Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

I. BAND


WEISHEIT

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



Atlantis Bd_01-0004 Flip arpa

EINBANDZEICHNUNG VON VON F. H. EMCKE

a) Aini, Lehrzeit, Lehrling-"Achfad"

Zwei Burschen waren miteinander sehr befreundet, sie wohnten aber nicht in dem gleichen Dorfe, sondern in zwei verschiedenen, die weit voneinander entfernt lagen. Der eine, Ahmar, sagte eines Tages zu dem anderen: "Wir wollen doch nicht mehr so weite Wege machen, wenn einer von uns dem anderen einmal etwas zu sagen hat. Wir wollen in das gleiche Dorf ziehen." Der andere war einverstanden. Als die beiden Burschen heirateten, sagte Ahmar:



Atlantis Bd_01-134 Flip arpa

"Wenn der eine von uns eine Tochter, der andere aber einen Jungen hat, dann sollen unsere Kinder sich heiraten." Der andere war einverstanden.

Als sie nun einige Monate miteinander im gleichen Dorfe gewohnt hatten, war es dem Ahmar leid geworden, daß er mit dem anderen das Abkommen der Verehelichung ihrer Kinder getroffen habe. Als dem anderen nun also einige Zeit darauf ein Sohn, ihm aber ganz kurze Zeit darauf eine Tochter geboren wurde, da sagte er: "Meine Frau hat geboren. Ihr Kind soll Aini heißen. Aini ist ein Junge und kein Mädchen." Darauf ließ der Vater den Aini in Jungenkleidern gehen, so daß alle Welt glaubte, Aini sei ein Junge.

Aini und der Sohn des anderen freundeten sich aber von Kindheit auf an. Der Knabe und Aini trafen sich am Morgen bis zum Abend. Sie spielten zusammen. Sie aßen zusammen. Der Knabe wußte stets, wo Aini war, und Aini wußte stets, wo der Knabe war. Das nahm so seinen Fortgang, bis sie beide begannen heranzuwachsen.

Aini war ein recht großes Mädchen. Der Bursche spielte mit Aini. Eines griff das andere. Der Bursche packte Aini um die Schultern, auf die Brust. Der Bursche sagte: "Aini, weshalb hast du eine so hohe Brust? Aini, sieh, meine Brust ist ganz flach." Aini sagte: "Ich weiß es nicht, laß das!" Eine alte Frau kam vorbei. Sie lachte und sagte zum Burschen: "Dein Freund ist eben ein Mädchen." Aini ging fort. Der Bursche folgte ihr. Aini ging in den Wald. Aini weinte. Aini setzte sich auf einen Baumstamm. Der Bursche setzte sich neben Aini. Sie sprachen miteinander. Sie schworen, sich einander später zu heiraten. Von dem Tage an spielten Aini und der Bursche nicht mehr miteinander. Aini und der Bursche vermieden es, sich in Gegenwart anderer zu treffen. Die Leute sahen das.

Die Leute kamen zu Amis Vater und sagten: "Höre, dein Sohn Aini ist nicht mehr so vergnügt wie früher. Aini drückt sich mit seinem Freunde immer in den Winkeln umher. Die beiden Freunde sind so wie ein Bursch und ein Mädchen, die sich heiraten wollen." Ahmar sagte bei sich: "Hooo! also so geht diese Freundschaft! Da will ich eine Änderung treffen." Und Ahmar nahm Aini in eine Kammer und gab Aini Beschäftigung in der Kammer und erlaubte Aini nicht mehr, das Gehöft zu verlassen. Aini saß nun also immer daheim, und wenn der Bursche, Amis Freund, an das Gehöft klopfte und fragte, ob er Aini nicht sprechen oder sehen könnte, wurde ihm stets gesagt: "Aini ist zu beschäftigt."

Der Bursche ging aber abends um das Gehöft und horchte an den



Atlantis Bd_01-135 Flip arpa

Mauern, um zu hören, in welcher Kammer Aini lebte. Nach kurzer Zeit wußte er, wo Aini wohnte, und als alle schliefen, warf er Steine in das Fenster. Ein Stein traf Aini. Aini erhob sich, sah zum Fenster heraus und erkannte den Burschen. Aini sprach mit dem Burschen. So sprachen sich Aini und der Bursche viele Tage lang jeden Abend, ohne daß die Eltern Amis es gewahr wurden. Der Bursche sah aber, daß er auf diesem Wege Aini nicht zur Frau gewinnen würde.

Eines Abends kam der Bursche wieder an Amis Fenster. Er warf ein Steinchen herein, und Aini kam an das Fenster. Der Bursche sagte: "Aini, ich will heute Abschied nehmen. Ich will von dannen gehen und sehen, ob ich es an einem anderen Orte zu etwas bringen kann, um dich nachher zur Frau gewinnen zu können. Wenn ich etwas Großes bringen kann (soll heißen eine hohe Brautgabe), dann wird dein Vater dich mir geben." Aini sagte: "So glaube ich, wird es werden." Der Bursche sagte: "Ich schwöre aber, daß wenn du stirbst, dann will ich auch sterben, und nun schwöre du mir, daß, wenn ich sterbe, du auch sterben willst. Wir wollen nur eines mit dem andern leben. Willst du mir das schwören ?" Aini schwor. Aini und der Bursche nahmen Abschied.

Der Bursche ging am anderen Tage von dannen. Er ging so seiner Wege dahin; da traf er einen alten Mann. Der alte Mann fragte den Burschen: "Wo gehst du hin?" Der Bursche sagte: "Ich gehe dahin, wo ich Brot finde." Der Alte sagte: "Dann komm mit zu mir. Ich will dein Vater sein. Sei du mein Sohn." Der Bursche war einverstanden. Er zog zu dem älteren Manne. Der alte Mann war sehr freundlich zu ihm. Sprach mit ihm, aß mit ihm, sorgte für ihn. Eines Tages nun aber kam der Alte dazu, wie der Bursche mit den anderen Burschen des Dorfes spielte. Er hörte, wie der Bursche "Aini" rief. (Dieser Ausruf eines Frauen- oder Mädchennamens ist eine Berbersitte. Beim Spiel, bei der Arbeit ruft der Mann oder Bursch den Namen seiner Frau oder seines Mädchens aus, gewissermaßen als Zeichen, unter dem er spielt, arbeitet, kämpft. Es ist der Name seiner "Dame", den er ruft.) Nun hatte der Alte vor einigen Jahren aber wieder geheiratet, und seine junge Frau hieß Aini. Als der Alte nun hörte, daß der Bursche "Aini" rief, glaubte er, damit meine er seine eigene junge Frau.

Da wurde der Alte mißtrauisch. Er war nun nicht mehr freundlich zu dem Burschen und sprach nun überhaupt nicht mehr mit ihm. Er ließ den Burschen seine Wege gehen. Der Bursche sagte bei sich: "Es ist hier nicht mehr wie früher, ich will weitergehen und werde



Atlantis Bd_01-136 Flip arpa

es an einem anderen Orte versuchen. Vorher will ich aber noch einmal zum Dorfe meines Vaters gehen und sehen, wie es Aini geht."

Der Bursche ging zu dem Alten und sagte: "Ich möchte morgen einmal in das Dorf meines Vaters gehen und sehen, wie es da steht." Der Alte sagte: "Ich werde dich begleiten, denn ich will dort Öl einkaufen." Sie machten sich gemeinsam auf den Weg. Als sie nahe dem Dorfe des Burschen waren, kamen sie über den Kirchhof. Sie sahen da ein neu errichtetes Grab. Der Alte fragte einen Hirten, der am Kirchhof seine Herde weidete: "Wer ist hier begraben?" Der Hirt sagte: "Sie haben hier soeben das Mädchen Aini begraben, das gestern gestorben ist."

Der Bursche sagte bei sich: "Nun ist also Aini gestorben und begraben. Nun will ich auch sterben." Der Bursche sagte zudem Alten: "In unserem Lande begraben sie die Toten anders als in eurem. Ich will es dir zeigen. Komm, wir wollen einmal die Steinplatten aufheben." Der Bursche hob die Steinplatten auf. Aini lag tot in der Grube. Der Bursche sagte: "Nun bist du tot, Aini; ich werde aber kommen." Der Bursche legte sich zu der toten Aini in die Grube und sagte zu dem Alten: "Nun decke die Platten wieder über das Grab. Gehe dann hin und kaufe dein Öl ein. Kehre du dann heim zu deiner Aini. Ich aber werde hierbleiben bei meiner Aini." Da deckte der Alte das Grab zu und ging in den Ort, um Öl einzukaufen.

Am Tage, nachdem Aini begraben war, kam Asrain (der Richtengel s. S. 98ff.), um über die verstorbene Aini zu richten. Als er an das Grab Amis kam, fand er aber neben der toten Aini den lebenden Burschen. Da sagte Asrain zu dem Burschen: "Was tust du neben der toten Aini? Du lebst! Mit dir habe ich nichts zu tun. Geh von der toten Aini und aus dem Grabe." Der Bursche sagte: "Es ist mir alles gleich. Aini ist gestorben. Nun will ich auch sterben. Ich bleibe hier im Grabe bei Aini."

Asrain kehrte um und ging zu Gott. Asrain sagte: "Etwas Derartiges ist mir noch nicht vorgekommen. Ich ging hin, um die tote Aini aufzusuchen, und fand neben der toten Aini einen lebenden Burschen, und der Bursche sagte, Aini sei gestorben, nun wolle er auch sterben. Der Bursche will das Grab nicht verlassen." Gott hörte es und sagte zu Asrain und dem Burschen: "Dieser Bursche hatte noch vierzig Jahre zu leben. Wenn er nun hiervon Aini die Hälfte abgeben will, so wird er nur noch zwanzig Jahre leben, aber Aini wird auch noch zwanzig Jahre leben." — Der Bursche lachte im



Atlantis Bd_01-137 Flip arpa

Grabe. Aini schlug die Augen auf. Aini sah den Burschen neben sich. Aini sagte: "Ich danke dir!"

Am anderen Tage kam der Alte vom Ölkaufe zurück. Er sagte, als er in die Nähe des Grabes kam: "Ich möchte doch wissen, ob der Bursche, der sich zu der toten Aini ins Grab gelegt hat, noch lebt, oder ob er auch gestorben ist." Er ging zu dem Grabe, legte sein Ohr an die Platten und horchte. Da hörte er, daß der Bursche mit Aini sprach. Der Alte sagte: "Sie leben beide." Der Alte nahm die Steinplatten auf. Aini und der Bursche lachten. Aini und der Bursche stiegen aus dem Grabe, dankten dem Alten und verabschiedeten sich von ihm. Aini und der Bursche gingen von dannen. —

Der Bursche sagte: "Aini, wir wollen weitab von den anderen Menschen im Walde uns ein Haus bauen und da die zwanzig Jahre, die uns zu leben erlaubt sind, verbringen." Aini war einverstanden. Der Bursche baute im Walde ein Haus, das war stark und fest und hatte sieben Türen, so daß von außen niemand hereinkam, wenn es zugeschlossen war. In dem Hause wohnte der Bursche mit Aini. Tagsüber ging der Bursche auf die Jagd und schloß stets die sieben Türen ab. Aini konnte dann nicht aus dem Hause heraus, und es konnte außer dem Burschen, der den Schlüssel hatte, auch niemand in das Haus herein. Aini saß dann aber am Fenster und blickte in den Wald oder zum Himmel empor.

Eines Tages kamen zwei Jäger, die der Agelith der benachbarten Ortschaft täglich zur Jagd sandte, an dem Hause der Aini vorbei. Sie sahen zum Fenster empor und sahen Aini. Sie blieben stehen und betrachteten Aini. Aini war so schön, daß die Jäger sich von dem Anblick nicht trennen konnten. Sie gingen nicht weiter zur Jagd, sondern blieben bis zum Abend stehen und betrachteten Aini. Erst abends kehrten sie in das Dorf des Agelith zurück. Der Agelith fragte die Jäger: "Weshalb kommt ihr heute ohne Jagdbeute zurück?" Die Jäger sagten: "Wir kamen im Walde an einem Hause vorbei. Eine Frau sah zum Fenster heraus, die war so schön, daß wir uns nicht entfernen konnten, sondern sie immer anschauen mußten. Keiner von uns beiden hätte vorher geglaubt, daß es etwas so Schönes auf der Erde gibt. Auch du, Agelith, hast nie etwas so Schönes gesehen." Der Agelith sagte: "Ich werde morgen mit euch gehen und sehen, ob ihr die Wahrheit gesprochen habt. Dann will ich euch verzeihen, daß ihr heute so lässig wart."

Am anderen Tage ließ der Agelith sich von den Jägern den Weg



Atlantis Bd_01-138 Flip arpa

zu dem Hause Amis zeigen. Der Agelith kam zum Hause Amis. Aini sah zum Fenster hinaus. Aini sah, daß der Agelith ein sehr schöner Mann war. Der Agelith sah Aini und blieb stumm. Er schaute Aini an und konnte nichts sagen. Er blieb bis zum Abend stehen. Als es Abend war, sagte Aini: "Mein Mann wird sogleich von der Jagd nach Hause zurückkehren. Wenn er dich trifft, wird er dich töten." Der Agelith sagte: "Kann ich dich nicht einmal besuchen ?" Aini sagte: "Mein Mann schließt das Haus jeden Tag mit den Schlössern an den sieben Türen ab; es kann daher niemand hinein. Geh aber, mein Mann wird sogleich kommen." Der Agelith ging.

Der Agelith rief am anderen Tage alle Männer seines Dorfes zusammen und sagte: "Grabt mir ein Loch und einen Gang in dieser Richtung." Der Aglith ließ vom Boden seiner Kammer aus einen Gang graben, der bis unter die Kammer Amis unter dem Hause im Walde führte. Als der Bursche eines Morgens in den Wald zur Jagd gegangen war und die sieben Schlösser an den sieben Türen hinter sich abgeschlossen hatte, kam der Agelith durch den Gang und trat in die Kammer Amis. Aini erschrak und fragte: "Weshalb bist du gekommen?" Der Agelith sagte: "Deine schöne Gestalt hat mich hierher geführt." Aini sagte nichts mehr. Aini sah wieder, daß der Agelith ein schöner, starker Mann war. Der Agelith führte Aini zu ihrem Lager. Der Agelith legte sie nieder. Aini sagte nichts. Der Agelith beschlief Aini. Aini sagte nichts. Der Agelith lag ihr mehrmals bei. Aini sagte: "Nun geh, denn mein Mann kommt bald wieder. Schließe Freundschaft mit meinem Manne." Der Agelith ging.

Am anderen Tage begab sich der Agelith auf die Jagd. Der Agelith traf den Burschen und sah ihm eine Weile zu. Dann sagte er: "Du scheinst die Jagd ausgezeichnet zu können."Der Bursche sagte: "Ich verstehe einiges davon." Der Agelith sagte: "Lehre mich die Jagd. Alles was ich so erlege, soll dein sein." Der Bursche jagte mit dem Agelith den Tag über. Sie gewannen viel Beute. Der Agelith gab seinen Anteil dem Burschen. Der Bursche kehrte mit reicher Beute heim. Aini sah, daß ihr Mann mehr Beute heimbrachte als sonst und fragte: "Woher kommt es, daß du heute so großen Erfolg hast?" Der Bursche sagte: "Unterwegs traf ich einen Agelith, mit dem jagte ich. Ich zeigte ihm alles. Da ließ er mir seinen Anteil an der Beute." Aini sagte: "Das ist ein guter Verkehr für dich. Diesen Umgang solltest du pflegen."



Atlantis Bd_01-139 Flip arpa

Der Bursche traf an einem anderen Tage den Agelith wieder im Walde. Der Agelith sagte: "Wir wollen heute einmal nicht jagen. Komm zu mir in mein Dorf und in mein Haus. Wir wollen zusammen spielen." Der Bursche war einverstanden. Der Agelith führte den Burschen in seine Kammer und spielte mit dem Burschen Jammut (Dame). Der Bursche paßte gut auf. Der Agelith verlor im Anfange des Spiels. Der Agelith verlor weiterhin noch mehr. Der Agelith verlor alles, was er besaß. Es blieb dem Agelith nichts übrig. Der Bursche ging wieder nach Hause.

Als der Bursche am anderen Tage zur Jagd gegangen war, kam der Agelith durch den Gang unter der Erde zu Aini und sagte: "Ich habe gestern mein ganzes Vermögen an deinen Mann im Jammutspiel verloren." Aini sagte: "Ich werde es einrichten, daß du alles wiedergewinnst. Lade dir meinen Mann morgen noch einmal zum Spielen ein." Der Agelith sagte: "So werde ich all das Meine verlieren." Aini sagte: "Das soll meine Sache sein."

Am anderen Morgen traf der Agelith wieder den Burschen im Walde. Der Agelith sagte: "Komm noch einmal mit zu mir. Ich habe noch einiges zum Spielen." Der Bursche sagte: "Warte, ich will nur schnell meine Waffen nach Hause tragen, dann komme ich." Der Bursche ging nach Hause, schloß das Haus auf, ging hinein, hängte die Waffen an den Haken an der Wand und ging. Er schloß die sieben Türen, kehrte zu dem Platze im Walde zurück, an dem er den Agelith zurückgelassen hatte, und sagte: "Ich bin bereit. Wir können zu dir gehen und wieder Jammut spielen." Der Agelith und der Bursche machten sich auf den Weg in das Dorf.

Als der Bursche die sieben Türen von draußen abgeschlossen hatte, um den Agelith im Walde wieder zu treffen, ergriff Aini die Waffen, die der Gatte eben an die Wand gehängt hatte, nahm sie herab und rannte mit ihnen durch den Gang von dannen. Sie kam durch den Gang in die Kammer des Agelith. Sie hängte die Waffen an die Wand, und zwar gerade gegenüber dem Platze, an dem der Gast sitzen mußte, also im Rücken des Platzes des Agelith. Dann lief Aini wieder von dannen.

Nachdem Aini einige Zeit fort war, kam der Agelith mit dem Burschen vom Walde her in seinem Dorfe an. Der Agelith fürte den Burschen in seine Kammer und sagte: "Setze dich nieder, ich werde das Jammut holen." Der Bursche setzte sich. Er sah auf. Er sah zu der Wand, die ihm gegenüber war. Er sagte bei sich: "Das sind doch meine Waffen!" Er sagte bei sich: "Das können ja nicht meine



Atlantis Bd_01-140 Flip arpa

Waffen sein, denn meine Waffen habe ich eben bei mir zu Hause an die Wand gehängt, und dann habe ich die sieben Türen hinter mir verschlossen. Die Schlüssel habe ich aber bei mir in der Tasche. Es können nicht meine Waffen sein!" Der Agelith kam zurück.

Der Agelith sagte: "Hier ist das Jammut. Nun wollen wir spielen." Der Agelith spielte. Der Bursche spielte. Der Bursche dachte aber nicht an das Spiel. Der Bursche dachte: "Das sind doch meine Waffen. Das können nicht meine Sachen sein." Der Bursche spielte schlecht. Der Bursche sah nach der Wand. Er sah nach den Waffen. Der Bursche verlor mehr und mehr. Er dachte immer: "Das sind meine Waffen! Das können nicht meine Sachen sein." Der Bursche verlor alles, was er gestern dem Agelith abgewonnen hatte. Der Bursche stand auf und ging. Er machte sich auf den Heimweg durch den Wald.

Als der Bursche weggegangen war, kam Aini durch den Gang, nahm die Waffen von der Wand und trug sie in ihr Haus, das durch sieben Schlösser an sieben Türen geschlossen war. Aini hing die Waffen zu Hause so an die Wand, wie der Bursche sie hingehängt hatte, ehe er zu dem Agelith zum Spielen ging. Nach einiger Zeit kam der Bursche zu seinem Hause. Er öffnete die sieben Schlösser an den sieben Türen und trat hinein. Er schaute an die Wand, dahin, wo er heute Morgen seine Waffen aufgehängt hatte, und sah, daß sie noch ebenso dort hingen. Der Bursche schlug sich vor die Stirn und sagte: "Ich war ein Narr! Ich war ein Narr!" Aini fragte: "Was hast du, was ist dir? Wo warst du ?" Der Bursche sagte: "Ich war bei dem Agelith und spielte mit ihm Jammut. Es hingen da Waffen an der Wand, die sahen aus wie die meinigen. Da dachte ich immer an die Waffen und nicht an das Spiel. So kam es, daß ich alles, was ich dem Agelith gestern im Spiele abgewonnen habe, heute wieder an ihn verloren habe."

Aini sagte: "Dann mußt du eben morgen noch einmal mit dem Agelith spielen und mußt sehen, ob du das heute Verlorene nicht noch einmal wiedergewinnen kannst. Denke nur morgen nicht an deine Sachen und nicht an mich. Denke immer nur an das Spiel. Dann wirst du schon gewinnen." Der Bursche sagte: "Du hast recht. Ich werde es versuchen." Am andern Morgen ging er in den Wald, dahin, wo er den Agelith traf, und sagte: "Wollen wir heute jagen oder spielen ?" Der Agelith sagte: "Mir ist es gleich." Der Bursche sagte: "Dann wollen wir heute noch einmal spielen.



Atlantis Bd_01-141 Flip arpa

Warte, ich trage meine Waffen schnell nach Hause und komme dann wieder hierher."

Der Bursche lief nach Hause, hing seine Waffen an die Wand, sagte Aini Lebewohl und verschloß, herausgehend, die Türen eine nach der anderen, hinter sich. Dann ging er in den Wald, holte am Treffpunkt seinen Freund, den Agelith, ab und ging mit ihm in sein Dorf und in seine Kammer. Der Agelith sagte: "Setze dich, ich gehe und hole das Jammut." Der Agelith ging. Der Bursche schaute sich im Zimmer um. Es war nichts da, was ihn störte. Der Bursche sagte: "Heute werde ich an nichts anderes denken als an das Spiel. Ich will heute dem Agelith alles Seine abgewinnen."

Der Agelith kam mit dem Jammut. Er setzte sich. Sie begannen zu spielen. Der Bursche dachte nur an das Spiel. Der Bursche gewann. Er hatte schon einen Teil des Besitzes des Agelith wiedergewonnen, als Aini durch den Gang aus ihrem Hause kam. Sie trat in die Kammer, in der der Agelith mit ihrem Manne spielte. Sie setzte schweigend den Tee zwischen beide Männer und ging wieder hinaus. Dann eilte sie durch den Gang wieder in ihr eigenes durch sieben Schlösser an sieben Türen verschlossenes Haus. Der Schatten Amis fiel, als sie den Tee niedersetzte, auf die Hände des Burschen. Er schlug die Augen auf und sah Aini. Er sagte bei sich: "Es ist nicht möglich." Er sagte bei sich: "Es muß Aini gewesen sein." Er blickte auf. Aini war wieder gegangen. Der Bursche dachte: "Das muß Aini gewesen sein. Ich habe sie doch aber in dem Hause mit den sieben Schlössern an den sieben Türen eingeschlossen gehalten. Nein, es kann doch nicht Aini gewesen sein." Der Bursche dachte nicht mehr an das Spiel. Der Agelith begann mehr und mehr zurückzugewinnen. Der Bursche dachte nur noch: "War das Aini, oder war das nicht Aini?" Er dachte nicht mehr an das Spiel. Der Agelith gewann alles Seine zurück. Er begann dem Burschen das abzugewinnen, was diesem gehörte. Der Bursche dachte aber nicht an das Spiel, er dachte nur: "War das Aini, oder war das nicht Aini?" Der Bursche verlor alles, was ihm gehörte. Es blieb ihm nichts mehr, und der Agelith hatte nun nicht nur das Seine gerettet, sondern das Vermögen des Burschen dazugewonnen. Der Bursche ging. Der Bursche lief aus dem Dorfe nach Hause. Der Bursche besah die Schlösser an den sieben Türen. Sie waren alle gut verschlossen. Der Bursche betrat das Haus. Er sah Aini, die auf ihrem Lager ausgestreckt war. Er schlug sich vor die Stirn und sagte: "Du Narr, du Narr, du Narr!"



Atlantis Bd_01-142 Flip arpa

Aini fragte: "Was hast du? Hast du das Vermögen des Agelith zurückgewonnen?" Der Bursche sagte: "Nein, ich habe es nicht zurückgewonnen. Ich bildete mir ein, dich im Hause des Agelith zu sehen, und ich dachte nur noch, ob du dort sein könntest oder nicht, und so verlor ich nicht nur das, was ich dem Agelith schon wieder abgenommen hatte, sondern ich verlor noch mein ganzes Vermögen dazu." Aini sagte: "So besitzt der Agelith nun dein und sein Vermögen?" Der Bursche sagte: "So ist es." Aini sagte: "Du hast verspielt."

Am anderen Tage ging der Bursche zur Jagd. Kaum war er fortgegangen und hatte die Türen abgeschlossen, so kam der Agelith durch den Gang zu Aini. Aini sagte: "Du hast nun meinem Mann alles abgewonnen und bist nun wohlhabender als früher ?" Der Agelith sagte: "So ist es." Der Agelith sagte zu Aini: "Komm mit mir. Dein Mann hat nun nichts mehr. Komm als meine Frau mit zu mir." Aini ging mit dem Agelith. Der Agelith brachte Aini in sein Haus.

Der Bursche kam am Abend von der Jagd zurück. Er öffnete die Türen und rief: "Aini!" Aini antwortete nicht. Er rief nochmals und nochmals. Der Bursche suchte Aini im ganzen Hause. Er fand Aini nicht. Er setzte sich auf Amis Lager und sagte: "Das hat der Agelith getan. Aini ist zu ihm gegangen." Der Bursche dachte nach. Der Bursche sagte: "Ich habe ihr zwanzig Jahre meines Lebens gegeben. Ich werde sie ihr wieder nehmen."

Der Bursche schloß sich ein. Er blieb vierzig Tage eingeschlossen. Während vierzig Tagen kam er nicht aus seinem Hause. Vierzig Tage lang sah er nicht die Sonne. Vierzig Tage lang aß er nichts und trank er nichts. Nach diesen vierzig Tagen erkannte niemand ihn wieder. Er war ganz mager. Die Augen waren leer. Er ging gebückt. Er sah aus wie ein Toter. Er sah nicht mehr aus wie ein Lebender. Nach vierzig Tagen kam der Bursche aber aus dem Hause. Er öffnete die sieben Türen, trat vor sein Haus und sagte: "Ich werde mir die zwanzig Jahre wiedergeben lassen, und es soll kein Jahr vergehen, ohne daß ich mich nicht sattgegessen hätte an den besten Gerichten, die Gott der Erde gegeben hat. Es scheint so, daß Gott seine besten Gerichte nicht dem Ehrlichen gibt, sondern den Klugen. Da mich Gott aber nicht dumm gemacht hat, sondern klug, so darf ich meinen Löffel so gut in die besten Gerichte stecken wie andere."

Der Bursche sah so elend aus, daß niemand ihn wiedererkannte. Der Bursche kam zu dem Agelith. Der Agelith erkannte ihn auch



Atlantis Bd_01-143 Flip arpa

nicht wieder. Der Bursche sagte: "Darf ich bei dir arbeiten?" Der Agelith sagte: "Du wirst zu schwach sein zur Arbeit." Der Bursche sagte: "Ich war nur krank. Laß mich nur einige Zeit arbeiten und mich sattessen, dann wird mein Zustand sich ändern." Der Agelith stellte den Burschen an. Der Bursche arbeitete und nährte sich. Nach einiger Zeit sah er schon besser aus.

Der Bursche arbeitete einen Monat lang bei dem Agelith. Da sah er frischer und stärker und schöner aus als früher. Alle Frauen und Mädchen sahen ihm nach. Er arbeitete dann noch einen Monat und sättigte sich und ward so schön und stark, daß niemals vorher ein so schöner und starker junger Mann auf der Erde gewesen war.

Die Mutter des Agelith kam zu dem Burschen auf den Acker und sagte: "Mein Bursche, besuche mich heute nacht auf meinem Lager!" Der Bursche sagte: "Ich will das schon ganz gerne tun. Ich fürchte mich nur vor dem Agelith! Dein Sohn wird es merken, und er wird mich töten. Ja, wenn dein Sohn tot wäre, dann könnte ich dich ja überhaupt heiraten." Die Mutter des Agelith sagte: "Dann hätte ich dich für immer." Der Bursche sagte: "Ja, dann hättest du mich für immer." Die Mutter des Agelith sagte: "Ich werde dann meinen Sohn gleich heute abend mit dem Abendessen vergiften. Iß du also von dem Brei nicht!"

Abends saß der Bursche beim Agelith. Das Essen wurde hereingebracht. Der Agelith nahm seinen Löffel und schöpfte aus dem Brei. Der Agelith wollte den Löffel zum Munde führen. Der Bursche hielt seinen Arm fest und sagte: "Warte, iß dies noch nicht. Rufe erst deinen Hund und gib diesen Brocken deinem Hunde." Der Agelith tat es. Der Hund fraß und starb auf der Stelle. Der Agelith erschrak und sagte: "Wie ist das denkbar? Meine Mutter macht doch selbst meine Speisen!" Der Bursche sagte: "Warte, ich habe zuerst gelernt, jetzt lerne du zu zweit. Weißt du, wer ich bin ?" Der Agelith sagte: "Was soll das? Du bist mein Arbeiter." — Der Bursche schüttelte den Kopf.

Der Bursche sagte: "Du irrst dich. Ich bin nicht dein Arbeiter, sondern ich bin dein Lehrer, und außerdem bin ich der Mann der Aini." Der Agelith wollte aufspringen und seine Waffen holen. Der Bursche sagte: "Laß das. Hätte ich mich an dir für den Raub der Aini rächen wollen, so hätte ich dich doch nur die vergiftete Speise, die deine Mutter bereitet hat, um dich zu töten und mich nachher heiraten zu können, essen zu lassen brauchen. Ich habe das aber nicht getan. Ich will mich nicht rächen. Ich will auch deine Mutter



Atlantis Bd_01-144 Flip arpa

nicht heiraten. Ich will nur die Jahre zurückerstattet haben, die ich Aini geschenkt habe. Ich verlange Aini von dir. Ich will dich aber nicht töten. Du hast nun das gleiche erlebt mit deiner Mutter, was ich mit Aini erlebt habe. Gib mir beide Frauen. Ich will sie verbrennen." —

Der Agelith gab dem Burschen Aini. Er gab ihm seine Mutter. Der Bursche entzündete ein großes Feuer. Der Bursche sagte zu Aini: "Ich habe dir, als du gestorben warst, die Hälfte meines Lebens, ich habe dir zwanzig Jahre gegeben. Als Dank dafür bist du von mir gelaufen und zu dem gegangen, der reich und Agelith war, während ich nur noch ein armer Jäger war. Du hast die zwanzig Jahre, die ich dir geschenkt habe, nicht so verwendet, wie wir beide es uns seinerzeit zugeschworen haben. Deshalb verlange ich von dir jetzt die zwanzig Jahre zurück. Das ist alles." Der Bursche verbrannte Aini und die Mutter des Agelith.

Dann ging der Bursche in ein anderes Land.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt