C. M. Wieland's Werke.
Zehnter Band.
Schach Lolo.
Regiert — darin stimmt Alles überein — Regiert muß einmal nun die liebe Menschheit seyn, Das ist gewiß! Allein — Qao Jure? und von wem? In diesen beiden Problemen sehen wir die Welt sich oft entzwein; Und schon zur Zeit der blinden Heiden (Als noch, was Rechtens sey, sich Krantor und Chrysipp Nach ewigen Gesetzen zu entscheiden Vermaßen) fand der Sohn des listigen Philipp, "Man komme kürzer weg, den Knoten zu zerschneiden." Gewöhnlich fing man damit an, Was Pyrrhus, Cäsar, Mithridates Und Muhammed und Gengiskhan Und Mancher, der nicht gern genannt ist, auch gethan: "Sich vörderst in Besitz zu setzen." Das Recht schleppt dann, so gut es kann, Sich hinter drein: das sind Subtilitates. Woran (man gönnt es ihnen gern) Die knasterbärtigen Doctoren sich ergetzen. Das Jus Divinum, liebe Herrn, |
"Ja, (sagt ihr) aber daß ein Schach, Ein Narr, ein Kind, ein Nero, ein Caligel, Ein Elagabalus die Zügel Des Schicksals führen soll?" — Und warum nicht? Regiert Nicht eine Windsbraut oft und rührt In einen garst'gen Brei die liebe Welt zusammen, Setzt euch in einem Hui das größte Schloß in Flammen, Bricht Dämme durch, spült manchen schönen Ort Mit Jung' und Alten weg, reißt Ufer, Wälder fort? Und Alles das unleugbar — Jure Divino, liebe Herrn! Die Sach' ist sonnenklar. So wird die Welt regiert, und eine ganze Fuhre Von Syllogismen macht's nicht mehr noch minder wahr. Jetzt habt ihr Sonnenschein und schöne warme Tage, Wie ihr gewünscht; doch nur ein paar Zu viel, so wird der Sonnenschein zur Plage, Wie jüngst der Regen war, auf dessen Guß ihr nun Mit Schmerzen harrt. Euch immer recht zu thun, Ist schwer. Allein die Welt — die dreht in ihrem Kreise Sich unbekümmert fort, und der, der mitten drin Unsichtbar thront und einen großen Sinn Fürs Ganze hat, regiert's nach seiner Weise Der winzigste Deunculus |
"Die Red' ist, sprecht ihr, wie es sollte, Nicht, wie es ist —" So? — Wie es sollt'? — Ihr also wißt Es besser? So, so sollt' es — wenn es wollte! Allein es will nun nicht! — All der Ideenkram Der Weltenflicker, sagt, was hat er je gebessert? Verschoben hat er viel! und wessen ist die Scham? "Es sollte" —Nein, ihr Herrn! Verkleinert und vergrößert Nur nicht, was ist, in eurer Phantasie, So ist's just recht; und euch erspart's die Müh, Dem lieben Gott in seine Kunst zu pfuschen. Es geht ja manchmal wohl ein wenig conterbunt Und garstig zu auf diesem Erdenrund, Das läßt sich freilich nicht vertuschen; Allein dann geht's just, wie es kann; Und dafür ist gesorgt, daß doch nichts überwieget, Daß ungestraft nicht leicht ein Mann Sein liebes Selbst an Bösethun vergnüget, Nicht ungestraft ein Schalk — ein Flegel — ist, Nicht ungestraft ein Schach, nicht ungestraft ein Nero. Das Maß, womit das Schicksal wieder mißt, Ist immer billig. — Schwimmt die liebeskranke Hero, In trüber Nacht, bei oft bewölktem Mond, . |
"O, denkt ihr, nur zu hart wird ein verstohlner Zug Aus Amors Lustkelch so gerochen! Die armen Liebenden! So schwer bestraft zu seyn, |
O, nicht doch! Lästert nicht, indem ihr sie beklagt, Des Schicksals Billigkeit! Es hat für alles Leiden Sie ja voraus bezahlt! Sind's etwa kleine Freuden, Für die ein junger Mann so rasch sein Leben wagt? Und rechnet ihr für nichts, daß, ihn zu überleben Verachtend, Hero, treu dem schönen Liebesbund, Sich zur Gefährtin ihm ins Todtenreich gegeben? Für nichts, mit ihm zu sterben Mund auf Mund Und Arm in Arm mit dem geliebten Gatten Hinab zu gehn ins stille Land der Schatten? |
Erkennet denn: das irdische Geschlecht Murrt ohne Grund; die Götter sind gerecht Und lassen, wo ihr Plan das Uebel nicht verhütet, Kein Unrecht unbestraft, kein Leiden unvergütet. |
Ein jedes Ding in dieser Unterwelt Ist niemals, was es scheint —und scheint, nachdem ihr's stellt; Ist klein von fern, wird großer, wie ihr's näher Beschaut, und, wie sich's gegen euch verhält, Bald gut, bald schlimm. Der wahre Seher Ist, der sich auf den rechten Standpunkt stellt. Das hält oft schwer! Gesunde Augen Erfordert's auch; denn (wie ein Weiser spricht) Wenn diese nichts an einem Manne taugen, So helfen ihm zehn Sonnen nicht. |
Doch über dem Philosophiren (Das doch, Gott weiß! so wenig nützt) verlieren |
Der Meinung bin ich nicht. Mir däucht, just umgekehrt Das Volk stets seines Schachs, der Schach des Volkes werth Und schwerlich wird ein einzig Beispiel fehlen. Die Titus und die Marc-Aurelen, Die waren allenfalls für ihre Zeit zu gut: Allein ein Claudius, mit seiner feinen Brut Von Weibern und von Favoriten, Ein Aureng-Zeb, ein Schach-Riar, Die wurden just so zugeschnitten, Wie ihre Zeit sie würdig war. |
Der beste Schach ist freilich, wenn wir billig Im Urtheil sind, nur zu gewiß Persona miserabilis. Zuerst so gut, so fromm, so willig, Es recht zu machen! — Ging es schief, Nun, so vergriff er sich; er griff zu hoch, zu tief, Gemeint war's recht. Allein da hebt man Aug' und Hände Und klatscht und jubilirt, als hätt' ein Gockelhahn Ein Ei gelegt. Daß nur ein einz'ger Danischmende Mit guter Art dem Herrchen auf den Zahn Zu fühlen wagte! — So gewöhnt er sich daran Und nimmt das Schmeichlerlob am Ende, Wie Jupiter den Weihrauch, an. |
Zum Unglück, wenn er meint, er habe was gethan, Kommt ein Wessir und stellt das Ding behende So auf den Kopf, daß just von seinem Plan Das Gegentheil erfolgt: und er, in seiner Blende, Er nimmt darüber gar noch Complimente an. So füllen nach und nach sich ganze dicke Bande Mit Thaten, die er — nicht gethan; Und ihm wird weiß gemacht, es stände In Fama's Namenbuch der seine obenan. |
Nun, sagt mir, wenn ein Schach von Weibern und Castraten Sein Leben lang gegängelt wie ein Kind, Es müde wird und doch die Kraft nicht in sich find't, Allein zu gehn, und läßt sich nun — von Jedem rathen, Weil Alle ihm verdächtig sind; Wenn er, in seinem ganzen Leben Vom füßeleckenden verräthrischen Geschmeiß Raubgier'ger Masken stets belagert und umgeben, Den Biedermann zuletzt nicht mehr zu finden weiß Und, fänd' er ihn, den Mann nicht zu ertragen Vermag; im Weihrauchdampf, worin man ihn erstickt, Nicht Menschen mehr, Vampyren nur erblickt, Die an ihm saugen und ihn nagen; Wenn endlich gar, als läg' ein schweres Interdict Auf seiner Burg, die Guten sich nicht wagen, Ihm mehr zu nahn; und nun der arme Schach, Zum Nero nicht zu weise, nur zu schwach, Durch Nichtsthun, Furcht, der Wahrheit nachzufragen, Unschlüssigkeit, Mißtrauen, Wankelmuth |
Gewiß, dem Schach gebührt noch viel heraus! Daß manchmal auch dabei ein braver Mann gelitten Und leiden wird, das bleibt wohl unbestritten. Doch sorget nicht: Den führt aus jedem Strauß Sein Genius gewiß heraus; Und, wer dabei am Schlimmsten fähret, Ist doch zuletzt der Schach, — wie Lolo's Beispiel lehret. |
Schach Lolo, erstgeborner Sohn Des Firmaments, Oheim von Sonn' und Mon, Herr im Zodiakus, des großen Bären Vetter, Gebieter über Wind und Wetter Et caetera, — regierte, wie man's heißt, Im großen Scheschian. Kein sonderlicher Geist! Die reine Wahrheit zu gestehen, Er überließ das Werk den Göttern und den Feen; Und wenn's nicht desto besser ging, War's etwa seine Schuld? — Von seiner Art zu leben Euch einen Schattenriß zu geben, Nehmt einen Tag; denn, wie er den beging, So ging es Tag für Tag in seinem ganzen Leben. |
Es war das echte Quasi-Leben Der Götter Epikurs. — Nachdem er Nachts zuvor, Allmählich eingelullt von süßen Sängerinnen, Den letzten Dienst erschlaffter Sinnen In Strömen süßen Weins verlor; Und, matt und welk, wie ein zerknicktes Rohr, Nun zwischen zwei Tschirkassierinnen Die er, (damit sie doch zu etwas brauchbar sind, Zu Polster braucht) das alte Wiegenkind Entschlummert ist und, ohne sich zu regen, Die Nacht durch weintodt da gelegen: |
Schach Lolo streckt sich, gähnt, bohrt in der Nase, dreht Die Augen und so fort — kurz, steht ein wenig dummer Als gestern auf, verrichtet sein Gebet, Wird abgewaschen, angezogen, Beräuchert, nimmt sein Frühstück, geht In seinen Divan — wo, sobald die goldne Thüre In ihren Angeln knarrt, die Emirn und Wessire (Als Erdgeschöpfe, die den Glanz der Majestät Mit bloßen Augen nicht ertragen) An seines Thrones Fuß die Sklavenstirnen schlagen. Der Großwessir verrichtet nun sein Amt, Und Lolo, der indeß mit hohen Augenbrauen Im Staate sitzt und sich mit Betelkauen Die Zeit vertreibt, begnadigt und verdammt, So wie sich's trifft, die Bösen und die Frommen. |
Indessen wird's Mittag. Die Kämmerlinge kommen; Es öffnet sich zum hohen Göttermahl' Ein augenblendender gewölbter Speisesaal. Das Mahl (um kurz zu seyn) wird reichlich eingenommen Und nun passirt mein Schach in einen zweiten Saal, Noch größer, herrlicher und schimmernder, als jener, Wo, zum Verdauungswerk bestimmt, Ein weicher Lehnstuhl ihn in seine Arme nimmt. Zwei Chöre Nymphen, eine schöner Als wie die andre, weiß und rund Von Armen, blau von Aug' und schwarz von Augenwimpern, |
Es öffnet sich ein dritter Saal, Illuminirt mit Lampen ohne Zahl, Wo lauter Ambra brennt. Erscheinen abermal Im Luftgewand von rosenrother Seide Zwei Reihen Töchterchen der Freude, Die zum Empfang des Herrn die Kehlen schon gewetzt; Und unter einem Thron, der, wie aus Sonnenstrahlen Gewebt, durch seinen Glanz die Augen schier verletzt, Ein goldner Tisch mit sieben großen Schalen Von Japans reichstem Thon besetzt, Wo, schöner als ein Maler sie zu malen Im Stand' ist, Früchte aller Art Hoch aufgethürmt Geruch und Aug' ergetzen; Nur keinem Schach! Jedoch weil seine Gegenwart Hier Pflicht des Thrones ist, geruht er sich zu setzen, Nachdem zuvor zwei Nymphchen, schön und zart, Die Glatze und den Knebelbart Ihm eingesalbt. Die Scene zu veredeln, |
Indessen nun die Chöre wechselsweis Des großen Lolo Ruhm und Preis Mit Sang und Klang den Wänden vorerzählen, Läßt sich mein Schach (der wohl von allen Menschenseelen Am wenigsten von seinen Thaten weiß) Laut gähnend einen Apfel schälen Und wartet in Geduld, bis endlich abermal Die Stunde schlägt, die in den vierten Saal Ihn rufen wird. Sie schlägt, und —laßt euch's nicht verdrießen! Es öffnet sich der liebe vierte Saal, Wohin wir ihm schon werden folgen müssen. |
Daß Alles drin entsetzlich glänzt und gleißt, Und wieder Räucherpfannen brennen, Und, wie sich hinter ihm die goldne Pforte schleußt, Ein neues Nymphenchor ihm stracks die Zähne weist, Ist, was wir leicht vermuthen können. Ein neuer Polsterthron, ein neuer Tisch, besetzt Mit Allem, was den Gaum zum Trinken wetzt, Und dann, die Kehle wohl zu baden, Ein Schenktisch, reich von zwanzig Sorten Wein, Stehn links und rechts in vollem Glanz' und laden Den Schach zum letzten Act des Monodrama's ein. Sechs Nymphen, schlank wie Oreaden, |
Bei solcher Lebensart, was Wunder, Wenn ihn zuletzt, wie die Geschichte sagt, Vom Haupt zu Fuß Aegyptens Aussatz plagt! Wohl freilich ist an Seel' und Leib gesunder Der Mann, dem Arbeit Zeitvertreib, Und Nothdurft Wollust ist; der, wenn er spät vom Acker Zur Hütte kehrt, zwar müde, doch noch wacker, An rauhem Brod und seinem braunen Weib Sich auf des Morgens Arbeit labet! Was hilft es nun dem Schach, der unter einem Thron Von goldnem Stoffe, wie Sanct Job sich schabet, Was hilft ihm, daß er Sonn' und Mon Zu Neffen hat, staubleckende Wessire Zu Sklaven, Weiber von Kaschmire Zum Unterpfühl? Was hilft ihm Sang und Saitenspiel Und all der. Kitzel stumpfer Sinnen Und all sein Nymphenheer und seine Tänzerinnen? Umsonst ist seiner Aerzte Müh, Sein schwarzes Blut durch Sauren zu verdünnen. |
Von ungefähr (wie meistens alles Gute) Kam, da es just am schlimmsten stand, Ein Fremdling an aus einem fernen Land'; Ein Mann, dem Ansehn nach von stillem ernsten Muthe, Und der (das sieht der Wirth ihm flugs am Nasloch an) Ein wenig mehr als fünfe zählen kann. Zufällig hört der Fremde von dem Jammer Des armen Herrn. Er sagt dazu kein Wort. Nach einer Weile geht er fort In seine Kammer. Was er darin gemacht, ist unbekannt; Er schob den Riegel vor und ließ den Vorhang nieder. Genug, er kam mit etwas in der Hand, Das einem Schlägel glich, in einer Stunde wieder. Laß mich zum Sultan führen, Freund! Spricht er zum Wirth. —"Das ist so leicht nicht, als es scheint; Ihr werdet schwerlich angenommen —" Sag' ihm, es sey ein fremder Arzt gekommen, |
Wie Lolo diese Botschaft hört, Denkt er: Es ist der Probe werth, Der Mensch hat doch dabei nicht wenig zu verlieren; Und er befiehlt, ihn vorzuführen. |
Der Fremde kommt — ein feiner langer Mann Mit schwarzem Bart' und einer Art von Nase, Die Lolo just am besten leiden kann. "Herr, spricht der fremde Mann, ich blase Nicht gern mich selber aus: genug, die Facultät Hat deiner Heilung sich verziehen. Ich heile nicht mit Pillen, Kräuterbrühen, Noch Rindermehl! allein, wenn deine Majestät Sich mir vertrauen will, soll binnen sieben Tagen Dein ganzer Leib so frisch und rein Wie eine Maienrose seyn: Wo nicht, so werde mir der Schädel abgeschlagen!" |
Mein Schach antwortet ihm und spricht: Daß du mit deinem eignen Leben Assecuriren sollst, was Andre aufgegeben, Das wollen Wir, beim Allah! nicht. Doch leiste, was du mir zu hoffen Befiehlst, und sey der Zweit' in meinem Reich! Mit Lolo's Herzen steh zugleich Sein Hof, sein Schatz, sein Harem selbst dir offen! Verdoppelt gleich mein Dank den höchsten Flug, |
"Herr, spricht der Arzt, an deiner Dankbarkeit Zu zweifeln, wär' ein Majestätsverbrechen: Allein davon ist's immer Zeit, Wenn du genesen bist, zu sprechen. Das Mittel dieser Wundercur Wird, wie gesagt, nicht innerlich genommen; Es geht von außen her und durch die Poren nur Ins Blut; doch muß es selbst vorher in Schwingung kommen. Groß sind die Wunder der Natur! Dieß, ich gesteh' es, ist ganz außerhalb der Regel; Mit einem Wort: es steckt in diesem Schlägel." |
In diesem Schlägel? ruft der Schach von Scheschian, Und vor Erstaunen bleibt der Mund ihm offen stehen. |
"In diesem Schlägel, Herr! Du wirst die Wirkung sehen. Natürlich ist ein Talisman Dabei im Spiel — genug, in sieben Tagen! Und daß wir keine Zeit verlieren, führe man Des Sultans Leibpferd her, um nach der Maillebahn Stracks Seine Hoheit hinzutragen." |
Gesagt, gethan! Schach Lolo langt an Ort und Stelle an, Und mit dem Schlägel, den ihm Duban nachgetragen, (So nennt der Fremde sich) muß er in stetem Jagen Den schweren Ball so lange schlagen, Bis ihm der Schweiß aus allen Poren bricht. |
"Der Talisman hat seine Pflicht Für heut gethan, spricht Duban: unverzüglich Ins Bad nunmehr! und, seyd ihr da genüßlich Gewaschen und frottirt, dann flugs ins Bett und deckt Euch doppelt zu und schlaft, bis Euch der Imam weckt." |
Den nächsten Tag wird's eben so getrieben. Der Schlägel dünkt den Schach schon minder schwer, Und lustiger das Spiel, als Tags vorher; Er schlägt den Ball mit immer kräft'gern Hieben, Schwitzt wieder, geht ins Bad, wird tüchtig abgerieben, und schläft die Nacht durch wie ein Bär. Mit jedem Tage wächst sein Glauben und Belieben An Dubans Talisman; und wie die heil'ge Sieben Vollendet ist, fühlt er am achten früh, Nach Dubans Worte, sich so munter, wie Er kaum in seinen ersten Hosen Gewesen war — so blühend und so frisch, Als hätten für Cytherens Bett und Tisch Die Grazien mit lauter jungen Rosen Ihn aufgefüttert — rein wie Lilien auf der Flur, Stark wie der Behemoth, gerade wie ein Kegel, Von Aussatz nirgends eine Spur! Mit einem Wort — der Mailleschlägel Hat große Ehre von der Cur. |
Doch diese (wie's in solchen Fällen Zu gehen pflegt) kommt lediglich Auf Dubans Rechnung. Schach, vor Freuden außer sich, Herzt, küßt und drückt den Mann, daß ihm die Ohren gellen, |
Der Großwessir, der in der Kabbala Sehr viel gethan, war nicht der Letzte, der es sah. Das ist, der sich an Dubans Stelle setzte, Und dessen Sinnesart nach seiner eignen schätzte. Denn Duban freilich war zu ehrlich und zu klug Zu solcher Politik, und, höher aufzufliegen, |
Herr, spricht er, bei erhabnen Seelen Muß mit der Güte stets die Weisheit sich vermählen. Das alte Sprichwort: Trau, schau, wem, Läßt Königen sich nicht genug empfehlen. Wer hätte je so weit im Argwohn ausgeschweift, Daß dieser fremde Unbekannte, Den deine Majestät mit Gnaden überhäuft, Und der, dem Anschein nach, von heißerm Eifer brannte, Als Alle, deren Treu der längste Dienst bewährt, Wer hätte den Verdacht genährt, Daß dieser Mann, den du so hoch geehrt, Ihm dein Vertraun, dein ganzes Herz gegeben, Mit dem du offner als mit einem Bruder bist, Ein schändlicher Verräther ist, |
Wie? (spricht der Schach) Wessir! du wagst es, so zu lästern Den Mann, den Lolo liebt? Verwegner, traust du mir Die Schwachheit zu, zu glauben, was ich dir Und einer ganzen Welt nie glauben werde? |
"Lästern? |
Versetzt ganz ruhig der Wessir: Kennt deine Majestät mich etwan erst seit gestern?" |
O! kennen? —ruft der Schach: da fehlt's nicht! Haben Zeit Dazu gehabt! — Cabale, Mißgunst, Neid! Es wäre viel davon zu sprechen — Daß ich ihn liebe, ist sein einziges Verbrechen! Allein ihr irit euch stark. Gleich diesen Augenblick Will ich ihn dreimal höher heben, Ihm viermal mehr Geschenke geben, Und wenn ihr Alle die Kolik Davon bekämet! Das, das eben, Daß ihr ihn haßt, das macht bei mir sein Glück. |
"Herr, wenn du willst, wer darf dir widerstreben? Erwiedert Rukh: du hast zu thun, was recht Dir däucht. Verkenn' in deinem alten Knecht Den treuen Freund — ich muß mich drein ergeben. Doch hier ist die Gefahr nicht mein! Hier muß ich meine Stimm' erheben, Herr, oder ein Verräther seyn! Ein bloßes Schwert hängt über deinem Leben; |
Dem Heuchler glüht die Wange, |
Indem er's spricht. Der Schach, nach seinem Brauch, Wenn etwas ihn bestürzt, schlägt sich mit beiden Händen Vor seinen königlichen Bauch. Wie? spricht er, sollte mich mein böser Geist verblenden? Und Duban sollte fähig seyn — Mein Freund? mein Retter? nach dem Leben Mir stellen? — Guter Rukh, dein Eifer täuscht dich! Nein! Ich glaub' es nimmermehr! Ihm hab' ich ja dieß Leben Zu danken — wem, als ihm allein? Wenn er mir's rauben will, wozu mir's wieder geben? Er konnte, wenn er nur an meinem Uebel mich Verderben ließ, sich einen Mord ersparen! Wessir, du bist mir treu, ich weiß es, bist erfahren Und kennst die Welt; doch dießmal sicherlich Betrügst du dich! |
"O Herr, erwiedert Rukh, wie sollte mich's nicht schmerzen, Mit diesem königlichen Herzen, So argwohnlos, so gut! — betrogen dich zu sehn? O! eben dieß verdoppelt das Vergehn |
Bei diesen Worten fährt dem Schach Ein kalter Schauder übern Rücken; Er sieht den falschen Freund mit Dolchen in den Blicken Sich schleichen in sein Schlafgemach Und fühlt den Stahl schon zwischen seinen Rippen. Was ist zu thun, ruft er mit blassen Lippen, Was räthst du mir? Zwar, glauben kann ich's nicht —und doch besorg' ich schier — Wer kann ins Herz des Menschen schauen? Dem Besten, wie du sagst, ist nicht zu viel zu trauen. Ein Mensch kann sich verstellen, das ist klar, Und Duban — ist ein Mensch! — Ich denke, Das Beste ist, wir machen ihm Geschenke Und schicken ihn zurück nach seinem Kandahar? |
"Zurück ihn schicken, und Geschenke Noch oben drein? — Nein, Herr! (erwiedert Rukh, Der, wie er seinen Schach bereit sieht nachzugeben, Nur einen einz'gen frischen Druck Noch röthig hat) — Herr! läge nicht dein Leben Hier auf dem Spiel, so sagt' ich nichts dazu. |
"Den Kopf ihm vor die Füße legen!" |
In diesem Stück, spricht Lolo, bin ich schwach, Ich sag' es frei: es sträubt sich was dagegen In meinem Herzen — |
"Wie? hat er nicht siebenfach |
Den Tod verdient? Wenn's auch nur Argwohn wäre; In solchen Fällen hat ein Sandkorn Centnerschwere. Ist etwa deine Sicherheit Nicht werth, mit eines Sklaven Leben Erkauft zu seyn? Es ist die höchste Zeit; Die Stunde Frist, die wir ihm geben, Kann deine letzte Stunde seyn!" |
Wessir, ich gebe mich, |
Ruft der erschreckte Schach: du siehst in solchen Dingen Gewöhnlich richtiger, als ich. Befiehl, ihn stracks herbei zu bringen! |
Mein Duban kommt mit ruhigem Gesicht, |
Kannst du errathen, spricht |
Der Schach zu ihm, warum Wir dich berufen? "Nein, Herr, das kann ich nicht." So will ich dir's in wenig Worten sagen: Es ist — den Kopf dir abzuschlagen. |
"Den Kopf mir abzuschlagen, Herr? Wie? bist du nicht geheilt? Was hätt' ich denn verbrochen? Du scherzest, wie ich seh." |
Verkappter Lucifer, Das hilft dir nichts! Dein Urtheil ist gesprochen! Wir kennen nun den Schalk, der dir im Busen steckt. Verräther! Alles ist entdeckt! Daß meine Feinde dich bestochen, Daß du ein Bube bist — der bloß Mein Arzt und trauter Freund geworden, Um auf der Freundschaft sicherm Schoß Mich desto sichrer zu ermorden! Trug war auf deinem Mund', in deinem Herzen Mord! Drum nieder auf die Knie, und nichts von leeren, kahlen Entschuldigungen! Fort! Dein Kopf soll mir dafür bezahlen! Bind't ihm die Augen zu, und nicht ein einzig's Wort! |
Der gute Duban steht als wie vom Blitz getroffen. Er sieht, daß ihm der Neid dieß Wetter angeschürt. Doch wie entfliehn? Wo ist ein Ausweg offen? Die Unschuld eben ist's, was ihm den Kopf verliert. |
Das Einz'ge, was ihm bleibt ist, auf Gerathewohl Des Sultans Menschlichkeit durch Flehen zu erregen. Er thut's nach äußerstem Vermögen; Allein das Herz, an das er schlägt, ist hohl, Schach Lolo ist nicht zu bewegen. Jetzt soll man sehn, ob ich so wankelmüthig bin, Als wie die Leute immer sagen, Denkt Lolo bei sich selbst; fast könnt' ich ihn beklagen — Allein ich halte fest. — Fort! (ruft er) kniee hin, Du flehst umsonst! |
"Nun, bist du so entschlossen, |
So werde denn unschuldig Blut vergossen! Nur eine Bitte, Herr, wollst, eh' ich sterben muß, Aus Königsmilde mir gewähren! Gib eine Stunde nur mir Aufschub, heimzukehren, Den Meinigen den letzten Abschiedskuß Zu geben und, was ich verlassen muß, Das Wenige, noch unter sie zu theilen. Es wird nicht lange mich verweilen. Das Meiste sind, ich muß gestehn, Nur Bücher; aber, die in guter Hand zu sehn, Liegt mir nicht wenig Am Herzen — Eins voraus, das man mit Recht den König Der Bücher nennt und werth, daß Niemand als ein König |
Das wäre! ruft der Schach. Nun, dieses Wunders wegen Sey denn noch eine Stunde Frist In Gnaden dir geschenkt! Die Wache soll zur Seiten Ihm gehn und ihn zurückbegleiten; Und daß er ja das Buch mir nicht vergißt! |
Mein Duban betet an zur Erde |
Der Seiger schlägt. Mein Duban, wohl bewacht, Wird mit dem Schlag' herbei gebracht. Die Wache macht ihm Platz. Die goldne Flügelthüre Fährt auf; das ganze Vorgemach Ergießt sich in den Saal; dann Emirn und Wessire, Und dann ein Zwischenraum, und dann zuletzt der Schach, Von Rukh, der diese Lust bereitet, Und von dem Oberhaupt der Hämmlinge begleitet. Der Schach besteigt den Thron, und Duban, züchtiglich, Doch ohne Furcht, tritt zwischen vier Trabanten, Mit einem mächt'gen Folianten Im Arme, hin zum Thron, bückt bis zur Erde sich, Legt dann das Buch am Fuß des Thrones nieder Und wiederholt, was er dem Schach davon |
Der Duban war im Grund' ein guter Tropf, Und, minder um sich selbst den Kopf Zu sparen, als dem Schach die Qual zu später Reue, Kniet er noch einmal hin und schwört ihm seine Treue Und Unschuld, bittet, fleht sogar Mit heißen Thränen. — Alles war Umsonst! — "Dein Kopf, mein Freund, muß fliegen! Und wär' es auch nur ums Vergnügen, Zu hören, was er sagen kann, Wenn er herunter ist." — Nun gut, so sey es dann! Spricht Duban, löst gelassen seinen Kragen Vom Halse, schließt die Augen als ein Mann, Und — ritsch! ist ihm das Haupt herab geschlagen. |
Das goldne Becken faßt, auf Dubans Buch gestellt, Den Kopf, sowie er blutend fällt, Im Fallen auf. Stracks hört er auf zu bluten, Der Rumpf bleibt stehn, als wär' ihm nichts gethan, Und, gegen aller Welt Vermuthen, Hebt sich der Kopf und fängt zu reden an: "Nun, Herr der Welt, wenn du's mit einer Frage Versuchen willst und hören, was darauf Ein Kopf zu sagen hat; so schlage |
Schach Lolo spricht: Wir wollen sehn! Man reicht das Buch ihm hin, und er beginnt zu blättern. "Setzt, ruft der Kopf, wenn ihr so gut seyn wollt, Mich, während daß er sucht, auf meinen Rumpf und bindet Den Faden von gedrehtem Gold, Den ihr in meiner Tasche findet, Mir um den Hals." — |
Der Sultan, um zu sehn, |
Was noch draus werden soll, läßt Alles gern geschehn Und blättert, während man den goldnen Faden bindet, Auf seinen Thron zurück gelehnt, In Dubans Buch. Nun hatte Lolo, neben Mehr Unmanieren, auch sich diese angewöhnt, Daß er, so oft ein Blatt in einem Buch zu heben Und umzuwenden war, bei jedem einzeln Blatt Den Finger erst an seiner Zunge netzte, Bevor er ans Parier ihn setzte. Da nun die Blätter etwas glatt Und klebrig waren, schien's hier um so mehr vonnöthen. So schlägt er nach und nach, den Finger stets am Mund, Bis auf das achte um, beguckt es ernstlich rund Herum und ist gar mächtiglich betreten, Zu sehen, daß darauf nicht eine Sylbe stund. |
Da ist ja nichts! — "Nur ein paar Blätter weiter Ruft Dubans Kopf, der nun ganz frei und heiter |
Schach Lolo blättert weiter; |
Doch, eh' er drei noch umgeschlagen hat, Ist schon das Gift, das er von jedem Blatt Mit feuchtem Finger seiner Zungen Unwissend mitgetheilt, ihm bis ins Herz gedrungen. Ein wilder Schmerz fährt zuckend wie ein Blitz Durch sein Gebein, ihm schwindelt's im Gehirne, Und dunkel wird's um seine kalte Stirne. Er stürzt herab vom goldnen Sitz' Und liegt in Zuckungen und ringet mit dem Tode. Wohlan, (ruft Dubans Kopf, der nun in seinen Rumpf Sich wieder eingesenkt) du nickende Pagode! Am Herzen kalt, an Sinnen stumpf, Hab's an dir selbst! Ich bin an deinem Tode Unschuldiger, als du. — Doch spotten deines Falls Kann Duban nicht. — Als ich um meinen Hals Zum letzten Male dir mit heißen Thränen flehte, War's Menschlichkeit, was mich dazu betrog: Dein böser Dämon überwog; Nun kommt die Reu' — und die Moral zu späte. |
Bei diesem Wort' entfuhr dem armen Schach Der letzte Hauch; betäubt von Schrecken, rannen Die Emirn aus dem Saal, das Volk den Emirn nach, und Duban ging — mit seinem Kopf von dannen. |