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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

I. BAND


WEISHEIT

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EINBANDZEICHNUNG VON VON F. H. EMCKE


Berber und Araber

Aus den vielen Völkerwanderungen, die im Laufe der Jahrtausende Nordafrika durchflutet haben, haben sich heute als Hauptbewohner zwei verschiedene Gruppen gebildet, die hier, nebeneinander gesiedelt und durcheinander gewürfelt, eine gewisse Gegensätzlichkeit darstellen: Araber und Berber. Diese beiden Endergebnisse langer Völkermischungen wiegen so vor, daß (bis auf moderne Kolonisationen) alle kleinen Reste anderer Völker, wie Juden und Türken, demgegenüber gar nicht in Betracht kommen. Araber und Berber sind nicht nur durch die Sprache unterschieden. Beides sind, wie gesagt, Ergebnisse langer Entwicklungsreihen und Mischungen. Weder Berber noch Araber sind irgendwie als eine Rasse anzusehen. So wie wir sie heute vor uns leben und wirken sehen, sind sie aber die Ausdrucksformen zweier diesen Ländern sicher seit sehr frühen Zeiten eigentümlicher Geistesarten: der pflanzenhaften Bodenständigkeit und der zugvogelartigen Beweglichkeit. Das Wesen des Berbers haftet und ruht in seiner Heimat, an einem Ort, in einem Tal; die Heimat des Arabers ist dagegen eine Fläche, über die er hin und her pendelt. Wohl geht auch der Berber einmal in die Fremde, aber er kehrt immer in sein Dorf zurück; er ist und bleibt Bauer. Dem Araber aber gehört die Welt, soweit sie nicht Schranken seinem Bewegungsbedürfnis bietet. Der Araber ist seinem Wesen nach stets Nomade, und es spielt dabei keine Rolle, ob er eine Herde Kamele oder Rinder oder Schafe oder aber eine Sendung resp. Ladung von Kaufmannsgütern vor sich hintreibt, ob er in der Oase nächtigt oder in der Stadt. Denn auch diese Städte der Araber sind nicht Siedelungen eines Bodenerzeugnisse hervortreibenden Volkes, sondern gleichsam Hürden umhergetriebener Waren. Der Basar resp. die Suks sind die Mittelpunkte, neben denen sich die Moscheen erheben. Diese Selbstverständlichkeit des Pendelns zeigt sich beim Araber ganz deutlich darin, daß er, wie er als Viehzüchter eine Hauptlagerstätte für die Regenzeit und eine für die Trockenzeit hat, in der Mehrzahl der Fälle auch in zwei, (wenn nicht mehr) verschiedenen Städten eigene Häuser und Familien hat, denen er sich abwechselnd widmet.

Berbertum und Arabertum sind Ausdrucksformen verschiedener Geistesart. Das tritt deutlich hervor in der Bedeutung, die für beide die Moschee hat. Berber und Araber sind heute Mohammedaner. Aber dem Berber ist die Djemaa, die Moschee, heute noch das



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lokale Männerhaus, das Gemeindehaus; hier wird der Gottesdienst abgehalten; hier kommen aber die Männer zu ernster Beratung zusammen; hier nächtigen die Freunde; die Djemaa ist Verkörperung des Gemeindegefühles, und ebenso fließt das religiöse Zeremonial, die Kultushandlung aus dem Gemeindeempfinden. — Dem Araber aber ist die Moschee Sinnfassung einer weltumspannenden, verbindenden, vereinheitlichenden Religion. Dem Araber ist eine Moschee die Kultstätte des Islam, der überall gleich ist, dem Berber die Moschee die Kultstätte seines Heimatbodens. Der Araber kennt nur einen Kosmos, den Kosmos; dem Berber ist die Heimat ein Mikrokosmos im Makrokosmos.

Solche Verschiedenartigkeit ist von großer Bedeutung. Die Weltanschauung des Arabers ist eine nebelhafte, eine formarme. Die Weltanschauung des Berbers ist eine konstruktive, eine gegliederte. Die Weltanschauung des Arabers kennt nur allgemeine Ideale und Legenden, die des Berbers persönliche Ideen und kosmogonische Mythen. Die Schöpfungskraft des Arabertums äußerte sich in dem einen Ideal des Islam; das Dämonische des Berbertums gab dem Christentum eine große Reihe von christlichen Kirchenvätern. Das aber ist, wie sich aus der nachfolgenden Fabulei ergeben wird, für die Beurteilung dieser Menschen entscheidend. Denn die Volkserzählungen des Arabertums (d. h. das, was die Araber volkstümlich aus den ihnen zugekommenen Märchen anderer Völker zu bilden vermochten) sind in Tausendundeiner Nacht zusammengefaßt. Das vorliegende Werk bietet aber das berberische Gegenstück. Und eine Einleitung zum Verständnis dieses Gegensatzes sollen die vorstehenden Zeilen bilden.


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