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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 6

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON HARÛN ER-RASCHÎD UND ABU HASAN, DEM KAUFMANN AUS OMAN'

Eines Nachts war der Kalif Harûn er-Raschîd von Schlaflosigkeit heftig geplagt; da rief er nach Masrûr, und als der gekommen war, sprach er zu ihm: ,Hole mir so gleich Dscha'far!' Jener ging hin und holte den Wesir, und als der vor dein Herrscher stand, sprach dieser: ,Dscha'far, heute nacht ist Schlaflosigkeit



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über mich gekommen, und der Schlummer ist mir versagt; nun weiß ich nicht, was mir Ruhe verschaffen könnte.' ,O Beherrscher der Gläubigen,' erwiderte Dscha'far, ,die Weisagen: sagen: In den Spiegel schauen, ins Badehaus gehen, dem Gesange lauschen, all das vertreibt Kummer und Sorgen.' Doch der Kalif sagte darauf: ,Ach, Dscha'far, ich habe ja dies alles schon getan; aber es hat mir keine Ruhe gebracht. Jetzt schwöre ich bei meinen frommen Vorvätern, wenn du mir kein Mittel ersinnst, mich von dieser Unruhe zu befreien, so lasse ich dir den Kopf abschlagen.' Der Wesir fuhr fort: ,O Beherrscher der Gläubigen, willst du tun, was ich dir rate?' ,Was rätst du mir denn?' fragte der Herrscher; und Dscha'far gab ihm zur Antwort: ,Dies, daß wir ein Boot besteigen und in ihm den Tigrisfluß mit der Strömung hinabfahren, bis zu einem Orte, der Kam es-Sarât genannt wird. Vielleicht hören wir dann etwas, das wir noch nicht gehört haben, oder sehen etwas, das wir noch nicht gesehen haben; denn es heißt: ,Befreiung von Sorgen liegt in einem von drei Dingen: darin, daß man sieht, was man noch nie gesehen hat, oder daß man hört, was man noch nie gehört hat, oder daß man ein Land betritt, das man noch nie betreten hat.' Und so wird dies vielleicht auch ein Mittel sein, um die Unruhe von dir zu vertreiben, o Beherrscher der Gläubigen.' Alsbald machte er-Raschîd sich auf, begleitet von Dscha'far, von dessen Bruder el-Fadl, ferner von Ishâk dem Tischgenossen, von Abu Nuwâs, Abu Dulaf und Masrûr, dem Schwertträger. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 947. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kalif und



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Dscha'far und die anderen Begleiter, nachdem sie sich erhoben hatten, in die Kleiderkammer eintraten und alle sich in Gewänder von Kaufleuten kleideten. Dann begaben sie sich zum Tigris und bestiegen ein Boot, das mit Gold verziert war; in ihm fuhren sie mit der Strömung hinab und erreichten die Stätte, die sie erstrebten. Dort vernahmen sie plötzlich die Stimme einer Maid, die zur Laute sang und diese Verse vortrug:

Ich sprech zu ihm, wenn mir der Wein im Becher leuchtet
Und wenn die Nachtigall im dichten Laube singt:
Wie lange willst du dich der Freude noch enthalten?
Erwach! Ein Lehn ist alles, was das Leben bringt.
So nimm den Trank aus Händen eines lieben Freundes.
Der dich versonnen anschaut mit verhaltner Sucht!
Ich sät auf seine Wangen eine frische Rose;
Da reifte bei den Locken der Granate Frucht.
Du siehst, wo sonst Betrübte ihr Gesicht zerfleischen,
Verglommne Asche; doch der Wangen Feuer blinkt.'
Der Tadler sagt zu mir, ich solle sein vergessen;
Wie könnt ich das, solang der Flaum mir heimlich winkt.

Als der Kalif diesen Gesang hörte, rief er: ,O Dscha'far, wie herrlich ist diese Stimme!' Und der Wesir erwiderte: ,O unser Gebieter. nie ist etwas Lieblicheres oder Schöneres als dieser Gesang in meinen Ohren erklungen! Doch, hoher Herr, hinter einer Mauer hören, heißt nur halb hören. Wie wäre es, hinter einem Vorhang zu hören? Da sprach der Kalif: ,Wohlan denn, Dscha'far, wir wollen uns selbst bei dem Herrn dieses Hauses zu Gaste laden; vielleicht werden wir dann die Sängerin mit unseren eigenen Augen erblicken.' ,Wir hören und gehorchen', antwortete Dscha'far; und nun verließen sie alle das Boot und baten um Einlaß. Siehe, da trat ein Jüngling zu ihnen heraus,



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der war schön von Angesicht und sprach zierlich und in gewählten Worten: ,Herzlich willkommen, ihr Herren, die ihr mir die Gunst eurer Gegenwart erweiset! Tretet ein zu Gemach und Behagen!' So traten sie denn ein, indem er ihnen voranging, und sie erblickten einen Saal mit vier Fronten, dessen Decke mit Gold verziert war und dessen Wände azurnen Schmuck trugen. Darinnen befand sich eine Estrade, und auf ihr stand eine schöne gepolsterte Bank mit Rückenlehnen; dort saßen hundert Mädchen, schön wie Monde. Denen rief der Herr des Hauses, und nachdem sie von ihren Sitzen heruntergekommen waren, wandte er sich zu Dscha'far und sprach zu ihm: ,Ich weiß nicht, wer von euch der Allerhöchste an Rang ist. In Allahs Namen, wer von euch der Höchste ist, geruhe sich auf den Ehrenplatz zu setzen, und ein jeder von seinen Gefährten setze sich nach dem Range, der ihm gebührt.' Da ließen sie sich alle nieder, jeder an seine Stätte, während Masrûr vor ihnen stand, um ihnen aufzuwarten. Nun fragte der Herr des Hauses sie: ,Meine Gäste, soll ich euch mit eurer Erlaubnis etwas zu essen bringend' ,Gern', erwiderten sie; und er gebot alsbald den Dienerinnen, die Speisen aufzutragen. Vier Mädchen mit geschürzten Gewändern stellten einen Tisch vor sie hin; auf dem befanden sich alle Arten von seltenen Gerichten, was da läuft und sich in den Lüften bewegt, und was in den Meeren sich regt; unter anderem waren dort Flughühner und Wachteln, Küken und Tauben. Und um den Rand des Tisches standen Verse geschrieben, die einer solchen Gelegenheit angemessen waren. Die Gäste aßen, bis sie gesättigt waren, und wuschen sich danach die Hände. Da sprach der Jüngling: ,Liebe Herren, wenn ihr noch einen Wunsch habt, so tut ihn mir kund, auf daß wir die Ehre haben, ihn zu erfüllen!' ,Ja,' erwiderten sie, ,wir sind eigentlich nur deshalb in



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deine Wohnung gekommen, um eine Stimme zu hören, die wir hinter der Mauer deines Hauses vernommen haben; und nun möchten wir ihr noch einmal lauschen und die Maid, die so singt, kennen lernen. Wenn du es darum für recht hältst, uns diese Gunst zu gewähren, so wäre das ein neues Zeichen von der Großmut deines Wesens. Danach wollen wir dorthin zurückkehren, von wo wir gekommen sind.' ,Das sei euch gewährt!' sagte der Wirt, wandte sich an eine schwarze Sklavin und sprach zu ihr: ,Hole deine Herrin Soundso!' Da ging die Sklavin fort, kam mit einem Stuhl zurück und setzte ihn nieder; dann entfernte sie sich noch einmal und kehrte mit einer Maid zurück, die dem Mond in der Nacht seiner Fülle glich. Die setzte sich auf den Stuhl, und nachdem ihr die schwarze Sklavin ein Tuch aus Atlas gereicht hatte, holte sie daraus eine Laute hervor, die mit Edelsteinen und Rubinen eingelegt war und Wirbel aus Gold hatte. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 948. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Maid, nachdem sie hereingetreten war, sich auf den Stuhl setzte und die Laute aus dem Beutel nahm, jene, die mit Edelsteinen und Rubinen eingelegt war und Wirbel aus Gold hatte. Dann stimmte sie die Saiten zu reinem Lautenklang, und es war, wie der Dichter von ihr und ihrer Laute sang:

Sie legte sie auf ihren Schoß, wie eine Mutter
Voll Liebe ihren Sohn, und schlug die Saiten an.
Und immerdar, wenn ihre rechte Hand sie rührte,
War's ihre Linke, die den reinen Ton gewann.

Und so zog sie die Laute an ihre Brust und neigte sich über sie, wie eine Mutter sich über ihr Kind neigt; dann rührte sie die



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Saiten, und die klagten, wie das Kindlein seiner Mutter klagt, und schließlich spielte sie und hub an, diese Verse zu singen:

Wenn mir die Zeit den Freund zurückgibt, will ich schelten:
Geführte mein, nun la!! die Becher kreisen, lab
Am Weine dich, der nie ins Herz des Mannes eindrang,
Ohn daß er ihm der Freude höchste Wonne gab!
Der Zephir nahte sich und trug des Weines Becher;
Hast du den Stern gesehen in des Vollmonds Hand?'
Wie manche Nacht verbracht ich plaudernd, wenn der Vollmond
So hell im Dunkel ob des Tigris Fluten stand!
Dann senkte sich der Mond, dem Schwinden zugekehrt,
Als reckt' er übers Wasser hin ein gulden Schwert.

Als sie ihr Lied beendet hatte, weinte sie bitterlich; und alle, die im Saale zugegen waren, weinten laut, bis sie fast den Geist aufgaben. Keiner war unter ihnen, der um ihres schönen Gesanges willen nicht den Verstand fast verloren, seine Kleider zerrissen und sich ins Angesicht geschlagen hätte. Da sprach er-Raschîd: ,Fürwahr, der Gesang dieser Maid beweist, daß sie eine verlassene Liebende ist.' Ihr Herr erwiderte: ,Sie hat Vater und Mutter verloren'; doch er-Raschîd fuhr fort: ,Dies ist nicht das Weinen einer, die Vater und Mutter verloren hat; nein, es ist das Klagen einer, die ihren Geliebten verloren hat.' Und entzückt von ihrem Gesang, sprach der Kalif zu Ishâk: ,Bei Allah, ihresgleichen habe ich nie gesehen!' Und Ishâk sagte: ,Ich bewundere sie über alle Maßen, ja, ich kann mich vor Entzücken nicht halten.' Derweilen schaute er-Raschîd immer den Hausherrn an und betrachtete seine Schönheit und all seine Lieblichkeit. Doch in seinem Antlitz entdeckte er Zeichen der Blässe, und so wandte er sich zu ihm und rief: ,Du Jüngling!' Jener antwortete: ,Zu Diensten, mein Gebietet!'



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Und der Kalif fuhr fort: ,Weißt du, wer wir sind?' ,Nein', erwiderte der Jüngling; und dann fragte Dscha'far: ,Wünschest du, daß wir dir von einem jeden von uns den Namen kundtun?' ,Ja', gab der Jüngling zur Antwort; und nun hub Dscha'far an: ,Dies ist der Beherrscher der Gläubigen, der Nachkomme des Oheims des Herren der Gottesgesandten', und er nannte ihm die Namen der anderen, die bei ihm waren. Darauf sagte er-Raschîd: ,Ich wünsche, daß du mir kundtust, ob diese Blässe in deinem Antlitz erworben oder dir angeboren ist.' ,O Beherrscher der Gläubigen', erwiderte der Jüngling, ,meine Geschichte ist seltsam gar, und mein Erlebnis ist wunderbar. Würde man sie mit Nadeln in die Augenwinkel schreiben, so würde sie allen, die sich belehren lassen, ein warnendes Beispiel bleiben.' ,Tu sie mir kund; vielleicht liegt deine Heilung in meiner Hand!' ,O Beherrscher der Gläubigen, wolle dein Ohr mir leihen und mir deine ganze Aufmerksamkeit weihen!' ,Fang an und erzähle mir, du hast mich begierig gemacht, deine Geschichte zu hören.'

Da hub der Jüngling an: ,Wisse, o Beherrscher der Gläubigen, ich bin einer von den Kaufleuten, die das Meer befahren, und ich stamme aus der Stadt von Oman. Mein Vater war ein sehr reicher Kaufmann, und er besaß dreißig Schiffe für den Handel über See; ihre Pacht trug ihm alljährlich dreißigtausend Dinare ein. Er war ein edler Mann; und er lehrte mich schreiben und alles, dessen ein junger Mann bedarf. Als der Tod ihm nahte, rief er mich und gab mir die Ermahnungen, die man zu geben pflegt. Dann ließ Allah der Erhabene ihn zu Seiner Barmherzigkeit eingehen -möge Allah den Beherrscher der Gläubigen am Leben erhalten! Mein Vater hatte aber Teilhaber, die mit seinem Gelde Handel trieben und auf See fuhren. Und es begab sich eines Tages, als ich in meinem Hause



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saß mit einer Schar von Kaufleuten, daß einer von meinen Dienern zu mir eintrat und sprach: ,Mein Gebieter, an der Tür steht ein Mann, der um Erlaubnis bittet, zur dir hereinkommen zu dürfen.' Ich gab ihm die Erlaubnis, und er trat ein, indem er etwas auf dem Kopfe trug, das zugedeckt war. Das legte er vor mir nieder und deckte es auf; es waren Früchte außer der Zeit, kostbare und seltsame Dinge, die es nicht in unserem Lande gab. Ich dankte ihm dafür und gab ihm hundert Dinare; und er ging dankbar davon. Dann verteilte ich jene Dinge an alle Gefährten, die zugegen waren; und ich fragte die Kaufleute, woher solches käme. Man antwortete mir: ,Diese kommen aus Basra', und pries sie hoch. Dann begannen die Leute Basras Schönheit zu beschreiben, und sie waren sich darin einig, daß es in der Welt nichts Schöneres gäbe als das Land von Baghdad und sein Volk. Und nun beschrieben sie mir Baghdad und das feine Wesen seiner Bewohner, die Herrlichkeit seiner Luft und die Schönheit seiner Anlage. Da sehnte sich meine Seele nach dieser Stadt. und alle meine Hoffnungen hängten sich daran, sie zu sehen. Drum machte ich mich auf und verkaufte meine Grundstücke und Besitztümer; auch verkaufte ich die Schiffe um hunderttausend Dinare und verkaufte die Sklaven und die Sklavinnen. Darauf sammelte ich meine Habe, und das waren tausendmaltausend Dinare, ausgenommen die Edelsteine und Juwelen; und ich mietete ein Schiff und belud es mit meinem Gelde und all meinem Gut. Auf dem reiste ich Tag und Nacht dahin, bis ich nach Basra kam; und dort blieb ich eine Weile. Dann mietete ich mir ein anderes Schiff und belud es mit meiner Habe: und wir fuhren wenige Tage stromaufwärts, bis wir Baghdad erreichten. Dort fragte ich, wo die Kaufleute wohnten, und welches Viertel das angenehmste zum Wohnen wäre. Man antwortete



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mir: ,Im Viertel el-Karch." So begab ich mich dorthin, mietete ein Haus in der Straße, die ,Safranstraße' genannt wird, schaffte all meinen Besitz in jenes Haus und blieb dort eine Weile. Eines Tages aber ging ich aus, um mich zu vergnügen, indem ich etwas Geld mitnahm; jener Tag war ein Freitag, und als ich zu der Moschee kam, die Mansûrs Moschee heißt, wurde dort die Freitagsandacht abgehalten. Nachdem wir den Gottesdienst beendet hatten, ging ich mit den Leuten hinaus zu einer Gegend, die Kam es-Sarât heißt; und an jener Stätte sah ich ein hohes und schönes Haus mit einem Söller. der das Ufer überschaute und auf der Seite ein Fenster hatte. Ich ging mit einer Schar von den Leuten zu jenem Gebäude, und dort sah ich einen alten Mann sitzen, der schöne Kleider trug und von dem Wohlgerüche ausströmten; sein Bart wallte herab und teilte sich auf seiner Brust in zwei Äste, die wie Stäbe reinen Silbers aussahen. Um ihn standen vier Dienerinnen und fünf Diener. Ich fragte einen der Leute: ,Wie heißt dieser Alte, und was für ein Gewerbe hat er?' Jener Mann antwortete mir: ,Dies ist Tâhir ibn el-'Alâ, und er ist ein Mädchen - wirt; jeder, der bei ihm eintritt, kann dort essen und trinken und schöne Mädchen sehen.' Ich sprach zu ihm: ,Bei Allah, seit langem bin ich auf der Suche nach dergleichen.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 949. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Jüngling sprach: ,Bei Allah, seit langem bin ich auf der Suche nach dergleichen.' Und dann fuhr er fort zu erzählen: ,Ich trat auf ilm zu, o Beherrscher der Gläubigen, grüßte ihn und sprach zu ihm: ,Lieber Herr, ich habe ein Anliegen an dich.' ,Was ist dein Begehr?'



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fragte er; und ich antwortete: ,Ich wünsche heute nacht dein Gast zu sein.' ,Herzlich gern', erwiderte er; und dann fügte er hinzu: ,Mein Sohn, ich habe viele Mädchen, solche, deren Nacht zehn Goldstücke kostet, und solche, deren Nacht vierzig Goldstücke erfordert, ja auch solche, deren Nacht noch mehr wert ist. Wähle, welche du willst!' Da sprach ich zu ihm: ,Ich wähle eine, deren Nacht zehn Dinare kostet', und wägte ihm dreihundert Dinare ab, den Preis für einen Monat. Darauf übergab er mich einem Diener, und jener Knabe führte mich und brachte mich in ein Bad im Obergeschoß; dort wartete er mir in trefflicher Weise auf. Als ich das Bad verlassen hatte, führte er mich zu einem Gemach und klopfte an die Tür. Nun trat eine Maid zu ihm heraus, und er sprach zu ihr: ,Nimm deinen Gast!' Sie empfing mich mit herzlichem Willkommensgruß, lieblich lächelnd, und führte mich in einen wunderbaren Raum, der mit Gold ausgeschmückt war. Als ich mir jene Maid anschaute, erkannte ich, daß sie so schön war wie der Vollmond in der Nacht seiner Fülle; und sie ward bedient von zwei Sklavinnen, die Sternen glichen. Sie hieß mich niedersitzen und setzte sich selbst neben mich; dann gab sie den Dienerinnen einen Wink, und die brachten einen Tisch, auf dem sich mancherlei Fleischgerichte befanden, Küken und Wachteln, Flughühner und Tauben. Wir aßen, bis wir gesättigt waren: und nie in meinem Leben habe ich etwas Köstlicheres kennen gelernt als jene Speisen. Nachdem wir also gegessen hatten, ließ sie jenen Tisch forttragen und den Tisch des Weines, der Blumen, der Süßigkeiten und der Früchte bringen. In dieser Weise blieb ich einen Monat lang bei ihr; und als der Monat verstrichen war, begab ich mich ins Bad, und danach ging ich zu dem Alten und sprach zu ihm: ,Lieber Herr, ich möchte eine, deren Nacht zwanzig Dinare kostet.' ,Wäge das



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Gold ab', sprach er; und so ging ich fort, holte das Gold und wägte ihm sechshundert Dinare ab für einen Monat. Da rief er einen Diener und sprach zu ihm: ,Führe deinen Herrn!' Der führte mich und brachte mich ins Bad; und als ich es verlassen hatte, geleitete er mich zur Tür eines Gemaches und klopfte an. Eine Maid trat heraus, und er sprach zu ihr: ,Nimm deinen Gast!' Sie empfing mich in freundlichster Weise und befahl den vier Sklavinnen, die bei ihr waren, die Speisen aufzutragen. Die brachten einen Tisch, auf dem sich alle Arten von Speisen befanden, und ich aß. Als ich mein Mahl beendet hatte, ließ sie den Tisch forttragen, nahm die Laute zur Hand und sang diese Verse:

Ihr duftgen Moschuswolken aus dem Land von Babel,
Bei meiner Sehnsucht! traget meiner Botschaft Wort!
Ich habe meinem Lieb gelobt, in jenen Landen
An einem Ort zu sein -wie schön ist jener Ort!
Und dort ist sie, für die sie alle heiß erglühn,
Von Liebe ganz erfüllt, vergeblich ist ihr Mühn.

Ich blieb also einen Monat bei ihr; dann begab ich mich zu dem Alten und sprach zu ihm: ,Ich möchte die zu vierzig Dinaren.' ,Wäge mir das Gold ab', sprach er; und ich wägte ihm für einen Monat eintausendundzweihundert Dinare ab und blieb einen Monat bei ihr, als wäre es ein einziger Tag, da ich ihren Anblick so schön und ihr Gespräch so lieblich erfand. Darauf begab ich mich wieder zudem Alten; das war an einem Abend, und da hörte ich plötzlich ein großes Getöse und laute Stimmen. Als ich ihn fragte, was das zu bedeuten habe, antwortete er mir: ,Diese Nacht ist bei uns die berühmteste aller Nächte; in ihr vergnügt sich alles Volk miteinander. Hast du Lust, aufs Dach zusteigen und dir die Leute anzusehen?', Gern', erwiderte ich und stieg aufs Dach. Oben entdeckte ich plötzlich



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einen schönen Vorhang und hinter dem Vorhang eine geräumige Stätte, auf der sich eine Bank mit Rückenlehnen befand, bedeckt mit einem prächtigen Teppich. Dort saß eine schöne Maid, die aller Augen entzückte durch ihre Schönheit und Lieblichkeit und ihres Wuchses Ebenmäßigkeit; und neben ihr saß ein Jüngling, der seine Hand um ihren Hals gelegt hatte, während er sie küßte und sie ihn küßte. Als ich die beiden sah, o Beherrscher der Gläubigen, konnte ich nicht mehr an mich halten, und ich wußte nicht, wo ich war, da mich die Schönheit ihrer Gestalt ganz verwirrt hatte. Sobald ich wieder nach unten kam, fragte ich die Maid, bei der ich gewesen war, indem ich ihr die Gestalt beschrieb. Da sprach sie: ,Was ist es mit dir und ihr?' Ich antwortete: ,Sie hat mir den Verstand geraubt!' Lächelnd fragte sie: ,O Abu el-Hasan, verlangt es dich nach ihr?' ,Ja, bei Allah; sie hat mir Herz und Seele gefangen genommen.' ,Dies ist die Tochter von Tâhir ibn el-'Alâ; sie ist unsere Herrin, und wir alle sind ihre Mägde. Weißt du aber auch, o Abu el-Hasan, wieviel ihre Nacht und ihr Tag kosten?' ,Nein.' ,Fünfhundert Dinare! Sie erweckt Seufzer in den Herzen der Könige.' ,Bei Allah, ich will all mein Gut für diese Maid ausgeben!' Die ganze Nacht hindurch ward ich von Sehnsucht gepeinigt; und als es Morgen ward, begab ich mich ins Bad, legte das prächtigste der königlichen Gewänder an und ging dann zu ihrem Vater. Zu dem sprach ich: ,Lieber Herr, ich möchte die, deren Nacht fünfhundert Dinare kostet.' ,Wäge mir das Gold ab!' sagte er; und ich wägte ihm für den ganzen Monat fünfzehntausend Dinare ab. Nachdem er sie empfangen hatte, sprach er zu dem Diener: ,Begib dich mit ihm zu deiner Herrin Soundso!' Der führte mich und brachte mich in ein Gemach, so prächtig, wie mein Auge auf dem Angesichte der Erde noch nie eines geschaut hatte; ich trat ein



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und sah darinnen eine Maid sitzen. Als ich die erblickte, ward mein Verstand durch ihre Schönheit verwirrt, o Beherrscher der Gläubigen; denn sie war wie der Vollmond in der vierzehnten Nacht.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 950. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Jüngling, als er dem Beherrscher der Gläubigen jene Maid beschrieb, des weiteren sprach: ,Sie war wie der Vollmond in der vierzehnten Nacht, sie besaß Schönheit und Lieblichkeit und des Wuchses Ebenmäßigkeit; ihre Rede beschämte die Klänge der Laute, und es war, als ob der Dichter dieser Verse sie im Geiste erschaute:' Und wie schön sind die Worte eines anderen:

Alle Götzendiener müßten, würde sie vor ihnen stehn,
Sie allein als Gott verehren und die Götzen nicht mehr sehn.
Spiee sie ins Meereswasser, wo das Meer doch salzig ist,
Würde doch von ihrem Speichel süß das Meer zur selben Frist.



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Aber hätte sie im Osten dem Asketen sich gezeigt,
Würde er den Osten lassen, nur dem Westen zugeneigt.'
Wie schön auch die Worte eines dritten:
Ich warf auf sie nur einen Blick; mein ganzes Herz
Ward bald durch ihrer Reize Herrlichkeit gefangen.
Daß ich sie liebte, tat ihr eine Ahnung kund;
Und diese Ahnung zeigte sich auf ihren Wangen.

Ich grüßte sie, und sie sprach: ,Willkommen, herzlich willkommen!' Und sie ergriff meine Hand, o Beherrscher der Gläubigen, und zog mich neben sich nieder. Doch da die Leidenschaft Gewalt über mich gewann, hub ich aus Furcht vor der Trennung zu weinen an, so daß der Tränenstrom aus meinen Augen brach, während ich diese beiden Verse sprach:

Die freudelosen Trennungsnächte muß ich lieben;
Nach ihnen bringt vielleicht das Glück ein Wiedersehn!
Ich hass' die Tage des Zusammenseins, dieweil ich
Dann denk, daß alle Dinge, ach, sobald vergehn.

Darauf begann sie mir sanfte Worte zuzusprechen von tröstender Kraft, während ich versunken war im Meere der Leidenschaft, und ich fürchtete die Trennung schon beim Zusammensein im Übermaß der gewaltigen Liebespein; denn ich gedachte der brennenden Schmerzen von Scheiden und Meiden, und ich sprach von Versen diese beiden:

Als ich ihr nahe war, gedachte ich der Trennung;
Da strömten meine Tränen gleichwie Drachenblut.
Und ich begann, an ihrem Hals mein Aug zu trocknen:
Um Blut zu stillen, ist des Kampfers Art so gut.'

Dann befahl sie, die Speisen zu bringen, und nun kamen vier Mädchen, hochbusige Jungfrauen, und setzten vor uns Speit.



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sen, Früchte, Süßigkeiten, Blumen und Wein, wie sie nur den Königen geziemen. So aßen wir denn, o Beherrscher der Gläubigen, und blieben beim Weine sitzen, umgeben von süßduftenden Kräutern. in einem Beisammensein, wie es einem König zukommt. Darauf kam zu ihr, o Beherrscher der Gläubigen, eine Dienerin mit einem Beutel aus Seide; sie nahm ihn hin und holte eine Laute aus ihm hervor. Die legte sie auf ihren Schoß, und dann schlug sie die Saiten, so daß sie klagten, wie ein Kind seiner Mutter klagt; und sie sang diese beiden Verse:

Trink immer nur den Wein ein aus Händen eines Schönen.
Zu dem du zierlich sprichst, und der zu dir so spricht!
Denn nimmer kann der Trinker sich am Wein erfreuen,
Zeigt ihm der Schenke nicht ein strahlend Angesicht.

Und nun blieb ich, o Beherrscher der Gläubigen, eine lange Weile bei ihr, bis all mein Geld verbraucht war. Da begann ich, während ich bei ihr saß, der Trennung von ihr zu gedenken: und meine Tränen strömten wie Bäche über meine Wangen einher, und ich kannte den Unterschied von Tag und Nacht nicht mehr. Sie fragte mich: ,Warum weinst du?' Und ich gab ihr zur Antwort: ,Meine Gebieterin, seit ich zu dir gekommen bin, hat dein Vater mir für jede Nacht fünfhundert Dinare abgenommen; und jetzt bin ich aller Mittel bar - ja, der Dichter sprach in diesem Verse wahr:

Die Armut macht die Heimat uns zur Fremde;
Der Reichtum macht die Fremde uns zur Heimat.

Darauf sagte sie: ,Wisse, mein Vater hat die Sitte, einen Kaufmann, der bei ihm gewesen und verarmt ist, noch drei Tage als Gast bei sich zu behalten; danach treibt er ihn fort, und jener darf nie wieder zu uns kommen. Doch hüte du dein Geheimnis und verbirg deine Not; ich will ein Mittel ersinnen



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daß ich mit dir vereint bleiben kann, solange es Allah gefällt, da mein Herz in heißer Liebe für dich glüht. Wisse, alles Geld meines Vaters steht unter meiner Hand, und er weiß nicht, wieviel es ist; ich will dir also jeden Tag einen Beutel mit fünfhundert Dinaren geben, gib du den meinem Vater mit den Worten: ,Ich will dir hinfort das Geld Tag für Tag geben.' Jedesmal, wenn du ihm gezahlt hast, zahlt er es mir aus, und dann gebe ich es dir wieder; in dieser Weise können wir zusammenbleiben, solange es Allah gefällt.' Ich dankte ihr dafür und küßte ihre Hand; und dann blieb ich, o Beherrscher der Gläubigen, in gleicher Weise ein ganzes Jahr lang bei ihr. Doch eines Tages begab es sich, daß sie eine ihrer Sklavinnen heftig schlug; und die sprach zu ihr: ,Bei Allah, ich will deinem Herzen weh tun, wie du mir weh getan hast!' Darauf ging jene Sklavin zu ihrem Vater und erzählte ihm unsere ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende. Als Tâhir ibn el Alâ die Worte der Sklavin vernommen hatte, machte er sich sofort auf und kam zu mir herein, während ich bei seiner Tochter saß. Er rief mich an: ,He, du da!' ,Zu deinen Diensten!' erwiderte ich; und er fuhr fort: ,Es ist unsere Sitte, einen Kaufmann, der bei uns gewesen und verarmt ist, drei Tage lang als Gast bei uns zu behalten. Du aber hast nun schon ein ganzes Jahr lang bei uns gegessen und getrunken und getan, was du wolltest!' Dann wandte er sich zu seinen Sklaven und befahl ihnen: ,Zieht ihm die Kleider aus!' Sie taten es und gaben mir ein schäbiges Gewand, das fünf Dirhems wert war, und dazu reichten sie mir zehn Dirhems. Darauf sprach er zu mir: ,Geh von dannen; ich will dich weder schlagen noch schmähen. Aber zieh deiner Wege; wenn du noch länger in dieser Stadt verweilst, so werde dein Blut ungestraft vergossen!' Da ging ich fort, o Beherrscher der Gläubigen, wider



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meinen Willen, und ich wußte nicht, wohin ich mich wenden sollte; auf meinem Herzen lastete das Leid der ganzen Welt, und trübe Gedanken quälten mich. Und ich sagte mir: ,Wie konnte es nur geschehen, daß mir, nachdem ich mit hunderttausendmaltausend Dinaren, von denen ein Teil der Erlös von dreißig Schiffen war, zu Meere hierhergekommen bin, all dies in dem Hause dieses Unglücksalten verlorengegangen ist! Und jetzt muß ich sein Haus verlassen, nackt und gebrochenen Herzens! Doch es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen!' Dann blieb ich drei Tage in Baghdad, ohne Speise oder Trank zu kosten. Am vierten Tage aber entdeckte ich ein Schiff, das nach Basra fahren wollte; auf das ging ich und mietete mir einen Platz bei seinem Führer. Als wir in Basra ankamen, eilte ich sofort auf den Markt, da ich sehr hungrig war. Dort erkannte mich ein Mann, ein Krämer, und der kam auf mich zu und umarmte mich, da er früher mein und meines Vaters Freund gewesen war. Er fragte mich, wie es mir ergangen sei, und ich berichtete ihm alles, was mir widerfahren war. Da rief er: ,Bei Allah, dies ist nicht das Tun eines verständigen Mannes! Aber was hast du nach allem, was dir widerfahren ist, nunmehr im Sinne zu tun?' ,Ich weiß nicht, was ich tun soll', erwiderte ich; und er fuhr fort: ,Willst du bei mir bleiben und über meine Ausgaben und meine Einnahmen Buch führen? Dann sollst du jeden Tag zwei Dirhems erhalten und dazu noch dein Essen und Trinken.' Ich sagte es ihm zu und blieb bei ihm, o Beherrscher der Gläubigen, ein volles Jahr lang, indem ich verkaufte und kaufte, bis ich im Besitz von hundert Dinaren war. Dann mietete ich mir ein Obergemach am Ufer des Stromes, um zu sehen, ob nicht ein Schiff mit Waren vorbeikäme, die ich für meine Dinare kaufen und nach



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Baghdad bringen könnte. Nun begab es sich eines Tages, daß die Schiffe ankamen und alle Kaufleute dorthin eilten, um einzukaufen; auch ich ging mit ihnen. Aus dem Inneren eines Schiffes kamen zwei Männer hervor, die stellten sich zwei Stühle hin und setzten sich darauf. Und alsbald versammelten sich die Kaufleute bei ihnen, um zu kaufen. Die beiden befahlen einigen Dienern, den Teppich zu bringen; und als die ihn gebracht hatten, holte einer von den beiden eine Satteltasche, entnahm ihr einen Sack, öffnete den und leerte den Inhalt auf den Teppich aus. Ach, der blendete die Augen mit all seinen Edelsteinen, Perlen, Korallen, Rubinen, Karneolen und all seinen anderen Arten von juwelen.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 951. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Jüngling, als er dem Kaufen von der Geschichte mit den Kaufleuten und dem Sack und dessen Inhalt an allerlei Edelsteinen erzählte, des weiteren sagte: ,O Beherrscher der Gläubigen! Darauf wandte sich der eine von den beiden Männern, die auf den Stühlen saßen, an die Kaufleute und sprach zu ihnen: ,Ihr Männer des Handels, ich will heute nur dies verkaufen, da ich müde bin.' Nun begannen die Kaufleute auf den Preis der juwelen zu bieten und boten immer höher, bis er auf vierhundert Dinare stieg. Der Besitzer des Sackes aber, der ein alter Bekannter von mir war, sprach zu mir: ,Weshalb sprichst und bietest du nicht wie die anderen Kaufleute?' ,Bei Allah. lieber Herr,' gab ich ihm zur Antwort, ,ich habe in der ganzen Welt nur noch hundert Dinare.' Und da ich mich vor ihm schämte, füllten sich meine Augen mit Tränen. Er sah mich an, betrübt über meine Not, und sprach zu den Kaufleuten: ,Seid meine



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Zeugen, daß ich alles, was in diesem Sack an verschiedenerlei Juwelen und Edelsteinen enthalten ist, diesem Manne für hundert Dinare verkaufe, wiewohl ich weiß, daß er soundso viele tausend Dinare wert ist. Es sei ein Geschenk von mir an ihn.' Dann gab er mir die Satteltasche und den Sack und den Teppich mit all den Juwelen, die auf ihm lagen; und ich dankte ihm dafür, während alle Kaufleute, die zugegen waren, ihn priesen. Darauf nahm ich das alles und trug es zum Juwelenbasar; dort setzte ich mich nieder, um Handel zu treiben. Nun befand sich unter jenen Edelsteinen ein rundes Amulett, das von den Meistern der Zauberkunst gearbeitet war und ein halbes Pfund wog; es war von rötestem Rot, und auf seinen beiden Seiten befanden sich Schriftzeichen, die wie Ameisenspuren aussahen; ich wußte aber nicht, welche Kraft es hatte. Ein volles Jahr lang trieb ich dort Handel; dann nahm ich das Amulett zur Hand und sagte: ,Dies liegt schon eine lange Weile bei mir, ohne daß ich wüßte, was es ist und welche Kraft es hat.' Deshalb gab ich es dem Makler; und der nahm es und zog damit herum. Als er wiederkam, sagte er: ,Keiner der Kaufleute hat mehr als zehn Dirhems geboten.' Da sprach ich: ,üm diesen Preis will ich es nicht verkaufen'; er aber warf es mir ins Gesicht und ging davon. Später an einem anderen Tage bot ich es von neuem zum Verkauf aus, und der Preis stieg auf fünfzehn Dirhems; da nahm ich es dem Makler zornig weg und warf es zu meinen Sachen. Während ich noch immer dasaß, kam eines Tages ein Mann auf mich zu, und nachdem er mich gegrüßt hatte, sprach er zu mir: ,Darf ich mit deiner Erlaubnis durchsehen, was du an Waren bei dir hast?' ,Gern', erwiderte ich; aber ich war noch ärgerlich, o Beherrscher der Gläubigen, weil das runde Amulett keinen Käufer gefunden hatte. Jener Mann also durchsuchte die Waren



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und nahm wirklich nichts von ihnen als gerade das runde Amulett! Und als er es erblickte, o Beherrscher der Gläubigen, küßte er seine Hand und rief: ,Preis sei Allah!' Dann fragte er: ,Mein Herr, willst du es verkaufen?' In steigendem Grimm antwortete ich ihm: ,Jawohl!' ,Wieviel kostet es?' fragte er weiter; und ich fragte dagegen: ,Wieviel zahlst du?' ,Zwanzig Dinare', sagte er; und weil ich vermeinte, er spotte meiner, rief ich: ,Geh deiner Wege!' Doch er fuhr fort: ,Fünfzig Dinare!' Als ich ihm darauf keine Antwort gab, sagte er: ,Tausend Dinare!' Und wie ich, o Beherrscher der Gläubigen, auch dabei noch schwieg und ihn keines Wortes würdigte, lächelte er über mein Schweigen und fragte: ,Warum antwortest du mir nicht?' ,Geh doch deiner Wege!' sagte ich und wollte schon mit ihm zanken, während er immer Tausend auf Tausend höher bot. Doch ich erwiderte ihm nichts, sogar als er sagte: ,Willst du es für zwanzigtausend Dinare verkaufen?', da ich ja glaubte, er wolle mich verspotten. Nun umringten uns die Leute, und ein jeder von ihnen sprach: ,Verkaufe es! Und wenn er es nicht kauft, so sind wir alle wider ihn; dann wollen wir ihn verprügeln und zur Stadt hinaus jagen.' Ich fragte ihn darauf: ,Willst du kaufen, oder treibst du Scherz!' Er aber fragte mich: ,Willst du verkaufen, oder treibst du Scherz?' ,Ich will verkaufen', antwortete ich; und er sagte: ,Also für dreißigtausend Dinare; nimm sie und schließe den Verkauf ab!' Da sprach ich zu den Leuten, die zugegen waren: ,Legt Zeugnis ab wider ihn! Aber ich stelle die Bedingung, daß er mir kundtut, welchen Nutzen und welche Kraft das Amulett hat!' Er rief: ,Schließ den Verkauf ab, dann will ich dir seinen Nutzen und seine Kraft kundtun!' ,Ich verkaufe es dir', erwiderte ich; und er sprach: ,Allah sei Bürge für das, was ich sage!' Danach holte er das Gold, und während er



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es mir reichte, nahm er das Amulett und tat es in seine Tasche. Schließlich fragte er mich: ,Bist du nun zufrieden?', und ich antwortete: ,Jawohl.' Zu den Leuten aber sprach er: , Seid meine Zeugen wider ihn, daß er den Verkauf abgeschlossen und den Preis erhalten hat, dreißigtausend Dinare!' Dann wandte er sich wieder an mich und sprach zu mir: ,Armer Kerl, bei Allah, hättest du den Verkauf noch länger hinausgezogen, so wäre ich bis auf hunderttausend Dinare gegangen, ja, bis auf tausendmaltausend Dinare.' Als ich diese Worte hörte, o Beherrscher der Gläubigen, da entfloh mir das Blut aus meinem Antlitz, und seit jenem Tage ist diese Blässe in ihm aufgestiegen, die du siehst. Ich sagte darauf zu dem Manne: ,Künde mir, was für einen Grund dies hat, und welche Kraft dies Amulett besitzt.' Da hub er an: ,Wisse, der König von Indien hat eine Tochter, das schönste Wesen, das man je erschaut hat: doch sie hat die Krankheit der fallenden Sucht.' Deshalb berief der König die Zauberer und die Gelehrten und die Wahrsager; aber sie konnten sie nicht davon befreien. Ich war in der Versammlung zugegen, und so sprach ich zu ihm: ,O König, ich kenne einen Mann, der heißt Sa'dallâh der Babylonier, und auf dem Angesichte der Erde gibt es niemanden, der diese Dinge besser kennt als er. Wenn du es für recht hältst, mich zu ihm zu schicken, so tu es!' ,Geh hin zu ihm', sprach er; und ich bat ihn: ,Laß mir ein Stück Karneol bringen!' Da ließ er mir ein großes Stück Karneol bringen, dazu noch hunderttausend Dinare und ein Geschenk; und ich nahm das alles und begab mich nach dem Lande Babel. Dort fragte ich nach dem Scheich, und als man ihn mir gezeigt hatte, gab ich ihm die hunderttausend Dinare und das Geschenk. Er nahm beides von mir entgegen, dazu auch das Stück Karneol



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und ließ einen Steinschneider kommen; der machte daraus dies Amulett. Dann blieb der Scheich sieben Monate versunken in der Betrachtung der Sterne, bis er eine günstige Zeit erwählen konnte, um es mit Schrift zu versehen. Und er schrieb alsbald diese Talismanzeichen darauf, die du siehst. Danach brachte ich es dem König.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 952. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Jüngling dem Beherrscher der Gläubigen des weiteren erzählte: ,Jener Mann sagte mir darauf: ,Ich nahm also dies Amulett und brachte es dem König; und als der es auf seine Tochter legte, war sie im selben Augenblick gesund, trotzdem sie mit vier Ketten hatte gebunden werden müssen und trotzdem in jeder Nacht eine Sklavin hatte wachen müssen und am nächsten Morgen mit durchschnittener Kehle aufgefunden wurde. Als er nun dies Amulett auf sie gelegt hatte und sie sofort genesen war, freute der König sich dessen über die Maßen, und er verlieh mir ein Ehrengewand und spendete viel Geld als Almosen; das Amulett aber ließ er in das Halsband der Prinzessin einfügen. Da begab es sich eines Tages, daß sie mit ihren Dienerinnen ein Schiff bestieg, um sich auf dem Meere zu ergötzen. Und als eine von den Mägden ihre Hand nach ihr ausstreckte, um mit ihr zu spielen, zerriß das Halsband und fiel ins Meer; zur selbigen Zeit fuhr der Dämon wieder in die Prinzessin. Da kam die Trauer von neuem über den König, und er gab mir viel Geld und sprach zu mir: ,Geh zum Scheich, auf daß er ein anderes Amulett für sie mache anstatt des verlorenen!' Ich reiste darauf zu dem Alten, aber ich erfuhr, daß er gestorben war; drum kehrte ich zum König zurück und meldete es ihm. Da schickte



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er mich und zehn andere aus, um die Welt zu durchstreifen, ob wir ein Heilmittel für die Prinzessin fänden. Und jetzt hat Allah es mich bei dir finden lassen.' So nahm er das Amulett fort von mir, o Beherrscher der Gläubigen, und ging seiner Wege. Das also war die Ursache der Blässe, die auf meinem Antlitze liegt. Ich begab mich dann nach Baghdad mit all meiner Habe und wohnte wieder in dem Hause, in dem ich früher gelebt hatte. Und am folgenden Morgen legte ich meine Gewänder an und ging zum Hause von Tâhir ibn el-'Alâ, um vielleicht die zu sehen, die ich liebte: denn die Liebe zu ihr war in meinem Herzen unaufhörlich gewachsen. Doch als ich zu seinem Hause kam, sah ich die Fenster zerbrochen; ich fragte einen Burschen und sprach zu ihm: ,Was hat Allah mit dem Alten getan?' Jener gab mir zur Antwort: ,Mein Bruder, in einem der Jahre kam ein Kaufmann zu ihm, des Namens Abu el-Hasan aus Oman; der verweilte eine lange Zeit bei seiner Tochter. Als aber sein Geld verbraucht war, jagte der Alte ihn aus dem Hause, gebrochenen Herzens, wie er war. Nun war jedoch die Maid von heißer Liebe zu ihm erfüllt, und als sie von ihm getrennt war, erkrankte sie so schwer, daß sie dem Tode nahe war. Sowie ihr Vater das erfuhr, schickte er nach dem Jüngling in alle Lande, und er verbürgte sich, dem hunderttausend Dinare zu geben, der ihn brächte. Aber niemand konnte ihn finden, noch auch eine Spur von ihm entdecken; und jetzt liegt sie auf den Tod danieder.' Ich fragte weiter: ,Und wie steht es um ihren Vater?' Und jener erwiderte: ,Er hat die Mädchen in seinem großen Kummer verkauft.' Darauf sprach ich zu ihm: ,Soll ich dich zu Abu el-Hasan aus Oman führen?' ,üm Allahs willen,' rief er, ,mein Bruder, führe mich zu ihm!' Und ich fuhr fort: ,Geh zu ihrem Vater und sprich zu ihm: ,Frohe Botschaft bei dir! Abu el-Hasan



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aus Oman steht vor der Tür.' Da eilte der Mann so rasch fort. als wäre er ein Maultier, das aus der Mühle davongelaufen ist. Nachdem er eine Weile fortgeblieben war, kehrte er mit dem Alten zurück, und wie der meiner gewahr wurde, kehrte er in sein Haus zurück und gab dem Manne hunderttausend Dinare. Als jener sie erhalten hatte, ging er davon, indem, er mich segnete. Dann trat der Scheich zu mir, umarmte mich unter Tränen und rief: ,Ach, lieber Herr, wo bist du in all dieser Zeit gewesen? Meine Tochter ist dem Tode nahe wegen der Trennung von dir. Komm mit mir ins Haus!' Als ich eingetreten war, fiel er anbetend nieder, um Allah dem Erhabenen zu danken, und er sprach: ,Preis sei Allah, der uns wieder mit dir vereinigt hat!' Dann ging er zu seiner Tochter hinein und sprach zu ihr: ,Allah hat dich von dieser Krankheit geheilt.' Doch sie erwiderte: ,Lieber Vater, ich werde nur dann von meiner Krankheit genesen, wenn ich Abu el-Hasan ins Antlitz schaue.' Er sagte darauf: ,Wenn du einen Bissen essen und ins Bad gehen willst, werde ich euch zusammenführen.' Als sie seine Worte vernommen hatte, rief sie: ,Ist das wahr, was du sagst?' ,Bei Allah dem Allmächtigen,' antwortete er, ,was ich gesagt habe, ist wahr.' Darauf sagte sie: ,Wenn ich sein Antlitz erblicke, bedarf ich keiner Speise mehr.' Nun gebot er seinem Diener: ,Führe deinen Herrn herein!' So trat ich denn ein; doch als sie mich erblickte, o Beherrscher der Gläubigen, sank sie ohnmächtig hin. Sobald sie wieder zu sich gekommen war, sprach sie diesen Vers:

Gar oft vereinigt Allah die Getrennten dennoch,
nachdem sie fest geglaubt, sie sähen sich nie wieder.

Dann richtete sie sich auf zum Sitzen und sprach: ,Bei Allah, mein Gebieter, ich hatte nie geglaubt, ich würde dein Antlitz je wiedersehen, es sei denn im Traume!' Darauf umarmte sie



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mich unter Tränen und sprach: ,O Abu el-Hasan, jetzt will ich essen und trinken.' Und man brachte ihr Speise und Trank. Nun blieb ich, o Beherrscher der Gläubigen, eine lange Weile bei ihnen, und ihre frühere Schönheit kehrte zu ihr zurück. Dann ließ ihr Vater den Kadi und die Zeugen kommen und ließ den Ehevertrag zwischen ihr und mir niederschreiben; auch rüstete er ein gewaltig großes Hochzeitsfest. Und sie ist meine Gattin bis zum heutigen Tag.'

Dann verließ jener junge Mann den Kalifen und kehrte zu ihm mit einem Knaben' zurück; der war von großer Lieblichkeit und hatte einen Wuchs von schlanker Ebenmäßigkeit. Abu el-Hasan sprach zu ihm: ,Küsse den Boden vor dem Beherrscher der Gläubigen!' Da küßte er den Boden vor dem Kaufen; und der Herrscher bewunderte seine Schönheit und pries seinen Schöpfer. Dann machte er-Raschîd sich mit seinen Gefährten auf den Heimweg, und er sprach: ,O Dscha'far, dies ist doch wirklich etwas Wunderbares, ich habe noch nie etwas Seltsameres gesehen oder gehört.' Und als er-Raschîd im Palaste saß, rief er: ,He, Masrûr!' ,Zu deinen Diensten, mein Gebieter', erwiderte jener; und der Herrscher fuhr fort: ,Leg auf diese Estrade den Tribut von Basra und den Tribut von Baghdad und den Tribut von Chorasan!' Da häufte Masrûr ihn dort auf, und es ward eine gewaltige Menge Geldes, deren Größe nur Allah der Erhabene berechnen konnte. Nun rief er-Raschîd: ,He, Dscha'far!' ,Zu deinen Diensten', antwortete der; und der Kalif befahl ihm: ,Bring mir Abu el-Hasan!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der Wesir und holte den Jüngling. Als der eintrat, küßte er den Boden vor dem Kaufen; und er befürchtete, der Herrscher hätte nach ihm gesandt wegen eines Versehens, das er begangen hätte,



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als jener in seinem Hause war. Da hub er-Raschîd an: ,Du Mann aus Oman!' Und jener antwortete: ,Zu deinen Diensten, o Beherrscher der Gläubigen! Möge Allah dir ewiglich seine Gunst gewähren!' Dann befahl der Kalif: ,Zieh diesen Vorhang zurück!' Denn er hatte seinen Leuten geboten, nicht nur den Tribut der drei Provinzen dorthin zu schaffen, sondern auch einen Vorhang davor zu ziehen. Als jedoch der Mann aus Oman den Vorhang vor der Estrade zurückgezogen hatte, ward ihm der Verstand wirr ob der Menge des Goldes. Da fragte der Kalif ihn: ,Sag, Abu el-Hasan, ist diese Summe größer oder jene, die du durch das Amulett verloren hast !'Jener gab ihm zur Antwort: ,Diese hier ist vielmals größer, o Beherrscher der Gläubigen!' Dann fuhr er-Raschîd fort: ,Seid Zeugen, alle, die ihr zugegen seid, daß ich dies Gold diesem jungen Manne schenke!' Abu el-Hasan küßte beschämt den Boden und weinte Freudentränen vor er-Raschîd. Und wie er so weinte, rannen ihm die Tränen über die Wangen, und das Blut kehrte in seine Adern zurück, so daß sein Antlitz wurde wie der Vollmond in der Nacht seiner Fülle. Da rief der Kalif: ,Es gibt keinen Gott außer Allah! Preis sei Ihm, der Wandel auf Wandel verursacht und selbst der Gleiche bleibt. der sich nie wandelt!' Darauf ließ er einen Spiegel bringen und hieß den Jüngling sein Antlitz darin betrachten. Wie der das sah, warf er sich nieder, um Allah dem Erhabenen zu danken. Dann gab der Kalif Befehl, ihm das Geld ins Haus zu bringen, und er bat ihn, sich nicht von ihm fernzuhalten, auf daß er sein Tischgenosse werde. Und so pflegte Abu el-Hasan häufig den Kaufen zu besuchen, bis dieser zur Gnade Allahs des Erhabenen einging -Preis sei Ihm, der nie dem Tode verfällt, dem Herrn der sichtbaren und der unsichtbaren Welt!

Ferner wird erzählt, o glücklicher König,


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