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Kapitel 

DICHTEN UND DENKEN IM SUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1925

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT EINER KARTE UND EINER TAFEL

4. Geschichtliche Überlieferung der Dagomba


Für uns von Hauptmann Mellin gesammelt in Jendi



***
Es war eine alte Frau, die hieß Male. Sie hatte Durst. Torse, ein hellhäutiger Jäger, kam zu dem Hause der alten Frau. Er war auch durstig. Er bat um Wasser. Er wandte sich an die alte Frau Male und bat sie um Wasser. Die Frau Male sagte: "Wir sind hier in dem Orte Nyalmajinga. Alle, die wir im Dorfe Nyalmajinga sind, haben Durst. Wir können kein Wasser erhalten, denn am Teiche ist ein großer Büffel." Der Jäger Torse sagte: "Gebt mir eine Kalebasse. Ich will hingehen und Wasser holen."

Die Leute gaben ihm eine Kalebasse. Er nahm sie und ging zum Teiche. Er wollte sie füllen. Der Büffel hörte das Geräusch. Er kam auf den Jäger zugestürmt. Torse, der Jäger, nahm einen Pfeil, er legte ihn auf den Bogen und schoß ihn dem Büffel ins Herz. Das Tier stürzte tot hin. Torse schöpfte nun Wasser. Dann nahm er seine Axt ab und schlug dem Büffel das rechte Horn ab; es war aus Silber. Er schlug das linke Horn ab; es war aus Gold.

Dann machte er sich auf den Rückweg. Er ging zurück und kam zum Hause der Frau. Er gab der alten Frau Male genug ab, daß sie trinken könne. Die Alte fragte: "Wo hast du das Wasser herbekommen?" Torse sagte: "Ich habe den Büffel getötet." Dann zog er aus seiner Tasche die Hörner und den Schwanz des Büffels hervor. Als die alte Frau das sah, wurde ihr Herz weiß vor Freude. Sie gab ihren Kindern und Enkeln Kalebassen, daß sie darauf trommelten.

Der König von Bingo, Mule Maliia, hörte das und ließ die alte Frau rufen. Er fragte sie: "Warum läßt du denn trommeln und tanzen?" Die alte Frau antwortete: "Es ist ein weißer Jäger mit Namen Torse gekommen, der hat den Büffel am Wasser getötet." Der König sagte: "Du hast selbst nichts und willst den Fremden beherbergen?" Er ließ Torse zu sich holen und sagte zu seinem Tumptere, d. i. der Oberste der Reiter: "Nimm den Torse in dein Haus."

Vier Tage lang war Torse im Hause Tumpteres. Dann sagte er: "Mein König, ich will jetzt wieder heimkehren. Ich bitte mir ein Geschenk aus. Unter deinen Töchtern ist eine, die hat keine Beine. Gib mir die zur Frau." Der König sagte: "Ich habe viele Kinder und hübsche Mädchen und du willst gerade diese, die keine Füße hat?" Torse sagte: "Ja, gerade die." Er nahm das Mädchen Gulyen (?) Wobega auf seine Schultern und trug sie fort. Er ging mit ihr zu der alten Frau, um von ihr Abschied zu nehmen. Er



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sagte: "Ich gehe nach Hause." Die alte Frau fragte: "Hat Maljja dir niemand als Geleit mitgegeben?" Der Jäger sagte: "Ich bat nicht darum." Dann ging er von dannen.

Die Alte nahm ihre zwei jungen Söhne und sagte: "Dort geht Torse von dannen. Folgt ihm unbemerkt, bis er daheim angekommen ist, so daß ihr seine Heimat kennt und den Weg, der dahin führt." Die Jünglinge folgten Torse bis Sonnenuntergang. Als die Sonne unterging, reinigte er eine Stelle im Busche und setzte daselbst Wobega nieder. Dann nahm er Pfeil und Bogen. Er ging auf die Jagd und schoß Palbua — so nennen die Dagomba eine kleine Antilope -; er schlug Feuer; er briet das Fleisch; sie aßen.

Am andern Morgen trug er seine Frau Wobega weiter. Die Jünglinge folgten ihm ständig und unbemerkt auf dem Fuße. Torse trug seine Frau immer weiter, und so kamen sie zuletzt an eine Berghöhle, in der der Jäger wohnte. Die Höhle soll hinter dem Lande Gurina, man weiß aber nicht mehr genau die Gegend und noch viel weniger den Ort, gelegen haben.

Dort kehrten die beiden Jünglinge um. Sie gingen heim zu der Alten und sagten ihr: "Wir folgten dem Jäger; er ging in seine Höhle, wir kennen jetzt den Weg."



***
Es kam Krieg über den König Maliia. Heiden waren es, die über ihn herfielen. Der König sagte zu der Gurma-Alten: "Wo ist unser heilfarbiger Jäger?" Die Alte sagte: "Als du ihm deine Tochter zur Frau gabst, gaben ihm deine Leute damals nicht das Geleit und kennen die denn nicht mehr den Weg zu seiner Wohnung?" Der König schwieg. Darauf sandte die Frau die beiden Jünglinge, die sie vordem als Kundschafter ausgeschickt hatte, daß sie jetzt die Botschaft des Königs überbrachten.

Die beiden Männer gingen. Sie schliefen wieder am gleichen Lagerplatz im Busche und gingen am andern Morgen weiter. Dann kamen sie an Torses Höhle. Sie traten ein. Sie sahen ihn nicht. Sie sahen auch nicht seine Frau. Sie sahen nur Lumbu; das war Torses Sohn. Lumbu fragte die Leute: "Woher kommt ihr?" Die Männer sagten: "Dein Vater Torse kam in unseren Ort. Der König Maliia gab ihm seine Tochter zur Frau. Jetzt überziehen Heiden das Königreich mit Krieg. Der König sendet uns hierher, Torse zu bitten, daß er uns errette, wie er uns seinerzeit von dem Stier befreit habe."

Lumbu sagte darauf: "Es ist wahr, daß Torse mein Vater und Wobega meine Mutter waren. Aber mein Vater und meine Mutter sind beide gestorben. Aber mein Vater Torse hat euch geholfen, ohne daß er Maliia kannte. So will ich jetzt auch meinem Großvater helfen. Laßt uns gehen."

Lumbu ging mit den Leuten zum Königsdorfe. Lumbu schlug die



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Heiden in die Flucht und tötete deren viele. Sodann zog Lumbu mit den Kriegern Maliias nach Biali. Tindana (?) war ein König in seinem Orte. Zu ihm ging Lumbu mit seinen Kriegern. Er blieb am Flusse nahe dem Orte Tindanas, um auszuruhen. Er blieb da mit seinen Kriegern liegen.

Tindanas hatte (gerade damals) von seinen Großleuten Arbeiter eingefordert, die ihm bei der Landbestellung helfen sollten. Die Großleute hatten sie ihm gegeben, hatten aber gesagt: "Laß Donnerstag nichts auf den Feldern arbeiten. Denn Donnerstag ist ein heiliger Tag. Laß deine Frauen auch nicht Wasser aus dem Fluß holen." Tindana kümmerte sich um diese Warnung nicht, sondern ließ am Donnerstag arbeiten wie an jedem andern Tage. Tindana ließ am Donnerstag auf dem Felde arbeiten.

Nun war ein Sohn von Tindana, der hieß Oaschiero, der hatte eine Tochter Tindanas mit Namen Meschisobra zur Braut. Meschisobra ging an die Stelle, an der die Leute im Busche ihre Feldarbeit verrichteten. Sie sah, daß ihr Liebster durstig war und kein Wasser hatte. Da nahm sie einen Topf, um an den Fluß herabzugehen und Wasser zu schöpfen. Sie kam an den Fluß und sah dort Lumbu sitzen.

Sie bekam bei dem Anblick einen solchen Schrecken, daß sie den Topf hinwarf und fortlief. Lumbu rief ihr nach und sagte: "Fürchte dich nicht! Laufe nicht fort!"Als sie zurückkam, fragte er: "Warum liefst du fort, als du mich sahst?" Meschisobra sagte: "Mein Vater hat Feldarbeiter, die sind durstig, ich ging zum Flusse herab, um Wasser zu schöpfen." Er sagte: "Schöpfe dein Wasser, trage es auf das Feld, und sage dann deinem Vater, ich, Lumbu, säße hier am Bache."

Das Mädchen schöpfte Wasser, brachte es aufs Feld und erzählte ihrem Liebsten, was sie erlebt hatte. Ihr Liebster erzählte es den Großleuten. Die Großleute aber gingen zu Tindana und sagten: "Nun siehst du es! Wir haben es dir immer gesagt, du sollst am Donnerstag nicht das Feld bearbeiten und nicht Wasser tragen lassen. Nun es aber einmal so geschehen ist, sende zum Flusse und laß Lumbu Wasser geben."

t Tindana nahm einen Topf, schöpfte Wasser und füllte den Topf. Er nahm das und ging mit dem Ältesten zum Flusse hin, wo Lumbu saß. Er kam zu Lumbu. Lumbu sagte: "Du bist Tindana und bringst mir Wasser in diesem Topfe? Der Topf ist nicht gut!" Dann nahm Lumbu Lehm vom Flusse und gab ihn Tindana. Er sagte: "Forme daraus ein Gefäß von der Gestalt einer Kürbisflasche." Lumbu nahm eine Ähre Sorghum, gab sie Tindana und sagte: "Pflanze sie noch heute, sie wird noch heute aufgehen, aufwachsen und Frucht tragen." Lumbu nahm einen Kürbiskern, gab ihn Tindana und sagte:



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"Pflanze ihn; er wird aufgehen, wachsen und noch heute eine Kürbisfiasche zeitigen." Dann sagte Lumbu: "Aus der Frucht, die das gepflanzte Sorghum tragen wird, soll deine Tochter Mehl mahlen. Das soll sie in die Kürbisflasche füllen. Wasser soll sie mit dem eben geformten Flaschentopf holen. Beides soll sie mir bringen."

Tindana ging und tat, wie Lumbu ihm geheißen hatte. Das Korn und der Kürbiskern wurden gepflanzt und gingen auf und wuchsen und trugen Früchte. Der Topf in Form einer Kürbisfiasche ward geformt, und gegen Mittag ging Tindanas Tochter zum Flusse, Wasser zu schöpfen. Das Wasser goß sie auf das Mehl in der Kürbisflasche. Sie mischte es und brachte es Lumbu.

Als das geschehen war, sandte Tindana zu Lumbu und sagte: "Mein Sohn, komm zu mir, ich will dir ein Haus geben." Lumbu folgte der Aufforderung und erhielt das Gehöft Tindanas als Wohnstatt angewiesen. Tindana sagte zu seiner Tochter: "Ein Hund, der ein Ei frißt, muß dafür aufkommen! Du warst es, der Lumbu hierher gebracht hat. Infolgedessen werde ich dich ihm zur Frau geben."

So erhielt Lumbu die Tochter Tindanas zur Frau. Die gebar einen Sohn. Das Kind wuchs zum Knaben heran, der mit seinem Onkel in den Busch ging, um die Rinder zu hüten. Der Knabe sah eines Tages ein Rebhuhn. Er erlegte es mit einem Pfeilschuß. Der Onkel sagte: "Mach ein Feuer, wir wollen das Rebhuhn braten!" Der Knabe tat es. Dann brieten sie es. Der Onkel gab seinem Neffen aber nur den Kopf und ein Bein ab. Das andere aß er selbst.

Als der Knabe nach Hause kam, erzählte er es seiner Mutter: "Ich habe ein Rebhuhn geschossen. Der Onkel hat mich dann Feuer machen lassen. Wir haben es gebraten. Er hat mir dann nichts als ein Bein und den Kopf abgegeben und das andere hat er selbst gegessen." Die Mutter sagte: "Schweig und sag' es nicht dem Vater."

Am andern Morgen ging der Knabe wieder mit seinem Onkel in den Busch, das Vieh zu hüten. Der Knabe erlegte ein Perihuhn mit einem Pfeilschuß. Der Onkel sagte: "Mach Feuer an." Der Knabe machte Feuer. Der Onkel briet das Perihuhn. Dann aß er es, dem Knaben gab er nur ein Bein und den Kopf ab. Als sie heimkamen, erzählte der Knabe der Mutter: "Ich habe ein Perihuhn geschossen. Der Onkel hat mich Feuer machen lassen. Er hat das Perlhuhn gebraten. Dann hat er mir nur ein Bein und den Kopf abgegeben. Das andere hat er selbst gegessen." Die Mutter sagte: "Schweig und sag' es nicht dem Vater."

Am andern Morgen ging der Knabe mit dem Onkel wieder in den Busch, um das Vieh zu hüten. Der Knabe erlegte einen Hasen mit einem Pfeilschuß. Der Onkel sagte: "Mach Feuer an." Der Knabe machte Feuer. Der Onkel briet den Hasen. Dann aß der Onkel den Hasen und gab dem Knaben nur ein Bein und den Kopf ab. Als sie



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heimkamen, sagte der Knabe das nicht seiner Mutter, sondern seinem Vater Lumbu. Er sagte ihm alles, was vorgekommen war.

Lumbu hörte es und ging zu Tindana. Er sagte: "Mein Sohn hat Jagdbeute erlegt. Man hat ihm aber das Fleisch fortgenommen. Wenn du nun in Zukunft einen Ochsen schlachtest, so verzichte ich auf das Fleisch und will weiter nichts als Schwanz und Fell haben." So geschah es. Jedesmal, wenn Tindana Ochsen schlachtete, erhielt Lumbu das Fell und den Schwanz. Das geschah so oft, bis deren zwölf waren.

Als Tindana zwölfmal die (erniedrigende) Teilung in dieser Form vorgenommen hatte, fragte Lumbu eines Tages den Sohn Tindanas: "Wenn dein Vater Ochsen für den Fetisch geschlachtet hat und die Jugend tanzt und singt, — wo hält sich dann dein Vater auf?" Der Sohn Tindanas sagte: "Mein Vater liegt dann oben unter dem Dache."

Als nun der nächste Ochse geschlachtet werden sollte, schärfte Lumbu heimlich sein Messer und verbarg es im Ärmel. Dann schlich er sich in den Oberraum des Hauses, in dem Tindana schlief. Er schnitt Tindana den Hals durch. Dann ging er nach Hause.

Als am andern Morgen Tindanas Frau ihrem Gatten heißes Wasser bringen wollte, daß er sich waschen könne, fand sie den König tot. Sie schrie laut auf. Sie schrie so, daß alle Leute zusammenliefen. Alle riefen: "Wer hat Tindana getötet?" Lumbu trat darauf hervor und sagte: "Ich habe ihn getötet." Er fuhr fort: "Wessen Sohn nennt ihr Yornesorberi? (Mann des Busches). So heißt nicht mein Sohn. Mein Sohn heißt Nyergele, auch ich heiße Nyergele, d. h. ich habe Rache genommen für die Beleidigungen, die ihr meinem Sohne zugefügt habt."

Als Lumbu Tindana getötet hatte, wurde er, Lumbu, "König". Lumbu zeugte noch einen Sohn und nannte ihn Namsisheri, einen dritten Hergensang, einen vierten Oyipupolla, einen fünften Gui, einen sechsten Kemtili, einen siebenten Foroth, einen achten Bena.


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