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Kapitel 

Die deutschen Heldensagen


von

Friedrich von der Leyen

Zweite, völlig neubearbeitete Auflage München 1923

C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung

Oskar Beck


3. Der Untergang der Heruler

Als die Heruler und Longobarden ihren Krieg durch ein Friedensbündnis aufheben wollten, sandte König Rodulf seinen Bruder zu König Tabo, daß er alles abschließen solle. Nach beendigtem Geschäfte kehrte der Gesandte heim; da geschah es, daß er unterwegs vorbeiziehen mußte, wo Rumetrud wohnte, des longobardischen Königs Tochter. Diese sah die Menge und die Vornehmheit seines Gefolges, fragte, wer das wohl sein möchte, der einen so hohen Dienst um sich hätte und hörte, daß es der herulische Gesandte, Rodulfs leiblicher Bruder wäre, der in sein Land heimzog. Da schickte sie einen zu ihm und ließ ihn laden, ob er kommen wollte, einen Becher Wein zu trinken. Ohne Arg folgte er der Ladung, aber die Jungfrau spottete voller Verachtung seiner aus Übermut, weil er klein von Gestalt war und sprach höhnende Reden. Er dagegen, übergossen von Scham und Zorn, stieß noch härtere Worte aus, also daß die Königstochter viel mehr beschämt wurde und innerlich vor Wut entbrannte. Sie konnte ihr Herz nicht bändigen und beschloß, das Verbrechen auszuführen, das sie im Sinn hatte. Allein sie verstellte ihre Rache und versuchte mit heiterer Miene, ihn durch ein freundliches Gespräch zu besänftigen und lud den Jüngling zum Sitzen ein. Den Sitz aber wies sie ihm da an, wo in der Wand eine Luke war, darüber sie gleichsam zu des Gastes Ehren einen köstlichen Teppich hängen lassen, eigentlich aber wollte sie damit allen Argwohn entfernen. Nun hatte sie, erbarmungsloser als ein wildes Tier, ihren Dienern befohlen, sobald sie zu dem Schenken das Wort sprechen würde "mische den Becher", daß sie durch die Luke des Gastes Schulterblatt durchstoßen sollten und so geschah es auch. Denn bald gab das grausame Weib jenes Zeichen und der Gast sank, mit Wunden durchbohrt, zur Erde.

Da König Rodulf von seines Bruders Mord Kundschaft bekam,



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klagte er schmerzlich und entbrannte nach Rache; alsbald brach er den neuen Bund und sagte den Longobarden Krieg an. Wie nun der Schlachttag erschien, war Rodulf seiner Sache so gewiß, daß ihm der Sieg unzweifelhaft deuchte, und während das Heer ausrückte, er ruhig im Lager blieb und Schachtafel spielte. Denn die Heruler waren dazumal im Kampf wohl erfahren und durch viele Kriege berühmt. Um freier zu fechten, oder als verachteten sie alle Wunden, pflegten sie auch nackend zu streiten und nichts als die Scham zu bedecken an ihrem Leibe.

Als nun der König, wie gesagt, fest auf die Tapferkeit der Heruler baute und ruhig Tafel spielte, hieß er einen seiner Leute auf einen nahestehenden Baum steigen, daß er ihm der Heruler Sieg desto schneller verkündige; doch mit der zugefügten Drohung: "Meldest du mir von ihrer Flucht, so ist dein Haupt verloren." Der Knecht sah nun, daß die Reihen der Heruler wichen und daß die Longobarden sie zurückwarfen. Der König fragte mehrmals, was die Heruler täten, er antwortete nur, daß sie tapfer kämpften, und er wagte das Unheil, das er kommen sah, nicht eher zu verkündigen, bevor das ganze Heer dem Feinde den Rücken kehrte. Da brach er endlich und zu spät in die Worte aus: "Weh dir Herulerland, der Zorn des Himmels hat dich betroffen!" Das hörte Rodulf und sprach: "Wie, fliehen meine Heruler?" "Nicht ich," rief jener, "sondern du König hast dies Wort gesprochen." Da traf den König Schrecken und Verwirrung, daß er und seine umstehenden Leute keinen Rat wußten, und bald die longobardischen Haufen einbrachen und alles erschlugen. Und es fiel Rodulf, ohne männliche Tat. über der Heruler Macht aber, wie sie hierhin und dorthin zerstreut wurde, waltete Gottes Zorn schrecklich. Denn als die Fliehenden blühende Flachsfelder vor sich sahen, meinten sie vor einem schwimmbaren Wasser zu stehen, breiteten die Arme aus, in der Meinung zu schwimmen, und sanken grausam unter der Feinde Schwert. Die Longobarden aber trugen unermeßliche Beute davon und teilten sie im Lager; Rodulfs Fahne und Helm, den er in den Schlachten immer getragen hatte, bekam Tato, der König. Von der Zeit an war alle Kraft der Heruler gebrochen, sie hatten keine Könige mehr; die Longobarden jedoch wurden durch diesen Sieg reicher und mächtiger als je vorher. —

Auch der Geschichte dieser Dichtung können wir folgen. Die Heruler wurden 510 nach Christus vernichtet. Im s. Jahrhundert schildert Procop, der Geschichtschreiber, ihre Vernichtung so:



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In der Zeit, als Anastasius römischer Kaiser wurde, hatten die Heruler keinen Gegner mehr, den sie hätten bekriegen können, legten die Waffen nieder und blieben drei Jahre hindurch ganz ruhig. Das konnten sie aber nicht länger aushalten; sie überhäuften ihren König Rodulf mit Vorwürfen, nannten ihn einen weibischen Schwächling, beschimpften und verhöhnten ihn auf die schamloseste Weise. Rodulf wollte diese Schmach nicht ertragen und zog gegen die Longobarden, die gar nichts verbrochen hatten, ohne ihnen eine bestimmte Sache, etwa die Verletzung der bestehenden Verträge vorzuwerfen, sondern wie aus Mutwillen. Als das die Longobarden erfuhren, schickten sie Gesandte an Rodulf, um die Ursache zu erfahren, derentwegen die Heruler gegen sie zu Felde zögen. Wenn sie zu wenig Tribut bekommen hätten, so sollten sie das Fehlende sofort erhalten und hohe Zinsen dazu, oder wenn ihnen der Tribut zu gering erscheine, so würden die Longobarden nicht säumen, ihn zu erhöhen. Mit solchen Vorschlägen kamen die Gesandten, wurden aber von Rodulf unter heftigen Drohungen abgewiesen. Eine zweite Gesandtschaft wurde abgeordnet, die unter vielem Flehen um Schonung bat. Als auch sie fortgeschickt ward, kamen zum drittenmal Gesandte zu Rodulf und beschworen ihn, die Heruler sollten doch nicht so ganz ohne Vorwand den Krieg vom Zaune brechen. Denn wenn jene in solcher Art auszogen, so würden sie, sehr wider ihren Willen, nur der Not gehorchend, dem Angriff Widerstand leisten. Gott riefen sie zum Zeugen an, auf dessen Wink selbst ein leichter Nebelhauch jeder menschlichen Gewalt wehren könne. Gott kenne die Ursachen dieses Krieges und werde darnach den Ausgang des Kampfes lenken. So sprachen sie, da sie immer noch hofften, die Angreifer von ihrem Vorhaben abwendig zu machen. Aber die Heruler blieben taub für all diese Vorstellungen und wollten mit den Longobarden kämpfen. Als sie sich nun dicht gegenüberstanden, lagerte sich über den Longobarden eine dicke, schwarze Wolke, über den Herulern dagegen war die Luft ganz klar. Ein Zeichenkundiger hätte daraus entnehmen können, daß es den Herulern in diesem Kampf schlecht gehen würde; denn ein schlimmeres Zeichen konnte ihnen gar nicht zuteil werden. Aber auch hierauf gaben die Heruler nicht acht, sondern gingen leichtsinnig und hochmütig auf ihre Gegner los, weil sie sich auf ihre überzahl verließen. In dieser Schlacht fiel ein großer Teil der Heruler, unter andern auch Rodulf; die übrigen flohen in völliger Auflösung, ohne an Gegenwehr zu denken. Auch auf der Flucht wurden noch sehr viele von den nachsetzenden Feinden niedergemacht, und nur wenige entkamen.



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Ungefähr wie Procop das erzählt, werden die Heruler wirklich untergegangen sein. Daß sie ein wildes, ungebärdiges, tollkühnes Volk waren, melden auch andere Zeugnisse. Auf uns wirken die Heruler wie die Nachfahren der Cimbern und Teutonen, aus Dänemark kamen sie, dorthin kehrten sie zurück, sie stürmten, Bewunderung und Grauen weckend, durch ganz Europa. Wenn sie ihnen nicht gefielen, töteten sie die eigenen Könige, ihre Greise mußten auch fallen. Mit den Römern gingen sie nicht viel glimpflicher um. In den Adern des dänischen Kämpen Starkad scheint noch echtes herulisches Blut zu fließen.

Einfache Wiedergabe der Tatsachen ist aber die Erzählung Procops nicht, sie flattert schon zu den Höhen der Dichtung. Den langmütigen und doch so kampfstarken Longobarden stellt sie, ein echt germanisches Gegenbild, die unbesonnenen Heißsporne, die Heruler, gegenüber; Volk gegen Volk steht wie Sonst Held gegen Held, wie Hildebrand gegen Hadubrand, wie Turisind gegen Alboin. Mit Bedacht steigert sich die dreifache Bitte der Longobarden; sie erreicht ihre Höhe in einer feierlichen Beschwörung der Götter. Auch der alte Hildebrand ruft ja Gott als Zeugen an. Schon in einem Bericht des Tacitus über den Untergang der Amsioaren, tapferer Männer, die, vertrieben, die Römer umsonst um Grund und Boden bitten, wendet der Häuptling seine Augen zur Sonne, ruft die übrigen Gestirne an und stellt sie öffentlich zur Rede: " ob sie leeren Grund und Boden bescheinen wollen? Sie möchten lieber das Meer wider diejenigen ausschütten, welche also den Menschen das Land entzögen." — Der Untergang der Heruler ist aus natürlichen Ursachen zu erklären , sie stehen im Sonnenschein, in dem ihre nackten Leiber aufglänzen und sind für Speere und Pfeile der Longobarden das beste Ziel, sie selbst sind geblendet und erkennen den beschatteten Feind nicht, können daher auch die Waffen nicht auf ihn schleudern. —Eben diese Verteilung von Wolken und Sonne war



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das Werk Gottes, dessen Zorn die Heruler, die Gebote des Rechts mißachtend, auf ihre Unbesiegbarkeit pochend, heraufbeschworen. Von der Geduld des starken und gerechten Königs, dem frevelhaften Übermut des Angreifers, dem Strafgericht des Schicksals erzählt die germanische Überlieferung schon früh. Bei Jordanes hören wir von dem Gepvdenkönig Fastida, der, stolz über einen Sieg, durch den er die Burgunder fast vernichtet, von Ostrogotha fordert, er solle ihm Land abtreten oder mit ihm kämpfen. Ostrogotha weist die Forderung ernst zurück: er werde sich schwer entschließen, einen Krieg mit Verwandten zu führen, der Gott mißfalle, aber Land gebe er nicht her. Ein harter Kampf ist die Folge, die gute Sache gibt den Goten den Sieg.

Ostrogotha, er lebte im J. Jahrhundert, auch das altenglische Gedicht Widsith nennt ihn, ist der älteste König, von dem die germanische Heldendichtung weiß. —

Aus diesen Motiven: aus der Gegensätzlichkeit der kämpfenden Völker, aus der frevelhaften Herausforderung des Schicksals, aus dem Eingreifen der Götter, aus der Vernichtung eines Volkes, ist die Dichtung vom Untergang der Heruler gewachsen, die wir dem Paulus Diaconus verdanken.

Sie verteilt Licht und Schatten anders. Den Herulern wird noch ihr Selbstvertrauen zum Verderben, aber sie sind nicht mehr das frevelhaft herausfordernde Volk. Ludwig Uhland sagt: "Rodulfs kühne Gestalt ist mit Vorliebe hingestellt, die siegenden Longobarden selbst mit ihrer verräterischen Königstochter stehen im Schatten. Der tragische Glanz haftet auf dem untergehenden Heldenvolk, das im blühenden Leinfeld sein Grab findet." — Eben weil sie untergingen, haben sich die Heruler im Gedächtnis der Nachlebenden verklärt, ihren Besiegern wurde die überhebung zugeschoben, die den Krieg verschuldet. Die Anstifterin des Unheils ist eine Frau, wie in der germanischen Heldendichtung oft. Rumetruds Verrat wirkt eher wie oströmische als wie germanische



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Hinterlist, wenn sie aber über die Gestalt des Gesandten spottet, ist sie die germanische Fürstin, noch in unserm Märchen von Drosselbart ist der Prinzessin das Aussehen und der Wuchs keines Freiers recht. Der Germane will seine Helden groß, sehnig, schlank; gegen Spott über Wuchs und Gestalt war er besonders empfindlich: ein Gote erstach seinen König Athaulf, weil der seine Kleinheit verhöhnte. —Wie die Burgunden, todgeweiht, den Hof Etzels betreten, schildert der Dichter unsres Nibelungenliedes den Hagen: die Brust breit, die Beine lang, den Gang stolz, das Haar ergraut, den Blick scharf und furchterregend

Höhe und Mitte des Liedes ist wieder ein Ausruf: "Wehe dir Herulerland, der Zorn des Himmels hat dich getroffen" — wie ähnlich klingt er dem Weheruf des alten Hildebrand! Es folgt die Verblendung, stärker, toller als die bei Procop — in einem solchen jähen Schrecken, der auch die tapfersten Heere in wilde, sinnlose Flucht treibt, endet manche heroische Dichtung der Germanen.

Der Untergang der Heruler zeigt uns die Königszeichen des germanischen Heldenliedes reiner und mächtiger als der Bericht von Alboins Ende. Das Vorspiel, die Verhöhnung und der Mord des Gesandten, steigert Rede und Gegenrede in verderblicher, rascher Folge (sie fragte ihn, sie hörte, sie ließ ihn laden, sie spottete, sie sprach höhnende Reden, er stieß noch härtere Worte aus usw.). Dem Verrat der Königstochter folgt eine verweilende und doch weiterführende Schilderung; sie stellt beide Heere und Völker gegenüber und weist uns auf den siegesgewissen, kindlichen König. Den entscheidenden Ausruf bereitet wieder ein lebhafter dramatischer Wortwechsel vor, der Schluß ist wieder Schilderung, diesmal nicht verweilend, sondern rasch und erregt und zugleich großartig: Schlag auf Schlag, in gewaltigen, erbarmungslos herabsausenden Streichen erfüllt sich das Schicksal



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und vernichtet ein ganzes Volk. — Der Dichter dieses Liedes war ein Meister des Aufbaus!

In allem Wesentlichen ist unser Lied unter den germanischen Heldenliedern ein Meisterstück. Ein Spielmann, ein Verwalter des Erbes der Antike auf antikem Boden, hat es dann mit spielmännischen Motiven geschmückt. Den ersten Verrat trug er, wie wir sahen, in byzantinischer Art vor; die Drohung des Königs "du bist des Todes, wenn du mir die Flucht der Heruler meldest " und die List des Boten "Nicht ich, sondern du, König, hast es gesagt" (daß die Heruler fliehen) sind nachgewiesen als ein in vielfältigen Variationen behandeltes spielmännisches Thema, auch das Schachspiel als Zeichen der Sorglosigkeit und die Auffassung der blaugrünen Flachsfelder als Teiche scheinen spielmännische Erfindung.

Einzelne Szenen des Herulerliedes, sogar die Art seiner Tragik haben im dänischen Heldenlied des 10. Jahrhunderts ihre Seitenstücke . Das Lied von Wermund und Uffe beginnt mit der frechen Herausforderung eines Gesandten; beim Entscheidungskampf sagt der alte blinde König, er werde sich in die Fluten stürzen, wenn sein Sohn unterliege, und als er den Klang seines Schwertes und den Bericht vom Sieg seines Sohnes gehört, bricht er in Tränen der Freude aus. — Das Lied von der Brawallawlacht erzählt, wie Odhin Zwietracht zwischen Dänen und Schweden sät, die vorher friedlich nebeneinander lebten. Der König der Dänen ist, da ihm Odhin immer geholfen, seines Sieges gar zu sicher: aber in dieser Schlacht entnimmt er, selbst erblindet, dem traurigen Gemurmel der Seinigen, daß seine Scharen weichen, von seiner gerechten Sache wendet Odhin sich ab, er gibt dem Feind Hilfe und bereitet dem alten Schützling, durch alle Bitten ungerührt, einen grausamen Tod.


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