Schweizerisches
Sagenbuch.
Nach
müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten
and handschriftlichen Quellen herabgegeben
und mit
erläuternden Anmerkungen begleitet
von
C. Kohlrusch.
Leipzig,
Rob. Hoffnann
1854.
g.
Die Kornengel.
Mündlich.
Schriftliche Mittheilung.
Früher zur Zeit, als die Menschen noch gläubig und fromm waren, ließen sich im Kanton Aargau, wenn das Korn auf dem Felde in Blüthe trat, oftmals zwei liebliche Kindergestalten, ein Knabe und ein Mädchen, erblicken. Lange blonde Locken rollten über ihr leuchtendes Gewand und blaue Augen strahlten aus ihrem verklärten Antlitz. So schwebten sie kaum die Hase der Flur berührend, ihre Hände wie um Segen erhoben, in leichtem Schritte dahin und verschwanden , lange noch einen hellen lichten Schein hinterlassend. Dem Erscheinen dieser K aber, welche man die Kornengel nannte und von dem die Sage ging, daß sie die Geister zweier im Korn verirrter Geschwister, die so ihren Tod fanden, gewesen, folgte regelmäßig ein außerordentlich Schwär Jahr.
Aehnlich läßt eine graubündner Sage durch Erscheinen eines Kindes ein fruchtbares Jahr verkünden. Sie lautet :
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Das schwere Kind.
Bräuner's Curiosität. 274.
Gebr. Grimm, deutsche Sagen, S, 17.
"Im Jahr 1668 am achten Juni erblickten zwei Edelleute auf dem Wege
nach Chur in der Schweiz an einem Busch ein kleines Kind liegen, das
in Linnen eingewickelt war. Der eine hatte Mitleiden, hieß seinen Diener
absteigen und das Kind aufheben, damit man es in's nächste Dorf mitnehmen
und Sorge für es tragen könnte. Als dieser abgestiegen war, das
Kind angefaßt hatte und aufheben wollte, war er es nicht vermögend.
Die zwei Edelleute verwunderten sich hierüber und befahlen dem andern
Diener, auch abzusitzen und zu helfen. Aber beide mit gesammter Hand
waren nicht so mächtig, es nur von der Stelle zu rücken. Nachdem sie es
lange versucht, hin und her gehoben und gezogen, hat das Kind angefangen
zu sprechen und gesagt: "lasset mich liegen, deng ihr könnt mich doch
nicht von der Erde wegbringen. Das aber will ich euch sagen, daß dies
ein köstliches und fruchtbares Jahr sein wird, aber wenig Menschen werden
es erleben." Die beiden Edelleute legten nebst ihren Dienern ihre
Aussagen bei dem Rathe in Chur nieder."In den Kornengeln und dem schlafenden Kinde ist gleichwie in den Erdmännchen,
deren Tänze im Mondenschein ebenfalls ein fruchtbares Jahr verkünden
(s. S. 22), ein deutlicher Zusammenhang mit den Lichte und Schwarzelben
der Edda. Von den Schwarzelben oder Zwergen (s. S. 19) heißt es:
Thor's zweiter und schönster Gattin, der Göttin Sif, schmiedeten die tief
unten in der Erde wohnenden Schwarzelben ein neues goldenes Haar,
als ihr der böse Ase Locke das frühere, während sie schlief, geraubt hatte.
Der Sinn dieses Mythus ist nicht zu verkennen. Sif, welche die Edda
die schönhaarige nennt, ist die Ceres des Nordens, ihr Haar das Getreidefeld
*), dessen Schmuck der goldene Getreidehalm im Spätsommer —
die zur Neige gehende Jahreszeit repräsentirt eben Lote — abgeschnitten,
dann aber von den Schwarzelben, den im Schooße der Erde wirkenden
Naturkräften, wiederum von Neuem gewoben wird. Mithin sind die
Schwarzelben die Hüter des in der Erde keimenden Samenkorns, während
die Lichtelben, als die auf das Gedeihen des Saatfeldes Einfluß ausübenden
Naturkräfte der (Luftregion, Wächter der in Blüthe stehenden
Fruchtfelder sind. Als solche konnten sie ihrer göttlichen Natur nach wohl
auch verkünden, ob das Jahr fruchtbar oder unfruchtbar werde, eine Vorstellung
, die sich eben in obigen zwei Sagen auf unsere christliche Zeit
übertragen hat, welche an die Stelle der Lichtelben die leuchtende Schaar
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der im Himmel wohnenden Engel, daher auch hier der Name Kornengel , treten ließ und sich statt dem Bilde von der Schwarzelbe das düstere und schreckliche. von den Teufeln der Unterwelt entwarf. Auffallend erinnert das schwere Kind noch an den Elfenkönig Elberich in den Nibelungen (S. 99. 108), welchen Dtnit in der Gestalt eines kleinen Kindes unter einer Linde liegen sieht und ihn als solches leicht heben und forttragen zu können vermeint.
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