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C. M. Wieland's Werke.

Zehnter Band.

Schach Lolo.

Regiert — darin stimmt Alles überein —
Regiert muß einmal nun die liebe Menschheit seyn,
Das ist gewiß! Allein —
Qao Jure? und von wem? In diesen beiden
Problemen sehen wir die Welt sich oft entzwein;
Und schon zur Zeit der blinden Heiden
(Als noch, was Rechtens sey, sich Krantor und Chrysipp
Nach ewigen Gesetzen zu entscheiden
Vermaßen) fand der Sohn des listigen Philipp,
"Man komme kürzer weg, den Knoten zu zerschneiden."
Gewöhnlich fing man damit an,
Was Pyrrhus, Cäsar, Mithridates
Und Muhammed und Gengiskhan
Und Mancher, der nicht gern genannt ist, auch gethan:
"Sich vörderst in Besitz zu setzen."
Das Recht schleppt dann, so gut es kann,
Sich hinter drein: das sind Subtilitates.
Woran (man gönnt es ihnen gern)
Die knasterbärtigen Doctoren sich ergetzen.
Das Jus Divinum, liebe Herrn,

Steht also, wie ihr seht, so feste Und fester, als der Kaukasus: "Befiehlt, wer kann, gehorcht, wer muß;" Ein Jeder spielt mit seinem Reste, Und — unser Herr Gott thut bei Allem dem das Beste.

"Ja, (sagt ihr) aber daß ein Schach,
Ein Narr, ein Kind, ein Nero, ein Caligel,
Ein Elagabalus die Zügel
Des Schicksals führen soll?" — Und warum nicht? Regiert
Nicht eine Windsbraut oft und rührt
In einen garst'gen Brei die liebe Welt zusammen,
Setzt euch in einem Hui das größte Schloß in Flammen,
Bricht Dämme durch, spült manchen schönen Ort
Mit Jung' und Alten weg, reißt Ufer, Wälder fort?
Und Alles das unleugbar — Jure
Divino, liebe Herrn! Die Sach' ist sonnenklar.
So wird die Welt regiert, und eine ganze Fuhre
Von Syllogismen macht's nicht mehr noch minder wahr.
Jetzt habt ihr Sonnenschein und schöne warme Tage,
Wie ihr gewünscht; doch nur ein paar
Zu viel, so wird der Sonnenschein zur Plage,
Wie jüngst der Regen war, auf dessen Guß ihr nun
Mit Schmerzen harrt. Euch immer recht zu thun,
Ist schwer. Allein die Welt — die dreht in ihrem Kreise
Sich unbekümmert fort, und der, der mitten drin
Unsichtbar thront und einen großen Sinn
Fürs Ganze hat, regiert's nach seiner Weise
Der winzigste Deunculus

Macht's eben so in seinem Spannenkreise, Nur nicht so gut; behauptet frisch sein Jus Divinum über Weib und Kinder, Haus, Hof und Habe, Schaf' und Rinder Und gibt nicht Rechenschaft davon, als — wenn er muß.

"Die Red' ist, sprecht ihr, wie es sollte,
Nicht, wie es ist —"
So? — Wie es sollt'? — Ihr also wißt
Es besser? So, so sollt' es — wenn es wollte!
Allein es will nun nicht! — All der Ideenkram
Der Weltenflicker, sagt, was hat er je gebessert?
Verschoben hat er viel! und wessen ist die Scham?
"Es sollte" —Nein, ihr Herrn! Verkleinert und vergrößert
Nur nicht, was ist, in eurer Phantasie,
So ist's just recht; und euch erspart's die Müh,
Dem lieben Gott in seine Kunst zu pfuschen.
Es geht ja manchmal wohl ein wenig conterbunt
Und garstig zu auf diesem Erdenrund,
Das läßt sich freilich nicht vertuschen;
Allein dann geht's just, wie es kann;
Und dafür ist gesorgt, daß doch nichts überwieget,
Daß ungestraft nicht leicht ein Mann
Sein liebes Selbst an Bösethun vergnüget,
Nicht ungestraft ein Schalk — ein Flegel — ist,
Nicht ungestraft ein Schach, nicht ungestraft ein Nero.
Das Maß, womit das Schicksal wieder mißt,
Ist immer billig. — Schwimmt die liebeskranke Hero,
In trüber Nacht, bei oft bewölktem Mond, .

Mit trübem Blick dem schönen Freund entgegen, Der, durch Begier und Schwierigkeit verwegen, Den stets gefäll'gen Hellespont Schon manche heitre Nacht durchschwommen Und dann an ihrer schönen Brust Den süßen Lohn der Arbeit eingenommen: O! so mißgönnt doch nicht die theu'r erkaufte Lust Den ihrer Pflicht entirrten Seelen! Sie ließen ja so gerne sich vermählen! Warum trennt harter Aeltern Groll, Stolz oder Geiz, was Gott zusammen fügte? "Allein sie that doch, was kein frommes Mädchen soll!" Ja, leider! und das Schicksal rügte Den Fehltritt wahrlich streng genug. Denn, wie sie so im süßen Hoffnungstrug Voll Ungeduld des lieben Jünglings harret In dieser trüben Nacht, und nun auf einmal stürmt Der Wirbelwind daher, wie Fels auf Fels gethürmt Stürzt Well' auf Well', und, ach! in jeder stürmt Der schreckliche Gedank, vor dem ihr Blut erstarret: "Ha! wenn ihn dieser wilde Sturm Ergriffen hat!" — und nun (was zu beschreiben Mein Herz versagt) die Wellen an den Thurm Vor ihre Füße hin den starren Leichnam treiben — Sagt, Grausame, ist sie gestraft genug?

"O, denkt ihr, nur zu hart wird ein verstohlner Zug
Aus Amors Lustkelch so gerochen!
Die armen Liebenden! So schwer bestraft zu seyn,

Und ihr Vergehn im Grunde doch so klein! Was haben sie so Schrecklichs denn verbrochen?"

O, nicht doch! Lästert nicht, indem ihr sie beklagt,
Des Schicksals Billigkeit! Es hat für alles Leiden
Sie ja voraus bezahlt! Sind's etwa kleine Freuden,
Für die ein junger Mann so rasch sein Leben wagt?
Und rechnet ihr für nichts, daß, ihn zu überleben
Verachtend, Hero, treu dem schönen Liebesbund,
Sich zur Gefährtin ihm ins Todtenreich gegeben?
Für nichts, mit ihm zu sterben Mund auf Mund
Und Arm in Arm mit dem geliebten Gatten
Hinab zu gehn ins stille Land der Schatten?
Erkennet denn: das irdische Geschlecht
Murrt ohne Grund; die Götter sind gerecht
Und lassen, wo ihr Plan das Uebel nicht verhütet,
Kein Unrecht unbestraft, kein Leiden unvergütet.
Ein jedes Ding in dieser Unterwelt
Ist niemals, was es scheint —und scheint, nachdem ihr's stellt;
Ist klein von fern, wird großer, wie ihr's näher
Beschaut, und, wie sich's gegen euch verhält,
Bald gut, bald schlimm. Der wahre Seher
Ist, der sich auf den rechten Standpunkt stellt.
Das hält oft schwer! Gesunde Augen
Erfordert's auch; denn (wie ein Weiser spricht)
Wenn diese nichts an einem Manne taugen,
So helfen ihm zehn Sonnen nicht.
Doch über dem Philosophiren
(Das doch, Gott weiß! so wenig nützt) verlieren

Wir unsern Weg. Es war euch ärgerlich, Daß, wie ihr meint, die guten Götter sich (Cum venia) so grob prostituiren, Die Welt, wie oft geschieht, durch — Schache zu regieren.

Der Meinung bin ich nicht. Mir däucht, just umgekehrt
Das Volk stets seines Schachs, der Schach des Volkes werth
Und schwerlich wird ein einzig Beispiel fehlen.
Die Titus und die Marc-Aurelen,
Die waren allenfalls für ihre Zeit zu gut:
Allein ein Claudius, mit seiner feinen Brut
Von Weibern und von Favoriten,
Ein Aureng-Zeb, ein Schach-Riar,
Die wurden just so zugeschnitten,
Wie ihre Zeit sie würdig war.
Der beste Schach ist freilich, wenn wir billig
Im Urtheil sind, nur zu gewiß
Persona miserabilis.
Zuerst so gut, so fromm, so willig,
Es recht zu machen! — Ging es schief,
Nun, so vergriff er sich; er griff zu hoch, zu tief,
Gemeint war's recht. Allein da hebt man Aug' und Hände
Und klatscht und jubilirt, als hätt' ein Gockelhahn
Ein Ei gelegt. Daß nur ein einz'ger Danischmende
Mit guter Art dem Herrchen auf den Zahn
Zu fühlen wagte! — So gewöhnt er sich daran
Und nimmt das Schmeichlerlob am Ende,
Wie Jupiter den Weihrauch, an.

Zum Unglück, wenn er meint, er habe was gethan,
Kommt ein Wessir und stellt das Ding behende
So auf den Kopf, daß just von seinem Plan
Das Gegentheil erfolgt: und er, in seiner Blende,
Er nimmt darüber gar noch Complimente an.
So füllen nach und nach sich ganze dicke Bande
Mit Thaten, die er — nicht gethan;
Und ihm wird weiß gemacht, es stände
In Fama's Namenbuch der seine obenan.
Nun, sagt mir, wenn ein Schach von Weibern und Castraten
Sein Leben lang gegängelt wie ein Kind,
Es müde wird und doch die Kraft nicht in sich find't,
Allein zu gehn, und läßt sich nun — von Jedem rathen,
Weil Alle ihm verdächtig sind;
Wenn er, in seinem ganzen Leben
Vom füßeleckenden verräthrischen Geschmeiß
Raubgier'ger Masken stets belagert und umgeben,
Den Biedermann zuletzt nicht mehr zu finden weiß
Und, fänd' er ihn, den Mann nicht zu ertragen
Vermag; im Weihrauchdampf, worin man ihn erstickt,
Nicht Menschen mehr, Vampyren nur erblickt,
Die an ihm saugen und ihn nagen;
Wenn endlich gar, als läg' ein schweres Interdict
Auf seiner Burg, die Guten sich nicht wagen,
Ihm mehr zu nahn; und nun der arme Schach,
Zum Nero nicht zu weise, nur zu schwach,
Durch Nichtsthun, Furcht, der Wahrheit nachzufragen,
Unschlüssigkeit, Mißtrauen, Wankelmuth

Mehr Böses oft als zehn Tyrannen thut: Wer hat die Schuld? und wer ist zu beklagen?

Gewiß, dem Schach gebührt noch viel heraus!
Daß manchmal auch dabei ein braver Mann gelitten
Und leiden wird, das bleibt wohl unbestritten.
Doch sorget nicht: Den führt aus jedem Strauß
Sein Genius gewiß heraus;
Und, wer dabei am Schlimmsten fähret,
Ist doch zuletzt der Schach, — wie Lolo's Beispiel lehret.
—————



Schach Lolo, erstgeborner Sohn
Des Firmaments, Oheim von Sonn' und Mon,
Herr im Zodiakus, des großen Bären Vetter,
Gebieter über Wind und Wetter
Et caetera, — regierte, wie man's heißt,
Im großen Scheschian. Kein sonderlicher Geist!
Die reine Wahrheit zu gestehen,
Er überließ das Werk den Göttern und den Feen;
Und wenn's nicht desto besser ging,
War's etwa seine Schuld? — Von seiner Art zu leben
Euch einen Schattenriß zu geben,
Nehmt einen Tag; denn, wie er den beging,
So ging es Tag für Tag in seinem ganzen Leben.
Es war das echte Quasi-Leben
Der Götter Epikurs. — Nachdem er Nachts zuvor,
Allmählich eingelullt von süßen Sängerinnen,
Den letzten Dienst erschlaffter Sinnen
In Strömen süßen Weins verlor;
Und, matt und welk, wie ein zerknicktes Rohr,
Nun zwischen zwei Tschirkassierinnen
Die er, (damit sie doch zu etwas brauchbar sind,
Zu Polster braucht) das alte Wiegenkind
Entschlummert ist und, ohne sich zu regen,
Die Nacht durch weintodt da gelegen:

Entrüttelt ihn, sobald zum Frühgebet Der Imam ruft, ein Kämmerling dem Schlummer.

Schach Lolo streckt sich, gähnt, bohrt in der Nase, dreht
Die Augen und so fort — kurz, steht ein wenig dummer
Als gestern auf, verrichtet sein Gebet,
Wird abgewaschen, angezogen,
Beräuchert, nimmt sein Frühstück, geht
In seinen Divan — wo, sobald die goldne Thüre
In ihren Angeln knarrt, die Emirn und Wessire
(Als Erdgeschöpfe, die den Glanz der Majestät
Mit bloßen Augen nicht ertragen)
An seines Thrones Fuß die Sklavenstirnen schlagen.
Der Großwessir verrichtet nun sein Amt,
Und Lolo, der indeß mit hohen Augenbrauen
Im Staate sitzt und sich mit Betelkauen
Die Zeit vertreibt, begnadigt und verdammt,
So wie sich's trifft, die Bösen und die Frommen.
Indessen wird's Mittag. Die Kämmerlinge kommen;
Es öffnet sich zum hohen Göttermahl'
Ein augenblendender gewölbter Speisesaal.
Das Mahl (um kurz zu seyn) wird reichlich eingenommen
Und nun passirt mein Schach in einen zweiten Saal,
Noch größer, herrlicher und schimmernder, als jener,
Wo, zum Verdauungswerk bestimmt,
Ein weicher Lehnstuhl ihn in seine Arme nimmt.
Zwei Chöre Nymphen, eine schöner
Als wie die andre, weiß und rund
Von Armen, blau von Aug' und schwarz von Augenwimpern,

Die Cithern in der Hand, stehn schon mit offnem Mund', Ihn wieder in den Schlaf zu singen und zu klimpern. Das Mittel wirkt bei vollem Magen stracks. Schach Lolo schläft zwei Stunden wie ein Dachs; Wacht endlich wieder auf; gähnt seinen Philomelen Aus höchster Machtgewalt gerad' ins Angesicht, Fängt seine Finger an zu zählen Und hascht nach Fliegen, die ihm nicht Stand halten wollen: unterdessen Kommt unvermerkt die Zeit zum Abendessen.

Es öffnet sich ein dritter Saal,
Illuminirt mit Lampen ohne Zahl,
Wo lauter Ambra brennt. Erscheinen abermal
Im Luftgewand von rosenrother Seide
Zwei Reihen Töchterchen der Freude,
Die zum Empfang des Herrn die Kehlen schon gewetzt;
Und unter einem Thron, der, wie aus Sonnenstrahlen
Gewebt, durch seinen Glanz die Augen schier verletzt,
Ein goldner Tisch mit sieben großen Schalen
Von Japans reichstem Thon besetzt,
Wo, schöner als ein Maler sie zu malen
Im Stand' ist, Früchte aller Art
Hoch aufgethürmt Geruch und Aug' ergetzen;
Nur keinem Schach! Jedoch weil seine Gegenwart
Hier Pflicht des Thrones ist, geruht er sich zu setzen,
Nachdem zuvor zwei Nymphchen, schön und zart,
Die Glatze und den Knebelbart
Ihm eingesalbt. Die Scene zu veredeln,

Stehn andre sechs mit großen Fliegenwedeln, In Rosenöl getaucht; auch glimmt Aus goldnen Räucherpfannen Ein ganzer Wald von Adlerholz und Zimmt Und treibt das Mückenvolk von dannen.

Indessen nun die Chöre wechselsweis
Des großen Lolo Ruhm und Preis
Mit Sang und Klang den Wänden vorerzählen,
Läßt sich mein Schach (der wohl von allen Menschenseelen
Am wenigsten von seinen Thaten weiß)
Laut gähnend einen Apfel schälen
Und wartet in Geduld, bis endlich abermal
Die Stunde schlägt, die in den vierten Saal
Ihn rufen wird. Sie schlägt, und —laßt euch's nicht verdrießen!
Es öffnet sich der liebe vierte Saal,
Wohin wir ihm schon werden folgen müssen.
Daß Alles drin entsetzlich glänzt und gleißt,
Und wieder Räucherpfannen brennen,
Und, wie sich hinter ihm die goldne Pforte schleußt,
Ein neues Nymphenchor ihm stracks die Zähne weist,
Ist, was wir leicht vermuthen können.
Ein neuer Polsterthron, ein neuer Tisch, besetzt
Mit Allem, was den Gaum zum Trinken wetzt,
Und dann, die Kehle wohl zu baden,
Ein Schenktisch, reich von zwanzig Sorten Wein,
Stehn links und rechts in vollem Glanz' und laden
Den Schach zum letzten Act des Monodrama's ein.
Sechs Nymphen, schlank wie Oreaden,

Bedienen ihn dabei, indeß ein andres Chor Von Grazien in dünnem Silberflor, Damit der gute Mann am Schenktisch nicht erkaltet, Der Reize schlauste Kunst im leichten Tanz' entfaltet: Bis endlich gegen Mitternacht Das königliche Vieh, berauscht an allen Sinnen, Nach altem Brauch, die zwei Tschirkassierinnen, Die nun das Unglück trifft, — zu seinen Polstern macht.

Bei solcher Lebensart, was Wunder,
Wenn ihn zuletzt, wie die Geschichte sagt,
Vom Haupt zu Fuß Aegyptens Aussatz plagt!
Wohl freilich ist an Seel' und Leib gesunder
Der Mann, dem Arbeit Zeitvertreib,
Und Nothdurft Wollust ist; der, wenn er spät vom Acker
Zur Hütte kehrt, zwar müde, doch noch wacker,
An rauhem Brod und seinem braunen Weib
Sich auf des Morgens Arbeit labet!
Was hilft es nun dem Schach, der unter einem Thron
Von goldnem Stoffe, wie Sanct Job sich schabet,
Was hilft ihm, daß er Sonn' und Mon
Zu Neffen hat, staubleckende Wessire
Zu Sklaven, Weiber von Kaschmire
Zum Unterpfühl?
Was hilft ihm Sang und Saitenspiel
Und all der. Kitzel stumpfer Sinnen
Und all sein Nymphenheer und seine Tänzerinnen?
Umsonst ist seiner Aerzte Müh,
Sein schwarzes Blut durch Sauren zu verdünnen.

Zwei Jahre schon erschöpften sie Treufleißigst ihr Gehirn und alle ihre Büchsen; Versuchten's, da nichts Lindrung schafft, Erst mit elektrischer, dann mit magnetscher Kraft, Dann mit der frischen Luft und endlich mit der fixen, Ja, aus Verzweiflung gar zuletzt mit Schierlingssaft, Vergebens sieht man sie durch Berg' und Wiesen trotten Nach Kräutern, die Galen und Celsus nicht gekannt: Die Kachexie des Schachs scheint ihrer nur zu spotten, Und täglich nimmt das Uebel überhand.

Von ungefähr (wie meistens alles Gute)
Kam, da es just am schlimmsten stand,
Ein Fremdling an aus einem fernen Land';
Ein Mann, dem Ansehn nach von stillem ernsten Muthe,
Und der (das sieht der Wirth ihm flugs am Nasloch an)
Ein wenig mehr als fünfe zählen kann.
Zufällig hört der Fremde von dem Jammer
Des armen Herrn. Er sagt dazu kein Wort.
Nach einer Weile geht er fort
In seine Kammer.
Was er darin gemacht, ist unbekannt;
Er schob den Riegel vor und ließ den Vorhang nieder.
Genug, er kam mit etwas in der Hand,
Das einem Schlägel glich, in einer Stunde wieder.
Laß mich zum Sultan führen, Freund!
Spricht er zum Wirth. —"Das ist so leicht nicht, als es scheint;
Ihr werdet schwerlich angenommen —"
Sag' ihm, es sey ein fremder Arzt gekommen,

Der, wenn er ihn in kurzer Zeit Von seinem Aussatz nicht befreit, Den Kopf bereit ist zu verlieren.

Wie Lolo diese Botschaft hört,
Denkt er: Es ist der Probe werth,
Der Mensch hat doch dabei nicht wenig zu verlieren;
Und er befiehlt, ihn vorzuführen.
Der Fremde kommt — ein feiner langer Mann
Mit schwarzem Bart' und einer Art von Nase,
Die Lolo just am besten leiden kann.
"Herr, spricht der fremde Mann, ich blase
Nicht gern mich selber aus: genug, die Facultät
Hat deiner Heilung sich verziehen.
Ich heile nicht mit Pillen, Kräuterbrühen,
Noch Rindermehl! allein, wenn deine Majestät
Sich mir vertrauen will, soll binnen sieben Tagen
Dein ganzer Leib so frisch und rein
Wie eine Maienrose seyn:
Wo nicht, so werde mir der Schädel abgeschlagen!"
Mein Schach antwortet ihm und spricht:
Daß du mit deinem eignen Leben
Assecuriren sollst, was Andre aufgegeben,
Das wollen Wir, beim Allah! nicht.
Doch leiste, was du mir zu hoffen
Befiehlst, und sey der Zweit' in meinem Reich!
Mit Lolo's Herzen steh zugleich
Sein Hof, sein Schatz, sein Harem selbst dir offen!
Verdoppelt gleich mein Dank den höchsten Flug,

Den deine Wünsche sich erlauben: Noch werd' ich immer nicht genug Für dich gethan zu haben glauben!

"Herr, spricht der Arzt, an deiner Dankbarkeit
Zu zweifeln, wär' ein Majestätsverbrechen:
Allein davon ist's immer Zeit,
Wenn du genesen bist, zu sprechen.
Das Mittel dieser Wundercur
Wird, wie gesagt, nicht innerlich genommen;
Es geht von außen her und durch die Poren nur
Ins Blut; doch muß es selbst vorher in Schwingung kommen.
Groß sind die Wunder der Natur!
Dieß, ich gesteh' es, ist ganz außerhalb der Regel;
Mit einem Wort: es steckt in diesem Schlägel."
In diesem Schlägel? ruft der Schach von Scheschian,
Und vor Erstaunen bleibt der Mund ihm offen stehen.
"In diesem Schlägel, Herr! Du wirst die Wirkung sehen.
Natürlich ist ein Talisman
Dabei im Spiel — genug, in sieben Tagen!
Und daß wir keine Zeit verlieren, führe man
Des Sultans Leibpferd her, um nach der Maillebahn
Stracks Seine Hoheit hinzutragen."
Gesagt, gethan!
Schach Lolo langt an Ort und Stelle an,
Und mit dem Schlägel, den ihm Duban nachgetragen,
(So nennt der Fremde sich) muß er in stetem Jagen
Den schweren Ball so lange schlagen,
Bis ihm der Schweiß aus allen Poren bricht.

"Der Talisman hat seine Pflicht
Für heut gethan, spricht Duban: unverzüglich
Ins Bad nunmehr! und, seyd ihr da genüßlich
Gewaschen und frottirt, dann flugs ins Bett und deckt
Euch doppelt zu und schlaft, bis Euch der Imam weckt."
Den nächsten Tag wird's eben so getrieben.
Der Schlägel dünkt den Schach schon minder schwer,
Und lustiger das Spiel, als Tags vorher;
Er schlägt den Ball mit immer kräft'gern Hieben,
Schwitzt wieder, geht ins Bad, wird tüchtig abgerieben,
und schläft die Nacht durch wie ein Bär.
Mit jedem Tage wächst sein Glauben und Belieben
An Dubans Talisman; und wie die heil'ge Sieben
Vollendet ist, fühlt er am achten früh,
Nach Dubans Worte, sich so munter, wie
Er kaum in seinen ersten Hosen
Gewesen war — so blühend und so frisch,
Als hätten für Cytherens Bett und Tisch
Die Grazien mit lauter jungen Rosen
Ihn aufgefüttert — rein wie Lilien auf der Flur,
Stark wie der Behemoth, gerade wie ein Kegel,
Von Aussatz nirgends eine Spur!
Mit einem Wort — der Mailleschlägel
Hat große Ehre von der Cur.
Doch diese (wie's in solchen Fällen
Zu gehen pflegt) kommt lediglich
Auf Dubans Rechnung. Schach, vor Freuden außer sich,
Herzt, küßt und drückt den Mann, daß ihm die Ohren gellen,

Weiß nicht, woher er Worte nehmen soll, Und gibt just nichts, weil er, des Danks zu voll, Gleich Alles geben möcht'. Indessen, Wenn Duban Ehre geizt, so kann er dießmal sich Bis zur Genüge dran erletzen. Er muß, da Lolo feierlich Den ganzen Hof tractirt, sich ihm zur Seite setzen; Ihm wird ein Kaftan umgethan Von purem Gold- und Silberlahn, Und nah' an Lolo's eignem Zimmer Eins eingeräumt, das kaum vor Schönheit und vor Schimmer Bewohnbar ist. Er hat sogar ins Schlafgemach Den Zutritt, kommt dem holden Schach Den ganzen Tag nicht von der Seiten, Muß in den Divan ihn begleiten, Muß mit ihm jagen, mit ihm reiten, Wohin es geht, muß Duban mit; Kurz, Duban ist der Favorit; Und Ohr in Ohr wird stark davon geflüstert, Der Großwessir sey seinem Falle nah. Daß Dubans Gunst ihn wenigstens verdüstert, War, was bei Hofe selbst der Hundewärter sah.

Der Großwessir, der in der Kabbala
Sehr viel gethan, war nicht der Letzte, der es sah.
Das ist, der sich an Dubans Stelle setzte,
Und dessen Sinnesart nach seiner eignen schätzte.
Denn Duban freilich war zu ehrlich und zu klug
Zu solcher Politik, und, höher aufzufliegen,

Als ihn just jetzt die Luft und seine Schnellkraft trug, War ihm noch nie zu Kopf gestiegen. Doch Rukh, der Großwessir, ein Mann, Der seinen Posten scharf bewachte, Genaue Rechnung hielt, fein Facit täglich machte Und, was ein Anderer gewann, Sich als Verlust in Ausgab brachte, Ein solcher Mann ist nicht pro forma Großwessir. Natürlich gab es ihm kein sonderlich Vergnügen, Daß Duban so im Sturm des Sultans Gunst erstiegen; Und also bat er sich durch die geheime Thür Gehör bei Lolo aus. In allen seinen Zügen War Unruh, gleich als graute ihm vor dem, Was ihm die Pflicht nicht zuließ zu verhehlen.

Herr, spricht er, bei erhabnen Seelen
Muß mit der Güte stets die Weisheit sich vermählen.
Das alte Sprichwort: Trau, schau, wem,
Läßt Königen sich nicht genug empfehlen.
Wer hätte je so weit im Argwohn ausgeschweift,
Daß dieser fremde Unbekannte,
Den deine Majestät mit Gnaden überhäuft,
Und der, dem Anschein nach, von heißerm Eifer brannte,
Als Alle, deren Treu der längste Dienst bewährt,
Wer hätte den Verdacht genährt,
Daß dieser Mann, den du so hoch geehrt,
Ihm dein Vertraun, dein ganzes Herz gegeben,
Mit dem du offner als mit einem Bruder bist,
Ein schändlicher Verräther ist,

(Mit Schaudern sag' ich's) bloß nach deinem theuren Leben Zu trachten und in dir nach unser Aller Leben, An deinen Hof gekommen ist?

Wie? (spricht der Schach) Wessir! du wagst es, so zu lästern
Den Mann, den Lolo liebt? Verwegner, traust du mir
Die Schwachheit zu, zu glauben, was ich dir
Und einer ganzen Welt nie glauben werde?
"Lästern?
Versetzt ganz ruhig der Wessir:
Kennt deine Majestät mich etwan erst seit gestern?"
O! kennen? —ruft der Schach: da fehlt's nicht! Haben Zeit
Dazu gehabt! — Cabale, Mißgunst, Neid!
Es wäre viel davon zu sprechen —
Daß ich ihn liebe, ist sein einziges Verbrechen!
Allein ihr irit euch stark. Gleich diesen Augenblick
Will ich ihn dreimal höher heben,
Ihm viermal mehr Geschenke geben,
Und wenn ihr Alle die Kolik
Davon bekämet! Das, das eben,
Daß ihr ihn haßt, das macht bei mir sein Glück.
"Herr, wenn du willst, wer darf dir widerstreben?
Erwiedert Rukh: du hast zu thun, was recht
Dir däucht. Verkenn' in deinem alten Knecht
Den treuen Freund — ich muß mich drein ergeben.
Doch hier ist die Gefahr nicht mein!
Hier muß ich meine Stimm' erheben,
Herr, oder ein Verräther seyn!
Ein bloßes Schwert hängt über deinem Leben;

An einem Haare schwebt's — und schweben Sollt' ich es sehn und schweigen? Nein! Hier ist mein Haupt, ich leg's zu deinen Füßen: Laß, wenn's Verbrechen ist, dir zu getreu zu seyn, Laß mich's mit meinem Leben büßen; Nur leide daß der letzte Hauch, Der mir entflieht, dich warne vor der Schlange, Die du im Busen wärmst!"

Dem Heuchler glüht die Wange,
Indem er's spricht. Der Schach, nach seinem Brauch,
Wenn etwas ihn bestürzt, schlägt sich mit beiden Händen
Vor seinen königlichen Bauch.
Wie? spricht er, sollte mich mein böser Geist verblenden?
Und Duban sollte fähig seyn —
Mein Freund? mein Retter? nach dem Leben
Mir stellen? — Guter Rukh, dein Eifer täuscht dich! Nein!
Ich glaub' es nimmermehr! Ihm hab' ich ja dieß Leben
Zu danken — wem, als ihm allein?
Wenn er mir's rauben will, wozu mir's wieder geben?
Er konnte, wenn er nur an meinem Uebel mich
Verderben ließ, sich einen Mord ersparen!
Wessir, du bist mir treu, ich weiß es, bist erfahren
Und kennst die Welt; doch dießmal sicherlich
Betrügst du dich!
"O Herr, erwiedert Rukh, wie sollte mich's nicht schmerzen,
Mit diesem königlichen Herzen,
So argwohnlos, so gut! — betrogen dich zu sehn?
O! eben dieß verdoppelt das Vergehn

Des Mannes, der, so nah' an deinem Herzen, Des schwarzen Anschlags fähig ist! Der durch den Anschein, sich verdient gemacht zu haben, Erst dein Vertrauen stiehlt, mit Gaben Sich überschütten läßt, um, wenn du, keiner List Gewärtig, bei verschloss'nen Thüren Einst unbeschützt in seinen Händen bist, Um so viel sicherer den Mörderstoß zu führen!"

Bei diesen Worten fährt dem Schach
Ein kalter Schauder übern Rücken;
Er sieht den falschen Freund mit Dolchen in den Blicken
Sich schleichen in sein Schlafgemach
Und fühlt den Stahl schon zwischen seinen Rippen.
Was ist zu thun, ruft er mit blassen Lippen,
Was räthst du mir?
Zwar, glauben kann ich's nicht —und doch besorg' ich schier —
Wer kann ins Herz des Menschen schauen?
Dem Besten, wie du sagst, ist nicht zu viel zu trauen.
Ein Mensch kann sich verstellen, das ist klar,
Und Duban — ist ein Mensch! — Ich denke,
Das Beste ist, wir machen ihm Geschenke
Und schicken ihn zurück nach seinem Kandahar?
"Zurück ihn schicken, und Geschenke
Noch oben drein? — Nein, Herr! (erwiedert Rukh,
Der, wie er seinen Schach bereit sieht nachzugeben,
Nur einen einz'gen frischen Druck
Noch röthig hat) — Herr! läge nicht dein Leben
Hier auf dem Spiel, so sagt' ich nichts dazu.

Doch, deine Sicherheit und deiner Völker Ruh Zu wagen, bloß um einen Mann zu schonen, Der, wie ich sicher weiß, dir nach dem Leben steht, Und ihn dafür noch zu belohnen, Daß ihm sein Streich mißlang — das geht Zu weit! Ein Uebermaß von Güte Wird Schwachheit, Herr! — Auch ich bin zum Verzeihn Geneigt; doch dieses Mal müßt's ein Verräther seyn, Der deiner Hoheit nicht zum Weg der Strenge riethe." Was meinst du denn, versetzt der theure Schach, Was ist zu thun?

"Den Kopf ihm vor die Füße legen!"
In diesem Stück, spricht Lolo, bin ich schwach,
Ich sag' es frei: es sträubt sich was dagegen
In meinem Herzen —
"Wie? hat er nicht siebenfach
Den Tod verdient? Wenn's auch nur Argwohn wäre;
In solchen Fällen hat ein Sandkorn Centnerschwere.
Ist etwa deine Sicherheit
Nicht werth, mit eines Sklaven Leben
Erkauft zu seyn? Es ist die höchste Zeit;
Die Stunde Frist, die wir ihm geben,
Kann deine letzte Stunde seyn!"
Wessir, ich gebe mich,
Ruft der erschreckte Schach: du siehst in solchen Dingen
Gewöhnlich richtiger, als ich.
Befiehl, ihn stracks herbei zu bringen!
Mein Duban kommt mit ruhigem Gesicht,

Bückt nach Gebrauch sich an des Thrones Stufen Und steht erwartend da.

Kannst du errathen, spricht
Der Schach zu ihm, warum Wir dich berufen?
"Nein, Herr, das kann ich nicht."
So will ich dir's in wenig Worten sagen:
Es ist — den Kopf dir abzuschlagen.
"Den Kopf mir abzuschlagen, Herr?
Wie? bist du nicht geheilt? Was hätt' ich denn verbrochen?
Du scherzest, wie ich seh."
Verkappter Lucifer,
Das hilft dir nichts! Dein Urtheil ist gesprochen!
Wir kennen nun den Schalk, der dir im Busen steckt.
Verräther! Alles ist entdeckt!
Daß meine Feinde dich bestochen,
Daß du ein Bube bist — der bloß
Mein Arzt und trauter Freund geworden,
Um auf der Freundschaft sicherm Schoß
Mich desto sichrer zu ermorden!
Trug war auf deinem Mund', in deinem Herzen Mord!
Drum nieder auf die Knie, und nichts von leeren, kahlen
Entschuldigungen! Fort!
Dein Kopf soll mir dafür bezahlen!
Bind't ihm die Augen zu, und nicht ein einzig's Wort!
Der gute Duban steht als wie vom Blitz getroffen.
Er sieht, daß ihm der Neid dieß Wetter angeschürt.
Doch wie entfliehn? Wo ist ein Ausweg offen?
Die Unschuld eben ist's, was ihm den Kopf verliert.

Den Schach kennt er zu gut, um viel von ihm zu hoffen. Zum Unglück hat er den nur äußerlich curirt; Dem innern unheilbaren Schaden, Dem hilft kein Schwitzen und kein Baden!

Das Einz'ge, was ihm bleibt ist, auf Gerathewohl
Des Sultans Menschlichkeit durch Flehen zu erregen.
Er thut's nach äußerstem Vermögen;
Allein das Herz, an das er schlägt, ist hohl,
Schach Lolo ist nicht zu bewegen.
Jetzt soll man sehn, ob ich so wankelmüthig bin,
Als wie die Leute immer sagen,
Denkt Lolo bei sich selbst; fast könnt' ich ihn beklagen —
Allein ich halte fest. — Fort! (ruft er) kniee hin,
Du flehst umsonst!
"Nun, bist du so entschlossen,
So werde denn unschuldig Blut vergossen!
Nur eine Bitte, Herr, wollst, eh' ich sterben muß,
Aus Königsmilde mir gewähren!
Gib eine Stunde nur mir Aufschub, heimzukehren,
Den Meinigen den letzten Abschiedskuß
Zu geben und, was ich verlassen muß,
Das Wenige, noch unter sie zu theilen.
Es wird nicht lange mich verweilen.
Das Meiste sind, ich muß gestehn,
Nur Bücher; aber, die in guter Hand zu sehn,
Liegt mir nicht wenig
Am Herzen — Eins voraus, das man mit Recht den König
Der Bücher nennt und werth, daß Niemand als ein König

Sein Erbe sey." — Was ist denn dran So Sonderlichs? fragt Lolo. — "Großer Khan, Es ist der Nachlaß eines Weisen, Der über hundert Jahre dran Gesammelt hat, die Frucht von großen Reisen Und tiefem Forschen der Natur. Das ganze Buch hat zwanzig Blätter nur; Allein auf jedem Blatt den Schlüssel Zu einem Wunderding. Zum Beispiel: im Moment, Worin das Schwert mein Haupt vom Rumpfe trennt, Werd' es in eine goldne Schüssel, Die auf dieß Wunderbuch gestellt wird, aufgefaßt; So wirst du, Herr, ein Wunder sehen, Wie du noch keins gesehen hast. Mein Blut wird plötzlich still in jeder Ader stehen, Und in der Schüssel wird im gleichen Augenblick Mein Kopf sich von sich selbst erheben Und dir auf jedes Fragestück Laut und vernehmlich Antwort geben, Das du, mein gnad'ger Herr und Fürst, Ihm aus dem achten Blatt des Buches vorzulegen Fürstmildiglich geruhen wirst."

Das wäre! ruft der Schach. Nun, dieses Wunders wegen
Sey denn noch eine Stunde Frist
In Gnaden dir geschenkt! Die Wache soll zur Seiten
Ihm gehn und ihn zurückbegleiten;
Und daß er ja das Buch mir nicht vergißt!
Mein Duban betet an zur Erde

Und wird hinweg geführt. Und überall Bei Hof und in der Stadt erschallt des Günstlings Fall, Und daß bei seinem Tod sich was ereignen werde, Was noch kein Mensch gesehn. Der große Divanssaal Wallt wie ein See von Menschen ohne Zahl, Die alle vor Begierde brennen, Das große Wunder auch zu sehn; Man hätte durch den Saal, so dichte wie sie stehn, Auf lauter Köpfen gehen können. (Um — nichts zu sehn, Läßt sich kein besser Mittel denken) Auch ist kein Herz, das nicht von Mitleid überfließt Mit Dubans Fall und doch in großen Aengsten ist, Der Schach möcht' ihm das Leben schenken.

Der Seiger schlägt. Mein Duban, wohl bewacht,
Wird mit dem Schlag' herbei gebracht.
Die Wache macht ihm Platz. Die goldne Flügelthüre
Fährt auf; das ganze Vorgemach
Ergießt sich in den Saal; dann Emirn und Wessire,
Und dann ein Zwischenraum, und dann zuletzt der Schach,
Von Rukh, der diese Lust bereitet,
Und von dem Oberhaupt der Hämmlinge begleitet.
Der Schach besteigt den Thron, und Duban, züchtiglich,
Doch ohne Furcht, tritt zwischen vier Trabanten,
Mit einem mächt'gen Folianten
Im Arme, hin zum Thron, bückt bis zur Erde sich,
Legt dann das Buch am Fuß des Thrones nieder
Und wiederholt, was er dem Schach davon

Bereits gesagt. Drauf wird zu Werk geschritten. Ein scharlachrothes Tuch deckt mitten Im Saal des Bodens goldne Pracht, Der Kreis um Duban her wird räumiger gemacht, Der Henker zückt das Werkzeug kalter Schrecken, Und seitwärts steht ein Sklave mit dem Becken.

Der Duban war im Grund' ein guter Tropf,
Und, minder um sich selbst den Kopf
Zu sparen, als dem Schach die Qual zu später Reue,
Kniet er noch einmal hin und schwört ihm seine Treue
Und Unschuld, bittet, fleht sogar
Mit heißen Thränen. — Alles war
Umsonst! — "Dein Kopf, mein Freund, muß fliegen!
Und wär' es auch nur ums Vergnügen,
Zu hören, was er sagen kann,
Wenn er herunter ist." — Nun gut, so sey es dann!
Spricht Duban, löst gelassen seinen Kragen
Vom Halse, schließt die Augen als ein Mann,
Und — ritsch! ist ihm das Haupt herab geschlagen.
Das goldne Becken faßt, auf Dubans Buch gestellt,
Den Kopf, sowie er blutend fällt,
Im Fallen auf. Stracks hört er auf zu bluten,
Der Rumpf bleibt stehn, als wär' ihm nichts gethan,
Und, gegen aller Welt Vermuthen,
Hebt sich der Kopf und fängt zu reden an:
"Nun, Herr der Welt, wenn du's mit einer Frage
Versuchen willst und hören, was darauf
Ein Kopf zu sagen hat; so schlage

Das achte Blatt des Wunderbuches auf; Auf dessen linker Seite stehn Drei Fragen oder vier in großen goldnen Lettern."

Schach Lolo spricht: Wir wollen sehn!
Man reicht das Buch ihm hin, und er beginnt zu blättern.
"Setzt, ruft der Kopf, wenn ihr so gut seyn wollt,
Mich, während daß er sucht, auf meinen Rumpf und bindet
Den Faden von gedrehtem Gold,
Den ihr in meiner Tasche findet,
Mir um den Hals." —
Der Sultan, um zu sehn,
Was noch draus werden soll, läßt Alles gern geschehn
Und blättert, während man den goldnen Faden bindet,
Auf seinen Thron zurück gelehnt,
In Dubans Buch. Nun hatte Lolo, neben
Mehr Unmanieren, auch sich diese angewöhnt,
Daß er, so oft ein Blatt in einem Buch zu heben
Und umzuwenden war, bei jedem einzeln Blatt
Den Finger erst an seiner Zunge netzte,
Bevor er ans Parier ihn setzte.
Da nun die Blätter etwas glatt
Und klebrig waren, schien's hier um so mehr vonnöthen.
So schlägt er nach und nach, den Finger stets am Mund,
Bis auf das achte um, beguckt es ernstlich rund
Herum und ist gar mächtiglich betreten,
Zu sehen, daß darauf nicht eine Sylbe stund.
Da ist ja nichts! — "Nur ein paar Blätter weiter
Ruft Dubans Kopf, der nun ganz frei und heiter

Auf seinem Rumpfe stand: ich habe mich am Blatt Geirret, scheint's."

Schach Lolo blättert weiter;
Doch, eh' er drei noch umgeschlagen hat,
Ist schon das Gift, das er von jedem Blatt
Mit feuchtem Finger seiner Zungen
Unwissend mitgetheilt, ihm bis ins Herz gedrungen.
Ein wilder Schmerz fährt zuckend wie ein Blitz
Durch sein Gebein, ihm schwindelt's im Gehirne,
Und dunkel wird's um seine kalte Stirne.
Er stürzt herab vom goldnen Sitz'
Und liegt in Zuckungen und ringet mit dem Tode.
Wohlan, (ruft Dubans Kopf, der nun in seinen Rumpf
Sich wieder eingesenkt) du nickende Pagode!
Am Herzen kalt, an Sinnen stumpf,
Hab's an dir selbst! Ich bin an deinem Tode
Unschuldiger, als du. — Doch spotten deines Falls
Kann Duban nicht. — Als ich um meinen Hals
Zum letzten Male dir mit heißen Thränen flehte,
War's Menschlichkeit, was mich dazu betrog:
Dein böser Dämon überwog;
Nun kommt die Reu' — und die Moral zu späte.
Bei diesem Wort' entfuhr dem armen Schach
Der letzte Hauch; betäubt von Schrecken, rannen
Die Emirn aus dem Saal, das Volk den Emirn nach,
und Duban ging — mit seinem Kopf von dannen.
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