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Kapitel 

Die deutschen Heldensagen


von

Friedrich von der Leyen

Zweite, völlig neubearbeitete Auflage München 1923

C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung

Oskar Beck


1. Beowulf

Als wir in der Völkerwanderung verweilten, tauchten vor uns immer von neuem in großen, ahnungsvollen Umrissen Sagen und Lieder auf, die uns das alte englische Epos Beowulf erhielt. Dies Epos — und darin liegt seine besondere Bedeutung — ruht nicht allein in sich selbst, es führt überall über sich selbst hinaus. Denn es weist zurück in jene dunklen Anfänge, in denen die Germanen sich des Lebens und seiner Vergänglichkeit und Trauer bewußt werden, es zeigt dann, nicht ohne Stolz und Wehmut, die breite Gegenwart des Heldenlebens und die epische überlieferung der nordgermanischen Stämme, endlich deutet es vorwärts auf die Entwicklung von Heldenlied und Heldensage im germanischen Norden.

Der Beowulf wurde im Anfang des achten Jahrhunderts gedichtet und im zehnten Jahrhundert aufgezeichnet. Am anschaulichsten hat die Vorgänge der Dichtung Wilhelm Hertz wiedererzählt, dem wir uns in unserer Wiedergabe eng anschließen.

Der Anfang des Beowulf, die Geschichte vom Skyld, ist uns bekannt (S. .46). Skylds Nachfahr war der Dänenkönig Hrodgar. Der baute sich, als er grau geworden, ein Saalhaus, die wunderbare Halle Heorot (d. h. Hirsch), um dort in frohem Gelage im Kreise seiner Helden auszuruhen und alle seine Schätze mit ihnen zu teilen.

Nie hatte eine Gefolgschaft einen freundlicheren Herrn, als die im Heorot satz um König Hrodhgar. Da erscholl Jubel jeglichen Tag, Harfenklang und heller Sang des sagenkundigen Sängers. Das hörte in der Ferne ein grausiger Unhold, der Riese des Moors, der mit seiner schrecklichen Mutter in ewiger Nacht den schlammigen See bewohnte, das neblige Sumpfmeer. Der grimme Gast war Grendel geheißen. Ihn erboste der fröhliche Lärm, der in seine freudenlose Wohnung herüber



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hallte, und er ging eines Nachts zu dem hohen Haus, wo die Helden-war sich nach ihrer Gewohnheit ihr Lager bereitet hatte; er fand die Männer schlafend nach dem Gastmahl, packte und erwürgte ihrer dreißig und schleppte sie heim, des Fraßes frohlockend. Da erschall statt des Jubels Wehgeschrei; im Jammer um seine Mannen saß der gute König. Hier gab es keine Gegenwehr, keine Hilfe. An des Menschenfeindes Hornhaut haftete kein Schwert, und wieder kam er und verübte neuen Mord, neuen Greuel. Wohl gelobten oft beim Trunke kühne Helden, daß sie im Saale Grendels warten wollten; dann fand man aber zur Morgenzeit die Halle voll geronnenen Blutes, alle Bankdielen rot überströmt und immer kleiner wurde Hrodhgars Gefolgschar. Manchmal saß der König mit seinen Weisen zu Rate; aber sie sahen des Unheils kein Ende. Denn mit dem wilden Dämon war nicht zu verhandeln, noch gegen Tribut Friede zu schließen. Vergeblich waren alle Gebete bei ihren heidnischen Götterzelten, die Verheißung von Weihgeschenken. Der Mordgast saß zur Nachtzeit in dem verödeten Festsaal.

So duldete zwölf Winter lang der alte König unablässiges Weh. Die schaurige Kunde aber verbreitete sich über Land und Meer, und so vernahm sie ein Held drüben bei den Gauten. Das war Beowulf, Ecgtheows Sohn, der Neffe des Gautenkönigs Hygelac, vom fürstlichen Stamme der Wägmundinge. Nach seines Vaters Tod war er als siebenjähriger Knabe an den Königshof gekommen, wo er in der Gefolgschar aufwuchs. Er wurde anfangs von seinen Landsleuten gering geachtet und wenig Ehre erwies man ihm auf der Metbank; denn die Gauten sagten von ihm, daß er träge sei, ein untüchtiger Edeling. Aber als er erwachsen war, vollbrachte er Taten wie keiner vor ihm, und sie erkannten, daß er der Stärkste war von allen Kindern der Menschen. Da ward ihm reicher Ersatz für die Schmach seiner Jugend. Doch kein Haß, kein Übermut kam in seine Seele; freundlich war er gegen alle und niemals erschlug er beim Trunk einen Herdgenossen. Er war ein echter Held: stark und milde, klug von Sinn, weiser Worte kundig.

Als er die Märe von Grendels Untaten vernahm, befahl er sofort, daß ihm sein gutes Schiff gerüstet werde. Sein Gefolgsherr, der König Hygelac, widerriet ihm die sorgenvolle Fahrt; aber kluge Männer stimmten dem Helden bei, obwohl sie ihn liebten, und ermunterten ihn mit der Deutung günstiger Zeichen. So erlas er sich vierzehn kühne Genossen und machte sich mit ihnen zur Meerfahrt auf.

Die Helden trugen in des Schiffes Schoß leuchtendes Geschmeide,



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stattliches Kampfzeug. Dann stießen sie ab zu fröhlicher Fahrt. Da lief über das Wogenmeer, vom Winde getrieben, mit schäumendem Halse, das Schiff wie ein Vogel, bis daß es um dieselbe Zeit des andern Tages mit gewundenen Steven so weit gekommen war, daß die Seefahrer Land ersahen, blinkende Meerklippen, steile Uferhöhen und weite Vorgebirge. Die Fahrt war zu Ende, die Helden sprangen hurtig ans Land, daß die Panzerhemden klirrten, und sie seilten das Seeschiff an. Der Strandwächter, entzückt von diesen Männern und ihrem herrlichen Führer, fragt, woher sie kämen und weist ihnen dann den Weg zur Halle Heorot. Dort empfängt sie Wulfgar und meldet sie dem König, der den Beowulf und sein Geschlecht wohl kennt, ihn gütig begrüßt und zufrieden die stolze Versicherung des Helden hört, er werde den Kampf mit dem Unhold aufnehmen. Dann weist er seinem Gast den Ehrenplatz in der Halle an und das Gelage beginnt. Unferdh, der Sprecher des Königs, neidet dem Beowulf seinen Ruhm und wirft ihm aufreizende Reden hin. "Bist du der Beowulf, der mit Breca im Wettschwimmen kämpfte auf der weiten See, da ihr euch aus übermut ins tiefe Wasser mit dem Leben wagtet ? Niemand konnte euch die tolle Fahrt abraten. Ihr schwammet durch die Meeresströme sieben Nächte. Er aber besiegte dich; er hatte die größere Kraft. Darum versehe ich mich für dich eines schlimmen Schicksals, obgleich du sonst wohl im Kampfsturm taugtest, wenn du Grendels eine Nacht hier zu warten wagst."

Beowulf erwiderte: " Was hast du doch alles, mein Freund Unferdh, trunken von Bier über Breca gesprochen und seine Fahrt! Die Wahrheit sage ich dir, daß ich der Meerkraft mehr hatte als je ein anderer Mann. Wir beide gelobten uns, da wir Jünglinge waren, uns in das Weltmeer hinaus mit dem Leben zu wagen. Wir hatten ein nacktes Schwert in der Faust, womit wir uns gegen die Walfische zu wehren dachten. So schwammen wir nebeneinander fünf Nächte lang, bis uns die Flut auseinandertrieb, aufwallende Wasser, düsternde Nacht, der Wetter tältestes, und der Nordwind uns kampfgrimm entgegenkam. Wild wurden die Wogen. Da bestanden mich die Ungeheuer der See; aber die goldgeschmückte Brünne schützte meine Brust vor ihren tödlichen Griffen. Nicht sollten sie sich des Fraßes freuen, im Kreise um mich gelagert auf des Meeres Grund, sondern am Morgen lagen der Niie neun tot auf dem Strande. Keinem Seefahrer sollten sie mehr die Straße verlegen. Da kam das Licht von Osten, das strahlende Feuerzeichen Gottes, und die Wogen glätteten sich, daß ich Vorgebirge sehen



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konnte, windige Wälle. So trug mich der Meeresstrom nach der Finnen Land. Das sage ich dir in Wahrheit, Sohn Ecglafs, daß niemals Grendel soviel Graus verübt hätte, der furchtbare Waldgänger, gegen deinen Herrn, wenn dein Sinn so kampfgrimm wäre, wie du schwatzest. Nein, er hat empfunden, daß er von den Dänen keinen Widerstand zu fürchten braucht. Aber nun soll ihm der Gauten Macht und Stärke Streit entbieten. Dann komme, wer da mag, freudig zum Mete, wenn das Morgenlicht über die Kinder der Menschen von Süden scheint!" — Unferdh verstummt. Der König freut sich der gewaltigen Worte Beowulfs und fröhlich sitzen die Helden beim Gelage, bei dem die Königin ihres Schenkenamtes waltet. Mittlerweile war der Abend herangekommen und mit ihm das Ende des Festes. Beowulf blieb mit seinem Gefolge allein in der Halle. Er legte die eiserne Brünne, den Helm und das ziere Schwert ab. Da der Unhold sich nicht auf den Heldenkampf mit Schwert und Schild verstand, wollte auch er keine Waffe gegen ihn brauchen. Dann streckte er sich auf das im Saal bereitete Lager.

Da kam vom Moor her in finstrer Nacht unter Nebelhalden der Schattengänger geschritten, mordgierig die Männer in der Halle zu beschleichen . Bald erreichte er das Haus; die eisenfeste Tür brach ein, wie er sie nur mit der Hand berührte. Dann stürzte der Feind in den bunten Flur; in den Augen stand ihm ein greuliches Licht, einer Flammenlohe gleich, und als er die Schar der Fremdlinge liegen sah, da lachte sein Herz. Rasch faßte er nach einem schlafenden Manne, zerschliß ihn unversehens, zerbiß ihm die Gelenke, trank das Blut aus den Adern und verschlang ihn in großen Stücken. Dann ging er weiter und griff nach dem Mann auf dem nächsten Lager. Der aber stützte sich auf den Arm, reckte die Hand gegen ihn aus und packte ihn fest. Da empfand der Frevler sofort, daß er nie auf Erden einem härteren Handgriff begegnet sei, und jähe Furcht überfiel ihn. Er trachtete von dannen in seinen Schlupfwinkel zu fliehen. Aber der Held sprang auf und drückte ihn, daß ihm die Finger zerbrachen. Da drängte der Riese rückwärts nach der Türe. Von seinem Stampfen erkrachte der Saal; die Bänke stürzten übereinander; aber ihn hielt zu fest, der der Männer stärkster war. Ein Geschrei erscholl, wie es Menschenohren noch nie gehört. Alle Dänen faßte Entsetzen, als sie den Wehruf hörten, das Grauslied gellen des Gottverhaßten, den sieglosen Sang, darin er seinen Schmerz ausheulte. Ein ungeheurer Riß klaffte ihm an der Achsel auf: die Sehnen zersprangen, die Gelenke barsten; der Arm trennte sich ihm vom Leibe,



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und todwund entfloh er unter die Sumpfhalden in sein wonneloses Haus, am Leben verzweifelnd.

So hatte Beowulf Hrodhgars Halle gesäubert; er freute sich seines Nachtwerks und des erworbenen Ruhms. Alle Gelübde waren erfüllt, dessen war ein sichtbares Zeichen, als der Held Arm und Achsel auf den Boden des Saales warf und die Männer in der Nähe die stahlharten Nägel, die unheimlichen Handstacheln des Feindes bestaunen konnten.

Das war ein Festtag im Heorot. Der König kam und die Königin und die umsitzenden Herzöge des Landes. Sie folgten den Spuren des Riesen und sahen den Moorpfuhl, worein er sich geflüchtet hatte, aufwallen von schäumendem Blute. Auf dem Heimweg ließen sie lustig die Rosse in die Wette laufen. Sangeskundige Helden priesen den Sieger in gebundener Rede und gesellten seinen Namen zu den gefeiertsten Heldennamen der Vorzeit. Beowulf und seine Genossen erhielten prachtvolle Geschenke. Mit Einbruch der Nacht aber wurde den Fremden eine besondere Herberge angewiesen und eine Schar der Dänen blieb wie früher als Besatzung im Heorot. Sie breiteten ihre Betten auf den Boden und entschliefen dort, ihre Waffen über sich auf der Bank.

Aber sie hatten vergessen, daß dem Unhold ein Rächer lebte, und ein neues, ungeahntes Unheil brach über sie herein. Die Mutter Grendels tauchte aus der schauerlichen Flut und kam gefräßig, galligen Herzens zu dem Königshaus. Die Schläfer schraken auf und liefen das Riesenweib gemeinsam von allen Seiten an. Da wandte sie sich zum Rückzug, ergriff aber zuvor einen der Männer, den liebsten Ratgeber des Königs, und schleppte ihn fort. Auch Grendels Arm nahm sie mit. Da war Jammer und Angst erneut. Der alte König klagte schmerzlich um des liebsten Freundes Tod. Beowulf kam zum Morgengruß in die Halle und erfuhr vom König, was geschehen. — "Oft hörte ich von meinen Leuten", sprach Hrodhgar, "daß sie zwei solche große Waldgänger inden Mooren sahen; der eine glich von Gestalt einem Weibe. Sie bewohnen unferne ein schwer zugängliches Land, Wolfeshalden, windige Klippen, den gefahrvollen Moorpfad, wo ein Bergstrom niederrinnt unter nächtige Felsen in die Tiefen der Erde. Dort steht ein Meer, und darüber hangen brausende Bäume, wurzelfester Wald das Wasser überhelmend. Dort kann man allnächtlich schaurige Wunder sehen, Feuer in der Flut. Kein noch so Kundiger hat die Tiefe ergründet. Ja selbst der hornstarke Hirsch, der Heidegänger, der von den Hunden bedrängt nach dem Gehölze flieht, fernher gejagt, er läßt sein Leben lieber am



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Ufer, als daß er drinnen sein Haupt bärge. Das Wogengewühl steigt finster den Wolken zu, wenn der Wind böse Wetter zusammentreibt, so daß die Luft sich schwärzt und die Himmel weinen. Hier ist Hilfe wiederum nur bei dir allein!" —

Beowulf tröstete den alten Herrn: " Gräme dich nicht, weiser Mann! Besser ist es, den Freund zu rächen als viel zu klagen. Jeder von uns muß des Endes gewärtig sein. Schaffe sich daher, wer da kann, Ruhm, dieweil er lebt, das beste Gut, das den gestorbenen Mann überdauert. Auf, Walter des Reichs, laß uns eilig fahren, von Grendels Mutter die Gangspur zu schauen. Das gelobe ich dir: sie entkommt mir nicht, nicht im Schoß der Erde, nicht im Waldgebirg, nicht auf des Meeres Grund, wohin sie auch gehe!"

Der König sprang auf; alle rüsteten sich und zogen auf Waldpfaden nach dem finstern Moor. Das Wasser wallte blutig aufgewühlt, und auf einer Klippe lag, ein schmerzlicher Anblick, des entführten Helden abgerissenes Haupt. Die ganze Schar lagerte sich am Ufer; zuweilen sang ein Horn ein rüstiges Kampflied. Da sahen sie durch das Wasser hin der Wurmgeschlechter viele, seltsame Seedrachen die Tiefen durchschwimmen und Nixe kauern an der Klippen Absturz. Diese huschten in die Flut erbost und erbittert, als sie das Kriegshorn gellen hörten. Eines der Ungetüme schoß Beowulf mit dem Pfeil und seine Begleiter zogen es mit widerhakigen Eberspießen ans Land, den grausenvollen Gast bestaunend. Dann aber legte Beowulf das Kettenhemd an und rüstete sich zur Fahrt in die Tiefe. Der beschämte Unferdh lieh ihm bereitwillig sein eigenes erprobtes Schwert Hrunting. Beowulf empfahl seine Kampfgenossen dem Schutze Hrodhgars und sprang in den See. Lange tauchte er durch den furchtbaren Schlund, bis ihn die alte Meerwölfin , Grendels Mutter, erspähte und ihn mit mächtigem Griff in ihr Wasserhaus zog. Manches schwimmende Untier Hitz nach ihm auf der Niederfahrt und mancher Ring seines Stahlhemdes zerbrach unter ihren feindlichen Zähnen. Doch bald fand sich der Held in einer weiten Halle, in welche die Flut nicht eindrang. Ein Feuer leuchtete mit hellem Licht; bei dessen Scheine gewahrte er das gewaltige Meerweib und ließ seine Klinge um ihr Haupt ein wildes Kampflied singen. Allein zum ersten Male versagte das gute Schwert seine Hilfe. Da warf er es von sich, der Kraft seiner Hände vertrauend, packte die Riesin bei der Achsel und gab ihr einen Schwung, daß sie zu Boden stürzte. Aber im Fallen griff sie mit grimmen Fäusten gegen ihn, daß auch er, der Helden stärkster,



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strauchelte und zu Boden fiel. Da kniete sie auf ihn und zog ihr breites Hüftmesser, um ihren Sohn zu rächen. Hier hätte der Held seinen Tod gesunden, wenn ihn nicht das feste Panzerhemd geschützt hätte, des berühmten Schmiedes Wieland kunstvolles Werk. Der Spitze wie der Schneide wehrte es den Eingang, und so rang er sich wieder empor. Da sah er unter dem Rüstzeug ein uraltes Riesenschwert, der Waffen beste, aber für jeden andern Mann zu schwer. Doch er faßte es beim kettenbehangenen Griff, schwang es wild, am Leben verzweifelnd, und traf die Feindin am Halse, daß es die Beinwirbel brechend hindurchfuhr und sie tot zu Boden sank. Die Lohe flackerte; licht war die Halle. Beowulf schaute sich um, das Schwert inder Hand. Da sah er auf einem Lager ausgestreckt Grendels Leiche liegen; er trat hinzu und hieb ihm zum Siegeszeichen das Haupt ab, daß der Rumpf weithin sprang. Aber die Klinge zerschmolz wie Eis bis an den Griff im giftigen Blute der Unholde.

Da sahen Hrodhgar und seine Mannen, welche den langen Tag auf den See hinschauten, wie das Wasser sich verdickte von aufwallendem Blut. Das dünkte sie ein Zeichen, daß der Held ermordet sei und nicht wiederkehren werde. Sie verließen das Ufer und zogen heim. Die Fremdlinge aber, Beowulfs Gefolgsmannen, blieben traurigen Herzens an den Klippen sitzen und starrten in die Tiefe, obgleich sie nimmer hofften, den lieben Herrn wiederzusehen. Da plötzlich tauchte er auf, Grendels Haupt und den Griff des Riesenschwertes mit sich führend, und schwamm fröhlich ans Land. Mit Jubel liefen sie ihm entgegen und lösten ihm Helm und Brünne. Dann zogen sie im Triumph nach dem Heorot und vier Männer trugen an der Speerstange Grendels Haupt bei den Haaren in den Saal.

Voller Rührung nahm am nächsten Morgen Beowulf Abschied von dem alten König und kehrte froh nach der Heimat zurück.

Darnach geschah es, daß Hygelac auf einem Wikingszug gegen die Hetwaren am Niederrhein unter dem Heerschild erschlagen wurde und bald nach ihm fand auch sein Sohn Heardred einen jähen Tod. Da bestieg Beowulf den Habenstuhl der Gauten und waltete seines Reiches ruhmvoll fünfzig Winter.

Das Gedicht meldet nichts von dieser langen Zeit, sondern geht sofort zur Erzählung von Beowulfs Tod über.

In einem hohlen Felsen in der Seeküste lag seit Jahrhunderten ein Feuerdrache und bewachte einen alten Schatz. Den hatte dereinst



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der Letzte eines reichen Geschlechtes in den Berg gebracht und mit klagenden Worten der Erde anheimgegeben.

Drei Jahrhunderte vergingen; kein Steig führte zu seiner Höhle; kein Mensch wußte von seinem Dasein. Doch eines Tages kam ein Mann, der seinem Herrn wegen eines Vergehens entflohen war, zum Eingang des Schachtes, während der Drache schlief, raubte eine kostbare Schale und brachte sie heim, um seinen Herrn zu versöhnen. Der Drache erwachte, umschnüffelte den Stein und entdeckte den Raub. Da flog er zur Dämmerstunde hinab ins bewohnte Land und spie Gluten aus, daß bald die glänzenden Gehöfte in Flammen standen und der Feuerschein weithin leuchtete. Auch Beowulfs Erbhof, der Königssitz der Gauten, sank in Asche. Da sann der greise Held auf Rache für sich und sein Volk. .Er ließ sich einen eisernen Schild schmieden und machte sich mit elf seiner Gefolgsmannen auf, den Lindwurm zu bestehen. Der Mann, der durch seinen Raub die Verwüstung über das Land gebracht hatte, ging gefesselt als der Dreizehnte mit, um den Weg zu zeigen.

Als sie den Drachenfels von ferne sahen, da setzte sich Beowulf auf einen Stein und überblickte sein langes, ruhmreiches Leben, nahm Abschied von jedem seiner Begleiter und hieß sie zurückbleiben, da nur er allein diesem gefahrvollen Kampfe gewachsen sei. Dann richtete er sich an seinem Schilde auf und ging zu dem alten Felsenbau, einem Werke der Riesen, daraus ein kochender Gießbach stürzte. Mächtig hallte sein Schlachtruf ins Gewölbe hinein, wo der Drache lag. Da kam ein feuchtheißer Dampf aus der Höhle, des Wurmes Atem, und bald er selbst. Die Erde dröhnte. Feuerschnaubend wälzte er sich gegen den Helden heran, der ihm Schild und Schwert entgegenschwang. Aber die Schneide glitt ab an dem Hornpanzer des Untiers und dieses, über den Schlag ergrimmt, spie wildere Gluten gegen den König, daß er hinter dem Schild, von Flammen umlodert, in schmerzliche Not kam. Als das seine Begleiter sahen, flohen sie angstvoll in den Wald. Nur einer gedachte der Ehren und der Liebesgaben, die er von dem Herrn empfangen hatte. Das war der junge Wiglaf, ein Verwandter Beowulfs. Er rief den Genossen zu: "Nun ist der Tag gekommen, wo wir unserem Kriegsfürsten die Ringe vergelten können, die Schwerter und Helme, die er uns verliehen. Nicht dünkt es mich geziemend, heimzukehren ehe wir den Feind gefällt und das Leben des Königs gerettet haben. Lieber soll mich mit meinem Herrn die Glut umarmen!"

Mit diesen Worten drang er durch den Rauch und stellte sich dem



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König zur Seite. Aber bald brannte sein Lindenschild in hellen Flammen, so daß er hinter dem eisernen Schilde Beowulfs Schutz suchen mußte. Da ringelte sich der Wurm zum dritten Male herum; vergebens schlug der König mit übergewaltigem Arm; sein altes gutes Schwert Nägling zerbrach auf des Drachen Haupt, und dieser biß ihn in den Hals, daß das Blut hervorquoll. Doch unterdessen stieß der junge Held den Feind in die Weichen, nicht achtend, daß ihm dabei die Hand verbrannte. Beowulf faßte das Messer, das ihm an der Brünne hing, und schnitt den Wurm mitten durch. Da schwand dem Ungeheuer Kraft und Leben.

Aber die Wunde des Königs begann zu brennen und zu schwellen und er fühlte, daß ihm der giftige Geifer die Brust durchwütete. Da setzte er sich vor das Felsenhaus und Wiglaf labte ihn mit Wasser. "Nun würde ich", sprach er, " meinem Sohn die Kampfgewande geben, wenn mir ein leiblicher Erbwart beschieden wäre. Ich herrschte über dieses Land fünfzig Winter. Kein Volkskönig wagte mich mit Kriegsschrecken zu bedrohen. Ich lebte im Hofsitz meine Schicksalszeit und bewahrte das Meinige wohl. Nie suchte ich Feindschaft; nie schwur ich trügerische Eide. Alles dessen darf ich jetzt, an Todeswunden siech, Freude haben. Nun lauf, mein lieber Wiglaf, unter dem grauen Steine den Hort zu holen! Aber spute dich, daß ich die alten Kleinodien noch schaue und sanfter so vor der Fülle der Schätze vom Leben scheide, von Land und Leuten, die ich lange beherrscht."

Da eilte der Jüngling in den hohlen Berg, raffte zusammen, soviel er tragen mochte, Kannen und Schüsseln, Schwert und Goldbanner, und häufte sie auf vor dem sterbenden Herrn. Der freute sich in Wehmut des reichen Horts und sprach: " Dank sage ich dem König der Herrlichkeit , daß mir noch vergönnt war, vor meinem Scheiden meinem Volk den Schatz zu erwerben. Nun heißt einen Hügel die Helden erbau'n, wenn mein Leib verbrannt ist; der soll meinem Volk zum Angedenken hoch sich heben auf Hronesnäs (dem Walfischtap), daß ihn Beowulfs Berg die Seefahrer heißen, die den brandenden Kiel über der Fluten Genibel fernhin treiben."

Darauf nahm er sich den goldenen Ring vom Halse und schenkte ihn seinem jungen Gefährten, auch den Helm und die Rüstung dazu und hieß es ihn wohl brauchen. " Du bist der letzte Sproß unseres Geschlechtes, der Wägmundinge. Alle trieb das Schicksal hinweg zur bestimmten Stunde: ich muß ihnen nach." — Das war des alten Helden letztes Wort. Aus der Brust schied ihm die Seele.



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Wiglaf saß trauernd über dem toten Herrn; da kamen die entflohenen Genossen beschämt aus ihrem Waldversteck hervor. Aber der Held scheuchte sie mit Fluchworten von der Leiche hinweg und hieß sie landflüchtig von hinnen fahren, sie und ihr ganzes Geschlecht. Dann sandte er einen Boten nach dem Königshof mit der schmerzlichen Kunde. Der rief: "Nun wird Kriegszeit kommen über der Gauten Volk, wenn Franken, Friesen und Schweden den Fall des Königs vernehmen. Bitter sind die Schätze erkauft; der Brand soll sie fressen. Nie soll ein Held eines der Kleinodien zum Andenken tragen, nie eine schöne Magd ihren Hals mit den Ringen schmücken. Nein, mit jammerndem Herzen, goldesberaubt wird manche als Kriegsgefangene ins Elend gehen, da der Heerfürst das Lachen vergaß und der Männer gesellige Freuden. Manche Hand wird den morgenkalten Speer umfassen und kein Harfenklang wird die Kämpfer wecken, sondern der dunkle Rabe wird geschäftig über toten Männern vieles reden und dem Adler erzählen, wie es beim Fraß ihm wohl ging, da er mit dem Wolf die Walstatt beraubte."

Nun folgt die Verbrennung Beowulfs und die Totenklage, die uns auch durch die Übersetzung von Wilhelm Hertz bekannt sind (S. 37).

Der Stil und die Vortragsart im Beowulf sind von denen des germanischen Heldenliedes sehr verschieden. Dort hatten wir äußerste Knappheit, eine sprunghaft andringende Darstellung, gewaltige Spannungen, tragische Gegensätze und Konflikte und am Ende die Vernichtung. Im Beowulf ist verweilende Breite, langatmige Reden, umständliche Zurüstung zur immer wieder sich hinausschiebenden Tat, lange Variationen der gleichen Vorstellungen, eine manchmal etwas selbstgefällige Gelehrsamkeit und viele Anspielungen auf andere Sagen, dann noch wehmütige Klagen und elegische Rückblicke. Zum Schluß zeigt uns der Dichter ähnlich wie Shakespeare nicht die Vernichtung allein, sondern an die Stelle des untergehenden tritt ein neues strahlendes und kräftiges Heldentum.

Im Beowulf steht statt des Liedes ein Epos für den Hörer und für den Leser vor uns, an Stelle der Strophe die fortlausende



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Langzeile. Das alte Lied und unser Epos unterscheiden sich nicht dadurch, daß etwa das Epos inhaltsreicher war und viele Lieder aneinander reihte oder verschmolz, sondern sie unterscheiden sich durch die Art, durch die Kürze und die Breite der Darstellung. Der Inhalt des Beowulf würde den Umfang von zwei oder drei Liedern nicht überschreiten. Man nimmt allgemein an, daß der Dichter des Beowulf wirklich zwei oder drei alte germanische Lieder zerdehnt und in ein Epos verwandelt hätte. Dann müßten aber diese Lieder von den uns bekannten sich ziemlich stark unterschieden haben. Sie hätten nicht Kämpfe von Held gegen Held, sondern Kämpfe von Helden gegen Ungeheuer und überstarke Wesen geschildert, sie wären weniger heroisch als mythisch gewesen und, wie schon angedeutet, den alten dichterischen überlieferungen von Siegfried und Donar am nächsten verwandt. Das waren aber in germanischer Zeit nicht Lieder, sondern Gebilde, die zwischen Sage und Märchen standen, in Prosa erzählt, Gebilde, aus denen erst später die Lieder sich gestalteten . Muß man nicht die Möglichkeit erwägen, daß der Dichter des Beowulf oder sein Vorgänger nur diese sagenhaften Überlieferungen kannte und aus ihnen unmittelbar sein Epos schuf?

Die altenglische Kunst war dem Epos und der Elegie immer stärker zugetan als dem Lied.

Die Neigung zum Breiten und Verweilenden, zur Wiederholung, zur Umschreibung und zu Vergleichen und auch die zur sanften Klage über das Schicksal und über die Vergänglichkeit des Irdischen war in England schon in der germanischen Zeit erkennbar , ja sie gehört zu den bezeichnenden Eigentümlichkeiten der älteren englischen Dichtung.

Man denkt dabei gern an die Natur des meerumgrenzten Landes. Wir finden im Beowulf, wenn der Dichter schildert, weniger Bilder als Stimmungen, weniger Farben als Töne und wir erkennen eine Vorliebe für das düster Großartige und für die



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erhabene Melancholie der Einförmigkeit. Die Schilderungen verdehnen sich in das Weite und Endlose, sie verschwimmen und tauchen auf wie die Klippen und Küsten bei der Fahrt über das Meer, in dem ganzen Epos glaubt man das ewig gleichmäßige, feierliche und gewaltige Rauschen der Wogen zu hören.

Der Dichter des Beowulf hatte auch geistige Bildung, wahrscheinlich war er sogar ein Geistlicher. Die geistlichen Dichter aber mußten erklären und wieder erklären, in immer anderen Wendungen das gleiche sagen, damit doch das Christentum, das dem germanischen Wesen und besonders den germanischen Helden so fremd war, endlich von den germanischen Hörern erfaßt wurde. Diese Breite, das so gern sich Wiederholende, die Klagen über die Nichtigkeit der Welt wären dann auch von der christlichen Dichtung her in den Beowulf gedrungen.

Aus dieser Mischung von heimischen und christlichen Elementen im Stil des Beowulf leiten wir ab, daß trotz aller Breite das Epos nicht den ruhigen Fluß der Erzählung gewinnt. Denn die Verbindung beider Elemente ist nicht organisch, an einzelnen Stellen eilt die Schilderung, sich mit wenigen und dunklen Andeutungen begnügend, mit der Schnelligkeit der alten Lieder weiter; wenn sie aber langsam wird, gerät sie leicht ganz ins Stocken. Die Breite ist dann nicht die des Epos, sondern die Gefühlsschwelgerei der Elegie oder die Umständlichkeit des beschreibenden oder lehrenden Gedichtes.

Geistliche Dichtung hieß im England des achten Jahrhunderts auch Vertrautheit mit der alten römischen Poesie, mit Vergil, mit seiner Äneis und seiner idyllischen und elegischen Dichtung, , und mit Ovid. Die Gehaltenheit und das Maß des Beowulf, , die Vornehmheit der Gesinnung, die Freude an der Schilderung hat die Forschung der letzten Jahre aus dem Vorbild des Vergil ableiten wollen, bisweilen vielleicht mit Recht.

Für uns ist die Breite des Beowulf insofern ein unschätzbarer Gewinn, als sie ein sonst niemals in dieser Ausführlichkeit



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wiederkehrendes, freilich idealisierendes Bild gibt vom Leben und von den Sitten der heroischen Zeit der Germanen. über Waffen und Rüstung, über die Hallen der Könige und ihre Herrschaft und Schätze, über festliche Gelage, über Sänger und Helden, über die königliche und sanfte und über die unzähmbare Frau, über Geschenke und Buße und über Tod und Bestattung, über dies alles verbreitet sich der Dichter. Es ist manchmal eine Wohltat, daß er uns nicht immer zu Kampf und Mord führt, sondern auch in Frieden und Freude gern verweilt. Von den Sitten und der Art der Völkerwanderung erkennen wir vieles wieder, das Verhältnis vom König zum Gefolge, die Ruhmsucht und die prahlerischen Reden der Helden, die Freude an Waffen und Schatz, ein stolzes Selbstbewußtsein, die Sorge um guten Ruf und um Nachruhm. Die Blutrache und die Grausamkeit haben sich auch erhalten. Auf das Christentum deutet, wie wir schon hervorhoben, die Stellung der Frau, vor unsren Augen verwandelt sich die grausame Thryda in ein treues Eheweib, und die sanfte Königin erhält den höchsten Preis. Huldspendend schreitet sie durch die Reihen der Helden, reicht ihnen den Becher zum Trank und trachtet, die Streitenden zu versöhnen. Auch der Ruhm des Beowulf ist ein wenig in das Christliche und Milde gefärbt, als der Ruhm des Helden, der lange Jahrzehnte den Frieden wahrte und der sich und sein Heldentum dem Land opfert. Durch das ganze Gedicht zieht sich eine, freilich etwas eintönige, innere Würde und die Helden, die vor uns auftreten, sind wieder Vorbilder, Repräsentanten des Heldentums in seiner großen Zeit, die, wie der Dichter wehmütig glaubt, immer weiter uns entrückt und verschwindet.

Das Ältere im Beowulf sind nicht die geschichtlichen Vorgänge, sondern die Kämpfe eines Helden mit Unholden von übermenschlicher Kraft. Diese Kämpfe sind in die Höhe des Heroischen gehoben. Auch die ganze Umgebung des Gedichtes



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wurde heroisch, nicht ohne Absicht spielt der Dichter auf die berühmten Lieder und Helden an, auf Finnsburg und Jngeld, auf Hrodulf und seine Sippe, auf Eadgils, auf Offa und Thryda, auf Heremod, auf Siegmund und Fitela und auf Wieland. Hier mag erwähnt sein, daß gerade die altenglische Heldendichtung besonders gern die berühmten Helden und Lieder aufzählt und an uns vorüberführt. Der Sänger Deor, der aus der Gunst seines Herrn verdrängt wurde, tröstet sich mit dem Leid anderer, das vorüberging, so wie er hofft, daß auch das seine vorübergehen würde, dabei nennt er das Lied vom Wieland und das von Ermanarich. Der Sänger Widsith reiht ja in langer Folge die germanischen Völker und ihre Herrscher auf und spielt auf Lieder von ihnen an, er hat sich wohl selbst die Lieder alle zusammengestellt, die er beherrschte und um deren Vortrag man ihn bat.

Der Beowulf nennt mit Sympathie die Dänen, deren Staat sich im fünften Jahrhundert bildete, er kennt, wie wir wissen, das Königsgeschlecht der Schildunge, seine Kämpfe mit den Schweden und Longobarden und seine inneren Zwiste. Der Dichter weiß auch von den feindlichen Zusammenstößen der Friesen und Dänen. Südlich der Schweden wohnen die Gauten und beide Völker haben sich oft bekriegt. Beowulf selbst ist ein Gautenheld . Die Geschichtsschreiber berichten von einem Einfall der Gauten unter ihrem König Chochilaicus bei den Friesen der Rheinmündung und bei den hattuarischen Franken, dabei wurden die Gauten von den Franken überrascht und überwältigt, ihr König fiel und sie mußten fliehen. Diesen Kriegszug — er geschah 518, gehört also wieder in das sechste Jahrhundert — kennt der Dichter des Beowulf. Chochilaicus ist Hygelac, die hattuarischen Franken sind die Hetware, auf dem Rückzug soll Beowulf Wunder der Tapferkeit vollbracht haben.

Trotz aller Abschweifungen und Verdunklungen tritt im Beowulf



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die große Grundidee der Dichtung klar hervor: der Held, der die Unholde besiegt, die Leben und Werk der Menschen vernichten und der in diesem Kampf für andere seinen Ruhm findet und seinen Tod.

Seit der Urzeit und dann in den folgenden Jahrhunderten ging wie wohl in allen germanischen, so auch in den dänischen und benachbarten Landen eine Reihe von Volkssagen um von Kämpfen der Helden mit allerlei unheimlichem und überkräftigem Getier.

Wir kennen aus der Sage einen Drachen, der bei seinen Schätzen wacht und bleibt, meist nachdem er sich aus einem Menschen in einen Drachen verwandelt, wie etwa der nordische Fafnir. Das Drachenhafte ist nicht das Ursprüngliche an diesen Unholden, es sind eigentlich Menschen mit zauberhaften Kräften, die schreckliche Gestalt darum annehmen, weil sie ihren Besitz nicht hergeben wollen. Keiner soll einen Angriff auf sie wagen. Wir kennen auch Drachen, die feuerspeiend und verderbenbringend das Land verwüsten und im Kampf mit denen ein Held unterliegt. Die Forscher meinen, daß der Eindruck der Meteore, die unheimlich und wunderbar die Luft durchsausen, diese Vorstellung geschaffen hätte. Diese beiden Drachensagen verschmolz der Dichter in seiner Erzählung vom letzten Drachenkampf Beowulfs. — Es gibt außerdem eine sehr weit verbreitete, uns auch aus dem Märchen bekannte Geschichte von Unholden, die, sei es zu bestimmten Tagen und Zeiten, sei es fortwährend, ein Haus zu einem Aufenthalt des Schreckens machen, indem sie alle, die es besuchen, überfallen, zerreißen und töten, bis endlich der Held erscheint, der ihren Untaten ein Ende macht. Daneben gibt es Sagen von Unholden, die im Sumpf oder in der Tiefe von Seen hausen, nachts heraufsteigen, vernichten, wen sie vernichten können, endlich aber kommt auch über sie der Stärkere. Diese beiden Vorstellungen sind wiederum im Beowulf verbunden, und daraus



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ergaben sich Unzuträglichkeiten, die nur die Würde der Darstellung verschleiert. Denn der Dichter nennt wohl zwei Unholde, Grendel und seine Mutter, unterscheidet sie aber im Wesen so gut wie gar nicht voneinander. Die doppelte Rolle des Grendel, als Sumpfbewohner und als Unhold in einem Hause, verpflichtet ferner den Geist zu einer recht sonderbaren und mühseligen Tätigkeit. Zwölf Jahre, allnächtlich, muß er den weiten Weg von feiner Behausung zur Halle Heorot sich schleppen, und wenn er die Halle leer findet, kriecht er ganz zufrieden zurück, ohne den leisesten Versuch, nach weiteren Opfern zu spähen, die doch in nächster Nähe schlafen.

Es sind im Beowulf also mindestens vier Sagen von Kämpfen mit Drachen verwertet, wir werden durch ihn auf eine reiche, alte überlieferung geführt. Im Verlauf der Darstellung steigert sich das Phantastische der Drachenkämpfe und neigt sich dem Märchenhaften zu. Die Mutter Grendels haust auf dem Meeresgrund, in goldschimmernder Halle, Beowulf steigt zu ihr herab in die Tiefen des Sees, kämpft mit seltsamem Meergetier, sie unterliegt nicht den Schwertern der Menschen, sondern einem uralten Schwerte, das der stärkste Held allein schwingen kann. Der letzte Drache aber brütet über der leuchtenden Pracht der Schätze, speit Feuer beim Flug durch die Lüfte und wälzt sich feuerschnaubend gegen den Helden heran.

Zu den Drachensagen, die wir aus dem Beowulf herausschälten , finden wir überall Parallelen in den Sagen der germanischen Völker. Das Verbreitungsgebiet dieser Sagen ist zum großen Teil erforscht, viele ihrer Erscheinungsformen gezeigt und untersucht, der Annahme liegt nichts im Wege, daß der Dichter des Beowulf alte germanische Schätze gehoben und geprägt hat.

Dagegen kann die phantastische Zutat im Kampf mit Grendels Mutter, vielleicht auch die im Kampf mit dem letzten Drachen aus keltischer Dichtung stammen. Diese zeigt seit alter Zeit eine



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Freude an Glanz und Pracht und an bunter Erfindung. Sie liebt außerdem das Groteske und die fröhliche Prahlerei. Besonders wenn die Helden beim Trunk sitzen, gefallen sie sich gern in übertreibungen und Erfindungen von ihren Taten. Ganz fehlt auch diese Art im Beowulf nicht, wir denken besonders an das erste Gelage bei Hrodhgar und an die Erzählung vom Wettschwimmen mit Breca. —Der Anfang des Beowulf ist die Sage. Vielleicht schon in alter germanischer Zeit übertrug ein Dichter verschiedene Sagen vom Kampf gegen Unholde auf einen Helden und verband sie durch eine tiefe Auffassung. Beowulf kam wie Skyld aus der Fremde, schützte, sein ganzes Leben einsetzend, die Seinen im Kampf gegen feindliche Drachen und erlag endlich einem Drachen. Der altenglische Dichter, stolz auf die heroische Dichtung seines Landes, veredelt durch Christentum und antike Bildung, froh der keltischen Prahlreden und der keltischen phantasiereichen Erfindung, verwandelte die alten überlieferungen in ein Epos, das ist unser Beowulf. — Er ist das Epos eines stolzen seefahrenden Volkes, die Verherrlichung eines Helden, der für dies Volk kämpft und stirbt, der nach siegreichen Kämpfen das Verlangen nach unermeßlichem Schatz mit dem Heldentod büßen muß. — Ist das ein Symbol der Kraft und der Geschichte Englands? Eine Prophezeiung des Untergangs nach langem Ruhm, nach stolzer Sicherheit und großer Herrschaft?

Wie es scheint, hatte der Beowulf eine tiefe, eindringende Wirkung auf die folgende englische Dichtung. —Sagen, die seinen Drachenkämpfen gleichen, ja ihnen manchmal überraschend ähnlich sehen, kennt auch die nordische und isländische überlieferung des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts. Sie finden sich besonders in den Geschichten von Bödwar Bjarki und vom starken Gretti.. Diese mögen, besonders die von Gretti, auf den Beowulf selbst oder auf eng verwandte Überlieferungen zurückgehen und haben sich dann märchenhaft und phantastisch erweitert.



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Viel bedeutender ist die Entwicklung der Heldensagen, deren alte Form der Beowulf kennt.


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