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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

I. BAND


WEISHEIT

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EINBANDZEICHNUNG VON VON F. H. EMCKE


49. Die weise Eule

Si(di)Sliman war der Herr aller Vögel in der ganzen Welt. Eines Tages sagte die Frau des Si Sliman zu ihrem Manne: "Ich möchte ein neues Lager (Bett) haben. Fülle mir mein Lager (ussu; Plur.: ussen) mit den Federn aller Vögel. Du kannst es tun, denn du bist der Herr aller Vögel." Si Sliman sagte: "Das bin ich in der Tat."

Si Sliman hatte eine Feder, die brauchte er nur in seine Tabakspfeife zu stecken, dann entwickelte sich sogleich ein überaus reiner



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und starker Rauch. Diesen Rauch sahen alle Vögel; sie kannten ihn; wenn er aufstieg, kamen sogleich alle Vögel bei Si Sliman zusammen. Si Sliman steckte die Feder in seine Pfeife. Der Rauch stieg auf. Alle Vögel sahen es und kamen zusammen.

Si Sliman sagte zu den Vögeln: "Meine Frau wünscht ein neues Lager. Legt alle eure Federn ab, damit ich daraus das neue Lager meiner Frau herrichte." Alle Vögel legten ihre Federn ab. Alle Federn lagen beieinander. Si Sliman sah die Vögel durch. Si Sliman sah, daß alle Vögel bis auf die Eule ihre Federn hingelegt hatten. Die Eule war nicht gekommen.

Die Eule kam erst am dritten Tage. Als die Eule (tameärufth) am dritten Tage kam, fragte Si Sliman sie: "Befehle ich oder du?" Die Eule sagte: "Du befiehlst, aber verzeih und laß mich ein Wort sagen." Si Sliman sagte: "Sprich." Die Eule sagte: "Am ersten Tage bin ich nicht gekommen, weil ich damit beschäftigt war, die Tage und die Nächte zu zählen." Si Sliman sagte: "Was hast du dabei gefunden ?" Die Eule sagte: "Ich fand, daß im Jahre mehr Tage als Nächte sind, ebenso, wie es mehr Frauen als Männer gibt." Si Sliman sagte: "Wieso sind es mehr Tage als Nächte?" Die Eule sagte: "Bei Vollmond kann man in den Nächten ebensogut sehen wie am Tage. Also kann man die Vollmondnächte nur zu den Tageszeiten nehmen."

Sie Sliman sagte: "Das war die Arbeit des ersten Tages, und das erklärt dein Fortbleiben am ersten Tage. Was tatest du nun am zweiten Tage?" Die Eule sagte: "Ich rechnete aus, daß es mehr Frauen als Männer gibt." Si Sliman sagte: "Wie bist du hierzu gekommen ?" Die Eule sagte: "Wenn ein Mann mit seiner Frau streitet und sie behält das letzte Wort, so ist der Mann ein Weib. Jeder Mann, der den törichten Wünschen seiner Frau folgt, ist ein Weib. Bist du nicht z. B. den törichten Wünschen einer Frau gefolgt, als du allen Vögeln die Federn abnahmst, um daraus ein Lager dieser einzigen Frau zu bereiten?"

Si Sliman sagte: "Du hast recht." Si Sliman nahm alle Federn aus dem Lager seiner Frau. Er trug sie auf einen Haufen. Er rief wieder alle Vögel zusammen. Alle Vögel kamen. Si Sliman sagte: "Ein jeder von euch soll wieder seine Federn nehmen." Alle Vögel nahmen ihre Federn, bekleideten sich damit und flogen wieder fort.


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