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Märchen aus England Schottland und Irland


Illustrationen


von Antje Schönau

Märchen europäischer Völker


Die ältesten Geschöpfe der Welt

In den Wäldern von Gwernabwy lebte einst ein Adler. Er und sein Weibchen hatten Nachkommen bis in das neunte Glied und noch darüberhinaus. Dann starb die alte Adlermutter und ließ den Adler als einsamen Witwer zurück ohne Trost und Freude für sein hohes Alter. Inder Trauer seines Herzens meinte er, es wäre hübsch, wenn er eine Witwe im gleichen Alter heiratete. Er hatte von der alten Eule von Cwm Cawlyd gehört und setzte es sich in den Kopf, sie zu seiner zweiten Frau zu machen. Doch wollte er zuvor Erkundigungen über sie einziehen, um sein Geschlecht nicht zu entwürdigen.

Er hatte in Gwent einen alten Freund, ihm an Jahren noch überlegen, den Hirsch von Rhedynfre. Zu dem ging er und fragte nach dem Alter der Eule. Der Hirsch antwortete ihm also: »Siehst du, mein Freund, diese Eiche, bei der ich liege? Jetzt ist sie nur noch ein verwitterter Stumpf ohne Blätter und Zweige, doch erinnere ich mich, sie noch als Eichel an der Krone des größten Baumes in diesem Forst gesehen zu haben. Eine Eiche braucht dreihundert Jahre zum Wachsen, dann lebt sie dreihundert Jahre in höchster Kraft und Blüte und endlich weitere dreihundert Jahre, um wieder zur Erde zurückzukehren. Mehr als sechzig Jahre des letzten Jahrhunderts dieses Baumes sind verstrichen, und die Eule ist eine alte Frau, solange ich mich ihrer erinnere. Auch von meiner Verwandtschaft kennt keiner ihr Alter. Doch habe ich einen Freund, den Lachs von Llyn Llifon, der ist viel älter als ich. Geh zu ihm und frage ihn, ob er irgend etwas vom Alter und der Geschichte der Eule weiß.«

Der Adler ging nun zum Lachs, der ihm also antwortete: »Ich zähle so viele Jahre auf meinem Haupt, wie ich Schuppen auf der Haut oder Eier in meinem Rogen habe, aber die Eule war schon alt, als ich sie kennenlernte. Doch habe ich eine viel ältere Freundin, die Wasseramsel von Cilgwri. Vielleicht weiß sie mehr als ich über die Eule.«

Der Adler ging und fand die Wasseramsel auf einem harten Kiesel sitzen. Er fragte sie, ob sie nichts über das Alter und die Geschichte der Eule wisse. Die Amsel antwortete: »Siehst du diesen Kiesel, auf



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dem ich sitze? Einst war er so groß, daß dreihundert Paar Ochsen erst ihn hätten fortbewegen können, und es ist ihm weiter nichts geschehen, als daß ich jeden Abend vor dem Schlafengehen meinen Schnabel daran gewetzt und morgens beim Erwachen mit der Spitze meines Flügels daran gestreift. Doch habe ich die Eule niemals jünger oder älter gekannt als am heutigen Tage. Ich habe aber einen viel älteren Freund, die Kröte von Cors Fochno. Geh zu ihr und frage sie, ob sie über Alter und Geschichte der Eule etwas weiß.«

Der Adler ging nun zu der Kröte, die ihm also antwortete: »Niemals esse ich andere Kost als den Staub der Erde, und niemals esse ich auch nur halb genug, um mich zu sättigen. Siehst du die großen Berge um diesen Sumpf? Ich habe den Platz, wo sie sich erheben, noch als ebene Erde gesehen. Soviel Erde sie enthalten, habe ich gegessen, obgleich ich schon wenig genug esse, damit ich nicht die ganze Erde noch vor meinem Tode aufgefressen habe. Doch niemals habe ich die Eule anders gekannt als eine alte graue Hexe, die in den langen Winternächten in den Wäldern ihr >Schuh-hu< ertönen läßt und bis zum heutigen Tage Kinder mit ihrer Stimme erschreckt.«

Da sah der Adler, daß er sie freien könne, ohne Schande oder Schmach über seine Sippe zu bringen. Und so wurde durch die Werbung des Adlers überall bekannt, welches die ältesten Geschöpfe der Welt waren. Es sind: der Adler von Gwernabwy, der Hirsch von Rhedynfre, der Lachs von Llyn Llifon, die Amsel von Cilgwri, die Kröte von Cors Fochno und die Eule von Cwm Cawlyd, und von allen ist die Eule am ältesten.


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