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Märchen aus England Schottland und Irland


Illustrationen


von Antje Schönau

Märchen europäischer Völker


Der Weiße Hund vom Gebirge

Es lebte einst ein König, dem seine Gattin starb. Vor ihrem Tode legte sie das feierliche Gebot auf den König, daß er weder Mann noch Weib, noch Kind in ihre Kammer lassen sollte, bevor sie nicht ein Jahr und einen Tag im Grabe gelegen hätte. Er versprach es. Aber als der König einmal auf der Jagd war, fanden die drei Töchter den Schlüssel zum verbotenen Zimmer, öffneten und traten ein. Die älteste Tochter setzte sich auf den Stuhl ihrer Mutter, ergriff die weißen Blüten, die auf ihm lagen, und sprach: »Ich bitte Gott und diesen wunderbaren Stuhl, daß der Sohn des Königs im Westen mich freien möge!« Da fielen die Blüten aus ihrer Hand.

Die zweite ergriff die Blüten, setzte sich in den Sessel und wünschte sich den Sohn des Königs des Ostens.

Die jüngste Tochter aber wollte dem Befehle des Vaters gehorsam bleiben. Da zwangen die Schwestern sie, sich in den Stuhl zu setzen. Da sagte sie: »Ich bitte Gott und diesen wunderbaren Stuhl, daß der Weiße Hund des Gebirges mich freien möge!«

Sie sagte es aus Ärger, denn sie wußte überhaupt nicht, ob es solch ein Wesen gäbe.

Noch an demselben Nachmittag kam der Sohn des Königs des Westens in seiner Kutsche und führte die älteste Tochter mit sich. Am zweiten Tage führte der Sohn des Königs des Ostens die zweite Prinzessin fort.

Am Morgen des dritten Tages war der Weiße Hund vom Gebirge vor dem Tore mit Pferd und Wagen.

Da sagte sie: »Ich muß mich in Gottes Willen fügen.« Sie ging mit ihm.

Als sie sich schwanger fühlte, bat sie ihn um Erlaubnis, nach Hause zurückzukehren. Er gewährte es, obwohl nicht gern.

Sie gebar eine Tochter, ein schönes Kind; das hatte einen Reif um das Haupt, der auf der Stirne golden, am Hinterkopfe aber silbern war. Die Mutter fühlte sich sehr schwach und überließ das Kind einer Magd zur Bewachung. Da kamen zwei Hände durch den Kamin und raubten es.



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Am nächsten Morgen kam der Weiße Hund und holte seine Gemahlin wieder ab.

Später gebar sie noch eine Tochter im Hause ihres Vaters, die hatte auch einen solchen Reif um das Haupt. Wieder raubten die Hände das Kind, wieder holte der Weiße Hund sie am nächsten Morgen ab.

Und als abermals ihre Stunde kam, wollte sie wieder zum Hause ihres Vaters. Der Weiße Hund erlaubte es schließlich, sagte ihr aber, daß er sie nicht wieder abholen werde.

Und sie gebar einen schönen Knaben, der trug auch den Reif, golden vor der Stirn, silbern am Hinterkopf. Da kamen ihre beiden Schwestern heim, arm und bloß. Und als sie ihrer Schwester Schätze sahen, führten sie sie in den Wald, beraubten sie und wollten sie schlagen. Da hörten sie Donner und das Krachen stürzender Bäume. Der Weiße Hund vom Gebirge war da; der schlug die beiden bösen Schwestern halb tot, dann wanderte er von dannen, ohne ein Wort zu seinem Weibe zu sprechen. Sie aber sagte, daß sie ihm folgen wolle. Die Nacht kam. Da befahl der Weiße Hund ihr, in eine Hütte am Wege einzukehren; er werde bis zum Morgen auf sie warten. Die Frau in der Hütte gab ihr zu essen und setzte sie ans Feuer.

Auf dem Fußboden aber spielte ein kleines Mädchen, das hatte einen Reif um das Haupt, der war golden auf der Stirn, silbern aber am Hinterhaupt. Und das Kind kam und legte den Kopf in den Schoß der Königstochter. So schliefen sie bis zum Morgen.

Als sie fortging, sagte die Frau der Hütte zu ihr, es wäre gefährlich für sie, dem Weißen Hund zu folgen. Wenn sie es aber doch tue, so würde dieser kleine Kamm ihr von Nutzen sein.

Und sie schenkte der Königstochter einen kleinen Kamm. Dann raste der Weiße Hund vor ihr dahin, und sie folgte ihm bis zur sinkenden Nacht. Wieder schickte er sie in eine Hütte am Wege; wieder sah sie dort ein Mädchen mit einem Reif, der halb silbern, halb golden war, und auch dieses Kind schlief in ihrem Schoße bis zum Sonnenaufgang.

Als sie fortging, schenkte die Frau der Hütte ihr eine Schere. Am dritten Abend fand sie in einer Hütte einen kleinen Knaben, der



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hatte einen halb goldenen, halb silbernen Reif um das Haupt, aber nur ein Auge. Sie fragte die Alte der Hütte, wo das andere Auge wäre. Da griff sie in die Tasche, zog es heraus, und sofort sprang es an seinen Platz. Beim Abschied schenkte die Alte ihr eine Nadel. Am andern Tage eröffnete ihr der Weiße Hund, daß sie die Ursache seines Unglücks sei. Die Verwünschungen, die auf ihm ruhten, wären aufgehoben worden, wenn sie die Kinder in seinem Hause geboren hätte. Von jetzt ab werde er nie mehr einen Blick auf sie werfen. Er trat in einen Erdhügel. Sie ergriff die Vorderseite seines Hemdes und ließ vier Blutstropfen darauf fallen. Dann schloß sich der Hügel hinter ihm; sie aber wurde in einen großen Stein verwandelt.

Nach neun Jahren kam sie wieder zu sich. Sie ging zu dem Hause des Mannes, der der Verwalter, der Hüter des Weißen Hundes gewesen war, und erfuhr von ihm, daß der Weiße Hund eine Hexe geheiratet habe. Da kam auch schon ein Mädchen, das trug ein Hemd mit vier Blutstropfen. Und es erzählte, die Hexe habe ihm befohlen, die Blutflecke auszuwaschen. Könne sie das nicht, so werde sie getötet werden, wie schon zweihundert andere Mädchen vor ihr von der Hexe gemordet worden seien.

Da legte die Königstochter ihre Hand auf das Hemd. Da verschwand das Blut!

Sie befahl aber dem Kind, zu sagen, daß eine Krähe vorbeigeflogen sei und aus dem Schnabel die Hand einer toten Frau habe herabfallen lassen auf das Hemd, und dadurch sei das Blut verschwunden. Als die Hexe das hörte, jubelte sie laut; denn sie meinte, die wahre Frau des Weißen Hundes sei tot, denn sie wußte, daß nur deren Hand solche Kraft haben konnte.

Am andern Morgen kam das Mädchen wieder zur Königstochter. Da steckte ihr diese den Kamm ins Haar. Wer aber den Kamm trug, hatte das schönste Haar der Welt. Das sah die Hexe wohl, und sie ließ nach dem Preise des Kammes fragen.

»Ich gebe ihr den Kamm, wenn ich eine Nacht beim Weißen Hund ruhen darf.«

Die Hexe bewilligte es und sprach: »Sie soll keinen Nutzen davon haben!«



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Die zweite Nacht erkaufte sie mit jener Schere. Was aber die Schere schnitt, das wurde Seide und Brokat. Und wieder sprach die Hexe: »Sie soll keinen Nutzen darvon haben!«

Die dritte Nacht erkaufte sie mit jener Nadel. Stach man aber die Nadel in ein Gewand, so ward es mit kleinen Sternen aus Silber und Gold überschüttet.

Am Abend, als der Weiße Hund von der Jagd kam, sprach sein Jäger zu ihm: »In den beiden letzten Nächten war ein Weib in unserem Schlafgemach, das erzählte Euch alles, was Ihr je erlebt hattet in Eurer Ehe. Ihr aber hörtet kein Wort; denn der Hexe Zaubertrank hielt Euch betäubt. Ich aber will Euch einen ledernen Schlauch machen, der rund um Euren Hals herum geht, und wenn sie Euch heute abend den Schlaftrunk reicht, so gießet ihn in jenen Schlauch! Dann stellt Euch schlafend und rührt Euch nicht!«

So geschah es. Die Hexe aber glaubte nicht, daß er getrunken habe und wirklich schliefe. Sie nahm ein Licht und hielt es an seine Fußsohlen und verbrannte sie bis auf den Knochen. Er aber rührte sich nicht!

Da glaubte sie, daß er fest betäubt sei, und ging hinaus. Der Weiße Hund und seine wahre Gemahlin aber erkannten einander und erzählten sich alles, was ihnen widerfahren war. Zuletzt sprach die Prinzessin:

»Am Fußende des Bettes liegt ein Ei. Triffst du die Hexe damit, so muß sie sterben!«

Und als die Hexe kam, schleuderte er das Ei gegen sie. Das tötete sie.

Da brach aber auch die Verzauberung, die auf dem Weißen Hunde lag. Und sie lebten fortan glücklich im Besitze aller Schätze der Hexe. Der Jägersmann aber erhielt die Hand von Maol-Charrach, ihrer ältesten Tochter.


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