Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Die vierte Tochter

"Da war einmal ein sehr geiziger Mann, der kannte nichts Schöneres, als Geld und Gut zu häufen. Jaun hatte er vier Töchter, von denen waren drei an Drullekerle verheiratet. Und er meinte, sie hätten es gut, denn sie wohnten in reichen Schlössern jenseits der See und hatten viele Dienstboten und viel Gesinde.

Er wollte deshalb auch seine vierte Tochter an solchen Unhold geben, der doch nicht zu den Menschen gehört, obgleich er wohl wußte, daß ein junger Zimmermann sie gern hatte und heimlich mit ihr versprochen war.

Die arme Dirn weinte, als der Vater erzählte, was er vorhatte, sie wollte ja nicht wie die Schwestern hinterm Wasser wohnen. Es half ihr indes wenig, der Geizhals war nicht zu erweichen. Aber er sagte ihr am Ende zu, daß sie niemanden zu heiraten brauche, der ihr nicht selbst gefalle; er meinte ja, sähe sie erst den Reichtum derer in der Tiefe oder in den Bergen oder über See, würde sie bald andern Sinnes werden.

Der Mann machte sich also eines Tages mit dem Mädchen auf, weil ihm das am besten schien, und besuchte zunächst die verheirateten Töchter auf der großen Zauberinsel hinterm Meer, die Utwunder heißt. Die Älteste traf er zuerst; sie hauste tief unten in einem Fluß, freute sich sehr, als Vater und Schwester kamen, zeigte ihre Kindlein und lud die Brüder ihres Mannes dazu. Aber dem Mädchen gefiel keiner von den dunklen Schwägern; es hatte ja auch, noch ehe die Reise begann, dem jungen Zimmermann versprochen, ihm treu zu bleiben, was immer geschähe.



056 H.F. Blunck Märchen -- Die Abenteuer des kleinen Lücke Lünk Flip arpa

So mußte der alte Geizhals mit seiner vierten Tochter weiterfahren. Nach einigen Tagen kamen sie zu einem Heidhügel, der tat sich gleich einem gläsernen Haus vor ihnen auf. Dort besuchten sie eine andere Schwester, die sie auch freundlich empfing, ihnen ihre Kinder zeigte und die Freunde ihres Mannes einlud. Das Mädchen sagte jedoch bei jedem, er gefiele ihm nicht, und der Suter wurde böse, aber er hatte ja sein Wort gegeben.

Schließlich kamen sie zu dem dritten Drull, der wohnte tief im Wald auf einer wunderschönen Wiese und hatte ein herrliches Haus, das über und über mit absonderlichen Schnitzwerken bedeckt war, wie die im Hagen es lieben. Auch sein Weib zeigte den Gästen die Kinder und die Brüder ihres Mannes. Aber dem armen Mädchen gefiel keiner, es verlangte nichts, als heimzukehren, um seinen Vertrauten zu sehen. Da wurde der Vater zornig, und weil er ein gutes Heiratsgeld erwartet hatte, fühlte er sich von seiner jüngsten Tochter betrogen. Er ging deshalb geradeswegs zum Drullkönig, verdang ihm sein Kind gegen einen Beutel Gold als Küchenmagd, und der dunkle Alte nahm es gern an. Seine Art ist gierig, arme mädchen in Dienst zu bekommen.

Es ist aber wider das Gewissen, Menschen bei Unirdischen, das heißt bei ihnen, die nicht zu den Irdischen gehören, zu verdingen. Als der Mann heimgekehrt war und der Verlobte ihn zur Rede stellte, wo seine Tochter geblieben sei, gab er ihm keine Antwort.

Der junge Zimmermann ahnte, daß der Vater sein Kind wie die andern Schwestern zu den Dunklen gebracht hatte. Und er ging an die See und fragte viele Leute, ob sie etwas von einem Mädchen gehört hätten, das drüben wider Willen festgehalten würde. Keiner wußte davon. Endlich traf er einen Freund, der wunderschön auf der Flöte spielen konnte, und weil er vernommen hatte, daß die Unirdischen zur Nacht dem lauschen, setzten sich die beiden drei Nächte lang an das Ufer und spielten ein Lied nach dem anderen. Wirklich kam eine junge Meerminne, die verriet, als die Freunde sie fragten, daß der Mann mit der vierten Tochter zur Insel Utwunder gefahren und daß sein Mädchen beim Drullkönig geblieben sei. Aber sie wagte nicht, dem Zimmermann den Weg zu zeigen, sie hatte Furcht, die



057 H.F. Blunck Märchen -- Die Abenteuer des kleinen Lücke Lünk Flip arpa

Unholde würden es ihr heimzahlen, wenn sie Menschen nach drüben brächte. Vielleicht wisse einer von den Fischen Bescheid, sagte sie.

Da stellte der Bursch den langen Sommer über ein Netz aus und fragte alles, was er fing, und versprach freizugeben, wer ihm den Weg nach der Insel Utwunder weisen könnte. Aber die Fische sind stumm, keiner antwortete ihm. Endlich geriet ihm ein großer Stör ins Netz, der war ein König in seinem Volk und vermochte mit den Menschen zu reden. Alls der Junge dem nun die Freiheit versprach und erzählte, wie es ihm ergangen war, nahm der Stör den Zimmermann auf den Rücken und brachte ihn in drei Nächten bei vielen eifersüchtigen Nixen und plumpen Wassermännern vorüber, bis das Ufer von Utwunder nahe kam. Aber kaum, daß er den Burschen abgesetzt hatte, kriegte auch er Furcht und machte sich eilig heim.

Nun war der Zimmermann an der Seite von Utwunder gelandet, wo die Zwerge wohnen, und das war ja sein Glück. Es waren zumeist gutmütige Leute, sie luden ihn ein, ihren Hof zu besuchen, und er war viele Tage bei ihnen zu Gast. Aber als er sie bat, ihm doch gegen den Drullkönig zu helfen, ängstigten sie sich. Ach, meinten sie, er solle lieber für sie arbeiten, da könne er mehr gewinnen als bei den großen Unholden. An Lohn solle es ihm gewiß nicht fehlen.

Sie baten ihn also, zuerst ein Haus zu bauen, wie er es bei den Menschen gelernt hatte, und der Zimmermann machte sich ans Werk und richtete eine herrliche Burg für den Zwergkönig her. Dafür bekam er von dem ein winziges Schächtelchen, das reckte sich abends, wenn er müde war, zu einer Hütte, so groß, wie er sie sich wünschte.

Nun wollte der Unruhige weiterwandern, aber die Zwerge waren noch nicht zufrieden. Erst solle er ihnen ein Schiff schenken, sagten sie, so eines wie bei den Menschen.

Der Zimmermann konnte nicht anders, er mußte ihnen auch den Gefallen tun. Er ging also ans Werk und baute mit Hilfe der Kleinen eine schöne Dreimastbark. Zum Sohn bekam er ein Boot, kaum handgroß, das sich immer rasch so weit auseinanderfalten ließ, daß es seinen Eigentümer trug.



058 H.F. Blunck Märchen -- Die Abenteuer des kleinen Lücke Lünk Flip arpa

Der Gesell bedankte sich sehr; aber nun müsse er wirklich weiter, sagte er, um seine Vertraute zu suchen. Die Zwerge wünschten indes noch einen Segelwagen, solch einen, mit dem die Menschen hoch durch die Wolken fahren. Der Zimmermann tat sein Besteg, der Wind half ihm, und das Wichtevolk schmiedete die Räder. Als das Kunstwerk fertig war, schenkte der Zwergalte dem Gast zum Dank zwei winzige blaue Schwingen; wenn er die hochwürfe, werde die Nacht zum Tag, sagte er zwinkernd, man werde sie vielleicht brauchen können.

Der junge Bursch bedankte sich. Dann ließ er sich beschreiben, wie der Weg weiterführte. Die Unterirdischen wissen nämlich über alles Bescheid, was auf der Insel Utwunder vor sich geht, sie wußten auch, wo des Zimmermanns Verlobte in Dienst gehalten wurde. Und der Mann reiste mit seinem Boot viele Flüsse hinauf und hinunter, er fuhr bei den drei Schwestern vorbei und fand endlich Land und Schloß des Drullkönigs. Da mischte er sich unter das Gesinde, und sein Mädchen erkannte ihn. Und es freute sich von Herzen, denn es wünschte nichts sehnlicher, als mit dem Liebsten zu den Menschen heimzukehren.

Sobald die zwei allein waren, verabredeten sie auch, wie sie sich zur Nacht auf und davon machen könnten; über Tag, wenn die Unholde schlafen, ist des Drullkönigs Schloß ja vergittert und versperrt, es findet niemand von dannen.

Was die beiden besprachen, hat aber eine Magd gehört, die erzählte es dem Koch wieder, der Koch erzählte es den Dienern, und einer der Diener verriet dem Drullkönig, was er wußte. Als es Nacht wurde, die Tore aufgingen und die zwei sich aufmachen und, ein Bündel auf dem Rücken, von dannen schleichen wollten, stand auf einmal der furchtbare Unhold selbst vor ihnen. Und er schrie entsetzlich und verlangte vom Zimmermann, daß er mit ihm fechte; er wolle ihn wohl belehren, sagte er, daß sie nicht im Lande der Menschen, sondern in einem Reich seien, wo die Dunklen stärker als Gottes weiße Knechte seien.

Der junge Bursch aber hatte sich einen Plan gemacht für den Fall, daß sie angehalten würden. Und weil er sah, daß der König ihm an Körperkraft



059 H.F. Blunck Märchen -- Die Abenteuer des kleinen Lücke Lünk Flip arpa


dreifach über war, warf er blitzschnell die kleinen Flügel hoch, die ihm der Zwerg geschenkt hatte. Da schien für eine eile der Himmel grell und hell und hob sich wie blauer Tag.

Darüber erschrak das nächtige Volk und drängte sich schutzsuchend im Schatten der Tore zusammen. Ehe der Dunkle es hindern konnte, war der Zimmermann mit seinem Mädchen an ihm vorüber, die beiden fuhren, so rasch es ging, im Boot des Zwergkönigs stromauf



060 H.F. Blunck Märchen -- Der Hagemann und der Karnickelbock Flip arpa

und stromab niemand vermochte ihnen zu folgen. Um Mitternacht waren sie an der Grenze des Drullenreiches und reisten weit über die wilde See, ich weiß nicht wie lange, bis sie zu den Menschen heimkamen.

Dort öffnete der Bursch das Kästchen, und die beiden hatten ihre erste Hütte vorm Regen.

Sie haben auch niemandem verraten, wie sie zurückgekehrt waren. Der alte Stiefvater hat sie wohl einmal besucht, aber er hatte ja seinen Lohn davon, es war ihm einerlei, was aus den beiden wurde. Mir haben die zwei später erzählt, was alles erlebt hatten, weil ich gerade in ihrer Nähe wohne und ihr Vertrauen habe.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt