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Märchen

aus Polen Ungarn und der Slowakei

Märchen europäischer Völker


Der Zigeuner im Himmel und in der Hölle

Es waren einmal irgendwo auf der Welt, weiter weg als das große Meer, ein Zigeuner und zwei arme Männer. Die gingen zu dritt in den Wald Holz fällen. Als sie mitten bei der Arbeit waren, sagte der eine arme Mann: »Was würden wir uns wohl wünschen, wenn Gott uns einen Wunsch freigabe?«

»Ich wünschte mir«, sagte der andere arme Mann, »daß mich zu Hause auf dem Tisch eine Schüssel mit Wurst und ein Weißbrot erwartete.«

»Und ich«, sagte der erste, »wünschte mir, auf meinem Tisch solle eine Schüssel mit Quarkfladen bereitstehen.«

Der Zigeuner dachte sich, es sei sowieso unnütz, sich etwas zu wünschen, es würde ja doch nicht in Erfüllung gehen; darum wollte er sich einen Spaß erlauben und sagte: »Ich wünschte mir, daß meine Frau, die gerade in den Wehen liegt, mich mit zwölf Zigeunerbuben erwartete.«

Das war alles, was sie darüber sprachen.

Als sie am Abend das Holz eingefahren hatten und der eine arme Mann nach Hause kam, stand da eine Schüssel mit Wurst auf dem Tisch, und daneben lag ein Weißbrot. Auch der andere fand in seiner Hütte die gewünschte Schüssel mit Quarkfladen.

Als nun der Zigeuner nach Hause kam, war eben die Hebamme da, und als er das Holz in einer Ecke abladen wollte, rief sie: »Nicht dorthin, da liegt doch ein Kind!«

Nun wollte er das Holz in einer anderen Ecke ablegen, aber da ertönte es: »Auch dorthin nicht, da liegen doch zwei Kinder!« >Dann also hinter den Ofen mit dem Holz!< dachte der Zigeuner. Doch wieder rief man ihm zu: »Dorthin ganz gewiß nicht, denn dort liegen auch zwei Kinder!«

Wo immer er das Holz hinlegen wollte, es ging nicht, überall lagen Kinder. Schließlich wurde der Zigeuner böse.

»Verdammte Schweinerei! Wie viele Kinder gibt's denn in dem Haus?«



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»Genau ein Dutzend!« sagte darauf die Hebamme.

Da erschrak der Zigeuner sehr.

»Als Dreizehnter will ich hier nicht bleiben, das ist eine Unglückszahl! Lieber gehe ich als Kesselheizer in die Hölle!« Kaum hatte er das ausgesprochen, war ein hinkender Teufel zur Stelle, packte ihn beim Kragen und brachte ihn als Kesselheizer in die Hölle.

Die zwölf Zigeunerbuben wuchsen heran und gediehen. Es kam die Zeit, zu der sie das Jünglingsalter erreicht hatten. Da fragte einmal der jüngste die Mutter: »Sag, Mutter, haben wir nie einen Vater gehabt? Oder wenn wir einen gehabt haben, wo ist er hingekommen? Wie geht es zu, daß wir niemals etwas von ihm gehört haben?«

»Doch, mein Sohn, ihr habt einen Vater gehabt. Aber als ihr zur Welt kamt, sagte er, die Dreizehn sei eine Unglückszahl, er wolle nicht als Dreizehnter hierbleiben, und er ging fort. Seitdem weiß man nichts von ihm.«

»Nun, Mutter, dann will ich ihn suchen und ihn nach Hause bringen.«

Der Zigeunerbube zog in die weite Welt, um seinen Vater zu suchen. Er suchte und suchte, er ging um die ganze Erde herum, fand ihn aber nicht.

Als er ihn gerade einmal wieder in einem Wald suchte, fand er eine große Pappel, die mit dem Wipfel in den Himmel und mit der Wurzel in die Hölle reichte. >Nun<, dachte sich der Zigeunerbube, >wenn mein Vater auf der Erde nicht zu finden ist, muß er wohl im Himmel sein. Ich will hinaufgehen und mich wenigstens mal umsehen da oben.. .< Er nahm sein Beil und begann, Stufen in den Baum zu hauen. Immer höher und höher schlug er die Stufen über sich, und schließlich gelangte er in den Himmel.

Als er da ankam, sah er sich um, und da standen schrecklich viele Seelen vorm Himmelstor. Ihm war das gleich; er stieß sie rechts und links beiseite, trat an das Tor und klopfte an.

»Wer ist da?«fragte Petrus hinter dem Tor.

»Ich bin es, der zwölfte Sohn des Zigeuners Zsiga.«

»Jetzt kannst du nicht herein, warte!«



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»Ich denke nicht dran! Wie komme ich dazu, zuwarten?! Laßt mich gefälligst ein, ich will meinen Vater suchen!«

»Umsonst, mein Sohn, ich kann dich jetzt nicht hereinlassen, der liebe Gott ist nicht zu Hause. Wenn er nach Hause kommt, mußt du mit ihm reden.«

Der Zigeuner sah, daß er so nicht weiterkam. Er packte also seinen Hut und warf ihn über das Tor in den Himmel hinein.

»Ei, Herr Petrus, der Wind hat meinen Hut hineingeblasen, gebt ihn mir doch wieder.«

»Ich tät's recht gern, mein Sohn, aber er ist weit weggerollt. Ich kann ihn gar nicht mehr sehen. Während ich ihm nachliefe und ihn suchte, würden diese vielen verflixten Seelen alle durch den Hundeeingang unter dem Tor hereinkriechen.«

»So laßt mich ein, ich werde ihn mir schon suchen!«

»Ei, mein Sohn, ich sagte dir doch schon, daß es jetzt nicht geht.« »Wenn nicht, dann nicht! Aber das eine sage ich Euch: Ich werde Euch beim lieben Gott verklagen - er soll nur nach Hause kommen -, daß ihr das rechtmäßige Eigentum anderer Leute einbehaltet.«

Was blieb Petrus zu tun übrig? Er fürchtete, Gott würde ihn ausschimpfen. So ließ er denn den Zigeunerbuben ein, doch mußte dieser ihm versprechen, gleich zurückzukommen, sobald er den Hut gefunden habe. Das versprach der Bube, hatte aber nicht im Sinn, sein Versprechen zu halten. Was kümmerte ihn schon ein solches Versprechen! Die Hauptsache war ja, einmal drin zu sein im Himmel.

Er suchte seinen Hut, fand ihn bald, drückte ihn sich auf den Schädel und ging dann daran, seinen Vater zu suchen, sich aber auch zugleich ein wenig umzusehen. Als er so herumbummelte, kam er an einen Hügel, auf dem hoch oben ein großer, aus Stroh geflochtener Armstuhl stand und ringsherum viele kleine Schemel. Der große Stuhl war Gottes Sitz; von dem aus konnte man die ganze Welt, Himmel und Erde und Meere, überblicken. Die kleinen Schemel waren für die Engel bestimmt.



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Der Zigeunerbube ging auf den Hügel zu, und als er den großen Armstuhl erreicht hatte, setzte er sich mir nichts, dir nichts auf Gottes Sitz und begann nun zu staunen, was da alles zu sehen war. Während er seine Augen schweifen ließ, erblickte er auch die väterliche Hütte, und als er genauer hinsah, um seine Mutter zu entdecken, bemerkte er, daß der Nachbarzigeuner gerade das einzige, mit vieler Mühe und Not gestohlene Ferkel seiner Mutter stehlen wollte. >Na warte, du Kerl<, dachte er bei sich, >dich will ich aber in Schrecken jagen!<Er packte einen von den kleinen Schemeln und schleuderte ihn nach dem Zigeuner, traf aber weit daneben. Da packte er einen zweiten, traf aber wieder nicht. Er griff nach dem dritten, dem vierten, dem fünften und warf so einen Schemel nach dem andern hinunter. Als er gerade im schönsten Schemelschleudern begriffen war, kam der liebe Gott nach Hause.

»Ei, du Nichtsnutz, was treibst du da?«

»Ich muß doch etwas tun, Göttliche Majestät, ich kann doch nicht zusehen, wie unser Nachbar das einzige Ferkel meiner Mutter stehlen will, das er inzwischen gewiß schon gestohlen hat. Ich wollte ihm einen Denkzettel geben, es ist mir aber nicht gelungen.«

»Ei, du Schlingel«, antwortete der liebe Gott, »wenn ich auf jeden Menschen, der ein Ferkel stiehlt, einen Schemel schleudern wollte, könnten mich alle Tischler und Schreiner der Welt nicht ausreichend mit Schemeln versorgen. Und nun scher dich aus dem Himmel, oder ich lasse dich hinauspeitschen!«

Da erschrak der Zigeunerbube und machte sich aus dem Staube. Er verschwand, als sei er niemals dagewesen. Als er das Himmelstor hinter sich hatte, begann er zu überlegen, wo wohl sein Vater sein könnte, wenn er weder auf der Erde noch im Himmel zu finden war. >Da kann er doch nur noch in der Hölle sein! Vielleicht haben ihn die Teufel geholt!<dachte er sich. >Nun, mit mir sollen sie nicht so leicht fertig werden, ich will hingehen und sie Mores lehren!<

Er machte sich also auf den Weg und blieb erst wieder stehen, als er die Höllengrenze erreicht hatte. Da begegnete er einem Regiment Soldaten. »Wohin gehst du, Zigeuner?«fragten sie ihn.



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»In die Hölle, meinen Vater suchen.«

»Dahin gehst du umsonst. Wir kommen gerade von dort, weil die Teufel die einzige Tochter unseres Königs gestohlen haben. Die wollten wir zurückholen, aber die Teufel geben sie nicht heraus. Und unser König hat doch dem, der sie zurückbringt, seine Tochter zur Frau und sein halbes Königreich obendrein versprochen. Du tust also besser dran, gar nicht erst weiterzugehen, sondern machst lieber kehrt.«

»Das mache ich ganz gewiß nicht. Da ich nun einmal so weit gekommen bin, kehre ich nicht mehr um«, erwiderte der Zigeunerbube und ging seines Wegs. Er kam denn auch ans Höllentor und klopfte an.

»Ist Pluto zu Hause?«

»Nein.

»Nun, dann gebt ihr nur meinen Vater heraus, ich weiß, daß er hier ist.«

»Fällt uns gar nicht ein! Wir sind doch nicht verrückt!«

»Na schön, ihr werdet ihn mir schon noch gerne herausgeben wollen, das weiß ich gewiß; fragt sich nur, ob ich ihn dann noch haben will.«

Die Teufel lachten ihn aus. Der Zigeuner aber kümmerte sich nicht im geringsten um ihr Gelächter, sagte kein Wort, nahm einen Spaten und fing an, den Platz vor dem Höllentor abzuschreiten und mit dem Spaten eine Stelle der Länge und Breite nach abzugrenzen. Das sah ein Teufel, ging hin und fragte ihn:

»Was treibst du da, Zigeunerbube?«

»Ich baue hier mal eben eine Kirche, damit ihr weder rein noch raus könnt, solange ihr mir meinen Vater nicht herausgebt.«

Der Teufel erschrak, rannte hinein und holte den alten Zigeuner. »Hier hast du deinen Vater! Jetzt aber marsch, weg mit dir!«

»Ho, ho, so einfach ist das nicht! Vorhin wolltet ihr ihn mir nicht geben, und jetzt weiche ich so lange keinen Fußbreit von der Stelle, bis ihr mir nicht auch die Königstochter herausgebt.«

»O Zigeuner, verlange nur das nicht von uns! Wir wollen dir soviel Gold und Silber geben, wie du zu tragen vermagst.«



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»Ich brauche euer Gold und Silber nicht, ich will die Königstochter haben!«

»So warte doch wenigstens, bis Pluto nach Hause kommt.«

»Ich warte keinen Augenblick. Gebt ihr sie heraus oder nicht? Wenn nicht, baue ich hier sogleich eine Kathedrale hin, und nicht einmal Pluto kann dann in seine Hölle hinein.«

Da erschraken die Teufel sehr, und sie gaben auch die Königstochter heraus. Die drei nahmen nun den Weg nach der Oberwelt.

Bald darauf kam Pluto nach Hause und merkte gleich, was da fehlte.

»Wo ist denn die Königstochter?«

»Tja, die mußten wir einem Zigeuner geben, denn er drohte, eine Kathedrale vor unser Tor zu bauen, wenn wir ihm die Königstochter nicht herausgaben, so daß wir weder herein noch hinaus gekonnt hätten.«

»O ihr Narren!«sagte Pluto. »Wie hätte der eine Kathedrale bauen können? Er hatte doch nichts, was dazu nötig ist. Geh ihm sofort nach, mein Läufer, und bringe die Königstochter zurück!«

Der Läufer lief davon und erreichte den Zigeuner bald. »Halt, Zigeuner! Gib die Königstochter zurück!«

»Einem Burschen, wie du einer bist, gebe ich sie noch lange nicht! Mit dir nehme ich es in allem auf!«

»So laß uns um die Wette laufen«, sagte der Teufel.

»O du armer Teufel«, sagte der Zigeuner aufgeblasen, denn er hatte im Gebüsch einen Hasen gesehen, »mit einem solchen Burschen, wie du einer bist, lasse ich mich gar nicht selbst ein, da tut's auch mein Brüderchen. Geh nur und rufe ihn, er rastet dort im Gebüsch.« Der Teufel ging auf den Busch zu, der Hase erschrak und lief davon. Der Teufel konnte natürlich nicht so laufen wie ein Hase, und er war nun überzeugt, daß der Zigeuner ein festerer Bursche sei als er; er wagte es nun auch gar nicht mehr, die Königstochter von ihm zu fordern, sondern ging beschämt in die Hölle zurück. »Wo ist die Königstochter?« fragte Pluto.

»Die ist geblieben, wo sie war«, denn ihm sei es so und so ergangen, und er erzählte, wie sich alles zugetragen hatte.



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»O du Narr! Das war doch nicht sein Brüderchen, sondern ein Hase. Kein Zigeuner kann so gut laufen, daß du ihn nicht einholen könntest. Jetzt geh du, Keulenschwinger, und nimm du ihm die Königstochter weg.«Der Keulenschwinger rannte davon und erreichte den Zigeuner bald.

»Halt, Zigeuner! Gib die Königstochter zurück!«

»Einem Burschen, wie du einer bist, gebe ich sie noch lange nicht! Mit dir nehme ich es in allem auf!«

»Na, dann laß mal sehen, wer diese zwei Zentner schwere Keule höher hinaufwerfen kann: du oder ich.«

»Gut, wirf du zuerst.«

Der Teufel warf die Keule so hoch hinauf, daß sie kaum noch zu sehen war. Als sie herunterfiel, packte der Zigeuner sie am Stiel und begann zu schreien: »Bruder! Bruder!«

»Wen rufst du denn?« fragte der Teufel.

»Meinen Bruder, der auf der andern Welt Schmied ist. Ich will ihm die Keule hinaufwerfen, er wird das viele gute Eisen brauchen können.«

»Nein, nein, wirf sie lieber nicht! Behalte die Königstochter! Nimm mir nur ja meine Keule nicht weg!«

Auch dieser Teufel kehrte ohne die Königstochter in die Hölle zurück.

Wieder fragte Pluto:

»Wo ist die Königstochter?«

»Ich habe sie nicht mitgebracht«, denn so und so sei es ihm ergangen.

»O du Narr! Der Zigeuner hätte ja deine Keule nicht einmal von der Stelle rücken können! —Na, Peitschenknaller, mein Sohn, laufe du ihm nach und nimm du ihm die Königstochter weg.«

Der Teufel Peitschenknaller machte sich auf den Weg und erreichte den Zigeuner bald.

»Halt, Zigeuner! Gib die Königstochter zurück!«

»Das muß schon ein anderer Bursche sein als du, dem ich sie zurückgebe! Mit dir messe ich mich in allem!«



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»Kannst du mit dieser Peitsche lauter knallen als ich?«

»Knall einmal, damit ich sehe, was du kannst.«

Der Teufel knallte mit der Peitsche, und es war, als habe man eine Kanone abgeschossen.

»Nun, Zigeuner, das mach mir nach.«

Der Zigeuner sagte kein Wort, nahm aber drei Reifen heraus, legte einen sanft um den Kopf der Königstochter, den zweiten um seines Vaters Kopf und den letzten um seinen eigenen.

»Was machst du da?«fragte der Teufel.

»Ich lege Reifen um unsere Köpfe, denn gleich werde ich so knallen, daß jedem, der keinen Reifen um den Kopf hat, der Schädel platzt.«

»Na, dann lege auch mir einen Reifen um den Kopf.«

Der Zigeuner begann nun einen Reifen um den Kopf des Teufels zu legen, zog aber so fest an, daß der arme Teufel zu betteln anfing:

»O weh! Nicht so fest! Behalte lieber die Königstochter!«

Da lockerte der Zigeuner den Reifen, und der Teufel zog beschämt ab.

Auch diesen fragte Pluto: »Wo ist die Königstochter?«

»Die habe ich nicht zurückbringen können«, denn so und so sei es ihm mit der Bereifung ergangen.

»O du Narr! Der Zigeuner hätte ja überhaupt nicht knallen können! —Fahre du ihm nach, mein Kutscher, und bringe du mir endlich die Königstochter zurück.« Und Plutos Kutscher nahm eine Forke und machte sich auf, den Zigeuner einzuholen.

»Halt, Zigeuner! Gib die Königstochter zurück, sonst ersteche ich dich sofort!«

»Du machst mir nicht bange«, antwortete der Zigeuner, »so auf ebener Erde zu kämpfen, ist doch keine Kunst. Wenn du ein richtiger Kerl bist, dann stell dich hinter diesen Zaun, und ich stelle mich davor, und dann wollen wir mal sehen, wer den andern durch den Zaun hindurch besser bearbeiten kann.«

Der Teufel hatte eine zweizackige Forke, der Zigeuner einen Spieß. Sie begannen nun, durch den Zaun aufeinander loszustechen. Aber der Teufel konnte mit seiner zweizackigen Forke den Zaun nicht



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durchstechen, sie blieb immer im Zaun stecken. Der Zigeuner aber mit seinem Spieß durchbohrte den armen Teufel so gründlich, daß es dem zuviel wurde; er machte sich davon und rannte in die Hölle zurück.

»Auch du hast mir also die Königstochter nicht zurückbringen können?« fragte Pluto.

»Es war nicht möglich«, denn so und so sei es ihm ergangen. Der Zigeuner habe ihn ganz arg zerstochen.

»Recht ist dir geschehen, du Narr! Einen Zaun kann man doch mit einer zweizackigen Forke überhaupt nicht durchstechen! —Lauf du ihm nach, Schneider, mein Sohn! Versuche du dein Glück!«

Der Teufel Schneider rannte los und erreichte den Zigeuner bei einem kleinen Haus.

»Halt, Zigeuner! Wenn du die Königstochter behalten willst, dann stelle dich mir!«

»Gern«, sagte der Zigeuner, »was ist denn dein Handwerk, werter Teufel?«

»Mein Handwerk ist die Schneiderei. Laß uns sehen, wer besser nähen kann: du oder ich. Komm, wir wollen in dieses kleine Haus gehen und um die Wette nähen.«

Sie gingen in das Haus und begannen zu nähen. Um nicht so oft einfädeln zu müssen, zog der Teufel einen derart langen Faden durch die Nadel, daß er bei jedem Stich durchs Fenster springen mußte. Der Zigeuner aber nähte mit einem kurzen Faden, was das Zeug hielt, und der Teufel hatte kaum zehn oder zwanzig Stiche gemacht, da war der Zigeuner bereits fertig. So hatte nun also auch dieser Teufel die Königstochter nicht zurückgewonnen und schlich mit leeren Händen in die Hölle zurück.

»So, du kommst also auch ohne die Königstochter zurück?«fragte Pluto.

»Ja, ohne sie! Dieser Zigeuner kann nämlich sehr gut nähen. Ich hatte einen so langen Faden eingefädelt, daß ich bei jedem Stich aus dem Fenster springen mußte. Er aber hatte einen kurzen Faden genommen und wurde früher fertig.«



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»O du Narr! Gerade mit diesem Herumhopsen hast du ja die meiste Zeit verloren! —Laufe du ihm nach, Schweinehirt, mein Sohn! Vielleicht kannst du ihm die Königstochter wegnehmen.«

Heißa! Wie rannte da der Teufel Schweinehirt! Er erreichte den Zigeuner an der Höllengrenze.

»Halt, Zigeuner! Nicht dein ist die Königstochter!«

»Wem gehört sie denn?«

»Sie soll dem gehören, der das Schweinehüten besser versteht. Hier ist ein großer Schweinestall voll mit Schweinen. Wenn du in einer Stunde mehr Schweine heraustreiben kannst als ich, darfst du die Königstocher behalten.«

»Gut«, sagte der Zigeuner.

»Wie aber werden wir erkennen, welche Schweine ich und welche du herausgetrieben hast?«fragte der Teufel.

»Ich werde nur solche heraustreiben, die Ringelschwänzchen haben, du treibst die mit den geraden Schwänzen heraus«, sagte der Zigeuner.

Der Teufel war einverstanden.

Sie begannen also, die Schweine aus dem Stall zu treiben. Der Zigeuner trieb zwanzig oder dreißig heraus; dann legte er sich einfach hin. Der Teufel aber suchte eine volle Stunde lang nach Schweinen mit geraden Schwänzen. Er scheuchte die Schweine auf, und sie liefen alle aus dem Stall heraus. Als die Stunde um war, rief der Zigeuner dem Teufel zu: »Na, Teufel, jetzt wollen wir mal zählen, von welchen mehr da sind: von denen mit Ringelschwänzchen oder von denen mit geraden Schwänzen.«

Sie suchten und suchten, aber ein Schwein mit einem geraden Schwanz war nicht zu finden. Wieder hatte der Zigeuner gewonnen. Der Teufel Schweinehirt ließ den Kopf hängen und ging in die Hölle zurück. Der Zigeuner aber überschritt gemeinsam mit der Königstochter die Grenze der Hölle, und nun hatte Pluto keine Macht mehr über ihn. Als sie in der Oberwelt angekommen waren, gingen sie geradenwegs zum Vater der Königstochter. Als der König seine einzige, geliebte Tochter wiedersah und erfuhr, mit wieviel Mühe und



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Not der Zigeuner sie aus der Hölle befreit hatte, löste er sogleich sein Versprechen ein, gab ihm die Tochter zur Frau und obendrein sein halbes Königreich.

Es wurde eine große Hochzeit gefeiert, es wurde gegessen und getrunken, und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute. Der alte Zigeuner aber ging zu seinen übrigen elf Zigeunerbuben nach Hause.


Copyright: arpa, 2015.

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