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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


König Ziegenbock zieht in den Krieg

Da irgendwo nach Norden zu gab es einmal eine Mühle, die hatte ein getreuer Jagdhund für sich und seine Freunde von seinem Herrn geerbt. Alte abgedankte Tiere sollten sich dort sammeln, so hatte der Verstorbene es im Sinn gehabt, und ohne Sorgen ihre Tage verbringen: Kater und Ziegenbock, Hahn und Ganter, Schaf und Pferd und wer so sein Leben in Hof und Feld erfüllt hatte. Und alle Nachbarn waren einverstanden; sogar der Jäger versprach, die Tiere auf der Mühle zu schonen, wenn sie nur daheim blieben und sich nicht in anderer Leute Gebiet zögen.

Gut hatten es die Alten da! Zu essen und zu trinken gab es genug. Mon Zeit zu Zeit kam auch ein Schneider vorüber, Grimbart der Dachs, der weilte in der Mühte, bis alles genäht und geflickt war. Dann wanderte er weiter.

Jahr um Jahr war es so.

Einmal zwar blieb Grimbart länger fort, als er es sonst zu tun pflegte; dieser und jener auf der alten Mühle fragte schon nach ihm. Besonders der Ziegenbock war ungeduldig. Er hatte mit seinem Freund Schafbock eine neue Kurzweil erfunden, spielte König der Tiere und wollte nun ein schönes Gewand tragen — er hatte sich genug übergespart.

Endlich, als man ihn kaum noch erwartet hatte, kam Grimbart wieder des Weges, und die Leute freuten sich. Aber einige verdroß es auch; er hatte nämlich eine junge Frau bei sich, und auf der Mühle gab es doch nur alte Hageslolze.

Man suchte trotzdem miteinander auszukommen. Auch wollte der Ziegenbock bald seinen Königsmantel fertig haben, und weil er seinen Retter Seraphim — so hieß der Schafbock — zum ,Marshall ernannt hatte, mußte Grimbart für teures Geld gleich noch einen zweiten bunten Rock nähen.



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Es war viel Arbeit! Bis über Weihnachten zog sich's hin; es wurde Neujahr, und die Zeit langte immer noch nicht, obwohl die junge Frau des Schneiders nicht gern zwischen den vielen Herren blieb und lieber weitergereist wäre. Es dauerte schließlich so lange, daß Grimbart eines Tages in Eile einen tiefen Bau graben mußte; da waren Kinderchen auf dem Wege, eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs.

Nun stand ja in den Gesetzen, die der alte Hund sich und seinen Freunden gegeben hatte, daß nur Hagestolze auf der Ölmühle wohnen durften. Trotzdem wollten die Leute mit dem Dachs eine Ausnahme machen; sie freuten sich, daß er da war, sie ließen ihm auch gern den guten Verdienst, den er bei seinen sechs kleinen Jungen mitten im Winter brauchen konnte. Nur Peter Ziegenbock und sein Freund Seraphim waren unzufrieden; und weil Grimbart ihre Kleider fertig und schon mit Gold verbrämt hatte, redeten sie laut, sie könnten Kindergeschrei nicht vertragen und was dergleichen mehr war.

Der Dachs hörte, was die Herren vorbrachten, und ärgerte sich. Und weil Fasselabend nahe war, das ist der Tag, wo Menschen und Tieren ein Mummenschanz erlaubt ist, überlegte er sich, wie er den beiden einen rechten Streich spielen könnte.

Nun war es so: Der alte Ziegenbock hatte viel Geld, und der Schafbock hatte keines. Und der neue König meinte, zu dem Mantel, den er nun trug, gehörte auch ein königlicher Wagen. Weil aber keiner ihn ziehen wollte, überredete er den Freund Seraphim; der fuhr seinen Herrscher jeden Morgen feierlich aus und brachte ihn abends ebenso feierlich in die Mühle heim. In der Zwischenzeit legten die zwei dann ihre Kleidung ab und suchten, wie sie es ihr Leben lang getan hatten, am Rand der Winterwege ein wenig zu rupfen und zu zupfen.

Als die beiden nun eines Tages — es war zur Fasnacht, aber sie hatten es nicht beachtet wieder zur Mühle heimkehrten, war da ein heftiges Laufen und Rennen. Was denn los sei, fragten sie. —Ja, ob man nicht wisse, ob man's wirklich nicht wisse? Nein bestimmt nicht! Nun also, daß im großen Wald, noch weiter nach Norden, eine Wahlversammlung gewesen



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und daß der Ziegenbock König der Tiere geworden sei? Danach wünschten alle dem neuen Herrn Glück, und jeder beeilte sich schon, sein bestes Gewand anzulegen, um die Krönung festlich zu begehen.

"Sollt' man's glauben", rief Seraphim. Auch der Ziegenbock war eine Weile erstaunt, dann wandte er sich feierlich zu dem Freund: "Gewiß sollst du es glauben!" Und er schirrte den Bewährten aus dem Wagen, umarmte ihn und ernannte ihn für seine treuen Dienste zum ersten Minister des neuen Reiches.

Da war auch der Schafbock überzeugt, daß alles Wirklichkeit geworden sei, was sie so oft miteinander erwartet hatten. Er zog seinen langen Rock an, fühlte sich mehr als der alte Hund, der die Mühle verwaltete, und viel mehr als Jäger und Bauer vorm Tor, und dachte nur voller Sorgen an all die Gesetze, die sein Herr nun erlassen mußte. Er dachte sogar schon an Krieg und Kriegsgeschrei, denn er hatte vernommen, das gehörte zum königlichen Amt. — Er wünschte auch, um zu frohlocken, Grimbart den Spötter zu sehen; aber der war wohl unten bei Frau und Kindern, statt sich auf die Krönung des Königs zu rüsten.

Es wurde ein großer Tag auf der alten Mühle. Der Ziegenbock, mit dem die Tiere eigentlich nur einen Schabernack hatten treiben wollen,



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nahm ihre Huldigung so würdig entgegen, daß einige sich wirklich verwirrten und gar nicht mehr Ernst und Scherz zu unterscheiden vermochten. Hoch auf seinem Thron saß König Peter, wandte das Gehörn einmal nach rechts und einmal nach links und waltete und schaltete und ernannte seine guten Freunde huldvoll zu Mundschenk und Marschall, Truchseß und Spittler, Bordingherr und Bürgermeister seiner Hauptstadt zur alten Mühle. Dann beriet er mit der neuen Regierung und verbot vor anderem alles Kindergeschrei.

Er wolle aber auch ein gnädiger König sein, sagte er und reichte diesem und
jenem seinen Vorderfuß. Und die Herren, die ihm treu angehangen hätten, brauchten sich um ihr Lebensende nicht zu sorgen!

Währenddessen geriet der alte Jagdhund, der ja auf der Mühle so etwas wie Herbergsvater war, in Sorge um die beiden Freunde und fragte sich, was mit ihrem Verstand geschehen würde, wenn sie merk



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ten, daß man nur einen Fasselabendscherz getrieben hatte. Es lief indes alles so gut ab, eins um das andere, daß er sich selbst an die Stirn griff. Am sonderbarsten war, daß auf einmal ein wirklicher buntgekleideter Herold kam, der verkündete, daß der frühere Herrscher des Waldes — das ist mit seinem vielzackigen Geweih der mächtige Hirsch- von der neuen Königswahl erfahren habe. Und er erkläre dein Herrn Ziegenbock hiermit den Krieg. Daun ging der Bote und schlug sich abseits des Weges, um bei Weib und sechs Kindern sein altes Sums wieder anzuziehen. Und der Dachs tanzte mit seiner Frau und blies vor Vergnügen und erzählte ihr alles, bis sie vor Lachen nicht mehr auf den Beinen stehen konnte. —

König Peter dachte ernst über die Botschaft nach. Es dauerte sehr lange, und die Tiere sahen, so schien's, ehrfürchtig zu. Nur der Schafbock begann zu schluchzen, er hatte solch entsetzliche Angst vorm Krieg.

Der Freund schämte sich seiner; er verwies ihm die Feigheit, rief das Gefolge zusammen und sagte, daß er gesonnen sei, sein Reich zu verteidigen. Und er wandte sich an das alte Pferd und den gichtigen Kater und fragte sie, ob sie den Krieg für ihn führen wollten. Aber die beiden dankten mit ernsten Worten und baten, einen Würdigeren zum Feldherrn zu wählen, weil sie mit ihren Leiden nicht mehr zu großen Schlachten taugten. Da warf der Ziegenbock den Königsmantel um die Schultern und erhob sich vor seinem Volk. "So werde ich selbst in den Kampf ziehen!" sagte er. Und er befahl dem Schafbock, seinen Kriegswagen zu rüsten, ach, dem Armen waren die Augen so verheult, er konnte nicht Rad noch Geschirr finden.

Dann verhieß der neue König den Tieren, wenn sie erst den Nebenbuhler vertrieben hätten, würde die Herrschaft aller Guten auf Erden wiederhergestellt und insbesondere mit dem Menschengeschlecht blutig abgerechnet werden.

Während der Ziegenbock nun schon über die Schlacht nachdachte und wie er den Feind umgehen und ihn von rückwärts auf die Hörner nehmen könne, kam wie von ungefähr Grimbart der Dachs vorüber. König Peter rief ihn leutselig herbei, fragte nach seinem Ergehen und wie es im Hand:



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werk stünde, und vermahnte ihn dann, da alles Volk aufgeboten sei, im Heer zu dienen.

Gui und gern, antwortete Grimbart, und wie hoch die Löhnung sei? — Der Ziegenbock runzelte die Stirn, aber es war nicht recht, den Krieg mit einem Zank zu beginnen. Er ernannte den Dachs also zum Hauptmann seiner Landsknechte und befahl ihm, Truppen zu werben und einzuüben.

Nichts leichter als das, sagte Grimbart,. und sechs flinke Jungens hätte er schon, der Ziegenbock solle ihm nur den rechten Vorschuß geben.

Der neue König meinte wohl noch, ein Heer müsse sich ja am Gut des Feindes schadlos halten. Dann zog er den Beutel und zahlte dem Schneider, was der für sich und seine Landsknechte forderte. Wirklich kamen bald sechs junge Dachse und reihten sich feierlich um den Königswagen, so daß ein Soldatenherz daran seine Freude haben mußte.

Und dann ging es auf Grimbarts Vorschlag wahrhaftig in den Krieg, rechtwegs von der alten Mühle aus in den Krieg! Das Heer zog über die Grenzen des Hofs — König und Minister, Pferd, Kater und was alles die Geschichte miterleben wollte — und marschierte in Feindesland,

Der erste Gegner, den man fing, war Stickelpickel, der Igel, der naar so dumm gewesen und hatte sich mit offenem Mund am Weg aufgestellt. Auch sah man mit Freude, wie der Hase ausriß, wie die kleinen Sputter, die Kaninchen, in ihre Löcher flitzten und wie die Krähen schreiend aufflogen vor dem sonderbaren Zug. Das schien ein guter Beginn; schon erwog der Ziegenbock, all seinen Tapferen Namen und Adel zu verleihen, sobald die große Schlacht gewonnen sei.

Nun war aber gerade an jenem Tage auch der Jäger mit seinem Hund unterwegs. Weil er den Hirsch nicht mehr gefunden hatte, wollte er Krähen und Mardern und allerhand Raubzeug das Lebenslicht ausblasen, und weil die Krähen nicht achtgaben und nur alles beschrien —bauz, flog das Feuer aus dem Rohr, das Schrot pfiff in den Zweigen, und die Federn stoben.

Die Dachse, Hauptmann und Landsknechte, hatten, als der Wind ihnen die Witterung von Jäger und Hund gebracht, schon vorsichtig Deckung



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genommen, das steckt von alters her in ihnen. Den anderen aber fuhr bei dem ersten Schuß des Krieges der Schreck so gewaltig in die Glieder, das Pferd ging durch, der Kater stieg in die höchsten Zweige. Und der König und sein Minister sind, noch ehe sie den Jäger selbst zu Gesicht bekommen hatten, aus Wagen und Geschirr gesprungen. Sie haben nicht mehr an ihren Krieg gedacht, sondern sind, hast du nicht gesehen, vor allen anderen her und in einem einzigen Lauf wieder zur alten Mühle heimgerannt. Es zeigte sich dabei auch, daß König Peter und sein Minister noch am allerraschesten auf den Beinen waren.

Daheim waren die Herren in der Zeit nach der ersten Schlacht recht schweigsam. Dann begann der Ziegenbock bei der Erinnerung zu meckern und der Schafbock zu blöken. Und der Kater prahlte schon von dem Kampf, in dem sie sich alle als ehrliche Degen geschlagen hätten, und der König rühmte die Freunde und ihre Tapferkeit.

Da hast du recht", sagte auch der Dachs. Und es täte ihm nur leid, daß Kriegsfahrten so teuer wie schön seien, man könnte sich sonst öfter ina Gefecht begeben. Dann meinte er, weil man trotz aller Kühnheit sich nicht am Gut des Feindes habe schadlos halten können und weil der Morschuß längst verbraucht sei, müsse er den Sold für sechs tapfere Landsknechte und ihren Hauptmann quittieren.

König Peter zog den Beutel, er bezahlte nach Heller und Pfennig; das rührte jedermann. Danach wollte er Grimbart den Befehl geben, einen neuen Rock und Purpurmantel zu schneidern.

Bruder Dachs war indes mit seinem Sold schon auf dem Weg zu Frau und Kindern, und ich weiß auch nicht, ob der Ziegenbock noch Geld genug bei sich gehabt hätte. Es ist nun einmal ein teurer Spaß, König zu sein, und in einer Schlacht muß man siegen, sonst hat man die Kosten zu zahlen. Selbst wenn man nur Fasselabendkönig ist!


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