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Die deutschen Heldensagen


von

Friedrich von der Leyen

Zweite, völlig neubearbeitete Auflage München 1923

C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung

Oskar Beck


5. Helgi

Bei den Sagen von den Halfdansöhnen, Amleth, von Ermanarich , von Wieland und von Egil wurden wir wie von selbst in die Zeit der Völkerwanderung geführt. Bald waren die Lieder, die ihnen galten, in der germanischen überlieferung bezeugt, bald wiesen ihre Wurzeln auf sie zurück. Die Gedichte von Helgi gehören ganz in die Wikinger Zeit, sie entstanden aus Kämpfen der Dänen und Sachsen im zehnten Jahrhundert. Es sind drei Lieder, zwei dem Helgi gewidmet, der die Hundinge erschlug, und eins dem Helgi, dem Sohn Hjörwards, zwei in Bruchstücken, eines vollständig erhalten. Das vollständige und einheitliche ist das echte nordische Wikingerlied.

Das Lied berichtet zuerst von Geburt und Benennung des Helden. Fünfzehn Winter alt, bekämpfte und erschlug Helgi den Hunding und seine Söhne, dann erklärte ihm die Walküre Sigrun ihre Liebe. Sie bat um seine Hilfe, ihr Vater wolle sie mit Hödbrodd, Granmars Sohn, vermählen und den verabscheue sie. Helgi sammelte nun ein Heer und eine Flotte und fuhr in den Kampf. Als der Wächter der Feinde seine Schiffe nahen sah, fragte er nach ihrem Führer und Helgis Bruder Sinfjötli gab höhnische Antwort. Helgi verwies ihm die schlimmen Reden, er und die Seinen landeten, der Kampf begann, Hödbrodd fiel und Helgi errang Sigrun als Gemahlin, die ihn jubelnd empfing.

Das ganze Lied ist auf einen Ton gestimmt: auf das Glück,



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das dem Helden Kampf und Macht geben. Der Jubel des Herrschers klingt darin wieder, den seine Kühnheit und seine Bestimmung zu Ruhm und Größe auslesen und dem alle Herrschaft und aller Sieg wurde, die er auf Erden für sich erstrebte.

Unter bedeutenden Zeichen kündet sich seine Geburt an, die Nornen spannen ihre Fäden von Ost nach West und von Süd nach Nord; überall in diesem Bezirke soll der kaum geborene Fürst herrschen und nur das Glück soll ihn begleiten. Die Tiere des Schlachtfeldes, Rabe und Wolf, freuen sich über den kaum Geborenen. Der Vater kehrt nach der Geburt des Sohnes, wieder aus siegreicher Schlacht, heim und beschenkt ihn mit reichen Ländern und mit einem blitzenden Schwert. Der Knabe wächst zur Freude aller heran, als Fünfzehnjähriger zieht er in seinen ersten großen Kampf und mit Ruhm gekrönt kommt er zurück. Dem Kampf folgt die Liebe, eine himmlische, keine irdische Jungfrau ersehnt sich dieser Held. Schicksal, Sehnsucht und Seligkeit dieser Jungfrau sind wieder Kampf und Heldentum. Sie fällt dem Geliebten nicht zu; er muß um sie kämpfen und versammelt um ihretwillen ein gewaltiges Heer und eine gewaltige Seemacht. Zum Kampf gegen die Menschen gesellt sich nun der Kampf gegen die Elemente, die Schiffe ringen sich durch die Stürme des Meeres. An die Schiffswände schlagen die Wellen, als schlage an die Felsen die Brandung, die Schiffe scheinen sich in den Himmel zu heben und die tückische Göttin des Meeres schlägt nach ihnen mit ihren Pranken. Zu gleicher Zeit steigt auf den Schiffen ein Segel nach dem anderen empor, wie um die Elemente zu verhöhnen und sie zu wilderern Angriff zu reizen; Mann an Mann, Schild an Schild, steht die Heldenschar auf Deck. Sie kommen an Land; ein blutroter Schild, goldumrandet, drängt sich zwischen die weißen Segel, um den Feinden den Kampf zu künden. Die Kampflust, während der ganzen Seefahrt nur mühsam gebändigt, bricht nun mit ganzer Gewalt heraus, der wildere und rohere Held schleudert auf den Feind greuliche Schmähungen , bevor er sich auf ihn stürzt, der edle Führer mahnt zur Achtung des tapferen Gegners, dann stürzt alles in Kampf und Sieg. Auf der See suchten die Riesinnen und die Dämonen der Tiefe der Helden Herr zu werden, umsonst! Auf dem Land funkelt und strahlt es plötzlich über den Häuptern der siegreichen Streiter, blutrote Brünnen leuchten auf, und aus den Speeren sprühen die Funken. Die Walküren sind herangeflogen , um ihre Lieblinge zu schützen, wie aber der Sieg errungen,



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haben sich der Herr der Wikinger und die Herrin der Walküren fürs Leben verbunden.

Wie sehr weicht dies Lied von denen ab, die bisher an uns vorüberzogen! Nicht der leiseste tragische Unterton klingt hinein, uns umbraust nur das Glück und der Stolz des Krieges. Am Schluß schwillt der Jubel der Heldentaten noch einmal zu mächtigen Akkorden an, es erklingt der Preis des Helden, den himmlische Jungfrau sich erwählte. Auch Stil und Art des Liedes sind von denen der germanischen Lieder ganz verschieden: der Dialog tritt zurück, die Gleichnisse und Umschreibungen häufen sich, der Dichter selbst erzählt und schildert. Er gibt uns, darf man sagen, eine Biographie und eine Charakteristik des Helden in Form eines Preisliedes.

Dänen und Sachsen kämpften im zehnten Jahrhundert erbittert um Jütlands Besitz, und zur gleichen Zeit unternahmen die Dänen ihre Eroberungszüge nach Pommern. Die Grundlagen der Kämpfe Helgis gegen Hunding und Hödbrodd sind diese wirklichen Kämpfe. Das zeigen uns noch die Namen des Liedes: Hrwasund (öresund), Hlebjörg (Laeborg), Soarins haugi (Schwerin), Hedhinsey (Hiddensee) usw.

Die Ereignisse der Geschichte wurden dann, zuerst in Dänemark, , von der ausschmückenden und bereichernden Dichtung durchflochten. Sie rückte den einen Helden Helgi nach ihrer Art in den Mittelpunkt, und sie steigert sein Heldentum und seine edle Menschlichkeit dadurch, daß sie ihn von seinem Bruder abhebt, vom Sinfjötli. Ursprünglich gehört dieser in die berühmte Sage von den Wölsungen und mit dieser wurde die Sage von Helgi im Norden verbunden. Sinfjötli tritt in den Helgiliedern als Vertreter einer wilden und überwundenen Heldenzeit auf, einer Zeit, in der die Helden sich noch in Tiere verwandelten, Menschen erwürgten, mit wüsten Schmähungen den Gegner anfielen. Den Helden selbst stellte das Lied unter den Schutz überirdischer



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Mächte, der Nornen und der Walküren. Sonst werden in der nordischen Dichtung die guten Gaben der freundlichen Nornen durch die schlechte einer feindlichen in ihrem Wert gemindert oder gar ins Unheil verkehrt. Es ist wieder bezeichnend, daß unser Lied aus den Nornen Göttinnen des Segens macht. Auch die Liebe Helgis zur Walküre hat es verklärt, vielleicht sogar war es, sein Werk, daß es die Sigrun zur Walküre erhob, und das Tragische von ihrer Liebe fortnahm. —

Die Tragik der Liebe zeigt uns der Dichter des anderen im Inhalt reicheren Helgiliedes. Seine Kunst ist im wesentlichen dänisch, er mag ungefähr ein Zeitgenosse des ersten sein und wie dieser aus dem zehnten Jahrhundert stammen. Wohl stellte ein Sammler von seinem Lied nur Bruchstücke nebeneinander und diese nicht einmal in die rechte Ordnung, Bruchstücke anderer Lieder finden sich auch dazwischen. Aber die leitende Idee der Schöpfung tritt aus diesen Bruchstücken groß und tragisch heraus , es ist eben die Geschichte der Liebe Helgis zu Sigrun. Sigrun wird zuerst von einem Aufzeichner des Liedes in Anlehnung an die Sigrun des ersten Liedes Walküre genannt, doch ihre Liebe und ihr Schicksal sind das der irdischen Frau.

Sie hat die Tat von Helgis Jugend, den Kampf mit den Hundingen jubelnd gesehen, eilte zu dem Geliebten, fiel ihm um den Hals. und küßte ihn. Dem Hödbrodd habe sie ihr Vater versprochen und sie habe doch nur, schon ehe sie ihn erblickt, den Helgi geliebt. Nun fürchte sie den Zorn des Vaters und der Sippe. Helgi tröstete sie, nur ihr solle sein Leben gehören. Er besiegte in furchtbarem Kampfe den Högni, den Vater der Sigrun, und seine Söhne und dazu den Hödbrodd; beide erhielten die Todeswunde. Den sterbenden Hödbrodd umarmte Sigrun, pries seinen Edelsinn und versöhnte ihn mit seinem Schicksal.

Wie mild und schön ist dieser Zug im Vergleich mit dem ersten Helgilied! Dort hatte Sigrun für den Hödbrodd nur Worte des Hohnes und sagte, er tauge zum König wie ein Kater.

In dem Kriege wurde nur Dag, Högnis Sohn, verschont; er mußte



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dem Helgi Treue schwören. Aber Dag opferte den Odhin um Rache, da lieh ihm der Gott seinen Speer und mit dem durchbohrte erden Helgi im Wald. Das sagte er der Schwester und bot ihr jede Buße. Sie aber brach in wilde Verwünschungen aus über den Bruder. Alle heiligen Eide sollten ihn verderben, die er einst dem Helgi geschworen; sein Schiff solle festgebannt bleiben, wenn auch sausender Wind in die Segel fahre; sein Roß solle nicht rennen, wenn ihm auch der Feind auf den Fersen folge; sein Schwert solle nicht schneiden, es sei denn, daß es zum Todesstreich um das Haupt singe; zum Wolf solle er werden, von Leichen sich nähren und von der überfülle ekler Nahrung endlich bersten. Dann klagte die arme Frau in erschütternden Worten um ihren Gemahl. "Er ragte hervor aus den anderen Helden, wie die helle Esche aus Dornengestrüpp, oder wie der Hirsch, der taubesprengte , über alles Wild das Geweih erhebt. Er schreckte die Feinde und ihre Vettern, wie die Geißen rennen vor grauem Wolfe, schreckerfüllt den Abhang herunter."

Sigrun weinte daß ihre Klagen und Tränen dem Helden keine Ruhe im Grab ließen, sie fielen auf ihn wie Blutstropfen, kalt und eisig und kummerschwer. Zur Abendzeit erschien er der Magd; der Grabhügel ist offen, seine Wunden bluten. Sie weiß nicht, erblickt sie ein Blendwerk, bricht die Götterdämmerung an, oder kehrt der verstorbene Held wieder. Helgi sagt, daß er selbst es sei, wenn er auch nicht heimkehren dürfe, Sigrun möge kommen, seinen Wunden zu lindern. Sigrun geht in den Hügel zu Helgi, froh wie Odhins Raben, wenn sie auf dem Schlachtfeld warme Beute wittern, und taubenetzt den anbrechenden Tag spüren. Sie will den toten König noch einmal küssen, bevor er die blutige Brünne abstreift. Sein Haar ist bedeckt von Reif, seine Brust von geronnenem Blut, die Hände sind kalt und starr. Er trinkt den letzten Trank aus einem Trinkhorn, das sie ihm bietet. Leben und Land und Todeswunden sind vergessen, er umschlingt noch einmal in wildem Rausch die Frau. Sie aber will immer in seinem Arm ruhen, wie sie im Arm des Lebenden ruhte. Beim Morgengrauen reitet er zurück nach Walhall, auf fahlem Roß, auf Wolkenwegen, bevor der Hahn die Helden weckt. Sigrun geht den nächsten Abend wieder an den Grabhügel, sie wartet noch einmal auf den Geliebten. Den Toten hat sie geküßt, nun gehört sie dem Toten.

Uns klingen aus dieser Dichtung viele vertraute Töne entgegen. Ihre Klagen, ihre Weichheit und auch ihre Verwünschungen und



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ihr Schwelgen in Tod und Liebe weisen sie in die große Zeit der dänischen Dichtung. In der Art steht sie dem germanischen Heldenlied viel näher als das erste Helgilied und hat auch wieder dessen Kunst, dessen Dialog, dessen Steigerung und dessen Konflikte . Die Liebe von Helgi und Sigrun läßt sich der von Hagbard und Signe vergleichen. Beide Paare finden sich gegen den Wunsch der Ihren und der, Mann erschlägt der Frau dort die Brüder, hier den Vater und die Brüder. Auch der Widerstreit der Gefühle ist uns bekannt, unter dem Sigrun und Dag leiden und der dem Vater die Tochter, die Schwester dem Bruder raubt. Signe folgte jubelnd dem Hagbard in den Tod, sie legt selbst Feuer an ihr Frauengemach, Sigrun umschlang den toten Geliebten und gab ihm eine Nacht Seligkeiten der Liebe, die das Leben nicht kennt. Die Verse von der Wiederkehr und der Liebe des Toten, ihre Mischung von Nacht und Glut, von Grauen und Sehnsucht sind ein Wagnis, wie es der Kunst nur selten gelingt. Manche Ähnlichkeiten verbinden noch die Sage von Helgi und die von Hilde, von der wir bald hören werden. Auch Hedhin entführte die Hilde, die ihn zum Gemahl wollte, ihrem Vater, und erschlug dann diesen, der dem Entführer seiner Tochter nachgeeilt war. Die Rolle des Dag klingt an die des Jngeld an, der Zorn Sigruns ist dem des Starkad ähnlich. Die Art, wie Helgi von Dag erschlagen und wie Dag von Sigrun verwünscht und wie Helgi von ihr beklagt wird, läßt sich auch mit dem Tod Sigurds und den Verwünschungen vergleichen, die Gudrun für Sigurds Mörder und der Klage, die sie für Sigurd hat. Der Dichter unsres Helgiliedes ist in der Kraft seiner Bilder anschaulicher und stärker.

Das eine Helgilied malte die alte germanische Tragik aus und erhöhte sie, das andere entfernte sie und schilderte uns statt ihrer das Wikingertum, froh seines Glücks und froh seiner Siege. So verschieden satzten die Dichter des zehnten Jahrhunderts den gleichen



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Helden und seine Schicksale auf. Es mußte sie wohl reizen, noch anderes von diesem Helgi zu singen, der gleichsam in seiner Person die germanische Kunst zur Wikinger Kunst leitete.

So wurde denn die Jugend Helgis noch ausgeschmückt. Bruchstück, das in der Edda das zweite Helgilied einleitet, erzählt folgendes:

Helgi weilte verkleidet als Kundschafter bei Hunding und meldete, als er entronnen war, einem Hirten, daß er bei Hunding gewesen. Nun schickte König Hunding Männer zu Hagal, dem Pflegevater Helgis, die den Burschen suchen und ihm bringen sollten. Hagal aber zog seinem Pflegling Mägdekleider an und ließ ihn auf einer Mühle mahlen und als einer der Mannen, Blind Bölwis (Bösewicht), erstaunte über die scharfen und kühnen Augen der Magd, der wohl das Schwert mehr gezieme als die Mühlstange, antwortete Hagal, die Magd sei früher eine Walküre gewesen.

Diese Erfindungen sind, wie wir sofort sehen, wiederum nordischen Liedern nachgebildet, aus denen die überlieferungen von Helgi sich so gerne nährten. Der Kundschafter Helgi, nach dem ein König sucht, und den sein Pflegevater versteckt, stammt aus der Sage von den Halfdansöhnen, der verkleidete Helgi aus der Sage von Hagbard und Signe und dorther auch der Verdacht schöpfende Mann Hundings Blind Bölwis (gegen Bölwis Blind bei Hagbard). Die Walküre, die auf der Mühle mahlen muß, schildert das Lied von Frodi und den Riesenmädchen.

Dann sangen die Dichter von einem andern Helgi, dem Sohn Hjörwards und übertrugen auf ihn Erlebnisse, die denen des ersten Helgi glichen, und erweiterten sie. Wir gleiten mit diesen Dichtungen in das 11. und 12. Jahrhundert.

Helgis Vater Hjörward, hieß es, wollte nur das schönste Mädchen heiraten, da hörte er von Sigrlinn, der Tochter des Svafni, und schickte einen Jarl, Atli, nach ihr. Dieser kehrte ohne Erfolg heim. Ein Jarl von Svafni, Franmar, widerriet dem König, seine Tochter diesem Bewerber zu geben. Da fuhr Hjörward selbst, um das schöne Mädchen zu freien, unterdessen aber hatte sich ein anderer König um sie beworben,



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ihren Vater getötet und sein Land verwüstet, als er sie ihm verweigerte. Atli schlich in der Nacht rasch und heimlich zur Königstochter, gab sich ihr zu erkennen und führte sie seinem königlichen Herrn zu. Hjörward nahm nun die Sigrlinn zur Frau und Atli vermählte sich mit Franmars Tochter.

Das ist eine Werbungssage deutscher Herkunft, eine andere Späte Form von ihr hat uns die Thidreksaga erhalten. Hjörward schickt erst Boten, dann kommt er selbst: ähnlich versucht Hartmut die Gunst der Gudrun zu erringen. Freilich um sonst. Und wiederum ähnlich unsrer Geschichte heißt es in der Gudrun, daß der abgewiesene königliche Werber in das Land des Königs einfällt, der ihm die Tochter verweigert, daß er es verwüstet und den König tötet. Unser Lied erweitert die Werbungsfabel durch die Geschichte von Atli und dem Adler: ein Adler verwies den Atli auf Sigrlinn als auf eine Braut, die sich für seinen Herrn eigne, und der Vogel verlangte dafür unmäßig große Opfer und Schätze. Diese Unmäßigkeit war vielleicht ironisch gemeint und sollte die Begehrlichkeit mancher Priester verspotten. Nachher ergab sich, daß der Jarl Franmar und der Adler dasselbe Wesen waren, und daß er sich in einen Vogel verwandelt hatte, um die Königstochter zu behüten, als Vogel wurde er von dem ahnungslosen Atli getötet.

Diese Episode war wohl ein Lied für sich, eine Ballade, wie dergleichen noch manche uns erhalten sind, und ihr Inhalt vielleicht der, daß ein Vater durch seine Zauberkraft seine Tochter vor Bewerbern schützen will, daß er aber, als er sich deswegen in einen Vogel verwandelt, von einem dieser Bewerber getötet wird. —Wenn in unsrem Helgilied der Vogel den Atli auf die schönste Jungfrau verweist, so spielte wohl die Erinnerung an die berühmten Verse von den Waldvögeln mit, die dem Sigurd oon der Brünhild sangen.

Helgi, der Sohn des Hjörward, war stumm und untätig in



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seiner Jugend, wie mancher andere germanische Held in Märchen und Sage. Gerade darum liebte ihn eine Walküre Swawa; sie weckte seinen schlafenden Heldengeist und beschenkte ihn mit einem leuchtenden Schwert. Nun rächte sich Helgi zuerst am Mörder seines Großvaters, vollbrachte noch manche andere Heldentat und errang sich dann Swawa zur Frau.

Diese Geschichte von Helgi und Swawa ist eine Nachbildung von der von Helgi und Sigrun. Ihr ist nur das Leidenschaftliche genommen, und sie ist in das Strahlende und Märchenhafte, in die Kunst der Ballade hinübergeführt. Noch deutlicher zeigt sich ihre märchenhafte Art bei Sato Grammaticus. Der Knabe, den sich bei ihm die Walküre wählt, wird von den andern verachtet und hütet die Schweine. —

Noch eine Variation des Helgi- und Sigrunthemas zeigt uns das Altnordische: die tragische Liebe von Helgi, der die Haddingen erschlug, zu Kara, der Walküre. Sie schwebte als Schwan über ihm, als er kämpfte, und lähmte mit ihrem Zaubergesang die Feinde. Helgis geschwungene Waffe trennte ihr den Fuß ab, sie fiel tot zu Boden. Da war auch sein Glück zerbrochen.

Diese Dichtung erhielt sich lange im Norden und verbreitete sich in manchen Umbildungen: die niederdeutsche Thidrekssaga, böhmische Überlieferungen, russische Bylinen wissen von ihr.

Auch das Gespräch zwischen Sinfjötli und Granmar im ersten und zweiten Helgilied erhielt in unsrem ditten ein Gegenstück, und wieder ein zauberisch erhöhtes, es ist das Gespräch von Atli und Hrimgerd. An der Mündung eines Flusses erhob sich die Hrimgerd und versperrte den Schiffen Helgis den Weg. Atli schmähte und schalt sie, und sie erwiderte ihm nach Art der nordischen Riesinnen durch manche Unflätigkeiten. So hielt der Held sie bis zum Aufgang der Sonne hin, da mußte sie versteinern. — An der Mündung eines Stroms wird sich ein Felsen erhoben



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haben, der wie eine riesenhafte steinerne Frau aussah, da erzählte man, er sei eine zur Strafe versteinerte Riesin. —

Am Julabend kam Hedhin allein aus dem Walde und traf ein Zauberweib, die ritt auf einem Wolfe und hatte Schlangen an Stelle des Jaumzeuges; sie bot dem Hedhin an, er möge ihr folgen. Er sagte aber nein. Sie erwiderte: "Dafür sollst du büßen, wenn du den geweihten Becher leerst." Am Abend wurden feierliche Gelübde abgelegt; der Eber ward hineingeführt, auf den legten die Männer ihre Hände und leisteten ihre Schwüre bei dem heiligen Becher. Hedhin gelobte, er wolle Swawa gewinnen, die Geliebte seines Bruder Helgi; doch gleich darauf erfaßte ihn so große Reue, daß er auf wilden Pfaden gen Süden eilte und seinen Bruder Helgi aufsuchte. Dieser aber tröstete ihn, denn er ahnte sein Ende, da seine Folgegeister (die fylgjur) dem Hedhin begegnet waren, als er jene Frau auf dem Wolf reiten sah. Helgi empfing denn auch die Todeswunde drei Tage später im Zweikampf und der Sterbende bat seine Frau, sie solle den Bruder zu ihrem Gemahl erwählen. Sie aber verhieß ihm, daß sie ihre Gunst niemals einem Unwürdigen schenken würde.

Daß zwei Brüder sich bekämpfen um einer Frau willen und in ihrer Verblendung erschlagen, ist wohl der tragische Kern dieses Liedes, den wir in mancher isländischen Saga wiederfinden. In unsrer Darstellung hat es ein versöhnliches und weiches Ende gewonnen und wurde durch Zaubermotive bereichert und verwirrt , durch die Erfindung von Helgis Folgegerstern, die ihm den Tod künden und durch die andere Geschichte von dem Zauberweib, das dem Hedhin begegnet, seine Liebe fordert und ihn mit Verblendung schlägt, als er sich ihr versagt — wir denken hier an die Ballade von Herrn Olaf. —

Wie reich ist doch der Schmuck der Balladen in den beiden letzten Helgiliedern: die Wiederkehr und Liebe des toten Helgi ist das Thema, das wir aus der Lenore kennen, dazu kommt der Vater, der als Vogel seine Tochter beschützen will, die Liebe des schüchternen und armen Jünglings zur strahlenden Jungfrau, die Walküre als Schwan, die der liebende Held ahnungslos erschlägt,



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und die Begegnung von Hedhin mit dem Zauberweib. In diese Balladen sehen wir eine Gruppe der nordischen Heldendichtung münden und erkennen einen neuen Weg ihres Schicksals. — Sonst ziehen die Lieder von Helgi, weil sie aus so vielen nordischen Liedern ihre Kraft und ihre Kunst schöpften, wie ein stolzer und reicher Nachklang der nordischen Heldendichtung an uns vorüber, sie lebten in dänischen und englischen Balladen weiter.

Jedes der nordischen Heldenlieder, deren Art und Kunst wir zu erfassen suchten, hatte seine besondere Entwicklung und seine besonderen Schicksale. Wir stehen im Norden vor einem seltenen Reichtum künstlerischer Gestaltungskraft. Die Lieder von Ermanarich und von Wieland, wohl auch das von Amleth, das von den Halfdansöhnen und das von Egil bildeten germanische Schöpfungen weiter, die von Helgi verwerteten Erfindungen und Motive, die zuerst das germanische Lied schuf und deren Lebens- und Wirkungskraft der Norden ungeschwächt erhielt. Der Ruhm und die Umbildung der alten Lieder dauerte bis in das dreizehnte Jahrhundert und noch länger.

In Dänemark hat sich das germanische Heldentum geläutert und verklärt und fing langsam an, sich zu lockern und dann sich aufzulösen. Die dänischen Lieder von Hrolf, oon Starkad kamen nach Island, das Abenteuerliche und Zauberhafte an ihnen wurde dort stärker, äußerlicher, die heroischen Persönlichkeiten treten gewaltsamer hervor. Andere dänische Dichtungen wanderten nach Island und kehrten nach Dänemark zurück, z. B. das von Amleth; nordische Dichtungen wie die von Wieland gerieten in Dänemark ins Märchenhafte; die von Ermanarich zog wohl über Dänemark zu den Niederdeutschen; aus dänischer Kunst und aus dänischer Geschäfte wiederum entwickelten sich die Lieder von Helgi, wundervolle Seitenstücke zu denen von Hrolf und Starkad. überall das lebendigste Hin und Her der Beziehungen. In Norwegen und Island blieb wie in Dänemark die Form der germanischen



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Dichtung, das Lied lebendig. Dazu gesellte sich später die der künstlerischen Erzählung in Prosa, die Saga. Die alten germanischen Motive steigerten und erhöhten sich im Norden: wir denken an die Rache der Halfdansöhne, an die Amleths, an die Wielands. Uns kommt auch in den Sinn die dramatische, fortreißende Kraft in der Schilderung, als Sörli und Hamther den Jörmunrek überfallen, die Szene, wie Amleth vor seinem Vater steht, ihm den Tod seiner Helden meldet und ihn selbst mit dem Ende bedroht. Oder wir erinnern uns an den Schluß des Wielandliedes, in dem der freigewordene Knecht dem König, der ihn schändete, seine Rache enthüllt. Die Kunst, alte Zauber- und Wundermotive psychologisch zu vertiefen, ist uns so groß und bewundernswert noch nie entgegengetreten in dem Lied von Ermanarich und Wieland. Ebensowenig hat uns ein germanisches Lied einen solchen Reichtum des Aufbaues gezeigt, wie wir sie bei Amleth, bei Ermanarich, bei dem Lied von Wieland entdeckten.

Die schönsten Lieber, die wir besitzen oder die wir erschlossen, stammten aus dem zehnten Jahrhundert. Das war die Blütezeit der nordischen Dichtung in allen nordischen Ländern. In diesem Jahrhundert flammte der Wikingergeist auch wieder zu großen Taten auf. Wie uns die nordische Dichtung des zehnten Jahrhunderts oft entgegentritt als ein gesteigertes, überhöhtes Gegenbild der germanischen Dichtung des siebenten Jahrhunderts, so scheint uns auch die Wikingerzeit wie das letzte grandiose Aufleuchten der Bewegung, die man die germanische Völkerwanderung nennt; man denke an ihre kühnen Einfälle in Irland und England, in Deutschland und Frankreich, ihre stolzen Eroberungszüge nach dem Osten. Die ähnliche Zeit also schuf sich ähnliche Lieder und ähnliche Helden, ihre bezeichnendsten waren Starkad und Helgi.

Daneben erkennen wir auch hier die Mächte, die das alte



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germanische Lied umgestalten. Die Erhöhung und das Auskosten der Spannung geht in das Übertriebene, Zauber- und Traumgeschichten dringen in die alten Lieder, das finstere Walten des Geschicks wird etwas zu rhetorisch betont, Walküren und Nornen weben um die Helden, die einzelnen Motive häufen, wiederholen und verwirren sich, und die Menschen verlieren sich schwelgerisch in ihre Liebe, ihre Verwünschungen, ihre Aufreizungen. Dazu tritt an Stelle der Kunst die Künstlichkeit, Wortspiele und Doppelsinn, allzukluge Berechnung und die Überlegenheit des Virtuosen.

Der Weg, den die künftige Entwicklung ging, ist damit angedeutet. Die späteren Dichter schwelgten noch hingegebener in Klage und Melancholie, ergingen sich in endlosen Rückblicken und vertieften zugleich die Kunst der seelischen Mitempfindung. Die Heldenlieder verwandelten sich in Balladen und Volkslieder, die den Zauber, das Wunder und die Liebe nicht entbehren können, oder sie werden in prosaischen Berichten umschrieben und füllen sich an mit Märchenschmuck. Die Dichter, die etwas auf sich hielten, wurden Gelehrte, an Stelle der Poesie trat die Poetik und die Schätze der Vergangenheit wurden geordnet und gesammelt . Wir erkennen in der Weichheit der Gefühle den Einfluß des Christentums, in der zunehmenden Schätzung der Gelehrsamkeit den Einfluß der Bildung, und diesen Mächten allen erlag langsam, ohne gewaltsame Katastrophe das alte Heldenlied. Auch die Helden, die sich vordem daran erquickten und stählten, waren längst alle in Walhall eingegangen und die mächtige Wikingerzeit war verrauscht.


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