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INHALT
i. KULTURGESCHICHTLICHE FRAGMENTE AUS DEN NILLÄNDERN
a) Das verträumte Land 3
b) Das Märchen vom Untergang von Kasch 9
c) Die Kordofaner Märchen 17
II. EINAKTER
i. Glück und Verstand 25
2. Der Schädel 31
3. Das verlorene Glück 37
4. Die Gattenwahl des Königs 44
5. Die zersprengte Familie 49
6. Die Sprache der Tiere 53
7. Das Girdamädchen 60
8. Der Silberschmied 73
9. Mussas Dankbarkeit 82
10. Der Schech el Esuda (Der Herr der Löwen) 91
III. MEHRAKTER
11. Albedewui 101
12. Der Sohn der Beischläferin 117
13. Vogel, Pferd, Büchse 134
14. Die Lieblinge der Aldjann 147
15. Der Hengst Houssan 165
16. Der Fans 179
17. Der Fans (Version aus der Gegend von Barra) 193
18. Der Verarmte 204
19. Magische Flucht 216
20. Die tapfere Fatma 224
IV. SCHWÄNKE
21. Der bekehrte Räuberhauptmann 241
22. Räuberlist 251
23. Ausgetriebene Geilheit 254
24. Die Rache des betrogenen Ehemannes 259
V. FREMDGUT
25. Wudandahasch; Eselsohr. Stammsage aus Berber 273
26. Das Löwenweib. Volkserzählung der Djur 297
27. Abu Seraera. Legende von den Kredj 299
Als Beilage
Karte der Länder um Kordofan
GEDRUCKT IN DER ROSSBERG'SCHEN BUCHDRUCKEREI IN LEIPZIG


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MÄRCHEN AUS KORDOFAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1923

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE MIT EINER KARTE

ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER ÜBERSETZUNG IN FREMDE SPRACHEN VORBEHALTEN COPY-RIGHT 1923 BY EUGEN DIEDERICHS VERLAG IN JENA


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KULTURGESCHICHTLICHE FRAGMENTE AUS DEN NILLÄNDERN



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Das verträumte Land

Fünf Regionen durchflutet der Nil. Der von Norden her über das Gebiet der klassischen Kulturgeschichte nach Süden streifende Blick des Europäers trifft ihn in einem Lande, in dem aller Zauber des Morgenlandes, aller Reichtum altgeschichtlichen Werdens, alle Schattierungen der Kultur zusammengetragen scheinen, in Ägypten - dem Land, in dessen Monumenten die Geschichte von fünf Jahrtausenden gebucht ist, dem Land, in dem einst die Märchen von Tausendundeiner Nacht aufgezeichnet wurden, dem Land der üppigsten Fruchtbarkeit, eng eingekeilt zwischen steinige und sandige Wüsten. Nach dem Norden zu am reichsten, prunkhaftesten, nach Süden verarmend und damit in das Wesen der zweiten Region hinüberführend.

Diese zweite Region, Nubien, erscheint wie ein verarmtes Agypten.

Und doch ist die dritte Region noch ärmer. Von Berber bis zur Mündung des Bahr ei Ghasal gleiten die Boote zumeist zwischen nackten Ufern dahin. Der Charakter der Oase ist als gemeingültig verschwunden. Nur Gärten, Akazien, Gebüsch, Steppengras unterbrechen die oft nur sandige Ode. Das ist die eigentliche Mittelregion der Nilländer.

Denn nach Süden nimmt die Üppigkeit ständig zu. Zwischen Bahr ei Ghasal und den Seen mehrt sich der Reichtum der Flora; in der fünften Region, im Gebiet zwischen den Seen des englischen und deutschen Ostafrika entwickelt die tropische Pracht sich in ganzer Fülle - hat sich die Kultur wieder zu höheren Stufen aufgeschwungen, blühen Reiche, sprossen Sagen, leben Erinnerungen an eine reiche geschichtliche Vergangenheit.

Im Süden und im Norden sind die Nilländer geschichtlich reich. Die Bewohner des mittelsten Nillandes wissen im allgemeinen von geschichtlicher Vergangenheit nichts. Die Vergangenheit kümmert sie nicht. Die Araber und Berber weiden ihre Herden, die Neger bestellen ihre Felder, heute wie gestern - morgen wie heute. Die Fragen, ob die Regenzeit richtig einsetze, ob eine Viehseuche herannahe, sind die wichtigsten. Die Menschen wissen und wollen nichts anderes. Kaum sind drei Jahrzehnte verstrichen, seit die Greuel die Mahdiländer brandmarkten, und daß englische Truppen, mit fanatischen Derwischen um Vorrechte kämpfend, zu Tausenden und aber Tausenden mit ihrem Blute die Erde zeichneten -keiner der Eingeborenen hat ein Interesse daran. In der Hauptstadt Khartum, in der einst des edlen Gordons Haupt auf hoher Stange aufgerichtet war, rollt ein emsiges Geschäfts- und Regierungsleben tagtäglich seine Schienen auf und nieder, und in El Obeid,



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der frühern Residenz des Mahdi, der Hauptstadt Kordofans, sprechen die Männer in den Cafés von den Preisen des Gummi und von der Aussicht der Fruchternte - das blutige Bild jüngster Vergangenheit ist verwischt.

Ich war in keinem Lande Afrikas, in dem die Landschaft so einförmig ist und so wenig von der Vergangenheit spricht als in dieser Mittelregion der Nilländer und auch bei keinem Volke, das auch nur ähnlich arm an Tiefenblick, so flach an Schau, so gleichgültig gegenüber den Fragen des Woher und des Wohin war.

Und doch gibt es eine Reihe von Tatsachen, die es ohne weiteres vermuten lassen, daß die Geschehnisse der Mahdiperiode nur ein vorläufig letztes, schon in seinem ersten Aufflackern ersticktes Ereignis sind, das gewaltige und historische kulturgeschichtliche Vorgänge der Vergangenheit mit dem Einsatz, wenn auch nicht mit der Auswirkung, wiederholt.

Ganz anders gestaltet sich nämlich das Bild dieser Länder, wenn wir sie nicht mit dem Nilstrom der Länge nach überblicken, sondern mit der Sonne von Osten nach Westen überschauen - allerdings nicht im ersten Augenblick. Ein flüchtiges Überschauen zeigt nämlich wiederum rechts vom Nil Senaar und die Ghesire und links vom Nil Kordofan, eines fast ebenso arm an Äußerungen alter Kultur wie das andere. An diese beiden schließen sich aber an im Osten Abessinien und im Westen Dar For, beide Reiche aufgebaut auf starker, wechselvoller und blühender Vergangenheit, beide bedeutend durch jenen Schicksalsreichtum, der feste Linien in die Physiognomien zeichnet, beide bewußt verbunden mit Sitten und Ruinenfeldern, die durch ihr Dasein das Einstmals immer wieder in das Gedächtnis zurückrufen und damit aus verträumter Gegenwart erwecken.

Eines nur schneidet scharfe Unterschiedlichkeit in die äußere Gestalt Dar Fors und Abessiniens. Bei den Foranern umgeben heute noch vier Erzherzoge den König, von denen jeder bestimmte Aufgaben hat. In Abessinien sind die vier Hauptbeamten auch heute noch vorhanden, die Funktionen führten sie aber vor langer Zeit einmal aus, und nur die Sage weiß es noch. Die Foraner feiern heute noch ihr großes Trommelfest. Bei den Abessiniern hängen diese Trommeln aber nur noch als Erinnerung an längst vergangene Vergangenheit in den Kirchen. Die triphallische Königskrone Fors wird jetzt noch an geheimer Stelle aufbewahrt, in Abessinien wurde sie schon vor ein und einem halben Tausend Jahren abgeschafft. Ein Abessinier, der im Jahre 1912 meinen Besprechungen mit den Foranern in Kordofan beiwohnte, sagte ganz klar und sehr treffend: "Alles, was bei den Foranern lebt, ist in Abessinien tot. Das, was



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heute bei den Abessiniern lebt, ist nicht bis zu den Foranern vorgedrungen."

Ein Foraner sagte aber darauf: "For ist der Sohn von Napht (siehe unten), Napht ist der Sohn von Habesch, Habesch und Masr (Ägypten) sind die Söhne von Kasch. Kasch aber lebte wie der Mahdi in Kordofan. Er war weither von Osten gekommen."

Als dieser Mann -Arach-ben-Hassul, von dem ich nachher noch mehr zu sagen haben werde -dies mitteilte, skizzierte er mit wenig Linien eine große Vergangenheit, ein in sich abgeschlossenes Bild, ein Gemälde, in dem Kordofan, das heute so stille, anscheinend schicksalsbare, verträumte Land die Stellung der Hauptperson einnahm.



***
Das Land Kordofan hat die Form eines Dreiecks, Weißer Nil, Bahr ei Ghasal und eine von Khartum zu den Quellflüssen des letztgenannten Stromes gezogene Linie bilden ungefähr seinen Rahmen. Es ist eine weite Fläche, aus der nur hier und da inselartig und unvermittelt Berge und Bergstöcke hervortreten. Kein Wasserlauf bedingt die landschaftliche und kulturelle Eigenart dieses Landes. Nur die zwei Eigenschaften sagen alles: wasserarme Fläche und unvermittelte Inselberge.

Die wasserarme Fläche, so recht die nüchterne Form der Sahelbildung begünstigend, also: Steppenland mit Akazienbusch und Baobabbäumen bestanden, ist das ausgezeichnete Gebiet der Viehzucht. Da diese Steppe außerdem auf der Bahn der norderythräischen Araberwanderung (Rotes Meer Tsadsee) liegt und nur durch den Nil von den alten Berberländern getrennt ist, so ist es nur natürlich, daß arabisierte Berber (Osthamiten) und arabische Nomaden das Land überschwemmten, sobald einmal die frühere Barriere der Kulturreiche hinweggeräumt war. Das aber geschah im 13. Jahrhundert, als der Islam endlich den Widerstand der aus dem Meere des Altertums hervorgegangenen christlichen Staaten Napata und Dongola gebrochen hatte. Nachdem dies gelungen war, setzte die Überschwemmung durch die kuhweidenden Baggara, durch die kamelzüchtenden Kabalisch und durch viele andere arabische und arabisierte Horden und Stämme ein. Vor diesem Durchbruche war Kordofan - so berichten die Erinnerungen - ein fast ausschließlich ackerbauendes und Industrie treibendes Land. Seitdem wurden Landbau und Handwerk mehr und mehr vernachlässigt. Die anscheinend unendlich fleißigen und emsigen "Neger" wurden in die Hügel- und Berglandschaften zurückgedrängt. — Soweit die Bedeutung der kordofanischen Steppen für Kultur- und Völkerleben.

Die zweite Eigenart der Landschaften Kordofans, die Inselbildung,



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hatte in alter und neuer Zeit dem Wesen nach gleiche, dem Gehalt nach entgegengesetzte Bedeutung. Stets waren diese Berge Nester, Zufluchtsorte und Ausfallsgebiete der Zurückgedrängten. Aber nach den Sagen aus alter Zeit waren die hier Eingenisteten Rohlinge, Räuber, Brutale, und in unsern Tagen sind es die Tiefinnerlichen, die Seelenvollen, die Gottesfürchtigen und Züchtigen. Das aber heißt, daß in den Steppen der jetzigen Periode der viehzüchtenden Araber eine Zeit hochstehender Kultur, staatlicher Größe, handwerklicher Blüte voranging, die ihrerseits einer Periode primitiver Brutalität folgte. Also: in ältester Zeit wurde Kordofan belebt von brutalen Primitiven; eine herannahende Kulturwelle verjagte die Rohlinge in die Berge und breitete sich über die Fläche aus. Als diese Blütezeit im Völkersturme des 13. Jahrhunderts ihren letzten Schmuck verfliegen sah, retteten sich die letzten Flüchtlinge in die Bergnester, deren rauhe Inseln inzwischen ausgestorben oder der Kultur ergeben waren. Von diesen "Rohlingen" kennen wir heute im Westen dieser Länder noch letzte Reste, die Massalit, von den herabgewürdigten Kulturellen kennen wir vor allem die Nuba, die zumal im südlichen Kordofan sicheres Bergasyl fanden und die nahe Verwandte der Nubier am Nil sind. Es sind die Nachkommen des von Arach-ben-Hassul genannten Napht.

Dieses geht nicht nur aus vielen sprachlichen Belegen hervor; es gibt noch eine eigentümliche Reminiszenz: von einem Manne aus dem nach Südwesten benachbarten Lande Fertit erhielt ich für die Nuba den Namen Naftassen - ein Wort von eigenartigem (aus dieser Mundart), aber tief bedeutsamem Klang.

Eine kurze Beschreibung dieses merkwürdigen Bergvolkes habe ich schon früher gegeben (U. A. spr. III). Hier nur das Wichtigste und Ergänzende, soweit es in dem Rahmen der Betrachtung der Kultur Kordofans Raum beanspruchen muß.

Die Bergnuba Kordofans zerfallen heute in kleinere Stämme. Der letzte größere Staatsverband ist vor einem halben Jahrhundert zerschellt. An der Spitze dieser Organismen stand vordem ein Priesterkönig oder Oberpriester oder wie man ihn nennen will. Sein Leben war ein symbolisches, seine Amtsführung eine von Mystik durchtränkte. Halb unsichtbar, nur den Opfern und Gebeten ergeben, war er der eigentlichen Tageswelt entfremdet von dem Tage seiner Wahl bis zu seinem vorbestimmten Tode. Sein Leben als König war allein dem Zustand seines Wirkens nach dem Tode geweiht. Seine Todesstunde aber war schon beim Antritt der Amtsführung festgesetzt. Die Reihe seiner Regierungsjahre war durch einen bestimmten Zeitraum von x (die Zeit wurde zwischen



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fünf und sieben Jahren schwankend angegeben) Jahren begrenzt. Dann wurde er von seiner Umgebung getötet. Von nun an hatte er seiner Aufgabe im Jenseits zu pflegen, für Regen und Saat, für Geburten und Abwendung von Unheil zu sorgen. Jede Mißernte, jedes Unheil wird dem Umstande zugeschrieben, daß der Priesterkönig in der Zeit seiner Amtsführung nicht nachgekommen war. — (Dies die Mitteilung der Leute von Tekali.)

Bekanntlich charakterisiert dieses theokratische Staatssymbol eine große Reihe von afrikanischen Staatsbildungen (vgl. Atlas Afrikanus Heft 2 Blatt W, vor allem aber diejenige von Völkern, die den Bergnuba vordem eng benachbart waren, so heute die Schilluk am Nil, und so früher die Äthiopen von Meroe. Das aber heißt, daß die heutigen Bergnuba, die durch die Araberhorden aus dem Flachlande Kordofans in den Bergschutz gedrängt wurden, mit den Völkern am blauen und weißen Nil, mit denen von Dongola bis Faschoda einen Kulturblock bildeten.

Kordofan war nicht immer das verträumte Land von heute. Es war auch nicht immer nur Pufferstaat, wie viele glauben. Aber Kordofan liegt heute in der Brache, nachdem allzu reiche Kulturblüte auf seinen Feldern diese bis zur Ermattung ausgesogen hat. Denn Kultur zehrt vom Boden, genau wie Halm- und Wurzelfrucht.

Wann die Pracht der Kulturblüte am üppigsten über den Ebenen Kordofans blühte, ist schwer zu sagen. Ich sagte es schon: nie war ich in einem afrikanischen Lande von auch nur annähernder Gleichgültigkeit gegenüber der Tiefe des Daseins und der eigenen Wurzelschau. Und so konnte ich keinem Kordofaner mehr als ganz allgemeine Mitteilungen abringen. Das Steppenvolk, ja zumeist arabischen Blutes, ist Fremdvolk dem Boden. Die Bergstämme sind verengt, verkleinert, vereinsamt - aber nicht vereinsamt mit der Wirkung zur Versenkung, sondern aus den Folgerungen bitterer Lebensangst.

Verträumte Menschen, verschollene Pracht.




***
Ein ungewöhnliches Glück führte mich im Jahre 1912 nach Kordofan gerade in dem Augenblick, als der Sir Dar Sir Reginald Wingate und Lord Kitchener nach El Obeid kamen und aus allen umliegenden Landschaften Gesandte und Volksvertreter zur Begrüßung zusammenströmten. Unter ihnen waren auch Foraner. Sie fielen mit ihren herrlichen Kamelen auf, zumal ein Kamelwettrennen vorgesehen war. Die Fürsorge der Reitkamele hatte einen alten, sehr gewandten Mann mit nach Obeid gebracht; dies war Arach-ben-Hassul, Sproß einer alten Gilde der Kordofaner Kupferarbeiter, die längst im Lande ausgestorben ist und deren letzte


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Nachkommen in Dar For leben. Diesem Arach-ben-Hassul verdanke ich eine märchenhafte Schilderung der Vergangenheit, der die Kordofaner selbst mit offenen Augen und Ohren und vielen Hamdulahis und Bismallas zuhörten.

Außerordentlich, wie der Mann überhaupt war, war auch die Weise, in welcher er seine Weisheit gab. Sieben Tage lang saß er mit andern Leuten unter den um mich versammelten Märchenerzählern. Sieben Tage lang schlürfte er wie die andern seinen Kaffee. Sieben Tage lang sprach er kein anderes Wort als den Gruß des Kommens und Gehens und gab auf jede Frage nach Alterskunde ein "Ich weiß nicht". Diese sieben Tage lang lauschte er den Erzählungen, die in diesem Bande niedergelegt sind, mit ernster Aufmerksamkeit und ohne mehr als Betätigung des Ohres zu äußern.

Am achten aber richtete er sich aus der kauernden Stellung auf dem Angareb auf und strich mit der Hand von den Augen herab über das Antlitz herab bis zum Kinn und sagte: "Ich spreche."

Danach stieg er von dem Angareb herab, setzte sich auf den Boden und fragte die Kordofaner Erzähler: "Wißt ihr, was ihr dem Taleb erzählt? Ihr wißt es nicht. Es ist schwer zu wissen." Dann machte er im Sande einen Strich und sagte: "Das ist For." Er machte einen zweiten Strich und sagte: "Das ist Napht. For war der Sohn des Napht." Er machte einen dritten Strich und sagte: "Das ist Habesch. Napht war der Sohn des Habesch." Er machte einen vierten Strich und sagte: "Das ist Kasch. Habesch und sein Bruder Masr waren die Söhne des Kasch. Kasch lebte wie der Mahdi in Kordofan. Er war weit über das Meer gekommen. Was ihr erzählt sind Geschichten, die aus der Zeit des Kasch stammen, und dazu gibt es eine eigene Geschichte, die ihr aber nicht begreifen könnt, weil es damals anders gewesen ist als heute. Heute gibt es in Kordofan einzelne Bäume, damals gab es viele, viele Bäume. Heute gibt es in Kordofan magere Felder, damals reiche. Heute gibt es in Kordofan wenig Regen, damals vielen. Heute gibt es in Kordofan wenig und kleine Seriben. Damals gab es große Städte, größere als in Ägypten. Heute gibt es keinen Menschen mehr in Kordofan, der Kupfer und Gold und Eisen und Messing machen kann. Damals kam alles Kupfer, alles Gold, alles Messing der Welt aus Kordofan. In dieser Zeit herrschten über Kordofan große Meleks (Könige), und alle Völker brachten den Meleks Geschenke. Aus dieser Zeit stammen eure Erzählungen, und wie sie erzählt wurden, darüber gibt es eine Geschichte, die ihr aber nicht verstehen könnt."

Soweit zunächst einmal der Alte. Ich legte dieser Voraussetzung damals keinen Wert bei. Stammbäume sind in afrikanischen Erzählungen



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für die Tatsachenforschung zumeist etwas fragwürdigen Wertes. Erst zehn Jahre später, als ich nämlich in diesem Frühjahr mit Dr. B. Struck verschiedene Kulturprobleme Nordostafrikas besprochen hatte und dabei an das Kasch (oder Kusch) des Alten erinnert wurde, stieg meine Aufmerksamkeit, holte ich meine alten Aufzeichnungen heraus und weiß jetzt erst, daß diesen Angaben ein tief bedeutsamer Wert beizulegen, der auch der nachfolgenden Erzählung eine außerordentlich historische Bedeutung verleiht.

Zunächst galt es natürlich, dem alten Arach-ben-Hassul darüber hinweg zu helfen, daß die Kordofaner und ich seine Erzählung durchaus nicht verstehen könnten, weil Kordofan in jener Zeit so ganz anders gewesen wäre als heute. Dies gelang natürlich auch, und dann erzählte er wenigstens die Geschichte des Unterganges von Kasch. Bemerkenswert ist, daß in dieser Erzählung dann aber eigentlich nicht Kasch, sondern Napht verfiel. Über dies Dilemma kam er nicht hinfort. Er wiederholte immer wieder, daß seine Erzählung den Untergang von Kasch betreffe, wenn auch von Napht die Rede sei.



Das Märchen vom Untergang von Kasch (Napht)

Vier Meleks (Könige) regierten in dem großen Reiche, der eine in Nubien, der zweite in Habesch, der dritte in Kordofan, der vierte in For. Der reichste von ihnen war der Nap von Napht(a) in Kordofan, dessen Hauptstadt in der Richtung von Hophrat-en-Nahas lag. Er war der Besitzer von allem Gold und Kupfer. Sein Gold und sein Kupfer wurde nach Nubien gebracht und von den großen Königen aus dem Westen geholt. Von Osten her kamen Gesandte auf Schiffen über das Meer, und im Süden herrschte der König über viele Völker, die für ihn Waffen aus Eisen schmiedeten und Sklaven sandten, die zu Tausenden am Hofe des Nap lebten.

Der Nap von Naphta war der reichste Mann auf der Erde. Sein Leben aber war das traurigste und kürzeste unter allen Menschen. Jeder Nap von Naphta durfte nämlich nur eine Reihe von Jahren sein Land regieren. Während seiner Regierung beobachteten jeden Abend die Priester des Landes die Sterne, brachten Opfer dar und entzündeten Feuer. Keinen Abend durften sie mit ihren Gebeten und ihren Opfern aussetzen, sonst verloren sie den Weg eines Sternes aus den Augen und wußten dann nicht, wann nach ihrer Vorschrift der König getötet werden mußte. So ging dies eine lange Zeit hindurch. So sahen einen Tag nach dem andern, jahraus jahrein, die Priester nach den Sternen und erkannten den Tag, an dem der König getötet werden mußte.



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Einmal war wieder der Tag des Todes eines Königs. Den Stieren waren die Hinterschenkel durchschlagen (Art der Opfertötung). Alle Feuer im Lande waren erloschen. Die Frauen waren in den Häusern eingeschlossen. Die Priester entzündeten das neue Feuer. Sie riefen den neuen König. Der neue König war der Sohn der Schwester des soeben getöteten. Der neue König hieß Akaf; dieser war es, unter dessen Regierung die alten Einrichtungen des Landes geändert wurden. Das Volk aber sagt, daß diese Änderung der Grund des späteren Unterganges von Napht war.

Die erste Handlung, die ein neuer Nap vorzunehmen hatte, war, zu bestimmen, wer ihn auf seinem Todeswege seiner Zeit zu begleiten habe. Der Nap wählte diese unter den Liebsten seiner Umgebung. Er mußte vor allem den ersten bestimmen, der der Führer der andern war. Nun hatte vor einiger Zeit ein König aus dem fernen Osten über das Meer her an den Hof von Naphta einen Mann gesandt, der berühmt war durch die Geschicklichkeit, Geschichten zu erzählen. Dieser Mann hieß Far-li-mas. Far-li-mas war so gerade als Sklave an den Hof des Nap gekommen. Der König Akaf hatte ihn gesehen. Far-li-mas gefiel dem König Akaf. Der König Akaf sagte: "Dieser soll mein erster Begleiter sein. Er wird mich in der Zeit bis zu meinem Ende durch seine Geschichten unterhalten. Er wird mich auch nach dem Tode froh machen."

Als Far-li-mas hörte, was der König beschlossen hatte, erschrak er nicht. Er sagte bei sich nur: "Gott will es."

In Naphta war damals der Brauch, daß ein ständiges Feuer unterhalten wurde, so wie heute noch in entlegenen Orten von For. Die Priester bestimmten zur Unterhaltung dieses Feuers stets einen Burschen und ein Mädchen. Die mußten das Feuer hüten und ein keusches Leben führen. Auch diese beiden wurden getötet, aber nicht mit dem König, sondern bei der Entzündung des neuen Feuers. Als nun das neue Feuer für den König Akaf entzündet wurde, bestimmten die Priester die jüngste Schwester des neuen Königs zur Hüterin des Feuers. Ihr Name war Sah (so wenigstens wird sie genannt; ihr ganzer Name war Sali-fu-Ham[r]). Als Sah hörte, daß die Wahl auf sie gefallen war, erschrak sie. Denn Sah hatte große Angst vor dem Tode.

Eine Zeitlang lebte der König glücklich und in großer Freude; denn er genoß die Reichtümer und Herrlichkeiten seines Landes; jeden Abend verbrachte er mit Freunden und mit Fremden, die als Gesandte in das Land Naphta gekommen waren. Eines Abends aber sandte Gott ihm den Gedanken, daß er mit jedem der fröhlichen Tage um einen Tag dem sicheren Tode näher gekommen war. Der König erschrak. Der König versuchte den Gedanken fortzuwerfen. Der König vermochte es nicht. Der König Akaf ward



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sehr traurig. Da sandte Gott ihm den zweiten Gedanken, Far-limas kommen und sich eine Geschichte erzählen zu lassen.

Far-li-mas wurde gerufen. Far-li-mas kam. Der König sagte: "Far-li-mas, heute ist der Tag gekommen, an dem du mich erheitern sollst. Erzähle mir eine Geschichte." Far-li-mas sagte: "Die Ausführung ist schneller als der Befehl." Far-li-mas begann zu erzählen. — Der König Akaf hörte. Die Gäste hörten. Der König und die Gäste vergaßen zu trinken. Sie vergaßen zu atmen. Die Sklaven vergaßen die Bedienung. Sie vergaßen zu atmen. Farli-mas Erzählung war wie Haschich. Als er geendet hatte, waren alle wie von einer wohltuenden Ohnmacht umfangen. Der König Akaf hatte seinen Gedanken an den Tod vergessen. Keiner der Anwesenden hatte gemerkt, daß Far-li-mas vom Abend bis zum Morgen erzählt hatte. Als die Gäste von dannen gingen, war die Sonne aufgegangen.

Am andern Tage konnten der König Akaf und seine Gäste kaum die Abendstunde erwarten, in der Far-li-mas eine Geschichte erzählen würde. Jeden Tag mußte Far-li-mas erzählen. Die Nachricht von den Märchen des Far-li-mas verbreitete sich am Hofe, in der Hauptstadt, im Lande. Far-li-mas aber erzählte in jeder Nacht besser. Der König schenkte ihm jeden Tag ein schönes Kleid, die Gäste und Gesandten schenkten ihm Gold und edle Steine. Far-limas ward reich. Wenn er durch die Straßen ging, folgte ihm ein Zug von Sklaven. Das Volk liebte ihn. Das Volk begann die Brust vor ihm zu entblößen.

Die Nachricht von den wunderbaren Erzählungen des Far-li-mas drang überall hin. Auch Sah hörte davon. Sah sandte zu ihrem Bruder, dem König, und bat ihn: "Laß mich einmal den Erzählungen des Far-hi-mas zuhören." Der König antwortete: "Erfüllung geht dem Wunsche voran." Sah kam. Sah wollte die Erzählung hören. Far-hi-mas sah Sah. Far-hi-mas verlor für einen Augenblick die Sinne. Far-li-mas sah nichts als Sah. Sah sah nichts als Far-hi-mas. Der König Akaf sagte: "Warum erzählst du nichts? Weißt du nichts mehr?" Far-li-mas riß die Blicke von Sah und begann zu erzählen. Far-hi-mas' Erzählung war erst wie Haschich, der eine leichte Betäubung hervorruft, dann aber wurde seine Erzählung wie Haschisch, die die Menschen durch Ohnmacht zum Schlafen führt. Nach einiger Zeit entschlummerten die Gäste, entschlummerte der König Akaf. Sie hörten die Erzählung nur noch im Traum, bis sie völlige Entrückung erfüllte. Nur Sah blieb offenen Auges. Ihre Augen hingen an Far-li-mas. Ihre Augen nahmen Far-hi-mas ganz in sich auf. Sah war ganz erfüllt von Far-li-mas.

Als Far-li-mas geendet hatte, erhob er sich. Sah erhob sich. Far-hi-mas ging auf Sah zu. Sah ging auf Far-hi-mas zu. Far-himas



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umfing Sah. Sah umschlang Far-li-mas und sagte: "Wir wollen nicht sterben." Far-li-mas lachte in Salis Augen und sagte: "Der Wille ist bei dir. Zeige mir den Weg." Sah sagte: "Laß mich jetzt. Ich suche den Weg. Wenn ich den Weg gefunden habe, rufe ich dich." Sah und Far-li-mas trennten sich. Der König und seine Gäste schliefen.

Am andern Tage ging Sah zu dem ersten Priester und sagte: "Wer bestimmt den Zeitpunkt, in dem das alte Feuer gelöscht und ein neues entzündet wird?" Der Priester sagte: "Das bestimmt Gott." Sah fragte: "Wie teilt euch Gott seinen Willen mit?" Der Priester sagte: "Wir betrachten jeden Abend die Sterne. Wir verlieren sie nie aus den Augen. Wir sehen den Mond jede Nacht und wissen von einem Tag zum andern, wie jener Stern zum Mond oder vom Monde weggeht. Daraus wissen wir die Stunde." Sah sagte: "Jede Nacht müßt ihr das tun? Was geschieht denn, wenn ihr in einer Nacht nichts gesehen habt?" Der Priester sagte: "Wenn eine Nacht nichts zu sehen ist, müssen wir Opfer darbringen. Wenn wir viele Nächte hindurch nichts sehen würden, könnten wir uns nicht zurecht finden." Sah sagte: "Könntet ihr dann nicht mehr den Zeitpunkt des Feuerlöschens erfahren?" Der Priester sagte: "Nein, dann könnten wir nicht mehr tun, was unseres Amtes ist."

Sah sagte: "Gottes Werke sind groß. Das größte ist aber nicht seine Schrift am Himmel. Sein größtes ist das Leben auf der Erde. Ich habe es vorige Nacht erkannt." Der Priester sagte: "Was meinst du?" Sah sagte: "Gott gab Far-hi-mas die Gabe zu erzählen, wie solches noch nie geschehen ist. Das ist größer als die Schrift am Himmel." Der erste Priester sagte: "Du hast unrecht." Sah sagte: "Den Mond und die Sterne kennst du. Hast du denn aber auch die Erzählungen des Far-li-mas gehört?" Der Priester sagte: "Nein, ich habe sie nicht gehört." Sah sagte: "Wie kannst du denn ein Urteil aussprechen? Ich sage dir, daß auch ihr alle beim Zuhören vergessen werdet, nach den Sternen zu sehen." Der erste Priester sagte: "Schwester des Königs, du behauptest." Sah sagte: "So beweise mir, daß ich unrecht habe, daß die Schrift am Himmel größer und stärker ist als das Leben auf der Erde." Der Priester sagte: "Ich werde es beweisen."

Der erste Priester sandte zum König Akaf und ließ ihm sagen: "Erlaube den Priestern, heute abend in dein Schloß zu kommen und den Erzählungen des Far-hi-mas vom Untergang der Sonne bis zum Aufgang der Sonne zuzuhören." Der König Akaf antwortete: "Es ist mir recht." Sah sandte zu Far-li-mas und ließ ihm sagen: "Heute mußt du erzählen wie gestern. Das ist der Weg."

Als es Abend war, versammelte der König Akaf seine Gäste und die Gesandten. Sah kam und setzte sich zu ihm. Die sämtlichen



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Priester kamen. Sie entblößten den Oberkörper und warfen sich nieder. Der erste Priester sagte: "Die Erzählungen dieses Far-limas sollen das herrlichste Werk Gottes sein." Der König Akaf sagte: "Entscheidet es selbst." Der erste Priester sagte: "Verzeihe es, o König, wenn wir beim Aufgang des Mondes dein Haus verlassen, um unseres Amtes zu walten." Der König Akaf sagte: "Tut, wie es Gottes Wille ist." Die Priester ließen sich nieder. Alle Gäste und Gesandten ließen sich nieder. Der Saal war gefüllt von Menschen. Far-li-mas bahnte sich zwischen ihnen den Weg. Der König Akaf sagte: "Beginne, mein Todesgenosse."

Far-li-mas blickte auf Sah. Sah blickte auf Far-li-mas. Der König Akaf sagte: "Weshalb erzählst du nicht. Weißt du nichts mehr ?" Far-li-mas ließ den Blick von Sah. Far-li-mas begann. Er hub mit seiner Erzählung an, als die Sonne unterging. Seine Erzählung war wie Haschisch, der umnebelt und entrückt. Seine Erzählung ward wie Haschisch, der die Ohnmacht bringt. Seine Erzählung ward wie Haschisch, der in ertötende Ohnmacht versenkt. Als der Mond aufging, lag der König Akaf mit seinen Gästen und den Gesandten in Schlummer, lagen alle Priester in tiefem Schlafe. Nur Sah wachte und zog mit den Blicken stets süßere Worte von Far-li-mas' Lippen.

Far-li-mas endete. Er erhob sich. Far-hi-mas schritt auf Sah zu. Sah schritt auf Far-hi-mas zu. Sah sagte: "Laß mich diese Lippen küssen, von denen so süße Worte kommen." Sie sogen sich fest an den Lippen. Far-li-mas sprach: "Laß mich diese Gestalt umschlingen, deren Anblick mir die Kraft gibt." Und sie umschlangen sich mit Armen und Beinen und lagen wachend zwischen all den vielen Schlummernden und waren glücklich bis zum Zerbrechen des Herzens. Sah aber jubelte und sprach: "Siehst du den Weg?" Far-limas sagte: "Ich sehe ihn." Sie gingen von dannen. Im Schloß blieben nur die Schlafenden.

Am andern Tage kam Sah zu dem ersten Priester und fragte ihn: "Sage mir nun, ob du ein Recht dazu hattest, meine Worte zu verurteilen." Der Priester sagte: "Ich gebe dir heute noch keine Antwort. Wir werden dem Manne Far-li-mas noch einmal zuhören. Denn gestern waren wir nicht gehörig vorbereitet." Sah sagte: "Es ist recht so." Die Priester begingen die sämtlichen Opfer und Gebete. Vielen Ochsen wurden die Fesseln durchgeschlagen. Den ganzen Tag über wurden die Gebete im Tempel nicht unterbrochen. Am Abend kamen wieder alle Priester in den Palast des Königs Akaf. Am Abend saß Sah wieder bei ihrem Bruder, dem König Akaf. Am Abend begann Far-hi-mas wieder seine Erzählung. Und ehe noch der Morgen graute, waren alle: der König Akaf, seine Gäste, die Gesandten und die Priester in Verzückung und Zuhören eingeschlafen.



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In ihrer Mitte aber saßen Sah und Far-li-mas, und sie sogen Glück aus ihren Lippen und umschlangen sich mit Armen und Beinen. Einen Tag nach dem andern geschah solches.

Im Volke hatte sich erst die Nachricht verbreitet von den Erzählungen des Far-li-mas. Nun zog das Gerücht um, daß die Priester des Nachts ihre Opfer und Gebete vernachlässigten. Große Unruhe bemächtigte sich aller. Eines Tages begegnete ein angesehener Mann der Stadt dem ersten Priester. Der angesehene Mann sagte zu dem Priester: "Wann feiern wir das nächste Fest dieses Jahres? Ich möchte eine Reise unternehmen und zu dem Feste wieder zurückkehren. Wie weit sind wir von dem Feste entfernt?" Der Priester war verlegen. Seit vielen Tagen hatte er den Mond und die Sterne nicht mehr gesehen. Er wußte über ihren Lauf nichts. Der Priester sagte: "Warte noch einen Tag, dann werde ich es dir sagen." Der angesehene Mann sagte: "Ich danke dir. Morgen werde ich zu dir zurückkehren."

Der erste Priester rief seine Priester zusammen und fragte: "Wer von euch hat in der letzten Zeit den Lauf der Sterne gesehen?" Es antwortete keiner unter allen Priestern; denn alle hatten den Erzählungen des Far-li-mas gelauscht. Der erste Priester fragte wieder: "Ist denn nicht ein einziger unter euch, der den Lauf der Gestirne und den Stand des Mondes gesehen hat?" Alle Priester schwiegen, bis ein ganz alter unter ihnen sich erhob und sagte: "Wir alle lagen in Verzückung vor Far-li-mas. Keiner wird dir sagen können, an welchen Tagen die Feste zu halten sind, wann das Feuer zu löschen und wann es neu zu entzünden ist." Der erste Priester entsetzte sich und sagte: "Wie konnte das geschehen? Was soll ich zum Volke sagen?" Der alte Priester sagte: "Es ist Gottes Wille. Wenn dieser Far-li-mas aber nicht von Gott gesandt wurde, so lasse ihn töten. Denn solange er lebt und spricht, wird ihm alles zuhören." Der erste Priester sprach: "Was soll ich den Menschen sagen?" Da schwiegen alle und gingen auseinander.

Der erste Priester ging zu Sah. Er sprach zu ihr: "Welches Wort sagtest du am ersten Tage ?" Sah sagte: "Ich sagte: ,Gottes Werke sind groß. Das größte ist aber nicht seine Schrift am Himmel, sondern das Leben auf der Erde.' Du schaltest mein Wort ,Unrecht'. Sage mir nun heute, ob ich log." Der Priester sagte: "Farli-mas ist wider Gott. Far-hi-mas muß sterben." Sah sagte: "Farli-mas ist der Todesgenosse des Königs Akaf." Der Priester sagte: "Ich werde mit dem König Akaf sprechen." Sah sagte: "Gott ist in meinem Bruder, dem König Akaf. Frage ihn nach seinen Gedanken."

Der erste Priester kam zum König Akaf; dessen Schwester Sah



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saß bei ihm. Der Priester enthüllte sich vor dem König Akaf, warf sich vor ihm nieder und sprach: "Verzeih mir, König Akaf!" Der König sagte: "Sage mir, was an dein Herz rührt." Der Priester antwortete: "Sprich zu mir von deinem Todesgenossen, von diesem Far-li-mas." Der König sagte: "Erst sandte mir Gott den Gedanken an den näher rückenden Tag meines Todes, und ich erschrak. Dann sandte Gott mir die Erinnerung an diesen Far-li-mas, der mir als Gabe gesandt wurde aus dem Lande im Osten jenseits des Meeres. Mit dem ersten Gedanken verdüsterte Gott meinen Verstand. Mit dem zweiten erheiterte er mein Gemüt und machte mich und alle andern glücklich! Deshalb gab ich dem Far-li-mas viele Kleider. Meine Freunde gaben ihm Gold und edle Steine. Er verteilte viel unter dem Volk. Er ist reich, wie ihm gebührt, und das Volk liebt ihn wie ich." Der erste Priester sprach: "Far-li-mas muß sterben. Far-li-mas zerreißt die Ordnung." Der König Akaf sprach: "Ich sterbe vor Far-li-mas." Der erste Priester sprach: "Gott wird in dieser Sache entscheiden." Der König Akaf sprach: "So ist es. Alles Volk soll es sehen." Der erste Priester ging. Sah sprach zum König Akaf: "König Akaf, mein Bruder, der Weg ist nahe dem Ende. Der Genosse deines Todes wird der Erwecker deines Lebens sein; ich aber fordere ihn als das Glück meines Daseins." Der König Akaf sagte: "So nimm ihn denn, meine Schwester Sah."

Boten gingen durch die Stadt und riefen in allen Quartieren aus, daß Far-li-mas heute abend auf dem großen Platze vor allem Volke sprechen würde. Auf dem großen Platze zwischen dem Palast des Königs und den Häusern der Priester war ein verhüllter Stuhl für den König errichtet. Als es Abend war, strömte von allen Seiten das Volk zusammen und lagerte in der Runde. Tausende und aber Tausende von Menschen waren versammelt. Die Priester kamen und lagerten sich. Die Gäste und Gesandten kamen und ließen sich nieder. Sah setzte sich neben dem verhüllten König Akaf nieder. Far-li-mas ward gerufen.

Far-hi-mas kam. Alle Diener des Far-li-mas kamen hinter ihm her. Sie alle waren in glänzende Gewänder gehüllt. Die Diener des Far-hi-mas ließen sich gegenüber den Priestern nieder. Far-li-maß warf sich vor dem König Akaf nieder. Dann nahm er seinen Platz ein.

Der erste Priester erhob sich und sprach: "Far-li-mas hat die Ordnung in Naphta zerrissen. Diese Nacht wird es zeigen, ob dies Gottes Wille war." Der Priester setzte sich. Far-li-mas erhob sich. Er blickte Sah in die Augen. Far-li-mas ließ von Sah und schaute über die Menge. Far-li-mas schaute über die Priester. Far-li-mas sprach: "Ich bin ein Diener Gottes und glaube, daß ihm alles Böse im Herzen der Menschen zuwider ist. In dieser Nacht wird Gott entscheiden."



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Far-li-mas begann seine Erzählung. Die Worte aus dem Munde des Far-li-mas waren erst süß wie Honig. Seine Stimme durchdrang die Menschen wie der erste Sommerregen die dürstende Erde. Von Far-li-mas' Mund ging ein Duft aus, feiner als Moschus und Weihrauch. Das Haupt des Far-li-mas erglänzte wie ein Licht, wie die einzige Leuchte in der schwarzen Nacht. Far-li-mas Erzählung war erst wie Haschisch, der den Wachenden beglückt. Dann ward sie wie Haschisch, der den Träumer umnächtigt. Gegen Morgen aber erhob Far-li-mas die Stimme. Sein Wort schwoll wie der steigende Nil in die Herzen der Menschen. Sein Wort ward für die einen beruhigend wie der Eintritt in das Paradies, für die andern aber erschreckend wie die Erscheinung Azrails (des Todesengels). Glück erfüllte die Gemüter der einen, Entsetzen die Herzen der andern. Je näher der Morgen kam, desto gewaltiger stieg die Stimme, desto lauter ward der Widerhall in den Menschen. Die Herzen der Menschen bäumten gegeneinander auf wie im Kampf. Sie stürmten gegeneinander wie die Wolken am Himmel in einer Gewitternacht. Blitze des Zornes und Schläge der Wut trafen einander.

Als die Sonne aufging, endete die Erzählung des Far-li-mas. Unsagbares Erstaunen erfüllte den verwirrten Verstand der Menschen. Denn als die Lebenden um sich sahen, fiel ihr Blick auf die Priester. Die Priester lagen tot am Boden.

Sah erhob sich. Sah warf sich vor dem König nieder. Sah sprach: "König Akaf, mein Bruder, Gott hat entschieden. Der Weg ist zu Ende. O König Akaf, mein Bruder, wirf nun den Schleier von dir, zeige dich deinem Volke und vollziehe nun du das Opfer; denn diese hier hat Azrail auf den Befehl Gottes hingemäht." Die Diener nahmen die Hüllen vom Throne. König Akaf erhob sich. Er war der erste König, den das Volk von Naphta sah. Der König Akaf war aber schön wie die aufgehende Sonne.

Das Volk jubelte. Ein weißes Pferd ward herbeigeführt, das bestieg der König. Zu seiner Linken ging seine Schwester Sahi-fu-Hamr, zu seiner Rechten ging Far-hi-mas. Der König ritt zum Tempel. Der König ergriff im Tempel die Hacke und schlug in den heiligen Boden drei Löcher. In die warf Far-li-mas drei Saatkörner. Der König schlug in den heiligen Boden zwei Löcher. In die warf Sah zwei Saatkörner. Allsogleich keimten die fünf Saatkörner und wuchsen vor den Augen des Volkes. Am Mittag waren an allen fünf Pflanzen die Ähren reif. In allen Gehöften der Stadt durchschlugen die Väter großen Stieren die Fesseln. Der König löschte das Feuer. Alle Väter der Stadt löschten die Feuer auf den Herden. Sah entzündete ein neues Feuer, und alle Jungfrauen kamen und nahmen davon.



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Seitdem wurden in Naphta keine Menschen mehr getötet. König Akaf war der erste König in Napht, der so lange lebte, bis es Gott gefiel, ihn in hohem Alter zu sich zu nehmen. Als er starb, ward Far-li-mas sein Nachfolger. Mit diesem aber erreichte Naphta die Höhe des Glückes und sein Ende.

Denn der Ruf des Königs Akaf als eines weisen und wohlberatenen Fürsten verbreitete sich bald durch alle Länder. Alle Fürsten sandten ihm Geschenke und kluge Männer, um sich Rat zu holen. Alle großen Kaufleute ließen sich in der Hauptstadt von Naphta nieder. Der König Akaf hatte auf dem Meer im Osten große und viele Schiffe, die die Erzeugnisse Naphtas in alle Welt hinaustrugen. Die Gruben von Naphta konnten nicht genug Gold und Kupfer liefern, um stets die Ladungen voll zu machen. Als Far-li-mas dem König Akaf folgte, stieg das Glück des Landes auf das höchste. Sein Ruhm erfüllte alle Länder vom Meere des Ostens bis zum Meere des Westens. Aber mit dem Ruhm keimte auch der Neid in den Herzen der Menschen. Als Far-li-mas gestorben war, brachen die Nachbarländer die Bündnisse und begannen mit Naphta Kriege. Naphta unterlag. Naphta wurde zerstört und damit das stärkste Schloß in dem großen Reiche. Das große Reich zerfiel in Stücke. Es wurde von wilden Völkern überschwemmt. Die Menschen vergaßen die Kupfer- und die Goldgruben. Die Städte verschwanden.

Von der Zeit Naphtas blieb nichts übrig als die Erzählungen Farli-mas, die dieser vom Lande jenseits des Meeres im Osten mitgebracht hatte.

Das ist die Geschichte vom Untergang des Landes Kasch, dessen letzte Kinder im Lande For leben.


Die Kordofaner Märchen

Es war stets mein Bestreben, nicht nur die Märchen und Erzählungen der Völker, unter denen ich lebte, zu hören und aufzuzeichnen, sondern auch allem nachzuspüren, was ich von der eigenen Meinung der Erzähler über die Herkunft und die Entstehung ihrer Volksdichtung etwa in Erfahrung bringen konnte. Allerhand Klares und Durchsichtiges kam hierbei ans Tageslicht. Etwas so Eigenartiges wie die Erzählung des Foraners Arach-ben-Hassul ist mir aber weder vorher noch nachher in die Sammelmappen gekommen. Denn entweder hat dieser Bericht für das Verständnis der nachfolgenden Erzählungen eine unermeßliche oder aber gar keine Bedeutung, d. h. entweder ist der Zusammenhang mit der Kunst des Märchenerzählens wirklich hiermit gegeben, will sagen,



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ist in irgendeiner Richtung ein tatsächlich Historisches, oder es ist ein durch Volksdichtung künstlich Hergestelltes.

Diese Frage geht nun aber nicht etwa nur die Märchen der Kordofaner an. Die Beantwortung dieser Frage kann auch noch ganz andere Tiefen aufklären. Denn der Stil, die Vortragsweise und die Bauweise der Kordofaner Märchen hat eine auffallende Ähnlichkeit mit denen von Tausendundeiner Nacht, einer Sammlung, die bekanntlich zum ersten Male in Agypten aufgezeichnet wurde, deren weitaus meiste und beste Stücke aber nicht aus Agypten stammen. Die Ähnlichkeit dieser berühmtesten unter allen Märchensammlungen und dieser aus Kordofan ist eine erstaunliche, und um so verblüffender ist es mir, daß ich an keiner Stelle eine direkte Übertragung oder Nacherzählung an den wirklich bodenständigen Märchen Kordofans erkennen kann. Wenn nun wirklich keine der beiden Arten von der andern abstammt, so ist nur noch eine Samenverwandtschaft örtlicher oder zeitlicher Natur denkbar. Sollte die Erzählung des Foraners also auf irgendeiner historischen Tatsächlichkeit beruhen, so ist damit zweifellos auch ein Beitrag zur Urgeschichte von Tausendundeiner Nacht gegeben. Ein zweiter Grund, die Erzählung des Foraners fest ins Auge zu fassen.

Vergegenwärtigen wir uns kurz die geographischen, dann die zeitlichen und drittens die kulturgeschichtlichen Angaben, die das Märchen oder besser die Sage bietet.

An geographischen Angaben haben wir erstens Napht oder Naphta, das im Lande Kordofan, und zwar mit seiner Hauptstadt nach Süden hin den Kupferminen zu gelegen haben soll. Dann wird von For als dem heute noch bestehenden Land, dann von Nubien, von Ägypten (= Masr) und Abessinien gesprochen. Wie gesagt, ist eigentlich von Kasch, dessen Untergang der Foraner hier motivieren will, dem äußern Anschein nach nicht die Rede. Nun muß es auffallen, daß im ersten Satz der Erzählung von Napht nicht die Rede ist, sondern nur von Kordofan, und daß im zweiten Satz Napht nach Kordofan versetzt oder gar mit ihm identifiziert wird. Nun muß jedem Kenner der Geschichte dieser Länder sogleich dieser Name Napht auffallen. Er erinnert allzu sehr an das Napata der Alten, das Land, aus dem den alten Agyptern das Gold zufloß und dessen Name fraglos mit ägyptisch nubt = Gold zusammenhängt. Hier heißt es nun vom König von Napht: "Er war der Besitzer von allem Gold und Kupfer." Dabei wird auf die tatsächlich vorhandenen, heute verfallenen, meist aber sicherlich einmal großartig gewesenen Kupfergruben von Hophrat-en-Nahas hingewiesen. Halten wir uns an diese Tatsächlichkeit, so ergibt sich, daß das Napht des Märchens sehr wohl ein Tributär des einst und eine so lange Zeit hindurch mächtig gewesenen Königreichs Napata-Meroe südlich Nubiens gewesen sein kann.



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Ist dem so gewesen, dann wäre das geographische Bild auf afrikanischem Boden geklärt und die Summe der geographischen Angaben aller Widersprüche behoben. Denn auch der Name Kasch, der nur in der Voranzeige, nicht aber im Innern der Sage vorkommt, ist dann leicht erklärt. Wie ich auf 5. 9 geschildert habe, bin ich über diesen Namen mit dem Foraner beinahe in Streit geraten. Heute bin ich der Ansicht, daß ich hierbei doch wohl der Dumme oder wenigstens Unbeholfene gewesen bin. Denn "das große Reich", das im ersten Satze wie am Ende des drittletzten Absatzes vorkommt, und auf das ich damals nicht achtete, ist augenscheinlich das Reich Kasch. Bedenken wir nun, daß die Sage vier Könige in diesem Reiche erwähnt, nämlich die von Nubien, Abessinien, Kordofan (mit Napht) und Dar For, so ist es sehr gut denkbar, ja bis auf das letztgenannte Land sicher, daß wir in der Tat ein Gebiet vor uns haben, das im Altertume von kaschitischen oder kuschitischen Völkern bewohnt war. Dazu wäre noch zu bemerken, daß die alten Ägypter sicher nicht stets so wütend von "dem elenden Kusch (oder Kasch)" gesprochen haben würden, wenn in ihm nicht kulturelle oder natürliche Überlegenheiten wirksam gewesen wären, die den Ägyptern fehlten und diese zu jahrhundertelang durchgeführten Kämpfen mit dem kaschitischen Vorwerk Nubien veranlaßten.

Nun kommt aber noch ein geographisches Moment als sehr wichtig in Betracht: das Land der Herkunft des Helden der Erzählung, des Far-li-mas. Dieser, der Bringer der Märchen, kam aus dem Lande jenseits des Meeres im Osten. Far-li-mas hatte also seine Heimat nicht in Afrika, sondern jenseits des Roten Meeres. Wo dieses Land zunächst gesucht werden muß, ergibt sich sehr einfach, wenn wir uns den reichen Inhalt zur Bestimmung des Alters der darin geschilderten Sitten untersuchen.

Der Ausgangspunkt der Erzählung ist der "rituelle Königsmord", über den ich ja oben schon kurz gehandelt habe und der bei einigen Stämmen dieser Länder ja heute erst jüngst als Sitte ausgestorben ist. Er wurde im Altertum auch bei den kaschitischen Völkern am obern Nil, in Meroe-Napata, geübt, und Diodor, des Sizilianers Erzählung vom Ende dieser Sitte*, erinnert stark an unsere Erzählung. 

* Diodor 1 S. 316 (Kap. VI). Das allerseltsamste ist die Todesart ihrer Könige. Die Priester, welche in Meroe den Dienst und die Verehrung der Götter besorgen und den größten und vornehmsten Rang haben, schicken, wenn es ihnen einfällt, einen Boten an den König, und erteilen ihm den Befehl, zu sterben. Denn, sagen sie, die Götter hätten ihnen dies durch ein Orakel offenbart, und ein Befehl der Unsterblichen dürfe von keinem Sterblichen verachtet werden. Hierzu fügen sie noch andere Gründe, welche ein Herz, das in alten und schwer zu tilgenden Vorurteilen aufgewachsen ist, und keine Gründe hat, die es diesen willkürlichen Befehlen entgegensetzen kann, in ehrlicher Einfalt annimmt. In den ältern Zeiten gehorchten die


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Ferner wird dies Sittenbereich und die Weltanschauung charakterisiert durch ein Priestertum, das die Sterne und den Lauf des Mondes, sowie seine Konstellation beobachtet, durch das heilige Feuer, das mit dem Tode und der Neubestattung des Königs gelöscht resp. entzündet wird, durch königliche Feldbestellung als Kultushandlung, durch den Brauch des vom König erkorenen Todesgenossen usw., und nicht zuletzt durch die starken matriarchalischen Züge.

Dies alles ist durchaus organisch zusammengehörig. Das Bild ist ohne jede Kompliziertheit einfach. Vom letzten Punkt ausgehend, sehen wir zunächst in Sah eine weibliche Persönlichkeit und in ihrer Handlung als solcher eine solche Freiheit, wie sie die Frauen dieser Länder seit Jahrhunderten nicht mehr besitzen. Sie paßt aber durchaus in eine Zeit, in der die Schwester eines Königs oder dessen Tochter, nicht aber der Sohn des Herrschers dessen Nachfolger wird. Das ist nicht nur erlöschendes (wie heute noch vielfach zu beobachten) oder nur formales Matriarchat. Es ist die Form, die seiner Zeit um die Küsten des Roten Meeres, in Südarabien wie an der Westküste Ostindiens heimisch war. Wenn dazu nun noch ins Auge gefaßt wird, daß in genau den gleichen Ländern früher auch der rituelle Königsmord geübt wurde, so ist damit der Bereich umschrieben, in dem außerhalb Afrikas kaschitische Kultur blühte. Es ist das um die nördlichen Randländer des Indischen Ozeans heimische östliche Kasch, im Gegensatz zu dem auf afrikanischem Boden eingesiedelte westliche Kasch.

Dieses östliche Kasch hatte im Altertum eine heute nur erst von wenigen geahnte Kulturbedeutung. Babylon wie Ägypten empfingen von ihm aus reichen Kulturzufluß. Besonders das südliche (glückliche) Arabien, das Heimatland des Weihrauchs, besaß bedeutenden Einfluß. Uns wird dieses sofort klar, wenn wir bedenken, daß hier auch das Königreich lag, durch dessen Schätze Judäa so reich wurde.

Als wir nun im Jahre 1915 langsam durch das Rote Meer strichen und ich manche Stunde mit den arabischen Schiffsleuten verplauderte, hörte ich von einer anscheinend weitverbreiteten Ansicht, die vielleicht dazu beiträgt, hier mancherlei aufzuklären. Meine



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Könige den Priestern, nicht durch Waffen oder Gewalt überwunden, sondern weil ihre Vernunft unter der Gewalt des Aberglaubens stand. Allein zur Zeit Ptolomäus II. wagte es Ergamenes, König der Äthiopier, der eine griechische Erziehung erhalten und sich auf die Philosophie gelegt hatte, zuerst diesen Befehl zu verachten. Mit einem aufgeklärten, des Thrones würdigen Edel.. mute, drang er mit seinen Soldaten in den unzugänglichen Ort, wo der goldene Tempel der Äthiopier war, brachte die Priester alle um, hob diese Gewohnheit auf und richtete alles nach seinem Gutdünken ein.


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Gewährsmänner behaupteten nämlich steif und fest, alle Märchen von Tausendundeiner Nacht wären zuerst in Hadramaut (Südarabien) erzählt worden und hätten sich von dort aus über die Erde ausgedehnt. Ganz besonders nahmen sie für sich die Geschichte von Sindbad dem Seefahrer in Anspruch.

Ob dieses im Speziellen berechtigt ist, vermag ich nicht zu entscheiden. Für viele Märchen mag es zutreffen. Daß aber Südarabien, das Mittelland des östlichen Kasch, ein Heimatland der Erzählerkunst ist, das ist mir sicher, und wenn ich mich an der Hand dieser Tatsache für ein Land entscheiden soll, das mir als das Gegebene für die Herkunft des Märchenerzählers Far-li-mas erscheint, so ist dies in der Tat Südarabien.

Wenn dieser Annahme nichts widerspricht, so darf ich zum zweiten wohl auch die Meinung äußern, daß nicht nur dieser mystische Märchenerzähler, sondern auch der größte Teil der in Kordofan kursierenden und der von mir hier wiedergegebenen Märchen aus Südarabien stammt und nur seine letzte Form in Kordofan angenommen hat.

Nun kurz noch die letzte Frage, in welcher Zeit dieser Kulturzufluß von Südarabien, dem Hauptlande des östlichen Kasch, nach dem Innern des westlichen afrikanischen Kasch stattgefunden hat. — Kaschitische Kulturzuflutungen nach Nordostafrika haben seit langem, vielleicht durch Jahrtausende, in ständigem Fließen bald abflauend, bald anschwellend stattgefunden. Zwischen jenen, die den rituellen Königsmord nach Afrika trugen und jenen, die das letzte Reich in Abessinien gründeten, verstrichen viele Menschenalter.

Zunächst müssen wir uns an ein nachher und an ein vorher halten. Sicherlich hat der Typus der Erzählungen mit dem alten Napata-Meroe nichts zu tun. In jener Zeit erzählte sich das Volk andere Geschichten. In der klassischen Zeit des Altertums war dieser Stil noch nicht erreicht. Ich setze also das post nach dem Altertum. Das ante gewinnen wir durch die Tatsache, daß die neu zugewanderten Stämme, die heute wie ein Riegel zwischen Kordofan und dem Roten Meer lagern, nichts von solchen Märchen wissen.

Es bleibt nur also der Raum zwischen dem 8. Jahrhundert (Abschließung Napata-Nubiens durch den Islam) und dem 14. Jahrhundert. Dieser Zeitraum stimmt sicherlich annähernd. Denn dies ist die Zeit, in der auch in Agypten, Persien und Indien an den Höfen das Märchenerzählen Sitte wurde. Aus dem Anfange dieser Zeit, nämlich aus dem 10. Jahrhundert, ist uns auch die erste Niederschrift von Tausendundeiner Nacht bekannt, ohne daß es bis heute gelungen wäre, dessen erste indische und persische Fassung in Augenschein zu gewinnen.



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Mit Tausendundeiner Nacht hat aber die Einführungserzählung des Foraners Arach-ben-Hassul eine frappierende Ähnlichkeit. In Tausendundeiner Nacht errettet sich die schöne Schahrazad durch Märchenerzählen von dem Tode. In der Sage Arach-ben-Hassuls wird durch das Märchenerzählen der Held, seine Geliebte und der König vom Tode errettet, wobei allerdings auch hier das Weib, die Prinzessin Sah, geistige Urheberin der Unternehmung ist.

Zu dieser frappierenden Übereinstimmung sei es mir gestattet, dieser Erzählung sogar dem köstlichen Tausendundeiner Nacht gegenüber ein überordnendes Eigenlob auszusprechen: Die Erzählung von Far-li-mas, dem Manne aus dem Lande jenseits des östlichen Meeres, ist feiner gesponnen als die von der schönen und gewandten Schahrazad.

Erzählt der Afrikaner besser? Wohl kaum! Oder ist dies eine ältere, noch nicht so abgegriffene und durch viele indische, persische und ägyptische Umerzählung abgeschliffene Urfassung?



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KARTE DER LÄNDER UM KORDOFAN


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EINAKTER



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1. Glück und Verstand*

Eines Tages gingen Sad (das Glück) und Agel (der Verstand) zusammen den Weg dahin und sprachen miteinander. Sad sagte: "Ich bin der beste Freund der Menschen." Agel sagte: "Ich denke nicht so, ich glaube, ich bin der beste Freund der Menschen." Sad sagte: "Wir wollen es versuchen." Agel sagte: "Wir wollen die Menschen entscheiden lassen." Sie gingen beide weiter.

Sie kamen zu einer Farm, auf der arbeitete ein Mann, der war jung und schön, aber er war sehr arm, so daß es ihm schwer fiel, das Essen des Tagesbedarfs immer zu verdienen. Sad und Agel traten zu dem Manne und sagten: "Wir sind ,das Glück' und ,der Verstand'. Welchen von uns beiden willst du lieber zum Freund haben?" Der Bursche sagte bei sich: "Ich habe einen leeren Magen und großen Hunger, den Kopf aber so schon voller Gedanken. Wie soll ich nun noch mehr Verstand aufnehmen und anwenden, wenn ich nicht das Glück habe, den Hunger stillen und den Magen füllen zu können?" Der Bursche sagte: "Ich will lieber dich, Sad (das Glück), zum Freund haben." Sad und Agel grüßten den Mann und gingen weiter. Sad sagte: "Ich will nun dem Manne wirklich Freund sein." Agel sagte: "Ich werde mich ihm aber fernhalten."

Der hübsche Bursche blickte den beiden Freunden nach, bis sie nicht mehr zu sehen waren, und dann begann er wieder zu arbeiten. Kaum aber schlug die Schaufel wieder in die Erde, so gab es einen hellen Klang, und als der Bursche seinem Ursprung nachforschte, sah er, daß er einen großen Schatz und viel Gold gefunden hatte. Sogleich nahm er einiges davon, lief zur Stadt, kaufte sich schöne Kleider und Sklaven und Pferde, ging in prächtigem Aufzuge zum Acker zurück und lud den ganzen Schatz auf einen starken Esel, der mit schönen Decken geschmückt war. Der schöne Bursche bestieg sein Pferd, setzte sich dann an die Spitze des Zuges und ritt der Stadt wieder zu. Inzwischen aber hatte der Melik des Landes auch sein Pferd satteln lassen und ritt an der Spitze eines langen Zuges von Sklaven und Reitern ins Freie hinaus. So begegneten sich der König und der schöne Bursche, und der Bursche stieg sogleich ab und führte dem König den schön gezäumten Esel mit dem Schatze darauf als Geschenk zu. Als der König den Aufzug und den Schatz und den schönen Jüngling sah, glaubte er nicht anders, als dieser müsse auch ein König sein, der mit diesem Geschenk gekommen 

*Angeblich eingeführt aus der Gegend von Assuan.


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sei, ihn zu besuchen und seine Tochter zur Frau zu gewinnen. Denn die Tochter des Meliks war ihrer ungewöhnlichen Schönheit wegen berühmt.

So stieg denn der König auch vom Pferd, begrüßte den andern und führte ihn in die Stadt und in seinen Palast. Er ließ ihm ein schönes Haus zuweisen und gab ihm nach wenigen Tagen seine Tochter zur Frau. Damit der schöne Mann, seiner vermuteten hohen Stellung nach, aber auch gewohnheitsgemäß gut wohne, ließ der Melik für ihn und seine Tochter ein schönes Haus mit reicher Ausstattung herrichten, in das er am Tage der Hochzeit eingeführt wurde. Als der schöne Jüngling aber das Haus betrat und die Pracht der Teppiche und des Silberschmuckes sah, geriet er vor Verwunderung über den ungewohnten Anblick solchen Reichtums in Bestürzung und taumelte zurück. Die Boten des Königs, die den Jüngling hereingeführt hatten, sahen aber solches Benehmen mit Verwunderung und liefen sogleich zum König hinüber, ihm hierüber Bericht zu erstatten.

Als der König von den deutlichen Zeichen der Verblüfftheit seines schönen Schwiegersohnes hörte, sagte er: "Dieser junge Mann ist sicherlich größern Reichtum und größere Pracht gewöhnt. Sagt ihm also, dies wäre nur ein vorläufiges Unterkommen für ihn und meine Tochter, und ich würde sogleich ein prächtigeres Haus für ihn errichten lassen." Seinen Worten gemäß ließ der König dann so schnell als möglich ein größeres und viel prunkvolleres Haus bauen und ausschmücken. Als man seinen Schwiegersohn aber da hineinführte, packte ihn die Bestürzung über solche Herrlichkeit genau so wie das erste Mal. Und der König, dem dies unverzüglich wieder hinterbracht wurde, glaubte nicht anders, als ob dies Haus eben auch noch nicht den Gewohnheiten und Ansprüchen seines Schwiegersohnes genüge.

Die Folge war, daß der König ein drittes, noch prunkvolleres Haus bauen ließ, bei dessen Betreten der Jüngling aber noch mehr erschrak. Und da weder der König noch irgendeiner seiner Ratgeber den wahren Grund dieses merkwürdigen Betragens erriet, so wurde ein viertes, ein fünftes und ein sechstes Haus gebaut, von denen eines immer köstlicher errichtet und ausgestattet war als das vorhergehende. Als der König aber vernahm, daß der Jüngling auch bei Besichtigung des sechsten Hauses kein anderes Benehmen an den Tag gelegt hatte, als bei der Besichtigung des vorhergehenden -da sagte er: "Gut denn! Dieser Jüngling unternimmt



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es, meine Geduld allzu scharf auszunützen. Ich will nun noch ein siebentes Haus bauen, dessen Herrlichkeit alles übertreffen soll, was man bisher gesehen hat. Wenn dem Jüngling dies auch nicht genügt, werde ich ihn töten lassen, trotzdem er ein Königssohn und mein Schwiegersohn ist."

So wurde denn das siebente Schloß gebaut und dabei an Pracht und Schmuck alle Kunstfertigkeit, die überhaupt denkbar ist, entfaltet. Am Tage nun als es fertig war und der Melik es selbst sehr befriedigt betrachtete und wiederum geäußert hatte, daß er den Jüngling töten wolle, wenn das Haus noch nicht genüge, kamen wieder Sad und Agel des Weges, und Agel (der Verstand) sagte: "Sieh, morgen wird dein Freund getötet werden, trotzdem du alles für ihn getan hast, was möglich war." Sad sagte: "Dies setzt mich allerdings in Erstaunen. Wir wollen ihn aufsuchen." Sad und Agel traten bei dem schönen Jüngling ein, welcher sehr traurig auf seinem Angareb lag, weil er gehört hatte, daß der König ihn morgen vielleicht töten lassen wolle, er sich aber nicht denken konnte, welches der Grund hierzu wäre. Als der schöne Jüngling nun Sad (das Glück) und Agel (den Verstand) eintreten sah, sagte er bei sich: "Mein Freund Sad hat mich in Gefahr gebracht. Ich muß sicher sterben, wenn ich nicht genügende Klugheit gewinne, diese Sache zu einem guten Ende zu führen." Also sagte der Jüngling zu Sad und Agel: "Ich freue mich unendlich, euch wiederzusehen. Ich bitte aber nunmehr Agel, mit mir Freundschaft zu schließen." Agel sagte: "Ich will sehen, wie weit ich dich bringen kann." Dann gingen Sad und Agel wieder fort.

Als der Jüngling nun am andern Morgen in den siebenten über alle Denkbarkeit köstlichen Palast geführt wurde, sagte er: "Seht, dies ist ein Palast, wie er unsern Gewohnheiten entspricht. So habe ich mir das Haus gedacht, in dem ich wohne, solange ich bei meinem Schwiegervater weile. Geht und sagt ihm meinen Dank." Die Leute eilten sogleich zum Melik und hinterbrachten ihm die Nachricht über das geänderte Benehmen seines Schwiegersohnes. Der Melik war darüber aber sehr froh und sagte: "Ich habe das Richtige getroffen und freue mich nun meines Schwiegersohnes doppelt. Wenn er in einigen Monaten in seine Vaterstadt zurückkehren will, so soll ihm das gern gestattet werden, und ich will ihm ein ganzes Heer von Soldaten und eine Flotte als Begleitung mitgeben."



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So geschah es. Nachdem der schöne Jüngling einige Monate bei seinem Schwiegervater gewesen war, bat er um die Erlaubnis, mit seiner Gemahlin in die Stadt seines Vaters zurückzukehren, und der König rief einen General und befahl ihm, den schönen Jüngling mit vielen Soldaten und Schiffen zu begleiten und unterwegs auszuführen, was der Jüngling wünsche. Der Schwiegersohn nahm dann von dem König Abschied, bestieg mit seiner Gemahlin ein prächtiges Schiff und fuhr an der Spitze der Flotte auf dem Flusse von dannen.

Nachdem sie nun lange, lange Zeit an vielen Plätzen dahingefahren waren, kamen sie an eine große, große Stadt, die sehr schön gebaut war und in der alle Welt in schöne Kleider gehüllt und mit prächtigem Schmuck geziert war. Als der schöne junge Mann das sah, sagte er zu dem General: "Dies ist die Stadt, die vorher meinem Vater gehört hat. Fremde Leute haben meine Familie vertrieben. Nun wollen wir die Stadt wieder einnehmen." Der General sagte: "Dieses ist eine Sache für mich!" Und der General griff die Stadt sogleich vom Wasser und vom Land her an, so daß sie bald eingenommen war.

So zog denn der schöne Jüngling bald in seine Stadt ein, und er mußte sich sagen, daß er selbst nicht einmal erhofft hatte, eine so herrliche Stadt zu finden. Als er aber durch das Tor seines Palastes ritt, fand er, daß eine Frau dahinter stand. Der schöne Jüngling fragte also die Frau: "Wer bist du? Was willst du hier?" Das Weib sagte: "Ich bin die Ginia (Maskul.: Aldjann?) Mariam Kuba und habe immer den Herren des Palastes gedient." Der neue junge König sagte: "Wie hast du denn deine Dienste erwiesen?" Die Ginia sagte: "Wenn mein Herr einen Dienst von mir verlangt, steigt er auf meinen Rücken und sagt mir, wo er zu sein wünscht. Ich bringe ihn dann nach jedem gewünschten Platz." Der neue junge König war über diese Erwerbung sehr erfreut und sagte: "Du kannst in meinem Dienste bleiben."

Der neue junge König ordnete nun alle Angelegenheiten der Stadt, setzte Generäle und Richter ein, verteilte die Reichtümer des Landes und beschloß dann, seinen Schwiegervater zu besuchen und ihn außerdem zu einer Besichtigung seines Landes einzuladen.

Er bestieg also den Rücken der Ginia, die hinter dem Tore immer seine Befehle erwartete und sagte: "Bringe mich sogleich in den Garten meines Schwiegervaters." Im nächsten Augenblick befand sich der junge schöne König an dem gewünschten Ort, und der alte



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Melik, sein Schwiegervater, kam auf ihn zu. Als der alte Melik den Schwiegersohn plötzlich vor sich sah, erstaunte er und sagte: "Du bist es? Wo kommst du denn her? Ich denke, du bist in die Stadt deines Vaters, die so weit fort liegen soll, zurückgekehrt?" Der junge schöne Mann sagte: "Gewiß, das bin ich auch, und ich habe mit Hilfe des Generals und der Soldaten auch alle schlechten Leute, die darin waren, und die uns den Platz weggenommen hatten, vertrieben. Nun bitte ich dich, mit zu mir zu kommen und deine Tochter in meiner Stadt zu begrüßen." Der alte Melik sagte: "Das ist sehr merkwürdig! Wie bist du denn hierher gekommen?" Der junge schöne Mann sagte: "Wie ich hierher gekommen bin? Nun, auf dem Rücken meiner Ginia Mariam Kuba, auf dem ich dich auch mit in meine Stadt nehmen will. Sende, wenn du willst, deine Flotte auf dem Wasser nach und komme mit mir."

Der alte Melik schüttelte zwar den Kopf. Er gab aber doch im Palaste seine Anordnungen, kehrte in den Garten zurück und setzte sich mit seinem Schwiegersohn auf den Rücken der Ginia Mariam Kuba. Der Schwiegersohn sagte: "Bringe uns in meine Stadt und in meinen Palast!" Sogleich war der alte Melik mit dem schönen jungen Mann in der großen Stadt, mitten im Palaste, und seine Tochter kam ihm mit freudiger Begrüßung entgegen. Der alte Melik war erstaunt und beglückt über den Reichtum und die Herrlichkeit, in der seine Tochter und sein Schwiegersohn lebten. Er betrachtete die Stadt und alle Anlagen, er blieb einige Tage und sagte dann: "Ich sehe, daß ihr sehr glücklich und schön hier lebt. Nun aber möchte ich wieder in mein Land zurückkehren." Der junge Melik begleitete also den Alten hinab, bat ihn, auf dem Rücken der Ginia Mariam Kuba Platz zu nehmen und befahl der Ginia, den alten Melik sogleich in seine Stadt und in seinen Palast zu tragen und dann zurückzukehren. Die Ginia kam dessen Befehle nach, so daß der alte Melik einen Augenblick später in seinem Palaste anlangte.

Zwei Jahre nachher saß der alte Melik in seinem Palaste über alte Bücher gebeugt, las viel und sagte: "Ich habe meine Tochter diesem jungen Manne gegeben, ohne recht zu wissen, wer sein Vater und seine Mutter gewesen sind. Ich kann über alles das und jene Stadt auch nichts in meinen Büchern finden." So wurde denn der alte Melik ganz traurig und besorgt, und seine Traurigkeit nahm von Tag zu Tag so zu, daß er endlich beschloß, sich mit seiner Flotte



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auf den Weg zu machen und von seinem Schwiegersohne genaue Auskunft zu verlangen. So geschah es. Nach langer Fahrt kam der alte Melik wieder in der prächtigen Stadt seines Schwiegersohnes an. Er wurde mit großer Freude aufgenommen, und der junge König fragte den alten Melik: "Ich bitte dich mir zu sagen, weshalb du gekommen bist!" Darauf sagte der alte König: "Sieh, mein junger Freund, du bist mein Sohn geworden, indem ich dir meine Tochter zur Frau gegeben habe. Ich habe inzwischen in allen alten Büchern nachgeschlagen; ich kann aber nichts von deiner Familie und von dem Königtum deines Vaters finden. Kläre mich also darüber auf. Morgen wollen wir vor allen meinen Vornehmen zusammenkommen, und dann gib mir auf diese Frage genügende Auskunft, oder ich muß dich töten." Damit entließ der alte Melik seinen Schwiegersohn.

Der junge schöne Mann ging bedrückt in seinen Palast. Er sagte bei sich: "Nun habe ich das Glück zum Freund und habe den Verstand zum Freund. Und doch bin ich wieder am Rande des Grabes. Hier hilft mir weder mein Freund Sad noch mein Freund Agel. Wer soll mir nun helfen?" Er ging in sein Zimmer und legte sich auf das Angareb um zu schlafen. Unten auf der Straße gingen aber Sad und Agel vorbei und sagten untereinander: "Hier können wir beide nicht helfen." Und Sad und Agel waren auch traurig.

Inzwischen lag der junge schöne Mann auf dem Angareb und schlief ein. Nach einiger Zeit sah er aber im Traum einen Mann, der sagte zu ihm: "Sage die Wahrheit!" Der junge Mann erwachte und fuhr auf. Er sah aber in der Erinnerung noch ganz deutlich den Mann und glaubte es noch zu hören, wie der Mann sagte: "Sage die Wahrheit!" Der junge schöne Mann schlief aber wieder ein und träumte sehr ängstlich, und dann erschien ihm im Traum wieder der gleiche Mann und sagte: "Sage die Wahrheit !" Der junge Mann erwachte und fuhr auf. Er sah und hörte in der Erinnerung noch ganz deutlich den Mann. Da sagte der junge schöne Mann bei sich: "Gut, ich werde morgen die Wahrheit sagen!"

Am andern Tage versammelte der alte Melik alle Vornehmen und Generäle um sich und ließ dann seinen Schwiegersohn kommen. Der junge schöne Mann kam. Er warf sich vor dem alten Melik nieder und begann: "Ich werde dir die Wahrheit sagen." Danach erzählte er alles, wie er Sad (das Glück) und Agel (den Verstand) das erste Mal getroffen und wie er mit ihnen Freundschaft geschlossen und es dann bis dahin gebracht habe, wo er jetzt liege, nämlich



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vor den Füßen des Königs. Als der Melik alles gehört hatte, war er über die Ehrlichkeit seines Schwiegersohnes sehr erfreut, und er setzte ihn über zwei Länder und gab ihm viel Macht. Über das Tor der großen Stadt ließ er aber eine Inschrift setzen, die lautete: "Wenn ein Mann Glück und Verstand zu Freunden hat und wenn er dann noch ehrlich bleibt, kann er der Herr aller Städte der Welt werden!"


2. Der Schädel

Ein Faki ging einmal in die Wüste. Als er durch die Wüste ging, sah er den Schädel eines Menschen im Sande liegen. Als er näher zu dem Schädel herankam, bemerkte er, daß auf der Knochenstirn Schriftzeichen waren. Er nahm den Schädel auf und las darauf folgende Worte: "Als ich lebte, habe ich vierzig Menschen getötet. Nach meinem Tode werde ich auch vierzig Menschen töten." Der Faki sagte: "Dieser Schädel scheint mir nicht ungefährlich zu sein. Jedenfalls werde ich ihn vernichten lassen." Der Faki nahm also den Schädel mit sich nach Hause.

Zu Hause angekommen, rief er seine junge Tochter, die noch ein Mädchen und noch keinem Manne zugetan war, und sagte: "Mein Kind, nimm diesen Schädel und zermahle ihn zu ganz feinem Pulver. Sieh, daß sonst nichts mit dem Schädel passiert. Wenn das Knochenmehl aber ganz fein ist, so bringe es mir, damit ich es nach meiner Weise verwende." Das Mädchen nahm den Schädel und trug ihn zum Mahlstein. — Das Mädchen sah, daß Schriftzeichen auf der Stirn eingeschrieben waren, aber es konnte nicht lesen. Das Mädchen zerschlug den Schädel in Stücke und zerrieb ihn zu ganz feinem Pulver. Um nun zu sehen, ob das Pulver auch ganz fein sei, ließ sie es erst durch die Finger gleiten. Dann nahm sie ein wenig zwischen zwei Finger und brachte es an die Zunge. Das Mädchen sagte: "Mein Vater wird zufrieden sein, denn das Mehl ist so fein, daß ich es nicht einmal mehr mit der Zunge fühle."

Das Mädchen füllte nun sorgfältig alles Mehl in eine Kürbisschale und brachte es zu seinem Vater. Der Faki sagte: "Ist dies alles Mehl?" Das Mädchen sagte: "Ja, das ist alles Mehl. Ich habe alles vom Mahlstein heruntergeklopft." Darauf ging der Vater mit dem Knochenmehl ins Freie. Es wehte gerade ein starker Wind über das Land hin. Der Vater warf das Mehl in die Luft, so daß es vom Winde weithin getragen wurde. Darauf sagte er: "Nun



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wird der Schädel die andern vierzig Menschen nicht mehr töten können."

Nach einigen Monaten merkte die Mutter, daß ihre junge Tochter schwanger sei. Sie nahm das Kind beiseite und sagte: "Meine Tochter, was ist das mit dir! Du bist schwanger! Du bist noch ein Kind und hast schon mit einem Manne zu tun gehabt? Sage mir seinen Namen, damit wir die Angelegenheit bei Zeiten ordnen!" Das Mädchen sagte: "Ich habe auch schon bemerkt, daß mit mir die Sache nicht in Ordnung ist. Glaube mir aber, ich bin noch ein Mädchen und habe noch nichts mit einem Manne vorgehabt." Die Mutter sagte: "Mein Kind, leugne es nicht. Sage die Wahrheit. Nenne den Namen des Mannes. Wenn du es nicht tust, wird dein Vater dich womöglich töten." Das Mädchen weinte und wiederholte immer wieder die Beteuerungen ihrer Unschuld, und da die Mutter auch sonst keinerlei Anzeichen für eine Neigung oder Ausschweifung ihrer Tochter beobachtet hatte, ging sie zu ihrem Gatten und setzte dem die ganze Sache auseinander. Der Faki war sehr zornig und erklärte, dies alles sei Lüge. Er wolle seine Tochter sogleich töten; die Mutter überredete ihn aber, erst einen Arzt kommen zu lassen, der die Angelegenheit untersuchen solle. Endlich erklärte sich der Vater damit einverstanden. Der Arzt ward geholt. Der Arzt untersuchte das Mädchen und bestätigte, daß es allerdings noch völlig unberührt und nach allen Anzeichen unschuldig sei, wenn auch kein Zweifel darüber herrschen könne, daß es bald einem Kind das Leben geben würde.

Nach dieser Untersuchung und ihrem Ergebnis konnte nun auch der Vater darüber nicht mehr im Zweifel sein, daß eine sehr seltsame Angelegenheit vorliege, und daß in der Tat dem Mädchen ein Vorwurf nicht gemacht werden könne, und so ließ man das Mädchen in Frieden, bis es eines Tages einem Knaben das Leben gab. Der Knabe wuchs im Hause der Großeltern auf und blieb ein stilles Kind, das wenig mit andern seiner Art spielte, bis er etwa zehn Jahre alt war. Da begann er in der Ortschaft und in den Gärten der Nachbarschaft herumzugehen und sich die weite Welt anzusehen.

Eines Tages war der kleine Knabe ziemlich weit gegangen; er kam an einen prächtigen Garten, in dem blühende Büsche, grüne Wiesen und Gruppen von hohen Palmen und andern Bäumen miteinander abwechselten. Auch spielten vielerlei Tiere und Vögel in den Büschen, und allenthalben waren die Wege mit buntem Kies bedeckt. Als sich der Knabe eine Weile in dem Garten ergangen



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hatte, sah er vor sich einen mächtigen Gasr (Turm) aufragen. Im Gebüsch neben dem Turm lagen viele Soldaten mit ihren Waffen im Arm und schliefen so fest, als wenn sie tot wären. Es war keine Tür zu sehen, die in den Turm hineingeführt hätte. Aus dem obersten Fenster aber hing eine Strickleiter (auch in Kordofan = silim) herab. Der Knabe kletterte, als er sah, daß die Soldaten fest schliefen, an der Strickleiter hinauf und blickte in das Zimmer hinein. Da sah er eine schöne Frau, die hatte den Kopf eines entkleideten Mannes in ihrem Schoße liegen und ordnete seine Haare, so daß sie aussahen wie Frauenhaare. Dabei sprach die Frau: "Wenn ich dich nun noch in Frauenkleider hülle, wird kein Mensch erkennen können, daß du ein Mann bist, und du kannst so immer als meine Dienerin bei mir bleiben, und wir können, so oft mein Mann auf Reisen ist, einander beilagern." Als der Knabe dies gehört hatte, stieg er leise und vorsichtig, wie er gekommen war, wieder an der Strickleiter hinunter und eilte an den schlafenden Soldaten vorüber, zum Garten hinaus nach Haus. Daheim angelangt, fragte er seine Großmutter, wem der Garten gehöre, in dem der jeder Tür bare Turm stehe, ohne aber zu sagen, was er daselbst erlebt habe. Die Großmutter sagte: "Mein Kind, gehe nie in den Garten hinein. Er gehört einem reichen aber sehr grausamen Manne, der in dem Turm seine Frau bewachen läßt, damit sie abgeschlossen von aller Welt nie mit einem andern Manne zusammenkommen könne."

Einige Zeit nachher hatte der reiche Mann, der seine Frau in dem Turm in dem schönen Garten eingeschlossen hielt, einen Traum. Er sah, während er im Schlafe lag, daß in seinem Garten eine sehr schöne Wassermelone (kordof. = tammak; arab. batich) gewachsen war. Es kam aber von außen ein fremder Vogel, der hackte an der Melone und pickte die besten Stücke heraus. Der reiche Mann erwachte und dachte über diesen Traum nach. Endlich sagte er: "Dieser Traum muß eine besondere Bedeutung haben. Ich will alle Fakis zusammenrufen; die sollen mir den Traum erklären." Der reiche Mann tat so. Er ließ alle Fakis zusammenkommen und bewirtete sie gut. Danach erzählte er ihnen seinen Traum und fragte sie, was das zu bedeuten habe. Die Fakis überlegten die Sache hin und her. Sie vermochten sie aber nicht zu erklären. Da wurde der reiche Mann zornig und sagte: "In fünf Tagen kommt ihr wieder hierher, dann könnt ihr mir entweder den Beweis erbringen, was dieser Traum bedeutet, oder aber ich lasse euch alle miteinander töten." So entließ der reiche Mann die Fakis.



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Die Fakis gingen traurig nach Haus, und besonders der Großvater des kleinen Knaben war sehr bedrückt, denn er wußte, daß der reiche, grausame Mann das, was er angedroht hatte, ausführen würde, und er konnte gar nicht dahinter kommen, was der Traum wohl zu bedeuten habe. Der Knabe sah die trübe Stimmung seines Großvaters und forderte die Großmutter auf, in ihn zu dringen und nicht zu ruhen, bis er seinen Kummer enthülle, denn es wäre ja gar nicht unmöglich, daß er, der Knabe selbst, irgend etwas zur Beruhigung seines Großvaters tun könne.

Die Großmutter ging zu ihrem Manne und sagte: "Sage deinem Enkelknaben den Grund deines Kummers! Wäre es nicht möglich, daß er dir raten kann?" Der Faki wurde erst zornig und sagte: "Wie kann dieser kleine Junge etwas wissen?" Die Großmutter sagte: "Denke, auf welch merkwürdige Weise er zur Welt gekommen ist! Warum soll er nun nicht auch merkwürdiges Wissen mitgebracht haben?" Der Faki sagte: "In diesem hast du recht!" Dann erzählte der Faki den Traum des reichen Mannes und die Drohung, deren Ausführung über ihm schwebe. Als der Knabe alles gehört hatte, sagte er: "Mein Gidi (Großvater; arab. Sidi), wenn es weiter nichts ist, so mache dir nur keine Sorgen; denn darin kann ich alles tun. Nimm mich nur das nächstemal mit, wenn du zu dem reichen Manne gehen mußt und sage ihm, ein erwachsener Traumdeuter könne ihm, wie er nachher selbst sehen werde, den Sinn seines Traumes nicht beweisen; das könne nur ein solcher, der noch ein Kind sei; deshalb habest du mich mitgebracht." Der Großvater sagte: "Es ist gut, so werde ich es sagen."

Als die fünf Tage verstrichen waren, kamen wieder die Fakis bei dem reichen Manne zusammen, und der Großvater brachte den Knaben mit. Der reiche Mann forderte die Fakis auf, Platz zu nehmen. Er ließ ihnen Kaffee reichen und fragte sie dann, ob einer von ihnen imstande sei, ihm die Bedeutung des Traumes zu beweisen. Darauf ließen sie alle die Köpfe hängen, und nur der Großvater sagte wohlgemut: "Ein erwachsener Traumdeuter kann dir, mein Herr, den Traum nicht beweisen. Dies kann nur ein Kind; deshalb habe ich meinen Enkel mitgebracht, der dir alles zum besten auseinanderlegen kann." Der reiche Mann sagte: "Du bist also der Traumdeuter, der mir die Bedeutung meines Traumes beweisen will?" Der Knabe sagte: "So ist es!" Der reiche Mann entließ hierauf alle andern Fakis und sagte zu dem Knaben: "Nun sprich!"



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Der Knabe sagte: "Mein Herr! Diese Sache ist auch für einen Knaben nicht ganz leicht auseinanderzusetzen. Und da du allen mit dem Tode gedroht hast, falls du nicht vollen Beweis erhältst, kannst du dir denken, daß auch ich mich der Auseinanderlegung nur dann aussetzen kann, wenn du versprichst, alles genau zu befolgen, was ich von dir unbedingt fordern muß. Denn da es sich um eine in der Tat für dich sehr wichtige Sache handelt, ist es nötig, daß du mir hilfst, während ich meinen Kopf zum Pfand setze." Der reiche Mann sagte: "Da du deinen Kopf zum Pfand setzt, bin ich gern bereit alles zu tun, was du zur Aufklärung für unumgänglich nötig erkennst. Sage also, was wir beginnen müssen."

Der Knabe sagte: "Zunächst bitte ich dich, mich mit hinauf in das Gasr zu nehmen, in dem dein Fraun wohnt." Der reiche Mann sagte: "Was hast du in dem Haus meiner Frau zu suchen?" Der Knabe sagte: "Wenn du willst, daß ich die Sachen aufdecke, dann mußt du mich schon dorthin bringen." Der reiche Mann sagte: "Dann komm!" Darauf stiegen beide hinauf zu dem Gasr. Der Knabe setzte sich auf ein Angareb und begann sich mit einem kleinen Matuar (Taschenmesser) die Nägel zu schneiden. Der Knabe sagte: "Nun rufe mir deine Frau und die Dienerin!" Der reiche Mann rief seine Frau und ihre Dienerin. Dann sagte der Knabe: "Sie können in das Nebenzimmer treten." Die Gattin und die Dienerin des reichen Mannes gingen in das Nebenzimmer. Der Knabe verschluckte aber sein Matuar. Als beide Frauen hinausgegangen waren, sagte der Knabe: "Wo ist plötzlich mein Matuar? Hat jemand mein Matuar genommen? Ich kann unmöglich ohne mein Matuar weggehen."

Der reiche Mann erschrak. Der reiche Mann sagte: "Es wird doch kein Dieb hier sein? Du darfst mich nicht für einen Dieb halten! Warte, ich werde mich ausziehen. Du sollst sehen, daß ich das Matuar nicht genommen habe!" Dann begann der reiche Mann sich auszuziehen. Er warf alle Kleider in einen Winkel. Er sagte: "Siehe, ich habe dein Matuar nicht genommen!" Der Knabe sagte: "Ich sehe es. Aber soeben war auch deine Frau mit ihrer Sklavin in diesem Raum. Deine Frau wird mit ihrer Sklavin wieder hereinkommen und sich auch ausziehen müssen!" Der reiche Mann sagte: "Du bist ein unverschämter Bursche! Wie kannst du verlangen, daß meine Frau sich vor dir entkleidet!" Der Knabe sagte: "Ich bin noch ein Kind, und somit kannst du als Gatte, der anwesend ist, nichts dagegen sagen. Im übrigen habe ich dir ja gesagt,



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daß du alles tun mußt, was zur Aufklärung gehört. Wenn du das nun nicht tun willst, mußt du dir einen andern Traumdeuter suchen." Der reiche Mann sagte: "Gehört das denn auch in diese Sache?" Der Knabe sagte: "Das wirst du schon sehen."

Der reiche Mann rief seine Frau und deren Sklavin wieder herein und sagte zu seiner Frau: "Meine Gattin, entkleide dich! Diesem Knaben ist soeben sein Matuar abhanden gekommen. Wir müssen ihm zeigen, daß wir es nicht nahmen."

Darauf legte die Frau ohne Zögern in einem zweiten Winkel ihre Kleider ab und sagte: "Ihr seht, ich habe mit dem Matuar nichts zu tun."

Der reiche Mann sagte: "Dann soll deine Sklavin in jenem dritten Winkel sich entkleiden und zeigen, daß sie das Matuar nicht versteckt hatte." Als der reiche Mann das sagte, schrien seine Frau und ihre Dienerin auf. Die Frau sagte: "Mein Mann! Nie werde ich erlauben, daß meine Sklavin sich vor dir und diesem fremden Knaben entkleidet! Ich selbst konnte diesem Wunsche nachkommen, weil ich mich selbst genügend Wächterin meiner Tugend dünke. Niemals aber kann ich zugeben, daß man solches meiner Sklavin zumutet!" Der reiche Mann sagte zu dem Knaben: "Was sagst du hierzu?" Der Knabe sagte: "Du weißt, daß du, wenn nicht alles geschieht, was nach meiner Ansicht nötig ist, dir einen andern Deuter deines Traumes suchen mußt."

Der reiche Mann sagte: "Die Sklavin soll sich hier sogleich ausziehen!" Die Sklavin wandte sich ab. Die Frau des reichen Mannes schrie auf und fiel in Ohnmacht. Der reiche Mann sagte zu der Sklavin: "Lege deine Kleider ab oder ich reiße sie dir selber vom Leibe!" Die Sklavin blieb abgewandt stehen. Da ward der reiche Mann wütend und riß dem Mädchen selber die Kleider herab, und nun sah er, daß unter den Kleidern der Sklavin ein kräftiger Mann zum Vorschein kam. Erstaunt stand der reiche Mann da. Der Knabe trat aber vor, deutete auf die ohnmächtige Frau des reichen Mannes und sagte: "Das ist die schöne Melone in deinem Garten, von der du geträumt hast." Dann wies er auf den kräftigen Mann und sagte: "Das aber ist der fremde Vogel, der daran pickt und das beste heraushackt."

Der reiche Mann ließ seine Frau und die falsche Sklavin und alle richtigen Sklavinnen (Sklavin in Kordofan = Djaria) und alle Soldaten, die am Fuße des Gasr zur Wache aufgestellt waren, hinrichten. Es waren vierzig Menschen, die so um das Leben kamen.



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Die Leute im Orte sagten: "Der Enkel des Fakis hat es erreicht, daß vierzig Menschen ums Leben gebracht worden sind!"

Das hörte der Faki. Der Faki wurde nachdenklich und sagte: "Mein Enkel hat den Tod von vierzig Menschen verursacht. Dies ist ein eigentümlicher Zufall, denn der Knabe wurde gerade neun Monate geboren, nachdem ich den Schädel in der Wüste fand, auf dessen Stirne eingeschrieben stand: ,Als ich lebte, habe ich vierzig Menschen getötet. Nach meinem Tode werde ich auch vierzig Menschen töten.' Das ist ein eigentümlicher Zufall."

Der Faki rief seine Tochter und sagte: "Meine Tochter, du wirst dich erinnern, daß ich vor etwa elf Jahren einmal einen Schädel aus der Wüste heimbrachte, auf dessen Stirne Schriftzeichen eingeschrieben waren." Das Mädchen, die Mutter des Knaben, sagte: "Ja, ich erinnere mich daran, du sagtest, ich solle den Schädel zu feinem Mehl mahlen, und ich habe es getan." Der Faki sagte: "Und was hast du sonst damit getan ?" Das Mädchen, die Mutter des Knaben, sagte: "Ich habe sonst nichts Besonderes damit getan. Ich habe die Knochen zerbrochen und sie dann auf dem Reibsteine zu ganz feinem Pulver zermahlen, das ich dir brachte, nachdem ich versucht hatte, ob es auch ganz fein sei." Der Faki sagte: "Wie hast du denn versucht, ob es ganz fein sei ?" Das Mädchen, die Mutter des Knaben, sagte: "Ich habe es erst durch die Hand gleiten lassen, dann ein wenig zum Munde geführt und mit der Zunge gespürt, daß es ganz fein sei."

Der Faki sagte: "Also du hast ein wenig zum Munde geführt. Und dann wurde, trotzdem du keinen Umgang mit Männern hattest, der Knabe geboren, und jetzt hat der Knabe veranlaßt, daß vierzig Menschen hingerichtet wurden!"


3. Das verlorene Glück

Mohammed-el-Assad (der Löwe) war ein Melik, der war reicher und gütiger, klüger und mächtiger als irgendeiner seiner Vorgänger. Man wußte aber erst nichts von ihm, sondern nur die, die seiner Hauptstadt und seinem Königreiche nahe wohnten.

Weit entfernt von Mohammed-el-Assads Stadt wohnte ein anderer Melik, der einen Sohn hatte, den man schlechthin Schatr Mohammed nannte. Dieser Melik war ungemein reich und mächtig und glaubte, daß ihm niemand an Besitz und Einfluß gleichkomme. Der Melik sprach eines Tages zu seinem Sohne: "Reichtum und Macht,



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wie ich sie besitze, sind unvergleichlich und unerschütterlich." Schatr Mohammed sagte: "Mein Vater, glaube an meine Verehrung für dich, aber in diesem kann ich dir nicht beistimmen." Der Melik sagte: "Wenn dies nicht wäre, hätte nichts Wert." Der Sohn sagte: "Mein Vater, ich glaube, daß ein gütiger und kluger Sinn beständiger und mehr wert ist als Reichtum und Macht." Der Melik sagte: "Mein Sohn, ich will dich nicht hindern, die Erfahrungen, die dir noch fehlen, zu erlangen; denn ich glaube wohl Klugheit und Überlegung an dir wahrzunehmen, noch aber scheint mir andererseits Erfahrung und Anerkennung des Reichtums und der Bedeutung der Macht dir zu fehlen. Ich werde dich also auf Reisen senden. Ich werde dir zwanzig Boote mit Sabat (Zibetkatzensekret) füllen lassen. Du weißt, daß dies eine teure Ware ist. Wenn du nun einen Mann findest, der die Ladung der zwanzig Boote auf einmal kaufen und mit einer einzigen Münzart sogleich bezahlen kann, dann sollst du recht haben, und dann will ich zugeben, daß ich meinen Reichtum und die Festigkeit meiner Macht überschätzt habe. Wenn dir dies aber nicht gelingt, so daß du also keinen Käufer für die Ware bei solchen Bedingungen findest, dann erst wirst du wissen, wessen Sohn du bist!" Darauf dankte Schatr Mohammed seinem Vater.

Schatr Mohammed fuhr mit der zwanzigfachen Ladung von Sabat auf seinen Booten von dannen. Er fuhr von einer Stadt zur andern, von einem Land zum andern. Schatr Mohammed kam in Länder, in denen niemand mehr den Namen seiner Vaterstadt und seines Vaters kannte. Schatr Mohammed kam in weit entfernte Länder. Eines Tages sagten ihm aber die Kaufleute der Stadt, in der er angelegt hatte: "Deine zwanzigfache Sabatladung kannst du nur an einem Platze verkaufen. Das ist nämlich in der Stadt Mohammedel-Assads, der der glücklichste und reichste der Menschen ist und in dessen Stadt mehr wohlhabende Kaufleute sind als sonst auf der Erde." Darauf bestieg Schatr Mohammed seine Boote wieder und ließ sie nach der angegebenen Stadt absegeln.

Schatr Mohammed ging sogleich in die Basare und sah sich um. Solche Basare hatte Schatr Mohammed noch nicht gesehen. Alle Leute waren hier wohlhabender als in der Stadt seines Vaters. Die Kaufleute nahmen ihn auch freundlich auf, bewirteten ihn und fragten ihn dann, welche Ware er auf den zwanzig Booten bringe. So wiederholte Schatr Mohammed, daß er zwanzigfache Sabatladung führe, daß er diese allgesamt nur auf einmal und zahlbar in einer einzigen Münzsorte verkaufen dürfe. Nun gaben die Kaufleute



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wohl zu, daß gerade in ihrer Stadt Sabat ein besonders wertvoller Artikel sei; sie erklärten sich bereit, daß jeder einzelne diesen oder jenen Anteil einer Bootladung kaufen wolle; sie erklärten aber einstimmig, daß keiner von ihnen imstande sei, die zwanzigfache Ladung auf einmal zu kaufen, bemerkten aber hierzu: Dieses könne nur ein einziger Kaufmann der Welt, und das sei Mohammed-el-Assad, ihr Melik. Dem allerdings sei es ein kleines, alles auf einmal zu wählen und die ganze Ladung mit jeder Münze zu zahlen, die Schatr Mohammed nur wünschte. Schatr Mohammed dankte für die Auskunft und begab sich auf die Schiffe zurück.

Am andern Tage gesellte sich Schatr Mohammed aber zu denen, die dem Melik die Ehre bezeugten, und Mohammed-el-Assad rief den ihm fremden und fremdartig gekleideten Jüngling zu sich und lud ihn ein, noch bei ihm zu bleiben, als er die andern entließ. Der Melik ließ einen Schemel (Kursi) bringen. Schatr Mohammed sah, daß der mit Almas (Diamanten) und Djauwahirr (Rubinen) besetzt war. Schatr Mohammed hatte so schöne Arbeit noch nicht gesehen. Dann wurde der Kaffee auf einer Sinia (Platte) gebracht, die bestand aus purem Gold und war wiederum mit Almas und Djauwahirr besetzt. Als der Melik und Schatr Mohammed den Kaffee geschlürft hatten, lud der König seinen Gast ein, das Essen mit ihm zu teilen. Da wurde denn eine Sinia gebracht, die war noch viel kostbarer und reicher mit Edelsteinen besetzt als die erste. Sie war von mächtigem Umfang, und vierundzwanzig Gerichte standen darauf, und Schatr Mohammed meinte, aller Reichtum seines Vaters wiege diese eine Sinia nicht auf. Die Speisen waren aber so köstlich, daß Schatr Mohammed bei sich sagte: "So ausgezeichnet habe ich in meinem Leben noch nicht gespeist." Der König hatte aber Freude an der Klugheit Schatr Mohammeds, nahm ihn zu sich in den Palast, und Schatr Mohammed blieb drei Monate der Gast Mohammed-el-Assads.

Während der ganzen Zeit hatte der Melik den klugen Jüngling immer in seiner Umgebung. Er ritt mit ihm aus, erfuhr mit ihm in herrlichen Booten auf dem Fluß. Er sprach mit ihm über dies und über das. Nie aber fragte er, weshalb Schatr Mohammed von seinem Lande weggezogen sei und was er bei sich führe. Nach drei Monaten bat Schatr Mohammed aber den Melik, ihm Urlaub zu geben und ihm zu erlauben, wieder zurückzukehren, da er alles, was er an Erfahrungen benötige, jetzt gewonnen habe. Der Melik fragte ihn, was das bedeute, und Schatr Mohammed erzählte nun,



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daß er die zwanzigfache Ladung von Sabat bei sich führe, und weshalb sein Vater sie ihm mitgegeben habe. Der Melik hörte das ganze Gespräch mit an und sagte dann: "Im Reichtum zu vergleichen, hat keinen Wert; in der Beständigkeit des Glückes sind wir aber alle schwach und machtlos. Was nun deine zwanzig Sabatladungen anbelangt, so will ich sie dir gern abnehmen, denn ich will meine Häuser damit decken, daß sie wohlriechen. Du aber gehe hin und lasse dir von meinem Sklaven Said alle Geldarten zeigen, die ich besitze, und wähle dann die aus, die du als Zahlung mit heimnehmen möchtest."

Der Schatzsklave Said kam. Er führte Schatr Mohammed in das Schatzhaus und öffnete eine Kammer nach der andern. In jeder Kammer lag eine andere Art Geldes hoch aufgeschüttet. Schatr Mohammed hatte vorher nicht geglaubt, daß es überhaupt soviel Geld auf der Erde gäbe. Der Sohn des Melik wählte das, was ihm gut schien. Danach sandte der Melik seine Sklaven an den Fluß, damit sie die Ladung hinaufbrächten und auf seinen Höfen aufspeicherten. Es waren zwanzig große Schiffsladungen. Der Melik hatte aber so viele Sklaven, daß viele noch leer hätten zurückkehren müssen, wenn ihnen die Aufseher nicht, da sie nun einmal am Flusse waren, Wasser zum Hinauftragen gegeben hätten. So viele Sklaven hatte der König. In den Höfen ward das Sabat gewogen und der Preis ausgerechnet. Aus einer Kammer ward das Gold ausgeschaufelt und auch abgewogen. Es blieben aber in der Kammer noch einige Kisten Goldes übrig.

Der Melik besah die aufgespeicherten Waren, er sah nach, ob Schatr Mohammed genug erhalten habe, und er sah, daß noch einige Kisten Goldes in der Kammer, aus der nach dem Wunsche des Königssohnes ausgezahlt war, zurückgeblieben waren. Da lachte der König und sagte: "Mein lieber Schatr Mohammed, bringe deinem Vater das Gold, das er für das Sabat verdient hat, unverkürzt. Da du aber auf der langen Rückreise Ausgaben wirst machen müssen, so nimm, bitte, diese paar Kisten voll Gold für deine eigene Rechnung als ein kleines Geschenk von mir mit." Dann ließ Mohammedel-Assad die große und die kleine goldene Sinia zu dem Fluß kommen und gab sie Schatr Mohammed mit auf die Reise; die kleinere sollte er selbst, die größere sollte sein Vater zum Gebrauch nehmen. Mohammed-el-Assad ließ dann die Boote mit allerhand Speisen und Brot, das mit Milch statt mit Wasser bereitet war, anfüllen, nahm von Schatr Mohammed Abschied und ließ ihn abfahren.



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Schatr Mohammed kam mit allen seinen Schätzen wohlbehalten daheim an. Sein Vater ließ sich genau über alles berichten. Er betrachtete die Sinia; er sah das Gold; er hörte, was sein Sohn alles erlebt hatte und sagte: "In seinem Reichtum ist dieser Mohammedel-Assad mir überlegen. Du hast also recht gehabt, wenn du sagtest, daß ich nicht der reichste Mann sei. Was nun aber sagte dein Freund über die Macht und die Beständigkeit des Reichtums?" Schatr Mohammed sagte: "Der König sagte: ,Im Reichtum zu vergleichen, hat keinen Wert; in der Beständigkeit des Glückes sind wir aber alle schwach und machtlos." Der Melik sagte: "Das also war der Ausspruch Mohammed-el-Assads!"

Der König zeigte die Sinia aber allen seinen vornehmen Leuten, und alle waren erstaunt über die Freigebigkeit und den Reichtum Mohammed-el-Assads. Der Name Mohammed-el-Assads verbreitete sich aber soweit und weiter im Lande, und alle Welt wußte, daß er der größte und mächtigste König war. So sprachen die Leute.

Während aber der Ruhm Mohammed-el-Assads immer mehr um sich griff, versiegte eines Tages das Glück Mohammed-el-Assads. Seine Flotte war beladen mit Seide und Edelsteinen in den Strom gesunken, seine Karawanen waren beladen mit Gold, Kupfer und Zinn in der Wüste verschwunden. Die Güter, die er in seinem Palaste hatte, waren plötzlich wertlos. Was vorher für zehntausend Piaster gewertet wurde, fand nun für zehn Piaster keine Abnahme, und was früher für kostbar erachtet wurde, galt nun als Schmutz. Wenn früher Mohammed-el-Assad in seinen trockenen Garten getreten war, dann waren unter seinen Füßen Blumen erwachsen und über seinem Kopfe an dürren Ästen Blätter und Früchte. Kam er jetzt aber in einen üppigen Garten voller Blüten und Früchte, so fiel bei seiner Annäherung das trockene Obst herab, so erstarb das Gras am Boden, und Raupen und Ungeziefer kamen an jedem Ort zutage, dem er sich näherte. Überall um ihn rauschten die abgestorbenen Zweige im Wind, und der Schatzsklave Said schlief einen ununterbrochenen Schlaf.

Die Leute Mohammed-el-Assads fluchten aber ihrem Herrn, und als der Melik dies hörte und als er sah, daß seinem Lande überall, wo er hinkam, der Tod wurde, und daß er selbst nichts mehr von allen seinen Schätzen besaß, da schlich er sich eines Tages aus seinem Palaste und wanderte von dannen und aus seinem Lande. Mohammed-el-Assad wanderte als Bettler weit, weit fort - so weit, daß er glaubte, ein Land erreicht zu haben, in dem sein Name und



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der Ruf seines einstigen Glückes noch nicht bekannt war. So kam er in die Stadt, über die Schatr Mohammeds Vater Melik war. In dieser Stadt trat er in einen Barbierladen und fragte den Inhaber: "Willst du mich als Gehilfen annehmen? Ich bin vielleicht nicht ungeschickt, und als Entgelt verlange ich nichts als meine Nahrung." Der Barbier betrachtete den Mann; er gefiel ihm. Er sagte: "Es soll mir recht sein. Bleib hier, hilf mir und iß dich satt! Sage mir aber, wie du heißt." Der Mann sagte: "Ich heiße Mohammedel-Assad!" Der Barbier sagte: "Was! Mohammed-el-Assad bist du? Bist du der große und reiche Melik Mohammed-el-Assad?" Der König erschrak, als er hörte, daß sein Name auch hier bekannt sei und sagte: "Nicht doch! Ich bin kein Melik." Also blieb Mohammed-el-Assad im Hause des Barbiers.

Eines Tages kam Schatr Mohammed an dem Barbierladen vorbei. Er sah Mohammed-el-Assad und stutzte. Er betrachtete den Barbiergehilfen. Dann trat er ein und sagte zum Barbier: "Du kannst mich heute hier in deinem Laden barbieren." Der Barbier ging sogleich an sein Werk. Danach trat der Gehilfe heran, hielt das Tascht (Waschbecken) und rieb den Schaum aus dem Antlitz des Königssohns. Schatr Mohammed fragte den Gehilfen: "Wie heißt du?" Der Gehilfe sagte: "Ich heiße Mohammed-el-Assad." Schatr Mohammed sagte: "Dann laß mich das Tascht selbst halten. Ich will nicht von einem Manne dieses Namens bedient sein." Weiter sagte Schatr Mohammed nichts. Er betrachtete beim Vorübergehen den Gehilfen noch einmal und eilte dann heim.

Schatr Mohammed ging zu seinem Vater und sagte: "Mein Vater, ich habe soeben etwas Erschreckendes erlebt! Jener Melik, Mohammed-el-Assad, hat mich als Barbiergehilfe in dieser Stadt bedient." Der König sagte: "Bist du dir ganz sicher?" Schatr Mohammed sagte: "Ich bin mir ganz sicher. Ich habe ihn erst erkannt und dann auch noch seinen Namen gehört. Es weiß aber sicher niemand, wer er ist." Der König sagte: "Es ist gut; ich werde es selbst sehen. Ich werde eine große Asume veranstalten; er soll dabei sein, und wenn er seine Sinia erkennt, dann bin ich mir sicher!" Der König veranstaltete ein großes Fest. Er lud alle angesehenen Männer ein, und dem Barbier ließ er sagen, er solle auch seinen Gehilfen mitbringen.

Abends kamen die Gäste. Der Melik schaute hinab und betrachtete sie. Als der Barbier aber abstieg, hielt Mohammed-el-Assad den Esel. Der Barbier ging hinein mit den andern. Als sein Gehilfe nun unten den Esel hielt, pißte der Esel den Gehilfen an. Der



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seufzte und sagte: "Früher warf ich den Leuten Gold nach, und heute pissen mich die Esel an." Der Melik aber hörte das von oben und er sah, wie der Gehilfe hinging, sein Kleid auswusch und es zum Trocknen in die Luft hing. Der Melik schickte ihm ein anderes Kleid herab und ließ ihn zum Essen heraufrufen. Als der Gehilfe nun unter den andern saß, wunderten sich die Vornehmen. Der Melik winkte aber, und die Sklaven kamen mit der großen Sinia herein. Als Mohammed-el-Assad die große Sinia sah, schrie er auf. Die andern sahen ihn an. Der König aber tat so, als ob er es nicht gehört hätte. Der König fragte vielmehr: "Meine Freunde, ehe wir zu speisen beginnen, soll mir jeder sagen, was er vom Reichtum und vom Glück erzählen kann." Darauf sagte dann jeder seine Meinung. Der eine begann: "Der Reichtum ist das größte Glück!" Der zweite sagte: "Der Reichtum gibt das größte Glück!" Der dritte sagte: "Der Reichtum ist das Erbteil der Könige und das Glück die Gabe der Könige." Der vierte sagte: "Der Reiche ist glücklicher als der Arme, und nur Reichtum gibt beständiges Glück." So sprach einer nach dem andern. Als aber Mohammedel-Assad nach seiner Meinung gefragt wurde, sagte er: "Ich verstehe als armer Mann nichts von all dem, wovon ihr Reichen und Glücklichen so treffend sprechen könnt." Der Melik sagte: "Nein doch! Sag' mir deine Meinung. Ich bitte dich, der du mein Gast ebenso gut bist wie jeder andere." Da sagte Mohammed-el-Assad: "Im Reichtum zu vergleichen, hat keinen Wert; in der Beständigkeit des Glückes sind wir alle schwach und machtlos."

Als der Gehilfe des Barbiers das gesagt hatte, nahm der Melik dem Sklaven die Brig (Wasserkanne) aus der Hand, trat vor den armen Mann und bediente ihn. Der Barbiergehilfe sagte: "König, was tust du?" Die Vornehmen sagten alle: "König, was tust du?" Der Melik sagte aber seinem Sohne: "Schatr Mohammed, sage du es!" Schatr Mohammed sagte: "Der kleine König bedient den großen." Der Vater Mohammeds sagte: "So ist es." Und dann sagte er den Anwesenden, wer dieser Barbiergehilfe sei. Und alle verehrten Mohammed-el-Assad.

Der Melik wies Mohammed-el-Assad ein schönes Haus an. Er gab ihm Diener. Er gab ihm seine Tochter zur Frau. Der Melik bot Mohammed-el-Assad Geld und Soldaten an, um das Seine zurückzugewinnen. Aber Mohammed-el-Assad sagte: "Ich bin jetzt in der Zeit des Unglücks. Alles Gold wird jetzt in meinen Händen zu Sand, wenn ich es mehren will, —jede Seide zu Gras. Wer will gegen das



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Unglück kämpfen, um das Glück zu gewinnen? Nur wenn das Glück freiwillig kommt, lacht es." Mohammed-el-Assad lebte still und wartete.

Die junge Frau Mohammed-el-Assads ward aber schwanger. Mohammed-el-Assad sagte: "Nun werde ich sehen, ob ich die Kraft der Mehrung wiedergewinne. Ich werde sehen, ob das Kind tot oder lebend zur Welt kommt." Mohammed-el-Assad lebte still und wartete. Es kam aber der Tag, da die junge Frau Mohammed-el-Assads gebären sollte. Die junge Frau lachte aber in Schmerzen und sagte: "Heute werde ich meinem Gatten das Glück schenken." Als die Stunde der Geburt kam, erschien ein kleiner Knabe. Der lebte und lachte bei der Geburt.

Als die Geburt erfolgt war, ertönten Signale durch die Stadt; die Karawanen und Soldaten Mohammed-el-Assads waren, reich mit Gold beladen, aus den fernen Wüsten zurückgekommen und suchten ihren König. Als die Geburt erfolgt war, sah man mächtige Segel auf dem Flusse auftauchen; die Flotte Mohammed-el-Assads war reich beladen mit Edelsteinen und Seide aus den Wellen wieder aufgetaucht und hatte sich aufgemacht, ihren König zu suchen.

Als die Geburt erfolgt war, dehnte sich im alten Schlosse Said der Schatzsklave, und er klapperte mit den Schlüsseln und rief nach den Bedienten. Die Sklaven kamen unter den vorher trockenen Ästen, die jetzt Blumen und Blätter trugen, hervor, und die Leute der Stadt sehnten sich nach ihrem König. Und alles Land sproßte und trug Knospen, und es entstand ein langer, duftiger Laubengang überall da, wo Mohammed-el-Assad mit Weib und Kind auf dem Heimweg hinkam. Schatr Mohammed begleitete seinen Freund weit hin, und als er wieder zurückkam, zog er ein einfaches Kleid an und begann in einem einfachen Hause zu leben, über dessen Eingang er die Worte anbringen ließ: "Im Reichtum zu vergleichen, hat keinen Wert; in der Beständigkeit des Glückes sind wir aber alle schwach und machtlos."


4. Die Gattenwahl des Königs

Ein Melik war unverheiratet. Er rief eines Tages seinen Wasir (Wesir) und sagte: "Ich bin das Leben eines unverheirateten Mannes satt. Geh hin und suche mir eine Frau unter den Töchtern meiner eigenen Stadt. Suche sie, in welchem Stadtwinkel du willst. Sie soll sehr schön und nicht älter und nicht jünger sein als elf



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Jahre." Der Wasir ging nach Hause und suchte seine eigene Frau auf. Der Wasir erzählte seiner Frau, was der Melik über seine zukünftige Gattin gesprochen hatte und sagte: "Nun, meine Gattin, gehe hin und sieh dich unter den Töchtern der Stadt um, denn das, was eine Frau in solchen Dingen erfahren und sehen kann, übertrifft das Vermögen des Mannes."

Die Frau des Wasir machte sich also auf den Weg und erkundigte sich in allen Teilen der Stadt nach einem Mädchen, das den Ansprüchen des Königs entsprechen könne. Zuletzt fand sie drei sehr hübsche Mädchen heraus. Die erste war die Tochter eines Schneiders, die zweite die Tochter eines Zinnarbeiters, die dritte die Tochter eines Silberschmieds. Sie ging also heim und berichtete das ihrem Gatten. Ihr Gatte, der Wasir, ging aber zum Melik und sagte ihm alles, was seine Frau in Erfahrung gebracht hatte.

Der Melik sagte hierauf: "Laß erst einmal die Tochter des Schneidermeisters kommen, daß ich sie sehe." Der Wasir ging also zum Schneidermeister und sagte: "Der Melik will sich unter den Töchtern seiner Stadt eine Frau aussuchen. Er hat Gutes von deiner Tochter gehört. Schicke also deine Tochter zum König, daß er sie sehe." Der Schneidermeister erschrak und sagte: "O weh! Was wird das werden! Meine Tochter ist ein wenig verrückt (maiginun). Sie könnte, wenn sie vor den König gebracht wird, sich unschicklich benehmen und ihre Kleider zerreißen." Der Wasir ging zurück und sagte zum Melik, was er vom Schneider gehört habe, und der König sagte: "Gut, dann laß mir die Tochter des Zinnarbeiters kommen, daß ich sie sehe!"

Der Wasir ging also zum Zinnarbeiter und sagte: "Der Melik will sich unter den Töchtern der Stadt eine Frau aussuchen. Er hat Gutes von Deiner Tochter gehört. Schicke also Deine Tochter zum König, daß er sie sehe!" Nun hatte der Zinnarbeiter aber gehört, was vorher bei dem Schneidermeister vorgekommen war, und er sagte sich: "Wenn der Schneidermeister seine Tochter nicht hat hinsenden wollen, so hat er dafür seine Gründe. Ich werde es vorsichtshalber ebenso machen." Der Zinnarbeiter sagte also zum Wasir: "O wie schrecklich ist das! Denke dir, meine Tochter ist ja sehr schön; sie kann aber keinen Basbus (Mund, Hals einer Wasserkanne) sehen! Sobald sie das sieht, muß sie sterben!" Der Wasir ging also zurück zum Melik und berichtete ihm alles, was der Zinnarbeiter gesagt hatte. Der König sagte hierauf: "Gut, dann laß mir die Tochter des Silberschmieds kommen, daß ich sie sehe!"



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Der Wasir machte sich also abermals auf den Weg, ging zu dem Silberschmied und sagte: "Der Melik will sich unter den Töchtern der Stadt eine Frau aussuchen. Er hat Gutes von deiner Tochter gehört. Schicke also deine Tochter zum König, daß er sie sehe." Inzwischen hatte sich das Gerücht verbreitet, daß der König überall eine Frau suche, und daß mehrere Leute ihre Töchter schon abgeschlagen hätten, weil die Sache irgendwie nicht ganz in Ordnung war. Als der Silberschmied den Wasir angehört hatte, sagte er bei sich: "Also ist es doch wahr, daß eine Mädchenfängerei hier um sich greift. Es ist gut, daß ich das beizeiten gehört habe und meine Tochter so vor einem schrecklichen Unheil bewahren kann." Laut sagte der Silberschmied aber zum Wasir: "Nun sieh doch, welches glückliche Leben könnte meiner Tochter winken! Wie herrlich könnte sie nun bald erhaben sein über ihre Freundinnen! Wie schrecklich, daß es nicht möglich ist! Wie traurig, daß sie dem Glücke entsagen muß! Denn höre: meine Tochter kann keinen Silberring sehen oder tragen. An dem Tage, da sie einen silbernen Fußring sehen oder tragen würde, müßte sie sterben!" Der Wasir merkte sich die Antwort, begab sich auf den Rückweg und erzählte alles dem König.

Als der Melik hörte, was der Silberschmied gesagt hatte, sprach er: "Was tue ich nun? Es ist doch sehr auffallend, daß die Töchter des Schneiders, des Zinnarbeiters und des Silberschmieds alle gleiche Veranlagung haben." Der Wasir dachte nach und sagte dann: "Laß dir doch Weiberkleider machen, gehe mit meiner Frau bei den Leuten als Frau herum und höre nach der Sache." Der Melik war damit einverstanden, ließ den Wasir drei Stück Stoff kaufen und durch dessen Frau bei dem Schneider drei gleiche Kleider anfertigen. Die Frau des Wasir bestellte die Kleider aber für ihre Schwester.

Sobald die Kleider fertig waren, zog der Melik das erste an und ging mit der Frau des Wasir als Frau verkleidet fort. Zuerst gingen die beiden Frauen zu der Frau des Silberschmieds. Die Frau des Silberschmieds begrüßte die Frau des Wasir und sagte: "Wen hast du denn heute bei dir?" Die Frau des Wasir sagte: "Das ist meine Schwester. Meine Schwester möchte auch gern das Mädchen sehen, das der Melik durchaus heiraten will." Die Frau des Silberschmieds sagte: "Gewiß, ich werde das Mädchen rufen lassen!" Nach einer Weile kam das Mädchen, und der Melik, der als Frau verkleidet war, sah sogleich, daß das Mädchen sehr schöne Silberringe



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an den Füßen hatte. Er sagte: "Liebe Frau, diese Ringe hat gewiß dein Mann für deine Tochter gemacht." Die Frau sagte: "So ist es!" Der Melik sagte: "Würde ich nicht einen solchen Ring mitnehmen, ihn meiner eigenen kleinen Tochter zeigen, und wenn er ihr gefällt, ganz gleiche bei Deinem Manne bestellen können ?" Die Frau des Silberschmieds sagte: "Ganz gewiß!" Darauf zog der als Frau verkleidete Sultan dem Mädchen selbst den Silberfußring ab und nahm ihn, als er mit der Frau des Wasir wegging, mit sich.

In der nächsten Nacht verkleidete der Melik sich wieder als Frau und ging mit der Frau des Wasir zusammen zu der Frau des Zinnarbeiters. Die Frauen begrüßten sich erst, dann fragte die Frau des Zinnarbeiters: "Wen bringst du denn heute mit dir?" Die Frau des Wasir sagte: "Das ist meine Schwester, die so gern das Mädchen sehen möchte, das der Melik zur Gattin begehrt." Die Frau des Zinnarbeiters sagte: "Gewiß kann deine Schwester meine Tochter sehen." So wurde das Mädchen denn gerufen. Als es kam, sagte der als Frau verkleidete Sultan, er wünsche sich die Hände zu waschen, ob das Mädchen nicht eine Brig (Wasserkanne) bringen könne. Das Mädchen brachte darauf die Brig und bediente die Frau, die in Wirklichkeit der Melik selbst war. Darauf bewunderte die Frau die schöne Brig, bat sie sich als Geschenk aus, versprach eine Gegengabe und ging dann mit der Eng von dannen.

In der dritten Nacht verkleidete der Melik sich abermals als Frau und ging mit der Frau des Wasir als deren Schwester zur Frau des Schneiders. Die Frauen begrüßten sich, und die Frau des Wasir sagte: "Dies hier ist meine Schwester, der dein Mann letzthin die drei Kleider gemacht hat." Darauf sagte die Frau des Schneiders: "Es war schöner Stoff. Von den abfallenden Lappen hat meine Tochter sich für ihre Puppe ein Kleidchen gemacht. Ihr wißt doch, daß meine Tochter ein wenig verrückt ist. So spielt sie denn immer mit Puppen und macht aus allem Kleider für ihre Puppen." Der als Frau verkleidete Melik sagte: "Jaja, ich habe von deiner Tochter gehört. Kann ich sie und ihre Puppen denn nicht einmal sehen?" Die Frau des Schneiders sagte: "Gewiß kannst du sie sehen. Jedermann kann sie sehen. Wir fürchteten sie nur zum Melik zu schicken, weil sie sich bisweilen eben verrückt und respektlos benimmt." Die Frau des Schneiders rief darauf ihre Tochter, und der Melik plauderte mit ihr und ließ sich ihre Puppen zeigen. Zuletzt bat sie der als Frau verkleidete Melik, ihm doch eines der Puppenkleidchen zu geben, da er ihr dafür ein anderes schicken wolle. Die Tochter des



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Schneiders sagte: "Ich will dir gern das geben, was ich aus den Restlappen deines eigenen Kleides gefertigt habe. Du mußt mir aber ein anderes schicken." Der als Frau verkleidete Melik versprach das, erhielt das Kleid und ging damit von dannen.

Am andern Tag sandte der Melik seine Polizisten zu dem Silberschmied, dem Zinnarbeiter und dem Schneider und ließ sie alle drei mit ihren Töchtern in seinen Palast bringen. Zuerst wurde der Silberschmied mit seiner Tochter vorgeführt. Der Sultan fragte ihn, ob der Fußring, den er in seiner Verkleidung als Frau erhalten habe, von ihm stamme. Der Silberschmied und seine Tochter besahen den Ring und bejahten es. Der Melik sagte darauf: "Weshalb hast du denn dem Wasir gesagt, deine Tochter müsse sterben, wenn sie Silberschmuck sehe oder gar trage?" Der Silberschmied sagte: "O Herr! Ich bin ein armer Mann. Ich meine, es gehöre sich nicht, daß meine Tochter eine so hohe Stelle bekleide." Der Melik ließ darauf den Silberschmied und seine Tochter zurücktreten.

Dann wurde der Zinnarbeiter und seine Tochter gerufen. Der Melik zeigte ihnen die Brig, die ihm von der Tochter geschenkt wurde, als er in der vorletzten Nacht als Frau verkleidet in seinem Hause gewesen war und fragte ihn, ob die Brig von ihm komme. Der Zinnarbeiter bejahte das. Da fragte der Melik, wie er dazu komme, zu behaupten, seine Tochter müsse sterben, wenn sie den Hals einer Brig sehe?" Darauf sagte der Zinnarbeiter: "Herr, ich will ehrlich sagen, daß ich als einfacher Mann mich fürchtete, meine Tochter in einer Stellung zu sehen, zu der sie ihrer einfachen Herkunft nach nicht geeignet wäre." Der Melik ließ den Zinnarbeiter und seine Tochter wegbringen.

Endlich wurde der Schneider und seine Tochter hineingerufen. Der Melik nahm das Puppenkleid und sagte: "Du, Schneidermeister, hattest mir gesagt, deine Tochter tauge nicht als meine Gattin, da sie etwas verrückt sei. Ich war nun gestern als Frau verkleidet in deinem Hause, und da hat mir deine Tochter dieses Kleidchen geschenkt." Der Melik wollte weitersprechen. Die Tochter des Schneiders unterbrach ihn aber und sagte: "So, du warst das also? Also du, der Melik, hat sich als Frau verkleidet, um dir etwas von mir schenken zu lassen? Nun, dann gib mir nur schnell die versprochenen Geschenke oder aber gib mir mein Puppenkleid wieder." Darauf lachte der Melik: "Geh, Schneider! Du hast recht! Deine Tochter ist wirklich etwas voreilig. Geh nur! Deine Tochter soll ihre Geschenke haben."



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Darauf ließ der Melik die Fakire über seine Ehe befragen. Die Asarleute antworteten aber: "Die, welche gelogen und einen schlechten Leumund über die Absicht des Melik verbreitet haben, verdienen Strafe. Das törichte Mädchen ist aber eine gute Gattin für den Melik." Der Melik verfuhr nach dem Ausspruch der Asarleute. Er ließ den Zinnarbeiter und den Silberschmied bestrafen und heiratete die Tochter des Schneiders. Sie wurde ihm eine ausgezeichnete Frau und gebar ihm treffliche Söhne und Töchter.


5. Die zersprengte Familie

Ein Vater hatte einen Sohn, den verheiratete er, und der Sohn E hatte bald selbst zwei kleine Kinder. Eines Tages rief der alte Vater seinen Sohn zu sich und sagte zu ihm: "Ich bin alt und werde binnen kurzem sterben. Wenn nun nach meinem Tode irgend jemand zu dir kommt und sagt: ,Dies und das war mir dein verstorbener Vater schuldig', so gib es ihm, denn es sollen keine Schulden hinterher stehen bleiben, und es wird das zu deinem und deiner Familie Besten ausfallen." Der Sohn versprach es, und kurze Zeit darauf starb der Vater.

Bald nachdem der Vater gestorben und begraben war, kamen Leute und sagten: "Dies und das war mir dein verstorbener Vater schuldig." Dem Wunsche seines Vaters gemäß zahlte er ihnen die genannten Summen, und die Leute gingen und erzählten anderen, wie leicht es sei, von dem jungen Manne Geld zu erhalten. Das Gerücht verbreitete sich, und bald kamen mehr und immer mehr Leute und sagten: "Dies und das war mir dein verstorbener Vater schuldig!" Der Sohn zahlte alle aus, und so sah er sein Vermögen, so bedeutend es anfangs auch gewesen war, schnell und immer schneller hinschwinden, so daß ohne Schwierigkeit ein baldiges Ende abzusehen war.

Da sagte er denn eines Tages zu seiner Frau: "Meine Frau, ich fürchte, daß wenn ich noch länger hier bleibe, bald der ganze Rest meines Besitztums aufgebraucht sein wird, und somit wollen wir so bald als möglich unsere Sachen packen und von dannen ziehen in ein anderes Land." Die Frau war damit sehr einverstanden, und nachdem alles zusammengepackt war, bestieg der junge Mann mit seiner Frau und seinen Kindern ein Boot und fuhr mit ihnen auf dem Strom von dannen. Als sie nun eine längere Zeit gefahren und mitten auf dem Wasser



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waren, kam ein Sturm und warf das Boot gegen die Felsen, so daß es zerbrach. Das Boot zerschellte sofort, und jeder suchte einige Bretter zu erreichen, an denen er sich festhielt, um sich damit zu retten. Der Mann trieb sehr weit fort. Er konnte von seiner Frau und seinen Kindern nichts sehen, konnte ihnen also nicht helfen und mußte froh sein, als die Bretter, an denen er sich festklammerte, zuletzt gegen eine große Insel getragen wurden. Der Mann ging auf die Insel und suchte sich einige wilde Früchte, um seinen Hunger zu stillen.

Der Mann irrte tagelang auf der Insel umher und sah zuletzt, daß sie unbewohnt war. Am vierten Tage nahm er wahr, daß ein großer Vogel von einem Platze immer auf und nieder flog, und als er, dadurch neugierig gemacht, dorthin ging, fand er einen ummauerten Platz, der in eine Grube führte. Er stieg zu ihr hinab und befand sich plötzlich zwischen großen Haufen von Gold und Silber. Der Mann steckte von dem Golde genug zu sich. Dann ging er an das Ufer und wartete. Und als er wiederum vier Tage ausgeschaut hatte, kam in der Ferne eine Segelbarke vorüber, deren Rais sein Winken und Rufen bemerkte, das Boot näher herbeiführte und ihn dann auf sein Bitten mitnahm.

Der Mann sagte nichts von dem Schatz, den er entdeckt hatte; er ersuchte den Rais nur, ihn bis zu dem nächsten Ort zu führen, an dem ein Melik Hof halte, und versprach ihn dort zu bezahlen. Als der Rais das tat und ihn glücklich in einer großen Stadt ans Land setzte, zahlte er ihm einen guten Lohn und suchte den Palast des Melik auf. Der Melik empfing ihn, und der junge Mann sagte ihm, daß er der Sohn eines verjagten Königs sei; er bat den Melik um einige Schiffe und Leute; er reichte ihm das mitgenommene Gold und versprach ihm, alljährlich davon viel zu schicken, wenn er ihm mit den Schiffen und Leuten die Möglichkeit gäbe, eine Insel neu zu besiedeln, die seiner Familie in alter Zeit gehört habe. Der Melik war damit beim Anblick des Goldes sehr einverstanden und rüstete ihn aus mit allem, was er brauchte.

Der Mann fuhr also als Herr mehrerer tüchtiger Schiffe und einer Anzahl brauchbarer Leute zu der Insel zurück. Er baute erst um den Teil der Insel, in dem die verdeckte Schatzgrube war, eine hohe Mauer und fing dann an, eine neue Stadt zu errichten. Er bezahlte alle Leute reichlich. Er sandte die Boote nach allen Seiten aus, um Waren und Händler zu bringen, und gründete so einen schönen Marktplatz, zu dem allerhand Leute von fern und nah kamen, teils



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um sich anzusiedeln, teils um Handel zu treiben. Der Ruhm des Reichtums, der Gerechtigkeit und der Weisheit verbreitete sich von Monat zu Monat, und da der Mann jedes Jahr seine Abgaben an den König, der ihm die ersten Schiffe und Leute gegeben hatte, entrichtete, so lebte die junge Stadt im glücklichsten Frieden. Der Mann pflegte aber jedesmal, wenn ein Boot ankam, selbst an den Strand zu gehen, nach den Leuten zu sehen und nach Neuigkeiten zu fragen.

Die Frau des Mannes war nicht untergegangen. Ein Koch, der mit einer Barke weit oberhalb über den Strom gesetzt war, hatte sie aufgefischt und zu sich ins Haus genommen, und sie half ihm nun in seinem Geschäft. Die beiden Knaben waren aber von zwei Kaufleuten aufgefischt worden, die sie mit in ihre Geschäfte nahmen, und jeden nach seiner Art erzogen und bei der Arbeit gebrauchten. So war aber jeder von den vieren in eine andere Stadt gekommen, und keiner wußte, ob der andere noch lebe oder ob er im Sturm untergegangen sei. So lang und weit der Stromlauf aber auch war, so viele Städte und Menschen auch an seinen Ufern lagen und wohnten, so drang doch der Ruf der neuen Stadt auf der Insel überall hin, und überall wünschten die Dienenden und Abhängigen die Freiheit zu erhalten, sich an dem aufwachsenden Gemeindeleben zu beteiligen und dadurch selbständig zu werden, daß sie für die, von denen sie abhingen, auf der Insel Niederlagen oder eigene Geschäfte einrichteten.

So sagte denn die Frau des Mannes zu dem Koch, der sie gerettet hatte: "Laß mich zu der Insel fahren und sehen, ob ich da nicht ein Geschäft für dich gründen kann. Dann kann das Geschäft Abgaben abwerfen, die ich dir alljährlich zahle." Dem Koch war das verständlich und er sagte: "Gewiß bin ich damit einverstanden. Wenn wieder ein Schiff vorbeikommt, das zu der Insel fährt, werde ich dich mit allem Geschirr ausrüsten und werde dich dorthin senden. Wenn sich das Geschäft dort wirklich lohnt, und zwar besser lohnt als das hiesige, in dem du mir geholfen hast, so laß es mich wissen, daß ich auch komme und mit dir die Einnahmen teile."

Der älteste Sohn des Mannes kam aber zu seinem Kaufherrn und sagte: "Herr, es ist jetzt hier am Ort eine stille Zeit. So gib mir denn einige Stoffe und Zucker, daß ich zu der neuen Stadt auf der Insel fahre und dir deine Waren mit größerem Vorteil zu verkaufen suche." Der Kaufherr überlegte sich die Sache und sagte endlich:



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"Wenn wieder ein Schiff hier vorüberkommt, das zu der Insel fährt, werde ich dich ausrüsten und hinübersenden."

Der jüngste Sohn des Mannes kam aber zu seinem Kaufherrn und sagte: "Ich bin zwar noch klein, aber ich meine doch schon klug genug zu sein, um für dich auf jener Insel nach den Aussichten, die ein Kaufmann dort hat, Ausschau zu halten und dir dann zu berichten, ob es sich lohnen würde, ein neues Geschäft, das noch mehr als dieses hier abwirft, zu beginnen." Der Kaufherr sagte: "Dieser Gedanke, mein Junge, ist nicht schlecht. Ich will dich aber nicht allein schicken, sondern ich will, wenn wieder ein Boot nach dorthin abgeht, mit dir zusammen nach der neuen Stadt fahren."

Es dauerte auch nicht lange, so ging wieder ein Segelboot nach der Insel mit der neuen Stadt ab. Der Kaufherr mit dem Jüngsten des Mannes ging mit einigen Waren an Bord und fuhr ab. Nachdem sie eine Zeitlang gefahren waren, hielten sie an einer Stadt. Der Kaufherr des älteren Sohnes brachte diesen mit den Waren an Bord und nahm unter herzlichen Segenswünschen Abschied. Und als das Boot wieder einige Tage weit gefahren war, wurde von dem Ufer aus gewinkt, und da der Rais noch ein wenig Platz hatte, legte er an. Der Koch kam und brachte seine Gehilfin, die die Frau des Mannes und die Mutter der Knaben war, mitsamt dem nötigen Geschirr an Bord.

Nachdem die Barke wieder einige Tage gefahren war, so daß sie sich nun schon nahe der Insel mit der neuen Stadt befand, trat Windstille ein, so daß das Schiff liegen blieb und sich nicht bewegte. Da begannen die beiden Knaben ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Der ältere sagte: "Ich habe keinen Vater und keine Mutter mehr. Sie sind im Strom ertrunken, als wir in ein anderes Land fuhren." Der kleinere Knabe sagte: "Ich habe auch keinen Vater und keine Mutter mehr; sie sind auch im Strom ertrunken, als wir in ein anderes Land fahren wollten." Der ältere sagte: "Ich hatte einen jüngeren Bruder bei mir, der ertrank auch." Der jüngere sagte: "Ich hatte einen älteren Bruder bei mir, der ertrank auch."

Die Frau, die der Koch in die Barke gebracht hatte, saß im Unterraum. Sie hörte, was die Knaben sagten. Die Frau sagte: "Jetzt steht mein Herz still." Die Frau erhob sich und betrachtete die Burschen. Die Frau faßte die Burschen bei den Händen. Sie fragte den älteren: "Wie hieß dein Vater ?" Der ältere sagte: "Mein Vater hieß Achmet." Der Jüngere sagte: "So hieß mein Vater auch."



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Die Frau fragte den Jüngeren: "Wie hieß deine Mutter?" Der Jüngere sagte: "Meine Mutter hieß Fatma." Da schrie die Mutter auf. Sie weinte und sagte: "Ich bin eure Mutter Fatma!"

Der Rais und die andern Leute sahen aber, wie die drei einander umschlangen.

Das Boot kam an. Der Herr der neuen Stadt kam selbst ans Boot, um die Ankömmlinge zu begrüßen. Die Leute des Schiffes begrüßten ihn. Fatma und ihre beiden Kinder saßen aber unbekümmert und umschlungen auf dem Deck und kamen nicht herab. Der Herr der neuen Stadt fragte den Rais: "Und was ist es denn mit denen da?" Der Rais sagte: "Das ist eine Mutter mit ihren zwei Knaben, die haben sich heute wiedergefunden. Die sind einmal verschlagen und auseinandergebracht worden, als sie mit dem Vater der Familie auf der Fahrt in ein anderes Land waren." Der Herr der neuen Stadt fragte: "Wie heißt die Frau ?" Der Rais sagte: "Sie heißt Fatma; ihr ertrunkener Mann hieß Achmed." Darauf gab der Herr der neuen Stadt den Auftrag, Fatma und ihre Söhne in sein Haus zu bringen.

Er selbst sah erst, daß die andern gut unterkamen. Dann eilte er nach Hause und ging dahin, wo Fatma und die Knaben zusammensaßen. Der Mann betrachtete sie, bis ihm die Tränen in die Augen traten. Dann sagte er: "Und ich bin Achmed, euer Gatte und Vater!"


6. Die Sprache der Tiere

Es war ein Mann, der war sehr reich; aber er hatte nur einen einzigen Sohn, und als er nun sehr alt war, wollte er dem den besten Rat für sein Leben geben, den er ihm hinterlassen konnte. Der reiche Mann rief also seinen Sohn und sagte zu ihm: "Mein Sohn, ich bin alt und werde bald sterben müssen. Ich hinterlasse dir zwar viel Geld und Gut, ich will dir aber zu guter Letzt noch einen Rat geben, der besser ist als mein Besitztum, und dessen Befolgung dir mehr nützen kann als alles andere, was aus meinen Händen in die deinen übergehen kann. Höre also: Bereite jeden Freitag einen großen Fatir (Kuchen) aus Milch und Butter. Sorge, daß dieser Fatir mit aller Sorgfalt bereitet werde und wirf ihn in den Nil! Willst du das tun?" Der Sohn versprach, seinem Vater zu folgen, und wenige Monate vergingen, da starb dieser.

Der gehorsame Sohn begann sogleich nach dem Begräbnis seines



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Vaters an die Ausführung des eingegangenen Versprechens zu gehen. Er buk, sowie der erste Freitag kam, einen großen Fatir mit Milch und Butter und warf ihn in den Nil. Das führte er nun jeden Freitag aus. Sein Vater hinterließ ihm ein so bedeutendes Besitztum, daß er den Fatir für eine unbedeutende Ausgabe ansah, die ihn nicht hinderte, eine andere für die wohlanständigen Jugendfreuden zu verwenden, wozu er als ordentlicher Mann vor allem die Ehe rechnete. Er heiratete also. Aber auch in der Ehe unterließ er es nie, an jedem Freitag den mit Milch und Butter bereiteten Fatir in den Nil zu werfen.

Nach einiger Zeit merkte der junge Mann aber, daß, wenn er sich auch sonst keinerlei Ausschweifungen hingab, sich dennoch sein Besitztum schnell verringerte, und daß der allwöchentliche Fatir stark an seinem Vermögen zehre. Ja, dieser Fatir nahm sein Vermögen so bedenklich in Anspruch, daß es nicht nur sichtlich schwand, sondern auch eines Tages zur Neige ging. Dann dauerte es nicht mehr lange, und der junge Mann hatte nichts mehr. Sein ganzes vom Vater ererbtes Vermögen lag im Nil.

Als es soweit gekommen war, kam der Freitag, an dem vom Vermögen des Vaters nicht mehr genug vorhanden war, noch einen Fatir zu backen, und der junge Mann, dem diese Beschenkung des Nils ein gewisses Bedürfnis geworden war, ging traurig am Nil auf und ab und sagte: "Es ist wieder Freitag. Aber es ist der erste Freitag seit dem Tode meines Vaters, an dem ich keinen Fatir mehr in den Nil werfen, also das meinem Vater gegebene Versprechen nicht erfüllen kann. Ich bin nun so arm, daß ich keinen Fatir mehr backen kann, ja, daß ich nicht einmal weiß, wovon ich selbst leben soll. Was tue ich nun?"

Der junge Mann stand im Schatten eines Baumes. Er hungerte und blickte in den Nil, in den er sein ganzes Vermögen geworfen hatte. Da kam ein Mann vom Nil her. Das war ein Aldjann; der kam auf den jungen Mann zu und sagte: "Warum stehst du hier so hungrig?" Der junge Mann sagte: "Früher hatte ich noch ein Vermögen, aber als mein Vater starb, sagte er mir, ich solle jeden Freitag einen Fatir, der mit Milch und Butter gebacken sei, in den Nil werfen. Ich tat es, und damit verbrauchte ich alles, was ich hatte. Heute nun ist der erste Freitag, an dem ich den Fatir nicht in den Nil werfen kann. Das macht mich traurig."

Der Aldjann sagte: "Mein Freund, den Fatir, den du jeden Freitag in den Nil geworfen hast, habe ich dort unten gegessen. Mein



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Vater wohnt nämlich dort unten im Nil unter dem Wasser. Dort ist er ein allmächtiger Aldjann, und da er über mich erzürnt war, hatte er mich eine Zeitlang gefangen gesetzt. Jetzt haben wir uns aber wieder ausgesöhnt, und das erste, was ich tun konnte, als ich dich so traurig hier am Ufer stehen sah, war, daß ich heraufkam, um mit dir zu sprechen und für das, was du mir in meiner schweren Zeit getan hast, zu danken. Komm nun aber mit mir zu meinem Vater in den Nil. Mein Vater wird dich sehr herzlich aufnehmen."

Der junge Mann erschrak und sagte: "Ich bitte dich! Wie soll ich, ein Mensch, denn in den Nil, unter das Wasser gehen?" Der Mann sagte: "Das ist sehr einfach! Komm nur mit mir an das Wasser. Am Wasser schließe fest die Augen, und dann laß mich das übrige tun. Habe nur keine Angst! Du wirst sehen, das ganze ist sehr einfach, und der Weg unter das Wasser wird sehr gut vonstatten gehen. Wenn du die Augen geschlossen hast, packe ich dich und bringe dich mit einem Ruck an den Platz." Der junge Mann sagte: "Es ist gut! Ich bin damit einverstanden. Bringe mich zu deinem Vater!"

Danach ging der junge Mann mit dem Aldjann herab zum Nil. Er schloß die Augen. Er fühlte einen starken Ruck, und als er die Augen wieder öffnete, fand er sich im Nil unter dem Wasser. Unter dem Wasser ging er dann mit seinem Aldjannfreunde hin, bis der mit ihm seinen Vater erreichte. Der Aldjann sagte zu seinem Vater: "Sieh, mein Vater, das ist der gute Bursche, der mich so lange Zeit jeden Freitag mit einem prächtigen Fatir beköstigt hat." Der alte Aldjann sagte: "So, du bist also der ausgezeichnete Bursche! Nun, dann darfst du dir etwas wünschen. Ich verspreche dir, daß ich es erfüllen will. Sprich aus, was du wünschst!"

Der junge Mann dachte nur eine kurze Weile nach und sagte dann: "Wenn du so gütig sein willst, mir einen Wunsch zu erfüllen, so bitte ich, mich die Sprache aller Tiere und Vögel verstehen zu lassen. Dies wünsche ich mir und sonst nichts." Der alte Aldjann lachte und sagte: "Das ist sehr einfach. Öffne nur deinen Mund!" Der junge Mann öffnete folgsam seinen Mund, der Alte schrieb einige Worte auf einen Zettel, warf ihn in einen Becher, in den er noch Wasser tat, und sagte: "Dies, mein Bursche, trinke. Danach ist dein Wunsch erfüllt!" Der junge Mann nahm den Becher und trank ihn aus. Der alte Aldjann sagte: "Nur, mein Bursche, hüte dich, je einem Menschen zu sagen, daß du die Sprache der Tiere und Vögel verstehst. In dem Augenblick, wo du das tust, wirst



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du sterben." Der junge Mann sagte: "Ich werde immer daran denken."

Der alte Aldjann sagte: "Nun, mein Bursche, schließe die Augen, damit du heimkehrst und von der Erfüllung deines Wunsches Nutzen ziehst." Der junge Mann schloß die Augen. Er verspürte wieder einen Ruck und befand sich einen Augenblick später weit oben. Er öffnete die Augen und sah, daß er sich wieder am Ufer des Nils befand.

Der junge Mann (in der Erzählung einfach Schatr, d. h. der Kluge, genannt) ging am Ufer des Nils hin. Er kam an einem Baum vorbei, auf dem zwei Vögel saßen, die miteinander zwitscherten. Schatr sagte: "Nun kann ich gleich einmal meine neu erworbene Kenntnis prüfen." Damit horchte er denn zu den Vögeln hin. Der eine Vogel sagte: "Wenn irgend jemand einen Widder an dem Platz dort schlachtet, wird er viel Geld und andere Schätze finden." Der andere Vogel sagte: "Du hast recht, dort ist ein Rasad!" Schatr sagte: "Das nimmt sich gut an. Jetzt ist nur noch die Frage, ob die Tiere untereinander die Wahrheit sagen oder sich etwas vorlügen, wie es oft die Menschen tun." Schatr ging zu einem Freund und lieh sich einen Widder. Er brachte ihn an den Platz, von dem die Vögel gesprochen hatten, und schlachtete ihn. Kaum hatte er ihn geschlachtet, so öffnete sich der Boden und ein Rasad (kordofan-arabisch Kanno; das ist ein Platz, an dem sich unterirdische Schätze befinden und der sich beim Opfern eines Widders öffnet) lag vor ihm. Schatr stieg hinab und fand darin große Schätze, Gold und allerhand Edelsteine.

Schatr füllte sich zunächst die Taschen. Dann ging er wieder in die Stadt und kaufte sich einen Sklaven und zwei Esel, einen schwarzen und einen weißen. Er legte einige Säcke darauf und trabte mit ihnen zum Eingang des Rasad zurück. Am Eingang des Rasad begann er die Schätze in zwei Säcke zu füllen. Während er aber noch dabei beschäftigt war, buben beide Esel an zu schreien. Der schwarze Esel schrie zuerst, nach ihm der weiße. Schatr horchte auf. Der schwarze Esel schrie: "Unser neuer Herr lädt da schöne Schätze auf, wenn wir aber nachher auf dem Heimweg an der Polizeiwache vorbeikommen, werde ich mich gerade hinwerfen. Der Sack, den ich tragen muß, wird zerreißen und alles Gold und alle Edelsteine werden herausrollen. Die Polizisten werden dann unsern neuen Herrn gefangen nehmen und fragen: ,Wo hast du all die Edelsteine und das Gold her?' Sie werden ihm alles wegnehmen,



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und ich kann ohne Last weiterlaufen." Der weiße Esel sagte: "Ich werde es nicht so machen, denn unser neuer Herr hat noch nicht schlecht an uns gehandelt." Schatr sagte: "Dir, mein schwarzer Freund, will ich helfen!" Darauf lud er die Säcke dem weißen Esel auf, in denen das Gold und die Edelsteine waren. Für den schwarzen füllte er einige Säcke mit ganz schweren Straßensteinen.

Dann trieb er die beiden Esel vor sich her nach Hause. Als die Esel bei der Mackas (Mackas in Kordofan Polizei) vorbeikamen, warf sich der schwarze Esel hin, wie er es vorher gesagt hatte. Die Säcke, die er trug, platzten auch, und einige Feldsteine rollten über den Boden hin von dannen. Da es aber Feldsteine waren, so kümmerte sich die Polizei nicht weiter darum und nahm davon keine Notiz. Schatr aber nahm seine Peitsche und schenkte dem Schwarzen eine gründliche Tracht Prügel. Dann belud er den schwarzen Esel wieder und trieb ihn mit seinem weißen Kameraden nach Hause. Der weiße Esel begann aber wieder zu schreien und sagte zum schwarzen: "Siehst du! Das hast du von deiner Klugheit! Hättest du dich nicht hingeworfen, so hättest du keine Prügel bekommen. Es schien mir außerdem so, als habe dir unser Herr noch einige Feldsteine mehr aufgeladen. Ich aber habe weder Schläge noch eine schwere Ladung bekommen." Der schwarze Esel antwortete nichts. Schatr aber trieb beide nach Hause und brachte dort seine Schätze in guten Gewahrsam. Dann sorgte er dafür, daß dem weißen Esel vom Sklaven noch besseres Futter hingeworfen wurde als dem schwarzen.

Schatr war danach müde. Er legte sich auf sein Lager. Seine Frau lag auf einem andern Angareb ihm gegenüber. Auf dem Hofe sprachen die Hühner mit dem Hahn und erzählten sich Geschichten. Schatr horchte auf und hörte zu; und nach einiger Zeit mußte er über die Geschichte des Hahnes laut lachen. Die Frau fuhr empor. Sie richtete sich auf und sagte zu Schatr: "Was hast du? Weshalb lachst du?" Schaft sagte: "Ich habe nichts." Die Frau sagte: "Bist du dumm, daß du um nichts lachst? Ich dachte, mein Mann wäre durch die Fatirbäckerei nur arm geworden; nun sehe ich aber, daß er auch dumm ist." Schatr wollte seine Frau beschwichtigen und sagte: "Es ist etwas anderes." Schatr wollte die Geschichte der Hühner erzählen, da hörte er aber, wie der Hahn laut zu den Hühnern sagte: "Paßt auf! Heute begeht Schatr noch eine Dummheit und erzählt seiner Frau, was der Aldjann ihm verboten hat zu



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sagen, und dann wird er sterben." Die Frau sagte: "Es ist etwas anderes! Es wird recht etwas anderes sein! Verdummt bist du, das ist alles!" Der Hahn sagte zu den Hühnern: "Wenn ich an Schatrs Stelle wäre, würde ich die Frau auszahlen und wegschicken. Wer so viel Gold und Edelsteine haben kann wie Schatr, kann so viel Frauen haben wie er braucht. Ich würde mich nicht beschimpfen lassen!" Schatr richtete sich auf und sagte zu seiner Frau: "Was willst du?" Die Frau sagte: "Dumm bist du! Dein Vater war schon dumm mit seinem Fatir! Du aber bist ganz töricht und fängst nun schon an, vor dich hin zu lachen wie ein Verrückter." Der Hahn sagte: "Dieser Schatr kann mehr Frauen haben als ich Hühner, und ich habe ihrer vierzig! Das läßt er sich aber von einer Frau sagen!"

Schatr sagte zu seiner Frau: "Wie viel soll ich dir auszahlen? Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben." Die Frau sagte, was sie haben wollte. Schatr ging hinaus und holte das Geld. Er ging mit ihr zum Richter und brachte die Sache in Ordnung. Danach ging er wieder heim und sagte bei sich: "Dieses verdanke ich den Hühnern. Es hätte nicht viel gefehlt, so hätte ich meine große Angelegenheit meiner Frau ausgeplaudert."

Mittlerweile kam er an dem Stalle vorbei, in dem ein Bulle bei dem schwarzen und weißen Esel stand. Der Sklave kam gerade herein mit einem großen Bündel Gras, das warf er dem Bullen hin. Als der schwarze Esel, der neben dem Bullen stand, dies sah, sagte er: "Höre, mein Freund, wenn du das alles ißt, wirst du morgen sehr stark sein. Dann wirst du in den Sakhir gespannt und mußt ziehen. Wenn du aber das Gras liegen läßt, bist du morgen matt. Dann läßt du den Kopf hängen, und die Sklaven und der Herr werden sagen: ,Der Bulle ist krank. Er sieht schlecht aus und hat sein Futter liegen lassen. Er kann heute nicht arbeiten.' Dann wirst du morgen nicht zu arbeiten brauchen!" Der Bulle sagte zum schwarzen Esel: "Ist das ganz sicher?" Der schwarze Esel sagte: "Du kannst dich darauf verlassen, es ist so!" Der Bulle sagte: "Ich werde es einmal versuchen." Als Schatr das gehört hatte, ging er weiter und in sein Haus.

Abends und nachts fraß der Bulle nichts. Der schwarze Esel aber zog ein Maul voll Gras nach dem andern aus dem Bündel des Bullen und fraß es. Schatr kam am Morgen früh in den Stall und sah das. Schatr sagte zu dem Abd (Sklaven): "Spanne heute den Bullen nicht ein. Spanne aber den schwarzen Esel ein und laß ihn am



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Sakhir arbeiten." So wurde der schwarze Esel eingespannt, und er mußte den ganzen Tag arbeiten.

Als der schwarze Esel abends wieder in seinen Stall getrieben wurde, ging Schatr hin und hörte, was die Tiere sprachen. Erst sprach der weiße Esel und sagte: "Siehst du! Nun hast du einmal wieder gute Ratschläge gegeben; es ist dir aber nicht besser gegangen, als wie neulich an der Polizei." Der schwarze Esel sagte: "Du bringst es doch mit deiner Gutmütigkeit zu nichts." Der weiße Esel sagte: "Ich lebe mit aller Welt in Frieden!"

Nach einiger Zeit brachte der Sklave das Gras für den Bullen. Der schwarze Esel sagte nun zum Bullen: "Höre, mein Freund, ich rate dir, dies Gras nicht zu fressen. Ich habe nämlich gehört, wie unser Herr für morgen früh den Schlächtermeister bestellt hat. Wenn du nun kräftig und munter bist, wird der Schlächter dich kaufen. Kräftig und munter wirst du aber sein, wenn du all dies Gras frißt. Wenn du aber das Gras nicht frißt, wirst du müde und schlaff sein. Wenn der Schlächtermeister dich dann so sieht, wird er sagen: ,Dieses Tier ist krank; ich kann es nicht kaufen, denn ich könnte das Fleisch nicht mit gutem Gewissen an meine Kunden weitergeben.' So wirst du also im Stall und am Leben bleiben, wenn du heute das Gras nicht frißt." Der Bulle sagte: "Ist das ganz sicher?" Der schwarze Esel sagte: "Gewiß, das ist ganz sicher." Schatr hörte alles und ging dann ins Haus.

In der Nacht aß der Bulle nichts; der schwarze Esel aß aber alles auf. Schatr kam am andern Morgen früh in den Stall und sah das. Schatr sagte zum Sklaven: "Spanne heute den Bullen ein, denn er hat nicht genug Arbeit und frißt daher nicht genug. Den schwarzen Esel will ich aber verkaufen." Der Bulle mußte nun den ganzen Tag den Sakhir ziehen. Der schwarze Esel aber wurde verkauft und kam zu einem Herrn, bei dem er nicht viel zu essen bekam. Er wurde mager und träge. Der Bulle fraß von nun an immer das Gras, das der Sklave ihm brachte.

Schatr heiratete aber eine andere Frau. Dadurch, daß er den Gesprächen der Tiere lauschte, lernte er die Orte kennen, wo viele Reichtümer lagen, und allen Menschen, die ihm übel wollten, aus dem Wege zu gehen. Er lernte aber aus den Gesprächen der Tiere auch manche kluge Erfahrung, die ihn in den Stand setzte, alle Zwistigkeiten und Widrigkeiten des Schicksals zu vermeiden.



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7. Das Girdamädchen

Ein Amir (Emir) hatte drei Söhne, die wuchsen langsam heran. Als diese Söhne große Burschen geworden waren, sagte der Vater eines Tages zu ihnen: "Nehmt eure Lanzen und reitet mit mir hinaus aus dem Dorfe!" Die Söhne gingen und holten ihre Waffen, bestiegen ihre Pferde und ritten mit dem Vater hinaus in die Steppe. Der Vater sagte: "Nun, meine Söhne, möchte ich sehen, ob ihr geschickt genug in der Handhabung der Waffen seid, um eine Frau damit verteidigen zu können. Seht dort draußen die Gazellen. Jagt sie mit Lanzen. Ich werde sehen, wie ihr eure Sache handhabt."

Darauf ritten die drei Söhne schnell von dannen, und der Vater folgte ihnen langsam in einiger Entfernung. Die drei Söhne warfen ihre Speere nach den Böcken und trieben die Rudel bald nach der einen, bald nach der andern Seite.

Der Vater sah aus der Entfernung, wie geschickt sie ihre Lanzen den Tieren einsetzten, und als sie nach einigen Stunden zurückkamen, hatte jeder drei Antilopen erlegt. Der Vater sagte: "Kommt nun wieder mit mir zurück in unsern Ort. Wir wollen heimkehren. Wenn wir nun durch das Dorf reiten, könnt ihr ein jeder vor dem Hause, in dem das Mädchen wohnt, das er heiraten möchte, die Lanzen in die Erde stoßen, und ich werde nachher die Eltern der Mädchen aufsuchen und die Sache mit ihnen in Ordnung bringen."

Der Vater ritt mit den Söhnen durch den Ort. Als sie an dem Hause eines sehr angesehenen Mannes vorbeikamen, der eine schöne Tochter hatte, die alle jungen Leute des Dorfes begehrten, stieß der älteste Sohn seinen Speer in die Erde. Der Emir sagte: "Es ist recht. Ich werde es nachher ausmachen." Als sie an dem Gehöft eines andern angesehenen Mannes vorbeikamen, der auch eine viel begehrte Tochter hatte, stieß der zweite Sohn seine Lanze in die Erde, und der Emir nickte wieder und sagte: "Es ist mir recht, auch das soll nachher in Ordnung gebracht werden."

Dann ritten sie weiter und durch das ganze Dorf. Der jüngste Sohn sprang mit seinem Pferde spielend hierhin und dorthin. Er wirbelte seine Lanze in der Luft zwischen den Fingern, aber er machte keine Anstalten, vor irgendeinem Gehöft seine Waffe in die Erde zu stoßen. So kamen sie bis an das Ende des Ortes. Der Vater sagte: "Was willst du nun, mein Sohn? Willst du denn keine Frau heiraten?" Der jüngste Sohn lachte aber und sagte: "Sicherlich



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will ich eine Frau heiraten. Die Mädchen dieses Ortes sind aber alle nicht schön genug. Die Wüste soll mir ihr schönstes Mädchen geben!" Der Jüngste lachte und stieß sein Pferd in die Weichen, so daß es hoch aufstieg. Er warf seine Lanze, so daß sie mit dem Winde weit hinaus in die Wüste flog.

Der Emir schüttelte aber seinen Kopf und sagte: "Mein Sohn, du bist jung, sonst würdest du nicht so mit deiner Waffe und mit uns spielen. Wie soll ich nun da hinausreiten und die Sache mit einer Frau, deren Namen und Familie ich nicht kenne, in Ordnung bringen? Reite also selbst, mein Sohn, deinem Speere nach und bringe selbst die Sache mit deiner Frau in Ordnung. Ich kann hierin nichts weiter tun." Der Emir wandte sein Pferd um und ritt mit seinen beiden ältesten Söhnen wieder durch den Ort seiner Seriba zu.

Der jüngste Sohn blieb auf der Stelle und sah in die Wüste. Er schämte sich sehr, denn er sah, daß sein Vater gekränkt war und daß er die Schuld daran hatte. Der junge Mann war sehr schön, und alle Frauen und Mädchen liebten ihn sehr. Er selbst hatte aber noch keine Neigung gefaßt, und so hatte er nicht gewußt, was er sonst mit seiner Lanze hätte machen sollen, als sie hinaus in die Wüste werfen. Nun trieb er sein Pferd an und ritt in der Richtung, in der er die Lanze geworfen hatte, in die Wüste hinaus.

Der Jüngste ritt durch die Wüste und blickte aufmerksam nach allen Seiten, um seine Lanze wieder zu finden. Er ritt eine Stunde weit und sah seine Lanze nicht. Der Jüngste sagte: "Meine Lanze war mein bester Freund, seit ich ein Bube war, sie kann mir nicht fortgelaufen sein wie ein widerspenstiger Sklave."

Der Jüngste ritt weiter und weiter und immer in der Richtung, in der er seine Lanze geworfen hatte. Er folgte der Richtung und blickte emsig rechts und links und sagte: "Meine Lanze ist nicht dumm wie eine Hüttenstange. Sie weiß, daß ich sie suchen muß, wie die Mutter ihr Kind. Was hat meine Lanze getan?"

Der Jüngste ritt weiter und weiter und achtete auf die Richtung, in der er sie geworfen hatte. Er blickte zur Rechten und er blickte zur Linken, aber er sah nirgends, was er suchte. Der Jüngste sagte: "Mein Vater hat recht gehabt. Ich habe leichtsinnig gespielt. Ich sehe, daß meine Lanze allein nicht soweit geflogen sein kann. Ich werde eine Angelegenheit finden und werde sie zu bestehen haben. Aber da ich einmal auf dem Wege bin, will ich mich keinem Ereignisse entziehen, das auf mich wartet."

Der Jüngste ritt noch ein wenig weiter. Dann sah er einen einsamen



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Baum aus der Wüste aufragen und in seinem Stamm seine Lanze stark eingerammt. Der Jüngste sagte: "Auf diesem Baum wohnt also meine von mir selbst gewählte Frau." Der Jüngste ritt heran und blickte zu dem Baume hinauf. In der Mitte desselben saß zusammengekauert ein junges Girdaweibchen (Girda ist eine Affenart). Der Jüngste sah das Girdaweibchen. Der Jüngste sagte: "Du bist also meine selbstgewählte Gattin?" Das Girdaweibchen sagte: "So ist es." Der Jüngste sagte: "Nun, du kannst wenigstens sprechen. Wenn du mir also auch keine wertvollen Teppiche und kein weiches Angareb und Öl und schmackhafte Speisen mit ins Haus bringen wirst, so kannst du doch wenigstens sprechen."

Das Girdaweibchen sagte: "Das kann ich. Vergiß aber nicht, daß du mich durch den Lanzenwurf selbst zur Gattin gewählt hast." Der Jüngste sagte: "Nein, das werde ich nicht vergessen können. Aber mein Vater wird nicht hier herauskommen wollen, um die Sache mit deinen Eltern in Ordnung zu bringen. Komm also gleich mit auf mein Pferd, damit ich dich in mein Haus nehme."

Der Jüngste riß den Speer aus dem Stamm des Baumes. Er hielt dem Girdaweibchen den Arm hin. Das Girdaweibchen erfaßte ihn und ließ sich auf das Pferd hinab. Dann ritt der Jüngste mit seinem Girdaweibchen nach Hause.

In seinem Hause zeigte er dem Girdaweibchen das Angareb. Das Girdaweibchen legte sich hin und schlief ein. Der Jüngste ging zu seinem Vater und sagte: "Mein Vater, du hast recht gehabt. Ich habe den Speer in die Wüste geworfen, und als ich ihm nachritt, fand ich ihn vor dem Hause eines Girdaweibchens im Sande." Der Vater sagte: "Was hast du getan?" Der Jüngste sagte: "Ich habe das Girdaweibchen mitgebracht." Der Emir sagte: "Du hast das selbst zu ordnen." Der Jüngste sagte: "Ich muß mein Haus nun bewohnen, wie es meine Frau herrichtet. Ich habe dem Girdaweibchen ein Angareb gegeben, es wird Essen und Trank erhalten. Das ist alles, was ich tun kann."

Die beiden ältesten Söhne des Emirs heirateten. Ihre Frauen richteten ihnen die Häuser ein. Es waren Teppiche und Polster und allerhand Geräte da. Der Emir sagte eines Tages zu seinem ältesten Sohne: "Mein Sohn, ich werde dich morgen einmal besuchen und werde bei dir essen. Denn ich möchte sehen, wie du nun lebst, nachdem du verheiratet bist." Der älteste Sohn eilte zu seiner Frau und sagte: "Morgen wird mein Vater zu uns kommen und bei uns essen. Sorge, daß es ihm gefällt!"



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Am andern Tag kam der Vater und wurde von seinem Sohne empfangen. Der Sohn führte den Vater hinein und lud ihn ein, auf den Kissen und Teppichen Platz zu nehmen. Es kamen wohlgekleidete Sklaven und reichten duftenden Sorbet, und nachher brachten sie auf einer schönen Sinia viele verschiedene Gerichte. Der Vater sah um sich und erhob sich erst spät. Er sagte zu seinem Sohne: "Ich sehe, mein Ältester, daß du gut verheiratet bist und daß deine Frau für dich und alle deine häuslichen Angelegenheiten vorzüglich sorgt."

Am Tage darauf besuchte der Vater in der gleichen Weise seinen zweiten Sohn, nachdem er ihm vorher sein Kommen angekündigt hatte. Der Emir fand hier ebenso reiche Herrichtungen und gute, geordnete Bewirtung. Er wünschte auch ihm zu seinem häuslichen Leben viel Glück.

Der jüngste Sohn des Emirs hatte am Nachmittag zu Pferd sein Haus verlassen und war in die Umgebung geritten, denn seit das Girdaweibchen in seinem Hause weilte, fühlte er sich in den Lehmmauern nicht mehr wohl, und wenn er sie vorher nie häßlich gefunden hatte, so schienen sie ihm jetzt, wo das Girdaweibchen bei ihm war, und wo er seine Wohnung mit der schönen Zurichtung seiner glücklich verheirateten Brüder verglich, unerträglich. Der jüngste Sohn kam nun nach Hause und traf auf dem Wege seinen Vater, der bei seinem zweiten Sohne gegessen hatte. Der Jüngste begrüßte den Emir. Der Emir sagte: "Wie geht es dir, mein Jüngster? Ich habe gestern bei meinem ältesten Sohne gegessen und heute bei meinem zweiten. Ich habe es bei beiden ausgezeichnet gefunden. Sie führen beide ein glückliches Leben, seit sie verheiratet sind." Der jüngste Sohn sagte zu seinem Vater: "Mein Vater, ich kann dich nicht bitten, morgen bei mir zu essen."

Der Jüngste kam spät in der Nacht heim. Er setzte sich auf sein Angareb und seufzte. Er seufzte und war betrübt. Im Raume nebenan lag das Girdaweibchen auf seinem Angareb. Das Girdaweibchen hörte seinen Mann seufzen und stöhnen und kam herüber zu ihm. Das Girdaweibchen setzte sich neben den jungen Mann auf das Angareb und sagte: "Sage mir, was dich bedrückt, vielleicht ist die Sache auszugleichen." Der Jüngste sagte: "Du bist ein gutes Girdaweibchen, daß du dich um meinen Kummer bemühst. Es ist aber nicht mehr möglich, mir zu helfen, denn ebenso wie dir ein Girdamännchen lieber wäre als ein Mensch, und wenn er auch der Sohn des Emirs ist, so würde jedes Mädchen und jede Frau mir meine



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Angelegenheiten besser ordnen können als du, wenn sie auch nicht ein so freundliches Mitgefühl hat." Das Girdaweibchen sagte: "Höre, du bist der Sohn eines Emirs, aber du bist nur ein Mensch und kannst nicht wissen, was ein Girdamädchen ist, was sie empfindet und was sie kann. Sage mir also deinen Kummer!" Der Jüngste sagte: "Gutes Girdamädchen, ich habe am gleichen Tage dich gewonnen, an dem meine älteren Brüder ihre Frauen erwählten. Die Frauen haben nun ihren Männern die Häuser eingerichtet und wohnlich gemacht. Vorgestern hat mein Vater bei meinem ältesten Bruder, gestern bei meinem zweiten Bruder gegessen, und er hat alles sehr schön und reich und wohnlich gefunden, weil die Frauen alles gut und reich hergerichtet haben. Morgen müßte mein Vater nun bei mir essen. Wie soll ich ihm auf diesem Erdboden zwischen diesen Lehmwänden ein Essen vorsetzen?" Das Girdaweibchen sagte: "Ist das denn alles?" Der Jüngste sagte: "Es ist genug, um mich traurig zu machen."

Das Girdaweibchen sagte: "Das ist sehr einfach! Sattle schnell dein Pferd und bringe mich heute nacht noch zurück in die Wüste; Dann stört dich das häßliche Girdaweibchen nicht mehr. In der Wüste ist aber eine Stadt, in der schöne, reiche Frauen sind. Ich weise dir den Weg. Du gewinnst eine von den schönen Frauen. Sie kommt mit allem ihren Besitz, und bis morgen abend kann sie dir dein Haus hergerichtet haben. Glaube mir, das ist keine schwierige Sache." Der Jüngste sagte: "Du bist ein gutes Girdaweibchen, sage mir aber doch, was aus dir werden würde?" Das Girdaweibchen sagte: "Ich würde sterben." Der junge Mann sagte: "Du bist ein gutes Girdaweibchen, du sollst nicht sterben. Ich habe dich durch meinen Lanzenwurf gewonnen. Nun sollst du nicht sterben durch mich. Geh nur auf dein Angareb und schlafe. Ich kann auch so leben und brauche den Besuch meines Vaters nicht. Ich danke dir aber dafür, daß du hierher gekommen bist, um mich nach meinem Kummer zu fragen. Mein Kummer ist nun zerflossen."

Das Girdaweibchen sagte: "Du willst mich also nicht in die Wüste zurücktragen, um eine schöne, junge Frau zu gewinnen?" Der junge Mann lachte und sagte: "Nein, das will ich nicht. Du bleibst als mein gutes Girdamädchen in meinem Hause."

Das Girdamädchen sagte: "Dann will ich dir eine andere Angelegenheit sagen. Hast du schon einen Girda gesehen, der sprechen kann?" Der junge Mann sagte: "Nein, ich habe das noch nicht gesehen!" Das Girdaweibchen sagte: "Wenn du dieses Ungewöhnliche



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selbst siehst, dann wirst du mir auch anderes Ungewöhnliche glauben?" Der junge Mann sagte: "Gewiß glaube ich dir!" Das Girdaweibchen sagte: "Dann geh morgen mittag zu deinem Vater, dem Emir, und bitte ihn, zu dir zu kommen, um mit dir zu speisen. Dein Vater wird alles ebenso gut finden, wie bei deinen Brüdern." Der junge Mann sagte: "Ich werde es tun." Das Girdaweibchen erhob sich und ging in ihr Zimmer, um auf ihrem Angareb zu schlafen.

Der junge Mann blieb auf seinem Lager sitzen. Er sagte: "Diese Sache mit meinem Girdamädchen ist anders als irgend etwas, was ich vorher gehört habe." Nach einiger Zeit ging der junge Mann leise in den andern Raum, um das merkwürdige Girdamädchen noch einmal zu sehen. Er trat an ihr Angareb.

Ein wenig vom Licht des Mondes schlüpfte durch eine Ritze in der alten Mauer hinein und beleuchtete das Girdamädchen, das vom Licht abgewendet auf dem Angareb schlief. Der junge Mann betrachtete das Girdamädchen und sah, daß aus einem Riß des Affenfelles lange Haare herausgefallen waren, die waren weich wie Seide, und goldene Fäden waren hineingeflochten. Der junge Mann betrachtete das Haar. Er befühlte es vorsichtig mit der Hand. Da seufzte das Girdaweibchen im Schlafe auf, und er schlich schnell und leise wieder in seinen eigenen Raum. In seinem Raum stand der Speer, mit dem er geworfen hatte. Er ließ die Hand über den Speer gleiten und sagte: "Mein guter Freund, du kannst gut fliegen und weithin eilen, aber sprechen kannst du nicht. Was würdest du mir sonst wohl hierüber sagen können?"

Am andern Mittag ging der Jüngste zu seinem Vater und sagte: "Mein Vater, du hast vorgestern bei deinem ältesten Sohne gegessen. Du hast gestern bei deinem zweiten Sohne gegessen. Komm heute zu mir und speise mit mir, deinem dritten Sohne."

Der Vater sagte: "Mein bedauernswerter Sohn, du bist nicht verheiratet und hast dein Glück und deine Bequemlichkeit für ein Girdaweibchen fortgeworfen. Du wirst das noch schlimmer fühlen, wenn ich mit dir in deinem einsamen Hause dein Essen teile." Der Jüngste sagte: "Mein Vater, ich bitte dich! Komm doch nur heute einmal zu mir." Der Emir sagte: "Ich will dir deinen Wunsch nicht abschlagen. Ich werde kommen."

Der Vater bestieg sein Pferd. Er ritt mit seinem Sohne zu dessen Haus hinüber.

Als die beiden Reiter vor dem Hause angekommen waren, traten



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zwei prächtig gekleidete Sklaven aus der Tür und hielten die Pferde. Zwei andere Diener aber rollten eine lange seidene Decke aus der Tür bis zum Tor. Sie halfen dem Emir und seinem Sohne aus dem Sattel und folgten ihnen, als beide über den seidenen Stoff zum Hause hineingingen.

Als der Emir und sein Sohn an die Türe kamen, traten ihnen schöne Knaben entgegen, die hielten Schale und Brig und Trockentuch, so daß sie den Staub abspülen konnten. Andere nahmen ihnen die Straßenschuhe ab, so daß sie nicht die schönen Teppiche zu beschmutzen brauchten, die den Boden bedeckten. Der Emir stand als erster in dem Raum und fragte seinen Sohn sogleich: "Mein Sohn, erkläre mir dieses." Der Jüngste sagte: "Mein Vater, ich kann dir von all dem nichts erklären, denn ich weiß nicht einmal, ob dies überhaupt mein Haus ist oder nicht. Ich bitte dich aber, auf diesen Kissen Platz zu nehmen und meine Bewirtung anzunehmen - soweit ich das Recht habe, diese Bewirtung die meine zu nennen." Der Emir setzte sich. Der jüngste Sohn setzte sich. Sie betrachteten beide die Teppiche, die auf dem Boden und an den Wänden ausgebreitet waren. Sie sahen die Kursi, auf die eine goldene Sinia mit dreißig verschiedenen Gerichten gestellt wurde.

Der Emir aß und fand das Essen besser, als irgendeines, das er vorher zu sich genommen hatte. Er schwieg aber und dachte bei sich: "Ich werde meinen Sohn nach nichts fragen, denn diese ganze Geschichte mit dem Girdamädchen ist eine Lüge, und er wird, wenn ich ihn frage, mir nur noch mehr vorlügen. Ich will aber sehen, wie ich diese Lügen aufdecken und meinen Sohn dafür strafen kann."

Der jüngste Sohn aß und fand, daß er nie in seinem Leben so gut gegessen habe. Er sagte aber nichts, denn er dachte bei sich: "Seit ich die seidenen, golddurchwirkten Haare unter dem Affenfell meines Girdamädchens gesehen habe, weiß ich überhaupt nur noch, daß ich von allem, was mit dem Mädchen zusammenhängt, nichts weiß. Wenn ich meinem Vater etwas sage, wird er es mir nicht glauben, sondern wird mich für einen Lügner halten. Ich werde aber zusehen, daß ich herausbekomme, was sonst noch unter dem Affenfell meines Girdamädchens verborgen ist."

Nachdem der Emir und sein Sohn gegessen hatten, erhob sich der Vater und sagte: "Mein jüngster Sohn, ich sehe zu meiner Freude, daß du in ebenso glücklichen Umständen lebst, wie deine älteren Brüder. Ich verlasse dich nun. Begleite mich heim und vergiß



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nicht, daß ich euch eine Mahlzeit schuldig bin, die eure Frauen bereitet haben. Darum will ich euch drei mitsamt euren drei ausgezeichneten Frauen morgen abend zum Essen bei mir sehen." Der Sohn sagte: "Es ist gut, ich werde kommen!" Der Emir lachte und sagte: "Du wirst aber nicht allein kommen, sondern deine Frau mitbringen, die heute so vortrefflich für mich gesorgt hat, so daß ich sie kennen lerne und ihr danken kann." Der Sohn begleitete seinen Vater heim. Als der Sohn in sein Haus zurückkam, war es schmutzig und kahl wie früher. Er schlich sich in den andern Raum, da lag das Girdamädchen auf dem Angareb. Er konnte aber keine Haare sehen. Der Mond schien auch nicht durch die Mauerritze. Der Wind blies nur Sand herein, so daß der ihm in die Augen fiel und ihn in seinen eigenen Raum zurückjagte.

Am andern Morgen ging der junge Mann sogleich zu seinem Girdamädchen hinüber. Er setzte sich auf den Rand des Angarebs und sagte zu dem Girdamädchen: "Mein Vater ging gestern sehr zufrieden fort." Das Girdamädchen sagte: "Das weiß ich." Der junge Mann sagte: "Mein Vater hat gesagt, daß heute seine drei Söhne mit ihren Frauen zu ihm kommen und bei ihm essen sollen." Das Girdamädchen sagte: "Das weiß ich." Der junge Mann sagte: "Was soll ich nun tun?" Das Girdamädchen sagte: "Du mußt hingehen." Der junge Mann sagte: "Und welche Frau soll ich mitnehmen?" Das Girdamädchen sagte: "Bringe mich schnell in die Wüste und hole eine andere Frau, die ich dir zeigen werde." Der junge Mann sagte: "Und was wird aus dir werden?" Das Girdamädchen sagte: "Du weißt es doch schon, ich werde sterben." Der junge Mann sagte: "Ich habe dir auch schon gesagt, daß ich das nicht will." Das Girdamädchen sagte: "Dann ist nur noch eines möglich, daß ich nämlich als deine Frau zum Feste deines Vaters gehe!"

Der junge Mann erschrak. Er wußte, daß die Frauen seiner Brüder sehr schön waren. Er wollte nicht das zottige Affenweib als seine Frau mitbringen. Der junge Mann sagte nichts. Das Girdamädchen sagte: "Dein Vater hat mich als deine Frau heute abend eingeladen. Mach, was du willst. Bringe mich in die Wüste zurück und hole dir eine andere Frau oder laß mich allein gehen. Ich verlange nicht, daß du mit mir gehst. Ich aber gehe hin." Der junge Mann ging heraus.

Der junge Mann legte sich auf den Hof und war sehr traurig. Als es Mittag war, kam das Girdamädchen zu ihm und sagte: "Ich



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schlage es dir noch einmal vor: bringe mich zurück in die Wüste und laß mich für eine schöne Frau für dich sorgen." Der junge Mann sagte: "Nein, du sollst nicht sterben." Das Girdamädchen sagte: "Ich werde aber zu dem Feste deines Vaters gehen." Der junge Mann sagte: "Gut, geh hin. Geh aber allein. Ich gehe auch allein." Dann erhob sich der junge Mann und sattelte sein Pferd. Er ritt ein Stück weit, stellte sein Pferd bei einem Freunde unter und stieg dann über die Dächer bis dahin, von wo aus der Mond sein Licht durch die Ritze in der Mauer auf das Angareb des Girdamädchens geworfen hatte.

Als es dunkel wurde, sah er, daß das Girdamädchen sich von seinem Angareb erhob. Das Girdamädchen griff mit der Hand in den Schlitz des Affenfelles und zog einen Almas (Diamant) hervor, der leuchtete wie keine Lampe heller leuchten kann. Danach zog das Girdamädchen das Affenfell nach hinten über den Kopf. Da sah der Jüngste, daß die seidenen Haare lang und länger hervorquollen, daß zwischen die schwarzen Seidenhaare lange Goldfaden gesponnen waren. Das Mädchen strich mit der Hand eine rauhe Stelle der Lehmwand, da war da ein Spiegel, und nun konnte der junge Mann durch die Mauerritze sehen, daß das Girdamädchen über alle Maßen schön war, so schön, daß er vor Schreck zu zittern begann und fast über die Dachkante herab auf die Erde gefallen ware.

Dann streifte das Girdamädchen die Affenhaut auch vom Leibe und von den Gliedern, und nun konnte er sehen, daß unter dem feinen Linnen, in das sie gehüllt war, ein junger, schöner Körper, weiße Glieder und gewölbte Brüste lebten. Als das Girdamädchen so schön unten in dem Lehmhaus vor dem Spiegel stand, da war der jüngste Sohn des Emirs so glücklich, daß er fast geschrien hätte. Um das zu unterdrücken, biß er sich in die Hand, und er konnte sich nicht anders helfen, als daß er tief hineinbiß.

Das Girdamädchen betrachtete sich inzwischen im Spiegel. Es ordnete die Haare. Es nahm aus dem Affenfell allerhand Schmuck hervor. Es legte goldenen Schmuck um den Hals. Es legte goldene Ringe um Handgelenk und Füße. Es warf das Affenfell auf das Angareb, hüllte sich in ein langes Umschlagetuch des jungen Mannes und verließ das Haus, um zu seinem Schwiegervater zu gehen. Kaum hatte aber der jüngste Sohn gehört, daß das Girdamädchen sein Haus verlassen hatte, so stieg er von seinem Dache herab und lief zu seinem Hause. Er blickte in den Raum des Girdaweibchens.



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Er sah da das Affenfell. Er nahm das Affenfell und warf es ins Feuer. Dann setzte er sich auf das Angareb und wartete die Rückkehr des Mädchens ab. Das junge Mädchen ging inzwischen hinüber zur Seriba des Emirs. Sie trat zunächst in das Haus ein, in dem die Frau des Emirs die Herstellung der Speisen beaufsichtigte. Als die alte Frau das verhüllte Mädchen hereinkommen sah, fragte sie: "Wer bist du?" Das Mädchen sagte: "Ich bin die, die dein jüngster Sohn sich als Gattin erwählt hat." Die alte Frau sagte: "Zeige dein Gesicht!" Das junge Mädchen schlug das Tuch zurück. Die Mutter betrachtete sie lange und sagte: "Hüte dich vor dem Vater deines Gatten, meinem Manne, dem Emir, meine Tochter!" Das Mädchen sagte: "Meine Mutter, ich bitte dich, gib mir ein Brot!" Die alte Frau gab dem Mädchen ein Brot. Das Mädchen nahm das Brot unter den Arm und ging aus dem Haus zum Emir hinüber.

Die beiden ältesten Söhne mit ihren Frauen waren schon beim Emir angekommen. Die Frauen waren schön, sie waren reich gekleidet und hatten wertvollen Schmuck.

Der Emir sprach mit den Frauen seiner Söhne. Der Emir sagte: "Die Frau, die mein jüngster Sohn sich erwählt hat, wird auch kommen." Der Türhüter kam und sagte: "Es kommt eine verhüllte Frau über den Hof." Die Brüder sagten: "Das wird die Klugheit unseres jüngsten Bruders sein, die da kommt." Die Frauen der Brüder sagten: "Das wird das Affenweib sein, das kommt. Müssen wir mit ihm aus einer Schüssel essen?" Der Emir sagte zum Türhüter: "Laß die Frau hereinkommen!"

Die Tür wurde geöffnet. Die verhüllte Frau schritt herein und blieb stehen. Der Emir sagte: "Wer bist du?" Die verhüllte Frau sagte: "Ich bin das Mädchen, das dein jüngster Sohn sich zur Frau erkoren hat." Der Emir sagte: "Die Frauen meiner andern Söhne sind auch hier und nicht verhüllt. Zeige dich. Wir werden dich nicht kränken." Die verhüllte Frau sagte: "Wie sollte mich der Vater dessen, der mich zur Frau begehrt, kränken wollen ?" Dann ließ sie das lange Umschlagetuch fallen. Es wurde aber im Zimmer sogleich ganz hell, und war nun ein Unterschied, als ob vorher Nacht gewesen und nun gerade die Sonne aufgegangen sei. Das Mädchen sagte: "Weshalb solltet ihr mich kränken?"

Die ersten beiden Söhne des Emir blickten auf das Mädchen. Die Frauen der beiden Söhne blickten auf das Mädchen. Der Emir blickte auf das Mädchen und sagte bei sich: "Dieses Mädchen soll meine eigene Frau werden. Ich werde meinen Sohn töten." Das



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Mädchen nahm das Brot unter dem Arm hervor, das die Frau des Emir ihr gegeben hatte; es war ein Almas (Diamant) geworden. Das Mädchen reichte den Diamanten dem Emir und sagte: "Nimm dieses als Begrüßungsgabe. Ich bin nicht das, was ihr glaubtet. Ich habe die Haut des Affen umgenommen, um zu sehen, ob dein jüngster Sohn so gut wie schön ist. Ich habe ihm schweren Kummer mit der Affenhaut bereitet und will nun nach Haus gehen, um seinen Kummer zu stillen. Denn auch im großen Kummer hat er nicht gewollt, daß das elende Affenmädchen sterbe, und deshalb will ich ihm eine gute Frau werden und will ihm alles geben, was ich als Tochter des Melik der Alledjenu ihm geben kann." Als das Mädchen das gesagt hatte, nahm sie das Umschlagetuch wieder auf und ging. Es hatte aber keiner Zeit, etwas zu sagen.

Der Jüngste saß auf seinem Angareb und wartete. Als er einige Zeit gewartet hatte, sah er, daß es in der Dunkelheit draußen heller wurde. Dann hörte er Schritte und er sah, daß seine Wohnung von einer Reihe von Ampeln und Lichtern beleuchtet wurde. Wo er hinsah, traten Teppiche und Kissen hervor. Je näher die Schritte kamen, desto höher und weiter wurden die Räume. Er fühlte, daß seine Kleidung sich änderte; er hörte, daß draußen Vögel sangen, trotzdem es Nacht war. Dann tat sich die Tür auf und die Tochter des Alledjenukönigs trat herein und ließ das Umschlagetuch fallen. Die Tochter des Alledjenukönigs kam auf ihn zugeschritten und kniete nieder und küßte die Wunde, die er sich vorher in die Hand gebissen hatte, um seinen freudigen Schreck zu überwinden. Und sogleich war die Wunde geschlossen. Der Sohn des Emir hob die Tochter des Alledjenukönigs auf. Beide gingen dann durch die hell erleuchteten Säle des Serails, in dem von nun an der jüngste Sohn mit seiner schönen Frau wohnte.

Der Emir dachte die ganze Nacht darüber nach, wie er seinen Sohn töte, um seine schöne Schwiegertochter heiraten zu können. Am andern Tag ließ er seinen jüngsten Sohn rufen und sagte zu ihm: "Mein Sohn, ich höre, du legst dir einen Garten an. Wenn du das für dich tun kannst, dann kannst du auch für deinen Vater etwas tun. Sorge also dafür, daß bis morgen nachmittag in meinem Garten ein neuer Weinstock wächst. Ich habe mir für morgen abend Gäste eingeladen, und sie sollen von den reifen Trauben (= einab in Kordofan) dieses Weinstocks genießen. Wenn dir dies nicht gelingt, werde ich dich morgen abend töten lassen."

Der Sohn ging betrübt von dannen. Er trat betrübt in sein Serail



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und warf sich betrübt auf die Kissen. Nach einiger Zeit kam seine schöne junge Frau. Sie strich ihm über die Haare und sagte: "Sage mir deinen Kummer!" Darauf erzählte der Sohn des Emir, was sein Vater von ihm verlangt habe. Als er berichtet hatte, lachte die Tochter des Alledjenukönigs und sagte: "Wenn es weiter nichts ist, so kann das leicht geschehen. Bringe Wasser aus dieser kleinen Flasche in den Garten deines Vaters. Stecke ein Stück trockenen Reisigs in die damit angefeuchtete Erde und sage deinem Vater nur, er solle bestimmen, wieviel Trauben an dem Weinstock sein sollen." Der Sohn nahm die Flasche, die seine Frau ihm reichte, bestieg wieder sein Pferd und ritt in den Garten. Dort pflanzte er das Reisig und ging dann zu seinem Vater und sagte: "Nun brauchst du nur zu bestimmen, wieviel Trauben an dem Weinstock sein sollen, und alles ist in Ordnung." Dann ritt der Sohn des Emir wieder fort. Als aber am andern Tag die Gäste des Emir versammelt waren und in den Garten gingen, da war aus dem trockenen Reisig ein großer Weinstock aufgewachsen, und jeder der Gäste konnte sich eine große, volle Traube abpflücken.

Der Emir ward dadurch aber nur noch zorniger. Er ließ am andern Morgen wieder seinen jüngsten Sohn kommen und sagte zu ihm: "Mein Sohn, sorge dafür, daß morgen um diese Stunde neben meinem Hause ein Garten mit Wassermelonen angelegt ist, der überall Früchte zeigt." Der Sohn sagte: "Das soll da sein, wo jetzt nur Sand ist?" Der Emir sagte: "Jawohl, eben da sollen morgen abend viel Melonen reif sein, denn ich habe viele Leute zu Gast, und jedem will ich eine Melone vorsetzen." Der Sohn ging nach Hause. Der Sohn des Emir suchte seine Frau auf und erzählte ihr von dem neuen Befehl und der wiederholten Drohung seines Vaters. Die Tochter des Alledjenukönigs lachte und sagte: "Das ist wieder sehr einfach. Nimm dieses Wasser und diese Kerne und mische beides mit Erde von dem Sandplatz. Dann wirf das Gemischte über den Sandplatz hin." Der Sohn des Emir tat, wie seine Frau ihm geboten hatte. Als der Emir am andern Tag den Sandplatz betrat, fand er ihn bedeckt mit den Ranken der Wassermelonen, an denen so viele Früchte hingen, daß ein jeder Mann des Ortes eine oder auch mehrere erhalten konnte.

Als der Emir sah, daß sein Sohn auch das zu vollenden vermocht hatte, wurde er über alle Maßen zornig, und in seiner Wut rief er einen seiner Freunde beiseite und sagte zu ihm: "Sage mir doch etwas, was ich meinem Sohne anbefehlen und was er doch unmöglich



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ausführen kann, damit ich einen Grund finde, ihn wegen Ungehorsams zu töten." Der Freund sagte: "So fülle doch ein Haus mit Brot und Fleisch und verlange, daß er es in einer Nacht verzehre." Der Emir sagte: "Das ist wahr!"

Am andern Tag rief der Emir seinen jüngsten Sohn und sagte: "Heute abend werde ich dich in ein Haus einschließen, daß ich mit Brot und Fleisch fülle. Bis morgen früh muß das alles verzehrt sein, oder ich lasse dich töten." Der Sohn des Emir ging nach Hause und erzählte seiner Frau von dem neuen Befehl des Vaters. Die Tochter des Alledjenukönigs lachte aber und sagte: "Laß dich ruhig einschließen. Die Zeit eines Augenaufschlags genügt meinen Leuten, um mehrere Häuser voller Speise zu leeren." Abends ging der Sohn zum Emir und ließ sich von ihm in das Haus voller Brot und Fleisch einschließen. Er legte sich auf die Erde zum Schlafen nieder, und als man am andern Tage das Haus öffnete und ihn herausrief, war von allem Brot und Fleisch auch nicht mehr so viel übrig, daß eine Maus es hätte zwischen den Zähnen und der Zunge spüren können.

Nun aber entschloß sich der Emir, einen Befehl zu geben, dessen Ausführung undenkbar war, denn er sehnte sich alle Tage mehr danach, seine Schwiegertochter zu ehelichen und wollte also seinen Sohn deshalb auf alle Fälle töten. Er ließ also seinen jüngsten Sohn rufen und sagte: "Mein Sohn, nun höre meinen letzten Befehl. Ich will, daß ein Kind, das heute abend geboren wird, morgen früh schon gehen und sprechen kann. Wenn du das nicht vermagst, mußt du sterben." Der Sohn des Emir ging zu seiner Frau und erzählte ihr den neuesten Befehl seines Vaters. Die Tochter des Alledjenukönigs sagte: "Ich sehe jetzt, daß dein Vater mich auf jeden Fall ehelichen und dich töten will. Rufe deshalb alle Leute des Ortes zusammen und fordere von deinem Vater folgende Vereinbarung: Kann das neugeborene Kind, das dein Vater heute abend schickt, morgen früh nicht sprechen, so darf er dich töten; kann das Kind aber sprechen, so muß er auf das Leben und das Emirat zu deinen Gunsten verzichten. Geh hin und fordere dies von ihm vor allen Leuten. Es ist die Stunde, da alle Angesehenen bei ihm versammelt sind."

Der Sohn des Emir ging zu seinem Vater. Alle angesehenen Leute waren bei dem Emir versammelt. Der Sohn trat vor den Vater und sagte: "Mein Vater, du verlangst von mir, daß ich ein Kind, das heute abend geboren wird, zu mir nehme und dafür sorge,



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daß es morgen früh spricht; das forderst du von mir und erklärst, daß du mich töten willst, wenn ich das nicht vermag. Ich erkläre mich vor allen diesen Zeugen hiermit einverstanden unter der Bedingung, daß, wenn ich das Unmögliche, was du jetzt unter Todesdrohung von mir verlangst, möglich mache, daß du dann selbst zu meinen Gunsten auf das Leben und das Emirat verzichtest." Der Emir sagte: "Das ist mir recht. Denn wenn du hiernach nicht stirbst, hat das Leben für mich auch keinen Wert mehr." Der Sohn ging.

Am Abend ward in der Stadt ein Kind geboren. Man brachte es in das Haus des jüngsten Sohnes. Die Tochter des Alledjenukönigs legte es auf eine Matte. Der jüngste Sohn des Emirs und seine Frau legten sich zum Schlafen nieder. Am andern Morgen erwachten sie von einem starken Geräusch. Der Emir war mit allen angesehenen Leuten gekommen und wartete vor dem Hause. Der Emir betrachtete das neue, große Haus und die Gärten, und alle Leute stießen Schreie der Bewunderung aus. Der Emir forderte laut Einlaß.

Da erhob sich der kleine Knabe, der am Tage vorher geboren war, von der Matte, auf die ihn die Tochter des Alledjenukönigs gelegt hatte, ging hin und öffnete das Tor. Der kleine Knabe blickte auf den Emir und die angesehenen Leute, die um ihn waren. Der Emir sagte: "Ist das nicht der Knabe, der gestern geboren wurde?" Die Leute sagten: "Ja, das ist er!" Der kleine Knabe sagte: "Ja, ich bin der Knabe, der gestern abend geboren war. Ich kann, wie du und alle Zeugen hier hören, sprechen, und du hast damit dein Leben und dein Emirat verloren." Als der Knabe das gesagt hatte, fiel der Emir hin und war tot.

Darauf wurde sein jüngster Sohn der Herr des Landes.


8. Der Silberschmied

Ein sehr reicher Mann hatte zwei Söhne. Der Mann sagte: "Der Reichtum zerfließt, aber ein gutes Können erhalt." Er dachte lange darüber nach, und endlich ließ er seinen ältesten das Handwerk eines Blechners (Samkari), den jüngeren aber, der ein sehr schöner Knabe war, das eines Silberschmieds (Ssaig) erlernen.

Nachdem nun jeder der Burschen etwas Gründliches gelernt hatte, sagte der Vater zu ihnen: "Meine Söhne, nun braucht ihr nicht weiter nach eurem Handwerk zu sehen. Ich bin wohlhabend genug, euch geben zu können, was ihr braucht. Wählt euch also ein Geschäft



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aus, das euch am besten gefällt, betreibt es, und erst, wenn ihr etwa sonst in Schwierigkeiten kommt, kehrt zur Tätigkeit eures Handwerks zurück."

Jeder der beiden Söhne mietete sich also einen Laden im Basar und richtete ein Kaufmannsgeschäft ein. Beide betrieben den Handel, jeder für sich, und zwar so lange, als der Vater lebte und noch einige Jahre weiter; dann aber hatten sie das ganze Vermögen ihres Vaters verbraucht und waren gänzlich arm. Der ältere Bruder sagte zum jüngeren: "Nun werden wir unsere Freunde nicht mehr zur Azurne einladen können. Nun werden wir keine Mädchen mehr kommen lassen und keinen Wein mehr trinken können." Der jüngere sagte: "Ja, mein Älterer, das wird nun alles nicht mehr sein, denn wir haben alles verbraucht, was wir von unserem Vater geerbt hatten."

Die Mutter sah, daß ihre beiden Söhne sehr traurig waren. Die Mutter sagte: "Meine Söhne, was seid ihr traurig? Da ich euch selber die Erbschaft eures Vaters ausgeteilt habe, weiß ich, wieviel es war, und da ich euer Leben beobachtete, weiß ich auch, daß ihr alles verbraucht haben müßt, und dieses wird also der Grund eurer Traurigkeit sein." Die beiden Söhne sagten: "Meine Mutter, du hast recht, so ist es!" Die Mutter sagte: "Dann aber, meine ich, habt ihr keinen Grund zur Traurigkeit. Euer Vater war ein kluger Mann, und darum hat er jeden von euch ein Handwerk lernen lassen. Kehrt zu diesen Arbeiten zurück und verdient euch so euren Unterhalt. Wenn diese Arbeit euch dann einmal zu schwer wird, denkt an die fröhlichen Stunden zurück, die ihr früher hattet, und so werdet ihr immer vergnügt aus einer früheren Zeit Nutzen und Erfrischung haben." Die beiden Söhne stimmten der Mutter zu.

Der Blechner kehrte nun zu seinem früheren Meister zurück und nahm die Arbeit bei diesem wieder auf.

Da er tüchtig und emsig seinem Werke nachging, so war der Blechnermeister sehr zufrieden. Der Alte hatte keinen Sohn, wohl aber eine Tochter, und als er nun sah, daß ihm wohl schwerlich ein besserer Eidam werden könne, gab er dem Sohne des Kaufmanns seine Tochter zur Frau und zog sich selbst mehr und mehr vom Geschäft zurück.

Der jüngere Sohn, der ein Silberschmied und ein sehr schöner junger Mann war, zog dagegen in das Haus seiner Mutter und begann selbst eine kleine Werkstatt zu eröffnen. Die Mutter ging ihm dabei in allem zur Hand und sagte zu ihrem Sohne oft: "Glaube



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mir, an solchem durch Arbeit gewonnenen Verdienst wirst du mehr Freude haben, als an allem Ererbten." Die Mutter sagte aber auch: "Mein Sohn, mache deine Arbeit für jedermann. Jedermann wird dich lieben und gern haben. Ich warne dich aber vor einem: hüte dich vor den Leuten, die aus der Wüste kommen. Es sind Leute darunter, die das beste anbieten und anfangs auch geben, nur um nachher die Beschenkten zu eigenem Vorteil der Vernichtung preiszugeben. Noch kurz, ehe dein Vater starb, hat er mir gesagt, ich solle dich vor diesen Leuten warnen." Der Silberschmied sagte: "Meine Mutter, ich werde deine Warnung befolgen."

Der Silberschmied war emsig und fleißig und verdiente mancherlei, da er außerdem geschickt war und die Frauen nach der Frauen Weise bei ihm, seiner jungen Schönheit wegen, lieber arbeiten ließen, als bei alten und häßlichen Männern. Aber der Silberschmied mußte oft viel arbeiten und manches Mal untätig neben dem Werkzeug sitzen, weil er nicht Mittel genug hatte, eine Arbeit auf eigene Gedanken, mit eigenem Gold oder Silber herzustellen, um sie dann liegen zu lassen, bis sich ein Liebhaber finde.

Eines Tages traf ein Mann mit dem jungen Silberschmied auf dem Markte zusammen, von dem der junge Mann schon gehört hatte, daß er ein Goldhändler sei und ein großes Besitztum habe. Der Goldhändler nun setzte sich zu dem Silberschmied, sprach mit ihm und fragte ihn, ehe er ging: "Du bist ein braver Bursche und ein tüchtiger Arbeiter. Was verdienst du denn mit deinem Gewerbe?" Der Silberschmied sagte: "Den einen Tag verdiene ich hundert, manchen Tag fünfzig, andere zwei und einen und viele, viele Tage auch keinen Piaster." Der Goldhändler sagte: "Das ist zu wenig für einen so tüchtigen Burschen, wie du bist. Nimm hier dieses Zweigstück, lege es auf einen Topf voll Zinn und schmelze es. Was du gewinnst, mag dein sein!" Der Goldhändler gab ihm ein rotes Stückchen Holz und ging.

Der Silberschmied ging sogleich zu einem Nachbarn, der viel Rasaß (Zinn) hatte, und sagte: "Leihe mir doch eine Schüssel voll von diesem Zinn." Der Freund gab es. Der Silberschmied eilte zurück in seine Werkstatt, füllte seinen Tiegel mit Zinn, legte das Holzstückchen darauf und schmolz es. Als die geschmolzene Masse aber kalt war, sah er, daß der ganze Tiegel voller Gold war. Er verkaufte nun das Gold, zahlte seinem Freund den Betrag für das Zinn zurück und kam durch die Gabe des fremden Goldhändlers in den Besitz eines ansehnlichen Betrages.



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Nach einigen Tagen kam der Goldhändler wieder seines Weges daher. Der Silberschmied lief zu ihm, bat ihn, ein wenig bei ihm Platz zu nehmen, und sagte ihm, als der reiche Mann der Einladung Folge geleistet hatte: "Ich frage dich nun, wieviel ich dir von dem Gelde abzahlen muß, das ich durch den Verkauf des Goldes verdient habe." Der Goldhändler lachte und sagte: "Ich sagte es ja. Du bist ein ehrlicher und tüchtiger Bursche. So war das aber nicht gemeint, und jenes Stückchen gelben Holzes habe ich dir geschenkt. Was du damit verdient hast, ist dein." Der junge Silberschmied sank seinem Wohltäter nun zu Füßen und sagte: "Mein Vater, wie habe ich solche Güte verdient! Mein Vater, wie soll ich dir für solche Güte danken." Der Goldhändler sagte: "Mein junger Mann, ich mag dich leiden und das genügt. Seitdem ich nun aber auch deine unbegrenzte Dankbarkeit erkannt habe, bist du mir lieb, wie mein eigenes Kind. Ich will dich also die Kenntnis der Goldbereitung lehren, damit du für dein Leben keine Sorgen mehr zu haben brauchst."

Der junge Silberschmied wollte dem alten Goldhändler wieder in Dankbarkeit zu Füßen fallen; der Alte sagte aber: "Laß das jetzt. Vielmehr wollen wir gleich die Belehrung beginnen. Nur wollen wir schnell irgendwo einen Imbiß nehmen, damit wir für eine kleine Wanderung, die uns bevorsteht, gestärkt sind. Wohnst du vielleicht hier in der Nähe?" Der junge Silberschmied sagte: "Ich wohne nicht weit von hier bei meiner Mutter. Ich schließe schnell meine Werkstatt, und dann können wir uns gemeinsam auf den Weg machen. Steige nur schon auf deinen Esel. Ich laufe zu Fuß nebenher." Der alte Goldhändler stieg also auf seinen Esel, ritt in der angegebenen Richtung und wurde bald von dem schnellen jungen Silberschmied eingeholt.

Als der reiche Goldhändler es sich bei ihm bequem gemacht hatte, sagte der junge Silberschmied: "Warte einen Augenblick, ich will nur schnell meine Mutter benachrichtigen, daß sie ein wenig Essen vorbereite." Er ging zu seiner Mutter hinüber, um mit ihr zu sprechen. Seine Mutter aber kam ihm händeringend entgegen und sagte: "Mein Sohn! Mein Sohn! Wen hast du da in mein und dein Haus gebracht! Das ist jener Mann, vor dem ich dich gewarnt habe. Das ist der Mann, der den jungen Leuten erst Wohltaten erweist, um sie dann, wenn es sein Vorteil erheischt, verschwinden zu lassen. Mein Sohn, das ist der Mann, vor dem dein Vater uns vor seinem Tode gewarnt hat! Mein Sohn, laß diesen Mann fortgehen.



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Ich flehe dich an!" Der junge Silberschmied aber sagte ärgerlich: "Meine Mutter, über alle reichen und absonderlichen Menschen wird viel gesprochen. Laß mich für heute damit in Frieden; richte vielmehr bald ein gutes Essen her, da wir nachher zusammen wegreiten wollen. Hier hast du einiges Gold, kaufe was nötig und nimm einen Knaben zum Bedienen." Und ohne weiter auf die Einsprache seiner Mutter einzugehen, begab sich der junge Silberschmied zum Goldhändler.

Nach einiger Zeit sandte die Mutter durch den schnell gewonnenen Diener die Nachricht, daß das Essen bereit stünde, und somit machten sich denn beide Männer zum Essen bereit. Als sie sich nun bei der Mahlzeit befanden, langte der reiche Goldhändler eine kleine Flasche aus der Tasche und tropfte unbemerkt dem jungen Mann davon in den Sorbet. Kaum hatte der junge Silberschmied aber davon getrunken, so fiel er in tiefer Ohnmacht wie betrunken hintenüber.

Sobald dies aber geschehen war, nahm der Goldhändler den zu Boden Gesunkenen auf und trug ihn zum Zimmer hinaus und zu seinem Esel. Er legte den Silberschmied quer über den Eselsnacken, deckte einen Sack darüber, stieg selbst auf und trabte durch die Stadt zum Tore hinaus.

Der Goldhändler ritt mit dem ohnmächtigen Silberschmied weit, weit in die Wüste hinaus. Am andern Tag hielt er erst an, legte den Ohnmächtigen in den Sand und blies ihm ein Pulver in die Nase. Durch dieses Pulver ward der junge Silberschmied zum Leben zurückgerufen. Er hob den Kopf und fragte den Goldhändler: "Wie komme ich denn aus dem Hause meiner Mutter in diese Wüste?" Der Goldhändler sagte: "Dies ist nur ein kleiner Vorgang. Wir sind gemeinsam auf der Reise zu dem Platze begriffen, an dem allein das goldmachende Kraut wächst. Ich habe dich aber mitgenommen, damit du diese Sache auch kennenlernen und dich dieser Kenntnis nutzbringend erfreuen mögest."

Der junge Silberschmied ward hierdurch vollkommen beruhigt, zumal der Goldhändler ihm in der Ferne einige Berge zeigte, in denen die wunderbaren Gewächse heimisch waren. Der Goldhändler bestieg seinen Esel, und der junge Mann lief fröhlich nebenher. Das ging so lange, bis sie an die Berge kamen. Die Berge fielen aber rund herum viele hundert Fuß hoch schroff ab, so daß es unmöglich war, an den Abhängen irgendwie hinaufzukommen.

Der Goldhändler sagte: "Siehst du die Bäume, die da oben an der



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Felskante wachsen? Nun, das Holz dieser Bäume verwandelt Zinn in Gold, und deine Aufgabe besteht nur darin, sobald du oben bist, mir möglichst viele von den abgestorbenen Ästen dieser Bäume herabzuwerfen. Wenn du nachher wieder herunterkommst, können wir den Erlös miteinander teilen." Der junge Silberschmied sagte: "Das ist alles recht gut. Wie soll ich aber da hinaufkommen?" Der Goldhändler lachte und sagte: "Das will ich dir schnell zeigen. Da helfen uns andere Leute."

Der Goldhändler hatte ein Schaf mitgebracht. Er schlachtete es, und sowie das Blut zu Boden tropfte, sagte der Alte: "Sieh, mein Sohn, wie der große Gjau (Adler) nun dort oben auf der Bergspitze herumfliegt. Er sieht nach Nahrung für seine Kinder. Ich werde die Knochen und das Fleisch aus dem Hammelfell schälen und dich dann hineinnähen. Ich werde zurücktreten, und der Adler wird sogleich herabkommen. Der Adler wird dich im Hammelfell herauftragen. Sowie du oben sein wirst, schneidest du mit diesem kleinen Messer, das ich dir mitgebe, die Haut auf und steigst aus dem Fellmantel. Danach brichst du möglichst viele von den trockenen Ästen der Bäume, deren Holz zur Goldgewinnung dient, ab und wirfst sie herab. Wir teilen diese Zweige, sobald du wieder nach unten gekommen sein wirst. Ist es nicht sehr einfach?"

Der junge Silberschmied sagte: "Ja, das ist sehr einfach. Nähe mich nur schnell in die Schafhaut!" Der Goldhändler nähte den jungen Silberschmied in die Schafhaut. Er trat bei Seite. Von der Höhe aus sah das der Adler und kam herab. Er trug den eingenähten Silberschmied hinauf auf den Berg und legte ihn zwischen die Bäume nahe dem Neste, in dem seine Jungen waren, nieder.

Dann machte der Silberschmied aber ein Geräusch. Der Adler flog auf, der junge Mann trennte mit dem kleinen Messer die Haut auf und kam heraus. Er sah sich mitten zwischen den Bäumen, von deren Ästen, wie er jetzt erkannte, der Goldhändler ihm vor einiger Zeit ein Stück gegeben hatte, das, mit dem aufgekochten Zinn verbunden, dann Gold ergeben hatte. Weit, weit unten sah der junge Silberschmied auch den Goldhändler mit seinem Esel stehen, und er beeilte sich, schnell viele von den dürren Zweigen abzubrechen und herabzuwerfen. Als er nun große Mengen davon gebrochen und hinabgeworfen hatte, sagte er: "Es ist schon spät! Ich möchte nun wieder hinunter von diesen Felsen und aus diesem Wald."

Der junge Mann sah sich nach einem Weg um, auf dem er hinabkommen



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könne. Aber ebensowenig, wie er vorher einen gesehen hatte, der ihn hätte heraufbringen können, ebensowenig fand er jetzt einen solchen, der hinab geführt hätte. So trat er denn an die Kante des Felsabsturzes und rief dem Goldhändler zu: "Wie komme ich nun wieder hinab?" Der Goldhändler hatte unten alles Holz in Säcke gesteckt und auf seinen Esel geladen. Als der Silberschmied ihn anrief, sagte er: "Viele sind da schon hinauf gekommen, keiner aber bisher wieder herunter. Sieh dich nur um, so wirst du viele Kameraden finden." Nach dieser Antwort trieb der Goldhändler seinen Esel an und zog mit ihm durch die Wüste, der fernen Stadt zu.

Der junge Silberschmied sah sich inzwischen um. Er sah nun allenthalben Knochen von Menschen, die hier oben verhungert und verdurstet waren. Einige waren sehr alt und morsch, andere konnten noch nicht lange hier liegen. Eine große Anzahl von Menschen war hier hinauf gekommen und dann gestorben. Der junge Silberschmied sagte: "Ich will nicht so schnell sterben. Lieber will ich mich umsehen, ob ich nicht auf der andern Seite des Berges ein Unterkommen finde." Damit machte der junge Mann sich auf und ging nach der andern Seite. Er wanderte erst durch den Wald. Und der Wald mit seinen Gold spendenden Bäumen wollte kein Ende nehmen; allenthalben sah er auch noch die Knochen verhungerter Menschen. Endlich wurde das rote Holz der Bäume spärlicher. Es wurde lichter.

Der junge Silberschmied war schon sehr müde, aber er ging weiter und weiter. Die Menschenknochen wurden immer seltener und endlich hörten sie auf. Er ging nun über eine weite Ebene hin, bis er am Horizonte einen Garten erkannte, aus dessen Mitte ein hohes Gasr (Turmgebäude) auftauchte. Der Silberschmied nahm seine Kräfte zusammen und erreichte das Gebäude. Als er aber die Hand an die Türe legte, fiel er ohnmächtig und völlig erschöpft zu Boden. Als er wieder zu sich kam, fand er sich in einem großen Zimmer, auf weiche Kissen gelegt, in eine Luft süßer Düfte gehüllt und umgeben von sieben sehr schönen Mädchen. Als er die Augen aufschlug, sagte das älteste Mädchen: "Sieh, auch seine Augen sind schön!" Die andern Mädchen brachten ihm nun zu trinken. Sie befahlen den Sklavinnen, dem Kranken Kühlung zuzufächeln, und als er sich ein wenig aufrichtete und fragte: "Wo bin ich denn?" da sagte eine von ihnen: "Du befindest dich im Hause der Töchter des Alledjenukönigs."



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Der junge Silberschmied mußte nun seine Erlebnisse erzählen. Das älteste Mädchen sagte, nachdem er geendet hatte: "So macht es dieser schlechte Mensch jedes Jahr, Jahr um Jahr! Er opfert in einem Widderfell immer einen Mann, um zu seinem roten Goldholz zu kommen. Und alle die hübschen jungen Männer sind im Walde des roten Holzes gestorben, bis auf dich, der du unser Gasr erreicht hast. Du mußt nun ein Jahr bei uns bleiben. Dann kommt der schlechte Mann wieder, um in einem Widderfell wieder einen jungen Menschen durch unsere Adler herauftragen zu lassen. Dann werden wir dich aber auf einem unserer jungen Adler herabsenden, und du mußt den Mann töten." Der junge Silberschmied sagte: "Ich kann mir nichts Angenehmeres denken, als ein Jahr in eurer Gesellschaft weilen zu dürfen. Es tut mir nur weh, daß meine Mutter sich meinetwegen so viele Sorgen machen wird."

Der junge Silberschmied blieb nun ein Jahr lang in dem Gasr der Alledjenutöchter. Er wurde bewirtet und versorgt, wie der Sohn eines Sultans. Jeder seiner Wünsche ging in Erfüllung, und er lernte in Bälde das Leben der Prinzen führen, die nicht nur unbegrenzt in ihren Wünschen, sondern auch würdig und gemäßigt eine reichere Umgebung zu genießen wissen. Der junge Silberschmied war daher sehr erstaunt, als die sieben Schwestern ihm eines Tages in großer Betrübnis sagten: "Du hast nun fast ein Jahr mit uns gelebt, und wir haben dich lieb gewonnen wie einen Bruder. In wenigen Tagen wird der reiche Goldhändler wiederkommen. Dann mußt du uns verlassen." Als die Mädchen das sagten, wurde der Silberschmied sehr traurig.

Nach einigen Tagen brachte die eine der Schwestern dem jungen Silberschmied einen jungen Adler. Eine andere Schwester gab ihm ein Saif (Schwert). Sie sagten: "Deine Zeit ist abgelaufen. Fliege nun erst hinunter und bringe uns den Kopf des schlechten Mannes herauf. Nimm für den Burschen, den er wieder mitgebracht hat, um ihn auf die Berge zu schicken, einiges von dem roten Holz mit." Der junge Mann nahm Abschied von den Schwestern. Er hing das Schwert um und bestieg den Adler. Der Adler aber führte ihn schnell zu dem Walde mit den roten, trockenen Ästen und ließ sich da nieder. Der junge Mann stieg ab; er blickte von der Felskante herab in die Wüste. Unten stand der alte Goldhändler mit einem jungen Burschen und hatte soeben das Messer herausgezogen, um einem Widder die Kehle durchzuschneiden.

Da brach der junge Silberschmied einige trockene Äste von den



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Bäumen, stieg auf den Adler, flog hinab und zog während des Hinabgleitens sein Schwert. Der Adler ließ sich hinter dem alten Goldhändler, der den Widder schlachtete, nieder, und dieser nahm den Silberschmied erst wahr, als er mit geschwungenem Schwert hinter ihm stand. Der Silberschmied schlug zu. Der Kopf des Goldhändlers fiel in den Sand und vor die Füße des Burschen, den jener mitgebracht hatte. Der Bursche schrie auf: "Oh, warum hast du den guten, alten Mann getötet!" Der Silberschmied sagte: "Dieser Mann war nicht gut!" Danach erzählte er dem Burschen alles, was er selbst und in viel schrecklicherer Weise viele andere vor ihm erlebt hatten. Der Bursche erkannte nun, in welcher Gefahr er geschwebt hatte und dankte dem Silberschmied für seine Rettung. Der Silberschmied aber sagte: "Du, mein Bursche, nimm nun den Esel des schlechten Goldmachers und kehre auf dem Weg, auf dem du gekommen bist, möglichst schnell heim. Nimm hier diese dürren roten Zweige, deren Verwendung du kennst und deren Ausnützung dich bis an dein Lebensende vor Not schützen wird." Danach steckte der Silberschmied das Schwert wieder ein, nahm die Medikamente aus dem Rock des Goldmachers, nahm den abgeschlagenen Kopf, bestieg den Adler und flog wieder empor zu den sieben Alledjenuschwestern.

Seinem Versprechen gemäß überreichte er ihnen den Kopf des schlechten Goldmachers. Sie dankten ihm und baten ihn, noch länger bei ihnen zu verweilen. Er aber sagte, daß er seine Mutter schon lange in Sorge allein gelassen habe und daß er unbedingt zu ihr zurückkehren müsse. Das sahen die sieben Töchter des Alledjenukönigs ein. Sie nahmen weinend Abschied von ihm, und jede gab ihm noch ein kostbares Andenken. Er bestieg seinen Adler, flog am Walde vorbei, nahm noch einige dürre Zweige mit sich, und dann trieb er seinen Vogel an, ihn schnellstens der Heimat zuzutragen.

Der junge Silberschmied fand seine Mutter noch lebend vor. Die sieben Alledjenutöchter hatten ihr öfter im Schlaf gesagt, daß ihr Sohn noch lebe und in nicht allzu ferner Zeit als ansehnlicher Mann wiederkehren werde. Zwar hatte sie so viel geweint, daß sie blind geworden war; als ihr Sohn ihr jetzt aber um den Hals fiel und sie küßte, ward sie wieder sehend. Der wiedergekehrte Silberschmied hatte so reiche Schätze mitgebracht und hatte in der Zeit seines Aufenthalts bei den Alledjenutöchtern sein Wesen so geändert, daß niemand glauben wollte, daß dies der frühere Silberschmied sei.



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9. Mussas Dankbarkeit*

Ein Mann namens Mussa war außerordentlich wohlhabend und genoß wegen seines Reichtums einen Namen, der war weithin über das Land bekannt. Es gab weit umher niemand, der so viele Herden und Sklaven und so großen Einfluß im Lande besaß, als dieser Mussa. Dieser Mussa war zudem über alle Maßen stark. Wenn er in die Wüste zur Jagd ritt und einer Hyäne, einem Löwen oder sonst einem wilden Tier begegnete, pflegte er vom Pferd zu springen und das Tier mit den Händen anzugreifen. Er überwand dann das Tier, band es und brachte es mit nach Hause. Daheim aber ließ er es in seiner Seriba in einem Verschlag frei und gab ihm zu fressen. Zuletzt hatte er so viele Tiere der Wüste in seinem Hause, daß die Leute des Ortes, in dem er wohnte, sich vor ihm zu fürchten begannen, und daß sie zu guter Letzt zu ihm kamen und sagten: "Unser Freund Mussa, du bist zwar sehr reich und stark, du bist zwar reicher und stärker als wir alle, du hast aber nun so viele wilde Tiere in deiner Seriba, daß wir uns vor dir fürchten und dich bitten, einen andern Platz aufzusuchen und an einem andern Platz deine Seriba mit den wilden Tieren aufzuschlagen." Darauf machte sich Mussa auf, bepackte seine Kamele, Ochsen und Pferde und zog an einen fernen Ort in der Wüste. Mussa hatte aber sieben Söhne, die liebte er sehr, und diese halfen ihm bei dem Zuge in die Wüste.

Als Mussa seine Seriba aufgeschlagen hatte, ließ er eines Tages sein Pferd satteln, ergriff seine Lanze und sagte: "Meine sieben Söhne, ich ziehe fort zur Jagd; bewacht ihr die Seriba." Dann ritt er fort. Als er aber noch nicht lange fortgeritten war, kamen Räuber, schlichen sich an die Seriba, drangen hinein, schlugen die sieben Söhne Mussas tot und trieben alles Vieh von dannen, so daß nichts mehr davon dort blieb und daß, als Mussa endlich von der Jagd heimkam, das Lager schweigend dalag. Mussa war über die Stille sehr erstaunt und sagte: "Ich höre kein Pferd, keinen Esel, kein Kamel, kein Rindvieh, keine Schafe, keine Ziegen und keinen meiner Söhne." Mussa band sein Pferd draußen an einen Pfahl und ging in seine Seriba. Mussa ging in die Seriba und fand alle Viehhürden leer. Mussa traf auf die Leichen seiner Söhne. Mussa war in großer Wut. Er rief den Namen seiner ersten Frau. Seine erste Frau, die gerade schwanger war, hatte sich aber in ihrer Hütte versteckt 

*Erzählung der Baggara.


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und kauerte da am Boden. Sie wagte nicht zu antworten. Mussa rief wieder den Namen seiner ersten Frau, und als sie nicht antwortete, stieß er in noch wachsender Wut seine Lanze durch die Wand.

Das Weib schrie innen auf. Die Lanze hatte ihren Leib getroffen und das Kind in ihrem Leib getötet. Die Frau und das Kind starben just, als Mussa hereintrat. In ihrer Todesangst schleuderte die Frau aber ein Holzscheit nach dem Eintretenden, denn sie erkannte Mussa nicht mehr. Das Holzscheit traf Mussa am Kopfe und zerstörte ihm ein Auge. Mussa trat zurück und ging zu dem Hause seiner zweiten Frau. Er traf sie; er rief sie. Er wollte mit seiner zweiten Frau den Platz verlassen und ging zum Eingang der Seriba, an dem er sein Pferd draußen angebunden hatte.

Inzwischen hatte sich aber ein Löwe, angelockt durch den Blutgeruch der getöteten Söhne, an die Seriba herangeschlichen. Er kam zu dem Pferd. Er sprang auf das Pferd und tötete es. Mussa kam gerade in diesem Augenblick. Mussa rannte mit seiner Frau so schnell er konnte von dannen. Er stieg mit seiner Frau auf einen Baum. Der Löwe packte aber die Frau am Bein, riß sie herab und tötete sie. Dann fraß der Löwe unten die Frau, während Mussa oben in den Zweigen hockte. Die ganze Nacht blieb der Löwe unter dem Baum, und erst am andern Morgen konnte Mussa herabsteigen und weiterwandern. Als Mussa weiterging, besaß er nichts mehr als die zerrissenen Kleider, die er auf dem Leibe hatte.

Mussa ging weiter. Er kam an eine Elefantenfallgrube (kol scharak). Da sie mit Zweigen bedeckt war, auf die er trat, stürzte er hinab. Nachdem Mussa einige Zeit auf dem Boden der Elefantenfallgrube gelegen hatte, kamen Elefanten des Weges, und ein Elefant stürzte herab und fiel so auf Mussa, daß Mussa nicht mehr imstande war, sich zu bewegen. So lag Mussa die ganze Nacht. Am andern Morgen kamen aber die Leute, die die Fallgrube angelegt hatten, und sahen den Elefanten unten liegen. Darauf stiegen sie hinab, schnitten den Elefanten auf und nahmen die Fleischstücke heraus. Als sie aber das letzte hinauftrugen, fanden sie einen Mann. Sie zogen den Mann unter dem Fell des Elefanten hervor und brachten ihn nach oben aus der Grube. Als sie nun im Lichte der Sonne den Mann, den sie in seinen Lumpen und von oben bis unten beschmutzt, zerstoßen und zerfetzt durch Wurzeln und Steine, mit einem ausgeschlagenen Auge und verwundeten Gliedern vor sich stehen sahen, riefen sie: "Ist das nicht Mussa? Ist das nicht



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der reiche und starke, der glückliche Mussa ?" Einige Leute sagten: "Seht, wie elend er geworden ist!" Ein Mann sagte: "Dieser Mussa hat mir einmal einen Verwandten getötet. Damals war Mussa reich, und ich konnte ihm nichts anhaben. Jetzt aber, wo er arm und elend ist, will ich ihn wieder töten. Ihr andern! Gebt mir den Mussa als Gefangenen!" Die andern Männer aber wandten sich ab und sagten: "Nimm deinen Gefangenen! Wir werden dich in keiner Weise hindern."

So ward Mussa zum Sklaven.

Der Mann nahm Mussa mit sich heim. Daheim legte er ihm Ketten an und fesselte einen seiner Füße mit Eisenringen an den Fuß eines andern Gefangenen. Der Mann sagte zu Mussa: "Heute sollst du noch als Kettensklave leben; morgen werde ich dich aber töten." Als es Nacht war, sagte der andere Gefangene zu Mussa: "Komm und flieh mit mir!" Mussa sagte: "Nein, ich bin noch nie geflohen. Ich fliehe nicht!" Der andere Gefangene sagte: "Ich kann, da ich mit dem Fuß an dich gefesselt bin, nicht fliehen. Also flieh mit mir!" Mussa sagte: "Nein, ich fliehe nicht. Was soll mir daran liegen zu leben, nachdem ich geflohen bin?" Da sagte der andere Gefangene nichts mehr.

Als Mussa aber eingeschlafen war, fiel der andere Gefangene nachts über ihn her, band ihm die Hände zusammen und verstopfte ihm den Mund, damit er nicht schreien könnte. Mussa war aber so schwach geworden durch Blutverlust, Hunger und Durst, daß er sich nicht zu wehren vermochte. Dann nahm der andere Gefangene Mussa auf und hinkte mit ihm von dannen. Sie waren ein gut Stück so weiter gekommen, als eine Löwin mit ihren Jungen durch den Busch kam und auf die aneinander gefesselten Gefangenen zusprang. Sie waren in der Nähe eines Baumes. Der andere Gefangene konnte aber nicht anders hinaufkommen, als indem er Mussa auf die untern Zweige schob und gleichzeitig mit hinaufklomm. Die Löwin packte aber den andern Gefangenen und begann Arme und Kopf und Teile vom Körper zu reißen. Zuletzt hatte Mussa nur noch den Fuß des Mitgefangenen fest an sein eigenes Bein geschmiedet neben sich. Die Löwin lief dann aber mit den Jungen fort. Jeder von ihnen trug ein Stück des andern Gefangenen.

Als Mussa sah, daß er allein war, begann er die Stricke, mit denen der andere Gefangene ihn an den Händen gefesselt hatte, am Baume durchzuschaben. Sobald er aber die Hände befreit hatte, nahm er den Knebel aus dem Munde, stieg von den Baumzweigen,



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auf die er gedrängt war, hinab und ging mit dem festgeschmiedeten Fußstumpf des zerrissenen Gefährten von dannen, so weit, bis er zu einem Orte kam, dem ein wohlhabender und angesehener Araber vorstand.

Nun hatte Mussa nichts mehr. Sein ganzes Besitztum war verloren, alle Glieder seiner Familie waren tot. Sein Name war verdorben, und am Fuße hatte er noch den eisernen Ring der Gefangenschaft. Mussa ging zu dem Araber und sagte: "Ich bitte, nimm mich als Wächter und Diener deiner Herden auf. Ich will treu wachen und dir unermüdlich dienen." Der Araber sah Mussa. Er kannte Mussa nicht, aber er nahm ihn auf und vertraute ihm seine Herden an. Der Araber sah, daß Mussa seine Pflicht treu und redlich erfüllte und seine Herden sorgsam hütete. Als der Araber das aber sah, rief er Mussa eines Tages zu sich und sprach zu ihm: "Mussa, ich sehe, daß du deiner Arbeit so gut vorstehst, als habest du früher selbst einmal große Herden besessen." Der Araber schwieg. Mussa schwieg aber auch und sagte nichts. Der Araber fuhr fort: "Ich habe zwei mir teure Menschen; der eine ist mein Sohn, der in die Ferne gezogen ist; der andere ist meine Schwester. Ich will dir meine Schwester zur Frau geben, daß du mit ihr Kinder zeugst." Der Araber gab also Mussa seine Schwester zur Frau, und Mussa nahm sie zu sich und schlief bei ihr, so daß sie bald schwanger war.

Wenige Tage aber, nachdem Mussa mit der Schwester des Arabers verheiratet worden war, kehrte in einer dunklen Nacht der Sohn des Arabers aus der Ferne nach dem Orte zurück, an dem sein Vater wohnte. Im Dunkel der Nacht richtete er sich nach dem Geräusch, das draußen im Busch das Vieh verursachte, und er kam bis nahe zu dem Vieh. Da merkte aber Mussa, der Wächter, der den Sohn des Arabers nicht kennen konnte, daß ein fremder Mann auf die Hürden zukam. Mussa hielt den fremden Mann aber für einen Viehräuber, und deshalb warf er mit der Lanze nach ihm. Der Sohn des Arabers rannte mit der schweren Wunde noch ein Stück weit, dann stürzte er hin und starb.

Am andern Morgen fanden die Bewohner des Ortes den toten Araber. Sie hoben ihn auf und trugen ihn in das Haus des Vaters. Sie sagten zu dem Araber: "Wir bringen dir hier deinen Sohn, wir haben ihn draußen tot gefunden." Der Araber sagte aber zu den Bewohnern des Ortes: "Das ist nicht wahr! Ihr habt meinen Sohn nicht tot gefunden, sondern ihr habt ihn totgeschlagen!" Die Bewohner



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des Ortes sagten: "Nein, wir haben nichts Derartiges getan. Es muß irgendein anderer getan haben." Die Bewohner des Ortes stritten gegen den Araber. Der Araber wollte zwei Leute aus dem Ort töten. Die Bewohner des Ortes sagten aber: "Töte niemand! Wenn wir auch am Tode deines Sohnes unschuldig sind, so wollen wir doch lieber Sühne zahlen, als daß es zu einem Streit komme. Sage nur, was du verlangst!" Der Araber sagte: "Zahlt mir hundert Kühe!" Die Leute sagten: "Wir wollen dir hundert Kühe zahlen, damit Frieden bleibe!" Der Araber war einverstanden. Die Leute zahlten die hundert Kühe, und der Araber rief Mussa. Mussa kam. Der Araber sagte: "Du Mann meiner Schwester und du Freund! Nimm dein Weib, nimm diese hundert Stück Rindvieh und alles, was ich dir sonst geben kann. Ziehe mit allem andern dann fort von hier, schlage eine eigene Seriba auf und sieh zu, was sonst wird."

Darauf packte Mussa alles zusammen, was er der Freundlichkeit des Arabers verdankte, und zog mit seinem Weibe, das die Schwester des Arabers war, und allem Rindvieh von dannen und baute eine eigene Seriba. Nach einiger Zeit aber gebar seine Frau einen Knaben. Das Vieh Mussas war aber auch fruchtbar, und so vermehrte sich sein Besitz von Tag zu Tag und von Monat zu Monat. Der kleine Sohn, den Mussa von seiner Frau, der Schwester des Arabers, hatte, wuchs heran und wurde ein schöner und starker Jüngling.

Mussa achtete aber darauf, wie groß sein Sohn sei und wie alt. Als er so groß und so alt war, wie der Sohn des Arabers, den er, Mussa, eines Nachts erschlagen hatte, schrieb Mussa einen Brief, in dem stand: "Versehentlich habe ich eines Nachts Deinen Sohn erschlagen, als er groß und stark war, wie der Bursche, der Dir diesen Brief bringt. Damals hatte ich schon Deine Schwester von Dir zur Frau erhalten, daß ich Kinder mit ihr zeuge. Sie hat mir dann den Sohn geboren, der so groß und stark ist als Deiner war. Somit schicke ich Dir denn den Sohn hiermit zu und bitte Dich, daß Du meinen Sohn tötest, so wie ich einst Deinen Sohn getötet habe." Diesen Brief schrieb Mussa. Dann rief er seinen eigenen Sohn und sagte zu ihm: "Mache dich auf, bringe diesen Brief dem Araber, der der Bruder deiner Mutter ist." Der Bursche nahm den Brief und brachte ihn seinem Onkel.

Der Araber begrüßte den Burschen, nahm den Brief und las ihn, Dann rief er alle Leute des Ortes zusammen und sagte: "Hört diesen



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Brief!" Danach las er den Brief Mussas vor und sagte: "Diesen Brief schrieb mir Mussa, dem ich vorher meine Schwester zur Frau gab. Ich weiß also nunmehr, wer damals meinen Sohn, wenn auch versehentlich, getötet hat. Sagt ihr mir nun aber, was ich, tun soll. Soll ich den Sohn meines Schwagers Mussa töten oder nicht?" Die Leute des Ortes antworteten aber: "Höre, Hammad Abu Kallam! (So wird hier der Araber genannt). Diese ganze Sache ist deine Sache, sowie der Wille der Entscheidung dein Wille ist. Bedenke nur, daß, wenn du diesen Burschen tötest, der das Kind deiner Schwester ist, du gewissermaßen dein eigenes Kind tötest." Der Araber Hammad Abu Kallam hörte das an, erwog es und sagte: "Ich denke, wie ihr denkt. Anstatt den Sohn meiner Schwester und Mussas zu töten, will ich ihm meine eigene Tochter zur Frau geben."

Dann ließ der Araber ein Schaf schlachten, rief den Sohn Mussas und empfing ihn mit freundlichen Worten. Er gab dem Sohne Mussas seine Tochter zur Frau, schenkte ihm Geld und Schafe und sagte: "Kehre mit all diesem als dem Deinen zu deinem Vater zurück. Grüße deinen Vater und grüße deine Mutter, meine Schwester, und sage, ich würde bald selbst hinterherkommen und mich an ihrem Wohlergehen einige Tage erfreuen." So kehrte denn Mussas Sohn reich beschenkt mit Weib und Besitz, statt mit dem Tode heim. Und wenige Tage später kam der Araber Hammad Abu Kallam hinter ihm her und schlug sein Lager bei Mussa auf. Er begrüßte Mussa, und als es Nacht ward, legte er sich vor der Seriba neben seinem Pferd auf die Erde.

Hammad Abu Kallam spielte erst noch ein weniges auf der Rababa. Dann legte er das Instrument zur Seite und schlief ein. Derweilen schlichen sich zwei Diebe heran. Einer derselben stellte sich mit dem Speere über den Kopf des Arabers hin und sagte: "Wenn er sich rührt, werde ich ihn töten." Der Araber wachte auf. Er sah alles, was vorging. Der Araber sagte: "Ich will nicht schreien. Ich will nur die Rababa spielen." Während der zweite Dieb nun die Fußgurte des Pferdes löste und der erste den Speer über den Kopf des Arabers hielt, spielte der Araber auf der Rababa: "Meine Schwester Scherifia! (Name der Frau Mussas). Meine Schwester Scherifia! Ein Dieb steht an meinem Kopfe und hält den Speer über mich, um mich zu töten, und ein anderer Dieb ist zu meinen Füßen damit beschäftigt, die Gurte meines Pferdes abzukoppeln und es zu stehlen! Höre das, meine Schwester Scherifia!"



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Die Diebe erkannten nicht den Sinn des Gesanges und Spieles auf der Rababa. Scherifia, die Schwester Hammad Abu Kallams, die Frau Mussas, verstand aber den Gesang. Sie weckte Mussa, ihren Mann, und sagte: "Mussa, mein Gatte, wache auf! Draußen ist ein Dieb, der will das Pferd meines Bruders rauben, während ein zweiter seine Lanze über seinem Haupte hält, um ihn zu töten, wenn er sich rührt." Mussa erhob sich. Er nahm den Speer. Er ging zum Seribaeingang. Er warf seine Lanze. Er tötete den, der das Pferd rauben wollte, so daß der tot hinsank, der andere aber, der den Hammad Abu Kallam mit dem Speer bedrohte, erschreckt von dannen lief.

Als das geschehen war, sagte Mussa: "Wie kamen diese Leute hierher?! Niemals waren hier Diebe in der Gegend. Das ist etwas, was hier nie vorher geschehen ist." Hammad Abu Kallam sagte: "Es waren Pferdediebe. Die Pferdediebe ziehen über das ganze Land hin." Mussa sagte: "Es ist gut, daß einer getötet ist." Hammad Abu Kallam sagte: "Ja, es ist ein Glück für mich. Du hast mir das Leben erhalten, das diese Hunde hinwegtragen wollten. Ich werde dich aber morgen wieder verlassen."

Am andern Morgen nahm Hammad Abu Kallam von seiner Schwester und seiner Tochter, von Mussa und dessen Sohn Abschied, um sich wieder zurückzubegeben an seinen Ort.

Als der Araber aber fortgeritten war, sagte Mussa bei sich: "Ich war ganz verarmt und tief elend; da hat dieser Hammad Abu Kallam mich wohlhabend gemacht und hat mir seine Schwester zur Frau gegeben. Als er mich so wieder zu einem angesehenen und glücklichen Manne gemacht hatte, tötete ich seinen Sohn. Er aber ließ mich das nicht entgelten, sondern beschenkte mich nochmals reich, so daß ich wieder Herr meines eigenen Ortes werden konnte. Mein eigener Sohn wuchs heran, und ich sandte den an Hammad Abu Kallam, damit er ihn töte, wie ich seinen Sohn getötet habe. Er hat dies aber nicht getan, sondern er gab mir reiche Geschenke, er gab ihm die eigene Tochter zur Frau und entließ ihn wie ein eigenes Kind. Ich tat ihm Schlechtes, er aber hat es wieder und immer wieder mit Gutem erwidert. Ich weiß nicht mehr, was ich tun kann. Ich kann ihn nicht mehr leben lassen. Ich muß ihm folgen; ich muß ihn töten."

Mussa bestieg sein Pferd. Mussa nahm seine Lanze. Mussa ritt hinter Hammad Abu Kallam her. Mussa erreichte Hammad Abu Kallam. Mussa rief ihn an und sagte: "Höre mich! Warte auf



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mich! Du hast mir immer wieder so viel Gutes getan, daß ich dich nicht leben lassen kann. Ich muß dich töten!" Hammad Abu Kallam sagte: "Weshalb willst du mich töten, wo ich dir doch nichts Böses getan habe?" Mussa sagte: "Nein, du hast mir nichts Böses getan! Du hast mir immer nur Gutes getan; du hast mir aber so viel Gutes getan, daß ich es dir nicht vergelten könnte, wenn ich mein ganzes Leben lang als dein Diener arbeiten würde. Deshalb kann ich dich nicht mehr sehen. Deshalb muß ich dich töten." Und Mussa nahm den Speer auf und warf ihn nach Hammad Abu Kallam. Der bog sich aber zur Seite, und der Speer Mussas flog über ihn weg in den nächsten Busch. Hammad Abu Kallam zog den Speer heraus. Er reichte ihn Mussa zurück und sagte: "Nimm ihn wieder, aber töte mich nicht; denn ich habe dir nichts Böses getan, und ich will dir nichts Böses tun." Mussa sagte: "Ich kann dich nun nicht mehr leben lassen, denn du hast mir schon zuviel Gutes getan!" Als Hammad Abu Kallam das hörte, warf er sein Pferd herum, floh, und er entrann Mussas Speer.

Hammad Abu Kallam kam an seinen Ort. Er rief die Dorfleute zusammen und sagte: "Jener Mussa, der meinen Sohn getötet hat und an dessen Sohn ich trotzdem meine Tochter gegeben habe, wollte mich heute töten, weil er mich nicht mehr leben sehen kann. Ich aber bin ihm entflohen." Als die Dorfleute das hörten, sagten sie zu dem Araber: "Dann wollen wir alle unsere Waffen nehmen. Dann wollen wir alle hingehen und diesen Mussa fangen." Die Dorfleute gingen fort; jeder nahm seinen Speer. Sie kamen alle zusammen und machten sich auf den Weg zu Mussas Seriba. Sie kamen in der Nacht an. Sie umzingelten die Seriba. Sie drangen hinein. Sie fingen Mussa und banden ihn an den Händen und an den Füßen. Dann brachten sie ihn derart gefangen zu Hammad Abu Kallam. Die Frau Mussas folgte dem Zuge mit dem Gefangenen.

Als Mussa so vor Hammad Abu Kallam gebracht wurde, sagte der: "So muß ich dich nun wiedersehen. Habe ich dir nicht dies und das und jenes und alles, was möglich ist, an Gutem angetan? Und muß ich nun das erleben?" Mussa sagte: "Du hast mir so viel, zu viel Gutes erwiesen, daß ich es nicht ertragen kann. Wenn du mich nicht tötest, muß ich dich töten." Hammad Abu Kallam sagte: "Ich weiß das jetzt auch, und deshalb werde ich dich diese Nacht in diesem Raume gefangen halten, morgen aber dich töten." Mussa sagte: "Das ist gut!" Als Hammad Abu Kallam nun hinausging,



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folgte ihm Scherifia, seine Schwester, Mussas Gattin. Sie warf sich draußen vor ihrem Bruder nieder, weinte und sagte: "Mein Bruder, ich bitte dich! Laß meinen Mann am Leben!" Hammad Abu Kallam sagte: "Nein, meine Schwester Scherifia! Ich habe deinem Manne zuviel Gutes getan. Soll ich nun deshalb sterben, weil ich dessen zuviel tat?" Scherifia weinte aber noch heftiger und sagte: "Nein, mein Bruder, so meinte ich es nicht! Du sollst nicht sterben. Mein Mann aber auch nicht, denn er ist der Vater meines Kindes." Darauf hob Hammad Abu Kallam seine Schwester auf und sagte: "Meine Schwester, weine nicht. Aber ohne einen Toten werden wir nicht weiterleben können. Es ist besser, es sterbe nun einer, als daß zwei und mehr zugrunde gehen. Deshalb muß ich deinen Mann töten, wenn du es nicht anders willst." Dann verhüllte Hammad Abu Kallam sein Haupt und ging in sein Haus. Er setzte sich auf das Angareb.

Scherifia ging in die Wüste hinaus und weinte und weinte. Als es Nacht ward, kam sie aber in die Seriba zurück und ging in den Raum, in dem ihr Gatte gefesselt lag. Scherifia schnitt alle Fesseln durch, mit denen Mussa an den Füßen und an den Händen gebunden war. Dann sagte sie zu ihm: "Nun komm schnell, Mussa, und flieh mit mir!" Mussa sagte jedoch: "Meine Frau, ich bin noch niemals geflohen. Ich kann nicht fliehen, ob die Löwen an meinem Kettengenossen fressen oder ob die Lanzen deines Bruders mich durchbohren müssen! Ich kann nicht fliehen, und ich kann nicht weggehen von hier, ehe ich nicht deinen Bruder getötet habe; denn er hat mir so viel Gutes getan, daß ich ihn nicht mehr am Leben lassen kann."

Scherifia warf sich wieder auf die Erde und weinte und bat und bat: "Mussa, du starker Mann! Mussa, du Löwentöter! Mussa, du Vater meines Kindes! Mussa, mein Mussa! Ich bitte dich! Ich bitte dich! Laß meinen Bruder am Leben! Ich bitte dich, komm mit mir fort von hier. Es ist keine Flucht! Sieh, es sind viele am Ort, und du bist nur einer! Mussa, dränge dich nicht in den Tod. Denn meine Kinder sind es, die nach deinem Tode weinen werden! Dein Hengst und deine Stute, deine Hunde und alle deine Tiere werden schreien. Die Löwen werden über die Seriba springen und die Kälber schlagen. Deine Hütten und dein Haus werden verfallen. Deine Kinder werden keinen Vater und kein Land haben, weil du, mein Mussa, mein Mann, zu früh hier sterben willst!"

Mussa sagte: "Scherifia steh auf. Wenn dein Bruder tot ist, wird



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niemand den Streit fortführen. Und wenn ich sterben muß und all das Meine verfällt, dann ist deines Bruders Güte und die Sitte daran schuld, nicht aber meine Bosheit. Stehe also auf!" Scherifia stand auf. Scherifia sagte: "So warte denn hier. Ich will meinen Bruder rufen. Tragt denn eure Sache aus!" Scherifia ging. Sie ging in das Haus, in dem Hammad Abu Kallam auf dem Angareb saß. Sie sagte: "Mein Bruder, ich bitte dich, komm für einige Worte heraus. Mussa möchte mit dir sprechen." Hammad Abu Kallam erhob sich. Er seufzte und kam heraus. Hammad Abu Kallam sagte: "Was für ein Wort ist es?" Scherifia sagte: "Ich weiß es nicht!" Hammad Abu Kallam sagte: "Jetzt lügst du, meine Schwester!" Dann ging Hammad Abu Kallam zum Hause hinüber. Scherifia warf sich auf die Erde nieder und weinte. Als Hammad Abu Kallam in das Haus eintreten wollte, stieß Mussa ihm den Speer in die Brust.

Am andern Tag kamen die Dorfleute und schlugen Mussa tot. Sie nahmen alle Herden und alles andere, was Mussa und Hammad Abu Kallam besessen hatten. Die Kinder Mussas wurden verkauft. Scherifia hüllte sich aber in Lumpen und wanderte von dem Tage an als Bettlerin von einem Ort zum andern, bis an ihr Lebensende.


10. Der Schech El Esuda

(Der Herr der Löwen)

Ein Mann floh aus einer Stadt, weil sein Bruder und sein Sohn von dem Könige der Stadt getötet waren und seine Familie so alle Macht und alles Ansehen verloren hatte. Der Mann ging in ein anderes Land und wurde dort Holzhändler. Er schlug jeden Tag im Busch eine Last Holz und trug sie in die Stadt auf den Markt. Von dem, was er damit verdiente, konnte er leben.

In dem Busche, in dem der Holzhändler immer sein Holz schlug, lebten eine Maus und ein Löwe. Die Maus liebte es aber, mit dem Löwen zu streiten. Der Löwe sagte aber eines Tages: "Meine Maus, du bist anmaßend! Wie kannst du immer mit mir streiten, der ich doch der stärkste aller Tiere bin!" Die Maus sagte: "Was du da sagst, mein Löwe, ist unrichtig. Die größte Stärke liegt in der Klugheit. Ich bin die kleine Maus, aber ich bin klüger und deshalb stärker als du. Aber stärker als alle andern Tiere ist Beni Adam (der Sohn Adams; der Mensch). Der Mensch übertrifft alle, alle Tiere weit an Klugheit." Der Löwe sagte: "Ich bin das stärkste Tier, alles andere glaube ich nicht." Die Maus sagte: "Dadurch,



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daß du es nicht glaubst, änderst du nichts an der Tatsache, daß der Beni Adam unendlich viel klüger und stärker ist als alle Tiere." Der Löwe sagte: "Das ist nicht wahr."

Der Holzhändler ging gerade durch den Wald. Die Maus sah ihn aus der Ferne und sagte zum Löwen: "Sieh, da ist ja der Mensch! Geh hin und zeige, daß du klüger und stärker als der Mensch bist." Der Löwe sagte: "Das also ist der Mensch! Ich werde hingehen und mit Beni Adam kämpfen." Der Löwe lief auf den Holzhändler zu und schrie: "Beni Adam, bleib stehen; ich will mit dir kämpfen!" Der Holzhändler sagte: "Es ist mir recht! Wir wollen miteinander kämpfen. Ich habe aber meine Afia (Kraft) jetzt nicht bei mir. Warte also bis morgen. Dann will ich kommen und mit dir kämpfen." Der Löwe sagte: "Nein, ich will nicht warten, ich will heute mit dir kämpfen. Gerade heute will ich mit dir kämpfen." Der Holzhändler sagte: "So komm schnell mit mir in die Stadt und kämpfe an meinem Platze mit mir. Wir müssen in die Stadt gehen, denn ich kann doch nicht ohne Afia kämpfen." Der Löwe sagte: "Es ist gut; ich werde dann hier am Baume auf dich warten, bis du aus der Stadt mit deiner Afia zurückkommst." Der Holzhändler sagte: "Es ist mir recht, wenn du hier warten willst. Ich muß dich aber hier am Baume festbinden, denn sonst läufst du mir sicher in der Zwischenzeit fort. Wenn du damit einverstanden bist, will ich in die Stadt gehen und meine Afia holen." Der Löwe sagte: "Ich laufe nicht weg!" Der Holzhändler sagte: "Dann laß dich festbinden." Der Löwe sagte: "Es ist mir recht! So binde mich fest."

Der Holzhändler setzte seine Last ab und ging zu dem nächsten Baum, zog Rindenstreifen ab und drehte Schnüre. Mit den Schnüren band er den Löwen am Baume fest. Der Löwe sagte dann: "Nun gehe schnell in die Stadt und hole deine große Afia, damit wir miteinander kämpfen können." Der Holzhändler sagte: "Ich gehe sogleich, ich will dir nur die kleine Afia zeigen, die ich im Busch hier habe." Danach drehte der Holzhändler aus Baumrinden noch eine Schnur und schlug mit aller Kraft auf den festgebundenen Löwen ein, so daß dem die Haut in Striemen abriß. Der Löwe brüllte. Der Holzhändler sagte: "So, das ist nur meine kleine Afia. Nun werde ich in die Stadt gehen und meine große Afia holen." Danach hob er seine Holzlast wieder auf und ging in die Stadt auf den Markt.

Als der Holzhändler gegangen war, kam die Maus aus dem Busch zu dem festgebundenen Löwen und sagte: "Mein Löwe, was hältst du nun von deiner Stärke und der Stärke des Beni Adam?" Der



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Löwe sagte: "Kleine Maus, binde mich los!" Die Maus sagte: "Ich will es tun. Du mußt mir aber schwören, daß du immer Freundschaft mit mir halten willst." Der Löwe sagte: "Das will ich dir schwören!" Darauf begann die Maus die Rindenstricke, mit denen der Löwe festgebunden war, durchzunagen. Als die Maus damit fertig war, sprang der Löwe sogleich fort.

Der Löwe lief in die Stadt, in der der Holzhändler wohnte und sein Holz auf dem Markte verkaufte. Der Löwe kam in das Haus, in dem der Holzhändler wohnte. Er trat in das Haus und sah den Holzhändler. Er sagte zu dem Holzhändler: "Hier bin ich; nun wollen wir miteinander kämpfen." Der Holzhändler sagte: "Es freut mich, daß du doch in die Stadt gekommen bist. Ich wollte mich eben wieder auf den Weg machen, um dich im Busche aufzusuchen. Nun können wir hier kämpfen. Setze dich also, nimm ein wenig Essen, das ich gleich bringen werde, zu dir, und dann wollen wir beginnen." Der Löwe sagte: "Wir wollen nicht erst essen, wir wollen gleich kämpfen." Der Holzhändler sagte: "Du bist nun in der Stadt und unter den Menschen. Du mußt dich nun danach richten, was bei den Menschen Sitte ist. Erst muß du nun essen!" Der Löwe sagte: "Es ist mir recht." Der Mann ging hinaus. Er schloß die Türe des Hauses, in dem der Löwe war, hinter sich. Er ging zum Kochplatz, kochte einen großen, großen Topf mit heißem Wasser. Als das Wasser kochend war, stieg er auf das Dach des Hauses, in dem der Löwe war, und zog das Stroh auseinander. Durch die Lücke goß er dann das kochende Wasser auf den Löwen herab. Der Löwe schrie vor Schmerz auf. Das Fell riß unter dem Guß des heißen Wassers in Fetzen auf. Der Löwe schrie. Er sprang gegen die Tür. Er schlug die Tür ein und sprang hinaus ins Freie. Er rannte, so schnell er konnte, in den Busch.

Der Löwe traf im Busch die Maus. Die Maus sagte: "Mein Löwe, wie siehst du aus! Mein Löwe, du stärkstes der Tiere! Wer hat dich so zugerichtet?" Der Löwe wurde noch wütender. Der Löwe sagte: "Was, willst du mich noch auslachen? Hast du mich nicht mit dem Beni Adam aneinander gebracht? Hast du mir nicht das Haus des Beni Adam gezeigt? Ist das nicht alles deine Schlechtigkeit?" Der Löwe sprang auf die Maus. Der Löwe packte die Maus. Der Löwe wollte die Maus verschlingen. Die Maus aber schrie: "Da kommt Beni Adam!" Als der Löwe das hörte, erschrak er. Er ließ die Maus frei und rannte, so schnell er konnte, von dannen. Der Löwe lief in ein anderes Land. Der Löwe sagte: "Ich bin hier vor



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dem Beni Adam nicht sicher." Der Löwe kam in ein Land, in dem viele Löwen waren. Die anderen Löwen fragten: "Was ist das mit dir? Dein Fell hängt in Fetzen herab und überall hast du Striemen? Was ist das?" Der Löwe sagte: "Laßt das! Laßt mich nur unter euch leben." So blieb der Löwe bei den andern im andern Lande.

Der Holzhändler sagte bei sich: "In den Busch, in dem ich bisher mein Holz geschlagen habe, kann ich jetzt nicht mehr gehen. Wenn der Löwe mich noch einmal im Busch trifft, wird er mich sicherlich töten. Ich werde also in eine andere Stadt gehen und in einer andern Stadt meinen Holzhandel beginnen." Der Mann packte also seine Sachen zusammen und ging in ein anderes Land. Er kam in eine andere Stadt, in deren Nähe ein großer Busch war, und er machte sich sogleich auf, um in dem Busch sein Holz zu schlagen.

Der Mann ging in den Busch und schlug sein Holz; er lud es auf und ging von dannen. Am Rande des Busches war ein großer Baum neben einer tiefen, tiefen Grube. Da setzte er seine Last auf den untersten Zweigen des Baumes ab, um sich auszuruhen, ehe er das letzte Stück bis zur Stadt zurücklegte. Als er eine Weile an dem Rande der Grube gesessen hatte, bemerkte ihn aber einer der vielen Löwen, die in diesem Lande waren, der lief schnell von dannen und rief die andern Löwen. Alle Löwen kamen angesprungen. Unter den Löwen war auch der, dem der Holzhändler das Fell zerschunden hatte, denn der Holzhändler und der Löwe waren in das gleiche Land geflohen, ohne daß einer es bis dahin vom andern gewußt hätte.

Als der Holzhändler nun die Löwen und unter ihnen den geschundenen, der vordem mit ihm kämpfen wollte, kommen sah, befiel ihn große Angst, und er stieg, so schnell er konnte, in die Krone des Baumes neben der Grube, auf deren untersten Zweigen er seine Last abgesetzt hatte. Die Löwen umringten den Baum. Der König der Löwen sagte: "Weshalb wollen wir zu so vielen den einen armen Holzsammler töten? Kommt, wir wollen weggehen, es gibt Schafe und Kühe in Menge bei den Menschen." Der geschundene Löwe erkannte aber den Holzhändler und sagte zu dem Anführer der Löwen: "Entschuldige, wenn ich, trotzdem ich ein Fremder bin, dir widerspreche. Aber dieser Mann ist keiner der üblichen harmlosen Holzhändler, die sich nur vor uns fürchten und uns nie etwas tun. Dieses ist ein Beni Adam, der genau aus dem gleichen Land stammt, aus dem ich komme, und er ist derselbe



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Mann, der mich mit dem Rindenstrick und dem heißen Wasser so übel zugerichtet hat, wie ihr mich hier seht." Die andern Löwen sahen den geschundenen an und sagten: "Du siehst in der Tat so schlimm aus, daß es wohl besser ist, wenn wir den Mann töten und so uns von der Gefahr, ebenso behandelt zu werden, frei machen. Wie wollen wir ihn nur erreichen, da wir nicht klettern können?" Der Anführer des Löwenrudels sagte: "Wenn dieser Mann allerdings mit Rindenstricken und heißem Wasser so schlechte Sachen macht, dann ist es wohl besser, wir vernichten ihn. Dann wollen wir uns einer über den andern stellen und so hinaufsteigen."

Die Löwen stellten sich also einer über den andern und bildeten so am Stamme des Baumes eine Leiter, auf der der Anführer der Löwen zuletzt hinaufstieg, um als oberster den Holzhändler zu packen und vom Baume herunterzureißen. Der Löwe war schon ganz oben und wollte mit seiner Tatze schon nach dem Manne schlagen, da richtete der sich auf dem Zweige, auf dem er gesessen hatte, auf und schrie: "So, nun werde ich mein heißes Wasser über euch alle gießen und euch dann mit den Rindenstricken geißeln, wie noch keinen Löwen vorher!" Als die Löwen das hörten, erschraken sie alle miteinander. Am meisten erschrak aber der Löwe, der zu unterst war und auf dessen Rücken alle andern Löwen standen. Dieser Löwe war nämlich der Geschundene, der die Rindenstricke und das heiße Wasser am eigenen Leibe gespürt hatte. In seiner großen Angst sprang der Geschundene zur Seite. Als er aber weglaufen wollte, fiel er in die tiefe Grube, die neben dem Baum war und die er in seiner Angst völlig vergessen hatte. Mit ihm stürzten aber alle andern Löwen, die auf seinem Rücken gestanden hatten, in der gleichen Richtung, also auch in die Grube hinab.

Als der Holzhändler sah, daß alle Löwen unten in der Grube lagen, stieg er vom Baume herab und rief in die Grube herunter: "Ich denke, ihr wollt mich umbringen und vernichten? Ich warte darauf. Wenn ihr mich aber allzulange warten laßt, so werde ich euch vernichten. Denn da ihr dort unten nicht fortkönnt, so ist mir das ein leichtes." Die Löwen sprachen untereinander: "Es ist wahr. Auch wenn dieser Mann uns gar nichts weiter tut, werden wir hier unten sehr bald hungern und dann beginnen, uns selbst zu töten." Der Anführer der Löwen sagte: "Es war töricht, daß wir dem Rate des Geschundenen, der zudem ein Fremder ist, gefolgt sind. Da wir nun aber einmal in dieser Lage sind, so kann uns überhaupt niemand anderes helfen, als eben der Holzhändler selbst, der



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uns durch seine Klugheit in diese Falle geworfen hat." Die Löwen sagten: "Du hast recht!"

Der Anführer der Löwen sagte: "Ich will mit dem Manne sprechen." Die andern Löwen sagten: "Tue du es!" Der Löwenkönig rief hierauf zu dem Holzhändler hinauf: "Beni Adam, höre mich!" Der Holzhändler rief herunter: "Ich höre!" Der Löwe rief: "Wir bitten dich allesamt, uns wieder hinaufzuziehen und uns das Leben zu schenken. Wir schwören, daß wir dir dann zeitlebens als Sklaven dienstbar sein wollen und daß wir, die wir die Könige aller Tiere sind, dir stets mit allen Geschöpfen, die außer den Menschen auf der Erde sind, beistehen werden." Der Holzhändler sagte: "Wollt ihr schwören, daß mir überall, wo ich auch gehe und stehe, stets vier von euch folgen werden, und daß ihr jedesmal, wenn ich eurer oder der andern Tiere bedarf, zu mir kommen und für mich kämpfen werdet ?" Die Löwen beschworen das einer nach dem andern. Darauf zog der Holzhändler einen nach dem andern an Rindenstricken heraus.

Von nun an war der frühere Holzhändler der Schech ei Esuda (der König der Löwen). Wo er auch hinging - überallhin folgten ihm vier Löwen. Er machte sich nun auf und ging in seine Heimatstadt, in die Stadt des Königs, der seinen Bruder und seinen Sohn getötet hatte. Die vier Löwen folgten ihm stets. Als er mit den Löwen in die Straßen kam, flohen die Leute entsetzt in die Häuser. Als er mit den Löwen auf den Markt kam, flohen die Leute entsetzt zum König der Stadt und riefen: "Der König der Löwen kommt! Hilf uns! Hilf uns!" Darauf rief der König der Stadt seine angesehenen Männer zusammen und ging mit ihnen dem König der Löwen entgegen.

Die Geschichte erzählt nun ferner, daß der Löwenkönig mit dem Stadtkönig, trotzdem dieser einst die Verwandten des jetzigen Löwenkönigs getötet hat, ein vorläufiges Bündnis schließt. Ja, als der Stadtkönig gegen den großen Landeskönig zu Felde ziehen will, ruft der Löwenkönig alle Tiere zusammen, und diese vernichten nacheinander drei Heere des Landeskönigs. Dann aber zieht der Löwenkönig mit allen Herden des Stadtkönigs (immer gefolgt von seinen vier Wachtlöwen) von dannen und geht mit dem Landeskönig eine Freundschaft ein. Für den Landeskönig führt nun der Löwenkönig Kriege. Er gewinnt mit seinen Löwen, Elefanten, Büffeln usw. alle Schlachten und nimmt zuletzt auch den Stadtkönig gefangen, den er wegen seiner hingerichteten Angehörigen



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zur Rechenschaft zieht. Der Stadtkönig bittet um Gnade und schiebt alle Schuld auf seinen derzeit abwesenden Wesir. Also wartet und fängt der Löwenkönig den Wesir ab und legt ihn, der durch seine Klugheit berühmt ist, in Fesseln. Der Löwenkönig erklärt dem Wesir, daß er ihn töten wolle, wenn er nicht in drei Tagen Stricke aus Sand anfertige. Der Wesir geht tief gebrochen und hoffnungslos betrübt nach Hause. Die jüngste, sehr kluge Tochter des Wesirs entlockt dem Vater den Grund seiner Traurigkeit und sagt: "Gehe zum Löwenkönig und sage: ,Um Stricke zu drehen, muß man Fasern machen; gib mir die Fasern aus Sand, so will ich dir die Stricke aus Sandfasern drehen." Der Wesir kehrt also zum Löwenkönig zurück und sagt ihm das, was die junge Tochter dem Vater riet.

Der Löwenkönig fragt seine Leute, wer wohl dem Wesir diesen Rat gegeben habe. Seine Leute sagen: "Diesen Rat hat dem Wesir entweder eine ganz alte Frau oder ein ganz junges Mädchen gegeben." Der Wesir, gedrängt, gibt die Gedankenurheberschaft seiner Tochter zu. Darauf heiratet der Löwenkönig, vom Landeskönig mit seiner Heimatstadt belehnt, die kluge Tochter des Wesirs, lernt von der jungen Frau Lesen und Schreiben und wird ein ausgezeichneter Herrscher. Die Löwen bleiben ihm immer treu zur Seite.

Die Geschichte endet mit der Erklärung: "Der Mann, der eine hohe Stellung einnehmen will, muß nicht nur selbst klug sein, sondern soll auch eine kluge Frau haben."



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MEHRAKTER



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11. Albedewui

Es war einem Sultan gegeben, daß er sieben Söhne hatte, die alle immer in gleicher Weise aufwuchsen, spielten und nie in Uneinigkeit kamen. Als sie daher in das Alter kamen, daß sie gerade recht zum Heiraten waren, rief der Sultan sie zusammen und sagte: "Meine Söhne, ihr seid nun in dem Alter, in dem andere junge Männer angesehener Leute heiraten. Als Söhnen des Sultans geziemt euch das aber vor allen. Nun seid ihr bis jetzt stets einmütig und ohne Streit aufgewachsen, so daß ihr brüderliches Gezänk gar nicht kennt, und um so schlimmer wäre es daher, wenn ihr nun dadurch, daß ihr verschiedenartige Frauen heiratet, in eine Verwirrung kämt, der ihr dann um so weniger würdet entrinnen können, als ihr an die Frauen für immer gebunden wäret." Die sieben Söhne sagten: "Du hast recht, mein Vater! Wie sollen wir aber dieser Gefahr aus dem Wege gehen?" Der Sultan sagte: "Ich habe hierüber nachgedacht und habe gefunden, daß ihr euren Frieden und eure Bruderliebe nur in der Art ungestört wahren könnt, daß ihr sieben Mädchen heiratet, die in gleicher Weise als Töchter eines Elternpaares in ungetrübter Eintracht aufgewachsen sind." Die sieben Söhne sagten: "Du hast recht, mein Vater! Wo sollen wir aber diese sieben Schwestern finden?" Der Sultan sagte: "Ich habe mich danach umgesehen. Ich habe aber nirgends in meinem Lande eine Familie gefunden, in der sieben gutartige Schwestern ein gleich liebevolles Verhältnis von Kindheit auf gehabt haben wie ihr. Darum habe ich alle klugen Leute und Fakire befragt, und die haben mir gesagt, daß ihr das Glück der Auffindung der sieben Schwestern nur im Auslande finden könnt." Die sieben Söhne sagten: "Du hast recht, mein Vater! Wo sollen wir uns nun hinwenden, um die sieben Schwestern zu finden?"

Der Sultan sagte: "Ich habe alle klugen Leute und Fakire gefragt, und sie haben mir gesagt, daß ihr euer Lebensglück nur in der Weise gewinnen könnt, daß ihr alle gemeinsam handelt und euch einem andern unterordnet. Denn dadurch, daß ihr immer in Frieden und in Eintracht miteinander gelebt habt, ist keiner dazu gekommen, einen eigenen Willen zu erlangen. Eure Stärke beruht darin, daß ihr euch gemeinsam unterordnet. Somit seid ihr weder gemeinsam, noch viel weniger einer allein dazu imstande, eine große Sache im Lande zu überwinden und bedürft deswegen eines andern, der euch als älterer, würdiger Bruder beratend zur Seite



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steht." Die sieben Söhne sagten: "Du hast recht, mein Vater. Wo finden wir aber einen ältern würdigen Bruder?"

Der Sultan sagte: "Ich habe alle Leute danach gefragt und habe nun gehört, daß weit fort von hier ein Sultan lebt, der mit einer Tochter der Alledjenu verheiratet war. In seiner Familie sind alle Männer streitsüchtig, und so hat er sich mit seinem eigenen Sohn überworfen, der den Namen Albedewui hat. Dieser Albedewui ist als Sohn einer Alledjenufürstin klug und gut. Er ist aus der Nähe seines streitsüchtigen Vaters entwichen und irrt irgendwo in den fernen Bergen umher. Diesen Albedewui müßt ihr aufsuchen." Die sieben Söhne sagten zu ihrem Vater: "Wir danken dir für deine Fürsorge und bitten dich nur, uns alles herzurichten, was wir zur Reise benötigen."

Der Sultan ließ alles für die Reise seiner Söhne vorbereiten und gab einem jeden ein sehr gutes Pferd und Nahrung und Waffen. Er gab ihnen aber keine Diener mit, so daß die sieben Söhne eines Tages allein von dannen ritten. Die sieben Söhne ritten aus dem Lande ihres Vaters. Dann ritten sie in die Wüste, und in der Wüste ritten sie viele Tage. Sie ritten so lange, bis eines Tages in der Entfernung Berge auftauchten. Als sie nun nahe zu den Bergen kamen, stürmte ein Mann auf sie zu, der war in ein Löwenfell gekleidet und schwang ein langes Schwert und jauchzte kampfbereit und laut, so daß alle Berge seinen Ruf hundertfach widerhallten.

Die sieben Brüder sagten untereinander: "Dieser Alledjenu ist stark und will mit uns kämpfen. Wenn nun jeder einzeln von uns herantritt, wird er jeden einzelnen töten. Wenn wir alle miteinander über ihn herfallen, werden wir die Schande mitnehmen."

Die Brüder seufzten miteinander und sagten: "Hätten wir doch erst Albedewui gefunden!" Der starke Mann in dem Löwenfell kam mit großen Schritten nahe herangeritten und sagte: "Meine sieben Burschen, entweder seid ihr eine lockere Reisegesellschaft, und dann muß ich euch töten, oder aber ihr seid sieben Brüder und Kinder eines Sultans, dann bitte ich euch, mich als achten Bruder mit euch zu nehmen." Die sieben Söhne des Sultans sagten: "Wir sind in der Tat sieben Brüder. Bist du vielleicht Albedewui ?" Der Mann sagte: "Ja, ich bin Albedewui. Ich habe lange auf euch gewartet, denn von Kindheit an haben mir die Fakire gesagt, daß ich erst dann, wenn ich euch gefunden habe, glücklich werden kann." Darauf umarmte Albedewui einen nach dem andern, und die sieben Brüder waren auch über alle Maßen glücklich.



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Nachdem die sieben Brüder eine Zeitlang mit Albedewui gelagert hatten, brachen sie gemeinsam mit ihm auf. Albedewui sagte: "Unsere erste Sache muß nun die sein, für euch sieben Brüder sieben Schwestern zu finden, die als Frauen eurer würdig sind."

Albedewui ritt an die Spitze, und dann zogen sie alle zusammen weiter und immer weiter in die Ferne. Nach vielen Tagen sahen sie Bäume aus der Ebene aufsteigen und Häuser und Gartenzäune. Sie kamen an eine große Stadt. Die Stadt lag aber ganz still da. Es bellte kein Hund, es schrie kein Esel, es kreischten keine Vögel. Die acht jungen Leute ritten in die Stadt hinein. Sie ritten zwischen üppigen Gärten und schönen Häusern hin, aber nirgends sahen sie einen Menschen oder sonst ein lebendes Wesen. Albedewui sagte: "Dies ist eine eigentümliche Stadt. Sie sieht aus wie ein Ort der Menschen, aber es ist nichts von solchen zu sehen. Ich rate also, daß wir uns nach einem großen Kaffeeladen umsehen und abwarten, ob sich dann nichts zeigt." Die sieben Brüder sagten: "Albedewui, unser großer Bruder, du hast recht."

Die acht jungen Leute ritten also in die inneren Teile der Stadt. Sie sahen da überdeckte Straßen und einen weit angelegten Basar. In jedem Laden lagen wertvolle Stoffe und Perlen und Steine und Öle und Teppiche und alle sonstigen wertvollen Kaufmannsgüter aus, aber nirgendwo saß oder stand oder lag ein Mensch. Sie ritten durch den Basar, bis sie zu einer großen Kaffeeküche kamen. Albedewui sagte: "Wenn in irgendeinem Teil einer Stadt lebende Menschen sind, so ist das beim Kaffeekoch. Wir wollen also hier absteigen, unsere Pferde festbinden und abwarten, was da kommt." Die sieben Brüder sagten: "Albedewui, unser ältester Bruder, du hast recht!" Die acht jungen Leute stiegen also ab, banden ihre Pferde fest, nahmen von einem nahegelegenen Ladenaushang einen großen Teppich weg und breiteten ihn aus. Die acht jungen Leute machten es sich bequem.

Nachdem die acht jungen Leute sich schon einige Zeit ausgestreckt hatten, kam vorsichtig ein altes Weib heran. Es war das aber ein Gulweib. Sie sah die acht jungen Leute und schlich sich wieder von dannen. Sie rannte zu ihren Leuten und sagte: "Es sind acht junge, wohlgenährte Leute in meinem Kaffeehaus abgestiegen. Bereitet mir sogleich acht Schalen Kaffee und tut etwas Bendj hinein, so daß sie ohnmächtig werden." Die Leute des Gulweibes taten das. Dann nahm das Gulweib eine Sinia und brachte den



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Kaffee dahin, wo die acht jungen Leute sich gelagert hatten. Sie begrüßte die jungen Leute, und diese nahmen den Kaffee.

Die sieben Brüder nahmen den Kaffee und tranken ihn sogleich. Albedewui aber goß den Kaffee heimlich aus und beobachtete, was nun mit den sieben Brüdern geschehen würde. Albedewui sah, daß den sieben Brüdern die Augen zufielen und daß sie einschliefen. Albedewui sah, wie das alte Weib in der Nähe stehenblieb und dies beobachtete; und um nicht ihren Verdacht zu erwecken, blinzelte er auch mit den Lidern und ließ sich langsam hintenüber fallen, so jedoch, daß er durch die halbgeschlossenen Augenlider sehen konnte was das alte Weib tun würde.

Das alte Weib sah, ob die jungen Leute ohnmächtig hinfallen würden, und als sie alle auf dem Teppich lagen, wandte sie sich um und rannte von dannen. Sogleich erhob sich Albedewui vorsichtig, ergriff sein Schwert und folgte der Alten in einiger Entfernung. Er sah, daß die Alte durch die Straße von dannen lief und dann in einer Höhle, die tief in die Erde hineinführte, verschwand. Albedewui stellte sich neben dem Eingang der Höhle auf, so daß ein von innen Kommender ihn nicht sehen konnte, und wartete mit erhobenem Schwert, was nun kommen würde.

Die alte Gui war in die Höhle hineingelaufen. Sie lief den langen Gang entlang, bis sie an die unterirdische Halle kam, in der sie mit ihren Söhnen, das waren sieben Gui, lebte. Die Alte rief den Söhnen zu: "Macht, meine Söhne, daß ihr heraufkommt; die acht wohlgenährten jungen Leute haben ebenso wie alle andern den Kaffee getrunken und liegen nun ohnmächtig auf einem Teppich. Lauft schnell hinauf und bindet sie, damit sie uns nicht mehr entweichen können und jeder von uns einen Mann verzehren kann."

Die sieben Gui erhoben sich. Jeder suchte sich die Stricke, die er brauchte, um einen Mann zu binden; dann ging einer nach dem andern aus der Halle, um durch den Höhlengang nach der Stadt hinauf zu kommen.

Als der erste Gui aus dem Eingang der Höhle trat, schlug Albedewui ihm mit dem Schwert in den Nacken, daß der Kopf herunterrollte. Er warf den toten Körper und den Kopf beiseite, und ebenso tötete er einen Gui nach dem andern, also alle sieben Gui; nun wartete er vergebens noch eine Weile, denn jetzt kam niemand mehr.

Albedewui sagte: "Die Jungen scheinen ja nun alle getötet ZU sein; aber jedenfalls ist die alte Gui noch unten, wenn nicht sonst



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noch jemand, und somit werde ich selbst einmal hinabgehen und nach dem Rechten sehen."

Albedewui ging also in den Höhlengang hinab. Er ging lange dahin, bis er in die große unterirdische Halle kam, in der die alte Gui war. Die alte Gui machte gerade Feuer. Sie hörte die Schritte, und weil die Schritte Albedewuils vielfach im Felsen widerhallten, meinte sie, es kämen mehrere Männer. Die alte Gui sagte also, ohne sich umzusehen: "Nun, meine Söhne, habt ihr den ersten Braten gleich mitgebracht?" Albedewui sagte: "Gewiß, meine Mutter!" Und damit stand er auch schon neben ihr, hatte sie bei den Haaren und schwang das Schwert über ihr. Albedewui sagte: "Ja, meine Mutter. Hier ist der Braten, und es handelt sich nur noch darum, in wie viele Stücke wir ihn zerschneiden wollen." Als Albedewui sie bei den Haaren gepackt hatte, fiel die alte Gui voller Schrecken auf die Knie. Die alte Gui schrie und heulte, als sie das Schwert über sich sah, Die alte Gui schrie: "Töte mich nicht! Töte mich nicht!"

Albedewui sagte: "Was ich mit dir anfange, das wird davon abhängen, was du mir von deinen Sachen zeigst oder nicht. Erst werde ich mir einmal nach der Sitte eurer Sippe meinen Braten sichern." Dann nahm er das Schwert zwischen die Zähne und band der Alten mit dem Strick, den er einem toten Gui abgenommen hatte, die Hände zusammen. Als die Alte gefesselt und ihr die Hände auf dem Rücken zusammengebunden waren, sagte Albedewui: "Nun vorwärts, meine Mutter! Nun zeige mir, was du hier unten für gute Sachen hast." Die Alte sagte: "Ich will dir alles zeigen, aber töte mich nicht!" Albedewui sagte: "Bedingungen mache ich und nicht du. Mach, daß du vorwärts kommst! Zunächst zeige mir aber das Mittel, womit ihr diejenigen wieder ins Leben ruft, die ihr mit dem Bandj leblos gemacht habt." Die Alte zeigte Albedewui eine Büchse, die mit einem Pulver gefüllt war, das den Ohnmächtigen in die Nase geblasen werden müsse. Dann zeigte sie Albedewui sieben Kammern, von denen die eine ganz mit Gold, die zweite mit Silber, die dritte mit Diamanten, die vierte mit Seidenstoffen, die fünfte mit Rubinen, die sechste mit duftenden Ölen, die siebente mit herrlichen Teppichen gefüllt war. Die alte Gui sagte: "Damit habe ich dir alle unsere Schätze gezeigt! Nun laß mich wieder frei!"

Albedewui sagte: "Warte ein wenig, meine Mutter. Erst sage mir einmal, was in der achten Kammer ist, zu der jene versteckte



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kleine Türe dort führt!" Die Alte sagte: "Das weiß ich nicht, das sage ich nicht. Es ist nichts von Bedeutung!" Albedewui trat aber an die kleine versteckte Tür und zertrümmerte sie mit einem Schwerthiebe. Es war ein dämmriger Raum. Albedewui konnte aber sehen, daß am Boden sieben junge Mädchen lagen, die alle gefesselt waren und die ihm alle sieben sehr schön zu sein schienen. Als Albedewui die Tür aufschlug, schrien die Mädchen auf und weinten. Sie sahen das alte Weib und riefen: "Töte uns lieber, als daß du uns noch länger hier gefangen hältst." Da hob Albedewui das Schwert und schlug dem alten Gulweib den Kopf ab, so daß er über den Boden hinrollte. Als die jungen Mädchen das sahen, hoben sie die gebundenen Hände und weinten vor Freude.

Nachdem die Mädchen sich ein wenig beruhigt hatten und nachdem Albedewui die Stricke von ihren Händen abgebunden hatte, sagte er: "Ihr armen Mädchen, die ihr anscheinend lange hier gelegen habt! Ihr werdet euch erst ein wenig umkleiden wollen, ehe ihr mir von all diesem Eigenartigen erzählt. Geht also dort drüben hin, wo die sieben offenen Kammern sind. Kleidet und schmückt euch nach eurem Geschmacke mit allem, was euch behagt und kommt dann in die Halle, in der ich auf euch warten werde."

Albedewui ging in die Halle. Als Albedewui einige Zeit gewartet hatte, traten die sieben Mädchen herein. Sie hatten sich in seidene Kleider gehüllt und mit prächtigen Ringen und Ketten geschmückt. Sie hatten sich die Haare geordnet und duftende Öle darüber gegossen. Albedewui wollte aufstehen und den schönen Mädchen entgegengehen, doch ehe er es verhindern konnte, waren sie vor ihm niedergefallen und dankten ihm auf den Knien als ihrem Wohltäter und Erretter. Albedewui bat sie, ihm zu berichten, wie sie in die schreckliche Gefangenschaft gekommen wären. Darauf erzählten sie ihm: "Diese Stadt wurde von einem reichen und mächtigen Sultan beherrscht, der unser Vater war. In der Stadt wohnten viele Menschen, die emsig arbeiteten und ihr Geld in dem Basar und auf weiten Reisen sammelten. Wir lebten alle sehr glücklich und fröhlich, bis eines Tages ein fremder Sultan, ein Sultan der Alledjenu zu meinem Vater sandte und verlangte, er solle ihm sogleich seine sieben Töchter senden, damit er sie heirate. Denn, so sagte er, er habe nur eine Freude am Leben, das sei seine Tochter Sams-Adunia, die werde ihm aber eines Tages, wie die Fakire sagten, von einem gewissen Albedewui genommen werden, deshalb wolle er beizeiten einen Ersatz für sein häusliches Glück haben, und er wolle deshalb



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meines Vaters sieben Töchter für sein Haus haben; wenn unser Vater dies ausschlage, so werde er sein Land vernichten lassen.* Unser Vater war über diese Nachricht sehr entsetzt und ließ seinerseits die Fakire seines Landes fragen, was sie hierzu zu sagen hätten. Die Fakire sagten ihm, es stünde ihm und der ganzen Stadt großes Unglück bevor, aber seine sieben Töchter würden nicht den Alledjenukönig heiraten, sondern eben der Albedewui, der einst die Tochter des Alledjenukönigs, die Sams-Adunia, heiraten würde, eben der würde seine eigenen Töchter einst erretten und würde sie ihren guten Ehegatten zuführen. Unser Vater ließ also die Forderung des Alledjenukönigs abweisen. Aber dieser forderte einen mächtigen Gui auf, der mit seiner Tochter immer im Streit lag und der Sams-Adunia zur Frau begehrte, unseres Vaters Stadt zu vernichten. Der mächtige Gui sandte nun, in der Hoffnung Sams-Adunia gewinnen zu können, das alte Gulweib aus, das du vorhin vor unserm Gefängnis getötet hast, mit ihren sieben Söhnen gegen unsere Stadt zu ziehen und sie zu vernichten. Er versprach den sieben Gulsöhnen uns als Gattinnen, wenn sie alle in der Stadt sonst aufzehrten. Das Gulweib machte sich mit seinen Söhnen schnell an das Werk, und wenn du durch die Stadt gegangen bist, wirst du gesehen haben, daß außer uns niemand am Leben blieb. Von uns sieben verlangte das Gulweib nun das Einverständnis der Ehe mit ihren Söhnen, und sie hätte im Laufe der Zeit ihren Willen doch vielleicht ertrotzt, wenn du nicht gekommen wärest und uns gerettet hättest."

Nach dieser Erzählung begannen die Mädchen in der Erinnerung an das Schreckliche, das sie erlebt hatten, zu weinen.

Der junge Mann sagte: "Ihr habt allerdings Schreckliches erlebt. Es ward mir aber gegeben, die Gui zu töten, und ich bin auch der, der euch eurem zukünftigen Glück entgegenführen kann." Die sieben Mädchen riefen: "So bist du also Albedewui!" Der junge Mann sagte: "Das bin ich, und ich habe auch die hierher geführt, die nach allem als eure zukünftigen Gatten bestimmt sind. Es sind die sieben Söhne eines Sultans, alle so untereinander gleich und miteinander durch innigste Geschwisterliebe verbunden wie ihr. Diese sieben Söhne liegen nun oben im Kaffeehaus auf dem Teppich. Das 

* Nach einer andern Version wurde nur eine der sieben gefordert, und jede einzelne war bereit, sich für die andern sechs zu opfern, alle hatten sich aber um die Opferung gestritten, und die andern hätten aus Liebe kein Opfer annehmen wollen.


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Gulweib hat sie in Ohnmacht geworfen, und ich bitte euch nun, hinzugehen und sie zum Leben zurückzurufen. Ich habe dem Gulweib diese Büchse mit Pulver abgenommen, von dem nun jede von euch dem in die Nase blasen mag, der ihr der Begehrenswerteste scheint. Diese sieben Söhne eines Sultans sind meine besten Freunde und die schönsten jungen Männer, so wie ihr die schönsten Mädchen seid. So wird es euch nicht schwer fallen, sie mit freundlichen Blicken zu betrachten, und so könnt ihr in dem Hause des Vaters dieser Jünglinge eine neue und würdige Heimstätte finden."

Als die sieben schönen Mädchen dies gehört hatten, nahmen sie gern aus der Hand ihres Wohltäters die Gabe entgegen, mit der sie ihre zukünftigen Gatten wieder zum Leben zurückrufen konnten. Nachdem sie aber in kluger Vorsicht erst ein Schaf, das Albedewui geschlachtet, zubereitet und so für Speise gesorgt hatten, kehrten sie unter seiner Leitung aus der unterirdischen Halle durch den Höhlengang zur Oberwelt zurück. Mit Schrecken sahen sie dort die Leichen der sieben Gui liegen. Mit Wonne sogen sie aber die ungewohnt gewordene Luft ein, und eilten in dem Gedanken, daß solcher Genuß den ohnmächtigen Jünglingen vorenthalten sei, schnell dahin, wo diese noch lagen.

Unter der Führung Albedewuis kamen sie bald zu dem Kaffeehaus, und nun ereignete es sich, daß ohne lange Wahl und ohne Zögern ein jedes der sieben jungen Mädchen neben dem Jüngling niederkniete, der ihr an Alter entsprach, nämlich die Älteste neben dem Ältesten und die Jüngste neben dem Jüngsten. Und jede verabreichte sogleich ihrem zukünftigen Gatten das wiederbelebende Pulver, so daß jeder, die Augen aufschlagend, sich seiner zukünftigen Gattin zuwenden mußte, und ein jeder unwillkürlich seine Arme um seine schöne Lebensretterin schlang.

Als die ersten Augenblicke des Erstaunens vorüber waren und alle sich ein wenig gefaßt hatten, nahmen sie Speise und Trank zu sich. Danach aber sprach Albedewui: "Meine sieben Brüder, ihr seht, ihr habt auf wunderbare Weise die sieben Gattinnen gefunden, die ihr nach dem Gebote eures Vaters suchen solltet und die ihr nun in das Serail eures Vaters führen und später dort heiraten könnt. Macht euch also morgen auf und kehrt mit eurem kostbaren Funde heim!"

Die sieben Jünglinge und sieben Mädchen sagten aber: "Was willst du? Du, dem wir alles verdanken, du willst uns allein fortschicken und willst nicht mitkommen?" Albedewui sagte: "Meine



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Brüder und Schwestern, ich habe aus der Erzählung der sieben Mädchen gehört, daß mir Sams-Adunia als Gattin zugedacht ist. Ich will mich also sogleich auf den Weg machen und will sehen, ob ich sie bald gewinnen kann. Macht euch also auf den Heimweg. Wartet aber mit eurer Heirat so lange, bis ich zu euch komme, und wenn ihr sieben Jahre warten müßtet." Die sieben Jünglinge und sieben Mädchen sagten: "Ja, wir wollen auf dich und deine Sams-Adunia warten!" Albedewui sagte: "Es ist gut, ich danke euch! Ruht euch heute noch von der Erregung aus. Reitet morgen dann der Heimat zu. Achtet aber genau darauf, daß ihr immer dem mittelsten Weg folgt und bedenkt, daß jede Abzweigung auf einen Nebenweg euch in eine Gefahr bringt." Die sieben Jünglinge und sieben Mädchen versprachen, genau darauf zu achten.

Am andern Morgen nahmen die sieben Jünglinge und sieben Mädchen von Albedewui Abschied und ritten von dannen. Anfangs folgten sie mit Sorgfalt der Mittelstraße, nach einiger Zeit kamen sie aber so ins Gespräch, daß sie die Richtung versahen und auf einen Nebenpfad kamen. Auf diesem Nebenpfad gingen sie hin und merkten es gar nicht, bis vor ihnen ein Gui sich erhob, der ein langes Schwert gezogen hatte und über ihnen schwang. Der Gui schrie: "Ich lasse euch nicht weiter! Ihr Burschen, ich werde euch totschlagen und werde euch diese schönen Mädchen wegnehmen! Ich werde euch aufessen und werde dann die fetten Täubchen zu mir nehmen." Die sieben Jünglinge und sieben Mädchen wußten nicht, was jetzt zu tun sei und alle schrien. Sie schrien entsetzt auf und riefen: "Weshalb ist gerade jetzt nicht Albedewui bei uns!" Der mächtige Gui rief: "Was redet ihr da? Sprecht ihr von dem Albedewui? Euer Albedewui ist der, den ich am meisten herwünsche, denn von ihm heißt es, daß er mir einst Sams-Adunia rauben würde! Wenn ihr mir den einen Albedewui gebt, lasse ich euch alle vierzehn gehen, wohin ihr wollt!"

Nachdem nun am Morgen die sieben Söhne des Sultans mit den sieben Mädchen fortgeritten waren, hatte auch Albedewui sein Pferd gesattelt und hatte sich auf den Weg gemacht, nach seiner zukünftigen Frau zu suchen. Er ritt eine Zeitlang des Weges und dachte über das nach, was er gestern erlebt hatte. Er sagte bei sich: "Diese sieben Jünglinge werden mit den sieben Mädchen der Heimat entgegenreiten. Ich habe ihnen gesagt, sie sollten sorgfältig darauf achten, daß sie den Weg nicht verlieren, denn seitwärts zweigen die Pfade ab, die zu dem großen Gui führen. Nun werden sich die



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sieben Jünglinge und sieben Mädchen die Zeit damit vertreiben, daß sie miteinander schwatzen. Das Schwatzen ist aber gefährlich, denn sie können darüber den richtigen Weg verlieren. Sie werden vor Glückseligkeit viel lachen und gar nicht mehr nach dem Wege sehen. Ihre Pferde werden sie dahin bringen, wo Wohnungen am Wege sind. Das sind aber die Wohnungen der Gui. Wenn sie zum großen Gui kommen, werden sie sich nicht zu helfen wissen. Sicherlich sind sie also jetzt schon nahe der Gefahr. Ich will ihnen daher schnell nachreiten und will sehen, ob ich ihnen noch helfen kann."

Albedewui drückte also seinem Pferd die Sporen in die Seiten und jagte so schnell er konnte den sieben Jünglingen und sieben Mädchen nach. Er verfolgte aufmerksam die Spuren ihrer Pferde und kam nach kurzer Zeit auch dahin, wo sie vom Hauptwege abgewichen waren. Albedewui kam wie ein abgeworfener Speer angeschossen. Er kam gerade dazu, als der große Gui sich mit den sieben Jünglingen stritt und als der große Gui sagte: "Wenn ihr mir den einen Albedewui gebt, lasse ich euch alle vierzehn gehen, wohin ihr wollt!" Als der heranjagende Albedewui das hörte, rief er: "Den Albedewui kannst du hinnehmen, der Mann ist hier!" Der große Gui blickte auf den Mann, der angeritten kam und fragte: "Wie heißt du?" Albedewui sagte: "Du sagtest meinen Namen. Ich heiße Albedewui, und da du mich für die andern gefordert hast, so laß die andern nur ziehen, denn ich gedenke bei dir zu bleiben."

Darauf erlaubte der große Gui den andern vierzehn fortzugehen und ihres Weges in die Heimat zu ziehen. Zu Albedewui aber sagte er: "Höre, Albedewui! Es ist mir gesagt worden, daß du mir einst Sams-Adunia, die Tochter des Alledjenukönigs, rauben wirst. Wenn du das tun willst und mir dann diese Sams-Adunia bringst, magst du auch ungeschoren bleiben. Ich will nämlich dieses Mädchen durchaus zur Frau haben. Ich lebe aber seit Jahren mit ihrem Vater und ihr im Kriege, und noch letzthin hat sie mir sieben Burschen geraubt, die jetzt daheim als Kamele Holz tragen müssen. Sage mir, ob du das willst?" Albedewui sagte: "Warum, mein großer Gui, soll ich Sams-Adunia nicht rauben?! Es ist mir auch gesagt, daß ich das werde tun müssen, nur weiß ich nicht, wie ich zu ihr komme und wie ich es anstellen soll!" Der große Gui sagte: "Es trifft sich sehr gut, daß gerade jetzt der Mann gestorben ist, dem die Dagit-el-chifa (Tarnkappe, die den, der sie aufsetzt, unsichtbar macht) und die Al-bussat (die Wandermatte, die jeden,



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der sich darauf setzt, dann, wenn er sie mit der Sod-al-hedma, einer Peitsche, schlägt, dahin trägt, wohin er will) gehörte, und daß seine zwei Söhne sich um den Besitz dieser zwei Dinge streiten. Wenn du jenen Weg gehst, kommst du zu den streitenden Burschen und kannst, wenn du geschickt bist, beide Gegenstände gewinnen. Einmal in deren Besitz, muß aber ein kluger und geschickter Mann wie du, die Prinzessin leicht rauben und mir auf der Wandermatte hierher bringen können. Willst du das tun?" Albedewui sagte: "Weshalb soll ich das nicht tun?" Der große Gui sagte: "So zieh zum Zeichen, daß du es tun willst, den Ring vom Finger und übergib ihn mir!"

Albedewui drehte nachdenklich an seinem Fingerringe. Er ließ ihn dann wie unabsichtlich herabgleiten, so daß er auf dem Boden hinrollte. Als er aber am Boden lag, bückte sich der große Gui, denn er war sehr gierig darauf, Sams-Adunia zu gewinnen und strebte danach, von Albedewui in diesem Sinne eine Zusage zu erhalten. Als der große Gui aber so eilig nach Albedewuis Ring huschte, zog der sein Schwert ab, schlug dem großen Gui den Kopf ab und sagte: "Kannst du nicht abwarten, bis ich dir den Ring gebe ?"

Danach steckte sich Albedewui den Ring wieder an, bestieg sein Pferd und ritt in der Richtung fort, in der nach der Angabe des großen Gui die beiden Burschen sich um die Erbschaft der Tarnkappe und der Wandermatte stritten. Und richtig, er war noch gar nicht weit gekommen, als er schon hörte, daß zwei Burschen sich stritten. Der eine schrie: "Ich will die Kappe haben, und du kannst die Matte haben." Worauf der andere antwortete: "Nein, du kannst die Matte nehmen, sollst mir aber die Kappe geben." Nachdem der Streit eine Zeitlang gedauert hatte, kam Albedewui näher, hielt sein Pferd aber in der Richtung, daß die Burschen meinen mußten, er wolle in einiger Entfernung an ihnen vorüberreiten. Die beiden Burschen sahen den Reiter vorüberreiten. Der eine sagte: "Da kommt ein fremder Mann vorbei, der nichts von unserm Streit weiß. Wir wollen ihn bitten, hierher zu kommen und zu entscheiden, wem eines oder beides zufallen solle. Der andere Bursche sagte: "Das ist das erste vernünftige Wort, das ich von dir höre." Die beiden Burschen riefen also Albedewui. Albedewui kam näher und sagte: "Was wollt ihr von mir? Sagt es schnell, denn ich habe nicht viel Zeit zu verlieren." Der eine Bursche sagte: "Es ist eine sehr einfache Sache. Wir sind die Söhne eines armen Mannes, der



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nichts hinterlassen hat, als eine elende Kappe und eine alte Matte, zu der eine verbrauchte Peitsche gehört. Wir streiten nun darüber, wem diese Dinge, die hier liegen, zukommen." Der andere Bursche sagte: "Wir bitten dich zu entscheiden und zu teilen." Albedewui sagte: "Das ist sehr einfach. Ich werde zunächst vom Pferde steigen und werde dann ein Stück Holz werfen. Ihr lauft hinterher; wer es zuerst erreicht, soll zunächst einmal die alte schmutzige Kappe erhalten."

Die Burschen sagten: "Das ist sehr gut! So wollen wir es machen." Albedewui stieg neben den Erbstücken vom Pferd, ergriff ein Holz und warf es soweit er konnte. Die beiden Burschen liefen so schnell sie vermochten hinterher.

Als sie weggelaufen waren, ergriff Albedewui schnell die Tarnkappe und setzte sie auf. Dann setzte er sich auf die Matte und schlug mit der Peitsche auf die Matte. Die Matte sagte: "Wohin willst du?" Albedewui sagte: "Bringe mich schnellstens in die Stadt Sams-Adunias!" Sofort hob die Matte Albedewui empor, und gleich darauf befand er sich in einer ihm ganz fremden Stadt. Er stand auf, nahm die Matte unter den Arm, zog die Kappe ab und ging auf einen Mann zu, der auf der Straße stand. Albedewui sagte zu dem Manne: "Wo wohnt hier Sams-Adunia?" Der Mann sagte: "Du siehst den großen Gasr (Turm) dort! In seinem obersten Zimmer wohnt Sams-Adunia. Sams-Adunia kommt aber jedes Jahr nur einmal herab, um über das Land zu gehen, dann kehrt sie wieder auf den Gasr zurück."

Albedewui dankte dem Manne und ging. Als es Abend war, nahm er seine Kappe auf, setzte sich wieder auf seine Matte, peitschte sie und sagte: "Bringe mich oben durch das Fenster in den Raum, in dem Sams-Adunia sich befindet." Sogleich war Albedewui hochgehoben, und im nächsten Augenblick befand er sich in dem Zimmer, in dem Sams-Adunia auf einem Angareb lag und schlief. Albedewui beugte sich über Sams-Adunia. Albedewui sah, daß Sams-Adunia sehr schön war. Albedewui streckte den Arm aus und glitt mit der Hand über Sams-Adunias Hand. Er sagte: "Dies also ist die mir bestimmte Gattin!"

Sams-Adunia erwachte. Sams-Adunia fühlte, daß eine fremde Hand über die eigene strich. Sie konnte aber niemand sehen, denn Albedewui hatte die Tarnkappe noch nicht abgenommen. Sams-Adunia erschrak nicht, denn sie war tapfer. Sie sagte aber zu dem Fremden: "Wer ist der Fremde, der mich berührt? Ich fühle es,



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daß ein Fremder da ist. Sage mir also, wer du bist. Besonders wenn du Albedewui bist, sage es, denn ich weiß, daß du mir zum Gatten bestimmt bist. Zeige dich also, wer du auch bist!"

Albedewui nahm die Kappe ab, so daß Sams-Adunia ihn nun sehen konnte. Albedewui sagte: "Ich bin dein zukünftiger Gatte; ich bin Albedewui." Darauf erhob sich Sams-Adunia und betrachtete ihn lange, dann sagte sie: "Ich freue mich, daß du so und nicht anders bist."

Albedewui sagte: "Ich liebe dich so, daß ich dich gleich mit mir hinwegnehmen möchte; sage mir aber, ob das angeht." Sams-Adunia sagte: "Mein Lieber, das ist nicht möglich. Mein Vater liebt mich so und ist so mächtig, daß er mich nicht nur überall finden, sondern auch leicht zurückbringen und dich töten lassen würde. Gehe aber getrost zu meinem Vater und bitte ihn um meine Hand. Er wird dir verschiedene schwere Aufgaben stellen. Sage mir jedesmal, welche Aufgabe es ist, und dann werde ich dir sagen, wie du sie lösen kannst. Wenn mein Vater aber erst gesagt hat, daß du mich als Frau mitnehmen könntest, wenn du dies oder das beständest, dann kannst du mich getrost mitnehmen. Er kann vielleicht versuchen, dir noch mehr aufzubürden; du brauchst diesen andern Forderungen aber nicht mehr zu folgen, denn er hat sich durch sein Wort gebunden." Albedewui sagte: "Ich werde nun also zu deinem Vater gehen und ihn um deine Hand bitten. Wenn er mir die erste Aufgabe vorgeschrieben hat, komme ich zurück."

Albedewui verließ Sams-Adunia auf seiner Matte und ging zum Alledjenusultan. Er warf sich vor ihm nieder und sagte: "Mein Sultan, ich bin Albedewui, der Sohn eines Sultans. Ich bitte dich, gib mir deine Tochter zur Frau." Der Alledjenusultan sagte: "Meine Tochter Sams-Adunia haben schon viele zur Frau begehrt, aber jeder hat noch das Begehren mit dem Tode bezahlt; denn ein jeder muß mir einige Aufgaben lösen, und wenn er das nicht vermag, stirbt er. Überlege dir also die Sache!" Albedewui sagte: "Ich liebe deine Tochter so sehr, daß ich jeden Versuch, sie zum Weibe zu erhalten, machen will; und wenn ich es auch etwa mit dem Tode bezahle, so ist es mir lieber, als wenn ich ohne deine Tochter weiter leben soll." Der Sultan sagte: "Du sollst es haben, wie du es verdienst. Meine erste Forderung ist, daß du meine sieben Kamele heraustreibst in die Wüste, mit Holz belädst und beladen wieder zurückbringst." Albedewui sagte: "Ich werde das mit meinem ältern Bruder besprechen, dann werde ich es versuchen."



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Albedewui ging sogleich zu dem Manne, bei dem er sich ein Quartier besorgt hatte, schloß sich ein und ließ sich von seiner Matte zu Sams-Adunia hinauftragen. Oben angelangt, erzählte er ihr, was ihr Vater von ihm verlangt habe. Sams-Adunia sagte: "Diese Aufgabe ist eine sehr schwere für einen andern und würde ihm sogleich den Kopf kosten. Denn diese sieben Kamele sind keine gewöhnlichen Tiere, sondern es sind die jungen Gui, die im Kampfe mit dem großen Gui gefangen wurden.

Nimm nun diesen Stab, gehe zu dem Tore des Kamelstalles und schlage mit dem Stab gegen die Türe. Sage dazu: ,Auf Befehl Sams-Adunias kommt alle sieben heraus!' Dann wird die Tür sich öffnen und alle sieben Kamele, das größte voran, werden herauskommen. Sie werden in die Wüste gehen bis zu einem Hügel, auf dem viel Holz ist. Am Hügel klopfe das größte Kamel mit dem Stab und sage: ,Auf Befehl Sams-Adunias beladet euch alle sieben mit Holz und bringt es nach Haus!' Dann werden sich alle Kamele selbst beladen und die Holzlasten heimbringen. Damit hast du deine erste Aufgabe gelöst."

Albedewui sagte: "Ich danke dir!" Albedewui nahm den Stab Sams-Adunias und ließ sich wieder in sein Quartier tragen. Am andern Morgen aber ging er in den Palast und ließ sich den Stall der sieben Kamele zeigen. Er schlug mit dem Stabe Sams-Adunias dagegen und sagte: "Auf Befehl Sams-Adunias kommt alle sieben heraus!" Darauf öffnete sich das Tor und sieben gewaltige Kamele, wie er sie nie vorher in seinem Leben gesehen hatte, kamen heraus. Das größte schritt aber voran. Die Kamele gingen in die Wüste und Albedewui ging mit, neben dem größten her, bis es an einen Hügel kam, der über und über mit Holz bedeckt war. Dort schlug er dem vordersten Kamel gegen die Füße und sagte: "Auf Befehl Sams-Adunias beladet euch alle sieben mit Holz und bringt es nach Hause!" Darauf legten die Kamele sich nieder, und jedes einzelne Kamel belud sich selbst mit Holz. Als sie aber jedes eine gewaltige Last Holz aufgepackt hatten, trotteten sie alle gemächlich nach Haus und luden das Holz vor ihrem Staue ab. Dann gingen sie wieder durch das Tor hinein, und dieses schloß sich hinter ihnen.

Als die Diener des Sultans dieses sahen, liefen sie zum Herrscher und sagten: "O Sultan! Dieser Freier Sams-Adunias ist anders als die andern, denn er hat die erste Aufgabe, die du ihm gestellt hast, gelöst, trotzdem sie sehr schwer ist."



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Der Sultan ließ Albedewui rufen und sagte: "Ich höre, daß du deine erste Aufgabe ausgeführt hast. Nun will ich dir sagen, was du morgen zu bestehen hast. Wenn du das vermagst und mit dem Leben davonkommst, dann will ich dich nicht weiter behelligen, dann magst du meine Tochter wegführen und heiraten."

Albedewui sagte: "Ich bitte dich, mir zu sagen, was ich morgen zu bestehen habe." Der Sultan sagte: "Ich besitze einen außerordentlich großen Gisan (Wasserkessel), in dem du bequem stehen und liegen kannst. Wenn du dich nun der entscheidenden Probe unterziehen willst, steige in diesen morgen früh hinein. Ich werde dann alles Holz, das die sieben Kamele herbeigebracht haben, unter den Kessel packen und anzünden lassen. Wenn all dieses Holz verbrannt ist und du dennoch im Kessel am Leben bist, so will ich mich in den Verlust meiner geliebten Tochter ergeben; dann magst du sie mit dir heimführen!" Abedewui sagte: "Ich danke dir für dieses Versprechen. Jetzt will ich zu meinem ältern Bruder gehen und will mit dem die Angelegenheit beraten und mich für das schwere Unternehmen vorbereiten."

Albedewui verließ das Serail des Sultans und eilte in sein Quartier. Dort setzte er sich auf seine Matte und ließ sich schnell zu Sams-Adunia tragen. Er begrüßte die schöne Prinzessin und erzählte ihr, was der Sultan als entscheidende Probe verlange. Sams-Adunia sagte: "Die Sache ist nicht so schwer für dich zu bestehen. Nimm diesen meinen Ring hier. Wenn du morgen in den Gisan steigst, halte ihn zwischen Lippe und Gaumen. Alles Feuer, das unter dem Gisan angezündet wird, kann dir dann nichts anhaben. Ziehe deine Kleider aus und lege sie dir als Teppich unter. Wenn du Durst oder Hunger hast, reibe an dem Stein, und du wirst alles haben, was du brauchst. Wenn dann alle sieben Kamellasten unter dem Kessel verbrannt sind, wirst du wohl und munter sein."

Albedewui nahm den Ring Sams-Adunias, dankte ihr und kehrte schnell in sein Quartier zurück. Am andern Morgen aber machte er sich frühzeitig auf den Weg und suchte die Leute des Sultans auf. Er ward zu dem großen Gisan gebracht. Es war ein Wasserkessel, in dem Albedewui bequem liegen und stehen konnte, und die einzige Schwierigkeit bestand darin, hineinzusteigen. Sobald er einmal hineingelangt war, zündeten die Leute des Sultans darunter Holz an und legten immer mehr Holz in die Flammen. Es waren aber die Holzlasten, die die sieben Gulkamele am Tage vorher aus der Wüste gebracht hatten, aufgeschichtet, und das war eine gewaltige



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Masse. Albedewui hatte sogleich den Ring Sams-Adunjas in den Mund genommen, und das bewirkte, daß er überhaupt nichts von der Hitze bemerkte, die unten entfacht war. Er entledigte sich, um es sich ganz bequem zu machen, seiner Kleider und legte sie auf den Boden. Nachdem er sich so ein weiches Lager bereitet hatte, schlief er einige Stunden ausgezeichnet, und als er dann erwachte, sagte er: "Jetzt wäre es wohl an der Zeit, eine Schale Kaffee zu trinken." Er rieb also an dem Ringe Sams-Adunias, und alsbald hatte er eine Sinia mit Kaffee vor sich, und nachdem er diesen geschlürft hatte, bestellte er sich einige gute Speisen auf gleiche Weise. So verbrachte Albedewui seine Zeit aufs angenehmste, während die Sklaven des Sultans in Schweiß gebadet und unter großer Anstrengung immer neue Massen von Holz in das Feuer unter den Wasserkessel warfen.

Endlich waren alle sieben Kamellasten Holz verbrannt, und die Sklaven liefen zum Sultan der Alledjenu und teilten ihm dies mit. Der Sultan kam hierauf selbst heraus, denn er wollte sehen, wie die Knochen Albedewuis aus dem Kessel genommen wurden. Nachdem sich der Gisan etwas abgekühlt hatte, stiegen die Sklaven hinauf und öffneten ihn, um die verkohlten Teile des tollkühnen Freiers herauszunehmen. Wie groß war aber das Erstaunen des Sultans und aller seiner Leute, als Albedewui wohlbehalten und von der angenehmen Ruhe und Speisung gekräftigt, mit der Kappe, der Matte und der Peitsche aus dem Gisan herausstieg. Albedewui breitete seine Matte aus, warf sich vor dem Sultan auf ihr nieder und sagte: "Großer Sultan, nachdem ich nun diese Probe bestanden habe, bitte ich dich, dein Wort zu halten und mir deine Tochter zur Frau zu geben." Der Sultan sagte: "Ich habe dir allerdings gesagt, daß ich dir nun meine Tochter geben will, ich verlange aber von dir, daß du noch eine Probe bestehst."

Als der Sultan das sagte, setzte Albedewui schnell seine Kappe auf, schlug mit der Peitsche auf die Matte und sagte: "Bring mich schnell zu Sams-Adunia." Der Sultan sah sich, sobald Albedewui die Kappe aufgesetzt hatte, vergebens nach diesem um. Er rief ihn und hieß seine Leute ihn suchen. Mittlerweile setzte sich aber oben im Gasr Sams-Adunia zu Albedewui auf den Teppich und gelangte mit ihm zu den sieben Brüdern und Schwestern.

Der Vater der sieben Brüder war inzwischen gestorben. Die sieben Brüder hatten nichts unternommen in der Wahl des neuen Sultans. Als nun Albedewui mit Sams-Adunia ankam, überredeten



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sie ihn, Sultan zu werden. Darauf heirateten Albedewui und die sieben Brüder an einem Tag und das war der schönste Tag, den die Leute in diesem Lande überhaupt je erlebt hatten.


12. Der Sohn der Beischläferin

Ein Scheich mit Namen Ismain Ali hatte ein Weib und eine Beischläferin (kordof. = kosche). Von seiner Frau hatte er zwei Söhne, von der Beischläferin nur einen, und dies war sein jüngster. Der Scheich hatte große Reichtümer, und zumal er sah, daß die Söhne mancher anderer Familien das Besitztum und Erbe der Väter leicht und schnell vergeudeten, sagte er sich: "Ich will meine Söhne beizeiten an den Besitz gewöhnen, so daß sie ihn früh behandeln lernen. Denn nur wer von Jugend auf mit Kamelen zu tun gehabt hat, lernt ein gutes Tier richtig zu behandeln." Der Scheich rief seine drei Söhne und sagte zu ihnen: "Meine Söhne! Ihr sollt etwas von andern Leuten und andern Ländern kennen lernen. Auch will ich sehen, wer von euch der Würdigste ist, nach meinem Tode meine Besitztümer zu verwalten. Deshalb werde ich euch hiermit eine Summe Geldes geben. Jeder von euch erhält den gleichen Betrag. Zieht fort, jeder wohin er will, und seht, was aus dem Gelde unter der Tätigkeit eurer Gedanken und Überlegungen wird. Wer später die reichsten Erträge von diesem Gelde heimbringt, dem werde ich die Leitung meines Besitzes übertragen." Damit übergab der Scheich jedem einzelnen seiner Söhne eine gleiche Geldsumme und wünschte ihnen allen dreien gutes Gelingen.

Die drei Söhne verabschiedeten sich aber von ihrem Vater und rüsteten sich für die Reise. Sie sagten ihren Müttern Lebewohl und hörten von ihnen die letzten Worte.

Die Mutter der ältern Söhne sagte: "Meine Söhne, einer von euch beiden wird nun der Erbe eures Vaters werden. Streitet euch nicht darum, sondern lernt beizeiten euch vertragen. Kommt mit schönen Kleidern aus den andern Ländern zurück, damit die Leute euch gleich als die Söhne angesehener Eltern erkennen." Die Beischläferin sagte: "Nach der Ansicht vieler Leute sind die Söhne der Beischläferinnen klüger als die der Ehefrauen. Sei du aber nicht nur klug, sondern handle vor allen Dingen ehrenhaft. Es ist besser, ehrenhaft zu unterliegen, als aus Klugheit der Schande gegenüber 

*Der Sohn eines Mannes mit einer rechtmäßigen Frau heißt Wad de Sid; der Sohn eines Mannes mit einer Beischläferin heißt Wad de Seri(j)a.


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blind zu sein. Geh, mein Sohn, und denke stets an die Liebe deiner Eltern!"

Nachdem die Frauen ihren Kindern noch diese Worte gesagt hatten, brachen alle drei Söhne des Scheichs auf. Die ältesten beiden, die Söhne der Ehefrau, gingen gemeinsam, der jüngste aber, der Sohn der Beischläferin, ging seinen eigenen Weg.

Nachdem die ältern beiden Brüder viele Tage weit gereist waren, kamen sie in einer Stadt an, in der die Leute viel Merissa tranken, jeden Abend tanzten und die Zeit mit Lachen und Singen verbrachten, ohne daran zu denken, ihr Besitztum durch Handwerk oder Handel zu vermehren. In dieser Stadt wohnte aber ein Mädchen mit Namen Fatma, das war über alle Maßen schön, und es war klüger als alle Männer der Stadt. Alle Männer sagten: "Ich möchte dich heiraten, werde meine Frau!" Das Mädchen aber antwortete stets: "Ich will den sehen, der klüger ist als ich es bin; komm, spiele mit mir Mangala*, setze, was du hast. Ich setze, was ich habe. Wer gewinnt, der erhält das Besitztum beider." Die Männer, die nun mit dem schönen Mädchen spielten, verloren ihr Geld, und so gewann sie immer größere Reichtümer. Da aber auch viele durchziehende Kaufleute ihr Glück auf diese Weise versuchten, so wuchs der Reichtum Fatmas ununterbrochen, und es war niemand im Lande, der so wohlhabend war als Fatma. Fatma aber nannte ihr Besitztum die "Dummheit der Männer".

Als die beiden Brüder in diese Stadt kamen und als sie abends von dem Mädchen und seiner Gewohnheit hörten, sagte der älteste: "Ich muß die Schönheit und den Reichtum dieser Fatma sehen." Der zweite sagte: "Geh hin, aber spiele nicht mit ihr Mangala; denn du hörst, wie es den andern gegangen ist." Der Älteste sagte aber: "Was ich zu tun habe, weiß ich ganz allein." Dann ging der Älteste.

Der Älteste kam zu dem Hause Fatmas. Fatmas Haus lag in einem Garten, und vor dem Hause war ein weiter Platz mit Kies, auf dem Matten und Kissen ausgebreitet waren. Auf den Matten lagen und saßen viele Männer; in ihrer Mitte aber saß auf einer Stufe Fatma. Der Älteste sah Fatma und sagte bei sich: "Wer dieses Mädchen einmal zur Frau gewinnt, wird nicht nur die klügste, sondern auch die schönste Frau heiraten." Der älteste Sohn des Scheichs setzte sich unter die Zahl der Männer. Nachdem er einige Zeit zu dem Mädchen aufgesehen hatte, sagte er: "Fatma, ich will 

* Das Mangala, ein afrikanisches Brettspiel, hat in diesen Ländern zwölf Löcher.


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mit dir Mangala spielen." Das Mädchen sagte: "Überlege dir diese Sache!" Der Älteste sagte: "Ich will mit dir spielen." Das Mädchen sagte: "Willst du meinetwegen oder des Geldes wegen mit mir spielen?" Der Älteste sagte: "Ich will deinetwegen mit dir spielen." Das Mädchen sagte: "Dies antworten mir alle. Ich will es aber trotzdem tun. Ich setze die Dummheit der Männer gegen all dein Geld." Der Älteste sagte: "Es ist mir recht!"

Die Sklavinnen brachten nun ein Mangala, das war aus Elfenbein geschnitzt und mit Diamanten und Rubinen besetzt. Sie spielten mit goldenen Kugeln darin. Fatma sagte: "Wir wollen spielen. Ich gehe den Weg der weiblichen List, und du magst den der männlichen Klugheit beschreiten. Ich setze die Dummheit der Männer und du all dein Besitztum, das du ja jetzt klug anzuwenden vermeinst und deshalb als deine Klugheit einsetzen kannst." Der Älteste sagte: "Du hältst nicht viel von den Männern, aber ich will doch mit dir spielen." Darauf spielte Fatma mit dem ältesten Sohn. Der älteste Sohn des Scheich verlor. Fatma sagte: "Nun ist auch deine Klugheit in der Dummheit der Männer aufgegangen." Die andern Männer lachten aber und sagten zum Sohne des Scheich: "So wie es dir gegangen ist, so ging es uns auch. Fatma ist klüger als alle Männer."

Der älteste Sohn des Scheich ging durch die Stadt zu seinem jüngeren Bruder. Der jüngere Bruder sah, daß der ältere traurig war, und er sagte zu ihm: "Erzähle mir, was mit dir ist? Sind wir nicht Söhne eines Vaters und einer Mutter? Sage mir also den Grund deiner Trauer!" Der Ältere sagte: "Ich war bei diesem Mädchen." Der Jüngere sagte: "Ist sie wirklich so schön?" Der Ältere sagte: "Sie ist das schönste Mädchen, das ich je sah!" Der Jüngere sagte: "Hast du etwa mit ihr gespielt?" Der Ältere sagte: "Ja, ich habe gespielt; denn das Mädchen ist so schön, daß man mit ihr spielen muß!" Der jüngere Bruder sagte: "Hast du etwa alles verloren?" Der Älteste sagte: "Ja, ich habe alles verloren!" Der Jüngere sagte: "Ich habe dir vorher gesagt, du sollst nicht spielen. Nun hast du nichts mehr und mußt als Diener dein Brot verdienen." Der Ältere sagte: "Ich werde dir etwas sagen: Geh du auch hin. Spiele du auch, dann wirst du mein und ihr ganzes Besitztum gewinnen; dann wirst du ein reicher Mann sein und kannst mich in deine Dienste nehmen. Denn ich will natürlich lieber in deinem als in einem fremden Dienst arbeiten." Der Jüngere sagte bei sich: "Dies ist eine gute Gelegenheit, der Nachfolger meines Vaters zu werden, denn da mein Bruder der Älteste ist, wird



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er ja doch dessen Besitztümer erben, wenn er nicht selbst darauf verzichtet." Der Jüngere sagte darauf zum Älteren: "Willst du, wenn ich gewinne, mein Diener sein und freiwillig auf alles Besitztum unseres Vaters verzichten?" Der Ältere sagte bei sich: "Wenn mein Bruder verliert, wird er ebenso arm sein wie ich und daher mit ebensowenig Ansprüchen zu unserm Vater zurückkommen wie ich. Wenn mein Bruder aber gewinnt, wird er auch Fatma zur Gattin erlangen, und dann werde ich ihn eines Tages töten um Fatmas willen." Der ältere Bruder sagte: "Mein Jüngerer, an dem Tage, an dem du gewinnst, will ich dein Diener sein und als dein Diener auf alle Rechte des Ältesten verzichten bis zu deinem Tode."

Da nahm auch der Jüngere das Geld, das ihm der Vater mit auf die Wanderung gegeben hatte und ging hinaus zum Garten Fatmas. Der Ältere begleitete ihn. Als die beiden in den Garten kamen, waren noch alle andern Männer auf den Matten versammelt, und in ihrer Mitte saß noch immer auf ihrer Stufe Fatma. Als die Männer die beiden Brüder kommen sahen, lachten sie und sagten: "Schaut, wie der eine den andern mit herangebracht hat. Sieh, Fatma, die Quelle deines Wohlstandes wird nicht versiegen." Der jüngere Bruder hatte auf dem Wege zu Fatmas Garten nur daran gedacht, daß er die Rechte des Erstgeborenen erspielen wollte. Der Jüngere hatte bisher an nichts anderes gedacht. Als er nun aber die schöne Fatma sah, hatte er alles vergessen. Die schöne Fatma lachte mit den Männern und fragte den Jüngeren: "Willst du auch mit mir Mangala spielen?" Der Jüngere sagte: "Ja, ich will auch mit dir spielen." Fatma sagte: "Willst du meinetwegen oder des Geldes wegen mit mir spielen?" Der Jüngere hatte alles vergessen, was er vorher gedacht hatte und sagte: "Ich will deinetwegen mit dir spielen." Fatma sagte: "Gut denn! Ich fürchte, ihr seid alle gleich, und ich werde nie einen Gatten gewinnen. Setze also deine Klugheit. Ich setze die ,Dummheit der Männer'!" Der Jüngere spielte. Der Jüngere verlor. Fatma sagte: "Siehst du, nun ist auch deine Klugheit auf dem Wege der weiblichen List in der Dummheit der Männer aufgegangen." Fatma sagte: "Oh! Wann werde ich endlich einen Gatten gewinnen!" Und Fatma rief ihre Sklavinnen und sagte: "Weist mir nun alle Männer aus dem Garten, ich bin ihrer überdrüssig!"

Die beiden Brüder gingen traurig durch die Stadt. Der Jüngere sagte: "Wir werden nun beide durch Arbeit unsern Unterhalt verdienen müssen." Der Altere sagte: "In dieser Stadt werden wir aber



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keine Stellung erhalten, denn hier sind alle Leute nur mit Tanzen und Singen und Trinken beschäftigt. Wir werden also in die nächste Stadt gehen müssen." Der Jüngere stimmte dem bei, und somit schnürten sie sogleich ihre ärmlichen, gehaltlosen Bündel und machten sich auf den Weg. Sie wanderten noch ein gutes Stück, die ganze Nacht und einen Tag lang und langten endlich in einer sehr großen und betriebsamen Stadt an, in der viele Kaufleute und Handwerker wohnten.

Am andern Tage sahen sich beide sogleich nach einem einträglichen Unterkommen um. Da sie nun aber nichts mehr hatten, mußten sie das erste ergreifen, was sich ihnen bot, und so ward der eine der Diener in einer Kaffeeküche und der andere Austräger eines Händlers im Basar. Sie erhielten zwar nur sehr geringen Lohn, aber aus der Stadt Fatmas strömten so viele verarmte Burschen hierher, daß ein Überfluß an Arbeitsangebot da war, und daß gar nicht daran zu denken war, eine bessere Unterkunftsgelegenheit zu finden. So waren die beiden ältesten Söhne des Scheichs und dessen rechtmäßiger Frau zu ganz armen Leuten geworden.

Inzwischen war der dritte Sohn des Scheichs, den er mit einer Beischläferin gezeugt hatte, allein seines Weges gezogen. Überall in den Karawansereien hörte er aufmerksam zu, wo dieses und jenes, diese und jene Ware gut aufgekauft oder wieder abgesetzt werde, und auf welche Weise dieser und jener reiche Mann seinen Wohlstand gegründet habe. Forderte ihn ein Wandergenosse auf, in einem oder dem andern Geschäft sein Geld mit anzulegen, so sagte er, er sei arm und besitze nichts. Forderten die Leute ihn auf, sich einmal an einem Spiel zu beteiligen, so sagte er, er sei taub und verstehe nicht recht. Lockte ein schönes Mädchen, so sagte er, seine Augen seien zu schwach, um sehen zu können, und lud ihn jemand ein, einen Trunk mit ihm zu tun, so sagte er, sein schwacher Magen verbiete ihm den Genuß. Nachdem er sich aber weidlich umgetan hatte, begann er hier und dort Seide und Elfenbein, kostbare Steine und kunstvolles Geschmeide aufzukaufen, und da er vorher genau aufgemerkt, an welcher Sache ein jeder einen besondern Gefallen habe, so wußte er jede Sache auch wieder gut unterzubringen, so daß er nie einen Schaden hatte. Wie er aber vorher niemals am Trunk, an Frauengesellschaft und am Spiel teilgenommen hatte, so wußte er auch jetzt es immer zu vermeiden, daß er den schönen Sachen, die er kaufte, anhing. Wenn er einen schönen Stein erworben



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hatte, sagte er bei sich: "Später, wenn ich ein reicher Mann und der Erbe des Reichtums meines Vaters sein werde, will ich mir auch solch schöne Sachen kaufen und als Eigentum hinlegen. Jetzt aber dürfen sie nicht an meinen Fingern hängen bleiben, sondern müssen bald wieder in andern Besitz kommen, damit ich an ihnen verdiene und nicht verliere."

Der dritte Sohn des Scheichs wurde so alle Tage wohlhabender und vermehrte den Besitz, den der Vater ihm mit auf Reisen gegeben hatte, um das Vielfache. Dadurch, daß viele schöne Sachen durch seine Hände gingen, lernte er das Schöne schätzen und beachten. Und dadurch, daß er ständig beobachtete, wie die reichen Leute durch Ankauf, Besitz und Verlust solcher Sachen glücklich und unglücklich, reich und arm wurden, vermehrte er immer mehr die Klugheit, die ihm seine Mutter mit auf den Weg gegeben hatte. Indem er aber sorgfältig beachtete, daß er durch seine Geschäfte niemals einen Menschen in das Unglück stieß, daß er vielmehr manchmal den Vorteil gehen ließ, um durch guten Rat andere vor drohendem Untergange zu bewahren, behielt er ein Verständnis für das Glück und Unglück anderer und wurde so niemals zu einem Wucherer.

Als der jüngste Sohn des Scheichs einen bedeutenden Reichtum gewonnen hatte, sagte er: "Es wird nun Zeit, daß ich heimkehre. Ob ich nun mit dem Geschenk meines Vaters mehr oder weniger verdient habe als meine Brüder, so will ich doch heimkehren, denn meine Eltern sind nicht mehr jung, und ich möchte noch einige Jahre in ihrer Nähe leben." So belud er denn eine Karawane und machte sich auf, mit seinen Schätzen heimzukehren. Da er es aber liebte, möglichst viel von der Welt zu sehen, so ließ er seine Karawane auf einem andern Weg als auf dem, der ihn hinausgeführt hatte, zurückkehren. So kam es denn, daß er in jene Stadt gelangte, in der seine Brüder dienten.

Der Jüngste erreichte diese Stadt an einem Morgen. Er ließ seine Karawane vor der Stadt lagern und ritt selbst hinein, um die Basare zu besichtigen. Als er nun aber in den Basar kam, sah er bei einem Kaufmann einen Ausläufer stehen, der ihm bekannt war. Er hielt an, betrachtete die Waren, erkannte an dem Gespräch, daß der junge Mann der Ausläufer des Kaufmanns war, und hörte auch an der Stimme, daß der Ausläufer sein älterer Bruder sein müsse. Der Kaufmann wollte den jungen Mann soeben mit einem Auftrage fortschicken; der jüngste Sohn des Scheichs sagte aber: "Sende den



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Burschen jetzt nicht fort. Ich will bei dir einige Sachen kaufen, und diese kann er mir sogleich hinaus zu meiner Karawane bringen." Dann kaufte der Jüngste, was ihm von den Waren günstig erschien, bezahlte und ordnete an, daß der Bursche das Gekaufte zur Karawane herausbringen und draußen auf ihn warten solle, da er ihm für die Besorgung ein Backschisch geben wollte.

Während der ältere Bruder nun mit den Waren, und freudig erregt durch die Aussicht auf ein Geschenk, zur Karawane herauslief, ritt der jüngste weiter durch die Stadt. Unterwegs ward er nun aufmerksam durch ein zorniges Streiten zweier Männer, das aus einer Kaffeeküche zu ihm herüberdrang, und da er die eine der streitenden Stimmen zu kennen glaubte, stieg er ab und blickte hinein. In der Kaffeeküche stritt der Koch mit seinem Diener, und an den Worten, die der letztere gebrauchte, indem er nämlich sagte, er sei der älteste Sohn eines Scheichs, der andere aber nur der Sohn einer niedern Magd, erkannte er seinen eigenen Bruder, von dem er in der Kinderzeit oft genug gleiche Reden gehört hatte. Der Jüngste stieg also ab und sagte: "Haltet einen Augenblick Frieden. Denn bei dir, Kaffeekoch, will ich einen Vorrat an Kaffee und Zucker kaufen, und du, mein wackerer Bursche, kannst sie mir für ein gutes Backschisch zum Lager hinausbringen."

Die Aussicht auf Gewinn beruhigte schnell beide Streiter. Der Jüngste kaufte seine Vorräte, bezahlte sie, gab sie dem Diener zum Hinaustragen und ritt schnell von dannen.

Als der Jüngste bei seiner Karawane angelangt war, traf er seinen ältern Bruder an. Er ließ sich die gekauften Waren zeigen und fragte ihn dann: "Mein Bursche, du bist hier in dienender Stellung. Wieviel zahlt dir dein Herr denn für deine Arbeit?" Der Bursche sagte: "Ich erhalte jeden Monat dreißig Piaster." Der Jüngste sagte: "Ich will dir monatlich hundert Piaster, Kleidung und Essen geben, wenn du als Diener in meine Dienste treten willst." Der andere war damit sehr einverstanden, und der Jüngste gab ihm den Auftrag, sogleich seinen Dienst zu beginnen, indem er unter Leitung seines alten Sklavenaufsehers die neugekauften Waren verpacke.

Inzwischen kam der älteste Bruder mit dem Kaffee und Zucker. Der Jüngste nahm ihn beiseite und sagte zu ihm: "Aus eurem Gespräch, das ich vorhin in der Stadt hörte, schien mir hervorzugehen, daß du mit dem Dienst und Lohn, den du bei deinem Herrn gefunden hast, nicht ganz zufrieden bist." Der älteste Bruder sagte: "Seht Herr! Ich bin der älteste Sohn eines Scheichs und einer Araberin.



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Wie sollte ich nun bei schlechtem Lohn mit dem Dienst bei einem Manne von niederer Herkunft zufrieden sein!" Der Jüngste fragte: "Wieviel zahlt dir denn dein Herr monatlich ?" Der älteste Bruder sagte: "Mein Herr zahlt mir monatlich dreißig Piaster und nicht mehr." Der Jüngste sagte: "Das ist in der Tat, wenn man an deine edle Herkunft denkt, nicht sehr viel. Wärst du es denn zufrieden, als Kaffeekoch in meine Dienste zu treten, wenn ich dir monatlich hundert Piaster und Kleidung und Nahrung gebe?" Der älteste Sohn des Scheichs sagte: "Hiermit bin ich zufrieden."

Am Nachmittag ließ der Jüngste die Karawane aufbrechen und bis in die Nacht hineinmarschieren. Als es Abend war, machte er an einem schattigen Platz halt und setzte sich, während die Diener mit dem Gepäck beschäftigt waren, unter einem Zelt nieder. Der jüngste Sohn des Scheichs sah zu, wie seine beiden ältern Brüder unter den andern Dienern und Sklaven ihrer Arbeit nachgingen und sagte bei sich: "So also ist das Wiedersehen mit meinen Brüdern verlaufen."

Nachdem es nun dunkel geworden war, ließ er die beiden neuen Diener hereinrufen und forderte sie auf, ihm etwas aus ihrem Leben zu erzählen. Der Jüngste sagte: "Ich will nichts von euch, was ich nicht selbst tun will. Ich hörte von euch, daß ihr von edlem Blute seid, und somit ist irgend ein Unglück oder eine Schuld die Ursache dafür, daß ihr in solche Stellung gekommen seid, in der ich nicht einmal bin, obgleich ich, wenn auch von einem Scheich gezeugt, nur der Sohn einer Beischläferin bin." Die beiden ältern Brüder sagten nichts, denn sie schämten sich, ihren wahren Ursprung anzugeben. Als der Jüngste das sah, sagte er: "Ich sehe, ihr wollt einem Fremden gegenüber euer Schicksal nicht enthüllen. Würdet ihr es denn tun, wenn ihr euren Bruder vor euch hättet?" Die beiden ältern Brüder sahen auf, sie sagten aber nichts. Nachdem der Jüngste eine Zeitlang gewartet hatte, sagte er: "Erkennt ihr mich denn nicht? Seht ihr denn nicht, daß ich euer Bruder bin?" Die ältern Brüder sahen den Jüngsten an. Sie schlugen die Hände vor das Gesicht und fielen weinend zur Erde.

Nach einiger Zeit sagte der Jüngste: "Nun erzählt, wie es verlaufen ist." Die beiden Brüder erzählten, wie sie in die Stadt Fatmas gekommen seien und im Spiele mit ihr das ganze Besitztum, das der Vater ihnen mitgegeben habe, verloren hätten. Der jüngste Bruder hörte alles an. Er ließ sich die Erfahrungen, die sie im Spiel gemacht, die Worte Fatmas und alle Einzelheiten mehrmals



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berichten und sagte dann: "Meine Brüder! Ich will selbst zu dieser Fatma gehen und sehen, ob ich euch euer Vermögen zurückgewinnen kann. Morgen in aller Frühe wollen wir zu der Stadt Fatmas aufbrechen und wollen dann sehen, welcher Ausgang uns beschieden ist. Was sich aber auch ereignen mag, so wollen wir doch unser Besitztum an Geld und Gut gleichmäßig teilen, da wir die Söhne eines Vaters sind." Damit entließ der Jüngste seine Brüder. Er selbst rief aber seinen Sklavenaufseher und befahl ihm, noch in dieser Nacht ein einfaches, hölzernes Mangalabrett mit einfachen Kugeln zu besorgen.

Am andern Tag zog die Karawane zu Fatmas Stadt. Der Jüngste ließ außerhalb derselben lagern und allen Leuten verbieten, die Stadt zu besuchen. Am andern Morgen hüllte er sich in einfache, ärmliche Kleider, schlug das Mangalabrett in einen Lappen und machte sich auf den Weg zu Fatmas Garten.

Als der Jüngste, in alte Kleider gehüllt, in den Garten Fatmas trat, lagen auf den Matten und Kissen schon viele Männer umher, und Fatma saß auf einer Stufe. Der Jüngste ging bescheiden um die Matten herum und setzte sich, seiner ärmlichen Tracht entsprechend, außerhalb des Kreises auf den Kies nieder. Fatma bemerkte den Fremden sogleich und winkte einer Sklavin, daß sie ihm eine Schale mit Kaffee reiche. Ohne daß es jemand bemerkte, ließ sie aber in den Kaffee ein Geldstück gleiten, denn sie meinte, daß, wenn jener ein Bettler wäre, wie es schien, so müsse er es als Gabe dankbar annehmen; wenn er dagegen ein ungewöhnlich vorsichtiger Mann sei, würde sie an seinem Gebaren gleich etwas Beachtenswertes sehen.

Keiner von allen Männern auf den Matten hatte dieses bemerkt. Als die Sklavin aber den Kaffee dem ärmlichen Gaste auf dem Kies reichte, sagte dieser: "Gib deiner Herrin den Kaffee zurück, danke ihr und sage, ein Glas mit Wasser, in dem ich jeden Inhalt und jede Zutat erkennen kann, sei mir lieber." Die Sklavin brachte den Kaffee der Herrin zurück. Als Fatma die Botschaft hörte, richtete sie sich auf und sagte: "Ist denn heute niemand hier, der mit mir Mangala spielen will ?" Die Männer auf den Matten lachten und sagten: "Von uns allen weißt du, daß wir nichts mehr zu verlieren haben. Nun käme es auf den Gast an, der sich den Kies zum Teppich gemacht hat." Fatma sah zu dem ärmlichen Manne hinüber, der sein Antlitz und seine Augen mit den abgetragenen Tüchern halb verhüllt hatte. Als die andern Männer ausgelacht



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hatten, fragte sie ihn: "Willst du mit mir spielen? Es ist gleich, ob du nur einen Piaster besitzt oder tausende. Ich setze die Klugheit der Männer dagegen. Wenn du gewinnst, sollst du all mein Besitztum haben." Der ärmliche Mann sagte: "Weshalb soll ich nicht mit dir spielen? Wieviel jeder von uns hat, soll ausgerechnet werden, wenn der Gewinn bekannt ist." Die Männer auf den Matten schrien: "Fatma, hüte dich! Dieser Bettler spielt einen Piaster gegen dein ganzes Vermögen!" Fatma aber ward zornig und sagte zu den Männern: "Schämt euch! Hier ist niemals nach Piastern gezählt worden. Schämt euch! Bis heute ist nie ein Gast gekränkt worden! Komm, fremder Mann, setze dich zu mir auf diese Stufe!" Der Jüngste ging zwischen den andern Männern hindurch zu der Stufe, auf der Fatma saß. Fatma sprach: "Willst du meinetwegen oder des Geldes wegen mit mir spielen?" Der Jüngste sagte: "Du selbst hast dein Geld und dein Besitztum gegen mein Geld und mein Besitztum gesetzt. Wir spielen also um Geld."

Fatma sah den ärmlichen Mann an. Die Männer auf den Matten aber schrien wieder: "Siehst du, Fatma! Dies ist nur ein Geldgieriger. Wir alle haben deinetwegen unser Besitztum verloren. Dies hier ist aber ein Bettler, der dich für nichts und deinen Reichtum für alles achtet." Fatma sagte: "Schweigt, ihr Männer. Dieser ärmliche Mann hat mir in zwei Worten mehr Kluges gesagt, als ihr alle zusammen im Laufe von Jahren."

Fatma winkte den Sklavinnen, daß sie das Mangalabrett und die Kugeln bringen sollten; und diese brachten das kostbare Elfenbein, besetzt mit Diamanten und Rubinen und die goldenen Kugeln. Sie setzten alles auf die Stufe. Der ärmliche Mann aber sagte: "Diese Herren hier unten mögen es gewöhnt sein, mit Elfenbein und Gold und Diamanten und Rubinen zu spielen. Ich aber bin ein armer Mann, der durch solchen Glanz geblendet wird. Ich bitte dich, mit mir auf meinem Gerät zu spielen." Mit diesen Worten zog er das hölzerne Mangalabrett und die Fruchtsteine hervor und setzte sie auf die Bank.

Die Männer auf den Matten aber schrien: "Siehst du, Fatma, der Mann will dich betrügen! Sicherlich sind sein Brett und seine Steine von den Alledjenu verzaubert!" Fatma aber rief den Männern zu: "Schweigt, ihr Gedankenlosen! Keiner von euch hat je gefragt, ob nicht mein Brett und meine Kugeln von den Alledjenu verzaubert sind!" Dann aber wandte Fatma sich zu dem ärmlichen Mann und sagte: "Wie du es wünschest, so soll es geschehen. Wir wollen auf



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deinem Brett mit deinen Kugeln spielen. Ich nenne alles, was ich besitze, ,die Dummheit der Männer'. Sage mir, wie du das Deine nennst?" Der ärmliche Mann sagte: "Muß ich ihm einen Namen geben?" Fatma sagte: "Es ist bei unseren Spielen Sitte." Der ärmliche Mann sagte: "Dann setze ich der ,Dummheit der Männer' gegenüber -die ,Eitelkeit der Welt'." Fatma sagte: "Wir spielen!"

Der Jüngste spielte gegen Fatma. Jahrelang hatte Fatma gewonnen. Fatma hatte gleichgültig die Kugeln aus den Schalen genommen und in die Schalen geworfen. Die Männer hatten gleichgültig dem Spiele zugesehen. Ein Spiel hatte geendet wie das andere. Die lachenden Männer hatten einen Spieler nach dem andern lachend als Kameraden begrüßt. Heute standen die Männer auf und blickten dem Spiel zu. Immer hatten die Goldkugeln klirrend sich bei Fatma versammelt. Der ärmliche Mann spielte gegen Fatma. Die Fruchtsteine kamen nicht zu Fatma. Der ärmliche Mann gewann.

Fatma blickte den ärmlichen Mann an. Fatma sagte: "Die ,Dummheit der Männer' ist in der ,Eitelkeit der Welt' aufgegangen." Die Männer drängten aber drohend gegen die Stufe an, auf der Fatma und der ärmliche Mann saßen. Die Männer schrien: "Der Bettler hat dich bestohlen und betrogen! Der Bettler hat uns bestohlen und betrogen!" Die Männer wollten gegen den Ärmlichen herandrängen, um ihn herunterzureißen. Da riß dieser seine Lappen und Lumpen herab und stand nun in reichem Kleide mit Waffen da, zog das Schwert und sagte: "Fort mit euch!" Da drückten sich die Männer zur Seite und versteckten und verkrochen sich unter den Büschen und im Schatten der Bäume.

Fatma war aufgestanden und blickte auf den Jüngsten. Fatma fragte: "Wer bist du?" Der Jüngste sagte: "Ich heiße Hassan und bin der Sohn eines Scheichs." Fatma sagte: "Das ist nicht alles. Du bist mehr! Du bist ein Mann! Hassan, ich bitte dich! Spiele noch einmal mit mir Mangala. Ich will mich selbst zum Pfand setzen." Hassan blickte das Mädchen an, Hassan sah, daß das Mädchen sehr schön war. Hassan sagte: "Erst haben wir um Geld gespielt. Wollen wir nun um uns selbst spielen?" Da nahm Fatma das Brett aus Elfenbein mit Rubinen und Diamanten. Sie warf es weit fort und sagte: "Nein, wir wollen nicht um uns spielen. Nimm mich mit und mache mich zu deiner Gattin!" Der Jüngste schloß Fatma in seine Arme und sagte: "Behalte alles Deine, werde aber du meine Gattin!"



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Als die Männer, die sich im Garten versteckt hatten, dies sahen und hörten, kamen sie noch einmal aus ihren Schlupfwinkeln hervor und schrien und brüllten. Hassan aber sprang mit seinem Schwerte unter sie und jagte sie zum Garten Fatmas hinaus. Als er zurückkam, sagte Fatma: "Ehe ich nun mit dir komme, mein Hassan, will ich dir eins geben. Viele Leute werden dich beneiden und verfolgen. Damit wir uns nun immer wiederfinden können, nimm einen meiner Negl (Fußring; gleich dem arabischen chulchal). Es gibt nur zwei von dieser Art. Kein Silberschmied kann sie nachbilden. Bewahre den deinen sorgfältig. Wenn einer von uns beiden den andern verliert und sieht den zweiten Ring, dann weiß er, daß der andere in der Nähe ist." Der Jüngste sagte: "Du bist ein kluges und vorsichtiges Mädchen, meine Fatma."

Fatma ließ ihre Reichtümer auf Esel laden. Sie übergab die Aufsicht über das Haus und den Garten einem treuen Sklaven und folgte mit ihrem Zuge Hassan, der sie seiner Karawane zuführte. Noch am gleichen Abend rief Hassan seine Brüder und sagte zu ihnen: "Meine Brüder, wir wollen nun heimkehren zu unserem Vater. Ich möchte aber nicht, daß ihr in dieser jämmerlichen Lage ihm vor die Augen tretet, und da ich selbst viel gewonnen habe, so wollen wir alles das, was ich mit dem Gelde unseres Vaters erworben habe, in drei gleiche Teile zerlegen und jeder einen Teil davon nehmen. Auf diese Weise bringt ihr weit mehr heim, als euer Vater euch mitgegeben hat."

Die Brüder dankten ihrem Bruder, und als dieser nun mit Hilfe der Sklaven die Teilung vornahm, sahen sie erst, wie bedeutende Schätze Hassan in der Zeit, in der sie gedient hatten, gewonnen hatte.

Als die beiden Brüder nun ihre Kamele und Sklaven aus dem Lager Hassans herausführten, sahen sie die reichbepackten Esel Fatmas. Darauf sagte der Älteste zum Zweiten: "Seht ihr, daß unser Bruder uns um einen Teil betrogen hat? Er sagte, er wolle alles, was er erworben habe, mit uns teilen. Sieh nur, wie viele reich geschirrte Esel hier lagern, die sicherlich noch manche wertvollen Schätze enthalten." Der jüngere Bruder sagte: "Du hast recht. Wir wollen zu unserem Bruder zurückkehren und von ihm verlangen, daß er dieses hier auch aufteilen müsse."

Während die Brüder dieses sagten, wurde ein Zelt geöffnet, das dort aufgeschlagen war, und heraus trat Fatma. Fatma sagte zu



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den Brüdern: "Ich habe euer Gespräch soeben gehört und will die Angelegenheit in Kürze besprechen. Anstatt, daß ihr eurem Bruder dankt für seine Güte, werft ihr ihm unehrliche Teilung vor. Ihr seid also ebenso niedrig denkend wie die meisten Menschen. Aber nicht nur, daß ihr eure schlechte Gesinnung an den Tag legt, befindet ihr euch auch noch im Irrtum. Das, was ihr hier seht, hat euer Bruder nicht mit dem Gelde seines Vaters, sondern durch die Klugheit und die Güte seiner Mutter erworben. Hättet ihr euch auch mit der Klugheit und Güte eurer Mutter versehen, so hättet ihr alles das auch gewinnen können. Ihr habt nichts davon gezeigt. Als ihr mit Geld hättet spielen sollen, habt ihr mich im Gedanken gehabt und habt daher verlieren müssen. Eurem Bruder hat aber mein Anblick die Klugheit nicht gestört, und als ich nachher mich als Gewinn setzte, hat er um mich nicht spielen wollen. Das alles hättet ihr auch haben können. Söhnt euch also lieber mit dem Schicksal aus. Ihr seid nicht klug. Verfallt nun nicht in den schlimmen Fehler der Dummen, daß sie die Klugen hassen und unterdrücken wollen. Stellt den Klugen an eure Spitze und folgt ihm. Das ist der Rat, den ich euch gebe, und zeigt, daß ihr wenigstens klug genug seid, den Rat einer Frau in Erwägung zu ziehen! Wenn ihr wirklich edle Abkömmlinge einer edlen Familie seid, dann kann euch das nicht schwer fallen."

Fatma ging. Der ältere Bruder sagte zum andern: "Komm mit mir in die Wüste, wo nur Hyänen und Schakale hören, was wir sprechen und höre mir zu."

Die beiden Brüder gingen weit fort. Als sie draußen ganz allein waren, sagte der zweite: "Wir müssen uns vor unserem Bruder schämen. Wir haben all das Unsere verloren und kommen mit dem heim, was er erwarb und uns schenkte." Der ältere Bruder sagte: "Unser jüngster Bruder wird alles unserem Vater erzählen, und unser Vater wird uns verspotten. Unser jüngster Bruder ist der Sohn einer Beischläferin, aber er wird die Besitztümer unseres Vaters erhalten!"

Der jüngere Bruder sagte: "Er hat noch das ganze Besitztum der Fatma gewonnen." Der ältere Bruder sagte: "Er will dies Mädchen heiraten. Aber er soll dies Mädchen nicht heiraten." Der Jüngere sagte: "Wir wollen ihm sein Besitztum wegnehmen." Der älteste Bruder sagte: "Wir wollen ihm die Fatma wegnehmen!" Der jüngere Bruder sagte: "Wir wollen ihn in der Wüste lassen." Der älteste Bruder sagte: "Ich werde es besorgen."



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Danach gingen die beiden Brüder zu dem Lager des Jüngsten zurück.

Am andern Tag brach die Karawane der Brüder und Fatmas auf. Sie zogen nun der Stadt des Vaters der drei Brüder zu. Als sie aber nur noch wenige Tage vom Ziel entfernt und mitten in der Wüste waren, kamen die ältern Brüder nachts zu dem Jüngsten in das Zelt, baten ihn, mit ihnen einen Ritt in die Wüste zu unternehmen und rissen ihn dann draußen vom Pferd. Der älteste Bruder aber stach dem Jüngsten die Augen aus und sagte: "Nun kann dich der Anblick deines Reichtums und der schönen Fatma nicht mehr blenden." Danach ritten die Brüder in das Lager der Karawane zurück und führten diese der Stadt des Vaters zu.

Am andern Morgen saß der Jüngste allein und einsam in der Wüste unter einigen dornigen Bäumen, auf denen die Vögel sangen. Der Jüngste dachte über sein Schicksal nach und griff dann in die Brusttasche, um zu sehen, ob er den Negl Fatmas noch habe. Als er aber den Silberring mit den Händen berührte, verstand er die Sprache der Vögel auf dem Dornenbusch. Der eine Vogel sang: "Die Brüder haben diesen Mann geblendet." Ein anderer Vogel sang: "Der Negl Fatmas wird ihn wieder zu Fatma führen." Ein dritter Vogel sang: "Wenn er die Blüten dieses Baumes auf die Augen legt, kann er wieder sehen." Der Blinde stand auf und pflückte von den Blüten. Er legte sie auf die Augenhöhlen, da konnte er wieder sehen. Und er machte sich auf den Weg und wanderte der Stadt seines Vaters zu. Wenn die Hitze der Sonnenhöhe ihn ermattete, griff er mit der Hand zum Silberringe Fatmas. Und die Berührung erfrischte ihn. Wenn der Durst und der Hunger ihn quälten, tastete er nach Fatmas Ring, und sobald er ihn ergriffen hatte, war er gesättigt und erfrischt. Die wilden Tiere der Wüste konnten ihn nicht erschrecken, und die Finsternis der Nacht konnte ihn nicht ängstigen. Er war frei von Müdigkeit und unbekümmert um die Länge des Weges. Seine Hand ruhte auf dem Ring Fatmas, und dieser Ring wies ihm den Weg, den das Mädchen vor ihm her zurückgelegt hatte.

Also kam auch der Jüngste in die Stadt seines Vaters. Er kam aber bei Nacht an und ging an der Mauer des Hauses entlang. Er lehnte an der Mauer und hörte seine Mutter singen. Seine Mutter aber sang: "Mein Sohn wird kommen; ich weiß es. Mein Sohn ist nicht gestorben; ich weiß es. Es wird viel gesprochen zwischen



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Himmel und Erde, eine Mutter aber hört die Stimme ihres Kindes über die Wüste und durch die Nacht." Der Jüngste hörte es. Der Jüngste ging weiter.

Am andern Tag ging er aber zum ersten Silberschmied der Stadt und bat ihn, ihn doch als Blasebalgstoßer in seinen Dienst zu nehmen. Dann blieb er bei dem Silberschmied.

Inzwischen waren die beiden ältern Brüder in der Stadt angekommen. Sie zeigten dem Vater ihre Schätze und erzählten, daß ihr jüngster Bruder in der Wüste von wilden Tieren getötet sei. Und der älteste Sohn führte Fatma vor seinen Vater und sagte: "Dieses Mädchen will ich heiraten." Der jüngere Bruder stand daneben, sah Fatma an, dachte an ihren Reichtum und sagte: "Nein; ich will diese Fatma heiraten." Der Scheich aber fragte Fatma: "Meine beiden Söhne wollen dich zum Weibe nehmen. Welchen willst du nun wählen?" Fatma nahm ihren Negl vom Fuß und sagte: "Ich nehme nur den zum Gatten, der einen zweiten gleichen Ring besitzt." Der Vater sagte: "Meine Söhne, ihr habt es gehört." Der älteste Sohn sagte: "Gib mir den Ring, ich will sehen, ob ich nicht einen gleichen Ring in meinen Besitz bringen kann!"

Der älteste Sohn nahm den Ring an sich. Der älteste Sohn ließ die Silberschmiede zu sich kommen. Der älteste Sohn zeigte den Silberschmieden den Fußring Fatmas und sagte: "Wie schnell könnt ihr mir einen zweiten, ganz gleichen herstellen?" Der älteste Bruder reichte den Schmieden den Ring. Einer der Schmiede nach dem andern nahm den Ring in die Hand und betrachtete ihn. Der Ring ward dreimal in der Runde von Hand zu Hand gereicht. Die Silberschmiede sagten zu ihrem Ältesten: "Sage du für uns alle die Wahrheit!" Der älteste Sohn des Scheichs wurde ärgerlich. Der älteste Sohn des Scheichs sagte: "Was habt ihr? Welche Zeit braucht ihr, um einen solchen Ring zu schmieden? Hier habt ihr Silber und Gold!" Der älteste Sohn warf einen Beutel mit Gold und Silber hin. Der älteste der Silberschmiede schüttelte aber den Kopf. Er schob den Beutel zurück und sagte: "Herr! In diesem Lande kann kein Silberschmied einen solchen Ring schmieden." Darauf wurde der älteste Sohn des Scheichs sehr zornig. Er stand auf und sagte: "Ihr seid nicht Silberschmiede, sondern Wortverdreher (?) und habt sicherlich schon Geld von meinem Bruder genommen, um ihn mir zuvorkommen zu lassen. Ich bin aber der älteste Sohn meines Vaters, und ich sage euch, daß, wenn ihr mir



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den Ring nicht in drei Tagen bringt, ich euch alle töten lasse! Nehmt den Beutel da!" Dann ging der älteste Sohn fort.

Die Silberschmiede aber begaben sich nach Hause. Sie gaben dem ältesten Silberschmied den Ring und den Beutel mit Silber und Gold und sagten: "Sieh du, was du vermagst, du kannst noch am meisten von uns." Dann verließen sie ihn. Der alte Silberschmied legte aber Ring und Beutel beiseite, setzte sich traurig auf eine Matte und seufzte.

Hassan, der jüngste Sohn des Scheichs, der als Diener bei dem Silberschmied wohnte, sah, daß sein Herr traurig war. Hassan kam heran und sagte: "Du bist traurig, mein Herr! Sage mir doch, was dich bedrückt!" Der alte Silberschmied sagte: "Was willst du, törichter junger Mann!" Hassan sagte: "Nenne mich nicht jung und töricht, denn ich habe mancherlei Arbeit gelernt, die selten ist. Zum Beispiel kann ich einen Fußring wie den, den du eben dort in die Ecke legtest, wohl anfertigen, was hier gewiß niemand kann." Der alte Silberschmied sagte: "Was sagst du? Du sagst, du könnest einen solchen Ring machen?" Hassan sagte: "Wenn ich mich heute abend an die Arbeit mache, kann ich dir morgen früh den zweiten geben." Der alte Silberschmied sagte: "Warum willst du aber bei Nacht damit anfangen?! Fange doch jetzt an!" Hassan sagte: "Jeder hat seine Art; solche Sachen macht man dort nur bei Nachtzeit. Wenn du deine kleine Tochter mit mir einschließt, daß sie mir den Blasebalg stößt, dann soll bis morgen alles besorgt sein."

Abends brachte der Silberschmied Hassan und seine kleine Tochter in die Werkstatt. Hassan sagte: "Ich brauche zwei Matten und viele Datteln." Man brachte Datteln und Matten. Danach schloß Hassan die Tür, gab dem Mädchen viele Datteln und sagte: "Lege du dich drüben auf die eine Matte, ich werde mich auf dieser Seite auf meine Matte legen. Wenn wir genug geschlafen haben, gehen wir an die Arbeit." Danach legten sich beide nieder und schliefen. Als aber am andern Morgen der Tag graute, weckte Hassan das Mädchen und sagte: "Nun komm und stoße mir ein wenig den Blasebalg, sonst glauben die Leute womöglich, daß wir gar nichts getan hätten. Das Mädchen stieß darauf den Blasebalg, und Hassan nahm sowohl den Ring, den der Silberschmied ihm gegeben hatte, als den, den er in der Tasche trug und reinigte sie gründlich, so daß beide ganz neu und genau gleich aussahen. Kurze Zeit danach kam der Silberschmied, klopfte draußen an die Tür und fragte: "Hassan! Mein Hassan! Ist der Ring schon zu sehen?" Hassan aber sagte:



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"Komm nur herein, Herr!" Der Silberschmied kam herein. Der Silberschmied nahm die beiden Ringe. Der Silberschmied sagte: "Ganz gleich! Ganz gleich! Ganz gleich!" Er umarmte Hassan und rief: "Hassan! Ich danke dir! Hassan! Ich danke dir! Willst du meine Tochter zur Frau haben, so nimm sie!" Hassan sagte: "Herr, ich habe eine Sache mit einer Frau, die macht mir genug zu schaffen!"

Der Silberschmied nahm die beiden Ringe und ging zu dem ältesten Sohn des Scheichs. Er zeigte dem ältesten Sohn des Scheichs die Ringe. Der Älteste sagte: "Siehst du, du verlogener Mensch, daß du es zuletzt doch gekonnt hast? Ihr seid doch alle miteinander Betrüger." Dann ging der Älteste und brachte die beiden Ringe zu seinem Vater, dem Scheich. Der Scheich betrachtete sie und sagte: "Wir wollen sie Fatma zeigen." Der Scheich ging mit seinem Sohn zu Fatma. Er sagte: "Fatma, du hast dem unter meinen Söhnen die Ehe versprochen, der einen Ring wie deinen Negl besitzt. Mein ältester Sohn hat einen Negl gebracht, der von dem deinen nicht zu unterscheiden ist." Fatma sagte: "Wo ist er?" Der Scheich zeigte Fatma den Ring. Fatma sah die beiden Negl. Fatma schrie auf. Fatma rief: "Wo ist der zweite Ring her! Schnell bringt den Mann! Der älteste Sohn sagte: "Ich habe ihn von einem Silberschmied machen lassen! Ich will ihn rufen lassen."

Der älteste Silberschmied wurde in das Serail zurückgerufen. Der Silberschmied trat zum Scheich, dessen Sohn und Fatma. Fatma sagte: "Dieser Mann lügt. Er hat den Ring nicht gemacht. Wenn er nicht sogleich sagt, woher er den Ring hat, bitte ich dich, mein Scheich, ihn zu töten!" Der Silberschmied begann zu zittern. Der Silberschmied sagte: "Ich habe den Negl nicht selbst gemacht. Kein Mensch in dieser Stadt kann eine solche Arbeit machen. Aber da der älteste Sohn des Scheichs mir mit dem Tode gedroht hat, wenn ich nicht in wenigen Tagen einen solchen Ring bringe, hat ihn ein junger Mann gemacht, der in meinem Hause dient." Der Scheich sagte: "So schicke den jungen Mann hierher!" Nach einiger Zeit kam Hassan. Fatma sah ihn. Fatma erkannte ihn. Hassan war aber in schmutzige Kleider gehüllt und mit Ruß und Kohle bedeckt. Fatma sagte zu Hassan: "Ja, von dir ist der Ring!" Fatma fragte den Scheich: "Kennst du diesen Mann?" Der Scheich sagte: "Nein, ich kenne ihn nicht." Fatma fragte den ältesten Sohn des Scheichs: "Kennst du denn vielleicht diesen Mann?" Der älteste Sohn sagte: "Wie soll ich dazu kommen, die



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Sklaven der Silberschmiede zu kennen ?" Fatma sagte zum Scheich: "Du hast Söhne von zwei Frauen. Von einer Araberin und von einer Beischläferin. Laß doch die Beischläferin kommen und laß sie sehen, ob sie diesen Mann kennt." Der Scheich sandte zum Hause seines Kebsweibes hinüber. Das Kebsweib kam. Das Kebsweib sah Hassan. Das Kebsweib fiel vor ihm nieder, erfaßte seine Hände, küßte sie und sagte: "Mit den schwarzen Händen des Dieners kehrst du wieder zurück, mein Hassan! Hat dich denn alle Klugheit und alle Güte nicht schützen und dir zum Glücke nicht verhelfen können?" Fatma aber sagte: "Du irrst, meine Mutter. Die Hände meines zukünftigen Gemahls sind weiß, wie seine Augen klug und gut sind. Die Hände seiner Brüder aber sind schwarz von dem Diebstahl, den sie an ihm begingen, um seines Geldes und meines Besitzes willen. Klugheit und Güte haben ihm zu einem Glücke verholfen, das seine Brüder von Anfang an verspielten und auch durch Übermacht nicht zurückzugewinnen vermochten."

Hassan ward Scheich. Sein Serail war angefüllt von allem Schönen, was alle Länder boten und das, was ihm sein erstes Vermögen eintrug, kehrte jetzt zu ihm zurück und schmückte sein Haus. Die größte Zier seines Hauses und des ganzen Landes aber war Fatma.


13. Vogel, Pferd, Büchse*

Ein Melik hatte einen Garten (Djinena), in dem wuchs eines Tages ein sehr schöner Baum, den niemand kannte. Als er nun hoch genug gewachsen war, trug er auch Früchte. Diese sieben Früchte waren ähnlich der Mischmisch (Aprikose). Es waren aber keine Aprikosen, denn sie waren aus Gold. Der Melik betrachtete die heranreifenden Früchte alle Tage und freute sich an ihnen. Als sie nun nahezu reif waren, rief er alle seine großen Leute zusammen und führte sie in den Garten unter den Baum und fragte sie, ob einer von ihnen bisher diese Baumart oder solche Früchte gesehen habe, und alle antworteten: "Nein, solche Früchte haben wir noch nie gesehen. Dieser Baum ist in diesem Lande neu!"

Darauf freute sich der König denn noch mehr über seine schönen Früchte. Als er aber am andern Tag in seinen Garten trat, um sie zu beschauen, da sah er, daß nachts ein Vogel gekommen war und eine Frucht gestohlen hatte. Darüber ward der König nun sehr böse 

*Angeblich aus der Gegend von Assuan.


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und traurig. Am andern und dem darauf folgenden Tage wuchs aber seine Traurigkeit immer mehr, denn der fremde Vogel stahl, trotz aller Aufsicht und Fürsorge, in der zweiten Nacht eine zweite, in der dritten Nacht eine dritte und in der vierten eine vierte Frucht, so daß am fünften Tage nur noch drei von den schönen Früchten übrig blieben. Als der jüngste der drei Söhne, die der Melik hatte, nun sah, wie sein Vater über diese Vorgänge einen großen Schmerz empfand, sagte er: "Mein Vater, erlaube mir bitte, daß ich in der nächsten Nacht unter dem Baum wache, damit ich wenigstens sehen kann, was für ein Vogel es ist, dem es trotz aller Fürsorge und Obacht gelingt, immer wieder eine dieser kostbaren Früchte abzupflücken und fortzutragen." Der Melik sagte: "Es ist recht, mein Sohn, tue das und sieh zu, dieser Sache ein Ende zu bereiten."

Am Abend setzte sich also der Sohn des Melik unter den Baum nieder und wartete auf den Vogel. Zwar befiel ihn bald eine große Müdigkeit; er trotzte ihr aber standhaft, und so nahm er wahr, daß in der vollen Dunkelheit ein Vogel herankam. Als der Vogel nun die Frucht abpickte, sprang der Sohn des Melik auf ihn zu und packte ihn so schnell und stark wie möglich bei den Federn. Der Vogel suchte sich loszureißen. Der Sohn des Melik hielt aber so fest, daß der Vogel nicht anders entrinnen konnte, als daß er sich von den gepackten Federn losriß und so, arg gerupft, seine Beute forttrug.

Der Sohn des Melik ging mit den Federn am andern Tage zu seinem Vater und zeigte sie diesem. Der Melik besah die Federn und sagte: "Einen Vogel mit solchen Federn habe ich noch nicht gesehen." Er rief seine angesehenen Leute zusammen, und diese ließen untereinander die Federn von Hand zu Hand gehen. Ein jeder schüttelte aber den Kopf, gab die Federn dem Nächsten und sagte ebenfalls: "Einen Vogel mit solchen Federn habe ich noch nicht gesehen." Darauf sagte der Melik: "Ich möchte diesen Vogel wohl einmal sehen."

Nun kam der jüngste Sohn des Melik heran und sagte: "Mein Vater, ich bitte dich, mir die Erlaubnis zu geben, den Spuren dieses Vogels zu folgen. Denn da ich stark an den Federn des Diebes gerissen habe, wird er auf seinem Wege noch mehr Federn und auch wohl einige Blutstropfen verloren haben, die mir angeben können, wo ich ihn finde." Der König war mit diesem Vorschlage seines jüngsten Sohnes sehr einverstanden, und als die andern beiden ältern Söhne sahen, welche Freude er damit seinem Vater bereitete,



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erklärten sie sich bereit, ihren Bruder zu begleiten; denn jeder von ihnen wollte gern König werden, und der Melik hatte noch keinen Thronfolger unter seinen Söhnen bestimmt.

Die drei Söhne des Melik machten sich also gemeinsam auf den Weg und ritten in der Richtung von dannen, in der der jüngste den Vogel hatte wegfliegen sehen. Wie vorausgesagt, trafen sie von Zeit zu Zeit auch auf eine Feder oder einen Blutstropfen und behielten so ohne Mühe den Weg des Räubers bei. Das währte aber so lange, bis sie nach weitem Ritte an ein großes Tor kamen, von dem aus der eingeschlagene Weg sich in drei Arme spaltete. Am Tore aber war vor jedem Wegarme eine Beschreibung dessen angebracht, was man auf ihm erleben würde. Von dem Wege, der nach rechts hin abbog, hieß es da, jeder, der ihn beschritte, müsse sterben. Von dem Wege, der in der Mitte gerade aus weglief, war angegeben, jeder, der auf ihm dahinritt, würde sein Pferd verlieren. Von dem Wege, der nach links hin abzweigte, war gesagt, daß er zu den Sacht (dem Riesenvolk, das in den alten Tumulis begraben ist), zum Gräbervolke, führe.

Als die ältern zwei Brüder das lasen, sagten sie: "Dieses ist keine Unternehmung für uns; wir kehren nach Hause zurück, denn hier steht nichts davon, daß wir zu dem Orte des Vogels kämen." Der Jüngste aber sagte: "Ich kehre nicht um, denn ich habe meinem Vater versprochen, mich nach dem Vogel umzusehen. Was schadet es mir dann, wenn ich auch mein Pferd verliere und zu Fuß weiterwandern muß! Ich werde also auf dem mittelsten Wege weiterreiten." Der Jüngste nahm von seinen Brüdern Abschied und ritt auf dem mittelsten Weg von dannen. Die ältern Brüder aber sagten untereinander: "Wir wollen hier abwarten, was mit unserm jüngsten Bruder wird." Sie blieben also an dem Tore, und da dort ein Brunnen war, sattelten sie ihre Pferde ab und machten es sich bequem.

Der jüngste Königssohn ritt inzwischen auf dem mittelsten Weg hin. Er war noch nicht sehr weit von dem Tore, da kam ein Aldjann und riß ihm unversehens sein Pferd weg, so daß er nun zu Fuß weiterwandern mußte. Er war noch nicht sehr weit gegangen, da kam er an einen Sakhir. Er ließ sich da nieder, trank und erfrischte sich und nahm den Marsch wieder auf. Er sagte bei sich: "Getrunken habe ich nun. Ich verspüre aber einen rechten Hunger." Derweilen hatte der Aldjann aber das Pferd aufgegessen und lief



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nun dem Jüngsten nach. Er redete den Sohn des Melik an und sagte: "Verzeihe mir, daß ich dich so ungastlich begrüßt habe. Zwei Jahre lang hatte ich aber keines dieser Tiere, die meine Hauptnahrung sind, erhalten, und ich wäre deshalb sicher gestorben, wenn du nicht jetzt gekommen wärst. Deinem Kommen verdanke ich also das Leben, und deshalb bitte ich dich, meine unwirsche erste Begrüßung zu vergessen und mit mir Freundschaft zu schließen."

Der Königssohn war hiermit sehr einverstanden und sagte: "Mein Pferd habe ich dir sehr gern gegeben, denn mir macht es nichts aus, ob ich reite oder zu Fuß gehe, und wenn ich dir mit Hingabe meines Pferdes ein so großes Geschenk gemacht habe, so bedaure ich nur, daß ich nicht deren zwei bei mir habe, damit du dich noch weiter daran gütlich tun kannst." Der Aldjann sagte: "Ich danke dir sehr für deine freundliche Gesinnung. Nun bin ich um so eher bereit, dir bei deiner Unternehmung zu helfen; denn nur wer etwas ganz Besonderes vorhat, kommt auf diesem Wege. Sage mir also, was du suchst und glaube mir, daß ich sowohl den Willen als die Macht habe, dich zu unterstützen."

Der Königssohn sagte: "Ich bin der Sohn eines Königs, in dessen Garten sehr schöne Früchte wuchsen. Es kam aber allnächtlich ein Vogel und stahl eine von ihnen. Zuletzt hielt ich Wache und riß ihm diese Federn aus. Ich folgte ihm und bin so hierher gekommen. Nun gebe ich mich der Hoffnung hin, diesen Vogel fangen und meinem Vater bringen zu können." Der Aldjann betrachtete die Federn, die der Königssohn ihm zeigte und sagte: "Gewiß kenne ich den Vogel. Er wohnt hier ganz nahe in dem Garten eines Königs, der ihn bewacht. Der Vogel ist nicht schwer zu greifen; nur darf der, der ihn fassen will, nicht in dem Garten sprechen. Ich will dir also den Weg nach dem Garten zeigen. Du mußt dir aber merken, daß du, solange du darin weilst, kein Wort reden darfst." Der Königssohn sagte: "Dieses ist nicht schwer. Zeige mir nur den Weg."

Der Aldjann brachte den Königssohn also zu dem Garten. Der Sohn des Melik trat hinein. Sobald er aber einige Schritte weit gegangen war, sah er auch schon den Vogel, dem er die Federn ausgerissen hatte, auf einem Aste schlafend sitzen, und vor Freude über das Wiedersehen sagte er vor sich hin: "Das ist mein Vogel!" Kaum aber hatte der Königssohn diese Worte gesagt, da erwachte der Vogel und fing beim Anblick des Königssohnes laut an zu schreien. Sogleich tauchten auf allen Seiten Wächter und Soldaten des Königs



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auf, nahmen den unvorsichtigen jungen Mann gefangen und brachten ihn zu ihrem Herrn.

Der König sah den fremden Jüngling sehr böse an und sagte: "Wie kannst du dich unterstehen, in diebischer Absicht in meinen Garten zu kommen. Ich kann nicht anders; ich will dich töten lassen!" Der junge Mann sagte: "Ich bin kein Dieb, sondern ich bin der Sohn eines Königs, in dessen Garten dein Vogel jede Nacht eine wertvolle Frucht abgepflückt hatte. Deshalb habe ich mich auf den Weg gemacht, den diebischen Vogel zu töten. Sieh, hier sind die Federn, die ich dem Dieb im Garten meines Vaters ausgerissen habe." Der König sagte: "Wenn es so ist, so will ich dir die Möglichkeit geben, dein Leben zu retten und für deinen Vater den Vogel zu gewinnen. Höre mich: hier in der Nähe wohnt ein König, der hat ein Pferd, dem man nur einige Mähnenhaare auszureißen und diese zwischen den Handflächen zu reiben braucht, um so das Pferd herbeizurufen oder es weit fort zu bringen. Wenn es dir gelingt, mir dieses Pferd herbeizubringen, so will ich dir das Leben und den Vogel schenken. Gelingt dir aber dieses nicht, so mußt du sterben." Der Königssohn sagte: "Ich will es versuchen, dir das Pferd zu bringen." Dann ging der Königssohn von dannen.

Als der Königssohn aus dem Garten kam, traf er draußen seinen Freund, den Aldjann. Der Aldjann begrüßte ihn und sagte: "Wie ist es dir ergangen? Wo hast du denn den Vogel?" Der Königssohn sagte: "Ach, es ist mir schlecht gegangen. Ich hatte den Garten kaum betreten, da sah ich auch schon den Vogel, und da vergaß ich mich und sagte: ,Das ist mein Vogel!' Darauf erwachte nun der Vogel und fing an zu schreien, und sogleich kamen Wächter und Soldaten und schleppten mich zu dem König. Der König aber entschied, daß ich sterben müsse, und er will mir das Leben und den Papagei nur schenken, wenn ich ihm ein Pferd bringe, das einem andern König gehört und das die Eigenart hat zu erscheinen und zu verschwinden, wenn man einige seiner Mähnenhaare zwischen den Handflächen hin und her reibt." Der Aldjann wurde hierauf ärgerlich und sagte: "Habe ich dir nicht vorher gesagt, du dürftest nicht reden? Konntest du nicht so lange schweigen, bis du den Vogel hier draußen hattest? —Nun, das mit dem Pferd läßt sich machen. Folge aber genau allem, was ich dir sage!" Der Königssohn versprach das, und dann machten sich beide auf den Weg.

Als sie nun in die Nähe des andern Königsgartens gekommen waren, sagte der Aldjann: "Nun achte genau auf das, was ich dir



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sage! Wenn du hier noch ein Stück weit gerade aus gehst, kommst du an den bewußten Königsgarten. Am Tore sitzt ein großer Gui. Dieser Gui schläft aber, wie alle andern Leute dort. Du kannst also getrost hinein und bis zu dem Pferd gehen, welches an einem Strick im Staue angebunden ist. Diesen Strick darfst du nicht losbinden, sondern du mußt drei Haare aus der Mähne des Pferdes reißen, mußt dich auf das Pferd setzen, mußt die Haare zwischen den Handflächen reiben und sagen, wo du hinwillst. Vergiß dies nicht und binde vor allen Dingen das Halfter nicht ab!" Der Königssohn versprach dem Aldjann, ihm in allem folgen zu wollen und machte sich sogleich auf den Weg, die kurze Entfernung zum Königsgarten so schnell als möglich zurückzulegen.

Als der Sohn des Melik an den Königsgarten kam, sah er richtig, wie angekündigt, den Gui. Der Gui schlief aber, und ebenso schlief alles andere im Garten und in den Gebäuden. Der Sohn des Melik konnte also ungestört überall umhergehen und sich an all den schönen Blumen und Früchten erfreuen, die in dem Garten waren. Zuletzt kam er zu dem Stall, in dem das Pferd angebunden war. Der Königssohn sah aber, daß es mit einem sehr dicken Strick festgebunden war, und er sagte: "Es ist gar nicht möglich, daß das Pferd von hier fort kommt, solange es so angebunden ist. Ich werde den Strick so leise abbinden, daß niemand es hören kann." Damit machte der Königssohn sich also an diese Arbeit.

Kaum aber hatte der Königssohn den Strick berührt, an dem das Pferd festgebunden war, so begann es laut zu wiehern, und das hatte zur Folge, daß der Gui am Gartentor und alles andere Volk erwachte, und daß die Wächter und Soldaten des Königs auf den Königssohn zusprangen und ihn gefangen nahmen. Die Wächter und Soldaten schleppten den Sohn des Melik sogleich zu ihrem König; der war aber sehr zornig und schrie den Jüngling an: "Wie kannst du, junger Dieb, es wagen, in meinen Garten und meinem Pferde nahe zu kommen! Ich werde dich sogleich töten lassen!" Der Sohn des Melik sagte: "Ich bin kein Dieb, sondern der Sohn eines Königs, und ich bin nur hierher gesandt, weil ein Vogel in meines Vaters Garten wertvolle Früchte stahl, und weil der Besitzer des Vogels mir diesen nur geben wollte, wenn ich ihm dein Pferd brächte!" Als der König dies hörte, beruhigte er sich ein wenig und sagte: "Höre, mein Bursche, du verdienst trotzalledem eigentlich den Tod. Ich will dir aber das Leben und obendrein das Pferd schenken, wenn du mir die Büchse bringst, in der ein anderer König seine ganze



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Dienerschaft und alle seine Trommler und Trompeter verborgen hält. Bringst du mir die, so magst du am Leben bleiben. Bringst du sie mir nicht, so bleibt dir nur die Wahl, ob du durch Schlag, Tritt oder Wurf getötet werden willst!" Der Jüngling sagte: "Ich will sehen, ob ich dir die Büchse bringen kann." Dann ging der Sohn des Melik wieder aus dem Garten.

Bald nachdem er aus dem Garten gegangen war, traf der Königssohn auf den befreundeten Aldjann, und der sagte: "Wie geht es dir? Warum hast du solange Zeit gebraucht? Wo hast du das Pferd?" Der Sohn des Melik sagte: "Mein Freund, mit dem Pferd war das eine schlimme Sache. Es war an ein ganz dickes Tau gebunden, das ich unbedingt lösen mußte. Als ich das aber tat, begann es zu wiehern und weckte damit alle Leute. Ich wurde also gefangen genommen und zum König geführt. Der König ließ mich aber nur unter der Bedingung frei, daß ich ihm eine kleine Büchse bringe, in der ein anderer König alle seine Diener, seine Trommler und Trompeter eingeschlossen hat. Nun muß ich sehen, wie ich zu der Büchse komme." Als der Aldjann das hörte, ward er sehr böse und sagte: "Habe ich dich nicht vorher gewarnt? Habe ich dir nicht genau gesagt, wie du mit den drei Mähnenhaaren des Pferdes verfahren mußtest? Was kann ich denn mit dem allerbesten Willen tun, wenn du immer so dumm bist und alles unterläßt, was ich dir sage! Nun, diesmal kann ich dir noch helfen, wenn das Land des Königs, der die Büchse hat, auch sehr weit ist. Komm a so mit!"

Der Aldjann nahm den Königssohn auf und trug ihn weit, weit fort. Er trug ihn bis in das Land, in dem der König, der die Büchse besaß, wohnte. Dort setzte er den Sohn des Melik auf die Erde und sagte: "Der König dieses Landes ist sehr schlecht und grausam, und außerdem hält er die Büchse, solange er schläft, wie jetzt zum Beispiel, immer zwischen den Zähnen fest. Nehmen wir ihm die Büchse aus dem Munde, so wacht er auf, und wir können dem Tod nicht mehr entrinnen. Darum will ich mich in eine Maus verwandeln und will ihm als Maus über den Kopf laufen. Mit meinem Mauseschwanz will ich ihm dann in der Nase kitzeln, so daß er niesen muß. Wenn er dann niest, wird er die Büchse aus dem Munde fallen lassen, und du mußt hinzukommen und sie schnell wegbringen. Hüte dich aber, die Büchse zu öffnen, denn ich weiß nicht, wie man sie wieder schließen könnte." Der Sohn des Melik sagte: "Es ist sehr gut so, so werden wir es machen, und ich will dabei nicht anders verfahren, als du es mir jetzt vorgeschrieben hast."



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Darauf gingen sie dicht zu dem schlafenden König hin. Der Aldjann verwandelte sich alsdann in eine Maus und lief dem König über den Kopf und kitzelte ihn mit dem Mauseschwanz in der Nase. Der König hielt die kleine Büchse zwar sehr fest zwischen den Zähnen. Infolge des Nasekrabbeins mußte er aber niesen, und als er nieste, öffnete er den Mund, und die kleine Büchse fiel auf den Boden. Der Königssohn sprang aber schnell hinzu, nahm die Büchse auf und lief mit ihr so schnell er konnte von dannen und aus dem Lande des Königs.

Als der Jüngling aber über die Grenze des Landes des Königs gesprungen war, sagte er bei sich: "Ich muß doch erst einmal diese Büchse näher ansehen, denn ich kann mir nicht denken, daß darin mehr als ein paar Mücken, geschweige denn ein oder viele Menschen sein sollen." Der Königssohn betrachtete also die Büchse und drehte an dem Deckel hierhin und dorthin. Plötzlich ging sie ganz leicht auf, und aus dem offenen Büchslein sprangen Menschen mit Trompeten, Menschen mit Trommeln, mit Hörnern, Pfeifen und Klappern, und die die Trompeten und Hörner und Pfeifen hatten, bliesen jeder nach seiner Art, und die Trommler trommelten, und die mit den Klappern machten den schlimmsten Lärm. Alle aber tanzten und lärmten um den Sohn des Melik herum, so daß er gar nicht ein noch aus wußte. Der Sohn des Melik versuchte nun auf alle Weise die Leute zu bewegen, wieder in die kleine Büchse hineinzugehen. Die Leute kümmerten sich aber gar nicht um seine Bitten und Drohungen. Sie brachten ihm, was er verlangte, aber keinem fiel es ein, wieder in die Büchse zu gehen.

So lebte der Sohn des Melik ein Jahr lang unter den lärmenden Büchsenmenschen. Diese bedienten ihn zwar ausgezeichnet; im übrigen aber lärmten sie ununterbrochen. So ging das, bis nach einem Jahr der Aldjann, der der Freund des Königssohnes war, vorüberkam. Der Aldjann sagte: "Was machst du denn hier? Ich dachte, du wärest schon vor einem Jahre nach Hause zurückgekehrt, und nun sehe ich dich hier in dieser merkwürdigen Gesellschaft? Wo kommen denn die Leute her?" Der Meliksohn sagte: "Ach, mein Freund, das sind ja die Leute, die aus der Büchse des Königs herausgekommen sind, und ich bin nicht imstande, sie wieder in ihr Haus zurückzubringen." Der Aldjann sagte: "Ja, das ist nun allerdings eine schlimme Sache. Das weiß ich nämlich auch nicht. Warte aber, ich will zu dem König gehen und will sehen, es von ihm selbst zu erfahren."



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Der Aldjann verwandelte sich also auch in einen König und begab sich als solcher zu dem König, dem bis dahin das Büchschen gehört hatte. Er blieb bei ihm einige Tage zu Gast und sagte dann zu ihm: "Höre, mein Freund, wir sind zwar beide Könige, aber trotzdem sind wir doch gute Freunde. Und als Freund möchte ich dich fragen, welches der Grund ist, daß ich dich immer so traurig sehe. Sprich es nur aus! Vielleicht kann ich dir in irgendeiner Sache helfen." Der König seufzte und sagte: "Du hast gut gesehen. Ich bin in der Tat sehr traurig. Ich hatte früher eine kleine Büchse, in der war meine ganze Dienerschaft, und wenn ich sie öffnete, kamen alle Bedienten und Musikanten, Soldaten und so viel Reiter heraus, als ich nur verlangte. Dieses wertvolle Büchslein ist mir aber abhanden gekommen." Der als Melik verkleidete Aldjann sagte: "Nein! Nun höre doch nur! Also ganze Soldatenhaufen und Reiter konntest du aus einer Büchse herausrufen? Wirklich, wenn ich dich nicht sehr gut kennte, würde ich glauben, du lögest. Eine solche Sache habe ich noch nie gehört. Sie ist zu wunderbar!" Der König sagte: "Ja, es war eine wunderbare Büchse!" Der andere sagte: "Aber sage mir doch! Konntest du die vielen Menschen denn auch wieder in die Büchse zurückbringen?" Der König sagte: "Gewiß konnte ich das. Ich brauchte nur dreimal das Wort ,Schoulim' auszusprechen. Sogleich waren alle Leute und Reiter wieder in der Büchse. Ich konnte die Büchse schließen und einstecken." Der als Melik verkleidete Aldjann sagte: "Ich verspreche dir auf die Büchse zu achten und dir gelegentlich Nachricht zukommen zu lassen." Der Aldjann blieb hierauf noch zwei Tage als König bei dem andern König. Dann nahm er Abschied und zog fort. Als er aber im Busche war, warf er die Kleidung eines Melik weg und eilte zu seinem Freunde, dem Sohne des Melik, zurück.

Der Aldjann traf den Königssohn noch immer inmitten der Trommler, Trompeter und Bedienten. Als der Königssohn seinen Freund kommen sah, rief er ihm über die Menschenmenge der Musikanten hinweg zu: "Komm schnell und sage mir, ob du meine Angelegenheit ausfindig gemacht hast!" Der Aldjann trat in die Mitte der lärmenden Gesellschaft neben seinen Freund und rief laut: "Schoulim! Schoulim! Schoulim!" Kaum war aber das dritte Wort verklungen, da hatten sich auch schon alle Trompeter und Trommler und Pfeifer und Bläser und Bediente in das Büchschen gedrängt, und der Sohn des Melik konnte den Deckel schließen. Da war der Königssohn über alle Maßen dankbar.



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Der Aldjann sagte aber: "Nun bringe das Büchschen nur schnell dem König, der das Pferd hat, und lasse dir dafür die Sicherheit deines Lebens und das Pferd schenken." Der Sohn des Melik betrachtete das Büchschen und sagte: "Die Sicherheit meines Lebens und das Pferd möchte ich schon haben; die Büchse möchte ich aber auch gern behalten." Der Aldjann sagte: "Du möchtest die Büchse gern behalten? Nun, dann will ich dir etwas sagen. Leihe mir diese Büchse auf zwei Tage. In zwei Tagen will ich eine Büchse herstellen, die genau so aussieht wie die deine. Dann gibst du dem König, der das Pferd hat, die nachgemachte Büchse und gehst mit Büchse und Pferd von dannen." Der Sohn des Melik war über diesen Vorschlag über alle Maßen dankbar und gab dem Aldjann die Büchse hin.

Der Aldjann nahm die Büchse und eilte von dannen. Nach zwei Tagen kam er zurück, überreichte dem Königssohn die Büchsen und sagte: "Nun tue, wie du es wünscht!" Der Königssohn brachte also dem König die von diesem so begehrte Büchse. Der König betrachtete sie von allen Seiten und sagte: "In der Tat, es ist die richtige Büchse. Nimm also das Pferd mit dir fort!" Der Königssohn setzte sich auf das Pferd, riß ihm drei Mähnenhaare aus, rieb sie zwischen den Handflächen und wünschte sich weit fort. Im gleichen Augenblick befand er sich weit entfernt in einem andern Land. Das gefiel dem Sohne des Melik ausgezeichnet und er sagte bei sich: "Das ist ein vorzügliches Pferd, ich möchte es doch lieber nicht weggeben, sondern möchte es behalten, wenn es sonstwie möglich ist, die Sicherheit des Lebens und den Vogel zu erhalten. Ich werde die Sache mit meinem Freund, dem Aldjann, besprechen." Der Königssohn rieb also wieder die drei Mähnenhaare des Pferdes zwischen den Handflächen und sagte dazu: "Ich möchte bei meinem Freunde, dem Aldjann, sein!"

Sogleich war der Königssohn bei seinem Freunde. Der Aldjann begrüßte ihn sehr herzlich und sagte: "Erzähle mir, was es gibt!" Der Königssohn sagte: "Dieses Pferd gefällt mir so ausgezeichnet, daß ich mich nicht wieder von ihm trennen möchte. Könnte ich nicht dieses Pferd behalten und trotzdem die Sicherheit meines Lebens und den Vogel bekommen?" Der Aldjann sagte: "Dieses ist möglich. Ich selbst will mich in ein Pferd verwandeln, das dem deinen vollkommen gleicht, und werde in dieser Gestalt dem Melik, dem der Vogel gehört, dienen. Laß also das richtige Pferd zurück. Nimm nur drei seiner Mähnenhaare mit und besteige mich." Dann



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verwandelte sich der Aldjann in ein Pferd, das dem andern aufs Haar glich. Der Königssohn bestieg das Aldjannpferd, und im nächsten Augenblick befand er sich mit ihm im Garten des Königs, der den Vogel hatte. Der König betrachtete das Pferd und sagte: "Ja, das ist das richtige! So will ich dir denn den Vogel und das Leben schenken." Der Königssohn stieg von dem Pferd, nahm den Vogel in Empfang und ging mit ihm fort. Er war noch nicht sehr weit gegangen, da kam der Aldjann ihm entgegen und begrüßte ihn. Der Königssohn sagte: "Wie kommst du denn hierher? Ich denke, du dienst als Pferd dem König ?" Der Aldjann sagte: "Kaum warst du gegangen, so bestieg der König mich und wünschte sich weit fort in die Wüste. Ich trug ihn sogleich in die Wüste. In der Wüste warf ich ihn aber ab und bin dann wieder hierher gekommen. So hast du nun, mein Freund, alle drei wertvollen Dinge -die Büchse, den Vogel und das Pferd! Sieh nun, daß niemand sie dir stiehlt. Im übrigen weißt du, daß wir Freunde sind und daß du mich immer herbeirufen kannst, wenn du mich brauchst." Danach nahmen die beiden Freunde voneinander Abschied; der Königssohn rief sein Pferd herbei, nahm Vogel und Büchse und ritt nach dem großen Tor zu von dannen.

An dem großen Tore hatten die beiden ältern Brüder sich am Brunnen gelagert und warteten auf die Rückkehr des jüngsten. Der jüngste Sohn des Melik traf sie, als er herausritt um heimzukehren. Er grüßte sie herzlich und stieg sogleich vom Pferd. Er lagerte bei ihnen am Brunnen und erzählte ihnen alles, was er erlebt hatte, nur sagte er nichts von der Handhabung der Büchse. Die beiden ältern Brüder sagten ihm ihre Glückwünsche zu seinen schönen Erfolgen und baten ihn, die Nacht noch bei ihnen zu lagern, um dann am andern Tage mit ihnen zu dem alten Vater heimzukehren. Der Jüngste war damit sehr einverstanden. Er legte sich, ermüdet wie er war, bald nieder und verfiel in einen tiefen Schlummer.

Als der jüngste am Brunnenrand eingeschlafen war, sagten die ältern Brüder untereinander: "Wenn unser kleiner Bruder mit diesen schönen Gaben heimkommt, wird unser Vater ihn sicherlich zum Melik machen, uns aber nicht mehr ansehen. Es wird also besser sein, wir werfen unsern Bruder in den Brunnen und bringen selbst die drei großen Dinge heim!" Die zwei Brüder erhoben sich also, gingen leise dahin, wo der Bruder lag, hoben den Schlafenden



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auf und warfen ihn in den Brunnen. Dann nahmen sie die drei wertvollen Dinge an sich, brachen am Morgen früh auf und kehrten in die Stadt ihres Vaters, des Melik, zurück.

Als die beiden ältesten Söhne allein kamen, fragte der Melik sie: "Wo ist mein jüngster Sohn?" Die beiden Ältesten sagten: "Dein jüngster Sohn war nicht gut und ist unterwegs gestorben. Wir beide haben dir aber diese drei großen Dinge mitgebracht." Dann gaben sie dem Vater den Vogel, das Pferd und die Büchse. Der Vater freute sich über diese Dinge sehr. Die Büchse aber ward vorsichtig beiseite gestellt, weil niemand sie zu handhaben wußte und weil alle Welt sie fürchtete. In der Dankbarkeit für so große Taten seiner Söhne ernannte der König den ältesten aber sogleich zum Melik und zog sich selbst auf das Landschloß, das in dem Garten war, zurück.

Inzwischen erwachte der Jüngste unten im Brunnen, nachdem er lange Zeit ohne Bewußtsein zwischen den Wänden eingequetscht gelegen hatte. Der jüngste Sohn des Melik sagte bei sich: "Wo bin ich? und wie bin ich hierher gekommen? Dies ist kein Traum, und ich glaube, nur mein Freund, der Aldjann, kann mich aus dieser Lage befreien." Der Aldjann aber sagte bei sich: "Ich muß einmal wieder nach dem Wasser im Brunnen am großen Tore sehen. Denn da ist es nicht in Ordnung." Er kam also mit einem Eimer und einem langen Strick herbei. Er ließ den Eimer herunter, und als der Eimer unten auf den jüngsten Sohn des Melik stieß, hing dieser sich fest daran und ließ sich heraufziehen. Der Aldjann zog den Eimer herauf und sagte: "Heute muß noch etwas anderes als Wasser in meinem Eimer sein." Als der Eimer aber bis zum Rande des Brunnens heraufkam, sprang der Sohn des Melik heraus, und der Aldjann sagte: "Was machst du denn dort unten? Ich denke, sie haben dich inzwischen zum Melik gemacht? Wo ist denn der Vogel, das Pferd und die Büchse ?" Der Jüngste sagte: "Von alledem weiß ich nichts. Ich fürchte, meine Brüder haben mir dieses angetan und jenes gestohlen." Der Aldjann sagte: "So eile, daß du schnell nach Hause kommst." Der Jüngste dankte also dem Aldjann für seine Rettung und wanderte der Stadt seines Vaters, des Melik, zu.

Der Jüngste kam in die Stadt und begab sich sogleich zu seinem Vater in das Landschloß im Garten. Als der alte Melik den totgeglaubten Sohn wiedersah, war er über die Maßen glücklich und ließ sich noch in der gleichen Stunde alles erzählen, wie es gekommen



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war. Als der Sohn mit seiner Erzählung fertig war, sagte er: "Mein Sohn, dies ist eine ernste Sache! Deine ältern Brüder haben die drei großen Dinge gebracht und haben die ganze Geschichte anders erzählt. Wem soll ich nun glauben?" Der Jüngste sagte: "Mein Vater! Meine Brüder haben gesagt, ich sei gestorben. Ich liege aber lebend vor dir. Du siehst also, daß sie gelogen haben. Wenn du nun aber den letzten Beweis dafür haben willst, daß ich die Wahrheit sage und nicht sie, so versammle morgen alle angesehenen Leute und verlange in ihrer Gegenwart von meinen Brüdern, daß sie dir die Handhabung der Büchse zeigen. Wenn sie das nicht verstehen, ich aber nach ihnen mit der Kenntnis der Sache hervortrete, so ist damit erwiesen, wer lügt und wer die Wahrheit spricht." Der alte Melik sagte: "Dieses, mein Sohn, hast du klug erdacht!"

Am andern Tag rief der alte Melik seine ältesten Söhne und alle Vornehmen zusammen. Der alte Melik sagte zu seinen Söhnen: "Meine beiden Söhne, ihr habt mir von der Reise, auf der euer jüngster Bruder gestorben ist, drei große wertvolle Dinge mitgebracht; habt mir aber immer noch nicht die Handhabung der Büchse gezeigt. Das sollt ihr heute nachholen." Damit gab der Vater dem Ältesten, den er zum Melik ernannt hatte, die Büchse in die Hand. Der Älteste aber fürchtete sich vor der Büchse. Er wandte sie hin und her, gab sie dann dem zweiten Sohne und sagte: "Zeige du es dem Vater!" Der zweite Sohn fürchtete sich aber auch vor der Büchse; er gab sie dem ersten zurück und sagte: "Mich hat der Vater nicht zum Melik gemacht, sondern dich!" Die beiden Söhne stritten. Die alten und vornehmen Leute sagten aber untereinander: "Die beiden Söhne des Melik fürchten sich vor der Büchse und kennen nicht ihre Handhabung."

Als der alte Melik das eine Zeitlang mit angesehen hatte, sagte er: "Ist denn niemand hier, der die Handhabung der Büchse kennt ?" Erst antwortete niemand. Als der Melik aber zum zweiten Male fragte, trat der jüngste Sohn hinter einer Mauer, hinter der er sich verborgen gehalten hatte, hervor und sagte: "Mein Vater, gib mir die Büchse, ich will die Handhabung zeigen." Als der Jüngling hervortrat, wurden die ältern beiden Brüder bleich. Alle andern Leute riefen aber in freudiger Erregung: "Der jüngste Sohn des Melik ist nicht gestorben; er lebt!" Der alte Melik aber gab dem jüngsten Sohn die Büchse.

Der jüngste Sohn trat mit der Büchse in die Mitte der Versammlung.



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Der jüngste Sohn sagte: "Meine Diener, kommt heraus und tötet die, die mich in den Brunnen geworfen haben!" Er öffnete die Büchse. Da kamen viele Soldaten und Reiter und Trommler und Trompeter heraus, daß sogleich der ganze Platz mit Menschen gefüllt war. Die Trommler trommelten, die Trompeter bliesen und die Krieger gingen auf die ältern Brüder des jüngsten Sohnes des Melik zu, nahmen sie, banden sie und töteten sie. Dann trugen sie die Toten hinaus.

Hiernach sagte der Jüngste: "Schoulim! Schoulim! Schoulim!" Sogleich kehrten alle Krieger und Reiter und Trompeter und Trommler in die Büchse zurück. Der Jüngste schloß die Büchse und steckte sie zu sich. Alles war nun wieder still.

Der alte Melik ernannte den Jüngsten aber zum König.


14. Die Lieblinge der Aldjann

Ein Melik (hier gleichbedeutend mit Sultan) hatte eine Tochter, das war ein sehr schönes Mädchen. Einen Sohn und überhaupt ein anderes Kind hatte er nicht, und somit hing er an diesem Mädchen mit ganz besonderer Liebe. Er sagte deshalb zu seiner Tochter, als sie herangewachsen war: "Meine Tochter, ich will, daß du dereinst eine gute Ehe nach deiner Vorstellung eingehst. Ich will dich nicht einem andern Manne ohne deine Einwilligung zur Frau geben." Da das Mädchen nun sehr schön und die Tochter eines Melik war, kam bald ein angesehener Mann zum Melik und bat ihn um die Hand seiner Tochter. Der Melik sagte aber: "Ich will meiner Tochter darin nichts vorschreiben, und somit muß ich meine Tochter fragen und ihr die Entscheidung überlassen, wenn du mir auch sonst als Schwiegersohn willkommen wärest." Es wurde somit das Mädchen selbst gefragt, und dieses antwortete: "Nein, mein Vater; ich möchte diesen Mann nicht heiraten." Bald kamen andere Männer. Wer aber auch immer um die Hand der schönen Meliktochter anhielt, stets erfolgte die Antwort: "Nein, mein Vater; ich möchte diesen Mann nicht heiraten."

Viele verschiedene Männer kamen im Laufe der Jahre so dem Mädchen unter die Augen. Das Mädchen sah sie und verglich sie und sagte zuletzt: "Nein, mein Vater; ich möchte diesen Mann hier nicht heiraten, und ich möchte überhaupt nicht heiraten, denn ich finde keinen Mann, der mir zusagt."

Darauf nun wurde der Melik böse und sagte: "Ich habe mein



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Wort gegeben, daß du Freiheit bei der Wahl deines Gatten hast. Was ich gesagt habe, muß ich halten. Ich will aber nicht, daß du bis an dein Ende kinderlos bleibst. Ich will nicht deinen Hochmut bekräftigen. Deshalb werde ich es jetzt so einrichten, daß du überhaupt keinen Mann mehr zu sehen bekommen wirst, bis du dir einen Gatten wünschst." Damit ließ der erzürnte Melik seine Tochter in einen hohen Turm einsperren. Er gab einer Djaria (Sklavin) den Auftrag, für die Speisen und Getränke seiner Tochter zu sorgen, verbot aber aufs strengste, daß irgendein Mann Zutritt zu ihr erhalte oder in ihre Nähe käme. Die Frau aber, der er die Aufsicht über seine Tochter übergab, war die Amme (Murda), die für das Mädchen von Kindheit auf wie eine zweite Mutter gesorgt hatte. In diesem Turme blieb nun das Mädchen mehrere Monate eingeschlossen, ohne eine fremde Frau, geschweige denn einen fremden Mann zu sehen.

In einem Lande, das sehr, sehr weit entfernt lag von dem Reiche, in dessen Hauptstadt die Tochter des Melik eingeschlossen war, lebte ein anderer Melik, der hatte keine andern Kinder als nur einen einzigen Sohn. Dieser Sohn war nun recht erwachsen, als der Emir ihn eines Tages zu sich rief und ihm sagte: "Mein Sohn, du bist nun herangewachsen und ein schöner Bursche geworden. Du bist in den Jahren zu heiraten, und ich denke, du bist schön und ansehnlich genug, um ein jedes Mädchen leicht für dich gewinnen zu können. Hast du nun schon eine Neigung gefaßt, so teile mir dies mit. Ist dies aber nicht der Fall, so sieh dich bald unter den Mädchen dieses oder eines benachbarten Landes nach einer Gattin um, die ihrer Familie und ihrer Eigenart nach würdig ist, die Mutter deiner Kinder zu werden." Der Sohn sagte: "Ich habe bisher noch gar nicht an diese Angelegenheit gedacht und bitte dich, mir Zeit zu lassen, diese Frage mit Sorgfalt zu erwägen." Der Melik sagte: "Mein Sohn, ich wollte dich an diese wichtige Sache nur erinnern und überlasse es dir, selbst deine Entschlüsse zu fassen."

Der Sohn des Melik sah sich nun in den nächsten Jahren nach einer Gattin um, konnte aber kein Mädchen finden, für das er eine wirkliche Liebe verspürt hätte. Der Melik wartete geduldig einige Jahre, dann rief er eines Tages wieder seinen Sohn und sagte: "Mein Sohn, ich habe die Angelegenheit deiner Verehelichung vertrauensvoll dir überlassen. Ich dachte, du würdest deine Wünsche mit den meinigen zu vereinigen wissen und habe deshalb nicht weiter danach gefragt. Nun aber sehe ich, daß du aus eigenem



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Antrieb nicht wieder zu mir kommst. Ich mußte dich ausdrücklich rufen und frage dich nun, wie weit du zu festen Entschlüssen in der Wahl deiner Gattin gekommen bist." Der Sohn sagte: "Ich fürchte, mein Vater, daß dir meine Antwort nicht gefallen wird. Ich habe mir alle angesehenen Mädchen dieses und anderer Länder angesehen. Ich habe keine darunter gefunden, die mir als Gattin wünschenswert erschienen wäre. Ich fürchte fast, mein Vater, daß ich zur Verehelichung wenig geeignet bin, da ich mir kein Mädchen denken kann, daß ich zur Gattin wünsche." Als der Melik diesen Ausspruch seines Sohnes hörte, wurde er sehr böse und sagte: "Leider habe ich aus eigenem Antrieb gesagt, daß ich dich nicht zu einer Ehe zwingen will. Nun ich aber sehe, daß du andere Wege gehst, als sie meine Wünsche und dein eigenes Wohl verlangen müssen, werde ich dir Muße und Gelegenheit bieten, die Sache in Erwägung zu ziehen." Damit entließ der Melik seinen Sohn in großem Zorne.

Der Melik ließ aber einen einsamen Turm für seinen Sohn als Wohnung herrichten. Er ließ seinen Sohn hineinbringen und ließ ihn unter der Fürsorge eines alten Dieners des Hauses einschließen. Er verbot dem Diener aufs strengste, irgendeinem fremden Manne und noch weniger einem Mädchen oder einer Frau Zutritt zu gestatten und sagte dazu: "Ich hoffe, daß diese Einsamkeit am meisten meinen Sohn zur Vernunft bringen wird, und ich denke, daß er, je länger er den Anblick eines Mädchens und einer Frau entbehren muß, ihm desto mehr der Wunsch nach einem solchen erstehen wird." Es verbrachte also der schöne Jüngling mehrere Monate in Einsamkeit in seinem Turm. Das war aber um die gleiche Zeit, da der andere, weit entfernt wohnende Melik seine Tochter in gleicher Weise eingeschlossen hielt.

In dem Turme, in dem der Jüngling eingeschlossen war, wohnte aber für gewöhnlich ein Aldjann, und in dem des Mädchens hatte auch ein solcher seine Wohnung. Der Aldjann, der im Turme des Jünglings wohnte, war sonst nicht der beste Kamerad, sondern liebte es, andern schlimme Streiche zu spielen, die oft böse genug abliefen. So kam es, daß der Turm bei dem Volke nicht gerade im besten Rufe stand. Als dieser boshafte Aldjann aber in der ersten Nacht seines Aufenthalts im Turme den Jüngling sah, da gewann er diesen sogleich so lieb, daß er beschloß, ihm nicht nur nichts Schlimmes zu tun, sondern ihn auch sorgfältig von allen unangenehmen Einflüssen frei zu halten und ihn zu bewachen. Eines



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Tages nun kamen viele Aldjann zusammen und plauderten über die Erfahrungen und Erlebnisse der letzten Zeit, und der Aldjann, in dessen Turm nun der Sohn des Melik wohnte, sagte: "Ich habe in den letzten Monaten keinen Streich mehr ausgeführt und keine Torheit mehr begangen." Ein anderer Aldjann sagte: "So fürchten die Menschen dich nun wohl so, daß sie nicht mehr wagen, in die Nähe deines Turmes zu kommen! Siehst du, das kommt davon, wenn man seine Sache so schlimm treibt. Die Katze, die allzuviel Mäuse fängt, muß nachher auswärts umherlaufen, um ihre Nahrung zu finden."

Der erste Aldjann sagte: "Du bist zwar sehr weise, aber diesmal stimmt deine Angabe nicht. Die Leute sind nicht nur meinem Turm recht nahe gerückt, der Melik hat vielmehr sogar seinen Sohn darin eingesperrt, und das ist ein so schöner Mensch, daß ihm niemand etwas antun kann. Es ist der schönste Mensch, den es auf der Erde gibt!" Als der erste Aldjann das gesagt hatte, erhob ein anderer, der bis dahin geschwiegen hatte, seine Stimme und sagte: "Du lügst!" Der erste Aldjann war ganz betroffen und fragte: "Was sagst du?" Der andere sagte: "Ich sage dir, daß du lügst, wenn du sagst, daß der schönste Mensch der Erde in deinem Turme eingeschlossen ist. Der schönste Mensch der Erde ist überhaupt kein Jüngling, sondern ein Mädchen, das alle andern Wesen übertrifft."

Die übrigen Aldjann waren durch diese Erklärung nun sehr angeregt geworden, und sie fragten den zweiten Aldjann: "Wo wohnt denn dieses schönste Mädchen, das den schönsten Mann der Erde noch an Schönheit übertrifft?!"

Der zweite Aldjann sagte: "Dieses schönste Mädchen wohnt unter meinem Schutz in meinem Turm." Der erste Aldjann sagte: "Natürlich, wenn der schönste Mann in meinem Turm wohnt, muß das schönste Mädchen in dem deinen wohnen. Wie kommt sie denn da hinein?" Der zweite Aldjann sagte: "Das ist eine sehr einfache Sache. Dies schönste Mädchen ist die Tochter des Melik meines Landes. Sie hat durchaus bisher keinen Mann finden können, der ihr zusagt, und da hat der Vater sie denn jetzt, um sie zur Ehe zu zwingen, in meinen Turm einsperren lassen." Der erste Aldjann sagte: "Dies ist allerdings eine eigentümliche Sache. Mein Jüngling ist aus dem gleichen Grunde in meinen Turm gesperrt."

Die übrigen Aldjann riefen: "Dies ist eine ausgezeichnete Sache! Da können wir ja eine neue Tollheit ausführen. Wir legen den schönsten Jüngling dem schönsten Mädchen auf das Angareb." Der



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erste Aldjann sagte: "Ich habe euch gesagt, daß ich den Jüngling liebe und daß ich nicht will, daß man ihm etwas zufüge!" Die übrigen Aldjann verspotteten nun den ersten und sagten: "Du liebst wohl deinen Jüngling so, daß du eifersüchtig bist." Der erste Aldjann sagte: "Versteht mich recht; ich will nur das Beste für meinen schönen Jüngling und will es verhindern, daß ihn ein Unglück treffe." Der zweite Aldjann sagte: "Ist es vielleicht ein Unglück für einen schönen Jüngling, auf dem Angareb eines noch schöneren Mädchens zu erwachen ?" Der erste Aldjann sagte: "Das ist es allerdings nicht."

Nun nahm einer der übrigen Aldjann das Wort und sagte: "Es ist somit ganz klar, daß wir zu entscheiden haben, welcher von diesen beiden Menschen der schönere ist. Wir wollen bei dieser Untersuchung kein Unglück anrichten, sondern wollen uns darauf beschränken, erst den Jüngling zu dem Turm und auf das Angareb des Mädchens, und nachher das Mädchen in den Turm und auf das Angareb des Jünglings zu tragen. Morgen früh sollen beide dann in ihrer gewohnten Umgebung erwachen, und somit kann daraus ein Unglück nicht entstehen." Mit diesem Vorschlage waren alle Aldjann einverstanden, und alle machten sich sogleich an die Ausführung des Unternehmens.

Die Aldjann begaben sich erst in den Turm, in dem der Jüngling wohnte; sie hoben ihn, ohne ihn zu wecken, auf und trugen ihn schnell in den Turm, in dem die Tochter des Melik schlief, und legten ihn neben das Mädchen auf das Angareb. Dazu entzündeten sie ein Licht. Bei dessen Aufflammen aber erwachte das Mädchen, richtete sich auf und sah nun zu seinem Erstaunen den Jüngling neben sich. Da wurde das Mädchen von einer solchen Liebe erfaßt, daß sie nicht anders konnte, als sich über ihn zu beugen und ihn auf beide Backen zu küssen. Das Mädchen sagte leise: "Was ist das? Nun hat mein Vater doch den Mann gefunden, den ich liebe! Und er hat ihn mir so gezeigt. Diesen Jüngling und keinen andern will ich heiraten!" Als das Mädchen das gesagt hatte, fiel sie wieder in tiefen Schlaf.

Die Aldjann nahmen aber nun den Jüngling und trugen ihn in seinen Turm zurück, und sie nahmen das Mädchen und trugen es dem Jüngling nach und legten es in dessen Turm neben ihn auf das Angareb. Sie zündeten wieder ein Licht an, und bei dessen Schein erwachte der Jüngling und sah auf das schöne Mädchen, das neben ihm lag, und er rieb sich die Augen und sagte: "Ein so schönes



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Mädchen habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Sicher hat mein Vater sie gefunden und sie mir heimlich hierher gelegt. Er hat recht gehabt. Dieses Mädchen und kein anderes will ich heiraten." Und der Jüngling zog vorsichtig einen Ring, den er am Finger des Mädchens sah, ab und wechselte ihn mit einem solchen, den er selbst zu tragen pflegte, aus. Nach diesem Ring. tausch fiel er sogleich wieder zurück in festen Schlaf. Die Aldjann nahmen aber das schöne Mädchen auf und trugen es zurück in seinen Turm.

Am andern Morgen erwachte das schöne Mädchen und sah den Ring an seinem Finger. Das schöne Mädchen hatte den Ring an der Hand des Jünglings in der Nacht gesehen. Das schöne Mädchen sagte: "Der schöne Jüngling hat mir meinen Ring genommen, hat mir den seinen gegeben und ist wieder gegangen. Ich werde mit meinem Vater sprechen." Sie sandte darauf ihre Dienerin zu ihrem Vater, dem Melik, und ließ ihn bitten, sie zu besuchen. Der Melik kam. Das Mädchen warf sich vor seinem Vater nieder und sagte: "Mein Vater, verzeihe mir, wenn ich dich durch meine lange Unentschlossenheit gekränkt und dir zuletzt gesagt habe, ich wolle nicht heiraten. Du hast mir nun aber in dieser Nacht einen Jüngling gezeigt, den ich gern zum Gatten nähme - ja, ich kenne jetzt keinen andern Wunsch, als ihn sobald als möglich wiederzusehen." Der Melik war sehr erstaunt und sagte: "Meine Tochter, ich habe dir weder in dieser Nacht noch sonstwann in diesem Turm einen Jüngling gezeigt; ich habe vielmehr strengstens verboten, daß du jetzt mit einem Manne zusammen kommst." Die Tochter sagte: "Mein Vater, ich bitte dich, quäle mich nicht, denn ich bin streng genug bestraft. Führe mich vielmehr möglichst bald dem Jüngling zu, der in dieser Nacht mit mir die Ringe gewechselt hat."

Der Melik ließ sich von seiner Tochter den Ring geben, betrachtete ihn und sagte: "Dies ist ein sehr wertvoller Ring, und die ganze Sache sieht danach allerdings weniger nach einem Traume aus, als ich zuerst glaubte." Der Melik ließ nun die Dienerin holen und besprach mit ihr die Angelegenheit. Sie schwor ihm, daß sie die Schlüssel zum Turm ganz allein in der Tasche gehabt hatte, und außerdem ergab eine Untersuchung der Umgebung des Turmes, daß nirgends eine Spur aufzufinden sei. Der König schüttelte den Kopf, gab seiner Tochter den Ring wieder und sagte ihr, daß er dies alles nicht verstehe. Damit ging er.



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Als der Vater gegangen war, verfiel seine Tochter in ein langes Weinen und schluchzte ununterbrochen vor sich hin. Die alte Dienerin vermochte sie nicht zu trösten, vielmehr verfiel das Mädchen in eine Krankheit, die je länger sie währte, um so hartnäckiger um sich griff. Das schöne Mädchen vermochte zuletzt vor Schmerz und Kummer keine Speise mehr zu sich zu nehmen und genoß nur noch einiges Getränk.

Dem Jüngling erging es fast noch schlimmer. Als er am Morgen nach dem nächtlichen Auftauchen des schönen Mädchens in seinem Turm und auf seinem Angareb erwachte, war das erste, daß er nach dem Finger griff, auf den er den Ring des Mädchens gesteckt hatte. Als er sich erhoben hatte, sandte er zu seinem Vater und ließ ihm sagen: "Ich bin bereit, dies Mädchen zu heiraten und danke dir dafür, daß du sie mir in dieser Nacht gezeigt hast." Der Melik ließ aber antworten: "Ich weiß von keinem Mädchen, das mein Sohn heiraten will, und ich habe ihm auch keins gezeigt." Als der Sohn diese Antwort erhielt, verfiel er in tiefes Nachsinnen. Er sagte nur noch: "Dies ist also eine neue Strafe meines Vaters gewesen!" Und dann sprach er nicht mehr. Von nun an saß der Jüngling auf der Kante des Angareb und blickte unverwandt auf den fremden Ring. Er aß nichts mehr und trank nichts mehr. Er schlief nicht und ging nicht umher.

Nach einigen Tagen ging der Diener zu dem Melik und sagte: "Ich glaube, Herr, dein Sohn, für dessen Wohl ich sorgen soll, ist sehr krank. Er genießt nichts mehr und schläft nicht mehr." Der Melik, der seinen Sohn sehr liebte, sandte sogleich seinen Arzt hin, daß er die Sache untersuche. Als der Arzt aber zu dem schönen Jüngling kam, nahm der gar keine Notiz von ihm und blickte immer nur auf den Ring. Der Arzt versuchte ihm zuzusprechen und fragte ihn, woher er den Ring habe. Der Jüngling gab aber gar keine Antwort. Der Arzt drang weiter in ihn, erreichte aber keinerlei Aussprache. Er blieb nun mehrere Tage in dem Turm mit dem Jüngling zusammen und kehrte endlich tief bekümmert zu dem Melik zurück. Er sagte: "Mein Herr, es ist mir schwer, dir die Wahrheit zu sagen, aber ich muß es tun, da du mich mit der Untersuchung dieser Angelegenheit betraut hast. Dein Sohn, Herr, ist in dem Turm trübsinnig geworden, und es ist fürs erste nicht möglich, irgendeinen Einfluß auf sein Gemüt zu gewinnen. Da er nun aber immer auf einen Ring blickt, den er an der Hand trägt, so nehme ich an, daß seine Krankheit mit diesem in irgendeinem Zusammenhang steht."



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Der Melik erschrak nicht wenig über diese Mitteilung und zog nun Nachrichten über den Ursprung des Ringes ein; aber auch die Leute, welchen man Gelegenheit gab, an dem Jüngling vorbeizugehen und auf den Ring zu sehen, hatten nie dieses Schmuckstück oder auch nur ein ähnliches gesehen. Der Melik ließ seinen Sohn zu sich auf sein Schloß bringen. Er suchte ihm alle Zerstreuungen zu bereiten, die auszudenken waren; aber niemand vermochte es, den schönen Jüngling von dem Hinstarren auf den Ring abzubringen, und da er außerdem nichts mehr zu sich nahm, so siechte er von Tag zu Tag mehr hin. Das erfüllte nun den Melik und alle seine Leute mit solchem Schmerz, daß eine große Trauer über das Haus des Melik und über das ganze Land kam und niemand mehr wagte, sich einer Fröhlichkeit hinzugeben.

Der Melik ließ viele Ärzte kommen und die Sache besehen und besprechen. Es drängten sich immer mehr Ärzte hinzu. Aber als keiner wirklich helfen konnte, bestimmte der Melik, daß jeder Arzt, der den Fall behandeln zu können vorgabe, sich aber ebenso wie die andern nachher als unfähig erwies, getötet werden solle, Es kamen noch einige Ärzte, die ihren Wagemut mit dem Tode bezahlten, und dann blieb der Melik und sein Serail von fernern Besuchen verschont. Nur noch der Amir (Wesir) kam von Zeit zu Zeit, um mit dem Melik Wichtiges zu besprechen. Sonst lag das Serail verlassen da, und das ganze Volk trauerte.

Nun hatte die Amme (Murda), die die Tochter des Melik in ihrem Turm behütete und bewachte, einen erwachsenen Sohn, der war Kaufmann geworden und hatte sich auf einer Reise weit in fremde Länder begeben. Eines Tages kam der Sohn der Amme heim und wurde von dieser unter Tränen der Freude begrüßt. Nachdem er einiges von seiner Reise erzählt hatte, fragte er: "Nun aber erzähle du, meine Mutter, was es bei dir und hier im Lande inzwischen Neues gegeben hat!" Die Murda seufzte und sagte: "Hier haben wir nur eins erlebt und das ist sehr traurig. Als deine Schwester (die Tochter des Melik und der Sohn der Amme wurden als Schwester und Bruder bezeichnet, weil sie am gleichen Quell ihre erste Nahrung nahmen; richtiger wäre also Milchbruder und Milchschwester) alt genug war, verlangte der Melik, ihr Vater, daß sie sich verheirate nach eigener Wahl. Das Mädchen, das inzwischen sehr schön geworden war, konnte sich aber zu keinem Manne hingezogen fühlen, und zuletzt wurde der Melik ungestüm und böse und ließ sie in einen alten Turm einschließen. Ich sollte sie bewachen und behüten, kein



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anderer Mensch, am wenigsten ein Mann, durfte den Turm betreten. Da ereignete es sich, daß deine Schwester eines Morgens mit einem ausgetauschten Ring erwachte und erklärte, sie habe einen wunderbaren fremden Jüngling nachts in ihrer Kammer gesehen -diesen und keinen andern Mann wolle sie heiraten, und von diesem und keinem andern stamme der ausgetauschte Ring. Niemand wußte um den Ring oder den Jüngling. Das schöne Mädchen ist aber seither trübsinnig. Sie ißt nicht mehr und geht dem sichern Tod entgegen."

Der Sohn der Murda sagte: "Meine Mutter, laß mich mit meiner Schwester einige Worte sprechen." Die Mutter sagte: "Mein Sohn, was denkst du! Kein Mann darf in den Turm. Der Melik hat es streng verboten." Der Sohn sagte: "Meine Mutter, leihe mir deine Kleider, ich will nicht als Mann, ich will als Frau hineingehen!" Der Sohn drängte die Mutter. Endlich versprach sie ihn mitzunehmen. So geschah es.

Als der in Frauenkleider gehüllte Sohn nun in den Turm kam, sprach er zu der Tochter des Melik: "Meine Schwester, erschrick nicht! Ich, dein Bruder, bin es. Ich bin gekommen, dich zu bitten, mir den Ring zu zeigen, damit ich durch alle Länder reisen und den Jüngling finden kann, dem der Ring gehört." Die Tochter des Melik sah auf. Sie sagte: "Du bist es, mein Bruder! Mein Bruder, ich danke dir, daß du mir helfen willst." Der Sohn der Murda sah den Ring, er sagte: "Dieser Ring ist nicht aus diesem Lande. Ringe von ähnlicher Art habe ich in fernen, fernen Ländern gesehen." Die Tochter des Melik sagte: "Mein Bruder, glaubst du den finden zu können, von dem dieser Ring eingetauscht ist?" Der Sohn der Murda sagte: "Ich könnte es versuchen und ich glaube, daß es mir gelingen würde!" Die Tochter des Melik sagte: "Was brauchst du dazu?" Der Sohn der Murda sagte: "Ich brauche hierzu zweierlei: einmal mußt du mir den Ring geben, damit ich ihn überall vergleichen kann; dann mußt du mir versprechen, am Leben zu bleiben, bis ich wiederkomme." Die Tochter des Melik sagte: "Du bist mein Bruder. Dir vertraue ich. Nimm den Ring. Ich will nicht sterben, ehe du wiederkommst!"

Der Sohn der Murda nahm den Ring. Der Sohn der Murda ging in den Frauenkleidern aus dem Turm in das Haus seiner Mutter und bereitete sich gleich am andern Tag zu einer langen Reise vor. Er reiste nach jener Richtung, in der er Ringe von dieser Art gesehen hatte, und er reiste in dieser Richtung sehr weit, durch ein



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Land nach dem andern. Hier und da suchte er die Silberarbeiter auf und zeigte den Ring. Nirgends aber wußte man etwas von seiner Herkunft zu sagen.

Als der Sohn der Murda so schon eine weite Strecke und durch viele Länder gereist war, kam er eines Tages in eine sehr große Stadt, in der alle Welt still und geräuschlos einherging. Jeder aber, ob Mann oder Frau, ließ den Kopf hängen und war so traurig, daß der Sohn der Murda bei sich sagte: "In dieser Stadt muß gerade der Melik gestorben, der Melik aber ein sehr guter Mann gewesen sein." Der Sohn der Murda ging also in ein Kaffeehaus und setzte sich dahin, ließ sich eine Schale Kaffee reichen und sagte bei sich: "Auch der Kaffeekoch ist so traurig, als wenn er morgen hingerichtet werden sollte. In dieser Stadt wird niemand von mir und meinem Ring Kenntnis nehmen wollen."

Der Sohn der Murda schlürfte seinen Kaffee und hörte darauf, was die andern Leute sprachen. Er hörte wie ein Mann einen andern begrüßte und sagte: "Es gibt nichts Neues über den Sohn des Melik!" Nach einiger Zeit begrüßten sich wieder zwei Leute vor dem Kaffeehaus mit den Worten: "Es gibt nichts Neues über den Sohn des Melik!" Der Sohn der Murda wartete noch ein wenig und sah dann, wie ein anderer Gast in das Kaffeehaus trat und zum Kaffeekoch sagte: "Es gibt nichts Neues über den Sohn des Melik!"

Der Sohn der Murda sagte bei sich: "Ich habe mich geirrt. Der Melik ist nicht gestorben, aber sein Sohn scheint verschwunden zu sein. Ich werde den Kaffeekoch fragen." Der Sohn der Murda sagte zum Kaffeekoch: "Ich bin ein Fremder." Der Kaffeekoch sagte: "Das hört ein jeder." Der Sohn der Murda sagte: "Wieso hört das ein jeder?" Der Kaffeekoch sagte: "Weil Ihr nicht vom Sohn des Melik sprecht." Der Sohn der Murda sagte: "Höre, mein Freund, und doch ist es das, was mich am meisten angeht. Freund, sage mir, was es ist." Der Kaffeekoch sagte: "Das ist eine sehr traurige Geschichte. Unser Melik hat nur einen Sohn. Den hat er eines Tages verheiraten wollen, hat aber gesagt, der Sohn solle eine Frau nach seinen eigenen Wünschen wählen. Der Sohn des Melik hat kein Mädchen gefunden, das ihm gefallen hat; er fand überhaupt nichts an den Frauen, und darüber wurde der Melik so unwillig, daß er eines Tages seinen Sohn in einen Turm, der von der Welt abgelegen ist, einschließen ließ. Da ereignete es sich aber, daß der Sohn des Melik eines Morgens mit einem fremden Ring am



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Finger erwachte und das Mädchen zur Gattin verlangte, von dem er nachts den Ring eingetauscht hatte. Nun war aber niemand in dieser Nacht in dem Turm als der Sohn des Melik und sein Wachtdiener. Der Sohn des Melik ist aber seither trübsinnig, spricht kein Wort, ißt und trinkt nichts und schwindet hin. Da er nun ebenso schön wie liebenswürdig ist, hat das den Melik und die ganze Stadt in tiefe Trauer versetzt. Der Melik hat einen Wasserlauf mit Palmen und Blumen am Hause des kranken Sohnes ausbauen und anpflanzen lassen, um seinen Sinn durch den fröhlichen Anblick zu erfrischen. Der Melik läßt ihn alle Kostbarkeiten und seltenen Tiere aller Länder sehen. Der Melik hat Ärzte rufen lassen, und viele, viele kamen. Aber keiner kann den trübsinnigen Sohn aufheitern. Er sitzt ununterbrochen über seinen Ring gebeugt und starrt ihn an, und seitdem der Melik auch noch jeden Arzt, der sein Heil vergeblich an dem Kranken versucht, hinrichten läßt, wagt sich auch niemand außer dem Amir (Wesir) in die Nähe des Palastes. Sieh, Fremder, das ist es, was uns alle so traurig macht, daß keiner von uns mehr Freude am Leben findet, und jeder es noch für das beste hielte, wenn der schöne Jüngling weggerafft würde, statt in solcher Umnachtung einherzutasten."

Der Sohn der Murda fragte nach der Richtung, in der der Kanal für den Meliksohn angelegt sei, bezahlte seinen Kaffee und ging. Der Sohn der Murda ging an den Kanal, den der Melik für seinen Sohn angelegt hatte; er sprang hinein und schwamm bis vor das Serail. Auf der Treppe des Palastes war gerade der Melik, seine Gattin, der Amir (Wesir) und andere versammelt. Als der Sohn der Murda den andern nahe genug war, begann er im Wasser zu schreien. Er jammerte und schrie: "Helft! Helft! Ich ertrinke!" Der Melik fragte: "Ist das ein fremder Bursche?" Die Sklaven antworteten: "Ja, es ist ein Fremder!" Der Melik sagte: "Laßt ihn ertrinken!" Der Melik wollte die Sache nicht mehr sehen. Der Amir trat aber zu ihm und sagte: "Verzeiht, Herr! Die Sache mit diesem Mann ist eigentümlich! Wie, wenn er deinem Sohn helfen könnte? Noch niemals ist jemand auf diesem Wege zu deinem Palaste gekommen. Herr, ich bitte dich, laß den Mann retten." Der Melik sagte: "Sende dann ein Boot hinaus und laß ihm helfen."

Der Amir sandte schnell ein Boot vom Ufer ab. Der Sohn der Murda wurde aus dem Wasser gezogen und hineingehoben. Er wurde an Land gebracht, und der Amir sagte: "Nun gehe schnell durch den Palastgang von dannen; sieh nicht rechts und links;



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es könnte dich sonst doch noch das Leben kosten." Dei Sohn der Murda sagte: "Weshalb solle es mir das Leben kosten? Ich tue doch nichts Schlechtes. Und wenn mich der Melik aus dem Wasser hat retten lassen, so wird er mich doch hier nicht in seinem Palast töten lassen!" Der Amir sagte: "Du weißt, daß der Sohn des Sultans schwer krank und trübsinnig ist, und daß jeder Arzt oder wer sonst nach seinem Zustande sieht, getötet wird - es sei denn, daß er den Sohn des Sultans heilen könne, was noch niemand gelang."

Der Sohn der Murda sagte: "Weshalb soll es denn mir nicht gelingen?" Der Amir sagte: "Bist du denn Arzt?" Der Sohn der Murda sagte: "Ja, ich bin Arzt, und die Behandlung des Trübsinns ist meine besondere Kenntnis." Der Amir sagte: "Du bist noch so jung und willst schon dieses Schwierigste vermögen?" Der Sohn der Murda sagte: "Ja." Der Amir sagte: "Du bist noch so jung und willst dich dieser Gefahr, vom Melik getötet zu werden, aussetzen?" Der Sohn der Murda sagte: "Ja." Der Amir sagte: "Dann komm mit mir."

Der Amir führte den Sohn der Murda in den Raum, in dem der Sohn des Melik war. Der Sohn des Melik saß auf dem Angareb und blickte auf den Ring. Der Sohn der Murda sah den Ring in der Hand des Trübsinnigen. Der Sohn der Murda sah, daß dies der Ring seiner (Milch-) Schwester war. Der Sohn der Murda sagte: "Herr, ich bitte dich, laß mich mit dem schönen Jüngling einige Stunden allein." Der Amir ging hinaus und ließ den fremden Burschen mit dem Sohn des Melik allein.

Der Sohn der Murda ging langsam und schweigend zu dem Sohne des Melik. Er setzte sich neben jenen auf das Angareb. Er zog den Ring seiner Schwester aus der Tasche und begann ihn zu betrachten. Er hielt ihn dann vergleichend und ohne ein Wort zu sagen neben den Ring, auf den der Sohn des Melik sah. Die Blicke des Prinzen fielen auf den Ring. Der Sohn des Melik fuhr auf. Der Sohn des Melik sagte: "Das ist mein Ring! Wo hast du diesen Ring her?!" Der Sohn der Murda sagte: "Und du hast den Ring meiner Schwester. Wo hast du den Ring her?" Der Sohn des Melik sagte: "Schnell, mein Freund, sage mir: lebt deine Schwester ?" Der Sohn der Murda sagte: "Meine Schwester lebt. Sie lebt aber nur von der Hoffnung, dich wiederzusehen, und sie hat mich ausgesandt, ihren Ring und dich zu suchen." Der Prinz sagte: "Komm, mein Freund, wir wollen sogleich hingehen!"

Der Sohn der Murda sagte aber: "Mein Freund, so wird es nicht



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gehen. Du bist schwach, weil du lange nichts gegessen hast, und kannst den weiten Weg nicht zurücklegen. Dein Vater wird dir auch nicht die Erlaubnis geben, in diesem Zustande eine so weite Reise anzutreten, und deshalb bitte ich dich, meine Ratschläge zu befolgen und alles zu tun, was ich dir vorschlage. Denn ich tue das nicht nur für dich, ich tue es vielmehr für meine Milchschwester, die auch krank ist wie du, und die nur gesunden wird, wenn sie dich wiedersieht. Es muß mir, der ich um dieser Sache willen diese lange Reise angetreten habe, daran liegen, dich gesund und kräftig zu ihr zu bringen, und deshalb kannst du mir glauben, daß ich nichts anordnen werde, was nicht zu deinem wie meiner Schwester Besten ist. Willst du mir glauben?" Der Prinz fiel nach dieser Rede dem Sohn der Murda um den Hals und sagte: "Oh, ich sehe, daß du der beste Freund, den ich bisher traf, und mein Erretter bist. Ich will mich also mit Geduld in alles fügen, was du anordnest."

Der Sohn der Murda sagte: "Ich danke dir für dein Vertrauen. Vor allem wollen wir dafür sorgen, daß du kräftiger wirst und dich wieder an Speise und Trank gewöhnst. Auch ich habe seit gestern nichts genossen, und so wollen wir uns einige Speisen kommen lassen. Während des Essens, das heißt während die Sklaven uns aufwarten, wollen wir von all dem nichts sprechen, damit wir unsere Wege ungestört gehen können. Nachher werden wir alles andere ordnen. Ist es dir so recht?" Der Prinz sagte: "Es ist mir sehr recht, und nun, wo ich so gute Nachricht habe, verspüre ich selbst wieder Lust nach einem guten Mahle!"

Der Sohn der Murda ging an die Türe, öffnete sie und trat heraus. Draußen saß der Amir noch auf einem Teppich. Der Sohn der Murda sagte zum Amir: "Der Sohn des Melik wünscht mit mir zu speisen. Sorge bitte, daß uns ein gutes Mahl, aber ein Mahl aus lauter leicht verdaulichen Speisen aufgetragen werde, denn der Magen des Prinzen ist durch das lange Fasten geschwächt." Der Amir rief: "Was sagst du? Der Sohn des Melik will speisen?" Der Sohn der Murda sagte: "Gewiß, er will speisen. Und nach dem Essen bringt uns auch einen guten und leichten Wein." Der Amir sagte: "Was ist das? Was ist das?" Der Sohn der Murda lachte und sagte: "Ordne das nur an. Während wir speisen, könnt ihr durch die Türe hereinsehen und könnt dann selbst euch mit eigenen Augen davon überzeugen, daß der Sohn des Melik sein Wesen ganz geändert hat."

Der Amir lief zum Melik und sagte: "Herr, dein Sohn will speisen



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und Wein trinken." Der Melik sagte: "Wie kommt das?" Der Amir sagte: "Der Bursche, den wir aus dem Wasser retteten, ist ein Arzt, der danach verlangte, deinen Sohn zu sehen. Er war nur kurze Zeit bei ihm, dann kam er und verlangte das Mahl!" Der Melik sagte: "Ich kann das noch nicht glauben. Sieh selbst zu, ob das alles richtig gehe!" — Der Amir lief weg. Der Amir sagte bei sich: "Dieser Arzt ist auf eine andere Weise als die andern Ärzte zu uns gekommen. Deshalb glaube ich, daß er leichter Erfolg haben kann als die andern." Der Amir lief hin und bestellte das Mahl. Das Mahl ward bereitet.

Die Speisen wurden auf einer reich geschmückten Platte in den Raum gebracht, in dem sich der Prinz mit dem Sohn der Murda befand. Der Amir sagte zu den Sklaven: "Wenn ihr bedienend aus- und eingeht, laßt die Türe ein wenig offen, so daß man sehen kann, was darin geschieht!" Die Diener taten es. Der Amir sah in den Raum. Da sah er, daß der Prinz mit gutem Appetit in die Speiseschüsseln griff und aß. Der Amir sandte einen Sklaven zum Melik und ließ ihn bitten zu kommen und zu sehen, wie sein Sohn wieder esse. Der Melik wollte es nicht glauben. Er kam aber doch und trat zu dem Amir, und da sah er, daß der Prinz mit gutem Appetit in die Speisen griff und aß. Der Melik schlug die Hände zusammen, schüttelte den Kopf und sagte: "Mein Sohn ißt! Mein Sohn ißt!"

Nachdem sie gegessen hatten, ließ der Sohn der Murda die Speisen abtragen und einen leichten Wein und zwei Becher bringen. Bis dahin hatten der Prinz und der Sohn der Murda nichts gesprochen. Nun begann der Sohn der Murda aber Erlebnisse von seinen Wanderungen und denen anderer Leute zu erzählen. Er wußte das mit froher Laune zu berichten, und nachdem der Prinz eine Zeitlang zugehört und sich in die Weise seines neuen Freundes hineingefunden hatte, begann er vor Fröhlichkeit laut zu lachen. Das hörten und sahen aber der Melik und der Amir, die draußen standen und durch die Türspalte hereinschauten. Und als der Prinz immer lauter und fröhlicher lachte, fiel der Melik seinem Amir um den Hals und weinte Tränen der Freude.

Einige Zeit nachher sagte der Sohn der Murda: "Mein Freund, für heute ist es genug. Lege dich nun hin und schlafe, damit du Kraft und weitere Gesundheit gewinnst. Ich aber will hinausgehen und mich nach einem Platze für die Nacht umsehen." Da erschrak der Prinz und sagte: "Mein Freund, ich bitte dich, tue mir das nicht. Ich will noch ein besseres Angareb hereinbringen lassen; darauf



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lege dich und schlafe bei mir!" Der Sohn der Murda sagte: "Es ist mir recht; ich bleibe auch am liebsten in deiner Nähe." Danach ließ der Prinz noch ein anderes Angareb hereinbringen, dann legten sich beide nieder und ließen die Sklaven die Türe schließen.

Einige Zeit nachdem die Diener die Tür geschlossen hatten, sagte der Prinz: "Mein Freund, ich bitte dich, erzähle mir nur noch ein wenig von deiner Schwester und von dir selbst. Dann will ich auch schlafen." Der andere sagte: "Das will ich gern tun und will bei mir beginnen. Ich bin der einzige Sohn einer guten Frau, die in der Zeit, da die Gattin unseres Melik in der Hoffnung war, mit mir schwanger ging. Die Gattin des Melik und meine Mutter wurden gleichzeitig entbunden, und als die Gattin des Melik gleich darauf starb, ward meine Mutter die Amme der Tochter des Melik. Diese Prinzessin nun erlebte ein Schicksal, das genau dem deinen entspricht. Als sie keinen geeigneten Gatten fand, ließ ihr Vater sie in den Turm bringen, in dem sie dann eines Nachts dich sah, wie du sie hier erblicktest. Als sie am andern Morgen erwachte, war der Ring an ihrem Finger vertauscht, und als niemand imstande war, diese Sache aufzuklären, verfiel sie in Krankheit. Ich aber entschloß mich, dich zu suchen, und du weißt, wie ich zu dir gekommen bin." Der Prinz sagte: "Ich danke dir!" Und danach fiel er in Schlaf.

Als der Prinz am andern Morgen erwachte, fühlte er sich schon viel kräftiger und sehr glücklich. Er verabredete nun mit seinem Freunde, daß sie noch einige Zeit der Kräftigung abwarten und dann im geheimen die Reise nach dem Lande der Prinzessin antreten wollten. Der Sohn des Melik sorgte nun aufmerksam für sein körperliches Wohlbefinden, von dem der Sohn der Murda den Zeitpunkt der Abreise abhängig gemacht hatte. Er sprach in dieser Zeit mit niemandem als mit dem Sohne der Murda und weigerte sich auch, seinen Vater, den Melik, zu sehen. Er hielt so alle unnötigen Frager fern und erklärte eines Tages seinem Freunde, stark genug zu sein, um die Anstrengungen der weiten und beschwerlichen Reise zu ertragen.

Der Sohn der Murda begab sich hierauf zum Melik, der ihn in ehrenhafter und aufmerksamer Weise empfing, der ihm für das, was er an seinem Sohne schon bewirkt hatte, dankte und fragte, was er nun weiter für gut erachte, um die Genesung bis zu Ende zu führen. Der Sohn der Murda sagte: "Dein Sohn hat seit einigen Tagen den Wunsch geäußert, in altgewohnter Art wieder einmal auf



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die Jagd auszureiten. Ich halte ihn nun nicht nur für kräftig genug, eine solche Unternehmung zu ertragen, sondern glaube auch, daß diese Abwechslung das Fortschreiten der Genesung nur fördern kann. Natürlich wird es gut sein, wenn ich seinem Wunsche gemäß ihn begleite, und somit bitte ich dich, uns für vierzehn Tage Soldaten als Wachen und Lasttiere und Zelte, nebst allem, was zu einem Jagdausflug in die Wüste gehört, zur Verfügung zu stellen." Der Melik war durch diese Anzeichen fortschreitender Besserung nur erfreut und erklärte sich zu allem bereit.

Am andern Morgen war schon alles hergerichtet, und der Melik sah mit dem Amir vom Dache des Gasr aus zu, wie der Prinz an der Seite seines neuen Freundes und an der Spitze der Reiter in die Wüste hinausritt. Der Sohn des Melik ritt nun mit dem Sohn der Murda weit hinaus in die Wüste, bis sie nach mehreren Tagen an die Grenze des Landes kamen. Sie jagten hier und da, hatten auch sonst allerhand Spiele angeordnet, führten einen guten Koch mit sich und genossen somit ein angenehmes Leben, bei dem sich der Sohn des Melik vorzüglich erholte. Als sie nun eines Nachts an der Grenze des Landes übernachteten und alle Leute und auch die Reiter in tiefem Schlafe lagen, weckte der Sohn der Murda den Sohn des Melik und sagte: "Wach auf! Es ist Zeit, daß wir die Reise zu meiner Schwester antreten. Wir wollen einfache Kleider anziehen und den Schlaf der Wächter dazu benutzen zu entweichen." Die beiden jungen Leute erhoben sich. Der Sohn der Murda ging hinaus, erlegte ein vorüberspringendes Kaninchen mit dem Speer und rieb dann seine und des Prinzen Kleider mit dessen Blute ein. Er warf die Kleider im Kreise umher, zertrat den Boden, so daß es aussah, als ob ein Kampf hier stattgefunden habe, und eilte mit dem Prinzen der Grenze des Landes zu von dannen.

Als die Wächter am andern Morgen erwachten, erschraken sie sehr beim Anblick der blutigen Kleider und leeren Angarebs ihrer Herren. Sie sahen den zertretenen Boden und meinten nun nicht anders, als irgendwelche feindlichen Menschen oder Tiere hätten den Prinzen und seinen Freund ermordet und weggeschleppt, und nachdem sie noch einige Tage gewartet und die Gegend abgesucht hatten, kehrten sie mit den blutigen Kleidern sehr niedergedrückt in die Heimat zurück. Der Melik war von der Nachricht, die ihn plötzlich traf und alle seine Hoffnungen völlig vernichtete, tief erschüttert und mit ihm das ganze Land. Je größer allenthalben die Freude bei den Nachrichten über das Aufwachen des Prinzen aus



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seiner Krankheit gewesen war, desto schlimmer war der Schrecken, der sich aller bei Ausbreitung der Nachricht bemächtigte. Aber niemand konnte an diesem Tatbestand etwas ändern. Der Melik ließ die schläfrigen Wachen gefangen setzen und verhängte das Todesurteil über sie, aber damit war auch nichts erreicht. Alle Welt glaubte, der Prinz und sein Freund seien getötet.



***
Inzwischen eilte der Sohn der Murda schnell mit seinem Freunde über die Grenze und durch andere Länder von dannen, der Heimat der Prinzessin entgegen. Sie benötigten trotz aller Eile, mit der sie die Sache betrieben, mehrere Monate, bis sie endlich anlangten. Der Sohn der Murda brachte den Prinzen in das Haus seiner Mutter, die über seine Rückkehr um so glücklicher war, als sie in dem Antlitz des schönen Begleiters ihres Sohnes sogleich alle Merkmale jenes Jünglings erkannte, die die Tochter des Melik ihr geschildert hatte. Am andern Tag zog der Sohn sogleich wieder Frauenkleider an und begab sich in den Turm zu der Prinzessin. Die Tochter des Melik sah den verkleideten Sohn der Murda und schrie auf. Die Prinzessin sagte: "Mein Bruder, du hast mir das Versprechen abgenommen, daß ich bis zu deiner Rückkehr noch am Leben bleiben solle. Du bist fortgegangen, um den schönen Jüngling zu suchen, dem der Ring gehört. Sage mir schnell, ob du ihn gefunden hast oder nicht!"

Der Sohn der Murda öffnete die Hand, in der er die beiden Ringe hielt. Die Tochter des Melik schrie wieder auf. Sie rief: "Du hast ihn gefunden! Wo ist er?" Der Sohn der Murda sagte: "Ja, meine Schwester, ich habe den schönen Jüngling gefunden; er ist der Sohn eines Melik. Als ich ihn fand, war er abgehärmt wie du es noch jetzt bist. Er wird in wenigen Tagen ankommen. Sorge nun dafür, daß du bis dahin auch wieder kräftiger bist und daß du dich erholst. Denn er ist ein so schöner Jüngling, daß nur eine ebenso schöne Gattin seiner würdig ist. Wie du nun aber schnell zu Kräften kommst, das will ich mit meiner Mutter, deiner Murda, besprechen." Damit nahm er von seiner Milchschwester Abschied und kehrte zu dem Haus seiner Mutter zurück, die die Pflege des schönen Mädchens übernahm.

Der Sohn der Murda ging hierauf zum Melik. Der Melik empfing ihn und sagte: "Was wünschest du? Du bist der Sohn der Murda meiner Tochter, sage mir, was du für Wünsche hast." Der Sohn der Murda sagte: "Verzeihe mir, Herr, wenn ich eine Frage wage."



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Der Melik sagte: "Du bist der Sohn der Murda meiner Tochter; du darfst manches fragen, was ein anderer nicht dürfte." Der Sohn der Murda sagte: "Du hast deiner Tochter früher gestattet, einen Gatten nach eigener Wahl zu nehmen. Würdest du das heute noch erlauben?" Der Melik zog die Stirn in Falten und sagte: "Meine Tochter hat im Laufe der Zeit ihre Gesundheit verloren." Der Sohn der Murda sagte: "Deine Tochter hat sie wiedergefunden." Der Melik sagte: "Was sagst du?" Der Sohn der Murda sagte: "Deine Tochter hat ihre Gesundheit wiedergefunden. Du kannst sie selbst sehen. Geh aber noch nicht zu ihr herein, sondern blicke nur durch die halbgeöffnete Tür." Der Melik sagte: "Ich komme sogleich mit dir."

Der Melik ging mit dem Sohn der Murda hinüber zu dem Turme, in dem seine Tochter wohnte. Er blickte durch die halbgeöffnete Tür. Da sah er, wie seine Tochter mit der Murda speiste und zwischendurch laut und fröhlich lachte. Der Melik ging leise, wie er gekommen war, hinaus und fragte den Sohn der Murda: "Nun sage mir schnell, wer diese Wandlung erreicht hat und wie sie eintrat." Der Sohn der Murde sagte: "Niemand kannte den, den deine Tochter zuletzt doch noch zum Gatten gewählt hatte. Ich bin dann auf die Wanderschaft gegangen, habe ihn gesucht, gefunden und mitgebracht. Es ist der Sohn eines mächtigen Melik. Deine Tochter hat ihn noch nicht wiedergesehen, denn sie muß erst ihre alte Gesundheit wiedergewinnen. Dann aber bitte ich dich, ihre Hochzeit vorzubereiten."

Der Melik bereitete ein großes Fest vor. Mit vielen Lampen und Lichtern ward eines Nachts der große Rasenplatz im Garten des Melik erhellt. Allenthalben waren Blumen aufgestellt, die ihren Duft weithin verbreiteten. In der Mitte des Kreises saß der Melik auf einem reichen Teppich. Unter den Lichtern des Kreises hatten alle Angesehenen und Vornehmen des Landes Platz genommen, und nur zur Rechten und Linken des Melik an entgegengesetzten Seiten hatte man einen Torbogen freigelassen, durch welchen der Prinz und die Prinzessin auf ihren Pferden mit ihrem Gefolge hineinkommen sollten. Alle Leute wußten aber, daß beide seit jener Nacht, in der ihre Ringe gewechselt waren, einander nicht wiedergesehen hatten.

Der Melik wartete, bis alle Angesehenen sich im Kreise gelagert hatten. Der Melik gab ein Zeichen, daß alle schweigen sollten. Dann erhob er sich. Darauf kamen zu den beiden Pforten die Kinder



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der Melik hinein, zur einen der Prinz, zur andern die Prinzessin. Sie kamen in der Mitte zusammen. Sie wurden von den Pferden gehoben. Sie sahen sich an, und beide begannen zu weinen. Niemand sprach, aber alle dachten: "Zwei schönere Menschen hat es auf der Erde noch nicht gegeben." Der Melik aber schloß sie in seine Arme.



15. Der Hengst Houssan*

Ein Sultan heiratete. Seine Gemahlin ward schwanger. In der Zeit, da seine Gattin sich schwanger fühlte, ward auch das beste Pferd des Sultans, eine Stute trächtig, und in der Nacht, in der die Gattin des Sultans dem Sultan einen Sohn gebar, warf die Stute ein Fohlen, das war männlich. Der Sohn des Sultans und der kleine Hengst wuchsen gemeinsam auf. Der Sultan nannte das Fohlen Houssan und schenkte es seinem kleinen Sohne. Jeden Morgen nun, wenn der Knabe aufstand, war es sein erstes, daß er zu dem Pferde lief und es streichelte. Eines Tages nun lag die Gemahlin des Sultans im Sterben, und sie rief kurz vor ihrem Verscheiden noch einmal ihren Sohn zu sich und sagte: "Mein Sohn, was dir auch immer im Leben zustoßen möge, halte dich immer an Houssan." Dann starb die Frau des Sultans.

Der Sultan heiratete nach kurzer Zeit eine andere Frau. Diese konnte den kleinen Sultanssohn nicht leiden, und nachdem sie selbst dem Sultan einen andern Sohn geschenkt hatte, beschloß sie, den Stiefsohn zu töten. Der Knabe ging aber jeden Morgen, wenn er aus der Schule kam, zu seinem Houssan, streichelte ihn, gab ihm gute Worte und ging dann erst in das Haus, um sein Essen zu nehmen.

Eines Tages kam der Bursche wieder aus der Schule. Er ging in den Stall, streichelte Houssan und gab ihm gute Worte. Da wandte Houssan den Kopf, rieb die Stirne an der Brust des Burschen und sagte: "Mein Schatr Mohammed! Iß heute nichts von der Speise deiner Stiefmutter, denn deine Stiefmutter hat Gift hineingetan." Der Bursche umarmte sein Pferd und ging hinein. Als ihm das Essen aufgetragen wurde, erklärte er, sich nicht wohl zu fühlen Lind ging von dannen, angeblich, um einen Arzt aufzusuchen, in Wahrheit aber, um bei einem Freunde zu speisen. Mit dem Freunde 

Der Hengst heißt Hossan. Hossan = Pferd. Der Jüngling wird im Märchen auch Schatr Hossan genannt.


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verabredete Schatr Mohammed nun, daß er stets bei ihm essen wolle, da er von nun ab das Essen seiner Stiefmutter vermeiden wolle.

An jedem Tage aber ging Schatr Mohammed, wenn er aus der Schule kam, zu dem Stalle seines Hengstes. Eines Tages streichelte er wieder Houssan und gab ihm gute Worte. Da wandte Houssan seinen Kopf, rieb die Stirne an der Brust des Burschen und sagte: "Mein Schatr Mohammed! Nimm nicht das Kleid, das deine Stiefmutter dir hingelegt hat. Deine Stiefmutter hat Zaubermittel in das Kleid genäht. Wenn du es anziehst, wirst du sterben." Der Bursche umarmte sein Pferd und ging in das Haus. Im Hause überreichten die Sklaven ihm ein schönes Kleid. Der Bursche aber sagte: "Ich danke für das Kleid, das sehr schön ist. Ich habe aber eine Verpflichtung auf mich genommen, daß ich nämlich bis zu einer gewissen Zeit nur alte Kleidung tragen will." Darauf ging Schatr Mohammed, um bei seinem Freunde zu essen.

Die Leute, die Schatr Mohammed das Kleid gebracht hatten, kamen nun zur Gemahlin des Sultans und sagten: "Schatr Mohammed will das Kleid nicht annehmen, weil er eine gewisse Verpflichtung auf sich genommen hat." Die Gemahlin des Sultans sagte: "Gut denn, laßt den Burschen in Lumpen gehen." Die Gemahlin des Sultans sagte aber bei sich: "Dieser Bursche muß jemand haben, der ihn warnt. Ich werde der Sache nachgehen." Die Gemahlin des Sultans sprach also mit einem der alten Sklaven nach dem andern über die Freunde des Sultansohnes und über alle, die ihm besonders nahe standen. Der eine führte diesen an, der andere jenen. Ein alter Sklave aber sagte: "Der beste Freund, den Schatr Mohammed hat, ist sein Pferd Houssan. Dieses wurde am selben Tage wie er von der Lieblingsstute des Sultans geboren. Jeden Tag, wenn Schatr Mohammed aus der Schule kommt, geht er erst zu dem Hengst und spricht mit ihm."

Die Gemahlin des Sultans erwog alles, was die Leute gesagt hatten und sprach bei sich: "Es muß dies Pferd Houssan sein, das den Burschen berät. Der Hengst muß sterben!" Die Frau des Sultans legte sich auf das Angareb und sagte: "Ich bin krank. Ruft mir den alten Arzt, der mich von Kindheit an kennt." Die Leute riefen den alten Arzt, und als er kam, sagte die Frau des Sultans zu ihm: "Mein Arzt, du kennst mich von Jugend auf. Mein Arzt, du weißt, daß ich von Zeit zu Zeit erkranke und dann nur wieder gesunde, wenn mir ein bestimmtes Gelüst, das mit der Krankheit aufkommt,



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gestillt wird. Ich bin nun wieder erkrankt und fühle, daß ich nur dann gesund werden kann, wenn ich die Leber des Houssan (= Pferd i. arab.) Schatr Mohammeds genieße. Also bitte ich dich, zu meinem Gatten, dem Sultan, zu gehen und ihm mitzuteilen, daß ich erkrankt sei und nur wieder gesund werden könne, wenn ich die Leber des Houssan als Kräftigungsmittel und Medizin erhalte." Der alte Arzt sagte: "Ich will zum Sultan gehen und will es ihm sagen."

Der alte Arzt ging zum Sultan und sagte: "Deine Gattin ist schwer erkrankt. Ich war bei ihr und kann sagen, daß sie nur dann geheilt werden kann, wenn man ihr die Leber des Houssan deines Sohnes Schatr Mohammed gibt." Der Sultan sagte: "Ich bedaure die Krankheit meiner Gattin sehr und wünsche, daß sie bald gesund werden möge. Ich kann aber nicht anordnen, daß man den Houssan meines Sohnes töte, denn der Houssan gehört eben meinem Sohne, der jetzt in der Schule ist. Wenn er aber aus der Schule kommt, soll man meinen Sohn sogleich zu mir rufen, und ich werde ihn dann selbst bitten, seinen Houssan herzugeben." Der Arzt ging zur Gattin des Sultans zurück und berichtete ihr.

Die Gattin des Sultans sagte zu ihren Leuten: "Geht Schatr Mohammed entgegen, wenn er aus der Schule kommt. Trefft ihn, ehe er noch in den Stall seines Houssan getreten ist und sagt ihm, daß der Sultan verlange, ihn ungesäumt zu sprechen." Die Leute gingen. Die Leute trafen Schatr Mohammed, als er aus der Schule kam. Sie sagten zu ihm: "Der Sultan läßt dir sagen, du sollst ohne Säumnis sogleich zu ihm kommen." Schatr Mohammed sagte: "Geht und sagt meinem Vater, daß ich sogleich zu ihm kommen werde. Ich will aber erst meinen Houssan begrüßen." Die Leute der Stiefmutter sagten: "Du sollst sogleich und ohne Versäumnis zu ihm kommen. Geh also nicht erst zu deinem Houssan!" Der Sohn des Sultans aber wurde zornig und sagte: "Wer seid ihr, Sklaven meiner Stiefmutter, daß ihr es wagt, mir meine Wege vorzuschreiben! Wenn mein Vater, der Sultan, so eilig mit mir sprechen wollte, würde er nicht euch zu mir schicken, sondern seine eigenen Leute. Macht daß ihr wegkommt und mich nicht auf meinem Wege belästigt, ihr Giftmischer!" Darüber erschraken die Leute, liefen schnell von dannen und erzählten alles der Gattin des Sultans. Die Gattin des Sultans sagte: "Wenn ich nur die Leber des Houssan erhalte und gesund werde!"

Schatr Mohammed aber trat in den Stall Houssans, streichelte den Hengst und sagte: "Was gibt es wieder, mein Houssan, mein



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Freund, mein Bruder?" Der Hengst rieb seine Stirn an der Brust des Burschen und sagte: "Mein Schatr Mohammed! Deine Mutter will meine Leber essen, hat angegeben krank zu sein und vom Sultan meinen Tod verlangt. Dein Vater will mich aber nicht ohne deinen Willen töten lassen. Er will mein Leben von dir erbitten. Geh zu ihm. Wenn er dich um mein Leben bittet, sage es ihm zu, verlange aber, daß man dir erlaubt, erst noch einmal in deinen besten Kleidern auf mir um die Stadt zu reiten. Er wird es erlauben, und dann wird alles andere von selbst erfolgen." Schatr Mohammed streichelte seinen Hengst und ging.

Der Sultan empfing seinen Sohn und sagte: "Mein Sohn, wie ich höre, ist meine Gemahlin schwer erkrankt. Der Arzt sagt, sie könne nur dadurch geheilt werden, daß sie die Leber deines Hengstes genieße. Ich bitte dich also, den Hengst töten zu lassen und verspreche dir dafür ein anderes gutes Pferd. Ich weiß, das dir dies schwer fallen wird, aber ich will versuchen, dir hierin und auch sonst Ersatz zu schaffen." Schatr Mohammed sagte: "Mein Vater! da du mich um dieses bittest, will ich es gern tun. Vorher will ich aber von meinem Houssan Abschied nehmen und will mit ihm einmal um die Stadt reiten. Nachher kann deine Gattin den Houssan töten. Ich hoffe, mein Vater, daß du hiermit einverstanden bist." Der Sultan sagte: "Gewiß, mein Sohn! Dieses ist ein berechtigter Wunsch." Der Sohn des Sultans ging.

Der Sultan sandte zu seiner Gemahlin und ließ ihr sagen, daß sein Sohn nur noch einmal auf seinem Houssan um die Stadt reiten und ihn ihr dann ausliefern wolle. Die Gattin des Sultans hörte das und rief einige ihrer ergebensten Leute. Die Gattin des Sultans sagte: "Macht euch bereit mit Pferden und Waffen. Wenn Schatr Mohammed nachher ausreitet, folgt ihm in einiger Entfernung. Wenn er in die Wüste entfliehen will, jagt aber hinter ihm her und tötet sogleich ihn und sein Pferd. Hütet euch aber, daß jemand euch sieht!" Die Leute sagten: "Meine Herrin! Es soll geschehen!"

Schatr Mohammed zog seine besten Kleider an und nahm seine Waffen. Dann ging er in den Stall und sattelte den Houssan. Er streichelte ihn und bestieg ihn. Er sah, daß in einiger Entfernung bewaffnete und berittene Leute standen, und, als er zum Stadttor hinausritt, ihm folgten. Schatr Mohammed ritt ein Stück weit um die Stadt. Die bewaffneten Reiter hielten sich immer in einiger Entfernung. Als der Sohn des Sultans so eine Weile geritten war, wandte Houssan den Kopf und sagte: "Mein Schatr Mohammed!



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Nun sitze fest! Sieh, wie hinter uns Leute kommen, die uns verfolgen und töten wollen. Sitze also fest. Ich werde dich durch die Wüste aus dem Lande heraustragen." Schatr Mahommed sagte: "Es ist gut! Ich sitze fest!" Houssan sprang einige Schritte von der Stadt weg der Wüste zu. Sogleich setzten die nachfolgenden Reiter ihre Pferde in Bewegung. Houssan lief aber nun mit einer Geschwindigkeit hinaus, die kein anderes Pferd einhalten konnte; und die Leute der Gattin des Sultans mochten ihre Pferde antreiben und peitschen wie sie wollten, sie hatten nach einigen Augenblicken doch den Schatr Mohammed aus den Augen verloren. Sie gaben also die Verfolgung bald auf, kehrten in die Stadt zurück und teilten der Gattin des Sultans mit, daß Schatr Mohammed entronnen sei.

Houssan rannte mit seinem Herrn von dannen, bis er über die Wüste und das Land des Sultans hinaus war; dann trug er ihn vor die Tore einer andern großen Stadt und blieb stehen. Houssan sagte zu seinem Herrn: "Mein Schatr Mohammed! Steige hier ab, lege deine schönen Kleider und Waffen ab und befestige sie auf meinem Rücken. Ziehe dann aus meiner Mähne sieben Haare und bewahre diese auf. So oft du diese sieben Haare zwischen den Handflächen reibst, werde ich zur Stelle sein und dafür sorgen, daß dir jeder nur erdenkliche Wunsch erfüllt werde. Gehe nun aber in ärmlicher Kleidung in diese Stadt und vergiß nicht, daß du immer, wenn du mich brauchst, mich rufen kannst." Darauf umarmte Schatr Mohammed seinen Houssan. Houssan sprang dann auf und war sogleich verschwunden.

Der Bursche aber ging in einer ärmlichen Kleidung, unter der niemand den Sultanssohn gesucht hätte, in die Stadt. Er begab sich zu dem großen Garten, in dem das Gasr des Sultans dieser, Stadt und dieses Landes lag und trieb sich darin herum, bis er dem Gärtnermeister begegnete. Als der Gärtnermeister den fremden, elend gekleideten Burschen sah, fuhr er ihn an und sagte: "Bursche, wie kannst du dich unterstehen, im Parke des Sultans einherzugehen!" Schatr Mohammed sagte: "Verzeiht, Herr! Aber ich bin bei einem andern Sultan der Gehilfe des Gärtners gewesen; ich habe da allerhand gelernt, und deshalb brannte ich darauf, den Garten zu sehen, der unter deiner Leitung steht, zumal alle großen Kaufleute deine Kunst, wie ich sehe, mit sehr viel Recht hoch gepriesen haben."

Der Gärtner wurde dadurch geschmeichelt und fragte Schatr Mohammed: "Bei wem hast du denn in Diensten gestanden?"



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Darauf nannte der Bursche den Namen des Gärtners seines Vaters. Sein Vater hatte aber große Liebe zu seinen Gärten und hatte deshalb immer Gärtner, deren Namen weit über die Grenzen seines Reiches hinaus bekannt waren. Als der Gärtnermeister nun dies vernahm, sagte er: "Mein Bursche! Du kommst allerdings aus einer guten Schule und es freut mich, wenn du dennoch meinen Garten schöner findest als den deines bisherigen Herrn." Schatr Mohammed sagte: "Herr, darüber kann kein Zweifel sein, und Ihr würdet mich außerordentlich glücklich machen, wenn Ihr mir erlaubtet, einige Jahre in Eurem Garten zu arbeiten. Ich würde Euch dankbar sein, wenn ich dies dürfte, und es würde mir völlig genügen, wenn Ihr mich mit einfacher Speise und Kleidung in den Stand setztet, meine Kenntnisse in Eurem Dienste zu vervollständigen." Der Gärtner nahm den Burschen unter so angenehmen Bedingungen gern auf und zog gleich Nutzen aus ihm, indem er ihn fragte, wie er diese und jene Pflanze behandle und welche Veränderungen er nach den Lehren seines frühern Herrn vorschlagen könne. Der Bursche gab ihm geschickte Antwort, und der Gärtner sagte: "Ich sehe, daß alle guten Gärtner es gleich machen. Ich habe nämlich diese Veränderungen für die nächste Zeit vor." Am andern Tage ging der Gärtner aber zum Sultan und brachte die Vorschläge über die Veränderungen im Garten vor. Und der Sultan, erfreut über die glücklichen Gedanken, die sein Gärtner ganz gegen sonstige Erfahrungen an den Tag legte, erklärte sich damit sehr einverstanden.

Einige Zeit, nachdem Schatr Mohammed in den Dienst des Gärtners getreten war, wurde vor den Toren der Stadt ein großes Fest abgehalten, und alle Welt zog hinaus. Der Gärtner übergab dem Burschen die Aufsicht über den Garten und ritt auch hinweg. Als Schatr Mohammed aber allein war, gedachte er mit Sehnsucht seines Houssan, und da er sich heute unbeobachtet glaubte, ging er an einen kleinen Teich, der hinter dem Gasr des Sultans lag, entkleidete sich und nahm ein Bad. Nun hatte der Sultan aber sieben Töchter, und die jüngste derselben, die auch die schönste und klügste war, saß gerade am Fenster und sah, wie der ärmliche Gärtnerknabe sich entkleidete. Sie sah, wie schön er war und wie er sich beim Baden im Wasser zu benehmen wußte, ganz im Gegensatz zu der Art der niedern Leute. Als Schati Mohammed sich aber gebadet hatte, nahm er die sieben Haare aus der Mähne seines Hengstes und rieb sie. Da kam Houssan durch den Garten dahergerannt. Der Bursche umarmte ihn und begrüßte ihn mit freundlichen Worten.



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Er legte die schönen Kleider und Waffen an und ritt nun um den See herum, und alles das sah die jüngste Tochter des Sultans. Sie war aber dadurch nicht nur sehr erstaunt, sondern sie gewann den schönen und merkwürdigen Gärtnerburschen auch sehr lieb.

Nachdem Schatr Mohammed sich eine gute Weile so ergötzt hatte, stieg er ab, legte Waffen und Kleider ab und nahm von seinem Houssan Abschied. Der Hengst rannte von dannen, und der Bursche legte seine ärmliche Kleidung wieder an. So fand ihn auch der Gärtner, als er wieder heimkehrte. Der Gärtner sah aber auch die Spuren, die Houssan mit seinen Hufen in die Wege geschlagen hatte, und er fuhr den Burschen an: "Bursche, wie kannst du es dulden, daß hier auf den Wegen geritten wird! Wer war das?" Schatr Mohammed sagte: "Es war ein fremder Reiter, der hereinkam. Ich bin zu jung und unansehnlich, um ihn hinausweisen zu können." Der Gärtner aber strafte den Burschen. Alles das sah und hörte die jüngste Tochter des Sultans, und sie sandte nun täglich für den Gärtnerburschen eine gute Speise, da sie sich sagte, daß dieser von früher her eine bessere Kost gewöhnt sei. Der Gärtner nahm die gute Speise aber immer dem Überbringer ab, verzehrte sie selbst und gab dem Burschen schlechte Nahrung. Dieses währte aber drei Jahre.

Eines Tages kam die älteste Tochter des Sultans zu ihrem Vater und sagte: "Mein Vater, vergiß nicht, daß du sieben Töchter hast, die nun alle alt genug sind um zu heiraten. Der Sultan sah seine Tochter an und sagte: "Ich sehe, meine Tochter, daß du recht hast! Ich werde ein Fest veranstalten, an dem alle Männer der Stadt anwesend sein sollen. Sie werden dann an euch vorüberziehen, und ihr könnt dem, den ihr zum Gatten erwählt, euer Taschentuch zuwerfen." Die älteste Tochter dankte ihrem Vater und ging.

Der Sultan versammelte nun seine Leute und gab die Anordnungen zu dem großen Feste. Es wurde ein Mahl veranstaltet, und darauf zogen alle Männer an dem Fenster vorüber, an dem die Töchter des Sultans saßen. Einige ritten auf Pferden, andere auf Kamelen, andere auf Eseln und einige gingen zu Fuß. Eine der Töchter des Sultans nach der andern erwählte sich einen angesehenen Mann, warf ihm ihr Taschentuch zu und erkor ihn so zum Gatten. Als alle Männer vorübergezogen waren, hatten die ersten sechs Töchter ihre Wahl getroffen. Die jüngste hielt ihr Taschentuch noch in der Hand. Der Sultan wandte sich an sie und sagte: "Was ist es, meine Tochter! Alle Männer sind vorübergekommen; du hast dir aber keinen Gatten erkoren. Willst du denn nicht



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heiraten?" Die jüngste Tochter sagte: "Gewiß, mein Vater, würde ich gern heiraten, aber ich denke, es sind wohl noch nicht alle Leute der Stadt vorübergekommen." Der Sultan fragte seine Leute, wie es sich damit verhielte; die aber sagten: "Es sind alle bis auf den Gärtner und seinen Burschen hier gewesen." Der Sultan lachte und sagte: "Dann sollen diese beiden auch vorübergehen!" Der Gärtner und sein Bursche kamen nun; als sie aber unter dem Fenster der Töchter des Sultans waren, warf die jüngste Tochter dem Gärtnerburschen in der ärmlichen Kleidung ihr Taschentuch zu.

Der Sultan sah dies und wurde sehr zornig. Der Sultan sagte: "Sind nicht genug gute Leute hier gewesen? Willst du mich zum Narren halten? Glaubst du, daß ich diesem Schwiegersohne einen Platz neben seinen Schwägern geben werde?" Die jüngste Tochter sagte: "Du hast jeder von uns die Erlaubnis gegeben, sich einen Gatten zu wählen. Das habe ich getan. Was du nachher mit uns tun willst, hast du nicht gesagt." Der Sultan ward noch zorniger und sagte: "Ist das der beste Mann, den du hast finden können?" Die Tochter des Sultans sagte: "Ja, es ist so!" Der Sultan veranstaltete darauf für seine ältesten sechs Töchter ein großes Hochzeitsfest, die jüngste und ihren Gatten wies er aber aus seinem Haus und in das Quartier der Sklaven.* 

* Folgende eingeschobene Darstellung war nur in einer der mir vorgetragenen beiden Varianten erhalten und scheint mir somit eher aus der Geschichte Nr. II übernommen zu sein. Da sie aber durch ihr Vorkommen an dieser Stelle, die auch sonst schon nachweisbare Verwandtschaft mit Nr. II und somit der Goroba Dike-Version (s. Bd. VI S. 171 ff.) noch weiter beweist, füge ich die Inhaltsangabe dieses Fremdkörpers hier bei:

Der Sultan wird infolge der Wahl seiner Tochter krank. Der Arzt verordnet Gazellenmilch. Die sechs reichen Schwiegersöhne marschieren nach der Steppe. Der siebente wandert langsam hinterher, reibt, als er allein in der Wüste ist, die sieben Haare und wünscht sich ein großes fürstliches Zeltlager mit weiblichen milchenden Gazellen. Es entsteht. Der Jüngling weilt in diesem Zauberlager, als die sechs Schwäger erfolglos von der Jagd heimkehren und nimmt sie gastlich auf. Sie erkennen ihn nicht, sehen die Gazellen und erbitten Gazellenmilch. Sie erhalten das Gewünschte, bringen es heim, finden aber, daß es keine Wirkung hat. Der Mann der Jüngsten nimmt gute Gazellenmilch, läßt das Zauberlager verschwinden und kommt dann in alter Weise als Kümmerling heim. Er sendet die gute Gazellenmilch durch seine Frau, heut zwar seinen königlichen Schwiegervater, findet aber dennoch keine Anerkennung und verbleibt demnach zunächst in seinen traurigen Verhältnissen.

Dieser Teil war wie gesagt nur in einer der zwei Varianten erhalten. Beide Varianten enthielten aber in gleicher Ausführlichkeit die obige treffliche Fortsetzung.



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Eines Tages kamen fremde Reiter bis nahe zu der Stadt. Die Leute meldeten es dem Sultan, und als der Späher aussandte, kamen die mit der Botschaft zurück, daß ein fremder Sultan mit großer Heeresmacht sich auf die Stadt zu bewege und sie anzugreifen beabsichtige. Darauf rief der Sultan alle seine waffenfähigen Leute und seine sechs Schwiegersöhne zusammen. Er teilte die Leute in sechs Haufen und stellte an die Spitze eines jeden je einen seiner Schwiegersöhne. An seinen siebenten Schwiegersohn dachte er dabei nicht, denn niemand dachte daran, daß der ärmliche Gärtnerbursche die Waffen zu führen verstehe. Als der Sultan seine Macht so bereitgestellt hatte, ließ er sie vor der Stadt aufstellen und dann dem Feinde entgegenziehen.

Als das Heer mit den sechs Schwiegersöhnen an der Spitze nach der einen Seite die Stadt verlassen hatte, nahm der Gärtnerbursche von seiner Frau Abschied und sagte: "Ich will sehen, was es draußen gibt." Die junge Frau lachte und sagte: "Gehe du nur, wohin du willst; die andern haben dich vergessen." Schatr Mohammed ging nun auf der andern Seite zum Tore hinaus, und als die Weiber und alten Männer das sahen, spotteten sie und schrien: "Gehe dort nur grade aus, dann wirst du schon zu den Feinden kommen!" Schatr Mohammed ging unbekümmert zum Tore und dann ein Stück in die Wüste hinaus. Als er nun sah, daß er unbeobachtet war, zog er die sieben Haare seines Pferdes heraus und sagte: "Mein Houssan! Nun komm! Nun wollen wir reiten!" Houssan kam. Houssan rieb seinen Kopf an Schatr Mohammeds Brust. Houssan scharrte mit den Füßen. Schatr Mohammed warf aber die alten Lumpen in den Wind, kleidete sich in seine guten Gewänder, warf den Kettenpanzer über, ergriff die Waffen, sprang in den Sattel, und dann jagte Houssan in langen Sätzen um die Stadt dem Kampfplatz zu.

Inzwischen war das Heer unter der Leitung der sechs Schwiegersöhne nahe an die Kriegsmacht des fremden Sultans herangekommen, und der fremde Sultan hatte seine Reiter aufgerufen und war an ihrer Spitze den sechs Haufen entgegengeritten. Der fremde Sultan wußte nun seine Leute so mit Kampfesfreudigkeit zu erfüllen, daß die sechs Haufen den Anprall nur sehr schwer aushielten und sich nur mit Mühe auf dem Platze halten konnten. Ja, die Sache stand schon recht schlecht, und die sechs Schwiegersöhne hatten sich schon vorsichtig in eine hintere Reihe gedrückt, als von der Seite Schatr Mohammed auf Houssan heranstürmte und die erstaunten Feinde mit seinen Waffen zurückdrängte. Schatr Mohammed



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war bald mitten unter den Reitern und wußte mit Geschick den feindlichen Sultan zum Sturze zu bringen, indem er dessen Pferd die Kniekehlen durchschnitt. Dadurch entstand ein allgemeines Gedränge auf einen Punkt. Die feindlichen Reiterscharen drängten alle um den Platz, auf dem ihr Herr zu Sturz gekommen war und verloren so die Wucht des Angriffs. Schatr Mohammed aber brachte die zurückgedrängten Leute seines Schwiegervaters wieder nach vorn, und da nun die feindliche Macht, in ihrer Mitte den gestürzten Sultan schützend, sich geschlossen zurückzog, verfolgte er sie noch eine Zeitlang und umschwärmte sie mit den Reitern seines Schwiegervaters, bis die Dunkelheit einbrach.

Als es dunkel wurde, ritt Schatr Mohammed unbemerkt von dannen. Er ritt dahin, wo er vordem seine Kleider weggeworfen hatte, stieg von dem Pferd, verabschiedete sich von ihm und ging auf demselben Wege, auf dem er gekommen war, in die Stadt zurück. Als er durch die Stadt kam, riefen die alten Männer und Weiber: "Da kommt noch einer von unsern siegreichen Fans." Schatr Mohammed kümmerte sich aber nicht um den Spott, sondern ging zu seiner jungen Frau und sagte: "Hier bin ich wieder! Was gibt es Neues?" Seine junge Frau sagte: "Die Männer meiner sechs Schwestern haben die Reiter zurückgebracht. Die Reiter meines Vaters haben erst fast die Schlacht verloren, dann aber ist es einem Fans gelungen, den fremden Sultan zum Sturz zu bringen. Der Fans hat die Feinde zurückgedrängt. Nun streiten sich aber alle Leute, welcher der sechs Schwiegersöhne meines Vaters der Fans sei. Die sechs Schwiegersöhne meines Vaters streiten sich untereinander und jeder sagt: "Ich habe den Sieg herbeigeführt!" Schatr Mohammed sagte: "Welcher von den Schwiegersöhnen glaubst du denn, daß es gewesen sei ?" Die junge Frau sagte: "Das ist nicht meine Sache. Ich denke, mein Vater wird es schon finden; denn morgen wird der Sultan selbst mit in die Schlacht reiten!"

Am andern Tag führte der Sultan alle seine Reiter vor das Dorf. Er teilte sie wieder in sechs Haufen und stellte einen jeden unter den Befehl eines seiner Schwiegersöhne. Er sagte dann: "Meine Schwiegersöhne und ihr andern alle! Heute werdet ihr wieder gegen den feindlichen Sultan reiten müssen, denn er rückt, wie ich höre, wieder gegen unsere Stadt heran. Nun will ich mich aber selbst überzeugen, wer von allen der größte Krieger und somit nach meinem Tode der würdigste als Nachfolger in meiner Stadt ist. Ich werde also hinter euch herreiten und aus der Entfernung mit ansehen,



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wie alles verläuft. Nun reitet voran!" Danach setzte sich das Heer in Bewegung, und der Sultan folgte mit einigen andern alten Leuten in einiger Entfernung. Bald wurden denn auch die sechs Schwiegersöhne, die an der Spitze ihrer Haufen in einer Reihe ritten, der Heeresmacht des fremden Sultans ansichtig, die heute noch stattlicher und kriegsmutiger war als am Tage zuvor. Denn nachdem der Sultan sich von seinem Sturz erholt hatte, ward er von einem großen Zorn über sein Unglück ergriffen und hatte die Seinen mit erhöhter Wärme durch feurige Reden zur Tapferkeit ermahnt.

Als das feindliche Heer mit seinem Sultan an der Spitze die Heerhaufen aus der Stadt sah, riefen die Leute einander aufmunternde Worte zu. Der Sultan aber rief: "Heute, meine Freunde, können wir gleich die ganze Sache auf einmal erledigen, denn ich sehe, daß der alte Sultan der Stadt selbst hinter seinen Leuten herreitet. Seht also, daß ihr den alten Sultan gefangen nehmt!" Der Sultan setzte dann sein Pferd in Galopp und gab damit das Beispiel zu einem scharfen allgemeinen Angriff, der hart gegen die sechs Haufen des Stadtheeres anprallte. Der Sultan hatte seine Leute nicht umsonst auf die wertvolle Beute aufmerksam gemacht. Von allen Seiten suchten sie durch und um die sechs Heerhaufen zu reiten, um den Stadtsultan zu erreichen. Die sechs Schwiegersöhne waren sogleich beim ersten Zusammenstoßen zurückgedrängt.

Die feindlichen Reiter drangen mit ihrem Sultan an der Spitze immer weiter und weiter vor, und vergebens und ängstlich suchte der Stadtsultan unter seinen Leuten nach dem Fans, der heute wie gestern durch seine Gewalt die Sache retten würde. Der Fans kam nicht, und nach kurzer Zeit war es dem feindlichen Sultan und einigen seiner tapfersten Leuten gelungen, so nahe zu dem Stadtsultan heranzudringen, daß seine Gefangenschaft nahe bevorstand.

Schatr Mohammed hatte, nachdem das Heer unter seinen sechs Schwägern mit dem Sultan von dannen geritten war, von seiner jungen Frau Abschied genommen und war zur andern Seite der Stadt von dannen gegangen. Die Weiber und alten Männer riefen ihm Schimpfworte nach; aber Schatr Mohammed ging unbekümmert seinen alten Weg. Wie am Tage vorher rieb der Jüngling dann in der Wüste die sieben Haare, begrüßte den herankommenden Hengst, kleidete und wappnete sich und ritt zum Schlachtfelde. Schatr Mohammed kam gerade an, als der fremde Sultan mit einigen seiner besten Streiter drauf und dran war, auf den Stadtsultan zuzustürmen



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und ihn, der nur von wenigen alten Leuten umgeben war, gefangen zu nehmen. Zwar hatte der Stadtsultan in Erinnerung an seine Jugendtaten das Schwert gezogen und hochgehoben, aber er wäre sicher im Kampfe verloren gewesen, wenn Schatr Mohammed nicht mit einem Schwertstreich das Schwert des feindlichen Sultans zurückgeschlagen und mit einem zweiten ihm durch den Lederkragen des Panzerhemdes die Halsader durchgeschlagen hätte, so daß er tot zu Boden sank. Nun fielen zwar die Begleiter des fremden Sultans in Übermacht über Schatr Mohammed her. Er wußte sie aber in geschickter Weise alle kampfunfähig zu machen, ohne daß er selbst mehr als eine Armwunde davongetragen hätte.

Als der Sultan den Arm seines Befreiers stark bluten sah, beeilte er sich, sein eigenes Taschentuch herauszureißen und ihn zu verbinden. Er konnte aber den Fans, der so plötzlich unter den Seinen aufgetaucht war, nicht erkennen; er war zu schnell wieder im Kampfgewühl verschwunden.

Schatr Mohammed jagte zwischen die Kämpfer. Schatr Mohammed schrie: "Ich habe den fremden Sultan erschlagen!" Seine mächtigen Schwertstreiche und sein Ruf, die Sätze seines Houssan und die Kraft bahnten ihm überall einen Weg. Er schlug alle seine sechs Schwäger, von denen ein jeder schon von Feinden umringt war, heraus und zwang den Feind schnell zur Flucht. Die Reiter des Stadtsultans verfolgten die feindlichen Krieger bis zum Lager, töteten viele, machten viele zu Gefangenen und gewannen im Lager eine mächtige Beute. Sie wollten die Beute schon unter sich teilen; da kam auch der Stadtsultan herangeritten und sagte: "Alles, was heute erbeutet wird, kann nur einem gehören, nämlich dem Fans, der mich und den Sieg gerettet hat. Wer ist das?" Darauf schrie ein jeder der sechs Schwiegersöhne: "Ich war es! Ich war es!" Der Sultan aber lächelte und sagte: "Es waren nicht sechs Helden, sondern es war nur einer. Wer dieser eine ist, können wir morgen sehen. Heute bringt alles in die Stadt. Ich werde morgen den berechtigten Besitzer der Beute ausfindig machen."

Das ganze Heer kehrte zur Stadt zurück, und jeder der sechs Schwiegersöhne sagte daheim zu seiner Frau: "Ich war heute wieder der Fans!" Jede der sechs Frauen ging zu der gemeinsamen Mutter und sagte: "Mein Mann war der Fans." Die Mutter sagte zu ihrem Gatten, dem Sultan: "Jeder unserer sechs Schwiegersöhne will der Fans gewesen sein." Der Sultan aber sagte: "Es ist sehr einfach. Der Fans, der mir das Leben, der den Sieg und uns allen den Besitz



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erhalten hat, hat eine schwere Wunde am Arm erhalten. Die habe ich mit meinem eigenen Taschentuch verbunden. Sage also deinen Töchtern, daß die, die mir dies Tuch bringen kann, den Fans zum Gatten hat." Die Mutter ging nun zu ihren sechs Töchtern und sah selbst zu, ob einer ihrer sechs Schwiegersöhne eine Wunde und das Taschentuch des Gatten am Arme habe. Sie kam zurück und sagte: "Keiner deiner sechs Schwiegersöhne war der Fans."

Lange nachdem der Kampf zu Ende war, kam Schatr Mohammed durch dasselbe Tor, durch das er weggegangen war, in seiner schlechten Kleidung zurück. Er begrüßte seine Frau, ging dann aber gleich auf sein schlechtes Lager und warf sich hin, denn er war müde. Er schlief sogleich ein. Schatr Mohammeds junge Frau hatte nun aber schon lange den Gesang und die Jubelschreie der andern aus der Schlacht Gekommenen gehört. Sie war traurig, daß ihr Mann und sie so ganz einsam und von den andern verlassen lebten. Sie ging in die Kammer, in der Schatr Mohammed lag, setzte sich auf das Angareb und weinte. Schatr Mohammed schlief so fest, daß er das leise Weinen seiner Frau nicht hörte. Nun schien an diesem Tage der Mond zum ersten Male wieder hell, und sein Licht fiel in die Kammer und auf Schatr Mohammeds Angareb. Als die junge Frau sich nun ein wenig beruhigt hatte und aufsah und als ihr Blick auf ihren Mann fiel, sah sie, daß von Schatr Mohammeds Arm ein dunkler Tropfen nach dem andern fiel und daß auf dem Boden eine Blutlache entstand. Da erschrak die junge Frau, und in ihrer Angst lief sie in das Haus ihrer Mutter, das sie seit ihrer Verheiratung nicht wieder betreten hatte. Sie fiel vor ihrer Mutter nieder und weinte und schrie: "Mutter hilf! Schatr Mohammed, mein Mann, verblutet!"

Die Mutter erhob sich schnell. Sie sagte nichts. Sie ging eilends ihrer Tochter voran über den Hof in den Teil, in dem die Sklaven untergebracht waren. Die Mutter trat in den Raum. Die Mutter sah, wie elend und zerfallen der Raum war. Die Mutter sah Schatr Mohammed, der im Schlafe lag. Die Mutter sah das Blut herabtropfen; sie schlug Schatr Mohammeds Kleid zurück und sah, daß um seinen Arm das Taschentuch des Sultans gebunden war. Die Mutter gab ihrer Tochter eine Salbe und sagte leise: "Dies, meine Tochter, ist eine Salbe, welche du auf die Wunde streichen mußt. Dann wird sie bald heilen. Der Mann aber, mein Kind, den du geheilt hast, ist der Fans, der deinen Vater und uns alle gerettet hat." Die Mutter band darauf vorsichtig das Tuch ab, das um Schatr



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Mohammeds Arm gebunden war und nahm es mit sich fort. Sie ging zum Sultan.

Der Sultan empfing von seiner Gemahlin das blutige Taschentuch. Der Sultan betrachtete es und sagte: "Jawohl, dieses ist es. Nenne ihn mir!" Die Gemahlin des Sultans sagte: "Es ist der Siebente! Es ist Schatr Mohammed, der Gärtnerbursche!" Der Sultan sagte: "Wo wohnt er ?" Seine Gemahlin sagte: "Er wohnt mit deiner Tochter im Quartier der Sklaven." Der Sultan sagte: "Meine Gattin, es ist besser, daß einer aus der Erdtiefe zur Sonne aufsteigt, als daß er vom Himmel zur Erde falle. Ist Schatr Mohammeds Wunde gefährlich ?" Seine Gattin sagte: "Es ist eine starke Wunde, aber ich habe deiner Tochter die Wundsalbe gegeben."

Als Schatr Mohammed am andern Morgen erwachte, standen Boten des Sultans da, die sagten: "Der Sultan möchte Schatr Mohammed sprechen." Schatr Mohammed besah seinen Arm. Er sah, daß das Taschentuch abgenommen war. Schatr Mohammed fragte seine Frau: "Wer nahm das ab?" Seine Frau sagte: "Meine Mutter kam in der vorigen Nacht, als du schliefst. Sie nahm es ab, um es dem Sultan zu bringen." Schatr Mohammed sagte zu den Boten des Sultans: "Dann sagt dem Sultan, daß ich sogleich kommen würde." Die Boten gingen. Schatr Mohammed nahm aber die sieben Haare seines Hengstes hervor; er rieb sie zwischen den Händen. Houssan kam. Schatr Mohammed begrüßte den Hengst, und Houssan rieb seinen Kopf an Schatr Mohammeds Brust. Schatr Mohammed sagte: "Mein Freund, die Zeit unseres Elends ist vorüber." Dann kleidete sich Schatr Mohammed in die prächtigen Gewänder und legte die Waffen an. Er nahm seine junge Frau vor sich auf das Pferd und ritt mit ihr fort. Seine junge Frau aber sagte: "So habe ich dich einmal am Teiche hinter dem Gasr gesehen."

Schatr Mohammed ritt zum Gasr des Sultans. Der Sultan kam ihm an der Spitze seiner alten angesehenen Leute entgegen und sagte: "Mein Sohn, ich danke dir für alles, was du für uns getan hast. Komm mit deiner Gattin zu mir und sage mir, wer du bist!" Schatr Mohammed setzte seine Gattin zu Boden und ging mit ihr und dem Sultan in das Prunkzimmer des Serails. Schatr Mohammed setzte sich neben den Sultan und sagte: "Dieser Platz kommt mir zu, denn ich bin der Sohn eines Sultans." Danach erzählte er alles, wie es sich ereignet hatte. Der Sultan, der sich alt fühlte, setzte Schatr Mohammed jetzt zu seinen Lebzeiten schon als seinen



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Nachfolger ein. Der Gärtner aber, der den armen Jüngling seinerzeit so hart bestraft und ihm die Speise der Sultanstochter nicht hatte zukommen lassen, ward geschlagen.


16. Der Faris*

Ein wohlhabender Mann hatte einen Sohn, der war ein Fans, der bekannt war wegen seiner großen Stärke. Der Vater sagte zu ihm, als er ihn für alt genug hielt: "Mein Sohn, es ist Zeit, daß du heiratest. Sieh dich nach einer Gattin um." Der Fans sah sich nun nach allen Mädchen in der Gegend um. Er konnte aber lange Zeit keins finden, das ihm zusagte. Eines Tages nun ritt er in die Wüste. Er kam in eine ferne Gegend und sah da Zelte aufgestellt. Die Leute hatten eine Trommel, trommelten und tanzten. Unter den Tanzenden war ein Mädchen, das schien dem Fans schöner als irgendeins, das er je zuvor gesehen hatte, und er liebte es sogleich sehr.

Der Fans sprach mit dem Mädchen und fragte es, wo es daheim sei. Das Mädchen sagte: "Mein Vater und wir alle ziehen immer umher. Bald sind wir hier, bald da. Wir sind nie lange an einem Ort und ziehen schon in Frage, wenn wir irgendwo angelangt sind, wo wir am andern Tag hinreisen wollen." Der Fans sprach lange mit dem Mädchen. Ehe er wegritt, sagte das Mädchen zu ihm: "Man kann, wenn eine von uns es will, unsere Spur immer finden." Der Fans nahm Abschied und ritt nach Hause.

Der Fans blieb einige Tage daheim. Dann sagte er zu sich: "Mein Vater hat mir gesagt, ich solle mir eine Frau suchen. Dieses Mädchen werde ich aufsuchen und heiraten, denn es gefällt mir. Das Mädchen hat mir gesagt, wenn eine von ihnen es wolle, könne man ihre Spur immer finden. Wenn das Mädchen mich nun ebenso liebt wie ich sie, dann werde ich es finden."

Am andern Morgen sattelte der Fans sein Pferd, band noch einigen Mundvorrat und einen Beutel mit Wasser auf und ritt von dannen, der Stelle zu, an der er das Mädchen zuerst zwischen den Zelten beim Tanzen gesehen hatte.

Als der Fans an die Stelle kam, wo noch vor einigen Tagen die Zelte gestanden und die Leute getrommelt und getanzt hatten, fand 

* Als Fans bezeichnen die Kordofaner einen starken Reiter, der mit der körperlichen Kraft von sieben bis neun Männerstärken eine große Entschlossenheit, Kühnheit und auch eine gewisse Ritterlichkeit verbindet.


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er nur noch einen kahlen Baumast, an dem hing aber ein Leder. sack (Ssaen) mit Wasser und ein geröstetes Brot (Gurassa). Er nahm den Ledersack und das Brot, genoß von der unerwarteten Speisung und sah sich dann nach der Spur um. Es dauerte nicht lange, so hatte er den Weg gefunden, auf dem die Leute weggezogen waren, und als er diesem dann einen Tag lang gefolgt war, sah er an einem vertrockneten Ast, der aus einem alten Lagerplatz aufragte, wiederum einen Ledersack mit Wasser und ein geröstetes Brot hängen. Er fand so wieder seine Speisung, und als er am dritten Tage die Spur der Weitergezogenen verfolgte, fand er am Abend auf einem alten Lagerplatz an einem dürren Ast wieder den Ledersack mit Wasser und ein geröstetes Brot. So ging es zwanzig Tage lang, und am Abend eines jeden Tages war er wieder am Lagerplatz der Fremden angelangt und fand für seine Nahrung gesorgt.

Am Abend des zwanzigsten Tages nun mußte er ganz nahe der Karawane sein, denn das Brot, das er am Baume fand, war noch warm. So beschloß er denn, in der Nacht noch weiterzureisen. Er brach auf. In der Dunkelheit verlor er aber den Weg. Der Fans ritt nun irrend und suchend in der Wüste umher und kam zuletzt zu einem hohen Gasr. Er ritt hinein, band sein Pferd an und ging in das Haus. In dem Hause fand er im ersten Raume sieben junge Männer, die lagen auf Angarebs und schliefen. Der Fans ging an ihnen vorüber und kam in ein zweites Gemach. Da stand nur ein Angareb, und auf dessen einer Seite lag ein junges, schönes Mädchen. Der Fans sah, daß auf der andern Seite des Angarebs noch Platz war. Er streckte sich also neben dem Mädchen aus. Zwischen das Mädchen und sich aber legte er sein Schwert. Der Fans war so müde, daß er auch sogleich einschlief. Das Mädchen war jedoch erwacht, als der Fans sein Schwert zwischen sie und sich gelegt hatte. Als es merkte, daß der Mann schlief, stand es vorsichtig auf und ging zu den jungen Männern. Es weckte diese und sagte: "Hört, meine Brüder! Wacht auf! Ihr schlaft hier und nebenan ist ein fremder Mann angekommen, der hat sich zu mir auf das Angareb, zwischen sich und mich aber ein Schwert gelegt. Kommt und seht ihn! Es scheint ein schöner Mann zu sein!" Die sieben Brüder erschraken hierüber und traten in das Gemach ihrer Schwester. Da sahen sie nun den fremden Fans liegen und sie sagten: "Schwester, lege dich nieder und schlafe weiter! Dieser Fremde hat, wie es scheint, nichts Böses im Sinne. Wir werden



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nebenan abwechselnd Wache halten, und wenn er dir etwas tun will, dann schreie nur und rufe uns damit!" Das Mädchen legte sich darauf auf ihre Bettseite und schlief auch bald ein. Die Brüder wachten aber nebenan abwechselnd.

Als der Fans am andern Morgen erwachte, begrüßten ihn die Brüder. Sie boten ihm Kaffee und wünschten ihm einen angenehmen Tag. Der Fans sagte: "Ich danke euch sehr dafür, daß ihr mich so freundlich begrüßt. Ich reise seit zwanzig Tagen hinter Leuten her, die täglich das Lager wechseln und unter denen sich ein schönes Mädchen befindet, das ich heiraten möchte. Letzte Nacht nun habe ich ihre Spur verloren und bin so in euer Gasr gekommen. Müde, wie ich war, habe ich mich dann auf die leere Seite eines Angarebs gelegt und bin sogleich eingeschlafen."

Der älteste Bruder sagte: "Es ist uns eine Freude, daß wir dich beherbergen können. Und eine Freude ist uns in diesem Leben wohl zu gönnen, da wir sonst Leid genug haben. Wir bitten dich also, einige Tage lang unser Gast zu sein und sind gern bereit, dir später den Weg zu dem Lager der Wandernden, das nicht weit von hier ist, zu zeigen." Der Fans sagte: "Wenn ihr mich in dieser freundlichen Weise aufnehmt und mir auch noch weiter helfen wollt, dann darf ich euch wohl bitten, mir zu sagen, was euch bedrängt, und ob ich euch nicht in eurer Bedrängnis helfen kann." Der älteste Bruder sagte: "Ich will dir gern erzählen, was uns so schwer beunruhigt. In der Gegend hier wohnt ein starker Mann mit seinen Freunden. Der Mann will unsere Schwester zur Frau haben. Da er aber ein sehr schlechter Mann ist, haben wir seine Bitten zurückgewiesen, und nun kommt er alle zwei Tage und kämpft mit uns. Er ist gestern wieder hier gewesen, was uns so ermüdet hat, daß wir dein Kommen nicht bemerkt haben. Er wird nun zwei Tage wegbleiben. Diese zwei Tage des Friedens bitten wir dich bei uns zu bleiben. Nachher wollen wir dann noch einmal kämpfen. Da wir aber schon sehr ermüdet sind, erwarten wir, daß wir das nächste Mal im Kampfe unterliegen und somit sterben werden. Die letzten Tage des Lebens möchten wir nun noch in Freuden mit dir genießen!"

Der Fans sagte: "Meine lieben Freunde! Ich habe diese Nacht so herrlich geschlafen, daß ich heute morgen meiner Gewohnheit nach einen Ritt unternehmen möchte. Erlaubt mir also, daß ich ein wenig mein Pferd bewege und habt die Güte, mir zu zeigen, in welcher Richtung die feindlichen Männer wohnen, damit ich diese



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vermeide." Die sieben Brüder zeigten nun dem Fans, in welcher Richtung die feindlichen Männer wohnten. Der Fans ritt in der entgegengesetzten Seite von dannen, machte aber, als er aus der Sehweite des Gasr war, einen Bogen und ritt gegen die fremden feindlichen Leute.

Die Leute sahen kaum aus der Ferne den Fans kommen, da riefen sie: "Laßt uns schnell auf die Pferde steigen und herausreiten. Es kommt ein Fremder des Weges, dem wollen wir Pferd und Waffen abnehmen." Die Leute nahmen also ihre Waffen zur Hand und ritten dem Fans entgegen. Sie umzingelten ihn und dachten nicht anders als, da sie so sehr in der Überzahl waren, würden sie den Fremden schnell und leicht überwinden. Der Fans wartete aber, bis sie nahe herangekommen waren und sich ein wenig gehäuft hatten. Dann zog er sein Schwert und sprengte auf sie zu. Nun erkannten die feindlichen Männer ihren Irrtum, denn rechts und links fiel sogleich einer der Tapfersten tot zu Boden, und der Fans räumte so schnell unter ihnen auf, daß sie unter Verlust mehrerer ihrer Besten und gezeichnet mit klaffenden Wunden, schneller noch als sie gekommen waren, zurückjagten. Der Fans verfolgte sie noch ein Stück weit und brachte dem einen und andern noch ein weniger ehrenhaftes Zeichen auf dem Rücken bei. Dann wandte er sein Pferd und ritt im Bogen, wie er gekommen war, wieder auf das Gasr der Brüder zu.

Die sieben Brüder begrüßten ihn aufs herzlichste und fragten ihn, ob er irgendein Erlebnis gehabt habe, da seine Kleider hier und da mit Blut bespritzt waren. Er sagte aber, er habe allerdings einen Büffel verfolgt und angeschossen, aber leider sei es ihm nicht gelungen ihn zu töten. Den Rest des Tages verbrachte er mit den Brüdern im angenehmen Zwiegespräch, und als es Nacht wurde, fand er sein Lager auf der einen Seite des Angarebs der schönen Schwester bereitet. Als er sich nun niederlegte, nahm das schöne Mädchen ihm das Schwert aus der Hand und stellte es so an die Wand, daß er es sogleich ergreifen konnte, daß es aber den Fans nicht von ihr trennte. Also verbrachten sie die Nacht gemeinsam.

Am andern Morgen rüstete der Fans sein Pferd und prüfte eingehend, ob auch der Sattel fest sitze. Dann bestieg er es, nahm von den Brüdern für einige Stunden Abschied und ritt, genau wie am Tage vorher, im weiten Bogen von dem Gasr weg zu dem Gasr der feindlichen Leute.

Als am vorhergehenden Tage die Wegfriedensstörer von dem Fans



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mit schlimmen Verlusten zurückgeschlagen waren und ihr Gasr erreicht hatten, hatte der Herr des Gasr sie mit schimpflichen Reden empfangen und hatte ihnen grobe Worte darüber gesagt, daß sie sich von einem einzelnen Reiter hätten in die Flucht schlagen lassen. Die geschlagenen Leute hatten dem Herrn des Gasr gesagt, daß der fremde Fans ein gewaltiger Mann von besonderer Art oder ein Aldjann sein müsse, und daß kein Mensch gegen ihn kämpfen könne; ihr Herr hatte sie aber ausgelacht. Dieser Herr war nun derselbe, der mit den sieben Brüdern immer wieder ihrer Schwester wegen kämpfte und der als außergewöhnlich starker Mann hoffte, das schöne Mädchen bald in seinen Besitz zu bekommen.

Er rüstete gerade einen andern Angriff auf die sieben Brüder für den andern Tag, als ein Mann zu ihm gelaufen kam und ihm mitteilte, daß der fremde Fans wieder auf dem gleichen Wege wie gestern einhergeritten komme. Als der Herr des Gasr das hörte, rief er nach seinem eigenen Pferde; denn heute wollte er an der Spitze seiner Leute selbst zeigen, wie man auch stärkere Männer niederwürfe. Als der Fans also näher zu dem Gasr kam, sah er sich einer größern Anzahl von Reitern und vor allem dem Herrn des Gasr gegenüber. Der Fans setzte sich fest in den Sattel und zog sein Schwert beizeiten. Nun war der Herr des Gasr daran, den gleichen Irrtum zu begehen, dem seine Leute am Tage vorher zum Opfer gefallen waren. Mit dem ersten Schlage versetzte der Fans ihm eine tiefe Wunde, und obgleich die andern auch auf den einzelnen Mann einstürmten, lagen doch der Herr des Gasr und mehrere seiner bewunderungswürdigsten Kämpfer tot am Boden. Der Fans begnügte sich aber heute nicht damit, den Rest der Angreifer vor sich herzutreiben, sondern er drang hinter ihnen in das Gasr und zwang sie, sich ihm als Sklaven auszuliefern und ihm alle Türen des an Schätzen reichen Gasr zu öffnen.

Der Herr des Gasr war einer der größten Harami (Räuber) der Gegend gewesen, dem keine Karawane hatte widerstehen können und dem auch alle näherliegenden Schlösser (Gasr) nach und nach zum Opfer gefallen waren. Es waren somit in dem Hause, das der Fans jetzt untersuchte, vielerlei Schätze aufgespeichert, und der Fans mußte viele Esel, einen nach dem andern beladen, bis er all das Gut ausgeräumt und zur Fortschaffung bereitgestellt hatte. Dann ließ er die Tiere von den neugewonnenen Sklaven antreiben und zog also auf das Gasr der sieben Brüder zu.

Als die sieben Brüder aus der Richtung des feindlichen Schloßherrn



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Tiere und Menschen in einer Staubwolke auftauchen sahen, meinten sie zunächst nichts anderes, als jener komme abermals, um sie mit aller Macht, wahrscheinlich zum letzten Male, anzugreifen. So warfen sie sich denn auf ihre Pferde, ergriffen die Lanzen und nahmen von ihrer Schwester Abschied. Sie ritten den fremden Reitern entgegen. Wie erstaunten sie aber, als sie bei größerer Nähe den Zug beladener Esel und treibender Sklaven, ganz am Ende aber den Fans herankommen sahen. Nun hatte der eine oder andere der Brüder schon manchesmal mit einem oder andern Manne des feindlichen Schloßherrn gekämpft. Sie erkannten daher gar bald in den Eseltreibern ihre alten Gegner und wußten somit, daß der Fans den feindlichen Schloßherrn getötet haben mußte.

Die Beute ward nun in den Hof des Gasr getrieben, und der Fans übergab sie da den sieben Brüdern. Die Brüder waren durch die Vernichtung des gefürchteten Gegners schon sehr beglückt. Als der Fans ihnen nun auch noch diese wertvolle Beute als Dank für die genossene Gastfreundschaft schenkte, und sie somit unerwartet statt eines nahen Endes einen großen Besitz vor sich sahen, baten sie den Fans, er möchte doch noch lange bei ihnen bleiben. Der Fans dankte den Brüdern für ihre freundliche Gesinnung, und heute zog er sich früher als am Tage vorher auf das Angareb der schönen Schwester zurück. Zwar schlossen die Brüder die Türe zu seinem Gemache und zogen sich, nunmehr der Pflicht aufmerksamer Wachsamkeit enthoben, in den Hof zurück, um noch einige Stunden über die glückliche Wendung ihres Schicksals zu plaudern, aber der Fans kam in dieser Nacht wenig zum Schlafen.

Als der Fans in das Gemach trat und die sieben Brüder die Türe hinter ihm geschlossen hatten, trat die schöne Schwester auf ihn zu. Sie nahm ihm das Schwert ab und sagte: "Die Waffe, mein Herr, brauchst du nun nicht mehr, denn dieses ist ein Raum des Friedens, und gegen alle Störungen werden meine Brüder draußen Wache halten." Das Mädchen nahm das Schwert und legte es auf einen Kursi (Sessel), der am Fußende des Angarebs stand. Danach schob sie dem Fans eine Schale mit Wasser hin, begann ihm die Kleider abzunehmen und ihm den Staub vom Körper zu waschen. Endlich nahm sie duftendes Öl und rieb ihn ein, bat ihn dann, sich auf dem Angareb, auf dem helle Stoffe ausgebreitet waren, auszustrecken, und kniete auf der Erde vor ihm nieder. Sie ergriff die Hand des Fans, küßte sie und sprach: "Ich danke dir, daß du mich und meine Brüder vor diesem schrecklichen Manne errettet



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und mir statt des Lebens einer Sklavin die Freiheit und einen edlen Freund gegeben hast." Der Fans sagte: "Mein Mädchen, knie nicht vor mir, sondern komm zu mir herauf und teile mein Lager, wie ich es in der ersten Nacht neben dir eingenommen habe." Das Mädchen sagte: "Ich komme. Aber das Schwert liegt nicht mehr zwischen uns!"

Darauf legte sich das Mädchen neben den Fans. Sie schmiegte sich an ihn, und wenn sie nun auch nicht mehr vor ihm kniete, so dankte sie ihm doch in sicher nicht minder inniger Weise, und der glückliche Fans gab sich in dieser Nacht der Freude über diese Dankbarkeit gern noch häufig hin. So verbrachten die beiden in dankbarer Glückseligkeit die Nacht, ohne zu schlafen.

Am andern Morgen sattelte der Fans sein Pferd, nicht um einen Spazierritt zu unternehmen, sondern um den Weg wieder zu suchen, den die Leute genommen hatten, unter denen das von ihm zur Gattin erkorene Mädchen sich befand. Er nahm also von den Brüdern Abschied. Die sieben Brüder waren sehr betrübt über diese Entschlossenheit, denn sie hatten gehofft, daß der Fans doch noch einige Zeit bei ihnen bleiben würde. Der Fans sagte aber: "Meine Freunde, nur der erscheint mir mit Recht als ein Mann bezeichnet zu werden, der einen einmal gefaßten Entschluß zu Ende führt. Das Mädchen nun, von dem ich euch erzählt habe, hat mir überall, wo ihre Leute lagerten, deutlich wahrnehmbare Zeichen zurückgelassen, woraus ich ersehe, daß ich durch unser Gespräch Hoffnungen in ihr erweckt habe, die ich nun erfüllen muß. Es darf mich darin fürs erste keine neuerwachte Liebe und Freundschaft davon abhalten, diese Hoffnungen zu erfüllen, wenn ich die Achtung vor meinen eigenen Handlungen vor mir selbst aufrechterhalten will. Darum will ich erst dieses Mädchen zu gewinnen suchen. Gelingt mir das, dann wird mich die Freundschaft, die ich zu euch und eurer Schwester gefaßt habe, dazu treiben, wenn es euch sonst recht ist, euch auf dem Rückwege in meine Heimat aufzusuchen." Der älteste Bruder sagte: "Wir sehen, daß dein Entschluß fest gefaßt ist und müssen es achten, daß du deinen Vorsatz unentwegt verfolgst. Wir werden dir deshalb auch gern sagen, wo du die Leute finden wirst, unter denen das Mädchen weilt. Wenn du es aber gewonnen hast, bitten wir dich, wieder hier vorbeizukommen und eine Gabe mit in die Heimat zu nehmen, die dir hoffentlich ebenso wert ist wie uns, und von der wir uns nur, um dir eine Freude bereiten zu



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können, trennen werden!" Der Fans sagte: "Ich sehe zu meiner Freude, daß unsere Empfindungen und Hoffnungen die gleichen sind, und daher bitte ich euch, mir meinen Weg zu zeigen, damit ich um so schneller in den mir lieb gewordenen Raum zurückkehren kann." Darauf zeigten die sieben Brüder dem Fans die Gegend und den Weg. Er nahm Abschied und ritt schnell von dannen, ohne eine Ermüdung zu spüren, trotzdem er die Nacht schlaflos verbracht hatte.

Nach wenigen Stunden kam er denn auch in eine wohlgepflegte Gegend, und ehe es noch Nacht war, sah er durch die Büsche Zelte und hörte Menschen. Der Fans stieg also von seinem Pferd, band es an und blickte durch eine Lücke in den Zweigen. Da sah er denn die gleichen Leute, denen er solange gefolgt war, und in ihrer Mitte das Mädchen mit ihrem Vater stehen. Der Vater sagte aber zu den um ihn versammelten Männern: "Ihr alle, meine jungen Freunde, begehrt von mir diese meine Tochter zum Weibe. Nun kann ich sie aber nur einem zur Frau geben, und so mögt ihr denn durch eure Stärke und Gewandtheit zeigen, wer von euch der Würdigste ist, sie heimzuführen. Besteigt alle die Pferde und reitet einer nach dem andern schnell an meiner Tochter vorüber. Im Vorüberreiten versuche aber ein jeder, sie mit einer Hand zu ergreifen, hochzuheben und auf dem Pferd mitzunehmen. Nur dem, dem dies gelingt, will meine Tochter als Gattin folgen! Auf, meine jungen Freunde! Versucht, wem das gelingt!"

Der Fans sah nun, wie die jungen Männer auf die Pferde stiegen, und wie einer nach dem andern an dem Mädchen vorüberritt und sie aufzuheben versuchte. Es gelang aber keinem. Und als der letzte erfolglos an der Tochter des Schechs vorübergeritten war, sprang der Fans auf sein Pferd und trieb es mit starkem Schlage an, so daß es in gewaltigen Sätzen in den Kreis der erschreckten Menschen hineinsprengte. Der Fans aber lenkte es auf das Mädchen zu, und als er neben ihm war, hob er es mit dem linken Arm hoch empor und setzte es im Weiterreiten sanft vor sich auf den Sattel nieder. Dann kehrte er zu dem Schech zurück, welcher sich inzwischen gefaßt hatte, und sagte: "Du bist zwar ein mir fremder Mann, aber du bist ein Fans. Du hast das, was meine Tochter selbst zur Bedingung gesetzt hat, ausgeführt und kannst demnach die Frau heimführen."

Das Mädchen selbst hatte sogleich den Mann erkannt, für den sie überall am Wege Wasser und Brot zurückgelassen hatte. Sie war also trotz der Mißstimmung und des Neides ihrer Stammesgenossen



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mit dieser Wendung des Schicksals sehr einverstanden und erklärte sich bereit, sobald es ihrem Gatten anstehe, in dessen Gefolge seine Heimat aufzusuchen.

Der Fans verbrachte also nur vierzehn Tage bei den Leuten unter den Zelten und brach dann mit seiner jungen Frau auf, um zunächst zu dem Gasr der sieben Brüder zu reiten.

Nach einem Marsche von wenigen Tagen sah der Fans das Gasr der Freunde aufsteigen. Die sieben Brüder ihrerseits hatten sorgfältig Ausschau gehalten und waren außerordentlich glücklich, als der, der gerade auf dem Turme die Wache hatte, herabrief, daß der Fans mit seiner Frau durch die Ebene daherkomme. In aller Eile rüsteten sie nun einen Raum für ihren Retter, um ihn und seine junge Frau würdig aufzunehmen, und die schöne Schwester war emsig beflissen, die besten Stoffe über dem Angareb auszubreiten, das dem Fans und seiner jungen Frau als Nachtlager dienen sollte und welches das gleiche war, auf dem sie der Ritter die erste Nacht gefunden und auf dem sie ihrem Retter so herzlich gedankt hatte. Die sieben Brüder ritten aber dem Fans entgegen und begrüßten ihn als ihren besten Freund.

Als sie den Fans nun in das Gasr geleitet hatten, sagte der älteste von ihnen: "Mein Freund, der du unser aller Erretter bist, du hast unsere Schwester damals vor dem Drängen des schlechten und starken Freiers errettet. Wir hätten nun unsere Schwester sonst nicht gern aus unserer Mitte gelassen. Du aber hast dich um sie und uns so verdient gemacht und ihre und unsere Freundschaft in so hohem Grade zu gewinnen gewußt, daß wir dir unsere Schwester gern zur Frau geben, wenn du etwa ebenso wie sie selbst dieses wünschst." Der Fans hörte diese Worte mit großer Freude und sagte: "Ich selbst bin eurer Schwester für den Dank, den sie mir gespendet hat, ebenso verpflichtet wie meiner andern Frau für das Wasser und das geröstete Brot, mit dem sie in der Wüste für mich gesorgt hat. Daß ihr euch ungern von der schönen Schwester trennt, sehe ich; wenn ich dennoch euer Anerbieten annehme, so geschieht es, weil ich eure Schwester ebenso liebe wie ihr selbst, und weil ich daheim meines Lebens nicht recht froh werden würde, wenn ich nicht diese schöne Frau auch in meinem Hause hätte. Wenn ich also meinem Vater früher dadurch ärgerlich wurde, daß ich kein Mädchen schön und würdig genug fand, es zu meiner Gemahlin zu erheben, so fürchte ich fast seine Eifersucht, wenn er nun zwei so schöne Wesen mit mir heimkommen sieht."



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Noch glücklicher aber als ihre sieben Brüder war die Schwester über die Rückkehr des Fans und die neuerliche Entscheidung ihres Schicksals, denn sie konnte sich in ihrer Erinnerung an die letzte Nacht, die der Fans in ihrer Kammer und auf ihrem Angareb verbracht hatte, nichts Schöneres wünschen als Gelegenheit zu finden, bis an ihr Lebensende immer wieder sich in Dankesbezeugungen gegen den Fans ergehen zu dürfen. Es wurde also auch diese Hochzeit in allgemeiner Fröhlichkeit begangen, und die sieben Brüder setzten ihren Stolz darein, in den nächsten Tagen in geschickter Abwechslung ihrem Gast die ausgewähltesten Gerichte auf den Platten und von den Sklaven darbieten zu lassen, die er selbst dem feindlichen Gasrherrn abgenommen und ihnen dann zum Geschenk gemacht hatte.

Nachdem der Fans einen Monat lang im Kreise der sieben befreundeten Brüder verbracht hatte, bereitete er sich auf die Heimkehr vor und trat diese in Begleitung seiner beiden Gemahlinnen an. Nachdem er von den sieben Brüdern herzlich Abschied genommen hatte, wandte er sich der Heimat zu und ritt auf einem möglichst kurzen Wege von dannen. Dieser Weg nun führte an einem Gasr vorbei, das ein starker Mann mit Namen Saidi Abd aus den Köpfen der Menschen, die er an der Straße überfallen und getötet hatte, aufgerichtet hatte, indem er sie an Stelle von Backsteinen verwendete. Als der Fans dieses Gebäude aus Schädeln sah, wurde er zornig über die Gewalttätigkeit des Saidi, und da er gern mit jenem kämpfen wollte, stieß er mit seiner Lanze gegen einen der Schädel, aus denen die Mauer des Gasr aufgeführt war. Der Schädel nun rollte in das Innere des Gasr, und da Saidi gerade in jenem Raum saß, diesem gerade vor die Füße. Saidi geriet nun auch in Zorn. Er schrie: "Warte! Du fremder Mann! Ich hoffe bald deinen Kopf an die Stelle des herausgeschlagenen setzen zu können. Warte nur ein wenig, du Fremder! Ich will mich schnell rüsten!"

Saidi kam heraus und sprang auf sein Pferd. Saidi schwang sein Schwert. Saidi schrie: "Seit Jahren warte ich auf einen Mann, der stärker ist als ich, aber jeder, den ich anfiel, hat sich als Schwächling gezeigt. Keiner hat es gewagt, mein Gasr zu berühren. Wie kommst du nun dazu?" Der Faris sagte: "Vielleicht bin ich der Mann, der stärker ist als du! Wehre dich also!" Der Fans und Saidi trafen aufeinander. Der Fans zerschlug das Schwert des Saidi. Dann ergriff er ihn und hob ihn hoch aus dem Sattel. Er warf ihn



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zu Boden und sagte: "Siehst du nun, daß ich der bin, der stärker ist als du?" Saidi sagte: "Mein Fans, ich war ein schlechter Mann, weil ich als Sklave geboren war, aber keinen fand, der stärker war als ich es bin. Nun du mich überwunden hast, bitte ich dich um mein Leben und bitte dich, mich in deinem Dienste zu verwenden. Du kannst mir glauben, daß du keinen Mann finden kannst, der treuer an dir hängt als ich." Der Fans sagte: "Komm mit mir. Ich werde sehen, was deine Worte und was deine Handlungen gelten."

Der Fans ritt nun weiter der Heimat zu und brachte so statt einer Frau zwei Gattinnen und einen Sklaven mit. Der Vater begrüßte den Sohn und beglückwünschte ihn zu der Vermehrung seines Hausstandes. Anfangs war der Vater erfreut, seinen Sohn in solcher Gesellschaft heimkehren zu sehen; nachher aber begab es sich, daß der Vater die beiden jungen Frauen seines Sohnes sah. Da war er sehr erstaunt über deren Schönheit und sagte: "Was ist es, daß mein Sohn erst mit keiner Frau dieses Landes zufrieden ist und nachher nicht eine, sondern zwei aus andern Ländern bringt, deren jede unzählige Male schöner ist als ein Mädchen dieses Landes! Was soll es, daß ein Sohn so viel mehr und Besseres hat als sein Vater! Ich hatte nichts Besseres als mein Vater; mein Vater nichts Besseres als mein Großvater. Also soll mein Sohn auch nicht mehr haben als ich! Ich werde ihn also als Lohn für seine Vermessenheit totschlagen lassen. Dann fallen mir seine Frauen ohne weiteres zu!"

Der Vater sagte zu seinem Sohne: "Mein Sohn! Deine Häuser sind nicht groß und schön genug für deine zwei ausgezeichneten Frauen und den Freund Saidi, den du mitgebracht hast. Ich will dir also morgen einige Leute geben; mit denen kannst du in den Busch reiten und kannst dort die Hölzer schlagen lassen, die zum Bau nötig sind." Der Vater ging. Als der Vater gegangen war, rief der Fans Saidi und sagte zu ihm: "Saidi, nun werde ich sehen, ob du mein Freund und treuer Diener bist. Mein Vater schickt mich morgen mit Leuten in den Busch. Ich habe beobachtet, wie mein Vater meine Frauen angesehen hat; ich glaube also, daß er vor hat, mir etwas antun zu lassen, um sich meiner Frauen zu bemächtigen. Ich weiß nicht, was mir geschieht und wann ich in der Lage sein werde zurückzukehren. Jedenfalls mache ich es dir zur Aufgabe, keinem Menschen, wer es auch sei, den Eintritt in mein Gasr zu gestatten und meine Frauen vor jedem Menschen zu schützen."



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Saidi sagte: "Ich bin betrübt, dich in so schlechter Hoffnung zu sehen. Ich freue mich aber darüber, meine Treue in deinen Diensten beweisen zu können."

Der Vater rief indessen einige seiner Leute zu sich und sagte zu ihnen: "Meine Diener, ihr werdet morgen mit meinem Sohn in den Busch gehen. Mein Sohn wird keine Waffen bei sich haben. Wenn ihr allein mit ihm im Busche seid, werft ihn nieder, stecht ihm die Augen aus und durchbohrt ihm das Herz. Als Beweis dafür, daß ihr meinen Auftrag ausgeführt habt, verlange ich von euch, daß ihr mir die ausgestochenen Augen und eine Flasche seines Blutes mitbringt!" Die Leute versprachen, den Befehl des Vaters zu befolgen. Am andern Morgen gingen sie zu dem Fans, sagten ihm, daß der Vater sie gesandt habe, für seinen Hausbau Holz zu schlagen, und daß er sie führen möge, dem Werke vorzustehen. Der Fans nahm also von seinen Frauen und Saidi Abschied und ging den Männern voran in den Busch.

Als der Fans mit den Männern weit in den Busch vorgedrungen war, kam der Führer der Leute an ihn heran und sagte: "Höre, es tut uns leid, daß wir diese Befehle ausführen müssen." Damit sprang er mit seinen Genossen auf den Fans und warf ihn im Verein mit den andern rücklings zu Boden. Der Führer der Männer sagte zu dem Niedergeworfenen: "Unser Herr hat uns befohlen, dich zu töten und ihm dein Blut und deine Augen als Beweis der Ausführung mitzubringen. Das Blut kann ich nun anderwärts nehmen. Die Augen mußt du mir aber geben." Damit drückte der Führer dem Fans die Augen aus und ging mit den andern von dannen. Er ließ den Fans lebend liegen und begnügte sich damit, ihm seine Augen zu nehmen. Auf dem Rückwege töteten die Leute dann eine Gazelle und füllten von dem Blute in ein Gefäß. Dieses Gefäß voll Blut und die Augen brachten die Leute in die Ortschaft und sagten: "Herr, wir haben deinen Sohn getötet. Sieh! Hier sind seine Augen und hier ist von seinem Blute!"

Als der Vater hörte, daß sein Sohn getötet sei, begab er sich sogleich zum Hause seines Sohnes, um dessen Frauen zu nehmen. Vor dem Hause aber stand Saidi, und als der Vater hineingehen wollte, sagte Saidi: "Herr, in dies Haus darf niemand hineingehen bis dein Sohn zurückkommt oder ich gestorben bin." Der Vater sagte: "Wenn mein Sohn nun aber getötet ist, so werde ich, sein Vater, doch wohl hineingehen dürfen!" Saidi sagte: "Nein, Herr! Du kannst nicht hineingehen, es sei denn, daß du mich an dieser



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Stelle totschlagen läßt und über mich trittst!" Der Vater sagte: "Gut, ich werde Leute senden, die dich töten sollen." Saidi sagte: "Es ist gut, ich werde mich rüsten und kämpfen." Der Vater ging.

Am andern Morgen legte Saidi sein Sarad (Panzerhernd) an, ergriff Harba (Speer) und Ssaif (Schwert) und bestieg sein Djauwad. Saidi ritt vor das Tor des Gasr und ritt vor dem Tore auf und nieder. Er sagte bei sich: "Ich freue mich auf den Kampf und bin nur traurig, daß ich nicht an der Seite meines Herrn kämpfen kann." Saidi war noch nicht lange hin und her geritten, da kamen auch schon die Leute des Vaters des Fans in Waffen und auf Pferden und drangen auf Saidi ein. Saidi rief: "Ich bin bereit zum Kampfe. Geht nur ins Tor hinein!" Er schlug mit dem Schwert um sich, daß Panzerhemden, Schilde und Arme durchschnitten wurden. Er tötete einige der Leute und jagte die andern von dannen. Der Vater kümmerte sich aber wenig darum, daß er einige seiner Leute verloren hatte. Er sandte am andern Tage mehr und besser gerüstete Männer. Saidi jagte sie wie am Tage vorher von dannen. Der Vater ließ sich nicht abschrecken. Er sandte jeden Tag neue Leute zum Kampfe, und jeden Tag wurden sie von Saidi wieder geschlagen. Der Vater sagte: "Ich muß so ja längere Zeit auf den Besitz dieser schönen Frauen verzichten; aber einmal wird auch dieser Mann der Überzahl gegenüber lahm und müde werden." Zunächst hatte der Vater sich aber noch in Geduld zu fassen, denn Saidi tötete jeden Morgen zehn oder zwanzig oder dreißig seiner besten Männer.

Inzwischen tastete der blinde Fans sich im Busche weiter. Als er einmal traurig über sein Schicksal unter einem Busche saß, schlängelte sich eine Schlange zu einem Vogelnest und hätte den darin befindlichen Vogel sicher verschlungen, wenn er nicht bis zu den Füßen des Fans geflattert wäre, der die Schlange verscheuchte und den kleinen Vogel auf einen Ast setzte. Nach einiger Zeit kam ein größerer Vogel, das war die Mutter des Kleinen. Und das Kleine schrie: "Meine Mutter! Meine Mutter! Wenn der blinde Mann mich nicht aufgenommen und hierhergesetzt und die große Schlange, die mich verfolgte, weggescheucht hätte, dann wäre ich sicherlich von ihr verschlungen worden." Der größere Vogel sagte: "So verdanke ich also die Erhaltung deines Lebens diesem Manne?" Der kleine Vogel sagte: "Ja, meine Mutter, der Mann hat mich gerettet. Der Mann ist aber blind." Die Mutter sagte: "Ich weiß es, dieser



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Mann ist blind. Sein Vater hat ihm die Augen ausdrücken und sie zu sich in sein Haus bringen lassen; da liegen sie in einem Winkel." Der kleine Vogel sagte: "Meine Mutter, du bist so stark, könntest du nicht hinfliegen und die Augen des Mannes wiederbringen ?"Die Mutter sagte: "Ja, mein Kind, der Mann hat dir das Leben gerettet; nun will ich ihm die Augen wiederbringen."

Der größere Vogel flog zu dem Gasr des Vaters. Der Vogel suchte im Hofe und fand die Augen des Fans im Staube eines Hofwinkels liegen. Darauf nahm der Vogel die Augen auf, flog zu einem Brunnen und wusch die beiden Augen sorgfältig. Dann trug er sie in den Busch, wo der Fans gerade im Schlafe lag und setzte sie dem Fans wieder ein. Nun machte der Vogel aber eine Verwechslung, indem er das rechte Auge in die linke Höhle, das linke in die rechte fügte. Das hatte nun zur Folge, daß der Fans nun wohl noch schöner aussah als früher, daß man ihn aber deshalb so leicht nicht wiedererkennen konnte. Als der Fans aber erwachte, dachte er all sein Unglück geträumt zu haben, denn als er die Augen aufschlug, konnte er sehen. Der Fans hörte zwar die Vögel über seinem Kopfe in den Büschen singen und zwitschern, er verstand sie aber nicht.

Der Fans, der nun wieder sehen konnte, begab sich sogleich auf den Heimweg. Er kam an seinem Gasr am Nachmittag an. Saidi lag am Ausgang auf einer Matte. Der Fans setzte sich zu ihm. Er merkte, daß der Saidi ihn nicht erkannte, weil er nun schöner und jünger aussah. Er sagte zu Saidi: "Ich bin ein fremder Mann. Sage mir doch, was es hier für Dinge gibt." Saidi sagte: "Es gibt hier nichts Besonderes. Ich verteidige nur jeden Tag das Gasr meines Herrn gegen Leute, die der Vater meines Herrn ausschickt. Mein Herr ist nämlich ein wenig auf Reisen. Morgen nun wird der Vater meines Herrn einen Mann gegen diesen Gasr senden, der stark ist und früher der Freund meines Herrn war. Da werde ich wieder kämpfen. Anderes Neues weiß ich nicht." Der Fremde sagte: "Dann kann ich, der Fremde, dir mehr Neues von hier sagen! Dein Herr, mein Saidi, ist nämlich wiedergekommen!" Saidi sprang auf! Saidi erkannte seinen Herrn!

Der Fans sagte: "Ich werde morgen selbst gegen meinen Feind reiten und ihn gefangen nehmen. Du aber reite zum Gasr meines Vaters. Ich danke dir für deine Freundschaft. Wir wollen immer Freunde bleiben." Der Fans ging hinein zu den Frauen.

Wie der Fans es angeordnet hatte, so geschah es.



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17. Der Faris*

Ein Melik (hier ursprünglich ältere Bezeichnung für König; entspricht dem bei den Nilvölkern üblichen Mek und endet in dem abessinischen Menelik, ist heute aber dem in der Volkssprache eingebürgerten Ausdruck Sultan gewichen) war alt, sehr alt geworden. Er hatte keinen Sohn, der sein Nachfolger hätte werden können, und darüber war er sehr traurig und weinte sogar. Nachdem er sich nun eines Tages wieder sehr abgehärmt hatte, erschien ihm nachts Aïssa (hier mit Gott übersetzt) im Traum und sagte zu ihm: "Du wirst einen Sohn erhalten. Er wird ein starker Mann sein, und wenn er geboren sein wird, nenne ihn Ebaeid-aissa (= Gottes oder Issas, d. h. Jesus Sohn)." Der alte König wachte am andern Morgen auf, und ein Sklave trat zu ihm und teilte ihm mit, daß seine Gattin sich schwanger fühle. So wurde denn dem Melik ein Sohn geboren, wenn er auch schon sehr alt war. Man nannte ihn Ebaeid-aissa.

Ebaeid-aissa wuchs heran und wurde ein sehr starker Mann. Er wurde ein großer und schöner Jüngling. Eines Tages ging er über den Markt und sah beim Aischhandel zu; da hörte er die Leute untereinander sagen: "Es gibt kein schöneres Mädchen als die Tochter El-arabi (Tochter des Arabers)." Alle Leute sagten: "Es gibt kein schöneres Mädchen, als die Tochter El-arabi." Darauf sagte sich Ebaeid-aissa: "Wenn dies das schönste Mädchen des Landes ist, dann ist es meine passende Gattin."

Nun ging Ebaeid-aissa zu seinem Vater und sagte: "Mein Vater, ich möchte diese Tochter des El-arabi, die das schönste Mädchen der Stadt sein soll, sehen und heiraten." Der Melik sagte: "Mein Sohn, vergiß nicht, daß ich der reiche Melik der Stadt (Stadt =badia) bin, daß diese aber einem armen Buschvolk ohne Wohnung entstammt. Du kannst aber angesehene und schöne Mädchen der Stadt haben, so viele du willst." Ebaeid-aissa sagte: "Mein Vater, ich bitte dich, erlaube mir, die Tochter des El-arabi zu sehen." Dann ritt Ebaeid-aissa hinaus in den Busch zu den Zelten und sah das Lager und die Zelte. Und er sah das Mädchen. Die Tochter des El-arabi war sehr schön. Sie sah Ebaeid-aissa und sagte bei sich: "Dieser Fans ist schöner als irgendein Mann, den ich früher sah!" Als El-arabi aber hörte, daß der Sohn des Melik im Lager gewesen sei und den Wunsch habe, seine Tochter zu heiraten, erschrak er, brach das Lager ab und eilte mit seinen Leuten von dannen. 

* Version aus der Gegend von Barra in Kordofan.


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Als der Melik nun nach der Rückkehr seines Sohnes in die Ehe einwilligte und alle Vornehmen zur Hochzeit zusammen waren, wartete man vergeblich auf El-arabis Tochter. Die ausgesandten Leute kamen zurück und sagten, daß die Araber und mit ihnen das schöne Mädchen sehr weit weggezogen wären, so weit, daß sie sie nicht mehr erreicht hätten.

Nun wurde Ebaeid-aissa sehr traurig und sagte endlich: "Ich habe die Tochter El-arabis gesehen und ich will sie heiraten. Ich will sie suchen, ich will ihr folgen und will ihr nachreiten, bis ich sie erreiche." Ebaeid-aissa ging zum Melik und sagte: "Mein Vater, ich will wegreiten und die Tochter El-arabis suchen." Der König sagte: "Mein Sohn, laß mich meine Leute senden. Meine Leute werden sie suchen und finden." Ebaeid-aissa sagte: "Nein, mein Vater, laß mich selbst reiten!" Danach sattelte der Königssohn sein Pferd, bestieg es und ritt von dannen.

Ebaeid-aissa ritt auf seinem Djauwad (Pferd) weit in die Wüste hinein. Der Königssohn ritt den ganzen Tag bis zum späten Abend. Dann hatte er Durst und war müde. Er überlegte, wie er den nächsten Tag wohl ohne Wasser noch weiterkommen könne; da sah er einen gefüllten Wassersack an einem dürren Ast hängen, den hatte die Tochter des El-arabi für ihn hingehängt. Nun stieg Ebaeidaissa ab und gab seinem Pferde zu trinken, und er trank auch und stärkte sich durch Schlaf. Am andern Tag ritt er weiter, und als es spät abends war, kam er wieder an einen Wassersack, und so ging es weiter - sechs Tage lang.

Am siebenten Tage ritt der Königssohn weiter, er verirrte sich, und so kam es, daß er bis in die Nacht hinein ritt, ohne den Wassersack der Tochter El-arabis zu finden. Als es Nacht und schon sehr dunkel war, kam er an ein mächtiges Gasr (Schloß), das hatte einen riesigen Turm und war verschlossen durch ein mächtiges Tor aus Eisen. Dieses Eisentor war so schwer, daß vierzig gewöhnliche Männer es nicht bewegen konnten. In dem Schloß wohnten aber sieben Brüder, die waren weit stärker als andere Männer, und sie waren imstande, gemeinsam das Tor zu öffnen und zu schließen.

Ebaeid-aissa kam nachts an dieses Tor. Er stieg vom Pferd und schob es zurück. Er war so stark, daß er allein das vermochte, was die sieben ungewöhnlich starken Männer sonst nur gemeinsam konnten. Danach trat der Königssohn ein, band sein Pferd dort an, wo er die sieben Pferde der sieben Brüder fand, und als er dann in das nächste Haus kam und dort die sieben Brüder schlafend am



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Boden liegen sah, legte er sich neben sie. Er schlief, da er sehr müde war, sogleich ein.

Von dem Geräusche erwachte einer der sieben Brüder. Er stand auf und sah über die Brüder hin. Da sah er, daß neben ihm noch sieben Männer schliefen. Der Mann sagte bei sich: "Wir sind doch sieben Brüder, und nun liegen hier neben mir sieben Männer, so daß wir mit mir acht Brüder wären. Das ist nicht in Ordnung." Der Mann weckte seine Brüder. Die Brüder sahen den fremden Fans. Ein Bruder sagte: "Wir wollen den fremden Mann töten." Ein anderer Bruder sagte: "Weshalb willst du ihn töten? Er ist so stark, daß er allein das große Tor geöffnet hat und uns doch nichts tat. Weshalb wollen wir ihm nun etwas zuleide tun? Wir wollen unserer Mutter lieber sagen, daß sie zum Morgen für einen Freund mehr Essen bereite."

Die Brüder gingen hinaus. Sie sagten zur Mutter: "Wir sieben Brüder genießen jeden Morgen sieben Lämmer und sieben Töpfe Merissa. Nur dadurch erhalten wir unsere Kraft. Nun ist diese Nacht ein Freund zu uns gekommen, der auch ein Fans ist. Bereite also zum Frühstück acht Lämmer und acht Töpfe Merissa." Das sagten die Brüder zu der Mutter. Dann trieben sie ihre Herden hinaus. Als das Essen aber bereit war, sandte die Alte ihre Tochter, die Schwester der sieben Brüder, auf den höchsten Turm, daß sie mit dem Garran (Blashorn) zum Essen rufe. Die Tochter stieg auf den Turm und blies auf dem Garran. Davon erwachte Ebaeid-aissa und erhob sich. Die sieben Brüder kamen aber heim und schüttelten dem Fans die Hand und begrüßten ihn. Die Männer gingen alsdann zum Essen. Jeder der sieben Brüder verzehrte sein Lamm und trank seinen Topf Merissa. Ebaeid-aissa aber aß nur wenig. Darüber erstaunten die Brüder und sagten: "Wie kommst du nur mit so geringer Nahrung aus? Und dennoch bist du stärker als wir. Denn nur wenn jeder von uns alltäglich sein Lamm ißt und seinen Topf Merissa trinkt, können wir gemeinsam die schwere Eisentür öffnen und schließen. Du aber genießt fast nichts und kannst doch die schwere Eisentür allein handhaben." Der Fans sagte: "Es ist so. Ich brauche nicht mehr Nahrung."

Ebaeid-aissa blieb bei den sieben Brüdern drei Monate lang. Während all der Zeit sagte er nicht, was ihn hierher führe und was er suche. Es war aber in der Nähe der Melik der Djehud (König der Juden) wohnhaft, dem mußten die sieben Brüder jedes Jahr



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Abgaben zahlen. Die Brüder hatten alljährlich diese Bedingung erfüllt und hatten dem Melik gegeben, was er verlangte. In diesem Jahre aber hatten die Brüder nichts, was sie dem Melik hätten geben können. Die sieben Brüder sagten: "Was sollen wir denn geben? Wir haben nichts!" Die sieben Brüder sagten: "Wir wollen nun das Eisentor schließen und niemand hereinlassen. Unsere Schwester soll mit dem Garran auf den Turm steigen und sie soll blasen, wenn sich ein Feind zeigt." Und die sieben Brüder sagten zu Ebaeidaissa: "Steig doch mit unserer Schwester auf den Turm des Gasr. Schau mit ihr um, ob der Melik nicht seine Leute sendet. Und wenn sie kommen, dann sorge, daß unsere Schwester das Garran blase, so daß wir unsere Herden ins Gasr treiben und das eiserne Tor schließen können." Der Fans sagte: "Ich werde mit eurer Schwester vom Turm aus das Land übersehen."

Ebaeid-aissa stieg mit dem Mädchen auf den Turm. Die sieben Brüder zogen mit ihren Herden fort. Der Fans blickte mit der Schwester über das Land hin. In weiter Ferne sah man eine Staubwolke. Omo-chaijan (die Schwester der sieben Brüder) sagte zu Ebaeid-aissa: "Dort kommen die Leute des Melik, die von den Brüdern die Abgabe erheben wollen. Ich will sogleich den Garran blasen." Der Fans schliff gerade sein Saef (Schwert) mit dem Schleifstein (=Missann[e] oder Hadjr Miessaenn). Der Fans sah auf und sagte: "Warte!" Der Fans prüfte sein Schwert, ob es scharf sei. Omo-chaijan sagte: "Ich werde blasen, denn die Leute des Melik kommen näher." Der Fans sagte: "Wenn du das Garran bläst, werde ich dich totschlagen." Dann nahm der Fans dem Mädchen das Blashorn fort.

Der Fans stieg vom Turm herab. Er sattelte sein Pferd und ritt den Leuten des Melik entgegen. Der Fans ritt mit gezogenem Schwert auf die Leute des Melik zu und griff sie an. Die Leute des Melik wollten sich wehren. Sie sahen, daß der Fans stärker war, als sie alle. Die Leute des Melik wollten fliehen. Aber der Fans tötete sie bis auf zwei, die verwundete er, schnitt ihnen Ohr und Nase ab, setzte sie dann wieder auf ihre Pferde und sagte: "Nun reitet zurück zu eurem Melik und sagt ihm, daß er in diesem Jahre keine Abgabe erhalten könne, weil ich, Ebaeid-aissa, es nicht will." Die beiden Verwundeten kehrten zurück, und der Fans ritt auch wieder in das Schloß.

Als die Verwundeten zu ihrem Melik zurückkamen, war der sehr zornig und sandte am andern Tage einen zweiten Trupp von Leuten;



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der war stärker und zahlreicher. Aber der Fans kam ihnen wieder entgegen, und es erging ihnen nicht anders als den ersten. Der Fans sandte wieder die beiden übriggebliebenen Verwundeten zurück und ließ wieder sagen, daß der Melik in diesem Jahre keine Abgabe erhalten würde, weil er, Ebaeid-aissa, es nicht wolle! Ganz ebenso verfuhr der Fans mit einer dritten Abordnung des Melik, so daß der König nicht wußte, was er gegen den fremden Fans noch ausführen könne, um ihn in seine Gewalt zu bekommen. Der Melik hatte aber eine Tochter, das war eine Sahara, denn sie hatte Macht über die Aldjann. Sie war sehr schön und hieß Chadjidja. Chadjidja hörte, was sich ereignet hatte, und sie war neugierig, den fremden Fans kennen zu lernen. Sie ging also zu ihrem Vater, dem Melik der Djehud und sagte: "Mein Vater, ich will mit der Kraft, die mir verliehen ist, den Ebaeid-aissa fangen und hierher bringen."

Chadjidja machte sich also auf den Weg. Sie ritt zu dem Gasr der Brüder. Als sie nahe war, kam ihr der Fans entgegen um zu sehen, wer nun wieder mit ihm kämpfen wolle. Chadjidja verfuhr aber nach der Art der Sahara. Sie schrieb etwas auf einen Zettel und rief damit die ihr dienstbaren Aldjann herbei. Sie sagte den Aldjann, sie sollten den Fans mit Blindheit schlagen und ihn binden. Sie machte ihr Sachr (das ist die verzaubernde Bewegung der Hand). Sie nahm dann den geblendeten und gefangenen Fans auf ihr Gasr. Dort gab sie dem Fans das Augenlicht und die Freiheit wieder.

Chadjidja, die Tochter des Melik der Djehud, sah aber, daß der Fans sehr schön war, und sie sagte zu ihm: "Ebaeid-aissa, ich will dich nicht meinem Vater übergeben. Mein Vater würde dich töten. Bist du bereit, mich zu heiraten, so will ich mit dir hingehen, wohin du willst." Der Fans sagte: "Ich will dich heiraten; aber mit dir schlafen will ich noch nicht." Chadjidja sagte: "Dieses soll dein Wille sein. Wir wollen alles halten, wie du es willst." Und als es Nacht war, ging Chadjidja mit Ebaeid-aissa herab, und sie banden im Hofe zwei sehr schöne Pferde ab. Damit kehrten sie auf dem alten Wege zu dem Schlosse der sieben Brüder zurück.

Die sieben Brüder hatten auf den Fans gewartet. Sie waren hinausgeritten. Sie hatten alle die toten Leute gefunden, die der Fans in den ersten drei Kampftagen getötet hatte. Sie suchten nach Ebaeid-aissa und konnten ihn nicht finden. Sie sagten: "Unser Bruder ist getötet und fortgebracht. Er ist nicht mehr lebend." Der Fans kam aber mit Chadjidja, der Tochter des Königs der Juden. Die Schwester der sieben Brüder stand auf dem Turm, und als sie



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die Reiter kommen sah, blies sie das Garran. Darauf ritten die sieben Brüder den Ankommenden entgegen. Sie hatten die Schwerter gezogen und glaubten, es kämen neue Boten von dem Melik der Djehud, um die Abgaben einzuziehen. Mit den Boten wollten sie kämpfen.

Als sie aber ganz nahe zu dem Fans herangekommen waren, erkannten sie ihn und riefen: "Das ist Ebaeid-aissa. Das ist unser Bruder." Ihre Freude war groß, und sie hießen ihre Mutter Lämmer schlachten und Merissa brauen, und sie feierten die Hochzeit des Fans mit der Tochter des Judenkönigs. Sie dankten dem Fans für alles, was er für sie getan hatte und sagten zu ihm: "Du bist nun unser wahrer Bruder (Ausdruck innigster Freundschaft). Du sollst nicht wieder fortgehen." Sie bauten für Ebaeid-aissa ein schönes Haus, daß der Fans mit seiner Frau, der Tochter des Königs der Juden, darin wohne.

Ebaeid-aissa rührte aber Chadjidja, seine Gattin, nicht an. Jeden Abend, wenn er sich zu ihr auf das Angareb legte, zog er das Schwert heraus und legte es zwischen sich und seine Frau. Chaddjidja war aber eine Sahara (das ist ein prophetisch angelegtes Weib, das etwa einem Kudjur entspricht und alle Dinge durchschauen kann), und sie wußte, was den Fans bewegte. Chadjidja stand eines Tages mit der Schwester der sieben Brüder auf dem hohen Turm des Schlosses und sagte zu dem Mädchen: "Ich weiß, weshalb mein Mann mich nicht anrührt und weshalb er an jedem Abend das Schwert zwischen mich und sich legt. Ebaeid-aissa hat seinen Vater verlassen und ist fortgeritten, um die schöne Tochter des Elarabi (Arabers) zu freien und zur Gattin zu gewinnen. Ehe er nicht dies schöne Mädchen zur Gattin gewonnen hat, wird er mich nicht anrühren. Sieh nun von hier aus in jene Richtung. Der Turm, auf dem wir stehen, ist so hoch, daß wir weit über das Land sehen können. Dort drüben kannst du in weiter Ferne ein Feuer sehen. Das ist das Feuer der Leute El-arabis. Dort ist das schöne Mädchen, und in zwei Tagen wird das Mädchen von ihrem Vater mit ihrem Vetter verheiratet werden."

Der Fans stand unten im Turm und hörte alles. Er ging dahin, wo sein Pferd stand. Er legte seine Waffen an und nahm einen Beutel mit Gold. Er ritt in der Richtung auf das Feuer zu, denn alles andere war ihm gleichgültig, wenn er nur zu der schönen Tochter des El-arabi kam. Der Fans ritt so schnell er konnte. Der



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Fans kam im Lager des Arabers an dem Abend an, als die Hochzeit gefeiert wurde. Der Fans näherte sich vorsichtig der Lagerhecke und band sein Pferd an einen Ast an.

Der Fans blickte über die Hecke in das Lager. Er sah eine Adjura (eine alte Frau) vorübergehen. Er rief die alte Frau an. Die alte Frau erschrak erst; der Fans schüttelte aber mit dem gefüllten Goldbeutel. Als die Adjura das hörte, kam sie näher heran. Die alte Frau sagte: "Was willst du?" Der Fans sagte: "Du kennst mich nicht mehr? Weißt du nicht, daß einmal der Sohn eines Melik bei euch im Lager war, der um die schöne Tochter El-arabis freite?" Die alte Frau sagte: "Ich weiß es. El-arabi ist dann fortgezogen, bis er hierherkam." Der Fans sagte: "Der Sohn des Melik bin ich. Kennst du mich jetzt?"

Die alte Frau kam heran. Sie sagte: "Ja, jetzt sehe ich es. Du bist der Sohn des Melik. Was willst du von mir? Weshalb schüttelst du den Beutel mit Gold?" Ebaeid-aissa sagte: "Wenn du es machen könntest, daß das schöne Mädchen hier allein vorbeikommt, so würde ich dir dies Gold schenken." Die alte Frau sagte: "Warte ein wenig, ich werde sogleich sehen, was ich tun kann. Die jungen Mädchen sind alle beim Tanz, denn die Tochter El-arabis soll heute heiraten und nachher dem Zelte ihres zukünftigen Mannes zugeführt werden. Warte aber ein wenig. Ich werde bald wiederkommen."

Die Mädchen des Arabers tanzten der schönen Tochter El-arabis zu Ehren, die heute heiraten sollte. Das schöne Mädchen tanzte mit. Die alte Frau kam heran. Die Mädchen hörten mit dem Tanze auf, denn sie wollten jetzt das junge Mädchen zum Zelte ihres Mannes bringen. Die alte Frau sagte: "Es ist nicht gut, wenn das junge Mädchen gleich in das Zelt ihres zukünftigen Mannes kommt. Es ist besser, wenn das Mädchen erst als Sibr (=Opfer, Darbringung, Weihe oder so) mit mir einmal um die Lagerhecke geht. Dann wird sie ausgezeichnete Kinder haben." Die Mädchen sagten: "Du bist eine Adjura (alte Frau). Du mußt es wissen. Bringe die Braut nur bald wieder zurück!" Die Braut sagte: "Du, alte Frau, tue, was gut für mich ist. Den Mann, den ich liebe, werde ich doch nicht heiraten können."

Die alte Frau ging mit dem schönen Mädchen weg. Sie führte das schöne Mädchen zur Dornenhecke aus dem Lager. Die alte Frau sagte: "Den Mann, den du liebst, wirst du doch noch heiraten können." Das schöne Mädchen ging schneller und sagte: "Glaubst



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du das?" Die Alte lief keuchend neben dem schönen Mädchen her und sagte: "Lauf nicht gar so schnell. Ich weiß aber, daß du den Mann, den du liebst, heiraten wirst. Lauf nicht so schnell; ich muß mit dir um die Hecke bis zu der Ecke dort gehen."

Die alte Frau lief neben dem schönen Mädchen an der Dornenhecke hin bis zu der Ecke. Als der Fans sie kommen sah, sprang er auf das Pferd. Der Fans sagte: "Schönes Mädchen El-arabis; ich bin es! Ich, Ebaeid-aissa!" Der Fans warf der Alten den Beutel mit Gold zu. Dann hob er das Mädchen auf sein Pferd und ritt mit ihr fort in der Richtung auf das Gasr der sieben Brüder. Er ritt sehr schnell. Ehe die Araber den Verlust des schönen Mädchens bemerkten, war der Fans schon weit fort. Der Fans kam glücklich im Schlosse der sieben Brüder an. Die sieben Brüder begrüßten ihn mit herzlichen Zurufen. Die sieben Brüder veranstalteten ein großes Hochzeitsfest.

Nachdem Ebaeid-aissa so die zwei Frauen geheiratet hatte, sagte er eines Tages zu den sieben Brüdern: "Ich habe nun die schöne Tochter El-arabis gewonnen, deretwegen ich das Haus meines Vaters verlassen habe, und außerdem habe ich noch Chadjidja, die Tochter des Königs der Juden, geheiratet. So will ich denn nun zu meinem Vater, der ein alter Mann ist, zurückkehren und werde ihm die Bürde des Königstums abnehmen." Die sieben Brüder waren sehr betrübt darüber, daß der Fans sie verlassen wollte. Sie gaben seinem Drängen aber nach und bereiteten alles zur Abreise vor.

Die zwei Frauen wurden jede auf ein Kamel gehoben, der Fans bestieg sein Pferd, und die sieben Brüder begleiteten Ebaeid-aissa ein gutes Stück weit, bis sie nämlich dahin kamen, wo der Weg sich teilte und ein Arm zur einen, der andere zur andern Seite durch die Wüste hinauslief. Die sieben Brüder sagten: "Hier wollen wir sieben Brüder von dir Abschied nehmen und zu unserem Schlosse zurückkehren. Merke aber auf, teurer Bruder, daß der Weg sich hier trennt. Dieser Wegarm führt in das Land eines sehr schlimmen Gui. Du mußt den andern Weg reiten." Damit nahmen die sieben Brüder Abschied und kehrten zurück.

Ebaeid-aissa setzte seinen Weg fort. Er ritt aber nicht den Weg, den die sieben Brüder ihm als den guten bezeichnet hatten, sondern er ritt mit den beiden schönen Frauen hinter sich auf den Kamelen auf das Land des Gui zu. Bald kam er auch in die Nähe des Schlosses des Gui, der gerade herausschaute. Als der Gul den



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Weg hinsah, erkannte er, daß zuerst ein Mann auf einem Pferd, hinter ihm aber auf Kamelen zwei sehr schöne Frauen kamen. Der Gui sagte also bei sich: "Diese beiden schönen Frauen kommen mir gerade zurecht. Ich werde also den Mann beiseitebringen und die zwei schönen Frauen zu mir nehmen."

Der Gui stand also auf und ging hinab und auf der Straße hin dem Fans entgegen.

Der Gui sagte: "Mein Freund, es scheint mir, als ob du ein Fans seiest. Ich schätze aber den Kampf. Wir wollen miteinander ringen, wollen uns aber nicht töten. Wer den andern überwindet, kann den Überwundenen zum Sklaven nehmen." Der Fans sagte: "Es ist mir recht." Sie packten einander an, und gleich darauf warf der Fans den Gui so hart gegen den Felsboden, daß es dröhnte. Der Gui erhob sich. Ebaeid-aissa sagte: "Nun bist du mein Sklave!" Der Gui sagte: "Nicht doch, wir wollen noch einmal ringen. Wer den andern wirft, dem gehört all das Besitztum des Geworfenen, eingeschlossen seine Frauen." Der Fans sagte: "Es ist mir recht!"

Sie packten sich wieder an. Der Gui faßte aber hinterrücks den Fans am Fuß und brachte ihn so zu Falle. Der Gui sagte: "Nun bist du mitsamt deinen Weibern mein Eigentum." Ebaeid-aissa sprang aber wieder auf und sagte: "Nicht doch! Jetzt wollen wir noch einmal miteinander ringen. Diesmal soll aber der Sieger den Geworfenen töten." Der Gui wollte dagegen sprechen. Der Fans aber sagte: "Eile dich! Ich will nicht soviel Zeit verlieren!" Dann packte Ebaeid-aissa den Gui und warf ihn so hart auf die Erde, daß der Felsen unter seinem aufstürzenden Falle barst. Der Fans sagte: "So, nun will ich dich töten!" Und er rief seinen Frauen zu: "Gebt mir ein Messer her, daß ich dem Gui die Kehle durchschneide."

Der Gui sah nun, daß der Weg hier ein Ende nehmen wollte und schrie laut: "Nicht doch! Nicht doch! Laß mich am Leben, ich habe eine schöne Tochter, die will ich dir zur Frau geben. Laß mich am Leben." Der Fans sagte: "Ich habe schon zwei Frauen, ich denke, ich töte dich lieber!" Der Gui jammerte aber, schrie und sagte: "Nein, Fans, so warte doch nur, bis du meine Tochter Luli gesehen hast." Und der Gui schrie, was er konnte: "Luli! Luli! Luli!" Als die schöne Tochter des Gui hörte, daß ihr Vater so jämmerlich schrie, antwortete sie vom Schloß herab: "Ich komme, mein Vater! Ich komme!"

Dann eilte Luli herab auf die Straße. Als Luli ihren Vater am Boden liegen und den Fans auf ihm knien sah, schrie sie auf und



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warf sich vor Ebaeid-aissa nieder und sprach: "O Fans, ich bitte dich! Schone meinen Vater!" Und Luli rutschte auf den Knien zu den Kamelen und flehte die Frauen an und schrie und weinte und bat: "Ihr schönen Frauen, bittet doch diesen Fans, daß er meinen Vater am Leben lasse!" Darauf baten die beiden Frauen Ebaeid-aissa, den Vorschlag des Gui anzunehmen und dessen Leben gegen die schöne Tochter auszutauschen.

So schenkte Ebaeid-aissa dem Gui das Leben, und dieser beeilte sich, dem Helden eine herrliche Hochzeit zu veranstalten. So erwarb denn der Fans sein drittes Weib, und nachdem er einige Tage bei dem Gui verbracht hatte, zeigte dieser selbst ihm den Weg in die Heimat. Er nahm also von seinem Schwiegervater Abschied und ritt an der Spitze der drei Frauen der Stadt zu, in der sein Vater König war.

Nachdem der Fans vierzehn Tage weit gereist war, kam er an den Feldern an, die die Stadt seines Vaters umgaben. Da baute er eine Rekuba im Busch und sagte zu seinen drei Frauen: "Ich werde zu meinem Vater in die Stadt gehen und ihn begrüßen. Ich komme bald wieder und hole euch dann ab. Ich bitte dich, Chadjidja, aber dafür Sorge zu tragen, daß euch nichts widerfährt." Danach machte der Fans sich auf den Weg zu seinem Vater. Als er in die Stadt kam, sahen ihn die Leute. Die Leute blieben auf der Straße stehen und sagten: "Ist das nicht Ebaeid-aissa, der Sohn des Melik, der vor langer Zeit auf Reisen ging, um eine schöne Araberin zu freien?" Und das Volk drängte ihm nach zu dem Palast.

Ehe noch der Fans im Palaste ankam, liefen die Vornehmen voraus und schrien dem Türhüter zu: "Sagt dem Melik, daß sein Sohn wiedergekehrt ist!" Alles Volk versammelte sich rundum, und der alte Melik erhob sich von seinem Angareb und kam dem Fans entgegen. Der Fans aber überragte an Kopfeslänge alles umstehende Volk, und sein eiserner Helm blitzte weithin im Licht. Der Melik weinte Tränen der Freude über die Wiederkehr des Sohnes. Und als der Sohn dem Vater erzählt hatte, daß er drei schöne Frauen gewonnen hatte, die draußen in einer Rekuba auf ihn warteten, da drängte er ihn, doch schnell zurückzureiten und seine drei Frauen zu holen.



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Während nun in der Stadt Ebaeid-aissa den Vater begrüßte, kam draußen im Busch ein Araber bei der Rekuba vorbei, in der der Fans seine Frauen zurückgelassen hatte. Der Araber sah zwei


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der Frauen und eilte zum Schech aller Araber, der in der Nähe weilte, und sagte: "In dem Busch ist eine Rekuba mit schönen Frauen, die hat ein fremder Fans gewonnen, der in die Stadt gegangen ist. Unter den Frauen ist aber eine schöne Araberin." Als der Schech der Araber das hörte, sagte er: "Daß ein fremder Mann eine Araberin zur Frau gewonnen hat, ist eine Schande. Geht hin und bringt mir die Frau. Drei von euch sollen aber am Wege im Busch mit Lanzen auf die Rückkehr des Fans warten und sollen ihm dann die Lanzen in den Leib stoßen und ihn töten."

Die Araber überfielen die Rekuba, noch ehe der Fans aus der Stadt zurückkam. Chadjidja bemerkte es beizeiten und verwandelte sich in eine alte Frau. Als die Räuber der Weiber kamen, sagte Chadjidja: "Ich bin die alte Wärterin dieser Frauen. Ich will sagen, wann der Zeitpunkt für den Schech gekommen ist, diese schönen Weiber auf sein Angareb zu nehmen, ohne daß es dem Schech Schaden bringt." Darauf fürchteten die Araber die Adjura (die Alte) und ließen ihretwegen die jungen Weiber unbehelligt. Der Schech sagte aber zu der Adjura: "Sage es mir nur beizeiten, wann die Zeit gut ist, daß ich diese schönen jungen Frauen mir zu eigen mache. Ich will dich dann auch beschenken." Die Adjura sagte: "Es ist recht; ich will es dir schon sagen, denn ich möchte gern Gold von dir verdienen." Darauf glaubte ihr der Schech.

Inzwischen kam der Fans nichts ahnend auf einem Esel den Weg zur Rekuba. Als er eben aus dem Busch reiten wollte, warfen ihm die drei Burschen ihre Speere in den Rücken, so daß er auf die Erde fiel und viel Blut hervorsprang. Die Burschen hielten ihn nun für tot, nahmen sein Schwert und liefen von dannen. Nach einiger Zeit kam aber ein Mann vorbei, der fand Ebaeid-aissa mit den drei Speeren im Rücken auf dem Wege. Da hob er ihn auf und brachte ihn in das nicht allzuweit liegende Gehöft einer Frau. Die Frau sah den Verwundeten, der in Ohnmacht lag und sagte: "Das ist Ebaeidaissa, der Sohn des Königs." Darauf entkleidete und verband sie ihn, und als der Fans wieder zu sich kam und sie bat, niemandem etwas zu sagen, daß er hier und noch lebend sei, da hielt sie das Versprechen und verschwieg es. Als also der Melik in der Gegend nach seinem Sohne forschen ließ und seine Leute nur den toten Esel, eine Blutlache und ein blutiges Kleidungsstück des Helden fanden, da glaubte er und alle Stadtleute nicht anders, als daß Ebaeid-aissa durch die wilden Tiere getötet worden sei.

Der Fans sandte aber seine alte Wärterin insgeheim zu dem



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Lager des Araberschechs und zu Chadjidja und ließ sie bitten, ihn wissen zu lassen, wann der Schech sich die Frauen aneignen wolle, vor allem ihm aber sein Schwert zu senden. Chadjidja sandte Ebaeid-aissa erst sein Schwert und dann die Nachricht: "Heute abend will der Schech deine jungen Frauen heiraten und deshalb für sie tanzen lassen." Als der Fans das hörte, steckte er das wiedergewonnene Schwert in das Unterkleid, so daß er es auf der Brust und den Griff handlich am Halse hatte, und hüllte sich dann in Weiberkleider. In den Weiberkleidern ging er hin in das Lager des Araberschechs, um den Weibern beizustehen.

Alle Weiber tanzten vor dem Schech, nur der Fans stand in Weiberkleidern am Kopfende des Angarebs des Schechs und tanzte nicht mit. Der Araberschech sagte: "Du, Mädchen oder Frau! Weshalb tanzt du nicht mit?" Der Fans sagte: "So will ich denn auch tanzen; keiner von euch Räubern und Mördern soll aber je den Tanz vergessen." Dann zog er das Schwert heraus. Er erschlug den Schech. Er warf die Weiberkleider ab und sprang unter die Burschen und Männer. Er tötete die, die ihn mit Lanzen getroffen und fast getötet hatten. Er tötete an dem Tage viele Araber, und wenige Männer entkamen dem Tode.

Dann aber nahm er seine drei Frauen mit sich und brachte sie in die Stadt zu seinem Vater. Der alte Melik war glücklich, daß der totgeglaubte Sohn nun doch noch lebte und setzte ihn ein zum Melik an seiner Statt.



18. Der Verarmte

Ein Mann war jung, sehr jung und reich, sehr reich. Der Mann lebte in einer Stadt, und es gab nichts, was ihm fehlte und was ihn betrübte. Er hatte Freunde, die waren jung wie er selbst, und er lud sie häufig zu sich ein. Er verkehrte aber nur mit jungen Leuten, die sehr gut zu essen verstanden und von guter Familie waren wie er selbst.

Eines Nachts träumte der junge Mann. Er träumte, daß er eines Tages alles, was er habe, verliere und nun ein armer Mann sei, der mit Wassertragen ein oder zwei Piaster verdienen und davon leben müsse. Der junge Mann träumte das und erwachte dann. Als er erwacht war, sah er den Traum noch sehr deutlich und er dachte über den Traum nach. Der junge Mann sagte: "Nach dem Traum ist es sicher, daß ich eines Tages arm werde und daß ich dann mein



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angenehmes Leben und den Kreis meiner Freunde verlieren werde. Dann werde ich mir in schwerer Weise meinen Unterhalt verdienen müssen. Das wird mir aber leichter zu erlernen fallen, wenn das Unglück mich in der Jugend packt, als wenn ich ihm im Alter anheimfalle. Ich werde also meinem Unglück entgegenreiten und werde versuchen, es auf solche Weise möglichst bald zu überwinden. Vielleicht werde ich dann als älterer Mann wieder von seiner Last befreit."

Der junge, reiche Mann nahm zwei Beutel und füllte sie mit Gold und Silber. Er schloß sein Haus zu, bestieg einen Esel und ritt von dannen. Nachdem er viele Tage geritten war, kam er mit seinem Gelde und mit seinem Esel an den Nil. Der Nil war aber gerade hoch, und so konnte er einen Teil, den man sonst wohl durchreitet, nur in der Weise passieren, daß er weiter oberhalb auf einem Boote mit seinem Esel und seinen Geldsäcken übersetzte. Es war ein kleines Boot, und der Esel ward nach einiger Zeit unruhig. Nach einer Weile konnte der junge Mann die Kette, an die er den Esel befestigt hatte, nicht mehr halten. Der Esel kam über den Rand des Bootes und versank mit beiden Säcken, in denen Gold und Silber war. Als der junge Mann an das andere Ufer des Nils kam, hatte er nichts mehr.

Der junge Mann betrat das Ufer und sagte: "Wie hatte ich recht, daß ich der Erfüllung meines Traumes entgegenritt. Ich bin noch jung und werde mich jetzt schnell an die Beschwerden des Wassertragens gewöhnen."

Der junge Mann ging also auf die Stadt zu, die vor ihm lag und suchte bei einem andern armen Manne Unterkunft. Am andern Tag lieh er sich einen Wassersack und begann bei den Leuten der Stadt sein Wasser auszubieten.

Die Leute der Stadt mochten den jungen Mann bald gern leiden, denn er wußte jede Sache nach der Art und den Bewegungen einer guten Erziehung anzufassen. Er war nicht aufdringlich und schrie nicht wie die andern Wasserträger in lärmender Weise. Er bettelte nicht. Also nahmen die reichen Leute ihm lieber das Wasser ab als andern seines Berufes. Unter denen, denen er täglich das Wasser ins Haus zu bringen hatte, war ein sehr reicher Mann, der hatte sechs Töchter, und diese sechs Töchter sollten nach einiger Zeit heiraten.

Der reiche Mann rief eines Tages seine sechs Töchter zusammen und sagte: "Meine Töchter, ihr seid in dem Alter, in dem die Frauen



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heiraten sollen. Nun ist es vielfach Sitte, daß die Väter bei der Verheiratung ihrer Töchter auf das Geld ihrer Schwiegersöhne sehen. Ich bin nun so wohlhabend, daß das bei mir nicht so sein soll. Ihr könnt euch unter den jungen Männern die auswählen, die euch am besten gefallen. Ich werde eine Azurne (Fest) veranstalten; beachtet nun, wie ein jeder sich dabei benimmt, und werft dann dem, der euch als Ehemann paßt, euer Taschentuch (kord. = machrem; arab. =mandil) zu." Die Töchter dankten ihrem Vater und baten ihn, ja alle Leute der Bekanntschaft zu dem Feste zu laden. Die ersten fünf Mädchen hatten sich aber schon in fünf junge Burschen verliebt und wußten schon, wem sie ihre Taschentücher zuwerfen wollten. Der Vater sagte: "Ich werde sicherlich alle Bekannten unseres Hauses zu der Azurne einladen. Und da es ein großes Freudenfest unserer Familie ist, sollen auch alle niederen Leute, bis zum ärmsten Wasserträger herab, ihren Anteil an der Azurne haben."

Der reiche Mann bereitete die Azurne so vor, wie er es seinen Töchtern gesagt hatte. Es waren viele Leute da, und an dem Essen beteiligten sich alle jungen Männer, und auch den Zuträgern des Hauses bis zum niedrigsten Wasserträger hatte man Zutritt gewährt, so daß sie an dem großen Essen teilnehmen und jeder nach seinem Belieben von allen Speisen wählen und genießen konnte. Die ersten fünf Mädchen, die sich schon in ihre Burschen verliebt hatten, sahen nur eine jede auf ihren Erwählten. Die Jüngste aber, die noch keinem Manne zugetan war, blickte aufmerksam von einem zum andern. Die Jüngste sah, wie mancher von den wohlgekleideten und reichen Burschen gierig in die Schüsseln griff und herunterschlang, was ihm unter die Finger kam. Sie sah, wie mancher von den angesehenen Burschen, die für etwas Außerordentliches galten, sich sein Kleid beschmutzte. Sie sah, daß mancher, der mit viel Geräusch von der Bedeutung und dem Alter seiner in einer allen andern unbekannten, fernen Stadt wohnenden Familie zu sprechen pflegte, die großen und häßlichen Hände der Bauern hatte. Sie sah aber auch auf den Wasserträger, der unten am Ende des Raumes saß. Sie sah, daß er mit Wahl in die einzelnen Schüsseln griff. Sie sah, daß er jene Gerichte bevorzugte, die reiche Leute als etwas Besonderes zu genießen pflegen. Sie sah, daß er schöne kleine Hände hatte. Sie sah, daß er mit den kleinen Händen in geschickter Weise in die Schüsseln griff und ohne Mühe jede Beschmutzung seiner einfachen Kleider vermied. Sie sah, daß er nicht viel aß, nach



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Art der armen Leute, die die Gelegenheit benutzen müssen, um für einige Zeit vorzusorgen. Sie sah, daß er in geschickter Wahl in guter Reihenfolge gerade so viel von den angebotenen Speisen nahm, als einem wohlhabenden Manne gut bekommt und ihm angenehme Stunden nach dem Genusse bereitet. Sie sah, daß der Wasserträger ein schöner und junger Mann war.

Nach dem Fest erhob sich der Vater und sagte: "Nun sollen meine sechs Töchter aus eurer Mitte sich Männer erwählen. Jede mag dem, den sie zum Gemahl begehrt, ihr Taschentuch zuwerfen. Ein jeder, den meine Töchter wählen, soll mir als Schwiegersohn willkommen sein. Ich werde einem jeden ein würdiges Haus in meinen Gärten anweisen."

Danach winkte der reiche Mann den Sklaven (=Abd). Die Sklaven trugen die Schüsseln und Wasserkannen und Tücher hinaus. Dann warf eine der sechs Töchter des reichen Mannes nach der andern dem Manne ihr Taschentuch zu, den sie als Gatten erwählt hatte.

Die ersten fünf Töchter warfen ihre Taschentücher den Männern zu, in die sie sich schon verliebt hatten. Die Leute hatten das schon vorher gewußt, und da es angesehene junge Männer waren, so hatte der Vater nichts weiter hierzu zu sagen. Niemand hatte aber bis dahin gehört, daß die Jüngste, die sechste Tochter des reichen Mannes, irgendeinem Manne besonders nachgesehen, über ihn in anerkennender Weise gesprochen oder überhaupt irgendeinen Mann beachtet habe. Der Vater und alle seine Leute sahen daher besonders aufmerksam auf die sechste Tochter und waren neugierig zu sehen, was diese nun tun werde.

Die sechste Tochter saß still da und sagte gar nichts. Der Vater und alle Leute warteten. Der Vater sagte: "Wen wählst du denn nun, meine jüngste Tochter?" Die Tochter sagte: "Mein Vater, bestimme du mir einen würdigen Gatten!" Der Vater sagte: "Nein, meine Tochter, ich werde dies nicht tun. Ich habe dies Fest veranstaltet, damit ihr alle jungen Männer sehen und ihre Art untereinander vergleichen könnt. Deine fünf älteren Schwestern haben ihre Gatten so gewählt. Du sollst es nun auch tun!" Die Tochter sagte: "Ich werde dann tun, wie du es willst. Ich verstehe dich aber so, daß jede von uns den Mann wählen soll, der ihr als der Beste an guten Sitten und passendste nach ihrem Sinn und Herzen erscheint!" Der Vater sagte: "Du hast mich recht verstanden." Die sechste Tochter nahm ihr Taschentuch in die Hand und wandte sich um.



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Sie wandte sich von der Tafel der angesehenen Leute ab und warf ihr Taschentuch nach dem Ende des Raumes. Das Taschentuch fiel in den Schoß des armen Wasserträgers.

Der reiche Mann ward sehr zornig. Der reiche Mann sagte: "Was hast du getan?" Die jüngste Tochter sagte: "Ich habe das getan, was du von mir verlangt hast. Ich habe mir den zum Gatten erwählt, der mir der Beste an guten Sitten erscheint und der meinem Sinn und Herzen am meisten zusagt." Der Vater ward noch zorniger und sagte: "Du hast das nicht getan. Du hast einen gemeinen Mann gewählt. Du hast dir einen elenden Menschen genommen, mit dem die angesehenen Männer deiner Schwestern sicher nicht aus einer Schüssel essen wollen." Die jüngste Tochter sagte: "Deine sechs Töchter sind verschieden. Die Sinne deiner sechs Töchter sind verschieden. Daher müssen auch die Männer deiner sechs Töchter verschieden sein. Mein Mann wird nicht danach drängen, mit seinen Schwägern gleich genommen zu werden, ebensowenig wie ich es verlange, daß meine Schwestern in mir das Spiegelbild ihres Geschmacks sehen." Der reiche Mann sagte: "Jeder soll haben, was er will. Meine sechste Tochter hat recht, wenn sie jedem anderes Maß anlegt. Meine ersten fünf Schwiegersöhne sollen also auch in Zukunft nach ihrem Maße wohnen und leben und mein sechster nach dem seinen."

Darauf wies der reiche Mann seinen ältesten fünf Töchtern und ihren Gatten ein großes, schönes Haus in einem weiten Garten an. Unten waren viele Pferde und Sklaven. Oben duftete jeder Diwan von Rosenöl, und über die Betten waren kostbare Stoffe gelegt. Dem Wasserträger und seiner jüngsten Tochter ließ er aber eine elende Lehmhütte auf dem Hofe unter den Sklaven anweisen. Wenn es regnete, floß das Wasser an den Wänden herab; es war feucht in dem Haus und roch nach Moder; und als Bett wurde dem jungen Ehepaar eine alte Matte angewiesen, die vorüberziehende Djellaba als verbraucht weggeworfen hatten.

Kurze Zeit danach wurde der reiche Mann sehr krank. Man rief einen erfahrenen Arzt, der untersuchte den Kranken eingehend. Danach sagte er zu dem reichen Kranken: "Ich habe jetzt ganz eingehend alles untersucht und muß dir sagen, daß du eine ganz ungewöhnliche Krankheit hast, die wohl nur aus einem großen Kummer gekommen sein kann. Ich glaube dir also sagen zu müssen, daß du sterben wirst, wenn du nicht sehr bald die gute Milch einer Gazelle (bei allen Stämmen von Dar For bis nach dem Roten Meer



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als Gasal bezeichnet) trinkst. Merke dir aber, daß es fette Milch sein muß, und daß nicht mehr viel Zeit verstreichen darf, damit auch dies nicht zu spät kommt." Der reiche Mann sagte: "Daß meine Krankheit dem Kummer entspringt, mag wohl wahr sein. Wie soll ich aber die Milch einer Gazelle erhalten?" Der Arzt sagte: "Wie kannst du danach fragen, da du doch deinen sechs Töchtern Männer gegeben hast? Kann es für deine Schwiegersöhne etwas Angenehmeres geben, als für dich, ihren Wohltäter, eine Gazelle zu fangen und zu melken?" Der reiche Mann sagte: "Ich danke dir; du hast recht."

Der reiche Mann ließ den fünf Schwiegersöhnen, die in dem schönen Palast im Garten wohnten, sagen, was der Arzt angeordnet hatte. Darauf ergriffen die fünf Schwiegersöhne ihre Lanzen und ihre Wurfhölzer und bestiegen ihre Pferde, um hinaus auf die Gazellenjagd zu reiten. Der arme Wasserträger stand an der Türe seines Lehmhauses und sah seine Schwäger von dannen reiten. Er sah einige Sklaven vorbeikommen und fragte: "Wo reiten die Herren hin?" Die Sklaven sagten: "Der alte Herr ist krank, und der Arzt hat gesagt, daß nur fette Gazellenmilch ihn wieder gesund machen könne." Der junge Wasserträger ging in das Haus. Er nahm einige Ledersacke (= ssaen) von dem Haken, hing sie über, nahm einen Stock und Stricke und sagte zu seiner Frau: "Meine Frau, ich gehe hinaus, um das zu bringen, was deinen Vater wieder gesund machen kann." Danach ging der junge Wasserträger zu Fuß hinaus in die Steppe, dahin, wo viele Gazellen vorüberwechselten.

Der junge Wasserträger legte an mehreren Stellen seine Fallen. Er achtete darauf, wo seine Schwäger zur Gazellenjagd hingeritten waren und baute überall da eine Falle auf, wo die von den Jägern verfolgten Tiere auf ihrem Wechsel vorbeikommen mußten. Die fünf Jäger verfolgten inzwischen auf der weiten Steppe die Gazellenrudel. Sie kamen überall erst an die Böcke, die rundum die Ricken und Kitzen bewachten. Die fünf Jäger töteten viele mit Speeren und Wurfhölzern. Dann stiegen sie ab um zu sehen, wieviel milchende Tiere unter den erlegten seien. Sie sahen, daß es lauter Böcke und alte Ricken waren, aber nicht ein einziges milchendes Muttertier darunter. Sie stiegen wieder auf und ritten den andern Rudeln nach. Die Rudel waren aber inzwischen weit weggerannt. Die Jäger sahen kein Tier mehr. Sie folgten den Spuren der entronnenen Tiere. Sie hatten nicht eine Schale Gazellenmilch gefunden.



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Als die fünf Reiter die Böcke mit Speeren und Wurfhölzern töteten, sprangen die Rudel auf ihrem Rückwechsel von dannen. Die milchenden Tiere liefen voran und kamen dahin, wo der junge Wasserträger seine Fallen aufgestellt hatte. Der junge Wasserträger fing so drei milchende Gazellen. Er molk sie sogleich. Er schöpfte die beste, fette Milch oben ab und füllte sie in seinen Ssaen. Den Ledersack steckte er dann zu sich.

Nach einiger Zeit kamen die fünf Reiter an, die den Spuren der weggelaufenen Gazellen nachgeritten waren. Sie sahen den Wasserträger und seine drei milchenden Gazellen. Sie sagten: "Gib uns die Milch der Gazellen. Dir ist sie doch unnütz, denn unser Schwiegervater wird von dir nichts annehmen." Der Wasserträger sagte: "Es ist wahr. Hier habe ich Milch von Gazellen. Ich wäre bereit, euch diese zu geben, wenn ihr mir erlaubt, einem jeden das Halaga-numatrak (liegendes Kreuz in einem Kreis), ein Brandzeichen, mit dem früher vielfach die Sklaven gezeichnet wurden) in den Hintern zu brennen." Die fünf Reiter sagten: "Du elender Wasserträger! Was wagst du uns zuzumuten!" Der junge Wasserträger sagte: "Wenn man auf der Straße schimpfen hört, kommt das nie von den Leuten mit den feinen Sitten, und wenn jemand um etwas bitten will, pflegt es nicht klug zu sein, mit einem Schimpfwort seine Rede zu beschmutzen."

Die fünf Reiter traten beiseite. Die fünf Reiter sagten: "Es wäre eine schlechte Sache, wenn dieser Bursche das brächte, was unseres Schwiegervaters Leben rettet, während wir nichts bringen." Die fünf Reiter sagten: "Was kommt es auf ein kleines Körpermal an!" Die fünf Reiter kamen zu dem Wasserträger zurück und sagten: "Wir sind damit einverstanden. Gib uns diese Beutel voll Milch und brenne uns das Halaga-nu-matrak in den Hintern." Der Wasserträger gab den fünf Schwägern darauf die Milch, von der er das Beste abgeschöpft hatte, und brannte ihnen dann mit einem Messer das Halaga-nu-matrak in den Hintern. Darauf nahmen die fünf Reiter die Säcke mit Gazellenmilch und ritten schnell der Stadt zu. Der arme Wasserträger folgte ihnen aber mit der Sahne in der Ledertasche zu Fuß und langsam gehend nach.

Die fünf Schwiegersöhne kamen schnell in die Stadt geritten. Der Arzt empfing sie und ließ sich die Gazellenmilch reichen. Der Arzt goß die Milch aus und sagte: "Diese Milch wird eurem Schwiegervater nichts nützen. Denn einmal ist es keine fette Milch, und dann ist sie bei dem schnellen Reiten schlecht geworden. Ich werde sie



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aber dem Kranken geben und werde sehen, ob sie ihm nicht vielleicht doch nützt." Der Arzt ging zu dem kranken Vater der sechs Frauen hinein und sagte: "Fünf deiner Schwiegersöhne haben Gazellen gefangen und ihre Milch gewonnen. Trinke sie und sieh, ob sie dir nützt." Der Kranke sagte: "War der Wasserträger unter den fünf Leuten, die die Milch gebracht haben?" Der Arzt sagte: "Nein, der Wasserträger ist nicht unter ihnen gewesen." Der Kranke sagte: "Dann gib mir die Milch!" Der Arzt reichte dem Kranken die Milch, und der Kranke trank sie. Dann legte er sich wieder hin und sagte: "Ich fühle es, diese Milch nützt mir auch nichts; ich will mich also darauf vorbereiten zu sterben. Laßt mich allein!" Der Arzt und die Leute gingen hinaus.

Nach einiger Zeit kam der Wasserträger in die Stadt. Er ging in das Haus des Schwiegervaters und traf da den Arzt. Er fragte den Arzt: "Geht es meinem Schwiegervater besser?" Der Arzt sagte: "Nein, es geht deinem Schwiegervater nicht besser. Deine fünf Schwäger brachten ihm Gazellenmilch. Sie war aber mager und vom Reiten verdorben. Der Vater hat sie getrunken, aber sie hat ihm nichts genützt. Nun weiß er, daß er sterben muß und er bereitet sich darauf vor." Der junge Wasserträger zog seinen Ledersack mit fetter Milch heraus und sagte: "Kann ihm denn diese Milch auch nicht mehr helfen?" Der Arzt goß die Milch aus und betrachtete sie. Der Arzt sagte: "Oh, diese Milch ist ganz anders; sie ist fett und unverdorben. Sie ist ausgezeichnet. Nun wird dein Schwiegervater genesen. Ich werde sie ihm sogleich bringen!"

Der Arzt ging schnell zu dem Kranken hinein. Der Kranke hörte ihn kommen und sagte: "Laßt mich doch jetzt allein, damit ich Ruhe zum Sterben finde!" Der Arzt sagte: "Es wird mir verziehen werden, wenn ich dich störe. Du brauchst aber nicht zu sterben, denn eben ist die richtige fette und unverdorbene Gazellenmilch gebracht worden." Der Vater wandte sich um und sagte: "Wer hat sie gebracht?" Der Arzt sagte: "Es ist der Gatte deiner jüngsten Tochter, der sie gewann und brachte!" Der reiche Mann sagte: "Kann ich denn nicht in Ruhe sterben? Der Kummer darüber, daß meine jüngste Tochter diesen Wasserträger zum Manne genommen hat, hat mich krank gemacht, so daß ich sterben muß. Wie kann ich nun durch das, was dieser Mann mir bringt, gesund werden?" Der Arzt sagte: "Der Irrtum ist die schlimmste Krankheit der Menschen; er führt viele unkluge Menschen zum Tode! Willst du nun auch durch ihn sterben? Denn wie soll die Medizin, wenn sie



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sonst gut ist, nur dadurch schlecht werden, daß ein unbeliebter Mann sie trug? Warum willst du deinen ersten fünf Töchtern dich durch den Tod entziehen, weil der Mann deiner sechsten Tochter dir die Möglichkeit, wieder gesund zu werden und weiter zu leben, reichte?" Der kranke Mann hob den Oberkörper und sagte: "Mein Arzt, gib mir die Milch. Ich will sie versuchen."

Der Arzt gab dem kranken reichen Manne die Milch. Der kranke reiche Mann versuchte sie. Der kranke reiche Mann sagte: "Diese Milch ist gut." Der kranke reiche Mann trank die Milch. Der kranke reiche Mann sagte: "Ich werde nicht sterben. Ich werde gesund werden. Diese Gazellenmilch des Wasserträgers hat mich gesund gemacht." Der reiche Mann legte sich wieder zurück und sagte: "Mein Arzt, welches nanntest du die schlimmste Krankheit der Menschen?" Der Arzt sagte: "Den Irrtum!" Der reiche Mann sagte: "Laß meine jüngste Tochter kommen."

Der Arzt ging hinaus und sandte einen Sklaven über den Hof. Nach einiger Zeit trat die jüngste Tochter in den Raum, in dem ihr Vater lag. Der Vater sagte: "Du bist es, meine jüngste Tochter! Komm, setze dich auf den Teppich neben mein Angareb!" Die Tochter setzte sich bei ihrem Vater nieder. Der reiche Mann sagte: "Meine Tochter, ich bitte dich, mir eins zu sagen: Wie kamst du dazu, den armen Wasserträger zu deinem Gatten zu wählen, wo du ihn doch vorher weder gesehen noch gekannt hast?"

Die sechste Tochter sagte: "Mein Vater, du hattest gesagt, wir sollten alle Männer ansehen, die bei dem Fest waren, und sollten den zum Gatten wählen, der uns der Beste an guten Sitten und einer jeden am meisten ihrem Herzen und Sinn passend schiene. Ich achtete beim Essen auf alle Männer. Ich achtete auf die Reihenfolge, in der sie die Gerichte auswählten; ich achtete auf die Masse, die ein jeder verzehrte; ich achtete auf die Reinlichkeit beim Essen; ich achtete auf die Schönheit der Hände; ich achtete darauf, mit welchen Augen ein jeder das Essen, die Umgebung und deine Töchter ansah. Dann wählte ich den armen Wasserträger." Der Vater fragte seine Tochter: "Was sahst du an dem armen Wasserträger?" Die Tochter sagte: "Seine Sitten waren die eines wohlerzogenen, gemäßigten Mannes aus guter Familie. Seine Hände waren so schön, wie es sie nur im Hause eines vornehmen Vaterhauses geben wird. Seine Augen waren treu und klug wie die eines Mannes, der eine gute Mutter hatte." Der reiche Mann sagte: "Was hat dir dieser Mann gesagt, seit du mit ihm verheiratet bist?" Die



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Tochter sagte: "Mein Mann hat mir nichts gesagt, denn es ist nicht meine Sache, ihn zu fragen." Der Vater sagte: "Wessen Sache ist das?" Die Tochter sagte: "Es ist die meines Vaters." Der Vater sagte: "In diesem hast du recht. Ich danke dir, meine Tochter!" Die sechste Tochter des reichen Mannes ging.

Der Vater rief seine ersten fünf Schwiegersöhne herein und sagte: "Ihr habt meine ersten fünf Töchter geheiratet. Ihr kennt mein Haus schon lange. Ihr habt einen Schwager. Diesen kennt ihr erst, seit ihr selbst verheiratet seid. Was könnt ihr mir über diesen, euren Schwager, sagen?" Die fünf Schwiegersöhne sahen sich an. Der erste Schwiegersohn sagte: "Er war früher Wasserträger." Der zweite Schwiegersohn sagte: "Er ist ein schmutziger Mann." Der dritte Schwiegersohn sagte: "Er weiß sich nicht zu benehmen." Der vierte Schwiegersohn sagte: "Er wird ein früherer Sklave sein." Der fünfte Schwiegersohn sagte: "Du hast ihm ja auch ein Haus unter den Sklaven gegeben." Alle Schwiegersöhne sagten: "Sicherlich, er ist ein Sklave." Der reiche Mann sagte: "Laßt den früheren Wasserträger kommen." Ein Sklave lief hinaus.

Nach einiger Zeit kam der frühere Wasserträger. Der reiche Mann sah ihn von seinem Angareb aus an. Der reiche Mann sagte: "Tue mir den Gefallen und zeige mir deine Hand." Der frühere Wasserträger reichte dem Manne seine Hand. Der reiche Mann sagte: "Ich danke dir, doch sage mir bitte noch, was du hierzu meinst: Die Gatten meiner ersten fünf Töchter, die hier stehen, sagen, du seist ein Sklave. Sage mir, bitte, was du hierzu meinst!" Der frühere Wasserträger sagte: "Ich will dir dieses gern beantworten. Ich bitte dich aber um deine Gerechtigkeit." Der reiche Mann sagte: "Meiner Gerechtigkeit kannst du gewiß sein, denn eben noch habe ich mich auf den Tod vorbereitet gehabt und eben erst habe ich gelernt, daß der Irrtum die schlimmste Krankheit der Menschen ist."

Der frühere Wasserträger sagte: "Wenn du also Gerechtigkeit walten lassen willst, so bitte ich dich um folgendes: Wenn deine andern Schwiegersöhne mir nachweisen können, daß ich oder einer meiner Väter je ein Sklave war, so will ich ihnen von heute bis zu meinem Ende dienen. Wenn ich ihnen aber nachweisen kann, daß sie die Sklavenzeichen meiner Familie tragen, dann sollen sie mir dienen." Der reiche Mann sagte: "Diese Forderung ist gerecht. Wie soll die Sache nun entschieden werden ?" Der frühere Wasserträger sagte: "Alle Sklaven meiner Familie tragen das Halaga-nu-matrak



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auf dem Hintern. Laß deinen ersten fünf Schwiegersöhnen die Hosen ausziehen und nach dem Halaga-nu-matrak sehen."

Die ersten fünf Schwiegersöhne sagten zornig: "Wie kann dieser Wasserträger etwas Derartiges verlangen?!" Der reiche Mann sagte: "Ich finde es gerecht, daß, wenn ihr jenen seiner Niedrigkeit bezichtigt, ihr erst eure höhere Reinheit beweist." Die Schwiegersöhne wollten sich weigern. Die Schwiegersöhne schrien. Die Schwiegersöhne rannten hinaus. Der reiche Mann sandte seine Sklaven hinter ihnen her. Die Sklaven fingen die fünf Schwiegersöhne. Sie zogen den fünf Schwiegersöhnen die Hosen aus.

Der reiche Mann sagte zu dem Wasserträger: "Nimm diese fünf Diener aus meiner Hand. Ich will für dich und deine Frau, welche meine klügste Tochter ist, das Haus im Garten herrichten lassen. Jene, deine Diener, können aber von nun ab im Sklavenhof wohnen." Der Wasserträger sagte: "Ich danke dir. Ich bitte dich aber, mir für zwei Monate Urlaub zu erteilen, damit ich zu meinem Hause zurückkehren kann." Darauf fiel dem reichen Manne ein, was seine Tochter ihm gesagt hatte. Der reiche Mann sagte: "Willst du mir erzählen, wo du zu Haus bist?"

Der junge Mann sagte: "Ich bin der Sohn reicher Leute. Meine Eltern starben früh. Ich führte ein annehmliches Leben, bis mir vor einiger Zeit träumte, ich verlöre mein ganzes Besitztum und müsse mein Leben als Wasserträger notdürftig fristen. Als ich erwachte, sagte ich mir, daß es besser sei, wenn ich meinem Schicksal entgegenreite, und daß ich ein schweres Arbeitsleben je früher um so leichter kennenlernen müsse. Ich lud viel Geld in die Taschen eines Eselsackes, schloß mein Haus und ritt, ohne von meinen Freunden Abschied zu nehmen, fort. Als ich weit gekommen war, erreichte ich den Nil. Das Wasser des Nils war hoch, und so mußte ich mit dem bepackten Esel in ein Boot steigen. Unterwegs riß sich mein Esel los, ich konnte die Kette nicht mehr halten. Der Esel stürzte ins Wasser und ging mit meinem Gelde unter. Mir aber fiel, sowie ich am andern Ufer des Nil diese Stadt betrat, mein Traum ein, und ich begann mich an das Leben eines Wasserträgers zu gewöhnen, das ich dann führte, bis mich deine Tochter zu ihrem Manne erkor. Das ist mein Leben, und ich hoffe, daß damit der schwerste Teil desselben, der mir auch das reichste Gut eingetragen hat, zu Ende ist. Denn deine kluge Tochter ist von allen Gütern, die mir jemals zufallen können, das beste."

Als der junge Mann dies erzählt hatte, fiel der reiche Mann ihm



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um den Hals und sagte: "Mein lieber Sohn, jetzt erst sehe ich, wie wahrhaft recht du hast und wie klug meine sechste Tochter ist. Tue aber, wie es dir paßt. Kehre, wann du es willst, in dein Land zurück und sieh nach dem Deinen. Gestatte mir nur, daß ich dich für einige Monate begleite, um deine eigene Heimat kennen und mich an eurem Glück erfreuen zu können." Der junge Mann sagte: "Das ist ein schöner Wunsch. Wir können, wenn es dir recht ist, in wenigen Tagen aufbrechen."

Der reiche Mann stellte eine Karawane zusammen, die nach wenigen Tagen über den Nil ging. Die fünf ersten Schwiegersöhne begleiteten die Karawane auf ausdrücklichen Befehl des reichen Mannes als Diener des sechsten Schwiegersohnes. Als der reiche Mann mit seinem Schwiegersohn den Nil an der flachen Stelle unterhalb des Fährbootes durchschritten hatte, beugten sie sich nieder, um sich im Flusse zu waschen. Dabei aber griff der reiche Mann das Ende einer Kette, die aus dem Sande des niedrigen Flusses herausragte. Der Schwiegersohn sah das Ende der Kette in der Hand seines Schwiegervaters und rief: "Seht doch! Seht doch!" Der Schwiegervater sagte: "Was hast du, mein Sohn, daß du so erregt bist?" Der junge Mann sagte: "Oh, mein Vater, was bin ich glücklich, daß ich dir hier schon die Wahrheit meiner Erzählung beweisen kann. Dies ist die Kette, die um den Hals des Esels befestigt war, als er mit meinem Gelde in den Fluß stürzte und versank. Laß die Kette doch ganz herausziehen." Der Schwiegervater rief seine Sklaven und die Diener seines Schwiegersohnes herbei. Alle warfen den Sand beiseite, und zuletzt kam am andern Ende der Kette unter dem Sand der Kopf des Esels zum Vorschein. Nachdem man noch weiter gegraben hatte, konnte man den ganzen Leib des Tieres herausziehen, und da zeigte es sich, daß er noch mit den Säcken voll Gold und Silber beladen war, in denen nicht ein Piaster fehlte.

Als die junge Frau das sah, fiel sie ihrem Manne um den Hals und sagte: "Ich habe mich also nicht geirrt, als ich damals den Wasserträger heiratete."

Die Karawane setzte ihre Reise fort, bis alle in den Ort des jungen Mannes kamen. Als er vor sein Haus kam, fand er Diener darin und Leute. Er sah, daß alles in bestem Zustand war. Seine Freunde hatten nach seiner stillen Abreise für sein Haus gesorgt, alles instand gehalten und durch sorgfältige Beaufsichtigung die Besitztümer des jungen Mannes vermehrt.



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So sah der Schwiegervater sogleich, welcher guten Gesellschaft der Gatte seiner Tochter angehörte, und um diese näher kennenzulernen, bat er seinen Schwiegersohn, bald eine große Azurne zu veranstalten. Der junge Mann war hierzu gern bereit und ordnete mit Hilfe seiner über seine Rückkehr glücklichen Freunde alles aufs beste an. Die junge Frau bat um die Erlaubnis, daran teilzunehmen. Die andern fünf Schwiegersöhne des reichen Mannes mußten aber beim Herumreichen der Platten bedienen.

Der junge Mann hatte alles aufs beste hergerichtet. Es gab ein ausgezeichnetes Essen und duftenden Scherbett. Während des Essens beobachtete der reiche Mann sorgfältig die Hände aller Anwesenden und Gäste. Als die Azurne vorüber war, sagte er zu seiner Tochter: "Mein Kind, du hast auch darin recht gehabt. Es waren heute viele schöne Hände eifrig und geschickt beim Essen zwischen Schüssel und Mund tätig. Keine Hand war aber so geschickt und so schön, wie die deines Mannes."


19. Magische Flucht

Ein Melik wurde alt, sehr alt, und mit dem Alter wurde er sehr traurig, denn er hatte keinen Sohn, der nach ihm hätte König werden können. Eines Tages ging er traurig in seinem Garten umher, als ein alter Mann kam. Der alte Mann sah, daß jener so traurig war und sagte: "Melik, sage mir, was dich so traurig macht?" Der Melik sagte: "Ach, laß es nur! Mir kann niemand helfen." Darauf sagte der alte Mann: "Weshalb bist du so verzweifelt? Weshalb willst du nicht mit mir sprechen?" Der Melik sagte: "Mir kann niemand helfen." Der Alte sagte: "Ich bin ein alter Mann wie du. Ich bin aber nicht durch die Geschäfte einer Königswürde davon abgehalten worden, allerhand zu lernen, was sonst den Menschen unbekannt bleibt." Der alte Melik sagte: "Was willst du aber dagegen tun, wenn ein König eine Seria (Beischläferin) und eine Arabia (Ehefrau) hat und doch alt wird, ohne einen Sohn zu erhalten, der nach ihm Melik werden kann?"

Der alte Mann zog darauf zwei Lemun (Zitronen) aus der Tasche und sagte: "Wenn du je eine dieser Früchte einer der beiden Frauen, also eine der Seria und eine der Arabia gibst, so werden beide nach 

* Kursierend unter den Eingeborenen Omdurmans. Angeblich ursprünglich erzählt von Leuten aus Soba. Der Schluß verrät eine künstliche Komposition ohne Sinndurchführung.


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kurzer Zeit schwanger sein, und die Seria wird einen Sohn, die Arabia aber eine Tochter gebären. Nur mußt du den Sohn, den die Seria dir gebiert, mir zurückgeben, sobald er erwachsen ist. Wenn du damit einverstanden bist, dann nimm diese Zitronen und gib sie den beiden Frauen." Der Melik war über dieses Angebot sehr erfreut. Er nahm die beiden Zitronen und ging in den Palast. Er gab jeder der beiden Frauen eine Zitrone. Die Seria und die Arabia genossen die Zitronen.

Nach kurzer Zeit waren die Seria und die Arabia schwanger, und jede trug ihr Kind aus. Als sie aber geboren wurden, war das Kind der Seria ein Knabe, den der Vater Schatr Mohammed nannte, und das der Arabia ein Mädchen, das sehr schön war. Beide Kinder wuchsen heran und waren überall sehr beliebt und angesehen.

Als nun Schatr Mohammed erwachsen war und eines Tages ausritt, begegnete er einem alten Manne. Der alte Mann redete Schatr Mohammed an und sagte: "Schatr Mohammed, sage deinem Vater, dem Melik, daß es nun an der Zeit wäre, mir das zu geben, was er mir schuldig ist." Schatr Mohammed sagte: "Wenn mein Vater dir etwas schuldig ist, so wird er sich sicher beeilen, dir das so schnell als möglich wiederzugeben. Ich werde es meinem Vater sogleich sagen." Der alte Mann sagte: "Ja, tue dies!" Schatr Mohammed ritt also heim, suchte den Melik auf und sagte: "Mein Vater, soeben begegnete mir ein alter Mann, der sprach mich an und sagte: ,Sage deinem Vater, dem Melik, daß es nun an der Zeit wäre, mir das zu geben, was er mir schuldig ist!'" Als der König das hörte, wußte er, daß das der alte Mann war, der ihm dereinst die zwei Zitronen gegeben hatte und der nun den Sohn der Seria verlangte. Der König erschrak, und Tränen traten ihm in die Augen.

Als Schatr Mohammed seinen Vater derart traurig und erschrocken sah, rief er: "Mein Vater, was ist es, was du ihm schuldig bist? Wenn es Geld ist, können wir es schnell geben, denn wir sind sehr reich, und wenn dein Reichtum nicht genügt, werden alle Leute der Stadt dir schnell etwas leihen." Der Melik weinte aber und sprach: "Es ist kein Geld, mein Sohn! Es ist kein Geld!" Schatr Mohammed sagte: "Wenn du dem Alten meine Schwester zur Frau versprochen hast, so werden wir andere schöne Mädchen finden, die an ihrer Stelle dem Alten gegeben werden können." Der alte König weinte aber und sagte: "Es ist nicht deine Schwester, mein Sohn! Es ist nicht deine Schwester!"

Inzwischen verwandelte sich der Alte in einen mächtigen Adler



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und flog als Adler über das Schloß des Königs, und er stieg herab und packte Schatr Mohammed mit den Fängen, hob ihn hoch in die Luft und trug ihn dann hinweg über die Länder hin an seinen Platz. An seinem Platze ließ sich der Adler nieder, setzte den Königssohn auf die Erde und verwandelte sich selbst wieder, so daß er der alte Mann war. Der alte Mann sagte aber zu Schatr Mohammed: "Erschrick nicht! Ich will dir nichts Schlimmes antun. Du bist aber mein Eigentum. Denn einstmals habe ich deinem Vater, als er über seine Kinderlosigkeit betrübt war, geholfen, so daß seine Seria dich und seine Arabia deine Schwester gebar. Als Bedingung habe ich aber gestellt, daß du, wenn du erwachsen sein wirst, mein Eigentum werden würdest. So habe ich dich denn als mein Eigentum geholt. Es soll dir nun aber keineswegs schlecht gehen. Vielmehr soll dieser schöne Park mit dem Schloß und mit allem, was darin ist, dir gehören, und es soll dir an nichts fehlen, solange du eine Bedingung einhältst. Diese Bedingung ist aber folgende: Ich gebe dir die Schlüssel zu allen Gemächern des Palastes, und du darfst alle Gemächer öffnen und mit ihrem Inhalt nach deinem Belieben verfahren. Nur jenes Gemach dort in der Mitte, zu dem dieser kleine Schlüssel gehört, das darfst du nie öffnen. Solange du diese Bedingung folgsam einhältst, soll es dir hier besser gehen als irgendeinem andern Menschen, und solange wirst du im Überflusse alles genießen können, was du wünschest. Aber diese Tür darfst du nicht öffnen." Damit übergab der Alte dem Jüngling die Schlüssel, führte ihn in die Räume, die ihm zum Wohnen wohl am besten dienen konnten und die mit allem ausgerüstet waren, was einen Prinzen erfreuen kann, und dann verließ er ihn.

Der Alte ging und überließ den Sohn des Melik sich selbst, und der Sohn des Melik war nun in großer Traurigkeit allein. Nachdem er sich aber dem Schmerz um den Verlust seines Vaterhauses zur Genüge hingegeben hatte, begann er, sich in seiner Umgebung umzusehen und die verschiedenen Teile des Palastes zu besichtigen. Schatr Mohammed betrachtete alle Räumlichkeiten und schloß mit den Schlüsseln, die der Alte ihm gegeben hatte, alle Zimmer auf, bis auf das letzte in der Mitte gelegene. In dem einen fand er Gold, im zweiten Seide, im dritten Edelsteine, im nächsten Flaschen mit feinen Wohlgerüchen und so weiter; jedenfalls war das alles so prächtig und des Reichtums eine solche Fülle, daß Schatr Mohammed zuletzt bei sich sagte: "Eine solche Fülle von Schätzen habe



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ich noch nicht gesehen. Etwas Köstlicheres kann es nicht mehr geben."

Danach kam Schatr Mohammed aber an die letzte Tür, zu welcher der Alte ihm auch den Schlüssel, dazu aber das Verbot gegeben hatte, sie zu öffnen. Schatr Mohammed sah die Tür und sagte bei sich: "Dieses ist sehr eigenartig. Etwas Köstlicheres als das, was in jenen Kammern aufgespeichert liegt, kann es nicht geben; es muß also etwas Absonderliches in jener Kammer sein, sonst würde der Alte mir den Zutritt nicht verboten haben. Ich werde jedenfalls die Tür trotz des Verbots einmal öffnen; denn wenn auch Schlimmes darauf folgt, so ist es mir, nachdem ich meinem Vaterhause einmal entrissen bin, doch gleichgültig, ob ich in Armut oder Reichtum lebe. Wenn mich der Alte also zur Strafe für den Ungehorsam verjagt, ist es nicht so schlimm, dann wandere ich eben, wenn der Weg auch weit ist, zur Stadt meines Vaters zurück."

Schatr Mohammed nahm also den kleinen Schlüssel und öffnete die Tür. Da sah er einen weiten Raum. In seiner Mitte hing, mit den Haaren an der Decke festgebunden, ein wunderschönes Mädchen. Zur einen Seite war ein Pferd mit sieben Ketten angefesselt, dem war als Nahrung ein Becken mit Blut vorgesetzt, und zur andern Seite war mit sieben Ketten ein Löwe festgebunden, dem war als Futter ein Bündel duftendes Heu hingelegt. Sonst aber war der ganze Boden mit einer dicken Schicht alter und frischer abgeschnittener Köpfe junger Burschen bedeckt, und deren Blut war über alles hin und auch zu den Wänden hinauf verspritzt. Schatr Mohammed erschrak bei diesem Anblick zuerst, dann aber ging er über die Köpfe weg zu dem Mädchen und schnitt sie von der Decke ab. Er trug sie hinaus aus dem Raume und legte sie draußen auf einen Teppich. Danach ging er zurück und tauschte das Heu des Löwen mit dem Blutbecken vor dem Pferd aus. Beide Tiere waren über die Maßen dankbar und ließen sich, ohne sich zu wehren, von der Fessel der sieben Ketten befreien und hinausführen.

Als er hinauskam, war das Mädchen zu sich gekommen. Es fiel dem Sohne des Melik zu Füßen und sagte: "Schatr Mohammed, ich danke dir!" Schatr Mohammed sagte: "Was, du kennst meinen Namen?" Das schöne Mädchen sagte: "Ich weiß schon lange, daß nur Schatr Mohammed imstande sein wird, mich zu retten. "Das Pferd begann aber zu sprechen und sagte: "Es ist nicht Zeit jetzt zu sprechen; wenn wir dem Alten entrinnen wollen, müssen wir



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uns vielmehr sehr eilen. Sieh, mein Schatr Mohammed, nur die Köpfe aller an, die den Boden des Raumes bedecken, in dem du uns fandest. Sie sind alle von dem Alten jungen Leuten abgenommen worden, die wie du diese Tür geöffnet haben. Also eile dich, daß wir entkommen. Gehe in jene Kammer und nimm den Sattel und das Zaumzeug heraus, um mich zu zäumen. Gehe in jene Kammer, nimm Sarad (Eisenkettenhernd), Chodre (Eisenheim) dazu, Dirra (Eisenkettenbeinbehang) und Saef (Schwert) heraus. Zieh den Schlüssel von der Kammer. Besteige dann mit dem schönen Mädchen meinen Rücken und suche so wenigstens abzureiten, ehe der alte böse Mann zurückkehrt."

Schatr Mohammed tat sogleich, wie ihm geheißen. Er sattelte das Pferd, legte sich alle Waffen an, schloß die Kammer ab, hob das schöne Mädchen herauf und ritt dann, so schnell er konnte, von dannen. Der Löwe lief aber neben ihm her. Als sie gerade zum einen Tor des Parkes herausritten, kam zum andern der Alte mit zwei andern jungen Männern an, die er eingefangen und deren Köpfe er für die Kammer bestimmt hatte. Das Pferd und der Löwe liefen so schnell sie vermochten.

Nach einiger Zeit sagte das Pferd zu Schatr Mohammed: "Sieh dich nach dem um, was es gibt! Der Alte hat entdeckt, daß du die Kammer geöffnet und uns geraubt hast." Schatr Mohammed wandte sich im Sattel um. Er sah ganz weit in der Ferne den Alten laufen. Der Alte lief aber sehr schnell und kam immer näher.

Nach einiger Zeit sagte das Pferd zu Schatr Mohammed: "Sieh dich nach dem um, was es gibt!" Schatr Mohammed wandte sich im Sattel um. Er sah, daß der Alte gar nicht mehr weit entfernt war. Schatr Mohammed sagte: "Der Alte ist uns schon ganz nahe." Darauf reichte das Pferd Schatr Mohammed einen Moscht (Kamm) und sagte: "Nimm diesen Kamm und wirf ihn hinter dich!" Schatr Mohammed nahm den Kamm und warf ihn hinter sich. Es entstand daraus ein großer dichter Wald hinter dem Pferd und vor dem Alten. Es war ein dichter Buschwald, und dem Alten wurde es schwer weiterzukommen. Das Pferd lief aber schnell weiter und war schon weit entfernt, als der Alte endlich durch den Wald hindurchgekommen war.

Nach einiger Zeit sagte das Pferd wieder zu Schatr Mohammed: "Sieh dich nach dem um, was es hinter dir gibt!" Schatr Mohammed wandte sich im Sattel um. Der Königssohn sah, daß der Alte gar nicht mehr weit entfernt war. Schatr Mohammed sagte: "Der



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Alte ist nun schon ganz nahe." Darauf reichte das Pferd Schatr Mohammed ein Stück Glas (gathath) und sagte: "Nimm dieses Stück Glas und wirf es hinter dich!" Schatr Mohammed nahm das Glasstück und warf es hinter sich, als der Alte schon ganz dicht hinter dem Pferde war. Es entstand aber sogleich ein weites Feld; das war bedeckt mit scharfen Glassplittern. Das Glassplitterfeld dehnte sich weit aus zwischen dem Alten und dem Pferde. Der Alte betrat das Glasfeld. Die Glassplitter schnitten ihm in die Füße. Er konnte nur schwankend, fallend und langsam darübergehen. Das Pferd lief aber schnell weiter und war schon sehr entfernt, als der Alte endlich mit zerschnittenen Gliedern über das Glassplitterfeld hinweggekommen war.

Nach einiger Zeit sagte das Pferd wieder zu Schatr Mohammed: "Nun sieh dich noch einmal nach dem um, was es hinter dir gibt!" Schatr Mohammed hob sich im Sattel, blickte zurück und sah, daß der Alte doch wieder ganz nahe herangekommen war. Schatr Mohammed sagte: "Eile dich! Eile! Der Alte ist wieder da!" Das Pferd reichte aber dem Königssohn ein Stück Sabun (Seife) und sagte: "So wirf dies schnell hinter dich!" Schatr Mohammed nahm die Seife. Schatr Mohammed warf sie in dem Augenblick, als der Alte nach dem Pferde greifen wollte, zwischen das Pferd und den Alten. Darauf wurde die Seife zu einem breiten Flusse. Der trennte das Pferd und den Alten, so daß der Alte wieder weit fort war. Der Alte trat in das Wasser. Er glitt auf dem Flußbett aus und stürzte hin. Er stand auf und ging weiter. Er fiel wieder hin. Er wollte schwimmen. Er kam weiter in das Wasser. Zuletzt aber, als er mitten im Flusse war, konnte er sich nicht mehr oben halten. Der Alte ging unter.

Schatr Mohammed ritt aber auf dem Pferd weiter. Der Löwe lief voraus. (Von nun an geht die Legende in eine Gorobaform [siehe oben Anmerkung S. 172] über. Und zwar ist die erzählte Variante folgende:)

Mohammed kommt an eine große Stadt. Das Pferd rät ihm, zwei Haare der Mähne auszureißen und sie gelegentlich, wenn er des Pferdes bedürfe, zu verbrennen, im übrigen aber seine Eisenrüstung auf seinem Rücken festzubinden und als armer Mann in die Stadt zu gehen. Von dem schönen Mädchen ist nicht mehr die Rede. Nachdem das Pferd in die Wüste gelaufen ist, betritt Mohammed die Stadt und wird gegen Beköstigung Gehilfe des Obergärtners



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des Melik. Am folgenden Freitag soll, als alle Welt beim Gebete abwesend ist, Mohammed den Garten hüten. Im Palaste sieht die jüngste der sieben Meliktöchter den "schmutzigen Gärtnerburschen" sich baden, dann die Pferdehaare verbrennen, das Pferd kommen, die stattliche Ausrüstung Mohammeds, der nun kreuz und quer den Garten durchreitet und alle Beete zerstört. Sie sieht auch, wie Mohammed die Eisenpracht wieder ablegt, das Pferd entläßt, dann sich selbst bindet und als "schmutziger Gärtnerbursche" mißhandelt wird, weil er nicht angeben kann, wer der fremde Reitersmann war, der den Garten verwüstet hat und dann den Gärtnerburschen band. Die jüngste Meliktochter verhindert zwar, daß der Bursche vom Obergärtner mit sieben extra geschnittenen Stöcken geschlagen wird, auch sendet sie nun alltäglich Entenbraten und gute Speisen, Mohammed erhält aber nur allerkümmerlichste Nahrung.

Eines Tages geht nun die Prinzessin mit den älteren sechs Schwestern im Garten spazieren und läßt von ihren Sklaven sieben reife Wassermelonen, die auf Mohammeds Beet stehen, abschneiden und sie ihrem Vater als Sendung seiner Töchter vorlegen. Der König weiß zunächst nicht, was das bedeuten könne, bis der Wesir ihn darüber aufklärt, daß seine Töchter dadurch ihre Ehereifheit andeuten wollen. Darauf erfolgt dann die Vorführung aller Vornehmen, aus deren Kreis die sechs ältesten Meliktöchter durch Zuwurf der Taschentücher ihre Gatten erwählen, während die jüngste auch die Anwesenheit der niederen Leute fordert, unter denen sie den Gärtnerburschen erwählt. Somit erfolgt die große Hochzeit und herrliche Ausstattung der älteren sechs Töchter und die Verstoßung der jüngsten und ihres Gatten ins Sklavenlager.

Der Melik erkrankt im Gram über die schmähliche Gattenwahl seiner jüngsten Tochter, und die Ärzte erklären, daß nur die Milch junger Gazellen ihn retten könne. Die sechs vornehmen Schwiegersöhne reiten nun auf stolzen Rossen großartig zur Jagd hinaus, während der verachtete Mohammed auf einem elenden Klepper unter Gespött von dannen trottet. Die sechs vornehmen Schwiegersöhne sind erfolglos. Mohammed zaubert aber mit den Pferdehaaren ein Zeltlager in die Wüste, läßt durch den Löwen alle möglichen Tiere einfangen, zumal weibliche Gazellen, und empfängt die auf der Heimkehr befindlichen sechs Schwäger als ein diesen unbekannter Fürst. Auf ihre Bitten gibt er ihnen, wenn auch schlechte, Gazellenmilch, stempelt sie dagegen mit seinem Chatu, das heißt



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Brandsiegel, auf der rechten Hinterbacke. Der Brandstempel lautet: "Das ist mein Sklave von meines Großvaters Zeiten her." Die sechs vornehmen Schwiegersöhne kehren heim und bringen ihre Milch; sie hilft nicht. Schatr Mohammed aber kommt auf elendem Pferde hinterher mit der von den Ärzten sogleich als gut empfohlenen Milch, die zwar nur zögernd angenommen wird, weil sie von dem "elenden Gärtnerburschen" kommt, die aber sogleich wirkt. Trotzdem steigt Mohammeds Ansehen nicht. Nur die eigene Gattin, die ihn ja seinerzeit im Garten hat reiten sehen, ehrt ihn schweigend hoch.

Eines Tages erfolgt der Einfall eines fremden Fürsten. Die sechs vornehmen Schwiegersöhne reiten mit den Edlen hinaus zum Kampf. Mohammed folgt in jämmerlichem Aufzuge und viel verspottet dem Zuge. Die Edlen und Vornehmen werden fast geschlagen und sind in arger Bedrängnis, als endlich Mohammed, der an entfernter Stelle Pferd und Waffen gewechselt hat, auftaucht und durch seine glänzenden Heldentaten die fast verlorene Schlacht rettet. Ehe der unbekannte Retter aber noch nach Namen und Herkunft befragt werden kann, ist er verschwunden. Stolz und vornehm und prahlend ziehen die sechs Schwiegersöhne heim, während Mohammed, wieder arg verspottet, hinterherhinkt.

Am zweiten Tage spielen sich die Vorgänge ganz ebenso ab, ebenso auch am dritten.

Am dritten reitet der Melik selbst mit seinen Vornehmen hinaus und sieht nun die Vorgänge, erst die schlechte Stellung der fast geschlagenen Vornehmen, dann das plötzlich siegreiche Auftreten des allen unkenntlichen Schatr Mohammed. Der Melik ist nun aber unbedingt willens, seinen Retter kennenzulernen, und als der endgültige Sieg gewonnen ist, schlägt er selbst ihm mit der Schwertspitze am Arme eine Wunde und bindet sein eigenes Taschentuch darum. Die Vornehmen kehren heim und prahlen über ihre Leistungen. Der Melik erklärt aber, nur den könne er als Helden (Fans) und seinen Nachfolger anerkennen, der imstande sei, die Armwunde und sein Taschentuch vorzuzeigen.

Auch zu seiner jüngsten Tochter, die mit Mohammed im Sklavenviertel untergebracht ist, dringt das Gerücht von dieser Erklärung des Melik. Mohammed ist wie immer lange nach den andern, armselig und verspottet angekommen. Ermüdet hat er sich hingelegt und schläft. Die Tochter des Melik sieht seine blutende Armwunde und erkennt das Taschentuch ihres Vaters. Sie läuft hin und ruft



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ihre Mutter. Diese will die so gut wie verstoßene Tochter erst kaum anhören, geschweige denn ihr glauben, sie kommt aber zum Schluß doch mit hinüber und überzeugt sich von dem Tatbestand. Darauf geht die Frau des Melik zu ihrem Gemahl, überredet diesen, der ihre Aussagen erst als Zeichen von Verrücktheit erklärt, doch in das Sklavenhaus hinüberzukommen und zeigt ihm sein Taschentuch und Mohammeds Armwunde.

Der Melik sinkt am Lager des schlafenden Mohammed auf die Knie und weckt ihn durch seine Tränen und Entschuldigungsbitten. Mohammed wird nun in großen Ehren mit seiner Gattin eigentlich erst verheiratet, und dabei werden die sechs vornehmen Schwiegersöhne durch das Brandsiegel als Sklaven Mohammeds enthüllt. Mohammed soll Melik werden. Er erklärt aber, selbst anderweitig gleiche Rechte und Pflichten zu haben, kehrt mit seiner Gattin heim und löst seinen alten, tiefbeglückten Vater in Amt und Würden ab.


20. Die tapfere Fatma*

Ein reicher Mann nahm einem andern auf unehrliche Weise das Geld ab und brachte ihn dann auch noch um seinen Sohn. Der Verarmte mußte für den Reichen arbeiten, um überhaupt das tägliche Essen für sich und seine drei Töchter zu finden. Eines Tages rief der Reiche den Verarmten und sagte: "Folge mir in eine Stadt. Du hast drei Töchter. Ich kenne drei junge Männer, denen ich sie zur Frau geben möchte. Ich werde dabei verdienen und dir von dem Verdienst abgeben. Komm, wir wollen in die andere Stadt gehen und die Angelegenheit mit den drei jungen Männern besprechen." Der Verarmte sagte: "Ich muß tun, was du willst. Ich komme mit dir!"

Beide machten sich auf den Weg. Der Verarmte nahm aber ein Fas (Wanderbeil) mit. Dann kam er mit dem Reichen zusammen und sagte: "Ich bin bereit, mit dir zu gehen." Der Reiche sagte: "Wozu brauchst du das Fas ?" Der Verarmte sagte: "Ich will damit unterwegs, wenn es nötig wird, Äste und Früchte abschlagen, deren Zeit gekommen ist." Der Reiche sagte: "Wie meinst du das?" Der Verarmte sagte: "Wenn dir ein Zweig im Wege ist, schlägst du ihn doch ab und hältst seine Zeit für gekommen." Der Reiche sagte: "So ist es!" Der Verarmte sagte: "Wenn du nachts im Freien 

* Diese Erzählung ist von einem Fremden, Nichtägypter, in El Obeid erzählt. Der Fremde war aus d. N. O.


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lagerst, suchst du doch Zweige für eine Hütte, läßt sie abschlagen und hältst ihre Zeit für gekommen." Der Reiche sagte: "So ist es!" Der Verarmte sagte: "Wenn dich unterwegs friert und du ein Feuer haben willst, schlägst du doch Zweige ab und hältst ihre Zeit für gekommen." Der Reiche sagte: "So ist es!" Der Verarmte sagte: "Warum fragst du also nach dem Fas? Du weißt, daß uns immer ein Zweig im Wege sein kann!" Dann gingen der Reiche und der Verarmte zusammen von dannen.

Im Busch ging der Verarmte hinter dem Reichen her. Der Verarmte sagte: "Dieser reiche Mann hat mich um meinen Wohlstand gebracht. Dieser reiche Mann hat mich um meinen Sohn gebracht. Dieser reiche Mann hat mich um meine Freiheit gebracht. Dieser reiche Mann will mich um meine Töchter bringen, die gute Mädchen sind. Dieser reiche Mann ist ein Zweig, der mir im Wege ist. Dieser reiche Mann soll mir aber nicht mehr im Wege sein. Seine Zeit ist gekommen. Ich will für mich und meine Töchter eine Hütte haben. Deshalb will ich den Ast abschlagen. Seine Zeit ist gekommen. Ich will für mich und meine Töchter ein Feuer haben und will deshalb diesen Ast abschlagen. Seine Zeit ist gekommen." Der Verarmte rief den Reichen an. Der Reiche wandte sich um. Der Verarmte sagte: "Deine Zeit ist gekommen. Du wirst nun abgeschlagen." Der Reiche schrie: "Oh, laß mich!" Der Verarmte erschlug ihn aber mit dem Fas.

Der Verarmte begrub den Toten, nachdem er ihm die reichen Kleider ausgezogen hatte, und ging mit diesen in die Stadt, in der die drei jungen Männer wohnten, an die der Reiche die Töchter des Verarmten verschachern wollte. Der Verarmte gab ihnen die Kleider des Reichen und sagte, daß der Reiche gestorben sei und deshalb aus der ganzen Sache nichts werden würde. Dann machte sich der Verarmte auf den Heimweg.

Als der Verarmte an die Stelle kam, an der er den Reichen erschlagen hatte und an der dessen Blut auf die Erde geflossen war, fand er da eine wundervolle große Wassermelone aufgewachsen. Der Verarmte betrachtete die Melone und sagte: "Diese Frucht ist so schön, daß ich sie meinem Sultan als Geschenk mitbringen werde." Der Verarmte nahm die Melone also auf und mit in die Stadt, in der er wohnte. Am andern Tag brachte er die Melone seinem Sultan. Dieser war erfreut und gab den Auftrag, die Frucht sogleich aufzuschneiden. So wurde sie zum Koch des Sultans gebracht. Als der nun die Frucht aufschnitt, fand er, daß Blut herausströmte.



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Darauf erschrak der Koch und lief zum Sultan und zeigte ihm die Frucht, aus der das Blut herausströmte. Der Sultan ließ nun den Verarmten zurückrufen und sagte ihm: "Du brachtest mir eine schöne Wassermelone als Geschenk. Als mein Koch sie aufschnitt, fand er, daß nur Blut herausströmte." Der Verarmte sagte nichts. Der Sultan sagte: "Sage mir sogleich die ganze Wahrheit oder aber ich lasse dich töten."

Der Verarmte sagte: "Weshalb soll ich nicht die Wahrheit sagen? Du weißt, daß der reiche Mann mir alles, was ich besaß, nahm. Du weißt, daß er mir meinen Sohn nahm. Du weißt, daß ich für ihn arbeiten mußte, um meinen Unterhalt zu erwerben. Nun wollte er mich zwingen, meine drei Töchter an fremde Leute zu geben, damit er davon einen Vorteil habe, und er nahm mich mit sich, um in meiner Gegenwart das Geschäft abzumachen. Sieh, Herr! Da habe ich ihn unterwegs totgeschlagen und habe dann den drei Männern, denen er meine drei Töchter verhandeln wollte, seine blutigen Kleider gebracht. Wie ich aber zurückkam, fand ich an der Stelle, an der das Blut des reichen Mannes in den Sand gesickert war, diese Melone, die ich dir brachte. Das ist alles, Herr!" Als der Sultan das hörte, sagte er: "Ich werde dich für den Totschlag, den du begangen hast, töten lassen." Er winkte aber seinen Leuten, und die banden den Verarmten und führten ihn ins Gefängnis.

Die Leute sprachen auf der Straße: "Der Reiche hat des Verarmten drei Töchter verkaufen wollen. Da hat der Verarmte den Reichen totgeschlagen, und der Sultan will ihn nun hinrichten lassen." Die Leute sprachen das so, und die drei Töchter des Verarmten hörten die Leute untereinander sprechen. Fatma, die älteste, sagte zu ihren andern Schwestern: "Wenn ihr die Leute beachtet, werdet ihr sehen, daß sie etwas über uns reden, denn sie schauen auf uns und unser Haus und gehen auseinander, wenn sie merken, daß wir kommen oder hinschauen. Ich werde aber selbst danach sehen." Darauf warf Fatma ein Tuch um und ging auf den Markt. Die Leute sprachen untereinander und Fatma hörte, wie sie sagten: "Der Reiche hat die drei Töchter des Verarmten verkaufen wollen, da hat der Verarmte den Reichen totgeschlagen, und der Sultan will ihn nun hinrichten lassen."

Als Fatma das hörte, machte sie sich sogleich auf den Weg und ging zum Sultan. Und als sie vor dem Sultan stand, sagte sie: "Sultan! Töte meinen Vater nicht, denn das sage ich dir: um unsert seiner Töchter willen, hat unser Vater den Reichen totgeschlagen.



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Wenn du ihn also deswegen töten lassen willst, wirst du durch unsere, seiner Töchter Hand getötet werden!" Der Sultan lachte aber und sagte: "So willst du wohl den Krieg mit mir beginnen?" Fatma aber sagte: "Wenn du unsern Vater tötest, wirst du in der Tat gegen Frauen kämpfen müssen." Der Sultan sagte: "Ich bin ein Mann und fürchte keine Frauen." Fatma sagte: "Wir werden sehen, wer früher stirbt: unser Vater oder du!" Dann ging Fatma in die Stadt. Sie kaufte Waffen, lieh Pferde, ging bei den Freundinnen umher und fand noch sieben Mädchen, die bereit waren, gegen den Sultan um den Gefangenen zu kämpfen.

Der Sultan ließ aber am andern Tage die Tore der Stadt öffnen und den Gefangenen hinausführen, um ihn draußen auf einem Hügel hinrichten zu lassen. Der Sultan selbst ritt in einiger Entfernung hinter dem Gefangenen her. Als der Gefangene an den Ort gebracht war, legte man Matten und Kissen hin; der Sultan ließ sich darauf nieder, um der Hinrichtung zuzusehen. Rund herum stand aber des Sultans Wache. Der Sultan ließ dem Gefangenen noch einmal sagen, weshalb er hingerichtet werden müsse und gab dann das Zeichen der Vollstreckung. Alle Leute aber, die außen standen und besonders die Reiter, wandten den Kopf vom Sultan und seinem Gefangenen ab und der Stadt zu. Der Sultan wurde ärgerlich darüber, daß man seinen Befehl nicht schnell ausführe und sagte: "Macht schnell! Tut, was ich euch sagte! Was gafft ihr da!" Darauf trat der Oberste seiner Reiter zu ihm und sagte: "Von der Stadt her kommen zehn Frauen auf Pferden und mit Waffen. Die treiben das Volk auseinander und werden gleich hier sein!"

Der Oberste der Reiter hatte noch nicht ausgesprochen, da hörte man Schreie und Waffenklirren, und als der Sultan sich erhob und auf sein Pferd gestiegen war, sah er, daß die zehn Mädchen nach allen Seiten die Reiter auseinander getrieben hatten und über Tote hinwegritten. Der Sultan sah aus der Ferne das Gesicht der ersten Reiterin. Sie war hoch gewachsen und stark. Das Kleid war ihr herabgeglitten. Sie schlug mit den starken Armen nach beiden Seiten, und ihr Schwert tötete hier einen Mann und da einen Mann. Der Sultan sah, daß das Mädchen schön und daß es Fatma war. Er erschrak, denn er sah, daß sie stärker war als seine Reiter. Er befahl, den Gefangenen schnell wieder zur Stadt zu bringen, und ritt auch eilig dahin zurück.

Die Leute brachten den Sultan und den Gefangenen fort. Die



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Leute flüchteten schnell in die Stadt. Die Reiter fochten lange gegen die Mädchen. Die zwei Schwestern Fatmas fielen im Kampf. Als der Sultan in der Stadt sicher war, folgten ihm auch die Soldaten. Die Soldaten flohen vor Fatma, die noch viele tötete. Sie flohen in die Stadt und schlossen das Tor hinter sich. Als Fatma aber an das geschlossene Tor kam, rief sie in die Stadt: "Ich gehe für einige Zeit fort. Sorgt, daß wenn ich wiederkomme, mein Vater noch am Leben ist, sonst lasse ich es die ganze Stadt büßen." Als der Sultan das hörte, erschrak er sehr und sagte: "Laßt den Gefangenen im Gefängnis. Tut ihm aber nichts Übles, sondern haltet ihn gut, denn diese Fatma ist schrecklich!"

Fatma kehrte aber mit ihren sieben Freundinnen um. Die Mädchen begruben Fatmas Schwestern. Dann sagte Fatma: "Hört, meine Freundinnen! Wir wollen in fremde Länder ziehen. Wir wollen starke Familien gewinnen und wollen mit denen hierher zurückkommen und die Stadt erobern. Fürs erste wollen wir aber unsere Pferde und Waffen zurücklassen und unsere Wanderung antreten." Die sieben Freundinnen sagten: "Wie du es willst, soll es geschehen." Darauf stachen sie an dem Grabe der beiden Schwestern ihre Pferde tot, legten ihre Waffen nieder und gingen zu Fuß weiter.

Fatma wanderte mit ihren Freundinnen weit weg. Sie wanderten viele Tage. Dann kamen sie zu einem alten Rai (Hirten), der lag unter einem Baum im Schatten. Der Hirte war ein sehr alter Mann, und als er Fatma gesehen hatte, sagte er: "Falini! Lause mich! Komm her und suche mir die Läuse (gammel) aus dem Haar." Fatma setzte sich zu dem Alten und sagte: "Mein Alter, ich will tun, was du wünschst!" Fatma nahm den Kopf des Alten auf den Schoß und lauste ihn. Als sie damit fertig war, sagte sie: "Mein Alter, wie kann man es doch machen, daß man dir die Haut vom Körper zieht?" Der Alte sagte: "Das ist sehr einfach. Man muß Schog (Dornen) in meine Kopfhaut stecken und die Haut dann herabstreifen." Danach schlief der alte Hirte im Schoße Fatmas ein.

Fatma rief ihre Freundinnen herbei und sagte leise zu ihnen: "Bringt mir doch Schog her." Darauf brachten die Freundinnen Dornen. Fatma steckte sie in die Kopfhaut des Alten und zog ihm dann langsam die ganze Haut ab. Als das geschehen war, zog Fatma die Haut selbst über. Vorher war sie ein schönes junges Mädchen gewesen, nun aber sah sie aus wie ein alter häßlicher Mann.



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Fatma nahm aus der Herde des Hirten zwei Schafe, ging mit ihren Freundinnen weiter und kam nach langer Zeit zu einer Frau, das war eine Gula. Die Gula sagte: "Kommt, ihr Leute, ich werde euch eine Assida (Speise) bereiten! Setzt euch nur! Ich werde euren Hunger stillen! Kommt und setzt euch!" Die acht Mädchen setzten sich. Die Gula ging in ihr Haus. Sie nahm die Knochen der Leute, die sie aufgefressen hatte, und rieb sie auf Steinen zu Mehl. Fatma aber folgte ihr heimlich und sah, was die Gula tat. Sie schlich sich zu ihren Genossinnen zurück und sagte: "Wir sind hier, wie ich sehe, bei einer Gula. Wir dürfen nichts von der Speise, die sie uns reicht, genießen." Die andern Mädchen sagten: "Wie sollen wir aber hier wieder fortkommen?" Fatma sagte: "Laßt mich nur machen. Wir haben noch die gerösteten Schenkel der Hammel des Hirten bei uns, brauchen also das Essen der Frau nicht. Ich werde schon mit der Gula alles ordnen."

Nach einiger Zeit hatte die Gula die Assida bereitet. Sie brachte sie und sagte: "Hier, ihr Leute, eßt nur, denn ihr müßt hungrig sein!" Fatma sagte: "Ich danke dir! Nun bitten wir dich, uns Wasser zum Trinken zu bringen. Wir können allerdings, unserer Sitte nach, nur aus einem Siebe (rurban) trinken. Bring uns also bitte, damit wir uns sättigen können, Wasser in einem Rurban." Die Alte ging. Als die Gula gegangen war, sagte Fatma: "Kommt nun und lauft schnell mit mir von dannen, damit wir weit genug fort sind, wenn das Sieb gefüllt ist." Fatma und die Mädchen liefen so schnell sie konnten von dannen.

Fatma und die sieben Mädchen liefen, bis sie an den Nil kamen. Sie wußten aber nicht, wie sie über den Nil hinwegkommen sollten. Es lag da nun ein Krokodil (timsa), das sonnte sich. Fatma ging zu ihm und sagte: "Mein Krokodil, wir haben hier die gerösteten Schenkel zweier Schafe. Wenn du uns acht Mädchen über den Nil bringen willst, wollen wir mit dir gern unser Essen teilen." Das Krokodil sagte: "Steigt nur auf meinen Rücken. Wenn ihr mir ein wenig zu essen gebt, will ich euch gern ans andere Ufer des Nils bringen." Darauf stiegen alle acht Mädchen auf den Rücken des Krokodils, und dieses schwamm mit ihnen von dannen. Nach einiger Zeit wandte das Krokodil seinen Kopf um. Fatma saß in der Haut des alten Mannes am weitesten vorn und steckte dem Krokodil einen Schenkel des Schafes in den geöffneten Rachen. Das Krokodil schlang ihn hinunter, schwamm ein wenig weiter und wandte seinen Kopf wieder zurück. Darauf gab ihm Fatma den zweiten Schenkel



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eines Schafes, und so ging es weiter, bis sie am andern Ufer waren. Da stiegen die Mädchen an das Ufer, bedankten sich und begaben sich mit dem Rest des Hammelfleisches ans Land.

Die Gula hatte inzwischen Wasser in das Sieb gegossen, um es darin den acht Mädchen zu bringen. Sie war aber nur einige Schritte weit auf die Mädchen zugegangen, da war alles herausgeflossen, und sie kehrte zurück, um das Sieb aufs neue zu füllen. Sooft die Gula aber auch das Sieb füllte, immer floß das Wasser wieder unten heraus. Endlich wurde die Gula wütend und sagte: "Dieser alte Mann und die sieben Mädchen betrügen mich. Niemand kann Wasser in einem Sieb tragen." In großem Zorn kam die Gula also dahin gelaufen, wo vorher die Mädchen gesessen hatten. Sie sah sie aber nicht, wohl aber die Spuren, die sie bei der Flucht zum Nil hin in den Sand getreten hatten. Nun erkannte die Gula noch deutlicher, daß sie genarrt war, ergriff einen dicken Stock und rannte der Spur nach zum Nil hin.

Als die Gula an das Ufer kam, sah sie Fatma in der Haut des alten Mannes und die sieben Mädchen weit fort auf dem andern Ufer laufen; vor ihr aber lag das Krokodil und sonnte sich. Die Gula sagte zum Krokodil: "Wie sind der alte Mann und die sieben Mädchen über den Nil gekommen?" Das Krokodil sagte: "Ich habe sie hinübergetragen." Die Gula sagte: "Dann trage mich nur auch schnell hinüber!" Das Krokodil sagte: "Dann steige auf meinen Rücken." Die Gula stieg auf den Rücken des Krokodils, und dieses schwamm vom Ufer ab. Nach einiger Zeit wandte es den Kopf herum und öffnete den Rachen. Das Krokodil dachte, es würde von der Gula nun auch einen Hammelschenkel erhalten. Als die Gula aber den geöffneten Rachen sah, schlug sie dem Krokodil auf die Schnauze und sagte: "Schwimme schnell zu, sonst entrinnen mir der alte Mann und die sieben Mädchen." Das Krokodil schwamm ein Stück weiter, bis es in der Mitte des Flusses war. Dann wandte es wieder den Kopf zurück und öffnete den Rachen. Die Gula schlug sie jedoch abermals auf die Schnauze und sagte: "Schnell! Schnell! Eile dich, damit mir diese Leute nicht entgehen." Da erkannte das Krokodil, daß es von der Gula kein Essen zu erwarten habe, und in seinem Zorn über die getäuschte Hoffnung tauchte es unter und nahm die Gula mit in die Tiefe. So kam die Gula um.

Fatma in der Haut des alten Mannes und die sieben Mädchen waren inzwischen auf das hohe Ufer gekommen und fanden da in



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den Felsen eine Höhle, in der gerade acht Menschen Platz hatten, wenn einer sich in dem Eingang lagerte. Fatma legte sich in der Haut des alten Mannes in den Hintergrund, und neben ihr streckten sich die andern sieben Mädchen aus, so daß die letzte am Ausgang lag. So schliefen sie die Nacht durch bis zum andern Morgen.

Nun waren grade in dieser Nacht der Sohn des Sultans dieses Landes und sieben Söhne der angesehensten Herren auf der Jagd. Gegen Morgen kamen die jungen Leute nun so auseinander, daß die sieben jungen Leute den Sohn des Sultans aus den Augen verloren. Als sie das wahrnahmen, hielten sie an, ließen ihre Pferde grasen und zerstreuten sich, um den Sohn des Sultans zu suchen.

Die sieben Pferde aber, die sich selbst überlassen waren, grasten langsam in der Richtung auf die Berge zu und kamen mit Sonnenaufgang zu der Höhle, in der Fatma und die sieben Mädchen schliefen. Das Mädchen, das am Eingang schlief, wachte auf, als ein Pferd seinen Kopf hineinsteckte. Das Mädchen erschrak, nahm einen Stein, schlug das Pferd auf die Nase und warf ihn, als es davonrannte, dem Tiere nach. Hierdurch aufgescheucht, rannten die sieben Pferde von dannen und auf ihre Herren zu. Die sieben Jünglinge aber sahen ihre Pferde daherstürmen und sagten: "Es muß etwas da am Berg sein, das die Tiere aufgescheucht hat. Wir wollen einmal nachsehen."

Die sieben jungen Männer gingen also zum Berg, sahen im Lichte der aufgehenden Sonne die Höhle und bemerkten nun die Mädchen, die sich darin aufhielten. Nun hatten die jungen Leute in diesem Land damals keine Mädchen, die sie hätten heiraten können. Somit war ihre Freude, als sie die Bewohner der Höhle sahen, sehr groß. Die Mädchen ihrerseits sahen, daß die jungen Männer zwar erstaunt waren, junge weibliche Wesen in diesem Lande zu finden, daß sie sich aber außerordentlich sittsam und als Söhne angesehener und wohlhabender Väter benahmen. Also kamen alle sieben Mädchen heraus, und jede war gern bereit, sich von einem der jungen Männer zuerst aufs Pferd heben zu lassen und ihm dann in seine Stadt zu folgen. Die Jünglinge ihrerseits sprachen mit Freuden von den Hochzeitsfesten, die ihre Väter ihnen veranstalten würden. Sie machten sich auf, die hier doppelt geschätzte Beute mit heimzunehmen, als auch der Sohn des Sultans ankam.

Der Sohn des Sultans rief: "Meine Freunde, was habt ihr da für eine merkwürdige Jagdbeute!" Die sieben Jünglinge sagten: "Sieh, Herr! Wir fanden gerade sieben Mädchen, die aus einem andern



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Land hierhergeflohen sind und die nun unsere Gattinnen werden." Der Sohn des Sultans sagte: "Ich kann euch hierzu nur Glück wünschen. Weshalb seid ihr Mädchen denn aber hierhergeflohen?" Die Mädchen sagten: "Wir haben gegen Reiter gekämpft und viele erschlagen. Dann sind wir weitergezogen und sind hierhergekommen." Der Sohn des Sultans sagte: "Meine sieben Freunde haben ihr Glück gemacht. Nun bin ich zu spät gekommen." Das eine der Mädchen aber rief den Sultanssohn heran und sagte ihm: "Sieh dich nur gründlich in der Höhle um; wenn du noch etwas erbeutest, ist es sicherlich nicht das schlechteste von allem."

Der Sohn des Sultans sprang also vom Pferd und ging zur Höhle. Er ging hinein und fand den alten Mann darin. Denn seitdem Fatma die Haut des alten Mannes übergezogen hatte, konnte man nichts mehr von ihrer früheren Jugend, Schönheit und Stärke sehen. Der Sultanssohn zog den alten Mann aus der Höhle ans Tageslicht, lachte und sagte: "Wer zuletzt kommt, kann nicht erwarten, daß ihm noch das Beste zufällt. Immerhin sollst du, mein alter Mann, es doch deshalb nicht schlecht haben. Du sollst mit deinen schönen Freundinnen mit in die Stadt kommen und ich will für dich sorgen." Damit nahm er den alten Mann auf sein Pferd, wie es die andern mit den Mädchen gemacht hatten, und alle ritten der Stadt zu.

Als die Leute in der Stadt den Sultanssohn und seine sieben Freunde mit den sieben Mädchen und dem alten Mann ankommen sahen, jubelten sie und grüßten die Mädchen mit lautem Geschrei. Dem alten Mann auf dem Pferde des Sultanssohnes riefen sie Spottworte über sein häßliches Äußere zu. Der Sultanssohn aber lachte und sagte zu dem Alten: "Mein Alter, sei nicht traurig. Wir müssen den Spott der Menschen heute beide ertragen." Damit ritt der Sultanssohn heim und begrüßte seinen Vater. Der Sultan sagte zu seinem Sohne: "Mein Sohn, deine Freunde haben es verstanden, in diesem Lande, in dem es uns an Mädchen fehlt, schöne Frauen zu gewinnen. Du bringst mir nichts als einen alten Mann ins Haus. Damit machst du mir nicht besondere Freude." Der Sohn sagte: "Mein Vater, jeder von uns muß das nehmen, was das Schicksal ihm bietet. Ich hoffe, daß es mir nichts Schlimmes gibt."

Der Sohn des Sultans nahm den alten Mann mit in sein Haus, ließ ihm zu essen und zu trinken geben, rief ihn dann wieder zu sich und sagte: "Mein Alter! Was machen wir nun mit dir, daß du ein wenig nützlich bist und so die Achtung der Menschen gewinnst? Kannst du etwa meine Ziegen und Schafe hüten?" Der alte Mann



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sagte: "Sieh, Herr, ich bin sehr alt! Wenn ein Schakal oder eine Hyäne in die Herde bricht, werde ich nicht imstande sein, die Herde zu schützen. Gib mir das nicht, Herr! Ich bin zu alt dazu." Der Sohn des Sultans sagte: "Ich will nichts von dir, was dir schwere Mühe und auch etwa noch mehr Spott einträgt, weil du nicht imstande bist es auszuführen. Also sage mir, ob du vielleicht die Gänse in meinem Garten hüten kannst?" Der alte Mann sagte: "Ja, mein Herr, deine Gänse werde ich dir hüten können." Der Sohn des Sultans sagte: "Es ist gut, dann hüte mir die Gänse. Ich werde dir jeden Mittag das Essen in den Garten schicken."

Am andern Tag trieb der alte Mann die Gänse in den Garten und brachte sie weit weg in den hintersten Teil. Als es Essenszeit war, sandte der Sohn des Sultans einen Sklaven mit einer Schüssel voll Speisen zu dem alten Gänsehirten. Der Sklave trug seine Schüssel und suchte einige Zeit vorn im Garten, fand den Gänsehirten nicht und ging weiter, bis er endlich ganz am Ende an einem Brunnenteiche die Gänse hörte und sah. Der Sklave suchte mit den Augen nach dem alten Manne. Da sah er ein Mädchen am Brunnen stehen, das war groß, stark und schön. Das Mädchen wusch sich und sah den Sklaven mit der Speisenschüssel nicht. Da nun aber niemand in diesem Lande junge Mädchen zu sehen gewohnt war und da dieses an Schönheit alle Mädchen, die es überhaupt gab, übertraf, schrie der Sklave vor Überraschung auf. Als Fatma aber den Sklaven schreien hörte, schlüpfte sie schnell wieder in die Haut des alten Mannes zurück, die sie abgestreift hatte, um sich zu waschen und kam so dem Sklaven entgegen.

Fatma wollte nicht, daß der Sklave in dem Hause des Sohnes des Sultans etwas davon erzähle, was er gesehen habe, und so lud sie ihn ein, an dem Essen teilzunehmen. Der Sklave war noch ganz befangen von der Schönheit des Mädchens, das er unter der Haut des alten Mannes gesehen hatte. Er nahm zögernd und gleichsam geistesabwesend an dem Essen teil. Als er einige Brocken zum Munde geführt hatte, sagte Fatma zu ihm: "Mein junger Freund, zeige einmal deine Zungenspitze heraus. Du hast ein kleines Insekt darauf, ich will es dir abnehmen." Der Sklave zeigte Fatma die Zunge. Fatma ergriff sie und schnitt schnell ein Stück heraus, so daß jener fürs erste nicht sprechen konnte.

Der Sklave schrak bei dem Schnitt auf. Er sprang entsetzt empor und lief so schnell er konnte durch den Garten zum Haus. Er lief zum Sohn des Sultans hinein und wollte ihm von dem, was er erlebt



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hatte, berichten. Er zeigte mit den Händen nach der Brust, machte die Bewegung des An- und Auskleidens und Waschens. Dazu stammelte er allerhand unverständliche Worte, die aber niemand verstehen konnte, da es ihm die Wunde an der Zunge unmöglich machte, sich verständlich auszudrücken. Nachdem der Sohn des Sultans das Zappeln und Plappern des Sklaven eine Zeitlang mit angesehen und gehört hatte, sagte er zu seinen andern Leuten: "Nehmt den armen Menschen mit fort. Er ist wahnsinnig geworden. Es soll morgen ein anderer Sklave das Essen zu dem alten Gänsehirten herausbringen, denn dieser hier würde den armen alten Mann zu sehr erschrecken."

Am andern Tage ging also ein anderer Sklave mit der Schüssel voll Essen in den Garten, um sie dem alten Gänsehirten zu bringen. Es ging aber diesem Mann auch nicht um ein Kleines anders oder besser als dem ersten. Er überraschte wieder Fatma, entsetzte sich über ihre Schönheit und ward von dem klugen Mädchen in gleicher Weise in die Zunge geschnitten. Er kam also in gleichem Zustande zu dem Sohne des Sultans zurück. Als dieser am dritten und vierten Tage jedoch andere Sklaven mit gleichem Erfolg hinaus zum Gänsehirten geschickt hatte, sagte er bei sich: "Mir scheint, daß alle Leute, die ich mit Essen zu dem alten Gänsehirten hinausschicke, wahnsinnig werden, dort draußen also etwas Besonderes erleben. Dieses nun will ich mir ansehen. Auch sind dieser alte Mann und die sieben Mädchen auf so eigentümliche Weise in unsere Gegend gekommen, daß es sehr wohl eine besondere Bewandtnis mit ihnen haben könnte."

Als daher am andern Tage wieder ein anderer Sklave das Essen zu dem alten Gänsehirten hinaustrug, folgte ihm der Sohn des Sultans heimlich und in einiger Entfernung. Der Sultanssohn sah nun, wie der Sklave den alten Mann erst vergeblich im vorderen Teil des Gartens suchte und dann immer weiter ging. Er sah dann, wie der Sklave die Gänse an dem Brunnensumpf fand und wie er heftig zurückprallte, als er Fatmas ansichtig wurde, die sich wusch und deshalb die Haut des alten Mannes abgezogen hatte. Der Sultanssohn sah aus seinem Versteck Fatma und er sah auch, wie jung und stark und schön das Mädchen war. Der Sultanssohn war darüber fast noch mehr erschrocken als der Sklave, denn er wußte, daß er hier seine zukünftige Gemahlin in ihrer Schönheit überrascht hatte, und diese Schönheit blendete ihn schlimmer als die Sonne.

Dann sah der Sultanssohn, wie die schöne Fatma, sobald sie den



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Sklaven gewahrte, in die Haut des alten Mannes schlüpfte, den Sklaven zum Essen einlud und ihn dann in die Zunge schnitt. Nun wußte der Sultanssohn alles - und er eilte, so schnell er konnte, seinem Hause zu, um noch vor dem Sklaven anzulangen, der ihm dann mit vielen Handbewegungen und unverständlichen Lauten zu berichten suchte.

Am gleichen Tage noch sandte der Sultanssohn einige ältere Leute in den Garten, die den alten Mann ablösen und ihn in sein Haus bringen sollten. Seinem alten Haussklaven sagte der Sultanssohn aber: "Heute abend wünsche ich nicht allein zu speisen. Bringt mir den alten Mann in das oberste Zimmer meines Gasr herauf. Er soll heut mein Gast sein."

Der Aufwärter sagte zu dem alten Mann: "Ich weiß nicht, was der Sohn des Sultans an dir gefunden hat; er will aber heut abend mit dir essen, und du sollst in das oberste Zimmer des Gasr hinaufsteigen." Der alte Mann sagte: "Ach, sage doch dem Herrn, daß ich ihm sehr danke. Ich kann aber nicht so hoch hinaufsteigen, ich bin zu alt dazu." Der Aufwärter sagte zu dem alten Manne: "Du weißt wenigstens, was sich schickt. Ich werde es dem Sohn des Sultans sagen, und du kannst dann bei uns im Bedientenzimmer essen." Der Aufwärter sagte seinem Herrn, daß der alte Mann sich zu schwach fühle, um bis zum Gasr hinaufzusteigen und glaubte, daß damit alles erledigt sei. Der Sohn des Sultans sagte jedoch: "Wenn der alte Mann zu schwach ist, allein da heraufzukommen, dann tragt ihr ihn eben herauf!"

So wurde denn der alte Mann abends hinaufgetragen und oben vom Sohne des Sultans freundlich empfangen. Der Sohn des Sultans sagte: "Komm, alter Mann, setze dich hier auf das Angareb!" Der alte Mann aber sagte: "Mein Herr, was willst du von mir! Ich bin dein niedrigster Diener. Laß mich hier auf der Bodenmatte sitzen."

Der Sohn des Sultans sagte aber: "Laß nur, alter Mann! Wir haben zusammen auf einem Pferd gesessen und sind gemeinsam verspottet worden. Da können wir auch gemeinsam auf dem Angareb sitzen und gemeinsam essen." So mußte denn der alte Mann neben dem Sultanssohn niedersitzen und mit ihm essen, und der Sultanssohn hatte seine Freude daran, wie geschickt der alte Mann die Hände zum Speisen gebrauchte.

Als sie gegessen hatten, befahl der Sultanssohn, daß der Aufwärter das Mangala bringe, da er mit dem alten Manne spielen wolle. Der alte Mann sagte: "Herr, spotte nun nicht weiter und laß



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mich gehen. Vergiß nicht, daß ich dein Sklave, aber ein alter Mann bin." Der Sultanssohn sagte: "Wo denkst du hin, alter Mann! Ich will nicht spotten. Ihr alten Männer kennt dieses Spiel ausgezeichnet, und ich kann sicher nur von dir lernen." Der Aufwärter brachte das Spiel. Der Sultanssohn sagte dann zu ihm: "Geh nun! Ich brauche dich nicht mehr. Ich will jetzt mit dem alten Mann ungestört spielen." Der Aufwärter ging. Der Sultanssohn sagte aber zu dem alten Manne: "Wir spielen nun gegeneinander! Wer gewinnt, kann vom andern verlangen, was er will." Der alte Mann sagte: "Herr, was sollte ich dir geben, wenn du gewinnst?" Der Sultanssohn sagte: "Laß das nur meine Sache sein!"

Der Sultanssohn spielte mit dem alten Manne. Beim ersten Spiel siegte der alte Mann. Beim zweiten Spiel siegte wieder der alte Mann. Beim dritten Spiel aber siegte der Sultanssohn. Der Sultanssohn jauchzte auf und rief: "Nun darf ich mir etwas wünschen und du mußt es erfüllen." Damit hatte der Sultanssohn unter die Haut des alten Mannes unversehens ein Messer hineingeschoben und schnitt die alte Haut mit einem Ruck auf. Fatma stand vor dem jungen Sultanssohn in ihrer Jugend, Schönheit und Kraft. Der Sultanssohn aber sagte: "Wer du auch seist, ich bitte dich, meine Gemahlin zu werden!"

Fatma sagte: "Du weißt nicht, wer ich bin. Ich bin die Tochter eines Mannes, der verarmt ist, weil ein Reicher ihm seinen Besitz, seinen Sohn und seine Freiheit raubte und der den Reichen dann erschlug, weil der auch noch seine Töchter an andere Leute verkaufen wollte. Ich bin also die Tochter eines Mannes, der von seinem Sultan zum Tode verurteilt ist, und ich habe mit meinen sieben Freundinnen gegen diesen Sultan und seine Reiter gekämpft und ihrer viele getötet. Ich bin ein Mädchen, das nur deine Frau werden kann, wenn du mit ihr und deinen Leuten ausziehst und ihren Vater befreist." Der Sohn des Sultans sagte: "Es ist mir alles recht. Wir werden erst dann heiraten, wenn dein Vater befreit ist."

Am andern Tage rüstete der Sultanssohn seine Leute. Auch die Männer, die um die andern sieben Mädchen freiten, bereiteten sich und ihre Leute zum Streite, und kurze Zeit später zog das ganze Heer, geführt von Fatma, ihren sieben Freundinnen und dem Sultanssohn und seinen sieben Freunden gegen die Stadt, in der der Verarmte gefangen lag. Als die Leute dieser Stadt heraussahen, sahen sie nahebei viele Zelte aufgeschlagen, liefen zum Sultan und sagten: "Es ist ein anderer Sultan gekommen, um dich zu begrüßen."



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Der Sultan sandte darauf einige Boten und ließ bei dem fremden Sultan anfragen, was ihm behebe. Der Sultanssohn war mit seinen sieben Freunden versammelt, als die Boten aus der Stadt kamen. Der Sultanssohn hörte die Boten an und antwortete: "Sagt eurem Herrn, daß ich die Herausgabe des Verarmten, der wegen Totschlags des Reichen zum Tode verurteilt ist, erbitte. Das ist alles!"

Die Boten kehrten zurück und meldeten ihrem Herrn die Antwort. Der Sultan fragte sie: "Habt ihr Fatma gesehen?" Die Boten sagten: "Nein, wir haben Fatma nicht gesehen." Der Sultan sagte: "Wenn Fatma nicht unter den Fremden ist, fürchte ich sie nicht. Dann wollen wir morgen mit den Fremden kämpfen."

Am andern Tage rückten die Leute des Sultanssohnes und seiner sieben Freunde gegen die Stadt. Die Reiter des Sultans kamen darauf heraus und rückten gegen die Fremden heran; der Sultan war inmitten der Seinen auch herausgekommen.

Als nun aber die beiden Heere einander dicht gegenüberstanden, öffneten die Leute des Sultanssohnes ihre Reihen. Fatma und ihre sieben Freundinnen kamen mit den Schwertern in der Hand hervorgesprengt. Als die Reiter des Sultans das sahen, erschraken sie und riefen: "Fatma kommt! Fatma kommt!" Sie hielten sich zwar zusammen, Fatma und ihre Freundinnen schlugen aber nach rechts und links zwischen sie, so daß sie tot zu Boden sanken. Fatma schlug sich mit ihren sieben Freundinnen eine Straße in die Reiter, bis sie zu dem Sultan kam, den sie gefangennahm.

Der Sultanssohn hatte mit seinen Freunden staunend das Werk der Mädchen gesehen und jagte hinter ihnen her, um ihren Rücken zu schützen. Nachdem der Sultan gefangen war, wagte niemand mehr gegen die Fremden die Waffen zu erheben. Der Sultan selbst mußte vor Fatma, ihren Freundinnen, dem Sultanssohn und seinen Freunden in der Stadt dem Gefangenen die Ketten abnehmen. Dann wurde der Sultan gezwungen, dem Manne, der soviel und solange geschmachtet hatte, eine hohe Summe auszuzahlen und ihn mit Ehren noch weithin zu begleiten.

So erlebte der Verarmte denn in kurzer Zeit, daß er, selbst ein wohlhabender Mann, dem Sultanssohne seine Tochter zuführen durfte. Fatma und ihre sieben Freundinnen heirateten aber an einem Tage.



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SCHWÄNKE



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21. Der bekehrte Räuberhauptmann

Ein armer Mann Namens Said war verheiratet. Er hatte zwei kleine Kinder, und es wurde ihm schwer, jeden Tag das Nötige zu verdienen. Der Mann hatte einen Ochsen. Eines Tages hatte der Mann nichts Rechtes zum Essen finden können. Da sagte seine Frau zu ihm: "Mein Said, wir haben diesen Ochsen, der uns nichts nütze ist. Ein Ochse kann unsern Kindern nicht täglich etwas zur Nahrung bieten wie Ziegen oder Schafe. Ich rate dir also, den Ochsen zu verkaufen und dafür einige Ziegen oder Schafe zu erstehen." Said sagte: "Du hast recht; ich will den Ochsen forttreiben und einen Käufer suchen."

Said machte sich mit dem Ochsen auf den Weg, um den nächsten Marktplatz aufzusuchen. Als er aber ein Stück weit gekommen war, kamen ihm vierzig Räuber (Haramia, Sing. Harami) mit ihrem Schech an der Spitze entgegen. Der Räuberhauptmann sagte: "Du kommst uns gerade zu recht in den Weg; denn da ich heute abend meinen Leuten ein Essen geben soll, brauche ich ein Schaf. Dein Schaf ist mir nun sehr geeignet!" Said sagte: "Verzeih Herr, es ist ein Ochse!" Der Räuberhauptmann sagte: "Schweige; wenn ich dir sage, daß es ein Schaf ist, dann ist es so! Ich werde dir also den Preis für ein Schaf dafür zahlen." Said sagte: "Herr, bedenke, daß ich ein armer Mann bin und Kinder habe. Zahle mir also den Ochsen." Der Räuberhauptmann aber sagte: "Welches ist denn der Beweis, daß es ein Rind ist? Ich sehe nur ein Schaf!" Said sagte: "Herr, sieh doch nur den Schwanz an!" Der Räuberhauptmann lachte und sagte: "Wenn das alles ist, so soll dir schnell geholfen werden." Er schnitt den Schwanz des Ochsen ab, warf ihn Said zu, zahlte vierzig Piaster als Preis für ein Schaf und ritt mit seinen vierzig Räubern und dem Ochsen von dannen.

Said nahm die vierzig Piaster und den Ochsenschwanz und machte sich auf den Heimweg. Nachdem Said ein Stück weit gegangen war, sagte er bei sich: "Es wird besser sein, ich sehe mich nach dem Wege um, den mein armes Schaf gegangen ist, damit ich nachher Bescheid weiß." Er wandte sich also um und suchte die Fährte der Räuber. Er sah nun, daß sein Ochse infolge des Schwanzschnittes viel Blut verloren und so eine gute Spur gezeichnet hatte. Er folgte ihr, bis er in der Ferne das Haus des Räuberhauptmannes sah; dann kehrte er zu seiner nicht allzu entfernten eigenen Behausung zurück.



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Als er daheim angekommen war, sagte er: "Zunächst habe ich unsern Ochsen verkauft, aber nur die Anzahlung im Preise eines Schafes erhalten." Die Frau sagte: "Hast du denn von dem Käufer eine Sicherheit dafür erhalten, daß er auch den Rest zahlt?" Said sagte: "Gewiß, eine solche Sicherheit habe ich." Dabei zog er den Schwanz des Ochsen heraus und zeigte ihn. Die Frau sagte: "Das ist eine merkwürdige Sicherheit." Said sagte: "Warte nur! Du wirst schon sehen, daß der Mann gern ganz außerordentliche Summen zahlen wird. Komm nur heute abend mit mir."

Als es Abend geworden war, zog Said die schönsten Kleider seiner Frau an, band sich aber darunter den Ochsenschwanz um den Leib. Dann sagte er: "Nun komm mit mir. Wir sind jetzt beide Frauen." Die Frau begleitete ihren Mann, und als sie in die Nähe des Gehöfts des Räuberhauptmanns gekommen waren, sagte Said: "Meine Frau, nun halte dich hier versteckt. Du siehst dort drüben die große Seriba (Ansiedlung, Gehöft) mit dem großen Haus. Ich werde dort hineingehen und werde längere Zeit brauchen, um die zweite Zahlung für unsern Ochsen einzustreichen. Warte hier auf mich und hilf mir dann, das Geld heimzutragen." Die Frau blieb also zurück.

Said ging aber in seinen Frauenkleidern bis zur Seriba des Räuberhauptmanns. Dort setzte er sich in der Stellung einer bittenden Frau am Tore nieder. Der Räuberhauptmann war gerade damit beschäftigt, das Fleisch des geschlachteten Ochsen unter seine Leute zu verteilen. Als er damit fertig war und sein Blick auf die fremde schöne Frau, als die Said sich verkleidet hatte, fiel, sagte er: "Frau, wer bist du? Was willst du?" Die Frau (Said) sagte: "Ich bin aus einer andern Gegend und wollte heimkehren. Ich verlor die Spur meines Mannes und finde mich im Dunkeln nicht mehr zurecht. Ich bin mit jedem Lager zufrieden, das du mir etwa für die Nacht anweisen kannst." Der Räuberhauptmann sagte: "Wenn du still sein und kein Geräusch machen willst, so daß meine Frau nichts von deiner Anwesenheit hört, dann will ich dich wohl mit in meine Kammer nehmen." Die fremde Frau sagte: "Ich werde sicher kein Geräusch machen, wenn du keines machst." Darauf brachte der Räuberhauptmann die fremde Frau in die Kammer, in der er zu schlafen pflegte und in der außer seinem Angareb auch der Sanduk (Koffer, Truhe) mit seinen Schätzen stand und ging dann hinaus.

Der Räuberhauptmann ging zu seiner Frau hinüber und sagte: "Meine Gattin, schlafe du nur heute allein; ich werde dich nachts



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nicht besuchen können, da ich noch auswärts eine Sache einzurichten habe."

Dann ging der Räuberhauptmann wieder in seine Kammer zu der fremden Frau zurück. Said hatte sich inzwischen umgesehen. Er hatte die eiserne Truhe betrachtet und hatte einen starken Strick entdeckt, der von der Decke ziemlich weit herabreichte und in einer Schleife endigte, die man heraufziehen konnte. Said setzte sich dann auf das Bett. Der Räuberhauptmann kam herein und sagte: "So, nun wird uns niemand mehr stören. Nun können wir ein wenig miteinander spielen." Die fremde Frau sagte: "Das ist gut." Dann zog Said das Tuch vom Gesicht. Said hatte aber ein schönes Gesicht. Der Räuberhauptmann wollte sich zu der fremden Frau auf das Angareb setzen. Die fremde Frau aber sagte: "Ich denke in einem fort darüber nach, wozu dieser Strick ist, der dort von der Decke herabhängt und in einer Schleife endet." Der Räuberhauptmann sagte: "Dieser Strick ist dazu da, meine Leute, wenn sie einen Fehler machen, an den Beinen aufzuziehen und dann zu züchtigen." Die fremde Frau sagte: "Das ist merkwürdig. Ich verstehe das nicht. Ziehe mich doch einmal daran empor." Der Räuberhauptmann sagte: "Nicht doch! Du bist eine Frau. Aber wenn du es einmal sehen willst, so ziehe doch mich herauf." Die fremde Frau sagte: "Strafen dich deine Leute denn nicht auch, wenn du einen Fehler machst?" Der Räuberhauptmann lachte und sagte: "Nein, das wagt kein Mensch mich zu strafen. Ich mache auch keine Fehler." Die fremde Frau sagte: "Ich kann mir das nicht vorstellen." Der Räuberhauptmann sagte: "Zieh mich nur ruhig einmal hinauf, dann siehst du die Sache."

Da stand die fremde Frau auf. Der Räuberhauptmann legte sich auf die Erde und steckte die Füße in die Schlinge. Der Räuberhauptmann sagte: "Nun braucht nur ein starker Mensch den Strick in die Höhe zu ziehen. Du bist aber als Frau nicht stark genug." Die fremde Frau ergriff aber den Strick und zog den Räuberhauptmann mit einem Ruck in die Höhe, so daß er in der Luft hing. Der Räuberhauptmann erschrak und sagte: "Langsam, das schmerzt." Die fremde Frau sagte: "Und dann bekommen die, die einen Fehler begangen haben, auch noch Streiche ?" Der Räuberhauptmann sagte: "So ist es!" Said warf die Frauenkleidung weg und zog den Ochsenschwanz heraus. Der Räuberhauptmann erschrak. Said sagte: "Etwa hiermit? Etwa so ?" Der Räuberhauptmann erkannte Said und schrie: "Laß doch! Ich bitte dich! Laß doch! Ich will



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dir den Ochsen ja voll bezahlen." Said aber schlug mit dem Ochsenschwanz, daß dem Räuberhauptmann der Schweiß und das Blut herabliefen.

Als der Räuberhauptmann nun so baumelte und sich an dem Strick hin und her wand, fiel aus seiner Brusttasche der Schlüssel zu der eisernen Truhe. Said sah es. Said nahm den Schlüssel auf und sagte: "So so! Du willst mir also meinen Ochsen gut bezahlen." Said ging zur eisernen Truhe und schloß sie auf. Der Räuberhauptmann sagte: "Es war ja nur ein Ochse, und vierzig Piaster habe ich dir schon gezahlt." Said sagte: "Mein Freund, du hast keine klare Vorstellung.

Heute morgen sagtest du, es sei ein Schaf. Heute abend sagst du, es sei ein Ochse. Morgen wirst du sagen, es sei eine Ochsenherde, übermorgen, es seien zwei Ochsenherden gewesen. Du weißt also nicht so genau damit Bescheid, und es ist einfacher, ich greife deiner Meinung von morgen vor und nehme gleich das Geld für die ganze Ochsenherde!" Damit nahm Said einen ganzen Sack voll Gold und hob ihn auf die Schulter. Er trug ihn aus dem Hause. Als er aus der Türe war, rief der hängende Räuberhauptmann ihm Schimpfworte nach. Said aber sagte bei sich: "Diese letzten Worte bezahlt er mir morgen."

Said trug den Goldsack und seine Kleider zur Seriba hinaus. Er traf seine Frau. Seine Frau sagte: "Ich hörte einen Mann schreien." Said sagte: "Das war mein Freund, der mir den Ochsen abgekauft hat und nun bezahlte. Beim Zahlen segnete er aber seine Münze und ich dankte ihm. Das machte einiges Geräusch, wie es bei allen Geschäftsverhandlungen mit dieser Art Leuten üblich ist. — Merke dir übrigens den Weg. Du mußt morgen früh hierher zurückgehen und hören, was die Leute sprechen." Dann gab Said seiner Frau die Kleider zu tragen, nahm selbst das Gold und den Ochsenschwanz über die Schulter und ging mit seiner Frau nach Hause.

Am andern Morgen war die Frau Saids früh an der Seriba des Räuberhauptmanns. Es waren schon viele Leute zusammengekommen und standen um das Haus. Sie banden ihren Schech los und sagten: "Wer tat das nur? Wie konnte das nur geschehen?" Der Räuberhauptmann sagte: "Das hat der Mann getan, dem ich gestern den Ochsen als Schaf abkaufte und der sich mit dem Ochsenschwanz gleich für eine ganze Herde bezahlt gemacht hat." Die Leute banden den Schech los. Der Schech war so zerschlagen, daß er kaum stehen konnte. Der Schech sagte: "Legt mich auf



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mein Angareb, und wenn ein Arzt vorbeikommt, ruft ihn herein und bittet ihn nach mir zu sehen." Die Frau Saids hörte das. Die Frau Saids ging heim und erzählte alles ihrem Manne.

Said kaufte sich in aller Eile im Basar die Kleidung eines Arztes. Dann machte er sich auf den Weg und ging am Hause des Räuberhauptmanns vorbei. Said hörte den Räuberhauptmann im Hause wimmern. Er trat mit einem Gruß herein und sagte: "Ich hörte hier einen Menschen klagen, und da er nun anscheinend leidend ist, ich aber Arzt bin, so will ich ihm helfen." Der Räuberhauptmann sagte: "Komm her und sieh nur meine Wunden und Striemen." Said besah sie und sagte: "Ich sehe, die Sache will ernst behandelt sein. Ich will nach Hause gehen und Medikamente bereiten. Mit Dunkelheit will ich wieder hier sein und kann dich dann dem Wesen der Sache entsprechend behandeln."

Der Räuberhauptmann sagte: "Tu das, lieber Arzt. Wenn du mich so behandelst, wie es mein Zustand wünschenswert macht, will ich dich meinem Besitztum entsprechend bezahlen." Said ging.

Said ging nach Hause. Er band sich den Ochsenschwanz unter den Rock, nahm einige Flaschen mit sich und ging zu dem kranken Räuberhauptmann zurück. Er trat bei ihm ein und sagte: "So, nun will ich dich deinem Zustande entsprechend behandeln. Vorher aber erzähle mir, wie diese Striemen und Wunden entstanden, denn je nachdem ob sie durch Stock oder Schnur oder Peitsche oder Kette entstanden sind, muß ich das Heilmittel erwählen." Der Räuberhauptmann sagte: "Ich hatte mit meinen Genossen einem armen Mann seinen Ochsen weggenommen und ihn nur als Schafbock mit vierzig Piastern und dem abgehackten Schwanz des Ochsen bezahlt. Da kam der Mann gestern abend, hing mich auf und schlug mir die Wunden mit dem Ochsenschwanz!" Said riß den Ochsenschwanz unter den Kleidern hervor und sagte: "Ist es der hier?" Der Räuberhauptmann schrie auf. Der Räuberhauptmann sagte: "Ja, das ist er! Jetzt erkenne ich dich! Laß mich! Laß mich!" Said aber begann den Räuberhauptmann mit festen Streichen zu behandeln und sagte: "Warte, mein Freund, erst will ich dich behandeln, wie es dein Zustand wünschenswert macht. Außerdem hast du gestern hinter mir hergeschimpft." Der Räuberhauptmann schrie: "Laß mich! Laß mich! Ich habe ja deine Ochsenherde bezahlt. Laß mich! Laß mich!" Said schlug aber weiter auf den Räuberhauptmann und sagte: "Wenn du genügend behandelt bist, sage es, dann kannst du mich deinem Vermögen



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entsprechend bezahlen!" Der Räuberhauptmann riß den Schlüssel zur Truhe aus der Tasche und sagte: "Nimm deine Bezahlung und geh!" Said sagte: "Endlich kommst du zur Vernunft! Ich habe mich auch ganz müde gearbeitet. Wenn du nun still liegst, wird dir bald Gesundheit werden." Dann band sich Said wieder den Ochsenschwanz unter den Rock, ging zur Truhe, öffnete sie, nahm einen Beutel mit Gold heraus und sagte: "So, mein Freund, nun wird dir leichter ums Herz werden." Said ging. Als er aus der Türe herausgegangen war, rief der Räuberhauptmann Schimpfworte hinter ihm her. Said sagte: "Diesem Manne muß noch viel Blut abgezapft werden, ehe er gesund wird!"

Said ging nach Hause, übergab seiner Frau das Gold zur Verwahrung und sagte: "Der Mann will morgen noch einmal mit mir sprechen. Gehe also in der Frühe hin und höre, was es gibt."

Am andern Morgen ging die Frau Saids schon früh zu dem Hause des Räuberhauptmanns. Seine Kameraden drängten sich um ihn und fragten: "Wer hat das nur wieder getan? Wie hat das nur wieder geschehen können?!" Der Räuberhauptmann sagte: "Der Mann, dem ich den Ochsen weggenommen habe, ist gestern als Arzt wiedergekommen und hat mich mehr geschlagen. Seht nur, daß keine Frau und kein Arzt wieder in meine Nähe kommen. Bringt mich auf meinem Bett draußen hinter dem Garten ins Freie und stellt mein Angareb unter den Palmen auf, wo kein Mensch außer den Hirten vorbeikommt. Unter mein Kopfkissen legt aber den Beutel mit Edelsteinen, den wir als Preis für den Listigsten unter uns ausgewählt haben und der mir hier im Hause jetzt nicht sicher genug scheint." Die Leute taten wie befohlen. Sie brachten den Räuberhauptmann auf seinem Angareb weit hinaus, stellten das Lager mit dem Kranken unter den einsamen Palmen auf und legten ihm den Beute! mit Edelsteinen unter den Kopf.

Die Frau Saids ging aber heim und erzählte ihrem Manne alles. Said ging darauf zu einem Freunde, der Schafhirt war und sagte: "Leih mir nur heute für diesen Tag deine Kleider, deine Herde und deine Arbeit. Heute abend will ich dir alles wiedergeben und außerdem noch für ein gutes Geschenk sorgen." Der Freund war damit einverstanden. Said nahm die Kleider des andern, band den Ochsenschwanz unter und trieb dann seine Herde dahin, wo der Räuberhauptmann auf dem Angareb unter den Palmen lag.

Als Said in die Nähe des Räuberhauptmanns kam, hörte er jenen wimmern. Said aber tat so, als ob er es nicht hörte. Er ging langsam



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mit der Herde weiter und sang: "Welcher Hirte kennt nicht die Kräuter, die die blutenden Wunden der Liebe heilen! Welcher Hirte kennt nicht die Kräuter, die die klaffenden Wunden der Fans (Krieger, Held, Reiter) heilen! Welcher Hirte kennt nicht die Kräuter, die den Schmerz der sterbenden Könige stillen!" Der Räuberhauptmann hörte den Gesang. Der Räuberhauptmann rief: "Du, Hirte, komm! Rai (Hirte), komm doch!" Said tat so, als ob er es nicht höre; er ging hinter seiner Herde her und sang: "Welcher Hirte kennt nicht die Kräuter, die die blutenden Wunden der Liebe heilen! Welcher Hirte kennt nicht die Kräuter, die die klaffenden Wunden der Fans heilen! Welcher Hirte kennt nicht die Kräuter, die den Schmerz der sterbenden Könige stillen!" Der Räuberhauptmann schrie: "Rai! Raf, so komm doch!" Said sagte: "Wer ruft da?" Der Räuberhauptmann sagte: "Komm hierher unter die Palmen!" Said sagte: "Ich fürchte mich!" Der Räuberhauptmann sagte: "Wie kannst du dich vor mir krankem Manne fürchten, wo du jung und stark, ich aber elend und zerschlagen bin!"

Said kam näher und sagte: "Was willst du? Ich kann meine Herde nicht lange allein lassen!" Der Räuberhauptmann sagte: "Ich bin zerschlagen. Ich bin ganz wund. Kannst du mir Kräuter auf die Wunden legen, daß sie heilen?" Said sagte: "Herr, ich bin jung und unerfahren." Der Räuberhauptmann sagte: "Du hast selbst eben anders gesungen. Hilf mir. Es soll dir auch vergütet werden." Said sagte: "Ich kann nur die rechten Kräuter bringen, wenn ich weiß, wie du zu den Wunden kamst." Der Räuberhauptmann sagte: "Das kann ich dir nicht sagen." Said sagte: "Siehst du, ich wußte, daß ich dir nicht helfen kann, weil du kein Vertrauen zu mir haben kannst, wo ich so jung bin." Said wandte sich ab.

Der Räuberhauptmann rief hinter Said her: "Rai, bleib! Ich will dir alles erzählen. Ich hatte einem armen Manne einen Ochsen weggenommen; da hat er mich zweimal mit einem Ochsenschwanz geschlagen." Said riß seinen Ochsenschwanz heraus und sagte: "Mit einem solchen?" Der Räuberhauptmann schrie: "Er ist es wieder. Nun muß ich sterben!" Said aber schlug heftig auf den Räuberhauptmann ein und brachte ihm eine große Reihe guter Schläge bei. Der Räuberhauptmann schrie zuletzt: "Laß sein! Laß sein! Nimm mir, was du willst, aber laß mich am Leben. Ich habe dir schon all deine Ochsenherden bezahlt, was willst du noch mehr!"



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Said sagte: "Was ich noch mehr will? Vor allem, daß du nicht hinter mir herschimpfst, wenn ich gehe; dann, daß du zu einem ehrlichen Lebenswandel zurückkehrst, und endlich den Preis, den ihr für den Listigsten unter euch ausgesetzt habt." Der Räuberhauptmann stöhnte. Er sah aber den Ochsenschwanz, zog also den Beute! mit Edelsteinen hervor und sagte: "Du bist wirklich der Listigste. Willst du mich nun aber in Frieden lassen?" Said nahm den Beutel und sagte: "Wenn du nicht mehr hinter mir schimpfst und zu einem ehrlichen Lebenswandel zurückkehrst, habe ich nichts mehr mit dir zu tun." Danach band Said seinen Ochsenschwanz um, steckte den Beutel mit Edelsteinen in die Kleider und trieb seine Herde wieder nach Hause.

Erst brachte Said seinem Freunde die Herde zurück, dann brachte er seiner Frau den Sack mit Edelsteinen und sagte: "Nun gehe morgen noch einmal hin, höre, was es gibt und berichte mir. Wenn der Räuberhauptmann jetzt noch einmal abgestraft wird, dürfte es genügen."

Am andern Morgen ging die Frau in aller Frühe hin. Sie traf die Räuber, die ihren Schech umgaben und immer wieder fragten: "Wie kann das nur immer wieder geschehen? Wer hat das nun wieder getan?" Der Räuberhauptmann sagte: "Es ist immer wieder derselbe Mann, dem ich den Ochsen abnahm." Dann beschimpfte der Räuberhauptmann Said und sagte: "Er hat mich gestern als Hirt überfallen. Dieser Mensch verlangt nun von mir, ich solle einen ehrlichen Lebenswandel anfangen. Wenn er aber hört, daß ich das nicht vorhabe, wird er mich wieder zu schlagen wissen. Sagt also aller Welt, daß ich gestorben sei und bringt mich und meine Schätze in eine Höhle, die hier in der Nähe ist, die als Grabkammer dienen und die man verschließen kann. Stellt mir Essen und Wein herein, daß ich einige Tage darin leben kann, und dann wird alle Welt, also auch der Mann mit dem Ochsenschwanz, glauben, ich sei gestorben." Die Freunde sagten: "Es ist recht. So wollen wir es tun." Die Frau Saids hörte das, lief nach Hause und erzählte alles ihrem Mann. Said ging darauf schnell hin, kaufte sich das Kleid eines Priesters und ein heiliges Buch. In dem Kleide mit dem Ochsenschwanz darunter und dem heiligen Buche in der Hand ging er dann zu dem Hause des Räuberhauptmanns. Die Leute hatten den Räuberhauptmann auf sein Angareb gelegt. Sie hatten ihn mit wertvollen Kleidern bedeckt. Sie hoben ihn auf und trugen ihn hinaus. Einige Leute hatten die goldenen Leuchter



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und die goldenen Schalen genommen, die der Räuberhauptmann einst erobert hatte. Andere schleppten die Truhe, in der das Gold des Schechs war, und wieder andere brachten Körbe mit Speise und Krüge mit Wein. Die Leute schrien alle: "Unser Schech ist tot! Unser Schech ist tot!" Es waren aber Weiber dazu gekommen, die klagten und schrien nach der Sitte.

Als alle Leute aufbrachen und den Schech forttrugen, kam Said im Priesterkleide mit dem heiligen Buche. Er sagte: "Dies ist ein Toter. Ich will für ihn lesen!" Einige Männer sagten: "Er braucht wohl keinen Priester!" Die Frauen schrien aber: "Was? Keinen Priester? Gewiß muß er einen Priester haben!" Der Priester trat also an die Spitze des Zuges, und der wanderte nun den Bergen zu. Am Berge wurde der Fels vom Eingang einer Höhle zurückgeschoben und das Angareb mit dem Räuberhauptmann hineingetragen. Das Angareb wurde niedergesetzt und die goldenen Schalen und Leuchter wurden rund herum gestellt und die Truhe mit Gold zur Seite und die Körbe mit Speise und Trank in die Nähe. Die Leuchter wurden angezündet, der Priester setzte sich auf die Truhe und schlug eine andere Stelle seines Buches auf und las.

Die Männer sagten: "Nun wollen wir Abschied nehmen und herausgehen." Sie gingen alle an dem Angareb vorüber und schritten hinaus. Die Männer sagten: "Der Priester muß auch herauskommen." Die Frauen sagten: "Nein, laßt den Priester beten!" Die Männer sagten: "Der Fels muß aber vorgeschoben werden, damit die wilden Tiere nicht hinein können." Die Frauen sagten: "Die wilden Tiere kommen erst nachts. Laßt die Höhle tagsüber offen und den Priester bei dem Räuberhauptmann." Es gingen alle nach Haus.

Nachdem alle gegangen waren, blieb der Priester noch einige Zeit auf der Truhe über das Buch gebeugt sitzen. Dann aber richtete er sich auf und sagte: "Ich habe nun nachgerade Hunger und Durst. Die guten Leute haben, wie mir schien, allerhand Speise und Trank mit hereingebracht. Der arme Tote kann das nun nicht mehr genießen. Deshalb will ich mich ein wenig stärken."

Der Priester schlug sein Buch zu und legte es auf die Truhe. Dann ging er zu den Körben und nahm von den besten Speisen und vom Wein heraus. Er ging zur Truhe zurück, setzte sich neben den zugedeckten Räuberhauptmann hin und begann zu speisen und zu trinken. Der Priester sagte: "Diese Hammelkeule, dies Kisra und dieser Wein sind ausgezeichnet. Wie traurig ist es, daß



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der arme Mann hier das nun nicht mehr genießen kann!" Dann aß er wieder und trank eine Weile und sagte: "Die armen Toten haben es doch zu schlecht, daß sie an solchen Dingen keinen Genuß mehr haben." Dann aß er wieder und trank eine Weile und sagte: "Dafür haben sie aber auch bei Mangel keinen Hunger und Durst. Die Toten leiden nicht, wenn sie einen guten Lebenswandel führten. Ich will nachher wieder lesen! Wie schmeckt das aber gut!"

Dann nahm der Priester noch einen Bissen, den er schmatzend verzehrte, und trank von dem Wein, so daß man es hörte.

Der Räuberhauptmann hatte es am Morgen in der Eile unterlassen, gründlich zu speisen, hatte das vielmehr für die lange Zeit in der Höhle aufgespart. Außerdem lag er schon lange Zeit unter den wertvollen dicken Decken, und so ward ihm schwül und er hatte Durst und Hunger. Als der Priester nun laut und vernehmlich neben ihm eine Zeit gegessen und getrunken und die Trefflichkeit der Speisen gelobt hatte, konnte er sich nicht mehr versagen, einmal laut zu seufzen. Als er derart laut seufzte, setzte der Priester die Flasche, die er gerade zum Munde geführt hatte, ab und sagte: "Dieser Tote seufzt anscheinend über den schlimmen Lebenswandel, den er geführt hat. Wenn dem so ist, werde ich mehrere Tage an seiner Bahre lesen müssen, um ihm den Frieden im Jenseits zu erwirken. Es ist gut, daß die Leute so viel Speise und Trank hereingesetzt haben, daß es einige Tage für mich reicht!" Dann trank der Priester wieder.

Der Räuberhauptmann dachte: "Was? Dieser Priester will mehrere Tage hier bleiben? Dann werde ich vor Hunger und Durst sterben! Das ist unmöglich!" Der Räuberhauptmann erschrak. Der Räuberhauptmann warf die dicken wertvollen Stoffe von sich und richtete sich auf. Der Priester sagte: "Oho! Der Tote bewegt sich. Er muß eine große, schlimme Sache begangen haben, daß er nicht Ruhe im Tode finden kann. Sage mir, Toter, was dich bedrängt!" Der Räuberhauptmann fühlte nach der Bewegung die Schmerzen in den Gliedern. Er sagte: "Wie das schmerzt! Gib mir zu trinken!" Der Priester sagte: "Was schmerzt dich? Sage mir, Toter, was dich bedrängt! Denke, daß ich ein Priester bin."

Der Räuberhauptmann sagte: "Ein Armer, den ich bestahl, schlug mich mit einem Ochsenschwanz!" Said riß den Ochsenschwanz unter dem Priesterkleid hervor und sagte: "Etwa mit dem da?" Als der Räuberhauptmann das sah, schrie er vor Angst auf.



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Said aber zog ihm einige harte Schläge über. Er sagte: "Hast du mich heute morgen nicht etwa wieder beschimpft? Nennst du diesen Betrug vielleicht den Anfang eines ehrlichen Lebenswandels?" Darauf stürzte der Räuberhauptmann vor Said auf die Knie und sagte: "Nimm mich mit dir. Teile mit mir alles, was ich habe und lehre mich einen ehrlichen Lebenswandel!"

Darauf hob Said den Räuberhauptmann auf. Er legte den Ochsenschwanz beiseite, führte ihn zu seinem Angareb und reichte ihm Speise und Trank. Dann rief er Leute aus der Nachbarschaft, die den Räuberhauptmann und alle seine Schätze in Saids Behausung trugen, so daß die Räuber, als sie abends zurückkamen, die Höhle leer und verlassen fanden.

Der Räuberhauptmann ward von Said verbunden und von ihm und seiner Frau gepflegt, bis er gesund war. Said gründete mit ihm einen Handel und gewann ihn mehr und mehr lieb. Sie hatten sich zuletzt so aneinander gewöhnt, daß sie beide gemeinsam im hohen Greisenalter an einem Tage starben.


22. Räuberlist

Ein Harami (Räuber, Dieb) ward häufig bei seinen Unternehmungen ergriffen und dann jedesmal drei oder vier Monate eingesperrt. Zuletzt wurde der Harami ganz traurig und sagte: "Bei dieser Sache kommt für mich nichts Gutes mehr heraus. Ich werde also das, was ich als Harami gelernt habe, in einem andern Berufe auszunutzen versuchen und werde ein Markib (Segelboot) mieten. Auf den Segelbooten wird viel geraubt, und nun wird es sich ja zeigen, ob ich das, was ich als Räuber zum besten meiner Erwerbungen lernte, zur Erhaltung des Gutes anderer und somit zur Ernährung in anderer Weise nützlich anwenden kann."

Der frühere Harami kaufte sich also ein Segelboot. Ein Kaufmann gab ihm viele Gefäße (Gidr) mit Butter, daß er sie weit weg auf dem Nil an einem fernen Hafenort abliefere. Der neue Rais (Kapitän) belud sein Schiff und fuhr dann ab. Eines Nachts schliefen alle Leute des Rais, nur er allein nicht. Es kamen fünf Harami. Die Harami besahen das Schiff und sahen nach allen Leuten. Der Schech der Harami sagte: "Die Leute schlafen alle. Wir können uns an die Arbeit machen." Der Rais sagte: "Nun werde ich sehen, ob ich etwas gelernt habe." Der Rais stellte sich auch schlafend.



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Die Räuber stiegen also in das Schiff, hoben geräuschlos eine ganze Reihe Butterfässer heraus und trugen sie ans Land. Mit den fünf Lasten machten sie sich dann auf den Weg nach dem Hause ihres Hauptmanns. Der Rais aber folgte ihnen leise, und als der Räuberhauptmann aufgeschlossen hatte und alle hineingingen, folgte er ihnen. Die Räuber stellten ihre Lasten nieder und gingen wieder. Der Rais blieb aber im Hause des Hauptmanns in einem dunkeln Winkel hinter der Tür.

Als die andern Räuber gegangen waren, sagte der Hauptmann zu seiner Frau: "Frau, nimm den Schlüssel zu der kleinen Kammer hinten und leuchte mir. Ich will die Buttergefäße wegstellen." Die Frau nahm die Schlüssel, und der Mann trug die Buttergefäße hinaus. Sie waren beide herausgegangen, und es war nun außer dem Rais nur noch das ganz kleine Kind des Hauptmanns im Hause, das schlief. Der Rais nahm das schlafende Kind, ging mit ihm von dannen und trug es in sein Schiff.

Nachdem der Räuberhauptmann mit seiner Frau die Buttergefäße in der kleinen Kammer weggestellt und den Raum verschlossen hatten, kamen sie wieder in das vordere Haus zurück und legten sich nieder. Dabei sah die Frau des Räuberhauptmanns nach ihrem Kind. Sie fand es aber nicht. Die Frau schrie auf. Der Räuberhauptmann fragte: "Was hast du?" Seine Frau sagte: "Unser Kind ist verschwunden." Der Mann stand auch auf. Der Mann und die Frau suchten. Sie konnten nichts von dem Kind finden. Das Kind war nicht mehr im Hause. Die Frau weinte aber die ganze Nacht hindurch.

Am andern Morgen ging der Räuberhauptmann zu einem Freunde und sagte: "Höre, mein Freund! Du mußt mir in einer ernsten Sache helfen." Der Freund sagte: "Was ist es?" Der Räuberhauptmann sagte: "Gestern abend ist uns unser Kind gestohlen worden." Der Freund sagte: "War denn deine Frau nicht bei dem Kind?" Der Räuber sagte: "Sie war nicht bei dem Kind. Sie war nur für kurze Zeit mit mir zu der kleinen Kammer gegangen, die hinter dem Hause ist." Der Freund sagte: "Was habt ihr da in der Nacht gemacht?" Der Räuber sagte: "Das hat nichts damit zu tun." Der Freund sagte: "Wenn du mir nicht alles sagst, was hiermit in Verbindung steht, kann ich dir auch nicht raten. Sage also genau, was ihr in der Zeit getan habt. Dann finden wir vielleicht, wo dein Kind zu suchen ist." Der Räuber sagte: "Wenn du es denn wissen willst, werde ich dir also sagen, was wir taten. Du



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mußt aber als mein Freund die Sache für dich behalten." Der Freund sagte: "Natürlich werde ich als dein Freund nicht weiter darüber sprechen. Du mußt mir aber sagen, was sich ereignet hat, damit ich den Zusammenhang finde."

Der Räuber sagte: "Ich war mit einigen Freunden in der Nacht ausgegangen und habe auf einer Barke einige Gefäße mit Butter gefunden. Diese brachten wir in mein Haus. Nachdem meine Freunde gegangen waren, trugen meine Frau und ich die Buttergefäße in die kleine Kammer, und genau in der Zeit, während der meine Frau und ich in der kleinen Kammer waren, ist unser Kind gestohlen worden." Der Freund sagte: "Ich kann an der Sache nichts Merkwürdiges finden." Der Räuber sagte: "Mein Freund, weißt du, wo mein Kind ist?" Der Freund sagte: "Hat denn der Kapitän geschlafen, als er euch die Buttergefäße in der Nacht gab, oder hat er gewacht?" Der Räuber sagte: "Ich denke, er hat geschlafen." Der Freund sagte: "Ich denke, er hat nicht geschlafen." Der Räuber sagte: "Wie meinst du das ?" Der Freund sagte: "Wenn der Kapitän im Schlafe euch die Buttergefäße gegeben hat, hat er euch vielleicht im Schlafe dafür das Kind genommen. Geh also, wenn du glaubst, daß der Kapitän jetzt wach ist, zu dem Kapitän und sprich mit ihm über die Buttergefäße und das Kind." Der Räuberhauptmann sagte: "Ich will sehen." Der Räuber ging. Der Kapitän hatte das Kind in sein Schiff gebracht und hatte sich, als die Sonne aufging, von seinen Leuten eine Matte ans Ufer legen lassen und trank da eine Schale Kaffee. Der Räuberhauptmann kam, begrüßte ihn und setzte sich zu ihm.

Der Kapitän ließ dem Räuber eine Schale Kaffee reichen. Der Räuber trank ihn. Der Räuber sagte: "Ich habe heute nacht mein Kind verloren." Der Kapitän sagte: "Das ist schlimm. Ist das Kind gestorben?" Der Räuber sagte: "Nein, es ist nicht gestorben; es ist gestohlen." Der Kapitän sagte: "Das ist eigenartig. Uns ist in der gleichen Nacht ein gleiches Schicksal geworden. Mir ist in der Nacht ein Teil meiner Butterladung gestohlen." Der Räuber sagte: "Wenn das Schicksal uns so gleichmäßig behandelte, wollen wir zusammen Freundschaft schließen." Der Rais sagte: "Du schlägst mir Freundschaft vor. Was willst du mir als Zeichen der Freundschaft erweisen?" Der Räuber fragte: "Was soll ich dir als Zeichen der Freundschaft erweisen?" Der Rais sagte: "Denke einmal nach!" Der Räuber sagte: "Ich will versuchen, dir deine Buttergefäße wieder zu beschaffen." Der Rais sagte: "Siehst du,



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du verstehst mich!" Der Räuber fragte: "Was willst du mir denn als Freundschaftszeichen bieten?" Der Rais sagte: "Wenn du mir meine Buttergefäße wieder beschaffen könntest, könnte ich dir vielleicht dein Kind wiederbringen!" Der Räuber sagte: "Das würde allerdings sehr gut sein. Ich bin damit einverstanden." Der Rais sagte: "Also gut! Da du die Freundschaft angeboten hast, bringst du erst die Butter. Erst die Buttergefäße, dann das Kind!" Der Räuber sagte: "Ich bin einverstanden." Der Rais sagte: "Mach aber schnell, denn ich will weiterfahren!"

Der Räuber brachte dem Rais die Buttergefäße zurück. Der Rais bändigte dem Räuber das Kind aus. Der Räuber sagte: "Wie hast du nur mein Kind wiederfinden können?" Der Rais sagte: "Wie hast du nur meine Buttergefäße wiederfinden können?" Der Räuber sagte: "Ja, ich will es nur sagen; ich bin ein Harami." Der Rais sagte: "Siehst du, mein Freund, und ich war früher der größte Harami am Nil." Der Räuber sagte: "Dann verstehe ich es!" Seitdem wagte nie wieder ein Harami dem Rais etwas zu stehlen.


23. Ausgetriebene Geilheit

Ein Mann heiratete eine Frau, die war sehr schön. Die Frau war sehr schön und sehr klug. Die Frau war aber auch über alle Maßen geil, und da der eine Mann, der sie geheiratet hatte, ihr nicht genügte, so wußte sie jede Gelegenheit wahrzunehmen, ihre Klugheit zur Ausführung eines Zwieschlafes mit einem Freunde oder hübschen Fremden auszunutzen. Wenn die Frau auf den Markt ging, so traf sie einen Freund auf dem Wege dahin und tat sich an ihm gütlich. Auf dem Markte suchte sie einen hübschen Fremden und wußte stets einen verborgenen Winkel zu finden, an dem sie sich mit ihm belustigte. Auf dem Heimwege besuchte sie dann eine Freundin, deren Mann ihr sicher gern willfährig war, und wenn sie dann heimkam, war ihre Freude an der Sache so gewachsen, daß sie ihren Gatten jedesmal noch einmal zu einer ehelichen Unterhaltung auf dem Angareb zu bewegen wußte. An dem Zustand aber, in dem die Geschlechtsteile seiner Gattin sich befanden, bemerkte der Ehemann aber stets, daß er an diesem Morgen sicher nicht der erste Beglücker der schönen Frau war. Und wenn die Frau dem Manne auch mehr Kraft abzunehmen bereit war, als er geben konnte, so war er doch sehr unzufrieden damit, daß die Frau, die er doch allein geheiratet hatte, den größten Teil von



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Vergnügungen, den sie beanspruchte, sich bei andern Männern lieh.

Dabei hatte der Ehemann für diese emsige Freude an geschlechtlichen Ergüssen seiner Frau keinen andern Beweis als eben den Zustand ihres erregten und mit Wärme und Feuchtigkeit und ständiger Sehnsucht nach Mehr erfüllten schönen Körpers. Die Frau war viel zu klug, als daß der Mann jemals hätte ihre geheimen Zusammenkünfte beobachten können. Sie wußte ihrem Gatten auf ihren Seitenwegen stets auszuweichen, und nicht selten geschah es, daß der Mann an einem Strohzaun stand und den Weg entlang nach seiner vermutlich ein Abenteuer suchenden Frau ausschaute, während sie, die Kluge, gerade nur durch die Strohmatte von ihrem Manne getrennt eben dies Abenteuer in vollen Zügen genoß.

Nachdem der Mann dies eine Zeitlang mit angesehen hatte, sagte er: "Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß meine Frau nicht nur vergnügungssüchtiger, sondern auch klüger als ich ist. Deshalb werde ich die Sache mit einem Freunde besprechen." Der Ehemann ging also zu einem Freunde und trug ihm die ganze Sache vor. Er sagte: "Mein Freund, ich bitte dich, mein wahrer Freund zu sein und mir in einer Sache zu helfen. Du weißt, daß ich mit einer schönen Frau verheiratet bin, die aber auch klug ist und außerdem mit der Gabe beliehen ist, die geschlechtliche Kraft vieler Männer genießen zu können, ohne selbst dabei ihre Kraft auch nur im Geringsten zu erschöpfen. Ich nehme an, daß alle meine Freunde von dieser letzten Tatsache durch eigene Erfahrung genau unterrichtet sind, und es liegt mir nichts ferner, als ihnen und somit auch dir diese Nutzung schöner Gelegenheitsgenüsse zu verübeln. Ich weiß, daß meine Frau nicht hinaus zum Pissen gehen kann, ohne das Organ, durch das sie ihr Wasser abläßt, auch noch zu dem andern von der Natur gewährten Dienst zu nutzen, und daß sie in jedem Augenblick einen Mann zu finden weiß, der mit ihr dies Vergnügen teilt, ohne daß ich um Erlaubnis gefragt werde oder es früher als zu spät wahrnehme. Ich nehme an, daß du dies weißt und schäme mich nicht dir zu sagen, daß ich erstens nicht klug genug bin, die mir durchaus unerwünschten Ausschweifungen meiner Frau zu entdecken, und zweitens auch noch dadurch leide, daß sie, einmal von einem andern erregt, von mir auch noch die Wiederholung der Übung verlangt, was meine Kräfte um so mehr erschöpft, je mehr Freunde und Teilhaber an dem eigentlich nur mir zustehenden Genuß sie findet. Ich sehe also den Zeitpunkt



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kommen, in dem ein jeder Einwohner dieser Stadt durch Teilnahme an meinem Eheglücke mich zu Kraftausgaben zwingt, die mich, da ich der Zahl nach dann als einzelner ebensoviel leisten muß als sie in guter Teilung alle gemeinsam, bald an den Rand des Grabes bringen müssen. Ich bitte also dich, mein Freund, mir einen Rat zu geben, wie ich meine Gattin der Männergemeinsamkeit entziehen und mir die Erholung und Ruhe gönnen kann, deren ich dringend bedarf."

Der Freund sagte: "Ich sehe, daß du diese Sache mit gelassener Ruhe und würdig besprichst und will gar nicht leugnen, daß die ungeheure Aufnahmefähigkeit und Klugheit deiner Frau stadtbekannt sind. Auch würde eine Erschöpfung deiner Kräfte in der Tat gar bald eintreten, da niemals ein einzelner Mann allein das vollbringen kann, was alle Männer der Stadt gemeinsam im Spiel erledigen. Du würdest also in diesem Wettkampf bald unterliegen, wenn du dem nicht bald abhilfst, und das kannst du nur in der Weise tun, daß du in eine andere Stadt ziehst. Ich werde dich dorthin begleiten, werde einen Tag dort bleiben und dann fortgehen. Du wirst sehen, daß der Zustand sich ändern wird, und ich hoffe, daß, wenn du deine Frau nun noch regelmäßig mehrere Stunden des Tages in dem kalten Wasser, das der Stadt eigen ist, sitzen läßt, die Sache sich völlig ändert. Nur mußt du mir erlauben, daß ich am Tage, an dem wir in der Stadt anlangen, noch einmal mit deiner Frau zusammenkomme; denn dieses wird nötig sein, um sie in den neuen Lebenswandel einzuführen und ihr Lehren zu erteilen. Wo du so viel Glücksgenossen bislang gehabt hast, kann es dir jetzt nicht auf diese eine Freundschaftsteilung ankommen, zumal dir hinterher völliger Alleinbesitz gesichert ist."

Der Ehemann war damit sehr einverstanden. Er ordnete die Verpackung aller seiner Sachen an, machte sich mit seinem Freunde und seiner Frau auf die Reise in die fremde Stadt und langte eines Nachmittags vor deren Toren an. Der Freund sorgte nun dafür, daß zuerst jeden Tag weite Wege zurückgelegt wurden; und da die Frau außerdem immer zu Fuß gehen mußte, so war sie jeden Abend derart erschöpft, daß ihr sonst übliches Bedürfnis der übergroßen Müdigkeit wich. Am letzten Tag, an dem sie vor den Toren der fremden Stadt ankamen, war der Tagesmarsch aber sehr klein gewesen, auch hatte die Frau sich schon an die ihr neuartige Verwendung der Beine gewöhnt, daß ihr früheres Bedürfnis mit doppelter Kraft erwachte.



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Somit ging die Frau hinter die Seriba des Lagers, schlug ihr Wasser ab und wußte den Freund ihres Mannes herbeizuwinken, der mit Vergnügen der Aufforderung Folge leistete und mit ihr eilig eine Ubung veranstaltete. Als er das erledigt hatte, sagte er: "Es wird dir gut tun, wenn wir dem Kamelhaar noch einen Dorn einsetzen." Die Frau war damit sehr einverstanden und wollte, nachdem auch diese Handlung erledigt war, sich erheben, als der Mann sagte: "Arme Frau, du gehst einer freudearmen Zukunft entgegen, und es wird gut sein, wenn ich den Sattel noch einmal auflege." Die Frau, deren Freude an der Sache mit der Wiederholung wuchs, sagte: "Komm nur schnell, denn ich kann leicht noch einen Reiter tragen." Danach fragte sie: "Weshalb meinst du denn, daß ich eine arme Frau sei, die einer freudelosen Zukunft entgegengehe?" Der Freund sagte: "Alle Männer der Stadt, in der du von nun an mit deinem Manne wohnen wirst, haben statt eines zwei männliche Glieder, die außerdem von Eisen sind, so daß die armen Weiber, die sich mit ihnen einlassen, statt eines Genusses einen schlimmen Schmerz empfinden." Die Frau erschrak und sagte: "Komm, mein Freund, und versuche schnell noch einen Sprung in den Graben." Der Freund kam den Wünschen nach und sagte dann zu der Frau: "Nun aber geh zu deinem Manne, der sicher schon wie ein wildes Tier auf seine Beute wartet, und überlasse nun ihm den weiteren Lämmerraub!" Damit trennten sie sich, und die Frau ging in das Zelt und nahm ihrem Manne alles ab, was er an diesem Tage abzugeben hatte. Der Ehemann sagte aber bei dem ersten Eintritt in das gastliche Tor seiner Gattin bei sich: "Wahrhaftig, mein Freund hat die Gelegenheit ergiebig ausgenützt und meiner Frau fleißig Lehren erteilt. Wenn es aber helfen sollte, mag es mir recht sein."

Der Ehemann zog mit Freund und Weib in die Stadt ein und ließ sich in einem angesehenen Hause bei einem freundlichen Manne nieder. Während er nun mit seiner Frau die Einrichtungen traf, setzte sich der Freund mit dem freundlichen Hausherrn und andern angesehenen Männern in einem Kaffeehaus nieder, und da er von früheren Reisen mit den Eingeborenen der Stadt schon bekannt war, so fragten diese ihn nach dem ihnen noch unbekannten Ehemann aus. Darauf sagte der Freund: "Dieser Mann ist sehr bedauernswürdig, denn er hat in jeder Stadt, in die er mit seiner Frau kommt, große Schwierigkeiten. Diese schöne Frau hat nämlich die Leidenschaft, alle Männer zu sich auf das Lager zu ziehen,



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ihnen aber nachher mit einer Schere das männliche Glied abzuschneiden. Da nun die Frau außerordentlich verführerisch ist und die Männer durch sie immer sehr eingenommen sind, so hat der Mann in jeder Stadt immer nach einem schweren Streit Abschied nehmen müssen und überall eine Reihe entmannter Jünglinge zurückgelassen." Diese Erzählung machte auf die Leute großen Eindruck. Man plauderte noch lange, und dann nahm man Abschied.

Der Freund verabschiedete sich am andern Tage vom Ehemann und sagte: "Ich würde unehrlich handeln, wenn ich noch länger bei dir und in der Nähe deiner Frau bliebe. Ich reise ab. Vergiß die kalten Sitzbäder nicht und glaube mir, daß in Zukunft alles einen guten Weg gehen wird."

Die Frau blickte nun alle Tage nach den Männern der Stadt, die ihr schön gewachsen und kräftig und sehr begehrenswert erschienen. Sie dachte bei sich: "Diese Sache mit den doppelten Eisengliedern ist sehr merkwürdig." Die Männer der Stadt sahen überall der fremden Frau nach, bewunderten ihre Schönheit und sagten bei sich: "Diese Leidenschaft der Scherenanwendung ist sehr merkwürdig." Am meisten brannte aber der freundliche Mann, in dessen Haus der Ehemann abgestiegen war, darauf, dieser schönen Frau einmal beizuliegen, und da er ihren Winken der nächste, sie außerdem in der Handhabung der Winke und Zeichen sehr geschickt war, so verabredeten sie eine geheime Zusammenkunft auf ihrem Lager für eine Stunde, in der der Ehemann in der Stadt zu tun hatte. Nun dachte der freundliche Mann bei sich: "Es wird gut sein, wenn ich mich gegen die Angriffe mit der Schere mit einem Messer bewaffne." Er versteckte also unter seinem Kleid ein Messer, kam herüber und legte sich neben die schöne Frau auf das Angareb. Die schöne Frau aber dachte: "Es scheint mir sicherer zu untersuchen, ob nicht doch etwas Wahres an der Geschichte mit den beiden Eisengliedern ist." Als der Mann sich ihr also auf dem Angareb näherte, strich sie möglichst vorsichtig unter seinen Kleidern entlang. Sie war schon ziemlich nahe bis an den Gegenstand ihrer Sehnsucht und Untersuchung gekommen, da stießen ihre silbernen Ringe gegen den Dolch, den der freundliche und vorsichtige Mann unter dem Kleide trug. Unwillkürlich berührte sie nun auch mit der Hand die Klinge des Messers und ritzte die Hand auf.

Als der Mann das Klappern der Ringe hörte, schrie er auf. Als die Frau den Dolch berührte, schrie sie auf. Die Frau sprang entsetzt



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in den Winkel des Zimmers und zitterte. Der Mann raffte sein Kleid zusammen und rannte von dannen. Die Frau sah das Blut über ihre Hand rinnen und sagte bei sich: "Welcher Gefahr habe ich mich ausgesetzt! Es ist also doch wahr! Wie schrecklich, wenn die harten Eisenglieder dieses Mannes das zarte Erdreich meines Freudengartens aufgerissen hätten! Die Männer dieser Stadt sind fürchterlich!"

Bald darauf kam ihr Mann nach Hause und sagte: "So, meine Gattin, nun nimm einmal ein Bad in dem herrlichen Wasser dieser Stadt."

Abends kam der freundliche Mann in das Kaffeehaus. Er saß verstört unter den Männern und sah nicht freundlich aus. Die andern Männer sahen ihn. Sie rückten näher. Ein älterer Mann sagte endlich: "Sprich dich aus, Freund. Du bist so erschöpft! Was ist geschehen? Ist er abgeschnitten?" Der freundliche Mann sagte: "Nein, es ist nicht dazu gekommen. Die Schere klapperte. Da merkte ich es und sprang noch im letzten Augenblick weg!"


24. Die Rache des betrogenen Ehemannes*

Ein Mann hatte eine junge Frau geheiratet und das vor nicht langer Zeit. Da erschien ihm eines Nachts sein Vater im Traum und sagte ihm, er müsse nach Mekka pilgern. Am andern Morgen rüstete der Mann sogleich sein Gepäck, ging zu seiner Frau und sagte: "Meine junge Frau, mein Vater ist mir im Traum erschienen und hat mich aufgefordert, nach Mekka zu reisen; das will ich nun sogleich tun. Nun ist es sehr wohl möglich, daß du in den wenigen Tagen, die wir miteinander verheiratet sind, empfangen hast. Ich hoffe aber, wenn du das Kind ausgetragen hast, zurückzukehren, so daß ich zu der Zeit der Geburt dann in deiner Nähe bin. Wende dich aber immerhin, wenn du die ersten Anzeichen der Schwangerschaft wahrnimmst, an eine alte Frau, der ich den Auftrag geben werde, für dich zu sorgen." Darauf nahm der junge Ehemann von seiner jungen Frau Abschied und trat seine Pilgerfahrt an.

In der gleichen Stadt wohnte nun ein Muezzin (Gebetsausrufer), der täglich von dem Minarett der großen Moschee aus seiner Berufspflicht nachkam. Dieser Muezzin hatte die junge Frau gesehen, und er hatte auch aus dem eigenen Munde des Mannes derselben 

* Aus der Gegend von Assuan stammend.


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gehört, daß dieser zu einer Pilgerfahrt nach Mekka abgereist sei. Der Muezzin sagte bei sich: "Diese junge Frau führt jetzt ein sehr stilles Leben und wird diese Stille um so schmerzlicher empfinden, als sie erst wenige Tage die Freuden der Ehe kennengelernt hat. Diese junge Frau ist aber so schön und gut gebildet, daß es mir scheint, ich könne derzeit nichts Angenehmeres erleben, als das weiterzuführen, was dieser Mekkapilger an ihr begonnen hat. Ich werde also mit der Alten, die bei der jungen Frau ein und aus geht, Freundschaft schließen. Vielleicht kann sie mir in meinem Drange, die junge Schöne über die Einsamkeit hinwegzutrösten, helfen."

Der Muezzin sprach also eines Tages die Alte an und bat sie, ihn einmal aufzusuchen, da er mit ihr etwas besprechen wolle. Die Alte kam dem Wunsche sehr bald nach, und als der Muezzin sich mit ihr allein sah, sprach er zu ihr: "Meine liebe Frau, ich denke, du mußt eine reiche Erfahrung haben und mußt es wissen, daß die Bedürfnisse und Wünsche der Leute recht verschieden sind." Die Alte sagte: "Gewiß weiß ich das und kann selbst viel darüber sagen." Der Muezzin sagte: "Dann wirst du wissen, daß einigen Menschen dann und wann im Kopfe das herzlichste Bedürfnis aufwacht, nach Mekka zu pilgern, während andere Leute an tiefer gelegenen Körperteilen einen ebenso starken Drang empfinden, näher gelegene Ziele zu erreichen. Du wirst dieses wissen." Die Alte sagte: "Hierin hast du sicherlich recht, und ich darf wohl annehmen, daß du mich nicht hast zu dir kommen lassen, um mich über den Weg nach Mekka zu befragen." Der Muezzin sagte: "So ist es! Ich habe nicht im geringsten vor, nach Mekka zu pilgern." Die Alte sagte: "Dann wohnt deine Bedrängnis also wohl tiefer und das Ziel deiner Sehnsucht näher." Der Muezzin sagte: "Ganz so wollte ich es gesagt haben. Ich habe in der Tat eine Beschäftigung, die mich den halben Tag mit den Dingen des Propheten in so engem Zusammenhang erhält, daß ich nicht daran denken kann, den oberen Teil meines Leibes in der Richtung nach Mekka weiter wegzuführen, als das Gebet es vorschreibt. Ich habe auch vor einigen Tagen wieder einen Bekannten nach Mekka pilgern sehen, der mir außerdem versprach, für mich dort zu beten, so daß für den oberen Teil meines Körpers gesorgt ist." Die Alte sagte: "Wenn du also dem Bedürfnis deines Kopfes durch deinen Freund in Mekka Rechnung getragen siehst, so meinst du wohl, daß du dafür hier jenen Pflichten nachkommen könnest,. die jener Mekkapilger hier



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in der Stadt derweilen versäumt?" Der Muezzin sagte: "Ich sehe, du bist eine kluge Frau. Ich werde um die Welt nicht undankbar sein, weder gegen einen andern noch gegen dich."

Die Alte sagte: "Wenn die Sache so steht, so will ich gern sehen, wie ich dich den Zielen deiner Sehnsucht näherbringen kann, und ich denke mir, daß mir das nicht schwer werden kann, wenn du nämlich den Wunsch hast, die Tätigkeit fortzusetzen, die der jungverheiratete Mekkapilger so plötzlich unterbrochen hat." Der Muezzin dankte darauf der Alten, und diese eilte schnell zu der jungen Frau des Mekkapilgers hinüber. Die Alte sagte zu der Jungen: "Wenn ich es recht überlege, muß ich doch sagen, daß dein Mann sehr schlecht an dir gehandelt hat und daß du sehr zu bedauern bist!" Die junge Frau sagte: "Weshalb beschimpfst du meinen Mann?" Die Alte sagte: "Ich beschimpfe deinen Mann nicht; ich finde nur, daß er mit dem unfertigen Kinde sehr schlecht an dir gehandelt hat, und daß er erst einmal das Kind seiner Frau ausarbeiten konnte, ehe er sich entfernte, um den Wunsch seines Vaters so schnell zu erfüllen." Die junge Frau sagte: "Was meinst du mit dem unfertigen Kinde?" Die Alte sagte: "Nun, er hat dein Kind nicht fertig ausgearbeitet! Er hat nur für den Körper gesorgt. Wenn das Kind so geboren wird, werden ihm der Kopf und alle Glieder fehlen. Er ist von der unfertigen Arbeit fortgelaufen, und dir wird die Schande widerfahren, diesen Krüppel gebären zu müssen." Die junge Frau erschrak sehr und sagte: "Ist es sicher so ?"

Die Alte sagte: "Sicher ist es so! Du kannst jeden Menschen fragen, der davon genug versteht. Noch vor wenigen Tagen sprach ich mit dem Muezzin des großen Minaretts, der durch seine ausgezeichnete Kinderarbeit bekannt ist, über eine ähnliche Sache." Die junge Frau sagte: "Ach, was ist mein Mann schlecht! Was ist mein Mann schlecht! Aber sage mir doch, kann mir jener Muezzin, der durch seine ausgezeichnete Kinderarbeit so bekannt ist, nicht noch helfen, so daß das Kind fertig wird ?" Die Alte sagte: "Gewiß kann er das. Du mußt ihn nur bitten!" Die junge Frau sagte: "Meine Freundin, ich bitte dich, gehe schnell zu dem geschickten Muezzin und sprich mit ihm. Willst du es tun?" Die Alte sagte: "Wenn du durchaus willst, soll es geschehen!" Die Junge sagte: "Ja, ich bitte dich! Und er soll auch schnell kommen, damit es nicht zu spät wird." Die Alte sagte: "Ich will sogleich gehen. Wann soll der Muezzin kommen?" Die Junge sagte: "Bitte ihn herzukommen, sobald er Zeit hat." Die Alte ging.



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Die Alte kam zum Muezzin und sagte: "Geh nur schnell hinüber, mein Freund. Die junge Frau des Mekkapilgers bittet dich, nur ja recht schnell zu ihr zu kommen!" Der Muezzin bedankte sich bei der Alten und machte sich sogleich auf den Weg. Er kam zu der jungen Frau des Mekkapilgers. Die junge Frau begrüßte ihn und sagte: "Ich danke dir, daß du gekommen bist. Mein Mann hat mir ein unfertiges Kind zurückgelassen und ist nach Mekka gepilgert, ehe noch die Glieder angefangen waren. Ich habe dich bitten lassen hierherzukommen, damit du diese Arbeit, in der du sehr geschickt bist, zu Ende führst." Der Muezzin sagte: "Ich will das gern ausführen." Die junge Frau sagte: "Wie lange wirst du hierzu benötigen?" Der Muezzin sagte: "Man kann das nicht auf einmal machen. Denn ich will die Arbeit gut machen, zumal dein Mann auch für mich in Mekka betet." Die junge Frau sagte: "Es ist gut. Fange nur schnell an, damit wir keine Zeit verlieren." Der Muezzin sagte: "Es ist gut, lege dich nur gleich auf das Angareb. Ich will dann schon mit allen Kräften arbeiten."

Die junge Frau legte sich also auf das Angareb. Der Muezzin kam aber seinem Bedürfnis nach und erfüllte sein Versprechen, daß er mit allen Kräften arbeiten wolle, vollkommen, so daß die junge Frau über die Maßen zufrieden war. Als sie sich wieder von ihrem Angareb erhob, sagte sie: "Es ist wahr, du verstehst diese Arbeit wirklich besser als mein Mann. Komm nur recht häufig wieder und bleibe weiter so bei der Sache." Der Muezzin sagte: "Ich verspreche dir dieses und hoffe, daß du mit der Sache immer gleich zufrieden sein wirst. Nur mußt du, wenn du besondere Wünsche hast, mir diese beizeiten sagen, so daß ich alle Maßnahmen immer im betreffenden Augenblick beobachten kann." Die junge Frau sagte: "Wenn du so freundlich sein willst, für alles beizeiten Maßnahmen treffen zu wollen, so vergiß doch ja nicht, daß das Kind, wenn es ein Junge wird, ein gleich gutes Arbeitswerkzeug erhält wie du. Es würde mir leid tun, wenn es bei dem Kinde so klein und schwächlich würde wie bei seinem Vater." Der Muezzin sagte: "Alles das kann ich dir versprechen. Denn gerade in der Ausführung solcher Einzelheiten bin ich, wie ich glaube, geschickter als nur irgendein anderer Kinderarbeiter dieser Stadt." Die junge Frau sagte: "Mußt du jetzt schon wieder gehen oder könntest du noch ein wenig in der Sache weiterwirken ?" Der Muezzin sagte: "Ich habe soeben den Mund des Kindes angebracht. Wenn du nicht zu ermüdet bist, so lege dich nur noch einmal hin; ich will dann die



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Nase einsetzen." Die junge Frau sagte: "Ich bin ganz und gar nicht so müde, daß ich das Einsetzen der Nase nicht noch ertragen könnte, vielmehr scheint es mir, daß deine heftige Arbeitsweise mir mehr zusagt als die sanftere meines Mannes." Damit legte die junge Frau sich noch einmal auf das Angareb, und der Muezzin setzte die Nase so stark an, daß die angehende Mutter bei der Wahrnehmung der geschickten Tätigkeit des Muezzin freudig stöhnte.

Von nun an kam der Muezzin so oft es ihm behagte zu der jungen Frau des Mekkapilgers, und diese war über seine emsige Arbeit ganz außerordentlich glücklich. Um sich nun aber ganz und ungeteilt der Tätigkeit bei der jungen Frau hingeben zu können, sandte der Muezzin seine eigene Frau, die auch noch jung, ihm aber gewohnter und deshalb gleichgültiger war, zu deren Eltern, damit sie diese für einige Monate besuche. Dann widmete er sich mit doppelter Kraft der jungen Frau des Mekkapilgers.

Inzwischen hatte der Mekkapilger seine Gebete verrichtet und kehrte eines Tages unerwartet nach Haus zurück. Als seine Frau ihn kommen sah, gewann sie es aber nicht über sich, ihn freundlich zu begrüßen. Vielmehr wandte sie dem eintretenden Gatten den Rücken zu und kümmerte sich nicht weiter um ihn, und als er sie dann nachher freundlich ansprach, ging sie ohne Antwort mit böser Miene von dannen. Der Mekkapilger sagte darauf bei sich: "Hier muß irgend etwas vorgefallen sein. Ich muß das erfahren." Er sprach seine Frau bei der nächsten Gelegenheit wieder freundlich an. Sie aber wandte sich abermals mit schlimmer Miene ab und wollte von dannen gehen.

Der Mekkapilger sagte aber zu seiner jungen Frau: "Warte einmal! Bleib einmal hier und sage mir, warum du mir nicht antwortest und mir ein so unfreundliches Gesicht zeigst!" Die junge Frau wandte sich nun wohl ihrem Manne zu; sie sah ihn aber sehr zornig an und sagte: "Weshalb ich unfreundlich zu dir bin? Nun, weil du ein schlechter Mann bist, ein sehr schlechter Mann! Deinem toten Vater zuliebe bist du weggelaufen nach Mekka und hast mich, deine lebende junge Frau, mit einem unfertigen Kinde zurückgelassen. Und einen Krüppel hätte ich bei derart abgebrochener Arbeit mir zur Schande geboren! Dank aber dem fleißigen Muezzin vom großen Minarett, der in vorzüglichster Weise las unterbrochene Werk fortgesetzt hat und in so unermüdlicher Tätigkeit dem Rumpfe alle Glieder, von der Nase bis zur großen Zehe, zugearbeitet hat!"



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Als der Mekkapilger das hörte, sagte er bei sich: "Oho, steht die Sache so!" Zu seiner Frau sagte der Mekkapilger nichts. Am gleichen Tage ging er aber zu dem Muezzin, den er von früher wohl kannte, erzählte ihm, daß er die versprochenen Gebete ausgeführt habe, und schloß mit ihm herzliche Freundschaft. Diese Freundschaft pflegte der Mekkapilger mit aller Sorgfalt und besuchte seinen neuen Freund alle Tage. So erfuhr er denn bald, daß dieser seine Frau in eine einige Tagereisen entfernte Stadt gesandt habe, damit sie dort für einige Monate bei ihren Eltern verbleibe. Der Mekkapilger merkte sich dieses alles ganz genau und besuchte außerdem seinen Freund, den Muezzin, so häufig, daß jener nicht imstande war, etwas ohne Wissen des Mekkapilgers auszuführen.

Einige Tage lang empfand der Muezzin die Behinderung an der ihm gewohnt gewordenen Nebenarbeit sehr angenehm, denn gerade in den letzten Tagen hatte die junge Frau des Mekkapilgers bei der Ausarbeitung der großen Zehen große Rührigkeit an den Tag gelegt und hatte mehr Geduld und Aufnahmefähigkeit gezeigt, als er auf die Dauer zu ertragen vermochte. Nachdem der Muezzin also einige angenehme Tage der Ruhe an der Seite des neuen Freundes genossen hatte, begann er sich nach einer frischen Betätigung zu sehnen und sagte bei sich: "Zwar wünsche ich mir auf die Dauer nicht eine Frau wie die dieses Mekkapilgers, eine Frau, die mehr Bewegungsfreude und Ausdauer besitzt als ein Mann. Sehr angenehm wäre es mir aber, wenn meine eigene Frau nun wieder zu mir zurückkehrte, denn ihre Sanftmut ist auf die Dauer doch genußreicher und leichter zu ertragen als das Ungestüm der andern."

Nachdem der Mekkapilger nun also einige Zeit in der Stadt und viel in der Umgebung des Muezzin geweilt hatte, sagte er eines Tages zu seinem Freunde: "Ich werde morgen wieder für einige Tage verreisen und werde jene Stadt aufsuchen." Dabei nannte der Mekkapilger den Namen der Stadt, in der die Frau des Muezzin bei dessen Schwiegereltern wohnte. Als der Muezzin dies hörte, dachte er bei sich: "Dieser Mann verreist offenbar nur, um einmal wieder seiner Frau für einige Zeit zu entgehen und sich auszuruhen. Da seine Frau ihn also sehr in Anspruch genommen haben wird, scheint er mir für einige Zeit gänzlich ungefährlich für alle Frauen." Der Muezzin sagte aber laut zu dem Mekkapilger: "Hast du in jener Stadt irgend jemand, bei dem du unterkommst ?" Der Mekkapilger sagte: "Nein, ich kenne in dieser Stadt niemand." Der



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Muezzin sagte: "Höre, mein Freund, das trifft sich ausgezeichnet. In jener Stadt wohnen nämlich meine Schwiegereltern, bei denen augenblicklich meine Frau zu Besuch weilt. Ich will dir also einen Brief an meinen Schwiegervater mitgeben, so daß du bei ihm wohnen kannst. Ich bitte dich aber um die Gefälligkeit, wenn du heimkehrst, meine Frau unter deinem Schutze mitzubringen und darauf zu achten, daß ihr auf dem Wege durch die Wüste nichts abhanden kommt." Der Mekkapilger sagte: "Ich hatte zwar an ein anderes Unterkommen gedacht; wenn dir aber, meinem Freunde, daran gelegen ist, so will ich deinem Wunsche gern nachkommen."

Am andern Tage machte sich also der Mekkapilger mit dem Briefe auf den Weg und kam nach einer längeren Reise auch bei den Schwiegereltern des Muezzin an. Er weilte bei diesen einige Tage und bereitete die Rückwanderung vor, und dem Inhalt des Briefes entsprechend, bat der Gastwirt den Mekkapilger, sich seiner Tochter anzunehmen und sie zu seinem Schwiegersohne zurückzuführen. Der Mekkapilger reiste also mit der Frau des Muezzin ab. Nachdem er am ersten Tage nur einen kleinen Marsch zurückgelegt hatte, schlug er am zweiten den Weg in die Wüste ein, der ein gut Teil kürzer als der übliche, aber für den ersten Tagesmarsch sehr anstrengend war, zumal die Reisenden die folgende Nacht unter einigen Bäumen allein in der Wildnis übernachten mußten.

Also kamen der Mekkapilger und die Frau des Muezzin abends sehr ermüdet an diesem einsamen Lagerplatz unter den Bäumen an. Der Mekkapilger sagte zu der Frau des Muezzin: "Höre, wir sind hier in großer Einsamkeit, und es wird gut sein, daß immer einer von uns wacht, damit wir auf das Herankommen von Dieben oder Raubtieren vorbereitet sind. Laß mich nun erst zwei Stunden schlafen, so daß ich ganz frisch bin. Dann wecke mich und ich werde den Rest der Nacht wachen, so daß du ungestört und unbesorgt dich bis zum Morgen ausschlafen kannst. Wecke mich also nur nach zwei Stunden." Die Frau des Muezzin sagte: "Damit bin ich ganz einverstanden." Der Mekkapilger sagte: "Wecke mich nur nach zwei Stunden!"

Dann legte sich der Mekkapilger hin und schlief sogleich ein. Die Frau des Muezzin nahm sich zwar vor, wach zu bleiben, der Tagesmarsch war aber sehr beschwerlich gewesen, und so kam es, daß auch sie nach einiger Zeit einschlief. Der Mekkapilger erwachte aber bald darauf. Er sah vorsichtig hin, ob die junge Frau



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auch fest schlief; dann ging er zu ihr und nahm ihr vom Hals und von den Händen allen Goldschmuck, den sie umhatte und steckte ihn in seine Beinkleider. Nun legte er sich an seinen alten Platz und schlief bis zum nächsten Morgen.

Am andern Morgen erwachte die Frau des Muezzin zuerst. Sie bemerkte sofort, daß ihr gesamter Schmuck abhanden gekommen war. Sie erschrak sehr und weckte sogleich den Mekkapilger. Dieser fuhr aus dem Schlafe und sagte: "Warum hast du mich nicht in der Nacht geweckt? Es hätte uns sehr leicht etwas geschehen können!" Die Frau des Muezzin sagte: "Es ist auch etwas geschehen. Ich bin vor Müdigkeit eingeschlafen, und da ist ein Dieb vorbeigekommen und hat mir meinen ganzen Goldschmuck gestohlen." Der Mekkapilger fuhr auf und sagte: "Was, ein Dieb hat dich bestohlen? Wir müssen sogleich die Fußspuren im Sande suchen, um so zu erfahren, auf welchem Wege er von dannen gelaufen ist. Sieh gleich auf allen Seiten um dich. Ich gehe selbst auch umher." Die Frau des Muezzin sah um sich. Sie blickte nach allen Seiten. Die Frau sagte: "Ich sehe nur die Spuren, die wir selbst getreten haben, als wir gestern abend unser Gepäck aufschichteten." Der Mekkapilger schüttelte den Kopf und sagte: "Diese Sache ist sehr ernst; ich kann auch nicht mehr sehen. Wie kann das nur geschehen sein!"

Der Mekkapilger setzte sich hin und dachte nach. Die Frau des Muezzin setzte sich neben ihn und dachte nach. Die Frau des Muezzin sagte nach einiger Zeit: "Fällt dir nichts ein?" Der Mekkapilger sagte: "Es fällt mir schon etwas ein, aber es ist eine schwierige Sache!" Die Frau des Muezzin sagte: "Sage es mir, denn das ist mir eine schlimme Angelegenheit mit dem Verlust!" Der Mekkapilger sagte: "So höre denn, du Frau meines Freundes! Du weißt doch, daß Männer und Frauen einen Unterschied haben!" Die Frau sagte: "Das weiß ich!" Der Mekkapilger sagte: "Nun gut. Der Unterschied vieler Frauen ist diebisch und stiehlt sehr gern. Das Stehlen ist dem Unterschied der Frauen angeboren. Meist stiehlt der Unterschied der Frauen nun allerdings den Männern. Wenn er aber lange Zeit nichts bei Männern zu stehlen gehabt hat, so stiehlt er sehr leicht auch einmal seiner eigenen Herrin etwas. Da nun rund herum keine fremde Fußspur zu sehen ist, so kann ich es nicht anders annehmen, als daß dein eigener Unterschied, wenn er sonst längere Zeit nicht seinen Mann zu bestehlen Gelegenheit gehabt hat, dich selbst bestohlen und den Raub



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in seinem Innern verborgen hat." Die junge Frau des Muezzin sagte: "Daß mein Unterschied bei Männern gern stiehlt, habe ich, seitdem ich verheiratet bin, oft bemerkt. Auch hat er in letzter Zeit keine Gelegenheit gehabt, etwas zu stehlen. Sage mir nur, ich bitte dich, wie kann man dem Unterschied die Schmucksachen wieder wegnehmen?"

Der Mekkapilger wiegte den Kopf hin und her und sagte: "Das kann eine Frau nicht allein machen. Ein Mann muß langsam und vorsichtig seinen eigenen Unterschied in das Innere führen und danach suchen. Es muß aber bald nach dem Raube und langsam und vorsichtig geschehen, denn sonst wird der Raub immer weiter im Innern versteckt, und du weißt, daß er dann erst als Kind wieder herauskommen kann. Dein Unterschied wird aus dem Schmuck also wohl ein steinernes Kind machen." Die Frau des Muezzin schrie vor Schreck auf. Die Frau des Muezzin sagte: "Was? Ein steinernes Kind soll ich gebären? Daran sterbe ich!" Der Mekkapilger sagte: "Ja, daran sterben die Frauen." Die Frau des Muezzin warf sich vor dem Mekkapilger auf die Erde und sagte: "Ich bitte dich! Ich bitte dich! Versuche es schnell, ob du die gestohlenen Sachen wieder aus meinem Unterschiede herausholen kannst! Ich bitte dich!" Der Mekkapilger sagte: "Lege dich hin! Ich verspreche dir, daß ich alles tun werde, um deinem Unterschiede den Raub wieder zu entreißen!"

Die Frau legte sich hin. Der Mekkapilger aber begann mit großer Vorsicht mit seinem Unterschiede die Untersuchung; und als er dies eine Weile so ausgeführt hatte, daß auch die Frau seine Sorgfalt und Fürsorge bemerken mußte, griff er mit der Hand nach unten und langte aus seinem Hosenbein ein Armband heraus! Die Frau des Muezzin sagte: "Ja, das ist das erste! Ich danke dir! Ich danke dir! Schnell suche auch das andere!" Der Mekkapilger begann also nach einer kleinen Ruhepause die Untersuchung aufs neue und brachte diesmal das zweite Armband hervor. Die junge Frau war darüber sehr glücklich und hätte nun gern die Untersuchung sogleich zu Ende geführt gesehen. Der Mekkapilger bestand aber darauf, daß sie erst ein Frühstück einnähmen und einigen aus einer Flasche mitgenommenen Wein tränken, um so die Unterschiede iur Ruhe zu bringen.

Der genossene Wein hatte aber zur Folge, daß die junge Frau noch viel emsiger auf die Durchsuchung ihres diebischen Unterschiedes bestand. Sie sagte: "Mein Unterschied empfindet es gar



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nicht unangenehm, daß du ihn nach allen Richtungen auf den gestohlenen Schmuck hin untersuchst, und mir will es so scheinen, als ob er die gestohlenen Sachen auf diese Weise sehr gern wieder hergibt, ja, als ob er nach jeder Untersuchung nach einer Wiederholung dränge." Der Mekkapilger sagte: "Dieses ist sehr erklärlich. Denn dein Unterschied hat deine Steine und dein Gold nur deshalb gestohlen, weil er solange bei einem Manne nichts stehlen konnte." Die Frau des Muezzin sagte: "Nun eile dich und suche noch nach der Halskette!" Der Mekkapilger kam der Aufforderung wiederum nach und überreichte der jungen Frau diesmal den Halsschmuck.

So hatte die junge Frau denn allen ihren Schmuck wiedererhalten, und der Mekkapilger hätte nun ohne weiteres mit der Frau des Muezzin weiterreisen können. Nachdem beide sich aber noch ein wenig an Speise und Wein gestärkt hatten, sagte die Frau des Muezzin: "Höre, du freundlicher Mann! Vor einiger Zeit wurde im Hause meines Vaters ein Ring vermißt. Es scheint mir nun wohl möglich, daß mein Unterschied der Dieb auch dieses Gegenstandes ist. Ich wäre dir also sehr dankbar, wenn du ganz hinten einmal danach suchen wolltest!" Der Mekkapilger, dem der Wein auch noch mehr Freude an der annehmlichen Tätigkeit erweckt hatte, sagte: "Gewiß, du freundliche Herrin eines räuberischen Unterschiedes! Dieses soll sogleich geschehen!"

Der Mekkapilger begann die Untersuchung also zum vierten Male, und zwar betrieb er sie nunmehr so weitgehend und energisch, daß zum Abschluß die Frau des Muezzin einen Wind streichen lassen mußte. Der Mekkapilger, der sowieso an der Grenze aller Kräfte angekommen war, sagte also: "Hörst du? Eben hat dein Unterschied laut geschworen, daß er nun kein gestohlenes Gold und keine gestohlenen Steine mehr verborgen halte." Damit erhob er sich. Die junge Frau richtete sich auch auf und sagte: "Ich habe es wohl gehört; außerdem spüre ich nun auch, daß die Widerstandskraft meines Unterschiedes gebrochen ist. Ich sage dir Dank!"

Der Mekkapilger und die Frau ruhten sich noch ein wenig aus, und dann machten sich beide auf den Weg und kamen zur guten Zeit wieder in der Stadt an, in der der Mekkapilger sogleich seine Frau, seine Begleiterin aber ihren Mann, den Muezzin, aufsuchte.

Der Muezzin empfing seine Frau aufs freudigste, und da er nun schon längere Zeit ein sehr zurückgezogenes Leben geführt hatte,



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so war er doppelt zudringlich in seinen Freudenbezeugungen. Seine Frau wehrte ihn aber ab und sagte: "Unterwegs ist mir eine schlimme Sache widerfahren, an der du schuld bist. Du weißt, daß die Unterschiede der Frauen sehr diebisch sind. Du weißt, daß sie eigentlich nur die Männer bestehlen. Da du mich nun aber solange allein bei meinen Eltern gelassen hast und ihm so jede Gelegenheit, sein angeborenes Diebsgelüst zu befriedigen, geraubt war, hat er mir nachts alle meine Steine, Silber- und Goldsachen gestohlen, um sich daraus ein steinernes Kind zu bilden, bei dessen Geburt ich dann nachher natürlich gestorben wäre. Dank aber dem freundlichen Mekkapilger, der jedes Schmuckstück eines nach dem andern schnell und mühsam dem Dieb wieder entrissen und ihn zuletzt zu dem Schwur, nichts anderes Derartiges gestohlen zu haben, gezwungen hat. Ohne seine unterschiedlichen Bemühungen ginge ich nun, infolge deiner Gleichgültigkeit, dem sicheren Tode entgegen!"

Als der Muezzin das hörte, ging er hinaus und sagte bei sich: "Dieser Mann hat den Tauschhandel anscheinend so gründlich betrieben, daß meine Frau für die nächsten Tage mich wohl kaum freundlich aufnehmen wird." Der Muezzin ging fort. Er traf unterwegs den Mekkapilger und sagte: "Meine Frau hast du so sicher zurückgebracht, daß ich für deine eingehende Fürsorge nicht dankbar genug sein kann." Der Mekkapilger sagte: "Wie hätte ich dir sonst die freundliche Nachhilfe, die du mir früher gewidmet hast, danken können!"



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FREMD GUT



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25. Wudandahasch


1. Das Schicksal der Geschwister Wudandahasch

Ein Melik hatte drei Kinder, eine Tochter und zwei Knaben, die Achmet und Hassan hießen. Das Mädchen wuchs heran und wurde sehr, sehr schön. Die Leute kamen von allen Seiten, das Mädchen zu sehen. Alle angesehenen Leute und die Söhne anderer Könige kamen, um sich das schöne Mädchen zur Frau auszubitten. Der König wollte sie aber niemand geben. Er wies jeden Freier, ob es der Sohn eines Königs oder ob es der Sohn eines Vornehmen war, zurück. Das tat er aber, bis er eines Tages starb. Kaum war der Melik gestorben, da kam ein Rul (oder Gui) und bat das Mädchen um ein Glas Wasser. Das Mädchen ging gern hin und gab dem ihm unbekannten Rul das Wasser. Kaum aber reichte sie ihm das gefüllte Gefäß, da faßte der Rul sie und trug sie im Nu weit fort in sein Gasr.

Die Mutter hatte so hintereinander den Gatten und die Tochter verloren und hatte jetzt nur noch zwei Söhne, den Achmet und den Hassan. Die beiden Söhne waren noch klein und wuchsen langsam heran. Sie spielten auf der Straße und lärmten, wie es die Art der Burschen ist. Eines Tages nun spielte Achmet mit andern Burschen, indem sie Holzstücke hin und her warfen, und als eine Frau mit einem gefüllten Wasserkrug vorbeiging, hatte Achmet das Unglück, das Gefäß zu treffen und mit dem Wurfe zu zerstören, so daß das Wasser über die Frau herablief. Dadurch wurde die Frau ärgerlich und sie sagte zu Achmet: "Wenn du schon so stark bist, Achmet, dann wird es Zeit, daß du dich aufmachst und deine Schwester von dem Rul befreist." Damit ging die alte Frau fort.

Achmet lief aber sogleich heim zu seiner Mutter und sagte: "Koche mir Wasser, daß ich ein Bad nehme!" Die Mutter setzte Wasser auf das Feuer. Als das Wasser aber kochte, packte Achmet die Mutter bei den Haaren und hielt ihren Kopf über das Wasser. Dazu sagte Achmet: "Mutter, wenn du mir nicht sogleich sagst, wo meine Schwester ist, dann werde ich deinen Kopf in das kochende Wasser stecken. Mutter, wenn du mir nicht erlaubst, mich aufzumachen und meine Schwester zu befreien, dann stecke ich deinen Kopf in das heiße Wasser." Die Mutter erschrak und sagte: "Bist 

* Wudandahasch ist ein aus Berber nach Kordofan übersiedeltes Märchen. In Berber gilt diese Erzählung als eine Art Stammessage.


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du auch stark genug?" Achmet sagte: "Mutter, laß mich gehen!" Darauf sagte die Mutter: "Dann geh, mein Sohn Achmet. Der Rul Ibrahim hat deine Schwester geraubt."

Achmet nahm hierauf von seiner Mutter Abschied, bestieg sein Pferd, ergriff seine Waffen und ritt erst dahin, wo sein Bruder Hassan weilte. Achmet sagte zu Hassan: "Mein Bruder Hassan, ich habe gehört, daß unsere Schwester von dem Rul Ibrahim geraubt ist, und ich will hinreiten sie zu befreien. Nun nimm diesen Ring hier und setze ihn auf den kleinen Finger. Wenn dich nun der Ring anfängt zu drücken, so weißt du, daß es mir schlecht geht. Dann sieh zu, daß du es möglich machst mir zu helfen." Hassan nahm den Ring, setzte ihn auf den kleinen Finger und sagte: "Es ist gut. Ich werde sehen, ob es dir schlecht oder gut geht." Achmet ritt nun von dannen.

Achmet ritt sehr lange durch die Wüste hin. Es war sehr heiß, und Achmet wurde sehr durstig. Nachdem er weit durch die Wüste geritten war, kam er an einen Brunnen. An dem Brunnen stand ein Feigenbaum. Neben dem Brunnen lag ein alter Mann. Achmet sagte zu dem alten Mann: "Ich bin so durstig. Ich bitte dich, gib mir zu trinken." Der alte Mann blieb liegen und sagte: "Da ist der Schöpfsack und das Tau, hebe doch selbst das Wasser, denn du bist ein junger Mann, und mir als einem alten Mann gib dann auch zu trinken." Achmet nahm den Schöpfsack und ließ ihn in den Brunnen herab. Dann begann er ihn wieder heraufzuziehen.

Achmet fühlte, daß der Sack sehr schwer war. Achmet zog aber mit allen Kräften. Achmet zog und zog. Er war aber nicht imstande, den Wassersack wieder heraufzuziehen.

Als der Alte sah, daß Achmet nicht imstande war, das Tau wieder emporzuziehen, sagte er: "Sage mir doch einmal, mein Bursche, was du hier eigentlich vorhast?" Achmet sagte: "Ich will meine Schwester befreien, die von dem Rul Ibrahim gefangengenommen ist." Der Alte sagte: "Wenn du nicht einmal imstande bist, den Schöpfsack wieder heraufzuziehen, dann wirst du auch nicht mit dem Rul kämpfen können. Ich rate dir also, wieder zurückzukehren." Achmet sagte: "Ich kann und will nicht zurückkehren. Ich muß zu dem Rul. Ich bitte aber dich, der du hier alles weißt, mir den Weg zum Rul zu zeigen." Der Alte sagte: "Siehst du die Schafe dort?" Achmet sagte: "Gewiß sehe ich die Schafe." Der Alte sagte: "Folge nur immer den Schafen; dann kommst du sicher zum Rul."



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Darauf bestieg Achmet wieder sein Pferd, ritt hinter den Schafen her und kam so zu dem Hause des Rul. Die Schwester Achmets schaute gerade oben zum Fenster hinaus. Sie sah, daß hinter den Schafen ein Mensch kam. Sie erkannte den Burschen. Die Schwester erschrak und sagte: "Bist du es wirklich, mein Bruder Achmet?" Achmet sagte: "Gewiß bin ich es!" Die Schwester rief: "Was willst du denn hier, mein Bruder Achmet?" Achmet sagte: "Ich will dich von dem Rul befreien, der dich gefangengenommen hat." Die Schwester sagte: "Achmet, Achmet, fliehe schnell von dannen! Du kannst den Rul nicht bekämpfen. Du bist verloren, wenn er dich sieht. Flieh, mein Bruder! Flieh schnell!" Achmet sagte aber: "Nein, meine Schwester; ich werde nicht fliehen, sondern ich werde hier bleiben und werde mich mit dem Rul messen."

Der Rul kam nach Hause. Der Rul sah Achmet. Der Rul kam auf Achmet zu und drückte ihm zur Begrüßung die Hand. Er tat das aber mit soviel Kraft, daß er Achmet den Arm ausdrehte, so daß Achmets Arm kraftlos herunterhing. Der Rul sagte aber: "Bist du nicht Achmet, der Bruder des schönen Mädchens?" Achmet sagte: "Das bin ich." Der Rul sagte: "Was wünschest du von mir? Sage es mir, womit ich dir eine Freude bereiten kann." "Ich will meine Schwester wieder mit nach Hause zurücknehmen", sagte Achmet. Der Rul sagte: "Gut; ich werde dir deine Schwester morgen früh zurückgeben. Zunächst komm aber mit mir herein und nimm Speise und Trank zu dir, denn du mußt von der weiten Reise sehr ermüdet sein."

Achmet wurde also von dem Rul hineingeführt, und der Rul ließ ihm ausgezeichnetes Essen und erfrischende Getränke bieten. Nach dem Essen sagte der Rul aber: "Komm mit mir heraus und betrachte meinen Garten." Achmet wollte hinter dem Rul hergehen. Der Rul sagte aber: "Gehe du nur voran." So gingen sie hinaus in den Garten, Achmet voraus, hinter ihm dann der Rul. Sie gingen ein gutes Stück weit durch den Garten, dann kamen sie an den Eingang einer Höhle, die sich weit, weit unter der Erde ausdehnte; in der wohnten alle Menschen, die sich der Rul gefangen hatte, damit er sich von Zeit zu Zeit einen darunter zum Mahle heraussuche. Der Eingang dieser Höhle war schmal und mündete nach oben in den Garten. Als der Rul nun mit Achmet an den Höhleneingang kam, sagte er zu dem vor ihm gehenden Achmet: "Schaue dort hinein; dort drunten ist das beste, was ich habe."



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Achmet beugte sich vornüber und blickte hinab. Da gab der hinterhergehende Rul ihm einen Stoß, und so stürzte er auch in die dunkle Höhle hinab, in der der Rul alle seine Gefangenen hatte.

Kaum hatte der Rul den Achmet in die Höhle hinabgestoßen, da begann der Ring, den Achmet Hassan gegeben und den Hassan auf den kleinen Finger gesteckt hatte, sich zusammenzuziehen und zu drücken. Hassan fühlte, daß der Ring ihn drückte und sagte bei sich: "Meinem Bruder muß etwas zugestoßen sein." Hassan ging also zu seiner Mutter und sagte: "Meine Mutter, ich fühle durch den Ring, den Achmet mir zurückgelassen hat, daß Achmet etwas sehr Schlimmes zugestoßen ist. Deshalb bitte ich, mir die Erlaubnis zu geben, Achmet zu suchen und ihm zu helfen." Die Mutter sagte: "Mein Sohn Hassan! Euer Vater ist gestorben. Deine Schwester hat der Rul geraubt. Dein Bruder ist in die Hände des Rul gefallen. Ich habe nur noch dich. Wenn ich dich auch noch verliere, habe ich kein Kind mehr. Deshalb bitte ich dich, stehe ab von deinem Verlangen und bleibe bei mir. Ich bitte dich!" Hassan sagte: "Meine Mutter! Achmet, mein Bruder, verlangt nach mir. Vielleicht kann ich ihm helfen und vielleicht können wir gemeinsam etwas erreichen, was dein einer Sohn nicht allein vermöchte. Laß mich also gehen."

Hassan drängte seine Mutter so, daß sie ihm zuletzt die Erlaubnis zum Fortreiten gab. Hassan nahm seine Waffen, bestieg sein Pferd und ritt wie Achmet in die Wüste hinaus. Er ritt lange, lange Zeit durch die Wüste hin und kam auch zu dem Brunnen mit dem Feigenbaum, in dessen Schatten der alte Mann lag. Hassan sagte: "Alter Mann, ich bin sehr durstig! Gib mir etwas von dem Wasser dieses Brunnens!" Der alte Mann sagte: "Ich bin auch durstig, aber zu alt, selbst zu schöpfen. Dort liegt nun der Schöpfsack, laß ihn herunter und ziehe Wasser herauf, trinke und gib dann mir, dem alten Manne, auch etwas davon ab." Hassan stieg also ab und ließ den Schöpfsack hinab, und als er fühlte, daß er voll Wasser war, begann er den Strick anzuziehen. Er bemerkte nun sogleich, daß der Sack sehr schwer war, und zog und strengte im Ziehen alle seine Kräfte an. Dann trat er aber zurück. Er war nicht imstande, den vollen Wasserschöpfsack wieder heraufzuziehen.

Als der alte Mann das sah, fragte er Hassan: "Weshalb kommst du diesen Weg? Was willst du in diesem Lande?" Hassan sagte: "Ein Rul hat meine Schwester geraubt. Mein Bruder hat sich aufgemacht, meine Schwester zu befreien. An einem Ringe nun, den



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mein Bruder mir zurückgelassen hat, bemerkte ich, daß es ihm schlecht geht. Deshalb bin ich aufgebrochen, um meinen Bruder und meine Schwester zu befreien." Der alte Mann sagte: "Laß ab und kehre heim! Wenn du den Schöpfsack nicht hochziehen, kannst, wird es dir so wie deinem Bruder und vielen, vielen vor ihm gehen. Du bist zu schwach, um den Rul zu überwinden!" Hassan sagte: "Lieber Alter! Ich will es versuchen. Sage mir doch den Weg, den ich gehen muß, um das Haus des Rul zu finden, in dem meine Schwester und mein Bruder weilen." Der alte Mann sagte: "Folge nur den Schafen dort!" Darauf folgte Hassan den Schafen und kam in die Nähe des Hauses des Rul.

Die Schwester der Brüder sah zum Fenster hinaus. Sie erkannte Hassan und erschrak. Die Schwester rief schon von weitem: "Mein Bruder Hassan, kehre schnell um! Schnell kehre um! Sogleich kommt der Rul, und dann wird er mit dir verfahren, wie er es mit deinem Bruder Achmet getan hat." Hassan sagte: "Meine Schwester, du und mein Bruder, ihr lebt. Deshalb will ich sehen, ob ich euch helfen kann." Die Schwester rief: "Fliehe, mein Bruder Hassan!" Hassan sagte: "Nein, meine Schwester; ich kann und will nicht fliehen!"

Der Rul kam. Er begrüßte Hassan und drückte ihm die Hand. Er drückte ihm die Hand so stark, daß er ihm den Arm ausrenkte. Der Rul fragte: "Du bist Hassan; was wünschest du von mir? Was kann ich für dich tun?" Hassan sagte: "Ich möchte meine Schwester und meinen Bruder wieder nach Hause zurückbringen." Der Rul sagte: "Das kann morgen geschehen. Heute sollst du mit mir essen und trinken, denn du wirst von der Reise ermüdet sein." Dann begleitete der Rul Hassan ins Haus, setzte ihm Speise und Trank vor und forderte ihn endlich auf, mit ihm hinaus in den Garten zu gehen, womit Hassan einverstanden war.

Der Rul ließ Hassan vor sich her in den Garten gehen und führte ihn herum, damit er alles sehe. Als er nun an den Eingang der großen unterirdischen Höhle kam, in der schon Achmet und viele, viele andere Menschen gefangen waren, forderte er Hassan auf, sich vornüber zu beugen und hinabzuschauen, und als Hassan das tat, gab er ihm von hinten einen Stoß, so daß er kopfüber tief hinabfiel. So waren also beide Brüder in der Höhle, die Schwester aber in dem Hause des Rul gefangen.



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2. Wudandahaschs Geburt und Jugendstreiche

a) Die Geburt

Die Mutter wußte aber, daß nun auch Hassan in der Höhle des D Rul gefangen war. Die Mutter weinte und sagte: "Was soll ich nun! Auch Hassan, mein jüngster Sohn, ist von dem Rul gefangen. Ich habe nun keine Kinder mehr, als die bei dem Rul. Ich will also auch zu dem Rul reiten." Danach bestieg die Mutter ihren Esel und ritt in die Wüste hinaus.

Die Mutter ritt weit in die Wüste hinaus. Es war heiß, und sie empfand großen Durst. Als nun der Esel, auf dem sie ritt, einmal sein Wasser abschlug, fing sie davon mit den Händen auf und trank es. Gleich danach fühlte die Mutter, daß sie schwanger war. Die Frau weinte aber und schrie und sagte: "Drei Kinder habe ich geboren, die sind alle vom Rul genommen! Wie soll es nun mit dem vierten Kinde werden?" Da sprach das Kind im Leibe der Mutter und sagte: "Um mich sorge dich nicht, meine Mutter. Ich werde bald jedem Rul gewachsen sein! Zunächst will ich nur bald geboren werden." Kurze Zeit danach gebar die Mutter in der Wüste, und das Kind konnte laufen, als es geboren wurde. Das Kind hatte aber wohl auf der einen Seite das Ohr des Menschen, auf der andern jedoch das eines Esels. Deshalb erhielt der Knabe den Namen Wudan (Ohr) Dahasch (Esel).

Wudandahasch lief gleich nach seiner Geburt neben der Mutter her und zeigte ihr den Weg aus der Wüste. Sie gingen einige Zeit, dann kamen sie an eine große Stadt. Die Mutter weinte aber und sagte: "Nun sind wir in einer fremden Stadt, und ich habe kein Geld, um Butter und Honig zu kaufen, und ich bin zu müde, um noch in den Basaren nach dem nötigsten auszuschauen." Wudandahasch sagte: "Aber meine Mutter, weshalb weinst du denn? Du hast doch mich jetzt, daß ich dir helfe und beistehe. Ich werde sogleich in die Basare gehen und werde alles besorgen, was du brauchst!"

Darauf ging Wudandahasch in den Basar und kaufte Butter bei einem Manne. Als der Mann sah, wie klein Wudandahasch war, da lachte er und sagte: "Seht den kleinen Butterkäufer!" Darauf sagte Wudandahasch: "Du sollst nicht lachen über mich!" Und er schlug den Butterhändler so, daß ihm der Kopf schief auf dem Halse sitzenblieb. Dann ging Wudandahasch zu einem andern Manne und kaufte Honig. Der andere Mann aber lachte auch und



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sagte: "Seht den kleinen Honigkäufer!" Darauf sagte Wudandahasch: "Du sollst nicht lachen über mich!" Und er schlug den Honighändler so, daß ihm der Kopf schief auf dem Halse sitzenblieb. Von da an fürchteten die Leute Wudandahasch und lachten nicht mehr über ihn.

Wudandahasch ging mit seiner Mutter nun in die Wüste (soll offenbar heißen, daß sie an der Grenze der Wüste nahe der Stadt Wohnung nahmen). Die Mutter fragte Wudandahasch: "Mein Sohn, was brauchst du nun?" Wudandahasch sagte: "Ich brauche vor allen Dingen einen Stock. Besorge mir einen Stock, meine Mutter." Die Mutter ging nun hin und suchte einen Stock. Es war ein fester Holzstock. Den gab sie dem kleinen Wudandahasch; Wudandahasch nahm ihn aber und zerbrach ihn zwischen den Fingern. Die Mutter brachte einen großen und schweren Stock. Wudandahasch zerbrach ihn zwischen den Händen und sagte: "Es muß ein Stock aus Eisen sein!" Die Mutter brachte nun einen Eisenstock, der fünfzig Ratl (= Pfund) wog. Wudandahasch zerbrach ihn aber über dem Knie. Wudandahasch sagte: "So laß mir doch einen starken Stock schmieden." Darauf ging die Mutter zu den Schmieden und ließ einen Stock schmieden, der wog (tultumi) 300 Rat!. Wudandahasch nahm den Stock und hob ihn in die Luft. Wudandahasch sagte: "Das ist ein Stock, wie ich ihn gebrauchen kann."

b) Der Kampf mit Madina Rula

Dann ging Wudandahasch an die Straße, dahin, wo viele Leute vorbeikamen. Und Wudandahasch begann mit dem Eisenstock die Leute in die Seite zu stoßen. Wudandahasch verwundete die Leute nicht, sondern brachte sie damit nur zum Hinfallen. Das freute ihn und er lachte. Die Leute waren aber böse darüber. Sie liefen zum Melik der Stadt und sagten: "Am Tore ist ein Bursche mit Namen Wudandahasch. Der stößt uns immer mit seiner Eisenstange, so daß wir hinfallen. Dieser Wudandahasch ist aber sehr stark."

Der Melik sagte zu seinem Wesir: "Was fange ich mit diesem Wudandahasch an, der so stark ist und der die Leute immer belästigt? Er ist so stark, daß niemand unter meinen Leuten es wagt ihn anzupacken." Der Wesir sagte: "Herr, das ist vielleicht in der Weise möglich, daß du ihn einem Stärkeren überantwortest. Du hast doch hier den großen Garten, in dem die schönsten Früchte



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des ganzen Landes wachsen. Du weißt, daß seit Jahren den Garten niemand betreten kann, weil die große Madina Rula jetzt darin lebt und jeden tötet. Wenn du nun den Wudandahasch beseitigen willst, so gib doch dem Burschen die Schaf- und Ziegenherden und beauftrage ihn, sie in dem großen Garten zu hüten. Wenn Wudandahasch dann in den Garten kommt, wird Madina Rula ihn schon töten." Der Melik hörte den Wesir an und sagte: "So werde ich es tun." Der Melik ließ alsdann Wudandahasch kommen und sagte zu ihm: "Wudandahasch, du bist ein starker Bursche, und ich kann dich deshalb sehr gut dazu gebrauchen, meine Herden zu hüten. Du kannst also morgen die Schafe und Ziegen in dem großen Garten hüten." Wudandahasch sagte: "Das will ich tun."

Am andern Tage kam Wudandahasch mit den Ziegen und Schafen und trieb sie auf den großen Garten zu, in dem Madina Rula lebte. Als er an den Garten kam, fand er, daß das große Tor geschlossen war. Darauf nahm er seine Eisenstange und schlug die Tür mit einem Schlage ein. Er trat in den Garten, und sogleich kam Madina Rula ihm entgegen. Madina Rula sagte: "Komm herein, Wudandahasch!" Der Bursche sagte: "Was, du kennst meinen Namen?" Madina Rula sagte: "Gewiß, ich kenne deinen Namen schon lange. Ich weiß schon lange, daß du kommen würdest. Ich werde dir etwas vorschlagen, Wudandahasch! Bleibe du dort drüben. Ich bleibe hier. So nimmt jeder einen Teil des Gartens für sich, und keiner stört den andern. Auf diese Weise vermeiden wir Unfrieden und Streit. Der Wezir und der Melik wollen uns aneinanderbringen, aber wir wollen Frieden halten." Wudandahasch sagte: "Es ist mir recht!"

Wudandahasch hütete an diesem Tage seine Herde auf der Seite des Gartens, die ihm nach der Verabredung mit der Madina Rula zufiel. Er sah die schönen Früchte an den Bäumen und pflückte viele und steckte sie in seine Tasche. Nachher trieb er dann seine Herde fort. Er ging aber zum König und sagte: "In dem Garten, in dem ich heute deine Herde hüten sollte, fand ich viele schöne Früchte. Ich habe dir deshalb einige der besten mitgebracht." Der König war über die schönen Früchte sehr erfreut und sagte: "Ich danke dir, Wudandahasch, für diese Früchte. Du darfst dir auch irgendein Geschenk von mir wünschen." Wudandahasch sagte: "Ich will kein besonderes Geschenk haben. Ich bitte dich nur, mir auch ferner zu erlauben, die Leute an der Straße mit meinem Stock zu stoßen, so daß es etwas zum Lachen gibt."



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Der König ließ Wudandahasch gehen und sagte zum Wesir: "Was sagst du nun hierzu, Wesir? Ich denke mir, daß auch die große Madina Rula vor diesem Wudandahasch solche Furcht hat, daß sie ihn nicht anzufassen wagt!" Der Wesir sagte: "Ich glaube das dem Wudandahasch nicht! Ich glaube, er ist gar nicht in dem Garten gewesen, sondern hat diese Früchte nur über den Zaun weg gepflückt. Willst du ihn mit seiner Herde morgen noch einmal in den Garten schicken, so will ich Leute hinterhersenden, die zusehen sollen, ob der Bursche wirklich in den Garten geht oder nicht." Der Melik war mit dem Vorschlag des Wesirs einverstanden und ließ Wudandahasch noch einmal rufen, um ihm zu sagen, daß er am andern Tage noch einmal in den Garten der Madina Rula gehen solle, um seine Herde da zu hüten.

Also trieb Wudandahasch am andern Tage wieder seine Schafe und Ziegen in den Garten der Madina Rula. Der Wesir sandte aber Leute nach, die sagen sollten, was er tue. Die Leute folgten Wudandahasch bis an den Garten. Die Leute sahen, wie er mit seiner Eisenstange das Tor öffnete. Die Leute sahen, wie er seine Herde in den Garten trieb. Die Leute liefen also zum König zurück und sagten ihm, daß Wudandahasch seine Herde wirklich in den Garten getrieben habe, nachdem er das Tor mit der Eisenstange geöffnet hatte. Abends kam aber Wudandahasch selbst mit seiner Herde wieder und brachte dem König einige der schönen Früchte mit. Der König war über die Früchte sehr erfreut und sagte: "Wudandahasch, ich danke dir für die schönen Früchte. Du kannst dir auch ein Geschenk von mir wünschen." Wudandahasch sagte: "Ich will keine besonderen Geschenke haben. Ich bitte dich nur, mir auch fernerhin zu erlauben, die Leute an der Straße mit meinem Stocke zu stoßen, so daß es etwas zum Lachen gibt."

Wudandahasch trieb seine Herde von nun ab alle Tage in den Garten der Madina Rula. Eines Tages* aber fand er, als er wieder in den Garten kam, Madina Rula schlafend. Da brachte er von allen Seiten Holz und trockenes Strauchwerk herbei und schichtete das über Madina Rula auf. Dann entzündete er es, und so entstand ein mächtiges Feuer, in dem Madina Rula starb. Als er sah, daß 

* Der Erzähler ist sich bei der Wiederholung der Erzählung nicht ganz sicher, ob sich dies nicht vielleicht schon am zweiten Tage, als nämlich die Spione, wie oben erzählt, das erstemal hinter ihm hergingen, ereignet habe, meint aber bei einer dritten Wiederholung dieser Stelle mit Bestimmtheit, daß Wudandahasch sehr häufig in dem Garten gewesen sei, ehe seine erste Großtat zum Abschluß kam.


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Madina Rula gestorben war, schnitt er ihr den Kopf ab. Dann nahm er den Kopf und brachte ihn dahin, wo ein mächtiger Felsblock lag. Er hob den Felsblock mit seiner Eisenstange auf (vom Erzähler pantomimisch als hebelnd angedeutet), legte den Rulakopf darunter und ließ den Felsblock wieder fallen, so daß er den Kopf völlig bedeckte. Dann trieb er seine Herde aus dem Garten und sagte zu den Leuten, denen er begegnete: "Ihr könnt jetzt ruhig in den Garten gehen. Die Rula ist tot." Dem König brachte er aber wie immer Früchte mit. Der König sagte: "Ich danke für die schönen Früchte. Du kannst dir auch ein Geschenk von mir wünschen." Wudandahasch sagte aber: "Ich will keine besonderen Geschenke haben. Ich bitte dich nur, mir auch fernerhin zu erlauben, die Leute an der Straße mit meinem Stocke zu stoßen, so daß es etwas zum Lachen gibt."

Die Leute aber, denen Wudandahasch auf seinem Heimwege gesagt hatte, daß jeder jetzt in den Garten gehen könne, da die Madina Rula tot sei, gingen zu dem Garten. Sie fanden das Tor offen. Sie gingen vorsichtig hinein. Da fanden sie den riesigen Leib der Madina Rula, der der Kopf abgeschnitten war. Erst erschraken sie bei dem Anblick, dann aber lief ein jeder, der das gesehen hatte, zum König und sagte: "König, ich bitte dich um ein Geschenk, denn ich habe die Madina Rula getötet." Der König hörte den ersten an und war sehr zufrieden. Dann kam ein zweiter, dann ein dritter. Es kam eine ganze Reihe von Leuten, und jeder verlangte ein großes Geschenk und behauptete, Madina Rula getötet zu haben.

Der König sagte: "Das ist eigenartig. Es können nicht so viele Leute die eine Madina Rula getötet haben. Ich werde diese Sache selbst ansehen." Er begab sich also mit dem Wesir und andern Leuten in den Garten und betrachtete den Körper der Madina Rula, dem der Kopf abgeschlagen war. Der König sagte zu seinem Wesir: "Es kann kein Zweifel sein, daß Madina Rula getötet vor uns liegt. Nun behauptet von allen diesen Leuten ein jeder, er allein habe die Rula getötet. Wie kann ich nun die Wahrheit erfahren?" Der Wesir sagte: "Der einzige, der hierüber etwas sagen kann, ist wohl Wudandahasch, der alle Tage hier im Garten war." Der König sagte: "Das ist richtig; wir wollen Wudandahasch rufen!" Also wurde Wudandahasch gerufen.

Als Wudandahasch kam, fragte ihn der König: "Weißt du vielleicht, wie ich in Erfahrung bringen kann, wer Madina Rula getötet



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hat?" Wudandahasch sagte: "Das ist sehr einfach. Wer Madina Rula getötet hat, wird auch wissen, wo der abgeschnittene Kopf ist." Der König sagte zu denen, die die Rula getötet haben wollten: "Wer kann denn sagen, wo der Kopf der Madina Rula ist?" Die Leute sahen sich verlegen um; es konnte aber keiner sagen. Der König sagte zu Wudandahasch: "Von diesen hier kann es keiner sagen. Weißt du sonst nichts?" Wudandahasch sagte: "Gewiß weiß ich etwas. Ich weiß genau, wo der Kopf Madina Rulas liegt. Er liegt unter jenem Felsblock dort. Es kann aber nur der Madina Rula getötet haben, der imstande ist, den Felsblock hochzuheben. Also meine ich, müßten alle, die die Rula getötet haben wollen, zeigen, ob sie den Felsblock hochheben können." Darauf ließ der König alle die, die vorher gesagt hatten, sie hätten die Rula getötet, nochmals herantreten und verlangte von ihnen, sie sollten versuchen, den Felsblock emporzuheben. Einer nach dem andern trat heran und versuchte den Felsblock zu heben. Aber nicht ein einziger vermochte ihn auch nur ein wenig zu bewegen.

Als alle gezeigt hatten, daß sie nicht imstande waren, den Felsblock zu heben, sagte Wudandahasch: "Nun ist es wohl ersichtlich, daß diese Leute gelogen haben. Jetzt werde ich zeigen, wer Madina Rula getötet und wer den Kopf Madina Rulas abgeschnitten hat." Wudandahasch ging also hin, hob mit seiner Eisenstange den Felsblock auf, nahm den Kopf Madina Rulas heraus und warf ihn vor die Füße des Königs. Wudandahasch sagte: "Jetzt wißt ihr es!" Da sahen alle Anwesenden, daß nur Wudandahasch es gewesen sein konnte, der die Madina Rula getötet und den Kopf abgeschnitten habe. Der König sagte: "Wudandahasch, ich will dich in einer meiner Städte zum König machen." Wudandahasch sagte: "Ich will nicht König einer deiner Städte werden. Ich bitte dich nur, mir auch fernerhin zu erlauben, die Leute auf der Straße mit meinem Stocke zu stoßen, so daß es etwas zum Lachen gibt." Der König sagte: "Du hast etwas Großes getan. Willst du denn sonst nichts?" Wudandahasch sagte: "Nein, sonst will ich nichts." Wudandahasch ging.

c) Die Überwindung der Wasserrula

Wudandahasch tat nun wie bisher. Er stieß die Leute auf der Straße mit seiner Eisenstange in die Seite. Er tötete sie nicht und verwundete sie nicht, sondern er warf sie nur hin. Die Leute



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fürchteten sich aber, und alle Welt war zornig und alle Leute kamen zum König und sagten: "Wudandahasch stößt uns immer mit seiner Eisenstange, so daß wir hinstürzen." Darauf sagte der König: "Ist denn niemand da, der Wudandahasch überwinden kann?" Die Leute sagten: "Nein, es ist niemand da, der Wudandahasch überwinden kann." Der König sprach darauf mit seinem Wesir und sagte: "Was kann man nur tun, um Wudandahasch beiseite zu bringen? Wudandahasch ist für das Land eine Plage, und es ist niemand da, der ihn überwinden kann." Der Wesir dachte nach und sagte endlich: "Jetzt weiß ich, wer Wudandahasch aus dem Wege bringen könnte. Du hast hier bei deiner großen Stadt den schönen Fluß mit ausgezeichnetem Wasser. Nun muß aber ein jeder aus dem Brunnen das schlechte Wasser holen und keiner kann das gute Wasser des Flusses nehmen, weil zwei Rula in dem Flusse leben, die jeden töten, der an das Wasser kommt. Sende doch Wudandahasch an den Fluß mit deinen Schafen und Ziegen. Er soll die Herde am Ufer des Flusses hüten. Dann werden die beiden Rula ihn töten, und du hast deinen Vorteil. Sollte aber Wudandahasch die Rula umbringen, was nicht anzunehmen ist, so kannst du damit auch zufrieden sein." Der Melik hörte den Wesir an und sagte dann: "Du hast recht! So werde ich es machen."

Der Melik ließ Wudandahasch kommen und sagte zu ihm: "Nimm die Schafe und Ziegen und hüte sie am Ufer des Flusses!" Wudandahasch sagte: "Das will ich gern tun." Am andern Tage trieb Wudandahasch also die Schafe und Ziegen wieder aus und diesmal an das Ufer des Flusses. Wudandahasch trank von dem schönen Wasser des Flusses. Er stieg in den Fluß und badete. Er füllte einen Wassersack mit dem herrlichen Wasser. Es zeigte sich an diesem ersten Tag aber keine Rula. Wudandahasch nahm also den Sack mit Wasser, trieb die Herde heim und trug dann den Sack mit Wasser zum König. Er sagte: "Ich habe so, wie du es mir gesagt hast, deine Herde am Ufer des Flusses hingetrieben und habe dir hier von dem schönen Wasser etwas mitgebracht." Der König versuchte das Wasser und sagte: "Dies Wasser ist wirklich sehr gut; es ist viel besser als das schmutzige Wasser aus dem Brunnen. Nun bringe mir nur häufiger etwas von dem Wasser. Zuerst sage mir aber, was ich dir schenken kann." Wudandahasch sagte: "Ich will kein besonderes Geschenk von dir haben. Ich bitte dich nur, mir auch fernerhin zu erlauben, die Leute auf der



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Straße mit meinem Stock zu stoßen, so daß es etwas zum Lachen gibt."

Am andern Tage trieb Wudandahasch seine Herde wiederum zu dem Ufer des Flusses. Wudandahasch sah sich um und sah, daß eine der Rula im Wasser schwamm, während die andere schlief. Da näherte er sich vorsichtig der Rula und zog ihr, ehe sie es sich versah, einen silbernen Fußring vom Bein. Mit dem silbernen Fußring eilte er heim, gab ihn seiner Mutter und sagte: "Meine Mutter, bewahre mir diesen silbernen Fußring auf und bewache ihn." Die Mutter nahm ihn.

Am andern Tage trieb Wudandahasch wieder seine Herde an das Ufer des Flusses. Die beiden Rula sahen Wudandahasch nicht. Die beiden Rula sprachen miteinander. Die beiden Rula sagten: "Dieser Wudandahasch war erst täglich mit der Herde im Garten Madina Rulas. Er hat Madina Rula getötet. Er kommt jetzt täglich an unsern Fluß. Gestern hat er schon unsern silbernen Fußring genommen. Wudandahasch wird uns noch töten, wenn wir nicht Freundschaft mit ihm schließen. Wir haben unsere Errukhs (Errukhs sind ca. 2-4 cm lange und ca. 1/2 cm dicke Zweigstücke mit Rinde und ohne Ornamente, welche zu allerhand Verwandlungen gebraucht werden. Viele Leute tragen solche Errukhs als schützende und fördernde Amulette in der Tasche), mit deren Hilfe können wir die häßliche Haut der Rula anlegen und sind dann die schlimmsten Feinde der Menschen. Oder aber wir können diese häßliche Haut ablegen und sind dann schöne Frauen. Wir wollen nun unsere Errukhs anwenden und wollen die häßliche Haut ablegen. Wir wollen als schöne Frauen mit ihm Freundschaft schließen. Wir wollen aber unser Gerät mitnehmen, damit wir immer, wenn wir es brauchen, Rula sein können. So wollen wir es tun."

Wudandahasch hörte es, wie die beiden Frauen so miteinander sprachen. Wudandahasch merkte sich die Worte. Er ging um den Platz herum und kam von der andern Seite. Er trieb seine Herde an den Fluß. Am Flusse saßen zwei sehr schöne Mädchen. Wudandahasch sagte: "Ihr seid zwei schöne Frauen." Die beiden Frauen sagten: "Wir wollen mit dir kommen und in deinem Hause mit dir Freundschaft schließen. Wir wollen nur jede ihren Korb mitnehmen. Bist du damit einverstanden?" Wudandahasch sagte: "Ich will euch mitnehmen und mit euch Freundschaft schließen. Jede kann in ihrem Korbe ihre Sachen tragen. Aber ihr müßt mir



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in allem gehorsam sein, was ich will. Seid ihr damit einverstanden? Sagt es, denn wie ihr wißt, bin ich Wudandahasch." Die beiden Frauen sagten: "Wir wissen, daß du Wudandahasch bist und deshalb nur wollen wir mit dir gehen und wollen dir gehorchen. Wir sind damit einverstanden."

Wudandahasch sagte: "Dann kommt mir mir. Wir wollen erst beim Hause des Königs vorbeigehen und nachher könnt ihr bei meiner Mutter wohnen." Dann ging Wudandahasch mit den beiden schönen Frauen in die Stadt zum Hause des Königs. Jede der Frauen hatte aber ihren Korb bei sich. Als sie nahe am Hause des Königs waren, blieb Wudandahasch stehen. Er stützte sich auf seinen Eisenstock und sagte: "Nun ist es an der Zeit, daß ihr eure Errukhs herausnehmt und eure alten Häute als Rula anlegt." Die schönen Frauen erschraken und sagten: "Weißt du denn, daß wir Rula sind?" Wudandahasch sagte: "Ihr könnt Rula sein und könnt schöne Frauen sein, je nachdem wie ihr eure Errukhs anwendet. Ich habe aber euren Silberfußring und bin, wie ihr wißt, Wudandahasch. Ich will euch noch einmal als Rula dem König zeigen. Mehr will ich nicht." Wudandahasch hob seinen Eisenstock hoch.

Da fürchteten sich die zwei Rula und sie sagten: "Wir wollen tun, was du sagst." Sie nahmen die Errukhs und aus den Körben die Häute der Rula. Sie verwandelten sich in Rula und gingen nun folgsam vor Wudandahasch her. Die Leute aber, die die Rula sahen, erschraken und liefen kreischend von dannen. Die Leute liefen überall schreiend weg und flüchteten sich zum König und riefen: "Hilf uns, Melik! Wudandahasch hat die zwei Rula aus dem Flusse gebracht und treibt sie hierher. Er wird uns den zwei Rula ausliefern, so daß wir getötet und gefressen werden! Hilf uns, Melik!" Der Melik erschrak und sagte zu dem Wesir: "Was ist das? Was wird das? Was tun wir?" Die Leute schrien: "Du, der Melik, und du, der Wesir, ihr beide waret es, die Wudandahasch zum Flusse hinabsandten. Ihr seid schuld daran, wenn Wudandahasch uns nun die zwei Rula in die Stadt bringt, so daß sie uns alle fressen werden. Ihr müßt uns helfen! Ihr müßt Wudandahasch entgegengehen und müßt ihn bitten uns zu schonen."

Der Wesir sagte zum Melik: "Wir müssen tun, was alle die Leute verlangen. Wir wollen Wudandahasch entgegengehen und wollen ihn bitten, das Volk der Stadt nicht vernichten zu lassen." Der Melik und der Wesir standen auf. Sie gingen aus dem Palast her-



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aus. Da sahen sie auch, wie Wudandahasch die beiden Rula auf die Stadt zuführte. Als ihre Augen aber die beiden Rula sahen, erschraken sie und wollten fortrennen und sich im Palast verstecken. Sie wandten sich schon um; Wudandahasch rief ihnen aber zu: "Bleibt! Bleibt! Ich wollte euch die beiden Rula nur zeigen. Sie werden euch und niemand etwas tun, denn ich bin der Herr ihrer Kleider (dies ,Ich bin der Herr ihrer Kleider' ist wörtlich). Bleibt und seht nur!" Nun blieben der König und der Wesir stehen.

Der Melik und der Wesir standen still und sahen die zwei Rula. Die zwei Rula waren aber schrecklich zu sehen. Alle Leute sahen die Rula, und Wudandahasch stand hinter ihnen und war ihr Herr. Wudandahasch sagte: "Nun ist es aber genug. Ihr sterbt sonst alle vor Furcht!" Dann machte Wudandahasch ein Feuer und sagte zu den zwei Rula: "Nehmt eure Errukhs! Legt die Rulahäute ab, denn ich bin Wudandahasch!" Darauf nahmen die beiden Rula ihre Errukhs zur Hand, und gleich darauf hatten sie die zwei Rulahäute abgelegt und standen als schöne Frauen da. Darauf riefen der Melik und der Wesir und alle Leute: "O seht! Wie schön sie sind!" Alle Leute staunten.

Wudandahasch nahm aber die Errukhs und die Rulahäute der zwei Frauen und warf alles ins Feuer, so daß es verbrannte. Wudandahasch sagte: "Schöne Frauen sollt ihr bleiben. Nie wieder sollt ihr Rula werden." Dann brachte Wudandahasch die schönen Frauen zu seiner Mutter und sagte: "Bewahre und beschütze diese beiden schönen Frauen gut!" Der Melik ließ aber Wudandahasch kommen und sagte: "Wudandahasch, du hast etwas Großes vollbracht! Alle Leute brauchen nun nicht mehr das schmutzige Wasser aus dem Brunnen zu trinken, sondern können ungefährdet an den Fluß gehen und können von dort herrliches Wasser holen. Sage mir, ob ich nun etwas tun kann. Soll ich dir etwa eine große Hochzeit veranstalten, wenn du jetzt die beiden schönen Frauen heiratest?" Wudandahasch sagte: "Ich will diese beiden Frauen nicht heiraten, wenn sie auch sehr schön sind. Ich will jetzt nicht heiraten und will auch keine Geschenke von dir haben. Ich bitte dich nur, mir auch fernerhin zu erlauben, die Leute auf der Straße mit dem Stock zu stoßen, so daß es etwas zum Lachen gibt." Wudandahasch ging dann heim.

Wudandahasch tat nun wie bisher. Er stieß die Leute an der Straße mit seiner Eisenstange in die Seite. Er tötete sie nicht und



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verwundete sie nicht, sondern warf sie nur hin. Die Leute fürchteten sich aber vor Wudandahasch, und alle Welt war zornig. Alle Leute liefen zum König und sagten: "Wudandahasch stößt uns immer mit seiner Eisenstange, so daß wir hinstürzen." Darauf ward der König sehr traurig. Der König sagte: "Nicht Wudandahasch ist schlecht, sondern ihr seid schlecht! Ihr habt mir Wudandahasch verdorben. Wudandahasch hat große Dinge ertragen. Ihr alle seid aber ganz kleine Kinder!"

Die Leute kamen wieder und wieder zum Melik und beschwerten sich über Wudandahasch. Es kam der Wesir zum König und sagte: "Es geht nicht mehr so. Es ist unerträglich! Dieser Wudandahasch muß aus der Welt geschafft werden. Gib ihm einen Auftrag!" Der Melik sagte: "Niemand wagt, den Wudandahasch anzurühren. Wudandahasch ist stärker als jeder. Auch die Rula fürchten ihn. Wer soll es mit Wudandahasch aufnehmen?" Der Wesir dachte bis zum andern Tag nach. Dann kam er wieder zum Melik und sagte: "Melik, ich weiß, wie man Wudandahasch beseitigen kann." Der König sagte: "So sage es!" Der Wesir sagte: "Du hast dort deinen Feind, den andern König, der im vorigen Jahre mit dir Krieg gemacht hat. Der König ist über die Maßen machtvoll und stark. Er kann den Wudandahasch leicht überwinden. Sende Wudandahasch auf einem Schiffe mit vieler schlechter Ladung und mit einem Briefe an jenen König, dann wird er schon getötet werden, und du bist alle Sorge mit diesem Wudandahasch ein für allemal los." Der König sagte: "Es ist gut, so werde ich es tun! Ich werde Wudandahasch mit einer Ladung von Geschenken an den König des andern Landes senden und diesen so zornig machen, daß er Wudandahasch tötet."

Der Melik ließ nun viele Säcke mit Mist füllen und belud damit ein großes Boot. Dann schrieb er einen Brief, der war so gehalten, daß, wenn Wudandahasch mit der Mistladung ankam, er am andern Tag auf jeden Fall getötet werden mußte. Danach ließ der Melik Wudandahasch zu sich kommen und sagte: "Wudandahasch, du sollst als mein Bote zu dem andern König fahren und sollst da mit allen Ehren empfangen werden, denn ich will dir große Geschenke für ihn mitgeben. Sieh, dort habe ich schon ein Boot beladen lassen. Nimm nun den Brief und übergib ihn dem andern König." Wudandahasch nahm den Brief und sagte: "Ich werde alles so ausführen, daß es dir zur Ehre gereicht."

Wudandahasch ging hin, um von seiner Mutter Abschied zu



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nehmen. Unterwegs sagte er vor sich hin: "Ob dann aber auch mein Stock für die Reise genügt?" Und Wudandahasch versuchte ihn mit den Händen zusammenzubiegen. Da zerbrach die Eisenstange von 300 Rat! in seiner Hand wie ein Sumpfrohr. Wudandahasch ging dann zu einem Schmiedemeister und ließ alle Schmiede zusammenkommen. Er baute einen Schmiedeofen, der war sehr groß. Dann ließ er einen andern Eisenstock schmieden, der wog 10 Gontar (i Gontar = 100 Rat!, also 10 Gontar etwa = 10 Zentner). Er hob ihn in die Luft und schwang ihn wie einen Stock hin und her. Er sagte: "Dieser Stock ist gut für mich." So stark war Wudandahasch geworden.

Wudandahasch ging dann an das Ufer und bestieg das Boot. Wudandahasch stieß mit seinen Leuten vom Ufer ab und fuhr hinaus. Nachdem Wudandahasch eine Zeitlang gefahren war, begann er die Zahl der Säcke, die ihm der König mitgegeben hatte, zu zählen.

Nachdem Wudandahasch damit einige Zeit verbracht hatte, die Säcke zu zählen, sagte er: "Es sind sehr viele Säcke. Sehr schwer können sie nicht sein." Wudandahasch hob einen Sack auf und wog ihn. Wudandahasch sagte: "Es scheint, diese Könige schenken einander Hühnerfedern." Wudandahasch wog einen zweiten Sack, der ebenso leicht war und sagte: "Ich muß mir den Inhalt dieses Sackes doch einmal ansehen." Wudandahasch begann einen Sack zu öffnen. Die Schiffsleute sahen das und schrien: "Wudandahasch, niemand darf die Säcke öffnen als der König, zu dem sie gesandt sind. Laß es, Wudandahasch!" Wudandahasch lachte aber und sagte: "Was gehen mich diese Könige an. Diese Könige achten ihre Diener gering, wenn sie auch vieles vermögen, und suchen sie nur zu vernichten, wenn sie ihnen einmal ärgerlich sind. Diese Könige achten ihre Diener nicht. Weshalb soll ich nun diese Könige achten ?"

Wudandahasch öffnete den Sack und fand, daß Mist darin war. Wudandahasch lachte und sagte zu den Leuten: "Seht! Diese Könige senden einander Mist. Heute finde ich in der Tat etwas zum Lachen." Die Leute sagten: "Wudandahasch, wir bitten dich, schließe den Sack. Wudandahasch, wir bitten dich. Denn sieh, es ist der Mist der Könige." Wudandahasch sagte: "Was scheren mich die Könige! Wenn sie Mist verschicken, sollen sie es nicht gerade auf meinem Boote tun." Wudandahasch schüttete den Mist in das Wasser. Die Leute schrien: "Wudandahasch, was tust du!



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Es ist der Mist der Könige!" Wudandahasch sagte: "Ihr Klugen, glaubt ihr denn wirklich, daß der Mist, den Könige sich als Gabe senden, anders ist als der Mist der Esel, Pferde und Kamele anderer Leute!" Die Leute weinten aber und baten: "Wudandahasch, es ist nun einmal der Mist der Könige, und die Leute werden uns töten, wenn wir ihn nicht bringen." Wudandahasch sagte: "Mist wird überall gemacht. Ich will nicht der Überbringer solcher Gaben sein!" Wudandahasch schüttete also den Inhalt aller Säcke in das Wasser.

Danach öffnete Wudandahasch den Brief, den der Melik ihm für den andern König mitgegeben hatte. Aus dem Brief ersah er, daß der Melik den andern König veranlassen wollte, Wudandahasch, wenn er mit der Mistladung ankomme, zu töten. Wudandahasch las den Brief. Wudandahasch verbrannte den Brief. Wudandahasch schrieb dann einen andern Brief, in dem der andere König aufgefordert wurde, Wudandahasch mit großen Ehren zu empfangen. Nachdem Wudandahasch diese Änderung vorgenommen hatte, fuhr er mit seinen Leuten weiter, bis er bei der Stadt des andern Königs ankam.

Wudandahasch sandte einen Mann mit dem Brief zu dem Könige in die Stadt. Der König las den Brief und sagte zu seinen Leuten: "Der Mann, der diesen Brief gebracht hat, muß mit aller Pracht aufgenommen werden. Deshalb sollen alle Trompeten geblasen und alle Trommeln geschlagen werden, und ich will ihm selbst entgegenziehen." Die Leute kamen mit Pferden und Waffen und vielen Musikinstrumenten und machten großes Geräusch, als sie hinter ihrem König her zu Wudandahasch zum Boote hinabzogen. Als sie so kamen, sagten die Bootsleute zu Wudandahasch: "Das war die gleiche Musik mit Trompeten und Trommeln, die sie im vorigen Jahre machten, als sie gegen den Melik unseres Landes Krieg führten." Wudandahasch sagte: "Dann wollen wir unserm Melik diese Musikinstrumente als Geschenk mitbringen." Die Bootsleute erschraken und sagten: "Wudandahasch, sage nicht so schlimme Sachen!"

Wudandahasch wurde mit allen Ehren empfangen und speiste mit dem Melik. Er besichtigte die Stadt und sah, daß da eine große Tabia (das ist eine Art Fort, eine Burg) war. Es war aber tagsüber niemand in der Burg. Wudandahasch sagte: "Wozu haben die Leute diese Tabia ?" Als es nun Abend wurde, sah er, daß alle Einwohner der Stadt in die Tabia gingen und darin schliefen. Er



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aber ging in sein Boot und schlief auf dem Wasser. Am andern Tage wurden wieder die Trompeten geblasen und die Trommeln geschlagen, und es war ein großes Fest. Als es Nacht wurde, zogen aber alle Leute der Stadt wieder in die Tabia. Als Wudandahasch das sah, ging er nicht in das Boot, sondern er blieb mit seiner Eisenstange in der Stadt, und als alle Leute der Stadt in der Tabia eingeschlafen waren, ergriff er seine Eisenstange und begann auf die Tabia zu schlagen. Seine Schläge fielen so schwer auf die Burg, daß sie einstürzte. Wudandahasch ging herum und schlug von allen Seiten darauf, und sie fiel so ganz zusammen, und alle Leute, die in der Tabia waren, wurden von den einstürzenden Balken und von der Eisenstange Wudandahaschs getötet. So tötete Wudandahasch den großen freundlichen Melik und alle seine Leute auf einmal.

Danach ging Wudandahasch herum und trug alle Trommeln und Trompeten zusammen. Er trug sie zum Boote hinab und belud sein Boot damit, und er zeigte seinen Leuten, wie sie die Musikinstrumente handhaben sollten. Dann fuhr er ab und der Stadt des Melik zu, der ihn ausgesandt hatte. Nach langer Fahrt kam das Schiff nahe der Stadt an. Wudandahasch sagte zu seinen Leuten: "Nun blast und trommelt, so laut und so stark ihr könnt, denn der Melik und seine Leute müssen merken, daß wir für den Mist ein gutes Gegengeschenk mitgebracht haben!" Die Leute begannen nun auf dem Schiffe mit allen Kräften zu trommeln und zu blasen.

Als die Leute der Stadt das sahen und hörten, erschraken sie und liefen zu ihrem Melik. Der Melik hörte die Musik auch und sagte zu seinem Wesir: "Wesir, wir haben unklug gehandelt. Wir haben Wudandahasch mit einem schlechten Geschenk zu dem König gesandt, mit dem wir vorher Krieg gemacht haben. Nun ist er sicher empört gewesen über das, was wir von ihm verlangt haben, und er hat nicht nur Wudandahasch totgeschlagen, sondern er kommt mit allen seinen Leuten und mit seiner Musik, um genau wie früher mit uns zu fechten. Oder erkennst du etwa die Musik nicht wieder?" Der Wesir sagte: "Es kann kein Zweifel darüber sein, daß dies die Musik ist, von der du sprichst. Wir müssen aber abwarten, was geschieht."

Als Wudandahasch an die Stadt kam, ließ er das Boot anlegen und stieg mit seinen Leuten aus. Seine Leute machten die Musik und gingen hinter Wudandahasch her auf den Palast des Melik zu. Die Leute lugten aber hier und da zu den Türritzen heraus und



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erkannten Wudandahasch. Sie sahen Wudandahasch und stürzten aus ihren Häusern heraus und schrien: "Wudandahasch ist wiedergekommen! Wudandahasch ist wiedergekommen! Wudandahasch hat den großen König getötet und bringt seine Musikinstrumente mit!" Als der Melik die Schreie der Leute hörte, fiel er dem Wesir um den Hals und sagte: "Wesir, es ist Wudandahasch!"

Wudandahasch kam mit seiner Musik zu dem Melik. Er hieß seine Leute alle Instrumente vor dem König hinlegen und sagte: "Du hast mich mit köstlichen Geschenken zu dem feindlichen Melik gesandt. Der feindliche König hielt nichts von der Köstlichkeit deiner Geschenke und nannte sie Mist. Darauf habe ich den Melik und seine Leute totgeschlagen und bringe dir hier als Gegengeschenk seine Musikinstrumente. Sage es mir nur, wenn wieder einmal irgendein anderer König deine Geschenke als Mist bezeichnet, ich will dann gern alle Könige belehren in dem, was wertvoll und was wertlos ist." Der Melik war über diese Tat und über die Eroberung der Musikinstrumente sehr entzückt. Er sagte zu Wudandahasch: "Du hast nun wiederum etwas Großes vollbracht; sage mir, was ich dir schenken kann." Wudandahasch sagte aber: "Ich will keine Gabe von dir haben. Ich bitte dich nur, mir auch fernerhin zu erlauben, die Leute auf der Straße mit meinem Stocke zu stoßen, so daß es etwas zum Lachen gibt." Der Melik sagte: "Dein Stock ist aber größer geworden. Wirst du den Leuten auch nicht schaden?" Wudandahasch sagte: "Mein Stock wird noch mehr wachsen, aber nur dem Widrigen wird er schaden. Die Freunde wird er nur scherzend berühren."

Wudandahasch verließ darauf den Melik und ging zu seiner Mutter, um sie zu begrüßen.


3. Wudandahasch befreit die Geschwister und alle Rulgefangenen

Wudandahasch wollte am andern Tage tun, wie er es früher getan hatte und wollte die Leute mit seinem Stocke stoßen, damit sie fielen und damit es etwas zum Lachen gäbe. Seine Mutter sagte aber zu ihm: "Wudandahasch, du willst weggehen?" Wudandahasch sagte: "Ja, ich will hinausgehen und will mit meinem Stock spielen." Die Mutter sagte: "Wudandahasch, ehe ich dich gebar, hatte ich schon eine Tochter und zwei Söhne." Wudandahasch sagte: "Was sagst du, meine Mutter?" Die Mutter sagte:



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"Du hast eine Schwester und zwei Brüder." Wudandahasch sagte: "Leben denn meine Schwester und meine Brüder noch?" Die Mutter sagte: "Ja, deine Schwester und deine Brüder leben noch."

Wudandahasch sagte: "Meine Mutter, nun sage mir schnell alles, was von meiner Schwester und meinen Brüdern zu sagen ist. O meine Mutter, warum hast du mir das nicht früher gesagt? Ich wußte, daß ich etwas zu tun hätte, aber ich wußte nicht, was es sei. Nun sage es mir, meine Mutter!" Die Mutter sagte: "Als der Vater dieser drei Kinder noch lebte, wollte er seine Tochter, deine Schwester, die sehr schön ist, keinem Manne zur Frau geben. Kaum war aber dein Vater gestorben, da kam ein Rul, ließ sich Wasser von ihr reichen und raubte sie. Deine Brüder waren noch jung, als sie dies hörten. Erst ritt Achmet hin und wurde von dem Rul gefangen, denn Achmet war noch zu schwach. Danach ritt Hassan aus, um seine Schwester und seinen Bruder zu befreien. Hassan war aber auch noch zu schwach und ward auch vom Rul gefangen. Ich wollte nun selbst hinreiten. Unterwegs wurde ich aber schwanger und gebar dich." Wudandahasch sagte: "Meine Mutter, warum hast du mir das nicht früher gesagt. Nun sage mir aber schnell, welches der Weg ist, den ich einzuschlagen habe." Darauf gab die Mutter Wudandahasch den Weg an.

Wudandahasch ging zum König. Der Melik fragte: "Was willst du, Wudandahasch ?" Wudandahasch sagte: "Ich will einen Rul überwinden, der jenseits der Wüste wohnt; gib mir ein Pferd!" Der Wesir sagte heimlich zum Melik: "Das ist ausgezeichnet! Noch niemals ist jemand diesem Rul entgangen, denn es gibt nichts, was ihm an Kraft gewachsen ist. Es ist ausgezeichnet, daß Wudandahasch gegen ihn ausziehen will. Wenn kein anderer Wudandahasch töten konnte, so ist es dieser Rul. Gegen diesen ist auch Wudandahaschs Kraft machtlos. Gib ihm also ein Pferd!" Der Melik sagte: "Gewiß, mein Wudandahasch! Ich werde dir ein gutes Pferd geben. Töte nur diesen Rul! Wenn du das vermagst, kannst du nachher von mir verlangen und erhalten, was du willst." So erhielt Wudandahasch vom Könige das Pferd und ritt von dannen.

Wudandahasch ritt weit fort durch die Wüste. Wudandahasch ward durstig. Wudandahasch sagte: "Wenn ich Durst und etwas zu trinken habe, dann ist das gut. Wenn ich aber nichts zu trinken habe, so hat auch der Durst nichts zu sagen. Es macht nichts!" Wudandahasch kam an den Brunnen, neben dem der Feigenbaum



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stand. Neben dem Brunnen lag der alte Mann. Wudandahasch blickte sich um und sagte: "Da liegt der Schöpfsack und der Strick. Erlaubst du mir, alter Mann, daß ich für mich und mein Pferd etwas Wasser schöpfe?" Der alte Mann sagte: "Gewiß darfst du dir Wasser schöpfen. Wenn du dich und dein Pferd gesättigt hast, gib mir aber auch zu trinken, denn auch ich bin durstig."

Wudandahasch stieg vom Pferd. Wudandahasch sagte: "Gewiß sollst du Wasser haben." Danach ließ Wudandahasch den Schöpfsack in den Brunnen, ließ ihn voll Wasser laufen, und wenn er nun auch sehr schwer war, hob er ihn doch mit einer Hand empor und aus dem Brunnenschacht herauf. Er gab dann seinem Pferd zu trinken, bis es satt war; er gab dem alten Mann und trank dann selbst. Der alte Mann sagte, als alle gesättigt waren: "Du starker Mann kannst mir wohl auch einige von den Feigen dieses Baumes geben!" Wudandahasch sagte: "Das ist sehr einfach!" Wudandahasch schlug mit der flachen Hand gegen den Baum. Darauf knickte der Baum um. Wudandahasch nahm die Früchte und gab sie dem Alten.

Der Alte sagte darauf zu Wudandahasch: "Ich danke dir! Nun sage mir, weshalb du diesen Weg gehst." Wudandahasch sagte: "Ich suche einen Rul, der meine Schwester und meine Brüder gefangenhält." Der alte Mann sagte: "Du bist auf dem richtigen Wege. Folge nur noch den Schafen, die dort hinziehen, dann kommst du an das Gasr des Rul. Deine Schwester ist im Hause des Rul. Sie sieht oben zum Fenster hinaus. Du kannst sie bald sehen und sprechen. Deine Brüder sind aber mit allen Menschen in einer Höhle, die der Bauch der Erde ist (wörtlich!). Du kannst sie erst nachher sehen." Wudandahasch bedankte sich bei dem alten Manne für die Auskunft, dann bestieg er sein Pferd und ritt hinter den Schafen her, dem Gasr des Rul zu.

Als Wudandahasch zu dem Hause des Rul kam, sah er, daß ein schönes Mädchen oben zum Fenster hinaussah. Das Mädchen sprach ihn an und sagte: "Fremder Mann, was willst du hier? Jeder, der hierher kam, verfiel noch der Macht des Rul. Gehe also von dannen, solange es noch Zeit ist." Wudandahasch sagte: "Ich bin dir kein fremder Mann! Ich bin dein jüngster Bruder und heiße Wudandahasch!" Da weinte das schöne Mädchen und sagte: "Mein kleiner Bruder Wudandahasch, eile schnell von dannen, denn deine Brüder Achmet und Hassan sind schon in der großen



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Höhle mit all den andern Menschen." Wudandahasch sagte: "Weine nicht, meine kleine Schwester! Mit meinem Stock hier will ich die Höhle aufbrechen und will euch alle herausbringen." Die Schwester weinte aber und sagte: "Ich sah so viele kommen und keinen gehen."

Der Rul kam mittlerweile heran. Der Rul begrüßte Wudandahasch und sagte: "Sage mir doch, mein Freund, was du hier willst? Zuerst reiche mir aber die Hand, daß ich sie schüttle und daß wir so Freundschaft schließen können." Wudandahasch reichte dem Rul die Hand. Der Rul wollte ihm den Arm ausrenken wie den Brüdern. Wudandahasch aber preßte dem Rul, als er seine Absicht bemerkte, die Hand so stark, daß der Rul aufstöhnte und aus seinen Fingerspitzen das Blut tropfte. Wudandahasch sagte: "Gewiß wollen wir Freundschaft schließen und uns die Hand reichen." Dann drückte er die Hand des Rul noch ein wenig mehr, so daß aus den Fingerspitzen noch mehr Blut heraustropfte und der Rul schreien mußte.

Wudandahasch sagte: "Ich danke dir für diesen Begrüßungsschrei. Was ich nun wünsche, ist sehr schnell gesagt. Ich will meine Schwester und meine Brüder abholen." Der Rul sagte: "Das ist mir sehr recht. Ich werde dir deine Schwester und deine Brüder morgen früh zuführen. Heute aber bitte ich dich, mein Gast zu sein und mit mir zu speisen und zu trinken. Wudandahasch sagte: "Dieses ist mir sehr recht!" Wudandahasch kam dann mit dem Rul in das Haus und teilte mit ihm Speise und Trank.

Nach dem Essen sagte der Rul: "Nun, mein Freund Wudandahasch, bitte ich dich, mit mir zu kommen und dir mit mir meinen Garten anzusehen." Wudandahasch sagte: "Gern will ich den Garten sehen. Geh nur voran." Der Rul sagte: "Nein, geh du nur voran. Du bist mein Gast!" Wudandahasch sagte: "Sprich nicht so viel, sondern geh voran. Fertig!" Darauf mußte der Rul voran in den Garten gehen, und im Garten machte er nun den ihm folgenden Wudandahasch auf alles Schöne aufmerksam. Wudandahasch sagte: "Es ist wahr; es ist alles sehr schön. Das Wundervollste wirst du mir aber wohl noch zeigen."

Der Rul führte Wudandahasch zu dem Eingange der Höhle und sagte: "Nun, mein Freund Wudandahasch, beuge dich einmal zur Erde herab und schaue in diese Öffnung, denn nun sollst du in der Tat das Schönste sehen, das ich besitze." Wudandahasch sagte: "Mein Freund, du gehst ja vor mir her, mache es mir doch ein-



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mal vor, wie ich es machen muß, um geschickt in die Höhle zu sehen."

Der Rul sagte: "Weshalb soll ich es vormachen? Beuge dich nur vornüber." Wudandahasch sagte: "Ich habe keine Erfahrung! Mache es schnell vor. Fertig!"

Darauf beugte der Rul sich vornüber, wie es alle die hatten machen müssen, die er dann in die Höhle hinabgestoßen hatte. Wudandahasch sagte aber nichts mehr, sondern nahm seinen Eisenstock und schlug den Rul auf den Rücken, so daß ihm der Länge nach der Leib aufsprang. Danach schnitt Wudandahasch den Rul noch in Stücke. Als das geschehen war, rief er: "Der Rul ist getötet; nun kommt nur alle heraus!" Die Menschen, die das hörten, stiegen heraus. Sie sahen, daß es licht war. Sie stiegen aus der dunklen Höhle empor und betraten, mitten durch den zerschnittenen Leib des Ruls schreitend, die Erde.

Erst kamen Achmet und Hassan und dann viele, viele Menschen, so viele, daß man Städte und Länder damit füllen konnte. Alle diese Menschen dankten aber Wudandahasch und sagten ihm, daß sie ohne seine Hilfe ohne Zweifel hätten sterben müssen. Nachdem er allen Menschen die Freiheit gegeben hatte, bestieg er sein Pferd, nahm seine Schwester zu sich hinauf und führte alle Menschen zurück durch die Wüste, nach der Stadt zu, in der seine Mutter wohnte.

Eines Tages sahen die Leute des Melik in der Ferne eine große Menge Menschen ankommen. Es waren deren aber so viele, daß sie die ganze Ebene ausfüllten, soweit das Auge sehen konnte. Und die Leute kamen zum Melik gelaufen und schrien: "Melik, hilf uns! Melik, hilf uns! Ein ganzes Volk kommt dahergezogen und will uns vernichten." Der Melik stieg mit dem Wesir auf einen Turm und sah nun auch die Menschenmenge. Da erschrak er wie die Leute und sagte: "Es ist ein ganzes Volk, das mit uns kämpfen will. Hätte ich doch den Wudandahasch nicht gegen den Rul ziehen lassen! Hätte ich ihn nur nicht ziehen lassen! Er wäre dann noch hier, und er wäre der Mann dazu, um dieses Volk zu vernichten." Der Wesir sagte: "Melik, wir sehen noch nicht genug. Laß uns erst mehr wissen. Dann läßt sich etwas sagen!"

Inzwischen war Wudandahasch mit seiner Schwester vor sich und an der Spitze des Volkes über das Land gezogen und kam an das Tor der Stadt. Als er nun an die Stadt kam, erkannten ihn einige Leute, die sich an der Mauer versteckt hatten. Die Leute



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schrien sogleich auf und riefen: "Es ist ja Wudandahasch! Es ist ja Wudandahasch! Und er bringt ein sehr schönes Mädchen mit!" Die Leute rannten durch die Straßen und einer schrie es dem andern zu: "Es ist ja Wudandahasch! Es ist ja Wudandahasch! Und er bringt ein sehr schönes Mädchen mit!" Zuletzt hörte es der König.

Der Melik sagte zum Wesir: "Du hast mir nicht immer dem Wudandahasch gutgesinnte Ratschläge gegeben. Aber es ist gut abgelaufen. Wudandahasch hat den Rul überwunden. Komm mit mir, wir wollen ihm entgegenreiten!" Der Melik bestieg sein Pferd und ritt Wudandahasch entgegen. Der Wesir folgte ihm. Der König begrüßte Wudandahasch. Er zog mit Wudandahasch in die Stadt ein. Der Melik gab seine Tochter Wudandahasch zur Frau, und Wudandahasch wurde Melik. Seine Schwester verheiratete Wudandahasch aber mit dem Sohn des Melik.


26. Das Löwenweib

Im Lande der Djur war früher eine Frau, die war tagsüber ein schönes Weib, nachts aber wurde sie zu einer Löwin, die sich im Menschenmord nicht genug tun konnte. Die Frau war reicher als irgend jemand anderes, und als Löwin hatte sie einen Schweif von Gold.

Eines Tages sagte ein junger Mann zu seinem Vater: "Ich will hingehen und dieses Weib, das nachts eine Löwin ist, sehen." Der Vater sagte: "Tue das nicht. Die Löwin hat schon sehr viele getötet." Der Sohn sagte: "Wenn sie die andern getötet hat, braucht sie noch nicht mich zu töten. Ich will hingehen!" Der junge Mann nahm seinen Speer und begab sich auf den Weg.

An einem Nachmittag kam der junge Mann zu dem Hause, in dem die Löwin wachte und in dem alle ihre Schätze aufgespeichert lagen. Als der junge Mann kam, war aber nur eine alte Frau da, die der Löwenfrau dienstbar war. Die alte Frau sagte: "Junger Mann! Eile, daß du von dannen kommst, denn die Löwin wird bald nach Hause kommen." Der junge Mann sagte: "Verstecke mich doch, daß die Löwin mich nicht sieht." Die alte Frau sagte: "Die Löwin wird dich riechen." Der junge Mann sagte: "Ich gehe nicht wieder fort!" Darauf versteckte die alte Frau ihn in einem Korbe und warf viele Felle über ihn. 

* Volkserzählung der Djur.


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Bald darauf ging die Sonne unter und die Löwin kam nach Hause. Sie hatte über jeder Schulter eine Antilope, die sie erlegt hatte. Die Löwin witterte umher und sagte: "Ich rieche einen Menschen." Die alte Frau sagte: "Du mußt dich irren, denn du weißt selbst, daß keine Menschen kommen." Die Löwin witterte weiter umher, blickte überall hin und schaute in jeden Winkel. Die Löwin sagte: "Ich rieche einen Menschen." Die alte Frau sagte: "Es ist möglich, daß von dem letzten Menschenfleisch, das du hierher brachtest, noch etwas Geruch blieb." Die Löwin sagte: "Das kann es sein." Die Löwin fand den jungen Mann nicht. Sie verzehrte ihr Nachtmahl und legte sich hin.

Die Löwin schlief ein. Als der junge Mann nun hörte, daß die Löwin eingeschlafen war, kam er aus seinem Versteck hervor. Er nahm die prächtigen Sachen, die an den Wänden waren, ab und packte sie zu einem Bündel zusammen. Er nahm dann seinen Speer und schnitt mit ihm den Schwanz der Löwin, der aus Gold war, ab. Dann rannte er mit dem Schwanz und mit dem Schatzbündel von dannen, so schnell er konnte. Der junge Mann rannte auf dem Wege nach der Seriba seines Vaters dahin.

Die Löwin erwachte langsam von dem Schlage und wurde durch das heraustropfende Blut ganz erweckt. Die Löwin stand auf und sah, daß ihr goldener Schwanz abgeschlagen war. Die Löwin sprang zum Hause hinaus und hinter dem jungen Manne her. Die Löwin lief auf dem Wege zur Seriba des jungen Mannes. Die Löwin lief sehr schnell. Die Löwin lief schneller als der junge Mann, der vor ihr floh. Die Löwin kam ganz dicht zu dem jungen Manne. Die Löwin erreichte den jungen Mann beinah. Der junge Mann kam gerade an die Tür der Seriba seines Vaters. Die Löwin wollte auf ihn springen, da eilte der junge Mann durch das Tor und schlug die Tür hinter sich zu.

Die Löwin rannte um die Seriba, nach einem andern Eingang zu suchen. Der junge Mann begann aber die Nugarra zu schlagen und mit der Trommel die Männer der andern Seriben herbeizurufen. Die Männer kamen herbei mit ihren Lanzen. Die Männer kamen von allen Seiten. Die Löwin lief um die Seriba. Sie traf auf die Männer. Die Männer töteten die Löwin mit ihren Lanzen.



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27. Abu Seraera*

Eine Mutter hatte vier Söhne, die waren herangewachsen. Die Frau war wieder schwanger, und in diesem Zustande ging sie eines Tages in den Busch, um Holz aufzulesen. Sie sammelte ein große$ Bündel und band es zusammen. Dann wollte sie es auf den Kopf heben. In dem Zustand aber, in dem sie sich befand, war sie zu schwach und vermochte das Bündel nicht zu heben. Die Frau stöhnte und sah sich um, ob niemand in der Nähe sei ihr zu helfen. Die Frau stöhnte wieder, denn sie sah niemand.

Darauf begann das Kind unter ihrem Herzen in ihrem Bauche zu sprechen, und das Kind sagte zuerst: "Soll ich dir helfen?" Die Mutter erschrak und sagte: "Was, mein Sohn, du bist noch nicht geboren und sprichst schon?" Das Kind sagte: "Ja, meine Mutter, ich bin Abu Seraera und frage dich, ob ich herauskommen und dir helfen soll?" Die Mutter sagte: "Mein Kind, du erschreckst mich! Wenn du aber willst, so komme heraus." Das Kind sagte: "Welchen Weg soll ich herauskommen?" Die Mutter sagte: "So komm doch auf dem Wege deiner Brüder heraus." Abu Seraera sagte: "Nein, den Weg meiner Brüder will ich nicht gehen." Die Mutter sagte: "So komm doch durch meinen Mund heraus!" Abu Seraera sagte: "Nein, den Weg durch deinen Mund will ich nicht nehmen." Die Mutter sagte: "Welchen Weg willst du denn nehmen?." Abu Seraera sagte: "Wasche deinen kleinen Finger, daß er ganz sauber ist. Dann will ich aus der Spitze deines kleinen Fingers herauskommen."

Die Frau wusch sich den kleinen Finger. Darauf kam Abu 

* Diese Legende wurde mir von Kredj aus der Richtung von dem Siber erzählt, und die Leute blieben auch dabei, daß es eine alte, und zwar uralte Dar-Fertit-Sage sei, wenn auch die Ausdrücke und Bezeichnungen arabische Nomenklatur anzeigen. So wird mit "Abu Seraera" im Südarabischen ein Mann mit einem Nabelbruch bezeichnet. Das menschenfressende Wesen Gui oder Rula ist ganz arabisch. Endlich gibt es keine Pferde in Dar Fertit. Es spricht also alles gegen den originellen Ursprung der wichtigen Legende aus Fertit. Ich habe aber durch verschiedentliche Umfragen nachher allerdings das eine erhärten können, daß nämlich vielen Kredj die Sage bekannt ist, während ich unter den Nubiern keinen fand, der sie je gehört hatte. Sicher ist, daß der Typus der Legende nicht der phantasiereichen, der ägyptisch-persischen Einflußsphäre, sondern der des mythologisch aufbauenden Südens und Westens ist. Die Kredj bezeichnen die Rasiermesser am Schwanze von Seraeras Hammel als Blitze! — Bei der großen Wichtigkeit, die ich dieser Legende beimessen zu müssen glaube, hielt ich diese kritischen Bemerkungen für angebracht.


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Seraera heraus. Er kam aber mit voller Bewaffnung, mit Speer und Schild hervor, und mit ihm kam ein weißer Widder heraus, dessen Schwanz war mit Rasiermessern besetzt. Sobald Abu Seraera herausgekommen war, half er seiner Mutter die Last auf den Kopf heben, bestieg dann selbst den Widder und ritt neben der Mutter dem Dorfe zu. Als sie am Dorfe waren, stieg Abu Seraera ab. Er band seine Waffen auf dem Kopfe des Widders fest, riß ihm einige Haare aus der Mähne und hieß ihn zurück in den Busch laufen.

Dann ging er neben der Mutter her in das Dorf. Als die Brüder den fremden Burschen neben der Mutter kommen sahen, fragten sie: "Wer ist der Bursche, der da mit dir kommt?" Die Mutter sagte: "Es ist mein Sohn, den ich im Busche geboren habe; es ist euer Bruder!" Die Brüder Abu Seraeras sahen aber Abu Seraera mit bösen Augen an und konnten ihn nicht leiden. Als sie am andern Tage zur Jagd gingen, sagten sie zur Mutter: "Wir gehen zur Jagd. Behalte du den Burschen daheim. Wir mögen nicht, daß er bei uns ist." Darauf ergriffen die vier Brüder ihre Speere, bestiegen ihre Pferde und ritten von dannen.

Abu Seraera schrie, als er seine Brüder fortreiten sah. Er sagte zu seiner Mutter: "Meine Mutter, ich will meine Brüder auf der Jagd begleiten." Die Mutter sagte: "Nein, nein, Abu Seraera, bleibe daheim." Abu Seraera sagte: "Wenn ich meine Brüder nicht begleite, werden sie umkommen." Abu Seraera ging aus dem Dorfe. Er verbrannte die Haare von der Mähne des Widders im Feuer. Sogleich war der Widder da. Abu Seraera nahm seine Waffen, stieg auf den Rücken des Widders und folgte seinen Brüdern. Bald war er bei seinen Brüdern angelangt. Die vier Brüder waren aber unwillig und sagten: "Wir haben doch gesagt, daß wir mit dir nichts zu tun haben wollen!" Weshalb bist du nicht im Dorfe geblieben?" Abu Seraera sagte: "Ich bin nicht im Dorfe geblieben und bin euch gefolgt, weil ihr zur Jagd geritten seid und ich von euch die Jagd lernen möchte!" Abu Seraera ritt also mit seinen Brüdern weiter.

Nach einiger Zeit kamen sie an eine Seriba, in der wohnte eine Rula (es war mir unmöglich, einen Kredjnamen für diese Menschenfresserin zu finden) mit vier schönen Töchtern. Als sie an deren Gehöft ankamen, sagten die vier Brüder: "Wir wollen hineingehen." Abu Seraera sagte aber: "Wenn ihr hier bleiben oder ruhen wollt, achtet darauf, daß sich keiner von euch mit den Mädchen abgibt und daß keiner von euch oder von euren Pferden etwas von dem Getränk und den Speisen genießt, die die Alte euch vorsetzen



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wird." Die Brüder wurden darauf ärgerlich und sagten: "Siehst du, da haben wir es! Schon willst du uns vorschreiben, was wir zu tun oder zu lassen hätten. Du bist der Jüngste und willst der Erste sein. Bleibe du nur hier draußen bei den Tieren, sorge, daß sie gut angebunden werden und kümmere dich im übrigen nicht um Sachen, die nur uns und nicht dich angehen."

Die vier Brüder gingen hinein. Abu Seraera band wie gewünscht die Pferde der Brüder an, riß dann seinem Widder einige Mähnenhaare aus, band ihm seine Waffen auf und ließ ihn in die Wildnis laufen, daß er sich selbst sein Futter suche. Dann kam auch die Rula heraus und brachte für die vier Pferde Milch zu saufen. Abu Seraera ging auch mit in das Gehöft und sagte nichts mehr.

Als es nun Abend war, gab die Rula jedem der vier Brüder je eine ihrer schönen Töchter, daß er mit ihr schlafe, und ging dann in ihr eigenes Haus zurück. Abu Seraera ging ein wenig umher und ging erst hinein, als die vier Brüder und die vier Mädchen eingeschlafen waren.

Als die Brüder und die Mädchen schliefen, begann Abu Seraera die Haare der Brüder in der Weise der Frauentracht und die Haare der Mädchen in der Weise der Männertracht zu flechten. Er war noch nicht fertig mit dieser Arbeit, da kam die alte Rula nahe heran und rief hinein: "Abu Seraera, schläfst du? Abu Seraera sagte: "Nein, ich schlafe noch nicht. Ich kann noch nicht schlafen, weil deine Tiere zu viel Geräusch machen." Darauf ging die alte Rula hin und tötete ihre Tiere. Während sie das aber tat, hatte Abu Seraera Zeit genug die Haare der Burschen nach Mädchenart und die der Mädchen nach Burschenart fertig zu flechten.

Als nun die Alte mit der Tötung ihrer Tiere fertig war, kam sie wieder heran und fragte durch die Türe: "Abu Seraera, schläfst du nun?" Abu Seraera antwortete aber (wie aus dem Traume): "Ja, meine Mutter, ich schlafe." Darauf wetzte die alte Rula draußen ihr Messer, kam herein und tastete sich zu dem Lager, auf dem die vier Brüder mit den vier Mädchen schliefen. Sie faßte nach den Haaren und schnitt die Köpfe, deren Haartracht nach Männerart geflochten war, ab. Da Abu Seraera aber allen Mädchen die Haare nach Männerweise geflochten hatte, so tötete die alte Rula ihre eigenen Töchter und überging die vier Brüder, weil sie tastend deren Haare nach Mädchenart geflochten fand.

Danach ging die alte Rula. Abu Seraera kam nun aber aus dem Winkel, in dem er geschlafen hatte, heraus, weckte seine Brüder



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und sagte ihnen: "Seht, wie die alte Rula die Köpfe ihrer eigenen Töchter abgeschnitten hat, weil ich eure Haartracht geändert habe und sie euch vier töten wollte." Als die vier Brüder das sahen, erschraken sie und sagten: "Abu Seraera, hilf uns, daß wir schnell und schadlos von dannen kommen!" Abu Seraera brachte seine Brüder hinaus und hieß sie ihre Pferde besteigen. Dann verbrannte er die Mähnenhaare seines Widders, und als der herankam, bestieg er ihn und ritt mit seinen Brüdern von dannen. Die vier Brüder und Abu Seraera ritten so schnell als nur möglich.

Nach einiger Zeit, als es hell ward, kam die alte Rula wieder heraus aus ihrem Haus und ging dahin, wo die Brüder sich mit den Mädchen hingelegt hatten. Sie blickte hinein, und nun sah sie im Lichte, daß die Brüder entronnen waren, daß sie aber ihren eigenen Töchtern die Köpfe abgeschnitten hatte. Die alte Rula ward sehr zornig und sagte: "Das kann nur Abu Seraera angestiftet haben. Ich will dem Burschen und seinen Brüdern aber sogleich folgen und werde sie noch erreichen." Damit rannte die alte Rula so schnell sie konnte hinter Abu Seraera und seinen Brüdern her.

Als Abu Seraera und seine vier Brüder eine Zeitlang geritten waren, wandte er sich um. Er sah, daß die alte Rula ihnen folgte, und rief seinen Brüdern zu: "Reitet so schnell ihr könnt! Die Rula kommt!" Die Brüder ritten schnell von dannen.

Die Rula kam dichter heran. Die Brüder ritten schneller. Die Rula aber rief: "Ihr Tiere, die ihr meine Milch getrunken habt, sterbt!" Da fielen die vier Pferde der vier Brüder tot hin. Die Brüder lagen auf der Erde. Abu Seraera aber sagte: "Steht auf und steigt schnell mit auf meinen Widder!" So standen die Brüder auf und stiegen mit auf den Widder, und Abu Seraera ritt weiter. Nach einiger Zeit kam die Rula aber näher und näher und zuletzt kam sie ganz nahe und packte den Schwanz des Widders. Der Schwanz des Widders war aber nicht mit Wolle, sondern mit Rasiermessern besetzt. Die alte Rula packte hinein und schnitt sich die Hände wund. Die Rasiermesser schnitten so in die Hände der Alten, daß sie ablassen und von der weiteren Verfolgung abstehen mußte. So entkamen die vier Brüder mit Abu Seraera in das Dorf. Am Dorfe stiegen sie aber ab, und Abu Seraera riß seinem Widder wieder einige Mähnenhaare aus, band ihm seine Waffen auf den Kopf und ließ ihn in die Wildnis laufen. Dann kam er mit den geretteten Brüdern in das Dorf.



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Nachdem die alte Rula in ihre Seriba zurückgekehrt war, verwandelte sie sich in ein sehr schönes Mädchen und machte sich auf den Weg in das Dorf der Mutter Abu Seraeras. Das junge schöne Mädchen kam im Dorfe an und begrüßte die Mutter Abu Seraeras und sagte: "Ich bitte dich, bringe mich bei einem deiner Söhne unter, bis ich weiterreise." Abu Seraera und seine vier Brüder waren abwesend. Die Mutter brachte das schöne junge Mädchen in das Haus Abu Seraeras. Nach einiger Zeit kam Abu Seraera aber heim, und die Mutter sagte zu ihm: "Es kam ein junges schönes Mädchen hier durch. Sie wollte bei einem meiner Söhne schlafen, da ließ ich es in deine Hütte treten." Abu Seraera sagte: "Dieses Mädchen werde ich ansehen." Dann ging er hin und betrachtete das Mädchen. Und als er sie näher angesehen hatte, packte er die schöne Frau und warf sie ohne weiteres aus dem Haus.

Das schöne Mädchen lief weinend zu dem ältesten Bruder und sagte: "Abu Seraera hat mich mißhandelt!" Der älteste Bruder nahm das Mädchen hierauf in seine Hütte auf, ging hinüber zu Abu Seraera und schlug ihn in seinem Zorn. Dann ging der älteste Bruder zurück in sein Haus und legte sich zu dem schönen Mädchen auf das Angareb. Er sagte zu dem schönen Mädchen: "Kraue mir die Haare!" Das schöne Mädchen tat das sogleich; darüber aber schlief er ein, und als das Rulamädchen das merkte, bohrte es ihm einen Finger in die Augenhöhle und riß ihm ein Auge heraus. Der Bruder schrie auf, aber die Rula lief mit dem ausgerissenen Auge von dannen und trug es in ihre Seriba.

Als der älteste Bruder so schrie, liefen alle Leute im Dorfe erschreckt zusammen. Sie kamen in das Haus des Ältesten, als die alte Rula mit dem gestohlenen Auge längst weggelaufen war. Der älteste Sohn sagte: "Dies Mädchen hat mir ein Auge herausgerissen und ist mit ihm von dannen gelaufen." Abu Seraera kam dazu und sagte: "Das hat die alte Rula getan. Sie hat meinem ältesten Bruder das Auge gestohlen." Die Leute sagten: "So gehe hin, Abu Seraera und bringe das gestohlene Auge wieder." Abu Seraera sagte: "Das ist nicht meine Sache. Mein Bruder hat mich vorher ja sogar geschlagen, weil ich dieses Mädchen auswies. Wie soll ich denn jetzt etwas damit zu tun haben, was seine Schutzbefohlene mit ihm beginnt? Es wird noch ganz anders kommen, wenn ihr mir nicht glaubt!"

Die Leute baten Abu Seraera. Der älteste Bruder kam und sagte: "Abu Seraera! Ich habe dir vorher unrecht getan und dich geschlagen.



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Ich bitte dich aber, mir nun zu verzeihen und mir das Auge wiederzubringen. Außer dir kann das keiner!" Abu Seraera sagte: "Wollt ihr mir denn ein anderes Mal glauben, wenn ich euch etwas sage?" Die vier Brüder und alle Leute sagten: "Gewiß, wir werden dir ein anderes Mal glauben, Abu Seraera, wenn du vor etwas warnst. Bringe nur dieses Mal noch das gestohlene Auge deines ältesten Bruders zurück!" Abu Seraera sagte: "Es ist gut! Ich werde es tun!"

Darauf verwandelte sich Abu Seraera in ein altes Weib. Er nahm dann Schafhaare und Menschenhaare und Knochen und Fellstücke in sein Kleid und machte sich so auf den Weg zu der Seriba der Rula. Als die Rula sah, daß das alte Weib ankam, sagte sie zu dem ihr dienenden Mädchen: "Geh der Fremden entgegen und sieh, wer es ist." Das dienende Mädchen kam der alten Frau entgegen. Die alte Frau sagte: "Ist deine Herrin, die Rula, zu Hause? Ich bin ihre Schwester und will sie besuchen." Das Mädchen ging hinein und bestellte es. Dann kam die alte Frau herein und begrüßte die Rula. Die alte Frau sagte aber: "Meine Schwester, warte noch einen Augenblick; ich will noch einmal aus der Seriba treten und mich entleeren." Dann trat die alte Frau zur Seite.

Die Rula sagte zu dem dienenden Mädchen: "Folge der Alten und sieh, woraus das besteht, dessen sie sich bei der Entleerung entledigt. Dann kann ich sehen, welches ihre Nahrung ist." Das dienende Mädchen ging hinaus und folgte der Alten. Inzwischen entleerte sich Abu Seraera in der Form der alten Frau. Er ließ aber Schafhaar und Menschenhaar, Knochen und Fellstücke in den Abgang fallen. Das kleine dienende Mädchen sah das aber, lief zur Rula zurück und sagte: "Die alte Frau hat Schafhaare und Menschenhaare, Knochen und Fellstücke fallen lassen." Da freute sich die alte Rula und sagte: "Das ist wahrhaftig meine Schwester, denn sie hat die gleiche Nahrung, die ich habe!"

Die alte Rula ging der zurückkehrenden Alten entgegen und sagte: "Sei mir herzlich gegrüßt, meine Schwester; wie geht es dir?" Die Alte kam mit der Rula zurück ins Haus und sagte: "Es geht mir gut!" Die Rula fragte: "Und wie geht es deinen Herden und Sklaven?" Die Alte sagte: "Meinen Herden und Sklaven geht es nicht gut. Das ist auch der Grund, warum ich nicht lange von daheim fortbleiben kann. Denn mein erster Sklave, der die Aufsicht über alle Leute und Herden hat, verlor ein Auge, und nun sieht er schlecht und merkt es nicht, wenn von der Herde etwas abgetrieben



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wird. Du weißt aber, daß es überall von allerhand Räubervolk einen Überfluß gibt." Die Rula sagte: "Das weiß ich!"

Die Alte sagte: "Deshalb laufe ich überall umher und suche, ob ich nicht jemand finde, der mir ein Auge geben kann, damit ich es dem Sklaven wieder einsetze. Denn nur so kann er wie früher seine Pflicht tun." Die Rula sagte: "Ich kann dir ein solches Auge wohl geben. Ich habe nämlich kürzlich dem ältesten Bruder Abu Seraeras ein Auge abgenommen." Die Alte sagte: "Willst du mir dies Auge für meinen Sklaven geben?" Die Rula sagte: "Ja, ich will es dir geben." Die Alte sagte: "Wie muß man es denn einsetzen?" Die alte Rula sagte: "Man muß erst die Milch einer schwarzen Ziege in die leere Augenhöhle träufeln; dann kann man es einfügen." Die Alte sagte: "Ich danke dir sehr!"

Die Rula gab darauf der Alten das Auge. Die Alte bedankte sich sehr und begab sich mit dem Auge auf den Rückweg. Als er ein Stück weit entfernt war, nahm aber Abu Seraera seine alte Gestalt an, ließ seinen Widder kommen und ritt heim. Daheim setzte er seinem Bruder das Auge wieder ein. Der älteste Bruder und alle andern dankten ihm. Abu Seraera aber sagte: "Ein anderes Mal müßt ihr mir aber glauben oder müßt mir teuer zahlen." Und alle versprachen ihm, in Zukunft auf seine Warnungen zu hören.

Die alte Rula merkte sehr bald, daß sie von Abu Seraera hintergangen sei. Sie sagte: "Nun werde ich dem Dorfe und den Leuten Abu Seraeras einen Streich spielen, den sollen sie nie wieder vergessen. Ich werde ihnen alle ihre Nachkommenschaft rauben."

Die alte Rula verwandelte sich also in einen Baum, der wuchs mitten in dem Dorfe Abu Seraeras, und es ward ein gewaltiger, mächtiger Baum, dessen Zweige sich weithin ausdehnten und dessen Wurzeln fest wie Eisen auf dem Boden lagen. Weithin dehnte dieser Baum seinen Schatten aus.

Die Kinder des Dorfes, die kleinen wie die großen, begannen aber alsbald unter dem Baume zu spielen. Sie sprangen auf seinen Wurzeln umher und kletterten in seine Zweige. Die Kinder des Dorfes kannten nur noch das Spiel in den Zweigen des Baumes. Das geschah, als Abu Seraera abwesend war. Als er nun heimkam und den gewaltigen Baum und das Spiel der Kinder in den Baum-Zweigen sah, nahm er einen Stock und jagte die Kinder von dem Baume weg. Er sagte ihnen: "Wenn ihr in den Zweigen des Baumes spielt, seid ihr verloren!" Die Kinder liefen schreiend von



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dannen, ein jedes zu seinen Eltern und sagte: "Abu Seraera ist zurückgekommen und hat uns das Spiel in den Zweigen des alten Baumes verboten."

Als die Eltern der Kinder dies hörten, sagten sie: "Abu Seraera redet in alles hinein und will allen vorschreiben. Dieser Abu Seraera will jetzt nicht einmal den Kindern ihr Spiel gönnen." Die Eltern gingen also hinaus und kamen zusammen, stritten gegen Abu Seraera und sagten: "Laß die Kinder! Es sind unsere Kinder! Es sind nicht deine Kinder! Wir sind auch nicht dumm und haben auch Augen, so daß wir sehen können, was den Kindern gut und schlecht ist. Laß das Unserige also uns, den Kindern ihr Spiel in den Baumzweigen und kümmere du dich nur um deine Sachen."

Abu Seraera sagte: "Ihr habt mir versprochen, auf meine Warnungen zu hören. Wenn ihr das jetzt nicht wollt, so müßt ihr es nachher eben teuer bezahlen." Die Leute sagten: "Wir haben gar nichts teuer zu bezahlen.!" Abu Seraera sagte: "Es ist gut!"

Abu Seraera ging also heim und holte eine Axt. Er ging zu dem alten Baum und begann dessen Wurzeln, die wie Eisen auf dem Boden lagen, durchzuschlagen. Da begann die alte Rula Schmerzen zu empfinden, ihre Füße empfingen schwere Wunden und sie sagte bei sich: "Wenn ich meine Sache hier erledigen will, so muß ich es gleich tun." Als die Kinder, die großen wie die kleinen, nun also wieder in den Zweigen spielten, nahm sie plötzlich ihre alte Gestalt an und brachte die Kinder fort. Es blieb auch nicht ein einziges Kind im Dorf. Die alte Rula führte sie alle miteinander fort in ihre Seriba, und als die Eltern nach ihren Kindern sahen und schrien, da waren die Kinder wie der alte Baum spurlos verschwunden. Die Eltern liefen suchend in dem Dorfe und in der Umgebung herum. Es war nichts von den Kindern zu finden.

So kamen denn alle Eltern zu Abu Seraera und weinten und schrien: "Ach, Abu Seraera, hilf uns! Alle unsere Kinder sind fort, und nur du allein kannst uns helfen!" Abu Seraera sagte: "Ihr habt mir gesagt, ich solle mich nur um meine Sachen kümmern; ich sollte euch das Eurige und den Kindern das Spiel in den Baumzweigen lassen. Das habe ich getan; und als ich euch dann sagte, daß ihr es teuer zu bezahlen haben würdet, wenn ihr meinen Ratschlägen nicht folgtet, da habt ihr mich ausgelacht und habt gesagt, ihr hättet gar nichts zu bezahlen. So habt ihr die Sache hingestellt, und so steht sie jetzt. Seht nun selbst nach euren Sachen." Abu Seraera ging fort in sein Haus.



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Die Eltern weinten und klagten und sprachen untereinander: "Nur einer kann helfen, das ist Abu Seraera. Wir wollen ihn mit einem großen Geschenk besänftigen, damit er wieder Frieden mit uns macht und uns unsere Kinder zurückbringt. Wir wollen Abu Seraera für jedes abhanden gekommene Kind zwei Kühe schenken. Dann wird er uns die Kinder vielleicht zurückholen." Sie brachten also viele Kühe zusammen, für jedes verlorene Kind zwei, und alle Kühe trieben sie in eine Seriba. Danach gingen sie wieder zu Abu Seraera und baten ihn herauszukommen. Als er herauskam, zeigten sie ihm die Seriba voller Kühe und sagten: "Abu Seraera, nimm dies Geschenk und bringe uns unsere Kinder wieder!" Abu Seraera sagte: "Habe ich euch nicht gesagt, daß ihr es teuer würdet bezahlen müssen? Da ihr aber von selbst damit kommt und eure Torheit einseht, will ich hingehen und euch eure Kinder zurückbringen." So machte sich denn Abu Seraera wieder auf den Weg zur alten Rula.

Die alte Rula hatte in ihrem Hause eine alte Büffelkuh. (Diese Büffelkuh wird mit Sobo bezeichnet. Sobo ist aber das wahre Kredjwort für Büffel!) Dieser Sobo hatte sie eine Glocke umgehängt, und diese Sobo hütete die geraubten Kinder, wenn sie tagsüber im Busche waren. An dem Geläute der Glocke der Sobo konnte die alte Rula immer hören, wo sich die Kinder befanden. Die Büffelkuh war aber trächtig. Als Abu Seraera sich nun zu der alten Rula auf den Weg machte, schlich er sich zu der Sobo heran, schlüpfte in sie hinein, tötete das Kalb, mit dem sie schwanger ging, warf es hinaus und blieb selbst in der Büffelkuh.

Darauf warf die alte Sobo ihr Kalb. Das Kalb war (nun aber) Abu Seraera. Dies Kalb war weiblich, und als die alte Rula das sah, war sie darüber sehr erfreut. Sie band das Kalb am andern Tag im Staue an und ließ die Sobo wie alle Tage als Führerin die Kinder in den Busch treiben. Das Kalb aber benahm sich im Stalle sehr unwirsch. Es zertrat alles und zerstieß alles. Es rannte die Wände des Stalles ein und sprang in die Futterkrippe, daß sie zerbrach. Die Leute der Rula kamen also zur Rula und sagten: "Das Kälbchen zerbricht im Stall alles, denn es will mit seiner Mutter durchaus hinaus in den Busch." Die Rula sagte: "Es ist gut! Dann mag das Kalb morgen mit der Büffelkuh und den Kindern in den Busch gehen."

Am andern Tage sagte die Rula zu den Kindern: "Das Kalb kann heute mit der Sobo hinaus in den Busch und kann euch begleiten.



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Achtet mir aber darauf, daß es nicht an die Milch seiner Mutter heran kann." Die Sobo mit dem Kälbchen zog also wieder hinaus in den Busch. Als sie weit weg von der Wohnung der Rula im Busch waren, verwandelte Abu Seraera sich wieder in seine eigene Gestalt. Er sprang auf die Sobo und tötete sie. Er schlug ihr den Kopf ab und hängte ihn mit der Glocke an einen Ast im Busch auf, so daß der Wind sie hin und her wehte und daß die Rula ihr Läuten hörte. So merkte also die Rula von dem Tode der Sobo nichts.

Dann begrüßte Abu Seraera die Kinder und brachte sie so schnell als möglich in das Dorf, in dem die Eltern alle sehr erfreut und bereit waren, von nun ab Abu Seraeras Ratschlägen in allen Dingen zu folgen. So kam es aber, daß keines der Kinder verlorenging.

Von einem Kredj hinzugefügt: "Wenn dunkle Wolken aufsteigen, so ist Seraera nicht zu sehen. Wenn es dann blitzt, so wirft er immer ein Rasiermesser aus dem Schwanz des Widders herab und kann damit Bäume zerspalten und Menschen töten."