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VOLKSERZÄHLUNGEN UND VOLKSDICHTUNGEN


AUS DEM ZENTRAL-SUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 2 KARTENBEILAGEN

87. Der Weber (und der Blinde) *

Der Massaki (Weber) schlägt nach unten mit den Hacken (beim Geschirrtreten) wie ein Reiter. Aber er hat kein Pferd, und wenn man ihn auf ein Pferd setzt, taumelt er darauf wie ein Betrunkener und fällt herunter. Der Massaki hat eine große Schöpfkalebasse (die Kalebasse, aus der der Kettenfaden herübergezogen wird), aber es kommt nie ein Trank aus der Kalebasse, und wenn der Weber trinken will, muß er andere Leute um Benutzung ihres Brunnens bitten.



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Der Massaki legt die Bänder zusammen wie ein Huhn sein Nest. Aber das Huhn legt Eier in sein Nest und brütet sie aus. Der Massaki kann aber nichts in seinen Stoff legen, was die Menschen gerne essen, wie Eier und junge Hühner.

Der Massaki hat kleine Messer, aber er ist kein Schlächter und nie wird er soviel Geld haben wie ein Schlächter.

Wenn man die Arbeit und das Gerät des Massaki sieht, sagt man, das sei ein Weg (die ausgestreckte, lang hingezogene Kette). Es kam Makapho und sagte: "Was ist das für ein Weg? Ist das der Weg, der nach Kano führt? Ist das der Weg, der nach Kuka führt? Ist das der Weg, der nach Bakna führt?" Der Massaki sagte nichts. Aber der Weg war nicht so lang. Es war der Kettenfaden, der am einen Ende nicht von einem wasserreichen Brunnen kam, sondern von einer trockenen Kalebasse, der am anderen Ende nicht in ein kühles Haus führte, sondern in den Webstuhl, in dem nur der Weber mit seinem mageren Hintern Platz hatte. Wenn man auf diesem Wege von der Kalebasse kommt und in dies Haus tritt, sagt niemand: "Salem aleikum!"

Der Makapho betastete den Webstuhl am Geschirr. Der Makapho fühlte den Kettenfaden und sagte: "Hier geht der Weg nach Gabas (Osten) und hier nach Njamma (Westen). Ist es nicht so?" Der Massaki antwortete nicht. Der Makapho betastete die Einschlagfäden und sagte: "Hier geht der Weg von Kudu (Norden) nach Arrewa (Süden). Ist es nicht so ?" Der Massaki antwortete nicht. Der Makapho ward ärgerlich darüber, daß der Massaki nichts antwortete. Der Makapho sagte: "Wenn sich hier die Wege von Gabas und Kudu und Arrewa und Njamma treffen, so muß das ein großer Marktplatz sein. Es ist aber ganz still auf dem Marktplatz und ist niemand da, der auf die Fragen des Makapho antwortet. Der Makapho ist also allein auf dem Marktplatze und kann tanzen, ohne jemand zu stören." Der Massaki sagte nichts.

Der Makapho sagte: "Es ist gut, dann werde ich auf dem Marktplatz tanzen!" Der Makapho begann über die Fäden hinzutanzen. Der Makapho zerriß mit den Füßen zwölf Fäden, die nach Gabas liefen. Der Makapho zerriß mit den Füßen zwölf Fäden, die nach Kudu führten. Der Makapho zerriß mit den Füßen zwölf Fäden, die nach Arrewa führten. Der Makapho zerriß mit den Füßen zehn Fäden, die nach Njamma führten. Der Massaki sprang zornig auf. Der Massaki zog das Takala (d. i. das Holz, auf dem das fertige Band vor dem Leibe des Webers aufgerollt war) heraus und schlug zwölfmal



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auf den Makapho ein. Der Makapho sagte: "Die Bäume auf diesem Marktplatze sind so niedrig, daß man gegen die Zweige stößt, wenn man darauf tanzt. Das ist aber nicht hart für einen Mann. Ich will mit meinem Stock die Zweige wegschlagen!" Der Blinde nahm seinen Wanderstock und schlug auf den Weber ein. Der Weber und der Blinde schlugen sich. Der Blinde traf hart auf den Weber. Der Weber schlug zur Erde. Der Weber schlug mit dem Kopf auf den harten Grund, so daß seine Beine in die Luft ragten. Als der Weber so hinfiel, sangen die Hoden des Webers: "Lindi! Lindi! Lindi!"(Heiß! Heiß! Heiß! d. h., daß dem Weber vom Hinfallen heiß im Kopfe geworden sei)

Der Weber ward noch zorniger, er begann auf den Blinden zu schimpfen. Der Weber sagte: "Du bist nur ein Blinder! Du kannst nur wie ein Krüppel laufen!" Der Blinde sagte: "Ich bin ein Blinder. Schimpfe nicht noch einmal auf den Blinden!" Der Weber sagte: "Ich werde doch schimpfen! Denn du bist nur ein Bara, ein Bettler, der nur einen Sack auf der Schulter hat, in den er das Erbettelte hineintut!" Der Blinde sagte: "Ich bin e in Blinder. Schimpfe nicht noch einmal auf den Blinden!" Der Weber sagte: "Wenn du den Weg hingehst, stößt du gegen die Bäume. Denn du bist nur ein Blinder! Du bist nur ein elender Blinder!" Der Blinde sagte: "Schmähe (oder schimpfe) nicht wieder! Schmähe (oder schimpfe )nicht wieder!"

Der Massaki aber schrie: "Wenn man einen Blinden im Haus hat, kann man den ganzen Tag arbeiten nur um den Blinden satt zu machen!" Der Blinde sagte: "Schimpfe nicht, ich sage es dir! Schimpfe nicht, ich sage es dir!" Der Weber schrie: "Der Vater, der einen blinden Sohn hat, kann auf seiner Farm arbeiten von einem Morgen bis zum Abend. Er kann arbeiten vom zweiten Morgen bis zum Abend. Er kann arbeiten die ganze Woche hindurch vom Morgen bis zum Abend. Aber der blinde Sohn wird daheim sitzen. Der blinde Sohn wird nichts tun. So steht es um den Blinden und um seinen Vater!" Der Blinde sagte: "Massaki! Nun schimpfst du meinen Vater mit! Nun ist es zu viel!" Der Blinde ging.

Der Blinde rief alle Kainkida, alle Trommelschläger zusammen. Der Blinde sagte zu den Leuten: "Seht den Massaki! Seht, er schimpft den Makapho. Seht, er schimpft den Vater des Blinden, weil er einen blinden Sohn hat! Deshalb sprecht mit dem Weber. Deshalb sagt dem Weber eure Sache. Jeder soll ihm das Seine sagen. Der Weber soll sie alle hören, wie wir, die Blinden, sie hören. Die Tamberri beginne."



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Die Trommeln begannen.

Die Tamberri (große Trommel) sang: "Tschan assakani itatua katse zofo rumbu gidinsa dekauschi !"(Soll soviel heißen als: er frißt soviel, daß sein Arsch stinkt!) Die Trommel Gangi sang: "Lumbilumbi massaki jatschi korrokorro!" (Soll heißen, daß der Verleum. der, der Weber, nichts weiter zu essen hat als Spindelfäden) Die Wuonduma (eine Kalebasse mit Lederhautüberzug, die mit Stöcken geschlagen wird) sang: "Lob-lob lessiki massiaba wuarmata!"(Soll heißen, daß, wenn man dem Weber viele Fäden für die Stoffbereitung gibt, dieser die Hälfte für sich behält) Die Trommel Kanso, die von den Bern-bern (Kanuri) kommt, sang: "Kassau-na sugugu! Kassau-na tarscheschi!" (Soll heißen, daß der Weber dasitze wie einer, der friere und sich hin und her wiege) Die Kosotrommel sang: "Ruirui degindi! Girdji fakaka !"(Soll heißen, daß der Weber dasitze mit dünnem, weil untätigem, gewissermaßen atrophierendem Arsch und mit durch viele Bewegungweit entwickelter Brust) Die Kunkudutrommel sang: "Kantauri kakau massaki! Kantauri kakau!" Die Dundufatrommel sang: "Gindi, gindi! Maitataura gindi!" (Soll heißen, der vom vielen Sitzen kleingedrückte Arsch) Die die Goje (Geige) begleitende Schlagkalebasse sang: "Katschi kascha bakai assiki ba." (Soll heißen, du ißt und trinkst alles, was du verdienst, und kannst nie ein reicher Mann werden) Die Goje (Geige) selbst sang: "Kankani matschiata! Kankani matalauta!" (Soll heißen, daß der Großvater der Webers ein armer Mann, seine Großmutter eine Verschwenderin gewesen sei)

Als alle Trommeln gesungen hatten, sagte Makapho: "Nun könnt ihr wieder gehen. Dieser Weber hat nun alles gehört." Die Trommeln gingen. Der Blinde sagte zu dem Weber: "Ich gehe nun auch. Aber damit du mich nicht vergißt, will ich dir einen Rat geben: Achte darauf, was dein Arbeitsgerät zu dir sagt! Ob du den Rat befolgen willst, ob du den Rat nicht befolgen willst, das ist gleich. Du wirst, da ich es dir gesagt habe, darauf hören." Der Blinde ging.

Der Weber setzte sich an seinen Webstuhl und begann wieder zu weben. Als er zu weben begann, sang das Koschia (Weberschiffchen): "Koll-koll daka! Massaki, koll-koll daka!" (Das soll heißen, daß der Weber einen glatten Schädel habe.) Als er zu weben begann, sang das Rollholz, Takala (das vor die Brust gebunden wird): "Koa-wata-nang Massaki ko jasaka riga." (Soll heißen, ob du wohl soviel erarbeitet hast in einem Monat, daß du dir ein Kleid kaufen kannst?) Das Metschefi (oder Maitschafi, d. i. Festschlagekamm)



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antwortete aber dem Takala und sang: "Fern na Mutani aina jakassan riga." (Soll heißen, daß der Weber ja gar keinen Anspruch auf ein selbstgewebtes Kleid habe, da das Band ja den Leuten gehöre, die den Faden zur Verarbeitung überbracht haben) Die Bongo (die Hölzer, die unten und oben am Maitschafi sind) sangen: "Ko Massaki amutu ba fern birnesi." (d. h., wenn der Massaki stirbt, ist kein Stoff für sein Begräbnis da) Darauf sang Andira (die Wechseltrittvornichtung): "Koanana massaki jaena ramiwa!" (Soll heißen, daß der Weber in wenigen Tagen trocken, d. h. tot sein werde) Die beiden Metako (Tritthölzer) sangen: "Massaki schuri asiki, Massaki lakato sio!" (Soll heißen, daß der Weber beim abwechselnden Webstuhltreten immer das Gute wegstoße und das Schlechte, Leere, Nichtige heranziehe)

(Der Sinn der ganzen Webstuhlunterhaltung ist aber folgender: Weber, du bist töricht. Wenn ein Mond verstreicht, wirst du nicht ein Kleid erarbeitet haben, denn das Stoffband, das du verarbeitest, gehört nicht dir, sondern den Leuten, die dir den Faden zum Verweben brachten. Wenn du aber stirbst, wird kein Stoff zum Einhüllen deiner Leiche da sein, trotzdem du Weber warst. In einigen Tagen wirst du aber tot sein. Du hast das Gute immer weggestoßen und das Leere, Wertlose dein Leben lang herangezogen)

Wenige Tage später starb der Weber draußen. Eine Hyäne fand seine Haut und sein Fleisch. Aber seinen Arsch ließ sie liegen, denn der war ihr zu hart. Und 700 Jahre lang lag der Arsch des Webers noch im Freien, Sonne und Regen blickten darauf. Aber der Arsch war so hart, daß er immer unverändert liegen blieb.


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