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Kapitel 

AN NACHTFEUERN DER KARAWAN-SERAIL


MÄRCHEN UND GESCHICHTEN ALTTÜRKISCHER NOMADEN


erzählt von

ELSA SOPHIA VON KAMPHOEVENER

Erste Folge

CHRISTIAN WEGNER VERLAG HAMBURG



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BUCHAUSSTATTUNG: HANS HERMANN HAGEDORN


Der Kawehdji und der Derwisch

Achmed war in einem Lande wie dem unseren, wo es viele schöne Jünglinge gibt, einer der schönsten. Zudem war er ein fleißiger Knabe, ein guter Sohn seiner Mutter, für die er alles erarbeitete, dessen sie zum Leben bedurfte; er betrieb seines toten Vaters Geschäft, war ein Kawehdji. Alles wäre leicht und freudig gewesen in diesem Leben der Jugend und Arbeit, wenn die Frauen nicht gewesen wären, die Mädchen. Ist es nicht seltsam, daß es unseren Frauen, mögen sie auch im Harem leben, unter dem Schleier verborgen, dennoch immer möglich wird, ein schönes Mannsbild aufzuspüren und sich ihm bemerkbar zu machen? Ist es nicht eines der größten Wunder und bedeutet an Geheimnisvollem mehr, als alle unsere Erzählungen von Djinnen, Ifrits und Peris bergen? Nun, wir kamen nicht zusammen, Freunde, um dieses Geheimnis zu ergründen, sonst säßen wir noch da, wenn unsere Bärte in den Boden vor unseren Füßen eingewachsen sind.., nein, wir berichten nur davon, daß die Frauen, die Mädchen, die Weiber dem schönen Achmed das Leben schwer machten. Hatten sie nicht die Möglichkeit, diese Dienerinnen der Reichen, Kaweh und Scheker woanders zu kaufen als bei einem Kawehdji? Aber nein, grade dort mußte es sein, und wenn beim Prüfen der Ware der Schleier ein weniges zur Seite glitt. . . Djanoum, welch eine Aufregung war das! Achmed aber, jung wie



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er war, stand zur Seite und sah mit den geduldigen Blicken der Alten und Weisen zu, wie die Weiber die stille Ordnung seines Geschäfts am frühen Morgen, wenn noch keine Gäste da waren, zerstörten und sich anschickten, hätte er es zugelassen, am späten Abend auch die Ordnung seines Lebens zu zerstören.

Glaube nun niemand, daß Achmed nicht bereit gewesen wäre zu lieben! Aber dieser Jüngling hatte es sich in den Kopf gesetzt, selbst die Liebe zu suchen, selbst auch ihren Gegenstand und sich nicht wie eine reife Tomate pflücken zu lassen, im Vorübergehen, von einer Dienerin hinter dem Rücken ihres Herrn. Nein, Wallaha, das wollte er nicht! Er stand am Eingang seines kleinen Kawehs, das in einer der Seitenstraßen des Bazars gelegen war und eben deshalb von dem begehrlichen Mädchen so leicht aufgesucht werden konnte, sah der letzten dieser enttäuscht Davongehenden nach und murmelte zornig vor sich hin: »Ihr Unguten, den Hündinnen gleich streicht Ihr herum. Sei ein böser Djin Eure Strafe, Ihr Unguten, Ihr Schamlosen!« Da hörte er zu seinen Füßen eine ruhige Stimme sagen: »Wer böse Worte gebraucht, schadet seiner eigenen Zunge, nicht dem, dem sie bestimmt waren.«

Erschrocken, denn er hatte sich allein geglaubt, beugte sich Achmed suchend nieder und sah am Boden, ganz in sich zusammengesunken, einen Derwisch hocken, dessen Haltung die letzter Ermattung war. Achmed neigte sich tief zu ihm herab, sagte leise, voll von Mitleid und Hilfsbereitschaft: »Derwisch Baba, aman Kousum, wie müde du bist! Komm in mein Kaweh, Baba; es ist hinter einem Vorhang ein Diwan da, auf dem ich manchmal die Nacht verbringe; dort kannst du ruhen, und ich werde dich laben; ich habe sehr guten Tschai, der erquickt. Komm, Derwisch Baba, ich helfe dir auf, komm.« Der



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Derwisch blickte in das schöne junge Gesicht, das dem seinen ganz nahe war, lächelte ein wenig und murmelte: »Kommt ein Ifrit mir helfen, ein wohltätiger?« Dann ließ er sich von Achmeds junger Kraft hochheben und in das kleine Kaweh geleiten. Als er auf dem Diwan lag, löste ihm der Jüngling die Stränge der Fußbekleidung, murmelte bedauernde Worte und begann, mit feuchten Tüchern die zerschundenen Füße zu kühlen. »Wie weit sie wohl gingen, die armen Füße, Babadjim, ja? Steinige Wege und staubige Wege. Wach, wach die armen Füße!« Und während er so voll Sorgfalt kühlte und wusch, war schon das Wasser für den Tschai am Kochen. Der Derwisch sagte nichts, schaute nur auf den gesenkten Kopf des schönen Jünglings und auf die hilfreichen Hände. Achmed hüllte die Füße in kühle Tücher und bereitete den Tschai, brachte ihn mit dem Duft der Limone versehen und mit Scheker gesüßt dem Derwisch dar, tat es so ehrfurchtsvoll, wie er zu diesen frommen Männern fühlte, die sich ein entbehrungsreiches Leben erwählt hatten. Ihm fiel ein, während der Derwisch den Tschai schlürfte, daß dessen Bettelschale und sein Achselstab noch draußen geblieben waren, und er holte sie schnell herbei, ehe vielleicht ein daherkommender Hund die heiligen Dinge beschmutzen würde.

Indem nahten Gäste, und Achmed brachte die Sachen dem Derwisch, sagte hastig: »Ich bitte dich, Derwisch Baba, ruhe hier, schlafe, erfrische dich! Ich bin beglückt und geehrt, daß dein Haupt hier ruht. Ich muß indessen Gäste versorgen, Babadjim.« Der Derwisch nickte nur und lächelte still, und dann ließ ihn Achmed hinter dem Vorhang allein. Fast wollte es ihm scheinen, er habe noch niemals so viele Gäste wie an diesem Tage gehabt, doch kam die Stunde des Mittagsmahles, und da gab es ein wenig Ruhe. Er schlüpfte schnell einige Läden weiter,



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kaufte Brot, Käse, Früchte, Oliven und kam zurück voll Freude, denn nun konnte er dem Derwisch ein Mahl vorsetzen und ihm zudem noch später die Bettelschale füllen. Hinter dem Vorhang war alles still; vorsichtig hob ihn Achmed und fand den Derwisch in tiefem Schlafe vor. »Wallaha«, murmelte Achmed hauchleise, »welch ein Glück widerfährt mir! Heißt es nicht, das Dach, unter dem ein Derwisch in Schlaf verfällt, ist gesegnet? Allah Kerim, welches Glück!« Und begann die mitgebrachten Speisen herzurichten, so daß der Derwisch sie vom Lager aus verzehren konnte.

Dann weckte er vorsichtig den Schläfer und bediente ihn, wie ein Sohn es dem Vater getan hätte. Der Derwisch fragte leise, nachdem das Mahl beendet war: »Wie kann es geschehen, mein Kind, daß ein so reines und gutes Herz eine so böse Zunge hat wie die, die schlechte Worte vorhin sprach? Berichte mir, was dich erregte, Sohn.« Achmed tat es mit Freuden, sprach sich allen Zorn auf die lästigen Weiber vom Herzen und war nicht wenig erstaunt, als der Derwisch herzlich lachte bei diesem bewegten Bericht. »Mein Sohn«, sagte er und strich dem Jüngling über die Locken, »es kann nicht anders sein, als daß die Bienen Honig saugen, die Schmetterlinge Samen sammeln, die Jugend die Jugend sucht. Was beklagst du dich so bitter, da dich ein guter Geist so schön schuf und du den Mädchen Honig wie Blüte bedeutest? Aber ich will dir eine kleine Hilfe nennen, mein Sohn, hast du doch mir geholfen und war dein Geben und Helfen reich wie die Sonne an einem Sommertag. So höre: hinfort werden die kleinen Finzans, deine kleinen Tassen, dir den Gedanken dessen, der daraus trank, verraten. Du mußt nur darauf achten, sie nicht zu verwechseln, wenn du sie, nachdem der Gast dich verließ, an dein Ohr hältst. Es wird so sein wie bei den Muscheln, die das Lied des



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Meeres dir ins Ohr singen. So, mein Sohn, werden die Finzans dir alles verraten. Verstehst du mich, mein Kind?«

Achmed starrte den Derwisch an und dachte, daß der sich vielleicht ein Fieber zugezogen habe und deshalb so seltsam spreche. Aber er hatte zuviel Ehrfurcht, um seine Zweifel spüren zu lassen, und sagte darum ergeben und leise, wie es sich geziemt: »Ich verstehe dich, Derwisch Baba.« Der Derwisch lächelte ein wenig und schien die Gedanken hinter den Worten zu erkennen, denn er sagte freundlich: »Laß nur, mein Sohn, du wirst mich einmal verstehen. Und vergiß nicht: wie du es besser und besser lernst, den Finzans oder der Muschel, wie du sie nun nennen willst, zu lauschen, so wirst du weiser werden und auch glücklicher, wenn es auch schwer ist, glücklich zu sein und erkennend zugleich. Jetzt werde ich noch ein wenig ruhen, mein Sohn, um zur Nacht wieder meiner Wege zu gehen. Aber wenn du mich auch jetzt nicht mehr siehst - alle drei Monate einmal wirst du mich wiedertreffen, nur weiß ich nicht, ob du mich immer erkennen wirst. Ich aber danke dir in jeder Gestalt und sage dir Allah ismagladyk.« Damit fiel der Derwisch zurück und versank sogleich in tiefen Schlaf. Der Kawehdji war ein wenig ratlos, was nun zu tun sei. Sollte er am Boden nahe dem Derwisch schlafen? Sollte er heimgehen und den Derwisch allein lassen? Nach einigem Überlegen entschloß er sich hierzu, verriegelte die schwere Tür seines kleinen Geschäftes von außen und ging heim zu seiner Mutter.

Besonders früh erhob er sich am Morgen und eilte in den Bazar, den Derwisch aus seiner Gefangenschaft zu befreien; er schloß leise auf, schlich hin zu dem Ruhelager und blieb vor Schreck erstarrt reglos stehen: der Derwisch war fort! Wie war das möglich, da er doch eingeschlossen



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war? Wie konnte das geschehen? Da gewahrte der Jüngling auf einem niederen Schemel neben dem Ruhelager eine kleine Tasse, eine der zierlichen Finzans, darin der Kaweh bereitet wurde; wie kam sie dahin? Genau konnte er sich erinnern, alles sorgfältig aufgeräumt zurückgelassen zu haben. Er schüttelte den Kopf, nahm die kleine Tasse auf, wollte sie säubern und zu den anderen stellen, doch als er sie aufnahm, war es ihm, er habe eine summende Biene in der Hand, und plötzlich erinnerte er sich der Worte des Derwisch, an die er nicht mehr gedacht hatte: derer von den singenden Muscheln. Er lachte über sich selbst, hielt aber doch die kleine Tasse an das Ohr. Und da, ja wirklich, da war es ihm, als vernähme er tief in sich, er wußte auch nicht zu sagen wie und wo, etwas wie Worte - oder waren es Gedanken? Gleichviel, er verstand dieses: »Ich gehe ausgeruht von dir, mein Sohn, und lasse dir mit dem Finzan meinen Dank und Gruß; vergiß nicht, in drei Monden bin, ich wieder da, wenn auch in anderer Gestalt. Allah ismagladyk.

Das summte die kleine Tasse, und dann war sie still. Der Jüngling sah sie an von allen Seiten, aber es war nichts an ihr zu sehen. Vorsichtig trug er sie in einen Winkel, umhüllte sie mit einem Tuch und stellte sie fort. Maschallah! welch ein Wunder, welch ein köstlicher Spaß! Von nun an würde er alle Gedanken seiner Gäste erraten können, würde wissen, wer Geschäfte mit wem machte, wer Freund war, wer Feind, wessen Gunst zu bewahren sei, wessen nicht. Achmed setzte sich auf einen seiner niederen Eskemleh, stützte die Ellbogen auf die Knie, den Kopf in die Hände und dachte, dachte! Von Zeit zu Zeit huschte ein Lächeln über sein Gesicht, dann wieder sah er ganz ernst aus, und plötzlich sprang er auf, sagte laut in das morgendliche Schweigen des Bazars hinein: »Ein



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guter Ifrit hat mich besucht, zweimal hat er mich Gott befohlen und kehrt zurück. Reich werde ich sein, groß werde ich werden . . . Dank, Derwisch Baba, und Dank dem Freund und Bruder Mohamed, dessen Name gesegnet sei!«

Von diesem Tage an begannen jene geheimnisvollen Geschehnisse im Bazar, davon noch viele Jahre lang bewundernd gesprochen wurde, denn es gab keine Geheimnisse mehr, die bewahrt werden konnten. Wurde ein Diebstahl geplant, so war ein Teil der Beute ehebald wieder dem Eigentümer zurückgegeben, mochte das Versteck auch noch so sorgfältig gewählt gewesen sein. Wurde eine Ware eingeschmuggelt, auf der hoher Zoll stand, nach kurzem fehlte ein Teil davon, und das übrige wurde von den Sabtiehs in Gewahrsam genommen. Wurde die Entführung einer Sklavin geplant . . . aber hierbei ging es am allerseltsamsten zu, und die Sache mit der entführten Sklavin blieb das dunkelste Geheimnis. Erregt stand man im Kaweh des Achmed herum, das inzwischen zum größten und schönsten geworden war, und besprach diese Begebenheit, bei der man nicht wußte, ob man die Frechheit, die Kühnheit oder die Sicherheit der Befreiung mehr bewundern sollte.

Die Sache spielte sich so ab: Suleiman, ein Syrer, und Artin, ein Armenier, waren zwei Leute, die seit langem alle Geschäfte gemeinsam machten, und es gab im Bazar einen Spruch, der sagte: »Was Suleiman stahl, nahm ihm Artin ab; was Artin verbarg, verkaufte Suleiman. Aman, hab acht, Bruder!« Artin, mit dem Witz und der Durchtriebenheit, die seinem Volke eigen sind, hatte den Gedanken erwogen, aus der neuen Sendung des Sah Agha, des größten Sklavenhändlers des Landes, etwas Gutes zu stehlen und es selbst nutzbringend zu verkaufen. Zu diesem Zwecke, so wurde im Kaweh des Achmed flüsternd



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besprochen, sollte sich Suleiman als reicher Bey von der syrischen Küste kleiden und die Gewänder hierzu von Machmud stehlen, der sein Geschäft wenige Schritte entfernt von Achmeds Kaweh betrieb. Während dann der angebliche syrische Bey die Sklavin auswählte und begutachtete, würde Artin herbeistürzen, Suleiman niederschlagen, das Mädchen packen und auf einem schnellen Pferde entführen. Suleiman würde indessen einen Aufruhr vorbereiten, viel schreien und schelten, nach den Sabtiehs verlangen und auf diese Art dem Artin auf seinem Pferde Vorsprung geben. Das Versteck für die Beute war in einem Karawanserail gedacht, das sich unmittelbar vor dem Tore der Stadt befand.

Alles ging auch ganz planmäßig bis zu der Ankunft des Artin im Karawanserail, darin sich naturgemäß während des Tages niemand befand. Dort aber stand unerwartet ein Mann vor dem erschreckten Armenier und bemerkte höflich, er sei der Aufseher für den Lagerraum und bereit, welche Ware immer der Effendi bei sich habe, in Aufbewahrung zu nehmen. Eine Sklavin? Ja, gut. Er werde sie in sicherem Gewahrsam halten, so der Effendi eine Lagergebühr zahle. Man berechne für Sklaven das gleiche wie für Esel, Hammel und ähnliches Getier und besitze verschließbare Räume im Lager. »Will der Effendi mitkommen und die Sklavin auch? Gehen wir zusammen.« Artin begriff es niemals, wie es kam, daß er keinen Fluchtversuch unternahm oder den Aufseher niederschlug; er ging vielmehr mit, wobei er der Erste war, dann kam die vor Angst verstummte Sklavin, dann der Aufseher. Man gelangte zum rückwärtigen Teil des Lagerraumes, wo sich einige vergitterte Zellen befanden, die offenbar des Aufsehers höchster Stolz waren. »Sehe der Effendi, wie sicher und gut verwahrt alles ist, was hier eingeschlossen ist. Die Stunde Aufbewahrung kostet fünfzig Piaster, will



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der Effendi so herablassend sein, zu zahlen, ehe wir die Ware hineintun?«

Artin erging sich in Wehklagen über die Höhe der zu entrichtenden Summe, der Aufseher lächelte nur und bemerkte: »Wie der Effendi befiehlt. Dann nehme er die Ware wieder mit, es macht mir nichts aus.« Aber das konnte Artin nicht, durfte doch niemand die Sklavin sehen, und so begann er zu handeln, was jedoch seltsamerweise dem Aufseher nicht zu behagen schien. Es wurde spät und später, und verzweifelt gab Artin endlich nach, zahlte die verlangten fünfzig Piaster und forderte den Mann auf, die Ware nun einzuschließen. Dieser aber, höflich wie nur je, erklärte, es gehe ihm gegen die Ehre, daß der Effendi die Zelle nicht besichtigt habe und ihre Sicherheit geprüft; er schloß auf, trat zurück, verbeugte sich höflich und sagte: »Tretet ein, Effendi, seht, wie vortreiflich die hier aufbewahrte Ware gegen Einbruch gesichert ist.« Artin trat ein, und im nächsten Augenblick schnappte das Schloß zu. Er saß in der so sehr sicheren Zelle. Um sein Geschrei kümmerte sich der angebliche Aufseher nicht, wandte sich an das verängstigte Mädchen, sagte hastig: »Komm mit mir, ich bringe dich zu meiner Mutter, niemand wird dir etwas tun, komm. Ich habe eine Djelhabieh für dich bereit, wir reiten schnell.«

Melek verstand nichts von allem, was ihr seit den letzten drei Tagen geschehen war, seit sie vom Felde fortgeholt worden war, wo sie Rosen für die Öelbereitung pflückte; von allem war sie so benommen, daß sie wortlos tat, was ihr anbefohlen ward. Gleich danach war sie in eine dunkle Djelhabieh gehüllt, wurde von einem sicheren Arm umschlungen und auf ein Pferd gehoben. Hinter ihr verhallte das Geschrei des eingeschlossenen Artin.

Es dauerte nicht lange, da wurde Artin aus diesem Gefängnis befreit, um in ein anderes zu wandern, und er traf



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seinen Freund Suleiman auch dort wieder an. Ist es schlimm, gefangen zu sein? Aber nein, denn man gewinnt Zeit für das Erdenken neuer Möglichkeiten. Schlimm aber ist es, fünfzig Piaster bezahlt zu haben für das Eingesperrtwerden, ja, das ist schlimm, denn es ist Verlust des Gesichtes. »Warte, du Elender, wenn ich wieder frei werde!« dachte Artin voll Wut. Doch auch er hatte das Gesicht des Elenden nicht gesehen, fiel doch der Zipfel eines Kopftuches darüber, und so sank auch diese Drohung in das große weite Loch des Vergessens ein, wie es viele schon getan hatten seit jenen seltsamen Geschehnissen in und um den Bazar.

Zeit verging, und Melek gehörte schon, als sei sie niemals anderswo gewesen, zum Hause von Achmeds Mutter. »Eine Tochter habe ich mir immer gewünscht«, sagte die alte Frau, »und erhielt vom Kismet nur diesen Nichtsnutz von Sohn zugewiesen.« Lachend und forschend schaute sie Melek an. »Denkst du nicht auch, er sei ein schlimmer Nichtsnutz, heh?« fragte sie schelmisch. Melek neigte sich tief über das Seidentuch, das sie mit Blumen bestickte, und murmelte: »Wie könnte ich meinen Erretter einen Nichtsnutz nennen, oh Herrin?« Doch Achmeds Mutter lachte nur und ging an ihre Arbeit.

Gewiß, die Sitte verlangt, daß ein Mann niemals das Gesicht einer Frau sehe, sie sei denn ihm blutsverwandt, aber für eine Sklavin gilt das nicht, und so hatte Achmed wieder und wieder in das Antlitz des Mädchens geblickt, das Melek hieß, was Engel besagt. Sie war aber ein heiteres und frohes Mädchen, kein stiller, frommer Engel, und Achmed trieb Spaß mit ihr. So brachte er eines Tages sein Ibrik, das Gerät zum Bereiten des Kaweh, mit nach Hause, zugleich mit den kleinen Finzans, und erklärte dazu: »Erlaube mir, verehrungswerte Mutter, den Kaweh mit meinem Ibrik zu kochen, denn ich habe eine neue,



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gute Art Kaweh aus Yemen bekommen und du und Melek, Ihr müßt ihn versuchen; auch sind meine Finzans sehr schön, ist es nicht so? Sie sind ganz neu.« Was ist dagegen einzuwenden? Nichts. Nur Melek wunderte sich ein wenig, daß es ihr erlaubt ward, mit der Herrin und dem Herrn den Kaweh zu nehmen, aber langsam hatte sie schon begonnen, sich an allerlei Wunder zu gewöhnen. So saßen sie denn zu dritt auf dem niederen Diwan mit angenehm gekreuzten Beinen, und die Frauen bewunderten gebührend die Köstlichkeit des Kaweh. Dann erhob sich Melek, sagte leise: »Erlaubt, daß ich die Finzans säubere.« Fast erschrak sie, als Achmed hochsprang und mit dem Griff eines Räubers nach den Finzans griff. »Diese ist deine, oh Mutter, ist es nicht so?« Die alte Frau sagte erstaunt: »Sind sie so kostbar, diese Finzans, mein Sohn, daß du sie auch nicht den weichen Händen von Melek anvertraust?« Achmed nickte, sagte etwas verlegen: »Sehr kostbar, Verehrungswürdige, mehr als du begreifen kannst.« Und ging vorsichtig davon, die zwei Finzans behutsam haltend, rechts den der Mutter, links den von Melek.

In dem Raum angelangt, wo sich die Wasserkübel befanden, stellte Achmed sorgfältig den Finzan der Melek beiseite, hielt den der Mutter ans Ohr, zufrieden in Erwartung lächelnd. Aber er nahm das zierliche Gefäß schnell wieder vom Ohr, betrachtete es erstaunt, hielt es dann wieder nahe und hörte dieses: »Was für ein Dummkopf ist doch mein Achmed! Wie dumm sind die Männer immer, aber auch dieser, das setzt mich in Erstaunen! Da ist dieses Kind Tag für Tag für ihn sichtbar, diese Melek, die ich zur Tochter will, und was tut er? Nichts! Was für ein Dummkopf mein kluger Sohn ist, Maschallah!« Noch einmal und noch einmal hörte er sich die Gedanken seiner Mutter an, und ein Lächeln stand auf seinem schönen



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Gesicht, als scheine die Sonne allein nur für ihn. Dann nahm er den Finzan auf, daraus Melek getrunken hatte, hielt ihn in der Hand und spürte das seltsame Bienensummen, das er nun schon kannte. Aber hören? Wissen, was sie dachte? Aman, aman, es war schwer, sich zu entscheiden! Wenn sie nun...

In diesem Augenblicke verdunkelte sich der Eingang dieses Raumes, der eine Tür zum Hof hatte, darin sich der Brunnen befand, und die Gestalt eines Mannes in der Kleidung reicher reisender Kaufleute stand dort. Der Mann grüßte höflich, sagte halblaut: »Achmed, mein Sohn, hast du Angst, was sie denken könnte, diese, die den Namen der Engel trägt? Vorsicht, lasse den Finzan nicht fallen!« und sprang hinzu, fing aus der Hand des Erschrockenen die zierliche kleine Tasse auf. Stimme, Blick, Art zu sprechen... »Derwisch Baba!« rief Achmed, stürzte auf den Mann zu, der in anderer Gestalt wieder vor ihm stand. »Wie du mir gesagt hast, bist du gekommen, wenn auch anders anzuschauen. Oh Freund und Helfer, wie ich dir danke, wie ich danke! Reich hast du mich gemacht, wissend hast du mich gemacht! Wie ich danke, Babadjim!« Der Mann sagte ernst und ruhig: »Du redest mich mit Worten an, die dem Propheten allein gebühren, denn nur er ist Freund und Helfer, sein Name sei gesegnet. Du dankst mir für Reichtum. Was aber ist Reichtum? Reichtum ist Kälte, Hochmut, Härte. Wissend habe ich dich gemacht, sagst du. Wissend wovon? Von der Schlechtigkeit der anderen und wie man daraus Nutzen ziehen kann? Mein Sohn, wenn das alles ist, was ich dir gab, ist es nicht viel; und mir will scheinen, ich sollte meine Gabe zurücknehmen und dich allein lassen. «

Wartend stand der Derwisch, schweigend Achmed. Eine Weile so, dann trat Achmed nahe zu dem verwandelten



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Derwisch, legte seine Stirn auf dessen Schulter und bekundete so Ergebenheit und Demut. »Tue, was dich richtig dünkt, Freund und Wohltäter, ich bin in deiner Hand.« Der Derwisch, der immer noch die kleine Tasse in der Hand hielt, legte sie mit einem geheimen Lächeln unversehens an das Ohr Achmeds, hielt mit der anderen Hand den dunklen Kopf fest auf seiner Schulter. Und Achmed hörte. Leises Seufzen, leise Laute: »Wie schön er ist, mein Erretter, wie gut und stark! Wie ich ihn liebe... Oh Allah, hilf!«

Mit einer heftigen Gebärde befreite sich Achmed von der haltenden Hand, faßte den Derwisch an beiden Schultern, sah ihn leuchtenden Blickes an, stammelte: »Da ich dieses vernahm, Babadjim, mögest du deine Gabe zurücknehmen; ich will niemals mehr etwas hören. Nur komme, komme immer wieder und prüfe deinen Diener, auf daß er es verdiene, dein Schüler zu werden!« Der Derwisch sagte leise: »Ich lasse dir die Gabe bis zu meinem nächsten Kommen und gebe dir einen Rat dazu: lasse in Zukunft dein Weib nur aus einem Gefäß den Kaweh nehmen, das sich niemals im Bazar befand, haben doch nur deine dortigen Finzans die Gabe des Sprechens. Denn wisse, mein Sohn: ist auch das Seufzen der Liebe herzerfreuend am Beginn der Dinge - wer kann wissen, in welche Geräusche sich solches Seufzen späterhin wandelt? Darum bedenke dich wohl, ehe du es nochmals versuchst. Dieses sei die erste Lehre an meinen Schüler. Allah ismagladih.« Und war mit dem Aussprechen des Wortes verschwunden. Achmed stand und sah dem Schatten nach, den er geworfen hatte, hielt dann nochmals den Finzan ans Ohr, der ihm in die Hand gedrückt worden war, sagte leise: »So behalte ich das erste Seufzen der Liebe für alle Zeiten, und sollte einmal alles anders werden - dich, Finzan, behalte ich!«



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Da sprang ein herrenloser Hund von der Straße herein, war mit einem Satz bei Achmed, und mit leisem Klirren fiel der Finzan auf den Steinboden, zerbrach in unzählige Scherben. »Wach! Wach!«klagte Achmed und hockte sich suchend nieder, fand nur Staub.

Ist es nicht Wesen der Liebesseufzer, zu verhallen und nichts zu werden als Staub der Erinnerungen? Allah Kerim.


Copyright: arpa, 2015.

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