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Isländische Märchen


Illustrationen von Angelika Winkler

Märchen europäischer Völker


Die rechte Braut

Einmal regierte ein König über ein Land, niemand kennt seinen Namen und niemand weiß, wie sein Land hieß. Er war verheiratet und hatte eine Tochter, die Isol hieß. Sie war sehr schön. In demselben Reich lebte ein Herzog. Er hatte einen Sohn, der Fertram hieß. Er wuchs auf am Königshof und spielte oft mit Isol, solange sie klein waren, und sie liebten einander sehr. Als sie älter wurden, verlobten sie sich mit Wissen der Eltern.

Aber nun kam das große Unglück: die Königin wurde krank und starb.



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Der König trauerte sehr um sie und saß lange auf ihrem Grabhügel, bis schließlich seine Minister sagten, das führe zu nichts und er müsse auf die Regierung acht geben, sonst gerate im Reiche alles in Unordnung. Auch wollten sie gern auf die Reise gehen und ihm wieder eine passende Frau suchen. Sie beredeten ihn auch schließlich, und er hieß sie, alles in Bereitschaft zu setzen zur Fahrt, und das taten sie auch, so schnell sie nur konnten.

Sie fuhren ab, und der Wind war gut am ersten Tage; dann aber hatten sie starkes Nebelwetter und irrten den ganzen Sommer über herum, bis sie vor dem Steven etwas Schwarzes zu sehen bekamen; dorthin fuhren sie und stiegen ans Land. Sie wanderten weit herum und sahen, daß es eine Insel war. Dort fanden sie auch ein schönes Haus, da war ein Mann an der Tür und spaltete Holz, und zwei Frauen saßen auf Stühlen, eine altere und eine jüngere. Die ältere war gerade dabei, sich ihr goldenes Haar mit goldenem Kamme zu kämmen; sie strich sich das Haar vor den Augen fort, als sie die Männer hörte. Sie begrüßten die Frauen freundlich und fragten, warum so wenig Leute auf der Insel seien. Die ältere der beiden Frauen antwortete ihnen freundlich und fragte, was sie auf ihrer Reise ausrichten wollten. Sie erzählten nun alles, genau wie es war. »Genauso ist es uns ergangen«, sagte die Frau, »gerade kürzlich verlor ich meinen König, da Wikinger ins Land kamen und ihn erschlugen, während ich mit meiner Tochter und meinem Knecht hierher mich flüchtete.« Sie baten sie, mitzufahren und die Frau ihres Königs zu werden, sie aber meinte, ihr König sei ja nur ein ganz kleiner König; der König aber, den sie hatte, habe über zwanzig gekrönte Könige regiert, und so wäre es eine Schande für sie, ihn zu heiraten. Sie baten sie nun desto heftiger, mitzukommen, und schließlich gab sie nach und schenkte dem Knecht das Haus mit allem, was drinnen war.

Daraufhin fuhren die Minister mit ihr und ihrer Tochter ab, sie hatten gutes Wetter und waren nur kurz unterwegs. Als der König sie kommen sah, ließ er sich im goldenen Wagen zum Strande fahren. Die Königin saß neben ihm, und sogleich faßte er große Liebe zu ihr. Sie fuhren heim zur Burg, richteten ein großes Hochzeitsfest und luden alle großen Fürsten ein aus nachbarlichen Ländern und Königreichen. Es wurde viel getrunken und reiche Geschenke bekamen die Gäste, und es fuhren die reich heim, die arm hingekommen waren. Sie kehrten alle wieder in ihre Heimat zurück, und die Königin übernahm alle ihr gebührenden Würden.



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Ihre Tochter hieß Isol, genauso wie die Königstochter, aber sie kam den Leuten nicht so schön vor, und sie nannten sie zum Unterschied von jener, die Isol Blondhaar hieß, Isol Schwarzhaar. Isol Blondhaar, die Königstochter, war in ihrem Frauenhause mit ihren Dienerinnen, von denen nur zwei dem Namen nach bekannt sind, Eya und Meya. Sie gingen immer ganz dicht hinter der Königstochter und begleiteten sie selbst dann, wenn sie in ihrem Obstgarten spazierenging.

Eines Tages -kurze Zeit danach -hatte der König das Bedürfnis, seine Länder zu besuchen, und fuhr mit viel Schiffen ab, so daß nur wenige Leute daheim blieben. Als er fort war, kam die Königin zu Isol Blondhaar und fragte, ob sie mit wolle in den Wald zu einem Spaziergang. Sie sagte ja und kam nebst ihren beiden Dienerinnen, Eya und Meya, mit. Isol Schwarzhaar ging auch mit ihnen. Sie gingen nun weit in den Wald hinein, bis sie zu einer Grube kamen. Sie hatten die Grube im Rücken, und als sie sich dessen am wenigsten versahen, stießen Mutter und Tochter alle drei Mädchen in die Grube, und die war wunders wie tief. Da sagte die Königin zur Königstochter, nun könne sie Fertram zum Manne bekommen. Daraufhin gingen Mutter und Tochter wieder heim zur Burg und die Königin ließ ihre Tochter in die Kleider der Königstochter fahren und sich ins Frauenhaus setzen, sodaß alle dachten, sie sei auch wirklich die Königstochter; nur wenige sagten, man sehe die Tochter der Königin nicht mehr, aber wenige meinten, daß damit etwas Wichtiges verloren wäre.

Es geschah nun nichts, bis der König wieder heimkam von seiner Reise. Da fuhr ihm die Königin entgegen, um ihm zu sagen, man möchte doch die Hochzeit von Fertram und der Königstochter Isol nicht länger hinausschieben. Der König war einverstanden, ließ ein großes Hochzeitsmahl herrichten und lud viele große Fürsten dazu ein.

Aber an demselben Morgen, als die Hochzeit sein sollte, kam die Tochter der Königin zu ihrer Mutter und sagte, daß es ihr schlecht gehe, denn nun sei es gerade an der Zeit, daß sie ihr Kind bekomme, das sie unter ihrem Herzen trage von dem alten Knecht Kol. »Da weiß ich dir einen guten Rat«, sagte die Königin, »in der Küche ist ein Mädchen namens Näfrakolla; geh zu ihr und bitte sie, sich für dich auf die Brautbank zusetzen.« —»Glaubst du nicht, sie wird schwatzen?«fragte Isol. Die Königin aber sagte, sie werde sich schon darum kümmern, daß sie nicht mehr erzähle, als sie wolle. Sie ging nun in die Küche, fand Näfrakolla dort und bat sie, an ihrer Stelle zur Hochzeit zu gehen, da sie



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selbst nicht könne. Näfrakolla sagte zu und ging auf die Burg zur Königin. Sie fing gleich an, ihr die Brautkleider anzulegen. Als sie sich aber anschickte, ihr die Reitärmel anzuziehen, da sagte Näfrakolla:

»Gut passen die Ärmel
Der, zu der sie gehören.«


***
Die Königin sagte, das wüßten ja alle, daß sie selbst sie genäht habe. Dann wurden ihr die Handschuhe gegeben und sie sagte:
»Wohl kannt ich die Finger,
Die vordem sie genäht.«


***
Da sagte die Königin, was sie vorher gesagt hatte, und sie solle nicht so viel schwatzen über all das. Dann machten sie einen Spazierritt in den Wald, aber als sie an einen Bach kamen, da sagte Näfrakolla:
»Nun bin ich gekommen zu jener Linde,
Da Fertram und Isol Blondhaar
Einst sich Treue geschworen.
Er wird wohl auch heute sie halten.«


***
Und sie ritten noch weiter und kamen zu einer Grube, da sagte wiederum Näfrakolla:
»Hier liegen Eya und Meya,
Meine beiden Dienerinnen,
Ich kam heraus mit der Goldschere meiner Mutter.«


***
Nun kehrten sie wieder um, und das Pferd der Braut ging durch. Da sagte sie:
»Schüttle dich, schüttle dich, Skurbein!
Allein wirst du schlafen heut nacht,
Und so wird's auch dem jungen König ergehn.«


***
Sie kamen zur Burg. Isol war inzwischen niedergekommen, sie wechselte wieder ihre Kleider mit Näfrakolla, und nur die Königin wußte



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davon. Sie fragte ihre Tochter, was sie mit dem Kinde gemacht habe. »Ich habe es gegessen, meine Mutter«, sagte sie. »Das war recht, meine Tochter«, sagte die Königin. Am Abend gingen die Leute schlafen, der Bräutigam hatte sich schon niedergelegt, und die Braut wollte sich eben entkleiden, da fragte er sie, was sie denn gesagt habe, als ihr die Ärmel angezogen wurden. »Ich wüßte nicht, daß ich etwas Wichtiges gesagt habe, ich weiß es nicht mehr«, sagte Isol, »aber ich kann ja die Königin mal danach fragen.«Sie ging fragen, was denn das niederträchtige Ding gesagt habe, als sie die Ärmel angezogen bekam vor dem Ritt in den Wald. Da sagte die Königin, sie habe gesagt:
»Gut passen die Ärmel
Der, zu der sie gehören.«


***
Sie ging und sagte die Worte dem Bräutigam und zog sich weiter aus. Da fragte er wieder, was sie denn beim Anziehen der Handschuhe gesagt habe. »Das wird nichts Wichtiges gewesen sein«, sagte sie. »Aber du wirst es mir sagen«, sagte er, »sonst kommst du nicht ins Bett hinauf.« Da ging sie wieder zur Mutter und fragte, was das Mädchen gesagt habe, als sie die Handschuhe anzog. Sie sagte:
»Wohl kannt ich die Finger,
Die vordem sie genäht.«


***
Sie ging nun wiederum zu ihm und sagte ihm das und zog sich weiter aus, er aber fragte zum drittenmal, was sie denn gesagt habe bei der Linde und bei der Grube und an der dritten Stelle, da, wo das Pferd durchging. »Das weiß ich nicht mehr«, sagte sie, »es kann nichts Wichtiges gewesen sein.« — »Du wirst mir das alles sagen«, sagte er. Sie lief wieder zu ihrer Mutter und fragte sie nach alledem. Die sagte es ihr: »Als sie zur Linde kam, hat sie gesagt:
>Nun bin ich gekommen zu jener Linde,
da Fertram und Isol Blondhaar
Einst sich Treue geschworen.
Er wird wohl auch heute sie halten.«


***
Als sie zur Grube kam, hat sie gesagt:



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'Hier liegen Eya und Meya,
Meine beiden Dienerinnen.
Ich kam heraus mit der Goldschere meiner Mutter.<


***
Beim drittenmal, als das Pferd durchging, hat sie gesagt:
>Schüttle dich, schüttle dich, Skurbein!
Allein wirst du schlafen heut nacht,
Und so wird's auch dem jungen König ergehn.<«


***
Nun kam sie zurück und sagte ihm das alles und dachte, sie dürfe nun ins Bett. Da nahm er sein Schwert, das oben am Bettpfosten hing, durchstieß sie damit und sagte, das solle so sein, daß er heute nacht allein schlafe. Da kam die Königin dazu und sah, was da geschah. Sie wurde eine Unholdin, da erschlug er auch sie schnell mit seinem Schwerte. Dann schickte er gleich nach Näfrakolla und sie mußte alles erzählen, wie es gewesen war. Da freute sich der König sehr, daß er die Unholdin los war, und das Festmahl fing noch einmal von vorne an:
»Da gab's auf den Tischen
Pfauen in Pfeffer,
Gesalzenen Seefisch,
Minyan und Tinyan
Und viel Gutes.
Da ward getrunken
Primet und Klaret
Und Garganuswein.
Goldkisten zog man auf den Estrich
Und beschenkte die Gäste;
Reich zogen sie heim,
Die arm gekommen waren.
Fertram wurde König, als dieser starb;
Sie hatten Kinder und Nachkommen,
Gruben Wurzeln und Kräuter,
Und nun geht das Märchen nicht mehr weiter.«


Copyright: arpa, 2015.

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