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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON CHOSRAU UND SCHIRIN UND DEM FISCHER

Chosrau', der einer von den früheren Königen war, liebte die Fische; und eines Tages, als er mit seiner Gemahlin in seinem Saale saß, kam ein Fischer zu ihm, der einen großen Fisch bei sich hatte. Der Mann schenkte ihn dem König, und dieser ließ ihm, da er an jenem Fische Gefallen hatte, viertausend Dirhems geben. Da sprach Schirm zu Chosrau: ,Was du getan hast, war nicht gut!' ,Warum?' fragte er; und sie gab ihm zur Antwort: ,Wenn du hinfort einem deiner Höflinge die gleiche Summe gibst, so wird er sie geringschätzen und sagen: Er hat



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mir nur ebensoviel gegeben wie dem Fischer! Gibst du ihm aber weniger, so wird er sagen: Er schätzt mich gering und hat mir weniger gegeben als dem Fischer!' Darauf sagte Chosrau: ,Du hast recht; aber es steht den Königen übel an, ihr Geschenk zurückzunehmen; dies ist nun einmal geschehen.' Schirm aber sprach: ,Ich will dir ein Mittel ersinnen, um das Geschenk von ihm zurückzuerhalten.' Als Chosrau nun fragte: ,Wie das?' erwiderte sie: ,So es dir gefällt, ruf den Fischer zurück und frag ihn, ob dieser Fisch männlich oder weiblich sei. Wenn er sagt, er sei männlich, so sprich: ,Wir wünschen nur ein Weibchen!' Sagt er aber, er sei weiblich, so sprich: ,Wir wünschen nur ein Männchen.' Da schickte der König nach dem Fischer, und dieser, der ein Mann von Einsicht und Verstand war, kehrte zurück. König Chosrau fragte ihn: ,Ist dieser Fisch männlich oder weiblich?' Der Fischer küßte den Boden und sprach: ,Dieser Fisch ist ein Zwitter; er ist weder männlich noch weiblich.' Da lachte Chosrau über seine Antwort und befahl, ihm noch einmal viertausend Dirhems zu geben. Der Fischer ging zum Schatzmeister, erhielt von ihm achttausend Dirhems und tat sie in einen Sack, den er bei sich hatte. Als er den auf die Schulter lud und fortgehen wollte, fiel ein Dirhem heraus; da nahm der Fischer den Sack von seiner Schulter, bückte sich nach dem Dirhem und hob ihn auf, während der König und Schirm ihm zuschauten. Nun rief Schirîn: ,O König, siehst du, wie geizig und gemein dieser Mann ist? Als ihm ein Dirhem entfallen war, vermochte er es nicht übers Herz zu bringen, ihn liegen zu lassen, so daß ein Diener des Königs ihn hätte aufheben können!' Als der König ihre Worte gehört hatte, empfand er Abscheu wider den Fischer und sprach: ,Du hast recht, Schirin!' Dann ließ er den Fischer zurückbringen und fuhr ihn an: ,Du niedriggesinnter Kerl, du bist kein Mensch! Wie konntest du all



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das Geld von deiner Schulter nehmen und dich um eines Dirhems willen bücken und so geizig sein, daß du ihn nicht liegen ließest, wo er lage' Da küßte der Fischer wiederum den Boden und sprach: ,Allah schenke dem König ein langes Leben! Ich habe den Dirhem da nicht deshalb vom Boden aufgehoben, weil er in meinen Augen so großen Wert hat; sondern ich habe es deshalb getan, weil er auf der einen Seite das Bild des Königs und auf der anderen Seite seinen Namen trägt. Denn ich befürchtete, es könne jemand seinen Fuß darauf setzen, ohne es zu wissen; und das wäre eine Entehrung des Namens und des Bildes des Königs gewesen, und ich wäre dann für solchen Frevel bestraft worden!' Der König war über seine Rede erstaunt, und da seine Worte ihm gefielen, so wies er ihm zum dritten Male viertausend Dirhems an. Aber dann ließ er durch einen Herold in seinem Reiche verkünden: Niemand soll sich vom Rate der Frauen leiten lassen; denn wer ihrem Rate folgt, verliert mit seinem einen Dirhem noch zwei andere dazu!

Und ferner wird erzählt


Copyright: arpa, 2015.

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