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Kapitel 

C. M. Wieland's Werke.

Fünfter Band.

Erstes Capitel.

Charakter der Syrakuser, des Dionysius und seines Hofes.

Aber, ehe wir unsern Helden selbst wieder auftreten lassen, wird es nöthig seyn, dem Leser sowohl den Schauplatz und die Zuschauer, auf welchem und für welche Agathon eine der merkwürdigsten Rollen spielen wird, als die Scene, und einige der vornehmsten Personen, die theils mit und neben ihm, theils gegen ihn agiren werden, so umständlich, als es zu unserer Absicht und zu besserm Verständniß seiner Geschichte nöthig ist, vorher bekannt zu machen.Syrakus, die alte Hauptstadt Siciliens, verdiente in vielerlei Betrachtungen den Namen eines zweiten Athen. Nichts kann ähnlicher seyn als der Charakter ihrer Einwohner, Beide waren im höchsten Grad eifersüchtig über eine Freiheit, in welcher sie sich niemals lange zu erhalten wußten, weil sie

Müßiggang und Lustbarkeiten immer noch mehr liebten als die Freiheit; auch muß man gestehen, daß sie ihnen, durch den schlechten Gebrauch den sie von ihr machten, mehr Schaden gethan hat als alle ihre Tyrannen. Die Syrakuser hatten, wie die Athener, das Genie der Künste und der Musen; sie waren lebhaft, sinnreich und zum spottenden Scherz aufgelegt; heftig und ungestüm in ihren Bewegungen, aber so unbeständig, daß sie in einem Zeitmaße von wenig Tagen vom äußersten Grade der Liebe zum äußersten Haß, und vom thätigsten Enthusiasmus zur kältesten Gleichgültigkeit übergehen konnten. Lauter Züge, durch welche sich, wie man weiß, auch die Athener vor allen andern Griechischen Völkern ausnahmen. Beide empörten sich mit eben soviel Leichtsinn gegen die gute Regierung eines einzigen Gewalthabers, als sie fähig waren, mit der niederträchtigsten Feigheit sich an das Joch des schlimmsten Tyrannen gewöhnen zu lassen. Beide kannten niemals ihr wahres Interesse, und kehrten ihre Stärke immer gegen sich selbst. Muthig und heroisch in der Widerwärtigkeit, allezeit übermüthig im Glück, und, gleich dem Aesopischen Hund im Nil, immer durch schimmernde Entwürfe verhindert, von ihren gegenwärtigen Vortheilen den rechten Gebrauch zu machen. Durch ihre Lage, Verfassung und den Geist der Handelschaft der Spartanischen Gleichheit unfähig, aber eben so ungeduldig, an einem Mitbürger große Vorzüge von Verdienst, Ansehn oder Reichthum zu ertragen. Daher immer mit sich selbst im Streit, immer von Parteien und Rotten zerrissen: bis, nach einem langwierigen umwechselnden Uebergang von Freiheit zu Sklaverei und von Sklaverei zu Freiheit, beide zuletzt die Fesseln der Römer

geduldig tragen lernten, und sich weislich mit der Ehre begnügten, Athen die Schule, Syrakus die Kornkammer dieser majestätischen Gebieterin des Erdbodens zu seyn.Nach einer Reihe von sogenannten Tyrannen (das ist, von Beherrschern, welche sich der einzelnen und willkürlichen Gewalt über den Staat bemächtiget hatten, ohne auf einen Beruf von den Bürgern zu warten) war Syrakus, und ein großer Theil Siciliens mit ihr, endlich in die Hände des Dionysius gefallen; und von diesem, nach einer langwierigen Regierung, unter welcher die Syrakuser gezeigt hatten, was sie zu leiden fähig seyen, seinem Sohne, Dionysius dem Zweiten, erblich zugekommen. Das Recht dieses jungen Menschen an die königliche Gewalt, deren er sich nach seines Vaters Tod anmaßte, war noch weniger als zweideutig; denn wie konnte ihm sein Vater ein Recht hinterlassen, das er selbst nicht hatte? Aber eine starke Leibwache, eine wohl befestigte Citadelle, und eine durch die Beraubung der reichsten Sicilier angefüllte Schatzkammer, ersetzten den Abgang eines Rechts, welches ohnehin alle seine Stärke von der Macht zieht, die es geltend machen muß, und eben darum dessen leicht entbehren kann. Hierzu kam noch, daß in einem Staate, worin der Geist der politischen Tugend schon erloschen ist, und gränzenlose Begierde nach Reichthümern, und nach der schmeichelhaften Freiheit alles zu thun was die Sinne gelüstet, die Oberhand gewonnen haben; daß, sage ich, in einem solchen Staat eine ausgelassene und allein auf Befriedigung ihrer Leidenschaften erpichte Jugend sich von der unumschränkten Regierung eines Einzigen ihrer Art unendlich mehr Vortheile verspricht, als von der Aristokratie, deren sich die Aeltesten und

Verdienstvollesten bemächtigen, oder von der Demokratie, worin man ein abhängiges und ungewisses Ansehen mit einer Menge Beschwerlichkeiten, Gefahren und Aufopferungen theurer erkaufen muß, als es sich der Mühe zu verlohnen scheint.Der junge Dionysius setzte sich also, durch einen Zusammenfluß günstiger Umstände, in den ruhigen Besitz der höchsten Gewalt zu Syrakus; und es ist leicht zu erachten, wie ein übel erzogner, vom Feuer seines Temperaments zu allen Ausschweifungen der Jugend hingerissener Prinz, unter einem Schwarme von schmeichelnden Höflingen, dieser Macht sich bedient haben werde. Ergötzungen, Gastmähler, Liebeshändel, Feste welche ganze Monate dauerten, kurz eine stete Berauschung von Schwelgerei, machten die Beschäftigungen eines Hofes von thörichten Jünglingen aus, welche nichts Angelegeneres hatten, als durch Erfindung neuer Wollüste sich in der Zuneigung ihres Prinzen festzusetzen, und ihn zu gleicher Zeit zu verhindern, jemals zu sich selbst zu kommen und den Abgrund gewahr zu werden, an dessen blumichtem Rand er sorglos herumtanzte.Man kennt die Staatsverwaltung wollüstiger Prinzen aus ältern und neuern Beispielen zu gut, als daß wir nöthig haben sollten, uns darüber auszubreiten. Was für eine Regierung ist von einem jungen Unbesonnenen zu erwarten, dessen Leben ein immerwährendes Bacchanal ist? Der, mit jeder großen Pflicht seines Berufs unbekannt, die Kräfte, die er zu ihrer Erfüllung anstrengen sollte, bei nächtlichen Schmäusen und in den Armen üppiger Buhlerinnen verzettelt? Der, unbekümmert um das Beste des Staats, sogar seinen Privatvortheil so wenig einsieht, daß er das wahre Verdienst, welches ihm

verdächtig ist, hasset, und Belohnungen an diejenigen verwendet, die, unter der Maske der eifrigsten Ergebenheit und gänzlicher Aufopferung, seine gefährlichsten Feinde sind? Von einem Prinzen, bei dem die wichtigsten Stellen auf die Empfehlung einer Tänzerin, oder der Sklaven die ihn aus- und ankleiden, vergeben werden? Der sich einbildet, daß ein Hofschranze, der gut tanzt, ein Nachtessen wohl anzuordnen weiß, und ein überwindendes Talent hat sich bei den Weibern in Gunst zu setzen, unfehlbar auch das Talent eines Ministers oder eines Feldherrn haben werde? oder, daß man zu allem in der Welttüchtig sey, sobald man die Gabe habe ihm zu gefallen? — Was ist von einer solchen Regierung zu erwarten, als Verachtung der Gesetze, Mißbrauch der Formalitäten der Gerechtigkeit, Gewaltsamkeiten, üble Haushaltung, Erpressungen, Geringschätzung und Unterdrückung der Tugend, allgemeine Verdorbenheit der Sitten? — Und was für eine Staatskunst wird da Platz haben, wo Leidenschaften, Launen, vorüberfahrende Anstöße von lächerlichem Ehrgeiz, wo die kindische Begierde von sich reden zu machen, die Convenienz eines Günstlings oder die Intriguen einer Maitresse, die Triebfedern der Staatsangelegenheiten, der Verbindung und Trennung mit auswärtigen Mächten, und des öffentlichen Betragens sind? Wo, ohne die wahren Vortheile des Staats oder seine Kräfte zu kennen, ohne Plan, ohne Abwägung und Verbindung der Mittel —Doch, wir gerathen unvermerkt in den Ton der Declamation, welcher bei einem längst erschöpften und doch so alltäglichen Stoffe nicht zu verzeihen wäre. Möchte niemand der dieß liest, gus der Erfahrung seines eignen Vaterlandes wissen, wie einem Volke mitgespielt

wird, welches das Unglück hat, der Willkür eines Dionysius Preis gegeben zu seyn!Man wird sich, nach allem was wir gesagt haben, diesen Fürsten als einen der schlimmsten Tyrannen, womit der Himmel jemals eine mit geheimen Verbrechen belastete Nation gegeißelt habe, vorstellen; und so schildern ihn auch die Geschichtschreiber. Allein, ein aus lauter schlimmen Eigenschaften zusammengesetzter Mensch ist ein Ungeheuer, das nicht existiren kann. Eben dieser Dionysius würde Fähigkeit genug gehabt haben ein guter Fürst zu werden, wenn er so glücklich gewesen wäre, zu seiner Bestimmung gebildet zu werden. Aber es fehlte so viel, daß er die Erziehung, die sich für einen Prinzen schickt, bekommen hätte, daß ihm nicht einmal diejenige zu Theil ward, die man jedem jungen Menschen von mittelmäßigem Stande gibt. Sein Vater, der feigherzigste Tyrann, den vielleicht die Geschichte kennt, ließ ihn, von aller guten Gesellschaft abgesondert, unter niedrigen Sklaven aufwachsen; und der präsumtive Thronfolger hatte kein anderes Mittel sich die lange Weile zu vertreiben, als daß er kleine Wagen, hölzerne Leuchter, Schemel und andere dergleichen Kunstwerke verfertigte. Man würde Unrecht haben, wenn man diese selbst gewählte Beschäftigung für einen Wink der Natur halten wollte; es war vielmehr der Mangel an Gegenständen und Modellen, welche dem angebornen Trieb aller Menschen, Witz und Hände zu beschäftigen, eine andere Richtung hätten geben können. Er würde eben so gut Verse gemacht haben, und vielleicht bessere als sein Vater (der unter andern Thorheiten auch die Wuth hatte, ein Poet seyn zu

wollen), wenn man ihm einen Homer in seine Zelle gegeben hätte. Wie manche Prinzen hat man gesehen, die mit der Anlage zu Augusten und Trajanen, aus Schuld derjenigen, die über ihre Erziehung gesetzt waren, oder durch die Unfähigkeit eines mit klösterlichen Vorurtheilen angefüllten Mönchs, dem sie auf Discretion überlassen wurden, in Neronen und Elogabalen ausgeartet sind!Eine genaue und ausführliche Entwicklung, wie dieses zugehe, und wie es unter gewissen gegebenen Umständen nicht anders möglich sey, als daß durch eine so fehlerhafte Veranstaltung das beste Naturell in ein moralisches Mißgeschöpf verzerrt werden müsse, wäre, wie uns däucht, ein sehr nützlicher Stoff, welchen wir der Bearbeitung irgend eines Mannes von Genie empfehlen, der bei philosophischen Einsichten hinlängliche Kenntniß der Welt besäße. Unsre aufgeklärten und verfeinerten Zeiten sind weder dieses noch jenes in so hohem Grade, daß ein solches Werk überflüssig seyn sollte; und wenn die Ausführung der Würde des Stoffes zusagte, so zweifeln wir nicht, daß es glücklich genug werden könnte, von mancher Provinz die lange Folge von Plagen abzuwenden, welche ihr vielleicht durch die fehlerhafte Erziehung ihrer noch ungebornen Beherrscher im nächsten Jahrhundert bevorstehen.