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Sagen aus dem Berner Oberland


Ausgewählt und herausgegeben von


Walter Menzi

1. bis 5. Tausend

Verlag Landschäftler A-G., Liestal


Strättligen

Berühmt und hochgepriesen seit tausend Jahren ist die frohe, zwischen blaue Wasser und strahlende Himmelsbläue gebettete Landschaft des Thunersees, und ausgezeichnet vor allen Ufern sind die Buchten bei Strättligen, Einigen und dem



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Schlosse Spiez. Weit zurück geht deshalb die Kunde von Merkwürdigkeiten, deren Schauplatz oder Zeuge der Thunersee war. Im Jahr 660 wusste der fränkische Geschichtschreiber Fredegar zu vermelden, dass «im vierten Regierungsjahr des Königs Dietrich der lacus dunensis, in den der Fluss Arula mündet, in ein solches Sieden geriet, dass viele gesottene Fische gefunden wurden. » Auch die Strättliger Chronik, verfasst um 1500 vom Einiger Pfarrherrn Eulogius Kiburger, beschreibt wunderbare Geschehnisse. Nach ihr hat ein Graf Arnold von Strättligen im Jahre 223 die Kirche «zum Paradies» in Einigen gestiftet, und im Jahre 933 soll ein Rudolf von Strättligen, Gemahl der Königin Bertha, Herrscher des grossen burgundischen Reiches gewesen sein. Dreihundert Jahre später wurde ein Spross der Strättliger. Heinrich II. oder sein Sohn Heinrich III. weit in den Landen als Minnesänger verehrt. Von ihm sind drei Lieder erhalten geblieben. Und wie die Menschen damals die Schönheit ihrer Heimat erkannten! Das den Strättliger Herren gehörende Schloss zu Spiez nannten sie den «goldenen Hof», Einigen «das Paradies», und



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das ganze Ufer trug den wie Harfenton klingenden Namen «die goldene Luft».

König Rudolf von Strättligen hatte einmal einen merkwürdigen Traum, der ihn bewog, im Umkreis von Frutigen abwärts bis Thierachern zwölf Kirchen und zu Amsoldingen ein Kloster zu stiften. Nachdem er dies getan, bemächtigten sich Stolz und Uebermut seines Gemütes, weshalb ihn zur Strafe eine schwere Krankheit befiel, an der er den Tod erlitt. Kaum dass der König die Augen geschlossen, erhob sich zwischen dem Teufel und den Erzengeln Gabriel, Michael und Rafael um seine Seele ein harter Kampf, der endlich durch eine Wage geschlichtet werden sollte. In die eine Schale wurden Rudolfs gute, in die andere seine sündigen Werke getan, wobei es sich erwies, dass die Sünden das Uebergewicht zu erhalten drohten. Kurz entschlossen legte der Erzengel Michael seine schwere Hand auf die guten Taten, was den Teufel so sehr in Aufregung versetzte, dass er sich mit seinen Krallen an die andere Schale hängte, denn er wollte die Seele des Königs um jeden Preis zur Hölle entführen. Da aber zog der Erzengel Michael das



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Schwert, sodass der Teufel seine Krallen einziehen und die Schale der Sünden, nun als leichter befunden, in die Höhe schnellen lassen musste. So wurde Rudolfs Seele für den Himmel gerettet. In der Kirche von Lauterbrunnen ist das Ereignis auf einer Glasscheibe dargestellt, und zu Thun findet sich neben dem Strättliger Wappen das Bild Michaels; der Erzengel trägt die Wage mit dem an der Sündenschale hängenden Teufel.

Einstmals kam der Teufel, dürftig als Pilger gekleidet, wieder aufs Strättliger Schloss. Da es sehr kalt war, erbarmte sich der damalige Graf Wernhardt seiner, und mitleidig sandte er ihm seinen Mantel. Am andern Morgen aber war der Pilger mit dem Mantel verschwunden. Später geschah es, dass Wernhardt eine Wallfahrt nach dem Berge Garganum antrat. Vorher brach er seinen Ring in zwei Hälften; die eine gab er seinem Eheweib Susanna, die andere behielt er selbst und sagte: «Wenn du die Hälfte wieder siehst, wird dies ein Zeichen sein, dass ich noch lebe. Fünf Jahre sollst du meiner warten, nicht länger; dann bist du frei! »

Auf dem Berge Garganum ging Herr



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Wernhardt in die Kirche des heiligen Michael, um dessen Schutz für sich und sein Haus er bat. Der heilige Michael erhörte ihn; auch ward ihm dort ein Stück von seinem Mantel wieder. Darauf, als der Ritter seine Heimfahrt angetreten hatte, geriet er in Gefangenschaft und sass vier Jahre in einem Kerker zu Lamparten. Dort erschien ihm eines Abends plötzlich ein Unbekannter, der ihm den Rest des gestohlenen Mantels überbrachte und sich als Teufel zu erkennen gab. Er sei jener diebische Pilger gewesen, sagte der Höllenfürst, komme aber jetzt auf den Befehl des heiligen Michael, um ihn, Herrn Wernhardt, nach der Heimat zurückzubringen. Hierzu sei hohe Zeit, da Frau Susanne ihren Mann für tot halte und diese Nacht einen andern heiraten werde. Sanft hob der Teufel den Grafen vom Boden und trug ihn unbeschädigt in wenigen Minuten nach dem Schloss am Thunersee. Als fremder Spielmann eilte der Heimgekehrte zum Hochzeitsmahl, und den halben Ring warf er in den Becher seiner Gemahlin, die alsbald rief: Mein Eheherr ist nicht weit von diesem Orte!» Gleichzeitig erkannte sie ihn in



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einer Ecke des Saales, sodass er dankbaren Herzens Weib, Schloss und Herrschaft wieder erlangte.

Gütig, fromm und gerecht waren die Herren von Strättligen. Nur wenige von ihnen, darunter Diebold, der vom Teufel besessen war, machten eine Ausnahme. Als Diebold starb, sahen die sein Lager umstehenden Verwandten und Freunde nicht nur die Seele des Dahingeschiedenen, wie sie den Körper verliess, sondern sie hörten auch deutlich die Stimme des heiligen Michael den bösen Geistern den Befehl erteilen, die Seele von dannen in ein unfern am Thunersee gelegenes Moos zu verbannen. Dort «syg sie viel und oft» gehört worden, weshalb das Moos seither als Höllmoos verrufen und unheimlich ist.


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