C. M. Wieland's Werke.
Zwölfter Band.
Hann und Gulpenheh
oderzu viel gesagt ist nichts gesagt.
Eine morgenländische Erzählung.Es war einmal zu Samarkand Ein junger Schneider, Hann genannt: Der hat ein' feines junges Weib Sich zugelegt für seinen Leib; Die liebt' er wie sein Augenpaar; Denkt, weil sie schwarz von Augen war Und schlanker als ein Lilienstängel Und hatte langes seidnes Haar Und glatte rosenrothe Wängel Und überdieß kaum zwanzig Jahr, Sein Weibchen sey ein ganzer Engel. |
"Das ist nun — was man heißen kann Gedacht — als wie ein junger Schneider," Ruft mancher hier; denkt nicht daran, Daß es Minuten gibt, wo, leider! Ein Salomon mit aller seiner List Nicht weiser als ein junger Schneider ist. |
In einem solchen Augenblicke Spricht Hann zu seinem Schatz: Du trautes liebes Weib! Was würd' aus mir, wenn ich erleben müßte, Daß dieser schöne warme Leib, Von Todesfrost in eine Büste |
"Und ich, mein trauter, süßer Mann, Versetzt das junge Weib, sollt' ich das Unglück haben Und dich verlieren, bester Hann, Lebendig ließ' ich mich mit meinem Hann begraben!" |
Das ist ein Weib! — denkt Hann entzückt, Indem er an sein Herz sie drückt: Zu zweifeln fällt ihm gar nicht ein! Sie sagt's ja — also muß es seyn! |
Seitdem sich beide so verglichen, War ungefähr ein Jahr verstrichen: Und eines Abends, wie sie so Allein bei ihrem Pilau saßen Und, auf die Nacht zum voraus froh, Des Lebens Sorgen ganz vergaßen, Geschah's, daß Gulpenheh, die schöne Schneiderin, Indem sie in verliebtem Sinn Mehr nach dem Mann' als in die Schüssel guckte, Ein kleines Bein hinunter schluckte. |
Groß war die Noth! — Der arme Hann Springt ängstlich zu, thut, was er kann, Klopft mit der Faust ihr auf den Rücken, |
Verzweifeln will der arme Mann! Allein, da ist kein Rath noch Mittel. Schon liegt sie da im Sterbekittel, Zwar etwas blau, doch noch so schön; Er hält's nicht aus, sie anzusehn! |
Frau Gulpenheh ruht nun in kühler Erde, und Hann mit wüthender Geberde Wälzt sich auf ihrem Grab', und ächzt so laut und bang, Daß man auf tausend Schritt' ihn hörte; Entschlossen festiglich, neun ganzer Tage lang (Nach seinem Schwur') auf ihrem Grab zu weilen. |
Und es begab sich, daß Aissa, der Prophet, Vorüber ging; und wie das laute Heulen Vom Grabe her ihn störet im Gebet, Tritt er hinzu und fragt den Mann, der auf dem Grabe Sich wälzt und heult, was Leides ihm geschah? |
Der Schneider spricht: Ach Herr! in diesem Grabe da, Da liegt ein Schatz, den ich verloren habe; Das beste Weib! ein Weib, das mich so sehr geliebt! Ein Weib —ach! Herr, ein Weib, wie's nun kein andres gibt! Und heute hab' ich sie begraben! |
Spricht der Prophet zu ihm: Nun, weil so bang dir ist Nach deinem Weib', Hann — so habe, Was du zu haben würdig bist! |
Nun erst wird Hann gewahr, Daß Gulpenheh, in ziemlich lüftigs Leinen Kaum übers Knie gehüllt, nicht so gekleidet war, Um in der Stadt (wiewohl's schon dunkelt) zu erscheinen. "Licht meiner Augen, spricht der gute Mann zu ihr, Verbirg dich hinter diesen Steinen, Indessen ich nach Hause lauf' und dir Die Kleider hole. — Der Mond beginnt zu scheinen — Sey ohne Furcht! ich bin gleich wieder hier," |
Dem Winde gleich lief Hann davon, Indem so kam des Sultans Sohn Von ungefähr des Wegs gezogen, Und vieler Fackeln greller Schein Glänzt vor ihm in die Nacht hinein. Und bei der Fackeln Schein gewahren Die Diener eine Frau mit los gebundnen Haaren, Halb nackend — die, um nicht gesehen zu seyn, |
Der Königssohn macht Halt |
Und nähert sich allein der reizenden Gestalt, Die, um zum wenigsten den Busen zu verzäunen, Genöthigt ist den Alabasterglanz Von zwei untadeligen Beinen Der Lüsternheit der Männeraugen ganz, Wiewohl erröthend, Preis zu geben. |
Der Königssohn, anstatt die Hand vors Aug zu heben, Verschlingt das schöne Weib mit seinen Blicken schier. Wie? spricht er, wie? so viele Schönheit hier, Zu solcher Zeit, in solchem Stand' und Orte? "Mein Herr, versetzt die Schneiderin, Das Negligé, worin ich bin, Gestattet nicht so viele Worte." |
Der Prinz erkennt die Billigkeit Der Weigerung in einer solchen Lage Und reicht ihr stracks sein eignes Ueberkleid! Und — "Schöne Frau, nur eine Frage! Bist du vermählt? — Denn, falls du ledig bist, So komm' und geh wie eine Morgensonne In meinem Harem auf! Mach' eines Prinzen Wonne, Der ohne dich nicht mehr zu leben fähig ist." |
Die schöne Gulpenheh darf nur eines Blickes, Den Umfang und Gehalt des angebornen Glückes, Und wie es sich zur Schneiderei Des armen Hann verhält, zu sehen und zu messen: Und, ach! mit diesem Blick' ist Hann und Lieb' und Treu' Und Schwur und Grab und Alles rein vergessen! Herr, spricht sie, ich bin frei, und thut, wie Ihr gesagt, Mit Eurer dienstergebnen Magd! Sie ist bereit, für Euch allein zu leben. Top! ruft der Königssohn, läßt ihr ein Handpferd geben, Und fröhlich zieht bei Fackelschein Die schöne Gulpenheh in seinen Harem ein. |
Kaum ist sie fort, so kommt, in vollen Freuden, Mein Hann, bringt Alles mit, was seine Frau zu kleiden Vonnöthen war — und keine Frau ist da! Er sucht, er ruft, er will von Sinnen kommen. Ein Räuber hat sie weggenommen, Denkt er und trifft so ziemlich nah; Doch, daß sie selbst darein gewilligt hätte, Der Argwohn kam in seine Seele nicht. "O, warum führt' ich sie nicht lieber von der Stätte, So nackt sie war! O weh mir armen Wicht'! In welchem Jammer wird sie schweben, Das treue Weib! der ohne mich zu leben So schrecklich war, daß sie lebendig sich Mit mir begraben lassen wollte! Dich, Phönix aller Weiber, sollte Ein fremder Arm umfahn? — O, sicherlich, |
Betrogner Hann! dein trautes Weibchen war Nichts weniger als in Gefahr, Sich selbst so grausam mitzuspielen: Die lag gar angenehm und warm Dem schönen Königssohn' im Arm', Und dachte, ganz von neuen Lustgefühlen Betrunken, wahrlich nicht an dich und deinen Harm. |
Hann sucht zu Samarkand indessen Und rings umher, mit Angst und Müh', Und mit Gefahr, oft ohne Essen Zu Bett zu gehen, sein Liebchen spät und früh'; Hofft immer noch, Aissa werde sie Zurück zu ihm zu bringen nicht vergessen. Zuletzt erkundigt er von einem, der dabei Gewesen war, wie Alles sich begeben, Und daß sein trautes Weib, mit wenig Widerstreben, Dem Sohn des Sultans sich ergeben Und seines Harems Krone sey. |
Hann, immer noch von ihrer Treu' Im Herzen überzeugt, läuft brennend, wie ein echter Enthusiast, In einem Sprung bis zum Palast, Drückt keuchend durch Trabanten, Wächter Und Knaben sich hindurch, fragt ängstlich Jedermann |
Der Prinz, ein guter Herr, — vielleicht auch wohl bereits Der schönen Gulpenheh (nachdem von ihrem Reiz Genuß und Zeit die Blüthe abgestreift) Ein wenig satt — sobald er nur begreift, Was ihm der Schneider will, erzählt ihm die Geschichte Mit mildem Ton' und gnädigem Gesichte. |
Sie war vielleicht vor Angst nicht recht bei sich Und hat im Schrecken Euch für ihren Hann genommen, Erwiedert Hann: genug, man laß sie kommen! Sie ist mein Weib! Sie wird — o, sicherlich! Ihr werdet's sehn! mit brünstigem Vergnügen, Sobald sie mich erblickt, mir in die Arme fliegen. |
Gut, spricht der Prinz, ihr sollt einander sehn, Und ich will nur von ferne stehn. |
Die Dame kommt. Der gute Schneider, Geblendet durch die Pracht der goldgestickten Kleider Und den Juwelenglanz, erkennt sein Weibchen kaum, Und Alles scheint dem armen Mann' ein Traum. Doch Gulpenheh beim ersten Blick' Erkennt ihn nur zu wohl, fährt einen Schritt zurück, Wird wechselnd blaß und feuerroth; Allein der Witz, den sie als Weib zum Los bekommen, Verläßt sie nicht in dieser Noth. Der Prinz, sobald er wahrgenommen, |
Ja wohl (versetzt die zärtlichste der Weiber) Erkenn' ich ihn! Es ist derselbe Räuber, Der, als ich ungefähr im Fußweg' auf ihn stieß, Mit Fäusten, die ich lange noch empfunden, Mich nach den Gräbern schleppt' und nackend stehen ließ, Als Eure Hoheit mich gefunden. |
Der arme Hann, wie er sein trautes Weib So reden hört, wird kalt am ganzen Leib; Sein Blick erstarrt, die Kniee schwanken, Die Haare richten sich auf seinem Kopf' empor, Der offne Mund verstummt, ihm schwinden die Gedanken. |
Der ganze Hof, in einem Chor', Erkennt die offenbaren Zeugen Der überwiesnen Schuld in seinem Blick' und Schweigen. Man führ' ihn stracks zum Kadi, spricht Der Königssohn. Hann wird gebunden Und abgeführt. Der Richter hält Gericht: Die schöne Dame zeugt; Hann widerspricht ihr nicht; Was soll das Leben ihm? Kurz, schuldig wird erfunden Der arme Mann und, wie es sich gebührt, Gleich vom Gerichtshof weg zum Galgen hingeführt. |
Was schützte nun des Armen Hals und Ehre, Der zitternd an der Leiter steht, Wenn nicht — Aissa, der Prophet, Zu gutem Glück vorbei gegangen wäre? Wie eines Engels Glanz ist seine Gegenwart. |
Hann wird mit Gold und Ehren überhäuft, Frau Gulpenheh ins Grab zurück geschleift; Dort mag sie bis zum jüngsten Tage rasten! Ihr lieber Mann fühlt keinen Drang Im Herzen mehr, nur neun Secunden lang Auf ihrer Gruft zu weinen und zu fasten. |