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C. M. Wieland's Werke.

Vierter Band.

Ueber das Historische im Agathon.

Wiewohl beim ersten Anblick Agathon weniger in die Classe des berühmten Fieldingischen Findlings (wie Einige gemeint haben) als in die Classe der Cyropädie des Xenophon zu gehören scheint, — mit dem Unterschiede jedoch, daß in dieser das Erdichtete in die historische Wahrheit, in jenem hingegen das Historisch-wahre in die Erdichtung eingewebt ist: so ist doch, von einer andern Seite, nicht zu läugnen, daß unser Held sich in einem sehr wesentlichen Stücke von dem Xenophontischen eben so weit entfernt, als er dem Fieldingischen näher kommt. Xenophon hatte (wenn wir einem Kenner von großem Ansehen glauben dürfen) die Absicht, in seinem Cyrus das Ideal eines vollkommnen Regenten aufzustellen, in welchem die Tugenden des besten Fürsten mit den angenehmen Eigenschaften des liebenswürdigsten Mannes vereinigt seyn sollten; oder, wie ein späterer Schriftsteller sagt, es war ihm weniger darum zu thun, den Cyrus zu schildern wie er gewesen war, als wie er hätte seyn sollen, um als

König ein Sokratischer Καλος χαι αγαδος zu seyn. Hingegen war die Absicht des Verfassers der Geschichte des Agathon nicht sowohl in seinem Helden ein Bild sittlicher Vollkommenheit zu entwerfen, als ihn so zu schildern, wie, vermöge der Gesetze der menschlichen Natur, ein Mann von seiner Sinnesart gewesen wäre, wenn er unter den vorausgesetzten Umständen wirklich gelebt hätte. In dieser Rücksicht hat er den Horazischen Vers: Quid Virtus et quid Sapientia possit, zum Motto seines Buches gewählt: nicht als ob er an Agathon hätte zeigen wollen, was Weisheit und Tugend an sich selbst sind, sondern, "wie weit es ein Sterblicher durch die Kräfte der Natur in beiden bringen könne; wie viel die äußerlichen Umstände an unsrer Art zu denken, an unsern guten Handlungen oder Vergehungen, an unsrer Weisheit oder Thorheit Antheil haben, und wie es, natürlicher Weise, nicht wohl möglich sey, anders als durch Erfahrung, Fehltritte, unermüdete Bearbeitung unsrer selbst, öftere Veränderungen in unsrer Art zu denken, hauptsächlich aber durch gute Beispiele und Verbindung mit weisen und guten Menschen, selbst ein weiser und guter Mensch zu werden." Und aus diesem Gesichtspunkte hoffet der Verfasser von den Kennern der menschlichen Natur das Zeugniß zu erhalten, daß sein Buch (ob es gleich in einem andern Sinn unter die Werke der Einbildungskraft gehört) des Namens einer Geschichte nicht unwürdig sey.

Da aber gleichwohl der Ort und die Zeit der Begebenheiten sowohl als verschiedene in dieselbe verflochtene Personen wirklich historisch sind: so hat man dem größern Theil der

Leser, die vielleicht in dem alten Gräcien niemals sehr bewandert gewesen, oder manches was sie davon wußten wieder vergessen haben, einen kleinen Dienst zu erweisen geglaubt, wenn man einige aus alten Schriftstellern gezogene Nachrichten voraus schickte, vermittelst welcher besagte Leser sich desto leichter in diese Geschichte hinein denken, und von der Uebereinstimmung des erdichteten Theils mit dem historischen richtiger urtheilen könnten.Um also zuvörderst die Zeit, in welcher diese Geschichte sich zugetragen haben soll, festzusetzen, so kann man ungefähr die fünf und neunzigste und hundert und zehnte Olympiade oder das dreihundert acht und neunzigste und dreihundert acht und dreißigste Jahr vor unsrer gemeinen Zeitrechnung als die beiden äußersten Punkte annehmen, in welche die Begebenheiten Agathons eingeschlossen sind. Erweislicher Maßen haben alle in dieselben eingeflochtene Personen innerhalb dieses Zeitraumes gelebt. Und dennoch wollen wir lieber offenherzig gestehen, als erwarten, bis es einem Gelehrten einfallen möchte uns dessen zu überweisen, daß es eine beinahe unmögliche Sache wäre, die Zeitrechnung im Agathon von einigen merklichen Abweichungen von der historischen frei zu sprechen. Die größte Schwierigkeit (wenn die Sache etwas zu bedeuten haben könnte) würde von dem Sophisten Hippias und der schönen Danae entstehen. Der erste war unstreitig ein Zeitgenosse des Sokrates; und da dieser in einem Alter von siebenzig im ersten Jahre der fünf und neunzigsten Olympiade getödtet wurde, Agathon aber, nach den Umständen, welche in seiner Geschichte angegeben werden, nicht wohl vor

der fünf und neunzigsten Olympiade hätte geboren werden können: so ließe sich ziemlich genau berechnen, daß in der hundert und zweiten (welches ungefähr die Zeit ist, worin Agathon und Hippias zusammen gekommen) dieser Sophist, wenn wir auch annehmen, daß er zwanzig Jahre jünger als Sokrates gewesen sey, entweder gar nicht mehr gelebt haben, oder wenigstens viel zu betagt gewesen seyn müßte, um die Schönen zu Smyrna im Bade zu besuchen. Bei Danae wird die nämliche Schwierigkeit noch beträchtlicher. Denn gesetzt auch, daß sie nicht über dreizehn Jahre gehabt habe, da sie mit dem Alcibiades bekannt wurde, der, wie man glaubt, im ersten Jahre der vier und neunzigsten Olympiade umkam: so müßte sie doch, als sie dem Agathon eine so außerordentliche Liebe einflößte, bereits eine Frau von fünfzig gewesen seyn. Es ist wahr, das Beispiel der schönen Lais, welche wenigstens eben so alt war, als sie die Unhöflichkeit hatte, dem großen Demosthenes zweitausend Thaler für einen Kuß abzufordern; das weit ältere Beispiel der schönen Helena, welche damals, da die alten Räthe des Königs Priamus durch die Magie ihrer Schönheit einen Augenblick lang in Jünglinge verwandelt wurden, sechzig volle Jahre zählte; das Beispiel der Flötenspielerin Lamia, welche den König Demetrius fesselte, wiewohl sie alt genug war seine Mutter zu seyn; und die neueren der Ninon Lenclos und der Marquise von Maintenon könnten mit gutem Fug zur Verminderung der Unwahrscheinlichkeit einer solchen Dichtung angeführt werden. Aber alle möglichen Beispiele dieser Art würden doch das Unschickliche derselben nicht vermindern; und das beste ist also,

den Leser zu ersuchen: daß er sich die schöne Danae, der Chronologie zu Trotz, nicht älter vorstelle, als man seyn muß, um ohne Wunder oder Zauberer noch einen Liebhaber zu haben wie Agathon war. Wenn wir bei der Dido des Virgil oder Metastasio ohne Mühe vergessen können, daß sie dreihundert Jahre nach dem frommen Aeneas, ihrem Verführer, erst geboren wurde: warum sollten wir uns nicht eben so leicht vorstellen können, daß Alcibiades einige Jahre später das Opfer seiner Feinde und seines unruhigen Geistes geworden sey, als uns die griechischen Geschichtschreiber, deren Zeitrechnung ohnehin äußerst verworren ist, berichtet haben?Von den verschiedenen Orten, wohin die Scene im Agathon verlegt wird, wird in diesem Werke immer nach den Begriffen gesprochen, welche die Alten davon haben. Die Gelehrten werden beim ersten Anblick in dem Tempel von Delphi, wo Agathon erzogen wurde, eben denselben Delphischen Tempel erkennen, den uns Euripides in seinem Ion, und Pausanias in seiner Beschreibung von Gracien schildert; in dem Syrakus, wo die Tugend des armen Agathon eine eben so starke Verdunkelung erlitt, als seine Weisheit zu Smyrna erlitten hatte, dasselbe Syrakus, welches uns Plutarch im Leben Dions und Timoleons, und Plato in einem seiner Briefe charakterisirt; und in dem Smyrna, welches Hippias und Danae aus allen andern griechischen Städten zum Aufenthalt erkoren, dieses Smyrna, von welchem auf den Oxfordischen Marmorn gesagt wird, daß es die schönste und glänzendste aller asiatischen Städte sey, und welches uns der Redner Aristides und der Sophist Philostratus als den

Sitz der Musen und der Grazien und aller Annehmlichkeiten des Lebens anpreisen. Eben dieß gilt auch von den Sitten, von dem Costume, und von allem, was Zeit, Völker und Personen unterscheidend bezeichnet. Die Athener, welche Agathon beschreibt, sind das nämliche Volk, welches wir aus dem Aristophanes, Xenophon, Demosthenes u. s. w. kennen; die Sophisten nicht viel besser als sie Plato (wiewohl selbst in seiner Art kaum weniger Sophist als jene in der ihrigen) in seinen Dialogen schildert. Lebensart, Ergötzungen, Beschäftigungen und Spiele, alles ist Griechisch, und das Unterscheidende der Griechen in Ionien von den Griechen in Achaja, und dieser von denen in Sicilien und Italien, ist überall mit kennbaren Zügen ausgedrückt, und dem Begriffe gemäß, den das Lesen der Alten in unserm Gemüthe davon zurück läßt — wiewohl zu der Zeit, da Agathon geschrieben wurde, der gelehrte und im alten Gräcien so ganz einheimische Abbé Barthelemy seinen jungen Anacharsis noch nicht hatte reisen lassen.Was die in dieser Geschichte vorkommenden Personen, und zwar fürs erste den Agathon selbst betrifft, so müssen wir unverhohlen gestehen, daß man ihn vergebens in irgend einem Geschichtschreiber suchen würde. Gleichwohl finden wir unter den Freunden des Sokrates einen Agathon, der einige Grundzüge zu dem Bilde unsers Helden hergegeben haben könnte.Dieser Agathon war, wie es scheint, aus einem guten Hause in Athen und einer der liebenswürdigsten Leute seiner Zeit. Plato, der von ihm als einem noch sehr jungen Manne

redet, schreibt ihm die schönste Gestalt und eine natürliche Anlage zu einem edeln und tugendhaften Charakter zu. Er that sich unter den dramatischen Dichtern der besten Zeit hervor, und es gereicht ihm zur Ehre, daß ein Kunstrichter, wie Aristoteles, ihn seines Lobes sowohl als seines Tadels gewürdiget hat. Der Vorwurf selbst, der ihm wegen seiner zu großen Neigung zu Gegensätzen gemacht wurde, beweiset seinen Ueberfluß an Witz; einen schönen Fehler, der ihn bei der guten Sinnesart, die man ihm beilegt, nur zu einem desto liebenswürdigern Gesellschafter machen mußte. Dieß ist es auch was Aristophanes, welcher selten rühmt und auch dieses Agathons nicht geschont hat, gleichwohl an ihm lobet; wobei einer seiner Scholiasten (vermuthlich um dieses Lob desto begreiflicher zu machen) anmerkt, daß der Dichter Agathon einen guten Tisch geführt habe. Als ein Beispiel davon pflegt man das berühmte Gastmahl anzuführen, welches er bei Gelegenheit eines Sieges gab, den er in einem öffentlichen Wettstreite der tragischen Dichter davon getragen, und von welchem Plato Gelegenheit zu einem seiner schönsten Dialogen genommen hat. Der Umstand, daß er einen Theil seines Lebens an dem Hofe des Königs Archelaus von Macedonien zugebracht, dem seine Liebe zu den schönen Künsten und die Achtung die er einem Euripides zu beweisen fähig war, einen Platz in dem Andenken der Nachwelt erworben hat, scheint den Beweis, daß dieser Agathon unter die schönen Geister des Sokratischen Jahrhunderts zu zählen sey, vollkommen zu machen; und alles dieß erhöht das Bedauern über den Verlust seiner Tragödien und Lustspiele, aus denen

nur wenige unbedeutende Fragmente bis zu uns gekommen sind.Wiewohl nun dieser historische Agathon einige Züge zu dem Charakter des erdichteten geliehen haben mag, so ist doch gewiß, daß der Verfasser das eigentliche Modell zu dem letztern in dem Ion des Euripides gefunden hat. Beide wachsen unter den Lorbern des Delphischen Gottes in gänzlicher Unwissenheit ihrer Abkunft auf; beide gleichen sich an körperlicher und geistiger Schönheit; die nämliche Empfindsamkeit, dasselbe Feuer der Einbildung, dieselbe schöne Schwärmerei, bezeichnet den einen und den andern. Es würde zu weitläuftig seyn, die Aehnlichkeit umständlich zu beweisen; genug daß wir den jungen Freunden der Litteratur einen Fingerzeig gegeben haben, wofern sie die nähere Vergleichung selbst vornehmen wollen. Der Verfasser des Agathon hatte in seinen jüngern Jahren den Euripides vorzüglich aus dem Gesichtspunkt und in der Absicht studirt, woraus und womit junge Künstler den Laokoon, die Gruppe der Niobe, den Vaticanischen Apollo, die Mediceische Venus und andere Werke der höchsten Kunst studiren sollten. — und er hat sich, ob er gleich kein Euripides geworden ist, nicht übel dabei befunden.Auch von der schönen Danae finden wir nicht bloß in der poetischen Welt, sondern unter den griechischen Schönen von derjenigen Classe, die unter dem unmittelbaren Schutze der Liebesgöttin standen, eine Art von Gegenbild gleiches Namens, Leontium, berühmt durch ihre Freundschaft für den Philosophen Epikur, und durch die Aehnlichkeit, welche St. Evremond zwischen ihr und seiner Freundin Ninon Lenclos

fand, war die Mutter dieser historischen Danae, welche (nach dem Berichte des Athenäus) die Profession ihrer Mutter mit so gutem Erfolge trieb, daß sie zuletzt die Beischläferin eines gewissen Sophron, Statthalters von Ephesus, und die Vertraute der berüchtigten Königin Laodice von Syrien wurde. Doch weder dieser Umstand, noch dasjenige, was der angezogene Autor von ihrem tragischen Tod erzählt, scheint hinlänglich, ihr die Ehre (wofern es eine ist) zuzuwenden, das Modell der liebenswürdigen Verführerin unsers Helden gewesen zu seyn. Wichtiger werden wir es in der schönen Glycera, welche Alciphron so reizende Briefe an ihren geliebten Menander schreiben läßt, und in einigen, mit der wollüstigsten Schwärmerei der Liebe ausgemalten Schilderungen finden, welche den ersten, zweiten, zwölften und sechs und zwanzigsten der Briefe, oder vielmehr Erzählungen, die dem Aristänet zugeschrieben werden, auszeichnen.Bei dem Sophisten Hippias sind die Nachrichten zum Grunde gelegt worden, welche man im Plato, Cicero, Philostratus und andern alten Schriftstellern von ihm antrifft; aber sein Aufenthalt in Smyrna, und was dahin gehört, ist vermuthlich eine bloße Erdichtung; wenigstens finden sich dazu keine historischen Zeugen. Dieser Hippias war von Elis, einer Stadt in einer im Peloponnesus gelesenen Provinz gleiches Namens, gebürtig. Er war ein Zeitgenosse des Protagoras, Prodikus, Gorgias, Theodorus von Byzanz, und anderer berühmter Sophisten des Sokratischen Jahrhunderts, und that sich durch seine Beredsamkeit und Geschicklichkeit in Geschäften so

sehr hervor, daß er, häufiger als irgend ein anderer seinesgleichen, in Gesandtschaften und Unterhandlungen gebraucht wurde. Da er überdieß, nach dem Beispiele des Gorgias, seine Kunst um Geld lehrte: so brachte er ein Vermögen zusammen, welches ihn in den Stand setzte, die prächtige und wollüstige Lebensart auszuhalten, die man ihn im Agathon führen läßt. In der That, wenn man sagen kann, daß es jemals Leute gegeben habe, welche das Geheimniß besaßen, Materien von wenigem Werth in Gold zu verwandeln, so läßt es sich von den Sophisten sagen; und Hippias wußte sich desselben so gut zu bedienen, daß er, seiner eigenen Versicherung nach, mehr damit gewann, als zwei andere von seiner Profession zusammen genommen.Ueberhaupt wurden die Sophisten in der Zeit, wovon hier die Rede ist, für Leute gehalten, die alles wußten. Der vorerwähnte Gorgias soll der erste gewesen seyn, der so viel Zuversicht zu sich selbst oder vielmehr eine so geringe Meinung von seinen Zuhörern hegte, daß er einst bei den olympischen Spielen die ganze griechische Nation herausgefordert haben soll, ihm welche Materie sie wollten zu einer Rede aus dem Stegreif aufzugeben. Eine Prahlerei, die damals für einen vollständigen Beweis einer ganz außerordentlichen Geschicklichkeit galt, und dem Redekünstler Gorgias nichts Geringer's als eine Bildsäule von gediegenem Golde im Delphischen Tempel erwarb; in der Folge aber etwas so Gemeines wurde, daß schon zu Cicero's Zeiten kein auf der Profession des Bei-esprit herum irrender Graeculus war, der nicht alle Augenblicke bereit gewesen wäre, einer geneigten Zuhörerschaft über alles

Wirkliche und Mögliche, Große und Kleine, Alte und Neue, stehendes Fußes alles was sich davon sagen lasse, vorzuschwatzen. Auch in diesem Stücke ließ Hippias seine übrigen Professonsverwandten hinter sich. Er ging so weit, daß er (wie ihm der Platonische Sokrates ins Angesicht sagt) die Dreistigkeit hatte, zu Olympia, vor allen Griechen aufzutreten und zu prahlen: es gebe keinen Zweig der menschlichen Erkenntniß, den er nicht verstehe, und keine Kunst, deren Theorie sowohl als Ausübung er nicht in seiner Gewalt habe. "Meine Herren, habe er gesagt, ich verstehe mich nicht nur vollkommen auf Gymnastik, Musik, Sprachkunst und Poetik, Geometrie, Astronomie, Physik, Ethik und Politik, ich verfertige nicht nur Heldengedichte, Tragödien, Komödien, Dithyramben und alle Arten von Werken in Prosa und in Versen; sogar, wie ihr mich hier seht (und er war sehr prächtig gekleidet), hab' ich mich mit eigener Hand ausstaffirt: Unterkleid, Kaftan, Gürtel, Mantel, alles hab' ich selbst gemacht; den Siegelring an meinem Finger hab' ich selbst gestochen; sogar diese Halbstiefeln sind von meiner eigenen Arbeit." Ich weiß nicht, ob alle Achtung, die wir dem Plato und seinem Sokrates (der dem Sohne des Sophroniskus nicht immer ähnlich sieht) schuldig sind, hinlänglich seyn kann, uns von einem Manne, wie Hippias (einem Weltmanne, welcher Geschicklichkeit und Klugheit genug besaß, sich bei seinen Zeitgenossen in das größte Ansehn zu setzen) einen Zug, der den Aufschneidereien eines Marktschreiers in einem Cirkel von Austerweibern und Sackträgern so ähnlich sieht, glauben zu machen. Platons Zuverlässigkeit in demjenigen, was er zum

Nachtheil des Hippias sagt, scheint ohnehin um so verdächtiger, da er in den beiden Dialogen, welche dessen Namen führen, den armseligen Kunstgriff gebraucht, diesen Sophisten, um ihn desto lächerlicher zu machen, so unausstehlich dumm und unwissend vorzustellen, ihn so erbärmliche Antworten geben, und am Ende, nachdem er ihn ohne Mühe zu Boden geworfen hat, gleichwohl so abgeschmackt prahlen zu lassen: daß entweder die Griechen zu Platons Zeiten wenig besser als Topinambus gewesen seyn müßten, oder Hippias unmöglich der elende Tropf seyn konnte, wozu ihn Plato erniedrigt. Indessen läßt sich doch aus jener Stelle, und überhaupt aus allem, was der Philosoph und seine Abschreiber von unserm Hippias sagen, so viel ableiten: daß der Verfasser des Agathon hinlänglichen Grund vor sich gehabt habe, diesen Sophisten als einen Prätendenten an allgemeine Gelehrsamkeit, Geschmack, Weltkenntnisse und keine Lebensart abzuschildern.Alles, was von Perikles, Aspasia und Alcibiades im Agathon gesagt wird, ist den Nachrichten gemäß, die uns Plutarch, ein Schriftsteller, der in jedermanns Händen ist oder seyn soll, in den Lebensbeschreibungen des ersten und des letzten hinterlassen hat. Eben dieß gilt auch von dem jüngern Dionysius zu Syrakus, von Philippus, seinem Minister und Vertrauten, und von Dion, seinem Verwandten und Antagonisten. Denn wiewohl die Rolle, die man den Agathon an dem Hofe dieses Fürsten spielen läßt, und verschiedene Begebenheiten, in welche er zu diesem Ende eingeflochten werden mußte, ohne historischen Grund sind: so hat man sich gleichwohl zum Gesetz gemacht, die an diesen philosophischen Roman

Antheil habenden historischen Personen weder besser noch schlimmer, als wir sie aus der Geschichte kennen, vorzustellen; und man hat der Erdichtung nicht mehr verstattet, als die historischen Begebenheiten näher zu bestimmen und völliger auszumalen, indem man diejenigen Umstände und Ereignisse hinzu dichtete, welche am geschicktesten schienen, sowohl die Hauptperson der Geschichte, als den bekannten Charakter der vorbenannten historischen Personen in das beste Licht zu stellen, und dadurch den Endzweck des moralischen Nutzens, um dessentwillen das ganze Werk da ist, desto vollkommener zu erreichen.Diejenigen, welchen es vielleicht scheinen möchte, daß der Verfasser den Philosophen Aristipp zu sehr verschönert, dem Plato hingegen nicht hinlängliche Gerechtigkeit erwiesen habe, werden die Gründe, warum jener nicht häßlicher und dieser nicht vollkommner geschildert worden, dereinst in einer ausführlichen Geschichte der Sokratischen Schule (wenn wir anders Muße gewinnen werden, ein Werk von diesem Umfang auszuführen) entwickelt finden. Hier mag es genug seyn, wenn wir versichern, daß beides nicht ohne sattsame Ursachen geschehen ist. Aristipp, bei aller seiner Aehnlichkeit mit dem Sophisten Hippias, unterschied sich unstreitig durch eine bessere Sinnesart und einen ziemlichen Theil von Sokratischem Geiste. Ein Mann wie Aristipp wird der Welt immer mehr Gutes als Böses thun; und wiewohl seine Grundsätze, ohne das Laster eigentlich zu begünstigen, von einer Seite der Tugend nicht sehr beförderlich sind: so erfordert doch die Billigkeit zu gestehen, daß sie auf der

andern, als ein sehr wirksames Gegengift gegen die Ausschweifungen der Einbildungskraft und des Herzens, gute Dienste thun, und dadurch jenen Nachtheil reichlich wieder vergüten können. Aber wir besorgen sehr, daß Plato, anstatt einige Genugthuung an den Verfasser des Agathons fordern zu können, bei genauester Untersuchung ungleich mehr zu verlieren, als zu gewinnen haben dürfte.Der edelste, ehrwürdigste und lehrreichste Charakter in dem ganzen Werke ist unstreitig der alte Archytas; und um so viel angenehmer ist uns, zur Ehre der Menschheit versichern zu können, daß dieser Charakter ganz historisch ist. Archytas, der beste Mann, den die Pythagorische Schule hervorgebracht, vereinigte wirklich in seiner Person die Verdienste des Philosophen, des Staatsmannes und des Feldherrn; was Plato scheinen wollte, das war Archytas; und wenn jemals ein Mann verdient hat als ein Muster von Weisheit und Tugend aufgestellt zu werden, so war es dieser Vorsteher der Tarentinischen Republik. Da er ein Zeitgenosse der hauptsächlichsten Personen in unserer Geschichte war, so schien er sich dem Verfasser gleichsam selbst zu dem Gebrauch anzubieten, den er von ihm macht. Wen hätte er mit besserm Grund und Erfolg einem Hippias entgegen stellen können, als diesen wahren Weisen, dessen Grundsätze das gewisseste Gegengift gegen die verführerischen Trugschlüsse des Sophisten enthielten, und dessen ganzes Leben die vollständigste Widerlegung derselben gewesen war?

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