C. M. Wieland's Werke.
Zehnter Band.
Achtes Buch.
Nun setzt den Fall, ihr läget, allein, Um Mitternacht, auf eurem Lager Und wiegtet euch bei Mondesschein Mit schlafbefördernden Bildern ein; Auf ein Mal träte bleich und hager Ein langer weißer Geist herein; Mit Leichentüchern über und über Behangen, setzte sich gegenüber Und starrte aus hohlen Augen voll Glut, Die Zähne fletschend, zu euch herüber: Wie wär' euch wohl dabei zu Muth? Ich wett', euch würde mächtig bange Ums Herz! allein gewißlich lange So bang' als unserm Helden nicht, Wie er auf ein Mal, sich nichts versehend, Je länger je lieber vor seinem Gesicht' In ihrer ganzen Größe stehend Erblickt. — Und gleichwohl zeigte sie sich Nichts weniger als gespensterlich. Kein Engel hätt' in einer mildern, Holdern, gefälligern Gestalt Erscheinen können. Sie war — "Halt! halt! |
Des Ritters Lage bei Allem dem War weder sicher noch bequem. Im plötzlichen Aufruhr' aller Sinnen Was kann er sagen, was beginnen? Vermeiden wollt' er die Zaubergestalt, Aus seinem Herzen mit Gewalt Sie reißen, und sollt' es dran verbluten! Dieß hatt' er noch vor wenig Minuten Geschworen. Was konnt' ihm Aergers geschehn, Als dieser Nothzwang, sie zu sehn? |
Sein erster Gedank' auch jetzt war — Fliehen, Fliehn, wie der keusche Joseph dort |
"Du kannst mich fliehen?" |
War Alles, was sie selbst vor Schmerz Zu sagen vermochte. |
Ein Dolch ins Herz |
Ist ihm der Ton, womit sie's sagte; Ihm brechen die Knie, er sinkt betäubt An einem Stuhl zu Boden — bleibt Wohl eine halbe Viertelstunde So liegen — lüftet dann und wann Die Augen nach ihr, will reden und kann Nicht reden, ihm stockt die Luft im Munde; Indeß die Dame, ihr Haupt gestützt Auf beide Arme und über die Stirne Die Hände verschränkt, am Fenster sitzt Und schweigt. — Sein einzig Hoffen ist Ist, daß sie grimmig auf ihn zürne. Allein er hört sie von Zeit zu Zeit Erseufzen, mit solcher Zärtlichkeit, Daß tausend Nadeln sein Herz durchstechen. Zuletzt — um es ihm gar zu brechen — Scheint, wie im Drang der Liebe dahin Gezogen, sich eine von ihren Händen, Als suchte sie ihn, nach ihm zu wenden. |
Dieß war zu viel für Gandalin! Auf rafft er sich, im heftigsten Sturme Der Leidenschaft, wirft neben sie Sich nieder, verbirgt auf ihrem Knie Sein weinend Auge, hätte zum Wurme Verschrumpfen mögen, um sein Vergehn Und was sie durch ihn leiden müssen, Im Staube zertreten, abzubüßen. |
Die Dame schien zu ihren Füßen Mit Wonnegefühl ihn liegen zu sehn. "Ist's möglich? rief sie in Entzücken, Er liebt mich? Seine Lippen drücken Den Schwur der Liebe, das heil'ge Pfand Der ewigen Treu', auf meine Hand? Mein ist das Recht, ihn zu beglücken, Sein Herz mein Königreich, mein Thron, Mein Himmel! und keine Sonnemon Soll mir's entreißen?" — |
Mit was für Blicken |
Der Ritter beim Namen Sonnemon Zusammen fuhr; das ängstliche Zücken, Nicht anders als ob ein Skorpion Aus ihren Lippen in seinen Busen Gefahren wäre — das sollt' ein Mann Wie Ruben anders, als ich's kann, Euch malen, und wenn auch alle Musen Mir malen hälfen! — Ha, welch ein Wort, Unglückliche, (ruft er mit Ergrimmen |
Die Dame, statt vor Gift und Wuth (Wie ihr vermuthet) zu Boden zu sinken, Schien Alles dieß mit frohem Muth Wie Nektar in sich hinein zu trinken: Und wie sie glaubte, der erste Jast Sey ausgeschäumt, sprach sie mit süßen Geberden: "Gleich! zu meinen Füßen Nieder, und was du geläftert hast, Mir abgebeten! Das muß ich wissen, Ob du mich liebst! Dein innerster Sinn |
O du, |
Antwortet er ihr mit zitterndem Munde, Die Hände ringend — Du hast mich zu Grunde Gerichtet! weg ist meine Ruh' Auf ewig, und Schande und Verderben Mein Antheil. Laß mich, laß mich sterben! Ich kann in deinem Zauberbann Nicht dauern, du unnennbares Wesen! Wer bist du? Flieh, verschwind'! ich kann Dich nicht ertragen, nicht genesen, Wo du bist! Meine Lieb' ist Haß, Nicht Liebe; sie brennt wie Höllenfeuer In meinem Busen. Laß mich, laß Mich sterben! — Oder reiß den Schleier Von diesen Zauberaugen und laß Dich anschaun, und im ersten Blicke Verzehre mich! — |
Aus Furcht, er zücke |
Den Arm nach ihrem Schleier, wich Das Fräulein ein wenig erschreckt zurücke; Indessen sah man sichtbarlich, |
Dieß sagen und, ohne daß er das Wie Wahrnahm, aus seinen Augen schwinden, War Eins. Er suchte mit eifriger Müh' Oben und unten, vorn und hinten Im Hause — sie war nicht mehr zu finden. |
Nun denket, was für eine Nacht Der gute Ritter in solcher Lage So trostlos einsam, zugebracht! Es war die längste bitterste Nacht, Die je vor seinem Todestage Ein armer Sünder durchgewacht. Dem Manne, der mir Schaf' und Rinder Und Haus und Hof und Weib und Kinder Geraubt, geschändet und umgebracht Hätte, — ich wünscht' ihm weder Acht, |
Als nun die goldne Sonne wieder Zu scheinen begann, sprang Gandalin Von seinem Lager, so bleich und grün, Wie liebessieche Mädchen, und müder, Als hätt' er in einer Novembernacht In Regen und Sturm, durch tiefe Felder Und Sumpf und Moor und träufelnde Wälder, Sechs Meilen in einem Zug gemacht. |
Er öffnet ein Fenster, schlürft und sauget Den Sonnengeist in sich hinein, Der alle Leibes- und Seelenpein Unendlich mehr zu lindern tauget, Als Paracelsens Laudanum Und alle Essenzen, Elixire Und schwerzbetäubende Klystiere Im großen Dispensatorium; Ihm ist, als wehe im jungen Morgen Ein Gott ihn an, und seine Sorgen Verlieren im Ocean des Lichts Die Hälfte des drückenden Gewichts: |
So war er lange herum geirrt, Als er zuletzt, wie einem Traume Entwachend, in Sonnemons Park sich fand. Da warf er neben einem Baume Sich nieder, streckte Fuß und Hand Und lechzte, wie ein Fisch im Sand; Doch macht ihm das Gefühl Vergnügen, Auf Sonnemons Grund und Boden zu liegen. Allmählich, wie des Morgens früh' Halb geistige leichte Dunstgestalten Am röthlichen Himmel sich entfalten, Dämmern in seiner Phantasie Die Bilder auf von jenen Tagen Und Stunden der ersten süßen Plagen Der Liebe, da er in diesem Hain |
Ihm hatten die freundlichen Waldgötter Zwei Stunden sein gesenktes Haupt Auf ihren Schoß zu legen erlaubt, Als — eine Hand voll Rosenblätter, An seine Wangen mit leichter Hand Geworfen, ihn weckte. Sein Erstaunen, Da Sonnemon im Morgengewand, Reizend wie Flora, die langen braunen Locken halb mit einem Band Gefesselt, halb am weißen Nacken Hinwallend, mit hold erröthenden Backen Und lieblichen Blicken, vor ihm stand — Sein süßes Erschrecken, und was er empfand, Indem sie ihm ihre Grazienhand Zum Aufstehn reichte, — und sein Entzücken Und seine Angst — o Mutter Natur, Wie könnt' ich das Alles in Worte drücken? So eine Scene fühlt sich nur. |
Mit ungewöhnlicher Huld und Milde In ihrem Wesen, Blick und Ton, |
Dieß war zu viel! — Mit jedem Blick, Mit jedem Wort' ein feuriger Zwick In seine schuldbewußte Seele! Es war zu viel! — Wie grauer Duft Schwamm's ihm ums Aug'; er schnappte nach Luft, |
Was ist dir, rief sie: — Gandalin! Du weinst? Du ächzest? — Gandalin! Was ist dir? Rede! Woher dieß Zagen? |
"O, nichts mehr, Sonnemon! Ich kann, Du Engel, ich kann dich nicht ertragen, Nicht diesen Blick, nicht diesen Ton! O daß ich leben muß, zu sagen, Es dir zu sagen: Sonnemon, Du irrst dich: ich bin deiner Liebe Nicht werth! — und doch — o Gott der Liebe, Du weißt, wie bis ins dritte Jahr Jeder auch meiner geheimsten Triebe, Mein Wachen und Schlaf, ihr heilig war! Wie alle Reize der schönsten Gestalten Zurück von diesem Herzen prallten, Worin sie unverrückt gethront! Und wie ich bis zum zehnten Mond Des dritten Jahres ausgehalten. Armsel'ger Ruhm! was hilfst du mir? Ein Augenblick hat dich vernichtet! Und wie? — Du hieltest's für erdichtet, Wenn jeder Andre, als ich, es dir Erzählte." — |
Und nun begann er treulich |
Ihr Alles zu beichten, Stück für Stück, Wie's mit Je länger je lieber ihm neulich Ergangen, vom ersten Augenblick Bis zu der unverhofften Erscheinung Der gestrigen Nacht. |
Mit großer Ruh' |
Hört sie ihm bis zum Ende zu, Und: Soll ich (spricht sie) meine Meinung Dir sagen? — Du warst nie ungetreu Und bist es noch nicht, hast mich immer Geliebt, und Alles ist Feerei, Was dir mit diesem Frauenzimmer Begegnet ist. |
"Ach, könnt' ich hiervon |
Mich überzeugen! ruft der Ritter. Oft dacht' ich's auch — und täuschte mich Damit, Zumal, wenn sie zur Cither So lieblich sang; dann glaubt' ich dich Zu hören, und, ach! ihr gegenüber Empfand ich Alles, was ich für dich Empfinde — quälte mich selbst darüber, Verbannte, so bald ich von ihr ging, Ihr Bild aus meinem Herzen — und fing Gleich wieder Feuer, sowie ich wieder In ihren Zaubercirkel trat." |
Sehr abenteurlich in der That! (Rief Sonnemon, erröthend und nieder |
"Daß ich zu elend bin, |
Das Leben länger zu ertragen! Du Engel von Güte! was kann ich sagen? Noch schwebt sie mit zu stark im Sinn, Die gestrige Nacht — Ach! Ihr zu Füßen Lag ich, wie jetzt zu deinen hier, Wünschte die Liebe, die ich ihr Bekannte, mit meinem Blute zu büßen Und liebte sie doch! — und fühlte mich Mit Allmacht zu ihr hingezogen! — Ach, Sonnemon! ich habe dich, Und, ach! — mich hat mein Herz betrogen! Und nun, was bleibt mir übrig, als Zu sterben?" |
Das gute Fräulein konnte |
Sich kaum enthalten, ihm an den Hals Zu fallen, so mächtiglich begonnte Die Liebe für ihn in ihrer Brust Zu sprechen; doch hielt sie noch die Lust, Ihm, was sie fühlte, zu gestehen Zurück, und: Höre mich, sagte sie; |
"O! — (unterbricht er) nie |
Soll dieß mit meinem Willen geschehen!" |
Es soll! ich will's! (erwiederte sie) Das Zauberwesen muß vergehen! Ja, Gandalin, du sollst sie sehen Und mich dazu! — und wenn alsdann Dein Herz sich nicht entscheiden kann, So müßt' ich — nichts davon verstehen. |
Mit diesem Worte verließ sie ihn, Verräthrisch lächelnd, und — war verschwunden, Eh Gandalin von seinen Knien Sich zu erheben Kraft gefunden. Ihr Lächeln, und wie sie sich betrug Beim ganzen Handel, war Lichts genug: Allein ihm blieben die Augen gebunden. Verwirrter als je in seinem Sinn Kommt er nach Hause — irrt aus einem Zimmer ins andre — weiß in keinem, Was er gewollt — steht auf, sitzt hin, Wird ausgekämmt und angezogen, Setzt sich zu Tische, ißt und — weißt So wenig davon, als wäre sein Geist Zum Mann im Mond' hinaufgeflogen. Nie ward ihm, seit er Luft gesogen, Ein Abend so unerträglich lang; Bald hofft er von der Katastrophe |
"So machen Sie doch! Was soll das Zaudern? Herr Ritter! ich glaube gar, Sie schaudern? Ha, ha! nun merk' ich's! Sie wissen's schon? — Man möcht' uns gern die Volte schlagen. Die schöne Gräfin Sonnemon — Sie komme nur! hat nichts zu sagen! Sie wird an unserm Siegeswagen Gar stattlich ziehn! — Nur frisch gewagt, Herr Ritter, und sprecht, ich hab's gesagt: Sobald mein Fräulein Je länger je lieber Den Schleier fallen lassen wird, |
Der Ritter, ohne der Klappermühle Ein Ohr zu leihn, sieht, wie beim Spiele Ein Mann, der viel verloren hat Und nun versucht ist, auf ein Blatt Sein ganzes Hab' und Gut zu wagen. Tiefsinnig, in sich hinein gekehrt, Steht er im Zweifel — plötzlich fährt Er auf und denkt: Ich will es wagen! Ein einz'ger Augenblick voll Muth Macht alles Geschehene wieder gut. Ja, Sonnemon, ich will dich rächen! Die Stolze, die dir Hohn zu sprechen Vermeint — entschleiert soll sie stehn Und im Moment, wo sie zu siegen Gewiß ist — sich verworfen sehn! |
Ein schnell aufloderndes Vergnügen Blitzt über seine Wangen hin, Indem er Muth und festen Sinn Sich zutraut, diesen Sieg zu siegen. Er folget nun im großen Trab Der führenden Iris auf und ab, Durch unbekannte Winkelgassen, Die wenig Gutes vermuthen lassen; Auch half das Blendlaternchen mehr Zum Dunkelmachen als zum Leuchten. So ging's nun lange hin und her, |
"Viel Glücks! die Reis' ist nun vorbei," Spricht Iris, indem sie ein großes Zimmer Ihm öffnet und hinter ihm wieder schließt. |
Nun denket, da ein Strom von Schimmer Aus hundert Kerzen entgegen ihm schießt, Und vor ihm steht das nämliche Zimmer, Worin sich, nahe bei Paris Je länger je lieber zuerst ihm wies, Die Decke mit goldnen Körben, Früchten Und Blumen just wie dort staffirt, Und mit den nämlichen Bibelgeschichten Die Wände ringsum tapeziert, Und neben einem kleinen Tische Das nämliche Ruhbett' in der Nische, Und drauf im nämlichen Ueberzug Je länger je lieber mit ihrem Schleier; Nun, bitt' ich, denkt, ob unserm Freier Das Herz im Busen höher schlug? |
Er wurde so überrascht von allen |
Die Dame, nachdem sie ihm, sich zu fassen, Ein paar Minuten Zeit gelassen, Dankt ihm im sanftesten Liebeston Für diesen letzten Beweis von Achtung, Und daß er aus Liebe zu Sonnemon Doch wenigstens nicht mit kalter Verachtung Ein Herz, das ihm zu widerstehn Nicht Kraft gehabt, bestrafen wollen. |
"Ich will nicht klagen — nicht mein Vergehn Durch Bitten um Mitleid noch erhöhn: Du hättest in dein Herz zu sehn Mir eher vielleicht gestatten sollen, Mir sagen sollen mit guter Art, Es sey versagt — wer weiß, wir hätten Uns beide vielleicht viel Schmerz erspart! Ich hätte mich vielleicht noch retten Können! — Doch all dieß, Gandalin, Ist Schicksal; wir konnten ihm nicht entfliehn. Ich weiche — (sie sagte dieß mit immer Gerührterer Stimme) ich weiche der Noth Und täusche mich nicht! Ich seh's, kein Schimmer Von Hoffnung bleibt mir — als vom Tod. Du scheinst gerührt? — Dich zu betrüben, War nicht mein Wille; doch, laß noch dieß Mich sagen — den Trost, dich ewig zu lieben, |
Hier wird sie so von Empfindung gedrückt, Daß ihr die Rede im Mund erstickt. |
Ich hätte vielleicht dich lieben können? (Ruft Gandalin ängstlich, als ob sein Herz Zerspringen wollte vor Lieb' und Schmerz) O, könnt' ich diese Brust zerreißen Und in mein Herz dich schauen heißen! Ob ich dich liebe? Wie ängstigt mich Dieß grausame Zweifeln! Wohlan, so höre, Was ich zu deinen Füßen schwöre — Wiewohl ich nicht begreife, wie Dieß Alles möglich ist, und wie, Durch welche allmächtige Sympathie, Du mich bezaubert hältst — doch, höre, Was ich bei dieser Hand, die ich Hier fasse, bei jeder brennenden Zähre, Die auf sie fällt, gelob' und schwöre: Ich liebe Sonnemon und dich; Ihr beide herrscht in meiner Seelen, Als hätt' ich nur für euch allein Ein Herz, und zwischen euch zu wählen Wird ewig mir unmöglich seyn! |
So spricht er liegend auf seinen Knien, Und Thränen, wie glühende Tropfen, stürzen Auf ihre Hand. — Das Fräulein kann Nicht länger seine Qual zu kürzen Sich säumen. — "Du wunderbarer Mann! Und hättest du vor Sonnemons Ohren Uns beiden all dieß auch geschworen?" |
O! ruft er, wäre sie doch hier! |
"Da ist sie! — Siehe sie vor dir!" |
Und siehe! Mantel und Schleier wallen Von ihren Schultern — und — Sonnemon (O Lieb' um Liebe! o süßer Lohn Der schwersten Prüfung!) Sonnemon Läßt sich in seine Arme fallen! |