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Märchen aus Frankreich den Niederlanden und der Schweiz

Märchen europäischer Völker


Die Schwanenjungfer vom Gläsernen Berg

Es war einmal ein Junge, der ging im Wald jagen. Er hatte schon den ganzen Tag gejagt und nichts geschossen, keinen Hasen, kein Kaninchen und kein Rebhuhn. Spät am Nachmittag legte er sich mitten im Wald an einem Weiher ins Gebüsch. Manchmal spähte er über den Weiher, um nach dem Wasserwild auszuschauen. Und siehe, da strichen drei Schwäne vorüber und gingen am Ufer nieder. Der Junge griff nach seinem Gewehr, aber da sah er, daß die Schwäne ihre Federn wie Mäntel ablegten und ins Gras warfen. Und plötzlich waren es keine Schwäne mehr, sondern junge Mädchen, die in dem Weiher ein Bad nahmen.

Der Junge kroch auf Händen und Füßen an die Stelle, wo die drei Schwäne niedergegangen waren, und nahm einen der Mäntel weg. Den versteckte er zu Hause in seiner Mutter Schrank. Dann kehrte er zu dem Weiher zurück. Zwei von den Mädchen waren mit den Schwanenfedern fortgeflogen, das dritte saß weinend am Ufer. Der Junge zog schnell seinen Kittel aus, warf ihn dem nackten Mädchen als Mantel über und brachte es zu seiner Mutter. Dort wurde die Schwanenjungfer



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wie ein Kind im Hause verhätschelt. Es dauerte nicht lange, da begann der Junge die Schwanenjungfer gern zu sehen und fragte, ob sie seine Frau werden wollte. »Das kann nur geschehen, wenn ich weiß, wo meine Schwanenfedern geblieben sind!«

Da sagte der Junge, wo er sie versteckt hatte, und sie versprach, seine Frau zu werden. Nach Ablauf von drei Tagen wollte sie ihm sagen, was er tun müsse. Nach diesen drei Tagen hatte das Mädchen die Schwanenfedern gefunden. Es zog sie an und stieg in die Luft. Und da der Junge gerade aus dem Walde kam, rief sie: »Wenn du mich zur Frau haben willst, mußt du mich auf dem gläsernen Berg holen!« Und sie war weg.

Der Junge kehrte traurig heim. Er wußte nicht, wie er zu dem gläsernen Berg gelangen sollte, und noch weniger, wie er seinen Gipfel erreichen könnte. Aber die Nacht brachte ihm Rat. Er suchte einen Zauberer auf, der ihm für alles Geld, das er besaß, einen Adler lieh, um auf den gläsernen Berg zu fliegen. Der Adler jedoch, anstatt ihn auf dem Gipfel niederzusetzen, ließ ihn ein paar Meter zu früh fallen und flog dann schleunigst davon.

Der Junge versuchte nun, auf Händen und Füßen hinaufzukriechen, aber das ging nicht. Wie er sich auch abmühte, er fiel immer wieder hin und rutschte, so sehr er rutschen konnte. Im Nu lag er wieder unten zu Füßen des Berges. Was tun? Da hörte er einen wilden Lärm in der Nähe. Er ging hin und sah, was los war. Und er fand zwei Riesen, die um einen Hut kämpften, der unsichtbar machte, und um eine Serviette, mit der konnte man im Nu fliegen, wohin man begehrte.

>Das wäre etwas für mich<, dachte der Junge. Und was tat er? Während die Riesen einander gewaltig zu Leibe gingen, schlich er sich unbemerkt an den Hut heran, der am nächsten lag. Den setzte er auf. So war er schon halb gerettet. Die Riesen sahen ihn nun nicht mehr, und so konnte er sich weiter wagen und die Serviette schnappen. Er band sie sich sogleich vor und flog auf den Gipfel des gläsernen Berges. Und dann zog er weiter zu dem Schloß, auf dessen Weiher drei weiße Schwäne schwammen. Der Junge sah gleich, daß es die drei Schwanenjungfern waren. Die eine lief ihm gleich entgegen. »Meine Mutter ist böse auf dich«, sagte sie; »wenn sie erfährt, daß du hier bist, wird sie dir die unmöglichsten Dinge auftragen. Kannst du sie nicht ausführen, so wird sie dich töten. Aber habe keine Furcht, ich werde dir bei Nacht helfen, so daß sie dir nichts antun kann.«

Und so geschah es. Als der Junge bei der Mutter um die Hand der Schwanenjungfer anhielt, sagte sie, daß sie es sich noch überlegen



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müßte. Erst solle er in einer Nacht einen großen Wald roden, dann in der folgenden Nacht den Boden umpflügen und schließlich in der dritten Nacht ein Schloß darauf bauen und einen Park anlegen. Der Junge sagte, das alles sei nicht schwierig. Er verließ sich dabei auf die Schwanenjungfer. Und er dachte: >Mißlingt es, so habe ich noch immer meinen Hut und meine Serviette, um mich in Sicherheit zu bringen.<

Der Junge begann am gleichen Abend. Tausende Klabauter halfen ihm. Die Arbeit ging vorwärts, daß er seinen Augen nicht traute. Als es tagte, war der ganze Wald gerodet. In der zweiten Nacht kamen die Klabauter wieder, so daß am Morgen der ganze Grund umgepflügt war. Und ebenso waren die kleinen Männlein in der dritten Nacht auf ihrem Posten. Sie bauten das Schloß und legten den Park an. Alles verlief nach Wunsch. Als aber der Morgen da war und die Klabauter gerade verschwinden wollten, kam die Mutter der Schwanenjungfer früher als gewöhnlich. Sie merkte gleich, was die Stunde geschlagen hatte. Ohne fremde Hilfe hatte der Junge die Arbeit nicht vollenden können! Sie wurde sehr böse und sagte, er bekäme ihre Tochter nicht. Sie müsse sich reiflich überlegen, was sie mit ihm machen solle.

»Wenn ich die Schwanenjungfer nicht bekomme, fliege ich zu den Menschen zurück«, sagte der Junge, indem er seine Serviette hervorholte und auf dem Boden ausbreitete.

»Komm«, sagte er zu der Schwanenjungfer, die sogleich ihr Federnkleid abstreifte und sich neben ihn auf die Schürze stellte. Und so flogen beide davon. Die Mutter, diese abscheuliche Zauberin, schickte ihnen sogleich eine der beiden Schwanenjungfern in Gestalt eines Falken nach. Aber die Flüchtenden verwandelten sich, als der Vogel sie einholte, in eine Kapelle am Wege, vor der ein armes Weiblein betete. So kehrte die Schwanenjungfer unverrichteter Dinge zurück, und die beiden Fliehenden setzten ihren Weg fort.

Da sandte ihnen die Mutter die zweite Schwanenjungfer in Gestalt eines Geiers nach. Aber auch der entdeckte die Flüchtenden nicht, weil sie sich in einen Rosenstrauch verwandelt hatten, auf dem eine Rose blühte. Als der Geier zurückkehrte, wurde die Zauberin vom gläsernen Berg schrecklich böse.

»Ich werde selber gehen«, schrie sie, »und ich werde sie einholen, wären sie auch in die Hölle geflüchtet.«

Aber die Fliehenden sahen sie schon von ferne in der Gestalt eines Adlers kommen und verwandelten sich in einen Teich, auf dem ein schneeweißer Schwan trieb. Das böse Weib hatte dieses gesehen. Es



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flog an den Teich und begann ihn auszutrinken. Aber je mehr Wasser es trank, um so mehr kam dazu. Aber es trank und trank und trank, bis es schließlich gewaltig anschwoll und in tausend Stücke zerplatzte.


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