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Märchen vom Balkan und den Mittelmeerinseln


Illustrationen von Eva Raupp Schliemann

Märchen europäischer Völker


Die Prinzessin, die nur den allerschönsten Prinzen heiraten wollte

Es war einmal eine sehr schöne Prinzessin. Ihr Vater wünschte, daß sie heirate; aber sie hatte stets etwas auszusetzen an den Bewerbern -keiner wollte ihr behagen, und sie wünschte, eben nur den allerschönsten Prinzen zum Manne zu nehmen.

Einst stand sie auf dem Balkon des Schlosses und blickte auf die Straße hinab. Da sah sie einen wunderschönen, prächtigen Prinzen vorbeigehen: er war fein und zart und hatte goldene Fingernägel sowie auch goldene Zähne. Sogleich eilte sie zu ihrem Vater und rief: »Vater, den fremden Prinzen da will ich heiraten!« —»Also endlich gefällt dir doch ein Mann!«sprach der König, und er blickte auf die Straße und mußte sich gestehen, daß jener Fremde wirklich ein herrlicher, prächtiger Prinz sei. Sofort rief er ihn in den Palast und begann: »Fremder, willst du meine Tochter zur Frau?« — »Und ob ich sie will!« rief der Prinz mit überlauter Stimme und lachte dabei auf eine so eigene Art, daß die Prinzessin ganz rot wurde.

Die Hochzeit wurde mit großer Pracht gefeiert, und gleich nach dem Mahle äußerte der Prinz: »Ich werde meine junge Frau sogleich in meinen Palast führen. Damit sie sich aber nicht einsam fühlt, bitte ich alle Anwesenden, uns zu folgen, und zwar mit meinen Wagen und Pferden. Ich fahre mit meiner lieben Gemahlin in einem Wagen, und meiner Gemahlin beste Freundin soll mit in unserem Wagen sitzen!« Voller Freude hörten so die Aufgeforderten, daß sie den schönen Palast des fremden Prinzen zu sehen bekommen sollten, und beglückwünschten die junge Frau zu ihrem schönen und liebenswürdigen Gemahl.

Dann brach man auf. Unterwegs wurden die junge Frau und ihre Begleiterin mit Schrecken gewahr, daß der junge Ehemann von Minute zu Minute häßlicher wurde. Die goldene Farbe seiner Nägel und Zähne verwandelte sich in Kohleschwarz! Auf seiner Stirn bildeten sich zwei Knoten und wuchsen immer mehr und mehr in - Hörner aus!

Noch mehr wuchs das Entsetzen der beiden Frauen, als sie sahen, daß ihrem Weggenossen ein langer Schweif mit dicker Quaste zu wachsen begann. Auch seine Füße hatten allmählich die Gestalt menschlicher Füße verloren und schienen sich in Bocksfüße umformen zu wollen. Die beiden Frauen kamen fast vor Angst um! Plötzlich ließ der fremde Prinz halten, erhob sich im Wagen und rief den hinter ihm fahrenden Leuten zu: »Ihr alle kehrt sofort nach der Stadt zurück - sonst seid ihr



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des Todes!«Auch die Freundin der jungen Frau mußte den Wagen verlassen und umkehren, und das tat sie gern, weil sie sich nicht wenig fürchtete. Die Herrschaften fuhren dann, so rasch es die Pferde erlaubten, in die Stadt und zum Königspalast zurück.

Der König stand auf dem Balkon, und als er jene zurückkehren sah, dachte er bei sich, sie seien gekommen, ihn auch noch mitzunehmen; aber unter Tränen und Jammern erzählten ihm die Leute: »Ach, wie unglücklich ist deine Tochter! Sie hat den Bösen zum Gemahl!«Da erblich der König und befahl, die rote Ausschmückung des Schlosses - die Ausschmückung der Freude - durch schwarze -die der Trauer - zu ersetzen.

Es waren aber der Prinzessin die drei Söhne ihrer Kammerfrau weiter nachgefolgt, und diese bekamen alles zu hören und zu sehen, was jetzt mit ihr vorging. Sie ritten hinter dem Wagen her und beschlossen, sie zu retten. Der Wagen langte endlich in einer entsetzlichen Wildnis an, und der fremde Prinz befahl der Prinzessin mit barschen Worten, aus dem Wagen zu steigen.

Zitternd gehorchte sie dem Befehle. Dann wanderte er mit ihr in eine tiefe, tiefe Schlucht hinunter, an deren Ende sich eine dunkle Höhle befand. Die beiden traten in die Höhle, und die drei Brüder hörten jetzt, wie der Böse die arme Prinzessin anschrie: »Katarin, koch mir ein Essen! Jetzt hast du keine Zeit zum Faulenzen! Und alles ordentlich und aufgeräumt! Reinlichkeit geht über alles!«So schrie und schimpfte denn er auf unendlich grobe Weise auf die Prinzessin ein.

Die drei Brüder ritten dann nach der Stadt zurück und berichteten dem Könige, was sie gehört und gesehen hatten. »Ich werde sie retten!« sprach der älteste. »Wie willst du in ihre Nähe kommen?«fragte der König. Der älteste Bruder begann wieder: »Herr König, laß mir einen festen Karren voll starker Seile beladen!« Der zweite Bruder sprach: »Und mir einen Karren voll Rosenkränze!« Der dritte aber erklärte: »Mir einen Karren voll Eßwaren!« Der König befahl darauf seinen Dienern, für die jungen Leute drei Karren mit den gewünschten Gegenständen zu beladen; dann fuhren die drei Jünglinge ab - erst der älteste, dann der mittlere und endlich auch der jüngste.

Der älteste gelangte zuerst an den Rand der Schlucht und blickte hinab. Der jüngste fragte den mittleren und der mittlere den ältesten: »Bruder, was tut jetzt der Böse?« — »Er schreit!« —»Bruder, was tut jetzt der Böse?« — »Er schimpft!« — »Bruder, was tut jetzt der Böse?« — »Er



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wäscht sich mit dem Wasser, das ihm die Prinzessin geholt hat!« — »Bruder, was tut jetzt der Böse?« — »Er schimpft und geht zu Bette!« —»Bruder, was tut jetzt der Böse?« —»Er schnarcht!«meldete der älteste Bruder und setzte hinzu: »Jetzt kommt aber rasch hierher, denn es ist die höchste Zeit!« Nun blickten alle drei nach der Höhle hinunter und sahen die arme Frau und riefen ihr zu: »Liebe, gute Prinzessin, wir retten dich!« Die Prinzessin antwortete: »Fliehet, fliehet! Er ist so grausam!« Doch der älteste Bruder sprach: »Hab keine Angst! Ich binde meinen kleinen Bruder an ein langes Seil und lasse ihn zu dir hinunter; dann bindet er dich unten mit ans Seil an, und ich ziehe zuerst dich und dann meinen kleinen Bruder herauf!«

So geschah es! Die zitternde Prinzessin wurde herauf gezogen und dann der Knabe.

Hierauf begannen die drei, die Prinzessin mit einer Anzahl von Rosenkränzen zu behängen; schließlich war der ganze Körper mit dieser Zier bedeckt. Jetzt erst begannen sie etwas von den mitgebrachten Speisen zu genießen. Aber im Walde wollten sie nicht bleiben. Deshalb brachen sie auf und begaben sich in ein am Rande des Waldes gelegenes Gasthaus.

Der Böse wachte auf und schrie: »Katarin, bring mir das Waschwasser!« Aber niemand antwortete ihm. Da begann er laut zu brüllen: »Wo steckst du, du faules Wesen? Ich werde dich lehren, mir nicht zu antworten!« Als er sie nun trotz eifrigen Suchens nicht fand, schlug er sich vor die Stirn und schrie: »Es ist geschehen! Man hat sie entführt! Aber wo werden sie sie hingebracht haben? Sicher in das Gasthaus am Waldesrand! Da werde ich sie finden, und ich werde ihr die Knochen zermalmen!« Mit Windeseile lief der Böse nach dem Gasthause und herrschte die Prinzessin an: »Sofort gehst du mit mir zurück!« Da sah er aber auch schon, daß man sie ganz und gar mit Rosenkränzen behangen hatte. Nun wollte er probieren, ob sie nicht an irgendeiner Stelle ihres Körpers des Schutzes dieses Bannmittels entbehre; er schrie sie an: »Zeig deinen rechten Arm! Deinen linken! —Deinen rechten Fuß! Deinen linken! —Deine rechte Brust! Deine linke!« und so fort! Aber zu seinem Ärger war ihr ganzer Körper mit Rosenkränzen überdeckt, und er mußte zornentbrannt abziehen, aber er schwur, sich zu rächen.

Die drei Brüder traten nun mit der Prinzessin den Heimweg an. Alles ging sehr gut, und sie brauchten auch nicht zu hungern, da sie ja einen Karren voll Lebensmittel mitgenommen hatten. Kaum nahten sie sich



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dem Palaste des Vaters der Prinzessin, als der König auch schon aus seinen Gemächern heruntereilte und seine Tochter umarmte und küßte. Dann hieß es: »Wer von den dreien soll sie nun heiraten?« Und die Antwort lautete: »Der Jüngste, denn er hat sich hinuntergelassen in die greuliche Schlucht und die Prinzessin unten an das Seil gebunden.«


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