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Edda Erster Band Heldendichtung


Übertragen von Felix Genzmer /Mit Einleitungen und Anmerkungen von Andreas Heusler

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1912


2. Das Lied von der Hunnenschlacht

In diesem merkwürdigen Torso lebt eine alte westgotische Sagendichtung nach, die sonst nur noch bei den Engländern schwache Spuren hinterlassen hat. Ihr geschichtlicher Kern ist die große Völkerschlacht vom Jahre 451, worin das Hunnenheer den vereinigten Mächten Galliens erlag. So frei die Dichtung mit diesem Stoffe geschaltet hat, bewahrt blieb doch ein Bild von Volkskrieg und Massenkampf, wie in keiner zweiten unsrer Heldensagen; man verspürt hier mehr wie sonst einen Hauch aus der Völkerwanderungszeit.

Die Überlieferung hat dem Liede eigentümlich mitgespielt. Der Leser wird sogleich bemerken, daß Strophen sehr ungleichen Geistes durcheinandergehen. Auf der einen Seite, ganz besonders in Str. 2, 9 —14 eine stolz strömende Rhetorik, wortreich, aber auch gesättigt mit Anschauung, und dabei von einer gewissen volkstümlichen, unverkünstelzten Frische. Wie lebensvoll faßt das Gespräch der Brüder die begehrten Besitztümer der Heldenzeit zusammen!

An dem andern Ende stehen Strophen wie 3, d, 7, 26 ff. mit ihrem mehr prosaischen und dünn ausgewalzten Inhalt. Diese sind offenbar die jüngern. Wir haben hier ein Hauptbeispiel dafür, daß verschiedene Dichter aus sehr verschiedenen Zeiten zu einem Liede beigetragen haben (vgl. o. S. 3).

Und damit war die Leidensgeschichte des Textes noch nicht zu Ende. Isländische Erzähler des 12. 13. Jahrhunderts haben das Lied in eine größere Prosageschichte, eine Saga, hereingestellt und dabei schrittweise einen Teil der Verse in Prosa aufgelöst. Vielleicht ein Drittel des einstigen Bestandes hat so seine gebundene Form eingebüßt. Zuweilen klingt die Prosa noch so liedartig, daß der Übersetzer eine andeutende Rückdichtung wagen konnte; sie ist in Klammern gedruckt. An andern Stellen mußten knappe Prosasätze die Lücken füllen. Man halte sich immer gegenwärtig, daß nur noch eine Reibe loser Trümmer von der südgermanischen Dichtung der Wanderungsjahre zeugt.

Zum unmittelbaren Verständnis nehme man diese voraussetzung . Heidrek, der erschlagene Gotenkönig, hat außer dem vollbürtigen Sohne Angantyr einen Bastard hinterlassen, Hlöd, den Sprößling der hunnischen Königstochter, bei seinem



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Muttervater Humli im Hunnenlande aufgewachsen ist. (Dieser Humli ist also an die Stelle des geschichtlichen Attila, des Besiegten in der Völkerschlacht, getreten.)



***
1
(Erschlagen war Heidrek
Bei den Harwadabergen;
Da nahm Anganng
Das Erbe des Vaters,
Burgen und Brünnen
Und die breiten Lande,
Recken und Rosse
Und der Ringe Menge.)


***
2
Hlöd war erwachsen
Im Hunnenlande
Mit Schild und Schwert
Und schimmernder Brünne,
Mit ringgeschmücktem Helme
Und harter Klinge,
Mit wohlgesähmtem Hengste
In heiligem Walde.


***
3
Hlöd ritt westwärts,
Heidreks Sprößling;
Er kam zum Hofe
Des Herrschers der Goten
Nach Arheim hin,
Sein Erbe zu fordern:
Dort trank Angantyr
Das Erbmahl Heidreks.


***
4
Vor hohem Saal
Sah einen Mann er;
Zum späten Gast
Sprach der also:
("Wer kommt geritten
Mit reisiger Schar?
Was begehrst du, Gast,
Am Gotenhofe?"


***
5 Hlöd:
"Hlöd kam hierher.
Heidreks Sprößling,
Bei den Hunnen hört ich
von des Herrschers Tode.)
Geh in die hohe
Halle hinein;
Ruf Anganng;
Daß er Antwort gebe!"


***
6 Der Mann:
"Hlöd ist gekommen,
Heidreks Sprößling,
Der Bruder dein,
Der Degen kühn.
Auf Hengstes Rücken
Ragt hoch der Jüngling:
Er kam, mit dir,
König, zu sprechen."


***
7
Lärm ward in der Halle,
Es erhoben sich die Mannen
(Mit ihrem König,
Die kampfesfrohen.)
Jeder wollte hören,
Was Hlöd sagte
Und was Angantyr
Zur Antwort gäbe.



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***
8 Angantyr.
("Heil, Bruder Hlöd!
In die Halle tritt ein!
Dem Vater zur Minne
Trink Met mit uns,
Ihm zur Ehre
Und uns zum Ruhm!
Gerüstet ist das Erbmahl
Mit aller Pracht.")


***
9 Hlöd:
Die Hälfte will ich haben
von Heidreks Erbe,
Von Pfriem und Pfeil
Und jedem Pfennig,
von Kuh und Kalb
Und knirschender Mühle,
Von Dirne und Dienstknecht
Und deren Kinde.


***
10
Den mächtigen Wald,
Den sie Myrkwid heißen,
Das heilige Grabmahl,
Das an der Heerstraße liegt,
Den strahlenden Stein
Am Gestade des Danp,
Die Hälfte der Heerburgen,
Die Heidrek besaß,
Land und Leute
Und lichte Ringe."


***
11 Angantyr:
"Bersten soll, Bruder,
Der blinkendweiße Schild,
Kalte Klingen
Sich kreuzen sollen,
Eh das Terwingenland
Ich teilen lasse
Und dir, Humlung,
Die Hälfte gebe.


***
12
Geben will ich dir
Goldene Ringe,
An Geld und Gut,
Was all dein Begehr:
Zwölfhundert Recken,
Zwölfhundert Rosse,
Zwölfhundert Knappen,
Die den Kampfschild tragen.


***
13
Jedem Recken geb ich
Reiche Geschenke,
Andre, edlere,
Als er irgend begehrt;
Eine Maid geb ich
Jedem Manne zu eigen,
Jeder Maid häng ich
Um den Hals ein Kleinod.



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***
14
Will dich im Sitzen
Mit Silber bedecken,
Will dich im Gehen
Mit Gold überschütten,
(Daß schimmernder Hort
Den Scheitel dir decke)
Und Ringe rollen
Rings um dich her."


***
15 Gizur der Alte:
"Das sollte behagen
Dem Sohn der Magd,
Einem Kind der Magd,
Ob als König auch erzogen!
Da der Unechte
Auf der Asche saß,
Als der Edeling
Das Erbe nahm,"
Hlöd ergrimmte ob dieser Rede und ritt alsbald mit seinen
Mannen davon. Er erzählte seinem Muttervater Humli, daß
man ihm die Hälfte des Erbes verweigert und ihn einen
Mägdesohn genannt habe. Humli wurde sehr zornig. Danach
sprach er:


***
16
"Laß den Winter uns warten
Und in Wonnen leben,
Plaudern und trinken
Trefflichen Met,
Die Hunnen lehren
Heerwaffen führen,
Die ins Feld wir tapfer
Tragen sollen.


***
17
Ein Heer will ich,
Hlöd, dir rüsten
Und eisig Kämpfer
Zur Kriegsfahrt entbieten:
Bis zum zwölfjährigen Streiter
Und zweijährigen Rosse,
So soll der Hunnen
Heer sich sammeln."

Sie rüsteten denn ein Heer, so groß, daß das Hunnenland leer wurde von waffenfähigen Männern, und ritten damit durch den Wald Myrkwid, der Hunnenland und Gotenland scheidet. In der Burg vor dem Walde gebot Herwör, die Schwester Angantyrs und Hlöds, über eine starke Schar; mit ihrem Ziehvater Ormar sollte sie die Grenze hüten.



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***
18
(Spähend stand Herwör,
Heidreks Tochter
Auf dem Turm am Tore,
Als der Tag aufstieg.
Da sah sie am Walde
Die Sonne verdunkelnd
Staubwolken steigen
Stampfender Rosse.


***
19
Da sah sies blitzen
Wie Brünnen von Golde,
Lichte Helme
Und helle Schilde;
Da sah sie das Heer
Der Hunnen ziehn,
Rosse und Reiter
In rascher Fahrt.


***
20 Herwör:
"Mit Wehr und Waffen
Wahret euch gut!
Schwertkampf barret
Schlachtenfroher Goten.
Du Ormar reit
Mit Rüstung und Schild,
Die Hunnen zu entbieten
Zu harter Schlacht")


***
21 Ormar
"Wohl will ich reiten
Mit Rüstung und Schild,
Des Hunnenkönigs
Heer zu treffen.
sum südlichen Burgtor
Entbiet ich sie
Zu hartem Kampf
Mit dem Heer der Goten."

Ormar ritt aus der Burg an die Hunnenschar heran und forderte sie mit lautem Ruf zur Feldschlacht heraus. Als er zurückkehrte, war Herwör gerüstet mit ihrem ganzen Heer. Sie sogen den Hunnen entgegen, und es erhob sich eine gewaltige Schlacht. Da die Hunnen in der Übermacht waren, lichteten sich die Reihen der Herwör, und zuletzt fiel sie selbst samt einer großen Schar um sie her. Als Ormar sie fallen sah, da floh er und mit ihm die Überlebenden. Er ritt Tag und Nacht was er konnte, bis er zu König Angantyr nach Arheim kam. Da sprach er:



***
22
"Von Süden komm ich,
Kunde zu bringen:
Verbrannt ist Myrkwid,
Die mächtige Heide,
(Gebrochen die hohe
Burg der Südmark,)
Überströmt das Gotenland
Von der Streiter Blute.


***
23
Hingesunken
Ist Heidreks Maid,
Von Wunden geschwächt,
Die Schwester dein,
Schneller sum Kampf
Als zu kosen mit Buhlen
Und zur Halle zu eilen
Zum Hochzeitsfeste."



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***
24
(Still saß Angantyr
Bei Ormars Worten;
Seine Hand preßte
Heftig den Bart.
Lange schwieg er;
Leise sprach er:
"Nicht brüderlich tat Hlöd,
Du hehre Schwester!)


***
25
Gar manche waren wir,
Als Met wir tranken;
Klein ist mein Gefolge,
Wo viele nottun.


***
26
Keinen seh ich
Im Saale hier,
Ob ich auch bitte
Und Ringe biete,
Der reiten will
Mit Rüstung und Schild,
Des Hunnenkönigs
Heer zu treffen."


***
27 Gizur
"Keinen Pfennig
Empfangen will ich,
Noch Schillinge
Aus schimmerndem Gold :
Doch will ich reiten
Mit Rüstung und Schild,
Zum Hunnenvolke
Den Heerstab tragen."


***
28
(Gute Waffen
Tat Gizur an,
Rasch wie ein Jüngling
Aufs Roß er sprang.
So sprach Gizur
Zum Gotenkönig:)
"Wohin soll ich die Hunnen
sum Heerkampf laden?"


***
29 Angantyr:
"Entbiet sie zur Dylgja
Auf die Dunheide,
Jene Walstatt
Bei den Jassarbergen,
Wo oft die Goten
Gerkampf erhoben
Und stolz erstritten
Strahlenden Sieg!"


***
30
(Aus ritt Gizur,
Der greise Recke
Durch Heide und Hag,
Die Hunnen zu treffen.
Heran ritt er
Auf Rufes Weite,
Der Hunnen Heer
Rief hell er an:)


***
31
"Ich embter euch zur Dylgja
Auf die Dunheide
Jene Wahlstatt
Bei den Jassarbergen,



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(Wo oft die Goten Gerkampf erhoben Und stolz erstritten Strahlenden Sieg.)


***
32
Fliehn wird euer Volk,
Fallen euer König,
Sinken eure Fahne,
Feind ist euch Odin!
Er schrecke eure Scharen
Übers Schlachtfeld hin!
Wie mein Wort es will,
Weise er den Speer!"


***
33 Hlöd
"Greifet Gizur,
Den Grytingenkrieger,
Angantyrs Mann,
Der aus Arheim kam!" Humli
("Nicht ziemt es den Vielen,
Zu umzingeln den Einen;
Heilig ist der Herold,
Der dahinzieht allein!")

Da spannten die Bogenschützen der Hunnen ihre gefürchteten Bogen.



***
34
(Dies rief Gizur,
Der Grytingenkrieger:
"Hunnischen Hornbogen
Halten wir Stand!")

Er spornte sein Roß, ritt zum König Angantyr zurück und meldete, daß die Botschaft an die Hunnen bestellt sei. Angantyr fragte nach der Stärke des Hunnenheeres. Da sprach Gisur:



***
35
"Sechs Völkerschaften
Beim Feinde stehn,
In jedem Volke
Fünf Tausende;
Jedoch im Tausend
Dreizehn Hundert,
In jedem Hundert
Die Helden vierfach."



Thule-Bd.01-031 Edda Heldendichtung Flip arpa

Angantyr zog mit seiner ganzen Macht auf die Dunheide und stieß hier zusammen mit dem doppelt so starken Hunnenheer. Sie schlugen sich acht Tage von früh bis spät, und niemand konnte die Toten zählen. Tag und Nacht strömte neue Mannschaft zu Angantyr aus allen Himmelsgegenden, so daß er am Ende nicht weniger hatte als am Anfang.

Am letzten Tage wurde die Schlacht am heißesten: die Hunnen wußten, daß es Sieg oder Tod galt, die Goten aber kämpften für Freiheit und Vaterland. Am Abend kam das Hunnenheer ins Wanken; da schritt Angantyr vor aus seinem geschlossenen Kriegerhaufen in die feindliche Reihe hinein und hieb mit seinem Schwerte nieder, was ihm in den Weg kam, Männer und Rosse. Hlöd trat ihm entgegen, und es kämpfte Bruder mit Bruder, bis der Bastard fiel. Auch König Humli fand den Tod. Jetzt flohen die Hunnen.



***
36
(Da drängten grimmig
Die Goten nach
Und hieben nieder
Der Hunnen Reihen.
Es standen die Flüsse
Und stürzten aus den Ufern;
In den Tälern türmten sich
Tote Mannen.)

Angantyr ging, die Walstatt zu beschauen. Er fand den Leichnam seines Bruders Hlöd. Da sprach er:



***
37
"Ich bot dir, Bruder,
Bruchfreie Ringe,
An Geld und Gut
Was all dein Begehr:
Erlangt hast du nun
Alg Lohn des Kampfes
und setzt gewiss einen Zug der Wanderungszeit fort. man kann daran
erinnern, daß auch für die völkerschlacht von 451 die Geschichtsquellen
phantastisch hohe Zahlen nennen 105000 Tote und dergleichen). 36 5,6 von
der geschichtlichen Völkerschlacht erzählte man, daß ein Bach von dem Blute



Thule-Bd.01-032 Edda Heldendichtung Flip arpa

Nicht Land noch Leute, Noch lichte Ringe.


***
38
Ein Fluch traf uns, Bruder;
Dein Blut hab ich vergossen!
Nie wird das ausgelöscht —
Unheil schuf die Norne."


Copyright: arpa, 2015.

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