DIE ERZÄHLUNGEN
AUS DEN TAUSENDUNDEIN
NÄCHTEN
VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE
AUSGABE
IN SECHS BÄNDEN
ZUM ERSTEN MAL NACH DEM
ARABISCHEN URTEXT
DER CALCUTTAER AUSGABE
AUS DEM JAHRE 1839
ÜBERTRAGEN
VON ENNO LITTMANN
BAND 4
IM INSEL-VERLAG
DIE GESCHICHTE VON DEM KAUFMANN
UND DEM PAPAGEIEN
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Es war einmal ein Kaufmann, der viel auf Reisen ging; der
hatte eine schöne Frau, die er lieb hatte und um die er in eifersüchtiger
Liebe besorgt war. Darum kaufte er für sie einen
Papagei, der ihm alles berichten sollte, was in seiner Abwesenheit
vorging. Als dieser Kaufmann nun einmal wieder auf einer
seiner Reisen war, hängte sich seine Frau an einen Jüngling,
der zu ihr zu kommen pflegte; und sie bewirtete um und schlief
mit ihm, solange ihr Gatte in der Ferne weilte. Als dieser
aber von seiner Reise zurückgekehrt war, erzählte ihm der
Papagei alles, was geschehen war, indem er sprach: ,Mein Gebieter,
ein türkischer Jüngling pflegte zu deiner Gattin zu kommen.
während du fern warst, und sie erwies ihm alle Ehren.'
Da beschloß der Mann, seine Frau zu töten. Doch als sie davon
Kunde erhielt, sprach sie zu ihm: ,Mann, fürchte Allah und
nimm doch wieder Vernunft an! Hat denn ein Vogel Verstand
oder Vernunft? Wenn du willst, daß ich dir klar zeige, ob das
Tier lügt oder die Wahrheit redet, so geh heute abend fort und
schlaf bei einem deiner Freunde. Dann komm am Morgen
heim und frage den Vogel, damit du erkennest, ob er in seinen
Reden die Wahrheit spricht oder lügt!' Da machte der Mann
sich auf und begab sich zu einem seiner Freunde und blieb die
Nacht über bei ihm. Als es aber dunkel geworden war, holte
die Frau des Kaufmanns ein Stück Leder und deckte es über
den Käfig des Papageien; dann sprengte sie Wasser auf die
Lederdecke, fächelte mit einem Fächer darüber, fuhr mit der
Lampe hin und her, um das Leuchten des Blitzes nachzuahmen,
und begann die Handmühle zu drehen, bis es Morgen ward.
Als ihr Gatte heimkehrte, sprach sie zu ihm: ,Mein Gebieter,
frage den Papagei!' Da wandte der Mann sich an den Papagei
und sprach mit ihm und fragte ihn nach der vergangenen Nacht.
Da sagte der Vogel: ,Mein Gebieter, wer konnte denn in der
vergangenen Nacht etwas sehen oder hören?' ,Wieso?' fragte
der Mann; und der Vogel erwiderte: ,Mein Gebieter, es hat
doch so stark geregnet und geweht und gedonnert und geblitzt!'
Da fuhr der Kaufmann ihn an: ,Du lügst, in der vergangenen
Nacht ist nichts dergleichen geschehen!' Der Vogel gab ihm
jedoch zur Antwort: ,Ich habe dir nur berichtet, was ich mit
meinen Augen gesehen und mit meinen Ohren gehört habe.'
Nun glaubte der Kaufmann, der Papagei habe alles erlogen,
was er ihm über seine Frau gesagt hatte; und er wollte sich mit
ihr wieder aussöhnen. Aber sie rief: ,Bei Allah. ich werde mich
nicht eher wieder versöhnen, als bis du diesen Papagei getötet
hast, der so von mir gelogen hat!' Da schnitt der Mann dem
Vogel die Kehle durch. Danach blieb er wieder einige Tage
bei seiner Frau. Aber eines Tages sah er den jungen Türken aus
seinem Hause kommen; und nun wußte er, daß der Papagei
die Wahrheit gesprochen, seine Frau aber gelogen hatte. Und
er bereute, daß er den Vogel getötet hatte; in derselbigen
Stunde aber eilte er zu seiner Frau und tötete sie. Und er schwor
sich einen Eid. nie wieder eine Frau zum Weibe zu nehmen,
solange er lebe.
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Dies erzähle ich dir, o König - so schloß der erste Wesir -,
nur deshalb, damit du erkennest, wie groß die List der Weiber
ist und wie übergroße Eile die Reue nach sich zieht.'
Da widerrief der König den Befehl, seinen Sohn zu töten.
Aber am nächsten Tage kam die Odaliske zu ihm, küßte den
Boden und hub an: ,O König, warum verhilfst du mir nicht
zu meinem Rechte? Die Könige haben schon gehört, daß du
einen Befehl gegeben hast, und daß darauf dein Wesir ihn aufgehoben
hat. Der Gehorsam gegen den König besteht darin,
daß sein Befehl ausgeführt wird. Jedermann kennt deinen Sinn
für Recht und Gerechtigkeit; so verschaffe mir Recht wider
deinen Sohn! Auch mir ist manches berichtet worden; dazu
gehört
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