und verloren, Gott weiß, wo er ist.« Danach ging der Sohn ein wenig hinaus, zog seine alten ärmlichen Kleider über das Herrengewand, drückte sich den Hut auf den Kopf, ging in das Zimmer, wo das Hochzeitsfest war und stellte sich an die Tür. Als die Brüder ihn gewahr wurden, riefen sie den Eltern zu: »Kommt her und seht euch euern gepriesenen Sohn an, der geht und stiehlt irgendwas.« Als darauf der Vater ihn bemerkte, rief er: »Unglücksmensch, wo bist du jetzt gewesen?
Wo hast du dein Mädchen?«Die Mutter aber begann zu jammern: »Ach, ich Arme, warum tust du mir ein so tödliches Leid an?« Er aber antwortete: »Scheltet mich nicht so! Es wird, will's Gott, noch gut werden.« Darauf warf er die ärmlichen Kleider ab und stand vor ihnen in Herrengewändern; die Brüder aber, als sie ihn so sahen, erschraken sehr und baten ihn um Verzeihung, und Mutter und Vater umarmten und küßten ihn. Jetzt feierte man von neuem noch einige Tage Hochzeit, danach nahm der jüngste Sohn Vater und Mutter mit sich, den Brüdern gab er Lehnsgüter, und sie lebten von da an wie die Herren.
Wahrer Verdienst bleibt nicht verborgen
Es war einmal ein Armer, der hing sich an einen reichen Mann und trat bei ihm in Dienst ohne Vertrag. So diente er ein volles Jahr, und als es um war, ging er zu seinem Herrn und forderte den Lohn, den dieser glaube ihm für seinen Dienst schuldig zu sein. Der Herr zog einen Pfennig heraus und sagte: »Da, das ist dein Lohn.« Der Knecht nahm den Pfennig, dankte dem Herrn und ging dann an einen Bach mit starkem Strom. Dort sprach er zu sich: »Barmherziger Gott, was bedeutet das, daß ich für ein volles Jahr nur einen Pfennig Lohn bekommen habe? Aber Gott weiß, ob ich auch nur so viel verdient habe. Ich will das jetzt einmal probieren. Ich werfe den Pfennig ins Wasser, und wenn er nicht untersinkt, habe ich ihn verdient; wenn er aber untersinkt, habe ich ihn nicht verdient.«Darauf bekreuzigte er sich und sprach: »Barmherziger Gott, barmherziger Gott, wenn ich diesen Pfennig verdient habe, laß ihn auf dem Wasser schwimmen; wenn nicht, laß ihn auf den Grund sinken.« Damit warf er den Pfennig in den Bach, und er sank sogleich auf den Grund. Darauf bückte er sich, holte den Pfennig aus dem Wasser und brachte ihn seinem Herrn zurück mit den Worten: »Herr! Hier hast du deinen Pfennig wieder, ich habe ihn noch nicht verdient, sondern will dir noch ein Jahr dienen.«
So trat er wieder in Dienst, und als wieder ein Jahr um war, kam er zu dem Herrn und forderte den Lohn, den dieser glaube ihm schuldig zu sein. Der Herr zog wieder einen Pfennig hervor und sagte: »Da, das ist dein Lohn.« Der Arme nahm den Pfennig, bedankte sich bei dem Herrn, ging dann wieder an den Bach, bekreuzigte sich und sprach: »Barmherziger Gott, wenn ich diesen Pfennig redlich verdient habe, so
laß ihn auf dem Wasser schwimmen; wenn aber nicht, laß ihn auf den Grund sinken.« Damit warf er den Pfennig ins Wasser, und der ging sogleich unter. Darauf bückte er sich, holte ihn heraus und brachte ihn dem Herrn wieder mit den Worten: »Da, Herr, hast du deinen Pfennig wieder, ich habe ihn noch nicht verdient, sondern will dir noch ein Jahr dienen.« So trat er wieder in Dienst, und als das dritte Jahr um war, kam er zu dem Herrn und forderte den Lohn, den dieser glaube ihm schuldig zu sein. Wieder gab ihm der Herr einen Pfennig, er nahm ihn, bedankte sich und ging wieder an den Bach, um zu sehen, ob er jetzt den Pfennig verdient habe, bekreuzigte sich und sprach: »Barmherziger Gott, wenn ich diesen Pfennig verdient habe, laß ihn auf dem Wasser schwimmen; wenn aber nicht, laß ihn untersinken.« Sowie der Pfennig aufs Wasser fiel, schwamm er obenauf; da nahm er ihn vergnügt aus dem Wasser, steckte ihn in die Tasche, ging dann in einen Wald, baute sich eine kleine Hütte und lebte fortan dort.Nach einiger Zeit hörte er, daß sein alter Herr sich zu einer Seereise rüste, weit weg in ein anderes Reich, ging mit seinem Pfennig zu ihm und bat ihn, er möge ihm in dem andern Reiche für den Pfennig etwas kaufen. Der Herr versprach es, nahm den Pfennig und reiste ab. Unterwegs traf er am Meeresstrand auf einige Kinder, die einen Kater herausgebracht hatten und ihn ertränken wollten. Als er das sah, lief er zu ihnen hin und fragte sie: »Was macht ihr, Kinder?« Die antworteten: »Er stiftet nur Schaden an, darum wollen wir ihn ertränken.« Da zog er den Pfennig seines früheren Knechtes heraus und bot ihn den Kindern für den Kater. Die waren gleich bereit, nahmen den Pfennig und gaben dem Kaufmann den Kater; der nahm ihn mit aufs Schiff und reiste weiter. Einmal aber erhob sich ein Sturm und verschlug das Schiff Gott weiß wohin, so daß es drei Monate lang nicht wieder in den richtigen Kurs kommen konnte, und als der Sturm sich gelegt hatte, wußte der Schiffsherr nicht, wo er war, doch kam er nach einer kurzen weiteren Fahrt an eine Stadt. Als es dort bekannt wurde, daß ein Schiff aus einem unbekannten Lande angekommen sei, strömten viele Leute herbei, es anzusehen, und einer von ihnen, ein sehr reicher Mann, lud den Schiffsherrn zum Abendessen ein. Aber was muß der Schiffsherr dort sehen: Mäuse und Ratten laufen überall herum, und Diener stehen mit Stöcken da, die Tiere abzuwehren, daß sie nicht auf den Tisch stürzen. Darauf sagte er zu dem Hausherrn: »Um Gottes willen, Bruder, was ist das?«Der antwortete: »So ist es immer bei uns, Bruder, wir können
vor diesem Getier weder mittags noch abends in Ruhe essen. Sogar zum Schlafen hat jeder von uns seinen Kasten, in den schließen wir uns ein, daß sie uns nicht die Ohren abfressen.«Da erinnerte sich der Schiffsherr des Katers, den er den Kindern abgekauft hatte, und sagte zu dem Hausherrn: »Ich habe im Schiff ein Tier, das würde in zwei, drei Tagen all das vertilgen.« Der Hausherr antwortete: »Bruder, wenn du so ein Tier hast, gib es her, ich fülle dir dein Schiff mit lauter Silber und Gold, falls es wirklich wahr ist, was du sagst.«Gegen Abend holte der Schiffsherr seinen Kater aus dem Schiff und sagte dem Hausherrn, sie möchten sich nur ohne Kasten schlafen legen, das getrauten sie sich aber nicht, sondern er allein schlief so. Dann ließ er den Kater los, und sobald der so viel Mäuse und Ratten sah, machte er sich daran, sie zu fangen, zu erwürgen und alle auf einen Haufen zu schleppen. Die Mäuse und Ratten aber, die merkten, wer da war, liefen, wohin sie nur konnten. Als es Tag wurde und die Leute aufstanden, was sahen sie: mitten im Zimmer ein großer Haufen toter Mäuse und Ratten, kaum daß noch eine durchs Zimmer lief, sie guckten nur noch aus den Löchern heraus, und nach drei Tagen war keine mehr zu sehen. Da füllte der Hausherr dem Reisenden für den Kater das Schiff voller Silber und Gold, und unser Reisender fuhr mit dem Schiff nach Hause. Dort kam sein alter Knecht zu ihm und fragte ihn, was er ihm für den Pfennig mitgebracht habe. Der Herr ließ einen Marmorstein herausbringen, an allen vier Seiten schön behauen, und gab ihm den mit den Worten: »Da, das habe ich dir für deinen Pfennig gekauft.« Der Knecht freute sich sehr darüber, trug den Stein in seine Hütte und machte einen Tisch daraus. Am andern Morgen ging er ins Holz, und als er wieder heimkam, fand er den Stein in Gold verwandelt, das glänzte wie die Sonne, und die ganze Hütte war hell davon. Darüber erschrak er, eilte zu seinem alten Herrn und sagte: »Herr, was hast du mir da gegeben; das gehört mir nicht, komm und sieh!« Der Herr ging hin, und als er sah, was Gott für ein Wunder getan hatte, sagte er: »Es ist schon so, mein Sohn, wem Gott gnädig ist, dem helfen auch alle Heiligen; komm mit, ich zeige dir, was dir gehört.«Darauf gab er ihm alles, was er in dem Schiffe hergebracht hatte, und gab ihm seine Tochter zur Frau.
Die goldnen Äpfel und die neun Pfauhennen
Es war einmal ein Zar, der hatte drei Söhne und vor seinem Palast einen goldnen Apfelbaum, der jede Nacht erblühte und reife Früchte brachte. Aber irgendwer pflückte sie, und man konnte nicht entdecken, wer. Einmal sprach der Zar mit seinen Söhnen darüber: »Wo bleibt nur die Frucht von unserm Apfelbaum?« Darauf sagte der älteste: »Ich werde diese Nacht den Apfelbaum bewachen und sehen, wer da pflückt.« Als es nun Abend wurde, legte er sich unter den Baum, um ihn zu bewachen, aber als die Apfel gerade am Reifen waren, schlief er ein, und als er in der Frühe erwachte, war der Apfelbaum leer. Da ging er zu dem Vater und erzählte ihm alles getreulich. Darauf erbot sich der zweite Sohn, den Apfelbaum zu bewachen, aber es ging ihm ebenso: er schlief unter dem Baume ein, und als er in der Frühe erwachte, war der Baum leer. Jetzt kam die Reihe an den jüngsten Sohn, den Baum zu bewachen; er machte sich fertig, trug sein Bett unter den Baum und legte sich schlafen. Gegen Mitternacht erwachte er und warf einen Blick auf den Baum, die Äpfel waren gerade im Reifen, und der ganze Palast erglänzte von ihnen. Indem Augenblick kamen neun goldne Pfauhennen geflogen, acht ließen sich auf dem Apfelbaum nieder, die neunte kam zu ihm auf das Bett und verwandelte sich in ein Mädchen, wie es kein schöneres im ganzen Reiche gab. So herzten und küßten sich die beiden bis nach Mitternacht, dann stand das Mädchen auf und dankte ihm für die Äpfel, er aber bat sie, ihm wenigstens einen zu lassen, und sie ließ ihm zwei, einen für sich, und den andern solle er seinem Vater bringen. Darauf verwandelte sich das Mädchen wieder in eine Pfauhenne und flog mit den andern davon. Als es Tag wurde, stand der Zarensohn auf und brachte dem Vater die beiden Äpfel. Dem war das sehr lieb, und er lobte seinen jüngsten Sohn. Am nächsten Abend richtete dieser sich wieder so ein wie vorher, bewachte wieder ebenso den Baum und brachte am nächsten Morgen dem Vater wieder zwei goldne Äpfel. Als er so einige Nächte nacheinander verfahren war, fingen die Brüder an, es ihm übelzunehmen, daß sie die Äpfel nicht hatten bewachen können und er es jede Nacht gekonnt hatte.
Gerade zu der Zeit fand sich ein verfluchtes altes Weib ein, das ihnen versprach, den jüngsten Bruder zu ertappen und herauszubringen, wie er den Apfelbaum bewache. Als es wieder Abend war, schlich sich die Alte unter den Apfelbaum, kroch unter das Bett und versteckte sich
dort. Darauf kam auch der jüngste Zarensohn und legte sich schlafen wie früher. Um Mitternacht, sieh da, die neun Pfauhennen, acht lassen sich auf dem Baum nieder, die neunte zu ihm auf das Bett und verwandelt sich in ein Mädchen. Da nahm die Alte ganz leise eine Haarflechte des Mädchens, die über das Bett heraushing, und schnitt sie ab, das Mädchen aber fuhr auf, verwandelte sich in die Pfauhenne und flog davon, und die andern aus dem Baume mit ihr; fort waren sie. Da sprang auch der Zarensohn auf und rief: »Was ist das?«, faßte dabei unter das Bett, ergriff die Alte und zog sie hervor; und am nächsten Morgen ließ er sie Pferden an die Schweife binden und in Stücke zerreißen. Die Pfauhennen aber kamen nicht mehr zu dem Apfelbaum, und darum klagte und weinte der Zarensohn in einem fort. Endlich beschloß er, in die weite Welt zu gehen und seine Pfauhenne zu suchen und nicht eher heimzukehren, bis er sie gefunden habe. Damit ging er zu seinem Vater und sagte ihm, was er beschlossen hatte. Der Vater wollte ihn davon abbringen und redete ihm zu, es zu lassen, er werde ihm ein andres Mädchen aus seinem Reiche verschaffen, welches er wolle. Aber das war ganz vergeblich, der Zarensohn machte sich auf und zog mit nur noch einem Diener in die Welt, sich seine Pfauhenne zu suchen.Nach langer Wanderung kam er einmal an einen See, fand dort einen großen reichen Palast und darin eine alte Frau, eine Zarin, und ein Mädchen, ihre Tochter. Die Alte fragte er: »Ich bitte dich um Gottes willen, Mütterchen, weißt du etwas von neun goldnen Pfauhennen?« Darauf antwortete die Alte: »Ja, mein Sohn; sie kommen jeden Mittag hierher an diesen See und baden, aber laß du die Pfauhennen fahren; hier hast du meine Tochter, ein schönes Mädchen, und viel Geld und Gut, alles soll dein sein.« Er aber konnte kaum erwarten, die Pfauhennen zu sehen, und wollte nicht einmal anhören, was die Alte von ihrer Tochter sagte.
Am nächsten Morgen stand er auf und begab sich an den See, um die Pfauhennen zu erwarten. Die Alte aber hatte den Diener bestochen, ihm einen kleinen Blasebalg gegeben und ihm gesagt: »Du siehst diesen Blasebalg; wenn ihr an den See kommt, blase ihm unbemerkt in den Nacken, nur ganz wenig, dann wird er einschlafen und kann sich nicht mit den Pfauhennen bereden.« Der unselige Diener tat das auch. Als sie an den See gekommen waren, fand er eine Gelegenheit, seinem Herrn aus dem Blasebalg in den Nacken zu blasen, und der Arme
schlief sogleich ein wie tot. Kaum war er eingeschlafen, da erschienen die neun Pfauhennen, acht ließen sich am See nieder, die neunte zu ihm aufs Pferd, umarmte ihn und versuchte ihn zu wecken: »Wach auf, mein Labsal! Wach auf, mein Herz! Wach auf, meine Seele!«Aber er merkte nichts, als wäre er tot; und die Pfauhennen, nachdem sie gebadet hatten, flogen alle zusammen fort. Da wachte er sogleich auf und fragte den Diener: »Wie ist es? Sind sie gekommen?« Der Diener antwortete, sie seien dagewesen, acht hätten sich am See niedergelassen, die neunte zu ihm aufs Pferd, habe ihn umarmt und zu wecken versucht. Als der arme Zarensohn das hörte, wollte er sich fast das Leben nehmen. Am andern Tag in der Frühe machte er sich wieder mit dem Diener auf, stieg zu Pferde und ritt immer am See entlang. Der Diener fand wieder Gelegenheit, ihm aus dem Blasebaig in den Nacken zu blasen, und er verfiel sogleich in Schlaf wie tot. Kaum war er eingeschlafen, da waren auch schon die neun Pfauhennen da, acht ließen sich am See nieder, die neunte zu ihm aufs Pferd, umarmte ihn und versuchte ihn zu wecken: »Wach auf, mein Labsal! Wach auf, mein Herz. Wach auf, meine Seele!« Aber es half nichts, er schlief wie tot. Da sagte sie zu dem Diener: »Sage deinem Herrn, morgen kann er uns noch hier erwarten, dann aber wird er uns hier nicht mehr sehen.« Damit flogen sie fort; kaum waren sie weg, als der Zarensohn erwachte und den Diener fragte: »Sind sie dagewesen?« Der antwortete: »Ja, und sie lassen dir sagen, daß du sie nur noch morgen hier erwarten kannst, daß sie dann aber nicht mehr kommen werden.« Als der arme Herr das hörte, wußte er gar nicht, was er mit sich anfangen sollte, und raufte sich das Haar vom Kopfe vor Schmerz und Kummer.Als der dritte Tag anbrach, machte er sich wieder auf, bestieg sein Pferd und ritt am See entlang, aber nicht im Schritt, sondern immer im vollen Lauf, um nicht einzuschlafen. Aber wiederum fand der Diener eine Gelegenheit, ihm aus dem Blasebalg in den Nacken zu blasen, und er fiel sofort auf dem Pferd vornüber und schlief ein. Kaum war er eingeschlafen, da waren auch schon die neun Pfauhennen da, acht ließen sich am See nieder, die neunte zu ihm aufs Pferd, umarmte ihn und versuchte ihn zu wecken: »Wach auf, mein Labsal! Wach auf, mein Herz! Wach auf, meine Seele!«Aber es half nichts, er schlief wie tot. Da sagte sie dem Diener: »Wenn dein Herr aufwacht, sage ihm, er solle den oberen Nagel auf dem unteren abschlagen (d.h. den Nagelkopf vom Nagelstiel), dann würde er mich auffinden.« Damit flogen die Pfauhennen
alle fort, der Zarensohn wachte auf und fragte den Diener: »Sind sie dagewesen?« Der antwortete: »Sie sind dagewesen, und die, die sich zu dir aufs Pferd niederließ, läßt dir sagen, du sollst den oberen Nagel vom untern abschlagen, dann würdest du sie auffinden.« Als er das hörte, zog er seinen Säbel und hieb dem Diener den Kopf ab. Darauf begab er sich allein auf die Reise in die weite Welt und kam so auf der langen Wanderung auf ein Gebirge, übernachtete dort bei einem Einsiedler und fragte ihn, ob er ihm nicht etwas über die neun goldnen Pfauhennen sagen könnte. Der Einsiedler antwortete: »Ei, mein Sohn! Da hast du Glück; Gott hat dich gerade den richtigen Weg geführt; von hier bis zu ihnen ist es nicht mehr als eine halbe Tagereise. Du brauchst nur geradeaus zu gehen, dann triffst du auf ein großes Gattertor, gehst da durch und hältst dich rechts, dann kommst du geradewegs in ihre Stadt, wo auch ihr Palast ist.«Am nächsten Morgen machte sich der Zarensohn auf, dankte dem Einsiedler und ging den Weg, den ihm der gezeigt hatte. So kam er an das große Gatter, ging hindurch, schlug sich sogleich nach rechts und erblickte so um Mittag die weiß glänzende Stadt und freute sich sehr. Dort erfragte er den Palast der neun Pfauhennen und ging dorthin; am Tor hielt ihn die Wache auf und fragte: wer und woher. Nachdem er sich ausgewiesen hatte, gingen die Wächter, ihn der Zarin zu melden, und kaum hatte diese es gehört, als sie ganz außer sich zu ihm lief, und zwar in Mädchengestalt wie früher; dann nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn in den Palast. Da war große Freude, und nach einigen Tagen heirateten sich die beiden, und er blieb dort wohnen. Bald darauf ging einmal die Zarin spazieren, während der Zarensohn im Palast blieb; beim Weggehen übergab sie ihm die Schlüssel von zwölf Kellerräumen und sagte ihm: »In alle Keller kannst du gehen, nur in den zwölften keinesfalls, öffne ihn auch nicht, das hieße mit deinem Leben spielen.« Damit ging sie fort.
Der Zarensohn, der so allein im Palast geblieben war, dachte nun bei sich: >Was mag wohl in dem zwölften Keller sein?<, öffnete alle Kellerräume nach der Reihe, und als er an den zwölften kam, wollte er ihn erst nicht öffnen, aber wieder reizte es ihn, zu erfahren, was darin sein möchte, und endlich machte er ihn auf; da sieht er mitten in dem Keller ein großes Faß mit eisernen Reifen beschlagen und mit offenem Spundloch. Aus dem Faß kam eine Stimme: »Ich bitte dich um Gottes willen, Bruder! Ich sterbe vor Durst, gib mir einen Becher Wasser.« Da nahm
der Zarensohn einen Becher Wasser und schüttete es in das Faß, aber sowie er das getan hatte, sprang sogleich ein Faßreifen. Darauf kam wieder die Stimme aus dem Faß: »Um Gottes willen, Bruder! Ich sterbe vor Durst, gib mir noch einen Becher Wasser.« Der Zarensohn schüttete wieder einen Becher Wasser hinein, und an dem Faß sprang noch ein Reifen. Zum drittenmal kam dann die Stimme aus dem Faß: »Um Gottes willen, Bruder! Gib mir noch einen Becher Wasser.« Der Zarensohn schüttete noch einen Becher Wasser hinein, auch der dritte Reifen sprang, das Faß fiel auseinander, und ein Drache flog heraus, ergriff unterwegs die Zarin und trug sie davon. Darauf kamen die Dienerinnen und zeigten dem Zarensohn an, was geschehen war, und er, der arme Mann, wußte vor Gram nicht, was er anfangen sollte, endlich aber beschloß er, wieder in die weite Welt zu ziehen und sie zu suchen. Bei der langen Wanderung kam er einmal an ein Gewässer, und als er das entlangging, sah er einen kleinen Fisch in einer Pfütze zappeln. Als das Fischlein ihn bemerkte, fing es an zu bitten: »Sei mir ein Bundesbruder! Wirf mich ins Wasser; ich werde dir einmal sehr nützlich sein; nimm nur eine Schuppe von mir, und wenn du mich brauchst, reibe sie nur ein wenig.« Der Zarensohn hob das Fischlein auf, entnahm ihm eine Schuppe, warf es ins Wasser und wickelte die Schuppe in ein Tuch. Nach einiger Zeit traf er auf seiner Wanderung einen Fuchs, der sich in einem Fangeisen gefangen hatte. Als er ihn bemerkte, rief er ihn an: »Sei mein Bundesbruder! Mache mich aus dem Eisen los, ich werde dir irgendeinmal von Nutzen sein; nimm nur ein Haar von mir, und wenn du mich brauchst, reibe es nur ein wenig.« Da nahm er von ihm ein Haar und machte ihn los. Als er nun wieder weiterzog, über ein Gebirge, fand er dort einen Wolf, der sich in einem Eisen gefangen hatte. Auch der Wolf rief ihn an: »Sei ein Bundesbruder ! Mach mich los, ich werde dir in der Not beistehen; nimm nur ein Haar von mir, und wenn du mich brauchst, reibe es nur ein wenig.«Da nahm er auch von dem Wolf ein Haar und machte ihn los.Als er wieder lange gewandert war, begegnete er einem Menschen, den fragte er: »Ich bitte dich um Gottes willen, Bruder! Hast du von irgendwem gehört, wo der Palast des Drachenzaren ist?«Der Mann wies ihm freundlich den Weg und gab ihm auch die Zeit an, die er bis dahin brauche. Da dankte ihm der Zarensohn, ging vorwärts und kam endlich in die Drachenstadt. Als er dort in den Palast des Drachen trat, fand er seine Gattin, beide freuten sich sehr über ihr Wiederfinden und fingen
gleich an zu beraten, was jetzt zu machen sei und wie sie sich retten könnten. Endlich beschlossen sie zu fliehen, stiegen zu Pferde und nun so schnell wie möglich fort. Als sie eben aus dem Palast entwichen waren, kam der Drache auf seinem Pferde angeritten und trat in den Hof, aber die Zarin war fort. Da fragte er sein Pferd: »Was machen wir jetzt? Essen und trinken wir oder verfolgen wir sie?« Das Pferd antwortete: »Iß und trink! Wir werden sie einholen, sei ohne Sorge.«Als der Drache sein Mittagessen verzehrt hatte, stieg er zu Pferde und ritt ihnen nach, und nach kurzer Zeit hatte er sie eingeholt, nahm die Zarin dem Zarensohn weg und sagte zu ihm: »Geh mit Gott; diesmal verzeihe ich dir, weil du mir in dem Keller Wasser gegeben hast, aber komm nicht wieder, wenn dir dein Leben lieb ist.«Der arme Zarensohn ging ein Stück Wegs, aber er konnte seine Sehnsucht nicht bändigen, ging doch zurück und kam am nächsten Tage in den Drachenpalast, dort fand er die Zarin sitzen und weinen. Da sie so von neuem zusammen waren, berieten sie wieder, wie sie entfliehen könnten, und der Zarensohn sagte ihr: »Wenn der Drache kommt, frage ihn, wo er sein Pferd her hat; das sagst du mir dann, und ich will ebenso eins suchen; vielleicht können wir so fliehen.« Damit verließ er den Palast. Als nun der Drache nach Hause kam, fing sie an, ihm zu schmeicheln und schön zu tun und sich mit ihm von allerlei Dingen zu unterhalten; endlich sagte sie: »Aber du hast ein schnelles Pferd. Wo hast du das her? Gott soll dir helfen!«Darauf antwortete er: »Ja, wo ich das her habe, da kann es nicht jeder kriegen. Auf dem und dem Gebirge lebt eine alte Frau, die hat zwölf Pferde an der Krippe, man weiß nicht, welches das schönste ist. Aber in einer Ecke ist noch ein Pferd, das sieht aus, als wäre es räudig, ist aber das allerbeste; es ist der Bruder von meinem; wer das bekommt, kann damit zum Himmel hinauf. Aber wer das Pferd von der Alten haben will, muß drei Tage bei ihr dienen; sie hat eine Stute mit Füllen, die muß er drei Nächte hüten, und wer die drei Nächte Stute und Füllen bei sich behalten hat, der kann sich ein Pferd aussuchen, welches er will. Aber wer sich bei der Alten verdingt und hat Stute und Füllen nicht hüten können, der verliert den Kopf.«
Am nächsten Tage verließ der Drache das Haus, der Zarensohn kam, und das Mädchen erzählte ihm alles, was sie von dem Drachen gehört hatte. Da ging er auf das Gebirge zu der Alten und rief sie an: »Gott helf, alte Mutter!« Sie grüßte ihn ebenso: »Gott helf dir, mein Sohn! Was gibt's Gutes?« Er antwortete: »Ich möchte gern bei dir dienen.«
Darauf sagte sie: »Gut, mein Sohn! Wenn du mir drei Tage die Stute gut hütest, gebe ich dir ein Pferd, welches du willst; wenn nicht, nehme ich deinen Kopf.« Darauf führte sie ihn mitten in den Hof, um den herum war Pfahl an Pfahl und auf jedem ein Menschenkopf, nur auf einem nicht, und der rief in einem fort: »Alte, gib einen Kopf.« Das zeigte ihm die Alte alles und sagte: »Siehst du, die sind alle bei mir in Dienst gewesen und haben die Stute nicht erhüten können.« Der Zarensohn aber hatte davor keine Angst, sondern trat bei der Alten in Dienst. Am Abend bestieg er die Stute, ritt ins Feld, und das Füllen lief hinter der Stute her. Er blieb nun in einem fort auf der Stute sitzen, aber um Mitternacht wurde er schläfrig und schlief ein, und als er erwachte, saß er rittlings auf einem Holzklotz mit dem Halfter in der Hand. Da erschrak er sehr, sprang auf und ging die Stute suchen, und während er so suchte, traf er auf ein Wasser. Da fiel ihm das Fischlein ein, das er aus der Pfütze ins Wasser geworfen hatte; er nahm dessen Schuppe aus dem Tuch, rieb sie ein wenig zwischen den Fingern, und auf einmal erschien das Fischlein aus dem Wasser: »Was ist, Bundesbruder?« Er antwortete: »Die Stute der Alten ist mir weggelaufen, und ich weiß nicht, wo sie ist.« Da sagte der Fisch: »Sie ist hier bei uns, hat sich in einen Fisch verwandelt und das Füllen in einen jungen Fisch; doch schlage mit dem Halfter auf das Wasser und rufe: Halt, Stute der Alten!«Das tat er, und die Stute wurde sogleich, was sie gewesen war, und kam mit dem Füllen heraus ans Ufer. Darauf legte er ihr den Halfter an, stieg auf und ritt nach Hause, das Füllen hinter der Stute her. Dort gab ihm die Alte zu essen, brachte die Stute in den Stall, und nun immer mit der Ofenkrücke auf sie los: »Unter die Fische, du Aas!« Die Stute aber antwortete: »Ich bin bei den Fischen gewesen, aber die sind seine Freunde und haben mich verraten.« Da rief die Alte wieder: »Nun denn, unter die Füchse!«
Als es Nacht wurde, bestieg er die Stute und ritt ins Feld, und das Füllen lief hinterher. So saß er in einem fort auf der Stute, aber um Mitternacht wurde er schläfrig und schlief ein, und als er aus dem Schlafe auffuhr, saß er rittlings auf einem Klotz und hatte den Halfter in der Hand. Da erschrak er sehr, sprang auf und ging die Stute suchen. Aber da fiel ihm gleich ein, was die Alte zu der Stute gesagt hatte, er nahm das Fuchshaar aus dem Tuche, rieb es, und die Füchsin stand auf einmal vor ihm: »Was ist, Bundesbruder?« Er antwortete: »Die Stute der Alten ist mir weggelaufen,
und ich weiß nicht, wo sie ist.«Darauf sagte die Füchsin: »Sie ist hier bei uns, hat sich in eine Füchsin verwandelt und die Stute in einen jungen Fuchs; doch schlage mit dem Halfter auf die Erde und rufe: Halt, Stute der Alten!« Das tat er, und die Stute wurde wieder, wie sie gewesen war, und stand auf einmal mit dem Füllen vor ihm. Da legte er ihr den Halfter an und ritt nach Hause, das Füllen hinter der Stute her. Dort brachte die Alte ihm das Essen, führte gleich die Stute in den Stall und nun mit der Ofenkrücke auf sie los, dabei rief sie: »Unter die Füchse, du Aas!« Die Stute aber antwortete: »Ich war bei den Füchsen, aber die sind seine Freunde und haben mich verraten.« Darauf wieder die Alte: »Nun denn, unter die Wölfe!«Als es Abend wurde, bestieg der Zarensohn wieder die Stute und ritt fort ins Feld, das Füllen hinterdrein. So saß er in einem fort auf der Stute, aber um Mitternacht wurde er schläfrig und schlief auf der Stute ein, und als er aus dem Schlafe auffuhr, saß er rittlings auf einem Klotz und hielt den Halfter in der Hand. Da erschrak er sehr, sprang auf und ging die Stute suchen; aber sofort fiel ihm ein, was die Alte zu der Stute gesagt hatte; er nahm das Wolfshaar aus dem Tuch, rieb es, und auf einmal erschien der Wolf vor ihm: »Was ist, Bundesbruder?« Er antwortete: »Die Stute der Alten ist mir weggelaufen, und ich weiß nicht, wo sie ist.« Darauf sagte der Wolf: »Sie ist hier bei uns, hat sich in eine Wölfin verwandelt und das Füllen in einen jungen Wolf; doch schlage mit dem Halfter auf die Erde und rufe: Halt, Stute der Alten!« das tat er, die Stute wurde wieder, wie sie gewesen war, und stand auf einmal mit dem Füllen vor ihm. Er legte ihr den Halfter an und ritt nach Hause, das Füllen hinter der Stute her. Dort brachte ihm die Alte das Essen, führte die Stute in den Stall und nun immer mit der Ofenkrücke auf sie los: »Unter die Wölfe, du Aas!« Die Stute aber antwortete: »Ich bin bei den Wölfen gewesen, aber die sind seine Freunde und haben mich verraten.«Darauf ging die Alte hinaus, und der Zarensohn sagte zu ihr: »Nun Alte, ich habe dir redlich gedient, jetzt gib mir, was wir ausgemacht haben.«Sie antwortete: »Ja, mein Sohn, was ausgemacht ist, soll gelten. Wähle dir da von den zwölf Pferden aus, welches du willst.« Er aber sagte: »Ja, was soll ich da viel wählen, gib mir das da in der Ecke, das räudige, die schönen sind nicht für mich.« Da versuchte die Alte, ihn davon abzubringen: »Was willst du dir das räudige da nehmen, wo so viele schöne Pferde da sind?« Er aber blieb bei seinem Willen. Da konnte die Alte nicht anders und gab ihm das räudige Pferd; er verabschiedete
sich dann von ihr und führte das Pferd am Halfter fort, brachte es in einen Wald, rieb es ab und putzte es, und das Pferd wurde glänzend, als hätte es ein goldnes Fell. Dann stieg er auf, ließ es galoppieren, und es flog davon wie ein Vogel; nach kurzer Zeit brachte es ihn zu dem Drachenpalast.Der Zarensohn ging hinein und sagte zu der Zarin: »Mach dich fertig, so schnell wie möglich.« Das tat sie, dann bestiegen sie beide das Pferd, und nun mit Gott auf die Reise! Bald darauf kam der Drache, sah, daß die Zarin fort war, und sagte zu seinem Pferde: »Was machen wir jetzt? Essen und trinken wir oder verfolgen wir sie?« Darauf antwortete das Pferd: »Iß oder nicht, trink oder nicht, verfolge oder nicht; einholen wirst du sie nicht.« Als das der Drache hörte, stieg er sofort zu Pferde, und nun hinter ihnen her. Als die beiden so den Drachen hinter sich hersprengen sahen, erschraken sie und trieben das Pferd zu schnellerem Lauf an, das Pferd aber sagte: »Habt keine Angst, wir brauchen nicht zulaufen.«Auf einmal, als der Drache schon daran war, sie einzuholen, rief sein Pferd dem Pferd des Zarensohnes und der Zarin zu: »Um Gottes willen, Bruder, warte auf mich, ich komme um bei dem Nachrennen.« Das aber antwortete ihm: »Was bist du dumm, daß du das Scheusal trägst; bäume dich und schleudre es ab auf den Felsen, und dann fort mit mir!« Als das Drachenpferd das hörte, schüttelte es sich mit dem ganzen Körper, bäumte sich und warf den Drachen ab auf den Fels; der Drache aber barst ganz in Stücke, und sein Pferd gesellte sich zu ihnen. Das bestieg nun die Zarin, und so kamen sie glücklich in deren Reich und herrschten dort bis an ihr Lebensende.
Die Zarentochter und der Drache
Es war einmal ein Zar, der hatte drei Söhne und eine Tochter, die ließ er im Frauengemach hinter vergitterten Fenstern aufwachsen und hütete sie wie seinen Augapfel. Als das Mädchen erwachsen war, bat sie eines Abends ihren Vater um Erlaubnis, mit den Brüdern ein wenig vor dem Schloß spazierenzugehen, und er erlaubte es. Aber kaum war sie draußen, als auf einmal ein Drache vom Himmel her angeflogen kam, das Mädchen aus der Mitte der Brüder wegriß und sie in die Wolken entführte.
Die Brüder liefen so schnell wie möglich zum Vater, erzählten ihm, was
geschehen war, und sagten, sie würden gern ihre Schwester suchen gehen. Der Vater erlaubte es, gab jedem ein Pferd und was sonst zur Reise gehört, und sie zogen ab. Nach langer Wanderung kamen sie an einen Tschardak, der weder im Himmel noch auf der Erde lag. Dort angelangt, kam ihnen der Gedanke, ob in dem Tschardak nicht ihre Schwester sein könnte, und sie begannen sogleich Rat zu halten, wie sie da hinaufklettern könnten. Nach langer Überlegung und Beratung kamen sie überein, daß einer von ihnen sein Pferd schlachten, aus der Pferdehaut einen Riemen schneiden, dessen eines Ende an einem Pfeil befestigen und aus seinem Bogen hinauf schießen sollte, daß der Pfeil sich festhake und sie so an dem Riemen hinaufklettern könnten. Die beiden jüngeren Brüder sagten nun zu dem ältesten, er möge sein Pferd schlachten, der aber wollte nicht, auch der zweite wollte nicht; da schlachtete der jüngste sein Pferd, schnitt aus dem Fell den Riemen, band das eine Ende an einen Pfeil und schoß ihn in den Tschardak. Als es nun galt, an dem Riemen zu klettern, wollten wieder der älteste und der mittlere Bruder nicht, sondern der jüngste unternahm es. Oben angekommen, ging er von einem Zimmer in das andre, und so traf er eins, in dem er seine Schwester sitzen sah; der Drache hatte seinen Kopf in ihren Schoß gelegt, und sie suchte ihm die Läuse ab. Als sie ihren Bruder sah, erschrak sie und bat ihn, leise zu fliehen, ehe der Drache munter würde; er aber wollte nicht, sondern nahm seine Keule, holte aus und schlug den Drachen auf den Kopf; der aber griff halb im Schlaf mit der Hand nach der Stelle, wo er getroffen war, und sagte zu dem Mädchen: »Gerade hier beißt mich was.« Kaum hatte er das gesagt, da schlug ihn der Zarensohn noch einmal auf den Kopf, aber der Drache sagte wieder zu dem Mädchen: »Wieder beißt mich hier etwas.« Als er nun zum drittenmal zum Schlage ausholte, zeigte ihm die Schwester mit der Hand, er solle den Drachen auf den Unterleib schlagen. Das tat er, und sowie er den Drachen getroffen hatte, war der auf der Stelle tot.Da warf ihn die Zarentochter von ihrem Schoße ab, lief zu ihrem Bruder, küßte ihn, nahm ihn dann bei der Hand und führte ihn durch alle Zimmer. Zuerst brachte sie ihn in eines, da war ein Rappe an die Krippe gebunden mit einem Geschirr ganz aus reinem Silber; darauf in ein anderes, wo ein Schimmel an der Krippe stand mit einem Geschirr ganz aus lauterem Gold; endlich in ein drittes, wo ein Grauschimmel an der Krippe war, dessen Geschirr mit kostbaren Steinen geschmückt war. Als sie durch diese Zimmer durch waren, führte ihn die Schwester in
eines, wo ein Mädchen an einem goldnen Strickrahmen saß und mit goldnem Faden stickte; von da in ein andres, wo ein zweites Mädchen Goldfaden spann; zuletzt in eines, wo ein drittes Mädchen Perlen aufreihte, und vor ihr pickte eine goldne Henne mit ihren Küchlein auf einem goldnen Teller die Perlen auf. Als sie alles dies begangen und besehen hatten, ging er noch einmal in das Zimmer zurück, wo der Drache tot lag, schleppte ihn hinaus und warf ihn auf die Erde hinab. Als die Brüder ihn erblickten, befiel sie beinahe ein Fieberschauer. Darauf ließ der jüngste Bruder zuerst die Schwester zu den anderen Brüdern hinab, dann die drei Mädchen, jedes mit seiner Arbeit, eine nach der andern. Während er so dabei war, die Mädchen zu den Brüdern herabzulassen, dachte er sich aus, welches jedem von ihnen zufallen solle, und als er die dritte hinabließ, die mit der Henne und den Küchlein, bestimmte er die für sich. Seine Brüder aber beneideten ihn darum, daß er sich so tüchtig erwiesen hatte, die Schwester aufzufinden und zu befreien, und schnitten den Riemen durch, damit er nicht herunterkönnte, und als sie dann auf dem Felde einen Hirten bei seinen Schafen fanden, verkleideten sie ihn als ihren Bruder und brachten ihn zu dem Vater; ihrer Schwester aber und den Mädchen verboten sie strenge, irgendwem zu sagen, was sie getan hatten. Nach einiger Zeit erfuhr der jüngste Bruder auf dem Tschardak, daß sich seine Brüder und der Hirt mit den Mädchen verheiraten wollten. An dem Tage nun, wo der älteste Bruder getraut werden sollte, bestieg der jüngste den Rappen, und gerade als die Hochzeitsgäste aus der Kirche traten, flog er zwischen sie und gab seinem Bruder, dem Bräutigam, einen leisen Schlag mit der Keule in den Rücken, so daß der gleich vom Pferde fiel; darauf flog er in den Tschardak zurück.Als er erfuhr, daß auch der mittlere Bruder heiratete, flog er auf dem Schimmel herbei, als gerade die Hochzeitsgäste aus der Kirche kamen, gab auch diesem Bruder einen Schlag, daß er gleich vom Pferde fiel, und flog aus der Mitte der Gäste wieder davon. Zuletzt, als er erfuhr, daß der Hirt sich mit seinem Mädchen verheiraten wollte, bestieg er den Grauschimmel, flog mitten unter die Hochzeitsgäste, als sie gerade aus der Kirche traten, und traf den Bräutigam mit der Keule auf den Kopf, so daß er auf der Stelle tot hinfiel. Die Hochzeitsgäste sprangen herzu, um ihn zu fangen, er aber tat gar nicht, als wolle er fliehen, sondern blieb unter ihnen stehen und gab kund, daß er der jüngste Sohn des Zaren sei und nicht jener Hirt und daß ihn die Brüder aus Neid in dem
Tschardak zurückgelassen hätten, wo er die Schwester gefunden und den Drachen erschlagen hatte. Das alles bezeugten auch die Schwester und die Mädchen. Als der Zar das hörte, ergrimmte er gegen die beiden älteren Söhne und jagte sie sogleich fort; den jüngsten aber verheiratete er mit dem Mädchen, das dieser sich erwählt hatte, und hinterließ ihm nach seinem Tode das Reich.
Die drei Ringe
Ein König bewarb sich für seinen Sohn um die Tochter eines andern Königs und schickte ihm einen Brief, in dem er das Mädchen verlangte, und dazu ein Ehepfand für das Mädchen. Als der Brief an den König gelangt war und er ihn gelesen hatte, sagte er zu dem Gesandten: »Freund, ich kann dir keine Antwort geben, ehe ich das Mädchen gefragt habe.«Darauf ging er zu seiner Tochter und sagte ihr, daß der und der König für seinen Sohn um sie werbe und einen Ring als Ehepfand geschickt habe: »Also, was soll ich ihm antworteten?« Sie sagte darauf ihrem Vater: »Antwortet ihm: wenn er mir nicht drei Ringe bringt, einen mit Sternenlicht, den zweiten mit Mondenschein, den dritten mit Sonnenglanz, so will ich ihn nicht.« Der König sagte das dem Gesandten und fügte hinzu: »Grüße deinen König und sage ihm meinen Dank für die Anfrage, bitte ihn auch, die Antwort meiner eigenwilligen Tochter mir nicht übelzunehmen, ich vermag ja nichts über sie.« Der Gesandte kehrte zurück und berichtete seinem König, wie die Sache stehe; der König wurde zornig, fing aber an nachzudenken, wie er die drei Ringe beschaffen könnte, und ließ zuletzt in aller Welt verkünden, wer ihm die drei Ringe verschafft, dem würde er die Hälfte seines Königreiches und ungezählte Schätze geben. Aber ganz vergeblich. Zuletzt verfiel der Königssohn in großen Kummer und wollte sich schon vor Gram das Leben nehmen, als er einmal bei seinem Herumstreifen auf ein Gebirge kam und dort auf ein altes Weib traf, das am Wege saß. Er grüßte sie mit »Gott helfe«, und sie erwiderte seinen Gruß mit den Worten: »Gott kann freilich helfen, du unglücklicher und doch glücklicher und überglücklicher Sohn.«
Als der Königssohn das hörte, verwunderte er sich und fragte sie, was das bedeuten solle; sie aber antwortete: »Du warst verloren, aber du hast einen Arzt gefunden, der dich, wenn es Gottes Wille ist, von deinein
Leid befreien wird.«Darauf fing er an, ihr zu erzählen, wie es mit ihm stand, aber sie ließ ihn nicht weiterreden, sondern rief:»Genug, genug, ich weiß schon, was dir fehlt; nimm jetzt das Kraut, das ich im Busen trage, und stecke es in deinen Busen, dann löse mir das Haar und laß eine Hälfte nach vorn, die andre über den Rücken fallen, und bleibe bis zum Abend hier bei mir.« Er gehorchte ihr, nahm ihr das Kraut aus dem Busen und steckte es in seinen, dann löste er ihr die Haarflechten, und das Haar, ganz schwarz wie Kohle, nur hie und da ein graues, fiel bis auf den Boden. Gegen Abend sagte die Alte zu dem Königssohn: »Sobald du den ersten Stern siehst, nimm das Kraut aus dem Busen und sprich: >Gott, gib mir den Ring!<« Das tat er, und sowie er die Worte gesagt hatte, hüpfte ein Stern auf, ein Ring fiel ihm vor die Füße, und in ihm leuchtete derselbe Stern. Darauf sagte die Alte zu ihm, er solle achtgeben, wenn der Mond hinter dem Berge aufsteige, und dann dasselbe tun. Das tat er auch, ein Ring fiel herab, und in dem schien der Mond. Am nächsten Morgen vor Sonnenaufgang sagte ihm die Alte: »Gib gut acht, wenn die Sonne aufgehen will, und sowie sie herauskommt, blicke durch meine Haare, bis sie ganz heraus ist, dann sage dreimal: >Mache mir, o Gott, aus diesem Haar einen Ring wie die Sonne.<« So tat er, und kaum hatte er es dreimal gerufen, da verwandelte sich das Haar in einen Ring, glänzend wie die Sonne. Als so der Königssohn die drei Ringe erlangt hatte, fragte er die Alte: »Womit soll ich es dir vergelten?«Sie aber antwortete: »Mit nichts anderm, als daß du, solange ich lebe, für meine Seele betest, denn ich werde in wenigen Tagen sterben, und daß du niemand davon erzählst.«Darauf bedankte sich der Königssohn bei ihr, küßte ihr die Hand und verabschiedete sich. Zu Hause angekommen, erzählte er alles seinem Vater, der schickte ihn mit den Ringen zu dem Mädchen, und nun wurde sie seine Braut und ihm angetraut nach Recht und Sitte.
Die Hexe, die Menschen in Steine verwandelt
Es waren einmal drei Brüder. Als teure Jahre eintraten, eins böser als das andre, besprachen sich die Brüder, sie wollten in die Fremde ziehen und sehen, wie sie sich ernähren könnten. Jeder nahm seinen Ranzen auf die Schulter, und nun ging's in die Fremde. Als sie an einen Kreuzweg kamen, wollten sie sich trennen nach drei verschiedenen Seiten,
fragten sich aber: »Wie wollen wir uns wiederfinden?« — »Wißt ihr was«, sagte der älteste Bruder, »wir wollen jeder sein Messer in den Baum da schlagen« —nahe bei dem Kreuzweg stand eine Linde -, »und wenn einer von uns aus der Fremde nach Hause kehrt, soll er auf die Messer sehen; sieht er aus einem Messer Blut tropfen, so soll er wissen, daß sein Bruder in Lebensgefahr ist, und ihm zu Hilfe kommen.« Das beschlossen die Brüder, und jeder steckte sein Messer in den Baumstamm, darauf umarmten sie sich, und jeder ging seines Weges, der älteste nach rechts, der zweite nach links und der jüngste geradeaus. Mit dem jüngsten ging auch der Haushund, ein Tier so groß wie ein Bär. Der älteste Bruder ging nun in die Weite und kam spät in einen Wald; es wurde finstre Nacht, man sah nicht Weg noch Steg. Da machte der Wanderer unter einem großen Baume halt, suchte schnell noch Dürrholz und Reisig zusammen und machte Feuer an. Er wollte dort übernachten. Der Wind blies kalt, das Feuer kam in Gang. Der Wanderer hatte unterwegs Pilze aufgelesen, die briet er auf der Glut zum Abendessen. Im Ranzen hatte er etwas Maisbrot, das er von guten Leuten unterwegs bekommen hatte, und etwas Salz. Er machte sich daran, zu essen, aber da stöhnte und seufzte etwas in der Dunkelheit. Der Mann sah sich nach allen Seiten um, wurde aber nichts gewahr. »Ach, ach!« hörte er jammern und jemand aus der Dunkelheit sagen: «Laß mich zum Feuer, daß ich mich wärme, ich sterbe vor Kälte.« Dem Wanderer kam es vor, es sei jemand auf dem Baume; er blickte hinauf und sah eine alte Zigeunerin, struppig und ganz in Lumpen wie eine Vogelscheuche, und zittern wie in starkem Fieber.»So komm herab und hierher zum Feuer und wärme dich«, sagte der Wanderer zu der Zigeunerin, »da hast du auch etwas gebackene Pilze und kannst essen.«Die Zigeunerin stieg nun vom Baume herab; in der Hand hatte sie eine Gerte. Sowie sie ans Feuer trat, schlug sie den Wanderer mit der Gerte über den Rücken, und der wurde zu einem Steinbild.
Der zweite Bruder war den ganzen Tag in die Weite gegangen, gegen Abend kam er in den Wald und legte auch ein Feuer unter dem Baume an. Als das Feuer in Brand kam, zog er zwei frische Maiskolben aus seinem Ranzen, die hatte er unterwegs auf dem Felde gepflückt. Da hörte er auch jemand stöhnen und seufzen und mit den Zähnen klappern, als würde er vom Fieber geschüttelt, und sagen: »Ach, ach! Laß mich zum Feuer, daß ich mich wärmen kann.« Der Wanderer hörte die
Stimme von dem Baume herab, unter dem er saß, und als er auf sah, erblickte er die alte Zigeunerin, struppig und zerlumpt wie eine Vogelscheuche. »Komm zum Feuer und wärme dich«, rief er ihr zu, »ich brate gerade Maiskolben, du kannst mitessen.« Die Alte stieg vom Baume herab, die Gerte trug sie in der Hand, und sowie sie zu dem Feuer kam, gab sie dem Wanderer einen Hieb mit der Gerte über den Rücken. Er verwandelte sich in ein Steinbild.Der jüngste Bruder wanderte den ganzen Tag und gelangte in eine große Stadt. Dort verdang er sich bei einem Herrn als Kutscher, mit Pferden wußte er sehr gut umzugehen, und blieb da lange als Kutscher, verdiente und ersparte dabei ein schönes Geld. Eines Nachts träumte ihm, er sähe seine Brüder tot daliegen, im Gesicht bleich wie Leinwand. Da zog ihn das Herz, sie aufzusuchen, er kündigte seinem Herrn den Dienst tat sein verdientes und erspartes Geld in den Ranzen und nahm den Weg unter die Füße. Sein Hund ging mit ihm; der war noch größer geworden, denn er war bei dem Herrn gut gefüttert worden; alle mochten ihn gern, weil er das Haus gut hütete.
Der jüngste Bruder ging nun geradewegs zu dem Kreuzweg, wo die drei ihre Messer in den Lindenstamm gesteckt hatten. Als er da ankam, sah er, daß aus den Messern der beiden Brüder Blut tropfte; die Tropfen waren schon geronnen und schwarz geworden. Darauf zog er mit dem Hunde weiter des Weges, auf dem der älteste Bruder in die Fremde gegangen war, und gegen Abend gelangte er in den Wald. Er hatte auch unterwegs Pilze aufgelesen. Der Zufall brachte ihn gerade unter den Baum, wo sein Bruder Feuer angemacht hatte und zu Stein geworden war. Als das Feuer aufflammte, bemerkte er das Steinbild; es sitzt da ein Mensch von Stein, hält in der Hand gebackene Pilze und ein Stück Maisbrot. Er betrachtet das Bild, und es kommt ihm vor, als gliche es seinem ältesten Bruder. Er macht die Augen weit auf und sieht näher zu, erkennt seinen Bruder, wundert sich sehr und denkt bei sich: >Was mag das sein?<
Er setzte sich nun zum Feuer, sein Hund neben ihn und briet die Pilze auf der Glut. Der Wind heulte. Auf einmal hörte er jemand auf dem Baume über dem Feuer stöhnen und seufzen: »Ach, ach! Wie ist mir kalt, laß mich zum Feuer, daß ich mich wärmen kann.«
Der Wanderer sah an dem Baum hinauf, der Hund fletschte die Zähne. Auf dem Baume war die alte Zigeunerin, struppig und zerlumpt wie eine Vogelscheuche im Weinberg oder im Maisfeld.
Das Zigeunerweib klapperte mit den Zähnen vor Kälte, als hätte sie starkes Fieber, und bat immer, ob sie sich am Feuer wärmen dürfte. Der Hund aber sprang herum wie wütend, fletschte die Zähne und bellte. »Komm herab zum Feuer«, rief der Wanderer, »wärme dich.« — »Ich wage es nicht«, antwortete sie, »der Hund wird mich beißen.« — »Fürchte dich nicht«, sagte der Wanderer, »ich halte den Hund.« Darauf stieg die Alte vom Baume, die Gerte in der Hand, und trat zum Feuer; sie schlich sich heran, um dem Wanderer mit der Gerte einen Hieb über den Rücken zu geben, aber der Hund sprang schnell zu und packte das alte Weib an der Kehle. Sie schrie wie rasend, der Hund aber hielt sie fest, wie wenn sich ein Ertrinkender anklammert, und das Weib konnte sich nicht rühren. Der Wanderer zerrte an dem Hunde. Oje, der gehorchte nicht. Sein Herr packt ihn am Halshaar, er läßt sich aber nicht wegreißen, so wenig wie eine Zecke. Da dachte der Wanderer: »Die Sache geht nicht mit rechten Dingen zu; das Weib ist eine Hexe, sonst würde mein Hund mir gehorchen, er hat mir ja immer gehorcht; es muß eine Hexe sein; sie hat wohl auch meinen Bruder in Stein verwandelt. Halt sie fest, Hund!« Der spaßt nicht, sondern würgt das Weib, daß ihm die Augen aus dem Kopfe treten. Da sagte die Alte zu dem Wanderer: »Laß den Hund mich nicht beißen und erwürgen, ich will dir alles sagen.«Der Wanderer lief herbei und wollte das Weib von dem Hunde losmachen, der Hund aber gehorchte nicht. Darauf sagte das Weib: »Nimm meine Rute, diese Gerte, und schlag mit dem dicken Ende an das Steinbild, dein Bruder wird dann aufwachen und wieder zu einem lebendigen Menschen werden. Spute dich, vielleicht könnt ihr beide zusammen mich von dem Hunde freimachen.«Der Wanderer ergriff die Gerte der Alten und gab zuerst ihr einen Hieb über den Rücken; sie wurde zu Stein. Den Stein ließ der Hund los. Dann schlug er mit dem dicken Ende den Bruder auf den Rücken, und der wurde wieder lebendig.
Da saßen nun die beiden am Feuer, brieten Pilze, aßen zu Abend und erzählten sich, wie es jedem in der Fremde ergangen war. Sie konnten sich gar nicht genugtun mit Erzählen bis zur Morgenröte. Als es Tag geworden war, bemerkten sie im Walde umher fast unter jedem Baume Menschen, Hunde, Pferde und andre Tiere stehen, sitzen und liegen, alle von Stein.
Der jüngste Bruder schlug nun mit dem dicken Ende der Gerte des alten Weibes der Reihe nach an die Steinbilder im Walde. Alle wurden wieder
lebendig. So fand er auch den zweiten Bruder, und auch der wurde wieder lebendig. Die Menschen, die wieder lebendig geworden waren, stellten sich um die versteinerte Zigeunerin und zerschlugen sie in kleine Stücke. Darauf wählten sie den jüngsten Bruder zum Oberhaupt, und dann vergnügten sie sich, schmausten, aßen und tranken. Ich bin auch dabeigewesen und habe Wein getrunken, noch jetzt ist mir die Zunge feucht.
Der Wolf mit dem eisernen Kopfe
Es war einmal ein Hirt. Eines Tags, als er die Schafe hütete, kam aus dem Walde der Wolf mit dem eisernen Kopf und sprach zu ihm: »Peter, jetzt will ich dich auffressen.« Peter legte sich aufs Bitten: »Tu es nicht, Wölflein, tu es jetzt nicht; warte, bis ich mich verheirate, dann komm zur Hochzeit und friß mich.«
Der Wolf willigte ein, da er hoffte, auf der Hochzeit außer dem Hirten noch einen zu erbeuten. Bis es zum Heiraten kam, hatte der Hirt den Wolf ganz vergessen. Aber als der Hochzeitszug zu Wagen mit der Braut am Walde vorbeikam, trat der Wolf mit dem eisernen Kopf heraus vor sie hin und rief: »Steig vom Wagen, Peter, daß ich dich fressen kann.«Und mein Peter sprang ab, um nur die übrigen Hochzeitsleute zu retten, und lief davon; der Wolf hinter ihm her. Peter rannte und rannte, sah sich zuweilen um, aber der Wolf war immer hinterher. So war er beständig bis zum Abend gelaufen; als es gegen die Nacht ging, bemerkte er ein Haus und stürzte hinein. Dort sah er eine alte Frau, wie sie den Ofen heizte und mit bloßen Händen das Feuer schürte. Das war die Sonnenmutter. Peter schnitt schnell seinen Hemdenschoß ab und wickelte ihre Hände hinein; die Sonnenmutter aber fragte ihn: »Woher kommst du, Christenmensch?« — »Die Not hat mich hergetrieben; der Wolf mit dem eisernen Kopf verfolgt mich, vor dem habe ich Schutz gesucht.«Da gab sie ihm zu essen und sie legten sich schlafen. Am nächsten Morgen wollte Peter weitergehen; beim Abschied schenkte ihm die Sonnenmutter ein rotes Tuch und sprach zu ihm: »Da, nimm dies Tuch, Peter; wenn du an ein Gewässer kommst, schwinge das Tuch darüber, das Wasser wird sich dann teilen, und du kannst trocknen Fußes hindurchgehen. Dann schwinge das Tuch wieder, und das Wasser wird sich wieder schließen. Ebenso mach es, wenn du an
einen Wald kommst.«Er bedankte sich sehr bei ihr und ging fort. Aber kaum hat er sich etwas vom Hause entfernt, ist auch der Wolf mit dem eisernen Kopf wieder da und stürzt hinter ihm her, und Peter läuft wieder los. So kam er an ein Wasser, schwenkte das rote Tuch, das ihm die Sonnenmutter gegeben hatte, darüber, das Wasser zerteilte sich, und er kam wie auf trocknem Boden ans andre Ufer. Da schwenkte er wieder das Tuch, das Wasser schloß sich zusammen, und der Wolf mit dem eisernen Kopf blieb diesseits. Peter ging nun weiter, aber der Wolf sprang ins Wasser und schwamm auf die andre Seite hinüber und wieder hinter Peter her; dem blieb nichts übrig, als wieder zu laufen.Der Wolf hatte ihn beinahe eingeholt, da bemerkte er ein Haus und stürzte hinein. In dem Hause wohnte die Mondesmutter. »Grüß Gott, Mondesmutter«, sagte Peter und küßte ihr die Hand. — »Gott helf dir, Christenmensch. Was gibt's Gutes?« — »Gar nichts Gutes«, antwortete Peter, »mich verfolgt da der Wolf mit dem eisernen Kopf, und ich bin in dein Haus geflohen.« Die Mondesmutter gab ihm zu essen und sie gingen schlafen.
Als Peter am nächsten Morgen weiterging, gab ihm die Mondesmutter einen kleinen Brotlaib: »Nimm diesen Laib, und wenn du in Not kommst, leg ihn beim Schlafengehen unter den Kopf, dann wirst du sehen, was sich ereignen wird.«Peter bedankte sich bei ihr und ging. Aber sowie er sich vom Hause entfernte, wartete der Wolf mit dem eisernen Kopf schon auf ihn, und wieder hinter ihm her, und Peter, was bleibt ihm übrig, muß rennen. So läuft er und läuft und der Wolf immer hinter ihm. Schon wollte er ihn packen, da erreicht Peter einen dichten Wald, schwenkt das Tuch; die Bäume treten auseinander, und er fährt hinein. Dann schwenkt er wieder das Tuch, und der Wald schließt sich wieder so dicht, daß keine Ameise hätte durch können.
Aber der Wolf mit dem eisernen Kopf hat auch eiserne Kiefer und eiserne Zähne und fängt an, die Bäume zu benagen. Er nagt und nagt, daß die Splitter nur so um ihn fliegen. Der Wald war sehr groß, aber der Wolf nagt einen Baum nach dem andern durch; sie fallen um, und er kommt hinein. Als Peter nun mitten im Walde war, legte er den Brotlaib unter den Kopf und wandte sich zum Schlafen. Als er am andern Morgen aufgewacht war, da gab es was zu sehen: um ihn stehen drei Tiere, Löwe, Bär und Luchs, sehen ihn an und wedeln mit den Schweifen. Peter zerbrach den Brotlaib in drei Stücke und gab sie ihnen. Aber der Wolf mit dem eisernen Kopf hatte die ganze Nacht an dem
Walde genagt und hatte ihn beinahe durchgenagt. Da schwenkte Peter das Tuch nach der andern Richtung hin, und der Wald tat sich auf. Er kam mit seinen Tieren ins Freie, schwenkte das Tuch und schloß den Wolf im Walde ein. Nun machte er sich mit seinen drei Tieren nach Hause auf. Unterwegs überfiel ihn die Dunkelheit bei einer Hütte; er ging hinein, auf der Ofenbank saß eine alte Frau: »Guten Abend, Mutter.« —»Gott segne dich, Peter, woher kommst du?« —»Es verfolgt mich da der Wolf mit dem eisernen Kopf«, antwortete er, ahnte aber nicht, daß die Alte die Mutter des Wolfes mit dem eisernen Kopf war, und erzählte ihr alles der Reihe nach, wie es gewesen war. Zuletzt sagte er: »Und so habe ich ihn in dem großen Wald da eingeschlossen.«Damit gut; die Wolfsmutter tat, als wisse sie von nichts, und sagte zu Peter: »Möchtest du bei mir als Hirt bleiben? Mein Hirt ist davongegangen, und ich habe niemand, der mir die Schafe hütet.« Peter wollte nichts davon hören und sagte, er sehne sich nach Hause, habe gerade geheiratet und die junge Frau verlassen.
Als aber die Alte nicht nachließ und guten Lohn versprach, willigte er endlich ein, und sie wurden einig. Als sie nun schlafen gehen sollten, sagte die Wolfsmutter zu ihm: »Gib das rote Tuch her, Peter, ich will's verwahren, daß du es nicht verlierst.« Das wollte Peter durchaus nicht, da sie aber wieder wie eine Zigeunerin quälte, gab er's ihr; und als Peter eingeschlafen war, stahl sie sich leise fort, ging zum Walde und machte ihren Sohn frei.
Am andern Tag, als Peter die Schafe auf die Weide getrieben hatte, beriet sich der Wolf mit seiner Mutter, wie er Peter ans Leben könnte. Offen wagte er nicht ihn anzugreifen, weil ihn die drei Tiere behüteten. »Aber weißt du was?«sagte der Wolf zu seiner Mutter, »grabe da, wo er morgen die Schafe melken wird, eine große Grube und decke sie mit Brettern zu. Ich verberge mich darin, und wenn er anfängt, die Schafe zu melken, springe ich heraus und fresse ihn.« Was sie ausgedacht hatten, führten sie auch aus; sie gruben eine große Grube, bedeckten sie mit Brettern, und der Wolf versteckte sich darin. Aber als Peter die Schafe molk, legten sich seine Tiere gerade auf die Bretter, und so konnte der Wolf nichts machen. Als nun Peter wieder hinter den Schafen herging, kam der Wolf mit den eisernen Zähnen aus der Grube heraus und sagte zu seiner Mutter: »Ich hätte ihn schon lange, aber ich habe Angst vor seinen Tieren, daß sie mir den Pelz waschen. Aber weißt du was? Wenn er morgen wieder auf die Weide geht, hänge dich mit Bitten
an ihn, daß er die Tiere daläßt; wenn du die dann einschließt, werde ich leicht mit ihm fertig.«Als Peter sich am nächsten Morgen mit den Schafen aufmachte, legte sich die Wolfsmutter aufs Bitten, daß er die Tiere zu Hause lasse. Peter wollte sich nicht darauf einlassen, aber als sie ihm zusetzte wie eine Zigeunerin, ließ er sich anführen und ließ ihr seine Tiere da; sie fütterte sie und schloß sie ein.
Darauf lief der Wolf mit den eisernen Zähnen geradewegs hinter Peter her, und der, als er ihn von weitem bemerkte, wußte, was los ist, und legte sich aufs Laufen, kam in den Wald, und - wohin soll er sonst - kletterte auf einen hohen Baum. Aber da war auch der Wolf und fing an, den Baum zu benagen, und als er ein Stück herausgenagt hatte, rief er: »Komm herab, Peter, daß ich dich fressen kann.«Als Peter sah, daß der Wolf daran war, den Baum durchzunagen, zog er einen Schuh aus, warf ihn dem Wolf hin und sagte: »Da hast du meinen Schuh, nage daran, während ich in den Wald rufe, daß der ganze Wald und alle Vögel hören, daß ich sterben muß.« Darauf rief er, was die Kehle hergab.
Das hörte der Luchs und sagte zum Löwen und Bären: »Es kommt mir vor, als riefe unser Herr.« — »Ach, sei still«, antworteten sie, »du hast dich überfressen und träumst da was.«Währenddes hatte der Wolf den Schuh auf genagt und rief: »Komm herab, Peter, daß ich dich fressen kann.« Peter warf auch den andern Schuh vom Baum herab. »Da, Wölflein, nun nage, während ich noch einmal rufe, daß der ganze Wald und alle Vögel hören, daß ich sterben muß.« —So rief er noch einmal. Darauf meinte der Bär: »Auch mir kommt vor, daß unser Herr ruft.« —»Ach, sei still da, du hast dich überfressen und faselst im Traum.« Der Wolf hatte nun auch den zweiten Schuh durchgenagt. Da warf ihm Peter seinen Hut hin und rief zum drittenmal. Jetzt hörte es auch der Löwe und sagte: »Ja, da ruft wirklich unser Herr.«
Die Tiere sprangen auf und wollten hinaus; jawohl, da war die Tür zugeschlossen. Sie gruben sich unter der Mauer durch und rannten dahin, wo die Stimme zu hören war. Als sie ankamen, stand der Baum nur noch auf einem dünnen Streifen Holz, gerade daß er nicht umfiel. Die Tiere stürzten sich auf den Wolf mit den eisernen Zähnen und zerrissen ihn in kleine Stücke.
Darauf stieg Peter vom Baum herab, ging zum Hause der Alten, hetzte die Tiere auf sie, und die zerrissen sie. Nun begann er im Hause nach
seinem Tuch zu suchen und fand dabei ungezähltes Geld, das die Alte versteckt hatte. Das lud er auf einen Esel, trieb die Schafe vor sich her und ging mit seinen Tieren nach Hause.Dort lebte er hernach mit seiner jungen Frau lange Zeit glücklich und zufrieden.
Der Kaiser, seine Tochter und ihre drei Freier
In alter Zeit war einmal in einem fernen Lande ein Kaiser, der hatte eine sehr schöne und ehrbare Tochter. Unter anderen Freiem bewarben sich auch drei Grafen um sie, die große Freunde des Kaisers waren. Der Kaiser mochte keinem von den dreien gegen seinen Wunsch sein dadurch, daß er seine Tochter einem zuspräche. Deswegen sagte er zu ihnen: »Wenn ihr meine Tochter bekommen wollt, geht in die weite Welt, und wer mir die allererlesenste Sache bringt, der soll meine Tochter zur Frau haben.«Sie taten danach und gingen alle drei fort nach drei verschiedenen Seiten; der eine fand einen Teppich, der durch die Luft fliegen und auch Leute tragen konnte; der zweite fand ein Fernrohr, durch das man die ganze Welt sehen konnte, sogar ein Staubkorn im Meer; der dritte fand eine Salbe, die jede Krankheit heilen, ja sogar die Toten zum Leben bringen konnte. Sie waren jetzt weit voneinander; da sah der von ihnen, der das Fernrohr gefunden hatte, hinein und gewahrte seinen Genosssen, wie er gerade den Teppich auf der Schulter trug, und machte sich gleich zu ihm auf.
Als sie nun so zusammen waren, sah der mit dem Fernrohr wieder hinein und erblickte seinen dritten Genossen; zu dem machten sich die beiden dann auf den Weg. Als sie nun alle drei beisammen waren, sagten sie: »Laßt uns doch sehen, was die Kaisertochter macht.« Der mit dem Fernrohr sah hindurch und gewahrte, daß die Kaisertochter mit dem Tode kämpfte; das teilte er gleich seinen beiden Genossen mit. Als das der hörte, der die Salbe hatte, sprach er: »Ich könnte sie heilen, wenn ich nur schnell genug zu ihr hin könnte.« Darauf antwortete der mit dem Teppich: »Das ist leicht; setzen wir uns nur auf den Teppich, und gleich sind wir bei ihr.«Und wirklich, die drei setzten sich auf den Teppich, und sieh da, in einigen Stunden gelangten sie in den Kaiserpalast zu dem Mädchen. Als der Kaiser sie gewahr wurde, sagte er zu Ihnen: »Ach, meine Herren, vergebens habt ihr euch auf langer Wanderung
bemüht; meine Tochter liegt auf dem Totenbett, darum hofft nicht, daß einer von euch sie bekommen wird.«Darauf antwortete der mit der Salbe: »Habt keine Sorge, Herr, deine Tochter wird nicht sterben«, und legte sogleich dem Mädchen die Salbe in den Mund; die fing gleich an zu sprechen und war in kurzer Zeit wieder gesund. Als der Kaiser das sah, wurde er sehr froh, und gerührt über die Genesung seiner Tochter, wollte er sie dem zur Frau geben, der sie gesund gemacht hatte. Aber jetzt brach erst unter den Grafen der Streit aus und bei dem Hin und Her sagte der, der die Kaisertochter geheilt hatte: »Wäre meine Salbe nicht gewesen, so trauerten wir jetzt schon über ihrem Grab und würden keinen Streit zu führen brauchen.« Der mit dem Fernrohr sagte darauf: »Hätte ich nicht durch mein Fernrohr gesehen, daß sie krank war, so hättest du die Salbe gar nicht anwenden können und sie nicht heilen.« Der dritte, der den Teppich hatte, sagte endlich: »Wäre mein Teppich nicht gewesen, so hättet ihr nicht so schnell herkommen können und sie nicht mehr am Leben gefunden.«Als der Kaiser alles vernommen hatte, was die drei untereinander redeten, sagte er zu ihnen: »Meine Herren, ich kann wieder keinem von euch meine Tochter geben; ihr habt alle drei gleich wunderbare und auserlesene Dinge; ich bitte euch, geht in Frieden und Freundschaft auseinander und begehrt meine Tochter nicht mehr.« So geschah es; sie gehorchten dem Kaiser, gingen in die Einöde als Einsiedler und taten Buße. Dort lebten sie voneinander entfernt und wußten lange Jahre nichts voneinander. Der Kaiser aber gab einem andern Grafen seine Tochter zur Frau. Nach einigen Jahren trug es sich zu, daß der Schwiegersohn des Kaisers in den Krieg zog, zusammen mit seiner Frau, und als sie übers Meer fuhren, erhob sich ein schrecklicher Sturm, der das Schiff an den Felsen zerschellte. Alle, die auf dem Schiffe waren, ertranken, nur die Kaisertochter kam, auf einem Brette übers Meer schwimmend, zu der Einöde, wo die drei Grafen einsam ihr Leben mit Bußetun verbrachten. Dort nährte sie sich drei Jahre lang mit wilden Kräutern; einmal aber verlief sie sich im Walde, konnte ihren alten Unterschlupf nicht wiederfinden und traf auf eine Höhle; die hatte eine kleine Tür. Sie wollte die Tür öffnen, um die eine Nacht darin zuzubringen. Aber als sie sich an die Tür machte, vernahm sie von drinnen eine grobe, heisere Stimme: »Wer ist da?« Sie erschrak, faßte sich aber wieder und antwortete: »Unbekanntes Wesen, tue mir die Tür auf.« Da öffnete sich die Tür und heraus trat ein Greis, der graue Bart reichte
ihm bis zum Gürtel, und das weiße Haar fiel wie eine Decke über seinen krummen Rücken. Die Kaisertochter erschrak nun erst recht, als sie den Alten vor sich sah, da sie gemeint hatte, in der Wüste sei keine lebende Seele. Lange sahen sie einander an und sagten vor Erstaunen kein Wort, denn keins von ihnen hatte gehofft, je wieder einen irdischen Menschen zu sehen.Doch der Alte faßte sich ein wenig und sprach zuerst: »Töchterchen, bist du ein Engel Gottes oder bist du ein Menschenkind?« Darauf antwortete ihm die Kaisertochter: »Alter, laß mich hinein, dir zu Gefallen will ich alles erzählen.« Da faßte der Alte sie an der Hand, führte sie in die Höhle und bewirtete sie mit wilden Birnen; nun fing sie an zu erzählen. »Ich bin die einzige Tochter des Kaisers, mich wollten die Grafen zur Frau haben, aber mein Vater konnte mich keinem von den dreien zusprechen, denn sie waren ihm alle drei recht; so sagte er zu ihnen, sie möchten in die weite Welt ziehen, und wer ihm die auserlesenste Sache bringe, dem werde er mich zur Frau geben. Sie gingen und waren in drei Jahren noch nicht wieder da; in der Zeit erkrankte ich auf den Tod. Während ich krank zu Bett lag, waren die drei Grafen schon auf dem Heimweg gewesen und brachten ihre Sachen: der eine hatte ein Fernrohr, der zweite einen Teppich und der dritte eine Salbe.« Da unterbrach sie der Alte: »Und was war nachher? Darauf kommt es an.« —»Ach«, antwortete sie, »sie machten mich gesund, doch wurde ich keinem von ihnen zuteil, sondern mein Vater verheiratete mich an einen andern Grafen; mit dem zog ich vor drei Jahren in den Krieg; auf dem Meere ging unser Schiff unter, ich rettete mich in diese unbekannte Einöde, und beim Herumstreifen darin bin ich auf dich gestoßen.« Da schlug der Alte mit der Hand aufs Knie und rief: »Ich bin einer von den Grafen, die dich zur Frau haben wollten, und da ist das Fernrohr, durch das ich gesehen habe. Ich weiß nicht, ob meine Genossen in dieser Einöde noch am Leben sind; wir wollen durchs Fernrohr nachsehen.« Der Alte sah nun durch das Fernrohr und erblickte seine beiden andern Genossen in der Einöde; zu denen gingen sie, und er erzählte ihnen, wie sich alles begeben hatte. Da umarmten und küßten sie sich; darauf gaben sie die drei auserlesenen Dinge der Kaisertochter; die setzte sich auf den Teppich und flog zu ihrem Vater, der noch am Leben war. Wenn du wissen willst, was für ein Fest da war, geh hin und frage nach.
Der Hahn und die Sonne
Schon viele Jahre sind vergangen, seit die Welt geschaffen wurde. Die Tiere haben Junge bekommen und sich vermehrt. Eines Tages gingen viele Tiere und Vögel auf einen Berg, der am Ufer eines großen Meeres stand, um einige ihrer Angelegenheiten zu besprechen. In Paaren und Gruppen standen sie beieinander und besprachen, was sie im Sinne hatten. Und da die Sonne hell leuchtete und angenehme Wärme verbreitete, wollten die Tiere nicht auseinandergehen. Da kam der Hahn auf den Gedanken, allen Tieren etwas über die Sonne zu sagen.
»Hört zu, Brüder«, sagte er ihnen,» ich will euch etwas sagen. Uns allen geht es gut, weil uns die Sonne bescheint und wärmt. Ich bin sicher, daß ihr alle ihr dafür sehr dankbar seid. Doch niemand hat noch der Sonne etwas Gutes getan, um ihr eine Freude zu machen. Nun denkt mal darüber nach, was wir Gutes tun könnten, damit die Sonne guter Laune werde.«
Als die Tiere die Worte des Hahnes gehört hatten, dachten sie nach, was sie der Sonne Gutes tun könnten. Als sie so nachdachten, fiel jedem etwas ein, und er sagte es den anderen. Doch die Tiere wollten keinen der Vorschläge annehmen, denn keiner dünkte ihnen gut genug. Schließlich stand der Igel auf und sagte: »Brüder, hört zu, was ich euch sagen will.«
»Wir hören, Igel, wir hören. Sag nur etwas, und wenn uns etwas besonders gut gefällt, werden wir alle >ausgezeichnet!<rufen«, antworteten die Tiere und spitzten ihre Ohren, um besser zu hören.
Da sagte ihnen der Igel: »Wir alle heiraten und bekommen Kinder. Schaut doch, wie viele unserer Nachkommen hier sind! Die arme Sonne aber ist immer allein, all die Zeit, seit sie erschaffen wurde. Und weil das so ist, wollen wir sie verheiraten, daß auch die Sonne erfahre, wie süß es ist, seine Kinderchen an der Hand zu führen.«
Als die Tiere dies gehört hatten, überlegten sie sehr ernsthaft und stimmten zu. Nur der Löwe war nicht zufrieden und stand weiter da, den Finger an der Stirn.
»Erleuchteter Kaiser, was sagst denn du zum Vorschlag des Igels, die Sonne zu verheiraten?«fragte der Bär. Die Sonne hörte alles und freute sich sehr, daß sie jetzt einen Bräutigam bekommen sollte. Sie hatte aber noch nicht gehört, was der Löwe sagte. Denn als der Bär ihn um seine Meinung fragte, richtete er sich vor allen auf und sagte: »Ihr alle habt
den Worten des Igels zugestimmt, Brüder. Wenn ihr aber recht überlegt, werdet ihr sehen, daß die Worte des Igels jämmerlich sind. Habt ihr noch nicht nachgedacht, daß die Sonne, wenn sie einmal verheiratet ist, viele, viele kleine Sonnen bekommen wird? Und wenn die alle uns wärmen werden, dann werden wir alle lebend gebraten. Schon jetzt, da es nur eine Sonne gibt, können wir es oft vor Hitze nicht aushalten, wenn sie stark scheint. Was wird erst werden, wenn sie verheiratet ist? Habe ich mit meinen Worten nicht recht?«»Ja, du hast recht, erleuchteter Kaiser«, riefen alle Tiere. »Wir dürfen die Sonne nicht verheiraten.«
Als die Sonne die Worte des Löwen hörte, wurde ihr das Herz gar schwer. Sie zwinkerte weinerlich mit den Augen, und, hast du es nicht gesehen, stürzte sie sich ins Meer, um sich zu ertränken. Als plötzlich alle Tiere im Dunkeln saßen, ohne die Wärme der Sonne, erschraken sie sehr. Sie berieten sich, und sie schalten den, der gesagt hatte, daß die Sonne heiraten sollte. Alle waren ganz niedergeschlagen und tieftraurig, aber das brachte die Sonne nicht zurück.
Da richtete sich der Hahn auf und sagte den Tieren: »Warum macht ihr euch wegen der Sonne so viele Sorgen, Brüder? Wenn ich an eurer Stelle wäre, würde ich der Sonne ein Ständchen bringen und sie so aus dem Meere locken.« Das sagte ihnen der Hahn, und dann sang er drei Tage und drei Nächte lang. Die Sonne aber kam nicht. Sie saß im Meer und wollte nicht mehr aus ihm hervorkommen.
Als der Hahn sah, saß er mit seinem Singen nichts erreichen konnte, dachte er sich etwas anderes aus. Eines Morgens stieg er ins Meer und badete darin wie eine Katze im Salz. Dann aber stellte er sich an den Strand und schüttelte sich. Als ihn die Sonne sah, wie er sich schüttelte, ganz naß und mit hängendem Kopf und Schwanz, wunderte sie sich und fragte: »Ach, Brüderchen Hahn, warum bist du denn in einem solchen Zustand und so mißgestimmt?«
»Es wird mir noch viel schlechter gehen, Schwesterchen Sonne. Meine Freunde haben mich überredet zu heiraten, und jetzt tut mir das sehr leid. Allein ist man so glücklich, nichts auf der Welt ist besser als das Alleinsein. Ich werde alle meine Freunde auf den Knien anflehen, damit sie nicht so unglücklich werden wie ich.«Als die Sonne das hörte, nahm sie sich vor, nie zu heiraten. Sie kam aus dem Meer und ging an den Himmel. Und sie wärmte die Erde wieder. Nur am Abend stieg sie wieder ins Meer. Des Morgens aber stieg sie wieder heraus. Und bis
zum heutigen Tage ist das so geblieben, daß die Sonne jeden Abend ins Meer sinkt und jeden Morgen wieder daraus hervorkommt. Wer's nicht glaubt, der soll selbst ans Meer gehen, da kann er es mit eigenen Augen sehen. Als die Sonne aufstand, um alles zu wärmen, schlug der Hahn mit den Flügeln, um das Wasser abzuschütteln und sich zu trocknen, und dann fing er an zu singen. Alle Tiere bedankten sich sehr bei ihm, daß er die Sonne wieder aus dem Meere geholt hatte. Zum Andenken an diesen Tag singt der Hahn noch heute an jedem Morgen. Zuvor schlägt er mit den Flügeln, weil er glaubt, daß er immer noch naß sei. Der unglückliche Igel aber, der vom Löwen und den anderen Tieren so beschämt wurde, schämt sich bis auf den heutigen Tag und versteckt sein Gesicht in seinen Stacheln, sobald er sieht, daß jemand in der Nähe ist.
Die Biene auf der Mütze
Einst waren in einem Dorfe einige Bienenstöcke gestohlen worden. Der Eigentümer der Bienenkörbe überlegte, wie er sie wohl wiederbekommen könnte. Da kam ein Bauer zu ihm und sagte: »Ich schaffe sie dir wieder herbei.« Er rief alle Dörfler zusammen und sagte ihnen: »Heda, wer kann jetzt sagen, wer die Bienenkörbe gestohlen hat? Ich könnte es schon sagen, aber der Dieb soll selber sprechen. Seht nur, dort ist er!«Er zeigte mit seiner Hand in den Haufen. »Der, auf dessen Mütze eine Biene sitzt.«
Da hob einer der Bauern die Hand, um die Biene zu verjagen. Und so hat er sich verraten.
Der Ring des Drachen
Es war einmal eine alte Frau, die hatte einen Sohn, den sie jeden Tag in den Wald schickte, Holz zu holen. Die Alte selbst spann jeden Tag eine Strähne Wolle und gab sie dem Sohn, daß er sie verkaufe. Der Sohn verkaufte die Wolle um einen Heller, aber anstatt das Geld seiner Mutter zu geben, benutzte er es, um Gutes zu tun.
Als der Sohn einst wieder in den Wald ging, traf er einige Kinder, die einen kleinen Hund schlugen. Das Hündchen tat ihm leid. Da gab er den Kindern einen Heller und rettete damit den Hund vor den Prügeln. Das Hündchen ging mit dem Holzfäller.
Als der Holzfäller ein andermal in den Wald ging, sah er andere Kinder, die ein Kätzchen schlugen und es töten wollten. Das Kätzchen tat ihm leid, und ob er es nun wollte oder nicht, er mußte den Kindern einen Heller geben und ihnen das Kätzchen abkaufen, um es vor dem Tode zu retten. Das Kätzchen ging dann mit dem Holzfäller, und von da an lebten das Hündchen und das Kätzchen miteinander und begleiteten stets den Holzfäller, wohin er auch ging.
Als der Holzfäller wieder einmal auf den Berg gegangen war, um Bäume zu fällen, sah er eine brennende Buche. Auf der Buche war eine Schlange, die kreischte und schrie um Hilfe. Als der Bursche an die Buche herantrat, bat ihn die Schlange, er solle ihr helfen und sie aus dem Feuer retten.
»Ich fürchte mich«, sagte der Holzfäller, »denn du wirst mich beißen.« »Fürchte dich nicht«, antwortete ihm die Schlange, »ich werde dir nichts Böses tun. Im Gegenteil, ich werde dir geben, was du dir wünschest.« Da lehnte der Holzfäller eine Stange gegen die Buche, und die Schlange wand sich um die Stange und entkam so dem Feuer. Dann sagte sie ihm: »Jetzt komm mit mir zum Drachen, dem Kaiser der Schlangen. Wenn er dir viel Geld anbietet, nimm es nicht, sondern verlange von ihm den Ring, den er unter der Zunge trägt. Wenn er ihn dir gibt, lege ihn unter deine Zunge und halte ihn dort fest. Wenn du den Ring unter der Zunge hast, wird sich dir alles erfüllen, was du dir wünschest.«
Der Holzfäller ging mit der Schlange zum Drachen, dem Schlangenkaiser, und erbat sich von ihm den Ring, wie die Schlange es ihm gesagt hatte. Der Kaiser gab ihm den Ring, den der Jüngling unter seine Zunge legte. Dann ging der Bursche nach Hause.
Als der Holzfäller nach Hause kam, sagte er zu seiner Mutter: »Mütterchen, geh zum Kaiser und bitte ihn, er solle mir seine Tochter zur Frau geben.«
Die Mutter ging und bat um die Kaiserstochter für ihren Sohn. Der Kaiser aber jagte sie hinaus und sagte: »Schau, daß du von hier wegkommst! Wie sollte ich denn meine Tochter einem Holzfäller zur Frau geben? Wenn dein Sohn sich ein solches Schloß erbaut, wie ich eines habe, dann gebe ich sie ihm.«
Die Mutter des Holzfällers ging nach Hause und erzählte ihrem Sohn, was der Kaiser geantwortete hatte. Da sagte der Holzfäller zu seinem Ring: »Ich wünsche mir, daß meine Kate sich in ein Schloß verwandle,
wie der Kaiser eines hat.«Im gleichen Augenblick verwandelte die Kate sich in ein Kaiserschloß.Wieder sandte der Bursche seine Mutter zum Kaiser, sie sollte zum zweitenmal um dessen Tochter werben und dem Kaiser sagen, ihr Sohn hätte sich ein Schloß erbaut, genauso wie das des Kaisers. Und der Kaiser sollte nun sagen, ob er ihm seine Tochter zur Frau gäbe oder nicht. Die Mutter ging zum Kaiser, erzählte ihm vom Schloß ihres Sohnes und bat ihn wieder um seine Tochter. Der Kaiser aber sagte ihr: »Wenn dein Sohn den Weg, auf dem meine Tochter gehen wird, ganz mit Gold pflastert, dann gebe ich sie ihm.« Wiederum kehrte die Mutter heim und wiederholte ihrem Sohn die Worte des Kaisers.
»Der Kaiser sagte mir«, berichtete sie ihrem Sohn, »daß er dir seine Tochter gibt, wenn du vom Tor des Kaisers bis zu deinem Tor den Weg, auf dem seine Tochter gehen wird, ganz mit Gold pflasterst. So hat der Kaiser gesprochen.«
Mit Hilfe seines Ringes pflasterte der Bursche den ganzen Weg vom Tor des Kaisers bis zu seinem Tor mit Gold und sandte seine Mutter wiederum zum Kaiser, daß sie ihm dies erzähle und ihn um die Kaiserstochter bäte.
Die Mutter ging zum Kaiser und sagte ihm: »Erlauchter Kaiser, sieh, mein Sohn hat den ganzen Weg von deinem zu seinem Tor mit Gold gepflastert. Gibst du ihm jetzt deine Tochter zur Frau?« Der Kaiser aber entgegnete: »Wenn dein Sohn Gärten hat, wie meine es sind, in denen Nachtigallen singen und über denen Falken fliegen wie im Mai, dann gebe ich sie ihm.«
Die Mutter ging nach Hause und sagte ihrem Sohn, was der Kaiser ihr geantwortet hatte. Da sagte der Bursche zu seinem Ring: »Ich wünsche mir, daß morgen, wenn ich aufstehe, rings um mein Schloß Gärten seien, wie sie der Kaiser hat, mit Nachtigallen und mit Falken.« Und am nächsten Morgen war sein Wunsch erfüllt.
Wiederum ging seine Mutter zum Kaiser, um dessen Tochter für ihren Sohn zu erbitten. Da sagte ihr der Kaiser: »Dein Sohn möge mit seinen Brautwerbern kommen. Alle sollen weiß gekleidet sein und auf weißen Pferden sitzen.«Da nahm ihr Sohn Brautwerber, kleidete sie weiß und setzte sie auf weiße Pferde, ritt zum Kaiser, erhielt dessen Tochter zur Frau und kehrte mit seiner jungen Gemahlin nach Hause zurück.
Der Kaiser hatte aber einen treuen Diener. Man sagt, er sei ein Araber gewesen. Eines Tages sagte dieser Araber zur jungen Frau: »Kannst du
nicht erfahren, womit dein Mann alles durchführt, was er sich ausdenkt.« Die Frau antwortete: »Er hat einen Ring, den er unter der Zunge trägt. Mit dem macht er alles.«Da sagte ihr der Araber: »Könntest du ihm den nicht wegnehmen und ihn mir geben? Schließlich hat er ja schon alles und braucht nichts mehr.« »Ich kann ihm den Ring nicht wegnehmen«, sagte die junge Frau, »denn er trägt ihn immer unter der Zunge.« Der Araber entgegnete ihr: »Mache deinen kleinen Finger naß, stecke ihn in Asche und dann in die Nase deines Mannes. Dann wird er niesen, und der Ring wird ihm unter der Zunge hervor ins Bett fallen. Dann nimm den Ring und gib ihn mir.« Die junge Frau tat alles, wie geheißen, und gab den Ring dem Araber, der ihn nahm und unter seine Zunge steckte.
Eines Tages sagte der Araber zum Ring: »Ich wünsche, daß du mich mit diesem Schloß auf einen Berg tragest und daß das Schloß mein werde. Der Bursche aber möge wieder in einer Kate leben wie zuvor.« Im Nu war das geschehen.
Als der Jüngling, der Schwiegersohn des Kaisers, am nächsten Morgen erwachte, fand er sich wieder in seiner armseligen Kate. Er sagte seiner Mutter: »Mütterchen, ich werde meinen Esel, meine Katze und mein Hündchen nehmen und ausziehen, mein Schloß zu suchen.« Sie gingen und gingen und kamen endlich an einen Fluß, der schnell dahinströmte. Am Ufer des Flusses fand der Jüngling einen Fisch, der auf dem Trockenen lag. Er nahm ihn und warf ihn ins Wasser. Der Fisch dankte ihm für seine Güte und sagte: »Für die Wohltat, die du mir erwiesen hast, will ich dir etwas Gutes tun, ganz nach deinem Wunsch. Schneide nur eine meiner Flossen ab, und wenn du mich einmal brauchst, senge die Flosse an. Im gleichen Augenblick komme ich dir zu Hilfe.«Der Jüngling schnitt eine Flosse des Fisches ab und verwahrte sie wohl.
Einige Zeit später sah er sein Schloß. Da sandte er das Hündchen und die Katze vor, sie sollten sich ins Schloß schleichen, dem Araber den Ring nehmen und ihm diesen bringen. Die beiden gingen weg. Die Katze schlich sich ins Schloß, das Hündchen aber wartete vor dem Tor. Die Mäuse feierten damals eben Hochzeit. Als die Katze in den Saal kam, ergriff sie den Bräutigam. Da versammelten sich alle Mäuse um die Katze und baten sie, sie sollte den Bräutigam freilassen. Sie versprachen ihr, alles für sie zu tun, was sie nur wünschte, wenn sie ihnen bloß den Bräutigam freigabe.
Da sagte die Katze, sie wollte ihnen den Bräutigam zurückgeben, wenn
die Mäuse dem Araber den Ring nähmen und ihn ihr brächten. Sie belehrte sie, wie sie ihm den Ring nehmen könnten: Sie sagte ihnen: »Taucht eure Schwänze ins Wasser und dann in Asche. Wenn er schläft, steckt ihr ihm dann die Schwänze in die Nase. Dann wird er niesen, und der Ring wird ihm aus dem Munde fallen. Nehmt ihn und bringt ihn mir, dann gebe ich euch den Bräutigam.« Die Mäuse taten, wie geheißen, und brachten den Ring. Die Katze ließ den Bräutigam frei, nahm den Ring und ging hinaus. Das Hündchen erwartete sie draußen vor dem Tor. Die Katze rief ihm zu: »Lauf schnell, ich habe den Ring!« Und die beiden liefen weg.Als sie an einen Fluß kamen, sagte die Katze zum Hündchen: »Jetzt muß ich auf deinen Rücken steigen, damit wir über den Fluß kommen.« Das Hündchen legte sich, die Katze stieg auf seinen Rücken, und so schwammen sie über den Fluß. Als sie in der Mitte des Flusses waren, sagte das Hündchen zur Katze: »Gib mir den Ring, daß ich ihn trage. Tust du es nicht, so werfe ich dich in den Fluß.«Um ihn dem Hündchen zu geben, nahm die Katze den Ring aus dem Mund, und als sie ihn eben dem Hündchen geben wollte, fiel der Ring ins Wasser. Was nun?
Die beiden gingen zu ihrem Herrn, dem Holzfäller. Die Katze erzählte ihm, wie sie den Ring bekommen hatten, wie das Hündchen ihn gewollt hatte und wie der Ring in den Fluß gefallen war, als sie ihn hatte übergeben wollen. Da erinnerte sich der Bursche des Fisches. Er verbrannte ein Stückchen von der Fischflosse, die er bei sich trug. Da wurde es dem Fisch warm. Er kam gleich zum Burschen und fragte ihn: »Was willst du von mir? Hier bin ich!« Der Jüngling antwortete dem Fisch: »Mein Ring ist mir in die Mitte des Flusses gefallen. Kannst du ihn mir wiederbringen?« »Mit Leichtigkeit«, sagte der Fisch, »den bringe ich dir.« Im gleichen Augenblick tauchte er auf den Grund des Flusses, fand den Ring und brachte ihn dem Jüngling.
Als der Jüngling den Ring genommen und sich auf den Weg nach Hause begeben hatte, sagte er: »Ich will, daß ich sei wie zuvor. Das Schloß soll mein sein, der Araber und meine Frau sollen darin aber gemeinsam nur ein Zimmer haben.« Im Nu war geschehen, was er gewünscht hatte. Da lud der Jüngling seinen Schwiegervater, den Kaiser, zum erstenmal zu einem feierlichen Abendessen ein. Der Kaiser kam, aber die ganze Zeit hindurch, die er dort saß, fragte er nicht ein einziges Mal nach seiner Tochter. Nach dem Essen ging er durch das Schloß seines Schwiegersohnes, es zu besichtigen.
Da schloß der Schwiegersohn die Tür des Zimmers auf, in dem der Araber und die Kaisertochter wohnten, und erzählte dem Kaiser alles, was die beiden ihm angetan hatten. Als der Kaiser das sah und alles hörte, was sein Schwiegersohn ihm erzählte, zog er seinen Säbel und schlug dem Araber und der jungen Frau die Köpfe ab.Dann sagte er zu seinem Schwiegersohn: »Jetzt werde ich dir meine wirkliche Tochter zur Frau geben.«
Der Arme und sein Schicksal
Es war einmal ein armer Mann, der hatte fünf kleine Kinder. Bei Tag und Nacht arbeitete er, aber trotzdem ging er so manchen Abend hungrig zu Bett. Einst ging er Getreide mähen. Alle Arbeiter stellten sich in einer Reihe auf, um das Korn zu schneiden. Alle Mäher erreichten gemeinsam das andere Ende des Feldes und setzten sich dort nieder, auf den Armen zu warten, denn der war zurückgeblieben.
Der Arme schämte sich sehr, daß er beim Mähen zurückgeblieben war. Er war schweißgebadet, zum Teil von der schweren Arbeit, zum größten Teil aber vor Scham. Alle Landarbeiter neckten und verspotteten ihn. Abends gingen sie zurück ins Dorf.
Als sie an den Dorf rand gekommen waren, sah der Arme nach, ob er die Sichel auf der Schulter habe. Da sah er, daß er sie auf dem Felde vergessen hatte. Er ging sofort zurück, um sie zu suchen, denn er brauchte sie am nächsten Morgen wieder, um auf einem anderen Felde zu arbeiten. Als er aufs Feld kam, dämmerte es schon.
Er suchte und sah sich um, da bemerkte er eine Frau, die Ähren auf las und dabei etwas vor sich hin murmelte. Ganz leise ging er an den Rand des gemähten Feldes und versteckte sich dort, da er gern hören wollte, was die Ährenleserin sagte.
»Ich habe genug Mühe mit diesem Ährenlesen für meinen Hausherrn, dessen Schicksal ich bin«, sagte die Ährenleserin vor sich hin. »Aber ich habe auch einen Zorn auf das Schicksal des Armen, das stärker ist als ich. Immer liegt es auf der Seite und klimpert auf seiner Tamburitza, statt für ihn zu arbeiten, so wie ich für meinen Hausherrn arbeiten muß.«
Als der Arme das Schicksal so sprechen hörte, sprang er über den Graben, lief ihm nach und fragte: »Wer bist du denn, Schwester, daß du
hier Weizen stiehist?« »Ich bin das Schicksal des Herrn dieses Feldes. Ich sammle die Ähren, die ihr heute hier verstreut habt. Aber was suchst du denn hier, daß du von Hause hierher zurückgekommen bist, anstatt zu Abend zu essen?«fragte ihn das Schicksal.»Ich habe meine Sichel auf dem Felde verloren. Ich kam, sie zu suchen«, antwortete ihm der Arme.
»Ach, Brüderchen, die hast du doch auf der Schulter«, sagte da das Schicksal. »Das ist sehr häßlich von deinem Schicksal, daß es dich in eine Lage bringt, in der du nicht mehr weißt, ob du die Sichel auf deiner Schulter hast oder nicht. Dein Schicksal liegt auf der faulen Haut und spielt Tamburitza, du aber gehst jeden Abend hungrig schlafen. Doch ich will dir erzählen, was es heute gesagt hat, als es im Graben neben dem Feld saß. Es hat sich darüber gefreut, daß du nicht mit den anderen beim Mähen Schritt halten konntest, und auch auf das, was es dir morgen antun will, wenn du mähen wirst. Da wird es sich in einen Hasen verwandeln und dir zwischen die Füße laufen, damit du mit der Sichel den Hasen schlagest und dich dabei in den Fuß treffest. Dann wirst du nicht mehr arbeiten können und noch ärmer sein. Deshalb nimm morgen einen Sack mit und binde ihn dir zwischen die Beine. Wenn dann dein Schicksal in Hasengestalt hin und her springt, wird es schließlich in deinen Sack springen, ohne es zu merken. Ergreife es und prügle es mit dem Dreschflegel, dann wirst du sehen, wie es dich reich macht.« Am nächsten Morgen tat er, wie geheißen. Er fing sein Schicksal, das Hasengestalt angenommen hatte, in seinem Sack, warf es sich auf den Rücken und ging nach Hause. Dort schloß er Tür und Fenster, nahm seinen Dreschflegel zur Hand und drosch aus Leibeskräften auf den Sack los. Dabei rief er: »So ist das, Tamburitza möchtest du spielen und auf der faulen Haut liegen! In einen Hasen hast du dich verwandelt, daß ich mich in den Fuß schneide! Jetzt werde ich sehen! Du klimpere nur weiter auf deiner Tamburitza! Ich werde dazu auf dich losschlagen wie auf eine Trommel!«So rief er, drosch auf sein Schicksal ein und versprach ihm, es in den Brunnen zu werfen und zu ertränken.
Das arme Schicksal schrie und jammerte, bat und bettelte. Es versprach ihm, er sollte von nun an Fleisch essen und sehr reich werden, nur sollte er es nicht erschlagen. Es würde seine Tamburitza zerbrechen, auf der es gespielt hatte, und sich die Haare vom Kopfe arbeiten, um ihn reich zu machen.
Als der Arme es gehörig verdroschen hatte, band er den Sack auf und
ließ das Schicksal heraus. »So, und jetzt sage mir, was du kannst, damit ich sehe, wie ich reich werde«, sagte der Arme. »Denn aus diesem Zimmer lasse ich dich nicht heraus. Ich werde dich eine Woche lang festhalten, damit du mit mir leidest und meine Armut siehst, wie ich viele Abende samt meinen Kindern sogar ohne einen Bissen Brot schlafen gehe.«Das sagte ihm der Arme in seinem großen Zorn, und er schlug weiter mit seinem Dreschflegel auf es los, bis seine Frau, die ein weiches Herz hatte, nicht mehr wollte, daß er weiter auf sein Schicksal losschlage. Sie fing die Hiebe auf und bat ihn, er sollte aufhören.
Das Schicksal schüttelte sich und sagte: »Schlage mich nicht, sonst werde ich noch sterben, und du wirst immer arm bleiben. Schenke mir das Leben. Stehe morgen früh zeitig auf und gehe auf den Berg, hinter dem die Sonne immer untergeht. Dort wächst ein großer, schöner Nußbaum. Unter dem Nußbaum ist eine Quelle. Schöpfe Wasser aus dieser Quelle und gehe zum Kaiser. Sage ihm, daß du ein Arzt bist. Besprenge mit diesem Wasser die Kaiserstochter, und sie wird sofort gesunden. Der Kaiser wird dir so viel Geld geben, wie du verlangen wirst. Rufe überall aus, daß du ein Arzt bist und jede Krankheit heilen kannst. Doch eines sage ich dir: Kommst du zu einem Kranken, um ihn zu heilen, und siehst du, daß ihm der Tod zu Füßen steht, so fange an, ihn zu behandeln. Siehst du aber, daß der Tod ihm zu Häupten steht, dann unterlasse die Behandlung, denn der Kranke wird sterben. Wenn du mir nicht glauben willst, was ich dir gesagt habe, so gehe morgen zur Prinzessin. Versuche, was ich dir geraten habe. Dann aber lasse mich frei.«
Der Arme und seine Frau setzten sich zum Abendbrot und luden auch das Schicksal zu Tisch, daß es mit ihnen esse. Sie legten steinhartes schwarzes Roggenbrot auf den Tisch. Das Mehl war nicht gesiebt worden, es war noch alle Kleie darin. Der Mensch kann leicht sagen: »Wohl bekomm's.«Ein solches Brot nimmst du nicht einmal in den Mund, gar nicht davon zu reden, daß du es essest. Nur ganz hungrige Menschen können eine solche Mischung von Holz und Stein verzehren.
Statt eines Zubrots gaben sie ein wenig Salz in eine kleine Holzschüssel, und der Arme sagte zum Schicksal: »Ich bitte dich, greife zu, nimm Brot und Salz. Ich möchte auch gern zu Abend essen. Morgen aber möchte ich hören, was du sagen wirst. Wenn das Ganze wahr ist, werde ich dich in Ehren freilassen, wenn du mich aber betrogen hast, werde ich dich
erschlagen wie einen Hund.« Sie aßen Brot und Salz, der Arme aber schalt seine Kinder, wenn sie ein wenig von dem Salz nahmen, denn er hatte kein Geld, neues zu kaufen.»Siehst du, Schicksal«, sagte die Frau des Armen, »jetzt kannst du sehen, in welche Armut du uns gebracht hast. Nicht einmal der Kinder erbarmst du dich.«
»Weine nicht, Hausfrau, mache dir keine Sorgen. Viel war da, wenig ist geblieben. Wenn ich aber heute abend nicht von dem schrecklichen Klotz sterbe, den ich da gegessen habe, dann wirst du morgen abend sehen, welch einen Haufen Geld du hast. Von jetzt ab werde ich nicht mehr auf der Tamburitza spielen, ich werde sie in dreihundert Stücke zerschlagen, weil ich ihretwegen dieses Brot essen mußte!«
Als sie schlafen gingen, sperrten sie das Schicksal in ein Kämmerchen, damit es nicht in der Nacht entfiöhe. Am nächsten Morgen ging der Arme in aller Frühe nach der Quelle. Dann ging er in die Stadt und rief: »Arzt! Ein Arzt!« Als er am Tor des Kaisers vorüberging, hörte man ihn und rief ihn, die Prinzessin anzusehen. Vielleicht könnte er sie von ihrem Hautausschlag heilen. Als er sie untersucht hatte, besprengte er sie mit dem Wasser, und zur großen Verwunderung aller wurde sie zusehends gesund. Als die Prinzessin sah, daß sie wieder gesund war, ging sie mit großer Freude zum Kaiser. Den Arzt nahm sie mit. Der Kaiser gab dem Armen einen ganzen Haufen Geld und entließ ihn nach Hause. Er kam mit dem Geld nach Hause, kaufte alles, was zum Essen und zum Trinken nötig war, lud auch sein Schicksal zu allem ein, gab ihm Wäsche und Kleider und ließ es frei. Von dieser Stunde an arbeitete der Arme als Arzt und verdiente viel Geld. Aber auch sein Schicksal arbeitete Tag und Nacht, denn es hatte seine Tamburitza zerbrochen, die es früher stets von der Arbeit abgehalten, weil das Klimpern dem Schicksal so gut gefallen hatte.
Der Köhler und der Bär
Es war einmal ein Köhler, der lebte auf einem hohen Berge. Eines Tages kam zu ihm ein Bär, der sich einen starken Dorn in den Fuß getreten hatte. Der Fuß des Bären war von dem Dorn schon ganz vereitert. Als er zum Köhler kam, winkte er mit seinem Fuße, als wollte er sagen, daß dieser ihm weh tue, und den Köhler bitten, ihm zu helfen.
Der Köhler verstand, was der Bär wollte. Er ging zu ihm und zog ihm den Dorn heraus. Da tat dem Bären der Fuß nicht mehr weh. Der Köhler und der Bär schlossen Freundschaft und lebten nun zusammen. Als der Köhler und der Bär einmal schlafen gingen, sagte der Köhler zum Bären: »Ach, lieber Himmel, riechst du aber aus dem Maul!«
Der Bär entgegnete nichts darauf, sagte ihm aber: »Nimm deine Axt und schlage mich stark auf den Kopf. Tust du das nicht, so fresse ich dich!«
Der Köhler wußte sich nicht zu helfen und tat, wie der Bär es ihn geheißen hatte. Er hieb dem Bären eine tiefe Wunde in den Kopf. Darauf ging der Bär weg und kam lange Zeit nicht mehr zum Köhler zurück. Viele Jahre waren vergangen. Eines Tages begegneten der Bär und der Köhler einander wieder. Da zwang der Bär den Köhler nachzusehen, ob er auf seinem Schädel noch eine Narbe von dem Hieb mit der Axt fände. Der Köhler sah den Bären an und sagte zu ihm, er könnte nichts mehr finden.
Da sagte ihm der Bär: »Na, siehst du, die Axt hat keine Spur hinterlassen. Aber daran, daß du gesagt hast, ich röche aus dem Maul, muß ich immer noch denken!«
Darauf sprang er auf den Köhler los und fraß ihn.
Die Füchsin, der Igel und der Maulwurf
Der Igel und der Maulwurf wurden einst Gefährten und wollten gemeinsam ihre Landarbeit verrichten. »He, Brüderchen Maulwurf«, sagte der Igel, »welche Arbeit wollen wir zuerst anpacken?«
»Welche Arbeit wir zuerst anpacken wollen, Brüderchen Igel?« entgegnete der Maulwurf. »Zu allererst wartet das Feld auf uns. Das wollen wir pflügen. Ich werde es pflügen, und du wirst säen.«
»Gut«, sagte der Igel, »pflüge du, dann werde ich eggen.« Der Maulwurf spannte sich vor den Pflug und pflügte so schön, daß es eine Freude war, zuzusehen. Der Igel aber besäte das gepflügte Land und eggte es mit seinen Stacheln, indem er sich auf dem besäten Acker wälzte.
Die Ernte war sehr reich. Der Igel und der Maulwurf schnitten und droschen den Weizen. Dann nahmen sie ein Maß, den Weizen zu verteilen.
Doch sofort begannen sie zu streiten, denn der Igel wollte, daß sein Maß voller werde, weil er sich so sehr mit dem Eggen geplagt hatte. Der Maulwurf dagegen wollte, daß sein Maß besser gefüllt werde, da er sich doch beim Pflügen die Krallen beschädigt hätte.
Sie stritten und konnten sich nicht einigen. Sie begannen sich zu prügeln, sprangen einander in die Haare und rissen einander an den Schöpfen. Da kam zu ihrem Unglück die Base Füchsin daher. Ohne daß sie sie gerufen hätten, trat sie zu ihnen, um zu sehen, was dieser Lärm denn bedeute.
»Ach, da streitet ihr, der Igel und du, Maulwürfchen? Ihr streitet? Was habt ihr denn zu verteilen, und warum streitet ihr so?«fragte sie.
Auf ihre Frage antworteten die beiden der Base Füchsin. Sie sagten wie vor einem ehrlichen Richter aus, weshalb sie stritten, und baten, sie sollte ihnen den Weizen ganz ehrlich und gerecht verteilen, damit sie nicht mehr streiten müßten. Wie sie es bestimmen würde, so solle es ihnen recht sein.
»He, du Igelchen, ich gebe dir das Stroh, daß du darauf liegest. Dir aber, Maulwürfchen, gebe ich ein Maß Weizen. Das wird dir für den ganzen Winter reichen. Da ihr aber neun Scheffel und ein Maß Weizen und das Stroh zu verteilen habt, will ich das ganz richtig verteilen. Und so bleiben für mich, Füchsin, neun Scheffel Weizen, und die muß ich noch in die Mühle tragen. Seht, so habt ihr Gerechtigkeit wie einen Strick in der Tasche, wie man so sagt.«
Und sie trug den Weizen weg, den der Maulwurf und der Igel gesät und geerntet hatten.
Wie das Essen, so die Arbeit
Es waren einmal ein Pope und seine Frau, die hatten einen Knecht, der bei ihnen arbeitete, und ein Feld, das mit weißem Weizen besät war.
Der Pope und seine Frau waren sehr geizig. Sie sandten ihren Knecht mit einer Zwiebel und einem Stückchen trockenen Brotes aufs Feld. Auf dem Felde wuchs ein Birnbaum. Jeden Morgen, wenn der Knecht aufs Feld kam, blieb er unter dem Birnbaum stehen und sagte: »Guten Morgen, Birnbaum.«
Zur Antwort bekam er immer: »Auch dir einen guten Morgen, Knecht.«>Werden wir heute ernten oder schlafen? He, sehen wir doch
einmal in der Tasche nach, ob Brot darin ist oder etwas anderes<, sagte der Knecht zu sich. Er sah in die Tasche und sah, daß nur eine Zwiebel und ein Stückchen Brot darin waren. >He<, sagte er sich, >da kein großes Stück Brot und kein gebratenes Huhn in der Tasche sind, werden wir schlafen.<Sechs Wochen lang ging der Knecht aufs Feld, und stets sagte er dasselbe. Da sahen die Bauern, daß das Feld noch nicht abgeerntet war, und fragten den Popen: »Pope, warum erntest du dein Feld nicht ab?« Der Pope sagte ihnen: »Ich schicke meinen Knecht immer aufs Feld. Da dachte ich, er hätte schon geerntet. Was macht denn der Knecht, wenn er immer dorthin kommt?«
»Ja, was macht er wohl?« antworteten die Bauern. »Wenn du ihm ein gebratenes Huhn und ein großes Stück Brot gäbest, würde er ernten. Da du ihm aber nur eine kleine Zwiebel und ein kleines Stück Brot gibst, schläft er die ganze Zeit.«
Der Pope wollte es ihnen nicht glauben, er wollte mit eigenen Augen sehen, was der Knecht tat, und versteckte sich auf dem Felde. Als der Knecht wieder aufs Feld kam, sprach er wieder mit dem Birnbaum. »Guten Morgen, Birnbaum. Was tun wir heute, schlafen oder arbeiten? Warte, ich werde wieder einmal nachsehen, was in der Tasche ist.« Als er sah, daß wieder nur eine kleine Zwiebel und ein kleines Stück Brot in der Tasche waren, legte er sich unter den Birnbaum und schlief. Der Pope zeigte sich ihm nicht, sondern ging zu seiner Frau und erzählte ihr alles, was er gesehen hatte: Der Knecht arbeitete nicht und sprach nur mit dem Birnbaum.
Als der Knecht abends nach Hause kam, sagte ihm der Pope: »He, Sohn, das Feld ist noch nicht abgeerntet. Die Bauern sagten, morgen würden die Herren kommen, ihren Zehnten zu holen.«
Da sagte der Knecht zum Popen: »Wegen des Feldes, Pope, mache dir keine Sorgen. Das kann ich in einem einzigen Tage fertigmachen.«Der Pope entgegnete: »Vierzig Tage lang gehst du schon aufs Feld und hast es noch nicht abgeerntet. Wie willst du da in einem einzigen Tag fertig werden? Wahrscheinlich wünschest du dir etwas und arbeitest deshalb nicht.«
»Ja, und du weißt auch, was ich mir wünsche«, antwortete der Knecht. Da ging der Pope heimlich zu seiner Frau. »Jetzt aber, Frau, backe ihm ein großes Maisbrot, brate ihm ein Huhn und mache ihm einen Fladen.«
Des Morgens früh, als der Knecht noch schlief, füllte die Frau die Tasche des Knechtes mit diesen Speisen. Der Knecht nahm seine Tasche, wie es seine Gewohnheit war, ging aufs Feld und sagte zum Birnbaum: »Guten Morgen, Birnbaum. Werden wir heute schlafen oder arbeiten? Machen wir einmal die Tasche auf und sehen wir, was darin ist und was nicht.«
Als er die Tasche öffnete, sah er ein großes Maisbrot, ein gebratenes Huhn und einen Fladen. »So«, sagte er, »warte, daß ich mich satt esse. Heute gibt's keinen Schlaf, heute wird gearbeitet.« Gleich des Morgens aß er alles auf, fühlte sich angenehm satt und zog sich dann aus. Bis zum Mittag hatte er den Weizen geschnitten, bis zum Abend gebunden.
So arbeitet der Mensch, wenn er satt ist. Gib dem Körper zu essen, auf daß er dir diene!
Das kluge Mädchen
Ein kluger Mann hatte einen Sohn. Es kam die Zeit, daß der Sohn heiraten sollte, und weil der Vater die Mädchen aus dem eigenen Dorf kannte, sagte er sich: >Unter denen kann ich keine Braut finden, die für meinen Sohn gescheit und verständig genug ist.< Deshalb wollte er in einem anderen Dorfe eine Braut für seinen Sohn suchen.
Als er beschlossen hatte, seinen Sohn zu verloben, ging der Vater in ein anderes Dorf. Er wollte ein Mädchen ansehen, von dem es hieß, es wäre gar klug und verständig. Er kam in das Dorf und klopfte an die Tür des Mädchens. Das Mädchen öffnete und bat ihn einzutreten. Es hatte Vater und Mutter, Großvater und Großmutter. Aber gerade damals waren die nicht zu Hause, bis auf die Mutter. Alle waren an der Arbeit, nur die Mutter hockte in einer Ecke und flickte Hemden.
Weil der Alte aber gekommen war, um das Mädchen zu sehen und zu prüfen, ob es gut genug wäre, die Frau seines Sohnes zu werden, trat er ins Haus und begann ein Gespräch mit dem Mädchen.
»Hast du einen Vater?«fragte der Alte das Mädchen.
»Ja, ich habe einen«, antwortete das Mädchen.
»Wo ist er?«
»Er ging in die Mühle, ein wenig Mehl zu holen«, antwortete das Mädchen.
»Wird er bald kommen, oder wird es länger dauern?«
»Wenn er auf dem kürzeren Wege geht, wird es länger dauern«, sagte das Mädchen. »Wählt er aber den längeren Weg, so kommt er früher.« Der Alte konnte die Antwort des Mädchens nicht verstehen, deshalb fragte er weiter: »Hast du einen Großvater!«
»Ja, den habe ich«, antwortete das Mädchen.
»Wo ist er?«
»Auf dem Felde.«
»Was macht er auf dem Felde?«
»Einen wirft er um, und zwei richtet er auf«, sagte das Mädchen.
Der Alte verstand auch diese Antwort nicht und fragte weiter: »Hast du eine Großmutter?«
»Ja, die habe ich«, antwortete das Mädchen.
»Wo ist sie?«
»Beim Nachbarn.«
»Was tut sie dort?«
»Was sie ihm jetzt tut, hat sie ihm noch nie zuvor getan und wird sie ihm auch nie wieder tun«, antwortete das Mädchen.
Auch diese Antwort verstand der Alte nicht. Er wunderte sich über die Antworten des Mädchens. Dann fragte er: »Hast du eine Mutter?«
»Ja, die habe ich.«
»Wo ist sie?«
»Hier im Hause«, sagte das Mädchen.
»Was macht sie?«
»Aus zwei Alten macht sie ein Junges«, sagte das Mädchen.
Ohne etwas von den Antworten des Mädchens verstanden zu haben, ging der Alte nach Hause. Verwundert und gedankenvoll sagte er sich: >Dieses Mädchen ist entweder sehr gescheit oder sehr dumm.<
Als er so überlegte, traf er einen Freund. Er erzählte ihm von dem Mädchen und dessen Antworten und gab zu, daß er gar nichts verstanden hatte. Er fragte seinen Freund, ob dieser ihm die Antworten erklären könnte.
Der Freund merkte sofort, daß das Mädchen sehr klug war, und er war bereit, dem Alten alles zu erklären. Er sagte dem Alten: »Du kannst gar kein klügeres Mädchen finden als sie. Es ist das klügste unter allen Mädchen auf der Welt. Seine Antworten, die du dir nicht erklären konntest, bedeuten das Folgende. Höre zu: Es sagte dir, sein Vater würde von der Mühle eher zurückkommen, wenn er den längeren Weg nähme, und daß er sich verspäten würde, wenn er den kürzeren wählte.
Und zwar deshalb, weil die kürzeren Wege alle eng und krumm und steil sind. Da kann der Wagen leicht umfallen oder die Achsen können brechen. Da kann er natürlich viel später kommen, weil er Zeit braucht, um alles zu richten. Fährt er aber auf dem längeren Wege, der gerade und eben ist, dann kann er eher nach Hause kommen, auch wenn der Weg weiter ist.
Von seinem Großvater sagte das Mädchen, daß er auf dem Felde einen umwerfe und zwei auf richte, und es hatte recht. Warum? Der Großvater hat auf dem Felde einen Durchgang verschlossen, den die Ochsen sich durch den Zaun ins Feld gebahnt hatten. Das Mädchen hat gedacht, daß die Ochsen, die gewohnt waren, ins Feld zu gehen, sich zwei neue Durchgänge brechen würden, wenn sie den alten Durchgang verschlossen fänden. So würden sich die Rinder statt eines Durchganges zwei verschaffen. Deshalb sagte das Mädchen, sein Großvater würfe einen um und richtete zwei auf. Von seiner Großmutter sagte das Mädchen, daß sie dem Nachbarn täte, was sie ihm noch nie getan hätte und ihm auch nie mehr tun würde. Das bedeutete aber, daß der Nachbar gestorben war und die Großmutter ihm die Augen zugedrückt hatte. Deshalb tat sie ihm etwas, was sie nie zuvor für ihn getan hatte und ihm auch nie mehr tun würde.
Schließlich sagte das Mädchen von seiner Mutter, sie machte aus zwei Alten ein Junges. Die Mutter flickte Hemden und machte aus zwei alten Hemden ein neues Hemd.«
Der Alte staunte sehr über die Klugheit des Mädchens und ging freudig nach Hause, und wenige Tage später hielt er für seinen Sohn um das Mädchen an.
Die alten Leute auf dem Berge
In alten Zeiten herrschte in einem Kaiserreich die Sitte, die Menschen, wenn sie alt waren und nicht mehr arbeiten konnten, in die Berge zu tragen, wo sie Hungers sterben mußten. Ein Jüngling lud, dieser Sitte gemäß, seinen Vater auf seine Schultern und trug ihn in die Berge. Als er ihn an eine gewisse Stelle gebracht hatte, hob er ihn von seiner Schulter und legte ihn auf den Boden.
»Ich bitte dich, Sohn«, sagte der Alte, »laß mich nicht an dieser Stelle sterben, sondern trage mich ein wenig höher.«
»Warum paßt dir diese Stelle nicht, Vater?«fragte der Jüngling.
»Aber, lieber Sohn, wie kann jemandem das Grab seines Vaters gefallen?« fragte der Vater. »Als ich in deinen Jahren war, habe ich meinen Vater auch hierhergebracht, als er alt geworden war, damit er Hungers stürbe, so, wie ich jetzt sterben werde. Schau, mein Kind, deshalb will ich nicht, daß du mich hier lassest. Ich bitte dich, gehorche mir noch dieses eine Mal und trage mich ein wenig höher.«
Auf die Bitten des Alten trug ihn der Sohn ein wenig höher hinauf in die Berge. Doch als er ihn so trug, überlegte er die Worte seines Vaters und sagte sich: >Verflucht sei der Mensch, der diese Sitte eingeführt hat, daß man die eigenen Väter in die Berge trage und sie dort Hungers sterben lasse, ohne daß wir denken, daß der Mensch das, was er einem anderen zufügt, auch selbst zurückerhält. Wird mein Sohn mich auch hierhertragen, wenn ich alt bin, wie ich es meinem Vater tue? Werde auch ich Hungers sterben? Nein, ich werde meinen Vater wieder nach Hause tragen. Ich werde ihn pflegen, und er soll sterben, wann er will. Vielleicht werde ich mit dem, was ich tue, diese Sitte abschaffen. Damit mich aber meine Freunde und Nachbarn nicht verlachen, werde ich meinen Vater heimlich nach Hause bringen und verborgen halten.< Als er alles genau überlegt hatte, trug er seinen Vater abends in der Dämmerung wieder nach Hause. Zu Hause legte er ihn in ein Zimmer und pflegte ihn so, wie man seinen Vater pflegt. Niemand, kein Nachbar und kein Freund, wußte, daß der Jüngling seinen Vater wieder im Hause hatte. Jeden Abend, wenn der Jüngling vom Basar nach Hause kam, befragte er seinen Vater über die Dinge, die er an diesem Tage gesehen und gehört hatte. So lernte er täglich etwas von seinem Vater. Der Jüngling bedankte sich sehr, und sein Vater wunderte sich darüber.
Der Kaiser, der in dieser Stadt lebte, war sehr traurig darüber, daß man die alten Leute in die Berge trug, um sie dort Hungers sterben zu lassen. Doch da es beim Volk einmal eine Sitte war, konnte der Kaiser nichts ausrichten. Trotzdem überdachte und überlegte er, wie er die Söhne davon abbringen könnte, ihre Väter in die Berge zu tragen. Deshalb beschloß er, alle Söhne, die einen alten Vater hatten, zu zwingen, eine Kette aus Sand zu machen. Er befahl, es sollten sich alle diese Söhne an einem bestimmten Tage versammeln, die, die noch einen Vater hatten, und die, die keinen mehr hatten. Als sie den Befehl des Kaisers hörten, traten alle Söhne vor den Kaiser.
»Hört zu«, sagte der Kaiser. »Ich will, daß ihr mir eine Kette aus Sand machet. Ich gebe euch drei Tage Zeit. Wenn ihr sie macht, ist es gut, wenn nicht, werde ich euch die Köpfe abschlagen lassen.«
Als die jungen Männer dies hörten, verneigten sie sich vor dem Kaiser und machten sich daran, eine Kette aus Sand anzufertigen. Alle kamen an einer Stelle zusammen und begannen die Kette aus Sand. Sie klebten und klebten, aber es gelang ihnen nicht, aus dem Sand eine Kette zu machen.
An den beiden ersten Abenden sprach der Jüngling, der seinen Vater wieder aus den Bergen heimgetragen hatte, kein Wörtchen mit seinem Vater.
Der Alte sagte ihm: »Geliebtes Kind, warum bist du seit zwei Abenden so stumm und traurig?«
»Wie sollte ich fröhlich sein?«entgegnete der Jüngling. »Ich habe ja nur noch bis morgen zu leben. Denn morgen wird uns der Kaiser alle umbringen, weil wir keine Kette aus Sand machen können.«
»Hmm, deshalb also bist du in Sorgen! Gut, daß ich lebe«, sagte der Alte. »Sieh, ihr sagt dem Kaiser folgendes: >Erlauchter Kaiser, wir haben angefangen, eine Kette aus Sand zu machen, doch unsere Arbeit hat keinen Sinn. Denn niemand weiß, ob dir die Kette gefallen wird, die wir begonnen haben. Deshalb sind wir gekommen, dich um ein Muster zu bitten, damit wir wissen, welch eine Kette wir dir machen sollen, eine dicke oder eine dünne.<
Als der Kaiser die Worte des Jünglings hörte, trat er zu ihm und fragte ganz verwundert, wie er zu diesen Worten gekommen wäre.
»Jüngling«, sagte der Kaiser, »wie kamst du zu diesen Worten, die du mir gesagt hast? Sage es mir, damit ich wisse, von wem du diese Worte gehört hast.«
Der Jüngling erzählte freudig dem Kaiser, sein Vater hätte sie ihn gelehrt. Der Kaiser fragte ihn genau aus, was er mit seinem Vater gemacht hätte. Der Jüngling erzählte ihm, wie er seinen Vater auf den Schultern in die Berge getragen, was der Vater ihm dort gesagt und wie er ihn wieder heimgebracht hatte und wie ihm der Vater geraten, was er dem Kaiser sagen sollte. Schließlich sagte er: »Siehe, erleuchteter Kaiser, das habe ich von meinem Vater gelernt.«
Als der Kaiser hörte, daß die Klugheit des Alten die Antwort erdacht hatte, die der Jüngling ihm gegeben, freute er sich, denn nun hatte er einen Grund gefunden, die alten Männer vor dem Tode zu bewahren.
»He, ihr Jünglinge, habt ihr gesehen, wie ein Alter euch das Leben gerettet hat? Seht, soviel ist ein alter Mensch wert. Mit einem einzigen Wort rettet er so viele Jünglinge vor dem Tode. Deshalb hegt und pflegt die Alten, bis der Tod von selbst kommt, denn wir brauchen die Alten wie den Brunnen vor dem Hause.« Da begriffen alle Jünglinge, daß man die alten Männer in schlimmen Augenblicken braucht: Sie schafften die Sitte ab, die alten Leute umzubringen, und so ist es bis zum heutigen Tage geblieben.
Der Bursche und die Katze
Es war einmal ein Junge bei einem Kaufmann im Dienst. Er arbeitete schon ein ganzes Jahr lang, und am Ende des Jahres bezahlte ihm der Kaufmann seinen Lohn, soviel ihm zustand. Der Junge aber gab ihm das Geld zurück und behielt nur drei Heller. Dann ging er an den Fluß und warf diese drei Heller ins Wasser, um zu sehen, ob sie wohl auf den Grund fielen. Kaum hatte er sie losgelassen, da waren sie schon auf den Grund gefallen.
Im zweiten Jahr tat er dasselbe. Im dritten Jahr aber fielen die drei Heller nicht auf den Grund, und so behielt er sie mit gutem Recht.
Auch im vierten Jahr blieb er noch bei dem Kaufmann im Dienst. Da beschloß der Kaufmann, auf den Markt zu fahren. Der Junge gab ihm seine drei Heller, er sollte ihm dafür etwas auf dem Markte kaufen. Der Kaufmann nahm die drei Heller und lächelte. »Ach, für die drei Heller werde ich dir auf dem Markte eine Flöte kaufen«, sagte er ihm ganz ruhig. Dem Jungen aber gefielen die Worte seines Herrn nicht.
»Meister«, sagte er ihm, »ich bitte dich, nimm mich mit auf den Markt, da kann ich dir unterwegs dienen.« Der Meister war damit einverstanden, und beide machten sich auf den Weg nach den Markt. Ehe sie auf ihr Schiff stiegen, sah der Junge, wie drei Kinder ein Kätzchen schlugen. Dem Jungen tat das Kätzchen leid, deshalb wollte er es aus den Händen der Kinder retten, doch die Kinder wollten seine Bitten nicht erhören und das Kätzchen totschlagen. Schließlich kaufte ihnen der Junge das Kätzchen um einen Heller ab und rettete ihm das Leben. Er nahm es und ging mit ihm zu seinem Dienstherrn.
Sie stiegen auf das Schiff und fuhren über das Meer. Als sie so eine Zeitlang gefahren waren, erhoben sich mächtige Wellen und trugen das
Schiff aus seinem Wege und an eine Insel. Die Mannschaft band das Schiff am Ufer fest, und alle gingen auf die Insel. Einige Leute auf der Insel luden den Meister und den Jungen zum Abendessen in ein Haus. An diesem Abend kamen in dem Hause, in dem der Kaufmann und der Junge waren, einige Einheimische ins Gespräch.Als die Gäste sich zum Abendessen niedersetzten, gaben die Leute von der Insel ihnen Stöckchen in die Hand und sagten ihnen, sie sollten sich damit wehren, denn es würden viele Mäuse kommen und versuchen, ihnen das Brot wegzunehmen.
Als der Junge das hörte, holte er sein Kätzchen. Er nahm es aus dem Sack und hielt es auf dem Arm, um abzuwarten, bis die Mäuse kämen. Kaum lag das Brot auf dem Tisch, da kamen die Mäuse in hellen Scharen. Der Junge ließ das Kätzchen los, und als das Kätzchen die Mäuse packte und erwürgte, piepsten die Mäuse und flohen Hals über Kopf, soweit sie sich noch retten konnten.
Die Katze hatte etwa die Hälfte der Mäuse getötet. Die anderen aber versteckten sich in ihren Löchern.
Als die Leute auf der Insel sahen, daß das Kätzchen so tüchtig war, staunten sie sehr und baten den Jungen, er sollte es ihnen verkaufen. Der Kaufmann sah, daß das Kätzchen an diesem Ort sehr dringend gebraucht wurde. Da fragte er die Leute, wieviel Tausende sie ihm geben würden, wenn er ihnen das Kätzchen dortließe, damit es ihnen die Mäuse vernichte und sie von der Mäuseplage befreie.
»Soviel du verlangst, so viel geben wir dir, nur erbarme dich, bitte, und verkaufe uns das Kätzchen«, sagten ihm die Leute.
Sie gaben ihm so viel Geld, wie er wollte, dann aber fuhren der Kaufmann und der Junge auf den Markt, zu dem sie auf dem Weg gewesen waren. Der Junge kaufte doppelt soviel Ware wie sein Dienstherr und wurde ein großer Kaufmann.
So vermehrt sich ehrlich erworbenes Geld.
Der Lügenwettstreit
Es waren einmal drei Brüder, die hatten ein Haus, das dreitausend Groschen gekostet hatte. Da war auch ein alter Mann, der hatte eine sehr schöne Tochter, die kaum zwanzig Jahre alt war. Es gab keinen Jüngling weit und breit, der sie sich nicht zur Frau gewünscht hätte,
so schön war sie. Doch der Alte wollte sie nur einem Jüngling geben, der ihn im Lügen übertreffen könnte. Wenn er den Alten im Lügen überträfe, würde er die Tochter zur Frau erhalten. Log aber der Alte besser als der Jüngling, dann müßte dieser dem Alten dreitausend Groschen bezahlen.Die drei Brüder wußten, daß der Alte eine sehr schöne Tochter hatte, und jeder von ihnen hätte sie gern zur Frau bekommen. Doch keiner wollte den anderen zugeben, daß er sie liebte. Da beschlossen sie, ihr Haus zu verkaufen, ihr Erbe zu teilen und sich mit dem Alten in einen Wettstreit einzulassen. Eines Tages verkauften sie ihr Haus und teilten ihr Geld. Ein jeder erhielt dreitausend Groschen.
Zuerst ging der älteste Bruder zum Alten. Er gab ihm seine dreitausend Groschen, damit der Alte sie aufbewahre, während sie um die Wette logen.
Der alte Mann brachte einen großen Fladen und tat so, als wollte er ihn brechen. Dann sagte er zum ältesten Bruder: »He, Bursche, hast du schon einmal einen so großen weißen Fladen gesehen?«
»Brüderchen, wo sollte ich einen so großen Fladen gesehen haben?« antwortete der Jüngling. »Diesen Fladen muß ja jeder Mensch bestaunen.«
»Siehst du, Jüngling, wie ich dich im Lügen übertölpelt habe?« entgegnete der Alte. »Wenn du jetzt noch dreitausend Groschen hast, dann wollen wir nochmals lügen. Hast du sie aber nicht, so gehe von hier weg, daß ich bald deine Schultern sehe. Stehe schnell auf und gehe.« Auf diese Worte des Alten stand der Jüngling auf und ging nach Hause. Zu Hause nahm er eine Haue auf die Schulter und wurde Tagelöhner in einem Weinberg.
Einige Wochen später ging auch der mittlere Bruder zum Lügenwettstreit, doch auch er konnte nicht besser lügen als der Alte, verlor seine dreitausend Groschen und kam ganz gebrochen nach Hause.
Der jüngste Bruder merkte, daß seine beiden Brüder beim Alten gewesen waren und ihr Geld verloren hatten. »Warte nur«, sagte der Jüngling, »der alte Lügner wird sehen, welch ein Mann ich bin und wie ich seine Tochter zur Frau nehmen werde.«
Eines Morgens ging er zum Alten. Als er in dessen Hof geritten kam, sah die Tochter des Alten ihn vom Fenster aus, und ihr Herz brannte für ihn. Denn er war sehr schön und hatte einen stolzen Gang. Als er den Alten begrüßt hatte, gab der Jüngling dem Alten seine dreitausend
Groschen, so wie der Alte es gewohnt war. Sofort brachte der Alte einen großen Fladen. »He, Jüngling, hast du schon einen so großen Fladen gesehen?«fragte er ihn.»Aber, Großvater, wenn du den Fladen gesehen hättest, den mein Vater hatte, Gott möge ihm seine Sünden verzeihen! Der war tausendmal größer und schöner als deiner. Alle Krieger des Kaisers hat er damit bewirtet, den Armen hat er davon gegeben, uns hat er davon gespeist, den Nachbarn hat er davon geliehen, er hat davon Kranken Geschenke gebracht, und dennoch ist er ganz geblieben. Hast du gehört, Alter, was ich dir gesagt habe?«
»Vielleicht war es wirklich so«, sagte der Alte. »Was es nicht alles auf der Welt gibt!«
»He, Alter, hast du noch eine Lüge?«fragte der Jüngling darauf. »Oder gibst du mir jetzt deine Tochter und meine dreitausend Groschen?« »Ach, Tochter«, sagte der Alte da zu seiner Tochter, »bringe doch das Rebhuhnpferd her, daß der Jüngling es sehe.«
Das Mädchen ging weg und holte ein großes Rebhuhn, das wie ein Pferd geschirrt war und Sattel und Steigbügel trug. »He, Jüngling, hast du schon ein solches Pferd gesehen?«
»Aber, Alter«, antwortete der Jüngling, »dein Pferd läuft ja auf der Erde. Mein Vater aber hatte ein Hahnenpferd, das flog unter dem Himmel und lief auf der Erde besser als dieses Rebhuhnpferd da.
Höre, Alter, welches Wunder mein Vater mit seinem Hahnenpferd verrichtet hat:
Wir hatten einen Bienenstock, von dem wir so viel Honig entnahmen, daß wir Süßigkeit in jedes Haus brachten. Allen unseren Nachbarn konnten wir Honig geben. Die Bienen dienten uns aber auch als Ochsen und Kühe. Die einen haben wir gemolken, andere haben wir angeschirrt, um mit ihnen zu pflügen. Jeder Biene hatte mein Vater einen Namen gegeben. Eine hieß Schwarzauge, eine andere Blässe, die dritte Birke, die vierte Grauchen und die fünfte Weißchen. So hatte mein Vater jeder einen anderen Namen gegeben. Weil er sie sehr liebte, saß er jeden Abend vor dem Bienenkorb, empfing die Bienen, die von der Weide kamen, und zählte sie, wie man die Schafe zählt, bevor sie geschoren werden. Wenn eine geflogen kam, um in den Korb zu schlüpfen, streichelte mein Vater sie mit seinen Händen. Wenn du wüßtest, Alter, wie lieb sie waren! Genau wie kleine Lämmchen!
Eines Abends zählte mein Vater sie. Da bemerkte er, daß zwei Bienen
nicht nach Hause gekommen waren. Schwarzauge und Blässe fehlten. Am nächsten Morgen sattelte er in aller Frühe sein Hahnenpferd, setzte sich auf seine Schultern und ritt schnell aufs Feld, die Bienen zu suchen.Er suchte sie hier, er suchte sie dort, und als er so um sich blickte, sah er, daß ein Mann auf dem anderen Ufer des Sees mit den beiden pflügte. Er wollte sie holen, doch es führte keine Brücke über den See, über die er hätte gehen können. Es war auch kein Boot da, in das er hätte steigen können. So stand er am Ufer des Sees und grübelte, wie er hinüberkäme, um seine Bienen zurückzuholen. Alter, wärest du an seiner Stelle gewesen, du hättest auch versucht, hinüberzukommen, denn sein Gut ist jedem Menschen teuer. Ist es nicht so?«
»Ja, so ist es, Jüngling«, antwortete der Alte. »Es ist wahr, sein Gut ist jedem Menschen lieb.«
»Nun, steht es so, dann gib mir deine Tochter und plage mich nicht mehr, daß ich dir noch etwas vorlüge. Doch laß mich zu Ende lügen, und dann sieh und erkenne deinen Meister, Alter«, entgegnete der Jüngling und erzählte weiter:
»Dann, Alter, als mein Vater so in Gedanken mit der Hand in der Tasche dastand, fand er einen Kürbissamen, den er sofort in die Erde steckte. Während der Zeit, da er ein wenig hin und her schaute, wuchs der Kürbis, und seine Triebe wuchsen über den See wie eine Brücke. Alter, wenn du willst, kannst du's glauben, wenn nicht, glaube es nicht!
Als mein Vater sah, daß die Kürbisranken über den See reichten, gab er dem Hahnenpferd die Sporen, es sprang von Blatt zu Blatt und kam so zu dem Mann, der meinem Vater die zwei Bienen genommen hatte. Mein Vater stritt heftig mit dem Mann. Er machte ihm seine Schande klar, weil er fremde Ochsen benützt hatte. Dann nahm er die beiden Bienen, setzte sie aufs Hahnenpferd und ritt über die Kürbisranken wieder nach Hause.
Als wir sahen, daß er die Bienen wiedergefunden hatte, liefen wir ihm freudig aus dem Hause entgegen. Wir standen um die Bienen herum, wir küßten und liebkosten sie. Weil aber das Hahnenpferd schwitzte, nahm ihm mein Vater den Sattel ab, um ihm den Schweiß abzuwischen. Als er es aber so ansah, merkte er, daß der Sattel ihm eine schreckliche Wunde gerieben hatte. Meine Großmutter war eine Ärztin, die mit Pflanzen heilen konnte. Sie nahm eine grüne Nuß, zerschlug sie mit
einem Holzscheit auf einem Stein und legte sie auf die Wunde des Hahnes.Innerhalb von vierundzwanzig Stunden wuchs daraus ein riesiger Nußbaum, wie wir noch nie einen gesehen hatte. Welch ein Wunder! Der Nußbaum schlug Wurzeln, die Nüsse wurden reif und fielen auf die Erde. Als die Dorfkinder sie aufklaubten, warfen sie noch Erdklumpen und Stöcke auf den Baum. Da entstand auf dem Nußbaum ein großes Feld, weil von den Erdklumpen so viel Erde dort zusammengekommen war.
Als mein Vater sah, daß dort ein Feld entstanden war, kletterte er mit zwei Bienen hinauf, pflügte und legte einen Melonengarten an. Wenn du willst, glaube es, wenn nicht, mußt du es nicht glauben, Großvater: Nach vierundzwanzig Stunden waren die Melonen schon reif.
Als ich sah, daß die Melonen reif waren, habe ich, weil ich doch noch ein Kind war, die größte abgerissen und durchgeschnitten, und was fand ich darin? Eine Schlange, die war zusammengerollt wie ein Fladen. Vor lauter Schrecken warf ich sie auf die Erde. Ich trat mitten auf sie, und in ihrer Angst hat die Schlange mir einen kaiserlichen Befehl gezeigt, sieh her, so groß war er! Hast du gehört, Großvater, was ich dir gesagt habe, oder hast du es nicht gehört?«
»Ich habe es gehört, Sohn. Doch warum hast du den kaiserlichen Befehl nicht gelesen?«fragte der Alte.
»Wer sagt dir, daß ich ihn nicht gelesen habe? Nicht einmal, nein, dreimal habe ich ihn gelesen«, antwortete der Jüngling. »Und weißt du, was in dem kaiserlichen Erlaß stand?« sagte der Jüngling weiter. »Der Alte soll dir seine Tochter geben und nicht soviel reden!«
Dem Alten blieb nichts anderes übrig, als ihm seine Tochter zu geben, und das tat er auch.
Die Bruderliebe siegt
Es waren einmal zwei Brüder. Als ihr Vater noch lebte, arbeiteten sie nach seinen Befehlen. Der eine ging auf dem Hof umher, der andere hütete die Schafe. Als der Vater starb, übernahm der ältere Sohn das Haus, der jüngere aber arbeitete immer auf dem Felde. Er gehorchte seinem Bruder, wie es sich gehört, und kam nur selten ins Haus. Der ältere Bruder aber tat nichts, sondern saß nur zu Hause, empfing
Freunde, hielt gute Pferde, Jagdhunde und Falken und lebte wie ein Herr.Innerhalb weniger Jahre wurden die beiden noch reicher. Der ältere Bruder hatte geheiratet, der jüngere aber nicht. Er kam nur von Zeit zu Zeit nach Hause. Als er einst nach Hause ging, begegneten ihm ein paar Bauern, die die Brüder beneideten und Zwist zwischen ihnen säen wollten. Sie sagten ihm: »Bist du nicht auch ein Sohn deines Vaters?«
»Warum sollte ich es denn nicht sein?« antwortete er ihnen. Da sagten ihm die Bauern: »Na, wenn du es bist, warum lebst du so wie ein Knecht? Immer an der Arbeit bei den Schafen und auf den Feldern. Auf dich regnet es, du stehst im Gewitter, die Sonne brennt dich, und zu deinem Unglück bist du geworden wie kein anderer. Dein älterer Bruder aber lebt wie ein Herr, schön gekleidet, ißt und trinkt sich satt, in Freuden und Ehren. Bist du vielleicht sein Diener? Daß wir es einmal sehen, sage ihm, er solle von jetzt an zur Arbeit gehen, und du sitze zu Hause. Dann wirst du sehen, ob er dein rechter Bruder ist oder nicht.«
Der jüngere Bruder sagte nichts, aber es begann an seinem Herzen zu nagen. Er ging in der Nacht nach Hause und überschlief die Angelegenheit. Als er frühmorgens erwachte, fragte ihn sein Bruder, wie er die Nacht verbracht habe.
Er antwortete: »Kein Auge habe ich zugetan.« »Warum nicht?«fragte der ältere Bruder.
»Sieh, seit unser Vater gestorben ist, bin ich bei Tag und bei Nacht unter dem klaren Himmel. Nach Hause komme ich nur einmal im Jahr. Ich kenne niemanden, ich habe keinen Freund und keinen Feind. Wird auch einmal die Zeit kommen, da ich von Hause weggehe und heirate wie du? Wie werde ich fürs Haus sorgen, da ich niemanden kenne? Und da ich mich auch nicht aufs Haus verstehe? Weil ich darüber nachgedacht habe, konnte ich die ganze Nacht lang nicht schlafen. Ich habe beschlossen, dich zu bitten, die Arbeit mit mir zu tauschen. Ich möchte einige Jahre lang zu Hause sein, während du an meine Arbeit gehst.« »Sehr gut, Bruder«, sagte der Ältere mit kaum unterdrücktem Zorn. »Bleibe du eben hier, und ich gehe an deine Arbeit. Nur heute möchte ich gern noch einmal auf die Jagd gehen und dann mit dir essen. Morgen aber werden wir tauschen.«
Er sprang wütend auf und ging, sein Pferd zu satteln. Dann rief er seine Frau in den Pferdestall und sagte ihr: »Höre, heute habe ich meinem
Bruder gesagt, daß ich auf die Jagd gehe. Ich habe meinem Bruder auch gesagt, daß ich nicht komme. Brate ein Lämmchen und gib Gift hinein. Decke den Tisch für ein feierliches Mahl und lade auch meinen Bruder zum Essen ein. Passe aber auf! Wenn ich dich nicht im Hause jammern höre, wenn ich zur Vesperzeit zurückkomme, wird es dich deinen Kopf kosten!«So sprach er zu seiner Frau, setzte sich aufs Pferd und ritt im Galopp mit seinen Hunden und Falken auf die Jagd.
Seine Frau blieb stehen, als habe man sie vor den Kopf geschlagen. Lange stand sie wie versteinert da. Als sie wieder zu sich kam, dachte sie nach, was sie tun sollte. Sollte sie selber sterben, oder sollte sie ihren Schwager vergiften? Schließlich entschied sie sich dafür, alles dem Schicksal zu überlassen. Es sollte geschehen, wie es eben käme. Rettete sie sich vom Tode, so war es gut. Starb sie, so würde es besser sein, als wenn sie ihren Schwager vergiftete.
Sie briet das Lamm, bereitete das Mittagsmahl, und als die Zeit gekommen war, deckte sie den Tisch. Sie rief ihren Schwager, er solle zu Tisch kommen.
Er aber antwortete: »Was soll ich zu Tisch kommen, wenn mein Bruder noch nicht da ist, der mir versprochen hat, mit mir zu speisen?«
Der jungen Frau wurde es schwer ums Herz, als sie sah, wie sehr ihr Schwager ihren Mann liebte und wie sehr ihr Mann seinen Bruder haßte. Sie warf sich ihm an den Hals und weinte bitterlich, schluchzte und konnte nicht sprechen. Ihr Schwager hielt sie bestürzt fest und bat sie, sie solle ihm sagen, warum sie so weine. Da sagte sie ihm: »Ach, Schwager, ich habe nur noch heute zu leben.«
»Warum, meine Seele, sagst du das?« entgegnete er.
Da sagte sie ihm: »Ich bin so traurig, weil du nicht ohne meinen Mann zu Tisch gehen willst. Er aber hat mir aufgetragen, dich zu vergiften, und hat mir gedroht, mich zu töten, wenn er nicht Jammern und Klagen im Hause hört, wenn er von der Jagd kommt. Ich aber sage dir, ich will keine solche Sünde begehen.« Als ihr Schwager das hörte, sagte er ihr: »Ach, Schwägerin, mache du dir keine Sorgen. Solange ich meinen Kopf noch auf den Schultern habe, wirst du nicht sterben. Wir wollen aber sehen, was mein Bruder tut, wenn er mich tot sieht. Deshalb wollen wir Leute nach dem Kreuzweg senden, die aufpassen sollen, wann er zurückkommt. Wenn er heimkehrt, setze meine Mütze auf meinen Kopf, zünde neben meinem Kopf eine Kerze an und beweine mich.«
Sie taten alles, wie sie es besprochen hatten.
Als der ältere Bruder auf die Jagd gegangen war, wohin er immer ging, mühte er sich sehr, konnte aber zu seiner großen Verwunderung kein Wild erlegen. Das war ihm noch nie widerfahren. Auf dem Heimweg aber sah er hoch am Himmel einen kleinen Adler. Auf den ließ er zwei seiner Falken los, die er mitgenommen hatte.
Wie der Blitz schnellten die Falken sich in die Höhe, nahmen den Adler in die Mitte und kämpften mit ihm. Nach einiger Zeit brachten sie ihn langsam herunter. Plötzlich war er so tief, daß der Hausherr ihn fing und ihm sagte: »Hast du gesehen? Auch du, der du so hoch unter den Wolken fliegst, kannst meinen Händen nicht entgehen.«
Der kleine Adler aber weinte bitterlich und sagte: »Ach, wenn mein Bruder noch am Leben wäre, hätten mir nicht nur deine zwei Falken nichts getan, nicht einmal zwanzig hätten mir etwas tun können. Dem soll die Hand vertrocknen, der ihn getötet hat!« »Wer hat ihn denn getötet?«fragte der Jäger.
»Ach«, antwortete der kleine Adler, »eines kalten Wintertages waren wir in einem heftigen Schneesturm mitten über dem Schwarzen Meer. Der Sturm hat ein kleines Schiff vor sich hergejagt. Wir wollten uns auf das Schiff setzen, um auszuruhen. Kaum aber hatte mein Bruder ein Seil dieses Schiffes berührt, da hat ein Matrose - die Hand möge ihm verdorren! —ihn so geschlagen, daß er ins Wasser gefallen ist. Weil ich jetzt ohne ihn bin, bin ich hilflos, und in Schwierigkeiten wie jetzt kann ich mich nicht einmal zweier Falken erwehren.«
Als der Jäger diese Worte hörte, dachte er plötzlich an seinen Bruder. Von Reue geplagt, ließ er den kleinen Adler fliegen, spornte sein Pferd und jagte, so schnell er konnte, nach Hause. Das Pferd rannte und rannte, bis es zusammenbrach. Der Jäger ließ es liegen und lief zu Fuß weiter. Als er sich seinem Hause näherte, sahen ihn die Knechte und meldeten zu Hause seine Ankunft. Der jüngere Bruder legte sich hin und tat, als wäre er tot, seine Schwägerin aber jammerte gar schrecklich und weinte. Als der Jäger das hörte, eilte er noch mehr. Kaum war er zu Hause, da zog er seinen Säbel und stürzte sich auf seine Frau, um sie zu töten. Dabei schrie er: »Oh, du hast mir meinen Bruder vergiftet!«
Als der jüngere Bruder das hörte, sprang er auf und rief: »Bruder, krümme meiner Schwägerin kein Haar! Sie hat mich nicht vergiftet, das wolltest du tun!«
Da warf sich der ältere Bruder dem jüngeren an den Hals und rief: »Ach, Bruder, lebst du? Lebst du wirklich, Bruder? Lebst du?« Er überschüttete ihn mit Tränen, er küßte ihn, er beichtete ihm seine Sünden und erzählte ihm alles, was er mit dem kleinen Adler erlebt hatte.
Beide weinten sehr lange und küßten einander, und von dieser Zeit an lebten sie brüderlich und stritten niemals mehr miteinander.
Das Fleisch kam gar z allein ins Haus
Es war einmal ein Esel, der wollte nicht mehr arbeiten. Deshalb entlief er und suchte sich ein Stellung, wo er nicht mehr zu arbeiten brauchte. Unterwegs begegnete ihm ein Hammel, der fragte: »Sei mir gesund, und wie geht es dir, Freund?«
»Ich kann es nicht mehr ertragen«, sagte der Esel.
»Wenn irgendwo eine Hochzeit ist, heißt es: Heidi, Esel, trage Wasser. Holz muß der Esel holen, Mist muß der Esel auf die Felder tragen, und das alles hungrig, weil man mir höchstens eine Handvoll Stroh gibt oder das, was die Pferde übriglassen, oder trockenes Laub. Der Esel soll das fressen oder zerspringen. Am nächsten Tage aber wieder zur Arbeit, Wasser tragen, Holz holen. Diese Marter kann ich nicht mehr ertragen! Ich bin davongelaufen und suche mir jetzt eine Stellung, wo ich nicht mehr arbeiten muß und mich ein wenig ausruhen kann.«
»Auch ich bin weggelaufen«, antwortete der Hammel, »denn wenn irgendwo eine Hochzeit vorbereitet wird, dann heißt es: Schlachten wir den Hammel! Wenn irgendwo ein Festmahl bereitet wird, dann heißt es: Schlachten wir den Hammel! Na, da können Freunde kommen oder Feinde, bewirtet wird mit dem Hammel.«
Als sie so gemeinsam weitergingen, begegnete ihnen die Füchsin. Sie sagte ihnen: »Seid mir gesund, Freunde!«
Beide erzählten ihr, warum sie davongelaufen waren und wohin sie jetzt gingen.
»Ach«, sagte die Füchsin, »auch ich laufe davon, wenn irgendwo eine Hochzeit vorbereitet wird. Da heißt es gleich, daß der Füchsin als Geschenk für die Braut das Fell über die Ohren gezogen wird.« Auch die Füchsin gesellte sich zu ihnen, und so waren sie schon drei Gefährten. Unterwegs trafen sie einen Hahn. »Seid mir gesund, und wie geht es euch, Freunde? sagte er ihnen.
Sie erzählten ihm, warum sie weggelaufen waren.
»Auch ich bin davor weggelaufen«, antwortete der Hahn.
»Wenn irgendwo Eltern ein Abendessen für die Neuvermählten bereiten, heißt es gleich: Schlachtet den Hahn! Wenn der Schwiegersohn zu Gast kommt: Schlachten wir den Hahn! Am Faschingsdienstag: Schlachten wir den Hahn! Ob der Hahn groß ist oder nicht, ob er schon kräht oder nicht, sieh nur hin, und da wirst du sehen, wie man ihn schon auf den Tisch bringt. Das konnte ich nicht mehr aushalten, und deshalb bin ich geflohen. Darf ich mit euch gehen?«
Sie nahmen ihn mit, und so waren sie schon zu viert, als sie weitergingen. Als sie so einige Zeit gegangen waren, fanden sie eine Wolfshaut. Sie wollten sie mitnehmen, aber sie war ihnen zu schwer. Da sagte der Esel: »Nehmt sie und werft sie auf meinen Rücken. Ich werde sie tragen. Ich bin gewohnt, Lasten zu tragen. So werde ich auch die Wolfshaut tragen.
Sie nahmen die Wolfshaut, warfen sie über den Esel und gingen weiter. Sie gingen und gingen und kamen an eine Höhle. Dort überraschte sie die Nacht. Sie gingen in die Höhle, um darin zu übernachten, doch was sahen sie darin? Ein Feuer brannte darin, ein Abendessen kochte, aber keine lebende Seele war zu sehen. In dieser Höhle lebten Bären und Wölfe, doch die waren eben da nicht zu Hause, weil sie des Abends auf die Jagd gegangen waren. Als die vier Gefährten an die Höhle kamen, wußten sie nicht, wohin und woher. Sie wußten nicht, ob sie hineingehen oder draußen bleiben oder weiterziehen sollten. Sie wußten nicht, was sie tun sollten.
Sie fürchteten sich, hineinzugehen und darin zu bleiben, weil sie gesehen hatten, daß jemand darin wohnte. Aber es war zu spät, weiterzugehen, da es schon Nacht wurde. Schließlich gingen sie doch in die Höhle, um darin zu übernachten. Die Wolfs haut aber, die sie gefunden hatten, füllten sie mit Stroh, bevor sie in die Höhle gingen, und hängten sie vor dem Eingang auf. Dann gingen sie hinein und setzten sich ans Feuer.
Als sie so am Feuer saßen, kamen nach einiger Zeit zwei Bären und zwei Wölfe, die Herren der Höhle, mit ihren Kindern und fanden sie dort. Die Gäste sahen die Hausherren und wurden vor Angst fast zu Stein.
»Willkommen, Freunde«, sagten ihnen die Bären und die Wölfe.
»Wir fanden euer gutes Heim«, antworteten die Gäste.
»Bitte, setzt euch, setzt euch nieder, setzt euch«, antworteten die Haus-
herren, und die Gäste setzten sich. Auf den Ehrenplatz setzten sie den Esel, neben ihn den Hammel, dann die Füchsin, und ganz zuletzt kam der Hahn. Sie aßen und tranken und waren guter Dinge.Die Hausherren baten die Gäste, sie sollten etwas singen, aber der Esel sagte: »Zuerst muß der Hausherr singen, dann kommen die Gäste. So ist es der Brauch, und so gehört es sich.«
So stritten sie ein wenig, aber schließlich sang der Bär:
»Das Fleisch kam ganz allein ins Haus,
Das Fleisch kam ganz allein ins Haus.
Das Fleieieisch kam gaaanz alleieiein ums Haus!«
Als die armen Gäste dieses Lied des Bären hörten, wurden sie weiß vor Angst. Dann baten sie den Esel, etwas zu singen. Wie konnte es dem unseligen, armen Esel zum Singen zumute sein? Doch was sollte er machen? Er sang:
»Geh nur hinaus und sieh dir an, was da hangt,
Geh nur hinaus und siehe, was da vor der Tür hangt.
Ein Wunder aller Wunder!«
Sofort sahen die Wölfe und die Bären einander an und fragten sich, warum sie wohl hinausgehen und sehen sollten, was dort wäre. Zuerst sandten sie ein Bärchen, nachzusehen, was draußen wäre, und trugen ihm auf, es solle, wenn was Schlimmes draußen wäre, davonlaufen. Und was sah es, als es nachsehen ging? Einen gehängten Wolf vor der Tür! Das war die Wolfshaut, die die Tiere unterwegs gefunden, mit Stroh ausgestopft und aufgehängt hatten.
Das Bärchen zeigte sich nicht mehr in der Höhle, sondern floh voller Angst in die Berge.
Weil nun das Bärchen nicht zurückkam, schickten sie das zweite ihrer Kinder. Auch dem ging es so, und auch dieses Kind floh. So gingen alle Bärchen und alle Wölfchen, eines nach dem anderen, und alle liefen davon. Schließlich blieben nur noch Vater Wolf und Vater Bär zurück, und auch die wollten fliehen. Der Hammel aber, der glaubte, sie wären nur zurückgeblieben, um sie zu fressen, sprang auf und lief zur Tür. Jedoch anstatt sie zu öffnen, stieß er sie mit seinen Hörnern zu, und so waren alle, Hausherren und Gäste, in der Höhle eingesperrt. Alle waren erschrocken. Die Gäste fürchteten sich vor den Hausherren, und die Hausherren hatten Angst vor den Gästen.
Aus lauter Angst begann der Esel zu schreien. Die Füchsin lief von einer Ecke zur anderen, um ein Loch zu finden und davonzulaufen, der
Hahn sprang auf den Deckenbalken und krähte »Kikerikiii!« Alle sahen, wie sie auf irgendeine Art sich retten könnten. Schließlich sprangen der Bär und der Wolf auf und liefen hinaus, ihre Kinder zu suchen. Als sie ihre Kinder gefunden hatten, flohen sie auf einen hohen Berg, und als sie dort saßen, begannen sie zu sprechen.»Hast du das gesehen?«fragte der Wolf den Bären.
»Diesen Kleinen, der da auf dem Balkon ganz oben schrie: >Bringe ein Seil, daß wir sie aufhängen! Wirf es mir herauf!<Und der andere, der mit den langen Ohren, der auf dem Ehrenplatz saß, hat dem anderen, dem mit den krummen Hörnern, zugerufen: >He, Brüderchen, mach die Tür zu, daß wir sie alle fangen und aufhängen!< Und hast du die mit dem langen Schwanz gesehen, wie sie in allen Ecken ein Seil suchte? Wenn wir nicht davongelaufen wären, hätten sie uns bestimmt alle aufgehängt.«
So haben die Haustiere die wilden Tiere verjagt.
Das Schlangenkind
Es war einmal ein König, der bekam keine Kinder; er hatte aber einen Wesir, der drei Mädchen besaß, und die Frauen der beiden hatten einander sehr lieb. Da geschah es eines Tages, daß sie zusammen in einen Garten gingen, um daselbst den Tag zu verbringen, und während sie dort miteinander aßen und tranken, sprach die Königin zur Wesirsfrau: »Du hast drei Mädchen, und wenn ich nur einen Sohn hätte, würden wir nicht Schwägerschaft miteinander machen, da wir uns so liebhaben?« Und jene antwortete: »Ach ja, das wäre sehr schön, wenn du nur einen Sohn hättest, aber leider hat dir unser Herrgott keinen geschenkt.« Da rief die Königin: »Ach, ich wollte, daß mir Gott einen Sohn schenkte, und wenn es auch eine Schlange wäre.«
An demselben Abend schlief die Königin bei dem König, und ihr Leib wurde gesegnet, und als ihre Zeit kam, gebar sie eine Schlange, so wie sie es sich gewünscht hatte. Diese wuchs schnell heran und sprach eines Tages zu ihrer Mutter: »Höre, Mutter, erinnerst du dich, was du mit der Wesirsfrau verabredet hattest, als ihr zusammen in jenem Garten waret? Ich will eine von ihren Töchtern zur Frau, gehe also hin und wirb für mich um die älteste.«
Da machte sich die Mutter auf und ging zur Wesirsfrau und sprach: »Ich
wünsche deine älteste Tochter zur Ehefrau für meinen Sohn.« Da erwiderte jene: »Was, ich sollte meiner Tochter eine Schlange zum Manne geben? Das wird nimmer geschehen, gehe deiner Wege und sprich nicht mehr davon!« Da kehrte die Königin ganz traurig zu ihrem Sohn zurück und sprach: »Sie will dich nicht.«Darüber vergingen ein paar Jahre, dann aber sprach die Schlange wiederum zu ihrer Mutter: »Höre, Mutter, gehe noch einmal zur Wesirsfrau und sage ihr, daß sie mir ihre zweite Tochter zur Frau geben solle.« Da machte sich die Mutter wiederum auf, ging zu der Wesirsfrau und sprach: »Mein Sohn schickt mich und hält um deine zweite Tochter an.« Über diesen Antrag aber wurde jene sehr ungehalten und sprach: »Schere dich deiner Wege und sprich mir nicht mehr davon, daß ich meinen Töchtern eine Schlange zum Manne geben solle!« Da kehrte die Königin betrübt nach Hause zurück und sagte zu ihrem Sohne: »Sie will dich nicht.« Als nun wieder ein paar Jahre vorüber waren, da sprach die Schlange zu ihrer Mutter: »Höre, Mutter, gehe noch einmal zur Wesirsfrau und sage ihr, sie solle mir ihre dritte Tochter geben, und wenn sie das nicht täte, so würde ich eines Nachts in ihr Haus kommen und sie alle umbringen.« Da machte sich die Mutter auf, ging zur Wesirsfrau und richtete ihr unter vielen Tränen den Auftrag ihres Sohnes aus. Als die Wesirsfrau das hörte, erschrak sie sehr und wußte nicht, was sie tun sollte, denn gibt sie das Mädchen nicht her, so kommt die Schlange und bringt sie alle ums Leben, und gibt sie es her, so fürchtet sie, dieselbe in den Tod zu schicken. Sie rief also das Mädchen herbei und fragte sie: »Höre, mein Kind, willst du die Schlange der Königin zum Manne nehmen?« Das Mädchen aber erwiderte: »Ich will es mir überlegen.«
Darauf ging das Mädchen zu einer klugen alten Frau, erzählte ihr den Hergang und fragte sie, was sie tun solle. Die Alte aber sprach: »Sage ja, mein Töchterchen, denn das ist gar keine Schlange, sondern ein Mann, der in der ganzen Welt seinesgleichen nicht hat. In der Brautnacht mußt du aber vierzig Hemden anziehen, denn die Schlange hat vierzig Häute, und wenn ihr dann zu Bette geht und sie zu dir sagt: >Zieh dich aus<, so mußt du antworten: >Zieh dich auch aus.< Da wird dein Mann eine Haut ausziehen, und du mußt es mit dem obersten Hemde ebenso machen, und so mußt du fortfahren, bis er die vierzigste Haut abgezogen hat, dann sollst du sehen, was für ein schöner Mann vor dir steht.«
Als das Mädchen von der Alten zurückkam, sagte es zu seiner Mutter: »Liebe Mutter, ich will die Schlange zum Manne nehmen.« Und diese rief: »Ei, ei! mein Töchterchen! Fürchtest du dich denn nicht, bei einer Schlange zu schlafen?« Das Mädchen aber sprach: »Laß dich das nicht kümmern!« Als die Mutter sah, daß es ihrer Tochter ernst sei, schickte sie zur Königin und ließ ihr sagen, daß sie die Verlobungs- und Hochzeitsfeier zurichten lassen solle, und an einem Sonntage machten sie sich auf, nahmen die Ringe und die Schlange mit, die zu einem großen Ringe gerollt in einem Korbe lag, und hielten Verlobung und Hochzeit. Als darauf die Brautleute zu Bette gingen, da sprach die Schlange zur Braut: »Entkleide dich.« Und diese erwiderte: »Entkleide dich auch.« Und so zogen sie nacheinander die vierzig Hemden und die vierzig Häute ab, und als die Schlange ganz ausgezogen war, war sie ein junger Mann, von dessen Schönheit die ganze Stube glänzte. Darauf schliefen sie miteinander, und der Leib der jungen Frau wurde gesegnet.
Am andern Morgen schlüpfte der Mann wieder in die vierzig Schlangenhäute und sprach zu der jungen Frau: »Hüte dich wohl, irgend jemand etwas zu erzählen, daß ich ein Mann bin, bis du geboren hast, denn dann wird es bekannt werden, doch wenn du es früher tust, schlüpfe ich in ein Loch und gehe davon, und du hast mich verloren.« Die junge Frau sprach: »Sei unbekümmert, ich verrate dich gewiß nicht.« Sie fand aber ihre Last mit ihrer Mutter, denn diese quälte sie ohne Unterlaß, sie möge ihr doch sagen, wie sie mit der Schlange lebe und wie sie schwanger geworden sei. Die junge Frau antwortete stets nur, daß es ihr gutgehe, und hielt sich acht Monate lang gegen alle Angriffe; da setzte ihr aber eines Tages die Mutter so zu, bis sie sich nicht mehr halten konnte und herausplatzte: »Ei, Mutter, ist denn das etwa eine Schlange, oder ist es ein Mann, wie es auf der Welt keinen andern gibt?« Kaum hatte sie dies gesagt, so bereute sie freilich ihre Schwatzhaftigkeit, aber es war zu spät; denn in derselben Nacht verschloß ihr die Schlange den Schoß und ging weg.
Die junge Frau wartete die ganze Nacht, eine Woche, einen Monat, aber ihr Mann kam nicht zurück. Da verfiel sie in große Betrübnis, sie klagte, weinte und jammerte und wußte nicht, was sie anfangen sollte. Endlich faßte sie den Entschluß, ihren Mann aufzusuchen.
Sie zog also Nonnenkleider an und wanderte aufs Geratewohl in die Welt hinein. Nachdem sie eine Weile gewandert war, begegnete ihr eine alte Frau, und die fragte sie: »Wo willst du hin, mein Kind?« Da sagte
ihr die junge Frau: »So und so ist es mir ergangen, mein Mann hat mich verlassen, und nun gehe ich, um ihn aufzusuchen.«Die Alte sprach darauf: »Steige da hinauf, auf jenen Berg, da oben ist eine Quelle mit faulem Wasser, in dem Würmer und Ungeziefer schwimmen; von diesem mußt du trinken und dabei sagen: >Ach, was ist das für gutes Wasser.< Und während du an dem Rande der Quelle stehst, sage dreimal: >Erde, öffne dich und verschlinge mich, wie du auch meinen Mann verschlungen hast.<Dann wird sich die Erde öffnen, und du mußt hinuntersteigen, und unten wirst du die Schwestern der Sonne finden, und die werden dir sagen, wo dein Mann ist.«Da stieg die junge Frau auf den Berg, den ihr die Alte gezeigt hatte, und fand jene faule Quelle. Sie trank von dem Wasser und sagte dazu: »Ach, was für gutes Wasser ist das, wie Kristall!« Und dann rief sie dreimal: »Offne dich, Erde, und verschlinge mich, wie du meinen Mann verschlungen hast.«Da öffnete sich die Erde, und sie stieg hinunter und kam zu der jüngeren Schwester der Sonne. Die stand an dem Ofen und wollte Brot backen, und um ihn auszuwischen, brauchte sie ihre Brüste, und ihre Hände dienten ihr statt der Ofenschaufel. Als die junge Frau das sah, hatte sie Mitleid mit ihr; sie suchte daher so lange, bis sie ein Wischtuch und eine Ofenschaufel fand, und brachte sie der Schwester der Sonne. Darüber freute sich diese sehr und fragte die Frau: »Was soll ich dir für das Gute geben, das du mir erwiesen hast?« — »Ich verlange weiter nichts, als daß du mir sagen sollst, wie ich meinen Mann wiederfinden kann, denn er hat mich verlassen, und so und so ist es mir mit ihm ergangen.«
Darauf erwiderte die Schwester der Sonne: »Gehe ein Stückchen weiter hinauf, dort wirst du meine ältere Schwester antreffen, und die wird dir sagen, wo dein Mann ist.« Da stieg die Frau etwas weiter aufwärts und fand jene Schwester der Sonne, wie sie gleich ihrer Schwester den Backofen mit ihren Brüsten und ihrer Zunge reinigte. Da lief sie so lange herum, bis sie ein Wischtuch und eine Ofenschaufel fand, und brachte sie ihr. Darüber freute sich die Schwester der Sonne und sprach: »Sage mir, mein liebes Leben, was ich dir für die Wohltat geben soll, die du mir erwiesen hast?« Und die Frau antwortete: »Ich verlange weiter nichts, als daß du mir sagen sollst, wo mein Mann ist, denn er ist mir davongelaufen, und ich kann ihn nicht wiederfinden.«
Da gab ihr die Schwester der Sonne eine Nuß, eine Haselnuß und eine Mandel und sprach: »Da nimm das und gehe noch etwas höher hinauf,
da wirst du an ein Haus kommen; dort wohnt dein Mann und ist mit einer andern verheiratet!«Die Frau ging darauf noch eine Strecke bergauf, bis sie an jenes Haus kam. Sie ging hinein, trat vor die Hausfrau und sprach: »Höre, liebe Frau, hast du nicht irgendein kleines Häuschen, in dem ich als Nonne leben könnte?«Da ließ ihr jene eine kleine Hütte geben, in deren Nähe ein Kupferschmied wohnte.Am folgenden Morgen zerschlug die Nonne die Nuß, welche sie von der Schwester der Sonne bekommen hatte, und daraus kam eine Gluckhenne mit goldenen Küchlein hervor, die hin und her liefen und tsiu, tsiu piepten. Als die Magd jener Frau diese Tierchen erblickte, lief sie schnell nach Hause und sprach zu ihrer Herrin: »Ach, Frau, was hat die fremde Nonne für eine schöne Gluckhenne mit goldenen Küchlein! Wie sind die lieb und niedlich! Die wollen wir kaufen; was tut jene Gottesbraut damit?« Als das die Frau hörte, wurde sie neugierig und sprach: »Gehe hin und frage sie, wieviel sie dafür haben will.«
Da ging die Magd zur Nonne und sprach: »Höre, meine Liebe, wieviel verlangst du für deine Gluckhenne?«Jene aber versetzte: »Für Geld ist sie mir nicht feil, aber ich gebe sie euch, wenn ihr mir eine Nacht den Herrn gebt!«Darauf kehrte die Magd zu ihrer Herrin zurück, erzählte ihr, was sie von der Nonne zur Antwort erhalten hatte, und sprach: »Wir wollen ihr den Herrn auf eine Nacht geben, sie wird ihn ja nicht fressen, wir geben ihm vorher einen Schlaftrunk ein.«Die Frau wollte anfangs nichts davon wissen, aber die Magd redete ihr so lange zu, bis sie es zufrieden war.
Als sich der Herr am Abend zu Bette legte, gaben sie ihm einen Schlaftrunk ein, und als er eingeschlafen war, trugen sie ihn in die Hütte der Nonne und erhielten von ihr die Gluckhenne mit den Küchlein.
Die ganze Nacht hindurch, die der Herr bei der Nonne war, rief diese nichts anderes als: »Gib mir den silbernen Schlüssel, damit ich das goldene Kind gebären kann.« Doch all ihr Rufen war vergeblich, der Herr wachte nicht auf, und bei Tagesanbruch schickte die Frau zur Nonne und ließ ihren Mann abholen. Darauf zerschlug die Nonne die Haselnuß, und daraus kam ein goldener Papagei hervor, und als den die Magd sah, lief sie zur Herrin: »Ach, Frau, was die fremde Nonne für einen schönen Papagei hat! Der ist ganz aus Gold. Den wollen wir kaufen, was braucht die einen Papagei?«Die Frau erwiderte: »Gehe hin und frage sie, was sie dafür haben will?« Da ging die Magd hin und fragte die Nonne, und diese antwortete wie das erstemal: »Ich will den
Herrn für eine Nacht!« Da gaben sie dem Herrn am Abend wieder einen Schlaftrunk ein, trugen ihn zur Nonne und erhielten dafür den Papagei. Die Nonne aber rief abermals die ganze Nacht hindurch: »Gib mir den silbernen Schlüssel, damit ich das goldene Kind gebären kann.« Doch all ihr Rufen war abermals vergebens, der Herr wachte nicht auf, und bei Tagesanbruch schickte die Frau und ließ ihn wieder abholen.Der Kupferschmied, welcher in der Nähe der Nonne wohnte, hatte aber von dem Geschrei, was diese die zwei Nächte durch vollführte, nicht schlafen können. Er ging also am andern Morgen zu dem Herrn und sprach: »Lieber Herr, verzeihe mir die Freiheit, ich habe dir aber etwas zu sagen. Die fremde Nonne läßt mich schon zwei Nächte nicht schlafen und macht mich taub mit ihrem ewigen Geschrei, denn sie ruft in einem fort: >Gib mir den silbernen Schlüssel, damit ich das goldene Kind gebären kann!<Was mag das wohl zu bedeuten haben?« Der Herr aber antwortete: »Wer kann wissen, was für ein Leid die Ärmste haben mag.« Doch die Worte des Kupferschmiedes gingen ihm im Kopf herum, und er begann zu ahnen, wer die Nonne sei.
An diesem Morgen zerschlug die Nonne die Mandel, welche sie von der Schwester der Sonne erhalten hatte, und daraus kam eine goldene Wiege hervor. Als die Magd die Wiege sah, lief sie zu ihrer Herrin und sprach: »Ach, Frau, was hat die fremde Nonne für eine schöne goldene Wiege, man kann sich gar nicht satt an ihr sehen. Die wollen wir für unsere Kinder kaufen. Denn was tut eine Nonne mit einer Wiege?«
»So gehe hin und frage sie, was wir ihr dafür geben sollen.« Da ging die Magd zur Nonne und sagte: »Wieviel verlangst du für deine Wiege?«Und jene erwiderte: »Ich verlange kein Geld dafür, sondern heute nacht mit deinem Herrn zu schlafen.« Da kam die Magd zurück und sprach: »Sie verlangt kein Geld dafür, sondern wieder heute nacht mit dem Herrn zu schlafen.«
Als das die Frau hörte, ward sie zornig und rief: »Sie soll zum Henker gehen, den Herrn gebe ich ihr nicht mehr.« Aber die Magd redete ihr zu und sprach: »Für die goldene Wiege könnten wir ihn ihr schon noch einmal geben.« Da ging die Magd hin und sagte es der Nonne und brachte dafür die Wiege zurück.
Als sie aber den Herrn am Abend zu Bett brachten und ihm den Schlaftrunk gaben, da gedachte er der Geschichte, die ihm der Kupferschmied erzählt hatte, er drehte sich auf die Seite, ließ den Trank auf einen Schwamm laufen und versteckte denselben. Er stellte sich schlafend,
und Frau und Magd trugen ihn in die Hütte der Nonne. Als diese wie in den vergangenen Nächten rief: »Gib mir den silbernen Schlüssel, damit ich das goldene Kind gebären kann!«öffnete er die Augen, erkannte seine erste Frau und gab sich selbst zu erkennen. Darauf führte er sie in den Stall, zog zwei gute Pferde heraus, setzte sie auf das eine, stieg auf das andere und ritt mit ihr bis dahin, wo sich die Erde öffnete. Er rief dreimal: »Offne dich, Erde, wir wollen hinaus!« Da öffnete sich die Erde und ließ sie hinaus. Sowie sie auf der Oberwelt angekommen waren, öffnete er ihren Schoß, und sie gebar einen Knaben, von dessen Schönheit die Erde erglänzte, und der bereits neun Jahre alt war.Darauf ritten sie zum Palaste des Vaters der Frau. Da stellten sie eine große Hochzeit an, aßen und tranken und lebten zusammen bis auf den heutigen Tag.
Es ist nicht ganz wahr, es ist aber auch nicht ganz erlogen.
Der junge Jäger und die Schöne der Welt
Es war einmal ein Mann, der seines Zeichens ein Jäger war. Als er eines Tages jagte, bemerkte er einen hellen Schein auf einem Berge; er stieg also hinauf, um zu sehen, was das sei, und als er oben war, erblickte er einen Vogel, der einen großen Edelstein auf seinem Kopfe trug, und von diesem wurde die ganze Gegend erleuchtet. Der Jäger bewunderte die große Schönheit des Steins und legte sogleich seine Flinte auf den Vogel an, damit er ihm nicht fortflöge. Dieser ließ ihn ruhig gewähren und rief ihm zu: »Wenn du mich triffst, so ist das dein Glück, und wenn du mich fehlst, so ist das dein Unglück.« Kaum hatte er das gesagt, so drückte der Jäger ab, aber der Vogel wandte nur ein wenig den Hals auf die Seite, so daß die Kugel an seinem Kopfe vorüberflog, und darauf erhob er sich in die Luft und war fort.
Von da an dachte der arme Jäger nur noch an seine Ungeschicklichkeit und an das große Glück, das er verloren, und grämte sich darüber so sehr, daß er krank wurde und starb. Er hinterließ eine Frau und einen schönen fünfjährigen Knaben. Die Frau war über den Tod ihres Mannes tief betrübt, weil sie mit ihm gut gelebt und in ihm ihre einzige Stütze verloren hatte und nun nicht wußte, wie sie sich und ihren Knaben ernähren sollte. Doch der Himmel half, und so schlug sie sich mühselig durch, bis der Knabe so weit war, daß sie ihn bei einem Schuhflikker
in die Lehre geben konnte. Des Knaben Sinn stand aber nach Höherem als nach Schuhflicken, und wie er allmählich heranwuchs, da lag er seiner Mutter an, daß sie ihm sagen solle, was das Handwerk seines Vaters gewesen sei, weil er, wenn er dieses lerne, gewiß mehr verdienen könne als die zehn Heller Tagelohn, die ihm der Schuhflicker gab. Doch die Mutter wollte es ihm nicht sagen, weil sie fürchtete, daß sie ihn auf dieselbe Weise verlieren könnte wie ihren Mann. Aber der Knabe ließ nicht ab, bis sie es ihm eines Tages erzählte. Da ruhte er nicht eher, bis ihm die Mutter das Gewehr seines Vaters gab, und nachdem er es instand gesetzt hatte, begann er damit auf die Jagd zu gehen. Seine Mutter aber warnte ihn sehr, nicht in jener Gegend zu jagen, von der sein Vater krank zurückgekommen sei, und der Bursche hörte auch anfangs auf sie; doch es dauerte nicht lange, so wurde er so neugierig, wie es dort aussehe, daß er eines Tages, ohne seiner Mutter etwas zu sagen, hinging; und als er eine Zeitlang in dem neuen Revier gestreift hatte, erblickte er denselben Vogel mit dem Edelstein auf dem Kopfe, den auch sein Vater gesehen hate. Da besann sich der Knabe nicht lange und legte auf ihn an, und während er zielte, sprach der Vogel: »Du bist der Sohn des Jägers, aber sieh dich vor und ziele gut, denn wenn du mich triffst, so ist das dein Glück, wenn du mich fehlst, so ist das dein Unglück.« Da zielte der Bursche noch einmal so scharf er konnte, drückte ab, und der Vogel fiel tot zur Erde; der Bursche aber lief den Berg hinauf, ergriff den Edelstein und eilte nach Hause, um ihn seiner Mutter zu zeigen. Während er damit heimlief, begegnete ihm ein großer Herr und sprach zu ihm: »Was hast du da in der Hand, Bursche, das so schön leuchtet und dich und die ganze Umgegend glänzend macht? Willst du es mir nicht verkaufen? Ich gebe dir viel Geld dafür, denn ich bin der Großwesir des Königs.« Der Bursche aber hielt ihm nicht stand, sondern rief ihm zu: »Ich habe es nicht zum Verkaufe, denn ich will es meiner Mutter bringen«, und lief weiter.Als er nach Hause kam, gab er den Stein seiner Mutter und rief: »O Mutter, du hattest mir den Weg zu meinem Glück verboten.« Darauf erzählte er ihr, wie alles zugegangen sei, und daraus erkannte die Frau, was schuld an dem Tode ihres Mannes gewesen war. Sie und der Knabe verbrachten den Tag damit, den Glanz des Steines zu bewundern, und dieser glänzte so stark, daß sie, als es Abend wurde, kein Licht anzustecken brauchten, denn er erleuchtete nicht bloß das Haus, sondern auch die ganze Nachbarschaft. Doch ihre Freude dauerte nicht lange,
denn am andern Morgen ließ der König den Burschen holen und sprach zu ihm: »Mein Sohn, ich habe erfahren, daß du einen kostbaren Edelstein besitzest; ich wünsche ihn zu haben, und da du ein armer Mensch bist, so verkaufe ihn lieber mir, deinem Könige, als einem andern. Sage mir also, was du dafür verlangst.« Darauf erwiderte der Jüngling: »Ich habe zwar selbst große Freude an dem Stein und habe ihn daher einem andern abgeschlagen, der ihn kaufen wollte, da du ihn aber wünschest, so will ich hingehen und ihn holen und meine Mutter nach dem Preis fragen.«Als er zu seiner Mutter kam und ihr das Verlangen des Königs erzählte, da sagte diese: »Wir mögen wollen oder nicht, so müssen wir den Stein hergeben, verlange also dreißigtausend Piaster dafür.«Als der Bursche mit dem Stein zum König kam, war es bereits dunkel geworden, aber der Stein warf einen solchen Glanz von sich, daß man glaubte, es sei Tag, und der König hatte eine solche Freude an ihm, daß er sogleich dem Burschen die dreißigtausend Piaster zahlen ließ. Der Bursche brachte sie seiner Mutter, und sie lebten eine Zeitlang glücklich und zufrieden.Eines Tages kam aber ein Diener vom Schlosse und lud den Burschen vor den König. Der Ärmste lief sogleich hin, ohne zu wissen, was man von ihm wolle. Der König aber sprach: »Junger Jäger, ich verlange von dir, daß du mir einen Turm von lauter Elfenbein bauen sollst.« Da fragte der Jäger: »Wie soll ich denn das anfangen?« — »Das ist deine Sache«, versetzte der König, »du warst imstande, jenen Vogel zu schießen und seinen Edelstein zu erwerben, was noch keiner gekonnt hat, und so wirst du wohl auch einen Turm aus Elfenbein bauen können; wenn du es aber nicht kannst, so kostet es dich das Leben.« Da verlangte der Jüngling drei Tage Bedenkzeit, kehrte tief betrübt nach Hause zurück und sagte zu seiner Mutter: »Liebe Mutter, betraure mich wie einen Toten, denn das und das verlangt der König von mir.« Die Mutter aber sprach: »Mein Sohn, das ist eine Falle, die dir der Großwesir gestellt hat.« Und sie hatte recht; denn weil der Jäger ihm den Stein nicht verkaufen wollte, damit er ihn dem König bringen könnte, hatte der Wesir einen großen Haß auf ihn geworfen und, um ihn zu verderben, dem König den Gedanken eingegeben, daß der, welcher den Edelstein zu erwerben imstande war, auch einen elfenbeinernen Turm müsse bauen können, und wenn er es nicht tue, für seine Böswilligkeit mit dem Tode bestraft werden müsse.
Nachdem die Mutter die Sache eine Weile überlegt hatte, sprach sie zu
ihrem Sohne: »Gehe zum König und sage ihm, daß du zu diesem Turme vierzigtausend Piaster nötig habest und daß das Geld vom Vermögen des Großwesirs kommen müsse, sonst könntest du den Turm nicht bauen.«Als der König dem Großwesir das Geld abverlangte, da kam es den zwar recht sauer an, doch verzog er keine Miene und ließ es sogleich aus seiner Schatzkammer holen. Der König gab es dem Jäger, und der ging damit zu seiner Mutter und fragte sie, was er damit anfangen solle. Darauf sprach die Mutter: »Damit du so viele Knochen zusammenbekommst, als zu dem Turme nötig sind, mußt du in die und die Gegend gehen, dort ist eine große Mulde an dem Wege, und diese mußt du täglich mit Wein und Brot füllen lassen. Wenn dann die Bauern der Umgegend des Weges kommen und den Wein und das Brot sehen, das niemand gehört, werden sie sich daran gütlich tun und sich dann in der Nähe in den Schatten legen und schlafen, und dann mußt du aus deinem Verstecke hervorkommen und sie totschlagen. Darauf mußt du vom König Leute verlangen, um das Fleisch von den Knochen zu schaben und sie hierher zu schaffen, und wenn du genug Knochen hast, so lasse davon den Turm bauen.«Der Jäger machte es, wie ihm seine Mutter geraten hatte, und es dauerte gar nicht lange, so war der Knochenturm fertig. Als der König hörte, daß der Jäger so viele Menschen umbringe, tat ihm das zwar leid, da aber der Turm einmal bestellt war, so ließ sich das nicht ändern. Als er nun fertig war, da belohnte er den Jäger königlich, und dieser ging zu seiner Mutter und lebte wieder eine Zeitlang glücklich und zufrieden.
Doch der Wesir ließ ihm nicht lange Ruhe, sondern erschien eines Tages vor dem König und sprach: »Du weißt, wie sehr ich auf die Vermehrung deiner Größe Bedacht genommen, und da du nun in dem Besitze so herrlicher Dinge bist, so fehlt dir doch noch eines, nämlich eine deiner Größe und deiner bedeutenden Schätze würdige Gemahlin. Unter den Töchtern des Landes wüßte ich aber keine, die dazu schön genug wäre; es darf keine andere sein als die Schöne der Welt, und wenn du diese heimführst, so wirst du wieder so jung wie ein zwanzigjähriger Jüngling.« — »Wer soll sie mir aber bringen?«fragte der König. Der Wesir antwortete: »Ei, ich dächte, daß der, welcher den Vogel mit dem Edelstein geschossen und den elfenbeinernen Turm gebaut hat, wohl auch imstande sein müsse, dir die Schöne der Welt herbeizuschaffen.« Da klopfte es an die Haustüre des Jägers, und als er fragte, wer draußen
sei, hieß es: »Seine Majestät, unser allergnädigster König, will dich sprechen.«Obwohl der Jäger nichts Gutes von dieser Unterredung erwartete, blieb ihm doch keine Wahl. Er ging also zum König und fragte nach dessen Befehlen; und der befahl ihm, die Schöne der Welt herbeizuholen. Da rief der Jäger: »Aber wie soll ich das denn anfangen? Ich höre diesen Namen heute zum ersten Male; der, welcher dir von der Schönen gesprochen hat, der muß auch imstande sein, sie herbeizuholen.« — »Nein«, sprach der König, »das kannst nur du, denn du hast ja auch den Vogel mit dem Edelstein geschossen und den elfenbeinernen Turm gebaut, und wenn du dich weigerst, so kostet es dich das Leben.«Da ging der Jäger zu seiner Mutter und sagte zu ihr: »Ach, Mutter, jetzt ist es um mich geschehen, ich soll für den König die Schöne der Welt holen und weiß nicht, wie ich diesem Befehl ausweichen kann.«Darauf erzählte er ihr alles, was ihm der König gesagt hatte, und als er zu Ende war, sprach die Mutter: »Gehe zum König und verlange, er soll dir ein goldenes Schiff machen lassen, das mit den vierzig schönsten Mädchen seines Reiches bemannt sein müsse, von denen keine älter als achtzehn Jahre sein dürfe, und deren Hauptmann müsse die einzige Tochter des Großwesirs sein - und bis der König das Schiff gebaut und die vierzig Mädchen zusammengebracht hat, wollen wir weiter sehen, was zu tun ist.«Darauf sprach sie ihrem Sohne zu, daß er den Mut nicht verlieren solle; als er aber zum König zurückging, da weinte sie bitterlich, denn sie glaubte nicht, daß er diese Aufgabe vollbringen werde, an der schon soviele Prinzen und große Herren zuschanden geworden, und hielt ihn für verloren.
Der König gab sofort Befehl, daß das goldene Schiff gebaut werden solle; als aber der Wesir hörte, daß auch seine einzige Tochter mitfahren solle, da bereute er seinen bösen Rat, doch nun war es zu spät. Er suchte daher den Bau des Schiffes soviel als möglich zu verzögern, der König aber vergaß es nicht, sondern trieb die Werkleute zur Eile, und so wurde denn das goldne Schiff in zwei Jahren fertig und mit den vierzig schönsten Mädchen des Reiches, die Wesirstochter an der Spitze, dem Jäger übergeben.
Als nun der Jäger sah, daß er das Unternehmen wagen müsse, wenn er sein Leben nicht verlieren wolle, faßte er sich ein Herz und stach mit den vierzig Mädchen in See. Und nachdem er eine Weile gefahren war, kam er an ein unbekanntes Land. Er ließ also die Anker auswerfen und
fuhr mit der Barke dahin. Am Strande traf er zwei Schäfer und erfuhr von diesen, daß das Reich der Schönen der Welt gehöre. Da schickte er die Barke auf das Schiff zurück und sprach zu den Mädchen, die ihn an das Land gerudert hatten: »Sagt den andern, daß sie vierzig Tage auf mich warten sollten; wenn aber die verflossen sind und ich nicht zurückgekehrt bin, so ist das ein Beweis, daß ich zugrunde gegangen, und dann sollen sie die Anker lichten und nach Hause zurückkehren, damit sie nicht auch zugrunde gehen.«Darauf ging der Jäger in das Land hinein, um das Schloß der Schönen der Welt aufzusuchen, und begegnete einem Mohren, der war so groß, daß er sich vor ihm fürchtete; er begrüßte ihn also und sprach: »Guten Tag, tapferer Mann.« Der Mohr antwortete: »Ich bin nicht tapfer, aber der Sohn des Jägers ist es, der den Vogel mit dem Edelstein geschossen hat.« Da fragte der Jäger den Mohren: »Was würdest du tun, wenn du diesem begegnetest?«Und dieser antwortete: »Ich würde mich vor ihm beugen und ihm die Hand küssen und würde mich zu seiner Verfügung stellen, für alles, worin ich ihm nützlich sein könnte.« —»Nun«, sprach da der Jäger, »ich bin es selber.« Da verbeugte sich der Mohr, küßte ihm die Hand und gab ihm ein Haar von seinem Haupte, das er anbrennen solle, sooft er ihn nötig habe.
Nachdem der Jäger wieder eine Strecke gegangen war, begegnete er einem kleinen Mann, der aber zehn Ellen breit war, und wie er ihn recht ansah, so bemerkte er, daß er halb Mensch, halb Ameise war. Da sprach er auch zudem: »Guten Tag, tapferer Mann.« Der antwortete: »Ich bin nicht tapfer, aber der Sohn des Jägers ist es, der den Vogel mit dem Edelstein geschossen hat.« —»Das bin ich«, versetzte der Jäger. Da verbeugte sich jener vor ihm und küßte ihm die Hand und gab ihm eine seiner Federn, um sie anzubrennen, wenn er ihn nötig habe.
Als er wieder eine Strecke gegangen war, begegnete er einem Manne, der eine solche Masse Wasser von sich spie, daß man darin ein ganzes Land hätte ersäufen können, und nachdem er es ausgespien, schlürfte er es wieder ein. Der Jäger grüßte ihn und sprach: »Guten Tag, tapferer Mann.« Dieser antwortete aber ebenso wie die zwei anderen; und als sich ihm der Jäger zu erkennen gab, küßte er ihm die Hand, riß ein Stück von seinem Rock ab und gab es ihm, um es zu verbrennen, wenn er ihn einmal nötig haben sollte.
Als der Jäger wieder eine Strecke gegangen war, erblickte er einen Fuß, der, um zu dem anderen Fuße zu gelangen, in einem Schritte fünf Stunden
Wegs machte. Als er nun nach dem Manne in die Höhe sah, dem diese Füße gehörten, erblickte er einen Mohren, der sah noch viel schrecklicher aus als der erste, und sein Hals allein war drei Ellen lang. Ober den erschrak der Jäger noch mehr als über die andern und begrüßte ihn daher noch freundlicher, indem er sagte: »Guten Tag, tapferer Mann.« Aber auch der gab ihm dieselbe Antwort wie die anderen, und nachdem der Jäger sich zu erkennen gegeben, küßte er ihm die Hand und gab ihm eines seiner Haare, um es anzubrennen, wenn er ihn nötig haben sollte.Bald nachher erblickte der Jäger das Schloß, in welchem die Schöne der Welt wohnte, und ging darauf zu. Als er näher kam, wurde er eine Menge schöner Frauen gewahr, die blickten nach ihm hin und lachten und riefen dann die Schöne der Welt herbei, um sich den jungen Mann anzusehen, der gewiß nur ihretwegen hergekommen sei. Als die Schöne aber herbeikam und den Jäger erblickte, gefiel er ihr so sehr, daß sie Mitleid mit ihm hatte und ihm durch ihre Frauen zurufen ließ, er solle fortgehen, denn wenn er einmal im Schlosse wäre, so dürfe er nicht mehr heraus und würde darin seinen Tod finden. Doch er ließ sich nicht abschrecken und sagte, daß er nur deswegen hierhergekommen sei, um sein Leben für die Schöne der Welt einzusetzen, und bat so lange um die Erlaubnis, heraufkommen zu dürfen, bis sie es gestattete.
Als er sie aber in der Nähe sah, da staunte er über ihre große Schönheit, weil er noch nie ein so herrliches Weib gesehen hatte, und erkundigte sich sofort nach den Aufgaben, die er zu lösen habe, um sie zu gewinnen. Die Schöne der Welt hatte solches Mitleid mit seiner Jugend und Schönheit, daß sie zu ihm sagte: »Obgleich es eigentlich keinem gestattet ist, so will ich dir doch noch erlauben, von hier wegzugehen, denn schon so viele haben ihr Leben um mich eingebüßt, weil die Aufgaben so schwer zu lösen sind.« Er antwortete aber: »Ich bin mit dem Entschlusse hierhergekommen, entweder dich zu gewinnen oder zugrunde zu gehen, und ich wußte sehr wohl, daß derjenige, welcher die Aufgaben nicht lösen kann, geköpft wird.«
Als die Schöne der Welt sah, daß er von seinem Vorhaben nicht abzubringen war, da ließ sie nach einem dem Schlosse gegenüberliegenden Hause hundert gebratene Ochsen und fünfhundert Brote bringen und den Jäger darin einsperren, und sagte ihm, daß, wenn er das alles nicht bis zum andern Morgen rein aufgegessen habe, er sein Leben verlieren müsse. Als nun der Jäger mit all dem Brote und Fleisch eingeschlossen
war, wußte er lange nicht, wie er es anfangen solle, diese Aufgabe zu lösen; da fiel es ihm endlich ein, daß er einen von den Riesen, die er kennengelernt hatte, mit der Lösung beauftragen könnte. Er zündete dessen Haar an, und sogleich erschien dieser vor ihm und rief: »Ach, lieber Herr, du glaubst gar nicht, wie hungrig ich bin, weil ich immer darauf wartete, daß du mich rufen würdest, und mich daher nicht um mein Essen kümmern konnte. Was befiehlst du mir, daß ich tun soll?« Darauf sagte der Jäger: »Sieh hier all dies Brot und all dies Fleisch, das sollst du für mich essen. Bist du das imstande?« —»Und du fragst noch, Herr, nachdem ich dir gesagt habe, daß ich so hungrig bin?«Da machte sich der Riese darüber her, und es dauerte gar nicht lange, so hatte er alles aufgegessen und ließ nicht einmal die Knochen übrig.Als die Schöne der Welt am andern Morgen erfuhr, daß er die erste Aufgabe gelöst habe, ließ sie einen großen Backofen heizen und sagte zu dem Jäger: »In diesen Ofen sollst du hineinsteigen und so lange darin bleiben, bis er kalt geworden ist.« Da erschrak der Jäger freilich sehr, aber es blieb ihm keine andere Wahl. Als sie ihm daher sagten, daß der Ofen fertig sei, stieg er hinein und brannte sogleich das Haar von dem Wasserschlürfer an, und als der erschien, befahl ihm der Jäger, die Hitze des Ofens zu löschen. Da begann der Riese so lange Wasser zu speien und es wieder einzuschlürfen, bis der Ofen kalt war und der Jäger es die Nacht über darin ohne Beschwerlichkeit aushalten konnte.
Als die Schöne der Welt am andern Morgen hörte, daß er auch die zweite Aufgabe gelöst habe, wunderte sie sich sehr, und er fing nun an zu hoffen, daß er sie gewinnen werde.
Sie ließ darauf den Jäger in ein Vorratshaus sperren, in dem eine große Masse von jeder Art Getreide, wie Weizen, Gerste, Mais und Speit, durcheinandergeschüttet lag; und das alles sollte er bis zum andern Morgen auslesen. Als er aber allein war, brannte er das Federchen an, das ihm der Ameisenmann gegeben hatte, und als der erschien, befahl er ihm, daß er diesen Haufen auslesen und aus jeder Getreideart einen besonderen Haufen machen solle. Das war aber der König der Ameisen, er rief also sein Volk zusammen, und bis zum andern Morgen war das ganze Getreide in Ordnung gebracht.
Als die Schöne der Welt erfuhr, daß er auch diese Aufgabe gelöst habe, ließ sie ihn zu sich rufen und sagte zu ihm: »Nun bleibt dir nur noch eine Aufgabe zu erfüllen, und die besteht darin: Vierzig Tagereisen von
hier steht ein großer Apfelbaum, der trägt nur einen einzigen Apfel, und diesen mußt du mir in einer Viertelstunde bringen.«Da ging der Jäger etwas auf die Seite, so daß ihn niemand sehen konnte, und brannte das Haar des Mohren an, der, als er ihm begegnete, den einen Fuß auf einem Berge und den andern auf einem anderen hatte, und befahl ihm, jenen Apfel zu holen, und es dauerte keine zehn Minuten, so war dieser wieder da und hatte den Apfel in der Hand. Als nun der Jäger der Schönen der Welt diesen Apfel überreichte, da umarmte und küßte sie ihn und sprach: »Nun bin ich die Deine.«
Da nahm er sie und ging mit ihr zu seinem goldenen Schiffe, und das war gerade am vierzigsten Tage, nachdem er es verlassen hatte; er traf daher die Mädchen, wie sie sich in tiefer Trauer zur Abfahrt rüsteten, denn sie hielten ihn für verloren. Darauf stieg er mit der Schönen der Welt in das Schiff, setzte sie dort an die ihr gebührende Stelle, ließ die Anker lichten und fuhr ab; und nun denke dir die Lage der armen Tochter des Großwesirs! Der Jäger hielt sich jedoch fern von der Schönen der Welt und zeigte sich in den ersten drei Tagen der Fahrt nicht vor ihr. Da verlor sie endlich die Geduld und ließ ihn rufen, und als er kam, beschwerte sie sich über seine Kälte. Da begann ihr der Jäger den Stand der Dinge auseinanderzusetzen. Als nun die Schöne der Welt alles erfahren hatte, da erklärte sie, daß sie weder den König noch irgendeinen andern zum Manne nehmen würde, sondern nur ihn allein, und er solle ihr nur treu bleiben und Vertrauen zu ihr haben, sie werde schon alles einrichten.
Endlich kamen sie an, und der König hatte eine große Freude, als er hörte, daß ihm der Jäger die Schöne der Welt bringe, und seine Freude wurde noch größer, als dieser sie ihm übergab und er sah, wie schön sie war. Der Jäger aber ging ganz betrübt zu seiner Mutter.
Nun ließ der König ein großes Hochzeitsfest einrichten, und während dieses gefeiert wurde, lockte ihn die Schöne der Welt an einen versteckten Ort und ermordete ihn und verbarg den Leichnam so gut, daß niemand etwas davon merkte, und ebenso machte sie es mit dem Großwesir. Darauf ließ sie sogleich den Jäger in den Palast rufen und erzählte ihm, was sie getan hatte, und sprach darauf: »Der König und sein ganzes Volk waren der Meinung, daß er, wenn er die Schöne der Welt zur Frau bekäme, zu einem Jüngling von achtzehn Jahren werden würde; bleibe also die Nacht bei mir, und wenn du am Morgen aufstehst, wird sich niemand über dein jugendliches Aussehen wundern, sondern alle
Welt wird sagen, daß das Wunder, welches man von des Königs Heirat mit der Schönen der Welt erwartete, wirklich erfolgt und der König wieder verjüngt worden sei.« Der Jäger blieb also die Nacht bei der Schönen der Welt, und als er am andern Morgen aufstand, wurde er von aller Welt als König begrüßt und regierte sein Reich mit vielem Glück und großer Weisheit bis an sein Lebensende.
Jugend ohne Alter und Leben ohne Tod
Es waren einmal ein großer König und eine Königin, beide jung und schön, und da sie keine Kinder bekamen, hatten sie oftmals alles getan, was dazu nötig ist; sie waren zu den Zauberern und Weisen gegangen, damit sie in die Sterne sähen und ihnen ansagten, ob sie Kinder bekämen, doch umsonst. Endlich hörte der König, in einem nahen Dorfe befände sich ein kundiger Greis, und schickte nach ihm. Der jedoch sagte dem Boten, wer ihn brauche, möge selber zu ihm kommen. So begaben sich König und Königin mit einigen Großen, Kriegsleuten und Dienern als Gefolge zum Hause des Alten. Da sie der Alte von ferne kommen sah, ging er ihnen entgegen und sagte sogleich zu ihnen:
»Seid mir willkommen! Aber weshalb kommst du, König? Der Wunsch, den du hegst, wird dir nur Schmerz bringen.«
»Nicht hiernach zu fragen, bin ich gekommen«, sagte der König, »sondern, damit du mir eine Arznei gibst, so du eine hast, auf daß wir Kinder bekommen.«
»Ich hab sie«, erwiderte der Alte. »Aber ihr werdet nur ein Kind bekommen. Es wird ein Schönkind sein und sehr lieblich, und ihr werdet es nicht bei euch behalten.«
Der König und die Königin nahmen die Arznei entgegen und kehrten fröhlich in ihren Palast zurück, und nach etlichen Tagen fühlte sich die Königin schwanger. Das ganze Königreich, der ganze Hof und alle Diener freuten sich darüber. Bevor aber noch die Stunde der Geburt da war, begann das Kind zu weinen, und kein Zauberer konnte es beruhigen. Da fing der König an, ihm alle Güter der Welt zu versprechen, aber auch das vermochte es nicht zum Schweigen zu bringen.
»Sei stille, Vaterliebling«, sagte der König, »ich will dir das und das Königreich geben; sei stille, Söhnchen, ich will dir die und die Königstochter geben«, und noch viel mehr desgleichen. Endlich, da er sah,
es wollte nicht stille werden, sagte er: »Sei stille, mein Junge, ich will dir Jugend ohne Alter und Leben ohne Tod geben.«Da schwieg das Kind und kam zur Welt. Die Hofleute jedoch schlugen die Pauken und bliesen die Trompeten, und rings im Königreich herrschte eine ganze Woche lang Festjubel.
Und der Knabe nahm zu wie an Jahren so an Geist und Kühnheit. Er ging in die Schulen und zu den Weisen, und was andere Kinder in einem Jahr lernen, all das lernte er in einem Monat, so daß der König vor Freude außer sich war. Das ganze Königreich pries sich glücklich, einst einen König zu bekommen, so weise und gelehrt wie König Salomo.
Von einer Zeit an jedoch, wer weiß, warum, war der Knabe ganz schwermütig, traurig und in Gedanken versunken. Und eines Tages, gerade als er sein fünfzehntes Jahr vollendete und der König sich mit allen Großen und den hohen Beamten des Reiches zur Tafel setzte und alle fröhlich waren, stand Schönkind auf und sagte: »Vater, die Zeit ist gekommen, da du mir geben sollst, was du mir bei meiner Geburt versprochen hast.«
Als der König das hörte, wurde er sehr bekümmert und sprach: »Aber woher, mein Söhnlein, soll ich dir etwas so Unerhörtes geben? Ich hab' es dir damals nur versprochen, damit du ruhig wurdest.« »Wenn du, Vater, es mir nicht geben kannst, so muß ich durch die ganze Welt ziehen, bis ich das Versprochene, weshalb ich zur Welt kam, finde.«
Da fielen der König und alle Großen auf die Knie und baten ihn, das Reich nicht zu verlassen. »Denn«, sagten die Großen, »dein Vater ist jetzt alt, und wir wollen dich auf den Thron erheben und dir die schönste Königin unter der Sonne zur Gemahlin geben.« Aber felsenfest blieb er bei seinen Worten.
Als nun der Vater all das sah, gab er ihm Urlaub und ging, ihm für den Weg Mundvorrat, und was er sonst noch brauchte, vorzubereiten. Hierauf begab sich Schönkind in die königlichen Ställe, wo die schönsten Rosse des ganzen Königreichs standen, um sich eines auszusuchen. Doch sowie er eines mit der Hand beim Schweife nahm, warf er es hin, und alle Pferde stürzten derart zu Boden. Schließlich, als er schon hinausgehen wollte, blickte er noch einmal im Stalle umher und bemerkte in einem Winkel ein rotzkrankes, schwäriges, elendes Pferd und trat zudem. Als er jedoch dieses mit der Hand am Schwanze ergriff, wandte es den Kopf nach ihm und sagte:
»Was befiehlst du, Herr? Dank sei Gott, daß er mir dazu verhalf, noch einmal die Hand eines Helden auf mir zu spüren.«
Und es stemmte die Füße auf und blieb kerzengerade stehn. Da sagte ihm Schönkind, was er beabsichtige, und das Pferd sprach zu ihm: »Damit dein Wunsch in Erfüllung gehe, mußt du von deinem Vater das Schwert, die Lanze, den Bogen, den Köcher mit den Pfeilen und die Kleider, die er als Jüngling trug, verlangen. Mich aber mußt du sechs Wochen lang mit eigner Hand versorgen und mir den Hafer in Milch kochen.
Er verlangte nun vom König die Sachen, die ihm das Pferd angeraten hatte, und der ließ den Haushofmeister rufen und befahl ihm, alle Kleidertruhen aufzuschließen, damit sein Sohn sich daraus wähle, was ihm gefalle.
Schönkind suchte drei Tage und drei Nächte; am Ende fand er auf dem Grunde einer alten Truhe die Waffen und Gewänder, die sein Vater als Jüngling getragen hatte, aber arg verrostet. Er ging daran, sie mit eigener Hand vom Roste zu reinigen, und nach sechs Wochen war er so weit, daß die Waffen wie ein Spiegel glänzten. Währenddessen besorgte er auch das Pferd, wie es ihm gesagt hatte. Viel Mühe hatte er, aber nicht umsonst.
Als das Pferd von Schönkind erfuhr, Kleidung und Waffen seien wohl gesäubert und hergerichtet, zur Stunde schüttelte es sich auch, und Geschwüre und Rotz wichen von ihm, und es wurde ganz so, wie es seine Mutter geboren hatte: ein wohlgenährtes, stattliches Roß mit vier Flügeln.
Da Schönkind es also sah, sprach er zu ihm:
»In drei Tagen reiten wir.«
»Glückauf, Herr! Ich bin heute schon bereit, wenn du befiehlst«, antwortete das Pferd.
Am dritten Tag früh war der ganze Hof und das ganze Königreich voll Trauer. Schönkind, in ritterlicher Tracht, das Schwert in der Hand, hoch auf dem Pferde, das er sich ausgesucht hatte, nahm Abschied vom König, von der Königin, von allen großen und kleinen Herren, von den Kriegsleuten und allen Hofbediensteten, die ihn unter Tränen baten, er möge doch von dieser Fahrt abstehen, damit er nicht etwa in sein Verderben gehe. Er aber gab seinem Rosse die Sporen und ritt aus dem Tore, und hinter ihm die Wagen mit Vorrat und Geld und an die zweihundert Kriegsleute, die auf des Königs Befehl ihn begleiteten.
Nachdem so Schönkind die Marken des Reiches seines Vaters überschritten hatte und in die Wüste gekommen war, verteilte er alle seine Habe unter die Kriegsleute, verabschiedete sie und sandte sie zurück; sich selbst aber nahm er nur so viel Vorrat mit, als das Pferd tragen konnte. Dann schlug er den Weg nach Osten ein und ritt und ritt drei Tage und drei Nächte, bis er auf ein weites Feld kam, wo viele menschliche Gebeine herumlagen. Da er anhielt, um zu rasten, sagte das Pferd:
»Wisse, Herr, daß wir hier auf dem Gebiet einer Spechtin sind, die so böse ist, daß sie jeden, der ihr Gebiet betritt, umbringt. Augenblicklich ist sie bei ihren Kindern, morgen aber wird sie aus dem Walde, den du dort siehst, dir entgegenkommen, um dich zu verderben. Sie ist furchtbar groß, aber erschrick nicht, halte vielmehr den Bogen bereit und schieß nach ihr, aber auch Schwert und Lanze behalte zur Hand, damit du dich ihrer bedienen kannst, wenn es not tut.«
Sie legten sich zur Rast hin; aber bald der eine, bald das andere blieb wach.
Am andern Tag, als sich eben der Morgen rötete, machten sie sich bereit, um durch den Wald zu ziehen. Schönkind sattelte und zäumte das Roß und zog den Gurt fester an als sonst und saß auf. Da aber hörte er auch schon ein schreckliches Hacken. Nun sagte das Pferd: »Halte dich bereit, Herr, denn die Spechtin kommt.«Und wie sie kam, Bruder, riß sie die Bäume nieder; so schnell fuhr sie daher. Aber das Pferd erhob sich wie der Wind, bis es fast genau über ihr war, und Schönkind schoß ihr mit dem Pfeil einen Fuß ab, doch als er den zweiten Pfeil auf sie abschießen wollte, schrie sie:
»Halt ein, Schönkind! Ich tu dir nichts.«
Und als sie sah, daß er ihr nicht glaubte, gab sie es ihm mit ihrem Blute geschrieben.
»Glück zu deinem Pferde, Schönkind«, sprach sie weiter; »das ist mir ein Zaubertier! Wär das nicht, verspeiste ich dich gebraten. Jetzt aber hast du mich zur Strecke gebracht. Wisse, bis heute hat kein Sterblicher sich über meine Grenzen gewagt; ein paar Tolle, die sich's erkühnten, sind gerade noch bis in die Blache gekommen, wo du die vielen Gebeine gesehen hast.«
Sie gingen mit ihr in ihr Haus, und da bewirtete die Spechtin Schönkind und nahm ihn auf wie einen Reisegast. Als sie jedoch am Tische saßen und lustig waren, stöhnte die Spechtin neuerlich vor Schmerz. Zur
Stunde nahm er den aufbewahrten Fuß aus dem Ranzen und setzte ihn an seine Stelle; und sogleich heilte er an. Die Spechtin hielt vor Freude drei Tage hintereinander Tafel und bat Schönkind, er möge eine ihrer Töchter, die alle schön wie Zinen waren, zur Frau nehmen. Er aber wollte das nicht, sondern sagte ihr offen, was er suche. Darauf sagte sie zu ihm: »Mit dem Pferde, das du hast, und deiner Tapferkeit wirst du es, glaube ich, finden.«Nach drei Tagen machten sie sich bereit und zogen weiter. Schönkind ritt und ritt wieder, lang und immer länger. Doch als sie über die Grenzen des Reiches der Spechtin gekommen waren, begab er sich auf eine schöne Wiese, die zur Hälfte voll Blüten stand, zur anderen Hälfte ganz versengt war. Da fragte er das Pferd, warum das Gras verbrannt sei, und das Pferd antwortete:
»Hier sind wir auf dem Gebiet einer Skorpionin, der Schwester der Spechtin. Böse, wie sie sind, können sie nicht an einem Ort zusammen leben. Ihre Feindschaft ist entsetzlich, über alle Maßen, eine will der anderen das Land entreißen. Wenn die Skorpionin gar ergrimmt ist, speit sie Feuer und Pech. Man sieht es, sie hat mit ihrer Schwester einen Streit gehabt, und um sie von ihrem Gebiete zu vertreiben, hat sie, wo sie zog, das Gras verbrannt. Sie ist noch schlimmer als ihre Schwester und hat drei Köpfe. Laß uns etwas rasten, und morgen früh seien wir zeitig bereit.«
Am anderen Tage rüsteten sie sich ganz so wie damals, als sie zur Spechtin kamen, und zogen aus. Da hörten sie auch schon ein Geheul und ein Gebrause, wie sie es nie vorher gehört hatten. »Halte dich bereit, Herr, denn die Greifin der Skorpione kommt daher.«
Die Skorpionin, den einen Kiefer am Himmel und den anderen an der Erde, Flammen speiend, kam heran so schnell wie der Wind. Aber geschwinde wie ein Pfeil erhob sich das Pferd, bis es fast genau über ihr war, und stürzte dann etwas seitlich von ihr herab. Schönkind schoß auf sie und riß ihr einen Kopf ab. Als er ihr den zweiten Kopf herunterschießen wollte, flehte die Skorpionin unter Tränen, er möge ihr verzeihen, sie tue ihm nichts, und da er ihr nicht glaubte, gab sie es ihm mit ihrem Blute geschrieben.
Die Skorpionin bewirtete Schönkind noch reichlicher als die Spechtin. Auch ihr gab er den Kopf, den er ihr mit dem Pfeile abgeschossen hatte, zurück; sowie er ihn an seine Stelle tat, wuchs er wieder an. Und nach drei Tagen zogen sie weiter. Bald hatten sie das Gebiet der Skorpionin
hinter sich und ritten, bis sie an ein ganz von Blüten überdecktes Feld kamen, wo es nur Frühling gab. Jede Blume war ungewöhnlich schön und duftete, daß es dich berauscht hätte. Ein leichter Wind, der kaum zu spüren war, wehte. Da hielten sie an, um sich auszuruhen. Das Pferd aber sagte: »Bis hierher ist es gegangen, wie es ging, Herr, aber noch sind wir nicht zu Ende; wir haben noch eine große Gefahr zu bestehen. Mit Gottes Hilfe werden wir auch sie überwinden, dann sind wir Helden. Nicht mehr weit von hier steht der Palast, wo Jugend ohne Alter und Leben ohne Tod wohnen. Dieses Haus ist von einem dichten, hohen Wald umgeben, worin die wildesten Tiere hausen, die es gibt; Tag und Nacht halten sie schlaflos Wache und sind sehr zahlreich. Mit ihnen zu kämpfen ist unmöglich und durch den Wald zu dringen desgleichen. Wir müssen sehen, ob wir nicht vielleicht darüber hinwegspringen können.«Nachdem sie an die zwei Tage gerastet hatten, machten sie sich wieder bereit. Da hielt das Pferd den Atem an und sagte: »Herr, zieh den Gurt an, so straff du nur kannst, und wenn du sitzest, halte dich gut fest in den Steigbügeln und an meiner Mähne. Die Beine halte eng an meinen Hals gedrückt, damit du mich in meinem Sprunge nicht behinderst.« Er schwang sich in den Sattel, machte einen Versuch, und in einem Hui war er beim Walde.
»Herr«, fuhr das Pferd fort, »jetzt ist gerade die Zeit, da die wilden Tiere des Waldes ihr Futter bekommen, und sie sind alle im Hof versammelt. So springen wir!« —»Springen wir«, erwiderte Schönkind, »und Gott erbarme dich unser.«
Sie schwangen sich empor und sahen den Palast derart glänzen, daß du schauen konntest ins Sonnenlicht, aber auf den Palast nicht. Sie sprangen über den Wald, und eben als sie sich zu der Treppe des Palastes herunterlassen wollten, berührte das Pferd ein ganz klein wenig den Wipfel eines Baumes, und sofort begann der ganze Wald in Bewegung zu kommen; die wilden Tiere heulten, daß sich einem die Haare auf dem Kopfe sträubten. Sie ließen sich geschwind hinab, und wäre die Herrin des Palastes nicht draußen gewesen, da sie eben ihre Küchlein fütterte (denn so nannte sie das Waldgetier), so wäre es um sie geschehen gewesen. Rein aus Freude über ihre Ankunft ließ sie ihn verschonen; denn bis dahin hatte sie noch keine Menschenseele bei sich gesehen. Sie hielt die Tiere ab, besänftigte sie und schickte sie an ihren Platz zurück. Die Herrin war eine hohe, liebholde und über die Maßen
schöne Zine. Da Schönkind sie erblickte, war er ganz sprachlos. Sie aber sah ihn freundlich an und sagte: »Willkommen, Schönkind! Was suchst du hier?«»Wir suchen«, sagte er, »Jugend ohne Alter und Leben ohne Tod.« — »Suchet ihr dies, wie du sagst, nun wohl - es ist hier.« Da saß er ab und trat in den Palast ein. Dort fand er noch zwei Mädchen, eine wie die andere jung; es waren die Schwestern der Älteren. Er begann der Zine zu danken, daß sie ihn aus der Gefahr befreit habe; jene aber bereiteten ihm ein köstliches Nachtmahl ganz und gar in goldenen Geschirren. Das Pferd ließen sie frei nach seinem Belieben herumgehen; schließlich machten sie es mit allen wilden Tieren bekannt, so daß es unbesorgt im Walde umherstreifen konnte.
Die Frauen baten Schönkind, er möge fortan bei ihnen bleiben, denn sie sagten, es sei ihnen langweilig allein. Er jedoch ließ sich das nicht zweimal sagen, sondern nahm es mit allem Danke an, als habe er sich gerade das gewünscht.
Nach und nach wurden sie miteinander vertraut. Er erzählte ihnen seine Geschichte und was er zu bestehen gehabt hatte, bis er zu ihnen gekommen war, und nicht lange darauf vermählte er sich mit der jüngsten der Schwestern. Bei ihrer Vermählung erteilten ihm die Herrinnen des Hauses die Erlaubnis, nach Belieben überall in der Runde umherzustreifen; und nur ein Tal, das sie ihm zeigten, solle er nicht betreten, denn es wäre nicht zu seinem Guten, und jenes Tal, sagten sie, heiße das Tal der Tränen.
Er verbrachte bei ihnen eine ungerechnete Zeit, ohne es gewahr zu werden; denn er blieb ganz so jung, wie er hingekommen war. Er zog durch die Wälder, ohne daß ihm nur der Kopf weh tat. Er ergötzte sich an den goldenen Palästen, lebte in Ruhe und Frieden mit seiner Gemahlin und deren Schwestern, erfreute sich an der Schönheit der Blumen und an der sanften reinen Luft wie ein Glückseliger. Oftmals ging er auf die Jagd; eines Tages aber verfolgte er einen Hasen, schoß nach ihm einen Pfeil, schoß den zweiten und traf ihn nicht. Voll Grimm eilte er ihm nach und schoß noch einen dritten Pfeil ab, und mit dem traf er ihn. Aber der Unselige hatte in seinem Eifer nicht darauf geachtet, daß er auf der Verfolgung des Hasen in das Tal der Tränen gekommen war.
Mit seinem Hasen kehrte er heim. Da jedoch, auf einmal ergriff ihn die Sehnsucht nach seinem Vater und seiner Mutter. Er getraute sich nicht,
dies den hohen Frauen zu sagen; sie aber erkannten es an der Traurigkeit und Unruhe, die sie an ihm sahen.»Du bist, Unglücklicher, im Tal der Tränen gewesen!« sagten sie zu ihm ganz erschrocken.
»Ich war dort, meine Lieben, aber ohne daß ich diese Torheit begehen wollte; und jetzt vergehe ich vor Sehnsucht nach meinen Eltern, aber auch von euch kann ich mich nicht trennen. Ich bin schon viele Tage bei euch und kann mich über nichts beklagen. So will ich denn gehen um noch einmal meine Eltern zu sehen, und dann zurückkehren und nie wieder fortziehen.«
»Verlaß uns nicht, Geliebter! Deine Eltern leben schon seit Jahrhunderten nicht mehr, und wenn du fortgehst, fürchten wir, du wirst nicht wieder zurückkehren. Bleib bei uns, denn eine Ahnung sagt uns, du werdest umkommen.«
Alle Bitten der drei Frauen wie auch des Pferdes waren nicht imstande, seine Sehnsucht nach den Eltern, die ihn ganz verzehrte, zu stillen. Endlich sprach das Pferd zu ihm:
»Wenn du nicht auf mich hören willst, Herr, wird, was dir zustößt, allein deine Schuld sein. Ich muß dir nun etwas sagen, und wenn du meine Bedingung annimmst, bringe ich dich zurück.« — »Ich nehme sie mit Dank an«, sagte er, »laß hören.«
»Wenn wir bei deines Vaters Palaste sind, so steig ab, ich aber kehre zurück, wenn du nur eine Stunde lang dort bleibst.« — »Gut denn«, sagte er.
Sie machten sich reisefertig, er umarmte die Frauen, und nachdem sie voneinander Abschied genommen hatten, ritt er hinweg, während sie schluchzend mit Tränen in den Augen zurückblieben. Sie kamen an Orte, wo das Gebiet der Skorpionin gewesen war. Sie fanden da Städte. Die Wälder hatten sich in Felder gewandelt. Er fragte den und jenen nach der Skorpionin und wo sie wohne, sie aber antworteten, ihre Großväter hätten von ihren Urgroßvätern von dergleichen Märchen erzählen hören.
»Wie kann das sein?«sprach Schönkind zu ihnen. »Erst neulich bin ich hier durchgekommen«, und er sagte ihnen, was er wußte. Die Leute lachten über ihn, als redete er irre oder träumte im Wachen. Voll Zornes ritt er weiter und beachtete nicht, daß ihm Bart und Haare weiß wurden.
Im Gebiet der Spechtin fragte er dasselbe wie im Gebiet der Skorpionin
und erhielt dieselben Antworten. Er konnte nicht begreifen, daß sich die Stätten in wenigen Tagen so verändert haben sollten, und wieder zog er voll Zornes hinweg, aber der weiße Bart reichte ihm schon bis an den Gürtel, und er fühlte, daß ihm die Beine zu zittern begannen.So kam er in das Reich seines Vaters. Hier gab es andere Menschen, andere Städte, und die alten waren so verändert, daß er sie nicht mehr wiedererkannte. Am Ende kam er in die Paläste, wo er geboren worden war. Er stieg ab, und das Pferd küßte ihm die Hand und sprach: »Leb wohl, Herr, denn ich kehre zurück, woher ich gekommen bin. Willst auch du mitkommen, so steig sogleich auf, und wir reiten.« — »Leb wohl. Auch ich hoffe, bald zurückzukehren.« Das Pferd flog schnell wie ein Pfeil von dannen.
Als er die Paläste in Trümmer gefallen und von Unkraut überwachsen sah, seufzte er, und mit Tränen in den Augen suchte er sich ins Gedächtnis zurückzurufen, wie strahlend diese Paläste einst gewesen waren und wie er seine Kindheit darin verbracht hatte. Zwei-, dreimal ging er um sie herum und suchte jedes Gemach, jedes Winkelchen auf, um sich die Vergangenheit wiederzuerwecken, den Stall, wo er das Pferd gefunden hatte, und stieg dann in den Keller hinab, dessen Eingang von herabgefallenen Trümmern verrammt war.
Wie er mit seinem Bart, der ihm bis zu den Knien reichte, da und dort herumsuchte -seine Augenlider mußte er mit den Händen heben und konnte kaum noch gehen -, fand er nur eine vermoderte Truhe. Die öffnete er, fand aber nichts darin. Er hob den Deckel des inneren Fachs auf, und eine schwache Stimme sprach zu ihm:
»Willkommen; denn wenn du noch länger ausgeblieben wärst, so wäre auch ich gestorben.«
Und der Tod, der da im Fache lag und rein zu einem Haken zusammengeschrumpft war, legte die Hand auf ihn, und er sank tot hin und zerfiel zur Stunde zu Staub.
MÄRCHEN VON MITTELMEERINSELN
Der Kopf
Es waren einmal eine Gärtnerin und eine Königin, die wurden beide zur selben Zeit schwanger, und das gab der Königin zu denken. Sie ließ darum die Gärtnerin bitten, sie möge zu ihr kommen, damit sie ihr etwas sage. Die Gärtnerin kam also zu ihr und fragte: »Ihr befehlt, Frau Königin? Was wollt Ihr von mir, einer einfachen Gärtnerin?«
Diese antwortete: »Höre, was ich dir sage, wir beide sind gleichzeitig in andre Umstände gekommen. Darum also, wenn du eine Tochter bekommst und ich einen Sohn, werden wir beide verheiraten. Umgekehrt, wenn du einen Sohn bekommst und ich eine Tochter, verheiraten wir sie auch.«
Sagte die Gärtnerin: »Frau Königin, werdet Ihr Euch denn herablassen wollen, mit mir verschwägert zu sein?« — »Ich will mich mit dir verschwägern -was kümmert's dich?« — »Aber wenn wir beide eine Tochter oder beide einen Sohn bekommen, was dann?« — »Wenn wir beide das gleiche bekommen, werden wir dennoch gut Freund bleiben und uns gern haben. Aber wenn du jetzt nicht auf mich hörst und gegen meinen Willen handelst, lasse ich dich köpfen.«
Die Gärtnerin ging fort und ging nach Hause. Und als drei weitere Monate vergangen waren, kam sie nieder und gebar einen Kopf.
»He«, sagte sie zu den Frauen, die dabei waren, »werft ihn weg! Wahrscheinlich hatte ich eine Krankheit, daß ich nur einen Kopf zur Welt gebracht habe. Wie dem auch sei - so oder so -, wird man mich doch enthaupten.«
Um diese Tage kam auch die Königin nieder. Und man verkündigte den Hof leuten, daß sie eine Tochter geboren habe. Die Königin aber sagte zu ihren Kammerfrauen: »Ich möchte doch gern wissen, was die Gärtnerin
zur Welt gebracht hat. Geht und seht, ob sie auch schon ein Kind hat!«So gingen sie denn zu der Gärtnerin, aber als man sie danach fragte, sagte sie immer nur: »Was immer ich euch sagen werde -die Königin wird mich ja doch köpfen lassen.«
»Aber warum denn - was hast du denn gemacht?«
»Ich habe nur einen Kopf zur Welt gebracht, und ich habe ihn in den Häusertrümmern wegwerfen lassen.«
Kaum hatten die Dienerinnen das der Königin berichtet, als diese sagte: »Lauft schnell, und holt mir den Kopf!«
Und die Dienerinnen gingen wieder zu der Gärtnerin, damit diese ihnen den Kopf gäbe, um ihn zu ihrer Herrin zu nehmen.
Sie fanden den Kopf und brachten ihn ihr. Die Königin befahl sofort, Wasser heiß zu machen, ließ den Kopf baden und salben - und schön geschmückt setzten sie ihn auf die Kommode.
Als nun die Königstochter herangewachsen war und in das Alter kam, um verlobt zu werden, ließ die Königin der Gärtnerin wiederum sagen, sie möge zu ihr kommen.
»So«, sagte sie, »nun werden wir unsere Kinder verloben und werden verschwägert sein.«
»Wie machen wir das bloß, Frau Königin, wo es doch nur ein Kopf ist!?« wandte die Gärtnerin ein.
»Ich will es so, daß wir sie verloben, und so machen wir es!«entgegnete die Königin. Sie ließ den Priester holen, und der verlobte sie*. Und nachdem sie ein, zwei Jahre verlobt gewesen waren, wurde die Hochzeit gerichtet.
Am Abend, als die Jungverheirateten in ihrer Kammer allein gelassen wurden, siehe -da schüttelte sich der Kopf, und heraus kam ein schöner Jüngling, der sagte: »Verrate niemandem, daß ich ein junger Mann bin, denn wenn du mich verrätst, verlierst du mich!« Das Mädchen sagte niemandem, daß es einen so schönen Mann hatte, und sie verlebten ihre Nächte und ihre Tage in Einsamkeit.
Nun begab es sich einmal, daß der Vater der Prinzessin ein Dschirritai
Er nahm einen schönen Rotfuchs und ritt in die Bahn - und das Mädchen setzte sich ans Fenster, um zuzuschauen, wie er mit den andern Dschirritai spielte. Ihrer Mutter mißfiel das, und sie sagte: »Komm herein ins Zimmer und sitze ruhig bei deinem Kopf, nicht daß der Anblick eines anderen dich etwa betöre!«Die Prinzessin aber antwortete: »Keiner wird mich je betören -ich bleibe meinem Kopf treu. Laß mich hier sitzen.«Sie erfreute sich an dem Spiel, und als es zu Ende war, kam der Jüngling zurück, verschwand in dem Kopf - und keiner hatte ihn gesehen.
Als wiederum ein Dschirritai veranstaltet wurde, nahm er wieder daran teil, aber diesmal in einem weißen Anzug und auf einem weißen Pferd. Und wieder rief die Mutter ihre Tochter: »Komme herein, sitze bei deinem Kopf, nicht daß dich jemand betört!« Sie aber antwortete: »Fürchte nichts, kein anderer wird mich je betören, ich bin glücklich mit meinem Kopf.«Als das Spiel vorüber war, schlüpfte der Jüngling hinein, verschwand in seinem Kopf - und keiner hatte ihn gesehen.
Nach einigen Tagen gab der König wieder ein Dschirritaispiel. Diesmal legte der Jüngling schwarze Kleider an und bestieg einen Rappen. »Jetzt«, sagte er, »wirst du mich verraten, denn du wirst es nicht mehr aushalten. Und wenn du mich verrätst, muß ich von hier verschwinden, weder der Kopf noch irgendeine Spur wird von mir bleiben. Wenn du mir nachgehen wirst, um mich zu finden, wirst du lange gehen müssen, so lange, bis die Krähen ein Nest auf deinem Kopfe bauen werden. Du mußt weitergehen, bis die jungen Krähen flügge werden und das Nest zerfällt. Und da, wo das Nest zerfällt, bleibe stehen und errichte eine Herberge. Erst danach kannst du mich finden.«
Während er also wieder Dschirritai spielte, fing die Mutter wieder an, das Mädchen mit ihren Reden zu quälen, so daß diese ärgerlich wurde und ausrief: »Was habe ich nötig, einen anderen Mann anzusehen, mein Mann ist wie ein Engel so schön und so gut - und siehe, wie er da unten Dschirritai spielt!«Aber kaum hatte sie das ausgesprochen, als sowohl Reiter als auch Kopf verschwanden. Als sie dessen gewahr wurde, fing sie an zu weinen und zu wehklagen, und wollte nur gehen, um ihn zu finden. Die Mutter jammerte und bat: »Bleibe doch, wir werden schon einen andern finden und dich wieder verheiraten!« Aber diese wollte von nichts hören und sagte nur immer, sie wolle gehen, um ihren Mann zu finden. Man machte ihr ein Paar eiserne Schuhe, und sie begab sich auf ihren einsamen Weg.
Sie ging und ging - und auf ihrer langen Wanderschaft bauten die Krähen ein Nest auf ihrem Kopfe. Sie ging und ging -während die Vögel brüteten -, sie ging und ging, und die jungen Krähen krochen aus, wuchsen, wurden groß und flogen. Das Nest zerfiel. Und da, wo es von ihr abfiel, baute sie eine Herberge und einen jeden, der vorbeiging und eine Geschichte erzählen konnte, den nahm sie auf, gab ihm zu essen und ließ ihn umsonst übernachten.
Zu dieser Zeit kam ein Mädchen mit seinem blinden Großvater vorbei. Sie setzten sich an den nahen Fluß, um ihr trockenes Brot anfeuchten zu können und zu essen. Aber im Augenblick, als die Kleine das Brot ins Wasser tauchte, riß das Wasser es ihr aus der Hand. Erschrocken lief sie hinter dem Brot her, das schnell und schneller wegschwamm. Wie sie so hinterherlief, fiel sie in ein Loch, sank tiefer und tiefer und landete in einer großen Halle, in der ein Koch stand und einhundertundein Portionen Essen in einem Kessel kochte. Er gab ihr eine davon zu essen, sie aß, doch als sie fertig war, gab er ihr eine Ohrfeige, verwandelte sie in eine Stecknadel und steckte sie in die Matte.
Da sah sie, wie Wassernixen ankamen, die brachten einen Kopf, rollten ihn herum und sagten dabei: »Für deine Gesundheit und die Erlösung der Liebe, die du genossen und verloren hast!« Darauf nahmen sie ihn wieder auf, legten ihn an einen Platz und gingen in die Halle, um zu essen.
»Es riecht nach Menschenblut«, sagten sie. »Das Menschenblut bin ich«, antwortete der Koch, »und wenn ihr mich essen wollt, dann eßt mich!«
»Na, das geht ja nicht, daß wir unsern Koch essen«, erwiderten sie,
setzten sich hin und aßen weiter. Als sie gegessen hatten, aufgestanden und wieder mit dem Kopf gegangen waren, gab der Koch der Nadel einen Klaps, und sie wurde wieder zum Mädchen.»Jetzt geh und lauf«, sagte der Koch, »denn wenn du hierbleibst, kannst du dich nicht vor ihnen retten.«
Das Mädchen lief, was es konnte, bis es seinen Großvater wiederfand. Der schimpfte: »Wie lange bleibst du eigentlich und läßt mich hier allein, und ich sehe nicht, wohin ich gehen kann?«
»Sei still, Großvater, ich will dir erzählen, was ich gesehen habe, denn was ich gesehen habe, ist besser als ein Märchen!«
»Halt deinen Mund, du Hundebastard! Läßt mich hier, und ich muß frieren. Und willst mir noch obendrein erzählen, was du heute gesehen hast?!«Und er machte sich auf, und sie gingen zum Gasthaus und setzten sich. Der Alte fing an, eine Geschichte zu erzählen, aber die Kleine verging vor Unruhe, um auch zu erzählen. Er wurde ärgerlich mit ihr und fuhr sie an: »Ich sage dir, halte deinen Mund!«
»Aber ich will doch nur sagen, was ich heute gesehen habe!« »Nein, du wirst gar nichts sagen!«
Die Königstochter wurde aufmerksam und sagte zu dem Alten: »Laß sie ruhig sagen, was sie zu sagen hat, vielleicht hat sie Glück und gewinnt die ganze Herberge!« Und so geschah's.
Die Kleine fing an zu erzählen, wie ihr das Brot aus der Hand gefallen war, wie sie vergebens versucht hatte, es zu erhaschen, wie sie plötzlich in ein Loch gefallen war und sich in einer Halle wiederfand. »Und wie ich da zu dem Koch kam, legte er mir zu essen vor, und nachdem verwandelte er mich in eine Stecknadel und steckte mich in die Matte . da kamen viele Nixen, die hielten einen Kopf, den kullerten sie rum und sagten zu ihm: >Für deine Gesundheit und die Erlösung der Liebe, die du genossen hast!«
»Ach«, sagte die Königstochter, »erzähle nur, erzähle, denn das Gasthaus ist dein!« und nahm sie auf den Schoß, um die ganze Geschichte zu hören. ». . . Und nach dem«, fuhr die Kleine fort, »gab er mir einen Klaps, da wurde ich wieder ein Mädchen, lief zu meinem Großvater und kam her, um es dir zu sagen.«
Sofort ging die Königstochter und überschrieb das ganze Gasthaus auf die Kleine, gab ihr so viel Geld, wie nötig war, und ließ sie mit dem Alten im Gasthaus. Das Mädchen mußte ihr noch den Platz zeigen, wo alles geschehen war; sie gingen zusammen an den Fluß und mit dem
Wasser bis zu der Stelle, wo sie versunken war. Die Prinzessin ging hinein, versank bis in die große Halle und fand den Koch.»Ach«, sagte der Koch, »was bist du hergekommen, jetzt werden sie dich und mich fressen!«
»Ich bin vom Weg abgekommen und gestürzt.«
Er legte auch ihr zu essen vor, sie aß, doch kaum war sie fertig, da gab er ihr einen Schlag, und sie wurde zur Stecknadel, die steckte er in die Matte.
Da kamen auch schon die Nixen, hatten den Kopf bei sich, warfen ihn herum und sagten dabei: »Für deine Gesundheit und die Erlösung der Liebe, die du genossen und verloren hast!«
Als sie dann zum Essen gingen, sagten sie: »Es riecht nach Königsblut!«
»Das Königsblut bin ich«, sagte der Koch, »und wenn ihr mich fressen wollt, freßt mich!«
»Wo werden wir unsern Koch essen!« riefen sie, setzten sich hin und aßen weiter. Als sie wieder fort waren, gab er der Nadel einen Klaps, und sie wurde wieder zum Mädchen.
»Fliehe«, sagte er, »denn sie werden dich und mich fressen!«
»Nein«, sagte sie, »ich muß erst sehen, wo sie den Kopf hingelegt haben.«
Sie ging und fand den Kopf, weinte und jammerte: »Oh mána mou*, was du gesagt hast, ist mir widerfahren!« Da stieg er aus dem Kopf. »Oh, bist du gekommen und hast mich endlich gefunden!«sagte er beglückt.
»Ja, aber nun sage mir, wie ich dich von hier wegbekomme.«
»Du mußt gehen, da ist ein Berg und bei dem Berg ist ein großes Wasserbecken bei einem Myrtenstrauch. Du mußt es gut reinigen, mit Myrten ausreiben und Wohlgerüche hineingießen. Danach verstecke dich, bis die Nixen kommen, um dort zu baden. Sie werden mich als kleines Kätzchen bei sich haben und werden sich wundern, wer ihnen das Bad so schön gerichtet hat. Da mußt du hervorkommen und ihnen sagen: ich habe das alles so schön gemacht. Sie werden dich fragen: was willst du, das wir dir geben? Dann antworte ihnen: du wollest das Kätzchen. «
So machte sie sich denn wieder allein auf, fand den Berg, scheuerte das Brunnenbecken, rieb es mit Myrten aus und goß Wohlgerüche hinein, so daß das Becken duftete. Dann versteckte sie sich hinter dem Myrtenstrauch und wartete.
Die Nixen kamen mit dem Kätzchen und riefen: »Oh, wer hat uns diesen Gefallen getan, dem wollen wir einen noch größeren tun!«
Die Königstochter sprang hinter dem Myrtenstrauch hervor und sagte: »Ich habe es gemacht.«
»Was willst du, das wir dir für deine Wohltat geben? Was du uns sagen wirst, werden wir dir schenken.«
»Ich möchte, daß ihr mir das Kätzchen gebt. Ich bin so ganz allein. Da habe ich wenigstens dieses zum Spielen.« Die Nixen berieten.
Eine sagte: »Wir werden es ihr geben.«Die andere: »Warum sollen wir ihr's geben?«Noch eine: »Es macht nichts, gib es ihr ruhig, denn sie weiß ja nicht, was es ist. Es wird doch von ihr weglaufen und wieder zurückkommen. «
Und sie gaben es ihr. Sie waren nicht weit gegangen, da schüttelte sich das Kätzchen, und siehe -da ward es der schöne junge Mann.
»Jetzt brauchen wir uns nirgends mehr zu verstecken, das ist vorbei!« Sie gingen zurück zu dem kleinen Mädchen in der Herberge. Die war voll mit Gästen, die Dienstboten halfen, und so war es versorgt.
Da machten sie sich auf und gingen zurück zu Vater und Mutter der Königstochter. Die riefen die Gärtnerin, die nicht ahnte, was für einen schönen jungen Sohn sie hatte.
»Nun brauchen wir uns nicht mehr zu verbergen!«
Da gab's eine große Feier, es wurde gegessen und getrunken, es wurde Dschirritai gespielt. Und so lebten sie alle fröhlich, bis an ihr Ende - und wir leben noch besser!
Die Tschaklabanien*
Es war einmal ein König, der drei Söhne hatte und eine Tochter. Seine Frau starb, und er nahm sich eine andere. Auch mit ihr hatte er ein Kind —ein Mädchen. Aber seit der Stunde von deren Geburt an ging es mit
Darum sagte eines Tages der älteste Sohn: »Ich werde mich auf die Lauer legen, um den Dieb zu fangen.«
»Nimm dich aber in acht«, sagte der König, »denn wenn du ihn nicht fängst, werde ich dich köpfen lassen.«
Also legte sich der älteste Sohn bei Nacht auf die Lauer, aber wie es sich so traf . . . er schlief ein - und das beste Pferd verschwand.
Am frühen Morgen ging der König, um zu sehen, ob er etwas erwischt habe. Der Sohn sagte: »Was auch immer ich sagen werde, du wirst mich ja doch köpfen, ich bin eingeschlafen.«
Der König wollte ihn köpfen lassen, da ging der zweite Sohn und sagte zu ihm: »Köpfe ihn noch nicht, Vater, ich werde heute nacht wachen, und falls ich den Dieb auch nicht fange, dann kannst du gleich uns beide köpfen lassen, dann bleibe ich wenigstens nicht ohne großen Bruder zurück!«
Also ging auch der zweite Bruder, saß wach bis Mitternacht, dann aber schlief auch er ein. Am Morgen ging der König, sah nach . . da fehlte ihm sein bester Truthahn. Er sagte:
»Nein, Kinder, nun muß ich euch beide köpfen lassen!« Da kam der kleinste Bruder und sprach: »Ach, Vater, laß sie noch nicht köpfen, ich werde es heute abend noch einmal versuchen - und wenn ich ihn auch nicht fasse, dann köpfe uns gleich alle drei.« So ging der Jüngste und saß Wache.
Aber er nahm sich Bücher mit und las und ging beim Lesen auf und ab, um nicht einzuschlafen. Als nun Mitternacht vorbei war, hörte er ein Geräusch im Stall. Er geht und guckt und sieht das Kind seiner Stiefmutter, das sich einmal nach hier, einmal nach dort umsieht, auf das Pferd springt, es totbeißt und anfängt, es aufzufressen.
Der Junge sagt sich: >Wenn ich das Kind jetzt töte, wird man mir nicht glauben. Bis ich den König rufe, wird es fort sein, und er wird mir auch nicht glauben. Auch dann wird er mich köpfen.<
Er überlegte schnell, was tun, schnitt dem Kind den Daumen ab und steckte ihn in die Tasche.
Am nächsten Morgen kommt der König und fragt:
»Hast du den Dieb gefangen?« Der Jüngste antwortet: »Was ich dir auch sagen werde -ich habe ihn gefangen, oder ich habe ihn nicht gefangen -du wirst mich ja doch köpfen! Denn es ist das Kind, das du in der Wiege hast.«
»Nun willst du mir erzählen, daß ein Kind, das in der Wiege liegt, geht und Pferde frißt?«
»Jawohl, denn hier ist der Finger, den ich ihm abgeschnitten habe. Geh selber und schau, ob ihm ein Finger fehlt.«
»Solche Lügen! Wie ist das möglich?«
»Doch!«sagte darauf der Sohn, und sie gingen zudem Kinde. Sie sahen nach und wirklich: ein Finger fehlt!
Wie die Stiefmutter all dessen gewahr wurde, schrie und weinte sie: »Das ist alles erlogen, sie sind gekommen, um mein Kind zu töten, weil sie uns nicht mögen!«
Der König hörte auf seine Frau und wollte seine Söhne töten lassen. Aber das Volk lief zusammen, die Soldaten liefen zusammen, und alle baten ihn, doch die Kinder leben zu lassen.
»Eh! Wollt Ihr sie töten? Schickt sie lieber von Hause fort!« Und so jagte er sie alle drei davon.
Sie nahmen jeder ein Schwert und wollten gehen, da sagte der Kleinste: »Sollen wir weggehen und unsere Schwester zurücklassen, damit man sie tötet? Wir werden sie auch mitnehmen!«Also riefen sie ihre Schwester und nahmen sie auch mit.
Wie sie sich nun aufgemacht hatten und schon weit von der Stadt waren, kamen sie an einen Stein an einem Kreuzwege, von dem drei Wege abgingen, und auf dem Stein stand geschrieben:
»Einer geht und kommt.
Einer kommt wieder - oder auch nicht.
Einer geht und kommt - in Elend.«
Da also nahm der Älteste den Weg, der geht und kommt. Sagte der
Jüngste: »Nimm doch auch deine Schwester mit!«
»Nein, so eine Bürde nehme ich nicht auf mich.«
Der zweite wählte den Weg: entweder - oder. Sagte ihm der Kleine:
»He! Nimm deine Schwester auch mit!«
»Nein, so eine Last will ich nicht mit mir haben.«
Da nahm der Jüngste den Weg: geht und kommt -in Elend. »Komm mit mir, Schwester, was bei Gott geschrieben steht, ist unser Schicksal.« Und so war es.
Er machte sich mit seiner Schwester zusammen auf, und als sie weit gegangen waren, sahen sie eine Höhle. Wie sie in die Höhle hineingehen, sind da einhundertundein Drachens. Der kleine Bruder geht -schlägt rechts, schlägt links -schlägt sie alle tot. Einer jedoch war nicht ganz tot, sondern nur besinnungslos. Der Jüngling machte eine große Grube und warf sie alle hinein, doch zufällig lag der, welcher nicht ganz tot gewesen war, obenauf.
Der Knabe ging nun immer auf die Jagd, und was er erlegte, brachte er der Schwester heim. Die kochte und versah die Hauswirtschaft, und was vom Essen übrigblieb -Brotkrusten und Knochen -, das warf sie in die Grube. Der Drache, der verwundet zuoberst lag, aß davon, genaß und wurde wieder kräftig und stark. Und so stieg er eines Tages aus der Grube heraus und unterhielt sich mit dem Mädchen. Nach und nach kam er nun jeden Tag - und sie verliebten sich ineinander. Sagt sie zu ihm: »Nimm dich in acht, daß mein Bruder uns nicht zusammen sieht. Denn wenn er uns sähe, würde er uns töten**.«
Sagt er zu ihr: »Damit wir zusammen leben können, muß dein Bruder umkommen. Du legst dich hin und sagst, du wärest krank. Und wenn er dich fragt, was du brauchst, um gesund zu werden, dann sagst du ihm, du willst Weintrauben. Es seien Leute mit Trauben vorbeigekommen und haben dir nicht einmal eine gegeben. Und weiter sagst du ihm, daß du mal gehört hast, daß hier höher hinauf ein Weinberg sei, und er wird hingehen, um dir Trauben zu holen. Dieser Weinberg ist voller Schlangen, die werden ihn fressen.«
Am Abend, als er nach Hause kam, fragte er sie, warum sie im Bett liege; da sagte sie ihm alles so, wie der Drache es ihr eingegeben hatte. »Nun, so werde ich gehen und dir welche holen, mein Schwesterchen«, sagte er zu ihr, nahm sein Schwert und ging.
Die Schlangen lagen wie eine Mauer um den Weinberg. Da schlug er eine Menge davon tot, ging durch die Bresche in den Weinberg und schnitt Trauben.
Inzwischen hatten die Schlangen eine Mauer gebildet, wieder schlug er eine Bresche und ging hindurch und brachte seiner Schwester die Trauben.
Als der Bruder wieder von Hause fortgegangen war, kam der Drache.
»Hat er dir Weintrauben gebracht?«
»Oh, viele - wenn du willst - iß auch davon!«
»Morgen mußt du dich wieder krank stellen und mußt sagen, du müßtest Milch haben. Da sei eine Tschaklabana, die habe vier Junge. Und wenn er geht, um sie zu melken, dann werden sie oder die Jungen ihn fressen.«
Als der Knabe heimkam, fand er sie wieder im Bett.
»Oh, Schwesterchen, bist du noch nicht geheilt?«
»Nein«, sagte sie zu ihm, »ich möchte Milch trinken. Einer ging mit Milch vorbei und hat mir nichts gegeben. Aber ich habe gehört, daß hier in der Nähe eine Tschaklabana ist. Sag ihr, sie soll dir von ihrer Milch geben, damit ich sie trinke und gesund werde.«
»Ich werde gehen, Schwester, und wenn sie mir welche gibt, bringe ich sie dir.«
Er ging auf eine Anhöhe. (Seitdem die Tschaklabana ausgerutscht und hingefallen war, war ihr ein Stein auf die Nieren gefallen, und ihre Jungen konnten den Stein nicht wegwälzen.) Er rief sie von Ferne an: »He, Tschaklabana!« Sie antwortete: »Wer bist du? Komm, heb mir meine Augenwimpern hoch, damit ich sehen kann, wer du bist.«
»Ich komme runter, wenn du mir schwörst, daß du mich nicht frißt.« »Wenn du mir den Stein von meinen Nieren wegnimmst, dann nehme ich dich als mein Kind an.«
Er ging, wälzte ihr den Stein von den Nieren weg, und die Tschaklabana reckte sich gerade.
Er verlangte von ihrer Milch, sie melkte sich und füllte ihm seine Kürbisflaschen. Da kamen die Jungen, um ihn zu fressen. Sie aber sagte ihnen: »Nein, freßt ihn nicht. So viele Jahre seid ihr nicht imstande gewesen, mir den Stein wegzunehmen, und dieser ist gekommen und hat ihn mir gleich weggemacht! Seht ihn als euren Bruder an!« Sie riß sich ein Haar aus: »Wenn du in Not bist, versenge das Haar, dann werden wir alle kommen, um dir zu helfen.«
Er nahm die Milch und brachte sie seiner Schwester.
Als der Drache kam, fragte er wieder: »Hat er dir die Milch gebracht?«
»Ja, er hat sie mir gebracht.«
»Nun, wenn wir zwei zusammen leben wollen, dann müssen wir deinen Bruder töten.«
»Ach, wie werden wir das nur fertigbringen, er ist sehr stark!«
»Wenn er heute abend nach Hause kommt, frage ihn, wo seine Stärke sitzt, und dann werde ich dir weiter sagen, was du machen mußt.«
Abends kam der Jüngling nach Hause, und sie fragte ihn: »Ich möchte wissen, wo deine Stärke sitzt. Ich bin den ganzen Tag so allein, wenigstens kann ich mir damit die Zeit vertreiben.« Der Bruder lachte und fragte: »Was willst du mit meiner Kraft?«
»Ach nichts, ich will sie nur so zum Zeitvertreib.«
»Meine Kraft ist auf dem Stuhl«, sagte er, und er ging von dannen. Sie holte Blumen und schmückte den Stuhl, als ob der seine Kraft darstelle.
Kam der Bruder abends zurück, sah es und lachte: »Wozu hast du den Stuhl geschmückt?«
»Du hast mir doch gesagt, daß das deine Kraft sei!«
»Ich will dir was verraten - sie ist auf dem Kamin!«
Als der Drache kommt, fragt er: »Hat er dir's gesagt?«
»Gestern hat er mir gesagt, sie sei im Stuhl - heute sagt er mir, sie ist auf dem Kamin und ich schmücke ihn gerade.«
»Ich glaube, daß seine Kraft auf seinem Kopfe ist. Er hat nämlich drei goldene Haare. Schmeichle ihm, daß er seinen Kopf auf deinen Schoß legt, schneide ihm die drei Haare ab und rufe mich.«
Als der Jüngling abends nach Haus kam, fand er den Kamin geschmückt.
»Aber was hast du denn da gemacht? Hast du den Kamin geschmückt?«
»Wo du mir doch gesagt hast, daß da deine Kraft steckt, habe ich mich den ganzen Tag damit beschäftigt.«
Am andern Morgen bat sie ihn: »Sag mir doch endlich, wo deine Kraft wirklich steckt, damit ich mich mit ihr unterhalten kann!«
»Aber bist du denn ganz kindisch? Meine Kraft ist auf mir und nicht auf Stühlen und Kaminen!«
Darum also, als er wieder nach Hause kam, bat sie ihn, sich auszuruhen.
»Lege deinen Kopf hier auf meinen Schoß.« Sie stellte sich, als ob sie ihn streichle, sah nach und fand die drei goldenen Haare. Augenblicklich nahm sie die Schere und schnitt sie ab. »Meine Schwester«, rief er,
»was habe ich dir getan, daß du mir das angetan hast?!« Er blieb liegen und konnte sich nicht rühren.Das Mädchen ging und rief den Drachen.
»Ist es nicht ein Jammer, solch einen strotzenden Burschen zu töten? Besser, wir stechen ihm die Augen aus und werfen ihn in jene Grube.« Sie stachen ihm die Augen aus, fanden die Grube im Feld und warfen ihn hinein.
Langsam, langsam wuchsen jedoch die Haare wieder, und mit dem Wuchs der Haare wuchs seine alte Kraft. Eines Tages kam der König mit seinem Gefolge in die Nähe, um Dschirritai zu spielen.
Aus der Grube kamen Rufe: »Seid ihr Türken oder Christen? — Erbarmt euch und holt mich aus dieser Grube heraus!« Und so zogen sie ihn heraus.
»So blind wie ich bin, kann ich besser Dschirritai spielen als ihr!« Er nahm den Speer und spielte besser Dschirritai als alle Krieger. Dem König gefiel er so gut, daß er ihm anbot, ihm seine Tochter zur Frau zu geben. »Wie kann es möglich sein, daß eure Tochter mich wollen wird -mich, einen Blinden?«
»Wenn es mein Wille ist, so gebe ich sie dir.«
Und er ging und verheiratete sie beide.
Aber in der Brautnacht, als sie schlafen gingen, legte der Jüngling sein Schwert dazwischen, und er schlief nicht mit der Braut. Am Morgen ging der König zu ihr*.
»Ja, aber warum hat er denn nicht mit dir geschlafen? Frage ihn, ob er etwas will, damit er mit dir schlafe!«
Das Mädchen fragte den Knaben: »Was willst du vom König?«
»Er soll mir Licht geben -ich will erst mein Augenlicht wiederhaben!« Das Mädchen berichtete das dem Vater, und dieser beriet sich mit einem Arzt, wie man ihm wohl sein Augenlicht wiedergeben könne. Der Arzt meinte, er müsse ein Zicklein finden, drei Monate und drei Stunden alt, ihm die Augen herausnehmen und sie dem Jüngling einsetzen. Da ließ der König ausrufen, wer da ein Zicklein hätte, drei Monate und drei Stunden alt, der solle es ihm bringen. Bald kam ein Hirt, der ein solches hatte, der König kaufte es ihm ab, der Arzt nahm es und setzte dem Jüngling die Augen ein - und er sah!
Man geht abends, um sich gemeinsam schlafen zu legen, aber wiederum legt er sein Schwert dazwischen. Am Morgen geht der König zu ihnen, da beklagt sich die Tochter wieder bei ihm.
»Frage ihn, Kind, was er noch verlangt!«
»Was für eine Forderung hast du noch, da du das Schwert zwischen uns legst?«
»Ihr sollt mir vier eiserne Keulen machen lassen . .
So ließ man ihm vier eiserne Keulen machen. Und erst als er diese hatte, da schlief er mit ihr. Aber alle Zeit war es wach in ihm, was aus seinem Vater geworden sei und aus der Mörderin, die er gezeugt hatte.
Es kam ihm in den Sinn, zu gehen und nachzusehen, und er machte sich auf den Weg zu dem Land seines Vaters; kommt in die Stadt und sieht keinen Menschen. »Meines Vaters Häuser sind geschlossen - was soll das heißen?«
Er geht hierhin und dorthin - niemand.
»Ich werde hinaufgehen, um zu sehen, was los ist.«
Er geht hinauf ins Schloß, da ist nichts außer einer Drakona*, die sitzt in der Mitte der Halle.
»Och«, sagt sie, »was für ein schöner Leckerbissen ist mir da heute ins Haus gekommen?«
»Eh«, sagt er, »wo du doch meine Schwester bist -willst du mich etwa fressen?«
»Was ist schon dabei? Meinen Vater, meine Mutter und meine Brüder habe ich aufgegessen und dich soll ich lassen? Bleibe hier, bis ich meine Zähne angeschliffen habe, dann werde ich auch dich essen.«
»Mein seliger Vater hatte da mal eine Laute, gib sie mir, damit ich ein bißchen spiele, bis du deine Zähne geschliffen hast.«
Sie gab sie ihm, und er spielte, während sie ging, um ihre Zähne zu schleifen. Eine Maus hörte ihm zu und sagte zu ihm: »Du spielst jetzt zwar die Laute, aber die Drakona wird doch kommen, um dich zu fressen; gib mir lieber die Laute, ich werde mit dem Schwanz drauf spielen — du aber entfliehe.«
So lief er und die Maus spielte -dingala, dangala -mit ihrem Schwanz, während er durch den Kamin kletterte und floh.
Die Drakona kommt - aber kaum sieht die Maus sie, als sie schnell wegläuft.
»Ah«, sagt die Drakona, »aber ich werde ihn noch einholen, wo kann er schon hinlaufen?« und sie hinterdrein! rennt - rennt und holt ihn ein.
Schon will sie ihn packen, stehn da drei Cypressen - er springt auf die erste rauf -die Drakona beißt -beißt in den Stamm -, fast ist er schon durch, da springt er auf die zweite. Sie beißt - beißt - beinah ist der Stamm ab -, da springt er auf die dritte! Im Moment, wie sie bei der dritten anfangen will, erinnert er sich der Tschaklabanien!
»Schwester«, ruft er, »ich habe auch noch eine Herde, die kannst du besser gleich mit auffressen, was soll sie allein nachbleiben?«
Er sengt schnell die Haare, da kommen die Tschaklabanien gerannt. Man hörte die Herdenglocken, wie sie so ankamen. Sie meinte nicht anders, als es wäre eine Herde, und wartet ganz in Gedanken darauf, auch sie zu fressen. Rufen die Tschaklabanien:
»Was willst du, Bruder?«
»Guckt nicht lange, sie will mich fressen!«
Sie packen sie, sie zerreißen sie - und machen sie zu kleinen Stücken! Da stieg er vom Baum hinunter, nahm die Tschaklabanien mit, und sie gingen in den Palast.
Da luden sie auf, was sie an Gold und Schmuck fanden und kehrten beladen zurück zu seiner Frau. Doch er blieb nur einige Tage; jetzt wollte er auch sehen, was seine Schwester und der Drachen machten. Nimmt also seine Tschaklabanien, sie gehen, finden den Drachen und töten ihn auch. Aber seine Schwester zu töten, tat ihm leid, er nahm sie mit sich, ließ die Tschaklabanien wieder frei, und sie gingen zurück in ihr Tal, nachdem er ihnen gesagt hatte, wenn er sie nötig hätte, würde er sie wieder rufen.
Mit seiner Schwester ging er in seines Vaters Palast, dahin brachte er, was er besaß, wurde König und hatte seine Frau und seine Schwester immer bei sich.
Und sie lebten glücklich zusammen - und wir leben besser.
Das Schicksal von Jannaki
Es waren einmal ein Mann und eine Frau im Dorf - er ein Besitzer, der gut zu wirtschaften verstand, aber Kinder bekam er nicht. Immer war er betrübt. Einmal ging er vom Land aus mit der Angel zum Fischen.
Wie er so beim Fischen war, ging er auf einen ins Meer vorspringenden
Felsen. Dort stöhnte er von Herzen.
Auf der Stelle sprang ein Mohr herbei. Der redete ihn an: »Was hast du denn, daß du so stöhnst?«
Jener Mensch sagte ihm: »Was ich wohl habe?« sagte er. »Mir ist sehr beklommen zumut, weil Gott mich benachteiligte und mir kein Kindchen schenkte. Und in meinem Kummer streife ich umher, um ein Fischlein zu fangen . . . damit mir die Zeit vergeht.«
Der Mohr sprach zu ihm: »Ich vermag, dir ein Mittel zu geben, daß deine Frau schwanger wird, daß sie ein Knäblein bekommt. Doch nur zwölf Jahre lang wirst du dich seiner erfreuen. Wenn die zwölf Jahre um sind, sollst du es mir hier an die Stelle, wo du mich fandest, bringen. Sei aber ja darauf bedacht; wenn du es nach zwölf Jahren nicht bringst, so wirst du in deinem ganzen Geschlecht schwere Schicksalsschläge erleiden.«
Der wohlhabende Mann - dieser Arme - dachte: Dann will ich mich eben des Kindes zwölf Jahre lang erfreuen, und schließlich wollen wir bis dahin einmal sehen, wie es kommt.
Somit reichte der Mohr ihm einen Apfel, und den brachte er seiner Frau, ohne ihr aber etwas zu sagen. Er gab ihr den Apfel zu essen und sagte nur: »Hier komm - iß ihn.«
Von dem Tage an, an dem sie den Apfel genossen hatte, wurde sie schwanger. Nach neun Monaten gebar sie ein begnadetes, sehr schönes Knäblein. Die Freude der Eltern war so groß, daß sie sich nicht mehr beschreiben läßt.
Das Kindlein gedieh sehr gut. Als es sechs Jahre alt wurde, schickte der Vater es zur Schule. Das Kind, das äußerst feinfühlig war, nahm sehr gut auf, was gelehrt wurde. Es war immer der Erste in der Schule. Der Vater aber hatte dauernd den Kummer: Wie würde er es übers Herz bringen, es, wenn es zwölf Jahre alt wird, herzugeben, ohne daß die Mutter etwas davon weiß?
Als es dann zwölf Jahre alt war, stand der Vater vor der Notwendigkeit, das Gebot des Mohren zu erfüllen. In der letzten Nacht schlief er nicht vor Kummer.
Als er am Morgen wieder auf war, holte er die allerbesten Speisen herbei, um an diesem Tage etwas für das Kind zu tun. Er badete es, er zog ihm neue Kleider an, frische Wäsche, und dann sprach er zu ihm: »Komm am Nachmittag mit zum Fischen.«
Er nahm also das Kind mit und ging fort. Als sie an die Stelle kamen, an die sie zu gehen hatten, fischte er, bis die Sonne unterging. Dann sprach er zudem Jungen: »Warte hier -ich muß mal etwas Kleines machen.«
Unter Tränen und Stöhnen ging der Alte davon und kehrte nach Hause zurück. Da sagte seine Frau zu ihm: »Wo ist Jannáki?«
Der Alte brach in Tränen aus und sprach: »Er ging, während ich beim Fischen war, ins Meer, und ein Haifisch hat nach ihm geschnappt und ihn aufgefressen.« Die Mutter weinte, daß es keinen Trost mehr gab.
Nun wollen wir von den Eltern, die weinten und wehklagten, lassen und uns Jannáki zuwenden, der seinen Vater verloren hatte und umherlief, um ihn zu suchen. Er ging in den Wald und wußte in der Dunkelheit nicht, wohin er lief.
Gott ließ es wieder Tag werden, und der kleine Bursch schritt ins Unbekannte weiter. Er wanderte ein, zwei Tage und Nächte lang, bis er an einen See kam. An diesem See befand sich am äußersten Ende, an einer entfernten Stelle, eine Hütte. Der kleine Bursch trat in diese Hütte ein, um sich auszuruhen.
Als er dort weilte, hörte er etwas wie ein Schlagen, wie ein Schwingen . . . und der Junge versteckte sich. Gleich danach sah er drei Tauben, die in die Hütte hinunterflogen.
Die erste sagte: »Es riecht mir doch nach Menschenfleisch . . .«Und die zweite sagte das gleiche.
Die dritte sagte: »Ach was, los . . . hier gibt's doch keinen Menschen!« Sie zogen sich aus und wurden zu drei fünfmalschönen Mädchen und stürzten sich in den See. Jannáki eilte herbei und griff nach den Kleidern und nahm sie weg. Da sagten die Mädchen zu ihm: »Um Gottes willen, gib uns unsere Kleider, denn wir sind nackt!«
Er packte die Kleider der ersten und gab sie ihr, auch die der zweiten gab er. Die der dritten, die die Schönste der ganzen Welt war, behielt er und zündete gleich ein dürres Geäst an und verbrannte ihr hautartiges Gewand, das sie oben drüber getragen hatte - in dem die Kraft steckte, in die Luft zu fliegen.
Das Mädchen hatte ihm wohl gesagt, er solle das Gewand ja nicht verbrennen, weil sie sonst zugrunde gehen würde. Doch weil er Angst hatte, sie könnte ihm entfliehen, verbrannte er es. Da blieben die beiden dort allein zurück. Ihre Schwestern waren davongeflogen.
Nachher gingen sie fort und schlugen den Weg zu der Stadt, außerhalb
von der das Mädchen in einem kleinen Dorf lebte, ein. Sie schritten fünf Tage und fünf Nächte lang, um dorthinzukommen.Weil sie aber Furcht vor ihrer Mutter hatten, ließen sie sich in einem ärmlichen Häuschen in der Nachbarschaft nieder.
Ihre Mutter, die eine Zauberdrakin war, mochte ihre Tochter gar nicht sehen.
Es vergingen zwei, drei Monate. Sie lebten in Armut. Jannáki arbeitete als Knecht für Fremde, damit sie zu leben hatten. Als einige Zeit vergangen war, kam der König zuweilen in dieser Nachbarschaft vorüber, und so erblickte er die junge Frau -da war er ganz verblüfft von ihrer Schönheit...
Als er in den Palast gegangen war, schickte er gleich Bewaffnete hin, um den Mann der jungen Frau herbeizuholen. Sie gingen hin und brachten ihn an.
Der König sprach zu ihm: »Wie bist du zu dieser Frau gekommen?« Er antwortete ihm: »Wie kommen wohl die Männer zu den Frauen? Sie war mir vom Schicksal bestimmt, und so holte ich sie.«
Da sprach der König zu ihm: »Diese Frau gehört nicht zu dir, sie gehört mir -damit sie Königin wird.«
»Ist das möglich«, sagte Jannáki zu ihm, »daß du meine Frau wegnimmst? Gibt es ein Gesetz«, sagte er zu ihm, »daß du dem andern die Frau wegnehmen kannst?«
»Ich werde dir drei Aufgaben als Wetten auferlegen«, sprach da der König zu ihm, »wenn du die gewinnst, wird die Frau dein sein - wenn es aber anders kommt, will ich dich köpfen lassen, damit ich sie selber nehme. Am Sonntag werde ich dir die erste Wette verkünden.« Wer weinte nun und klagte? Jannáki. Er ging weinend zu seiner Frau. Er wollte weder essen noch trinken vor Kummer und Not. Seine Frau äußerte zu ihm: »Hatte ich dir nicht gesagt, daß du mir ja das Gewand nicht verbrennen solltest?«
Am Sonntag begab er sich zum König, damit der ihm die Wettaufgabe verkündete. Vor den Zwölfen (—den zwölf engsten, ersten Beratern des Königs-) und dem ganzen Rat sprach der König zu ihm: »Du sollst mir eine Weintraube bringen, von der soll mein ganzer Rat der Zwölf essen und mein ganzes Heer, und hinterher soll die Traube unversehrt sein!«
Das schien dem jungen Mann »etwas ganz besonders Ausstudiertes« zu sein, nicht nur dem jungen Mann, sondern allen, die es hörten.
Jannáki ging fort - er kam mit Geweine zu seiner Frau. Er saß die ganze Nacht ungetröstet da. Zur Zeit der Morgendämmerung erbarmte sich seine Frau dann doch seiner und sagte zu ihm: »Geh meine Mutter besuchen - deine Schwiegermutter -, um ihr zu sagen, daß sie dir die Weintraube geben soll, die am Spalierdach hängt.«
Jannáki brach auf und ging zu seiner Schwiegermutter und klopfte bei ihr an die Tür - er kannte sie ja gar nicht. Er sah ein Weib, ein richtiges Ungetüm, eine Drachin. »He . . ., he . . ., willkommen sei mir, Jinni«, sagte sie zu ihm. »Was willst du denn?«
Sie mochte ihn, aber ihre Tochter wollte sie überhaupt nicht sehen, weil ihre Schwestern ihr gesagt hatten, sie hätte kein Menschenfleisch gewittert, als sie zum Baden in den See gingen. Und so meinte ihre Mutter, sie sei im Einverständnis mit Jannáki gewesen.
»Willst du mir die Traube geben, die an eurem Spalierdach hängt?« »Dir zu Gefallen, mein Schwiegersohn, will ich sie hergeben.« Dann lief sie gleich fort und brachte eine Traube mit drei Beeren an.
Jannáki nahm die Traube und lief weg. Während er nach Hause ging, sagte er (sich): Na . . . von drei Beeren sollte der Rat der Zwölf essen und das ganze Heer dazu? Da will ich sie selber essen, und dann mögen sie mich eben köpfen, eh' daß ich sie etwa hinbringe, und die verspotten mich!
Als er eben eine Beere abgebrochen hatte, sprossen zwei andere hervor, er brach die zwei wieder ab, da sprossen vier hervor. Und so viel er auch abbrach, die Traube wurde immer größer. Er bekam es fertig, alle abzubrechen (und aufzuessen), so daß nur ein Träubchen mit drei Beeren zurückblieb, und das brachte er seiner Frau. Die Frau wußte gleich Bescheid und sagte zu ihm: »Jetzt kannst du nichts machen, du hast es zerstört.« Sie wollte ihm eins auswischen.
Am Mittag nahm er die Traube und ging zum König, wo ihn alle erwarteten.
Der König sprach zu ihm: »Hast du die Traube gebracht?«
Jánnis holte etwas zwischen Rock und Brust hervor, eine Traube mit drei Beeren holte er hervor.
Der König lachte. »Von dieser Traube sollte der ganze Rat der Zwölf essen und mein ganzes Heer?«
»Ja, sehr wohl«, sagte Jànnis zu ihm, »von dieser Traube.«
Sie begannen also zu essen. Der König kam, um als erster zu essen. Er brach eine Beere ab, zwei sprossen hervor, um so viel, wie er abbrach,
wurde die Traube größer. . . Das ganze Heer aß, und die Traube wurde fünfhundert Okka schwer.Da klatschte der ganze Rat der Zwölf dem Jannáki Beifall.
Der König sprach zu ihm: »Am Sonntag sollst du herkommen, damit ich dir die nächste Wette verkünde.«
Jannáki ging weg, er begab sich heim. Er verbrachte die ganze Woche in Hangen und Bangen. Am Sonntagmorgen begab er sich zum König, damit der ihm die nächste Wette verkünde.
Der König sprach zu ihm: »Besorg dir ein Pferd, damit du herkommen kannst, um mit meinem Kämpfer zu Lande einen Kampf auszufechten.« « —Der Kämpfer des Königs dort war der beste, den es auf der Welt gab.—
Jannáki ging wieder betrübt weg und begab sich weinend heim. Er teilte seiner Frau die Wettaufgabe mit. Die Frau äußerte zu ihm: »Hatte ich dir nicht gesagt, daß du mir das Gewand nicht verbrennen solltest?« Sie ließ ihn wieder bis in die Morgendämmerung weinen. Erst mit der Morgenröte sprach die Frau zu ihm: »Geh zu meiner Mutter, sie soll dir unser Dreibein geben.«
Jannáki brach auf, er ging zu seiner Schwiegermutter. Er klopfte bei ihr an die Tür, sie steckte den Kopf vor: »Ha . . . he . . . sei mir willkommen, mein Schwiegersohn! Was willst du, mein Schwiegersohn?«
»Gib mir das Dreibein, das du besitzt.«
»Gleich, mein Schwiegersohn«, sagte sie zu ihm. Sie lief weg und brachte ihm ein Pferdchen mit drei Beinen an.
Jannaki nahm es und ging fort. Unterwegs wollte er auf das Pferdchen steigen, da fiel es um. Das hatte seine Frau (die sich auf Zauberei verstand) so veranlaßt, um ihn etwas zu quälen, weil er ihr Gewand verbrannt hatte, das ihre Mitgift war. Sie liebte ihn aber dennoch.
Er zog das Pferd hinter sich her und ging heim. Als er nach Hause kam, schickte ihn seine Frau noch einmal zu ihrer Mutter, er solle das Schwert ihres Vaters holen. Wieder ging Jannáki zu seiner Schwiegermutter und erbat das Schwert von ihr.
Die Schwiegermutter ging ihm ein Schwert holen. . . das vor Rost nicht aus der Scheide ging. Er nahm es und lief zu seiner Frau. Zu der sagte er: »He . . . Frau, dies Schwert da vermag ich nicht aus der Scheide zu ziehen. Wie könnte ich da zum Kampfe gehen?«
Sie sagte: »Das haben wir - das geben wir dir.«
Am nächsten Tage rüstete sich Jannáki aus, um sich zum Schwertkampf
zu begeben. Er gürtete sich mit dem verrosteten Schwert, nahm das Pferdchen am Zügel, schleppte es hinter sich her - und so zog er los. Und er ging an die bestimmte Stelle, wo der Schwertkampf vonstatten gehen sollte. Um die Zeit, als alle Welt ihn dort erblickte, wie er das Pferdchen hinter sich herschleppte, brach man in Lachen aus.Der Schwertkämpfer des Königs dagegen war wie ein großes Ungeheuer, wie ein Riese und das Pferd sehr schön und stattlich.
Der Schwertkampf sollte genau um zwölf Uhr losgehen. Genau um zwölf Uhr, als das Horn erschallte, stand das Dreibein von Jannáki aufrecht da. Und es sprach zu ihm: »Jannáki, sei bereit. Zieh das Schwert.« Aus etwas, worauf drei Finger breit der Rost gesessen hatte, wurde ein Ding, das nur so blitzte . . . Er zog das Schwert und schwang sich aufs Pferd. Als er kaum darauf saß, stampfte das Dreibein mit den Hufen auf und flog in die Luft. Das Dreibein sprach zu Jannáki: »Nun sei bereit! Sobald ich es dir sage, sollst du ihm den Schwerthieb geben!«
Sie flogen einmal im Kreise, damit alle Leute sie sehen konnten, und danach flog ihn das Dreibein in einer Wendung (auf den Schwertkämpfer zu), Jannáki nahm ihm sofort (mit einem Hieb) den Kopf ab... und in anderer Richtung das Pferd
Und dann flog das Dreibein eine Schleife und ließ sich vor dem König nieder, und Jannáki überreichte dem König den Kopf des Schwertkämpfers.
Da begann alle Welt, Jannáki Beifall zu klatschen, weil alle ihn gern hatten... außer dem König, dem sehr beklommen zumut war.
Er sprach zu Jannáki: »Auch diese Wette hast du gewonnen! — Am Sonntag sollst du herkommen, damit ich dir auch noch die dritte Wette verkünde.
Dankbar zufrieden ging der junge Mensch fort und brachte das Dreibein zu seiner Schwiegermutter und kehrte heim. Seine Frau lächelte, denn sie wußte ja alles durch ihre Zauberkraft.
Als der nächste Sonntag kam, ging der junge Mensch zum König, damit der ihm auch noch die nächste Wette verkünde. Dort war der ganze Rat der Zwölf versammelt und viele andere Leute, um zu hören, was für eine Wettaufgabe der König auferlegen würde.
Der König sprach zu Jannáki: »Mein Vater ist seit vierzig Jahren tot. Du sollst ihn aufsuchen, damit er dir den Schlüssel zur Geldtruhe gibt. Den sollst du mir bringen, weil ich die Truhe aufmachen will, um die
Gelder, die darin sind, herauszunehmen.« Denn der Vater war nämlich »von der gleichen Schiffsladung« wie sein Sohn. (Er war ganz von der gleichen Art.)Jannáki drehte sich (dem König zu) und sah ihn ganz, ganz genau an — sollte der König vielleicht nicht mehr recht bei Sinnen sein?
»Ist das möglich«, sprach dann der junge Mensch zu dem Rat der Zwölf, »daß sein Vater seit vierzig Jahren tot ist und daß ich ihn aufsuchen könnte?«Was sollten die Zwölfe sagen? Im Angesicht des Königs konnten sie nicht sprechen. Doch auch sie hielten ihn für nicht mehr bei Sinnen. Der König sprach: »Das ist die Wette. Ich gebe dir eine Frist von drei Tagen.«
Da ging Jann<iki wieder tränenden Auges weg und lief zu seiner Frau. Und er teilte ihr die Wettaufgabe mit. Seine Frau erwiderte ihm: »Hatte ich dir nicht gesagt, du solltest mein Gewand ja nicht verbrennen?« Nachdem die Dunkelheit gekommen war und nachdem Jannáki bis Mitternacht geweint hatte (diesmal erbarmte sie sich schneller seiner als bei den anderen beiden Malen), sprach seine Frau zu ihm: »Geh zu meiner Mutter. Sie soll dir das Dreibein geben, damit du es herbringen kannst.
Er ging hin, er klopfte bei seiner Schwiegermutter an. Die sagte, als sie ihn kaum erblickt hatte: »Mein Schwiegersöhnchen, sei mir willkommen! Was willst du?« »Das Dreibein will ich, um es deiner Tochter zu bringen.«
Die Schwiegermutter ging, ihm das Dreibein zu holen. Er nahm es mit und brachte es heim. Seine Frau nahm ein rotes Tuch und band ihm seine Augen zu. Und dann sprach sie zu ihm: »Das Pferdchen wird dich geradenwegs dahin bringen, wo sein Vater ist. Der steckt bis zum Halse im Pech, und vor ihm fließt Wasser vorbei, und er ruft: >Findet sich denn kein Christenmensch ein, um mir ein wenig Wasser zu geben? . daß ich mir die Zunge netzen kann. . . da ich doch seit vierzig Jahren kein Wasser getrunken habe . . .< — Wenn du aber in der Hölle ankommst, wirst du rechts und links vor dir schreien hören. Daß du ja nicht etwa die Augen auf machst, um hinzublicken, denn ich bürge dir nicht dafür, was dann über dich käme. Das Pferdchen wird dich dahin bringen, wo du hinzugehen hast. Und dann erst sollst du das rote Tuch über die Augen streifen und vom Pferd steigen, um dem Vater des Königs Wasser zu geben, daß er genug bekommt.«
Jannáki stieg aufs Pferd, und das stampfte mit seinen Hufen auf den
Boden und flog in die Luft. Als sie in der Hölle ankamen (die Hölle befindet sich nämlich auch oben im Himmel), vernahm er rechts und links Schreie, die einen weinten, andere schrien: der Besucher möchte sie mitnehmen. Er wandte sich jedoch gar nicht um. Sie gelangten zu dem verstorbenen König. Jannáki stieg vom Pferd. Er hörte ihn rufen: »Gebt mir ein wenig Wasser, daß ich mir die Lippen kühlen kann.«Jannáki streifte das Tuch von den Augen, schöpfte mit der hohlen Hand und schüttelte dem König Wasser zu, so daß er seinen Durst stillte. Als er getrunken hatte und ihn Dankbarkeit erfüllte, sprach er: »Wer bist du, Christenmensch, der du mich erfrischt hast? Und was für eine Gunst willst du von mir?«
»Die Gunst, die ich von dir haben möchte, ist, daß du mir den Schlüssel zu deiner Geldtruhe gibst, damit ich ihn dem Tyrannen bringen kann —deinem Sohn.«Und der junge Mensch erzählte ihm alles bis ins einzelste, was er mit seinem Sohn durchmachte.
Da stöhnte der König aus den Tiefen seines Herzens. Er sagte zu dem jungen Mann: »Sei mir behilflich, daß ich meine Hand aus dem Pech ziehen kann, und gib mir ein Bleistiftlein und ein kleines Blatt Papier, daß ich zwei Worte an ihn schreibe.«
Der junge Mann gab ihm dann gleich den Bleistift und ein Stückchen Papier, und der König schrieb. Jannáki nahm den Brief an sich, er steckte ihn in die Tasche, und danach sprach der König zu ihm: »Nimm den Schlüssel von meinem Hals und geh nun. Und sage meinem Sohn auch noch mündlich, daß er mit der Menschheit nicht tyrannisch umspringen soll, denn sonst wird er erleiden, was ich erlitten habe . . . der ich mich seit vierzig Jahren hier befinde, und vor meinem Mund fließt Wasser vorbei, und ich kann nicht trinken.«
Der junge Mensch grüßte den König zum Abschied, stieg wieder auf sein Pferd und ritt los, um sich davonzumachen. Auf dem Wege riefen sie ihn wieder an, die einen weinten, andere schrien. Aus Neugierde hob der junge Mann ein wenig das Tuch, um hinzusehen. . . Doch mit dem Hochstreifen des Tuches bekam er vierzig Stockschläge weniger einen . . . Da kam er auf einmal bei seiner Frau an, aber sein Rücken war rot vor Prügeln. Seine Frau sprach zu ihm: »Hatte ich dir nicht gesagt, daß du das Tuch gar nicht hochstreifen solltest?«
Am dritten Tage ging er aus und begab sich zum Könige. Alle waren schon neugierig zu erfahren, ob wohl diese Wettaufgabe gelöst würde. Der König sprach zu ihm: »Hast du den Schlüssel geholt?«
»Nein. Wie könnte das möglich sein, daß ich herumlaufe, um deinen Vater zu finden, der vierzig Jahre tot ist?«
Der König freute sich, und er befahl, man solle ihn ergreifen, um ihn zu enthaupten. Da zog der junge Mann den Schlüssel zwischen Rock und Brust hervor und gab ihn dem König. Der König nahm ihn, ging unverzüglich zur Geldtruhe, steckte den Schlüssel (ins Schloß), und gleich ging die Geldtruhe auf, und die Goldstücke rollten auf den Boden. . . Dann holte der junge Mensch den Brief hervor und gab ihn dem König. Der König las, und er brach in ein Weinen aus - dieser Tyrann, der die Menschheit als Tyrann behandelt hatte.
Sein Vater schrieb ihm: »Mein Sohn, entsage dem Königreich und werde Bettler, damit du nicht mehr mit der Menschheit tyrannisch umspringst. Denn ich selber bin nämlich von dem Tage, an dem ich gestorben bin, mitten im Pech, und vor meinem Mund fließt das Wasser vorbei, und ich kann nicht trinken.«
Als das der König gelesen hatte, legte er sogleich vor dem Rat der Zwölf seine Gewänder ab und gab sie Jannáki und sprach zu ihm: »Von heute an bist du König und ich ein Bettler auf deinem Hof.« Da waren die Zwölf zufrieden, daß sie diese Qual aus dem Kopfe hatten, denn der König war ihnen gegenüber ein Tyrann gewesen.
Dann nahm Jannáki sein Pferd; er führte es zu seiner Schwiegermutter. Seine Schwiegermutter hatte ja gewußt, daß er König werden würde, weil sie eine Zauberin war. Sie freute sich sehr über ihn und gab ihm ihren Segen. Nachher ging Jannáki heim, holte seine Frau und geleitete sie in den Palast. Dort legte er ihr nunmehr lauter goldene Kleider an. Und dann sprach er zu ihr: »Nun warte einen Monat lang auf mich, damit ich meine Eltern holen gehe.«
Der junge Mann nahm ein Pferd und auch einige Bewaffnete als Begleitung mit und ritt in die Gegend, wo sein Vater und seine Mutter wohnten. Als er in sein Dorf kam, ging er von außen vor sein (Eltern) haus, er sah es ganz schwarz verhangen. Er trat ins Haus, er erblickte seinen Vater mit einem Vollbart (dem Zeichen der Trauer), seine Mutter in schwarzen Kleidern. Ihm traten die Tränen in die Augen. Er sagte zu seinem Vater: »Warum trägst du einen Bart, Ohm?« Er wollte ihm nicht gleich sagen, daß er sein Sohn ist, um die Eltern nicht zu erschrecken.
Der Vater sagte zu ihm: »Ich hatte einen kleinen Jungen, und der ist mir gestorben«, und er begann zu weinen.
Jannáki sagte gleich zu ihm: »Vergieß doch nicht Tränen, dein Sohn lebt.«
Der Alte äußerte: »Aber wie kann es sein, daß er lebt, nachdem acht Jahre vergangen sind, seit ich ihn verloren habe?«
Da sprach der Sohn zu ihm: »Würdest du ihn erkennen, wenn du ihn sehen solltest?«
»Wie wäre das möglich, daß ich mein Kind nicht erkenne?«
Dann aber konnte der Sohn nicht mehr an sich halten und umarmte seinen Vater und sagte zu ihm: »Ich bin dein Sohn, den du an dem vorspringenden Felsen zurückließest .
Sein Vater und seine Mutter fielen um den Hals ihres Kindes und küßten es.
Sie blieben dort zwei, drei Tage, und dann sprach der Sohn: »Nun wollen wir in mein Land ziehen.«
Der Vater sagte: »Wie könntest du diese Reichtümer hier verlassen?« »Was für Reichtümer sind das hier schon? Gegenüber den meinen ist es gar nichts.«
Sie brachen zu der Stadt und dem dazugehörigen Land auf, wo er König geworden war. Als sie dort hinkamen, bereitete man ihm einen großartigen Empfang, und dem Vater ging auf, daß sein Sohn nun König war. Dann wurde Hochzeit gefeiert - denn verheiratet waren er und seine Frau ja noch nicht. Und dann haben sie gut gelebt und wir dabei noch besser.
(Als der Erzähler des Märchens geendet hatte, fügte er noch hinzu: »Dieses Märchen hat einen tiefen Gehalt. Mit dem Mohren, der den Jungen des Bauern haben will, wenn er zwölf Jahre alt wird, ist das Schicksal gemeint, das ihn aus dem Dorf und der gewohnten Umgebung reißt, ihm einen anderen Weg zuteilt als den übrigen Kindern des Dorfes und ihn schließlich zum König macht.«)
Die Schlange
Es war einmal ein Kaufmann, der hatte drei Töchter. Als er eines Tages auf die Reise ging, um seine Geschäfte voranzutreiben, fragte er seine Töchter, was er ihnen mitbringen sollte. Die älteste bat ihm um einen schönen Unterrock, die zweite dagegen um ein Schmuckstück, die jüngste aber sagte: »Ich wünsche mir nichts als ein paar Rosen, die es
jetzt auf dem Markte reichlich gibt.« Nun gut, der Vater ritt fort, wickelte seinen Handel ab und kaufte zum Schluß die Geschenke ein, die er seinen Töchtern versprochen hatte. Nachdem er den Heimweg angetreten hatte, kam ein so heftiger Hagelsturm, der ihm seinen Rosenstrauß völlig zerschlug. Der Sturm wurde immer heftiger, und der Kaufmann war froh, als er schließlich ein Tor erblickte und sich unter ein Obdach flüchten konnte. Er versorgte sein Pferd und ging ins Innere des Hauses, konnte dort aber niemanden treffen. Da er hungrig war, aß er von den Speisen, die er auf der Tafel vorfand, und trank auch von den Getränken. Inzwischen hatte sich der Sturm gelegt, und der Kaufmann konnte daran denken, seinen Heimweg fortzusetzen. Er sattelte sein Pferd und war gerade dabei abzureiten, da bemerkte er im Garten einen Rosenstrauch, und die Bitte seiner jüngsten Tochter fiel ihm wieder ein. Er trat hinzu und pflückte sich einen Strauß Rosen ab. Kaum war das geschehen, da erschien vor ihm eine Schlange und sprach: »O du undankbarer Mensch! Genügt es dir nicht, daß du in meinem Hause Obdach, Speise und Trank gefunden hast? Mußt du mir auch noch meine liebsten Rosen mißgönnen und sie abreißen?« Der Kaufmann antwortete: »Hätte ich dich früher gesehen, dann hätte ich dich gewiß um Erlaubnis gefragt.« — »Gib acht, was ich dir sage«, antwortete ihm die Schlange, »du hast die Rosen für deine jüngste Tochter gepflückt; nun sollst du sie mir hierherbringen. Wenn du dich weigerst, werde ich dich aufsuchen und dich töten.« Weil den Kaufmann eine große Furcht ankam, stimmte er zu; was sollte der arme Mann sonst schon sagen?Daheim angelangt, kamen sogleich die beiden ältesten Mädchen auf ihn zu und fragten nach ihren Geschenken. Die jüngste aber wartete schüchtern. »Komm her, liebe Tochter«, sprach der Vater, »hier sind auch die Rosen, die du dir gewünscht hast.« Und dabei traten ihm die Tränen in die Augen. Die Tochter verlangte zu hören, warum er denn weine, und er erzählte ihr sehr genau, was ihm auf dem Heimweg zugestoßen war. Sobald die Schwestern das erfuhren, schmähten und verhöhnten sie die jüngste und sagten: »Du hochmütiges Ding! Hättest du dir Schmuck oder Kleidung gewünscht wie wir, dann müßtest du nicht zu der Schlange gehen!« Das Mädchen aber, das sehr verständig war, kehrte ihnen den Rücken und ging ins Haus, um ihr Bündel zu schnüren. Als sie alles, was sie brauchte, beisammen hatte, bat sie den Vater, er möge das Pferd wieder satteln, nahm Abschied von ihren
Schwestern und zog zum Palast der Schlange. Dort angekommen, führten sie das Pferd in den Stall und traten ins Haus hinein, wo sie wieder die Speisen vorfanden, ohne einen Menschen zu sehen. Bald aber stellte sich die Schlange ein und sprach zu dem Mann: »Ich sehe, du hast meinen Willen erfüllt. Nun kannst du getrost nach Hause zurückkehren!« Hierauf nahm er Abschied, während das Mädchen beider Schlange blieb.Nicht lange darauf verfiel der Vater aus Kummer und Schmerz über die Abwesenheit seiner Lieblingstochter einer schweren Krankheit und mußte sich zu Bett legen. Die Schlange aber pflegte, wenn das Mädchen aß, sich auf ihren Schoß zu legen und sie zu fragen: »Nimmst du mich zum Manne, Liebste?« Aber das Mädchen antwortete immer: »Ich habe Angst vor dir.« Eines Tages nun fand das Mädchen in einer Schublade einen Spiegel, in dem sich die ganze Welt spiegelte. Auch ihren Vater konnte sie darin sehen, und sie wurde traurig, weil er so krank zu Bette lag. Sie weinte bitterlich, und die Schlange kam aus dem Garten gekrochen und fragte: »Was fehlt dir, mein liebes Röschen?« —»Schau hier in den Spiegel! Siehst du nicht, daß mein Vater krank ist?« Da sprach die Schlange zu ihr: »Offne mal jene Schublade dort. Da findest du einen Ring; den stecke dir an den Finger und sage mir, wie lange du wegbleiben wirst.« —»So lange, bis mein lieber Vater wieder gesund ist«, antwortete das Mädchen. Die Schlange sprach: »Sobald dein Vater dich wieder erblickt, wird er augenblicklich wieder gesund werden. Dann gebe ich dir noch eine Frist von einunddreißig Tagen. Kommst du bis dahin nicht zurück und bleibst du nur einen einzigen Tag länger, so wirst du mich tot finden.« —»Da sei der Himmel für!«rief das Mädchen. »Sei sicher, daß ich vor Ablauf der Frist wieder bei dir bin.«
»Nun gut«, versetzte die Schlange, »iß jetzt erst zu Mittag, und dann werde ich dir sagen, was du weiter zu tun hast!«Nachdem das Mädchen gegessen hatte, sprach die Schlange zu ihr: »Lege dich in dein Bett und nimm den Ring in den Mund, dann wirst du dich alsbald in deinem alten Zimmer wiederfinden.«Das Mädchen tat, wie ihr die Schlange geraten hatte, und gelangte so ins Haus ihres Vaters zurück. Sobald ihr Vater sie erblickte, ward er gesund und fragte sie, wie es ihr ginge. Sie erzählte nun von der Schlange und daß diese sich immer in ihren Schoß lege und sie frage: »Nimmst du mich zum Manne?«und daß sie bisher stets geantwortet habe: »Ich habe Angst vor dir«, worauf sich die Schlange stets seufzend entferne. Als der Vater dies vernahm, sprach
er: »So sage doch mal zu der Schlange, daß du sie zum Manne nimmst; wir wollen sehen, was dann daraus wird.« Das Mädchen versprach, das zu tun. Als ihre Schwestern alles gehört hatten, rieten sie, nicht mehr zur Schlange zurückzukehren, denn auf diese Weise wäre diese tot und die Schwester frei und ledig. Aber die jüngste sagte: »Warum sollte ich wohl die arme Schlange sterben lassen, die sich mir so freundlich und hilfsbereit erwiesen hat?« Und sie blieb bis zu dem Tage, den ihr die Schlange bezeichnet hatte, bei ihrem Vater. Dann nahm sie von diesem und ihren Schwestern Abschied, legte sich ins Bett und nahm den Ring in ihren Mund und war sogleich wieder bei der Schlange.Als diese sie erblickte, rief sie freudig aus: »Bist du da, mein liebes Röschen?« Und als das Mädchen speiste, legte sich die Schlange wieder in ihren Schoß und fragte: »Willst du mich zum Manne, Liebste?« Da nun das Mädchen antwortete: »Ei freilich!«, warf die Schlange sofort ihre Haut ab, und ein schöner Königssohn stand vor ihr. Zugleich bevölkerte sich der Palast mit Dienern und Leuten. Verwundert fragte das Mädchen den Prinzen, wer er sei und warum er in eine Schlange verwandelt worden wäre. Er erzählte ihr, das sei die Folge einer Verwünschung gewesen, weil er eine Waise verführt habe; und wenn er nicht eine Frau gefunden, die ihn zum Manne haben wolle, hätte er immer in der Schlangenhaut bleiben müssen. Nun war er von dem Fluch erlöst, und er ließ gleich den Vater und die Schwestern seiner Braut holen und die Hochzeit vorbereiten. Die Schwestern aber wurden ganz gelb vor Neid, als sie von dem Glück der jüngsten hörten, und beschlossen, ihr einen bösen Streich zu spielen. Aber dazu kam es nicht, denn der Prinz, der gelernt hatte, Gut und Böse zu unterscheiden, verwandelte sie in zwei Krähen. Röschen und ihr Vater fingen bitterlich zu weinen an, als sie das sahen, aber der Prinz sagte, sie müßten büßen, bis sie sich von ihren bösen Wünschen gereinigt hätten. Dann veranstaltete man eine große Hochzeit, und der Prinz machte seinen Schwiegervater zum Minister. Alles gedieh bei ihnen aufs beste; hier jedoch finde ich es noch besser.
Der Dreiäugige
Es war einmal ein armer Holzhauer, der hatte drei Töchter. Eine von ihnen schaute eines Tages aus dem Fenster, und da sah sie ein vorübergehender Landmann. Das Mädchen gefiel ihm so, daß er sich bei den Nachbarinnen erkundigte, ob sie noch unverheiratet sei, und als er hörte, daß dem so wäre, bat er sie, für ihn um das Mädchen zu werben. Der Vater war mit dem Antrag zufrieden und gab sie ihm.
Als nun das Mädchen in das Haus ihres Mannes kam, war sie sehr glücklich. Der Mann übergab ihr einen Schlüsselbund mit hundertundeinem Schlüssel und sagte zu ihr, sie könne hundert Zimmer öffnen, das hunderteinte aber dürfe sie nicht aufmachen; das sei auch nicht nötig, denn es wäre ganz leer. »Kurzum«, sprach er, »da der Schlüssel dir doch zu nichts nütze ist, so gib ihn mir lieber zurück!« Die junge Frau öffnete die hundert Zimmer und fand darin große Schätze. Als sie diese genügend angestaunt hatte, fragte sie sich, warum ihr wohl so große Reichtümer anvertraut worden wären, das eine Zimmer aber nicht. Sie gab nun acht, wo ihr Mann den Schlüssel für dieses Zimmer hinlegte, nahm ihn dann fort und öffnete das Zimmer. Sie schaute sich darin um und sah nichts als vier leere Wände und ein Fenster, das auf die Straße ging. »Da seh einer einmal meinen Mann!« sprach sie. »Wozu hat er wohl das Fenster auf die Straße hinaus? Damit ich aber nicht hinaussehe, hält er das Zimmer verschlossen.« Sie setzte sich also an das Fenster, hatte aber noch nicht lange gesessen, so sah sie eine Leiche vorüberkommen. Dieser folgten jedoch keine weinenden Anverwandten oder Freunde, so daß die junge Frau selbst zu weinen anfing bei dem Gedanken, daß es ihr auch so gehen könne, wenn ihr Mann niemand von ihrer Familie zulassen würde. Als nun die Leiche beerdigt und die Leute fort waren, sah sie, wie ihr Mann auf den Begräbnisplatz kam und dort sein Kopf so groß wurde wie ein Scheffel, und in dem Kopf hatte er drei Augen, seine Hände wurden so lang, daß sie die ganze Welt zu umfassen schienen, mit ellenlangen Nägeln an den Fingern, und dann fing er an, den Leichnam auszugraben und zu verzehren. Bei diesem Anblick tat sie sich Gewalt an, bis sie die volle Gewißheit hatte, daß er ihn wirklich verzehrte; dann aber wurde sie von einem heftigen Fieberschauer ergriffen und mußte sich zu Bett legen.
Nach längerer Zeit kehrte der Mann nach Hause zurück, ging seiner Gewohnheit nach in das verschlossene Zimmer, schaute sich um und
bemerkte die Spur von Schritten und das geöffnete Fenster. Sogleich eilte er in das Zimmer seiner Frau und rief: »O du Bestie! Du hast also wirklich das Zimmer geöffnet und erkannt, daß ich der Dreiauge bin! Nun kommst du mir nicht mehr lebendig aus meinen Händen, denn ich werde dich fressen.« Als die junge Frau sah, wie die Sache stand, verließ sie ihr Bett und machte sich zur Flucht bereit. Inzwischen ging Dreiauge in die Küche, machte ein großes Feuer an, nahm einen großen Bratspieß und rief seiner Frau zu: »Sei so gut und komm, denn der Bratspieß erwartet dich! Was soll ich tun, da ich nun einmal geschworen habe, dich auf diese Weise zu töten und zu verspeisen? Sonst hätte ich dich gleich so verschlungen.« — »Verzeih mir, Herr«, antwortete sie, »ich gehöre dir ja noch zu jeder Zeit. Darum flehe ich dich an, laß mich noch zwei Stunden am Leben, bis ich Buße getan und gebetet habe; dann magst du mich verzehren.« Der Dreiauge genehmigte ihr die Bitte, und die junge Frau schlich sich leise weg, nahm den Schlüssel für jenes Zimmer, und nachdem sie es geöffnet hatte, sprang sie durch das Fenster auf die Straße hinunter. Dort lief sie immerfort, um jemanden zu treffen, der sie rette, und so traf sie endlich einen Kärrner, den sie um Gottes willen anflehte, sich doch ihrer zu erbarmen und sie aus den Händen eines Dreiäugigen, der sie verfolge, zu retten. »Wohin soll ich dich stecken, um dich zu retten, liebes Frauchen?« sagte der Kärrner. »Der Dreiäugige würde dich sicher bei mir entdecken und mich mitsamt meinem Pferde auffressen. Aber laufe weiter, so wirst du einen Kameltreiber des Königs finden, der kann dich vielleicht retten.« Da lief sie denn aus Leibeskräften weiter, bis sie den Kameltreiber einholte, den sie ebenfalls um Rettung vor dem Dreiauge anflehte. Wirklich erbarmte er sich ihrer, nahm einen Ballen Baumwolle vom Kamel herab und versteckte sie darin.Inzwischen hatte der Dreiäugige den Bratspieß gehörig in Glut gebracht und rief: »Heda, wo bist du? Komm her, es ist Zeit!« Da aber die Frau nicht kam, suchte er sie überall, fand sie aber nirgends. Endlich sah er das offene Fenster in dem bewußten Zimmer, sprang hinaus, wie er gerade stand und ging, und nachdem er sich rechts und links umgesehen hatte, lief er die Straße entlang. Als er den Kärrner erblickte, schrie er ihn an: »Heda, Kärrner! Warte ein bißchen, ich will dich und dein Pferd auffressen.«Alle, die ihn unterwegs auf der Straße sahen, starben entweder vor Angst oder fielen in Ohnmacht. Der arme Kärrner aber hielt an, da er den Anruf des Dreiäugigen hörte. Dieser
sagte dann zu ihm: »Hast du nicht eine junge Frau vorbeilaufen sehen?« —»So wahr Gott lebt, ich habe nichts gesehen, Herr«, antwortete jener. »Aber laufe weiter, so wirst du einen Kameltreiber treffen; vielleicht hat der sie gesehen.« Der Dreiäugige lief weiter, rief den Kameitreiber an und richtete an ihn die gleiche Frage. »Ich weiß nichts, ich habe nichts gesehen«, antwortete der Treiber. Da kehrte der Dreiäugige wieder um und sagte: »Ich will doch noch einmal zu Hause ordentlich suchen.«Als er dort angelangt war und sie wieder nicht fand, überlegte er bei sich und sprach: »Ich will den glühenden Bratspieß mitnehmen und bei dem Kameltreiber nochmals genaue Nachsuchung halten.« Er nahm daher den Bratspieß auf die Schulter, sprang wieder zum Fenster hinaus und rannte dem Kameitreiber nach. Dieser und die junge Frau waren vor Angst dem Tode nahe, aber sie ließen sich nichts anmerken. »Rasch«, befahl der Dreiauge dem Treiber, »lade unverzüglich alle Ballen ab!« Und der Mann mußte gehorchen. Dann stieß der Dreiäugige den Bratspieß in einen Ballen nach dem andern, wobei er auch zu dem kam, in dem seine Frau versteckt war. »Jetzt ist's gut«, sprach er endlich, »nun kannst du weiterziehen.«Sobald er sich entfernt hatte, fragte der Kameltreiber die junge Frau, wie es ihr ergangen wäre und ob der Dreiäugige sie mit seinem Bratspieß getroffen habe. »Freilich«, antwortete sie, »er hat mich am Fuß ganz ordentlich verwundet, aber ich habe den Spieß mit Baumwolle abgewischt, so daß keine Blutspuren daran sichtbar waren.« — »Sorge dich nicht!« sagte der Treiber. »Der König ist ein guter Mann, und wenn ich dich zu ihm bringe, so wird er dich heilen lassen.«
Als der König von der Geschichte erfahren hatte, sprach er zu der jungen Frau: »Was fürchtest du, meine Liebe? In meinem Palast kann dir der Dreiäugige kein Leid zufügen.« Hierauf ließ er einen Arzt holen, der sie verband. Sobald sie wiederhergestellt war, bat sie, man möge ihr eine Verrichtung zuweisen, damit sie nicht müßig gehe. Auf die Frage, was sie denn verstünde, erwiderte sie, sie könne sticken. Man gab ihr ein Stück weißen Samt, Seide, Perlen und Goldfaden, und sie stickte ein herrliches Tuch, das den König auf seinem Throne und mit der Krone auf dem Haupte zeigte. Als sie mit der Arbeit fertig war und ihr Werk dem König zeigte, geriet dieser ganz außer sich über die Kunst, mit der die Stickerei ausgeführt war. Nachdem die junge Frau noch mehrere Proben ihres außerordentlichen Könnens abgegeben hatte, sprach der König eines Tages zur Königin: »Eine bessere
Schwiegertochter als diese junge Frau könnten wir schwerlich finden. Was macht es aus, daß sie nicht aus königlichem Geblüt ist? Ist sie sonst doch so geschickt und verständig und so hübsch, daß sie auch unserem Sohne gefallen wird.« Die Königin war mit diesem Vorschlag einverstanden, und man ließ die junge Frau kommen, um ihr den Plan zu eröffnen. Sie jedoch fing an zu weinen und sprach: »Wie könnt ihr an so etwas denken? Mein Glück wäre zwar groß, aber wenn der Dreiäugige das hört, dann frißt er mich und euren Sohn auf. Wollt ihr aber trotzdem eure Absicht ausführen, so laßt einen sieben Treppen hohen Oberstock bauen, am Fuße eine Grube machen und diese dann mit einer Matte zudecken, auch alle Treppen mit Talg einschmieren. Endlich wäre es noch gut, wenn die Hochzeit ganz heimlich bei Nacht gehalten würde, so daß niemand davon erführe.« Der König befahl, alles so zurichten. Obwohl sich die Vorbereitungen für die Hochzeit im geheimen vollzogen, erfuhr dennoch der Dreiäugige davon und beschloß, sich zu rächen. Als am Abend nach der Trauung alle zur Ruhe gingen, schlich er sich ins Zimmer der Braut, um sie zu holen und zu verschlingen. Er streute etwas Erde von einem Grabe auf das Bett des Prinzen, der der Gemahl der jungen Frau geworden war; nun konnte dieser nicht erwachen. Als die Frau den Dreiäugigen an ihrem Bette sah, stieß sie vergeblich ihren Gemahl an; der Dreiäugige aber packte sie und sagte: »Sei doch so gut und stehe auf, liebe Frau, der Bratspieß erwartet dich. Was soll ich machen, da ich einmal geschworen habe, dich gebraten zu verzehren? Sonst würde ich dich gleich hier auf der Stelle auffressen.« Hierauf nahm er sie bei der Hand und fing an, mit ihr die Treppe hinunterzusteigen. Als sie die ersten drei hinter sich hatten, sprach sie zu ihm: »Ich bitte dich, gehe voran, denn ich habe Furcht.« Er gab nach, damit sie kein Geräusch mache und die andern wecke, sonst hätte er sie gepackt. Als sie sich aber auf der untersten Treppe befanden, hielt sich die junge Frau mit der einen Hand, so fest sie konnte, an dem Geländer an und gab zugleich mit der andern Hand dem Dreiäugigen einen solchen Stoß, daß er infolge des Talges ausglitt und in die Grube fiel, wo sich ein Löwe und ein Tiger befanden, die ihn auf der Stelle zerrissen. Die Furcht aber, welche die junge Frau in dem Augenblick empfand, wo sie ihm den Stoß versetzte -denn sie sprach zu sich selbst: »Wenn er nicht in die Grube gefallen ist, wird er gleich wieder heraufkommen und mich fressen!« —, hatte so auf sie gewirkt, daß sie ohnmächtig umsank. Als es nun Tag wurde und der König aufgestanden war, wartete er, daß das junge Paar gleichfalls aufstünde; allein das geschah nicht. Da sprach er zur Königin: »Ich will doch mal nachsehen, was sie machen.«Er kam in das Schlafgemach und fand seinen Sohn scheinbar tot, die junge Frau aber ohnmächtig auf der Treppe. Der sogleich herbeigerufene Arzt brachte jedoch beide rasch wieder zur Besinnung. Nun erzählte die junge Frau, was sich in der Nacht zugetragen hatte. Da ließ der König gleich in der Grube nachsehen, was aus dem Dreiäugigen geworden sei, aber der war von den wilden Tieren restlos aufgefressen. Nun erst wurde eine fröhliche Hochzeit gehalten, die unter lautem Jubel vierzig Tage und ebenso viele Nächte dauerte und wo wir die Gäste gelassen haben, als wir hierherkamen.
Der Vater und die drei Töchter
Es war einmal ein reicher Mann, der hatte drei Töchter. Die jüngste von ihnen war die schönste, und so hielt sehr bald ein Freier um sie an. Der Vater wollte sie ihm zuerst nicht geben, sondern wollte seine beiden älteren Töchter verheiraten, aber auf die dringenden Bitten des Freiers erklärte er sich schließlich einverstanden und ließ die Hochzeit vorbereiten. Am Abend des Hochzeitstages nun, als die Neuvermählten allein im Brautgemach waren und der junge Ehemann eben zu seiner Gattin ins Bett steigen wollte -diese war vor Müdigkeit bereits eingeschlafen -, öffnete sich plötzlich die Wand, und ein Gespenst trat heraus, das zudem jungen Manne sprach: »Bleib fern von Rosa«(dies war nämlich der Name der Braut), »denn sie wird sich mit ihrem Vater vermählen und einen Knaben mit ihm zeugen, mit dem sie sich dann gleichfalls vermählen wird.« Sobald der Bräutigam das vernommen hatte, begab er sich, ohne irgend jemand etwas zu sagen, zu seinem Schwiegervater und sagte zu ihm, er habe sich geirrt, denn er habe eigentlich die älteste und nicht die jüngste Tochter zur Frau nehmen wollen. Der Vater war damit zufrieden, da dies ohnedies mit seinem früheren Wunsch übereinstimmte. So bekam er denn die älteste der Schwestern und führte sie in sein Haus.
Kurze Zeit darauf fand sich ein zweiter Freier ein, der gleichfalls die jüngste Tochter haben wollte. Auch ihm erging es wie seinem Vorgänger, und er nahm die zweite Tochter. Die arme Rosa aber blieb ohne Mann, obwohl sie schon zweimal getraut worden war. Da verfiel sie
in ein tiefes Nachsinnen, weil sie es nicht verstehen konnte, warum ihre Bräutigame sie jeweils kurz nach der Trauung verlassen hatten. Sie beschloß daher nach einiger Zeit, ihren Vater zu bitten, daß er ihr gestatten möge, die Schwestern zu besuchen, weil sie ein großes Verlangen nach ihnen hege. Der Vater willigte ein. Nun suchte sie zunächst ihre älteste Schwester auf und sagte zu ihr: »Liebe Schwester, ich möchte dich um eine Gefälligkeit bitten, nämlich, daß du heute nacht, ehe du dich zu deinem Mann legst und nachdem du das Licht ausgelöscht hast, hinausgehst und mich deine Stelle einnehmen läßt.« —»Sehr gern«, antwortete die Schwester, »warum nicht? Was du begehrst, soll geschehen.« Als es nun Nacht geworden war, tat die Schwester auch wirklich, was sie versprochen hatte, und verließ ihren Mann, während Rosa sich zu ihm legte und bald darauf, als wäre sie seine Frau, zu ihm sagte: »In der ganzen Zeit, wo wir verheiratet sind, habe ich immer vergessen, dich zu fragen, aus welchem Grunde du zuerst dich mit meiner jüngsten Schwester verbunden, dann aber sie verlassen hast.« Da erzählte ihr denn der Schwager, was sich in jener Nacht zugetragen hatte, worauf sie ihn verließ und ihre Schwester den ihr gebührenden Platz wieder einnahm. Am darauffolgenden Tag besuchte Rosa ihre andere Schwester, von deren Manne sie die gleiche Geschichte erfuhr. Als sie endlich wieder nach Hause zurückgekehrt war, rief sie aus: »Nein, ich will mich nicht meinem Vater vermählen, eher mögen ihn Mörder ums Leben bringen.« In ihrer Verzweiflung führte sie diesen Vorsatz tatsächlich aus; sie bezahlte Mörder, ließ ihren Vater töten, und die Mörder begruben den Leichnam auf einem Acker vor der Stadt. Aus dem Grab aber wuchs ein Apfelbaum.Als Rosa eines Tages ein Verlangen nach Früchten verspürte, kam gerade ein Händler vorbei, der Äpfel feilbot. Sie kaufte ihm einige Äpfel ab und wurde von deren Genuß schwanger. Sobald sich ihr Leib zu runden anhob, suchte sie vergeblich den Grund zu ermitteln, denn sie hatte keinerlei Umgang mit Männern gehabt. Endlich erinnerte sie sich, daß sie Äpfel gegessen hatte. Sie ließ nachforschen, woher die Äpfel gekommen waren, und erfuhr, daß sie auf dem Apfelbaum des Grabes ihres Vaters gewachsen waren. Trotzdem ergab sie sich nicht dem Schicksalsspruch, sondern sprach: »Die Prophezeiung des Gespenstes soll nicht wahr werden, denn sobald ich entbunden habe, will ich das Kind mit eigenen Händen töten.« Gesagt, getan. Sofort nach der Geburt gab sie der armen Kreatur einige Messerstiche und legte die
Leiche in ein Kästchen, das sie festvernagelt ins Meer warf. Das Kästchen schwamm noch nicht lange auf den Wellen, da kam ein Schiff vorbei, dessen Kapitän ausrief: »Setzet das Boot aus und nehmt das Kästchen auf! Wenn Sachen von Wert darin sind, so könnt ihr sie behalten; ist jedoch etwas Lebendiges drin, so soll es mir gehören.« Nachdem man das Kästchen aufgefischt hatte, fand man darin ein in Blut schwimmendes Knäblein. Der Kapitän ließ es sogleich verbinden und durch eine Amme versorgen, und da er selber keine Kinder hatte, nahm er es an Kindes Statt an.Der Knabe wuchs heran, und als nach manchen Jahren sein Adoptivvater starb, erbte er dessen Vermögen und betrieb das Geschäft eines Kapitäns, wobei er in viele Länder kam. So geschah es, daß er auch an den Wohnort seiner Mutter kam, die noch immer unvermählt in ihrem Hause lebte. Er begegnete ihr, und sie fanden aus begreiflichen Gründen Gefallen aneinander. So vermählten sie sich, zeugten Kinder und lebten viele Jahre glücklich und zufrieden zusammen. Eines Tages reichte Rosa ihrem Gatten ein neues Hemd zum Wechseln und sah dabei die Narben der Dolchstiche, die sie ihm einst gegeben hatte. Alsbald stieg eine böse Ahnung in ihr auf. Sie fragte ihn: »Was sind das für Narben, die du da auf der Brust hast?« Da antwortete er ihr, daß er weder Vater noch Mutter gekannt, sondern daß er durch einen Kapitän auf dem Meere in einem Kästchen gefunden und an Kindes Statt angenommen worden sei. Als seine Frau das hörte, stieß sie einen entsetzlichen Schrei aus: »Soweit also hat mich mein unseliges Schicksal verfolgt! Du bist mein Sohn, und mein Vater ist auch dein Vater! Jetzt, wo die schlimme Prophezeiung des Gespenstes eingetroffen ist, lasse ich dich in deinem Kummer und meine Kinder als Waisen zurück. Ich aber überliefere mich dem Tode, denn dies war mir vom Schicksal bestimmt!« Dann ging sie hin und tötete sich durch einen Sprung vom Dache.
Der König und sein kluger Sohn
Es war einmal ein König, der hatte einen Sohn, den er in allem unterrichten ließ, und damit er auch Kenntnis der Philosophie erlange, ließ er Philosophen an den Hof kommen, und der Prinz fing nun an, Philosophie zu studieren. Es ging alles ganz vortrefflich, und seine Lehrer
freuten sich über seinen scharfen Verstand und daß er so rasch vorwärtskam. Da ließ der König auch noch Astrologen an seinen Hof kommen, und auch diese mußten seinen Sohn unterrichten. Als nun der König eines Tages zu den Lehrern seines Sohnes gehen wollte, um sie nach dessen Fortschritten zu befragen, fand er alle sehr traurig und bedrückt. Auf seine Fragen wollten sie ihm keine Auskunft geben, er drängte sie aber immer wieder, so daß schließlich einer von ihnen sprach: »Was sollen wir dir sagen, mein König? Wir haben in den Sternen gelesen, daß dein Sohn, ehe acht Tage vorüber sind, durch eine Kugel das Leben verlieren wird.« Als der König das hörte, wurde er vor Schreck und Schmerz ohnmächtig. Endlich kam er wieder zu Bewußtsein und überlegte nun, wie dem Übel zu begegnen sei.Schließlich ließ er alle Baumeister seines Reiches zusammenrufen und befahl ihnen, am Meeresufer einen Palast zu bauen, der nach vier Tagen fertig war. Darauf ließ er ein goldenes Glashaus verfertigen mit einer Kette dazu, die bis zum Meeresgrunde reichte. Am oberen Ende der Kette aber befand sich ein Haken, mit dem das Glashaus am Ufer befestigt werden konnte. Als alles fertiggestellt war, kam der König, um das Werk zu besichtigen; er fand es gut und sprach zu dem Prinzen: »Wenn dir, lieber Sohn, an meinem Segen liegt, so wirst du genau das tun, was ich dir jetzt sage. Ich werde dich jetzt in dieses Glashaus einschließen und auf den Meeresgrund versenken lassen. Sollte dir innerhalb der Zeit von acht Tagen etwas zustoßen, so schüttele die Kette, dann werden wir dich heraufziehen und nachsehen, was dir fehlt.« Dann ließ der König Nahrung und Bücher in das Glashaus bringen und befahl, es zu verschließen und zu versenken. Tag und Nacht aber verbrachte er selbst an der Stelle, wo man es hinabgesenkt hatte, damit er gleich zur Hand sei, wenn sein Sohn etwas benötige.
Doch verlassen wir nun den Vater und sehen wir, was der Sohn macht! Der Prinz, in der Tiefe des Meeres allein geblieben, las in seinen Büchern und stieß dabei in einem Psalter auf den Psalm, in dem geschrieben steht: »In der Tiefe des Meeres ist die Hand des Herrn.« Da sprach er: »Wozu halte ich mich hier verschlossen, wenn Gott doch überall gegenwärtig ist?« Und er gab sofort mit der Kette das vereinbarte Zeichen und ließ sich heraufziehen. Als der König den Prinzen heraufkommen sah, wurde er sehr bestürzt und fragte ihn nach dem Grunde, weshalb er an die Oberfläche zurückverlangt hatte. Der Prinz antwortete ihm: »Sieh her, Vater, lies diesen Psalm!«Nachdem er ihn
gelesen hatte, sprach der Vater: »Gut, aber was willst du nun tun?«Der Prinz entgegnete: »Mein Leben steht in Gottes Hand. Ich will mich nicht mehr auf dem Grunde des Meeres verbergen, sondern in Gottes Obhut. Ich will nun täglich in die Kirche gehen.« Und so geschah es, und von dem Tag an ging der Prinz täglich des Morgens und des Abends in die Kirche.Am folgenden Samstag nun besuchten den Prinzen verschiedene Freunde, und ihr Besuch hinderte ihn, die Vesper in der Kirche mitzubeten. Als ihn seine Freunde verlassen hatten, blieb er traurig im Garten zurück; da kam ein Kaufmann vorbei, der sprach vor sich hin: »Verwünscht sei die Stunde, wo ich zur Vesper ging und darüber um so viele Goldstücke gekommen bin, die ich sonst verdient hätte!« Da der Prinz die Rede hörte, rief er ihm zu: »Du da, komm einmal her zu mir und sage mir, um wieviel Goldstücke du gekommen bist!«Und der Kaufmann antwortete: »Soundsoviel tausend würde ich verdient haben, wenn ich nicht der Vesper beigewohnt hätte.« Darauf sprach der Prinz: »Übertrage mir das Verdienst, die Vesper besucht zu haben, und ich will dir die verlorenen Goldstücke ersetzen.« Der Kaufmann willigte gern ein und überließ ihm das Verdienst des Vesperbesuches gegen die verheißene Summe. Der Prinz aber kehrte vom Garten zum Palast zurück, hörte aber plötzlich einen Pistolenschuß und eine Kugel an seinem Kopf vorbeipfeifen, so daß er vor Schreck ohnmächtig zur Erde fiel. Sogleich eilten Diener herbei und sahen nach, ob er Schaden genommen habe. Er konnte sich aber nach einem Weilchen erholen und bat: »Eilet rasch auf die Straße und seht zu, ob ihr dort einen gewissen Kaufmann treffet!« Dabei nannte er dessen Namen.
Die Diener taten, wie ihnen der Prinz befohlen hatte, und fanden den Kaufmann in seinem Blute liegend tot. Zugleich erkannte man aber auch, daß der gefährliche Zeitraum, von dem die Sternkundigen gesprochen hatten, verstrichen sei. So konnte der König seinen Sohn wieder froh umarmen. Dieser aber pries laut Gott ob des getanen Wunders und erzählte allen, wie es ihm mit dem Abendgottesdienste ergangen war. Er ließ Vigilien singen und Almosen an die Armen des Landes verteilen und lebte lange und glücklich.
Wie die Verpflegung, so die Bewegung
Es war einmal ein Bauer, der war überaus geizig, und seine Frau übertraf ihn an Geiz womöglich noch. Sie hatten nur einen einzigen Knecht, der sollte alle Arbeit ganz allein tun, und dazu erhielt er nur eine sehr schmale Kost.
Als die Zeit der Ernte kam, schickte der Bauer seinen Knecht hinaus aufs Feld, er solle das Korn schneiden und die Oliven ernten. Er gab ihm einen Schnappsack mit, der war gar leicht zu tragen. Dem Knecht aber knurrte der Magen vor Hunger, denn er hatte am Morgen noch nichts zu essen bekommen.
Kaum war er auf dem Feld angekommen, öffnete der Knecht als erstes seinen Sack, aber er fand nur ein kleines Stück schwarzes Brot und ein winziges Fischlein darin, die Flasche aber enthielt nichts anderes als Brunnenwasser. Da wurde der Knecht zornig und schwur, 'wie das Essen, so die Arbeit<. Dann aß er das wenige, das er vorgefunden hatte, legte sich unter einen Feigenbaum zur Ruhe und verschlief den ganzen Tag.
So trieb er es von nun an immer, denn er fand nie etwas anderes in seinem Sack als ein Stücklein schwarzes Brot, ein kleines Fischlein und pures Wasser. — Nun kam eines Tages ein Nachbar zu dem geizigen Bauern und fragte ihn: »Hör mal, warum erntest du nicht dein Feld ab? Der Weizen ist doch schon längst reif.« Da antwortete dieser: >'Mein Knecht geht ja jeden Tag hinaus aufs Feld, schneidet das Getreide und sammelt die Früchte.« —»Nein«, sagte der Nachbar, »dein Knecht liegt unter dem großen Feigenbaum und schläft.«
Da wollte es der Bauer nicht glauben, denn der Knecht hatte sonst immer pünktlich alle Arbeiten verrichtet, die ihm aufgetragen waren.
Am nächsten Morgen ging der Bauer in aller Frühe heimlich selber aufs Feld und versteckte sich. Bald danach kam auch sein Knecht dort an, öffnete den Sack, holte das kleine Stück schwarzen Brotes und das Fischlein heraus, nahm einen Schluck aus der Flasche und sagte: »Wie die Verpflegung, so die Bewegung.« Und damit legte er sich in den Schatten des Feigenbaumes und schlief sogleich ein. Da schlich der Bauer von dort weg und ging zu seinem Nachbarn. »Du hast recht«, sprach er, »der Taugenichts liegt auf meinem Feld und schläft, statt zu arbeiten. Meinst du, ich sollte ihm eine tüchtige Tracht Prügel verabreichen?« —»Nein, tu das nicht«, riet ihm dieser, »sonst läuft dein Knecht
davon. Ich glaube fast, daß deine Frau diesem Knecht nicht genug zu essen gibt.«Da wartete der Bauer, bis abends sein Knecht nach Hause kam; dann sprach er zu ihm: »Alle unsere Nachbarn sind schon fertig mit der Ernte, nur du hast sie noch nicht eingebracht.« »Wie das Essen, so die Arbeit«, sagte der Knecht. »Gebt mir mehr zu essen, dann will ich den Vorsprung der Nachbarn gleich einholen.«Da ging der Bauer zu seiner Frau und sagte: »Frau, unser Knecht arbeitet nicht richtig, weil er zu wenig zu essen bekommt.« — »Der Galgenstrick bekommt mehr als genug«, antwortete sie. Da wurde der Bauer wütend und rief: »Entweder du tust, was ich dir sage, oder du machst die Erntearbeit selbst! Glaubst du denn, der Mensch braucht weniger als der Ochs und der Esel?« Und er schimpfte fort und schilderte der Frau, wie durch ihre Schuld die ganze Ernte zugrunde gehen könnte. »Nun, wenn du schon Hab und Gut an alle Welt verschleudern willst, dann soll der Knecht es meinetwegen verprassen!« schrie schließlich die Frau. Sie heizte den Backofen an, buk einen großen Honigkuchen, schlachtete einen Hahn und gab alles in den Sack, wobei sie nicht vergaß, die Flasche mit dem besten Wein zu füllen.
Am nächsten Tag kam der Knecht auf das Feld und öffnete seinen Sack. Als er die herrlichen Dinge sah, die darin lagen, sprach er: »Heute ist's nichts mit dem Faulenzen! Wie die Verpflegung, so die Bewegung!«Er machte sich gleich an die Arbeit und hatte bis zum Abend fast die ganze Ernte eingebracht. Da staunten der Bauer und seine Frau über den Fleiß des Knechtes, und da ihr Geiz nun schon einmal einen Riß hatte, scherten sie sich nicht mehr um die Aufwendungen, sondern ließen den Knecht hinfort so viel essen, wie er wollte. Und das wiederum hatte zur Folge, daß sie sich nie mehr über die Faulheit des Knechtes zu ärgern brauchten.
Die Prinzessin und die Schlange
Es war einmal ein König, der wünschte sich siebzehn Jahre lang vergeblich ein Kind. Nach siebzehn Jahren wurde seine Frau schwanger und gebar ein Mädchen. Dieses Mädchen wurde groß. Ihr Vater, der König, ließ sie alle Arbeiten erlernen, ließ sie die Wissenschaft üben, gab sie in die Schule. Er wollte sie Philosophin werden lassen. Aber dies, die Philosophie, machte sie hypochondrisch: sie wollte allein sein,
nicht unter Menschen. Und als sie allein saß und stickte, hörte sie einst eine Stimme. Vor Schrecken hierüber stieß sie einen Schrei aus. Ihre Mutter kam herauf und fand sie ohnmächtig. Sie erweckte sie mit vieler Anstrengung aus ihrer Ohnmacht und sagte zu ihr: »Ich will nicht, daß du allein bleibst. Was ist dir zugestoßen?« — »Ich hörte eine Stimme: >Jetzt in der Jugend oder im Alter!< Eine Stimme wie ein Schrei und schrecklich.« Sie nahm sie mit, und sie blieben zusammen; sie ließen sie nicht mehr allein.So verging eine geraume Zeit. Da ging sie doch wieder hinauf, saß allein und stickte. Während sie stickte, hörte sie wieder dieselbe Stimme. Sogleich rief sie die Mutter. Es kam auch ihr Vater nach oben, der König. Er fragte sie: »Was hast du, meine Tochter?« —»Ich habe wieder dieselbe Stimme gehört«, sagte sie zu ihrem Vater. »Hole die Philosophen, meine Lehrer her, damit ich ihnen sage, was mir fehlt! Es ist keine Einbildung, es ist Tatsache; ich sehe es mit meinen Augen. Ich will es erzählen, damit wir sehen, was mein Leiden ist, daß wir es klären.« Die Lehrer kamen dorthin, und sie erzählte es. Die Lehrer sagten: »Wenn du jene Stimme hörst, so sage: >Jetzt in der Jugend, wo ich noch die Kraft dazu habe<«, und gingen weg.
Sie stieg zu der Kammer hinauf und stickte an dem Rahmen. Als sie jene Stimme hörte, sagte sie: »Jetzt, als junge Frau, wo ich noch die Kraft dazu habe!«Indem Augenblick, wo sie dies sagte, kam ein Adler, nahm sie mit seinen Fängen und flog davon. Alle standen und sahen, wie die Königstochter zum Himmel flog; sie war ihnen verloren. Die Mutter schloß den Palast, alles wurde in Schwarz gehüllt; die ganze Stadt trug Trauer. Selbst die Reittiere ließ der König schwarz färben. Das Mädchen trug der Adler und warf sie in eine Wüste. Er gab ihr ein Tischtuch, ein Paar Holzschuhe und sagte zu ihr: »Breite das Tischtuch aus und verlange, welche Speise du willst, daß es sie dir gebe zum Essen und Wasser zum Trinken.« Der Adler flog davon und ließ sie allein. Sie sah nur den Himmel und die Erde. Sie weinte und grämte sich Tag und Nacht. Eine Prinzessin und muß solche Qual in der Wüste erdulden! — Acht Jahre wanderte sie in der Wüste umher.
Nach acht Jahren sah sie eines Nachts ein Licht, sehr weit ab. Sie wanderte, wanderte Tag und Nacht und näherte sich jenem Licht: es war ein Stall; sie kam zu Leuten, in ein anderes Land, nicht in der Nähe ihres eigenen. Es war ein Hirt, er hatte eines Königs Stall. Er hatte eine Frau und eine Tochter. Jene bat den Hirten, dort bleiben zu dürfen. Sagte
der Hirt: »Was soll ich mit dir machen? Ich bin arm, ich kann dich nicht ernähren?«Da sagte jene zu ihm: »Ich will nicht, daß du mich ernährst, ich habe zu leben; ich will kein Essen von dir.« Da sagte der Hirt: »Bleib!«Sie blieb mit der Frau des Hirten im Stall. Sie ging immer hinter den Stall, breitete das Tischtuch aus und aß. Der Hirt, seine Frau, seine Tochter, wußten nicht, wie sie lebte, wo sie doch nicht aß; denn der Hirt ernährte sie nicht.Die Tochter des Hirten brachte jeden Tag die Lieferungen für den König. Da erkrankte sie, und der Hirt meinte: »Wer soll die Lieferungen bringen?«Jene sagte zu ihm: »Weine nicht, laß mich sie bringen!« Sagte der Hirt: »Weißt du sie hinzubringen?«Sprach jene: »Ich weiß es nicht, aber weiß es nicht das Eselchen? Wo das Eselchen hingeht, da werde ich es abgeben, die Milch, die Käse und den Quark.« —Sie nahm das Eselchen, das ging und blieb an der Tür der ältesten Tochter des Königs stehen. Man kam heraus, um die Waren abzunehmen. Sie fragten: »Hat der Hirt noch eine zweite Tochter?« Sie antwortete: »Er hat noch mich; ich war in der Schule, meine Schwester erkrankte, da habe ich die Sachen gebracht.« Die Prinzessin stand auf, um sie abzunehmen und die Gefäße zu leeren. Jene ging an den Stickrahmen und stickte. Die Prinzessin sah sie und sagte zu ihr: »Verdirb es mir nicht!« Sie antwortete: »Sei getrost, ich verderbe es nicht.« Als die Prinzessin ihre Stickerei sah, war sie ganz närrisch vor Erstaunen und sagte zu der vermeintlichen Hirtentochter: »Du verstehst so etwas zu sticken? Deine Schwester wird gesund werden und in einem Monat wiederkommen; dann sollst du mir sticken, und ich werde dir viel Geld dafür zahlen.« Sie schenkte ihr vielerlei, auch Geld. Jene brachte es dem Hirten. Der Hirt freute sich und war erstaunt, wie sie das zustande gebracht hatte. Am andern Morgen nahm sie die zweite Lieferung und brachte sie zu der jüngsten Tochter des Königs. Das Eselchen blieb vor der Tür stehen, und sie kamen heraus und nahmen die Sachen hinein. Sie sagten zu ihr: »Hat der Hirt noch eine zweite Tochter?« Sie antwortete ihnen: »Er hat noch mich und hatte mich bisher in der Schule.«Sie gingen, die Gefäße zu leeren. Die Prinzessin, die mit der Maschine nähte, stand auf. Da setzte sich jene hin und nähte an der Maschine der Prinzessin, und sie machte es besser als die Prinzessin. Sagte die Prinzessin: »Verdirb es mir nicht!«In diesem Augenblick vollendete sie das Kleid und sagte: »Ich verderbe es nicht.«Als die Prinzessin es sah, erstaunte sie: so gut hatte jene es gemacht, und sie sagte zu ihr: »Laß deine Schwester gesund
werden, dann will ich dich zum Nähen nehmen. Es wäre schade, wenn ein so begabtes Mädchen im Staue säße.«Sie antwortete: »Sehr gut, ich werde es meinem Vater sagen.«Am andern Morgen war die Lieferung des Königs an der Reihe. Sie belud das Eselchen, nahm es und ließ es vorangehen; es ging und blieb vor der Tür des Königs stehen. Die Leute vom Schloß waren noch in der Kirche geblieben. Nur ein junges Dienstmädchen war da. Der Sohn des Königs war allein. Das Dienstmädchen sagte zu ihm: »Sag ihr, daß sie die Sachen ins Zimmer bringe.«Die war aber über die Maßen schön: sie leuchtete, wie die Sonne leuchtet. Als sie in das Zimmer gegangen war, verschloß der Sohn des Königs die Tür und hielt sie im Zimmer fest. Jene schaute sich im Zimmer um: sie sah zuerst nichts. Da sah sie Flinten und Degen: sie zog einen Degen, der an der Wand hing, und schlug dem Königssohn den Kopf ab. Sie warf ihn auf die Erde, nahm das Eselein, ging zu dem Hirten zurück und sagte zu ihm: »Da hast du das halbe Tischtuch, lege es nieder, so wird es Speisen geben zum Essen.«Sagte der Hirt: »Warum?«Sie antwortete: »Ich habe dem Sohn des Königs den Kopf abgeschlagen.«Sagte der Hirt: »Warum hast du das getan?« Sie antwortete: »Weil er mir die Ehre nehmen wollte. War sein Kopf besser als meine Ehre? Deshalb nahm ich seinen Kopf.«
Das Dienstmädchen ging und sagte es dem König. Der König kam und sah seinen Sohn getötet. Er nahm das ganze Heer und ging zu dem Hirten, und sie fesselten den Hirten und jene zugleich. Der König sagte zu ihr: »Warum hast du meinen Sohn getötet?« — »Warum ich ihn getötet habe? Weil er mir die Ehre nehmen wollte!« Sagte der Hirt: »Sie ist nicht meine Tochter. Vor anderthalb Jahren kam sie in meinen Stall. Ich gebe ihr weder zu essen noch zu trinken. Wie sie lebt, weiß ich nicht. Meine Tochter erkrankte, deshalb kam jene. Ich weiß nicht, wer sie ist.« Sagte der König: »Sollen wir sie töten? So wird sie bald erlöst sein, so wird sie nicht gemartert. Sollen wir sie erwürgen? Wieder dasselbe. Sollen wir sie lebendig in den See werfen? Sollen wir sie in dem Grab zusammen mit meinem Sohne einmauern?« Sie mauerten sie lebendig mit dem Toten im Grabe ein. Dann gingen die Leute weg.
Nach drei Tagen kam eine Schlange, um die Augen des Toten zu fressen. Die Schlange ging wieder weg, nur ihre Jungen blieben zurück. Jene zieht ihre Holzschuhe aus und tötet die jungen Schlangen, indem sie sagte: »Habe ich mich vor der Schlange gefürchtet, soll ich mich darum auch vor den Jungen fürchten? Ich habe sie getötet.« Die
Schlange kam, nahm ein Kraut und rieb die Jungen, machte sie lebendig und ging mit ihnen davon. Jene sammelte die Kräuter, die die Schlange hatte fallen lassen, brachte sie an den Kopf des Toten nahe dem Hals, rieb ihn mit jenem Kraut und machte ihn lebendig. Dann sagte sie zu ihm: »Wir wollen wie Geschwister leben.« Sie breitete das Tischtuch aus, und sie aßen, tranken und sangen. Sie lebten wie Geschwister.Ein Jahr verging, da veranstaltete der König eine Seelenmesse; und die Leute kamen von den Dörfern und gingen vorbei, um das Grab zu sehen, da hörten sie drinnen singen. Sie gingen zum König und sagten: »Erweist du seiner Seele oder seinem Leben den Liebesdienst?«Sagte der König zu ihnen: »Hört, Bauern, seid ihr gekommen, mich zu verspotten? Nehmt eure Köpfe in acht, die ich herunterwerfen werde!« — »Nein, o König, dein Sohn ist am Leben und hat die Frau drinnen, und sie singen. Wir gingen, sein Grab anzusehen, und hörten sie; er hat die Frau drinnen, und sie singen.« Als er von der Frau hörte, glaubte er es. Der König nahm Leute, und sie gingen und öffneten das Grab. Da sagte jene zum Königssohn: »Mich werden sie im Grabe lassen und wieder einmauern.« Antwortete der Königssohn: »Du wirst zuerst hinausgehen und ich danach.«Die Leute kamen und öffneten das Grab; und der Königssohn sagte: »Werft keinen Stein herab, daß ihr mich nicht trefft! Ich bin am Leben!«Sagte der König: »Die wollen wir nicht herauslassen, sondern wieder im Grabe einmauern!«Sagte der Königssohn: »Die wird zuerst hinausgehen und dann ich: mein Leben und mein Tod ist sie.« Sie kamen heraus: alle Leute aber wunderten sich, ihn, den Getöteten, nach einem Jahr noch am Leben zu sehen.
Er ging mit ihr zum Schloß und verlobte sich mit ihr. Aber sie sagte zu ihm: »Hüte dich, auch nur mit dem Finger in üblem Sinne auf mich hinzuweisen!«Der wagte nicht ein einziges Mal, sie zu fragen, woher sie sei. —Als sie ins Schloß gegangen war und dort blieb, sah sie viele Leute, die aus ihrer Heimat kamen. Einst sagte sie zu ihrem Verlobten: »Nimm einen kleinen Wagen, wir wollen ein Stück spazierenfahren, weil ich viel gelitten habe.« Er antwortete: »Nehmen wir einen!« Er nahm den Wagen zur Ausfahrt und fragte seine älteste Schwester: »Was willst du, daß ich dir vom Basar mitbringe?« Sie sagte: »Einige Pferdeapfel bringe mir mit dem Eselchen, das die Milch trägt.«Er antwortete: »Zu Befehl.«Dasselbe fragte er seine jüngste Schwester: »Was soll ich dir mitbringen? Ich gehe einkaufen.« Sie antwortete: »Einige Pferdeapfel.« Und er sagte wieder: »Zu Befehl.« Er fragte ihre Schwiegermutter:
»Was soll ich dir mitbringen?« Sie antwortete: »Bringe mir das Taschentuch für die Verlobung.« Er sagte: »Zu Befehl.« Dann sagte er zu dem Schwiegervater: »Was soll ich dir mitbringen? Ich will einkaufen.« Der Schwiegervater antwortete: »Bringe mir den Verlobungsring.« Er antwortete: »Zu Befehl.«Sie schickte den Kutscher weg und stieg mit ihrem Bräutigam in den Wagen und nahm den Weg nach ihrer Heimat. Ihr Bräutigam war sehr in Angst, weil er nicht wußte, wohin sie ihn führe. Jenen Tag fuhr auch ihre Mutter aus und ihr Vater, der König, in der gläsernen Kutsche und fuhren spazieren. Sie waren aufs Feld gekommen. Jene fuhr gerade auf die Kutsche los. Ihr Bräutigam schrie: »Du wirst mit der königlichen Kutsche zusammenstoßen, und sie werden uns vernichten.« Jene sprach gar nichts; mit ihrer eigenen Kutsche zerbrach sie die ihrer Mutter mit den Glasscheiben. Ihr Bräutigam war außer sich, als er sah, daß sie den Wagen zerbrach, er fürchtete sich sehr; er wußte ja nicht, daß sie deren Tochter sei. Da rief die Mutter: »Meine Tochter! Wo warst du?«Die Tochter antwortete: »Ich war in der Wüste.« — »Wenn es regnete, wo hieltest du dich da auf?« — »Unterm Felsen.« Da war er noch mehr außer sich, als er sah, daß sie eine so hohe Prinzessin sei, und sagte: »Es gehörte sich, daß du mir den Kopf nahmst, du warst ganz im Recht, da du eine solche Prinzessin warst; es gehörte sich, daß du so mit mir verführst. Ich bitte dich um Verzeihung.« Dann gingen sie zu dem König, dem Vater des Bräutigams, und brachten die Geschenke: dem König Krone und Ring, der Schwiegermutter ein Taschentuch mit Gold gestickt und ein Diadem mit Brillanten und kostbaren Steinen; den Schwägerinnen brachte sie Blumen und Armbänder aus Brillanten. Sie tat auch zugleich die Pferdeapfel in den Korb. Dann holten sie die Schwäger und Schwägerinnen und feierten die Hochzeit.
Der fromme Nachbar
Es waren einmal drei Nachbarn, und alle drei waren arm, aber der eine war ein sehr gottesfürchtiger Mensch. Eines Tages sagten die beiden andern: »Wir bleiben nach wie vor so arm wie wir sind. Laßt uns unseren Nachbarn mitnehmen und den König unter Tränen und kniefällig bitten, daß er uns etwas zum Lebensunterhalt gebe!« Die gehen, rufen
ihren Nachbarn und sagen zu ihm: »Wir wollen zum König gehen und ihn um Geld zum Lebensunterhalt bitten.«Dieser antwortete: »Ich soll nicht Gott bitten, mir Geld zu schenken, sondern zum König gehen und den bitten?«Sagen die andern: »Komm nur, auch ohne daß du bittest!« — »Ich kann nicht«, sagt er, »dorthin wandern; ich habe meine Arbeit.« —»Geh«, sagten wieder die andern, »geh wenigstens für Tagelohn mit!« —»Wenn es für Tagelohn ist, dann gehe ich mit.«Da nahmen die beiden je einen Reisesack und machten sich auf den Weg. Der dritte nahm keinen Reisesack, sondern wanderte so hinter ihnen.Als sie zum König kamen, schilderten sie ihre Armut. Der König bemitleidete sie und sprach: »Ich will euch Geld zum Leben geben, aber wo werdet ihr es hintun?« —»Da«, sagten die beiden, »wir haben ja unsere Reisesäcke.« Der König befiehlt sogleich, die Reisesäcke zu nehmen und mit Dukaten zu füllen. Dann sagt er zum dritten: »Wo ist dein Reisesack, daß ich ihn füllen lasse?« — »Ich«, antwortete der Mann, »will nichts, sondern erwarte es von Gott.« —Als die sich auf den Weg gemacht hatten und wanderten, ärgerte sich der König, je mehr die Zeit verging, über die Worte des dritten und schickte schnell einen Diener mit einem Gewehr nach, der sie einholen und den erschießen sollte, der keinen Reisesack trug. Der nahm sein Gewehr und ging. —Auf dem Wege nun ermüdete der eine von den drei Männern und gab seinen Reisesack dem Tagelöhner zu tragen. Der Diener, der hinter ihnen herlief, sah den, der keinen Reisesack trug, zielte auf ihn, schoß und tötete ihn. Die andern beiden ließen ihn zurück und gingen weiter.
Auf dem Wege war ein großer Fluß. Sagte der Tagelöhner zum andern: »Warte, bis es Abend wird und das Wasser sich vermindert, daß wir hindurchkönnen!«Der andere aber hörte nicht auf ihn, sondern machte sich daran, den Fluß zu überschreiten: der Strom riß ihn mit; auch sein Reisesack ging unter. Der andere blieb dort sitzen und saß, bis es schon Abend wurde und die Nacht hereinbrach. Dann nahm er einen Stab, stützte sich auf ihn und kam so aus dem Fluß wieder heraus. Als er aufs Trockene gelangt war, versuchte er den Stab an den Strick des Reisesakkes zu bringen, der im Fluß untergegangen war. Er zog an dem Stab, zog kräftig und holte auch den zweiten Reisesack heraus. Jetzt saß er und überlegte, wie er es machen sollte, da er zwei Reisesäcke zugleich nicht tragen konnte. Als er noch überlegte, siehe, da reitet einer zu Pferde vorüber. »Ist das Pferd vielleicht zu verkaufen?« — »Wenn ich einen Käufer finde«, antwortete der, »verkaufe ich es.«Sie einigten sich,
und der Mann kaufte das Pferd. Er lud die Reisesäcke auf und ritt im Galopp zu seiner Frau.Als die Frau ihn sah, fragte sie ihn: »Was gibt's Neues?« — »Unsere Neuigkeiten sind gut, aber unsere Nachbarn sind umgekommen, und wir werden vor ihren Frauen keine Ruhe finden. Wähle also unsere besten Sachen aus, wir wollen nach Konstantinopel ziehen.« Sie nahmen ihre guten Sachen mit, ritten auf ihren Tieren, begaben sich zum Hafen; er nahm ein Kaik, und sie fuhren nach Konstantinopel. Den Abend, als sie ankamen, suchten sie eine Wohnung, fanden aber keine. Erst in der Zeit, wo die Querpfeife gespielt wird, fand der Mann ein Chan (Herberge) und aß dort, um danach mit seiner Frau dort die Nacht zuzubringen. Der Inhaber des Chans sagte zu ihm, daß er nachts keinen Menschen mehr in das Chan lasse, weil jeder, der hineingehe, nachher nicht mehr zu finden sei. Da sagte jener: »Gibt es einen Gott?« —Der andere antwortete: »Es gibt einen.« — »Nun, dann öffne und laß uns ein!«sagte der Mann. Er bezog mit seiner Frau ein Zimmer. Seine Frau fegte es aus. Darauf sagte sie: »Hast du schon ein so schönes Zimmer gesehen wie dieses? Da sind wir umhergeirrt und haben so lange eine Wohnung gesucht.« Um Mitternacht, als sie gegessen und sich niedergelegt hatten, hört der Mann eine Stimme, die durch das ganze Chan hallte. Er steht schnell auf und macht sein Kreuz; dann öffnet er die Tür des Zimmers ganz sacht, damit er seine Frau nicht wecke, und sieht einen riesigen Mohren vor sich -bis dahin so groß. Der sagte: »Du bist es? So lange habe ich dich schon gesucht und nicht gefunden. Jetzt komm mit mir!«Der Unglückliche folgte ihm. Sie gehen und gehen und kommen zu einer Hütte: dort war ein Marmorstein. Der Mohr hob den Marmor auf, stieg unter die Erde hinab und sagte zu dem andern, er solle auch hinabsteigen. Der Mann schlug wieder sein Kreuz und sagte: »Was wird der uns hier drinnen antun?« Er steigt herunter und sieht eine Reihe Krüge. Da sagt der Mohr: »Wohlan, öffne die alle!« Der ging und öffnete sie. Was sollte er sehen? Alle voll Dukaten. Sprach wieder der Mohr zu ihm: »Alle diese Krüge will ich dir schenken, aber verwende sie so, wie es sich ziemt.« Darauf ging der Mann und legte sich schlafen.
Gegen Morgen klopfte der Inhaber des Chans an die Tür und rief: »He, ihr da drinnen, seid ihr noch am Leben?« —»Aber«, erwiderte der von innen, »warum sollten wir gestorben sein, oder -?« Als der Mann dann herauskam, sagte der Chanwirt zu ihm: »Es ist ein Uhr, und es hat dir
niemand etwas angetan? Komm, ich will dir das Chan verkaufen.« Sie einigten sich: der kaufte das Chan. Als der Mann das Chan gekauft hat, reißt er es ab und errichtet auf der einen Seite eine Bäckerei, auf der andern ein Gasthaus und ließ ausrufen, wer arm sei, solle kommen und unentgeltlich bei ihm essen und wohnen und Geld bekommen.Als der König dies hörte, sagte er zum Wesir: »Wohlan, wir wollen auch diesen braven Mann besuchen!« Sie nahmen jeder ein Pferd und ritten hin. Der aber geht schnell, kauft ein Pferd, schöner als das des Königs, läßt goldenes Zaumzeug machen und stellt das Pferd an die Krippe. Dann sagt er zum König: »Zu alledem bist du die Ursache.« —»Wieso?«fragt der König. »Erinnerst du dich«, sagte der, »daß einst drei Männer zu dir kamen und dich um Geld baten, und du schicktest jemanden nach, den einen zu töten? Der, den du töten lassen wolltest, bin ich.« Und er erzählte nun dem König, auf welche Weise er reich geworden sei. Da freute sich der König sehr, und er ermahnte ihn, es mit seinem Gelde immer so zu halten, daß er ein rechtliches Leben führe. Dann nahm er das Pferd mit den goldenen Zäumen, das der Mann ihm schenkte, und ritt mit dem Wesir weg. — Der Mann aber hatte sein Geld und lebte glücklich - und wir leben noch glücklicher.
Der gerechte Richter
Es waren einmal zwei Brüder: der eine war reich und der andere arm. Der arme wollte bei seinem Bruder leben und sagte daher zu ihm: »Wo du fremde Menschen zu Knechten hast, nimm doch mich, daß ich bei dir lebe!«Der nahm ihn als Knecht und schickte ihn am Weihnachtstage aus zum Pflügen. Sein Bruder sagte: »Heute soll ich pflügen, wo Weihnachten ist?« —»Geh nur heute«, antwortete jener, »wo ein schöner Tag ist; morgen, wenn es regnet, brauchst du nicht zu gehen!«Da nahm der Mann die Ochsen und ging aufs Feld pflügen. Als er schon eine Furche gezogen hatte, krepierte der eine Ochse. Er wollte nun den andern antreiben, da fiel auch der um und krepierte. Da ging der Unglückliche mit tränenden Augen und bekümmertem Herzen und sagte es seinem Bruder, daß die Ochsen krepiert seien. »O weh«, sagte der, »du hast sie getötet«, und er nahm ihn mit vor Gericht.
Auf dem Wege, den sie zogen, stießen sie auf ein Haus. Der Reiche ging hinauf, um diese Nacht als Gast da zu bleiben; auch der unglückliche
Arme blieb da, unter der Treppe, um da schlecht und recht zu übernachten. Als die nun oben Wein tranken, ging die Frau vom Hause hinunter, um neuen Wein einzufüllen. Als sie unter der Treppe einen Menschen sah, erschrak sie, stieß ein Geschrei aus und - sie war schwanger - tat eine Fehlgeburt. Ihr Mann wollte den Armen verklagen. »Komm mit mir«, sagte sein Bruder, »denn auch ich gehe seinetwegen vor Gericht.«Er nahm also auch diesen Mann mit, und sie zogen weiter, um jenen zu verklagen. Der Arme erwog, daß er gehängt werden würde, und ging, sich von einem hohen Felsen herabzustürzen. Unter dem Felsen saßen vierzig Mönche. Als der vom Felsen herabstürzte, fiel er gerade auf ihren Abt und tötete ihn. Da packten ihn die Mönche, um ihn vor den Kadi zu führen und zu verklagen. Die beiden andern riefen: »Auch wir gehen seinetwegen. Mir hat er meine Ochsen getötet.« — »Meine Frau verdankt ihm eine Fehlgeburt.« Sie nahmen also auch die Mönche mit vor Gericht.Auf dem Wege trafen sie einen Mann, der versuchte seinen Esel vom Boden aufzurichten. Sie kamen heran: der Mann wieder, den sie vor den Kadi führten, beeilte sich, den Esel am Schwanz aufzurichten; da blieb der Schwanz in seinen Händen. Nun nahmen sie auch den gewaltsam mit, damit er jenen verklage. Der war schon der Überzeugung, daß er sich nicht mehr retten könne. Aber Gott verläßt den Braven nicht. Der Kadi, vor dessen Gericht sie den Mann führten, war ein geradedenkender Mensch. Als sie vor ihn traten, um sich Recht sprechen zu lassen, fragte er zuerst den Reichen: »Was hast du mit diesem Manne gehabt?« — »Ich schickte ihn zum Pflügen aus, und er hat mir meine Ochsen getötet«, antwortete der. — »An welchem Tage«, fragte der Kadi, »hast du ihn geschickt?« — »Zu Weihnachten.« — »Zu Weihnachten?« sagte der Kadi. »Was für Christen seid ihr? Pflügen die jemals an einem solchen Tage? Gleich zahlst du dem Manne dreitausend Piaster!« Was soll der Reiche machen? Er nimmt sein Geld heraus und zählt dreitausend Piaster hin, türmt sie auf und geht hinaus. —Es kam der andere an die Reihe, dessen Frau eine Fehlgeburt getan hatte. »Was hast du mit diesem Manne gehabt?«fragte der Kadi. — »Er hat die Fehlgeburt meiner Frau verschuldet.« —»Aber habt ihr denn nicht gewußt«, sagte der Kadi, »daß ihr noch einen andern Gast hattet, den ihr auch nach oben nehmen mußtet? Gleich gibst du ihm tausend Piaster!« —Es kamen die neununddreißig Mönche. Er fragte sie: »Was habt ihr wieder mit diesem Manne gehabt?« — »Er hat unsern Abt getötet«, sagten die
Mönche. — »Ihr habt recht«, sagte der Kadi, »und ihr müßt ihn töten. Geht an dieselbe Stelle, wo sich der Abt befand, und bringt diesen Mann in dieselbe Stellung. Dann steigt auf den Felsen und stürzt einer nach dem andern auf ihn herab, bis ihr ihn tötet!« — »Wir gehen nicht, wir gehen nicht«, sagten die Mönche, »wir fürchten uns.« — »Dann«, sagte der Kadi, »wenn ihr euch fürchtet, gebt diesem Manne zehntausend Piaster!« —Sie führten noch den letzten hinein. Der sagte: »Mich haben sie gewaltsam mitgenommen.«Der Mann nahm also alle diese Piaster und wurde reich, und sein Bruder wurde arm.
Der Arme und seine Mira
Ein Bauer, ein blutarmer Schlucker, hatte nicht so viel Erde, um sich begraben zulassen, oder wo er sein Haupt hinlegen könnte, weder über noch unter der Erde, sondern nur einen lahmen Esel - Allah segne ihn! —, und täglich trieb er ihn vor sich hin, zog in den Wald und sammelte dürres Holz und Reisig und brachte es in die Stadt und verkaufte es und schlug sich so Tag für Tag mit seiner Familie durch.
Eines Tages, als er in den Straßen und Gassen des Ortes umherzog und ausrief: »Gutes Brennholz!«, rief man ihn aus einem vornehmen Hause heran, er solle eintreten, damit sie das Brennholz kauften. Der Bauer trat in den Flur, verkaufte das Brennholz an die Bediensteten, die Lakaien, und lud es im Keller ab und setzte sich und sah die Schätze und Reichtümer des Hauses und wartete und wartete, daß sie ihm das Brennholz bezahlen. Aber jene sagten ihm, er solle wieder heraufkommen, daß es ihm der Herr bezahle. Da legte der Bauer seine Scheu ab und faßte Mut und stieg die auf Marmor gehauenen, verzierten Treppen hinauf, die dem Manne Sinn und Verstand raubten, als er in jenes vornehme Haus eingetreten war, das so prächtig ausgestattet und geschmückt war mit Kronleuchtern, wie eine bemalte Kirche. Und der Herr saß ausgestreckt auf einem Stuhl aus Nußbaumholz, der strahlte und blitzte von Diamanten; und er bewunderte den Mann: der hielt eine mit Troddeln gezierte Wasserpfeife aus Olivenholz in den Händen und sog Rauch ein, der wie Moschus duftete, und der Mann verging fast vor Wohlgeruch. Dem Bauer wurde schwindelig, und er war einer Ohnmacht nahe, und er nahm seine Mütze an der Krempe ab und neigte sich und machte eine Verbeugung und sagte zu dem Herrn, er
möge ihm das Brennholz bezahlen. Der Herr zog aus seiner Tasche einen Geldbeutel, so groß wie der Samenbeutel des Ackerknechts, und nahm daraus zwei Piaster und gab sie ihm. Und er ging auf und davon, halb schwindelig. Und als er wieder zu sich gekommen war und sich vollends davonmachte, fragte er die Diener, was für einen Beruf der Herr ausübe; und jene antworteten ihm, er sitze jeden Tag auf dem Stuhl und rauche seine Pfeife, und seine Mira spinne.»Sieh an«, sprach der Bauer, »das ist ein Beruf, zu sitzen und zu rauchen und ein herrliches Leben zu führen: da habe ich nun den ganzen Tag im Walde mich geplagt mit dem Brennholz und dem Reisig. Von jetzt an werde ich ebenso verfahren, und >was regnen will, das mag herunterkommen<.« Unser guter Bauer kommt an einem Tabakladen vorbei, gibt zwei Piaster und kauft Tabak und füllt seinen Tabakbeutel und kehrt nach Hause zurück ohne Brot, ohne Essen und setzt sich auf einen Sessel, den er hatte, einen zerbrochenen, und beginnt Tabak zu rauchen und leert den Kopf der Wasserpfeife; er schlürfte und wälzte und räkelte sich und gebärdete sich wie ein Aga von Karystos.
Seine Frau, die Unglückliche, sieht und sieht wieder, daß er nicht einen Bissen Brot hat, daß ihre Kinder das Abendessen hätten und zu Bett gehen könnten. Sie ärgert und regt sich innerlich auf, aber was sollte sie machen? Sie legte sich in die Ecke des Hauses, klagend, verärgert, entrüstet, und das Gras verwelkte von dem heißen Kummer ihres Herzens. Der Bauer, ihr Mann, regt sich nicht die Spur auf, raucht fortwährend, füllt und leert wieder den Pfeifenkopf und ruft seine Frau und sagt zu ihr: »Frau, warum grämst du dich? Sorge dich nicht! Von nun an werden wir auch vornehm werden.« — »Aber wie sollen wir fortkommen«, sagt jene zu ihm, »die wir nichts haben, den Kindern zum Mittag zu geben?« —»Sorge dich nicht, Gott ist groß.«Er machte Feuer, füllte und leerte die Pfeife. Wie es eben geht -Gott ließ den Tag vergehen: der Bauer rührt nicht den Fuß; weder nach Brennholz noch nach Reisig hat er Lust zu gehen.
Es kam ihr Nachbar und nahm den lahmen Esel, um eine Ladung Ziegelerde von gegenüber aus der Tongrube zu holen. Es ging also der Nachbar, machte sich daran, grub und grub Ziegelerde. Da merkt er bei seinem Hieb mit der Hacke, daß sie an etwas Hartes anklingt; er schaut nach, was zu sehen wäre -eine Tonne bis oben gefüllt mit venezianischen Goldstücken und Heiligen-Konstantins-Münzen, ungesiegelt und mit den Schwänzen zusammengebunden, kostbare und wundervolle
Sachen. Er führt einen Stich mit der Hacke: es entstand oben ein Loch, und die Goldstücke flogen heraus und wurden über die Erde und die Löcher verstreut; und die Geschichte glänzte und blitzte. Und unser guter Nachbar nahm und sammelte mit seinen Fäusten die Goldstücke und packte sie in Säcke, daß sie wie Würste aussahen, und auf die öffnung breitet er Erde, damit die Goldstücke vor den Augen der Leute verborgen blieben. Was soll ich dir sagen - er belastete den Esel übermäßig und führte und trieb ihn nach dem Dorf. Aber auf dem halben Weg überlegte er, daß noch viele Goldstücke in der Erde steckengeblieben seien; und er kehrte um -drehte um, um alle zusammenzuschaffen. Er wanderte also nach der Tongrube, bückte sich, las die Goldstücke zusammen und sackte sie voll Freude ein. Aber »mitten in der Freude kommt der Steuereinnehmer«, wie die Alten sagten - unversehens fiel er hin, die Tongrube stürzte zusammen und begrub unsern unglückseligen Nachbarn, und er konnte sich weder hierhin noch dorthin drehen noch einen Mucks von sich geben, noch Atem holen. Lassen wir ihn dort krepieren, und wenden wir uns unserem Herrn Esel zu, welcher, immer weidend, Schritt für Schritt weiterging, bis er im Hause seiner Besitzerin ankam, wie er es gewohnt war. Die Frau sieht den Esel beladen. Sie wartet und wartet, daß der Nachbar vorbeikomme, ihn ins Haus zu nehmen und zu entlasten; aber der bleibt unsichtbar. Sie ruft ihren Mann, er solle herauskommen und ihn entlasten. Bah! Wo kommt der zur Tür heraus, er gibt nicht einmal eine Antwort. Die Frau hielt es nicht mehr aus, den Esel beladen und belastet zu sehen: Sie ging hinaus und wollte die Säcke abnehmen, aber sie sieht, daß die verwünschten nicht zu heben sind. Sie schaute zu, durchwühlt sie, wurde starr vor dem Glanz, dem Leuchten der Goldstücke und war einer Ohnmacht nahe vor Freude. Sie machte sich flugs heran, hob mit großer Mühe die Säcke herunter und entleerte sie in den Keller und in den Bettkasten und geht und rüttelt ihren Mann auf. Und der kommt auch und sieht jene Goldstücke in Haufen; die leuchten wie die Strahlen der Sonne und machen ihn ganz verrückt, und er ist nahe daran, den Verstand zu verlieren. Jedoch kam er wieder zu sich, und sie sammelten und schafften die Gulden Stück für Stück an unsichtbare Orte.Von da ab wurden sie reich und vornehm, und sie und ihre Kinder führten ein angenehmes Leben. Möge es wie jenen auch unsern Kindern ergehen und allen, die uns wohlwollen! Seitdem hat man das Paradoxon aufgebracht: »Der Arme und seine Mira.«
Wahrheit und Lüge
Es traf sich, daß sich in einer großen Stadt zwei arme Schlucker befanden, Fremdlinge, Zugewanderte, Faulpelze, Kneipbrüder, Taugenichtse. Der eine hieß Wahrheit und der andere Lüge. Sie waren eines Sinnes, verkehrten miteinander wie Kameraden und eng verbrüderte Freunde. Sie waren übereingekommen, hatten sich das Wort gegeben und abgenommen, daß den Vorrang der ältere von ihnen, Wahrheit, haben sollte, und wenn es ihnen nicht gutginge, sollte zu ihrem Vorteil Lüge den Vorrang haben und gut Kommando führen. Aber sie hatten keinen Park in ihrem Beute!, weder der eine noch der andere. Sie trieben sich in der Stadt den ganzen Tag umher von Gasse zu Gasse -alles umsonst und vergebens.
Es wurde Abend, und der Abend ging vorüber, und ihr Bauch knurrte, um es kurz zu sagen und keine Umschweife zu machen; denn die Nacht war nahe, wo die Kinder schlafen und die alten Weiber die Ohren spitzen.
Die guten Freunde hungerten sehr und gingen in eine Garküche und setzten sich, um zu essen. Und Wahrheit, der den Vorrang hatte, rief den Koch und sagte zu ihm, ob er ihnen zu essen geben wolle und sie ihn bezahlen dürften, wenn sie Geld bekämen, denn sie hätten keines. Der Koch war nicht damit einverstanden, daß er ihnen etwas geben solle, da sie doch niemand kenne noch für sie einstehe. Und sie standen auf, betrübt und verzweifelt, und gingen hinaus und weiter und begaben sich in eine andere Garküche; aber auch da hatten sie dasselbe Schicksal. Sie machen überall die Runde in den Garküchen -alles umsonst! Der Abend ging vorüber: sie zitterten vor Kälte und Frost und begaben sich in ein Chan, ohne gegessen zu haben, elend und verzweifelt. Sie ließen sich auf ein Lager nieder und drehten und wälzten sich die ganze Nacht und schlossen kein Auge.
Als es Tag geworden und der Chanwirt die Chantür geöffnet hatte und sie aufgestanden und herausgegangen waren, da sprach Lüge zu Wahrheit: »Gestern, Kamerad, ist es uns übel ergangen, und wir sind ins Elend geraten: unter diesen Umständen werde ich das Kommando führen.«Sie gingen geradenwegs ganz früh beim Morgengrauen in eine Garküche für Hammelfüße. Sie setzen sich: Lüge ruft keck den Wirt und bestellt bei ihm allerlei Speisen. Er bereitete sie, brachte sie auf den Tisch, und sie aßen sich satt und pflegten sich. Lüge jedoch erblickte
einen Gast, der aufstand, zum Ladentisch des Wirts ging, einen Napoleon gab, den Rest herausbekam und wegging; und der Wirt warf den Napoleon in die Kasse. Da rief Lüge den Wirt, er solle die Rechnung machen, damit er ihn bezahle. Der Wirt rechnete zusammen und sagte zu ihm: »Mit Verlaub, fünf Piaster!«Als eine Weile vergangen war, ruft er ihn wieder und sagt zu ihm, er solle ihm den Rest bringen. »Was für einen Rest?«fragt der Wirt. Lüge schreit laut: »Den Rest von dem Napoleon, den ich dir gegeben habe!« Der arme Wirt wurde verwirrt und bestürzt, und nachdem er sich gefaßt hatte, erwiderte er: »Wann hast du mir einen Napoleon gegeben, Meister?« — »Damals, als der große Wind ging«, sagte Lüge spöttisch. —»Höre, Verehrtester, meinst du das im Ernst?« —Lüge schrie wie verrückt: »Himmel und Hölle, gib mir den Rest heraus, daß ich dich nicht lächerlich mache!« Und mit einem Satz springt er auf, schreitet zum Schanktisch, zieht die Kasse heraus, streckt die Hand aus und holt aus der Kasse den Napoleon heraus und zeigt ihn den Anwesenden -dies alles mit einer großen Sicherheit und einer Zunge, scharf wie eine englische Schere. Der Wirt ergreift, um vor seinen Gästen nicht übel dazustehen, eine Handvoll Geldstücke aus der Kasse, streut sie auf den Ladentisch, zählt nach und gibt Lüge auf einen Napoleon heraus mit Abzug der fünf Piaster. Dann seufzt der Arme tief auf und sagte: »Ich bedaure vielmals, Meister.«Als Wahrheit aus der Garküche auf den Platz hinaustrat und auch Lüge erschien, hielt sich Wahrheit nicht mehr zurück und sagte: »Hier ist auch die Wahrheit, Unseliger, aber sie sprach nicht, denn sie ließ uns gestern den ganzen Tag ohne Nahrung, und wir waren nahe daran, Hungers zu sterben, während die Lüge es zu Geld brachte.«
Mit diesen Worten gingen sie auf und davon und machen so noch immer ihren Weg.
Was in den Sternen geschrieben steht, ist unauslöschlich
»Hast du gehört, Großmütterchen? Marie Konstantios heiratet Manuel Atrulidomickilis, den wackersten Burschen des Ortes!« — »Beim Namen Gottes! Und du weißt es sicher?« —»Gewiß, aus dem Munde ihrer Base, der Pelagia, habe ich es gehört.«
»Eh, meine Kinder, es war ihr so bestimmt. Was Gott geschrieben hat, können die Menschen nicht auslöschen. Hört zu, ich will euch ein Märchen
erzählen, aus welchem ihr die Macht Gottes des Allmächtigsten erkennen werdet.«Es waren einmal zu einer Zeit ein König und eine Königin, die hatten eine einzige Tochter. Eines Tages, als der König spazierenging mit dem Rat der Zwölf, bemerkt er außen vor dem Eingang seines Palastes einen Mohrenknaben, so von zwei, drei Jahren: der saß und weinte. Der König, von Mitleid ergriffen, nimmt ihn herein und bringt ihn der Königin. Als diese ihn sah, erschrak sie anfangs, aber dann, als sie hörte, daß er ausgesetzt war, bemitleidete sie ihn und sagte zum König, sie sollten sich seiner erbarmen und ihn dann später der Königstochter als Diener geben. Der Mohrenknabe blieb also im königlichen Palast und wurde da erzogen, bis er fünfzehn Jahre alt war. Eines Tages träumte die Königin, daß sie ihre Tochter, die Prinzessin, mit dem Mohrenknaben vermähle. Sie steht also ganz früh auf und geht in das Schlafzimmer des Königs und weckt ihn und erzählt ihm ihren Traum. »O weh«, sagt da der König zu ihr, »sieh, ich habe denselben Traum gehabt!« —»Eh, was wollen wir jetzt mit ihm machen, was sollen wir tun?« —»Auf, rufe den Mohrenknaben, und wenn auch er denselben Traum gehabt hat, so bedeutet das, daß wir ihn von hier fortjagen müssen.« Sie lassen also dem Mohrenknaben sagen, er solle in das königliche Schlafzimmer kommen, weil sie mit ihm sprechen wollten. Er kommt, und sobald er den König und die Königin sieht, sagt er zu ihnen: »Gut, daß ich euch alle beide hier treffe, da ich mit euch sprechen will. Gestern abend sah ich im Schlaf den Engel des Herrn; der sagte zu mir: >Steh auf und suche den König und die Königin auf und sage zu ihnen: Es ist beschlossen von Gott dem Allmächtigen, daß du die Königstochter zum Weibe nimmst.«Als der König und die Königin diese Worte hörten, wurden sie rasend, und der König sagte zu ihm in großer Wut: »Hebe dich von mir weg, Mohrenbrut, schämt sich nicht dein Angesicht, Bastard, daß du meine Tochter zur Frau nehmen willst? Daß dich meine Augen nicht mehr sehen! Sonst lasse ich dich hängen!« — »Nur gemach, mein allergnädigster König, ich gehe; ich werde mich aufmachen, den Engel des Herrn zu fragen, ob das, was in den Sternen geschrieben steht, ausgelöscht werden kann. Wisse jedoch, daß, wenn die Dinge ihren Gang gehen, die Königstochter die Meine wird.«
Der Mohrenknabe ging also ab und marschierte Tag und Nacht, um den Engel des Herrn aufzusuchen und ihn zu fragen, ob, was geschrieben steht, ausgelöscht werden kann. —Als er so marschierte, einige Tage
danach, sieht er am Wege drei Frauen, die hatten vor sich einen Haufen Silber- und Goldstücke und maßen sie immerzu und maßen sie. Der Mohrenknabe näherte sich ihnen und sagte zu ihnen: »Guten Tag!« —»Guten Tag, Pallikare«, sagen die Frauen, »was suchst du, mein Kind, hier in der Einöde, wo wir noch keinen lebenden Menschen gesehen haben schon so viele Jahre?« — »Was soll ich euch sagen, meine Herrschaften, ich bin schlimm dran! Ich gehe, Gott den Allmächtigen zu fragen, ob, was in den Sternen geschrieben steht, ausgelöscht werden kann.« —»Glück auf den Weg, mein Kind, wir bitten dich, auch unseretwegen zu fragen, was wir tun müssen, um dieses Geld loszuwerden, das wir hier messen, jetzt schon fünfzig Jahre.«
Der Mohrenknabe ging weiter und marschierte, und auf dem Wege trifft er einen Pfahl, der schwebte in Gottes Luft fünfzig Klafter über der Erde. Der Mohrenknabe kommt näher und hört den Pfahl reden und ihn fragen, wohin er gehe. »Ich gehe zu Gott dem Allmächtigen, um ihn zu fragen, ob das, was in den Sternen geschrieben steht, auf Erden ausgelöscht werden kann.« —»Frage ihn doch auch meinetwegen, was ich tun soll, um von hier hinabzufallen, wo ich schon tausend Jahre bin.«
Nach einigen Tagen kam er von dort an einen Ort, wo eine alte blinde Frau saß; und er redet sie an und sagt zu ihr: »Guten Tag, Tante!« — »Danke, Kind, was suchst du, mein Sohn, in dieser Wüstenei, die noch keines lebenden Menschen Fuß betreten hat, solange ich hier sitze?« — »Ich gehe, Herrin, um Gott den Allmächtigen zu fragen, ob, was einmal geschrieben steht, ausgelöscht werden kann.« — »Meinen Segen, mein Kind; frage doch Gott den Allmächtigen auch meinetwegen, was ich tun muß, um meine Blindheit zu verlieren, wo ich Unglückselige hier schon vierzig Jahre blind bin und den Weg nicht finden und weggehn kann.«
Nachdem er noch vierzig Tage gewandert war, kam er am vierzigsten an, da, wo Gott der Allmächtige mit seinen Engeln und allen seinen Heiligen war. Der Mohrenknabe tritt näher und klopft an die Pforte des Paradieses, und es öffnet ihm der Apostel Petrus und der Engel Gottes, der beauftragt ist, die Seelen zu bringen, daß Gott sie richte. Er nimmt ihn bei der Hand und führt den Knaben vor den Thron des Allmächtigen. Da fiel der Mohrenknabe vor dem vielen Glanz, der vom Antlitz Gottes ausging, auf sein Angesicht und betete ihn an. Da sagt der Allmächtige zu ihm: »Was suchst du hier, Mohrenknabe?«Anfangs
war er blöde vor Furcht und konnte nicht reden; aber dann raffte er sich auf und sagte: »Ich bin gekommen, um zu fragen, ob das, was in den Sternen geschrieben ist, auf Erden ausgelöscht werden kann.« Da sagte Gott zu ihm: »Nicht kann solches je geschehn; mag der Himmel herabkommen und die Erde hinauf, aber was im Himmel geschrieben ist, kann auf Erden nicht ausgelöscht werden.«Darauf fragte er Gott auch danach, worum ihn die drei Frauen, der Pfahl und die Blinde gebeten hatten. Sagt Gott zu ihm: »Sage der Blinden, sie solle weggehn und den Holzblock umdrehen, auf dem sie sitze: dann werde sie eine Quelle finden, in der solle sie ihre Augen waschen, die sich dann öffnen werden. Und wenn sie sich gewaschen hat und sehen kann, dann wasche auch du dich recht tüchtig an allen Stellen, die sichtbar sind; nur die verdeckten Stellen wasche nicht! Dann wirst du den Pfahl treffen und ihm sagen, er solle warten, bis jemand unten vorüberkommt; dann solle er fallen und ihn zermalmen; aber achte darauf, daß du weit von ihm entfernt bist, damit du es nicht sagest und er herabfalle und dich zermalme. Darauf wirst du die drei Frauen finden und ihnen sagen, sie sollen das Geld, das sie verwalten, nehmen und unter die Armen verteilen.«
Nachdem Gott dies zu ihm gesagt hatte, betete der Mohrenknabe mit großer Ehrfurcht und ging dann weg. Nach einigen Tagen kommt er an, wo die Blinde war, und sagt zu ihr, was ihm Gott befohlen hatte. Als die Blinde es gehört hatte, steht sie auf und hebt auch den Holzblock auf und findet Wasser und wäscht sich; und als sie sich gewaschen hat, kann sie wieder sehen. Darauf geht auch der Mohrenknabe heran und wäscht sich die Stellen, die sichtbar sind, Gesicht, Hals und Hände. Und als er sich gewaschen hatte, daß er ganz sauber war, da war er weiß wie Milch geworden; nur da, wo er sich nicht gewaschen hatte, blieb er schwarz. —Darauf geht er weiter und kommt zu dem Pfahl und sagt auch diesem, was Gott zu ihm gesprochen hatte. Als der Pfahl dies gehört hatte, sagt er zu ihm: »Bitte, komm doch näher und sage mir das, denn ich höre nicht gut!« —»Such dir einen andern, dem du das vorredest, denn bei mir geht das nicht; aber bleib gesund! Und viel Vergnügen!« —Als er dann auch dahingekommen war, wo die Frauen waren, sagt er auch diesen, was Gott zu ihm gesprochen hatte. Als diese es gehört hatten, sagten sie zu ihm: »Auch du bist arm: mit dir wollen wir den Anfang machen.« Während sie mit ihm redeten, sahen sie ein Kamel laufen, und eine von den Frauen fängt es ein, und dann beladen
sie es mit Goldstücken, soviel sie können, und dann schenken sie es ihm und tragen ihm auf, er solle sich auch nach anderen Armen umsehen und sie ihnen angeben.Bald darauf kommt er in seiner Heimat an, und mit dem Gelde, das ihm die Frauen gegeben hatten, kaufte er sich einen Laden und verkaufte darin alles, was nur die menschliche Zunge zu nennen weiß. Dieser Laden lag gegenüber dem königlichen Palast, da, wo die Fenster der Königstochter hinausgingen. Von dort aus sah ihn eines Tages die Königstochter, und sie verliebten sich. Der König und die Königin, als sie bemerkten, daß der Jüngling, der den gegenüberliegenden Laden hatte, sehr fleißig sei, beschlossen, ihm ihre Tochter zu geben. »Einen besseren Schwiegersohn können wir nicht finden«, sagte der König. Sie entschließen sich also, und an einem Feiertage laden sie ihn in den Palast ein und sagen zu ihm, da sie sähen, daß er fleißig sei, so gäben sie ihm ihre Tochter, und wenn sie, die Alten, gestorben seien, so solle er auf dem Thron sitzen. —Um nicht viel Worte zu machen - er nahm es an, und sie beschließen, am nächsten Feiertage Hochzeit zu machen. Am nächsten Feiertage war der Palast mit Fahnen geschmückt, und eine Menge Leute gingen ein und aus: zu dieser Stunde fand die Hochzeit der Königstochter mit dem Jüngling statt.
Als sie getraut waren, dreht sich der Jüngling um und sagt zu dem König: »Gibst du zu, lieber Schwiegervater, daß, was im Himmel geschrieben ist, auf Erden nicht ausgelöscht werden kann?« — »Ich gebe es zu, lieber Schwiegersohn, aber warum fragst du?« — »Einst hast du doch aus deinem Haus einen Mohrenknaben vertrieben, der dir sagte, es stehe geschrieben, daß er die Königstochter bekomme?« — »Allerdings, lieber Schwiegersohn, tat ich das, weil ich es nicht ertragen konnte, daß ein Bastard sagte, er werde meine Tochter heiraten.« — »Nun, sieh her!« —damit zeigt er seine Brust, und es sehen alle, auch der König, daß er ganz schwarz war. Und dann sagt er zu ihm: »Ich bin der Mohrenknabe, den du vertrieben hast, weil du mich als Bastard ansahst; aber wiederum sage ich dir: Was im Himmel geschrieben ist, kann auf der Erde nicht ausgelöscht werden.«
»So ist es, meine Kinder« (schloß die Alte ihre Erzählung). »Darum darf es euch nicht wunderbar erscheinen, daß Marie Konstantios den Manuel Atrulidomichális bekommen hat, denn sie konnte den besten Burschen des Ortes bekommen, wenn Gott es wollte.«
Der Reiche
Ein Reicher hatte einen einzigen Sohn in Smyrna und ließ ihn in dieser Stadt in allen Wissenschaften unterrichten. Dann wünschte der Sohn nach Konstantinopel zu reisen, um zu studieren. Er studierte dort drei Jahre. Nach je drei Monaten schickte ihm sein Vater immer 8o türkische Pfund. Eines Tages kam er an einem Kaffeehaus vorüber, wo Geige gespielt wurde, und er trat in das Cafe ein und trank Kaffee. Als er den Kaffee getrunken hatte, ließ er einen Napoleon auf dem Brett und ging weg. Der Wirt fragte den Kellner, ob jener Fremde den Kaffee bezahlt habe oder nicht. »Sieh nach, ob er nicht das Geld zurückgelassen hat.« Der Kellner sieht nach und findet einen Napoleon und sagt zu seinem Herrn: »Ich habe einen Napoleon gefunden.«
Den andern Tag geht der Fremde wieder in das Caf& und der Wirt nahm ihn mit großer Freude auf und fragte ihn, was für ein Getränk er wünschte, daß er ihn traktiere. Dieser verlangte ein Bier. Darauf traktierte auch der Fremde. Er rief auch den, der das Stück spielte, und der kam heran, und er traktierte auch diesen. Dann fragte er den Musiker, wieviel Geld er wolle, um ihn Geige spielen zu lehren. Der Geiger verlangte von ihm 120 türkische Pfund. Der Jüngling versprach, sie ihm zu geben, und er solle sogleich den Unterricht beginnen. Seinem Vater schrieb der Jüngling, daß er in eine andere Stellung eingetreten sei und 300 türkische Pfund brauche, und sein Vater schickte sie ihm sofort. Und er setzte ein Jahr lang das Violinspiel fort und lernte es vollkommen, besser noch als der Lehrer, der es ihn lehrte.
In diesen Tagen kam er bei einem Spielhaus vorbei, wo sie Karten spielten, und er verlangte nach dem Spielhausbesitzer und fragte ihn, wieviel er wolle, um ihn das Hasardspiel zu lehren; und dieser verlangte fünfhundert Pfund, um ihn das Hasardspiel so spielen zu lehren, daß ihn niemand betrügen könne.
Und sogleich schrieb er an seinen Vater, daß er die erste Stellung aufgegeben habe und in eine andere getreten sei, aber er brauche sechshundert Pfund; und sogleich schickte der sie ihm. Und er setzte ein Jahr lang das Hasardspiel fort und lernte es besser als der Spieler, der es ihn lehrte.
In diesen Tagen kam er an einer Stelle vorbei, wo er zwei Pagliazzi ringen sah, und er rief den einen Pagliazzo, der den andern niedergeworfen hatte, und sagte zu ihm: »Wieviel Pfund willst du, mein Sohn, dafür,
daß du mich lehrst, dasselbe zu werden wie du?« —»Du hast nicht, mein Sohn, Geld genug, um meine Kunst zu lernen, die die beste der Welt ist.« — »Ah! Verlange von mir, so viel Geld du willst, und wenn ich es dir nicht gebe, so sollst du mich deine Kunst nicht lehren.« — »Tausend Pfund will ich, mein Kind, und du hast nicht so viel, mir zu geben.«Sogleich schreibt er an seinen Vater und sagt ihm, er möge ihm zweitausend türkische Pfund schicken, weil er in eine neue Stellung getreten sei. Sogleich schickte er es ihm. Dann ruft er den Pagliazzo und gibt ihm die tausend Pfund, und der begann, ihn die Kunst zu lehren. Am Ende des Jahres schreibt er an seinen Vater, er solle ihm Geld schicken; und sein Vater schreibt ihm, er habe keines mehr, weil er sein Vermögen verbraucht habe. Als er sah, daß sein Vater verarmt war und mit jener Kunst fertig geworden war, daß er ein besserer Pagliazzo war als der, der sie ihn gelehrt hatte, ging er von dort weg und begab sich zu seinem Vater nach Smyrna. Und sein Vater sagt zu ihm: »Mein Sohn, mir blieb keine Pendara, weil ich dir alles zum Studieren geschickt habe, und wenn du gut studiert hast, mein Sohn, so reut es mich nicht, meine Piaster ausgegeben zu haben.« —»Hole, mein Vater, einen tüchtigen Ausrufer, daß er ins Haus komme, da ich mit ihm sprechen will.« — Der Ausrufer kam ins Haus. »Was wollt Ihr von mir, gnädiger Herr?« Sagt der Sohn zu seinem Vater: »Fasse mich an der Hand, mein Vater, und gib mir deinen Segen und übergib mich dem Ausrufer, daß er mich als Sklaven verkaufe!« —Der Vater zögerte, seinen Sohn als Sklaven zu verkaufen, aber sein Sohn bestand darauf und sagte zu ihm: »Bedenk dich nicht, mein Vater, übergib mich mit deinem Segen dem Ausrufer, daß er mich als Sklaven verkaufe, und sei getrost! Sage ihm, er solle tausend Pfund verlangen und solle sagen: >Wer ihn kauft, wird es bereuen, und wer ihn nicht kauft, wird es bereuen.«
Lassen wir den Ausrufer den Jüngling verkaufen!
In Smyrna gab es einen reichen und vornehmen Kaufmann aus Konstantinopel. Und der Ausrufer ging umher, um den Jüngling zu verkaufen, und sagte immer: »Wer ihn kauft, wird es bereuen, und wer ihn nicht kauft, wird es bereuen.«Fragte der Kaufmann den Ausrufer: »Was verkaufst du, mein Sohn, hier?« —»Ich verkaufe diesen Jüngling; wer ihn kauft, wird es bereuen, und wer ihn nicht kauft, wird es bereuen.« Sagt zu ihm der Kaufmann: »Was sagst du da? Erkläre mir das!«Da sagt der Jüngling: »Führe mich weiter, denn er hat kein Geld,
mich zu kaufen.« — »Bring ihn herein, mein Sohn; was sagt dieser Dummkopf?« Der Ausrufer bringt ihn herein und der Kaufmann holt tausend Pfund vor und zählt sie dem Ausrufer auf. Sagt der Jüngling zu dem Ausrufer: »Nimm die tausend Pfund und bringe sie meinem Vater und sage ihm, er solle getrost bleiben und sich nicht grämen!« Der Kaufmann behielt den Jüngling und verwendete ihn als Lastträger im Geschäft. In diesen Tagen kam ein dem Kaufmann gehöriges Schiff, um mit Weintrauben beladen zu werden, und als der Kaufmann die Rechnung machte, schaute der Jüngling zu und sah, daß der Kaufmann sich um vierhundert Pfund verrechnete. Und er sagt zu ihm: »Herr, du hast einen Fehler in deiner Rechnung.« Der Kaufmann sieht nach und sagt zu ihm: »Nein, es ist kein Fehler darin.« Und der Jüngling sagt: »Nein, Herr, es ist ein Fehler darin.« — »Ach, so mache du die Rechnung, daß du siehst, welchen Fehler du findest.«Und der Jüngling sagt: »Einen Fehler von vierhundert Pfund wirst du finden.« —»Ach, mache du die Rechnung, daß wir es sehen!« Der Jüngling macht die Rechnung und fand einen Fehler von vierhundert Pfund; und der Kaufmann sagt zu ihm: »Ich danke dir, mein Sklave.«Dieses Schiff fuhr ab, und es kam ein anderes jenem gehöriges Schiff; das hatte einen jüdischen Kaufmann an Bord, der das Schiff gemietet hatte, um es auch mit Weintrauben zu beladen und nach Konstantinopel zu fahren. Er belud also das Schiff und machte es fertig zur Abfahrt nach Konstantinopel. Da ruft der Kaufmann seinen Sklaven, er solle ihm Wasser bringen und ihm übergießen zum Waschen, damit er noch einen Brief an seine Gemahlin schreibe. Der Sklave nahm den Krug und goß ihm zum Waschen über. In diesem Augenblick kam Musik an dem Laden vorbei, und er gab nicht acht, das Wasser seinem Herrn zum Waschen über die Hände zu gießen, weil die Musik anfing. Und der Kaufmann ist ärgerlich und gibt ihm eine Ohrfeige. Da sagt der Sklave: »Eine Ohrfeige hast du mir gegeben, ich werde dir zwei geben.« Der Kaufmann wurde zornig und schreibt einen Brief an seine Gemahlin nach Konstantinopel und sagt ihr darin, er schicke ihr den Sklaven, damit sie ihn auf ein Landgut bringe, Steine zu tragen bis an sein Lebensende. Der Kaufmann rief den Kapitän und gibt ihm den Brief und den Sklaven und sagt ihm: »Diesen Sklaven wirst du in den Kielraum werfen und diesen Brief meiner Gemahlin geben, damit sie tue, was ich ihr schreibe.« Das Schiff fuhr also ab.
In dieser Zeit hatte der Sultan Befehl erlassen, jedes Segel- oder
Dampfschiff, das nach Konstantinopel komme, solle die Hafenwache mit Kanonen grüßen, und die Wache solle das Dampf- oder Segelschiff wieder grüßen. Jenes Schiff nun warf der Sturm ins Meer, und es kam nicht weiter. Da begann der jüdische Kaufmann mit den Matrosen und dem Kapitän das Kumari zu spielen und ließ ihnen nichts als das Leben. In diesem Augenblick kam ein Matrose in den Laderaum herab, um dem Sklaven Brot zu bringen; und der Sklave sah den Matrosen bekümmert und fragte ihn, was er habe, daß er so bekümmert sei. »Was soll ich dir sagen? Der jüdische Kaufmann, den wir hier haben, hat mit uns und mit dem Kapitän Kumari gespielt und uns und dem Kapitän all unser Geld abgenommen.« Da sagt der Sklave zu dem Matrosen: »Ich bitte dich sehr, dem Kapitän zu sagen, daß er auch mich, den Fremdling, oben auf das Deck lasse; ich kann ja nicht schwimmen und entfliehen, und wenn wir nach Konstantinopel kommen, mag er mich wieder in den Laderaum bringen.« Der Matrose stieg hinauf und sagte zum Kapitän, der Sklave grüße ihn, und er möge ihn doch herauflassen; er werde nicht fliehen, und wenn sie nach Konstantinopel kämen, solle er ihn wieder in den Laderaum hinabschicken. Als er dies dem Kapitän gesagt hatte, befiehlt dieser, den Sklaven nach oben zu lassen. Der Sklave kam also herauf und ging und begrüßte den Kapitän und setzte sich zu ihm. Und er fragt ihn: »Warum bist du so bekümmert, mein Kapitän?« — »Wie sollte ich nicht bekümmert sein, wo dieser jüdische Kaufmann im Kumarispiel mir all mein Geld und meine Kleider abgenommen hat; nur meine Uhr ließ er mir.«Da sagt der Sklave: »Gib mir die Uhr, daß auch ich mit dem Juden spiele!« Der Kapitän in der großen Verzweiflung, in der er war, gab dem Sklaven die Uhr; und der Sklave forderte den Juden auf, Karten zu spielen. Dieser nahm es an, und in acht Stunden nahm er dem Juden alles Geld ab, was er von den Matrosen und von dem Kapitän hatte, und all sein eigenes und nahm ihm auch die Traubenladung, die er von seinem Herrn hatte, und machte sogar den Juden selbst zum Sklaven. Und dann gab er den Matrosen und dem Kapitän alles Geld, was ihnen der Jude abgenommen hatte, und behielt von dem ganzen Geld keine Pendara. Der Kapitän war erfreut, daß er ihm sein ganzes Vermögen wieder verschafft hatte, und behielt ihn ganz in seiner Nähe. Da sagt der Sklave zu dem Kapitän: »Einen Gefallen erweise mir, gib mir den Brief, den dir mein Herr gegeben hat, daß du ihn seiner Gemahlin übergebest, damit ich ihn lese. Ich bin imstande, ihn so wiederherzustellen,
daß seine Gemahlin nicht merkt, daß er geöffnet ist.« Der Kapitän gab ihm den Brief, und der Sklave öffnete ihn und erkennt, zu welchem Schicksal ihn sein Herr verurteilt hatte: Steine zu tragen sein ganzes Leben lang. Und der Sklave macht einen anderen Brief, worin er zu der Herrin sagt: »Ich schicke dir einen Jüngling; nimm eine von unseren drei Töchtern, welche du willst, und vermähle sie sogleich mit ihm. Und ich schicke dir einen jüdischen Sklaven, um ihn auf ein Landgut zu senden, daß er dort Steine trage sein ganzes Leben lang nur bei Brot.«Und er verschloß den Brief sorgfältig und gab ihn dem Kapitän. Der Sklave besprach mit dem Kapitän, was er in dem Briefe geschrieben hatte.Das Schiff kam also nach Konstantinopel und grüßte die Wache, und die Wache grüßte es wieder. Der Kapitän nahm den Brief und brachte ihn der Gemahlin des Herrn. Diese las den Brief und sagt zu dem Kapitän: »Wo ist der Jüngling, von dem der Herr schrieb, daß er unsere Tochter zur Frau bekommen soll?« »Er ist auf dem Schiff, Herrin.« —»Laufe und bringe ihn schnell her, damit wir ihn sehen.« Der Kapitän geht und sagt zu dem Sklaven: »Die Herrin verlangt nach dir.« — »Bravo, ich werde kommen; wir wollen zusammen gehen.« Der Sklave bekommt von dem Kapitän Kleider und zieht sie an und geht mit ihm in das Haus des Herrn.
Als sie geklopft hatten und eingetreten waren, kam die Herrin mit ihren Töchtern herab und begrüßte den Kapitän und den Jüngling und nahm sie mit nach oben, und sie setzten sich. Der Jüngling war schön und liebenswürdig und gefiel der Herrin. Da sagte sie zu ihm: »Mein Mann schreibt, du sollst eine von unsern drei Töchtern nehmen, welche du willst.« Sofort nahm er die erste und heiratete sie noch an demselben Tage. Dem Kapitän trug er auf, zu gehen und die Waren des Juden zu verkaufen. Den Juden schickte er auf das Gut, dort als Sklave zu arbeiten bis an sein Lebensende.
Die Herrin schrieb einen Brief an ihren Gatten, worin sie sagte, daß sie getan habe, wie er ihr geschrieben. Der Jüngling nahm den Brief und entsiegelte ihn und schrieb, sie habe den Sklaven aufs Gut geschickt, dort zu arbeiten bis an sein Lebensende, aber nicht, daß er seine Tochter geheiratet habe. Der Kapitän bewahrt das Geheimnis und teilt dem Herrn nichts mit.
Der Jüngling ging einst unerkannt in die Stadt in ein Kaffeehaus und verlangte Kaffee, und der wurde ihm gebracht. In diesem Kaffeehaus
wurde Geige gespielt. Er setzte sich kurze Zeit, und dann ging er weg und ließ auf der Untertasse ein türkisches Pfund. Als er weggegangen war, fragt der Wirt den Kellner: »Hat der Jüngling den Kaffee bezahlt? Sieh doch zu!« Der Kellner sieht nach und findet auf der Untertasse ein türkisches Pfund und bringt es dem Wirt.Am andern Tage macht sich der Jüngling auf und geht wieder in dasselbe Café. Als der Kaffeewirt ihn sah, ging er und bewillkommnete ihn sehr und fragte ihn: »Was willst du nehmen, Herr?« Der Jüngling erwiderte: »Limonade.«Die Geige fuhr fort, jeden Tag in diesem Kaffeehaus zu spielen. —Nun hatte der Sultan befohlen, daß jeden Freitag, wenn er in die Moschee ginge, alle Geschäfte schließen sollten. Eines Freitags war der Jüngling in dem Kaffeehaus und verlangte die Geige, um selbst zu spielen. Als er spielte, war es Mittag, wo der König wieder in die Moschee gehen wollte; und der Kaffeewirt sagt zu dem Jüngling, es sei Freitag, und freitags werde nicht gespielt um diese Stunde, sondern alle Geschäfte schlössen, weil der König um diese Stunde in die Moschee gehe und solchen Befehl gegeben habe. Sagt der Jüngling zu dem Wirt: »Ich bitte dich, mir einen Stuhl und die Geige zu geben, daß ich außerhalb des Kaffeehauses sitze, und du schließe das Geschäft: was der König tut, geht mich an und soll deine Sorge nicht sein.«Und der Wirt gab ihm den Stuhl und die Geige; und er setzte sich draußen hin und spielte die Geige. Und alle Geschäfte waren geschlossen, er allein spielte Geige. Nach kurzer Zeit reitet der König vorbei, um sich in die Moschee zu begeben, und vernimmt die Geige. Die Soldaten liefen, um den Geigenspieler zu ergreifen, aber der König gab Befehl, ihn freizulassen. Der König begrüßte den Fremden und der Fremde den König, und sie gingen auseinander. Als der König gegessen hatte, wünschte er, daß sie den Fremden nach dem Palast brächten. Und der König fragte ihn, wieviel er dafür wolle, daß er jeden Donnerstag Geige spiele, da sein Spiel ihm gefalle. »Ich will nichts«, sagte der Jüngling zu ihm. Der König nahm es jedoch nicht an, daß er nichts nehme, sondern bewilligte ihm zehn Pfund für den Monat - ohne daß seine Frau und seine Schwiegermutter wußten, daß er Beziehungen zum König habe. Eines Tages, als der Jüngling Geige im Palaste spielte, schickte Rußland einen Pagliazzo zu dem Sultan, daß auch er einen andern stelle und sie sich messen. Als der Sultan den königlichen Auftrag vernommen hatte, war er bekümmert während des Spieles oben. Der Jüngling, der Geige spielte, fragte ihn: »Warum bist du bekümmert, mein König?« —
»Warum sollte ich nicht bekümmert sein, wo man mir einen königlichen Befehl geschickt hat, ich möge einen Pagliazzo stellen, der mit dem kämpfen soll, den man geschickt habe, und wer den andern niederwerfe, solle fünfhundert Pfund bekommen - und ich habe keinen Pagliazzo zu stellen.« — »Gib mir die Erlaubnis, und ich werde allein heraustreten und ringen.« Der König in seiner großen Verzweiflung sagte zu ihm: »Tritt heraus, denn ich habe keinen andern zu stellen.«
Sie bestimmten den Sonntag zum Ringkampf; und die Leute waren an die Fenster und auf die Balkone getreten, um zuzuschauen. Als der Jüngling herabgestiegen war und die Pagliazzokleidung angelegt hatte, sahen ihn seine Kinder, seine Frau und seine Schwiegermutter und fingen an zu weinen. Da fragte der König: »Warum weint ihr?« Die Schwiegermutter antwortete: »Es ist mein Schwiegersohn.« —»Es schadet nichts, es widerfährt ihm kein Leid.« Sie rangen zum ersten-, zweiten-und drittenmal, und der Jüngling besiegte den Europäer. Da klatschten alle dem Jüngling Beifall und führten ihn in den königlichen Palast.
Sofort schrieb seine Schwiegermutter an ihren Gatten einen Brief, worin sie sagte, daß sie einen Schwiegersohn habe, der sei brav und sitze zur Rechten des Königs. Der Jüngling in seiner Freude nahm den Brief nicht selbst zur Besorgung, um ihn abzuf assen, sondern seine Schwiegermutter besorgte ihn, und es wurde so dem Kaufmann offenbar, daß er sein Schwiegersohn sei. Der Kaufmann steigt sogleich auf den Dampfer, um nach Konstantinopel zu fahren. Der Jüngling merkt es, daß sein Schwiegervater kommen würde, und bat den König, er möge einen königlichen Befehl erlassen: Wenn ein Dampfer oder ein Schiff komme und Kanonenschüsse abgebe, so werde der Kaufmann an den einen Mast gehängt und der Kapitän an den andern, und ich selbst soll gehen, sie zu hängen. Der König gab diesen Befehl.
In diesen Tagen kam das Schiff seines Schwiegervaters und gab Kanonenschüsse ab, und die Paschas kamen sogleich und warfen ihnen die Stricke um den Hals und warteten auf den Jüngling, daß er komme und sie richte. Der Jüngling kam also und sagte zu dem Kapitän: >'Hast du nicht den Befehl vernommen, den der König erlassen hat, daß alle Dampfer oder Schiffe, die hierherkommen, nicht Kanonenschüsse abgeben sollen?« —»Mein Gebieter, wir waren aufs Meer hinausgefahren und vernahmen diesen Befehl nicht!« (Diese beiden erkannten sich aber, der Kapitän und der Jüngling.) »Ich schenke dir also dein Leben,
weil du es nicht wußtest.« Er ging nun auch zu dem Kaufmann und sagt zu ihm: »Warum hast du den königlichen Befehl nicht gehört?« Und er versetzte ihm eine Ohrfeige auf die eine Backe und eine zweite auf die andere und sagt zu ihm: »Ich schenke dir das Leben, aber du sollst mein Sklave sein. Erinnerst du dich, daß du mir eine Ohrfeige gabst und mich zum Sklaven gemacht hattest und ich dir sagte: >Du hast mir eine Ohrfeige versetzt, ich werde dir zwei versetzen?<«Dann befahl der Jüngling, ihn in sein Haus zu führen, und darauf ging er selbst. Und zu dem Kaufmann sagten seine Kinder und seine Frau: »Was hast du zu weinen?« Und er sagte: »Ich bin sein Sklave«, und zeigte auf den Jüngling. — »Nein, er ist unser Schwiegersohn.« — »Er ist mein Mann«, sagte seine Tochter. Der Jüngling schenkte das Schiff mitsamt der Ladung dem Kapitän, weil er das Geheimnis bewahrt hatte, und er schrieb an seinen Vater und seine Mutter, und sie kamen zu ihm nach Konstantinopel. Und es erging ihnen gut und uns noch besser.
Weder bin ich dort gewesen noch brauchen Euer Gnaden es mir zu glauben.
Die Wetten des Flötenspielers
Es war einmal ein Faulpelz, dessen Beruf es war, Flöte zu spielen. In seiner großen Faulheit spielte er sie auf der Nase liegend. Als er so spielte, bemerkte er eine Schlange, die gab ihm hundert Franken. Als er sie seiner Frau brachte, fragte sie ihn: »Wo hast du sie gestohlen?« Er antwortete: »Nimm sie und kümmere dich nicht darum!«Dann ging er wieder hin, spielte, und die Schlange gab ihm nochmals hundert Franken. Als er zum drittenmal an denselben Ort kam und spielte, sagte die Schlange zu ihm: »Ich bin krank und gehe nicht mehr aus. Grabe an dieser Stelle nach, und du wirst mich finden. Und wenn du mich gefunden hast, dann nimm mich und pflanze mich in deinen Garten ein!«Der Flötenspieler tat so, und als er sie eingepflanzt hatte, entstand ein schöner Baum, der trug zweierlei Früchte, Quitten und Apfelsinen.
Nun kam einst ein Kapitän und sah von ferne die Apfelsinen; sie fielen ihm auf, und er ging in ein Café und sagte, daß er noch nirgends solche Apfelsinen gesehen habe. Es befand sich aber, als er dies sagte, auch der Eigentümer des Baumes in diesem Café, der wettete, daß es Quitten
seien. Der Kapitän erwiderte: »Bist du so dumm, zu behaupten, daß es Quitten sind, und es sind doch Apfelsinen! Um was wollen wir wetten? Ich setze mein ganzes Schiff ein.« Der andere setzte den Baum ein und seine Frau dazu. Am andern Tag trug jener Baum lauter Quitten. So hatte der Besitzer des Baumes gewonnen und bekam das Schiff. Darauf kam ein Jude, der hatte einen Korb mit verschiedenen Glaswaren. Dieser wieder sah den Baum mit Quitten, und er fiel ihm sehr auf wegen seiner Größe. Er wettete wieder mit dem Besitzer des Baumes, der behauptete, es wären Apfelsinen. Der Jude wettete um seinen Korb mit den Glaswaren, daß es Quitten wären; der andere wettete um denselben Baum und das Schiff, daß es Apfelsinen wären. Am andern Morgen trug der Baum Apfelsinen, und sein Eigentümer hatte die Wette und den Korb mit Gläsern gewonnen. Der Jude war aber schlau, er ging weg und kehrte wieder zu seinem Dorf zurück. Als er seine Geschäfte besorgt hatte, kam er wieder und suchte die Frau dessen, der den Baum besaß, auf und sagte zu ihr: »Nimm alle Glaswaren, welche ich trage!« Sie nahm sie und wollte sie ihm bezahlen, aber er behielt das Geld nicht, sondern ging wieder vorbei und sagte zu ihr: »Ich will kein Geld, sondern ich will dich!« und gab es ihr zurück. Und er sagte zu ihr: »Ich will, daß du mir sagst, was es für eine Bewandtnis mit diesem Baum hat.« Sie antwortete: »Mein Mann war ein Faulpelz und spielte einst in einer Mühle die Flöte. Da kam eine Schlange, und er brachte sie und pflanzte sie in unserm Garten ein. Und sie treibt zweierlei Früchte, Apfelsinen und Quitten.«Da ging der Jude weg und suchte ihren Mann auf und sagte zu ihm: »Wir wollen wetten, daß dein Baum Quitten trägt.« Der Besitzer des Baumes behauptete, er trage Apfelsinen, und er wettete um das Schiff, den Baum und seine Frau, der Jude um einen Korb. Am andern Morgen trug der Baum Quitten, und der Jude nahm seinen Gewinn und ließ den Flötenspieler im Elend.Als er nun allein war, ärgerte er sich sehr über die Sache und ging und suchte die Sonne auf und sagte zu ihr: »Was soll ich tun, um mich zu retten?« Die Sonne erwiderte: »Suche denselben Juden auf und wette mit ihm, daß ich in Akrotiri auf gehe, obwohl ich gewöhnlich in Anafi auf gehe. Aber an diesem Tage werde ich in Akrotiri aufgehen, um dir zu helfen.«Da suchte jener den Juden auf und sagte zu ihm: »Wir wollen wetten, daß die Sonne in Akrotiri aufgeht.« Der Jude erwiderte: »Ei, du Dummkopf, sie geht in Anafi auf.« Sie wetteten also an diesem Tage, und der Jude setzte alles ein, was er gewonnen hatte, der andere
aber setzte sein Leben ein. Des Morgens gingen sie auf ein Feld, um zu sehen, wo die Sonne aufgeht. Und die Sonne ging wirklich in Akrotiri auf, und der, welcher sein Leben eingesetzt hatte, gewann. Nachdem er sein ganzes Vermögen wiedergewonnen hatte, ging er nach Hause und schlug seine Frau tot. Dann setzte er sich in seinem Hause zur Ruhe und freut sich seines Lebens bis heute.
Der Goldapfelbaum und die Höllenfahrt
Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne und einen großen Garten, der an sein Schloß anstieß; darin stand ein Apfelbaum, auf dem jedes Jahr drei goldne Äpfel wuchsen, sowie sie aber reif waren, verschwanden sie.
Als die drei Prinzen herangewachsen waren und die Äpfel wieder einmal reif wurden, da sprach der älteste: »Heute nacht werde ich bei dem Baume Wache halten und sehen, ob ich den Apfeldieb erhaschen kann.« Sobald es Nacht wurde, nahm er also seine Waffen und stellte sich zu dem Baume, und wie er so stand, da begann auf einmal die Erde zu zittern, und eine Wolke senkte sich unter furchtbarem Donnern und Blitzen auf den Apfelbaum, und daraus reichte etwas wie eine Hand - und fort war der eine Apfel. Der älteste aber zitterte vor Schrecken und lief zum Vater und zu den Brüdern, und als sie ihn fragten, was er gesehen, sagte er, daß ein Sturm den Apfel weggeführt habe.
Die andere Nacht wollte es der zweite Sohn versuchen, und was der älteste gesehen hatte, das sah auch der zweite. Die dritte Nacht wollte nun auch der jüngste Wache halten, weil er aber noch so jung war, so wollte es ihm sein Vater nicht erlauben. Doch dieser sprach: »Wenn du mir nicht die Erlaubnis erteilst, so wirst du mich nie mehr zu sehen bekommen. Gib mir meinen Bogen, mein Schwert, mein Buch und eine Leuchte, damit ich mir die Zeit mit Lesen vertreibe.«Und als der Vater sah, daß er von seinem Willen nicht abstand, erlaubte er endlich auch ihm, Wache zu halten.
Während er nun unter dem Baume saß und las, hörte er auf einmal ein entsetzliches Getöse und erblickte eine schwarze Wolke, die sich nach dem letzten Apfel ausstreckte. Er aber griff rasch nach seinem Bogen und schoß in die Wolke; da verschwand diese, und der Apfel blieb am Baume.
Am andern Morgen ging der jüngste zum Vater und sagte: »Vater, ich habe den Dieb verwundet, und ich will fort und ihn suchen, darum gib mir mein Roß und meine Waffen.« Der Vater sprach: »Lieber Sohn, bleibe bei mir, ich will dich auch dafür segnen; ich habe mein ganzes Reich aufgerieben um dieser Äpfel willen und nichts ausgerichtet, wie solltest du allein glücklicher sein?« Er aber sagte: »Laß mich gehen, sonst ist es mein Tod.« Als der Vater sah, daß er von seinem Vorhaben nicht abzubringen war, wollte er ihm ein Heer zur Begleitung geben. Doch er sprach: »Ich will keine Begleitung, meine Hilfe ist meine Stärke, wenn aber meine Brüder zur Unterhaltung mitkommen wollen, so mag es sein.« Es machten sich also die drei Brüder auf, um den Verwundeten zu suchen, der König aber war darüber so bekümmert, daß er sein Schloß schwarz anstreichen ließ.
Als die Brüder eine Zeitlang gegangen waren, fanden sie Blutstropfen auf dem Wege. Sie folgten dieser Spur und gingen einen ganzen Monat lang den Blutstropfen nach. Endlich kamen sie an einen Dreiweg, und an jedem Wege stand ein Stein, und auf dem einen stand geschrieben: »Wer diesen Weg geht, der kommt davon«; auf dem zweiten: »Wer diesen Weg geht, der kommt vielleicht davon, vielleicht auch nicht«; und auf dem dritten: »Wer diesen Weg geht, der kommt nicht davon.« Da sprach der jüngste: »Wir müssen den Weg einschlagen, auf dem man nicht davon kommt.« Die Brüder fürchteten sich anfangs, daß sie auf ihm von reißenden Tieren gefressen werden könnten, aber der jüngste redete ihnen so lange zu, bis sie ihm folgten. Auf diesem Wege fanden sie bald die Blutspuren wieder und kamen, indem sie ihnen nachgingen, auf einen hohen Berg, auf dessen Spitze sie einen mächtigen Marmorstein fanden, der in der Mitte einen eisernen Ring hatte. Da sprach der jüngste: »Darunter steckt der Dieb; wir müssen den Stein abheben und hinabsteigen, um ihn zu finden. Seht zu, ob ihr den Stein abheben könnt.« Da versuchte sich der älteste und der mittlere vergeblich an dem Steine, denn der war so ungeheuer, daß ihn hunderttausend Menschen nicht hätten heben können. Endlich machte sich der jüngste daran und sagte zu seinen Brüdern: »Tretet auf die Seite und seht euch vor, daß ihr keinen Schaden nehmt, wenn die Erde zu zittern beginnt.« Und als ihn die Stärke ankam, da erzitterte die Erde, und nun ergriff er den Eisenring und hob den Stein an, und darunter sah er einen dunklen Brunnen, aus dem ein brennnend heißer Dampf aufstieg. Das war der Atem jenes Verwundeten. Da fragte der jüngste: »Nun, ihr Brüder,
wer von uns steigt hinunter?« Diese aber waren auf seine Stärke neidisch und wünschten sein Verderben. Doch erklärte sich der älteste bereit, hinabzusteigen; sie banden ihn also an ein Seil, und als er bis zur Hälfte hinabgelassen war, schrie er: »Feuer, Feuer, ich verbrenne, zieht mich hinauf!«Und ebenso ging es auch dem zweiten. Als es nun auch der jüngste versuchen wollte, sagte er zu seinen Brüdern: »Wenn ich euch zurufe, daß ihr mich hinaufziehen sollt, so hört nicht darauf, sondern laßt mich nur immer tiefer hinab.« Die Brüder hörten also nicht auf sein Schreien und Rufen, sondern ließen ihn bis zum Boden hinab. Dort fand er ein prächtiges Schloß mit großem Garten, in denen der schönste Frühling war. Er suchte aber das ganze Schloß durch, ohne irgend jemand zu finden, und wunderte sich, wie so ein schöner Palast unbewohnt sein könne. Endlich kam er zu einer Türe, und als er diese öffnete, erblickte er eine wunderschöne Prinzessin, welche mit einem goldenen Apfel spielte, und sowie den der jüngste sah, erkannte er, daß er auf seines Vaters Baum gewachsen sei. Die Prinzessin aber sprach zu ihm: »Sage mir, du Hund, wie bist du hierhergekommen, wohin kein fliegender Vogel kommt? Denn hier haust ein schrecklicher Drache, den haben sie zwar verwundet, aber er verschlingt dich doch, sowie er dich gewahr wird.«Da sprach der Prinz: »Den Drachen habe ich verwundet und bin auf seiner Spur bis hierher gekommen, tue mir also die Liebe und sage mir, wo er ist.« Sie antwortete: »Ich weiß es nicht, gehe aber in jene Kammer, dort findest du meine Schwester, die weiß es.« Da ging er dorthin und fand eine Königstochter, die auch mit einem Goldapfel spielte und so schön war, daß er ausrief: »Glänze, Sonne, damit ich erglänze.«Sie fragte ihn: »Sag mir, du Hund, wie bist du hierhergekommen, wo kein fliegender Vogel hinkommt?« Er aber antwortete: »Ich bin nur wegen des Drachens gekommen, sage mir also, wo er ist«; und sie sagte: »Ich weiß es nicht, aber gehe zu meiner jüngsten Schwester, die ist die Schönste von uns und muß ihn daher bedienen.« Diese jüngste aber war eine Herzenskundige. Er ging also in ihre Kammer und fand dort ein Mädchen, wie kein schöneres auf der Welt, doch sie war traurig, weil sie keinen Apfel hatte. Sowie er sie erblickte, kam ihn seine Stärke an, und davon erzitterte das ganze Schloß. Das Mädchen aber fiel ihm um den Hals und küßte ihn und sprach: »Sage mir, du Hund, wie bist du hierhergekommen, wohin kein fliegender Vogel kommt? Denn hier haust ein Drache, und wenn er dich gewahr wird, so sind wir allesamt verloren.« Er aber sprach: »Seinetwegen bin ich hergekommen, sage mir also, wo ich ihn finden und wie ich ihn erlegen kann.« Sie antwortete: »Er liegt in jener Kammer, und wenn er die Augen auf hat, so schläft er, und wenn er sie zu hat, so ist er wach. Bei seinem Kopfkissen steht ein Fläschchen Wasser und bei seinen Füßen ein anderes, und diese Fläschchen mußt du vertauschen. Inder Kammer aber hängen viele Schwerter, und die werden dir zurufen: >Lieber Herr, nimm mich mit!< Du darfst aber keines von diesen nehmen, sondern mußt das rostige hervorholen, welches hinter der Türe steht. Sobald du dieses Schwert in der Hand hast, mußt du ihm sogleich einen Faustschlag versetzen, von dem er aufwachen wird. Darauf wird er zu dir sagen: >Komm her, du Schuft, wir wollen eins zusammen trinken!<Und du mußt das Fläschchen ergreifen, das zu seinen Füßen steht, er aber wird das nehmen, was ihm zu Häupten steht, und dann mußt du mit ihm trinken.«Er tat genau so, wie ihm das Mädchen gesagt hatte, und wie der Drache das Fläschchen ausgetrunken hatte, rief er: »Ach, ihr Hündinnen, ihr habt mich geliefert!« Und darauf gab ihm der Jüngling einen einzigen Schwertschlag. Da bat ihn der Drache: »Gib mir noch einen Schlag, damit ich rasch verende.« Er aber sprach: »Meine Mutter hat mich nur einmal geboren.« Da zerplatzte der Drache, weil ihm der Jüngling keinen weiteren Schwertschiag gab.
Nun ging der Prinz zu den drei Jungfrauen zurück und führte sie zu der Stelle, wo er herabgekommen war, um sich von seinen Brüdern hinaufziehen zulassen. Unterwegs sagte ihm die jüngste, die eine Herzenskundige war: »Du mußt dich zuerst hinaufziehen lassen, denn wenn du zuletzt unten bleibst, so werden dich deine Brüder töten.« Er aber wollte nicht glauben, daß sie so undankbar seien, da er sie doch von dem Drachen befreit habe. Da sagte sie ihm: »Geh an jenen Schrank, darin wirst du eine Mandel, eine Nuß, eine Haselnuß und ein härenes Seil finden; das alles mußt du wohl aufheben, denn du wirst es nötig haben.«Und dann sprach sie seufzend: »Wenn dich deine Brüder nicht auf die Oberwelt ziehen, so will ich dir noch etwas zum Troste sagen: Da, wo du hinkommen wirst, wirst du viel Mühsal erdulden, aber zuletzt doch Sieger bleiben. Du wirst zu einer Tenne kommen, auf der drei Lämmer miteinander spielen, zwei schwarze und ein weißes, und du mußt das weiße Lamm fangen; denn wenn du die schwarzen fängst, so mußt du noch einmal so tief in die Unterwelt hinab.«
Als sie zu dem Brunnen gekommen waren, rief er seinen Brüdern zu,
sie sollten ihm das Seil herablassen, und als dies geschehen war, band er die älteste Prinzessin daran und rief hinauf: »Ho, Ältester, die ist für dich!«Und als diese oben war, band er die zweite an das Seil und rief hinauf: »Ho, Mittlerer, die ist für dich!«Und zuletzt ließ er die Jüngste hinaufziehen und rief: »Ho, ihr Brüder! Die ist für mich.«Das war aber die Allerschönste, und beim Abschied sagte er zu ihr: »Dort, wo du hinkommst, wirst du meinen Vater finden, und der wird dich zu freien begehren, weil er Witwer ist, du sollst aber ein Jahr, drei Tage und drei Stunden auf mich warten, und wenn ich dann noch nicht gekommen bin, so ist es dir erlaubt, ihn zu nehmen.«Sowie aber die dritte Prinzessin hinauf gezogen war, nahmen die beiden Brüder die drei Schwestern und kehrten heim und ließen den jüngsten in der Unterwelt. Sie schickten Nachricht an ihren Vater, daß sie kämen, und dieser legte die Trauerkleider ab und bewillkommnete sie mit großer Freude; als er aber nach dem jüngsten fragte, sagten sie ihm, daß er umgekommen sei. Da begann der König über den Verlust seines jüngsten Sohnes zu weinen, doch die beiden älteren verwiesen ihm das und sagten, daß er sich über ihre glückliche Rückkehr und ihre Großtaten freuen solle, denn sie hätten den Drachen erlegt und die drei Prinzessinnen erlangt, die jener geraubt und denen er goldene Äpfel ihres Apfelbaumes zum Spielen gegeben habe. Jeder davon wolle nun eine heiraten, und der Vater solle die jüngste zur Frau nehmen. Das war der König zufrieden und stellte zur Heirat seiner beiden Söhne eine große Hochzeit an, und vier Monate später wollte er selbst mit der jüngsten Hochzeit halten; diese aber sagte: »Es ist dir noch nicht erlaubt, denn nur wenn dein Sohn nicht in einem Jahre, drei Tagen und drei Stunden gefunden wird, darfst du mich zur Frau nehmen«, und weil sie so hartnäckig bei diesem Vorsatze blieb, so hielten sie das Mädchen wie eine Magd, und sie mußte ihre Schwestern bedienen.
Doch lassen wir nun vorerst die Prinzessin und kehren wir zu dem jüngsten Königssohne zurück. Als dieser eine Weile vergebens seinen Brüdern zugeschrien, ihm das Seil herabzulassen, merkte er, daß die Prinzessin recht gehabt und sie ihn im Stiche gelassen hatten. Er machte sich also auf, um die Tenne zu finden, von der sie ihm gesprochen hatte, und als er dort hinkam und das weiße Lamm zu haschen suchte, fing er statt dessen ein schwarzes, und sofort sank er noch einmal so tief in die Unterwelt.
Dort kam er in eine Stadt und nahm bei einer Alten Herberge; als diese
aber Brot backen sollte, sah er, wie sie in das Mehl spie und mit ihrem Speichel den Teig knetete. Da fragte er sie: »Warum speist du ins Mehl und machst nicht den Teig mit Wasser an?« Sie antwortete: >'Unsere Stadt hat nur einen Wasserquell, und daran wohnt eine Schlange, die frißt jede Woche einen Menschen und läßt uns dann Wasser schöpfen, und heute wurde die eine Tochter des Königs hinausgeführt, während die andere im Schlosse Hochzeit hält.« Da bat sie der Jüngling, sie solle ihm einen Krug geben und den Weg zum Brunnen zeigen. Er konnte aber die Alte nicht dazu bewegen, weil sie für sein Leben fürchtete, und als er sah, daß sein Bitten vergeblich war, ging er allein und fand sich zum Brunnen, bei dem er ein weinendes Mädchen an einen Felsen gebunden erblickte. Die sagte ihm, daß sie die Tochter des Königs sei, und weil auf sie das Los gefallen wäre, so sei sie hierhergebracht worden, damit sie die Schlange verschlinge und die Stadt Wasser hätte.Der Jüngling aber band sie los und sprach: »Fürchte dich nicht, ich werde dich schützen, aber komm und lause mich ein wenig, weil ich vom Wege müde bin«, und während sie ihn lauste, schlief er ein, und sie nahm ihren Fingerring und band ihn dem Jüngling auf den Scheitel. Währenddem kam die Schlange heran, und das Mädchen erschrak so, daß es den Jüngling nicht zu wecken, sondern nur zu weinen vermochte; aber eine ihrer Tränen fiel auf des Jünglings Wange, und davon erwachte er. Als nun die Schlange die beiden erblickte, rief sie: »Ei, ei, früher gab man mir immer nur einen Braten, heute aber bekomme ich zwei.« Da zog der Jüngling sein Schwert und schlug der Schlange das Haupt ab. Diese aber rief: »Hoho, du Schandbube! Für dich habe ich auch noch andere Köpfe«, und diese Schlange hatte wirklich zwölf Köpfe, und der Jüngling mußte mit ihr vom Morgen bis zum Abend kämpfen, bis er sie endlich alle abgeschlagen hatte. Darauf schnitt er aus den zwölf Köpfen die Zungen heraus, füllte einen Krug mit Wasser und kehrte zu der Alten zurück. Die fragte ihn: »Wo hast du das Wasser her?« und er sagte ihr: »Ich habe die Schlange getötet, aber wenn du es verrätst, so schlage ich dich tot.«
Darauf kam der Erste Leibwächter des Königs, der ein Mohr war, zum Brunnen, um zu sehen, was aus der Prinzessin geworden, und als er sah, daß diese heil und die Schlange tot war, sprach er zu ihr: »Wenn dir dein Leben lieb ist, so sage nicht, wer die Schlange getötet hat.« Er nahm nun die zwölf Köpfe der Schlange, ging damit vor den König und sagte, daß er dieselbe erlegt habe.
Darauf sprach der König: »Wenn du die Schlange erlegt hast, so sollst du meine Tochter haben und mein Eidam werden.«Die Prinzessin aber rief: »Der Mohr hat die Schlange nicht erlegt, sondern ein Königssohn.« Und als der Mohr bei seinen Worten blieb, sagte sie ihm ins Gesicht, daß er ein Lügner sei, und verlangte von ihrem Vater, daß er ein großes Fest anstellen solle, bei dem alle Welt barhäuptig erscheinen müsse, »und ich will oben am Fenster stehen und einen Apfel auf den werfen, den ich zum Manne haben will.«
Wie sie gewollt hatte, so geschah es, und der Jüngling, welcher bei der Alten versteckt war, wurde neugierig, was das Menschengedränge bedeute. Er zog also Hirtenkleider an und ging so zum Palaste, ohne daß er etwas von dem Ringe wußte, den er auf dem Scheitel trug. Die Prinzessin aber erkannte ihn daran und warf den Apfel auf ihn, und sogleich wurde er ergriffen und vor den König gebracht. Der aber berief die zwölf Räte und ließ auch seine Tochter und den Mohren kommen; aber weder der König noch die Räte wollten glauben, daß so ein gemeiner Hirte das Ungeheuer erlegt habe, und dies um so weniger, als der Jüngling selbst es leugnete.
Der König wurde daher sehr zornig auf seine Tochter und verstieß sie aus dem Hause und ließ sie mißhandeln. Als das der Jüngling hörte, bekam er Mitleid mit ihr und ging zum König und sagte die volle Wahrheit; aber der verlangte, daß sowohl er als der Mohr seine Behauptung beweisen solle. Da brachte der Mohr die zwölf Schlangenköpfe; der Jüngling aber fragte ihn: »Wie geht das zu, daß diese Köpfe keine Zungen haben?«Der Mohr antwortete: »Die Schlange hat sich gefürchtet und ihre Zungen eingezogen.« Da verlangte der Jüngling, daß man ein Lamm bringen solle, und als das kam, schlug er ihm mit dem Schwerte den Kopf ab; dieses aber biß sich währenddem auf die Zunge, und er fragte den Mohren: »Hatte die Schlange mehr Furcht als das Lamm, daß sie ihre Zungen einzog?«Darauf zog er die Zungen der Schlange hervor und zeigte, daß sie in die Köpfe paßten. Da sprach der König zu den zwölfen: »Was sollen wir mit dem Mohren anfangen?« Und sie beschlossen, daß er an vier Pferde gebunden und von diesem in vier Stücke gerissen werden solle.
Als dem Mohr sein Recht geschehen, sprach der König zu dem Jüngling: »Was willst du, daß ich dir für die Wohltat gebe, die du mir und dem Lande erwiesen hast? Willst du meine Tochter zur Frau haben, oder soll ich dir Schätze geben?« Er aber sagte: »Ich verlange nur eins
von dir, nämlich, daß du mich auf die Oberwelt bringen läßt.«Da sagte der König: »Du verlangst ein schweres Ding von mir, weil du aber so tapfer bist, so wirst du auch das tun, was ich dir sage. Gehe auf jenen Berg, dort steht ein großer Baum, auf dem haben die Adler ihr Nest, und dort ist auch eine Schlange mit achtzehn Köpfen, welche den Adlern feind ist; wenn du diese erlegst, so werden dich die Adler auf die Oberwelt bringen.«Da ging der Jüngling auf jenen Berg, und um die Mittagszeit sah er die Schlange, wie sie sich um den Baum wand, um die Adlerjungen zu fressen. Der Jüngling aber riß sie vom Baume herunter; doch hatte er vierundzwanzig Stunden zu kämpfen, bis er sie völlig erlegt hatte; und darauf war er so ermüdet, daß er sich unter den Baum legte und einschlief. Da flogen die jungen Adler aus ihrem Neste und wehten ihm mit ihren Flügeln frische Luft zu. Während er so schlief, kamen die alten Adler, und als sie ihn sahen, ergriffen sie Felsenstücke, um ihn damit totzuschlagen. Die jungen Adler aber riefen: »Um Gottes willen nicht, denn er hat die Schlange erlegt und uns von ihr befreit.« Da breiteten auch die Alten ihre Flügel aus und wehten ihm Luft zu. Als er erwachte, fragten ihn die Adler: »Was willst du, daß wir dir tun für das Gute, das du uns getan hast?« Er aber sagte: »Ich verlange von euch nichts weiter, als daß ihr mich auf die Oberwelt bringt.« Da riefen die Adler: »Ein schweres Stück verlangst du von uns, aber du hast uns von der Schlange befreit, und so müssen wir dich auf die Oberwelt bringen.« Darauf sprach der König der Adler: »Du mußt vierzig Schläuche mit Wasser anschaffen und vierzig Büffel schlachten und ein silbernes Joch machen lassen.«Der Jüngling ging nun zum König und bat ihn um das Erforderliche, und der ließ alles machen, was er verlangte.
Darauf sprachen die Adler zu dem Prinzen: »Du mußt uns nun fest anschirren und dich an das Joch binden, und wenn wir >kra!<schreien, so wollen wir Fleisch, und wenn wir >glu!<schreien, so wollen wir Wasser.« Als alles in Ordnung war, breiteten sie ihre Flügel aus und flogen, und der Jüngling gab ihnen von Zeit zu Zeit, was sie verlangten. Sie mußten aber so lange fliegen, daß, bevor sie auf die Oberwelt kamen, das Fleisch ausging. Da rief ein Adler: »kra!«, und weil er kein Fleisch mehr hatte, so schnitt er sich ein Bein ab und gab es ihm. Als sie endlich auf die Oberwelt kamen, sagten ihm die Adler: »So, nun gehe zu deinem Vater!«Und als er von ihnen Abschied genommen und fortging, bemerkten sie, daß er hinke. Sie fragten ihn nach der Ursache, und er
erwiderte, daß er, weil er kein Fleisch mehr gehabt, dem einen Adler sein Bein zu fressen gegeben habe. Da befahl sogleich der Adlerkönig: »Wer das Bein gefressen hat, der soll es wieder ausspeien!«und schickte einen Adler, um Lebenswasser zu holen. Damit bestrich er das angesetzte Bein, und sogleich wuchs dieses wieder an und war so gut wie vorher.Wie nun der Jüngling zur Stadt ging, begegnete er auf dem Wege einem Hirten und sagte ihm: »Höre, Freund, gibst du mir nicht deine Kleider für die meinigen?« Da lachte der Hirte und meinte, daß er scherze; als er aber sah, daß es Ernst sei, ließ er sich den Tausch gefallen. Der Jüngling ging darauf weiter und fand ein Lamm auf dem Wege, das schlachtete er und legte sich sein Fell um den Kopf nach Art derjenigen, welche einen Grindkopf haben. Darauf ging er in die Stadt, in welcher sein Vater König war, und bat dort dessen ersten Schneidermeister, ihn in den Dienst zu nehmen. Der Meister machte anfangs Schwierigkeiten, weil er grindköpfig sei, seine Gesellen aber hatten Mitleid mit ihm und baten den Meister, ihn anzunehmen, damit er ihnen Trinkwasser hole. Er blieb also dort, und sein einziges Vergnügen war, in der Asche zu sitzen und sich damit zu beschmieren.
Allmählich kam aber die Frist heran, welche die Jungfrau dem Vater des Jünglings gesetzt hatte, und dieser sagte daher zu ihr, daß sie sich zur Hochzeit bereiten solle. Sie antwortete: »Wohl, ich stelle dir aber die Aufgabe, daß du mir einen Anzug machen lassen sollst, auf dem die Erde mit ihren Blumen gewirkt ist und der weder mit der Schere geschnitten noch mit der Nadel genäht ist, der in einer Nuß steckt und wieder in sie hineingeht, und in drei Tagen muß es fertig sein.« Da befahl der König sofort dem Schneider, bei welchem der Grindköpfige diente, daß er ihm bei Todesstrafe binnen drei Tagen einen solchen Anzug liefern solle. Der Schneider kam weinend und jammernd nach Hause, und seine Gesellen fragten ihn, warum er so betrübt sei. Er antwortete: »Warum soll ich nicht klagen, wenn ich in drei Tagen um mein Leben komme?« Da fragte ihn auch der Grindköpfige nach seinem Kummer, der Meister aber schimpfte und schlug ihn und rief: »Das fehlte noch, daß auch du Grindkopf mir zusetzt.« Doch der ließ nicht ab, den Meister so lange zu fragen und zu quälen, bis dieser ihm endlich die Ursache seines Leidens erzählte, und als er damit zu Ende war, sagte der Grindköpfige: »Und über so eine Kleinigkeit schlägst du solchen Lärm? Gib dich zufrieden, das nehme ich auf mich.« Und er sagte das
mit solcher Zuversicht, daß der Meister bei all seinem Kummer lachen mußte. Der Grindige aber sprach: »Laß mir ein Seidel Branntwein und ein Pfund Nüsse holen, und laß mich dann allein in der Werkstatt.« Und das wiederholte er so lange, bis ihm der Meister seinen Willen tat. Der Grindige blieb also allein in der Werkstatt, aß und trank und tat sich gütlich, und am anderen Morgen öffnete er die Nuß, welche ihm die Jungfrau gegeben hatte, und zog daraus ein Kleid mit der Erde und ihren Blumen hervor. Wie das der Meister sah, beugte er sich vor dem Grindigen zur Erde und küßte ihm die Hand. Dann aber brachte er den Anzug zum König, und wie ihn die Jungfrau sah, so wußte sie, daß der Jüngling gekommen sei.An diesem Tage ritt der König mit seinen Söhnen aus und stellte Reitspiele an. Da brannte der Grindige auch das Roßhaar an, das ihm die Jungfrau gegeben, und da kam ein goldenes Roß hervor und ein Anzug mit der Erde und ihren Blumen; er zog das Kleid an, bestieg das Pferd, begab sich auf den Spielplatz und ritt mit jenen; sein Pferd aber war so schnell wie ein Vogel und tat es allen anderen zuvor, und als das Spiel zu Ende ging, sprengte er in das Königsschloß und stellte dort großen Schaden mit seinem Rosse an. Da bemühten sich die anderen, ihn zu fangen, aber er entkam ihnen glücklich.
Am anderen Morgen sagte der König zu der Jungfrau: »Das Kleid ist fertig, gib mir nun Bescheid.« Die aber sprach: »Du mußt mir in drei Tagen noch ein Kleid mit dem Himmel und seinen Sternen machen lassen, das weder mit einer Schere geschnitten noch mit einer Nadel genäht ist, das in einer Mandel steckt und wieder in sie hineingeht, und in drei Tagen muß es fertig sein.« Da bestellte der König diesen Anzug bei demselben Schneider und befahl ihm bei Todesstrafe, damit in drei Tagen fertig zu sein. Als der Schneider nach Hause kam, klagte er dem Grindigen sein Leid, und dieser tröstete ihn und sagte, daß er auch das auf sich nehme; doch ließ er sich diesmal statt der Nüsse Mandeln bringen und tat sich gütlich, bis er trunken ward und einschlief, ohne die Mandel der Jungfrau zu öffnen. Als ihn der Meister am Morgen noch schlafend fand und nirgends den versprochenen Anzug sah, geriet er in große Verzweiflung und weckte ihn. Er aber nahm die Mandel der Jungfrau aus seiner Tasche, knackste sie auf und zog daraus das bestellte Kleid hervor.
Als der König am Nachmittag wieder Reiterspiele anstellte, brannte der Grindige sein Pferdehaar an, und hervor kam ein goldenes Roß und ein
Anzug mit dem Himmel und seinen Sternen. Den zog er wieder an, ritt in das Königsschloß und richtete dort wieder großen Schaden an und entkam abermals glücklich, ohne gefangen zu werden.Am anderen Morgen sprach der König zur Jungfrau, daß sie nun endlich den Tag der Hochzeit bestimmen solle. Da sagte diese: »Ich will zuvor noch einen dritten Anzug haben mit dem Meere und seinen Fischen, der soll in einer Haselnuß stecken und wieder in eine Haselnuß hineingehen, und in drei Tagen muß er fertig sein.« Damit ging es wie die beiden ersten Male; nur bedingte sich diesmal der Grindige von dem Meister, das Kleid selbst zum König tragen zu dürfen, und als er vor diesem erschien, bat er, ihn als Küchenjungen anzustellen, und der König gewährte ihm diese Gnade. Am Abend kamen die zwölf Räte zudem König, um ihm die Zeit zu vertreiben. Zu jener Zeit liebte man es sehr, Märchen zu hören, und der König sprach daher: »Weiß keiner ein schönes Märchen, damit die Zeit vergehe?«Die Räte aber antworteten: »Von uns weiß keiner mehr ein neues Märchen«, und auch alle Diener des Königs erklärten, daß sie alle Märchen bereits erzählt hätten, die sie wußten. Da gedachte der König des neuen Küchenjungen und ließ ihn vorrufen und befahl ihm, ein Märchen zu erzählen. Der sagte darauf: »Ich will euch ein Märchen erzählen, aber unter dem Beding, daß keiner dabei weggeht. Der Saal muß verschlossen werden und ich den Schlüssel bekommen; wer also pissen will, der gehe jetzt.« Als das der König hörte, kam ihm der Verdacht, daß dies sein Sohn sein möge; er tat ihm also den Willen. Darauf begann der Küchenjunge sein Märchen: »Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne und einen Goldapfelbaum«, und erzählte nun alles, was ihm begegnet war.
Wie aber der König das hörte, da kamen ihm die Tränen in die Augen, und er sprach: »Erzähle, mein Söhnchen, erzähle, denn diese Geschichte ist meiner eigenen sehr ähnlich.« Doch als er in dem Märchen an die Stelle kam, wo die beiden älteren Königssöhne übel wegkommen, da rief der älteste: »Mich pissert, macht die Tür auf!« Und auch der zweite schrie, daß man die Türe öffnen solle. Der Küchenjunge aber sagte: »Bevor nicht das Märchen aus ist, darf auch keiner zur Türe hinaus, und wenn ihr nicht glaubt, daß es wahr ist, so werdet doch ihr mir selber glauben, denn ich bin selbst dein Sohn«, und dabei riß er sich das Schafsfell vom Kopfe und beugte sich vor seinem Vater und küßte ihm die Hand, und da schloß ihn dieser in die Arme und küßte und herzte ihn. Am anderen Morgen aber schickte er seine beiden älteren
Söhne in die Verbannung und verheiratete den jüngsten mit der Jungfrau. Da hielten sie Hochzeit und lebten herrlich und in Freuden. Ich war nicht dabei, darum brauchst du es auch nicht zu glauben.
Der Jäger und der Spiegel, der alles sieht
Es war einmal ein Jäger, der ging alle Tage auf die Jagd und war stets glücklich. Eines Tages aber ging er wieder hinaus und lief bis zum Abend herum, ohne irgendein Wild anzutreffen. Da sprach er: »Bevor ich nicht irgend etwas gefunden habe, gehe ich nicht heim«, und blieb daher die Nacht im Walde. Am andern Morgen kam er an den Seestrand und fand dort einen großen Fisch auf dem Sande liegen, der sich vergebens abmühte, wieder ins Wasser zu kommen. Da machte sich der Jäger daran und wälzte ihn ins Wasser, und als der Fisch merkte, daß er wieder flott war, sprach er: »Was willst du für die Wohltat, die du mir erwiesen hast?« Der Jäger aber antwortete: »Ich verlange nichts.« Da sprach der Fisch: »Nimm dir eine Schuppe von meinem Leibe, und wenn du mich nötig hast, so brenne sie an, und dann komme ich.« Der Jäger riß also eine Schuppe aus dem Leibe des Fisches, steckte sie zu sich und ging weiter. Nach einer Weile kam er in eine Ebene, in der ein ungeheurer Baum stand, unter den legte er sich schlafen. Kaum war er aber eingeschlummert, so wurde er von einem Geräusch wieder aufgeweckt, und als er aufstand, um zu sehen, woher dies käme, erblickte er eine mächtige Schlange, welche den Baum hinauf kroch; da besann er sich nicht lange und schoß die Schlange tot, und als das die jungen Adler sahen, die auf dem Baume saßen, freuten sie sich sehr; der Jäger aber legte sich nieder und schlief weiter. Als nun die alten Adler zum Baume kamen und den Jäger darunter liegen sahen, so glaubten sie, daß er es sei, welcher ihnen ihre Jungen raube, und wollten sich auf ihn stürzen und ihm die Augen aushacken. Da schrien die Jungen: »Tut ihm nichts, tut ihm nichts, denn er hat die Schlange getötet.« Als das die Alten hörten, spreizten sie ihre Flügel aus und machten ihm Schatten, solange er schlief, und als er aufwachte, fragten sie ihn: »Was willst du für die Wohltat, die du uns erwiesen hast?«Da antwortete der Jäger: »Ich verlange nichts.«Der älteste Adler aber sprach: »Reiße eine Feder aus meinem Schwanz, und wenn du uns nötig hast, so brenne sie an, und dann kommen wir zu dir.«
Da nahm der Jäger die Feder und steckte sie zu sich und jagte auch diesen ganzen Tag, ohne auf irgendein Wild zu stoßen. Am Abend endlich erblickte er einen Fuchs und sprach: »So, du kommst mir gerade recht, du mußt daran glauben, denn ich laufe nun drei Tage herum, ohne etwas zu schießen.« Da rief der Fuchs: »Schieße mich nicht, ich will dir geben, was du verlangst.« Und der Jäger fragte: »Was kannst du mir geben?« —»Laß dich das nicht kümmern und reiße ein Haar aus meinem Rücken, und wenn du mich brauchst, so brenne das an, dann komme ich zu dir.«
Der Jäger nahm das Haar, steckte es zu sich und wanderte so lange, bis er in ein anderes Land kam. Dort herrschte ein König, dessen Tochter einen Zauberspiegel besaß, und die hatte im ganzen Reich bekanntmachen lassen, daß sie denjenigen zum Manne nehmen wolle, der sich so vor ihr verstecken könne, daß sie ihn nicht zu finden imstande sei, daß er aber seinen Kopf verlieren müsse, wenn sie ihn fände, und es hatten schon so viele die Wette verloren, daß sie mit ihren Köpfen einen Turm erbauen ließ. Als das der Jäger hörte, beschloß er, die Wette einzugehen, und es wurde also vor dem Rat der Zwölfe eine Schrift mit Brief und Siegel aufgesetzt, daß, wenn die Prinzessin ihn nicht finden könne, sie seine Frau werden solle, wenn sie ihn aber fände, er den Kopf verlieren müsse. Zum Verstecken war ihm eine Frist von drei Tagen gegeben. Er aber vergnügte sich zwei Tage lang mit Wein, Gesang und Tanz, und als man ihn aufmerksam machte, daß er, wenn die Zeit herum wäre, seinen Kopf verliere, da lachte er. Am dritten Tage ging er zum Meeresstrand und brannte die Schuppe jenes Fisches an, und als dieser herankam und nach seinem Verlangen fragte, sagte er zu ihm: »Ich verlange, daß du mich so versteckst, daß mich niemand finden kann!«Da öffnete der Fisch seinen Rachen, und der Jäger schlüpfte hinein, und nachdem er sich darin zurechtgelegt hatte, fuhr der Fisch mit ihm in die Meerestiefe.
Als nun die Prinzessin in den Spiegel blickte, um ihn zu finden, da suchte und suchte sie in allen Räumen der Welt, konnte ihn aber nirgends sehen und sprach bei sich: »Das ist das Ende, den muß ich heiraten.« Und sie war darüber nicht böse, weil der Jäger wegen seiner großen Schönheit Wohlgefallen bei ihr gefunden hatte. Als sie den letzten Blick in den Spiegel warf, da bemerkte sie ein Stückchen blauer Seide, das von der Mützenquaste des Jägers aus dem Rachen jenes Fisches herausstand, und rief: »Ich habe ihn gefunden, ein Fisch hat ihn im
Rachen.« Als nun der Jäger wieder ans Land kam und zur Prinzessin ging, um zu erfahren, ob sie ihn gefunden habe, sagte sie ihm, daß er im Rachen eines Fisches gesteckt habe. Darauf sprach dieser: »Es ist wahr, laß mir also den Kopf abschlagen.« Sie aber erwiderte: »Nein, ich schenke dir das Leben, weil noch keiner sich vor mir so gut versteckt hat wie du, doch laß dir das gesagt sein und wette nicht wieder.« Da dankte er ihr und ging weg. Aber es dauerte nicht lange, so sprach er bei sich: »Ich muß es noch einmal versuchen, und sollte es mir den Kopf kosten.«Erging also wieder zu dem Rate der Zwölf, unterschrieb dort eine neue Schrift und brannte dann seine Adlerfeder an. Da kamen die Adler herbei, nahmen ihn auf sein Geheiß auf ihre Flügel und hoben ihn bis zum Himmel auf. Die Prinzessin sah nun wieder in ihren Spiegel und konnte ihn lange nicht finden, endlich aber erblickte sie wiederum seine Mützenquaste, die über den Adlern emporschaute, und rief: »Ich habe ihn gefunden.«Als nun der Jäger vor ihr erschien, um zu hören, ob sie ihn gefunden, sagte sie zu ihm: »Hatten dich nicht die Adler in den Himmel gehoben?« Da sprach der Jäger: »So ist es, laß mir nun das Haupt abschlagen.«Sie erwiderte: »Mach, daß du fortkommst, ich will dir diesmal noch das Leben schenken, aber du darfst nicht mehr wetten.« Doch er sprach: »Ich versuche es zum drittenmal, und wenn ich auch dabei verliere, so sollst du mich ohne Erbarmen hinrichten lassen.«Da ging er noch einmal zum Rate der Zwölfe und ließ eine dritte Schrift aufsetzen, und nachdem er diese unterschrieben hatte, brannte er das Fuchshaar an. Als nun der Fuchs kam und ihn nach seinem Begehren fragte, sprach er: »Du sollst mir eine Höhle graben, die von hier in das königliche Schloß bis unter den Sitz führt, auf den sich die Prinzessin setzt, wenn sie in den Spiegel sieht.« Da rief der Fuchs alle Füchse zusammen, und diese gruben eine Höhle, wie sie der Jäger verlangt hatte. Als sie fertig war, schlüpfte er hinein, und während die Prinzessin vor dem Spiegel saß und ihn darin nicht finden konnte, stach er sie mit einer Nadel, tick, tack, durch den Sessel in den Hintern.
Als er wieder vor der Prinzessin erschien, um sie zu fragen, ob sie ihn gesehen habe, sagte sie: »Diesmal habe ich dich nicht finden können, wo warst du versteckt?« Der Jäger antwortete: »Ich saß unter deinem Sessel und habe dich mit einer Nadel gestochen.«
Da rief die Prinzessin: »Ach, das war es also, was mich so gepickt hat!« Darauf hielt der Jäger Hochzeit mit ihr und wurde König.
Die Lügenwette
Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne, aber kein Vermögen, und als er starb, hinterließ er ihnen weiter nichts als sein Roß und dessen Sattelzeug. Wie nun die Söhne miteinander teilten, erhielt der Älteste den Zaum, der Mittlere den Sattel und der Jüngste das Roß. Darauf ging der Älteste in eine andere Stadt, um seinen Zaum zu verkaufen und von dem Erlöse Lebensmittel anzuschaffen. Dort ging er in den Straßen auf und ab und rief seinen Zaum zum Verkauf aus, aber niemand wollte ihn kaufen. Endlich rief dem Prinzen ein Bartloser zu, er solle zu ihm ins Haus kommen, und nachdem jener eingetreten war, bot er ihm eine Wette an, wer am besten lügen könne, und der Fremde solle seinen Zaum gegen das Haus des Bartlosen einsetzen. Nachdem nun die Wette geschlossen war, begann der Königssohn einen Haufen voll Lügen zu erzählen, und als ihm nichts mehr einfiel, fragte ihn der Bartlose: »Bist du nun fertig? Weißt du nichts mehr?« Und jener sagte: »Nein, nun istdie Reihe an dir.«Da fing der Bartlose an und sprach: »Ich hatte einmal einen Esel, der fraß so viel Kürbisse, daß er davon barst, und es dauerte nicht lange, so wuchs aus seinem Bauche eine Kürbispflanze, und wuchs so lange in die Höhe, bis sie zum Himmel reichte. Sie trieb aber an ihrem Stengel eine solche Masse Knoten, daß ich daran in den Himmel hinauf- und wieder heruntersteigen konnte.«Darauf fragte er den Königssohn: »Nun sage, ob du mich im Lügen übertroffen hast oder ich dich?« Und jener sprach: »Du hast gewonnen«, gab ihm den Zaum und ging seiner Wege.
Darauf machte sich der mittlere Königssohn auf, um seinen Sattel zu verkaufen, ging damit in dieselbe Stadt, und als er vor dem Hause des Bartlosen vorüberritt, rief ihn der hinauf und bot ihm dieselbe Wette an, wie er sie mit seinem Bruder gemacht hatte, und nahm ihm den Sattel ab. Endlich ging auch der Jüngste in jene Stadt, um sein Pferd zu verkaufen, und als er damit vor dem Hause des Bartlosen vorüberritt, rief ihn der hinauf und bot ihm dieselbe Wette an, wie er sie mit seinen beiden Brüdern gemacht hatte. »Gut«, antwortete der Jüngste, »du mußt aber anfangen.« Da fing der Bartlose an und erzählte die Geschichte mit dem Kürbis, und als er fertig war, fragte der Königssohn: »Sind das alle deine Lügen?« Und der Bartlose erwiderte: »Ja, nun fang du an.«
Da begann der Prinz und sprach: »Als ich geboren wurde, hatte ich
keine Mutter, und ich war damals grade hundertzehn Jahre alt, meine Mutter aber hundert. Als ich hierherging, kam ich an einem Brunnen vorüber, und als ich mich bückte, um hineinzusehen, fiel mir der Kopf hinunter, ohne daß ich es merkte. Wie ich nun weiterzog, sah ich zwei Pilgrime unter einem Blatt Farnkraut sitzen, die miteinander rechneten, und während ich an ihnen vorüberging, sagte der eine zum andern: >Du, sieh mal, da geht einer, der hat keinen Kopf.< Da griff ich nach meinem Kopf und merkte erst, daß er in den Brunnen gefallen war. Ich ging also zum Brunnen zurück und sah, wie ein Fuchs meinen Kopf fraß.«Da rief der Bartlose: »Halte ein, du hast gewonnen, ich habe viele überwunden, aber an dir fand ich meinen Meister.« Darauf ging der Bartlose aus dem Hause, und der Königssohn wohnte fortan darin als in seinem Eigentum.
Der siebenköpfige Drache
Es waren einmal ein Knabe und ein Mädchen, die Geschwister waren. Sie besaßen drei Schafe. Der Knabe pflegte diese auf die Weide zu treiben, während das Mädchen zu spinnen pflegte. Eines Tages weidete der Knabe wieder seine Schafe, da kam ein Mann daher, der einen Hund bei sich führte. Er sprach zum Knaben: »Komm, wir wollen ein Tauschgeschäft machen: ich gebe dir diesen Hund für dein Schaf!«Der Junge aber antwortete: »Nein! Denn wenn meine Schwester das erfährt, dann prügelt sie mich durch.« Der Reiter aber sprach zu ihm so lange, bis der Junge schließlich doch auf den Tausch einging.
Als der Knabe mit dem Hund nach Haus kam, zankte ihn seine Schwester gründlich aus, weil er das Schaf für den Hund hingegeben hatte. Am andern Tage zog er nunmehr mit den beiden übrigen Schafen und dem Hunde auf die Weide. Da kam der gleiche Mann wieder, mit einem anderen Hunde, und redete ihn an: »Mein Sohn, wir wollen auch diesen Hund gegen ein Schaf tauschen.« Aber der Junge versetzte: »Nein! Denn als ich gestern mit dem Hund nach Haus kam, hat mich meine Schwester gescholten.« Doch abermals redete der Reiter so lange auf den Knaben ein, bis dieser wiederum den Tausch machte: der Mann gab ihm den Hund, und der Junge verlor das zweite Schaf.
Als er nach Hause kam, sprach seine Schwester zu ihm: »Wo sind die Schafe? Warum bringst du statt ihrer Hunde, die uns zu nichts nütze sind?«Und sie prügelte ihn ordentlich durch. Am nächsten Tag begab
sich der Knabe mit den beiden Hunden und dem letzten Schafe an den alten Platz, und es kam wieder derselbe Mann mit einem andern Hund. Es gab eine längere Verhandlung, aber schließlich fand abermals der Tausch statt, und der Knabe hatte nun kein Schaf mehr, sondern drei Hunde. Als er heimkam, schlug seine Schwester ihre Spindel an seinem Kopfe entzwei, verabreichte ihm eine gehörige Tracht Prügel und jagte ihn aus dem Hause. Der Junge zog nun mit seinen drei Hunden durchs Land und gelangte in ein anderes Reich, in dem allgemeine Trauer herrschte. Der Junge begab sich schließlich in einen Laden, um sich etwas zu essen zu holen. Er sprach zum Besitzer des Ladens: »Gib mir zu essen!«Jener antwortete: »Sprich nicht so laut, weil hier eine allgemeine Trauer herrscht.« Dann gab ihm der Ladenbesitzer zu essen und trinken. Der Knabe fragte ihn am Ende: »Was hast du zu bekommen?« Jener erwiderte: »Nichts. Geh nur wieder fort!« Da verließ der Junge mit seinen drei Hunden den Laden und zog weiter.Er bemerkte eine Frau, die kam des Wegs daher und hatte Brot bei sich; zu ihr sprach er: »Maria, verkaufe mir zwei Brote, damit ich meine Hunde füttern kann!«Sie versetzte sogleich: »Sprich nicht so laut, denn hier ist allgemeine Trauer!« Er fragte: »Trauer weswegen?« Die Frau erklärte: »Die Prinzessin dort in jenem Hause soll ein Drache fressen!« Da sprach der junge Mensch: »Gut, geh nur weiter!« Die Frau ging weiter, der Knabe aber begab sich nach jenem Hause, in dem sich die Prinzessin befand. Er fragte sie: »Meine Schwester, warum weinst du?« Sie antwortete: »Geh fort, weil sonst der Drache uns beide auffrißt!« Der Knabe aber sprach ihr Mut zu: »Habe keine Angst! Er wird uns nicht fressen.«
Schließlich nahte sich der Drache und sprach: »Was machst du denn hier? Nun werde ich dich auch noch fressen, und zwar zuerst.« Der Junge rief: »Nur zu, wenn dein Appetit so groß ist, dann friß mich auf!«Und zu dem kleinsten seiner Hunde sagte er: »Geh und bekämpfe den Drachen!« Da sprang der Hund den Drachen an und raufte sich ordentlich mit ihm, bis er ihm nach einer Weile den Kopf abgerissen hatte. Der Drache rief hierauf sogleich: »Pause!«Der Hund rief gleichfalls: »Pause!«Und sie machten eine Pause. Nach einer geraumen Weile begannen sie den Kampf aufs neue, bis der Hund dem Drachen den zweiten Kopf abgerissen hatte. Wiederum schrie der Drache: »Pause!« Und der Hund machte Pause. So trieben sie es immer fort, und schließlich riß der Hund dem Drachen auch den siebten und letzten Kopf ab.
Die Prinzessin wurde schier wahnsinnig vor Freude, als sie das sah. Sie fragte dann den Knaben: »Was soll ich dir jetzt als Geschenk dafür geben, daß du mir das Leben gerettet hast?« Der Junge entgegnete: »Mädchen, ich wünsche mir nichts außer dem Mantel, den du jetzt anhast.« Da gab sie ihm den Mantel und eilte zurück in ihren Palast. Der Knabe aber schnitt die sieben Zungen aus den Köpfen des Drachen ab und ging seiner Wege.
Nun befand sich an jenem Orte ein Türke als Wache. Der sollte aufpassen, ob der Drache die Prinzessin fresse. Dieser Türke lief dem Mädchen nach, hielt es fest und sagte: »Schwöre jetzt hier auf der Stelle, daß du nicht sagen wirst, jener Knabe habe den Drachen getötet, sondern sage, daß ich ihn umgebracht hätte! Wenn du das nicht schwörst, so werde ich dich gleich umbringen.« Da die Jungfrau keinen anderen Ausweg sah, schwur sie, was der Türke verlangte. Letzterer aber nahm die sieben Köpfe des Drachen an sich und ging damit zum König: »Sieh her, Majestät, diesen Drachen habe ich getötet, um deine Tochter zu befreien.« Der König aber hatte verkünden lassen, daß derjenige, der den Drachen töten würde, seine Tochter heiraten könne. So sollte nun der häßliche Türke die schöne Prinzessin zur Frau bekommen.
Alsbald begannen die Hochzeitsfeierlichkeiten. Nun begab sich der Knabe zum Palast des Königs und redete den Herrscher an: »Majestät, wer hat denn den Drachen getötet?« — »Ihn hat der Türke getötet, der hier neben mir sitzt.« Der Knabe forschte weiter: »Hat er denn auch Beweise, daß er den Drachen umgebracht hat?« — »Ja, er hat mir die Köpfe des Drachen mitgebracht.« Da fragte der Knabe: »Hast du sie auch genau angesehen?« —»Warum sollte ich sie wohl ansehen?« —»Ob sie auch alle Zungen haben?« Da ließ der König die Köpfe holen und öffnete ihnen die Mäuler, aber nirgends fand er eine Zunge. »Wisse denn«, sprach der Knabe, »ich habe den Drachen besiegt, und hier sind auch die sieben Zungen.«Da rief der König aus: »Wahrhaftig!« —»Und hier ist auch der Mantel deiner Tochter, den sie mir schenkte, nachdem ich den Drachen überwunden hatte.« Und er übergab dem König den Mantel. »Dann sollst du auch meine Tochter haben«, entschied der König, und da die Prinzessin damit sehr einverstanden war, wurde eine fröhliche Hochzeit gehalten. Dem Türken aber ließ der König erst die Zunge abschneiden und dann den Kopf abhacken. —Und nun ist die Geschichte zu Ende.
Der Fischersohn
Es war einmal ein König, der hatte eine Tochter, aber immer wünschte er, auch einen Sohn zu erhalten. Deshalb fragte er seinen Koch, ob er ihm nicht irgendwoher einen Knaben verschaffen könne, damit er ihn großziehe. Der Koch sagte ihm, daß er einen armen Fischer kenne, der ihm vielleicht einen seiner Knaben übergeben könne. Da schickte der König seinen Koch zu dem armen Fischer und ließ fragen, ob er dem König wohl einen Knaben überließe, damit dieser ihn als seinen Sohn aufziehen könne. Der Fischer sagte: »Jawohl! Ein Glück wie dieses lasse ich mir nicht entgehen. Ich will dem König einen Knaben im Alter von vier Jahren schenken.« Die Tochter des Königs war nun gerade so alt wie dieser Knabe, und so wurden beide zusammen aufgezogen und liebten sich wie Geschwister.
Als sie erwachsen waren, wandte sich das junge Mädchen an ihre Mutter und sagte ihr, daß sie den Fischersohn heiraten wolle. Die Mutter wieder sprach mit dem Vater, und obwohl dieser zunächst nicht recht damit einverstanden war, fügte er sich schließlich doch den Bitten der beiden Frauen. Er sagte aber zu seiner Tochter: »Wenn ihr Hochzeit gehabt und du mit ihm ins Brautgemach kommst, so sage ihm ja nicht, daß er ein Fischersohn war, weil er sonst nicht mit dir zusammenbleiben würde.«
Nun richtete man die Hochzeit, und am Abend des Festtages, als der junge Mann mit seiner Frau ins Brautgemach getreten war und sie begonnen hatten, aneinander ihre Freude zu haben, sprach sie zu ihm: »Giuseppe, siehst du, wie ich die Sache dahin gebracht habe, wohin ich sie haben wollte, obwohl du ein armer Fischersohn bist?« Da wurde er wütend über diese Worte, zog seinen Hochzeitsrock aus und schleuderte ihn ihr vor die Füße und eilte hinaus. Dann zog er in ein anderes Land. Dort traf er mit einem armen Burschen zusammen und tauschte mit ihm seine Kleidung. Seinen Diamantring aber versteckte er in seinem Leibgurt. Schließlich meldete er sich beim Koch des dortigen Königs als Küchenjunge. Er sprach aber nur mit Gesten und stellte sich dumm.
Einmal stieg der König in die Küche hinunter und erblickte den jungen Menschen, der sehr schön war. Gleich fragte er den Koch: »Wer ist denn das?« —»Herr, das ist unser Küchenjunge. Er ist recht anstellig, aber leider stumm.« —»Ach«, versetzte der König, »was für ein Pracht-
junge ist das! Ich will ihm schon zur Sprache verhelfen.« Damit ließ er verkünden, er habe bei sich einen stummen Jungen, wer diesem zur Sprache verhelfen könne, der solle einmal sein Nachfolger werden, wer seine Kunst jedoch vergeblich versuche, der solle seinen Kopf verlieren. Da reiste eine ganze Anzahl von Ärzten und Gelehrten herzu, aber alle mußten ihr Leben lassen, denn keiner konnte ihn zum Sprechen bringen. Schließlich zeigte niemand mehr Lust, seinen Kopf zu riskieren. Einst wusch der Junge eine Suppenschüssel aus, dabei wäre sie fast seinen Händen entglitten; da rief er voll Schreck aus: »Was ist das für eine Geschichte! Fast hätte ich die Schüssel zerbrochen.« Der Koch hörte ihn und dachte bei sich: >Sieh da, er ist ja gar nicht stumm!<Gleich begab er sich zum König und sagte diesem, daß er dem Jüngling zur Sprache verhelfen könne. Der König entgegnete: »Nein, Koch, warum willst du dein Leben beenden?« — »Hab keine Angst, Herr! Bei mir wird er schon sprechen lernen.« — »Gut! Ich gebe dir drei Tage Zeit. Wenn er dann nicht spricht, lasse ich dir den Kopf abhacken.«Der Koch schloß sich nun mit dem Küchenjungen in einem Zimmer ein; jener antwortete jedoch auf keinerlei Gespräch. Da wurde der Koch wütend, er prügelte den Küchenjungen und zerriß dessen Kleider. Dabei platzte auch der Leibgurt, und der Ring rollte heraus. Der Koch nahm den Diamantring an sich und floh schleunigst aus dem Palast, denn er fürchtete, daß der König ihm seinen Kopf abhacken ließe. Endlich kam er in ein anderes Land, nämlich jenes, aus dem der Fischersohn weggegangen war. Da er nichts besaß als den Ring, ging er zu einem Händler, um den Ring zu verkaufen. Der Händler aber sagte: »Diamanten werden nur beim König angenommen.« So kam der Koch an den Hof, und als er den Ring verkaufte, war auch die Prinzessin (die Gattin des Fischersohnes) zugegen. Diese erkannte sogleich den Ring und fragte den Mann: »Wo hast du ihn hergebracht?«Jener erwiderte: »Herrin, er gehört mir nicht; er gehört einem armen Küchenjungen.« Da forschte die Königstochter weiter und erfuhr so die ganze Geschichte von ihrem Gatten und auch, daß er sich stumm stelle. Sie gab dem Koch die gebührende Summe und ließ ihn gehen.
Am nächsten Tag aber verschaffte sie sich Männerkleidung und begab sich zu jenem König, bei dem ihr Mann als Küchenjunge diente, um ihm zu sagen, daß sie gekommen sei, um dem jungen Menschen zur Sprache zu verhelfen. Der König entgegnete: »Nein! Ich will nicht noch mehr Menschen köpfen lassen.« —»Dann laß es mich als letzten versuchen!«
sprach sie. Der König war einverstanden und ließ sie ins Zimmer des jungen Menschen führen. Als sie ihren Gatten sah, bat sie ihn, er möge ihr doch jenes Wort verzeihen, nämlich daß sie zu ihm >Fischersohn< gesagt habe. Er aber antwortete nichts und wollte nicht reden. So kam der Zeitpunkt heran, wo man sie zur Enthauptung führen mußte.Der Fischersohn sagte immer noch nichts, aber er begleitete sie zur Hinrichtungsstätte. Wie sie nun den Tod erleiden sollte, bat sie den König, daß sie noch drei Worte sagen dürfe. Der König erlaubte es ihr und befahl dem Henker, noch zu warten. Da sprach sie: »Wer will mein Leben um drei Pfennige kaufen?« Niemand antwortete. »Wer will mein Leben um zwei Pfennige kaufen?« Wieder schwieg alles. »Wer will mein Leben für einen Pfennig kaufen?« Da rief ihr Gatte: »Ich kaufe es!«So war der Stumme zum Sprechen gebracht worden, und der König wollte dem vermeintlichen Lehrmeister sein Zepter übergeben. Aber die Prinzessin enthüllte nun ihre Verkleidung und erzählte dem König, wie sie ihren jungen Gatten in der Hochzeitsnacht beleidigt hatte. Ihr Gatte aber verzieh ihr nun, da sie sich gedemütigt hatte. Der König aber übertrug dem Fischersohn die Regentschaft, so daß er nun über zwei Reiche herrschte, und das junge Paar lebte nun abwechselnd in dem Palast der Prinzessin und ihrer Eltern und in dem Palast des Königs, bei dem der Fischersohn Küchenjunge gewesen war.
Leila und Keila
Im Türkenlande lag eine Stadt; in dieser Stadt lebte ein gewisser Statthalter, dessen Herz sehr schlecht war und der, weil er keine Bezahlung von seiten des Sultans erhielt, die Armen zu bedrücken pflegte. Einmal hatte er einen Streit mit einem armen Tischler, und um sich zu rächen, legte er ihm auf, eine Summe von dreihundert Unzen Gold zu bezahlen. Der arme Tischler aber besaß weiter nichts als eben diese Summe und befand sich nach deren Weggabe in größtem Kummer und am Verhungern. Er besaß nun eine Tochter namens Leila. Diese war bucklig, häßlich, ihr Gesicht war pockennarbig, auf einem Auge war sie blind, und dazu hatte sie eine dunkle Hautfarbe; in kurzen Worten: sie konnte das Meer wild machen. Sie hatte eine Freundin namens Keila. In dem Maße, in dem Leila häßlich war, war Keila hübsch. Die
beiden jungen Mädchen hatten sich sehr lieb, man konnte sie für Schwestern halten.An dem Tage nun, der jenem folgte, da Leilas Vater dem Statthalter sein ganzes Geld gegeben hatte, traf unsere Leila bekümmerten Herzens mit Keila zusammen. Letztere merkte sogleich, daß Leila etwas zugestoßen war; deshalb fragte sie die Freundin, was geschehen sei. Mit Tränen in den Augen erzählte ihr Leila, was der Statthalter ihrem Vater angetan habe. Keila versetzte darauf: »Du hast ein Recht zu weinen, aber quäle dich trotzdem nicht länger! Bitte Gott, daß er uns einen Rat schicken möge, wie wir deines Vaters Geld sogar mit Zinsen zurückgewinnen können!«
Als nach etwa vier Tagen Keila in die Kirche ging und diese betrat, traf sie mit Leila zusammen und sprach zu ihr: »Höre, Leila! Ich habe dir etwas zu sagen!«Und auf der Stelle erzählte sie ihr, was für einen Plan sie gefaßt habe; dieser gefiel der Leila sehr, und sie nahm ihre Freundin mit nach Hause zu ihrem Vater, damit sie diesem erzählen könne, was sie sich ausgesonnen hatte. Der arme Tischler erklärte den Mädchen, der Plan sei sehr gut, und sie kamen überein, schon am folgenden Tage mit der Ausführung zu beginnen. —Ihr müßt nun wissen, daß die türkischen Frauen einen Schleier haben, der ihnen das ganze Gesicht bedeckt und nur die Augen herausschauen läßt. —
Also am nächsten Morgen um zehn Uhr begab sich Keila zum Statthalter und bat ihn, sie zu empfangen, denn sie wolle ihn um eine Gnade bitten. Der Statthalter ließ ihr sagen, daß er sie erwarte. Sofort stieg Keila zu ihm hinauf in den Palast, begab sich in den Saal, in dem er sich aufhielt, und sprach zu ihm, indem sie sich vor ihm auf die Knie warf: »Herr, ich lebe in ständiger Mißhandlung von seiten meines Vaters! Er will mich auch nie heiraten lassen, und jenem, der mich zur Frau wünscht, sagt er irgend etwas Schlechtes von mir. Ich komme, um dich zu bitten, mich aus seinen Händen zu befreien!« —»Höre, meine Tochter«, antwortete der Statthalter, »ich glaube dir ja, aber es ist nötig zu wissen, was dein Vater sagt.« —»Herr, ich schäme mich, es dir zu sagen!« — »Wenn du es nicht sagst, dann kann ich dir auch nicht helfen.« —»Nun, wenn du es wissen willst: er sagt, daß ich häßlich sei, von dunkelster Hautfarbe und bucklig, auf dem einen Auge blind, pockennarbig und alt.« — »Wie kann ich aber wissen, ob du häßlich bist oder schön, wenn ich dein Gesicht nicht zu sehen bekomme? Zeige dein Gesicht, meine Tochter, damit ich sehen kann, ob die Beschuldigungen
wahr sind!« —Nun dürfen die türkischen Frauen nach ihrem Gesetz ihr Gesicht vor keinem Manne außer ihrem Gatten unverschleiert zeigen. —Trotzdem nahm unsere Keila den Schleier von ihrem Gesicht ab, und jener andere geriet in Verwunderung über ihre Schönheit. »Zermartere dein Herz nicht länger!«sprach der Statthalter. »Ich werde dich selbst aus den Klauen deines Vaters befreien, da ich dich zur Frau begehre.« Unsere Keila lachte im Herzen: >Dahin wollte ich dich haben!< Beide kamen überein, daß der Statthalter noch am gleichen Tage beim Tischler um dessen Tochter anhalten solle.Keila verließ eilends den Palast und traf Leila, der sie berichtete, daß der Statthalter sie wirklich für die Tochter des Tischlers halte, und erzählte ihr alles. Am Nachmittag ließ der Statthalter den Tischler rufen und sprach zu ihm: »Du hast doch eine Tochter, die Leila heißt?« — »Jawohl.« —»Warum läßt du sie nicht heiraten, wie es doch der Koran gebietet?« — »Herr! Wer möchte eine haben wie die?« —»Warum das?« — »Sie ist halb blind, pockennarbig, ganz dunkelfarbig, bucklig und häßlich.« —Der Statthalter sprach bei sich: >Lüg du nur! Ich habe deine Tochter heute morgen gesehen und erkannt, wie schön sie ist.<Und laut fuhr er fort: »Du willst sie mir nicht geben? Dann nehme ich sie dir weg!« Und weiter fuhr er fort: »Höre, warum willst du mir deine Tochter nicht zur Frau geben?« —»Ja, willst du sie denn so haben, wie sie ist?« —»Gewiß; ich will sie meinetwegen alt, halb blind, pockennarbig und bucklig.« —»Willst du mich verspotten?« — »Ich scherze nicht. Willst du nun oder willst du nicht?« —»Ja, wenn es denn so ist, Herr, dann nimm sie! Aber wer sagt mir, daß du sie, wenn du sie siehst, nicht wieder fortjagst?« — »Ich jage sie nicht wieder fort; das kann ich dir schriftlich geben. Ich lasse gleich einen Notar rufen, dann setzen wir den Vertrag auf.« Und es kam der Notar. Da sprach der Tischler: »Herr, lasse in das Schriftstück setzen, daß du mir jetzt gleich hundertzwanzig Unzen Gold gibst. Und wenn du meine Tochter verstoßen solltest, so mußt du mir weitere zweihundert Unzen Gold geben!« — »Gut«, sagte der Statthalter, »Notar, schreibe: Ich will die Tochter des Tischlers heiraten: alt, halb blind, pockennarbig, dunkelhäutig, bucklig und häßlich. Dem Vater gebe ich jetzt hundertzwanzig Unzen Gold, und sollte ich jemals seine Tochter verstoßen, so werde ich ihm weitere zweihundert Unzen in Gold geben.«Der Notar brachte das zu Papier, und beide Parteien setzten ihren Namen darunter.
So waren die Dinge den Wünschen Leilas und Keilas gemäß verlaufen.
Aber Leila war doch etwas unruhig und hatte Angst, daß der Statthalter, wenn er den Betrug merken würde, sie schließlich zu Tode peitschen lassen könnte. Keila sprach ihr Mut zu, und sie beruhigte sich schließlich.
Die Hochzeitsfeier begann, und man begab sich zum Tischler und dann in die Kirche. Schließlich fand sich alles im Palast des Statthalters ein, die Musik hob an zu spielen, und es gab eine große Schmauserei, der Tänze folgten. Dem Statthalter aber verging die Zeit zu langsam, und es war ihm, als müsse er tausend Jahre warten. Endlich war die Feier zu Ende, und er konnte seine junge Frau in den Harem führen. Dort sprach er zu ihr: »Mein Herz, lege jetzt deinen Schleier ab und laß mich den Anblick deines hübschen Gesichtes genießen!« Leila nahm den Schleier ab. Als der Statthalter die entstellten Züge sah, da wurde er nicht schlecht wütend und jagte sie sofort hinaus. Leila verlor kein Wort, sondern eilte, so schnell sie konnte, heim in das Haus ihres Vaters. Der Statthalter wagte nicht zu atmen, denn wenn er erzählt hätte, was ihm zugestoßen war, so hätte ihn die ganze Stadt ausgelacht, und er wäre zum Gespött der Leute geworden. Außerdem hätte er sein Amt verlieren können, wenn es dem Sultan zu Ohren kam, daß er ein junges Mädchen dazu verführt hatte, ihm ihr Gesicht unverschleiert zu zeigen. So blieb ihm denn nichts anderes übrig, und er mußte wohl oder übel zum Tischler gehen und ihm die zweihundert Unzen Gold auszahlen, wie es der Kontrakt verlangte.
Als er ihm die Summe ausgehändigt hatte, sprach er: »Du hast mich ja richtig hereinfallen lassen und um einen großen Betrag geprellt.« — »Höre, mein Herr, vor kurzem hast du mir dreihundert Unzen abgenommen, und heute habe ich sie wieder zurückerhalten.« — »Elender Schurke, du hast mir nicht nur dreihundert, sondern dreihundertzwanzig Unzen abgeknöpft!« — »Mein Herr, das waren nur die Zinsen, die zu der Summe, die ich dir gegeben habe, hinzugekommen sind.« Bei diesen Worten mußte der Tischler lachen; der Statthalter aber begann zu fluchen und ging hinweg. Nie mehr aber hatte der Tischler vom Statthalter etwas zu befürchten. Und damit ist die Geschichte zu Ende.
Die Prinzessin, die nur den allerschönsten Prinzen heiraten wollte
Es war einmal eine sehr schöne Prinzessin. Ihr Vater wünschte, daß sie heirate; aber sie hatte stets etwas auszusetzen an den Bewerbern -keiner wollte ihr behagen, und sie wünschte, eben nur den allerschönsten Prinzen zum Manne zu nehmen.
Einst stand sie auf dem Balkon des Schlosses und blickte auf die Straße hinab. Da sah sie einen wunderschönen, prächtigen Prinzen vorbeigehen: er war fein und zart und hatte goldene Fingernägel sowie auch goldene Zähne. Sogleich eilte sie zu ihrem Vater und rief: »Vater, den fremden Prinzen da will ich heiraten!« —»Also endlich gefällt dir doch ein Mann!«sprach der König, und er blickte auf die Straße und mußte sich gestehen, daß jener Fremde wirklich ein herrlicher, prächtiger Prinz sei. Sofort rief er ihn in den Palast und begann: »Fremder, willst du meine Tochter zur Frau?« — »Und ob ich sie will!« rief der Prinz mit überlauter Stimme und lachte dabei auf eine so eigene Art, daß die Prinzessin ganz rot wurde.
Die Hochzeit wurde mit großer Pracht gefeiert, und gleich nach dem Mahle äußerte der Prinz: »Ich werde meine junge Frau sogleich in meinen Palast führen. Damit sie sich aber nicht einsam fühlt, bitte ich alle Anwesenden, uns zu folgen, und zwar mit meinen Wagen und Pferden. Ich fahre mit meiner lieben Gemahlin in einem Wagen, und meiner Gemahlin beste Freundin soll mit in unserem Wagen sitzen!« Voller Freude hörten so die Aufgeforderten, daß sie den schönen Palast des fremden Prinzen zu sehen bekommen sollten, und beglückwünschten die junge Frau zu ihrem schönen und liebenswürdigen Gemahl.
Dann brach man auf. Unterwegs wurden die junge Frau und ihre Begleiterin mit Schrecken gewahr, daß der junge Ehemann von Minute zu Minute häßlicher wurde. Die goldene Farbe seiner Nägel und Zähne verwandelte sich in Kohleschwarz! Auf seiner Stirn bildeten sich zwei Knoten und wuchsen immer mehr und mehr in - Hörner aus!
Noch mehr wuchs das Entsetzen der beiden Frauen, als sie sahen, daß ihrem Weggenossen ein langer Schweif mit dicker Quaste zu wachsen begann. Auch seine Füße hatten allmählich die Gestalt menschlicher Füße verloren und schienen sich in Bocksfüße umformen zu wollen. Die beiden Frauen kamen fast vor Angst um! Plötzlich ließ der fremde Prinz halten, erhob sich im Wagen und rief den hinter ihm fahrenden Leuten zu: »Ihr alle kehrt sofort nach der Stadt zurück - sonst seid ihr
des Todes!«Auch die Freundin der jungen Frau mußte den Wagen verlassen und umkehren, und das tat sie gern, weil sie sich nicht wenig fürchtete. Die Herrschaften fuhren dann, so rasch es die Pferde erlaubten, in die Stadt und zum Königspalast zurück.Der König stand auf dem Balkon, und als er jene zurückkehren sah, dachte er bei sich, sie seien gekommen, ihn auch noch mitzunehmen; aber unter Tränen und Jammern erzählten ihm die Leute: »Ach, wie unglücklich ist deine Tochter! Sie hat den Bösen zum Gemahl!«Da erblich der König und befahl, die rote Ausschmückung des Schlosses - die Ausschmückung der Freude - durch schwarze -die der Trauer - zu ersetzen.
Es waren aber der Prinzessin die drei Söhne ihrer Kammerfrau weiter nachgefolgt, und diese bekamen alles zu hören und zu sehen, was jetzt mit ihr vorging. Sie ritten hinter dem Wagen her und beschlossen, sie zu retten. Der Wagen langte endlich in einer entsetzlichen Wildnis an, und der fremde Prinz befahl der Prinzessin mit barschen Worten, aus dem Wagen zu steigen.
Zitternd gehorchte sie dem Befehle. Dann wanderte er mit ihr in eine tiefe, tiefe Schlucht hinunter, an deren Ende sich eine dunkle Höhle befand. Die beiden traten in die Höhle, und die drei Brüder hörten jetzt, wie der Böse die arme Prinzessin anschrie: »Katarin, koch mir ein Essen! Jetzt hast du keine Zeit zum Faulenzen! Und alles ordentlich und aufgeräumt! Reinlichkeit geht über alles!«So schrie und schimpfte denn er auf unendlich grobe Weise auf die Prinzessin ein.
Die drei Brüder ritten dann nach der Stadt zurück und berichteten dem Könige, was sie gehört und gesehen hatten. »Ich werde sie retten!« sprach der älteste. »Wie willst du in ihre Nähe kommen?«fragte der König. Der älteste Bruder begann wieder: »Herr König, laß mir einen festen Karren voll starker Seile beladen!« Der zweite Bruder sprach: »Und mir einen Karren voll Rosenkränze!« Der dritte aber erklärte: »Mir einen Karren voll Eßwaren!« Der König befahl darauf seinen Dienern, für die jungen Leute drei Karren mit den gewünschten Gegenständen zu beladen; dann fuhren die drei Jünglinge ab - erst der älteste, dann der mittlere und endlich auch der jüngste.
Der älteste gelangte zuerst an den Rand der Schlucht und blickte hinab. Der jüngste fragte den mittleren und der mittlere den ältesten: »Bruder, was tut jetzt der Böse?« — »Er schreit!« —»Bruder, was tut jetzt der Böse?« — »Er schimpft!« — »Bruder, was tut jetzt der Böse?« — »Er
wäscht sich mit dem Wasser, das ihm die Prinzessin geholt hat!« — »Bruder, was tut jetzt der Böse?« — »Er schimpft und geht zu Bette!« —»Bruder, was tut jetzt der Böse?« —»Er schnarcht!«meldete der älteste Bruder und setzte hinzu: »Jetzt kommt aber rasch hierher, denn es ist die höchste Zeit!« Nun blickten alle drei nach der Höhle hinunter und sahen die arme Frau und riefen ihr zu: »Liebe, gute Prinzessin, wir retten dich!« Die Prinzessin antwortete: »Fliehet, fliehet! Er ist so grausam!« Doch der älteste Bruder sprach: »Hab keine Angst! Ich binde meinen kleinen Bruder an ein langes Seil und lasse ihn zu dir hinunter; dann bindet er dich unten mit ans Seil an, und ich ziehe zuerst dich und dann meinen kleinen Bruder herauf!«So geschah es! Die zitternde Prinzessin wurde herauf gezogen und dann der Knabe.
Hierauf begannen die drei, die Prinzessin mit einer Anzahl von Rosenkränzen zu behängen; schließlich war der ganze Körper mit dieser Zier bedeckt. Jetzt erst begannen sie etwas von den mitgebrachten Speisen zu genießen. Aber im Walde wollten sie nicht bleiben. Deshalb brachen sie auf und begaben sich in ein am Rande des Waldes gelegenes Gasthaus.
Der Böse wachte auf und schrie: »Katarin, bring mir das Waschwasser!« Aber niemand antwortete ihm. Da begann er laut zu brüllen: »Wo steckst du, du faules Wesen? Ich werde dich lehren, mir nicht zu antworten!« Als er sie nun trotz eifrigen Suchens nicht fand, schlug er sich vor die Stirn und schrie: »Es ist geschehen! Man hat sie entführt! Aber wo werden sie sie hingebracht haben? Sicher in das Gasthaus am Waldesrand! Da werde ich sie finden, und ich werde ihr die Knochen zermalmen!« Mit Windeseile lief der Böse nach dem Gasthause und herrschte die Prinzessin an: »Sofort gehst du mit mir zurück!« Da sah er aber auch schon, daß man sie ganz und gar mit Rosenkränzen behangen hatte. Nun wollte er probieren, ob sie nicht an irgendeiner Stelle ihres Körpers des Schutzes dieses Bannmittels entbehre; er schrie sie an: »Zeig deinen rechten Arm! Deinen linken! —Deinen rechten Fuß! Deinen linken! —Deine rechte Brust! Deine linke!« und so fort! Aber zu seinem Ärger war ihr ganzer Körper mit Rosenkränzen überdeckt, und er mußte zornentbrannt abziehen, aber er schwur, sich zu rächen.
Die drei Brüder traten nun mit der Prinzessin den Heimweg an. Alles ging sehr gut, und sie brauchten auch nicht zu hungern, da sie ja einen Karren voll Lebensmittel mitgenommen hatten. Kaum nahten sie sich
dem Palaste des Vaters der Prinzessin, als der König auch schon aus seinen Gemächern heruntereilte und seine Tochter umarmte und küßte. Dann hieß es: »Wer von den dreien soll sie nun heiraten?« Und die Antwort lautete: »Der Jüngste, denn er hat sich hinuntergelassen in die greuliche Schlucht und die Prinzessin unten an das Seil gebunden.«