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Kapitel 

Schweizerisches

Sagenbuch.


Nach

müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit

erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.


15. Von den Stollenwürmern.


König's Sasse. S. 127. J. R Wyß, Reise in das berner Oberland. Abth. u. S. 423.


i.

Von Unterseen an bis einerseits auf die Grimsel und anderseits bis gegen Gadmen hin in einer Strecke von zehn bis zwölf Stunden und nur in dieser Gegend des Kantons Bern, nicht aber im Simmental, nicht im Frutigen- ober Saanenlande, auch nicht in ganz Wallis, noch jenseits der südlichen Alpenkette in Italien oder im Kanton Tessin, lassen sich zuweilen nach schwüler Hitze oder wenn sich das Wetter ändern will Schlangen mit kurzen stollenartigen Füßen sehen, welche von den dortigen Bewohnern eben dieser Füße wegen Stollenwürmer genannt werden. Die solche Thiere sahen, geben die Zahl dieser Füße von zwei bis sechs an; dann stimmen jedoch alle überein, daß sie dicke katzenartige Köpfe haben. Da, wo aber diese Thiere daheim sind, hat man noch nie etwas von Drachen oder Lindwürmern gehört; ebenso soll ein großer Unterschied zwischen den jungen und alten



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Stollenwürmern sein. Noch Anfangs dises Jahrhunderts, im I. 1811, wurde ein solches Thier von dem Schulmeister Heinrich im Dorf im Guttannenthale erblickt. Dieses Thier soll wohl eine Klafter lang gewesen fein und die Dicke eines Mannsschenkels gehabt haben. Auch ein gewisser Hans Kehrli sah ebendort auf dem Allmentli oder der Sonnen halb ein Stollenwurm, welcher zehn Junge im Leibe hatte, von denen das eine ganz weiß gewesen sein soll, und noch einen andern Stollenwurm in dessen Leibe sich ebenfalls eine Masse Junge vorfanden, will ein Landmann im Boden an der Grimselstraße als Knabe mit noch einigen Gesellen todt geschlagen haben. Daß diese Thiere sehr gefährlich sind und Menschen und Thiere schädigen, wird vielfach erzählt, vorzüglich aber stellen sie den Erdmännchen nach, welche sie ganz besonders hassen follen. Wenn sie Jemand anfallen, so stürzen sie sich, hochaufgebäumt, die pfeilförmig zugespitzte Zunge weit aus dem giftigen Rachen hervorstreckend, auf ihren Feind und suchen ihn nach Schlangenart mit ihrem langen Schweif zu umschlingen und zu erdrücken, Nach Anderen gibt es auch Stollenwürmer, welche den Kühen die Milch aussaugen. Diese sind jedoch minder gefährlich; auch kann man sich gegen sie schützen, wenn man einen weißen Hahn auf der Alp hält. Daß es aber weiße und schwarze Stollenwürmer gibt, ist sicher. Die ersten, welche sich auch noch gan; besonders durch ein Krönlein auf dem Haupte auszeichnen, sind jedoch seltener, als die schwarzen, welche schr gemein sind und häufig vorkommen.


II.

Einer, der sehr verwegen war und auch etwas Zauberei verstand, zog eines Tages, um seine Kunst zu zeigen, einen Kreis um sich und bannte darauf mit Pfeifen das Gewürm in solcher Menge herbei, daß es ringe um den Kreis hin



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wimmelte. Doch pfiff er trotzig fort, bis ein paar Würmer aus der Ferne auf ihrem Rücken einen ganz besonders dicken und abscheulichen dahergebracht und alsobald ihn über, den Kreis hinein gegen den Zauberer warfen, der laut ausrief: ich bin verloren ! und im Augenblick von dem Ungeheuer zerrissen ward.


III.

Ein armes Hirtenmädchen fand einst auf der Heubühne ihrer Hütte einen Kanten Stollenwurm. Trotz seiner häßlichen Gestalt trat sie hinzu und reichte ihm mitleidig eine Schaale mit Milch. Gierig leckte er mit seiner heißen, vertrockneten Zunge den kühlenden Trank, der ihn zusehends erquickte. Als er fertig war, verwandelte er das goldene Krönlein auf seinem Haupte in die Schlangenkönigin und gab sie dem Hirtenmädchen zum Dank für seine Rettung. An die Schlangenkönigin aber waren besondere wohlthätige Kräfte gebunden.

Für die Existenz der Stollenwürmer, natürlich frei von dem rein mythischen Schmuck obiger Sagen, sprechen sich jetzt noch rechtschaffene, ja selbst glaubwürdige Leute aus, welche solche Thiere gesehen haben wollen. Trotzdem ist man berechtigt, ihr Dasein zu bezweifeln und sie auf das Gebiet der Sage zu verweisen. Selbst die Thatsache, daß ein Bauer im I, 1828 ein solches Thier in einem vertrockneten Sumpfe fand und bei Seite legte, um es dem Professor Hugi nach Solothurn zu bringen, kann dies nicht verhindern. Denn, aufgefressen von Krähen, kam nur das Skelett des Thieres nach jener Stadt wo man nicht klug aus ihm wurde. Später kam es nach Heidelberg, aber auch von dorther erfuhr man nichts Näheres (S. Tschudi, Thierleben der Alpenwelt S. 153). Furcht und Aberglauben, so, wie der den meisten Menschen angeborne Widerwillen vor allen Reptilen, welcher eine nähere Betrachtung und Untersuchung derselben nicht zuläßt, mögen auch hier das Ihrige dazu beigetragen haben, daß aus irgend einer Schlange, welchen Thieren von jeher auf dem Gebiete der Mythe eine wichtige Rolle zuertheilt war, das Phantasiebild obiger Sage entstand.
Copyright: arpa, 2015.

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