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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM SCHREIBER JÛNUS UND WALl D IBN SAHL

Zur Zeit des Kalifen Hischâm ibn 'Abd el-Malik' lebte ein Mann des Namens Jûnus, der Schreiber; und der war weit berühmt. Eines Tages machte er sich auf den Weg nach Damaskus und nahm eine Sklavin mit sich, die unendlich schön und anmutig war und die an Eigenschaften alles besaß, was man von ihr nur wünschen konnte; ihr Preis aber betrug hunderttausend Dirhems. Als man sich Damaskus näherte, machte die Karawane bei einem Teiche Halt; da setzte auch er sich nieder an einer der Seiten des Wassers, nahm von der Zehrung, die er bei sich hatte, und holte einen Schlauch mit Wein hervor. Während er so dasaß, kam zu ihm ein Jüngling von schönem Antlitz und vornehmem Aussehn, der auf einem braunen Rosse ritt und zwei Eunuchen bei sich hatte. Der begrüßte ihn und sprach zu ihm: ,Willst du einen Gast aufnehmen?' ,Gern', erwiderte Jûnus, und der Fremde ließ sich bei ihm nieder und sprach zu ihm: ,Laß mich von deinem Weine trinken!' Nachdem Jûnus ihm zu trinken gegeben hatte, fuhr er fort: ,Willst du uns nicht ein Lied singen?' Da sang Jûnus diesen Vers:

Sie vereint in sich an Schönheit, was kein Mensch in sich vereint;
Ihre Liebe macht mein Auge froh, auch wenn es wacht und weint.

Darüber war der Fremde hocherfreut; und Jûnus gab ihm immer wieder zu trinken, bis die Trunkenheit seiner Herr ward und er sprach: ,Heiß deine Sklavin singen!' Und da sang sie diesen Vers:



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Eine Maid des Paradieses, deren Reiz mein Herz berückt -
Weder Zweig noch Mond noch Sonne haben je mich so entzückt.

Wiederum war der Fremde hocherfreut, und Jûnus reichte ihm den Becher noch manches Mal. So blieben sie beieinander, bis sie das Abendgebet sprachen. Dann fragte der Jüngling den Schreiber: ,Was hat dich in dies Land geführt?' Der antwortete: ,Die Suche nach dem, womit ich meine Schulden bezahlen und meine Lage ordnen kann.' Nun fragte der Fremde ihn: ,Willst du mir diese Sklavin für dreißigtausend Dirhems verkaufen?' Jûnus erwiderte: ,Ich habe mehr als das nötig, nächst der Gnade Gottes.' Der andere fuhr fort: ,Bist du mit vierzigtausend für sie zufrieden?' Doch Jûnus sagte: ,Damit kann ich meine Schulden bezahlen, aber dann bleiben meine Hände leer.' Darauf antwortete der Fremde: ,Ich will sie um fünfzigtausend Dirhems nehmen, und du sollst außerdem ein Gewand und die Kosten deiner Reise erhalten und an meinem Leben teilhaben. solange du unter uns weilst.' ,Dafür verkaufe ich sie dir', sprach Jûnus; und der Fremde fragte: ,Willst du mir trauen, daß ich dir morgen ihren Preis bringe und sie jetzt mit mir nehme, oder soll sie bei dir bleiben, bis ich dir morgen das Geld herbeischaffe?' Nun ward Jûnus durch Trunkenheit und ängstliche Scheu vor dem Fremden dazu verleitet, daß er sprach: ,Ja, ich traue dir; nimm sie hin, und Allah segne sie dir!' Der Fremde aber befahl einem seiner Diener: ,Nimm sie auf dein Tier. und sitz du hinter ihr auf und führe sie heim!' Dann bestieg er selbst sein Roß, nahm Abschied von jûnus und ritt fort. Er war aber nur eine kurze Weile dem Verkäufer aus den Augen entschwunden, da dachte dieser bei sich selber nach und erkannte. daß er mit dem Verkaufe einen Fehler gemacht hatte; und er sagte sich: ,Was hab ich da getan, daß ich meine Sklavin einem Manne übergeben habe, denn ich nicht kenne und dessen Namen



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ich nicht einmal weiß? Und gesetzt, ich keimte ihn, wie sollte ich dann zu ihm gelangen?' So blieb er in Gedanken sitzen, bis er das Frühgebet sprach; dann zogen seine Gefährten in Damaskus ein, während er ratlos sitzen blieb, ohne zu wissen, was er tun sollte. Immer saß er so da, bis die Sonne ihn versengte und er des Wartens überdrüssig ward. Er dachte zwar daran, in die Stadt Damaskus zu gehen; doch er sagte sich: ,Wenn ich hineingehe, so bin ich nicht sicher, daß der Bote nicht hierher kommt, und dann findet er mich nicht, und ich begehe eine zweite Sünde wider mich selbst.' Darauf setzte er sich in den Schatten einer Mauer. die dort stand. Doch als der Tag sich neigte, kam plötzlich einer von den beiden Eunuchen, die bei dem Jüngling gewesen waren, auf ihn zu. Wie Jûnus den erblickte, kam große Freude über ihn, und er sprach bei sich selber: ,Ich wüßte nicht, daß ich mich je über etwas mehr gefreut hätte als jetzt über den Anblick dieses Eunuchen.' Der Ankommende sprach, als er vor ihm stand: ,Mein Gebieter, wir haben dich lange warten lassen'; aber Jûnus sagte zu ihm nichts von der Angst, die er ausgestanden hatte. Nun fragte der Eunuch ihn: ,Kennst du den Mann, der die Sklavin mitgenommen hat?' ,Nein', erwiderte Jûnus; und jener fuhr fort: ,Es ist Walid ibn Sahl, der Thronfolger.' Und Jûnus schwieg nunmehr. Dann sprach der Eunuch: ,Wohlan, sitze auf!' Er hatte nämlich ein Reittier bei sich, und das gab er jûnus zum Reiten. Darauf ritten die beiden fort, bis sie ein Haus erreichten und dort eintraten. Als die Sklavin ihn erblickte, eilte sie auf ihn zu und begrüßte ihn. Er aber fragte sie: ,Wie ist es dir bei dem gegangen, der dich gekauft hat?' Sie gab zur Antwort: ,Er hat mich in diesem Gemach da untergebracht und hat mir alles angewiesen, was ich nötig habe.' Nachdem er eine Weile bei ihr gesessen hatte, kam ein Diener des Hausherrn



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auf ihn zu und sagte zu ihm: ,Auf!' Da machte er sich auf und begab sich mit ihm zu seinem Herrn und erkannte in ihm seinen Gastfreund vom Tage vorher, den er nun auf einem Throne sitzen fand. Jener fragte ihn: ,Wer bist du?' ,Ich bin Jûnus der Schreiber', erwiderte jener; und der jüngling sprach: ,Willkommen! Ich habe mich lange danach gesehnt, dich zuschauen; denn ich habe viel von dir gehört. Wie hast du denn diese Nacht verbracht?' ,Gut; möge Allah der Erhabene dir Ruhm geben!' ,Vielleicht hast du schon bereut, was du gestern getan hast, und dir gesagt: Ich habe meine Sklavin einem fremden Manne übergeben, den ich nicht kenne und dessen Namen ich nicht einmal weiß, noch auch weiß ich, von wannen er kommt?' ,Allah verhüte, o Emir, daß ich es bereuen sollte! Hätte ich die Maid dem Emir geschenkt, so wäre sie die geringste der Gaben, die ihm gebühren.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 685. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Jûnus der Schreiber zu el-Walîd ibn Sahl sprach: ,Allah verhüte, daß ich es bereuen sollte! Hätte ich die Maid dem Emir geschenkt, so wäre sie die geringste der Gaben, die ihm gebühren. Ja, diese Sklavin ist seines hohen Standes nicht würdig.' Aber el-Walîd sagte: ,Bei Allah, ich bereute schon, daß ich sie dir fortgenommen hatte; denn ich sagte mir: Dieser Mann ist ein Fremder, der mich nicht kennt, und ich habe ihn überrascht und habe unüberlegt gegen ihn gehandelt in meiner Eile, das Mädchen zu erhalten. Entsinnst du dich dessen, was zwischen uns vorgegangen ist?' ,Jawohl', erwiderte Jûnus; und er fuhr fort: ,Verkaufst du mir also die Sklavin um fünfzigtausend Dirhems?' Jûnus sagte: ,Ja'; und el-Walîd rief: ,Sklave, bringe das Geld!'



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Der brachte es und legte es vor ihm nieder. Wiederum rief er: ,Sklave, hole eintausendundfünfhundert Dinare!' und der brachte sie. Dann sprach er: ,Dies ist der Preis für deine Sklavin; nimm ihn hin! Diese tausend Dinare sind für deine gute Meinung von uns; und diese fünfhundert Dinare sind für die Ausgaben der Reise und für die Geschenke, die du den Deinen kaufst. Bist du zufrieden?' ,Ich bin zufrieden', antwortete Jûnus, küßte ihm die Hände und sprach: ,Bei Allah, du hast mir die Augen und die Hand und das Herz gefüllt.' Doch el-Walîd sagte: ,Bei Allah, ich bin noch nicht mit ihr allein gewesen, und ich habe mich auch noch nicht an ihrem Singen satt gehört. Jetzt soll sie kommen!' Als sie dann kam, befahl er ihr, sich zu setzen und zu singen. Da sang sie das Lied:

Oh, die du alle Schönheit ganz in dir vereinesf,
An Herzensgüte und an Liebesanmut reich,
Wohl ist bei Türken und Arabern manche Schönheit.
Doch dir, mein Reh, ist von den allen keine gleich.
Du Schöne, neige dich zu mir, dem Liebeskranken,
Mit deiner Huld, sei's auch als Traumbild in der Nacht!
Mir sind um deinetwillen Schmach und Schande lieblich,
Und wohl ist meinem Auge, wenn es nächtlich wacht.
Ich bin der erste nicht, den Lieb' zu dir betörte:
Wie viele Männer ließen vor mir schon ihr Blut!
Nur dich begehre ich als meinen Teil am Leben;
Du bist mir lieber als mein Leben und mein Gut.

Darüber war el-Walîd aufs höchste entzückt, und er lobte Jûnus, daß er sie so schön erzogen und unterrichtet hatte. Dann rief er: ,Sklave, hol ihm ein Reittier mit Sattel und Geschirr, und ein Maultier, um sein Gut zu tragen!' und er fuhr fort: ,O Jûnus, wenn dir berichtet wird, daß die Herrschaft auf mich übergegangen ist, so komme zu mir; und bei Allah, ich will deine Hände mit Geld und Gut füllen; ich will dir



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eine hohe Ehrenstelle verleihen und dich reich machen, solange du lebst!'

Da nahm ich - so erzählte Jûnus selber -das Geld und ging fort. Und als das Kalifat auf ihn übergegangen war, begab ich mich zu ihm; und bei Allah, er erfüllte mir sein Versprechen und erwies mir hohe Ehren. So lebte ich bei ihm in aller Freude und im höchsten Ansehen; mein Besitz wuchs ringsumher, und meines Reichtums ward immer mehr; und ich erwarb so viele Ländereien und Güter, daß sie mir bis zu meinem Tode genügen und auch für meine Erben nach mir genug sein werden. Und ich blieb immerdar bei el-Walîd, bis er ermordet wurde —Allahs des Erhabenen Gnade ruhe auf ihm!

Ferner wird erzählt


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