Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 6

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON ABU EL-HASAN AUS CHORASAN

Wisse, el-Mu'tadid-billâh' war ein hochgemuter und edelgesinnter Herrscher; er hatte in Baghdad sechshundert Wesire, und von dem, was unter dem Volke vorging, blieb ihm nichts verborgen. Eines Tages zog er nun mit Ihn Hamdûn aus, um sich bei den Untertanen umzuschauen und zu hören, was für Neuigkeiten es bei den Menschen gab; doch als der heiße Mittagswind ihnen zu drückend ward, wandten sie sich von



1000-und-1_Vol-06-409 Flip arpa

der Hauptstraße zu einer kleinen Seitengasse, und als sie in diese Gasse eingetreten waren, erblickten sie an ihrem oberen Ende ein schönes Haus, einen Bau, der sich hoch in die Lüfte schwang und gleichsam mit beredter Zunge das Lob seines Herrn sang. Die beiden setzten sich nun am Tore nieder, um sich auszuruhen; da kamen auch schon zwei Diener aus dem Hause, schön wie zwei Monde in der vierzehnten Nacht. Der eine von ihnen sprach zum andern: ,Wenn doch nur heute ein Gast um Einlaß bitten wollte! Mein Herr will ja nur mit Gästen speisen; und jetzt haben wir schon so lange gewartet, ohne daß ich einen gesehen hätte.' Über ihre Rede wunderte sich der Kalif, und er sagte: ,Dies ist ein Zeichen von der Freigebigkeit des Hausherrn. Wir müssen doch sein Haus betreten und seine Großmut kennen lernen, und dies soll der Anlaß sein, daß ihm von uns eine Gnade zuteil wird.' So sprach er denn zu dem Eunuchen: ,Bitte deinen Herrn um Einlaß für zwei fremde Gäste!' Zu jener Zeit pflegte nämlich der Kalif, wenn er bei den Untertanen Umschau hielt, sich in dem Gewande eines Kaufmanns zu verkleiden. Der Eunuch ging zu seinem Herrn hinein und brachte ihm die Meldung; und der freute sich, erhob sich und trat selbst zu ihnen hinaus. Er war schön von Angesicht, trefflich von Gestalt, und er trug ein Untergewand von Seide aus Nisabur und darüber einen goldgestickten Mantel; auch hatte er sich mit duftenden Essenzen gesalbt, und an seiner Hand befand sich ein Siegelring mit Rubinen. Als er die beiden erblickte, rief er: ,Herzlich willkommen, ihr Herren, die ihr uns durch euer Nahen die allerhöchste Ehre erweist!' Als sie dann in jenes Haus eingetreten waren, erkannten sie, daß es den Menschen die Seinen und seine Heimat vergessen ließ, denn es glich einem Stück aus dem Paradies. — —«



1000-und-1_Vol-06-410 Flip arpa

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 960. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kalif und sein Begleiter, als sie in das Haus eingetreten waren, erkannten, daß es den Menschen die Seinen und seine Heimat vergessen ließ, denn es glich einem Stück aus dem Paradies; im Hofe war ein Blumengarten, den auch vielerlei Bäume schmückten, die aller Augen entzückten, und die Wohnräume waren mit dem kostbarsten Hausrat ausgestattet. Man setzte sich, und nun saß el-Mu'tadid da und betrachtete das Haus und den Hausrat. Davon erzählte Ibn Hamdûn: ,Als ich den Kalifen anschaute, sah ich, daß seine Züge sich verändert hatten; und da ich in seinem Gesichte lesen konnte, ob er zufrieden oder mißvergnügt war, sagte ich mir, wie ich ihn so anblickte: ,Was mag ihm wohl fehlen, daß er zornig ist?' Darauf brachte man ein Becken aus Gold, und wir wuschen uns die Hände; dann breitete man ein seidenes Tuch aus und legte darauf eine Tischplatte aus Bambusrohr. Und als die Decken von den Schüsseln genommen waren, sahen wir darin Speisen, so kostbar wie die Blüten des Lenzes zur Zeit ihrer größten Seltenheit, einzeln und auch in Paaren aufgereiht. Da sagte der Hausherr: ,Im Namen Allahs', meine Herren! Bei Gott, der Hunger quält mich schon; also tut mir die Ehre an und esset von dieser Speise nach edler Männer Weise!' Darauf begann er, Hühner zu zerlegen und sie uns zu reichen; derweilen scherzte er und unterhielt uns mit Gedichten und erzählte Geschichten und allerlei lustige Märlein, wie sie sich für eine solche Gelegenheit geziemen.' Und weiter berichtete Ibn Hamdûn: ,Wir aßen und tranken und begaben uns dann in ein anderes Gemach, dessen Schönheit



1000-und-1_Vol-06-411 Flip arpa

die Augen berückte und das von zarten Wohlgerüchen duftete. Darauf ließ er einen Tisch vor uns breiten mit frischen Früchten und köstlichen Süßigkeiten, so daß unsere Freude sich noch mehrte und alle Sorge sich von uns kehrte. Trotzdem aber schaute der Kalif immer noch finster darein, und er lächelte nicht ob der Dinge, die den Seelen Freude verleihn, wiewohl er sonst Lust und Heiterkeit zu lieben pflegte und alles, was die Sorgen bannte, und ich ihn auch nicht als einen grausamen Neidhart kannte. So sprach ich denn bei mir: ,Warum macht er wohl ein so finsteres Gesicht, und warum weicht seine Verdrossenheit nicht?' Dann brachte man den Tisch mit dem Wein, der die Freunde verbindet zu trautem Verein; und man setzte den geklärten Trank in goldenen und kristallenen und silbernen Krügen vor uns hin. Nun schlug der Hausherr mit einem Rohrstabe an die Tür eines anderen Gemaches; und siehe, die Tür tat sich auf, und aus ihr traten drei hochbusige, jungfräuliche Mädchen zu uns herein, mit Angesichtern so schön, wie um die vierte Tagesstunde der Sonne Schein. Von jenen Mädchen war die eine eine Lautnerin, die andere eine Harfnerin und die dritte eine Tänzerin. Man brachte uns wiederum trockene und frische Früchte; und dann ward zwischen uns und den drei Mädchen ein Vorhang aus Brokat gezogen, dessen Quasten aus Seide und dessen Ringe aus Gold waren. Doch der Kalif beachtete all das nicht, und der Hausherr ahnte auch nicht, wer bei ihm war. Plötzlich fragte der Kalif den Hausherrn: ,Bist du ein Nachkomme des Propheten?",Nein, mein Gebieter,' antwortete jener, ,ich bin nur einer von den Söhnen der Kaufleute, und ich bin unter dem Volke bekannt als Abu el-Hasan 'All, der Sohn Ahmeds aus Chorasan.' Weiter fragte der Kalif: ,Kennst du mich, Mann?' Der andere er,.



1000-und-1_Vol-06-412 Flip arpa

widerte: ,Bei Allah, mein Gebieter, ich kenne keinen von euch Hochedlen!' Da sprach ich zu ihm: ,O Mann, dies hier ist der Beherrscher der Gläubigen, el-Mu'tadid-billâh, der Enkel von el-Mutawakkil-'alallâh."Alsbald küßte der Mann den Boden vor dem Kalifen, zitternd in seiner Furcht, und er sprach: ,O Beherrscher der Gläubigen, ich beschwöre dich bei deinen frommen Vorvätern, wenn du an mir irgendein Versäumnis oder einen Mangel an feiner Sitte vor deiner Majestät bemerkt hast, so vergib mir!' Der Kalif erwiderte: ,Was du uns an ehrenvoller Bewirtung hast zuteil werden lassen, das kann nicht übertroffen werden. Wenn du mir nun über das, was ich hier an dir befremdlich finde, wahrhaftige Auskunft gibst und diese meinem Verstande einleuchtet, so sollst du nichts von mir zu fürchten haben; wenn du mir aber nicht die Wahrheit darüber sagst, so will ich dich auf Grund eines klaren Beweises ergreifen lassen und dich strafen wie noch nie jemanden zuvor.' Darauf sagte der Mann: ,Allah verhüte, daß ich die Unwahrheit spräche! Was ist es, das du an mir befremdlich findest, o Beherrscher der Gläubigen?' Und der Kalif antwortete: ,Seit ich dein Haus betreten und seine Schönheit, seine Geräte und Teppiche und all seinen Schmuck, ja auch deine Kleider angeschaut habe, finde ich überall den Namen meines Großvaters el-Mutawakkilalallâh!' ,So ist es,' sagte der Kaufmann, ,wisse, o Beherrscher der Gläubigen - Allah stärke dich! — die Wahrheit ist dein Gewand und die Wahrhaftigkeit dein Mantel, und niemand vermag in deiner Gegenwart anders als wahrhaftig zu reden.' Nun befahl der Kalif ihm, sich zu setzen; er tat es, und der Kalif sprach zu ihm: ,Erzähle!' Da sagte der Kaufmann: ,Wisse, o Beherrscher der Gläubigen -Allah stärke dich durch Seine Hilfe und bedecke dich mit Seinen Gnaden! —in Baghdad



1000-und-1_Vol-06-413 Flip arpa

gab es keinen, der wohlhabender gewesen wäre als ich oder mein Vater. Nun leih mir Sinn und Gehör und Gesicht. damit ich dir den Grund dessen berichte. was du an mir befremdlich fandest.' Der Kalif wiederholte: ,Erzähle deine Geschichte!' Und nun hub jener an:

,Wisse, o Beherrscher der Gläubigen, mein Vater war Kaufherr in den Basaren der Geldwechsler und der Spezereienhändler und der Linnenverkäufer; er hatte in jedem dieser Basare einen Laden und einen Verwalter und Waren von vielerlei Art, und hinter dem Laden, der im Basare der Geldwechsler war, hatte er noch ein Gemach, in dem er allein sein konnte. während er den Laden nur für den Kauf und Verkauf bestimmt hatte. Größer als jede Zahl war, was er besaß, ja, es überstieg jedes Maß. Doch hatte er kein anderes Kind außer mir, und er liebte und hegte mich zärtlich. Als nun sein letztes Stündlein nahte, rief er mich zu sich und empfahl meine Mutter meiner Fürsorge und ermahnte mich zur Gottesfurcht. Und er starb —Allah habe ihn selig und erhalte den Beherrscher der Gläubigen! Ich aber gab mich den Freuden des Lebens hin und aß und trank und gesellte mich zu Freunden und Gefährten. Meine Mutter pflegte mir das zu verbieten und mich deshalb zu tadeln: aber ich hörte nicht auf ihre Worte, bis alles Geld vergeudet war. Dann verkaufte ich die Ländereien, so daß mir nichts mehr übrig blieb als das Haus, in dem ich wohnte; und und es war ein schönes Haus, o Beherrscher der Gläubigen! Da sprach ich zu meiner Mutter: ,Ich will das Haus verkaufen.' Doch sie entgegnete: ,Mein Sohn, wenn du es verkaufst, so kommt Schmach über dich, und du kennst keine Stätte mehr, wo du dein Obdach findest.' Darauf sagte ich: ,Es ist fünftausend Dinare wert; ich will dann für tausend Dinare aus dem Erlös ein anderes Haus kaufen und mit dem



1000-und-1_Vol-06-414 Flip arpa

übrigen Gelde Handel treiben.' Sie fragte mich: ,Willst du mir dies Haus um diesen Preis verkaufen?' ,Gern', erwiderte ich; und sie ging zu einer Truhe und holte aus ihr ein Porzellangefäß heraus, in dem sich fünftausend Dinare befanden; da schien es mir, als ob das ganze Haus eitel Gold sei. Sie aber sprach zu mir: ,Mein Sohn, glaube nicht, daß dies Geld deines Vaters Gut ist! Bei Allah, mein Sohn, es ist von dem Gelde meines Vaters, und ich habe es aufgespart für die Zeit der Not. Zu deines Vaters Zeiten war ich so reich, daß ich dieses Geldes nicht bedurfte.' Ich nahm also das Geld von ihr hin, o Beherrscher der Gläubigen, und kehrte zu meinem früheren Leben zurück; ich schmauste und zechte und vergnügte mich mit Freunden, bis ich die fünftausend Dinare vertan hatte, ohne auf die Worte und die Ermahnungen meiner Mutter zu achten. Darauf sagte ich wieder zu ihr: ,Ich will das Haus verkaufen.' Doch sie erwiderte: ,Mein Sohn. ich habe dir schon einmal verboten, es zu verkaufen, da ich wußte, daß du seiner bedürfen würdest; wie kannst du es nun zum zweiten Male verkaufen wollen?' Ich sagte darauf zu ihr: ,Halt mir keine langen Reden; ich muß es verkaufen!' Und sie fuhr fort: ,Dann verkaufe es mir für fünfzehntausend Dinare unter der Bedingung, daß ich selbst deine Geschäfte beaufsichtige.' Und so verkaufte ich es ihr um jenen Preis und unter der Bedingung, daß sie selbst meine Geschäfte verwaltete. Sie ließ die Verwalter meines Vaters kommen und übergab einem jeden von ihnen tausend Dinare; doch sie behielt die Verfügung über alles Geld in ihrer Hand, Einnahmen und Ausgaben standen bei ihr, und mir gab sie einen Teil des Geldes, auf daß ich damit Handel triebe, indem sie zu mir sprach: ,Setze dich in den Laden deines Vaters!' Ich tat also nach dem Geheiß meiner Mutter, o Beherrscher der Gläubigen, und begab mich in das Gemach



1000-und-1_Vol-06-415 Flip arpa

im Basar der Wechsler: und meine Freunde kamen und kauften von mir, und ich verkaufte ihnen; so hatte ich guten Verdienst, und mein Geld mehrte sich. Wie aber meine Mutter mich so auf rechtem Wege sah, zeigte sie mir, was sie an Juwelen und Edelsteinen, Perlen und Gold aufgespeichert hatte. Dann kam ich wieder in den Besitz der Grundstücke, die ich vergeudet hatte, und mein Reichtum wurde wieder so groß wie zuvor. So lebte ich eine Weile dahin, während auch die Verwalter meines Vaters zu mir kamen und ich ihnen die Waren gab; ferner baute ich mir ein zweites Gemach hinter dem Laden. Als ich nun eines Tages nach meiner Gewohnheit dort saß, o Beherrscher der Gläubigen, da trat plötzlich eine Maid zu mir ein, so schön von Angesicht, wie meine Augen noch nie eine andere geschaut hatten. Die fragte: ,Ist dies das Gemach von Abu el-Hasan'Alî ibn Ahmed aus Chorasan?' ,Jawohl', erwiderte ich ihr; und sie fragte weiter: ,Wo ist er?' ,Ich bin es', gab ich zur Antwort; doch mein Verstand war ganz von ihrer wunderbaren Schönheit berückt, o Beherrscher der Gläubigen. Dann setzte sie sich und sprach zu mir: ,Sage deinem Diener, er solle mir dreihundert Dinare abwägen!' Ich befahl ihm also, ihr jene Summe abzuwägen; und nachdem er es getan hatte, nahm sie das Geld und ging fort, während ich immer noch ganz verstörten Sinnes war. Da sagte mein Diener zu mir: ,Kennst du sie?' ,Nein, bei Allah', erwiderte ich; und er fragte weiter: ,Warum hast du mir denn gesagt, ich solle ihr das Geld abwägen?' Da rief ich: ,Bei Allah, ich wußte nicht, was ich sagte, so verwirrt war ich durch ihre Schönheit und Anmut.' Der Diener aber folgte ihr ohne mein Wissen und kehrte alsbald zurück mit Tränen im Auge und den Spuren eines Schlages in seinem Gesicht. Ich fragte ihn: ,Was fehlt dir?' und er antwortete: ,Ich bin der Dame gefolgt, um zu



1000-und-1_Vol-06-416 Flip arpa

sehen, wohin sie ging; als sie mich aber bemerkte, kehrte sie sich um und versetzte mir diesen Streich, ja, es fehlte nur wenig daran, daß sie mir mein Auge ausschlug und ihm den Garaus machte.' Dann verstrich ein Monat, ohne daß ich sie wiedersah: sie kam nicht zurück, während mein Sinn immerdar von der Liebe zu ihr berückt war, o Beherrscher der Gläubigen. Am Ende des Monats aber erschien sie plötzlich wieder und grüßte mich; ach, da war mir, als müßte ich vor Freuden auffliegen. Sie fragte mich, wie es mir ergehe, und fuhr dann fort: ,Vielleicht hast du schon bei dir selber gesprochen: Was ist es mit dieser Betrügerin? Wie konnte sie mein Geld nehmen und von dannen gehen?' Doch ich rief: ,Bei Allah, meine Gebieterin, mein Geld und mein Leben sind dein Eigentum!' Da entschleierte sie ihr Antlitz und setzte sich nieder, um sich auszuruhen, während Schmuck und Geschmeide um ihr Gesicht und ihren Busen spielten. Nun sagte sie zu mir: ,Wäge mir dreihundert Dinare ab!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte ich; und nachdem ich ihr die Goldstücke abgewägt hatte, nahm sie das Geld und ging fort. Zum Diener sprach ich: ,Folge ihr!' und er ging ihr nach; doch bald kehrte er verstört zurück, und wiederum verging eine Weile, ohne daß sie kam. Doch eines Tages, als ich dasaß, trat sie wieder zu mir ein und plauderte eine Weile; dann sprach sie zu mir: ,Wäge mir fünfhundert Dinare ab; denn ich habe sie nötig.' Schon wollte ich zu ihr sagen: ,Weshalb sollte ich dir mein Geld geben?', aber meine übergroße Liebe hinderte mich am Reden; denn jedesmal, wenn ich sie anschaute, o Beherrscher der Gläubigen, zitterten meine Glieder und erblich meine Farbe, und ich vergaß, was ich sagen wollte. Ja, ich war, wie der Dichter sagt:

Es ist nur dies: wenn ich sie plötzlich vor mir sehe,
Bin ich verwirrt, sodaß mir fast die Sprache fehlt.
416



1000-und-1_Vol-06-417 Flip arpa

Nachdem ich ihr also die fünfhundert Dinare abgewägt hatte, nahm sie das Geld und ging von dannen. Diesmal aber stand ich selber auf und folgte ihr, bis sie in den Basar der Juweliere gelangte; dort blieb sie bei einem Manne stehen und kaufte von ihm ein Halsband. Als sie sich dann umwandte und mich erblickte, sprach sie: ,Wäge ihm für mich fünfhundert Dinare ab!' Und als der Verkäufer des Halsbandes mich erblickte, erhob er sich vor mir und bezeigte mir seine Ehrfurcht. Ich aber sprach zu ihm: ,Gib ihr das Halsband; ich will dir den Preis dafür schulden!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte er, und sie nahm das Halsband und ging ihrer Wege.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 961. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Abu el-Hasan aus Chorasan des weiteren erzählte: ,Ich aber sprach zu ihm: ,Gib ihr das Halsband; ich will dir den Preis dafür schulden!' Und sie nahm das Halsband und ging ihrer Wege. Doch ich folgte ihr, bis sie zum Tigris kam und ein Boot bestieg; da machte ich mit der Hand ein Zeichen nach der Erde hin, als wollte ich den Boden vor ihr küssen. Sie fuhr lächelnd davon, während ich stehen blieb und ihr nachschaute, bis sie in einen Palast hineinging; ich sah genauer hin, und siehe da, es war der Palast des Kalifen el-Mutawakkil. Als ich dann heimkehrte, o Beherrscher der Gläubigen, da trug ich allen Schmerz der Welt in meinem Herzen; denn sie hatte mir dreitausend Dinare abgenommen, und ich sagte mir: ,Sie hat mir schon mein Geld genommen und meinen Verstand geraubt; vielleicht werde ich aus Liebe zu ihr auch noch das Leben verlieren.' Ich kehrte also nach Hause zurück und erzählte meiner Mutter alles was ich erlebt hatte; da sprach sie zu mir: ,Mein Sohn,



1000-und-1_Vol-06-418 Flip arpa

hüte dich, 'ihr hinfort noch einmal in den Weg zu kommen; sonst bist du des Todes!' Und als ich darauf in meinen Laden gegangen war, kam zu mir mein Verwalter im Basare der Spezereienhändler, ein hochbetagter Mann; der sprach zu mir: ,Mein Gebieter, warum muß ich sehen, daß du so verändert bist und die Zeichen des Kummers trägst? Sage mir, wie es um dich steht!' So erzählte ich ihm denn alles, was mir mit ihr begegnet war; und er sprach zu mir: ,Mein Sohn, sie ist wohl eine der Sklavinnen aus dem Palaste des Beherrschers der Gläubigen und vielleicht gar die Favoritin des Kalifen; also rechne das Geld, als hättest du es um Allahs des Erhabenen willen ausgegeben, und denke nicht mehr an sie! Wenn sie noch einmal zu dir kommt, so verhüte, daß sie sich dir wieder zeigt, und tu es mir kund, damit ich dir etwas ersinne, daß du nicht ins Verderben gerätst!' Danach verließ er mich und ging fort, während in meinem Herzen eine Feuerflamme lohte. Doch am Ende des Monats, siehe, da trat sie wieder zu mir ein, und ich freute mich ihrer über die Maßen. Sie fragte mich: ,Was bewog dich, mir zu folgen?' Und ich erwiderte ihr: ,Mich bewog dazu die übermächtige Liebe, die ich im Herzen trage.' Dann brach ich vor ihr in Tränen aus; und sie weinte aus Mitleid mit mir und sprach: ,Bei Allah, wenn dein Herz von Sehnsucht erfüllt ist, so ist es das meine noch viel mehr! Doch was soll ich tun? Bei Gott, es bleibt mir kein andrer Weg übrig, als daß ich dich in jedem Monat einmal sehe.' Darauf reichte sie mir ein Blatt mit den Worten: ,Nimm dies zu dem und dem dort und dort; der ist mein Verwalter. Und laß dir von ihm das geben, was darauf geschrieben steht!' Doch ich erwiderte: ,Ich brauche kein Geld; mein Geld und mein Leben gebe ich für dich dahin.' Dann fuhr sie fort: ,Ich will dir einen Plan ersinnen, durch den du zu mir gelangen kannst,



1000-und-1_Vol-06-419 Flip arpa

sollte er mir auch viel Mühe bereiten.' Und sie nahm Abschied von mir und ging fort; ich aber begab mich zu dem alten Spezereienhändler und erzählte ihm, was geschehen war. Er ging mit mir zum Palaste el-Mutawakkils, und den erkannte ich als jenen, in dem die Maid verschwunden war. Der alte Händler war zuerst ratlos, was er tun, sollte, aber dann sah er einen Schneider, der gegenüber dem Fenster, das zum Flußufer führte, mit seinen Gesellen arbeitete, und nun sprach er: ,Durch diesen wirst du dein Ziel erreichen; doch erst zerreiß deine Tasche, und dann geh zu ihm und sage ihm, er solle sie dir nähen. Wenn er das getan hat, so gib ihm zehn Dinare!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte ich; und ich begab mich zu jenem Schneider, indem ich zwei Stücke griechischen Brokats mit mir nahm. Dann sprach ich zu ihm: ,Mache mir aus diesen beiden vier Gewänder, zwei mit langen Ärmeln und zwei ohne sie!' Als er sie fertig geschnitten und genäht hatte, gab ich ihm zum Lohn viel mehr, als sonst üblich war. Er wollte mir jene Kleider mit der Hand reichen; aber ich sprach zu ihm: ,Behalt sie für dich und für die Deinen!' Dann setzte ich mich zu ihm und blieb lange bei ihm sitzen, und ich bestellte bei ihm noch andere Gewänder, indem ich sprach: ,Hänge sie vor deinem Laden auf, damit die Leute sie sehen und kaufen!' Er tat es, und wenn nun irgend jemand aus dem Palaste des Kaufen kam und an einem der Kleider Gefallen fand, so gab ich es ihm, sogar auch dem Pförtner. Eines Tages aber sagte der Schneider zu mir: ,Mein Sohn, ich möchte, daß du mir die Wahrheit über dich erzählst: denn du hast bei mir schon hundert kostbare Gewänder machen lassen, von denen ein jedes viel Geldes wert ist, und die meisten davon hast du an die Leute verschenkt. Das ist nicht Kaufmannsart; denn ein Kaufmann rechnet mit jedem Dirhem. Wie groß muß dein Besitz sein, daß du solche



1000-und-1_Vol-06-420 Flip arpa

Gaben verteilen kannst! Und wie hoch muß dein Verdienst in jedem Jahre sein! Sage mir die Wahrheit, auf daß ich dir zu deinem Ziele verhelfen kann!' Und er fügte hinzu: ,Ich beschwöre dich bei Allah, sage mir, bist du nicht von Liebe erfüllt?' ,So ist es', erwiderte ich; und er fragte weiter: ,Zu wem?' Ich antwortete: ,Zu einer von den Sklavinnen aus dem Palaste des Kaufen.' Da rief er: ,Allah bringe Schande über sie! Wie lange wollen sie die Leute noch betören?' Dann fragte er mich: ,Kennst du ihren Namen?' ,Nein', gab ich zur Antwort; und er bat mich: ,Schildere sie mir!' Nachdem ich sie ihm geschildert hatte, sprach er: ,Wehe! Das ist die Lautnerin des Kalifen el-Mutawakkil und seine Favoritin. Aber sie hat einen Mamluken, mit dem schließ Freundschaft; vielleicht wird es die Ursache werden, daß du zu ihr gelangst.' Während wir so miteinander sprachen, kam plötzlich jener Mamluk aus dem Tor des Kalifen, schön wie der Mond in der vierzehnten Nacht. Vor mir lagen die Gewänder, die der Schneider mir angefertigt hatte, und die waren aus Brokat von allen Farben. Als jener sie sah und betrachtet hatte, trat er auf mich zu; und ich erhob mich vor ihm und grüßte ihn. Er fragte mich: ,Wer bist du?' Da antwortete ich: ,Einer von den Kaufleuten.' ,Willst du diese Kleider verkaufen?' fragte er weiter; und ich erwiderte: ,Jawohl.' Dann wählte er fünf von ihnen aus und fragte: ,Wieviel kosten diese fünf?' Doch ich sagte: ,Sie sind ein Geschenk von mir für dich, auf daß Freundschaft uns verbinde.' Darüber freute er sich; und nun eilte ich nach Hause und holte ein Gewand, das mit Juwelen und Rubinen besetzt und dreitausend Dinare wert war. Ich bot es ihm dar, und er nahm es von mir an. Dann führte er mich in ein Gemach drinnen im Palaste und fragte mich: ,Wie heißest du unter den Kaufleuten?' ,Ich bin einer von erwiderte ich: und er



1000-und-1_Vol-06-421 Flip arpa

fuhr fort: ,Ich habe einen Verdacht gegen dich.' Da fragte ich: ,Warum denn?' Er gab zur Antwort: ,Weil du mir ein großes Geschenk gemacht und dadurch mein Herz gewonnen hast; jetzt bin ich überzeugt, daß du Abu el-Hasan aus Chorasan bist, der Geldwechsler.' Als ich nun zu weinen begann, o Beherrscher der Gläubigen, fragte er: ,Weshalb weinst du? Bei Allah, sie, um die du weinst, ist noch von viel größerer und heißerer Sehnsucht nach dir erfüllt als du nach ihr. Und allen Mädchen im Schloß ist bekannt, wie es zwischen dir und ihr steht.' Alsdann fragte er mich: ,Was wünschest du?' Ich erwiderte: ,Ich wünsche, daß du mir in meiner Not zu Hilfe kommst.' Da bestellte er mich auf den folgenden Tag, und ich begab mich nach Hause. Am nächsten Morgen eilte ich zu ihm, und nachdem ich sein Gemach betreten hatte, kam auch er und sprach zu mir: ,Wisse, als sie gestern ihren Dienst beim Kalifen beendet hatte und wieder in ihr Gemach eingetreten war, erzählte ich ihr alles von dir; und sie ist nun entschlossen, mit dir zusammenzutreffen. Bleib also bei mir, bis der Tag zur Rüste geht!' So blieb ich denn dort, und als die Dunkelheit anbrach, kam der Mamluk mit einem Untergewand aus golddurchwirktem Stoffe und einem der Prachtgewänder des Kaufen; er legte mir die beiden an und beräucherte mich mit Wohlgerüchen, so daß ich dem Kalifen gleich ward. Darauf geleitete er mich in eine Halle mit je einer Reihe von Gemächern auf beiden Seiten und sprach zu mir: ,Dies sind die Gemächer der Lieblingssklavinnen; wenn du an ihnen vorbeigehst, so lege vor jede Tür eine Bohne; denn es ist die Sitte des Kalifen, allnächtlich so zu tun.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 962. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir



1000-und-1_Vol-06-422 Flip arpa

berichtet worden, o glücklicher König, daß Abu el-Hasan des weiteren erzählte: ,Der Mamluk sprach zu mir: ,Wenn du an ihnen vorbeigehst, so lege vor jede Tür eine Bohne, denn es ist die Sitte des Kaufen, so zu tun; wenn du dann zum zweiten Gange rechter Hand gelangst, so wirst du ein Gemach sehen, dessen Türschwelle aus Marmor ist. Die berühre mit der Hand. sobald du dort angekommen bist; oder wenn du willst, so zähle die Türen, deren soundso viele sind, und tritt in die Tür ein, die soundso aussieht: deine Freundin wird dich sehen und dich zu sich einlassen! Deinen Ausgang aber wird Allah mir leicht machen, wenn ich dich auch in einer Kiste hinausschaffen müßte!' Dann verließ er mich und kehrte zurück, während ich weiterging und die Türen zählte und vor jede Tür eine Bohne legte. Als ich aber die Mitte der Halle erreicht hatte, hörte ich plötzlich ein lautes Geräusch und sah das Licht von Kerzen, und dies Licht kam auf mich zu, bis es ganz in meiner Nähe war. Ich blickte verstohlen hin und erkannte. daß es der Kalif war, umgeben von den Sklavinnen, die jene Kerzen trugen. Auch hörte ich, wie eine von ihnen zu einer anderen sagte: ,Schwester, haben wir heute zwei Kalifen? Der Kalif ist schon an meinem Gemach vorbeigegangen, und ich habe auch den Duft seiner Spezereien und Wohlgerüche gespürt, ja, er hat auch wie immer die Bohne vor mein Zimmer gelegt. Und soeben sah ich das Licht der Kerzen des Kalifen, und er kam selbst mit ihnen daher.' Und die andere sagte: ,Das ist wirklich sonderbar. Es wird doch niemand sich gegen den Kalifen herausnehmen, seine Gewänder anzulegen!' Als aber das Licht noch näher kam, zitterten mir die Glieder. Plötzlich jedoch rief ein Eunuch den Frauen zu: ,Hierher!' Da wandten sie sich zu einem der Gemächer und traten dort ein; und nachdem sie wieder herausgekommen waren, gingen



1000-und-1_Vol-06-423 Flip arpa

sie weiter, bis sie das Gemach meiner Freundin erreichten. Nun hörte ich, wie der Kalif sagte: ,Wessen Gemach ist dies?' ,Es ist das Gemach von Schadscharat ed-Dürr', ward ihm gesagt; und er gebot: ,Ruft sie!' Als man sie gerufen hatte, kam sie heraus und küßte die Füße des Kalifen. Er fragte sie: ,Willst du heute abend trinken?' Und sie gab ihm zur Antwort: ,Wäre es nicht um deiner Gegenwart willen und um dein Antlitz zu schauen, so würde ich nicht trinken; denn heute abend gelüstet es mich nicht nach dem Weine.' Da sprach der Kalif zum Eunuchen: ,Sage dem Schatzmeister, er solle ihr dasunddas Halsband geben!' Dann befahl er, in ihr Gemach' einzutreten, und die Wachskerzen wurden ihm vorangetragen, während er ihnen dorthin folgte. Nun aber kam plötzlich eine Maid, die ihnen vorausgeeilt war und deren Antlitz das Licht der Kerze in ihrer Hand überstrahlte, und trat auf mich zu und sprach: ,Wer ist denn das?' Dann ergriff sie mich und zog mich in eines der Zimmer; dort fragte sie mich: ,Wer bist du?' Ich küßte den Boden vor ihr und rief: ,Ich beschwöre dich bei Allah, meine Gebieterin, schone mein Blut. habe Erbarmen mit mir und verdiene dir Gottes Lohn, indem du mein Leben rettest!' In meiner Todesangst weinte ich; doch sie sprach: ,Du bist sicherlich ein Dieb!' ,Nein, bei Allah, ich bin kein Dieb,' erwiderte ich, ,sehe ich dir etwa wie ein Dieb aus?' Da sagte sie: ,Tu mir die Wahrheit über dich kund, so will ich dich in Sicherheit bringen!' Und ich gestand: ,Ich bin ein törichter, einfältiger Liebender, den die Leidenschaft und sein Unverstand zu solchem Tun getrieben haben, wie du es jetzt an ihm siehst; so bin ich in diesen Abgrund der Gefahr geraten.' Dann sprach sie: ,Bleib hier, bis ich zu dir zurückkomme!' Darauf



1000-und-1_Vol-06-424 Flip arpa

eilte sie fort und kehrte mit den Kleidern einer ihrer Dienerinnen zurück; die legte sie mir in jenem Raume an, und nun befahl sie: ,Folge mir!' Ich ging also hinter ihr her, bis sie ihr eigenes Gemach erreichte und zu mir sprach: ,Tritt hier ein!' Als ich in ihr Gemach hineingegangen war, führte sie mich zu einem Lager, über das ein prächtiger Teppich gebreitet war, und sprach: ,Setze dich; dir soll kein Leid widerfahren! Bist du nicht Abu el-Hasan aus Chorasan, der Wechsler?' ,Der bin ich'. erwiderte ich; und sie fuhr fort: ,Allah hat dein Blut verschont, wenn du die Wahrheit sprichst und kein Dieb bist; sonst wärest du des Todes, zumal du als Kalif auftrittst, seine Kleider trägst und mit seinen Wohlgerüchen beräuchert bist. Wenn du aber wirklich der Wechsler Abu el-Hasan 'Alt aus Chorasan bist, so bist du in Sicherheit, und dir soll kein Leid geschehen; denn dann bist du der Freund von Schadscharat ed-Dürr, die meine Schwester ist. Sie hört nie auf, deinen Namen zu nennen und uns zu erzählen, wie sie das Geld von dir entnahm, ohne daß du ungehalten wurdest, und wie du ihr bis zum Ufer des Stromes folgtest und ehrerbietig mit der Hand auf den Boden wiesest; und in ihrem Herzen brennt für dich ein noch heißeres Feuer als in deinem für sie. Aber wie bist du hierher gekommen? Geschah es auf ihren Befehl oder ohne ihre Weisung? Du hast wahrlich dein Leben gefährdet, und was erwartest du von dem Zusammensein mit ihr?' ,Bei Allah, meine Gebieterin,' erwiderte ich, ,ich habe mein Leben aufs Spiel gesetzt, und ich wünsche von dem Zusammensein mit ihr nur, daß ich ihr Antlitz schaue und ihre Stimme höre.' Da rief sie: ,Das ist recht von dir.' Und ich fuhr fort: ,Meine Gebieterin, Allah ist mein Zeuge für das, was ich sage: meine Seele hat mich noch nie zu einem Vergehen wider ihre Ehre verleiten wollen.' Sie sagte darauf: ,Wegen dieser Absicht hat Allah dich geschützt



1000-und-1_Vol-06-425 Flip arpa

und ist mein Herz von Mitleid mit dir ergriffen worden.' Dann rief sie ihrer Dienerin zu: ,Du da, geh zu Schadscharat ed-Dürr und melde ihr: ,Deine Schwester läßt dich grüßen und bittet dich, du wollest heute abend zu ihr kommen, wie du es zu tun pflegst; denn ihr ist die Brust beklommen.' Die Dienerin begab sich zu ihr, und als sie zurückkehrte, berichtete sie ihrer Herrin: ,Deine Schwester läßt dir sagen: ,Allah erhalte dich mir lange und gebe, daß ich mein Leben für dich opfern möge! Bei Gott, hättest du mich zu einer anderen Zeit gerufen, so würde ich nicht fern bleiben; aber nun zwingen mich die Kopfschmerzen des Kaufen dazu, und du weißt ja, in welch hohem Ansehen ich bei ihm stehe.' Da sagte die Maid zu ihrer Dienerin: ,Geh doch noch einmal zu ihr und sprich zu ihr: ,Du mußt wegen eines Geheimnisses zwischen dir und meiner Herrin zu ihr kommen.' So ging denn die Dienerin zum zweiten Male zu ihr, und nach einer Weile kam sie mit der Herrin zurück, deren Angesicht leuchtete wie der volle Mond. Ihre Schwester eilte ihr entgegen und umarmte sie; dann sprach sie: ,Abu el-Hasan, komm heraus zu ihr und küsse ihr die Hände!' Denn ich war in einer Kammer hinter dem Gemach; doch nun trat ich hervor zu ihr, o Beherrscher der Gläubigen, und als sie mich erblickte, warf sie sich auf mich, drückte mich an ihre Brust und sprach zu mir: ,Wie kommt es, daß du die Gewänder des Kalifen und seinen Schmuck und seine Düfte an dir trägst?' Dann fuhr sie fort: ,Erzähle mir, wie es dir ergangen ist!' So erzählte ich ihr denn, wie es mir ergangen war, und was ich an Furcht und anderem durchgemacht hatte. Sie sagte darauf: ,Was du um meinetwillen erlitten hast, betrübt mich schwer; doch Preis sei Gott, der alles zum guten Ende geführt hat! Denn jetzt bist du ganz sicher, da du in meine und meiner Schwester Wohnung eingetreten



1000-und-1_Vol-06-426 Flip arpa

bist.' Dann führte sie mich in ihr eigenes Gemach, indem sie zu ihrer Schwester sprach: ,Ich habe mit ihm einen Bund geschlossen, daß ich nur in allen Ehren mit ihm zusammensein will; und wie er sein Leben aufs Spiel gesetzt und diese Schrecken ertragen hat, so will ich die Erde sein unter dem Schritt seiner Füße und der Staub für seine Sandalen.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 963. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Abu el-Hasan des weiteren erzählte: ,Die Herrin sprach zu ihrer Schwester: ,Ich habe einen Bund mit ihm geschlossen, daß ich nur in allen Ehren mit ihm zusammen sein will; und wie er sein Leben aufs Spiel gesetzt und diese Schrecken ertragen hat, so will ich die Erde sein unter dem Schritt seiner Füße und der Staub für seine Sandalen.' Darauf erwiderte ihr die Schwester: ,Durch diese Absicht errette ihn Allah der Erhabene!' Dann fuhr meine Freundin fort: ,Bald sollst du sehen, was ich tun werde, auf daß ich mich mit ihm in Ehren vereinige; ja, ich muß mein Herzblut hingeben, damit ich dies erreiche.' Doch während wir noch sprachen, vernahmen wir ein lautes Geräusch, und als wir uns umwandten, erblickten wir den Kalifen, der sich wieder zu ihrem Gemach begeben wollte, da er so sehr von Liebe zu ihr erfüllt war. Da nahm sie mich, o Beherrscher der Gläubigen, und verbarg mich in einem unterirdischen Raum und verschloß die Falltür über mir. Dann eilte sie dem Kaufen entgegen und hieß ihn willkommen; er aber setzte sich, während sie vor ihm stand und ihn bediente: darauf befahl er, Wein zu bringen. Nun liebte der Kalif eine Maid, die el-Bandscha hieß, die Mutter von el-Mu'tazz-billâh'; aber sie



1000-und-1_Vol-06-427 Flip arpa

hatten sich voneinander abgewandt. Im Stolz ihrer Schönheit und Lieblichkeit wollte sie ihm nicht die Hand zum Frieden reichen; noch auch wollte el-Mutawakkil ihr Versöhnung anbieten und sich vor ihr demütigen, und zwar um der Würde des Kalifats und der Herrschaft willen, wiewohl sein Herz von Leidenschaft zu ihr entflammt war. So suchte er denn seinen Sinn von ihr abzulenken, indem er sich ihresgleichen unter den Odalisken zuwandte und sie in ihren Gemächern besuchte. Er liebte auch den Gesang von Schadscharat ed-Dürr; deshalb befahl er ihr zu singen. Da nahm sie die Laute, stimmte die Saiten zum rechten Klingen und hub an diese Verse zu singen:

Staunend sah ich, wie das Schicksal mich von dir zu trennen suchte;
Doch als unser Glück geendet, sah ich auch das Schicksal ruhn.
Ach, ich mied dich, bis man sagte: Liebe ist ihm fremd geworden;
Und ich suchte dich, bis daß es hieß: Geduld versagt ihm nun.
Liebe, quäle mich allnächtlich immer noch mit neuer Pein!
Aber du, o Trost der Tage, stell am Jüngsten Tag dich ein! Ihre Haut ist wie von Seide, ihre Stimme zart von Klang,
Und sie plaudert nicht zu wenig, doch sie schwätzt auch nicht zu lang.
Von den Augen sagte Allah: Werdet! und da wurden sie.
Und sie schaun ins Herz, als ob der Wein die Rauschkraft ihnen lieh.

Als der Kalif ihr Lied vernahm, war er aufs höchste entzückt. und auch ich, o Beherrscher der Gläubigen, ward in dem unterirdischen Verlies so entzückt, daß ich laut aufgeschrieen hätte, wenn nicht die gütige Vorsehung Allahs des Erhabenen gewesen wäre - und dann wären wir entdeckt worden. Darauf sang sie auch diese Verse:

Ich umarm ihn -doch die Seele ist noch voller Sehnsuchtspein;
Dennoch, kann man sich denn näher als in der Umarmung sein?
Und ich küsse seine Lippen, daß die heiße Glut vergeh;
Doch es brennt in meinem Innern stärker noch das Liebesweh.
Ach, es ist, als ob der Durst im Herzen Heilung nie gewinnt,
Bis du siehst, daß beide Seelen ganz in eins verschmolzen sind.



1000-und-1_Vol-06-428 Flip arpa

Auch davon war der Kalif entzückt, und er sprach: ,Erbitte dir eine Gnade von mir, Schadscharat ed-Dürr!' Sie erwiderte: ,Ich erbitte als Gnade von dir meine Freilassung, o Beherrscher der Gläubigen, auf daß du dir den Lohn des Himmels verdienst!' Da sagte er: ,Du bist frei um Allahs des Erhabenen willen'; und sie küßte den Boden vor ihm. Dann fuhr er fort: ,Nimm die Laute zur Hand und sing uns etwas von meiner Sklavin, der mein Herz in Liebe zugetan ist und deren Wohlgefallen ich suche wie das Volk das meine.' So griff sie demi zur Laute und sang diese Verse:

O schöne Herrin, die du meine Andacht raubtest,
Du mußt die Meine werden, sei es, wie es sei:
Sei's, daß die Demut spricht, wie sie die Liebe zieret,
Sei's durch Gewalt -die steht dem Herrscherthrone frei.

Der Kalif ward von neuem entzückt, und nun sprach er: ,Nimm deine Laute noch einmal zur Hand und sing ein Lied, das da schildert, wie es mir mit drei Mädchen ergeht, die meine Zügel in den Händen tragen und meinen Schlaf verjagen; es sind aber du und jene eigensinnige Odaliske und eine andere, die ich nicht nennen will und die nicht ihresgleichen hat!' Da nahm sie die Laute und ließ die Saiten erklingen und hub an, diese Verse zu singen:

Sie drei, die zarten Mägdlein, halten meine Zügel
Und thronen mir im Herzen als die höchste Zier.
Ich schulde niemand in der ganzen Welt Gehorsam;
Und doch gehorch ich ihnen, und sie trotzen mir.
Das ist allein der Liebe allgewalt'ge Macht:
So ward ich um der Herrschaft höchstes Gut gebracht.

Da ward der Kalif von größter Verwunderung ergriffen über diese Verse, die seine Lage so trefflich schilderten, und die große Freude machte ihn geneigt, sich mit der eigensinnigen Odaliske wieder zu versöhnen. Darauf ging er hinaus und begab



1000-und-1_Vol-06-429 Flip arpa

sich zu ihrem Gemach: aber eine Dienerin eilte vorauf und meldete ihr das Nahen des Kaufen. So kam ihm denn die Odaliske entgegen und küßte den Boden vor ihm; dann küßte sie seine Füße, und er versöhnte sich mit ihr, wie sie mit ihm sich ausgesöhnt hatte.

Wenden wir uns nun von dem Kalifen wieder zu Schadscharat ed-Dürr! Die kam erfreut zu mir und sprach: ,Ich bin frei geworden durch dein gesegnetes Kommen. Nun möge Allah mir helfen, daß ich einen Plan ersinne, durch den ich in Ehren mit dir vereint werden kann!' Da rief ich: ,Allah sei gepriesen!' Doch während wir noch miteinander sprachen, kam ihr Eunuch zu uns herein, und wir erzählten ihm, was bei uns geschehen war. Er sprach: ,Preis sei Allah, der bislang alles zu gutem Ende geführt hat, und wir wollen den Allmächtigen bitten, daß Er nun das Ganze vollende, indem du wohlbehalten fortgehen kannst!' Und als wir in diesem Gespräch waren, kam auch jene andere Sklavin, ihre Schwester, die den Namen Fâtir trug. Zu der sprach Schadscharat ed-Dürr: ,Schwester, wie sollen wir es beginnen, daß wir ihn wohlbehalten aus dem Palast schaffen? Siehe, Allah der Erhabene hat mir gnädigst die Freilassung gewährt, und ich bin nun eine Freie geworden durch den Segen seines Kommens.' Fâtir antwortete ihr: ,Ich habe kein anderes Mittel, um ihn hinauszubringen, als daß ich ihm Frauenkleider anlege.' Darauf holte sie Frauengewänder und kleidete mich darein; und alsbald ging ich hinaus, o Beherrscher der Gläubigen; doch als ich bis zur Mitte des Palastes gekommen war, saß dort der Beherrscher der Gläubigen, und die Diener standen vor ihm. Wie er mich erblickte, betrachtete er mich mit dem größten Befremden, und er rief seinen Dienern zu: ,Eilt hin und bringt mir die Sklavin, die dort vorbeischleicht!' Nachdem sie mich vor ihn geführt hatten, hoben



1000-und-1_Vol-06-430 Flip arpa

sie meinen Schleier auf; und sobald er mein Gesicht sah, erkannte er mich und stellte mich zur Rede. Ich tat ihm alles kund und verbarg nichts vor ihm. Und als er meine Geschichte vernommen hatte, sann er darüber nach; dann aber sprang er plötzlich auf, begab sich in das Gemach von Schadscharat ed-Dürr und fragte sie: ,Wie kannst du mir einen von den Söhnen der Kaufleute vorziehen?' Da küßte sie den Boden vor ihm und erzählte ihm ihre ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende der Wahrheit gemäß; und als er ihre Worte vernommen hatte, hatte er Mitleid mit ihr, und sein Herz erbarmte sich ihrer, so daß er ihr um der Liebe und ihrer Nöte willen verzieh; dann ging er fort. Darauf trat ihr Eunuch zu ihr herein und sprach zu ihr: ,Sei guten Mutes; als dein Freund vor dem Kalifen stand, hat der ihn gefragt, und er hat ihm Wort für Wort die gleiche Geschichte erzählt wie du.' Nun kehrte der Kalif zurück und ließ mich wieder vor sich kommen und fragte mich: ,Was trieb dich dazu, dich in den Palast des Kalifats zu wagen?' ,O Beherrscher der Gläubigen,' erwiderte ich, ,mich trieben dazu meine Liebestorheit und das Vertrauen auf deine Verzeihung und deine Großmut.' Dann brach ich in Tränen aus und küßte den Boden vor ihm; er aber sprach: ,Ich habe euch beiden verziehen', und befahl mir, mich zusetzen. Nachdem ich mich niedergesetzt hatte, berief er den Kadi Ahmed ibn Abi Duwâd, und der vermählte mich mit ihr. Nun befahl er, alles, was ihr gehörte, solle in mein Haus geschafft werden. Sie ward in ihrem Gemach mir als Braut zugeführt, und drei Tage danach ging ich fort und ließ all jenes Gut in mein Haus bringen. Was du, o Beherrscher der Gläubigen, hier in meinem Hause siehst, und was dich befremdete, das ist alles insgesamt von ihrer Ausstattung. Doch eines Tages sprach sie zu mir: ,Wisse, el-Mutawakkil ist ein hochherziger Mann; aber ich fürchte, er wird



1000-und-1_Vol-06-431 Flip arpa

vielleicht einmal nicht gern an uns zurückdenken, oder einer von den Neid ern wird ihn an uns erinnern. Darum will ich etwas tun, was uns davor sichern soll.' ,Was ist denn das?' fragte ich; und sie antwortete: ,Ich will ihn um Erlaubnis bitten, daß ich die Pilgerfahrt mache und reumütig von dem Singen ablasse.' Darauf sagte ich: ,Der Plan, den du gefaßt hast, ist vortrefflich.' Doch während wir noch miteinander redeten. kam plötzlich ein Bote des Kaufen zu mir, um sie zu holen; denn el-Mutawakkil liebte ihren Gesang. So ging sie denn hin und versah ihren Dienst bei ihm; und er sprach zu ihr: ,Laß uns dich nie entbehren!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte sie. Nun begab es sich eines Tages, als sie wieder zu ihm gegangen war, da er seiner Gewohnheit gemäß nach ihr geschickt hatte, daß sie plötzlich, ehe ich mich dessen versah, mit zerrissenen Gewändern und mit Tränen im Auge von ihm zurückkam. Erschrocken rief ich: ,Siehe, wir sind Allahs Geschöpfe, und zu Ihm kehren wir zurück!' Denn ich vermutete, er hätte befohlen, uns zu ergreifen; so fragte ich sie denn: ,Ist el-Mutawakkil etwa wider uns ergrimmt?' Doch sie rief: ,Ach, wo ist el-Mutawakkil? Wisse, el-Mutawakkils Herrschaft hat ihr Ende gefunden, und seine Spur auf Erden ist geschwunden!' ,Sage mir die Wahrheit, was ist geschehen?' rief ich darauf; und nun erzählte sie mir: ,Er saß hinter seinem Vorhang und trank mit el-Fath ibn Chakân und Sadaka ibn Sadaka. Da fiel plötzlich sein Sohn el-Muntasir mit einer Schar von Türken über ihn her und tötete ihn. So wurde die Heiterkeit zum bitteren Leid und fröhliches Behagen zu Weinen und Klagen. Ich flüchtete mit der Sklavin, und Allah errettete uns.' Nun machte ich mich sofort auf, o Beherrscher der Gläubigen, und zog hinab gen Basra. Dort erreichte mich nach einer Weile die Kunde von dem Ausbruche des Krieges zwischen el-Muntasir



1000-und-1_Vol-06-432 Flip arpa

und el-Musta'în: und in meiner Furcht brachte ich meine Frau und all mein Gut nach Basra. Dies ist meine Geschichte, o Beherrscher der Gläubigen; ich habe nichts hinzugefügt und nichts fortgelassen. Und so ist alles, was du in meinem Hause siehst und was den Namen deines Großvaters el-Mutawakkil trägt, eine Gabe seiner Huld gegen uns; denn wir verdanken den Ursprung unseres Glückes den Hochedlen, denen du deinen Ursprung verdankst. Wahrlich, ihr seid Männer der Wohltätigkeit und die Quelle aller Freigebigkeit!'

Darüber war der Kalif hoch erfreut, und die Geschichte erfüllte ihn mit Verwunderung. Dann ließ ich - so berichtete uns Abu el-Hasan -die Herrin und meine Kinder von ihr kommen; sie küßten den Boden vor ihm, und er staunte ob ihrer Anmut. Ferner rief er nach dem Schreibzeug und schrieb uns eine Urkunde, daß unsere Besitztümer auf zwanzig Jahre von der Grundsteuer befreit sein sollten.

Der Kalif hatte solches Gefallen an Abu el-Hasan, daß er ihn zu seinem Tischgenossen machte, bis das Geschick sie trennte und sie aus der Schlösser Pracht einzogen in die Grabesnacht —Preis sei dem König der allvergebenden Macht! Ferner wird erzählt, o glücklicher König,


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt