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Märchen und Sagen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaëls


Die Hinzlein zu Aachen

Überall in Deutschland und den Nachbarländern gehen Sagen von Zwergen und Neckebolden, heißen da so und dort anders, Hinzelmännlein, Bergmanndli, Hütchen, Heinzchen, Wichtlein, Querchlein, Quarkse, stilles Volk, Unterirdische, sind ein wunderlich spukhaft Geistervolk, den Menschen gut und feindlich, je nachdem es kommt, hilfreich und zuwider, nütze und schädlich, doch am meisten den Guten mild und den Bösen feindlich gesinnt.

Solche Kobolde gab es auch zu Aachen, hießen dort Hinze, wie man auch hie und da in Deutschland die Katzen nennt, die Hexenlieblinge, wohnten im Felsgeklüft unter der Emmaburg. Da waren viele Gänge und unterirdische Keller, daraus zog in gewissen Nächten der Hinzenschwarm hervor mit spukhaftem Gelärm und Gepolter, klapperten an die Haustüren und trieben viel Tückerei und bösen Mutwillen. Kein Geisterbannspruch, kein Kreidekreuz an Türen und Läden half gegen den Nchtspuk der Hinzemännlein; erst als man eine Kapelle dicht an die Felsen der Emmaburg baute und deren Glocken zum ersten Male erklangen, da war alles vorbei — denn Glockengeläute können die Unterirdischen nicht hören und vertragen.

Aber die guten Aachener ahnten nicht, daß sich mit dem Kapellenbau erst recht eine Rute auf den Hals gebunden hatten. Denn die Hinzlein zogen zwar aus den Felsen fort, aber wo zogen sie hin? — In die Stadt Aachen zogen sie, in einen alten Mauerturm, zu dem ein unterirdischer Gang nach dem Felsen unter der Emmaburg führte, und nun ging der Spuk erst recht an. Der alte Turm lag unweit der Kölner Straße, da klopfte es zur Nacht an die Häuser, da knisterte es auf dem Herd, da rasselte und klapperte es in den Küchengeschirren, und das ging stundenlang



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so fort, daß kein Mensch ein Auge zutun konnte. Niemand wußte Rat gegen die schlimmen Poltergeister.

Da kam von auswärts her ein weit umgewanderter Gesell nach Aachen, der vernahm von dem Spuk und erzählte, solcher Zwergvölker gebe es in Thüringen und Sachsen vollauf, bei Jena, bei Königsee, bei Plauen, in der Grafschaft Hohnstein am Harzwald, bei Zittau in Sachsen, im Zobten Schlesien, im Kuttenberg in Böhmen und an vielen andern Orten, auch im ganzen Vogtland, in der Schweiz am Pilatus, im Erzgebirge, im Untersberg bei Salzburg sowie am Rhein usw. Da sei nichts besser, als man stelle vor jedes Haus ein Geschirr, ehern oder irden, dessen wären die Hinzlein sehr froh, benutzten es zur Nacht und stellten es ungeschädigt wieder an seinen Ort, ließen dagegen die Leute in Ruhe. Der Kat des guten Gesellen ward probiert und war probat, man folgte ihm und hatte

Kamen nachmals zwei fremde Kriegsgesellen nach Aachen, die hörten in ihrem Quartier von der Sache und der Sage, hatten Spottens kein Ende, daß die Aachner Töpfe und Kessel für die Zwergmännlein hinstellten, deren es doch auf der Welt keine gebe, und vermaßen sich, nachts Wache zu stehen, da sollten die Hinzen statt der blanken Kessel blanke Segen finden. Darauf bezechten sich die Kriegsgurgeln, setzten sich vor die Tür, sangen und hatten sich sehr lustiglich, schrien immer einer den andern an: "He da, Hinz, jetzt kommt der Hinz!" trieben einander zur Kurzweil auf der Straße um, jagten sich, traten sich, rannten durchs Hinzengäßlein hinter big zu dem alten Mauerturm, da hörte man sie beide noch einmal brüllen, dann war alles still.

Am andern Morgen lagen die Prahlhänse tot vorm Hinzenturm, hatte einer den andern durch und durch gestochen.


Copyright: arpa, 2015.

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