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VOLKSERZÄHLUNGEN UND VOLKSDICHTUNGEN


AUS DEM ZENTRAL-SUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1924

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT 2 KARTENBEILAGEN

7. Brautwerbung und Hochzeit

Zum geschlechtlichen Leben leitet eine Periode strenger und spröder Ablehnung aller erotischen Keime über. Das Kind bewahrt hier erstaunlich lange seine verblüffende Harmlosigkeit. Es ward ja schon oben geschildert, wie der Freund unschuldig und nichts ahnend mit der Freundin Arm in Arm schläft. Das Spiel geht weit über die Grenzen des üblichen Vertrauens heraus, aber es soll nicht zu irgendwelchen vorzeitigen Genüssen führen. Der kleine Sokiara und die Soromädchen bleiben Kinder, und sollten die Mädchen gar von einem ihrer männlichen Gespielen hören, daß er hier und da schon geschlechtlichen Umgang gepflogen habe, so meiden sie ihn, und sicherlich wird keines der Mädchen mehr ihm weitgehende Zutraulichkeiten gewähren. Seine Schwäche ahnend, meidet das Kind die verführerische Gelegenheit.

Man sagt also, daß in alten Zeiten die Mädchen unschuldig in die Ehe gekommen seien; man behauptet, daß auch die Burschen keusch gewesen wären, und alles, was darüber hier und da verlautet, scheint das zu bestätigen.

Die Tradition, die im Nupelande auch hierin klare und bewußte



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Bilder mit scharfen Umrissen malt, will wissen, daß in älterer Zeit die Mädchen nicht vor 15-18 Jahren, vor voller Reife und Entwicklung des Körpers, in die Ehe getreten wären. Die Heiratsidee sollte immer von den jüngeren Menschen selbst ausgegangen sein. Oft, und zwar besonders in den kleinen Landdistrikten, erwuchs die Ehe aus der Kinderfreundschaft. Und wenn die Freundschaft von Nachbarskindern besonders leicht zur Heirat geführt haben soll, so klingt das durchaus wahrscheinlich. Ebenso häufig keimte aber auch die Familienidee auf den Märkten. Wirtschaftliche Schwierigkeiten waren nicht so groß wie heute, und ein nahrhaftes Brautgeld war überhaupt nicht zu zahlen. Man sagt, es sei vordem nicht mehr als 10-15000 Kauri, d. h. etwa 5_71/2 Mark zu zahlen gewesen. Und das bringt, denke ich, zuletzt auch ein Unbemittelter auf, wenn die Ehe ihn lockend dünkt.

Hatten die beiden jungen Leute sich untereinander geeinigt, so ging der junge Mann zu seinem eigenen Vater und machte ihn mit seinen Wünschen bekannt. War nichts gegen den Ruf des jungen Mädchens und ihrer Familie einzuwenden, so ward die Genehmigung selten versagt. Der Vater mußte dann die Brautwerbung selbst in die Hand nehmen. Er rief eine befreundete alte Frau und sandte sie zum Vater des Mädchens mit dem Auftrage der Brautwerbung. Die Alte ging den Weg, der durchaus nicht angenehm war. Denn das erstemal ging sie der alten Sitte nach ohne Geschenk zu dem Brautvater, und dieser wies sie dann recht barsch ab mit den Worten: "Geh' nur wieder! Geh' nur wieder! Nein, ich gebe meine Tochter nicht. Dieser Junge ist mir nicht anständig. Also, geh'!" Die Alte kam zurück, erhielt vom Vater des Burschen nun 2500 Kauri und ward von ihm aufgefordert: "Geh' nur noch einmal zu dem Alten hin. Gieb ihm dies und bitte ihn, seine Tochter meinem Sohne zu geben!" Die alte Werber in machte sich auf den Rückweg. Sie reichte dem Brautvater das Geld. Sie fiel vor ihm nieder. Sie bat ihn um das Mädchen. Der tat nun sehr nachdenklich. Er nahm das Geld nicht, sondern sagte: "Ich muß darüber erst mit meiner Familie sprechen. Nimm das nur wieder mit dir!" Die alte Mittlerin zog also mit dem Gelde wieder von dannen.

Fünf Tage verstreichen. Dann ruft der Vater des Burschen die alte Frau wieder zu sich und sagt zu ihr: "Warst du seitdem wieder bei dem Vater des Mädchens?" Die Alte antwortet: "Nein, ich hatte seitdem noch nicht wieder Zeit hinzugehen." Der Vater des Burschen sagt zu ihr: "Dann bitte ich dich, heute noch einmal hinzugehen und zu fragen, ob der Mann und die Familie das Mädchen meinem Sohn zur Ehe geben wollen." Die Alte geht also zum dritten Male den Bittweg. Natürlich weiß der Brautvater und dessen Anhang ganz genau, daß heute die Entscheidung fallen muß. Also ist



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die ganze Familie um den Brautvater versammelt, wenn die Werberin eintritt. Die Werberin wiederholt die Bitte: "Gib dem Burschen deine Tochter zur Frau. Der Bursche ist gut. Ich kenne den Burschen von Kindheit auf. Er arbeitet viel. Er wird seine Frau gut halten; er wird ihr Perlen und viele Kleider schenken." Der Brautvater bleibt hart. Er bleibt grob, ablehnend. Die ganze Familie der Braut schimpft: "Dieser Junge taugt nichts. Dieser Junge ist schlecht! Was soll dieses Mädchen als seine Frau? Ist es nicht ein fleißiges Mädchen? Ist das Mädchen nicht gut erzogen? Und was taugt dieser Bursche? Vertrinkt er nicht das Bier? Ist er nicht überall, wo es einen Tanz und ein Ringen gibt? Nein, wir geben das Mädchen nicht." Die Mittlerin ihrerseits verharrt in bescheidenem Betteln: "Der Junge ist gut. Ihr kennt den Jungen nicht. Der Junge arbeitet. Der Junge ist fleißig. Gebt dem Jungen das Mädchen. Er wird das Mädchen gut halten. Gebt ihm das Mädchen zur Frau!" Die alte Mittlerin bettelt so lange, bis der Brautvater endlich sagt: "Na, dann komm morgen wieder. Der Junge soll das Mädchen haben."

Es ist schwerfällige alte Bauernsitte. Das Hochzeiten vom Freien bis zum ersten Ehegenuß ist im Nupelande von einer solchen Schwerfälligkeit, ist so reich an Hindernissen, daß, wenn die Angehörigen dieses Volkes nicht eben Nupe wären, außerordentlich viele Männer lieber im Junggesellentum bleiben würden, als alle diese Zeremonien und Hindernisse anzupacken. Denn all das ist nur der harmlose Anfang!

An dem Tage, da der Brautvater sein Jawort gegeben, nimmt er das Geld. Die Alte eilt vergnügt zum Vater des Burschen und berichtet. Freude zieht nun ins Haus. Der Vater ruft alle Leute seines Gehöftes zusammen. Er sagt: "Mein Sohn wird das und das Mädchen heiraten. Der Vater hat soeben das Wort gegeben." Dann geht der Vater mit dem Burschen hinüber ins Gehöft der Braut. Die Männer begrüßen die Brautfamilie und ganz besonders den Brautvater, der wie ein König dasteht, der den anderen eine große Gnade erwiesen hat. Im übrigen haben sich von diesem Tage an der Bursch und das Mädchen aus dem Wege zu gehen. Sie müssen weglaufen, wenn sie einander begegnen. Dann der Hauptpunkt. Der Bräutigamsvater macht dem Brautvater ein Geschenk von ca. 4000 Kauri. Das gilt in keiner Weise als Brautgabe. Es ist eine Art Dankgeschenk. Die eigentliche Brautgabe betrug etwa 12000 Kauri in wohlhabenden Bauernkreisen. Von der Brautwerbung bis zur Verehelichung verstrich ein Zeitraum von etwa einem Monat. In dieser Zeit braucht der Bursch dem Schwiegervater noch keine Arbeit zu leisten. Das kam erst, wenn er drei Monate verheiratet war. Dann rief er alle seine Altersgenossen zusammen, begab sich auf die Farmen des Schwiegervaters



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und ließ ihm weidlich Unterstützung zuteil werden. Denn da so an die 20-40 Burschen zusammenkamen, so bedeutete das schon eine ganz hübsche Tagesleistung.

Dann kommt die Hochzeit. Der Hochzeiter selbst wird als Ebaijao, die junge Braut oder Frau als Iao bezeichnet. — Eines Tages nimmt der Vater des Burschen einen Beutel mit 400 Kaurimuscheln und begibt sich auf den Weg zum Brautvater. Er übergibt dieses Geschenk und sagt: "Hier sind 400 Kaurimuscheln. Wir wollen die Frau nehmen." Der Brautvater sagt: "Es ist recht." Dann mag das Schauspiel beginnen, das komische Drama "Brautraub", lustig und stilvoll wie bei den Bassariten oder Akposso, nur daß es hier energischer und viel zeremonieller, im Höhepunkt dramatisch bis zur Blutwunde und zum Knochenbruch durchgeführt wird.

Ist die Unternehmung angemessen angekündigt, so begibt sich der Bräutigam mit einigen Freunden auf die Warte. Sie passen dem Mädchen am Wege auf; sie haben ihre Spione im Gehöft des Schwiegervaters, kleine Burschen, die es verraten, wenn die Braut sich auf den Weg macht, im Busche Holz, am Bache Wasser oder in der benachbarten Farm Korn zu holen. Dann lauern sie am Wege. Das Mädchen wird gepackt, das Mädchen schreit, sie strampelt. Und wenn ein starkes, hochgewachsenes Bauernmädchen vom Schlage der Nupe strampelt und schreit, dann bedarf es schon einiger Männerkräfte, sie zu halten. Nun, man hält sie. Sie ist zum erstenmal überwunden und wird nun in das Gehöft der Bräutigamfamilie gebracht, getragen, geschleppt. Da wird sie auf eine umgekehrte Trommel gesetzt, über die Trommel ist Stoff gedeckt. Nun sieht und hört sie dem allgemeinen Jubel zu. Die Weiber haben die Epuri, die Kalebassentrommel, die Burschen die gewöhnliche Trommel. Emsig wird gerasselt. Die Mutter der Braut hat sehr viel Essen gekocht und die Mutter des Burschen große Mengen von Bier entweder selbst gebraut oder gekauft. Dieses Fest geht nun einen Tag nach dem anderen in hohem Wellenschlage vonstatten.

Der Bursch behält das Mädchen zunächst 7 Tage im Hause, ohne zunächst auch nur zu versuchen, sie zu begatten. In dieser Festzeit sind immer die Freunde und Brüder des jungen Ehemanns um ihn, bei der jungen Frau aber deren jüngere Schwestern und Freundinnen, zumeist die ganze Sorogenossenschaft. Das währt so 7 Tage. Am siebenten Tage sagt dann der junge Ehemann zu seinem Vater: "Heute will ich meine junge Frau den Leuten vorführen. Heute sollen die Angehörigen meine junge Frau sehen." An dem Tage bringt dann der junge Ehemann die jungfräuliche Iao heraus. Der Vater hat die alte Brautwerberin mit der Nachricht hiervon an den anderen Schwiegervater gesandt, und so kommen denn am Nachmittag um 4 Uhr beide Familien im Hause des Ehemanns resp. im



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Gehöft des Vaters desselben zusammen. Bis dahin war es mehr oder weniger ein Fest der Jugend. Nun treten auch die alten Freunde und Verwandten zusammen. Man sitzt und hockt in der Runde. Erst wird eine Matte herausgebracht und in der Mitte ausgebreitet. Dann kommt die junge Frau selbst, sich niederzulassen. Sie liegt nun auf den Knien, ihr Gesicht ist mit den Händen, der ganze Kopf mit dem lang herunterfallenden Kopftuch bedeckt.* Dann tritt die Schwester des jungen Ehemanns an sie heran. Heute soll alle Welt die junge Frau sehen, die in den Kreis dieser Familie tritt. Die Schwägerin hebt also das verhüllende Tuch hoch und redet der Iao zu, die Hände von dem Antlitz zu nehmen. Als ich dieser Szene einmal beiwohnte, sagte die liebenswürdige Schwägerin: "So lege doch die Hände in den Schoß. Zeige doch dein Antlitz. Wir haben gemeinsam oft gespielt und gesungen. Ich weiß, daß du schön bist. Wenn du lachst, hast du schöne Zähne. Deine Zunge ist rot. Deine Augen sind schwarz. Dein Gesicht ist nicht von Blattern entstellt." Das Mädchen sagte es so zierlich und mit so wohltuendem Tone, daß daß das sehr ansprach, und auch die Art, wie sie dann der widerstrebenden Iao die Hände halb gewaltsam herabdrückte, wie diese dann beschämt und mit vor Scham gerötetem Antlitz und mit niedergeschlagenen Augen sich wehrte, hatte unbedingt eine ganz ausgesprochene Anmut. —Und alle die herumsaßen, lächelten freundlich und wohlwollend.

Dann folgt sogleich das nächste Spiel dieser an sinnreichen Zeremonien ungemein reichen Festlichkeiten. Eine Freundin der Iao schüttet vor dieser auf die Matte einen Haufen Guineakorn aus, der von einem Mittelhügelchen weit auseinanderrinnt. Die Kinder drängen nun um die Matte, und die Freundin wirft von oben in den Kornhaufen einen Metallring, der vom Finger gezogen ist. Der Ring gleitet sogleich in das glatte leichte Korn hinab. Burschen und Mädchen drängen nun heran. Sie wühlen in dem Korn und suchen nach dem Ring. Ist der Finder ein Junge, so übergibt er den Ring dem jungen Ehemanne. Man ist dann überzeugt, daß das erste Kind der Jungverheirateten ein Knabe sein wird. Findet dagegen ein Mädchen den Ring, so übergibt sie ihn der Frau, und der allgemeinen Überzeugung nach wird das erste Kind nun ein Mädchen sein. Dieses liebenswürdige Spiel heißt Rukadin. Das Korn wird dann gereinigt und



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in eine Kalebasse gefüllt und der Mutter des Bräutigams gebracht. —Auch an diesem Tage wird wie an den vorhergehenden 6 Tagen emsig getanzt, hier von den Burschen davon den Mädchen. Die Mädchen tanzen aber ihre einfachen Reigen nur im Hause. Auch an diesem Tage schläft der junge Ehemann noch nicht mit seiner Frau.

Der nächste Tag setzt mit echt mädchenhaftem Gehabe und Spiel ein, an dem die jungfräuliche Iao und ihre Gespielinnen viel Freude haben und das gewissermaßen eine Prüfung und scherzhafte Vorführung der Haushaltungskünste der Iao darstellt. Schon am frühen Morgen wandern die jungen Mädchen mit ihren Töpfen zum Fluß hinab, um Wasser zu holen. Mit Sonnenaufgang wird die Iao von ihnen gewaschen. Danach wird sie außerordentlich sorgfältig mit Rotholzfarbe eingerieben, und in diesem Schmucke geht sie zum Flusse hinab, um selbst zur Speisenbereitung Wasser zu holen. Kehrt sie von diesem Gange in ihr Gehöft zurück, so empfangen sie die Gespielinnen mit Händeklatschen, und dann muß sie auch den gefüllten Topf sehr schnell zur Erde setzen, sonst werfen ihn die Gespielinnen herab.

Nachdem die Iao diese Probe der Geschicklichkeit abgelegt hat, erhält sie von den Freundinnen Korn, das sie selbst auf dem Stein reiben muß. Sie muß den Topf mit Wasser auf das Feuer setzen und, wenn es kocht, den üblichen Edje genannten Fufubrei kochen. Aber so schnell geht das nicht. Die lustige Sitte verlangt erst allerhand scherzhafte Tölpeleien. Die Iao setzt den Topf erst umgekehrt auf die Feuersteine, so daß die Rundung nach oben steht. Auf den Topf gießt sie dann das Wasser, und dieses löscht, am Topfe herabrinnend, natürlich unten das Feuer aus. Die Iao markiert nun die Törichte und Unerfahrene. Sie jammert über das Unglück und sagt: "Ach, ich weiß das nicht zu machen. Ach, ich kann kein Wasser kochen. Das Wasser hat mein Feuer ausgelöscht!" Die Gespielinnen ihrerseits jubeln. Sie klatschen in die Hände und singen: "Ach, die Iao weiß es nicht zu machen! Ach, die Iao kann kein Wasser kochen." Danach wird neues Feuer geholt. Es wird ein Topf mit Wasser nun richtig aufgesetzt. Aber ehe noch das Wasser kocht, wirft die Iao das Mehl hinein, so daß es wiederum nichts wird. Abermals jubelt der Kreis der Freundinnen. Sie klatschen in die Hände und singen: "Die Iao kann nichts. Die Iao kann nichts. Die Iao kann nicht kochen und heiratet!" — Endlich beginnt die Iao das Werk noch einmal, und zwar diesmal führt sie die Arbeit richtig durch, und es ist eine Ehrensache, daß der Edje sehr gut wird. Ist der Brei aber fertig, so nimmt sie ihn mit dem Kantara genannten Löffel (in Joruba-Ebako, in Haussa-Maro) heraus und füllt ihn nun statt in eine Schüssel auf den sandigen Boden, was natürlich abermals Veranlassung zu allgemeinem Jubel



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gibt. Endlich gießt sie noch die Enni (Soße) darüber. Die ganz kleinen Mädchen, die anwesend sind, beginnen nun davon zu essen, und was übrig bleibt, wird in eine Kalebasse gefüllt und für die kleinen Knaben der Familie aufbewahrt.

Mit dieser Speisebereitung beginnt für die Iao die Zeit einer gewissen Dienstbarkeit, die Eingewöhnung an die Dienste, die in Zukunft nicht mehr der eigenen, sondern der Familie des Ehemanns zu erweisen sind. Dabei spielt die kleine Freundin (siehe, was ich am Ende der Darlegung über Mädchenerziehung und Soro sagte!), die Nusa oder Nusa-ao ihre letzte besondere Rolle. Am Tage nach der Bereitung des Edjebreies begibt sich die Iao mit ihrer Nusa zusammen in den Wald. Sie sammeln im Busche Brennholz, laden es auf und tragen es heim für den jungen Ehemann. Das ist der erste Dienst, den sie ihm erweist. Wieder einen Tag später geht sie mit drei Mädchen, nämlich mit einer Jegi-ao (Schwester der Iao), der Eja-ao (einer Gespielin der Iao) und mit ihrer Nusa zum Wasser. Sie bringen Krüge voll Wasser herauf. Dieses Wasser wird in der Familie des Ehemanns verteilt. Solches Wassertragen wird während fünf aufeinander folgenden Tagen geübt. Die Familienmitglieder die von diesem Wasser erhalten, sind ihrerseits verpflichtet, ihr anständige Geschenke in Kaurimuscheln zu geben. Am anderen Tage macht die Iao viel kochendes Wasser. Das verteilt sie abermals unter die Glieder der Gattenfamilie. Wiederum erhält sie Kaurigeschenke, von diesen 40, von jenen 80, je nach Alter, Wohlhabenheit und Ansehnlichkeit des Gebers. Solche Verteilung warmen Wassers soll den Familiengliedern die Möglichkeit geben, sich gründlich zu waschen. Sie währt von morgens um 6 Uhr bis abends um 8 Uhr, bedeutet also eine umfangreiche Sache.

In der diesem Badetage folgenden Nacht kommt es nun auch zum ersten ehelichen Annäherungsgefecht zwischen den beiden jungen Gatten. Wenn alle Welt schläft, also etwa um I oder 2 Uhr, geht der junge Ehemann zu seiner jungfräulichen Gattin hinein. Die jungen Mädchen, die wie eine Ehrenwache um diese herum schlafen, springen auf und laufen aus der Hütte, entrinnen dem Kampfplatz. Denn nun beginnt die Reihe jener Gefechte, deren Verlauf, wie kluge Nupefrauen sagen, für den Verlauf des ganzen Ehelebens maßgebend ist. Der junge Ehemann nähert sich dem Lager. Wenn sich das junge Weib stark genug fühlt, bleibt sie liegen und wartet ab, bis er sich neben ihr ausstreckt und den ersten Versuch macht, seine Eherechte geltend zu machen. Befürchtet sie dagegen allzuleichtes Unterliegen, so steht sie auf, wartet gar nicht erst die intimste Annäherung ab, sondern befolgt den Satz, daß der Angriff die beste Verteidigung sei. Also ringen die jungen Menschen miteinander um den Sieg, der eine, weil er nichts verlieren, der andere, weil er sein



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Recht gewinnen will. Man muß die Gudrungestalt des Nupeweibes gesehen haben, um zu ahnen, daß Gunther gar leicht unterliegt. Aber heute kommt es noch nicht zur Entfaltung aller Kräfte. Es ist heute nur eine Kraftprobe, und der junge Ehemann zieht sich bald von der schreienden und um sich schlagenden Gattin zurück.

Am anderen Tage wird es ernster, und der Ehemann trifft seine naturvölkerhaften Vorbereitungen. Er geht zu einem Bassachi. Er läßt sich viele Tschibe, d. h. Medikamente (Haussa = Magani) geben. Die genießt er; deren Zweck ist, eine gute Erektion zu erzielen. Denn sehr richtig sagt sich der Ehemann, daß bei so kräftiger Veranlagung der Gattin und bei den Aussichten dieses bevorstehenden Entscheidungskampfes es nicht ausgeschlossen sei, daß auch im Falle des Niederringens der Heroine der Sieger so viel Kraft und Illusion verlieren könne, daß im entscheidenden Augenblick das letzte, hier auch als besonders schwierig bezeichnete Werk der Defloration nicht mehr gelingen könne. Also der Mann ist vorsichtig und kräftigt sich. Aphrodisiaka sollen bekannt sein. — In der kommenden Nacht macht er sich also wieder auf den Weg zum Kampfplatze, in dem bei seinem Eintreten abermals die Ehrenjungfrauen entfliehen.

Und dann beginnt der Kampf. — Lieber Leser, ich bin natürlich nicht Zeuge einer solchen durchaus unparlamentarischen Geschlechtsverbindung gewesen, aber ich habe jungfräulich spröde Gebarung in Mokwa mit beobachtet, und ich kann nur ganz unbedingt und voll das glauben, was mir die guten Nupeehemänner davon erzählt haben. Die Töne, die aus dem Verehelichungshause über den weiten Marktplatz hinweg zu meinen Ohren und zu den Ohren der meisten just nicht schlummernden Mokwabürger drangen, kamen aus einer Atmosphäre, in der jedenfalls unsere Vorstellung von süßen Brautnächten und sich hingebenden Bräuten nicht am Platze ist. Erst hörte ich schreien. Ich kroch aus meiner Hütte und fragte die Wachtposten, was das sei. Da hörte ich denn, daß das Mädchen, dessen Hochzeitstanzfest ich vor wenigen Stunden mit angesehen, soeben heirate. Nun, es klang nicht wie heiraten. Nachdem das Mädchen mehrmals geschrien hatte, hörte man beim Nähertreten aus dem Hause Schläge, die fielen hageldicht. Danach Stöhnen und Grunzen, letzteres offenbar von dem Ehemann, dem die Braut, wie ich am nächsten Tage hörte und sah, den Arm ausgedreht hatte. Wieder Schreien. Dann aber ein schluchzender, stöhnender Gesang, der mir übersetzt ward: "Helft mir! Helft mir! Warum steht meine Familie mir nicht bei? Helft mir! Helft mir!" usw. Das ging so in Absätzen weiter, wohl noch eine halbe Stunde lang, dann verrieten die letzten Töne, daß der Ehemann nun doch wohl endgültig verheiratet sei. Es ward denn auch gleich die Tür aufgeschlagen und



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heraus kam ein anscheinend splitternackter Mensch, der in langen Sätzen im fahlen Mondschein von dannen jagte. Das Ganze hatte etwa dreiviertel Stunde gewährt.

Die weitere Entwicklung ist die: Hat der junge Ehemann sein Recht erkämpft, war das Mädchen Jungfrau, ist reichlich Blut geflossen, so läuft der Mann von dannen aus der Hütte, und während der Mann mit dem Kopftuch der Entronnenen sein Glied reinigt, eilt diese in das Gehöft ihrer Mutter, die vorsorglich warmes Wasser bereithält. Die Hälfte dieses Wassers wird für ein Bad der jungen Frau verwandt, die die Spuren des Kampfes und die junge Wunde wäscht, die andere Hälfte aber wird hinüber zum Ehemann geschickt, der ebenfalls reinigungsbedürftig ist. Damit endet dann diese Nacht.

Am anderen Morgen kommen alle Freundinnen der Iao. Sie nehmen das blutige Kopftuch und die blutige Matte mit und tragen diese Insignien nupescher Mädchen- und Frauenwürde im Orte herum, wozu sie das schöne Familienlied singen: "Die Mutter der Iao hatte sie gut gehalten! Sie ist vorher nicht mit einem Manne zusammengewesen. Die Mutter der Iao hatte sie gut gehalten!" usw. Nachher wird das Kopftuch der stolzen jungen Frau zurückerstattet. Sie wäscht die ehrenvollen Zeichen heraus und bereitet daraus ein Eka, das ist ein polsterartiges Wickelbündel, das als Unterlage für Lasten und Wasserkrüge auf den Kopf gelegt wird.

Der Ehemann macht aber an diesem Tage seiner Schwiegermutter einen Art Dankesbesuch. Er bringt ihr Hahn und Henne. Die gute Frau hat ihrerseits einen schönen Brei mit Honig bereitet. Sie kocht Henne und Hahn, und zwar in zwei verschiedenen Töpfen. Ersteres bekommt mit guter Breiunterlage die Iao und ihre Freundinnen, daß sie sich von Schrecken und Strapazen erholen. Den anderen Vogel aber erhalten, natürlich auch mit genügender Breizufügung, der junge Ehemann und seine Freunde. Und wenn die Mädchen stolz sind auf die erwiesene Unberührtheit ihrer Freundin, so loben die jungen Männer die Kraft und Unerschrockenheit des Siegers, der nicht selten reichlich mit Schrammen und Wunden bedeckt ist. Ja, kommen doch sogar Knochenbrüche und, wie in dem mir bekanntgewordenen Falle, ernste Verrenkungen vor.

Am gleichen Abend kehrt die junge Frau zu ihrem Gatten zurück. Sie bleibt nun bei ihm, ohne ihn zunächst wieder zu verlassen. Ihre Sprödigkeit ist nun ein für allemal überwunden, und die Jungvereinten geben sich nun einer ungezügelten Leidenschaftlichkeit hin, wie sie bei den sonst sehr züchtigen Naturvölkern selten ist. Während im allgemeinen die Eheleute doch nur in bestimmten Nachtstunden sich den Geschlechtsgenuß zu gewähren pflegen, liegen diese Nupe-Hochzeitspaare in den ersten 10 Tagen bei jeder



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Gelegenheit einander bei, so daß es nicht selten ist, daß dem jungen Mann ein wenig die Luft ausgeht und er noch einmal wieder zum Bassaschi zurückkehrt, um neue Tschibe zur Kräftigung seiner Mannbarkeit zu holen. Jedenfalls wird von nun an nicht mehr geschrien.

Am zehnten Tage kommt dann die Ausstattung, die Kara, die wir erst einer Durchsicht unterziehen wollen, ehe wir die mit ihrer Überweisung verbundenen, wiederum sehr merkwürdigen Sitten schildern. Die Kara besteht im wesentlichen aus:

Teller -Nupe =Tassa; Haussa = Tasa.
Trage für Wasser - Nupe = Ka.
Kalebassentrommel - Nupe =Epung; Haussa = Massaki.
Rührstange für Brei - Nupe =Jebantschi; Haussa = Mutschia.
Wassertopf -Nupe =Mange; Haussa = Tulu.
Stühlchen - Nupe =Essa; Haussa =Kujela.
Kalebassenlöffel - Nupe =Pantoro; Haussa = Ludei.
Soßentopf -Nupe =Dukunillu; Haussa =Tukunjamia.
Eisenlampe - Nupe Fetilla; Haussa = Fetilla.
Trinkkalebasse - Nupe Wodan; Haussa = Korrienscha.
Eßkalebasse - Nupe =Ewodsegi; Haussa = Korrientuo.
Musikschlagkalebassenröhre -Nupe =Santu; Haussa = Schantu
(wie seinerzeit bei Soninkefrauen in Bandiagara gesehen.
Tragkalebasse -Nupe =Wata; Haussa =Agofata).
Kochständer aus Eisen -Nupe =Muffu; Haussa = Mussufu.
Siebkorb -Nupe =Sami; Haussa = Raria.
Hennakalebasse - Nupe = Schantullali; Haussa = Schantullali
(aus Haussa importiert).
Wasserreservoir, großer Tontopf - Nupe =Dangara; Haussa =
Randa.
Messer - Nupe =Ebi; Haussa =Juka.
Eisenlöffel zum Feuertragen - Nupe = Enjenneli; Haussa =
Karife-daukanguta.
Das Durchzugspielzeug - Nupe = Egbateji; Haussa fehlt.
Holzlöffel - Nupe =Kantara; Haussa =Tschokali.
Kochtopf -Nupe =Dukundjebo; Haussa = Tukuntuo.
Großer Holzlöffel in Kalebassenform - Nupe =Pantarako.
Holzform - Nupe = Kantarako.
Kalebassen als Schmuckdosen mit Deckel - Nupe =Ewokonji;
Haussa =Kolliamadjigi.
Kleiner Topf zum Trinken -Nupe =Dukumueli; Haussa =Tukujenkununka.
Waschtopf -Nupe =Kossuko-nuofo; Haussa = Kaskowanka.
Kochbesen -Nupe =Soko-suo; Haussa =Tschintschiatalligi.
Bodenbesen - Nupe =Soko-nfafin; Haussa =Tschitschia.



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Reibstein - Nupe =Takun-ige; Haussa =Dutschi-niga. Mörser - Nupe =Dutschi; Haussa Turumi. Keule - Nupe =Etu; Haussa = Tabaria.

Zu alledem kommen noch verschiedene Arten von Stoffen und Kleidern, Kopftüchern, dann Röcke, eine Matte (Sogun; Haussa = Taberma), Perlen (Njensusung) verschiedener Art. Alles in allem bekommt ein wohlhabendes Bauernmädchen eine Ausstattung mit in die Ehe, die etwa 15 Traglasten ausmacht. Am genannten 10. Tage nach der vollzogenen Ehe - die also etwa der 20.—25. nach Beginn der Ehezeremonien überhaupt ist -werden allerorts die Trommeln zurechtgelegt und gestimmt. Denn an diesem Tage sendet der Vater der Iao an den jungen Ehemann eine Botschaft, die lautet: "Die Kara (Ausstattung) ist fertiggestellt; sie kann gebracht werden." Und das gibt Veranlassung zu neuen Zeremonien, neuen Gelagen und neuen Tanzereien.

Der junge Ehemann übermittelt die Botschaft seinem Vater. Der Vater seinerseits verständigt erst einmal die ganze Familie und läßt alles zusammenkommen; dann zitiert er die alte Brautwerberin. Die alte Brautwerberin wird zur Nako gesendet, um ihr die Mitteilung von der bereitstehenden Ausstattung zu machen. Sobald die Nako davon hört, ruft sie die jungen Mädchen herbei, und die müssen hingehen und die Ausstattung holen. Die Mädchen rennen eiligst zum Schwiegervater. Die Lasten sind nicht leicht. Aber sie strecken die Beine, um der Ehre, eine Last tragen zu dürfen, teilhaftig zu werden. Inzwischen kommen auch trommelnde Burschen. Es wird nach Noten getrommelt und gerasselt. Den beladenen Mädchen schließt sich ein ganzer Zug schaulustiger und lärmender Leute an. In zeremoniell gemessenen Schritten, aber laut lachend, begibt der Zug sich nun auf die Rundtour.

Erst tragen die Mädchen die Lasten mit der hochaufgetürmten Ausstattung zum Hause des Bürgermeisters oder Ortsherrn. Von da aus wandern sie zum Gehöft des Limam, und endlich besuchen sie der Reihe nach alle angesehenen alten Leute, die Nusaji-ri. Überall hält der Zug an, um den Bewohnern Gelegenheit zu eingehender Besichtigung zu geben. Diese wird von den Weibern auch gründlich ausgenutzt, und aus mancher Last wird dieser und jener Gegenstand herausgezogen, herumgereicht und das Ganze gründlich kritisiert. Dieser Rundgang währt mehrere Stunden, dann begibt der ganze Zug sich zurück zum Hause der Brautmutter. Dort gibt es zur Erfrischung einen Aufguß von Guineakornmehl, im vorliegenden Falle noch verbessert durch Zugabe von Honig (Efu). Dann werden die Lasten wieder aufgenommen, die Trommler ergreifen ihre Instrumente und der Zug setzt sich wieder in Bewegung, diesmal mit dem Ziele: Hochzeitshaus.



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Hier nun geht eine sehr eigenartige Sache vor sich. Wenn der harmlose Leser glaubt, daß die ganze Ausstattung nun Eigentum der jungen Frau wird, so irrt er sich. Es kommt anders: Wenn die Mädchen mit den Lasten auf ihrem Kopf in dem Gehöft des Bräutigams ankommen, vollführen sie einen Enja genannten Tanz. Die Mädchen setzen ihre Lasten nicht ab. Sie tragen sie im Tanze weiter. Der Tanz selbst ist von jener eigentümlichen Art, die ich seinerzeit in Nordtogo bei den Losso und Tamberma kennenlernte. Es trippeln zwei der Mädchen mehrfach umeinander und stoßen dann mit den Hintern gegeneinander. Sie machen das natürlich nicht mit jener Wucht, die die Lossofrauen anwenden, vielmehr achten sie darauf, daß die Last auf ihrem Haupte nichtin Schwanken und Sturzgefahr komme. Danach, d. h. nach einer Tanzerei von etwa einer Stunde, wird alles niedergesetzt und ins Haus getragen. Im Hause zählt die Schwester des jungen Ehemannes die Lasten, und wenn alles gut und anständig und richtig befunden ist, wird die ganze Ausstattung in zwei gleiche Teile zergliedert.

Der eine Teil der Ausstattung gilt als der Iao gehörig, die andere Hälfte als dem jungen Manne zukommend. Ja, das ist merkwürdig, aber es ist so. Diese Hälfte nimmt der junge Ehemann und verteilt sie frohen Mutes und höchst liberal unter seine Angehörigen. Eine Schwester bekommt einen Löffel, eine Verwandte eine Kalebasse, eine andere einen Topf usw., bis diese Hälfte aufgelöst und in der Ehemannsfamilie verteilt ist. Die Iao ihrerseits teilt den ihr zukommenden Teil der Aussteuer nochmals. Die eine Hälfte ihrer Schätze nimmt sie in Gebrauch, die andere Hälfte alles Geschirres, aller Stoffe, Perlen usw. bringt sie zurück zu ihrer Mutter und holt sich aus diesem wohigehüteten Magazin dann immer das, was sie just benötigt, wenn der Gebrauchsteil abgenutzt, zerbrochen, verloren oder gar verbrannt sein sollte.

Damit hat denn dieses ländliche Fest endgültig seinen Abschluß gefunden. Es ist eine echte Bauernhochzeit, und es versteht sich von selbst, daß von allen diesen altertümlichen und verschrobenen Sitten nur die allerwenigsten in großen Städten, gar in der Weltstadt Bida noch gebräuchlich sind. In den großen Städten lacht man über die hinterwälderischen Bauern -just wie bei uns. Der Ethnologe aber ist froh, daß er noch diese aussterbenden Gebräuche studieren konnte. Sie werden sich bei der größeren Anpassungsfähigkeit und enormen Wirtschaftsevolution der Neger dort unten nicht mehr so lange erhalten können wie bei uns.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
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