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Russische Märchen


Illustrationen


von Wilhelm M Busch

Märchen europäischer Völker


Das Winterlager der Tiere

Ein Alter und eine Alte hatten einen Ochsen, einen Hammel, eine Gans, einen Hahn und ein Schwein.

Da sagte einmal der Alte zu seiner Alten: »Wozu brauchen wir einen Hahn, Alte, wollen wir ihn nicht zum Fest schlachten?«

»Warum auch nicht, meinetwegen kann er in den Topf!« antwortete die Alte.



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Das hörte der Hahn und lief des Nachts davon in den Wald. Anderntags suchte der Alte seinen Hahn - und konnte ihn nirgends finden. Am Abend sprach er wieder zu der Alten:

»Ich habe den Hahn nicht finden können, wir werden das Schwein schlachten müssen!«

»Gut, schlachte das Schwein!«

Das hörte das Schwein und lief in der Nacht fort in den Wald. Der Alte suchte und suchte -konnte aber das Schwein nicht finden.

»Wir werden wohl den Hammel schlachten müssen!«

»Meinetwegen, schlacht ihn!«

Der Hammel hörte das und sprach zur Gans:

»Komm, wir wollen in den Wald laufen, sonst schlachten sie uns beide!«

Und auch der Hammel und die Gans liefen fort in den Wald.

Der Alte kam in den Hof - und sah weder Hammel noch Gans. Er suchte und suchte - fand sie aber nicht:

»So ein Wunder, das ganze Viehzeug ist weg, nur der Ochse ist uns noch geblieben. Es bleibt uns nichts anderes übrig, wir müssen den

Ochsen schlachten.«

»Da schlachte ihn halt!«

Das hörte der Ochse und lief auch in den Wald

Im Sommer ist es herrlich im Walde. Die Ausreißer leben einen guten Tag und kennen keine Not. Doch der Sommer war bald vorüber, und rasch kam der Winter.

Da ging der Ochse zum Hammel:

»Was meinst du, Bruder? Die kalte Zeit bricht an -wir müssen uns ein Haus bauen.«

Der Hammel gab ihm zur Antwort:

»Ich habe einen warmen Pelz, kann auch so überwintern!«

Der Ochse ging zum Schwein:

»Laß uns ein Haus bauen!«

»Wenn's nach mir geht, kann der Frost noch so arg sein - ich habe keine Angst; ich wühle mich in die Erde - komme auch ohne Haus durch den Winter.«

Der Ochse ging zur Gans:

»Komm, Gans, laß uns ein Haus bauen!«

»Nein, ich brauche keines! Ich breite den einen Flügel unter mich,



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mit dem anderen decke ich mich zu -kein Frost kann mir etwas anhaben. «

Da ging der Ochse zum Hahn:

»Laß uns ein Haus bauen!«

»Nein, ich mag nicht! Ich bleibe den Winter über unter einer Fichte sitzen.«

Der Ochse sah - er muß allein für sich sorgen.

»Macht was ihr wollt«, sagt er, »ich stelle mir ein Haus auf!«

Und er baut sich ganz allein eine Hütte, macht sich Feuer im Ofen und liegt nun da und wärmt sich.

Es wurde ein strenger Winter -der Frost knackte nur so! Der Hammel lief hin und lief her, konnte sich aber nicht erwärmen und kam zum Ochsen:

»Mä-äh! Mä-äh! Laß mich ein ins Haus!«

»Nein, Hammel! Ich hatte dich gebeten, mit mir Holz für ein Haus zu schlagen, du meintest aber, dir genüge dein Pelz, du könntest auch so überwintern.«

»Wenn du mich nicht einläßt, nehme ich Anlauf und stoße dir die

Türe ein, dann mußt du auch frieren!«

Der Ochse überlegte und meinte dann - >ich will ihn doch lieber 'reinlassen, sonst kühlt mir die Stube aus.< »Komm schon 'rein!«

Der Hammel kam ins Haus und legte sich auf die Bank vor dem Ofen. Es dauerte nicht lange, da kam das Schwein zu ihnen:

»Müff -müff! Laß mich ein, Ochse, ich will mich bloß mal ein bißchen aufwärmen!«

»Nein, Schwein! Ich hatte dich zum Holzschlagen gerufen, du aber hast gesagt, dir könnte kein Frost etwas anhaben, denn du wühltest dich in die Erde ein.«

»Wenn du mich nicht einläßt, werde ich mit meinem Rüssel die vier Ecken deines Hauses unterwühlen und dein Haus umwerfen!«

Der Ochse überlegte hin und her - >es wird mir meine Hütte unterwühlen und sie umwerfen!<

»Also komm schon 'rein!«

Das Schwein kam herein und verkroch sich gleich unter den Dielen.

Nach dem Schwein kam die Gans angeflogen:

»Gagack! Gagack! Ochse, laß mich ein, mich aufzuwärmen!«

»Nein, Gans, ich lasse dich nicht ein! Du hast ja zwei Flügel, den



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einen breitest du unter dich, den anderen über dich - und kommst so durch den Winter.«

»Wenn du mich nicht einläßt, werde ich dir das ganze Moos aus den Wänden zupfen!«

Der Ochse überlegte und ließ die Gans dann ein. Sie kam in die Stube und setzte sich auf den Herd vor den Ofen.

Kurz darauf kam der Hahn:

»Ki-ke-ri-ki! Ochse, laß mich in dein Haus!«

»Nein! Ich lasse dich nicht herein, überwintre im Wald unter der Fichte!«

»Wenn du mich nicht einläßt, fliege ich aufs Dach, scharre dort die ganze Erde weg und lasse dir die Kälte in die Stube.«

Da ließ der Ochse auch den Hahn herein. Der Hahn flog ins Haus und setzte sich auf den Querbalken.

Und so lebten sie denn zu fünft ein recht beschauliches Leben

Das erfuhren der Wolf und der Bär.

»Komm«, sagten sie zueinander, »wir wollen zum Häuschen gehen — wollen sie auffressen und dann selber in dem Häuschen wohnen.«

Sie machten sich auf den Weg und kamen zum Haus. Da spricht der Wolf zum Bären:

»Geh du voran, du bist der Stärkere.«

»Nein, ich bin zu faul, du aber bist gewandter als ich, drum gehe du voran.«

Der Wolf geht ins Haus. Kaum aber ist er drin, hat ihn der Ochse auch schon mit den Hörnern an die Wand gedrückt. Der Hammel nahm Anlauf und - ruins, ruins - stieß er den Wolf in die Seiten.

Das Schwein aber unter den Dielen schrie:

»Müff-müff! Ich wetze die Messer und auch die Beile, den lebenden Wolf zu verspeisen, habe ich die größte Eile!«

Die Gans rupfte ihm die Seiten, der Hahn aber rannte auf seinen Querbalken hin und her und schrie unentwegt:

»Gager-di-gack! Reicht ihn mir doch herauf! Habe ein Messer, habe 'ne Leine! Hier will ich ihn schlachten, hier ihn auch gleich hängen!«

Der Bär hörte den Lärm und das Geschrei und eilte davon. Dem Wolf aber war es nach langem Zerren endlich gelungen, sich loszureißen



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und zu entkommen. Er holte den Bären ein und erzählte ihm:

»Oh, wie ist es mir ergangen! Fast totgeschlagen haben sie mich Ein Riese von einem Kerl, in schwarzem Pelz, hat mich mit der Ofengabel an die Wand gestemmt. Ein kleinerer Kerl, in grauem Pelz, stieß mir mit einem Beil in die Seiten. Und noch ein kleinerer, in einem weißen Kleid, zwickte mich unentwegt mit einer Zange. Das kleinste Männlein aber in einem roten Fräcklein lief auf dem Balken entlang und sang: >Gager-di-gack! Reicht ihn mir doch hier herauf! Ich habe ein Messer, habe 'ne Leine! Hier werde ich ihn schlachten, hier ihn auch gleich hängen!< Und unter den Dielen, da brüllte es laut: >Ich wetze die Messer und auch die Beile, den lebenden Wolf zu verspeisen, habe ich die größte Eile!«

Von dem Tage an ließen sich weder Wolf noch Bär in der Nähe des Hauses sehen.

Der Ochse aber, der Hammel, die Gans, der Hahn und das Schwein leben heute noch dort und kennen keinerlei Not.


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