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Märchen aus England Schottland und Irland


Illustrationen


von Antje Schönau

Märchen europäischer Völker


Der Pfeifer und der Puka

In alter Zeit lebte in Dünmor in Gaiway ein halb närrischer Mensch. Obwohl er sehr die Musik liebte, konnte er doch nichts weiter lernen als ein einziges Lied, und das war »Der schwarze Schurke«. Er bekam eine Menge Geld von den feinen Leuten geschenkt; denn die hatten ihren Spaß an ihm. Einmal, am Allerheiligenfest, am 1. November, kehrte der Dudelsackpfeifer von einem Tanzlokal heim und war halb betrunken. Als er auf eine kleine Brücke nahe beim Hause seiner Mutter kam, drückte er auf den Dudelsack und begann den »schwarzen Schurken« aufzuspielen.

Da schlich sich der Puka von hinten an ihn heran und warf ihn auf seinen Rücken. Lange Hörner hatte der Puka, und der Pfeifer hielt sich daran fest. Dabei schrie er: »Du verwünschtes garstiges Vieh! Laß mich heim! Ich habe zehn Penny für meine Mutter, und sie braucht ungeheuer viel Schnupftabak!«

»Ach was! Kümmere dich nicht um deine Mutter«, sprach der Puka, »sondern halte dich fest! Wenn du fällst, brichst du dir das Genick mitsamt dem Dudelsack.«

Alsdann sagte der Puka zu ihm: »Spiel mir das Lied auf: >Das arme alte Weib<.«

»Das kann ich nicht«, antwortete der Pfeifer.

»Laß dich das nicht kümmern, ob du's kannst«, versetzte der Puka.

»Spiel auf, ich will's dir schon beibringen!«

Der Pfeifer zog den Wind in seinen Dudelsack und machte eine Musik, die ihn selbst in Staunen setzte.

»Auf mein Wort! Du bist ein feiner Musiklehrer!« sagte der Pfeifer.

»Doch nun sag mal, wohin willst du mich eigentlich schleppen?«

»Im Feenhause oben auf Cruach Phadraic gibt's heute nacht ein Fest«, sprach der Puka, »und da soll ich dich hinbringen, um dort aufzuspielen. Ich gebe dir mein Wort darauf, du wirst belohnt für deine Mühe.«

»Auf mein Wort, du sparst mir eine Reise!« sagte der Dudelsack-1



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pfeifer. »Pater William erlegte mir eine Bußfahrt auf nach Patrics Hügel, weil ich ihm beim jüngstvergangenen Martinsfest einen weißen Gänserich stahl.«

Der Puka schleppte ihn über Berge und Moore, bis er mit ihm oben auf Patrics Hügel angelangt war. Dort nun stampfte der Puka dreimal mit dem Fuße auf, und es öffnete sich eine große Tür. Sie traten in ein schönes Zimmer. Mitten darin erblickte der Pfeifer einen goldenen Tisch, und darum saßen Hunderte von alten Weibern.

Als der Puka mit dem Dudelsackpfeifer eintrat, erhoben sich die alten Weiber und sagten:

»Sei hundertmal willkommen, Allerheiligen-Puka! Wen bringst du mit?«

»Den besten Dudelsackpfeifer von Irland!« sprach der Puka. Eins der alten Weiber stampfte auf die Erde. Da öffnete sich eine Tür in der Seitenwand. Wen sah der Pfeifer da herauskommen?

Es war der weiße Gänserich, den er vom Vater William gestohlen hatte!

»Bei meinem Gewissen!«sprach der Pfeifer. »Ich selber und meine Mutter, wir aßen jeden Bissen von jenem Gänserich dort auf, außer einem Flügel. Den gab ich der Roten Marie. Und sie hat's dem Priester erzählt, daß ich ihm den Gänserich stahl!«

Der Gänserich schob den Tisch fort, und der Puka sprach zum Pfeifer: »Nun spiele den edlen Damen auf zum Tanze!«

Der Pfeifer begann aufzuspielen, und die alten Weiber begannen zu tanzen, und sie tanzten, bis sie erschöpft waren.

Dann sprach der Puka: »Nun lohnt den Pfeifer ab!«

Jedes alte Weib zog ein Goldstück heraus und reichte es dem Dudelsackpfeifer.

»Beim Zahne des heiligen Patric!« sagte er. »Jetzt bin ich reich wie der Sohn des Gutsherrn!«

»Komm nur«, sprach der Puka. »Ich will dich heimschaffen.«

Sie gingen hinaus, und als er sich auf den Puka setzte, um zu reiten, kam der Gänserich an und gab ihm einen neuen Dudelsack.

Der Puka war nicht lange unterwegs, so langte er mit ihm in Dünmör an. Auf der kleinen Brücke setzte er den Pfeifer ab. Dann sagte



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er zu ihm: »Nun geh heim! Jetzt hast du zweierlei, was du vorher nicht besaßest: Verstand und Musik.«

Der Pfeifer kehrte nach Hause zurück, und indem er bei seiner Mutter an die Tür klopfte, rief er: Laß mich ein! Ich bin so reich wie der

Gutsherr! Und ich bin der beste Dudelsackpfeifer in Irland.«

»Betrunken bist du«, sagte die Mutter.

»Ganz wahrhaftig nicht!« erwiderte der Pfeifer. »Ich trank nicht einen Tropfen.«

Die Mutter ließ ihn herein, und er gab ihr die Goldstücke.

»Nun warte, bis du mich gehört hast, wie ich Musik mache«, sagte er.

Er blies den neuen Dudelsack auf. Aber statt Musik drang ein Gekreisch daraus, als ob sämtliche Gänse und Gänseriche von Irland zusammen spektakelten. Es jagte die Nachbarn aus dem Schlafe auf, und sie belustigten sich über ihn, bis daß er den alten Dudelsack ansetzte. Damit machte er ihnen liebliche Musik. Danach erzählte er ihnen alles, was er in jener Nacht erlebt hatte.

Als die Mutter am andern Morgen nach den Goldstücken guckte, war alles Gold nichts als Laub von Kräutern.

Der Pfeifer machte sich auf und ging zum Priester, um ihm alles zu erzählen. Aber der glaubte ihm kein Wort, bis er den Dudelsack ansetzte und das Gans- und Gänserichgekreisch anhub.

Da sprach der Priester: »Geh mir aus den Augen!« Aber er tat dem Pfeifer nichts weiter, und der setzte nun den alten Dudelsack an, um dem Priester zu beweisen, daß seine Geschichte wahr sei. Er blies den Dudelsack und machte eine liebliche Musik.

Von dem Tage an bis zu seinem Tode gab es im Bezirk Galway keinen so guten Dudelsackpfeifer wie ihn.


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