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Kapitel 

Walter Keller


Tessiner


Sagen und Volksmärchen

Mit Illustrationen von


Aldo Patocchi

1981

EDITION OLMS ZÜRICH


DAS WEISSE PFERD VON GIORNICO

Einst wohnte in Giornico ein Mann. Der hatte ein schneeweißes Pferd. Es ging von ihm die Sage, er sei ein Hexenmeister, und häufig sahen ihn die Bewohner aus seinem Dorf wegreiten auf seinem von ihm unzertrennlichen Schimmel.

Zur damaligen Zeit hätten die Bauern von Giornico gar gerne eine Alp gehabt und beauftragten den Mann mit dem weißen Pferd. ihnen eine solche zu verschaffen. Dieser versprach es, und eines Nachts streifte er zu Pferd über all die Alpweiden des Livinentals und fand dabei, daß die Alp Cristallina im Bedretto-Tal die schönste von allen sei. Er suchte sie für seine Landsleute zu erwerben. Die Alp gehörte jedoch der Gemeinde von Bedretto.

Die Bürger von Bedretto zeigten sich geneigt, den Bauern von Giornico ihre Alp abzutreten unter der Bedingung, daß diese ihnen auf den St. Martinstag einen «stei», d. h. ein Maß von fünfundzwanzig Litern, voller Geldstücke gäben. Dabei waren aber die Bedrettesen der Meinung, daß die Geldstücke aus Gold bestünden. Sie wurden jedoch arg getäuscht und erhielten als Zahlung bloß solche aus Kupfer und Messing.

Der Betrüger starb aber bald nach dieser schlechten Tat. Gott der Herr verurteilte ihn dazu, daß er mit seinem weißen Pferd fortwährend das Valle Torta durchstreifen mußte. Das war ein Teil der Alp Cristallina.



Tessiner Sagen-089 Flip arpa

Viele Jahre lang erschreckte er mit seinem weißen Pferd die Hirten der Umgegend. Er rief Lawinen hervor, versetzte Kühe und Geißen in Schrecken und bewirkte, daß sie in großen Sprüngen davonjagten oder auch in ihrer Verwirrung über eine Felswand stürzten. Auch raubte er manchmal die Käselaibe aus den Alphütten. Vor lauter Angst getrauten sich die Sennen und Hirten nicht einmal mehr nachts aus ihren Blockhütten, denn sie fürchteten, wenn der weiße Reiter sie sähe, würden sie vor Schrecken vom Schlag getroffen.

Schließlich wurde es ihnen zu arg. Sie ließen den Pfarrer von Bedretto kommen, der die Alp segnen mußte. Von da an wurde das weiße Pferd mit seinem gespenstischen Reiter nicht mehr gesehen, und die Hirten hatten fortan Ruhe.


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