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Märchen aus Frankreich den Niederlanden und der Schweiz

Märchen europäischer Völker


Das Märchen von Cuonz und Cuonzessa

Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die zuoberst im Carlihof wohnten. Der Mann hieß Cuonz, und die Frau nannte man die Cuonzessa. Das waren brave Leute. Der Mann war Holzfäller und verdiente schlecht und recht sein Brot, indem er für die Bevölkerung von Pontresina das Holz rüstete. Und die Frau -Kinder hatten sie keine - nähte und besorgte die häuslichen Arbeiten. Sie war eine gute Frau, nur daß sie dumm und sehr eitel war. Und wenn dann so ein Hausdiener ins Haus kam -damals gab es noch nicht so viele Geschäfte, und die Krämer zogen von Haus zu Haus, um ihre Waren zu verkaufen, wie Tücher, Leinen, Spitzen und Bänder -, und wenn so ein Hausierer kam, so konnte sie sich nicht enthalten, einen Haufen solcher Sachen zu kaufen, ohne Bedürfnis und Nutzen. Dadurch aber brauchte sie vorweg alles, was der Mann verdiente, so daß häufig für die notwendigsten Bedürfnisse, wie Brot und Fleisch und solche Sachen, keine Mittel mehr vorhanden waren.

Der arme Mann war dadurch ganz verzagt und wußte in seiner Verzweiflung nicht was anfangen. Eines Tages, da die Frau wiederum den



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letzten Rappen für solche Dinge ausgegeben hatte und nichts mehr da war, um das Brot zu kaufen, wurde der Mann zornig und sagte zu ihr —obschon er sie liebte und sie gut miteinander auskamen, so hatte er an diesem Tage doch die Geduld verloren -, (und meinte): »Höre mal, Frau, von heute ab gebe ich dir nicht einen Rappen mehr in die Hand. Die notwendigen Dinge, Brot und Käse und anderes mehr kaufe ich. Du sagst mir, was wir benötigen, aber das Geld gebe ich dir nicht mehr, sonst können wir eines Tages am Daumen lutschen und Hunger leiden. «

Und in der Tat machte er es so. Aber er wußte halt nicht, wohin mit dem Geld. Er hatte ein einfaches Haus und hatte keine Möglichkeit, das Geld, das er verdiente, so zu versorgen, daß es die Frau nicht gefunden hätte. Und so kam er auf den Einfall, sein Geld in einem alten Holzstrunk zu verstecken, in einem alten Holzstrunk, der schon seit Jahren im Hof in einer Ecke stand und den niemand beachtete. Er hoffte, daß seine Frau nicht darauf käme, daß er das Geld dorthin bringe. So verging eine geraume Zeit. Der Mann verdiente ganz schön und hatte bereits einen schönen Posten Geld in den Baumstrunk gelegt und war ganz glücklich bei dem Gedanken, nun etwas beiseite gelegt zu haben für Tage der Krankheit oder für andere besondere Ereignisse.

Eines Tages nun - wer erschien wieder im Hause? Wieder kam so ein verfluchter (rom: gesegneter) Hausierer, der Spitzen und Tücher und Bänder verkaufte und der schon manches Mal bei der Cuonzessa gewesen war und immer gute Geschäfte mit ihr gemacht hatte. So grüßte er sie auch diesmal sehr freundlich: »Guten Abend, liebe Frau Cuonzessa, wie geht's, seid Ihr wohlauf? Diesmal habe ich Sachen, die Ihr noch niemals gesehen habt, Bänder, die direkt aus Paris kommen, und dabei sind sie nicht einmal sehr teuer.« — »Oh, das tut mir schrecklich leid, mein lieber Krämer, aber ich kann Euch nichts mehr abkaufen, denn mein Mann versteckt alles Geld, das er verdient, und gibt mir nicht einen Batzen mehr. Es hat also keinen Sinn, daß Ihr mir Eure Waren zeigt, das würde mir nur mehr Lust machen. Es ist besser, wenn Ihr gleich weitergeht.« Doch der Hausierer war ein pfiffiger Mann und nicht auf den Kopf gefallen und sagte daher: »Meine liebe Frau Cuonzessa, nun, auch wenn Ihr mir nichts abkaufen könnt, so will ich dennoch Euch meine Ware zeigen, denn Ihr seid mir immer ein guter Kunde gewesen.« So nahm er seinen Tragkorb vom Rücken und begann all die schönen Sachen vor der Cuonzessa auszupacken. Und diese konnte nicht genug die wundervollen Dinge betrachten und rief aus: »Oh, wenn ich nur einen Meter von diesen Spitzen und einen Meter



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von diesem Band haben könnte, das sind Sachen, wie ich nie schönere gesehen habe. Aber das hat ja keinen Zweck, ich habe kein Geld.« »Nun«, sagte der Hausierer, »habt Ihr nicht vielleicht in Euerem Haushalt etwas, das Ihr nicht gebraucht und das ich anstatt des Geldes nehmen könnte, nur damit ich Eurer alten guten Gewohnheit entsprechen könnte?« — »Ja, mein lieber Krämer«, seufzte die Alte, »ich wüßte wahrhaftig nicht, was ich Euch geben könnte. Das wenige, was wir haben, brauchen mein Mann und ich im Haushalt, das kann ich nicht weggeben. Ich weiß wirklich nicht, was. Es wäre wohl da unten im Hof in einer Ecke ein alter Baumstrunk, der schon lange da liegt und mit dem wir nichts anzufangen wissen, aber für den könnt Ihr wohl auch nichts geben.« —»Oh«, meinte der Hausierer, »zeigt mir mal diesen Strunk, man kann ja sehen, ob es etwas zu machen gibt.« —»Nun, dann kommt mit mir, so werde ich ihn Euch zeigen«, erwiderte die Frau.

Drunten im Hof schritt der Krämer auf den Holzstrunk zu und versetzte ihm einen Tritt mit dem Schuh, und in dem Augenblick vernahm er, der er ein feines Ohr hatte, einen gewissen Klang aus dem Innern des Strunkes, und er dachte: >Wer weiß, ob der Cuonz sein Geld nicht in diesem Strunke versteckt?<Und dann meinte er, zur Frau gewendet: »Ja, meine liebe Frau Cuonzessa, grad viel ist dieser Strunk nicht wert, aber um Euch einen Gefallen zu tun, will ich ihn doch nehmen und Euch dafür ein paar Meter von den Spitzen und von dem Band geben, die Euch so gut gefallen haben.« — »Oh, mein lieber Krämer«, frohlockte die Frau, »Ihr seid doch zu gütig, ich bin wirklich glücklich, etwas von diesem und jenem zu bekommen. Ich bin überzeugt, daß mein Mann glücklich sein wird, wenn er hört, daß ich diese schönen Sachen im Tausch um den Holzstrunk, der nichts wert war, bekommen habe.« Und der Hausierer maß schnell ab, was er ihr geben wollte, nahm den Baumstrunk und machte sich aus dem Staube.

Gegen Abend erschien dann der Mann nach Vollendung seines Tagewerkes, froh, nun nach der Tagesarbeit ausruhen zu können. Aber kaum war er in der Stube, so stürmte ihm seine Frau entgegen und zeigte ihm mit großer Freude die Spitzen und Bänder und erklärte, sie hätte das alles vom Krämer bekommen, ohne auch nur einen Rappen auszugeben. Der Hausierer wäre so freundlich gewesen, den alten Baumstrunk, der schon so lange im Hofe gelegen, an Zahlungs Statt zu nehmen. Wie Cuonz das vernahm, wurde er ganz bleich und sagte: »Du wirst doch nicht so verrückt gewesen sein, jenen Strunk dem Hausierer zu geben? Weißt du nicht, daß ich alles Geld, das ich seit Monaten verdient hatte, in den Strunk gelegt habe?« — »Mein lieber Mann, das tut



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mir sehr leid, aber ich wußte das nicht; der Krämer ist nun aber weg.« »Gut«, erwiderte Cuonz, »dann müssen wir trachten, ihm nachzueilen und ihn noch zu erwischen, damit er uns den Strunk zurückgebe.« »Schön, schön«, sagte die Cuonzessa, »so will ich schon mit dir kommen, ich muß nur noch ein Tuch um den Kopf binden, dann komme ich.« —»Also«, rief Cuonz, »ich gehe voraus, und du vergißt nicht, das Gartentor nachzuziehen!« Und in großen Sprüngen eilte Cuonz die Straße hinunter und über die Wiesen hinein. Und hinter ihm her kam bald die Cuonzessa, schnaufend und schwitzend, denn sie hatte das Gartentor auf den Rücken genommen. Wie der Mann das sah, meinte er: »Bist du eigentlich verrückt, das Gartentor mit dir zu nehmen, was fällt dir denn ein?« —»Aber mein lieber Mann, du hast es mir befohlen, das Gartentor nachzuziehen, und ich habe bloß getan, was du von mir verlangtest.« — »Nun«, sagte er, »zur Strafe trägst du es auch wieder zurück, wenn wir heimkehren. Nun aber müssen wir uns trennen, denn wir können nicht wissen, welchen Weg der Krämer gegangen ist. Du gehst auf dieser Seite des Baches hinunter und ich auf jener, und bei der eisernen Brücke können wir hoffen, daß einer von uns den Krämer treffe, dann muß er uns das Geld zurückgeben.«

Sie gingen noch ein Stück weit miteinander, und grad da, wo sie sich trennen wollten, fand Cuonz am Straßenrand den Baumstrunk. Mit Bangen ging er hifi und wollte das Geld herausnehmen, aber es war halt weg. Und Mann und Frau trennten sich, wie sie es abgemacht, und schritten mächtig gegen Schlarigna hinaus, einer auf dieser, der andere auf der andern Seite des Baches. Wie sie ein Stück weit gekommen waren, hörte Cuonz seine Frau rufen: »Cuonz, Cuonz, komm schnell her!« Und Cuonz, da er so rufen hörte, meinte, seine Frau habe den Krämer gefunden, durchwatete das Wasser mit wenigen Schritten und rief: »Was ist, Cuonzessa, hast du ihn?« —»Nein, nein«, sagte sie, »ich wollte dich bloß fragen, ob das Geißmist oder Schafmist ist?« — »Für solcherlei Dummheiten rufe mich nicht mehr, sonst hast du's mit mir zu tun.« So sagte Cuonz und kehrte wieder auf seine Seite hinüber. Es ging aber nicht lange, so hörte er seine Frau wieder rufen: »Cuonz, Gummi! «Er glaubte, diesmal habe sie ihn (den Krämer) erwischt, setzte über das Wasser und sagte: »Hast ihn, hast ihn?« — »Nein, nein«, meinte die Frau, »ist das Pferde- oder Eseismist?«Und Cuonz fuhr sie an: »Du große Eselin, mich noch einmal für solche Dummheiten herzurufen! Wenn du mich noch ein drittes Mal herrufst, so bekommst du eine Ohrfeige!«Und er kehrte wieder zurück. So zogen sie weiter, jedes auf seiner Seite, und kamen bei der eisernen Brücke wieder zusammen,



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ohne den Hausierer gefunden zu haben. Sie kamen dann wieder die Straße zurück, müde und traurig. Besonders die Cuonzessa war müde, denn sie mußte das Gartentor tragen. Da sie zum kleinen Wäldchen kamen, meinte Cuonzessa: »Cuonz, ich bin todmüde, wollen wir nicht eine Pause machen?« Und Cuonz erwiderte: »Ja, das ist wahr, es ist schon Nacht, und wir könnten bösen Leuten begegnen, laß uns auf einen Baum hinaufgehen und dort die Nacht verbringen.«Gesagt, getan, sie erkletterten eine Tanne und machten es sich so bequem als möglich.

Es dauerte aber nicht lange, da erschien eine Schar Männer und lagerte sich gerade unter der Tanne, auf der Cuonz und Cuonzessa sich befanden. Die Männer begannen zu reden und Feuer zu machen, um eine Suppe zu kochen. Und während sie da beschäftigt waren, begannen sie zu plaudern. »Heute ist es uns recht gut ergangen, wir haben eine gute Beute gemacht«, meinte einer. »Dieser Krämer, den wir gepackt haben, hatte einen Haufen Geld, und während wir das Essen bereiten, wollen wir grad das erwischte Geld zählen.« Und sie zogen allerlei Geld aus ihren Säcken und begannen es zu zählen. Indessen waren Cuonz und Cuonzessa in großer Angst auf ihrer Tanne und verhielten sich ganz ruhig, denn diese Männer waren Räuber. Nach einer Weile sagte Cuonzessa ganz leise: »He, Cuonz, ich kann's nicht mehr halten!« »Was hast du denn?«fragte er. »Oh, ich sollte pissen.«Und Cuonz flüsterte: »Um Himmels willen, halte zurück, denn wenn die andern merken, daß jemand auf der Tanne ist, so kommen sie herauf und machen uns kalt.«Da tat Cuonzessa ihr Möglichstes, um sich nicht zu verraten. Aber plötzlich sagte sie doch: »Nun kann ich's nicht mehr halten!« »Ach so laß zum Teufel fahren!« rief Cuonz. Und Cuonzessa pißte, und es fiel grad hinunter in die Pfanne, die die Räuber über das Feuer gestellt hatten. Wie diese das sahen, sagte einer zum andern: »Der Herr meint es gut mit uns. Er ließ uns nicht bloß einen guten Raub tun, nun schickt er uns gar noch die Suppe vom Himmel!«

Indessen rief droben nach einer Weile die Cuonzessa ihrem Mann: »Cuonz, Cuonz, ich kann's nicht mehr halten!« — »Um Himmels willen, Frau, was ist denn?«erkundigte er sich. »Oh, ich sollte meine Notdurft verrichten!«erwiderte sie. »Bei Gott«, sagte Cuonz, »halte zurück, sonst würden wir diesmal sicher erwischt, und es erginge uns nicht mehr so gut!« Und Cuonzessa hielt mit aller Kraft. Aber auch jetzt sagte sie wiederum: »Nun kann ich's nicht mehr halten!« — »So laß zum Teufel fahren!«rief Cuonz unwillig. Und -tuc, tuc, tuc -fiel es herunter und wiederum in die Pfanne. Wie die Räuber das sahen,



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sagte einer zum andern: »Ja, heute geht es uns wahrhaftig gut. Unser Herrgott gibt uns nicht bloß die Suppe, nein, sogar die Knödel schickt er uns.« Droben aber, auf der Tanne, drückte das Gartentor immer mehr den Rücken der armen Cuonzessa, so daß sie wieder rief: »Cuonz, Cuonz, ich kann nicht mehr, ich kann das Tor nicht mehr halten!« Und Cuonz rief: »Um Himmels willen, halte es, sonst -diesmal wären wir ganz sicher verloren!«Und die arme Cuonzessa machte wieder alle Anstrengungen, um das Gartentor nicht fallen zu lassen. Doch plötzlich jammerte sie wiederum: »Cuonz, ich kann nicht mehr!«Und Cuonz: »So laß es zum Teufel fahren!«Und mit ungeheurem Gepolter fiel das Tor in die Tiefe und brach Äste weg und fiel zu Boden. Wie die Räuber diesen Krach hörten und ein Ungeheuer vom Baum herunterstürzen sahen - so schien das Tor in der dunklen Nacht -, bekamen sie es mit der Angst zu tun und liefen eiligst davon, ließen all ihre Habe liegen und riefen: »Es kommt der Teufel, es kommt der Teufel!«

Als Cuonz sah, daß die Räuber weg waren, nahm er Cuonzessa mit sich und stieg vom Baum herunter. »Diesmal ist's uns gut ergangen«, meinte er. »Die Räuber, die den Krämer beraubt hatten, sind fort und werden jedenfalls nicht mehr zurückkehren. Nun können wir unser Geld nehmen und nach Hause gehen.«Neben dem Geld, das die Räuber dem Hausierer abgenommen hatten, lag noch anderes Geld, das sie andern Leuten gestohlen hatten. Und mit dem ganzen Fund kehrten dann die beiden gegen Morgen müde, aber zufrieden heim.

Und seit jenem Tag war die Cuonzessa viel vernünftiger geworden. Die Schule, die sie in jener Nacht durchgemacht hatte, war gut, und sie machte später keine unnützen Ausgaben mehr, ohne ihren Mann zu fragen. Und nun Märchen, Schwanz der Ziege, Schwanz der Maus, die auf die Mauer kletterte.


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