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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DER GROSSMUT DES BARMEKIDEN JAHJA IBN CHÂLID GEGEN MANSÛR

Eines Tages - es war noch vor der Zeit, in der er auf die Barmekiden eifersüchtig geworden war -berief Harûn er-Raschid einen seiner Leibwächter namens Sâlih zu sich. Als der nun vor ihn trat, sprach er zu ihm: ,Sâlih, geh zu Mansûr und sprich zu ihm: ,Du bist uns eine Million Dirhems schuldig; und jetzt ist beschlossen worden, daß du uns diese Summe sofort



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zur Stelle schaffst.' Ferner befehle ich dir, Sâlih, daß du ihm, wenn er dir die genannte Summe nicht in der Zeit zwischen dem gegenwärtigen Augenblick und Sonnenuntergang herbeischafft, das Haupt vom Rumpfe trennst und es mir bringst!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte Sâlih und begab sich alsbald zu Mansûr: dem berichtete er, was der Beherrscher der Gläubigen ihm gesagt hatte. Da rief Mansûr aus: ,Ich bin verloren! Bei Allah, wenn ich all meine Siebensachen, ja alles, was in meinem Besitze ist, zum höchsten Preise verkaufe, so würde der Erlös dafür nicht mehr als hunderttausend betragen. Woher soll ich denn, Sâlih, die übrigen neunhunderttausend Dirhems beschaffene' Sâlih gab ihm zur Antwort: ,Suche dir einen Ausweg, durch den du sofort deine Verpffichtungen erfüllst; sonst bist du des Todes! Ich kann dir keinen Augenblick Verzug gewähren über die Zeit hinaus, die der Kalif mir bestimmt hat; und ich darf auch nichts von dem unterlassen, was mir der Beherrscher der Gläubigen befohlen hat. Also mach eiligst ein Mittel ausfindig, durch das du dich retten kannst, ehe die Frist abgelaufen ist!' ,Ach, Sâlih,' sagte Mansûr darauf, ,ich bitte dich, sei so gut und führe mich in mein Haus, auf daß ich von meinen Kindern und allen Meinen Abschied nehmen und meinen Verwandten die letzten Anweisungen geben kann!' Da ging ich - so berichtete Sâlih - mit ihm zu seinem Hause, und er begann von den Seinen Abschied zu nehmen; nun erhob sich ein Wehgeschrei in seiner Wohnung, alles weinte und klagte und flehte zu Allah dem Erhabenen. Sâlih aber sprach: ,Mir ist in den Sinn gekommen, daß Allah dir vielleicht durch die Barmekiden Rettung zuteil werden lassen kann; laß uns drum zu dem Hause des Jahja ibn Châlid gehen!' Da gingen die beiden zu Jahja ibn Châlid, und Mansûr berichtete ihm von seiner Not. Jener war tief betrübt



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darüber, und er senkte sein Haupt eine Weile zu Boden; dann hob er es wieder, rief seinen Schatzmeister und sprach zu ihm: ,Wieviel Geld ist in unserem Schatze vorhanden?' Der antwortete: ,Etwa fünfhunderttausend Dirhems!' Da befahl Jahja sie zu bringen; dann schickte er einen Boten zu seinem Sohne el-Fadl mit einem Auftrage des Inhalts: ,Mir sind herrliche Landgüter zum Kauf angeboten, die nie ihren Wert verlieren; sende uns daher etwas Geld!' Alsbald sandte el-Fadl ihm tausendmaltausend Dirhems. Darauf schickte Jahja einen anderen Mann zu seinem Sohne Dscha'far mit einer Botschaft des Inhalts: ,Wir haben ein wichtiges Geschäft zu erledigen und brauchen dazu etwas Geld.' Sofort ließ Dscha'far ihm tausendmaltausend Dirhems überbringen. Ebenso sandte Jahja Leute zu allen anderen Barmekiden. bis er von ihnen für Mansûr eine ungeheure Geldsumme zusammengebracht hatte, ohne daß Sâlih und Mansûr etwas davon wußten. Als nun Mansûr wieder zu Jahja sprach: ,Mein Gebieter, ich habe den Saum deines Gewandes ergriffen, und ich weiß niemanden, von dem ich dies Geld erhalten kann, außer dir, wie es ja die Gewohnheit deiner Großmut ist; so tilge denn für mich den Rest meiner Schuld und mache mich zu deinem Freigelassenen', senkte der Barmekide sein Haupt und weinte; dann sagte er zu einem Diener: ,Der Beherrscher der Gläubigen hat einst unserer Sklavin Dananîr einen Edelstein von hohem Werte geschenkt; geh zu ihr und sag ihr, sie möge ihn uns senden!' Der Diener ging fort und brachte ihm den Edelstein. Jahja aber fuhr fort: .Sâlih. ich habe diesen Edelstein für den Beherrscher der Gläubigen von einem Kaufmanne für zweihunderttausend Dinare gekauft; der Kalif aber schenkte ihn unserer Sklavin Dananîr, der Lautnerin. Wenn er ihn bei dir sieht, wird er ihn erkennen und wird um unsertwillen dein Blut nicht vergießen, um uns



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zu ehren. Und der Betrag deiner Schuld, o Mansûr, ist jetzt vollzählig vorhanden.' Da brachte ich das Geld und den Edelstein - so erzählte wiederum Sâlih - zu er-Raschîd, begleitet von Mansûr. Doch unterwegs hörte ich ihn plötzlich mit diesem Verse auf seine Lage anspielen:

Aus Liebe eilte nicht mein Fuß zu ihnen,
Nein, nur aus Furcht, es träfe» mich die Pfeile.

Da staunte ich ob seiner gemeinen Natur, seiner Schlechtigkeit und Verworfenheit und über seiner Abstammung und Herkunft Niedrigkeit. So entgegnete ich ihm denn und sprach: ,Es gibt niemanden auf dem Angesichte der Erde, der edler wäre als die Barmekiden, aber auch niemanden, der gemeiner und schlechter wäre als du! Sie haben dich vom Tode losgekauft und das Verderben von dir abgewandt, und sie haben dir das Lösegeld geschenkt mit gütiger Hand. Doch du hast ihnen nicht gedankt und sie nicht gepriesen; du hast nicht so gehandelt, wie edle Männer tun sollten, sondern du hast ihr Wohltun durch solche Worte vergolten!' Darauf ging ich zu er-Raschîd und erzählte ihm die Geschichte und berichtete ihm alles, was geschehen war. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 306. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Sâlih des weiteren sagte: ,Ich erzählte dem Beherrscher der Gläubigen die Geschichte und berichtete ihm alles, was geschehen war. Da erstaunte er-Raschîd über Jahjas Edelmut, Freigebigkeit und Hochherzigkeit, doch auch über Mansûrs Gemeinheit und Schlechtigkeit. Er befahl, den Edelstein an Jahja ibn Châlid zurückzugeben und fügte hinzu: ,Alles, was wir einmal verschenkt haben, das dürfen wir nicht wieder zurücknehmen.' — Sâlih aber kehrte



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zu Jahja ibn Châlid zurück und erzählte ihm die Geschichte von Mansûr und seiner unedlen Art. Doch Jahja gab ihm zur Antwort: ,Sâlih, wenn ein Mensch arm ist, wenn die Brust sich ihm engt und die Sorge ihn bedrängt, so soll man ihn nicht tadeln wegen dessen, was seinem Munde entfährt; denn es kommt ihm nicht aus dem Herzen.' Und so begann er nach Entschuldigungen für Mansûr zu suchen. Aber Sâlih weinte und rief: ,Nie werden die kreisenden Sphären einen Mann gleich dir ins Dasein rufen. Weh, wie traurig, daß ein Mann von so edlem Wesen und solcher Hochherzigkeit wie du einst in den Staub gebettet werden soll!' Dann sprach er noch diese beiden Verse:

Tu eiligst jede gute Tat, die du beschlossen;
Denn nicht zu jeder Zeit steht dir das Wohltun frei!
Wie mancher hat gesäumt mit gutem Werk, solang er's
Vermochte; da kam hemmend eigne Not herbei!

Ferner wird erzählt


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