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Kapitel 

C. M. Wieland's Werke.

Vierter Band.

Vorbericht

zu der Ausgabe der sämmtlichen Werke vom Jahre 1794.

Die Geschichte des Agathon, welche der Verfasser schon lange zuvor, ehe er sich der Ausarbeitung unterzog, in seinem Kopf entworfen hatte, wurde in den Jahren 1764, 65, 66 und 67 nach und nach, unter sehr ungleichen Einflüssen von außen und in sehr verschiedenen Gemüthsverfassungen, zu Papier gebracht; während der Verfasser in der Reichsstadt Biberach, seiner Vaterstadt, ein öffentliches Amt verwaltete, dessen mannichfaltige, mit seinen Lieblingsstudien kaum verträgliche Beschäftigungen einer solchen Unternehmung wenig günstig waren, und die Ausführung hätten unmöglich machen müssen, wenn seine ganze Seele nicht so voll von ihr gewesen wäre, und wenn er nicht alle seine Nebenstunden und einen Theil der Nächte auf sie verwendet hätte.

Dem ungeachtet konnte er damals nicht dazu gelangen, weder seinen ganzen Plan, noch die zweite Hälfte des Werkes (die den zweiten Theil, oder das 8te, 9te, 10te und 11te Buch

der Zürcher Ausgabe von 1767 ausmacht) so gut auszuführen, daß die Wenigen, welche damals in Deutschland Geisterwerke dieser Art scharf zu beurtheilen fähig waren, nicht Ungleichheit des Tons, ästhetische Lücken und eine ziemlich auffallende Bestrebung, die Lücken im psychologischen Gange der Geschichte mit Räsonnements auszustopfen oder zu überkleistern, in dem zweiten Theile hätten wahrnehmen müssen, welches alles sie gewissermaßen zu der Frage berechtigte: —

— Amphora coepit
Institui, currente rota cur urcaus exit?
Iene fatalen Umstände enthalten den Grund der Nothwendigkeit der beträchtlichen Veränderungen, die im letzten Theile des Werkes vorgenommen werden mußten, wiewohl es in der ersten Ausgabe mit allen seinen Mängeln und Gebrechen eine sehr günstige Aufnahme fand; wie es denn auch in der That zur damaligen Zeit für eine ungewöhnliche Erscheinung in unsrer literarischen Welt gelten konnte, so wußte doch der Verf. selbst am besten, was ihm fehlte und warum es fehlte: und da die Ursache mehr in zufälligen Umständen und dem physischen Einflusse derselben auf seine Phantasie und innere Stimmung lag, als in einer wesentlichen Veränderung der Denkart, worin die Idee des Werkes in seiner Seele empfangen wurde, so blieb es immer sein Vorsatz, sobald er die dazu nöthige Muße und innere Ruhe finden würde, jenen Mängeln abzuhelfen, und den Agathon demjenigen, was er nach dem ursprünglichen Plane hätte werden sollen, so nahe

zu bringen als ihm möglich wäre. Dieß würde denn auch bei der zweiten Ausgabe von 1773 schon geschehen seyn, wenn nicht eine abermalige große Veränderung der Lage und Umstände des Verf. ihn daran verhindert hätte. Die geheime Geschichte der Danae, welche bei dieser Ausgabe hinzu kam, war also (außer einer Menge kleiner Veränderungen, die sich hauptsächlich auf Sprache, Ton und Styl bezogen, einer andern Eintheilung der Bücher und Kapitel, und einem ganz neuen Schluß) alles was der Verf. damals für seinen Liebling thun konnte, und Agathon blieb wider seinen Willen, über 20 Jahre lang noch immer unvollendet.Diesem Gebrechen hofft der Verfasser nunmehr in der Ausgabe von der letzten Hand abgeholfen zu haben. Er hat weder Zeit noch Fleiß gespart, alle Flecken, die er, in Rücksicht auf die Reinigkeit der Sprache, die Harmonie des Styls, die Richtigkeit der Gedanken, die Schicklichkeit des Ausdrucks, und alle andern Erfordernisse dieser Art, noch entdecken konnte, sorgfältig abzuwischen. Aber seine hauptsächlichste Bemühung war darauf gerichtet, die Lücken, die den reinen Zusammenhang der Seelengeschichte Agathons bisher noch unterbrochen hatten, zu ergänzen, einige fremdartige Auswüchse dafür wegzuschneiden, dem moralischen Plane des Werkes durch den neu hinzu gekommenen Dialog zwischen Agathon und Archytas (der den größten Theil des XVIten Buchs ausmacht) die Krone aufzusetzen, und vermittelst alles dieses das Ganze in die möglichste Uebereinstimmung

mit der ersten Idee desselben zu bringen, um es der Welt mit dem innigsten Bewußtseyn hinterlassen zu können, daß er wenigstens sein Möglichstes gethan habe, es der Aufschrift

quid Virtus et quid Sapientia possit
würdig zu machen.
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