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Sagen aus dem Berner Oberland


Ausgewählt und herausgegeben von


Walter Menzi

1. bis 5. Tausend

Verlag Landschäftler A-G., Liestal


Goldenes Zeitalter im Oberland

IN och spricht man im Berner Oberland viel vom goldenen Zeitalter der Alpen. Es gab eine Zeit, da alle starren Felsen, Gletscher und Firne sonnige Triften waren, auf denen das fetteste Gras und der saftigste Klee wucherten. Die Obstbäume trugen Aepfel und Birnen von Riesengrösse. Die Rebe gedieh bis zur Grimsel hinauf und spendete einen köstlichen Wein. Kornfelder wogten üppig sogar auf dem Niesengipfel, wo eine Windmühle stand. Die Kühe waren doppelt so gross wie die heutigen. Wegen ihres Ueberflusses an Milch mussten Weiher und kleine Seen vollgemolken werden, drei Male des Tages. in Gondelschiffchen fuhr man aus, um den Nidel abzuschöpfen.



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Einmal ertrank ein Jüngling, dessen Nachen im Milchweiher von einem Windstoss umgeworfen worden war, und umsonst ward stundenlang nach seiner Leiche gesucht. Sie fand sich zuletzt in den Wellen des schäumenden Rahms, als man die Butter schlug. Zur Grabstätte des Jünglings wurde eine weite Höhle erkoren, in der die Bienen Honigscheiben vom Umfang und von der Dicke eines Stadttores angehäuft hatten.

Ueber die höchsten Berge konnten offene Wege nach dem Wallis, dem jenseitigen Land an der Rhone, gelegt werden, denn Schnee und Kälte, Gletscher und Lawinen waren unbekannt. Stark benützt war die übers Joch zwischen Mönch und Eiger führende Strasse. Oftmals kamen ganze Walliser Taufgesellschaften nach Grindelwald zur Kirche. Ein ähnlich bequemer Uebergang verband Kandersteg mit Lauterbrunnen. Sichern Fusses gelangte der Wanderer von einem zum andern der Orte.

Damals mieden die Menschen, wenn sie siedeln und Dörfer errichten wollten, vielfach die bewaldeten Täler und Gründe; lieber wohnten sie im Umkreis der Gipfel,



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wo die grünsten Matten, die lautersten Quellen, die längsten und sonnigsten Tage waren. Das Urbachtal war so fruchtbar, dass ein Hirtenknabe weit und breit keinen Stein finden konnte, um ihn einem störrischen Kälblein nachzuwerfen. Das Alpgehänge von Tiefental am Brienzerberg hatte bleibende Bewohner. Ein habliches Bauerndorf lag auf der Grimselhöhe, ein anderes, «In Gassen» geheissen, hoch oben am Faulhorngipfel. Dort kam eines Morgens die Magd des Hirten Gidi vom Brunnen und meldete, dass Glas auf dem Wasser sei. Alles eilte ins Freie, um die seltsame Erscheinung zu sehen. Da sagte der Hirte: «Jetz chemmen die ruhen Jahr!» denn der Brunnen war gefroren. Sogleich stieg Gidi mit den Leuten und allem Vieh hinab in den Grund. Am Ufer der Schwarzen Lütschine wurde eine neue Niederlassung gegründet und Gidisdorf genannt zu Ehren des Hirten, der das Glas auf dem Wasser richtig gedeutet hatte. Ein Dorfteil von Grindelwald heisst heute noch Gidisdorf, wie auch der Name «In Gassen» am Faulhorngipfel erhalten geblieben ist.


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