C. M. Wieland's Werke.
Dritter Band.
Erstes Buch
Die Menschen, womit Deukalion und Pyrrha das alte
Gräcien bevölkerten, waren anfänglich ein sehr rohes Völkchen;
so, wie man es von Leuten erwarten mag, die aus
Steinen Menschen geworden waren.
| Sie irrten, mit Fellen bedeckt, in dunkeln Eichenhainen,
Der Mann mit der Keule bewehrt, das Weib mit ihren Kleinen
Nach Affenweise behangen; und sank die Sonne. so blieb
Ein Iedes liegen, wohin der Zufall es trieb._________ |
| Der Baum, der ihnen Schatten gab,
Warf ihre Mahlzeit auch in ihren Schooß herab;
Und war er hohl, so wurde bei Nacht
Aus seinem Laub ihr Bett in seine Höhle gemacht. |
Ich weiß nicht, Danae, wie geneigt Sie sich fühlen,
es dem Verfasser der neuen Heloise zu glauben, daß dieses
der selige Stand sey, den uns die Natur zugedacht habe.
Aber wenn wir alle die Uebel zusammen rechnen, wovon
diese Kinder der rohen Natur keinen Begriff hatten, so ist
es unmöglich, ihnen wenigstens eine Art von negativer
Glückseligkeit abzusprechen.
Und ein Dichter — was können wir Dichter nicht, wenn
wir uns in den Kopf gesetzt haben, einen Gegenstand zu
verschönern?
| Auch, hätte nicht der Maler und Poet
Das Recht, ins Schönere zu malen,
Wo bliebe die Magie des schönen Idealen,
Das Uebermenschliche, wovon die Werke strahlen,
Vor denen still entzückt der ernste Kenner steht?
Der Reiz, wozu die rohe Majestät
Und Einfalt der Natur das Urbild nie gegeben,
Die Danaen, die Galatheen und Heben? |
Das heißt ein wenig ausgeschweift, schöne Freundin: denn
ich wollte Ihnen nur sagen, das Original zum goldnen
Alter der Dichter sei vielleicht nichts Besseres gewesen, als
der Stand solcher Wilden,
| Die, ohne zu pflanzen, zu ackern, zu säen,
Mit Müßiggang sich, auf Kosten der Götter, begehen; |
wie Homer von den alten Bewohnern des schönen Siciliens
sagt.Soll ich Ihnen eine Probe geben, wie ein Dichter diesen
Stand verschönern würde?
| Wo ist der Mann, der sich in seinem Stande
Zu wohl gefällt,
Um, wenigstens im Nachtgewande,
Sich nicht ganz leise zurück in eine Welt
Zu sehnen, wo Mutter Natur, wohlthätig wie Urgande,
Die beste der Feen, es auf sich selbst noch nahm,
Das Glück von ihren Kindern zu machen;
Wo, frei von Gesetzen, Bedürfniß und Gram,
Den Glücklichen, unter geselligem Lachen,
Beim ewigen Fest', in Lauben von wildern Jasmin,
Der Stunden zirkelnder Tanz ein seliger Augenblick schien?
Die Götter selbst, gelockt von sanfterm Glücke, stiegen
Aus ihren Sphären herab und theilten ihr Vergnügen.
Zusehends verschönerte sich die Gegend unterm Mond,
Und lange blieb der Himmel unbewohnt. |
| Die Götter eifern in die Wette,
Wer zur Begabung der Natur
Am meisten beizutragen hätte.
Die blonde Ceres deckt mit goldnen Aehren die Flur,
Mit Blumen Zephyr und Flora der Schäferinnen Bette;
Die Nymphen pflanzen für sie den labyrinthischen Hain
Und laden die Schafer — zum Schlummern in stille Grotten ein;
Arkadiens Pan beschützt die silberwolligen Heerden
Und läßt sie oft vervielfacht werden;
Indeß von traubenvollen Höhn
Der neu erfundne Wein, der Erde Nektar, rauschet,
Und Bacchus, unterstützt vom lachenden Silen,
Der Hirten frohes Erstaunen belauschet. |
| Dem Gott der Dichter kam sogar
Die Grille, die seitdem den Dichtern eigen war,
Als Seladon sich zu verkleiden
Und, unerkannt, in blonder Hirten Schaar,
Die Heerden des Admet, der schönste Hirt zu weiden;
Ihn macht sein Witz, der ihren rohen Freuden
Veränderung und Feinheit gibt,
Den guten Schäfern bald beliebt,
Vermuthlich auch den Schäferinnen;
Er lehrte sie der schönen Künste viel,
Manch Liedchen, manchen Tanz und manches kleine Spiel,
Mit Pfändern Küsse zu gewinnen. |
Was sagen Sie, Danae? Wie manch liebliches Gemälde
würd' uns nicht ein poetischer Watteau aus diesen
ohne Ordnung hingeworfnen Bildern zusammen setzen? —
Was für glückliche Leute die Menschen des goldnen Alters
waren!
| Ihr ganzes Leben ist Genießen!
Sie wissen nicht (beglückt, es nicht zu wissen!),
Daß außer ihrem Stand' ein glücklich Leben sey,
Und träumen, scherzen, singen, küssen
Ihr Daseyn unvermerkt vorbei. |
Wer sollte denken, daß jene Autochthonen (erschrecken
Sie nicht vor dem gefährlichen Worte!), jene rohen Kinder
der Mutter Erde, die wir, mit zottigen Fellen bedeckt,
unter Eichen und Nußbäumen herumliegen sahen, —
Geschöpfe, die in diesem Zustande den großen Affen in Ostindien
und Africa nicht so gar ungleich sehen mochten, —
und diese glücklichen Kinder des goldnen Alters eben dieselben
seyn sollten?Aber wie hätten sie auch etwas Besseres seyn können, ehe
sich die Grazien mit den Musen vereinten, um Geschöpfe,
welche die Natur nur angefangen hatte, zu Menschen
auszubilden; sie die Künste zu lehren, die das Leben erleichtern,
verschönern, veredeln; ihren Witz zugleich
mit ihrem Gefühl zu verfeinern und tausend neue Sinne
dem edlern Vergnügen in ihrem Busen zu eröffnen?Die Grazien waren in diesen Zeiten noch unbekannt.
| Kein Dichter hatte sie noch mit aufgelöstem Gürtel |
| Am stillen Peneus tanzen gesehn; |
| Im schönsten Thale der Welt entzog sie die ländliche Hütte |
| Den Augen der Götter und Sterblichen noch. |
"Und wie so?" Fragen Sie —In der That war die Sache ein Geheimniß. Ihre Mutter
hatte vermuthlich Ursachen. Aber, da diese Ursachen
längst aufgehört haben, und da ich Ihnen, schöne Danae,
vielleicht noch geheimere Dinge verrathen werde, so sollen
Sie Alles wissen.Sie müssen von den Dichtern oft gehört haben, daß
Venus die Mutter der Grazien sey; aber nicht Iedermann
kennt ihren Vater. Man hat verschiedentlich von der Sache
gesprochen. Hier haben Sie die Anekdote frisch von der
Quelle.Als die neu entstandene Venus, von Himmel und Erde
mit verliebtem Entzücken angeschaut, den Wellen entstieg,
konnten die Götter nicht einig werden, welchem von ihnen
sie zugehören sollte. Das Kürzeste wäre gewesen, die junge
Göttin der Wahl ihres eigenen Herzens zu überlassen. Aber
so schüchtern macht die Liebe, daß keiner von den Göttern
sich liebenswürdig genug glaubte, den Vorzug vor seinen
Nebenbuhlern zu erhalten. Eben so wenig konnten sie sich
entschließen, das Loos den Ausspruch thun zu lassen. Die
Sache blieb also eine geraume Zeit unentschieden und würde
vielleicht immer so geblieben seyn, wenn nicht endlich Momus
den Einfall gehabt hätte: um Alle zufrieden zu stellen, könnte
man nichts Besseres thun, als sie dem Häßlichsten geben.Der Einfall wurde mit allgemeinem Klatschen aufgenommen.
Vulcan war der Glückliche; und die Götter machten
sich an seiner Hochzeit so lustig, als ob jeder seine eigene
beginge.Der gute Vulcan! Er schmeichelte sich. — Aber was für
einen Grund konnt' er auch haben, sich zu schmeicheln? —
Die Tugend der Liebesgöttin? Welch ein Grund!
Doch desto besser für ihn, daß er in diesem Stücke wie viele
Sterbliche dachte!Venus hatte indessen, daß die Götter unschlüssig waren,
ihre Zeit nicht verloren. Sie war ganz heimlich — Mutter
der Grazien geworden. Hören Sie, wie es zuging!
| Noch hatte sie Amathunt nicht zu ihrem Sitz' erkiest;
Zu jung, sich die Lust des Wechsels zu versagen,
Ließ sie, die Welt zu sehn und, wie natürlich ist,
Gesehn zu werden von ihr, auf einem schönen Wagen
Bald da, bald dorten hin
Von ihren Schwanen sich ziehn.
Die Zephyrn flattern voran, mit Blumen jedes Gestad,
Wohin sie absteigt, dicht zu bedecken,
Und jedes einsame Bad,
Worin sich die Göttin erfrischt, umschweben Rosenhecken. |
Alle diese reizvollen Gegenden, welche noch immer in den
Werken der griechischen und römischen Dichter blühen, die
schönen Ufer des Eurotas und die thessalische Tempe,
das blumige Euna, durch Proserpinens Entführung berühmt,
der aromatische Hybla, das rosenvolle Cythere
und die wollüstigen Haine von Daphne, deren Reiz mächtig
genug war, selbst den stoischen Marcus Antonius eine
Zeit lang der Sorgen für die Welt vergessen zu machen, —
kurz, die schönsten Oerter der Welt hatten ihre Vorzüglichkeit
diesen Lustreisen der jungen Venus zu danken. Keiner
wurde ohne Merkmale ihrer Gegenwart gelassen. Irdische
Paradiese und Inseln, gleich den Inseln der Seligen,
blühten unter ihren Blicken auf. Ein ewiger Frühling nahm
davon Besitz. Wildnisse verwandelten sich in hesperische
Gärten, und allenthalben boten Myrtenwäldchen oder Rosenbüsche
den Liebenden ihren Schatten an.Denn auch die Halbgötter, welche damals noch die Erde
bewohnten, und vornehmlich die Menschen, erfuhren die
Wirkungen ihrer Gegenwart.
| Die Nymphe, sonst zu spröd', um einem männlichen Schatten
Nur im Vorübergehn die Freiheit zu gestatten
Sich mit dem ihrigen zu gatten,
Schmilzt plötzlich in Gefühl und irrt beim Mondenlicht
In eines alten Hains nicht allzu sichern Schatten:
Ein Faun mit offnem Arm und glühendem Gesicht
Eilt auf sie zu, und sie, sie fliehet — nicht. |
———
| Der Schäfer, der zu Chloens Füßen |
| Von Liebesschmerzen halb entseelt
Ihr seine Leiden vorgezählt, |
| Gedroht, er werde sterben müssen, |
| Geseufzt, geweint und stets ihr Herz verfehlt, |
| Wird plötzlich kühn, fängt an zu küssen; |
| Und sie, anstatt auf einen Blick |
| Ihn, wie er wähnte, todt zu schießen,
Dreht lächelnd sich von seinen Küssen |
| Und gibt sie endlich gar — zurück. |
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| Und Tithon, den Aurorens schöne Brust |
| Und seelenvoller Blick vergebens |
| Ins Daseyn rief, erwacht zur längst entwohnten Lust |
| Und sucht in ihrem Blick, auf ihrer schönen Brust |
| Zum letzten Male die Freuden des Lebens. |
Vor allen andern Gegenden der Welt liebte Venus die
anmuthsvollen Gefilde, die sich am Fuße des syrischen Amanus
verbreiten; sie erwählte die junge Göttin, die Scene
ihrer schönsten Siege zu sein.Hier war es, wo sie einst den jungen Bacchus fand,
den Sohn Jupiters und der schönen Semele, den die
Hyaden in einer Grotte des Berges Nysa erzogen hatten,
Sie fand ihn, müde von der Jagd, auf Epheu und Rosen
liegen.O, könnt' ich ihn malen, Danae! Ihr eigenes Herz sollte
Ihnen dann sagen, was die junge Göttin der Liebe bei seinem
Anblick empfand."So versuchen Sie es wenigstens!" —
Ich will, wofern Sie mir erlauben, daß ich die Farben
zu meinem Gemälde von Winkelmann borge.
| So eben betrat er die Grenzen
Des wollustathmenden Lenzen |
| Der ewigen Jünglingsschaft. |
| Sein Athem glich den Lüften,
Worin sich Rosen verdüften,
Und seine wallenden Hüften |
———
| Zärtlichkeit und süße Schalkheit blitzen
Aus den schwarzen Augen; und, wie zarte Spitzen
Junger Pflanzen, drückt der Keim der Lust
Sanft hervor aus seiner Rosenbrust. |
Kurz — Sie kennen ja das schönste Lied des Gleims
der Griechen? — Anakreon hätte seinen Bathyll zu
sehen geglaubt.
| Er lag in der grünlichen Nacht
Vom schönsten Myrtenbaume,
Halb schlummernd, halb erwacht,
In einem entzückenden Traume
Und schien die Bilder, die noch um seine Augen lachen,
Zu sammeln und sich wahr zu machen. |
Hätte der Zufall beide junge Götter in einem günstigern
Augenblick überraschen können? Und wie hätte die Göttin
der Liebe — sagen Sie, Danae! — wie hätte sie einem so
lieblichen Knaben nicht gewogen werden sollen?
| Cythere war schön und empfindlich,
Und Bacchus empfindlich und schön.
Wie konnt' es anders ergehn?
Sie lieben, sobald sie sich sehn.
Baumgarten beweist es uns gründlich.
Es konnte nicht anders ergehn! |
Die junge Venus war nie so schön gewesen als in diesem
Augenblicke. Sie, die den Geist der Liebe über Alles ausgoß,
was ihre Blicke berührten, hatte selbst noch nie geliebt.
Ein Seufzer, der erste, der mit wollüstigem Schmerz aus
ihrer erröthenden Brust empor arbeitete, sagt' ihr, sie
liebe.Der erste Seufzer der Liebesgöttin! — Wie glücklich war
der Unsterbliche, dem dieses Erröthen, dieser Seufzer ihre
Rührungen gestand! Der junge Bacchus fühlte jetzt zum
ersten Male, daß er mehr als ein Sterblicher sey. Und wohl
kam es ihm! Kein Sterblicher hätte die Gewalt des Entzückens
ertragen können, mit welchem er in ihre Arme flog.Vergessen Sie nicht, Danae, daß er noch beinah ein
Knabe war und so liebenswürdig, so unschuldig und doch
bei aller seiner Unschuld so verführerisch aussah, daß es nicht
möglich war, sich in Verfassung gegen ihn zu setzen.
| Diana hätte vielleicht in diesem Augenblicke |
| Sich eben so wenig zu helfen gewußt. |
| Die Göttin meint, sie drück' ihn — sanft zurücke, |
| Und drückt ihn sanft — an ihre Brust. |
Die poetischen Götter sind nicht immer die Gebieter der
Natur. Es gibt Fälle, wo sie ihr eben so unterthan sind,
als wir arme Sterbliche. Der junge Bacchus und die
junge Cythere überließen sich, in aller Unschuld der Unerfahrenheit,
den süßen Empfindungen, deren Gewalt sie zum
ersten Male fühlten.Seyn Sie ruhig, Danae! — Ich unterdrücke wirklich ein
halbes Duzend Verse, wiewohl es vielleicht die schönsten
sind, die mir jemals eingegeben wurden. — Und doch —
wenn ich dächte, Sie glaubten, ich unterdrücke sie nur, weil
es mir so bequemer sey —"Nein! Nein! ich glaube nichts zu Ihrem Nachtheil; man
kennt die Wärme Ihres Pinsels! Lassen Sie immer —"Ein schönes, dicht verwebtes Rosengebüsche um das Gemälde
herziehn, das ich machen wollte; nicht wahr? —Ihr Wink soll vollzogen werden, Danae: hier steht es!
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